Handbuch des Strafverteidigers [7. völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage] 9783504380892

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Handbuch des Strafverteidigers [7. völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage]
 9783504380892

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Dahs Handbuch des Strafverteidigers

Handbuch des StrafVerteidigers von

Prof. Dr. Hans Dahs Rechtsanwalt Bonn

7. völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage

2005

oUs

\erlag

Dr.OttoSchmidt Köln

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel.: 02 21/9 37 38-01, Fax: 02 21/9 37 38-9 43 e-mail: [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 3-504-16555-3 © 2005 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Umschlaggestaltung: Jan P. Lichtenford, Mettmann Gesamtherstellung: Bercker, Kevelaer Printed in Germany

Vorwort

Mit dieser 7. Auflage wird eine weitgehende Neubearbeitung des Handbuchs auf dem Stand von Mitte 2005 vorgelegt. Ebenso wie in den zurckliegenden mehr als 35 Jahren soll es auch weiterhin vor allem Begleiter und Berater des anwaltlichen Strafverteidigers sein. Das Handbuch wendet sich sowohl an den jungen als auch an den erfahrenen Kollegen, der sich der steten Fortentwicklung und des Wandels im Recht bewußt ist. Das Handbuch des Strafverteidigers ist fr den praktischen Gebrauch bestimmt. Es lehrt keine Dogmen, beansprucht nicht den Rang eines wissenschaftlichen Werkes der Lehre oder Forschung, sondern will nur ein verlßlicher Ratgeber mglichst fr alle Berufssituationen des Verteidigers sein, deren außerordentliche Vielfalt eine solche Hilfe erfordert. Das gilt fr den Aufbau und die Fhrung der anwaltlichen Praxis des Verteidigers, seinen Umgang mit großen und kleinen Leuten, fr die berufliche Begegnung mit Prozeßbeteiligten verschiedenster Prgung und fr die ganze Vielfalt stndig wechselnder Situationen eines konfliktreichen und verantwortungsvollen Berufes. Das Handbuch des Strafverteidigers ist keine „Betriebsanleitung Strafverteidiger“ und enthlt deswegen auch keine „Schriftsatzmuster“ oder „Formulare fr den Strafverteidiger“. Die Bestimmungen der Straf- und Prozeßgesetze sind bei weitem nicht das einzige oder gar wichtigste Handwerkszeug des Strafverteidigers. Menschenkenntnis und Menschenfhrung, Lebens- und Berufserfahrung, Gespr und Psychologie machen sehr viel mehr aus. Der Verteidiger ist auch in einer dauernden inneren Auseinandersetzung mit seinem natrlichen Erfolgsstreben einerseits und dem ethischen Postulat seines Berufes andererseits. Er ist nicht zuletzt im Einzelfall dazu berufen, die Fragen nach Gesetz und Recht in ein gerechtes Verhltnis zu Opportunittsfragen und zur Taktik der Verteidigung zu bringen. All diese geschriebenen und ungeschriebenen besonderen Anforderungen des Berufes sind der Stoff dieses Handbuchs. Das Buch wre nicht entstanden ohne die liebenswrdige und qualifizierte Hilfe von Frau Sylvia Raths und Frau Michaela van der Linde, fr die ich sehr herzlich danke. Bonn, den 3. Juli 2005

Hans Dahs

V

Inhaltsbersicht

Seite

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

V

Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XI

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXV Einfhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

A. Erster Hauptteil Die allgemeine Stellung des Verteidigers im Strafverfahren Rn.

Seite

I. Der Berufsauftrag des Verteidigers . . . . . . . . . . . . .

1

6

II. Unabhngigkeit des Verteidigers . . . . . . . . . . . . . .

27

22

III. Der Verteidiger im Widerstreit seiner Berufspflichten .

42

31

IV. Verteidiger und Medien-ffentlichkeit . . . . . . . . . .

92

65

V. Das Selbstverstndnis des Verteidigers . . . . . . . . . .

114

78

B. Zweiter Hauptteil Die Stellung des Verteidigers zu den Beteiligten des Strafverfahrens I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

119

81

II. Verteidiger und Mandant . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

120

82

III. Verteidiger und Verteidiger . . . . . . . . . . . . . . . . .

167

112

IV. Verteidiger und Geschdigter . . . . . . . . . . . . . . . .

168

113

V. Verteidiger und Polizeibehrden . . . . . . . . . . . . . .

172

118

VI. Verteidiger, Staatsanwalt und Richter . . . . . . . . . . .

176

120

VII. Verteidiger und Zeuge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

210

151

VIII. Verteidiger und Sachverstndiger . . . . . . . . . . . . . .

219

159

VII

Inhaltsbersicht

C. Dritter Hauptteil Die Aufgaben des Verteidigers in den Abschnitten des allgemeinen Strafverfahrens Rn.

Seite

I. Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . .

229

167

II. Der Verteidiger im Zwischenverfahren . . . . . . . . . .

414

294

III. Der Verteidiger im Hauptverfahren des ersten Rechtszuges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

442

311

IV. Der Verteidiger im Rechtsmittelverfahren . . . . . . . .

810

528

V. Der Verteidiger im Wiederaufnahmeverfahren . . . . . .

991

613

VI. Beteiligung des Verletzten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1025

630

VII. Strafbefehlsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1065

649

VIII. Allgemeine Rechtsbehelfe im Verfahren . . . . . . . . . 1074

654

D. Vierter Hauptteil Der Verteidiger im Verfahren der Strafaussetzung zur Bewhrung, der Strafvollstreckung, der Straftilgung und im Gnadenverfahren I. Verteidiger und Resozialisierung . . . . . . . . . . . . . . 1095

667

II. Strafaussetzung zur Bewhrung und Aussetzung des Strafrestes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1096

668

III. Strafvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1105

675

IV. Straftilgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1121

683

V. Gnadenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1129

688

E. Fnfter Hauptteil Der Verteidiger in besonderen Funktionen I. Der Verteidiger als Unternehmensberater und Firmenvertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1140

693

II. Der Verteidiger als Zeugenberater und anwaltlicher Zeugenbeistand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1150

698

III. Der Verteidiger in Verfahren vor parlamentarischen Untersuchungsausschssen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1158

703

IV. Der Verteidiger in eigener Sache . . . . . . . . . . . . . . 1165

707

VIII

Inhaltsbersicht

F. Sechster Hauptteil Die Honorierung des Strafverteidigers Rn.

Seite

I. Ein heikles Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1170

709

II. Vereinbarungshonorare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1180

713

III. Kostenzahlung und Kostensicherung . . . . . . . . . . . . 1204

725

IV. Probleme der Niederlegung der Verteidigung aus Kostengrnden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1208

728

V. Verteidigerhonorar und Geldwsche . . . . . . . . . . . . . 1212

730

VI. Steuersnden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1217

734

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

737

IX

Inhaltsverzeichnis (Die in Klammern gesetzten Zahlen bezeichnen die Randnummern)

Seite

Vorwort

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Inhaltsübersicht

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

V VII

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXV Einführung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

A. Erster Hauptteil Die allgemeine Stellung des Verteidigers im Strafverfahren Rn.

Seite

I. Der Berufsauftrag des Verteidigers . . . . . . . . . . . . .

1

6

1. Der Zugriff des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

6

3

7

11

12

17

17

23

19

26

21

II. Unabhängigkeit des Verteidigers . . . . . . . . . . . . . .

27

22

1. Der Bereich der Unabhängigkeit

27

22

Verfolgungszwang (1), Justizförmigkeit (2)

2. Die Schutzaufgabe des Verteidigers Selbstverteidigung Einseitigkeit justizielles

des

(3),

Schutzfunktion

Verteidigers

Unrecht

(8),

(5),

freie

. . . . . . . . . . . . . des

Staatsanwalts

(4),

Beweiswürdigung

Rechtssicherheit

(9),

Umgang

(7), mit

Mandant (10)

3. Die Zuordnung des Verteidigers zur Rechtspflege . . . . . Organ der Rechtspflege (11), Bindung und Freiheit (11), öffentlich-rechtliche Komponente (12), selbständiger Beistand (13), Verschulden (14), Strafanträge (16)

4. Die Beratungsfunktion des Verteidigers . . . . . . . . . . . Vertrauensgrundlage

(17),

Schuld

oder

Nichtschuld

(18),

Be-

streiten oder Geständnis (18), Prozeûprognose (21)

5. Verteidigung und Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . Einfluûnahme (23), Entwicklungen im Straf- und Strafprozeûrecht (23), Haftrecht (24)

6. Die Delegation der Verteidigung

. . . . . . . . . . . . . . .

Vertretung und Assistenz (26), Referendare (26)

. . . . . . . . . . . . . . .

Unabhängigkeit vom Staat (28), vom Gericht (29), vom Mandanten (30), vom ¹Kostenträgerª (31), vom Kammervorstand (32)

XI

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

35

27

37

29

III. Der Verteidiger im Widerstreit seiner Berufspflichten

42

31

1. Der Teufelskreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

32

2. Wahrheitspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

32

44

33

55

39

73

51

79

55

88

61

IV. Verteidiger und Medien-ffentlichkeit . . . . . . . . . .

92

65

1. ffentlichkeit in Strafprozessen und Verfahren vor parlamentarischen Untersuchungsausschssen . . . . . . . .

92

65

2. Die Bindung an das Berufsrecht . . . . . . . . . . . . . . . Anwaltliches Berufsrecht (35), Minimalstandard (36), Konfliktverteidigung (36)

3. Ausschließung und berwachung des Verteidigers . . . . Rechtsgrundlagen (37), Entscheidungszustndigkeit (38), Pflichtverteidiger (39), berwachung der Mandantenkontakte (40)

Verbot der Lge (43), Zweifelhafte Beweisbehauptungen (43), Konflikte (43)

3. Verschwiegenheitspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schweigepflicht (44), ffentlichkeit (45), Mitarbeiter und Personal (46), Handakten (47), Widerstreit zur Wahrheitspflicht (49), bertragung von Verteidigerwissen (51), Offenbarungspflicht (53)

4. Verteidigung und Strafvereitelung . . . . . . . . . . . . . . Gefhrliche Nachbarschaft (55), Mangel am Tatbestand (55), Konfliktsituationen (56), Strafvereitelung und Verschwiegenheitspflicht (59), Hinderung der Strafverfolgung (60), Auslieferung (62), Zeitgewinn (63), Kollusion (68), Verteidigerbesprechungen (68), Strafvereitelung in der Hauptverhandlung (69), Prozeßsabotage/Konfliktverteidigung (71), Konfliktfragen (72)

5. Die Verteidigung des schuldigen Angeklagten . . . . . . . Problemstellung (73), legale Verteidigung (75), praktische Erfahrungen (77), Niederlegung der Verteidigung (78)

6. Interessenkollision und Parteiverrat . . . . . . . . . . . . . Treuepflicht (79), mehrere Beschuldigte (79), Beratung (80), Gefhrdung der Rechtspflege (81), dieselbe Rechtssache (82), „Ausrichtung“ des Mandats (83), Aktenauszug fr Versicherungen (85), Verbotsirrtum (86), „bser Anschein“ (87)

7. „Werbung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reklame (88), Massenmedien (89), „bser Anschein“ (90), Mandate aus der JVA (91), „Hausanwlte“ der JVA (91)

„elektronische“ ffentlichkeit (92), parlamentarische Untersuchungsausschsse (93), Presseerklrungen (93), Konfliktflle (94)

XII

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

2. Verteidiger und Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

67

a) Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

67

97

69

101

71

108

74

109

75

4. ffentliches Wirken des Verteidigers . . . . . . . . . . . .

113

78

V. Das Selbstverstndnis des Verteidigers . . . . . . . . . .

114

78

Gebot der Sachlichkeit (95), Boulevardpresse (96)

b) Medienkontakte als „flankierende Verteidigung“ . . . Grundsatz (97), Medienkontakte (97), Presseerklrungen (98), Story des Mandanten (99), Konflikte (100)

c) Schutz des Mandanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abwehrmaßnahmen (101), „Stillhalteabkommen“ (102), Gegendarstellung (103), Strafanzeige (104), Zivilklagen (105), Krisenmanagement (106), Hauptverhandlung (107)

d) Selbstschutz des Verteidigers . . . . . . . . . . . . . . . Freiheit der Verteidigung (108), Niederlegung des Mandats (108)

3. Bildaufnahmen, Fernsehen und Rundfunk . . . . . . . . . Nachteile und Gefahren (109), Abwehrmaßnahmen (109), Personen der Zeitgeschichte (110), Interviews (111), Opportunitt (112)

Eckpunkte (114), Dienstleister (115), „Entscheider“ (116), „Einzelkmpfer“ (117), Partner der Rechtspflege (118)

B. Zweiter Hauptteil Die Stellung des Verteidigers zu den Beteiligten des Strafverfahrens I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

119

81

II. Verteidiger und Mandant . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

120

82

1. Die bernahme der Verteidigung . . . . . . . . . . . . . .

121

82

a) Wahlverteidiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

121

82

Auftrag (121), Vollmacht (122), mehrere Verteidiger (123), Doppelverteidigung (125), Untervollmacht (126), Verteidigung von Familienangehrigen (127), Schwerverbrecher (128), Unterwelt (129), Terroristen (130), Wirtschaftsstrafsachen (131), Staatsfeind (132), Sexualstraftaten (134), „faule Mandate“ (135), „Vereinnahmung“ (135), verhaftete Mandanten (136), Interessenkollision (138), Mandanten in einer Hierarchie (138), Reservierung fr Mandat (140), Syndikus-

XIII

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

146

96

153

103

161

106

165

109

167

112

168

113

172

118

VI. Verteidiger, Staatsanwalt und Richter . . . . . . . . . .

176

120

1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

176

120

a) Aufgabenbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

176

121

b) Zusammenarbeit, Besprechungen und Absprachen . .

177

122

anwalt (141), Beauftragung durch Dritte (143), Beauftragung durch Presse (143), Wiederaufnahmesachen (144), Honorarzahlung durch Dritte (145)

b) Pflichtverteidiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bestellung (147), Anwalt des Vertrauens (148), Pflichtverteidiger und Wahlverteidiger (149), zustzlicher Pflichtverteidiger (150), „Zwangsverteidiger“ (150), Delegation (151)

2. Autoritt und Distanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fhrungsanspruch (153), Besprechungsorte (154), „Ausschreibung“ von Mandaten (155), Distanz (156), Vertraulichkeiten (157), Geschwtzigkeit (160)

3. Niederlegung der Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Unzeit (161), Interessenkollision (161), Niederlegungsanzeige (162), Mandatsentziehung (163), Pflichtverteidiger (164)

4. Zivilrechtliche Haftung des Verteidigers . . . . . . . . . . Grundlagen (165), Verletzung der Beratungs- und Belehrungspflicht (166), Beispiele (166), Ausreden (166)

III. Verteidiger und Verteidiger . . . . . . . . . . . . . . . . . Verteidiger und Syndikusanwalt (167), Verteidigungsteam (167), „leadership“ (167), „Seilschaft“ (167)

IV. Verteidiger und Geschdigter . . . . . . . . . . . . . . . . Prozeßverhtung durch Vergleich (168), Rcknahme des Strafantrags gegen Geldzahlung (169), Tter-Opfer-Ausgleich (170), Akteneinsicht des Verletzten gem. § 406e StPO (171), Empfehlungen (171)

V. Verteidiger und Polizeibehrden . . . . . . . . . . . . . . Spannungsverhltnis (172), Zusammenarbeit (173), Indiskretionen (174), Zurckhaltung (175)

Unabhngigkeit (177), Vertrauliche Besprechungen (178), Besprechungen/Absprachen/Verstndigungen (179), Stilfragen (180), Konflikte (181), persnlicher Umgang (182), wirtschaftliche Beziehungen (183), Aktenbehandlung (184)

XIV

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

2. Verteidiger und Staatsanwalt . . . . . . . . . . . . . . . . .

185

126

3. Verteidiger und Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

186

127

a) Achtungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

186

127

b) Ehrenamtliche Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

191

131

c) Favor judicis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

192

132

4. Fehlverhalten des Verteidigers . . . . . . . . . . . . . . . .

194

133

5. Fehlverhalten von Richtern und Staatsanwlten . . . . .

196

135

a) Flle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

196

135

197

137

198

138

207

148

209

150

VII. Verteidiger und Zeuge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

210

151

1. Behandlung des Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

210

151

214

154

216

155

Verhalten vor Gericht (186), „Urteilsschelte“ (187), verbale Mißgriffe (187), Vorwurf der Rechtsbeugung (188), Beanstandungen der Sachleitung (189), Rechtsbehelfe (190), Drohungen (190)

Unabhngigkeit (194), Ordnungsgewalt (194), Entfernung aus dem Sitzungssaal (195), Kostenfolgen (195)

Richtertypen (196), Voreingenommenheit (196), Konfliktbereiche (196)

b) Maßnahmen des Verteidigers . . . . . . . . . . . . . . Niederlegung des Mandats (197)

aa) Ablehnung von Richtern . . . . . . . . . . . . . . . . . Opportunitt (198), Richterausschluß (199), Richterablehnung (200), Befangenheit (200), persnliche Differenzen (202), Vorangegangene Entscheidungen (203), Zurckverweisung aus Revision (203), Verfahrensabsprache (204), Ablehnungsverfahren (205)

bb) Ablehnung des Staatsanwalts . . . . . . . . . . . . . . Rechtslage (207), Vorgehensweise (207), Vernehmung des Staatsanwalts als Zeuge (208)

cc) Andere Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strafanzeige (209), Dienstaufsichtsbeschwerde (209), Anrufung des Oberlandesgerichts (209)

Achtungsanspruch (210), Bloßstellung (211), Vorstrafen (212)

2. Falschaussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verteidiger als Teilnehmer (214), Strafanzeige gegen Zeugen (215)

3. Außergerichtliche Befragung . . . . . . . . . . . . . . . . .

XV

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

216

155

218

158

VIII. Verteidiger und Sachverstndiger . . . . . . . . . . . .

219

159

1. Stellung des Sachverstndigen . . . . . . . . . . . . . . .

219

159

224

161

227

164

a) Zulssigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Niederschrift und Tonbandaufnahmen (216), unzulssige Beeinflussung (217)

b) Eidesstattliche Versicherungen . . . . . . . . . . . . . Aufnahme (218), Verwertung (218)

Gutachterprozeß (219), Richtergehilfe (220), außergerichtliche Befragung (221), Sachverstndiger als Zeuge (222), Haftung (223)

2. Sachkunde des Verteidigers . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines (224), berheblichkeit von Sachverstndigen (225), Allkompetenz (225), Auswahl des Sachverstndigen (226)

3. Ablehnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Befangenheit (227), Verfahren (228), Sachverstndiger der Polizei (228), Sachverstndiger als Zeuge (228a)

C. Dritter Hauptteil Die Aufgaben des Verteidigers in den Abschnitten des allgemeinen Strafverfahrens I. Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren . . . . . . .

229

167

1. Allgemeines und Besonderes . . . . . . . . . . . . . . . .

229

167

242

177

Schutzfunktion (229), Domne der Strafverfolgungsbehrden (230), Mitwirkung des Verteidigers (231), Kooperatives Ermittlungsverfahren (231), prventives Krisenmanagement (232), proaktive Verteidigung (233), Betriebs- und Geschftsgeheimnisse (234), Medienarbeit (235), Haftpflichtversicherungen, Berufsgenossenschaften und Aufsichtsbehrden (236), Sockelverteidigung (237), Mitgestaltung des Verfahrens (239), Verfahrensbeispiele (240), „Verdeckte Verteidigung“ (241)

2. Die speziellen Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einstellung des Verfahrens (242), Fernwirkung von Ermittlungsergebnissen (243), Rat zum Gestndnis (243), polizeiliche Protokolle (244), Belehrung (245), Verwertungsverbot (245), Vernehmungstechnik der Polizei (247), unzulssige Vernehmungsmethoden (248), Verfahren der Staatsanwaltschaft (249), Grenzen der Verteidigung (250)

XVI

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

251

183

4. Akteneinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

254

186

a) Gesetzliche Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

255

187

b) Aktenbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

270

195

c) Aktenauszug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

271

196

275

197

5. Beratung und Mitwirkung bei Vernehmungen . . . . . . .

286

203

a) Beratung und Mitwirkung bei Vernehmungen der Polizei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

286

204

294

210

295

211

302

213

3. Verbindung zu den Organen der Strafverfolgung . . . . . Polizeiliche Dienststellen (251), Staatsanwaltschaft (252), Anwesenheitsrecht (252), Ermittlungsrichter (253)

Rechtslage und praktische Hinweise (255), Beiakten (256), Spurenakten (257), Elektronische Dateien (258), Videoaufzeichnungen (259), Umfang (260), Versagung (261), praktische Schwierigkeiten (263), Vernehmungsprotokolle (265), Durchfhrung der Akteneinsicht (266), Akteneinsicht nach Einstellung (269)

Abschriften, Fotokopien, Dateien (271), Umfang (272), Kosten (273), Staatsschutzverfahren (274)

d) Verwertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Information des Klienten (275), Rckforderung (275), Weitergabe (276), Beteiligung Dritter (278), berlassung an Mitverteidiger (279), berlassung an Presse (280), Auszug fr Versicherungen (282), Untersuchungshaft (283), Verlust der Akten (285)

Belehrungspflicht (287), Verdchtigter und Beschuldigter (287), Verletzung der Belehrungspflicht (287), Aussageverweigerung (288), „Zurckstellung“ der Aussage (289), schriftliche ußerung (291), Anwesenheitsrecht (292), Protokollabschriften (293)

b) Mitwirkung bei Gegenberstellungen . . . . . . . . . . Wahlgegenberstellungen (294), Lichtbildvorlagen (294)

c) Beratung und Mitwirkung bei Vernehmungen der Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erscheinenspflicht (295), Anwesenheitsanspruch des Verteidigers (295), Vorbereitung (296), Teilnahme (297), Fragerecht (297), Protokoll (298), Antragsrecht (301)

d) Beratung und Mitwirkung bei Vernehmungen des Vernehmungsrichters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines (302), Beratung (303), Anwesenheit (304), Fragerecht (305), praktische Hinweise (306)

XVII

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

307

216

7. Einstellung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . .

317

223

a) Einstellung mangels hinreichenden Tatverdachts . . .

317

223

322

226

328

231

8. Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

331

233

a) Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

331

234

338

238

c) Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

346

245

aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

346

246

349

248

353

250

6. Eigene „Ermittlungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines (307), Zielsetzung (308), „informationeller Schutzbereich“ (309), Ausknfte (310), Zeugen (310), Sachverstndige (311), Urkunden (312), Augenschein (313), „Zufallsfunde“ (313), Verwertung (314), Privatdetektive (315)

Anspruch (317), berobjektivierung (318), „Interesse der ffentlichkeit“ (319), Nachsorgepflichten (320), Absprachen (321)

b) Einstellung wegen Geringfgigkeit, nach Erfllung von Auflagen und aus anderen Grnden, Beschrnkung des Verfahrensstoffs, Tter-Opfer-Ausgleich (§ 153, §§ 153a–e; §§ 154a–e, §§ 155a und b StPO) . . . „Denken in Verfahrensrisiken“ (322), Geringfgigkeit (§ 153) (323), Einstellung gegen Auflagen (§ 153 a) (324), Voraussetzungen (325 f.), Ntigung und Erpressung (327)

c) Beschwerde und Klageerzwingung . . . . . . . . . . . . Beschwerderecht (328), Verfahren (329), Akteneinsicht des Verletzten nach § 406e (330), „Nachsorge“ (330), besondere Prozeßsituation (330)

Allgemeines (331), Haftunfhigkeit (333), Vollzug der UHaft (334), Briefverkehr (335), falsche Gestndnisse (336), Besuche (337)

b) Haftgrnde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Akteneinsicht (338), Dringender Tatverdacht (338), Fluchtgefahr (339), Verdunkelungsgefahr (340), Wirtschaftsstrafsachen (341), mndliche Anhrung (345)

Akteneinsicht (346 f.), Antrge (348), Absprachen (348), Haftpsychosen (348)

bb) Die mndliche Verhandlung . . . . . . . . . . . . . . . Haftprfung (349), Risiken (350), Gesprche (351), Terminswahrnehmung (352)

cc) Haftbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Erfahrungen (353), Verzgerung der Entscheidung (354), Risiken (354)

XVIII

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

355

252

e) Haftdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

357

254

f) Verkehr mit dem Verhafteten . . . . . . . . . . . . . . .

358

256

g) Anrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

365

261

h) Entschdigung fr Strafverfolgungsmaßnahmen . . . .

366

261

372

264

374

266

375

269

d) Haftverschonung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auflagen (355), Recherchen (355), Sicherheitsleistung (356)

Mndlicher und schriftlicher Verkehr (358), UVollzO (358), Fehlverhalten des Verteidigers (360), „Kassiber“ (361), Nahrungs- und Genußmittel (362), Lesestoff (362), Rechtsbehelfe (364)

Rechtslage (366), Fristen (367), Nachweis (368), Kosten der Verteidigung (370), Steuerpflicht (371)

i) Freiheitsentziehung und Regreß . . . . . . . . . . . . . . Amtshaftungsanspruch (372), Ausschlußgrnde (372), Presseerklrungen (373)

j) Vorbeugende Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . Drohender Haftbefehl (374), Kooperationsbereitschaft (374), vorsorglicher Verteidigungsschriftsatz (374)

9. Einstweilige Unterbringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Andere vorlufige Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . .

376

269

a) Durchsuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

376

269

384

275

c) berwachung von Kommunikation und Telekommunikation sowie Observation . . . . . . . . . . . . . . . .

395

283

d) Krperliche Untersuchungen und Eingriffe . . . . . . .

396

284

Bedeutung (376), Anwesenheit des Verteidigers (377), Verzeichnis (377), Durchsicht von Papieren, Datentrgern u. . (378), Zufallsfunde (379), Rechtsmittel (381), vorbeugende Maßnahmen (382), prventive Beratung (383)

b) Beschlagnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zulssigkeit (384), richterliche Entscheidung (386), Pressebeschlagnahme (387), Postbeschlagnahme (388), Beschlagnahmeverbote (389), Handakten des Verteidigers (390), Akten der Syndikusanwlte (391), Verwertungsverbot (393), Entschdigungsansprche (394), Rckgabe beschlagnahmter Sachen (394)

Psychiatrisches Krankenhaus (396), Verteidigungsrisiken (397), krperliche Untersuchung (398, 404), Verfahrensfehler (399), Blutprobe (400), Testbungen (401), erkennungsdienstliche Maßnahmen (402), Polygraphentest (Lgendetektor) (403)

XIX

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

405

289

406

291

II. Der Verteidiger im Zwischenverfahren . . . . . . . . . .

414

294

1. Verteidigungschancen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

414

295

2. Einwendungen gegen die Erffnung . . . . . . . . . . . . .

416

297

a) Grnde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

416

297

b) Geltendmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

429

304

aa) Erklrungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

430

304

434

307

439

309

III. Der Verteidiger im Hauptverfahren des ersten Rechtszuges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

442

311

1. Vorbereitung der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . .

442

311

a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

442

311

e) „Genetischer Fingerabdruck“ (DNA-Analyse) . . . . . Allgemeines (405), Massentests (405)

f) Vorlufige Entziehung der Fahrerlaubnis . . . . . . . . Dringende Grnde (406), Wegnahme des Fhrerscheins (407), EU-Fahrerlaubnis (407), Fahrverbot (408), Anrechnung (408), Prfungsrecht der Verkehrsbehrde (409), Verbotsfrist (410), Nachschulungskurs (412), Entschdigungsanspruch (413)

Praktische Erfahrungen (415), „Interesse der ffentlichkeit“ (415), Zwischenziele und Teilerfolge (415)

Verfahrenshindernisse (416), Verbrauch der Strafklage (418), Verhandlungsunfhigkeit (419), Strafantrag (421), Verjhrung (424), Zustndigkeit (425), besondere Verteidigungschancen (428)

Richtergesprch (431), Absprachen (431), Beweisantrge (432)

bb) „Schutzschrift“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Opportunitt (434), Prozeßdummheit (434), Verteidigungsstrategie (434), Rechtsausfhrungen (435), Blick auf die Revision (435), Sonderflle (436), Erwiderung der Staatsanwaltschaft (438)

3. Sonstige Antrge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beweisantrge (439), Vorlage von Gutachten (440), Zwangsmaßnahmen (441)

Verantwortung (442), Verteidigungsstrategie (443), Konfliktverteidigung (444), sachlich-technische Vorbereitung (445), Hauptverhandlungsplan (445), technische Hilfsmittel (447), Antrge (451), Terminkollisionen (454), Beschwerde gegen Terminierung (454), Vertretung (455)

XX

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

b) Prfung der Zustndigkeit . . . . . . . . . . . . . . . .

456

321

c) Besetzung der Richterbank . . . . . . . . . . . . . . . .

457

322

460

325

462

326

464

327

g) Vorbereitung der Beweisfhrung . . . . . . . . . . . . .

465

328

aa) Eigene „Ermittlungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . .

466

328

467

330

469

331

dd) Gefhrliche Zweischneidigkeiten . . . . . . . . . . . .

475

335

h) Entbindung vom Erscheinen, kommissarische Vernehmung und richterlicher Augenscheinsbeweis vor der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

476

336

480

338

2. Der Verteidiger in der Hauptverhandlung . . . . . . . . . .

495

351

a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

495

351

b) Verfahrensabsprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

496

352

Rgeprklusion (457), Berufsrichter (458), Schffen (459), Zeitpunkt der Rge (459)

d) Ablehnungsgesuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines (460), Zeitpunkt (461), Mißbrauch (461)

e) Kontakte zu Gericht und Staatsanwaltschaft . . . . . Verfahrensabsprache (462), Akteneinsicht (463), ffentlichkeit (463)

f)

Verbindung zu Mitangeklagten und Mitverteidigern . Gestaltung der Kontakte (464), Verteidigerbesprechungen (465), Risiken (465)

Anhrung von Beweispersonen (466), Sachverstndige (466), Augenschein (466)

bb) Antrge zur Beweiserhebung . . . . . . . . . . . . . . . Zielsetzung (467), Ablehnung (468), Durchsetzung (468)

cc) Selbstladung von Zeugen und Sachverstndigen . . . Verfahren (470 f.), Information (472), Schwierigkeiten (473)

praktische Erfahrungen (476), eigenmchtiges Ausbleiben (477), kommissarische Beweiserhebungen (478), Anwesenheit (479)

i)

Vorbereitung der Einlassung . . . . . . . . . . . . . . . Verteidigungsstrategie (480), ußerlichkeiten (482), Gestndnis (484), persnlicher Eindruck (485), Vernehmung zur Person (486), Vernehmung zur Sache (487), Schweigerecht (488), Gefahren (489), nderung der Einlassung (491), Divergenzen (492), letztes Wort (494)

Gelegenheiten (496), Rechtslage (496), Anforderungen (497), Rechtsbestndigkeit (498), Rechtsmittelverzicht (498), Scheitern (499), Motivation (500)

XXI

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

501

356

520

365

524

368

533

372

g) Vernehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

537

374

aa) Vernehmung des Angeklagten . . . . . . . . . . . . . .

537

374

560

386

c) Beginn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pnktlichkeit (501), Auftreten und Amtstracht (502), Mobiltelefon (503), Laptop (504), Antrge (506), „opening statement“ (507), Verhandlungsfhigkeit (508), Beurlaubung (509), Besetzungsrge (511), Unzustndigkeit (512), Ablehnungsgesuche (513), Ausschluß der ffentlichkeit (514), Einwendungen (515), Einstellung (516), Beweisantrge (519)

d) Erklrungsrechte und Widerspruchspflichten . . . . . Rechtslage und Bedeutung (520), Erklrung zu Beweiserhebungen (520), Beanstandung bei Versagung (521), Widerspruch gegen Verwertbarkeit (523)

e) Fragerechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Regelung (524), Beschrnkung (525), ungeeignete Fragen (526), Entscheidung des Gerichts (527), Anknpfungsfragen (528), Fangfragen (529), Suggestivfragen (530), Fragenkatalog (531), Fragerecht des Mandanten (532)

f)

Beanstandungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachleitung (533), Gerichtsbeschluß (534), Fingerzeige (535), Protokoll (536)

Situation des Mandanten (537), Vernehmung zur Person (538), Bloßstellung (539), Belehrung (540), Reihenfolge der Vernehmungen (541), Vernehmung zur Sache (542), Vorbereitung (543), Vorhalte (544), Beanstandung (545), Nachvollziehung des Akteninhalts (546), Gestndniswiderruf (547), Vorstrafen (549), Ablehnung (551), Befragung durch Staatsanwalt (552), Befragung durch Verteidiger (553), Befragung durch Verteidiger des Mitangeklagten (555), Fortsetzung der Hauptverhandlung (558)

bb) Vernehmung der Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedeutung (560), Vernehmungstechnik und -psychologie (561), Vernehmung zur Person (562), Belehrung (563), Zeugnisverweigerung (563), Auskunftsverweigerung (564), Berufsgeheimnis (565), Konfliktsituation (566), Entbindung von der Schweigepflicht (567), Verteidiger als Zeuge (567), Sperrerklrung (567), Zwischenstreit (568), Verhrperson (569), Verwertungsverbote (570), Trennung von Bericht und Verhr (572), sachverstndiger Zeugen (573), Zeuge vom Hrensagen (574), V-Leute (575), Vorhalte (576), Protokoll (577), Reihenfolge (578), Gegenberstellung (579), Befragung durch Staatsanwalt oder Mitverteidiger (580), Befra-

XXII

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

609

421

620

430

Beweis durch Augenschein . . . . . . . . . . . . . . . .

634

439

aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

634

439

bb) Ton- und Filmaufnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . .

635

440

639

442

k) Beweisantrge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

641

445

aa) Beweisantrge des Verteidigers . . . . . . . . . . . . . .

641

445

gung durch Verteidiger (581), praktische Hinweise (582), Vernehmung von Ermittlungsbeamten (583), Vernehmung von Kindern und Jugendlichen (584), Vorhalte (585), Vereidigung (586 ff.), Protokoll (586), Entlastung (587), Aussagepsychologie (588), Aussagetchtigkeit (590), Aussageehrlichkeit (592), Rollentausch (595), Aussagerichtigkeit (598), Kinder und Jugendliche (601), Entstehungsgeschichte der Aussage (603)

cc) Vernehmung der Sachverstndigen . . . . . . . . . . . Eigene Sachkunde des Gerichts (609), Leitungspflicht (610), Befund- und Zusatztatsachen (612), Fachgebiet (614), Sachbeweis (615), Vertreter des Sachverstndigen (617), Auseinandersetzungen (618), Vereidigung (618), Selbstladung (618), Ablehnung (619)

h) Urkundenbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines (620), Verlesung (621), Selbstleseverfahren (621), prsente Beweismittel (622), Beweisverbote (623), Verlesung von Protokollen (625 ff.), Vorhalte (629 ff.), Behrdengutachten (632), Leumundszeugnis (633)

i)

Allgemeines (635), Beweisverbote (636), behrdliche Ton-, Bild- und Filmaufnahmen (637), Rekonstruktion (638)

j)

Der kriminaltechnische Gutachten-Sachbeweis . . . Begriff (639), Aufgabe des Verteidigers (640), Befangenheit (640)

Allgemeines (641), Beweiserheblichkeit (643), Mißbrauch (644), Strafvereitelung (646), Zweifel des Verteidigers (647), außergerichtliche Befragung (648), Kostenfolgen (649), Indizien (650), Alibibeweis (651), Offenkundigkeit (652), Erwiesenheit (653), „affirmativer Beweisantrag“ (653), Aufklrungsrge (654), Wahrunterstellung (656), Zeitpunkt (659), Zurckstellung der Entscheidung (660), Hilfsbeweisantrag (661), Verschleppungsabsicht (662), Staatsanwalt als Zeuge (664), Richter als Zeuge (665), Protokoll (666), Beweisbehauptung (667), Unerreichbarkeit (670), V-Mann (670), Begrndung des Beweisantrages (671), Ungeeignetheit (672), Austausch von Beweismitteln (673), Benennung von Zeugen (674), von Sachverstndigen (675), eigene Sachkunde (676), Obergutachter (677), „affirmativer Beweisantrag“

XXIII

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

686

467

690

469

m) nderung der Anklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

695

472

aa) Rechtliche und sachliche Gesichtspunkte . . . . . . .

695

472

bb) Nachtragsanklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

700

474

n) Die Sitzungsniederschrift und Tonbandprotokoll . .

702

475

705

477

707

478

757

505

zum Gutachten (678), Gerichtsarzt (679), Augenschein (681), Skizzen und Lichtbilder (682), Rekonstruktion (684), Beweisermittlungsantrag (685), Beweisanregung (685)

bb) Beweisantrge des Staatsanwalts . . . . . . . . . . . . Ermittlungen whrend der Hauptverhandlung (687), Aussetzungsantrag (688), Entlastungstatsachen (689)

l)

Prsente Beweismittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedeutung (690), weiterer Sachverstndiger (690), Entschdigungsantrag (690), Skizzen und Fotos (691), Verzicht (693), Aufklrungspflicht (694)

Rechtlicher Gesichtspunkt (695), Belehrung (696), vernderte Sachlage (697), Aussetzung (698), Einstellung (699)

Protokollierung (702), Verwirkung (702), Einsichtnahme (703), Tonbandprotokoll (704)

o) Zwischenberatungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Richtungsnderung (705), Gefahren (705), Berufungsinstanz (706)

p) Das Pldoyer des Verteidigers . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines (707), Redekunst (708), Adressat (709), Vorbereitung (710), Anrede (712), Form und Gehalt (714), Glaubwrdigkeit (716), Dauer (717), „Fensterredner“ (720), Aufbau (722), Anfang (723), eigene berzeugung (724), Absprache (726), berfhrter Angeklagter (728), Psychologie (731), Justizirrtmer (732), Rechtsfragen (734), Rechtsentwicklung (736), berzeugungsbildung des Richters (738), das Publikum (739), Antrge (742), Hilfsbeweisantrge (743), Wirkung auf den Staatsanwalt (744), Erwiderung (745), Wirkung auf den Mandanten (746), Schuldinterlokut (747), Strafzumessung (749), Humor (752), Schlagfertigkeit (753), Fairneß (754), mehrere Verteidiger (755), Schluß des Pldoyers (756)

q) Vor und nach der Urteilsverkndung . . . . . . . . . . Letztes Wort (758), Wiedererffnung der Beweisaufnahme (759), Vorteile (760), „schriftliches Nachpldoyer“ (761), erneute Beratung (763), Anwesenheit des Verteidigers (764), Urteilsverkndung (765), Rechtsmittelverzicht (767), Haftbefehl (768)

XXIV

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

771

513

3. Verwirkung von Verteidigungsrechten . . . . . . . . . . .

779

517

a) Rge von Prozeßverstßen . . . . . . . . . . . . . . . .

779

517

b) Verlust des Rgerechts . . . . . . . . . . . . . . . . . .

782

519

aa) Verlust des Rgerechts durch Rgeverzicht . . . . . .

783

519

bb) Unterlassene Anrufung des Gerichts . . . . . . . . . .

785

520

cc) berholung durch Prozeßablauf, Prklusionen . . . .

789

521

794

522

799

523

c) Ratschlge fr prozeßgerechtes Verhalten . . . . . . .

803

525

aa) Fixierung der Prozeßvorgnge . . . . . . . . . . . . . .

803

525

807

527

IV. Der Verteidiger im Rechtsmittelverfahren . . . . . . . .

810

528

1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

810

528

a) Aussichten des Rechtsmittels . . . . . . . . . . . . . . .

811

529

b) Zweckmßigkeit des Rechtsmittels . . . . . . . . . . .

814

530

c) Rechtsmittelverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

819

533

r) Die „Nachsorge“ fr den Mandanten nach der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beseitigung negativer Relikte (771), Strafaussetzung (772), Bundeszentralregister (773), Mitteilungspflichten (774), Fahrverbot (775), Entziehung der Fahrerlaubnis (776), Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft (777), Urteilsausfertigung (777), Medienerklrung (778), polizeiliche Dateien (778), erkennungsdienstliche Maßnahmen (778), Herausgabe beschlagnahmter Gegenstnde (778), Entschdigung (778)

Widerspruchserfordernis (789), Zeitpunkt (790), Beginn der Hauptverhandlung (791), nchste Instanz (792), Aussetzung (793)

dd) Verpaßte Gelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spezielle Verteidigungswaffen (794), Niederlegung der Verteidigung (795), Verlassen des Sitzungssaales (796), Ausbleiben (797)

ee) Arglistiges Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtslage (799), unterlassene Beanstandung (800), Gentlemen-Agreement (801), „moralisches Alibi“ (802)

Protokoll (803), strafbare Handlungen (805), Freibeweis (806)

bb) Opportunittsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Psychologisches (807), Absprache (808), prozessuale Luftgefechte (808), Richteroriginale (809)

XXV

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

820

533

e) Zurcknahme des Rechtsmittels . . . . . . . . . . . . .

831

536

f) Beiderseitige Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . .

837

539

g) Rechtsmittel des Staatsanwalts zugunsten des Angeklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

839

541

2. Der Verteidiger im Beschwerdeverfahren . . . . . . . . . .

840

541

a) Arten und Zulssigkeit der Beschwerde . . . . . . . . .

840

541

b) Zweckmßigkeit der Beschwerde . . . . . . . . . . . . .

846

544

c) Einlegung der Beschwerde, Abhilfeverfahren, rechtliches Gehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

850

545

d) Beschwerdeschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

855

547

3. Der Verteidiger im Berufungsverfahren . . . . . . . . . . .

856

548

a) Zulssigkeit, Aussichten und Zweckmßigkeit der Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

856

548

b) Beschrnkung der Berufung . . . . . . . . . . . . . . . .

862

551

c) Einlegung der Berufung, Berufungsfrist . . . . . . . . .

865

552

d) Annahmeberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

868

553

e) Schriftliche Berufungsrechtfertigung und Vorbereitung der Berufungsverhandlung . . . . . . . . . . . . . .

869

554

f) Der Verteidiger in der Berufungsverhandlung . . . . . .

872

555

d) Einlegung des Rechtsmittels . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsmittelfrist (821), Wiedereinsetzung (822), Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft (823), Einlegung (824 ff.), vorsorgliches Rechtsmittel (829)

Einfache Beschwerde (840), Ausschluß der Beschwerde (841), Beschwerdetatbestnde (841), sofortige Beschwerde (845)

Ausbleiben des Angeklagten (872), Ladung (873), Wiedereinsetzung (874), Berufung der Staatsanwaltschaft (875), Bericht und Urteilsverlesung (876), Besonderheiten der Hauptverhandlung (878), Schlußvortrag (879), Erwiderung (880)

4. Der Verteidiger im Revisionsverfahren . . . . . . . . . . .

881

560

a) Das Revisionsrecht – eine „Geheimwissenschaft“? . .

882

561

886

562

„Vernichtende Zensuren“ (884), praktische Erfahrungen (884)

b) Vorbereitung der Revision . . . . . . . . . . . . . . . . . Sitzungsprotokoll (886), Verbindung zu anderen Verteidigern (887), Abgabe an „Revisionsspezialisten“ (888), Pflichtverteidiger (889)

XXVI

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

c) Zulssigkeit, Aussichten und Zweckmßigkeit der Revision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

890

564

d) Einlegung der Revision . . . . . . . . . . . . . . . . . .

893

566

e) Begrndung der Revision (Allgemeines) . . . . . . . .

896

567

aa) Mindesterfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

897

568

bb) Revisionsantrge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

899

569

cc) Form und Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

901

570

908

574

913

577

917

578

Revisionsgrnde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

921

581

aa) Verfahrensvoraussetzungen und -hindernisse . . . . .

921

581

bb) Prozeßrgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

922

582

928

585

937

589

Urteilszustellung (901), keine Verlngerung (902), versptete Verfahrensrge (902), allgemeine Sachrge (903), Form (904), Verantwortung fr Revisionsbegrndung (905), Wiedereinsetzung zur Nachholung einzelner Revisionsrgen (907)

dd) Das „Aufspren“ der Revisionsgrnde . . . . . . . . . Sitzungsprotokoll (910), Hauptflle (911), Gerichtsbesetzung (912)

ee) Die unbeachtliche „Protokollrge“ und die Protokollberichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begriff (913), Freibeweis (915), Protokollberichtigung (916)

ff) Die „unwahre Verfahrensrge“ . . . . . . . . . . . . . Beweiskraft des Protokolls (917), Wahrheitsproblem (918), prozessualer Wahrheitsbegriff (918), Konfliktsituation (919), Revisionsverhandlung (920)

f)

Strenge Anforderungen (922), Tatsachenvortrag (923), Heilung von Verfahrensfehlern (924), Negativtatsachen (924), unzulssige Bezugnahme (927)

(1) Absolute Revisionsgrnde . . . . . . . . . . . . . . . . gesetzlicher Richter (929), „schlafender Schffe“ (929), Ablehnung (930), Abwesenheit von Prozeßbeteiligten (931), Verhandlungsunfhigkeit (932), ffentlichkeit (933), Fernseh- und Rundfunkaufnahmen (935), fehlende oder versptete Entscheidungsgrnde (936)

(2) Relative Revisionsgrnde . . . . . . . . . . . . . . . . . Das „Beruhen“ des Urteils (937), Protokollfehler (937), Beschrnkung der Verteidigung (938), falsche Belehrung (939), Vereidigungen (939), Aufklrungsrge (942), Ablehnung

XXVII

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

951

595

dd) Hufung und Konkurrenz von Revisionsrgen . . . .

971

603

g) Verfahren bis zur Hauptverhandlung . . . . . . . . . .

973

604

979

608

986

611

Die Revision der Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . .

988

612

V. Der Verteidiger im Wiederaufnahmeverfahren . . . . .

991

613

1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

991

613

997

617

3. Eigene „Ermittlungen“ des Verteidigers . . . . . . . . . . 1000

618

4. Der Verteidiger in den Abschnitten des Verfahrens . . . . 1001

620

a) Zulassungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1001

620

von Beweisantrgen (943), Beweiswrdigung (946), Vernderung des rechtlichen Gesichtspunktes (947), letztes Wort (948), Verletzung der Denkgesetze (949), ungengende Begrndung (950)

cc) Sachrge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begriff (952), Rechtsfehler des Urteils (954), lckenhafte Feststellungen (956), Widersprche (958), naheliegende andere Mglichkeiten (959), Denkgesetze (960), Beweiswrdigung (961), Erfahrungsstze (964), Naturgesetze (965), in dubio pro reo (966), Strafzumessung (968)

Gegenerklrung (973), „o. u.-Beschluß“ (§ 349 Abs. 2) (974), Vorbereitung der Hauptverhandlung (975), Teilnahme des Mandanten (976), ntzliche Gesprche (977)

h) Der Verteidiger in der Hauptverhandlung . . . . . . . Vortrag des Berichterstatters (979), Beschrnkung des Verhandlungsstoffs (980), Pldoyer (981), Rechtsgesprch (983), hufige Fehler (985)

i)

Praktische Erfahrungen und Ratschlge . . . . . . . . Nicht verffentlichte Entscheidungen (986), Dilemma des Revisionsrichters (987), ungerechte Urteile (987)

j)

Fehlurteile im Strafprozeß (991), Interesse der ffentlichkeit (991), unrichtige Beweiswrdigung (992), verfassungswidrige Normen (993), Spannungsfeld (994), Interesse der ffentlichkeit (995), Offizialverteidiger (996)

2. Beratung und Vorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Allgemeines (1001), Teilrechtskraft (1002), Strafzumessung (1003), rechtskrftige Beschlsse (1004), Wiederaufnahmeantrag der Staatsanwaltschaft (1005), Form und Inhalt (1006), Zustndigkeit (1007), Zulssigkeit (1009), neue Tatsachen und Beweismittel (1011), Sachverstndigenbeweis (1014), Gestndniswiderruf (1016), Absprache (1016)

XXVIII

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

b) Probationsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1017

627

In dubio pro reo (1017), Zeugenvernehmungen (1018), Anwesenheitsrecht des Verteidigers (1019), Anwesenheit des Mandanten (1020), Schlußanhrung (1021)

c) Erneuerung der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . 1022 5. Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1023 6. Entschdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1024

629 629 630

VI. Beteiligung des Verletzten . . . . . . . . . . . . . . . . . 1025

630

1. Privatklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1025 a) Prozeßverhtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1026 b) Gtliche Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1027

630 631 632

Materielles Beleidigungsrecht (1027), Wahrnehmung berechtigter Interessen (1028), Formalbeleidigung (1029), Beleidigung durch Medien (1030), Prozeßdauer (1031), Widerklage (1032), Strafbemessung (1033), Gebhrenvorschuß und Shneversuch (1035), Einstellung (1039), wechselseitige Beleidigungen (1040), Vergleiche (1041), Kosten (1042), Berufungs- und Revisionsinstanz (1043), Ehrenerklrung (1044), ffentlicher Widerruf (1045)

c) Streitiges Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1046

639

ffentliches Interesse (1046), Strafantrag (1048), Gebhrenvorschuß und Prozeßkostenhilfe (1049), Hauptverhandlung (1051), Umfang der Beweisaufnahme (1052), zivilrechtliche Mglichkeiten (1054), Beleidigung durch Medien (1055), politische Beleidigungsprozesse (1056)

2. Nebenklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1057 3. Vertretung des Verletzten nach Opferschutzgesetz . . . 1063

644 646

Rechtslage (1063), Akteneinsicht (1063), Beanstandungen (1063), Beweisantragsrecht (1063)

4. Adhsionsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1064

648

VII. Strafbefehlsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1065

649

Zulssigkeit (1065), Unterwerfungscharakter (1066), praktische berlegungen (1067), streitige Durchfhrung (1072), Rechtskraft und Wiederaufnahme (1073)

VIII. Allgemeine Rechtsbehelfe im Verfahren . . . . . . . . 1074

654

1. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand . . . . . . . . . . 1074

654

Allgemeines (1074), Fristversumnis (1075), Verschulden des Mandanten (1076), Verschulden des Verteidigers (1077), Glaubhaftmachung (1078), Frist (1079), Form (1080)

XXIX

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

1081

659

3. Dienstaufsichtsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1086

662

4. Gegenvorstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1094

665

2. Anrufung des Oberlandesgerichts nach §§ 23 ff. EGGVG

D. Vierter Hauptteil Der Verteidiger im Verfahren der Strafaussetzung zur Bewhrung, der Strafvollstreckung, der Straftilgung und im Gnadenverfahren I. Verteidiger und Resozialisierung . . . . . . . . . . . . . . 1095

667

II. Strafaussetzung zur Bewhrung und Aussetzung des Strafrestes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1096

668

1. Allgemeines; Voraussetzungen der Strafaussetzung . . . 1096

668

2. Bewhrungszeit und Bewhrungsauflagen . . . . . . . . . 1099

670

3. Widerruf der Strafaussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1103

672

4. Aussetzung des Strafrestes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1104

673

III. Strafvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1105

675

1. Allgemeine Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1105

675

2. Vollzug von Freiheitsstrafen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1109

677

a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1109

677

b) Einzelne Antrge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1111

679

3. Vollstreckung von Vermgensstrafen . . . . . . . . . . . . 1117

681

4. Vollstreckung von Maßregeln der Besserung und Sicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1119

682

IV. Straftilgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1121

683

Bundeszentralregister (1121), Gewerbezentralregister (1121), Inhalt des Registers (1122), Auskunft aus dem Register (1123), Tilgungsfristen (1125), Verwertungsverbot (1126), eingeschrnkte Offenbarungspflicht (1126), Verkehrszentralregister (1128)

V. Gnadenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1129 Allgemeines (1129), mgliche Zielsetzung (1130), Gnadenpraxis (1131), persnliche Frsprache (1132), Begrndung des Gnadengesuchs (1133), Korrektur von Fehlurteilen (1134), unge-

XXX

688

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

I. Der Verteidiger als Unternehmensberater und Firmenvertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1140

693

1. Unternehmensberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1141

693

rechtes Gesetz (1134), Tatfolgen (1135), Wiedergutmachung (1136), Strafvollstreckung (1137), Anfechtbarkeit (1138), Zentralregister (1139)

E. Fnfter Hauptteil Der Verteidiger in besonderen Funktionen

Beratungsspektrum (1141), Strafrechtliche Risiken (1143), Einzelflle (1144)

2. Vertretung in Strafsachen oder Bußgeldverfahren . . . . . 1145

696

Verbandsgeldbuße (1145), Quasi-Verteidiger (1146)

3. Das Unternehmen als Geschdigter . . . . . . . . . . . . . 1147 Strafanzeigen (1147), schsse (1149)

parlamentarische

697

Untersuchungsaus-

II. Der Verteidiger als Zeugenberater und anwaltlicher Zeugenbeistand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1150

698

Arbeitsgebiet (1150), Interessenkollision (1151), Zeugenberatung (1152), Akteneinsicht (1153), Aussageverweigerung (1153), Terminprobleme (1154), Vernehmung (1155), Protokoll (1156)

III. Der Verteidiger in Verfahren vor parlamentarischen Untersuchungsausschssen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1158

703

Gesetzeslage (1158), Aufgaben (1159), Schlußbericht (1160), Vorbereitung (1161), Unternehmen (1162), Konfliktflle (1163)

IV. Der Verteidiger in eigener Sache . . . . . . . . . . . . . . 1165

707

Honeste vivere (1165), eigene Straftaten (1166), steuerliche Verfehlungen (1167), Schweigerecht und Wahrheitspflicht (1168), Verteidigung (1169)

XXXI

Inhaltsverzeichnis

F. Sechster Hauptteil Die Honorierung des Strafverteidigers Rn.

Seite

I. Ein heikles Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1170

709

1. Das Honorar als Strukturelement des freien Berufs . . . . 1170

709

Unabhngigkeit (1170), Geschftsbesorgungsvertrag (1171), ffentliche Meinung (1172)

2. Der Honorarverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1173

711

Rechtsanwaltvergtungsgesetz (1173), Rechtsschutzversicherung (1174), Verbotene Werbung (1175), Verteidigung von Kollegen (1177), Gebhrenteilung (1179)

II. Vereinbarungshonorare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1180

713

1. Die gesetzliche Zulssigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 1180

713

a) Wahlverteidiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1180

713

Grundlagen (1180), Rechtsschutzversicherungen (1181)

b) Pflichtverteidiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1182

714

Anrechnung (1182), leistungsfhige Mandanten (1183)

2. Berufsrechtliche Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1184

715

a) Das Gebot der Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . 1184

715

Herabsetzung (1184), unsittliche Vereinbarungen (1185), Pauschalhonorare (1186), juristische Mitarbeiter (1188), Zeitliste (1189), Auslagen (1190), mehrere Verteidiger (1191 f.), „Mischkalkulation“ (1193)

b) ußere Form und Umstnde der Honorarvereinbarung

1194

720

c) Die Versuchung des Erfolgshonorars . . . . . . . . . . . 1201

723

Honorarschein (1194), Schriftform (1195), Distanz (1196), Aufklrung (1197), „Vorschuß“ (1198), Einzelflle (1199), UHaft (1200) Rechtslage (1201), praktikable Mglichkeiten (1202 f.)

III. Kostenzahlung und Kostensicherung . . . . . . . . . . . 1204

725

1. Aufgaben des Broleiters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1204

725

Geldverkehr (1204), Geschmacksfragen (1204), Geldempfangsvollmacht (1205), Kostensicherung (1205)

2. Zahlung durch Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1206

726

3. Honorare aus dem „Milieu“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1207

727

XXXII

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

IV. Probleme der Niederlegung der Verteidigung aus Kostengrnden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1208

728

Niederlegung zur Unzeit (1208), Bestellung zum Pflichtverteidiger (1209), Verrechnungen (1210), Erstattung (1211)

V. Verteidigerhonorar und Geldwsche . . . . . . . . . . . 1212

730

Rechtslage (1212), Honorarvereinbarung (1215), Anzeigepflicht (1216)

VI. Steuersnden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1217

734

des Mandanten (1218), des Verteidigers (1219), „OR-Sachen“ (1219), Auslandsklienten (1219)

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

737

XXXIII

Literaturverzeichnis (Auswahl – vgl. i. . die ausfhrlichen Nachweise in den Kopfzitaten)

Alsberg, Die Philosophie der Verteidigung, 1930 Alsberg/Nse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß, 5. Auflage, 1983 Amelunxen, Die Revision der Staatsanwaltschaft, 1980 Armbruster, Die Entwicklung der Verteidigung in Strafsachen, 1980 Arntzen, Psychologie der Glaubwrdigkeitsmerkmale, 3. Auflage, 1993 Arntzen, Vernehmungspsychologie der Zeugenvernehmung, 2. Auflage, 1989 Bssler, Humanbiologische Spuren, 1995 Barton, Mindeststandards der Strafverteidigung, 1995 Beck'sches Formularbuch fr den Strafverteidiger/Bearbeiter, 4. Auflage, 2002 Bender/Nack, Tatsachenfeststellungen vor Gericht, Band II, Vernehmungslehre, 2. Auflage, 1995 Bemmann/Grnwald u. a., Die Verteidigung – Gesetzentwurf mit Begrndung, 1979 Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren, 1980 Beulke, Die Strafbarkeit des Verteidigers, 1989 Beulke, Strafprozeßrecht, 7. Auflage, 2004 Blaese/Wielop, Die Frmlichkeiten der Revision in Strafsachen, 3. Auflage, 1991 Bockemhl (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Strafrecht/Bearbeiter, 2. Auflage, 2002 Boerner, Das psychologische Gutachten; ein praktischer Leitfaden, 7. Auflage, 2004 Bundesrechtsanwaltskammer (Strafrechtsausschuß), Denkschrift zur Reform des Rechtsmittelrechts und der Wiederaufnahme, 1971 Bundesrechtsanwaltskammer (Strafrechtsausschuß), Schriftenreihe, Band 8, Thesen zur Strafverteidigung, 1992; Band 13, Reform der Verteidigung im Ermittlungsverfahren, 2004 Burghard/Hamacher/Herold, Kriminalistiklexikon, 3. Auflage, 1996 Burhoff, Handbuch fr das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 3. Auflage, 2003 Burhoff, Handbuch fr die strafrechtliche Hauptverhandlung, 4. Auflage, 2004 Burr, Das DNA-Profil im Strafverfahren, 1995 Callies/Mller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, 7. Auflage, 1998 XXXV

Literaturverzeichnis

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XXXVIII

Einfhrung Zur Benutzung des Handbuchs

Aus der im Vorwort skizzierten Zeilsetzung wird deutlich, auf welchen Stoff das Handbuch des Verteidigers sich erstrecken muß. Aus dem Bereich des Strafprozeßrechts sind es in erster Linie die Bestimmungen, die sich unmittelbar auf die Verteidigung beziehen oder fr sie besondere praktische Bedeutung haben. Dazu gehren auch die „Richtlinien fr das Straf- und Bußgeldverfahren“, die zwar keine Gesetzeskraft haben, aber die Praxis der Strafverteidigung mitbestimmen. Aus dem Berufsrecht des Anwalts sind neben der Bundesrechtsanwaltordnung die am 11. 3. 1997 in Kraft getretene Berufsordnung (BORA) und die Fachanwaltsordnung, daneben auch die Standesregeln der Rechtsanwlte der Europischen Gemeinschaft vom 28. 10. 1988 Erkenntnisquellen fr die Berufsausbung. Auch die „Thesen zur Strafverteidigung“ des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer (Schriftenreihe der BRAK, Band 8 – 1992 sowie Band 13 – Reform der Verteidigung im Ermittlungsverfahren – 2004) finden im Handbuch Bercksichtigung. ber den engeren Bereich dieser Materie hinaus beanspruchen die Gebiete der Psychologie, der Ethik und Rhetorik u. a. ihre Beachtung. In welcher Form nun diese Stoffgebiete zu behandeln sind, ist eine Frage der Zielsetzung des Handbuchs. Es handelt sich nicht um eine Bearbeitung nach Art von Kommentaren, Lehrbchern oder Monographien, deren es fr jede einzelne Materie genug geben mag. Erstrebt ist vielmehr eine Zusammenfassung aller Stoffteile unter dem speziellen Aspekt der Verteidigung. Dabei geht es insbesondere um die praktischen Fragen von Opportunitt, Strategie und Taktik der Verteidigung. Das Handbuch will außerdem langjhrige praktische Erfahrungen auf allen Gebieten der Strafverteidigung nutzbar machen. Sie haben die Gewißheit vermittelt, daß die großen Mglichkeiten fr eine wirksame Verteidigung von den Verteidigern vielfach nicht gesehen bzw. nicht genutzt werden. Die Vielfalt der Erscheinungen und ihr pltzliches Auftreten verursachen erfahrungsgemß hufig Unsicherheit und Ratlosigkeit. Insbesondere in der Hauptverhandlung gehen die rechten Augenblicke oft ungentzt vorbei. Ungebtheit und Mangel an Schlagfertigkeit sind die Ursachen. Anderseits werden in der Praxis oft die Grenzen der Verteidigung nicht respektiert, die durch die Nachbarschaft zum Parteiverrat, zur Strafvereitelung, zur Schweigepflicht u. a. sowie zum Berufsrecht und zu den Geboten der Fairneß, des Taktes und des guten Geschmacks gezogen sind. 1

Einfhrung

Das verarbeitete Material ist unter den fr die Verteidigung in der Praxis wesentlichen Gesichtspunkten ausgewhlt und ausgewertet. Fr die Auswahl des Schrifttums waren auch Aktualitt und praktische Erreichbarkeit maßgebend. Einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Literatur werden durch den praktischen Zweck des Buches natrliche Grenzen gesetzt. Bedeutsamer sind fr die Praxis der Verteidiger die hchstrichterlichen Entscheidungen, besonders des Bundesgerichtshofs und die Ansicht der in der Strafrechtspflege gngigen Kommentare. In gleicher Weise gehren dazu Einzelabhandlungen, die sich konkret auf Fragen der Verteidigung beziehen oder doch fr die Tagespraxis der Verteidigung spezielle Bedeutung haben. Besondere Aufmerksamkeit ist der bersichtlichkeit der Bearbeitung gewidmet worden. Der Benutzer soll sicher sein knnen, zu der sein Interesse beanspruchenden Stelle des Buches hingefhrt zu werden. Die vorangestellte Inhaltsbersicht kennzeichnet den Aufbau des Werkes. Der Strafverteidiger wird nach einer einleitenden Betrachtung seiner allgemeinen Stellung und Berufsaufgaben und als Organ der Rechtspflege in seinem Verhltnis zum Mandanten und in seinen Beziehungen zu den brigen Prozeßbeteiligten (Richter, Staatsanwlte, Zeugen, Sachverstndige) wie auch zu Dritten einschließlich der ffentlichkeit (Presse, Rundfunk und Fernsehen) dargestellt. Dabei ist besonderer Wert auf die Veranschaulichung der zahlreichen Konfliktsituationen des Anwalts besonders in den Wechselbeziehungen seiner Berufspflichten gelegt. Es folgt eine Errterung der Funktionen des Verteidigers in den einzelnen Stadien des Strafverfahrens von der Einleitung des Ermittlungsverfahrens an bis zur rechtskrftigen Erledigung einschließlich der Wiederaufnahme des Verfahrens, der Beteiligung des Verletzten, besonderer Verfahrensarten sowie der Strafvollstreckung. Auf die Kapitel „Steuerstrafverfahren“, „Ordnungswidrigkeiten“ und „Auslieferungsverfahren“ wurde im Hinblick auf spezielle einschlgige Werke, z. B. Kohlmann, Steuerstrafrecht, Kommentar zu den §§ 369–412 AO 1977 u. a., verzichtet. Außerhalb der Verteidigung im Strafprozeß, aber innerhalb des Aufgabenspektrums in der Praxis liegen die dann folgenden fr die Praxis wichtigen Kapitel ber Beratung und Vertretung juristischer Personen, den anwaltlichen Zeugenbeistand, das Verfahren vor parlamentarischen Untersuchungsausschssen sowie die Verteidigung in eigener Sache. Daran schließt sich als letzter Teil eine Darstellung an ber die Honorierung des Verteidigers, wo die Honorarvereinbarung in ihren zahlreichen Aspekten – auch der Geldwsche – sowie die praktischen Bruche und Mißbruche geboten werden. Die zweckmßige Handhabung des Buches ist durch ein besonderes Benutzungssystem sichergestellt. Die meisten Abschnitte der Inhaltsbersicht sind mit Untertiteln versehen, die den Inhalt im einzelnen kenn2

Einfhrung

zeichnen. Außerdem findet sich am Schluß des Buches ein differenziertes Stichwortverzeichnis, das den Verteidiger zu keiner ihn berhrenden Frage im Stich lassen soll. Der Text ist darber hinaus mit fortlaufenden Randziffern versehen, die sich jeweils auf ein zugeordnetes Stichwort beziehen. Auf diese Randziffern wird im sonstigen Text da verwiesen, wo eine einzelne Frage der Verteidigung in verschiedenen Kapiteln behandelt wird, was bei der Vielfalt der Blickpunkte fast die Regel ist. Hat der Leser sich durch Inhaltsbersicht oder Stichwortverzeichnis zu einer einschlgigen Stelle hingefunden, wird er durch das System der Randziffern mit Sicherheit wie ber Brcken weitergeleitet. So kann ihm keine der in Betracht kommenden Stellen entgehen. Eine Auswahl jeweils einschlgigen Schrifttums findet sich in den Kopfzitaten an der Spitze der einzelnen Abschnitte, die den Benutzer weiterfhren soll, wenn der Buchtext im Einzelfall nicht ausreicht. Dieser soll so in den wissenschaftlichen Untergrund gewissermaßen eingebettet werden. Wichtige Entscheidungen sind in Fußnoten jeweils zugeordnet, so daß der Verteidiger im Bedarfsfall alles zur Hand hat. Dazu sollte er vorsorglich auch stets einen der gngigen Kommentare zur Verfgung halten, wie ihn auch Richter und Staatsanwlte regelmßig benutzen. Im Handbuch wird an vielen Stellen, insbesondere auch bei komplexen und streitigen Fragen, auf die Kommentierung der StPO bei Meyer-Goßner (48. Aufl., 2005) verwiesen, die dem Benutzer weiterhelfen wird. Auch sollte der Verteidiger sich in berufsrechtlichen Fragen nie ohne den Kommentar zur BRAO von Feuerich/Weyland, BRAO (6. Aufl., 2003) entscheiden und eine Revisionssache nicht ohne den Sarstedt/Hamm (6. Aufl., 1998) bearbeiten; auch Heft 16 der Schriftenreihe NJW – „Die Revision im Strafprozeß“, 6. Aufl., 2001 – gilt als brauchbares Hilfsmittel. Das Handbuch kann solche Standardwerke, wozu auch der „Alsberg/Nse/ Meyer“ („Der Beweisantrag im Strafprozeß“) und Bender/Nack (Vernehmungslehre, 2. Aufl., 1995) zhlen, nicht ersetzen, will aber zu ihrer Beachtung beitragen. Die von Beulke und Schreiber herausgegebene Reihe „Praxis der Strafverteidigung“ und das „Beck'sche Formularbuch fr den Strafverteidiger“, herausgegeben von Hamm und Lohberger – 4. Aufl., 2002, stellen eine sinnfllige Ergnzung des Handbuchs dar und sollten in der Tagespraxis dementsprechende Beachtung finden. Dies gilt auch fr die Werke Bokkemhl (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Strafrecht/Bearbeiter, 2. Aufl., 2001; Burhoff, Handbuch fr das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 3. Aufl., 2003; Burhoff, Handbuch fr die strafrechtliche Hauptverhandlung, 4. Aufl., 2004; Brssow/Gatzweiler/Krekeler/Mehle, Strafverteidigung in der Praxis, 3. Aufl., 2004 sowie Cramer/Cramer, Anwalts-Handbuch Strafrecht, 2002. 3

Einfhrung

Es entspricht der Bedeutung der Verteidigung, daß grundstzlich nur der Rechtsanwalt als der Justiz zugehriger und durch Berufsregeln gebundene Volljurist zum Verteidiger bestellt werden kann. Die fr Nichtanwlte als Verteidiger maßgebenden Bestimmungen (§ 138) sind im Handbuch nicht behandelt. Die fr sie bestehenden Besonderheiten ergeben sich aus der Natur der Sache, insbesondere auch aus dem Fehlen der fr den Rechtsanwalt maßgebenden berufsrechtlichen Bindungen.

4

A. Erster Hauptteil Die allgemeine Stellung des Verteidigers im Strafverfahren

Alsberg, Die Philosophie der Verteidigung, 1930; Armbruster, Die Entwicklung der Verteidigung in Strafsachen, Berlin 1980, Barton, Mindeststandards der Strafverteidigung, 1995; Bemmann, Grnwald u. a., Die Verteidigung – Gesetzentwurf mit Begrndung, 1979 mit Bespr. v. Hanack, ZStW 93 (1981), 559, Bernsmann, Zur Stellung des Strafverteidigers im deutschen Strafverfahren, StraFo 1999, 226; Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren. Funktionen und Rechtsstellung, 1980; Beulke, Strafverteidigung im Spannungsfeld zwischen Rechtsstaatlichkeit und Verfahrenseffizienz in Deutschland, in „Alte Strafrechtsstrukturen und neue gesellschaftliche Herausforderungen in Japan und Deutschland“ (Hrsg. Khne und Migazawa) 2000, S. 137 ff.; Beulke, Wohin treibt die Reform der Strafverteidigung? in „Strafprozeß und Reform“ (Hrsg. Schreiber) 1979, S. 30 ff.; Bundesminister der Justiz, Die Rechtsstellung des Verteidigers im Strafverfahren – Ein europischer Vergleich – Bonn, o. J.; BRAK-Schriftenreihe (Strafrechtsausschuß), Thesen zur Strafverteidigung, 1992; Busse, Anwaltsethik unter der Geltung des neuen Berufsrechts, AnwBl. 1998, 231; Dahs sen., Stellung und Grundaufgaben des Strafverteidigers, NJW 1959, 1158 = AnwBl. 1959, 171; Dahs, Strafverteidigung und Strafrechtspflege, FS Odersky (1996), S. 317; Dahs, Ethische Aspekte im Strafverfahren? – Ein Denkanstoß, JR 2004, 96; Dhring, Die Eigenart der Anwaltsttigkeit, in Geschichte der deutschen Rechtspflege seit 1500, 1953, S. 135 ff.; Dpfer, Grenzen und Mglichkeiten der Strafverteidigerin im Strafprozeß, AnwBl. 2002, 92; Ehlers, ber den Sinn des Anwaltsberufes, 1953; Feuerich/Weyland, BRAO, Kommentar, 6. Aufl. 2003; Gssel, Die Stellung des Verteidigers im rechtsstaatlichen Strafverfahren, ZStW 1982 (32), 5; Hamm, Entwicklungstendenzen der Strafverteidigung, FS Sarstedt (1981), S. 49; Hassemer, Reform der Strafverteidigung, ZRP 1980, 326; Hassemer, Strafverteidigung und Grundrechte, StraFo 2004, 113: Holtfort (Hrsg.), Strafverteidiger als Interessenvertreter – Berufsbild und Ttigkeitsfeld – 1979; Ignor, Zur Rechtsstellung und zu den Aufgaben des Strafverteidigers, FS Schlchter (1998), S. 39 ff.; Kalsbach, Das Recht auf Beistand eines Rechtsanwalts whrend des Verfahrens in der Bundesrepublik Deutschland, in Deutsche strafrechtliche Landesreferate zum 8. Internationalen Kongreß fr Rechtsvergleichung, 1971, S. 112 ff.; Knapp, Der Verteidiger – ein Organ der Rechtspflege?, 1974; Krmer, Die verfassungsrechtliche Stellung des Rechtsanwalts, AnwBl. 1995, 422; Krger, Der Verteidiger im Strafverfahren, Krim. 1974, 10; Lderssen, Aus der grauen Zone zwischen staatlichen und individuellen Interessen. – Zur Funktion der Strafverteidigung in einer freien Gesellschaft, FS Sarstedt (1981), S. 145; Madlehner, Die Institution des Verteidigers in rechtsvergleichender Sicht, ZStW 1981, 275; Maier, Kunst des Rechtsanwalts, 3. Aufl. 1982; Mangakis, Das ethische Problem der Strafverteidigung, GA 1966, 321; Mller, Egon, Strafverteidigung, NJW 1981, 1801; Mller-Meiningen jun., Der Verteidiger im heutigen Strafrecht, in Freudenfeld, Schuld und Shne, 1960; Mtzelburg, ber Verteidigung im Verstndnis der Verteidiger, FS Dnnebier (1982), S. 277; Ostler, Der Rechtsanwalt als Strafverteidiger, JR 1959, 121; Reuß, Das Bild des Anwalts, JR 1967, 121; Schorn, Der Strafverteidiger, Ein Handbuch fr die Praxis, 1966; Seibert, Die Kunst der Verteidi-

5

Rn. 1

Die allgemeine Stellung des Verteidigers

gung, JR 1951, 337; v. Stackelberg, Der Anwalt im Strafprozeß, DRiZ 1959, 311 = AnwBl. 1959, 190; Stern, Anwaltschaft und Verfassungsstaat, BRAK-Schriftenreihe, Bd. 1, 1980; Ullers, Der Strafverteidiger, 1962; Vogtherr, Rechtswirklichkeit und Effizienz der Strafverteidigung, 1991; Welp, Der Verteidiger als Anwalt des Vertrauens, ZStW 90 (1978), 101; Wolf, Das System des Rechts der Strafverteidigung, 2000. (Zur lteren Literatur vgl. die Vorauflagen.)

I. Der Berufsauftrag des Verteidigers 1. Der Zugriff des Staates 1

Verteidigung ist Kampf. Kampf um die Rechte des Beschuldigten im Widerstreit mit den Organen des Staates, die dem Auftrag zur Verfolgung von Straftaten zu gengen haben. Im Strafverfahren bringt der Staat gegen persnliche Freiheit und Vermgen des einzelnen seine Machtmittel mit einer Wucht zum Einsatz wie in keinem anderen Bereich des gesellschaftlichen Lebens. Dabei ist die Strafverfolgungsbehrde an ihre Verfolgungspflicht (§§ 152 Abs. 2, 160) und das Gericht an seine Aufklrungspflicht (§ 244 Abs. 2) gebunden. Daraus erwchst die Spannung zu den Individualrechten und -interessen des Staatsbrgers, zwischen deren Polen der Verteidiger zu seinen Aufgaben berufen ist. Sie beziehen ihre Dynamik insbesondere aus der Ungewißheit der viele Strafverfahren beherrschenden Kernfrage, ob es sich gegen einen Unschuldigen oder gegen einen Schuldigen richtet. In dem einen Fall erscheint der Verteidiger als „Beschtzer verfolgter Unschuld“, im anderen Falle als ein „Gehilfe des Bsen“. Bis zur rechtskrftigen Entscheidung bleibt aber kraft der Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 MRK gerade diese Frage offen. Daraus ergeben sich einerseits die Grenzen der Verteidigung, anderseits der eindeutige Auftrag, dem staatlichen Zugriff auf den zunchst nur Verdchtigen rckhaltlos mit allen gesetzlichen Mitteln zu begegnen. Dabei muß dem Verteidiger stndig vor Augen stehen, daß in weniger als einem Drittel der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren Anklage erhoben, Strafbefehle beantragt oder eine Einstellung unter Auflage erfolgt, whrend mehr als zwei Drittel der Verfahren sich anderweitig erledigen1. Dazu kommt die vielfach grßere Zahl von Strafantrgen der Staatsanwaltschaft, die in ihrer Hhe von den Gerichten als ungerechtfertigt abgelehnt werden. Al1 Jehle, Strafrechtspflege in Deutschland 2003 (Hrsg. BMJ), S. 19 (fr 2001). Allerdings enthlt dieser Zwei-Drittel-Wert neben der Einstellung ohne Auflagen und der nach § 170 II noch „sonstige Erledigungen“, die auch die Abgabe an andere Staatsanwaltschaften erfassen und 21,2% der Gesamtverfahren ausmachen (Verfahrensstatistik).

6

Der Berufsauftrag des Verteidigers

Rn. 2

lerdings werden auch nur ca. 3% der Angeklagten von den Gerichten freigesprochen. Schon diese großen Spannen machen den weiten Bereich der Verteidigeraufgaben deutlich. Der Polaritt des Strafverfahrens tragen Rechtsordnung und Rechtspraxis durch entsprechende Verfahrenssicherungen Rechnung. Die Erfahrungen mit behrdlicher Willkr und mit den Gefahren eines ungebundenen formlosen Ermessens in der Geschichte der Justiz zwingen dazu, nur bestimmte Mittel und Wege zur Gewinnung eines richterlichen Urteils zuzulassen. Nur dann, wenn das Gericht sich auf verfahrensrechtlich erlaubtem, auf justizfrmigem Wege von der Tterschaft und Schuld des Angeklagten zu berzeugen vermag, ist eine Verurteilung zulssig2. Ein gelutertes Rechtsbewußtsein will die Bestrafung des Tters nicht um jeden Preis. Die Wrde des Menschen, die zu achten den Strafverfolgungsorganen verfassungsrechtlich geboten ist (Art. 1 Abs. 1 GG), lßt es nicht zu, ihn zum Objekt der staatlichen Untersuchungshandlungen zu erniedrigen. Er ist vielmehr vollberechtigtes Prozeßsubjekt des Verfahrens3. Der Strafprozeß ist hiernach ein stndiges Bemhen um den gerechten Ausgleich zwischen der Aufgabe des Staates zur wirksamen Verbrechensbekmpfung und dem legitimen Schutzanspruch des Individuums gegenber der staatlichen Machtentfaltung. Die besonderen Aufgaben des Verteidigers als Rechtsbeistand von Zeugen und Geschdigten im Strafprozeß sowie in Verfahren vor Parlamentarischen Untersuchungsausschssen werden an anderer Stelle behandelt (Rn. 1158 ff.). 2. Die Schutzaufgabe des Verteidigers Dahs sen., Der Anwalt im Strafprozeß, AnwBl. 1959, 171 = NJW 1959, 1158; Dahs, Ausschließung und berwachung des Strafverteidigers, NJW 1975, 1385, 1386 f.; Hammerstein, Verteidigung und Moralitt, NStZ 1990, 261; Krekeler, Ehrverletzungen durch den Verteidiger und § 193 StGB, AnwBl. 1976, 190; Lderssen, Bedeutung und Wirkung von „Vertrauen“ in der Beziehung zwischen Mandant und Verteidiger, BRAK-Schriftenreihe Bd. 12 (Symp. f. Egon Mller), 2000, S. 41; Praml, Beleidigungsdelikte bei anwaltlicher Interessenvertretung, NJW 1976, 1967; Rieß, Prolegomena zu einer Gesamtreform des Strafverfahrensrechts, FS K. Schfer (1979), S. 155, 200 ff.; v. Stackelberg, Der Anwalt im Strafprozeß, AnwBl. 1959, 190 = DRiZ 1959, 311; Wagner, Verteidiger im Zwielicht?, AnwBl. 1975, 1; Welp, Der Verteidiger als Anwalt des Vertrauens, ZStW 90 (1978), 101; vgl. auch das vor Rn. 1 angefhrte Schrifttum.

2 BGH, NJW 1954, 649. 3 BVerfGE 9, 89, 95 u. st. Rspr.

7

2

Rn. 3 3

Die allgemeine Stellung des Verteidigers

In diesem Spannungsverhltnis liegt die Funktion der Verteidigung beschlossen. Der Verteidiger ist der Berater und Beistand des Beschuldigten. In dieser Funktion hat er die Aufgabe, eine sachgerechte Verteidigung des Mandanten zu gewhrleisten, indem er zum einen alle den Beschuldigten entlastenden Umstnde zur Geltung bringt und zum anderen im Rahmen seiner Aufgabe, den Klienten zu schtzen, ber die Gesetzlichkeit des Verfahrens wacht4. Der Beschuldigte selbst kann keiner dieser Funktionen gengen. In aller Regel ist er zu einer sachgerechten Selbstverteidigung schon deshalb nicht imstande, weil er in eigener Sache nicht den ntigen Abstand gewinnt. Auch werden ihm die erforderlichen Rechtskenntnisse, Gewandtheit und Erfahrungen in forensischer Beziehung meistens fehlen. Ein Recht auf Akteneinsicht steht ihm nicht zu. In seiner durch die Anschuldigung entstandenen Bedrngnis lßt er sich leicht zu Fehlreaktionen hinreißen, die den Verdacht noch vergrßern. Mglicherweise bersieht er wichtiges Entlastungsmaterial in fehlerhafter Einschtzung seiner Bedeutung, oder er wagt in verstndlichem Mißtrauen vor den Verfolgungsorganen nicht, sich rckhaltlos zu offenbaren. Der verhaftete Beschuldigte sieht sich vollends außerstande, Entlastungsbeweise beizubringen.

4

Nun verpflichtet zwar die Strafprozeßordnung die Staatsanwaltschaft, auch die entlastenden Umstnde zu ermitteln (§ 160 Abs. 2), und das Gericht hat von Amts wegen alles zu tun, was zur Erforschung der materiellen Wahrheit dienlich ist (§ 244 Abs. 2). Aber auch der beste Wille, diese Pflichten zu erfllen, reicht zum Schutz des Beschuldigten nicht aus. Besonders dem Staatsanwalt und seinen Ermittlungsbehrden (Polizei u. a.)5 als staatlichen Verfolgungsorganen wird ein psychologisch schwer zu vollziehendes Verhalten abverlangt. Es liegt auf der Hand, daß eine auf Strafverfolgung abzielende Berufsttigkeit die Unbefangenheit des Urteils beeinflußt. Je strker der Verdacht ist, um so mehr ist das Vermgen des Strafverfolgers beeintrchtigt, die entlastenden Umstnde mit derselben Unvoreingenommenheit und Sachlichkeit zu ermitteln und zu bercksichtigen wie die belastenden. Wo er Verdacht hat, wird es ihm schwer, Unschuld zu vermuten. Die der Justizfrmigkeit dienenden schtzenden Formen des Prozeßrechts mag er nicht selten als lstige Fesseln und somit als Hindernis bei der Ermittlung der materiellen Wahrheit empfinden. Gelegentlich wird die Objektivitt von Staatsanwlten stark in Zweifel gezogen; insbesondere in Verfahren gegen „Prominente“ erscheint der 4 St. Rspr., vgl. nur BRAK-Schriftenreihe, Bd. 8, Thesen zur Strafverteidigung, These 2. 5 Durch das am 1. 9. 2004 in Kraft getretene Justizmodernisierungsgesetz wurden die „Hilfsbeamten“ zu „Ermittlungspersonen“ der Staatsanwaltschaft.

8

Der Berufsauftrag des Verteidigers

Rn. 6

Verfolgungsdrang zuweilen besonders ausgeprgt, zumal wenn die Staatsanwaltschaft sich „herausgefordert“ fhlt. Fr ihre Ermittlungsbehrden (Polizei, Steuer- und Zollfahndung u. a.) gilt dies zudem in deutlich hherem Maße. Es gibt aber auch noch einen anderen Grund, weshalb die Staatsanwaltschaft außerstande ist, dem Entlastungsanspruch des Beschuldigten zu entsprechen. Der Beschuldigte sieht im Staatsanwalt nicht die Person seines Vertrauens, sondern seinen Verfolger. Oft genug ußert der Mandant des Verteidigers sogar die Befrchtung, der Staatsanwalt sei aus Grnden seines persnlichen Prestiges darauf aus, „ihn zur Strecke zu bringen“ und jede Verurteilung des Angeklagten begnstige als Berufserfolg des Staatsanwalts seine Befrderung. Die zwangslufige Folge solcher Vorstellungen ist das Mißtrauen des Verfolgten, sogar seine Angst, sich diesem Widersacher aufzuschließen. Er zieht sich vor ihm um so mehr zurck, als das dem Staatsanwalt Anvertraute nicht unter dem Schutz einer beruflichen Schweigepflicht, sondern unter dem Zwang der Verfolgungspflicht stehen wrde. Diese Umstnde und Prozeßerfahrungen aus Jahrhunderten haben dazu gefhrt, der Staatsanwaltschaft einen Verteidiger gegenberzustellen, der ausschließlich dem Beschuldigten zu dienen hat. Seine strenge Einseitigkeit ist ein hervorragendes Mittel zur Wahrheitserforschung. Sie verbrgt die vollstndige Erfassung aller fr das Urteil wesentlichen Entlastungstatsachen. Sie ist das kalkulierte Gegengewicht gegen das auf die Verfolgung ausgerichtete Wirken der Anklagebehrde. Durch die Verteilung der Prozeßfunktionen der Anklage, der Verteidigung und auch des Urteilens auf verschiedene Personen wird der Prozeß der Wahrheitsfindung dialektisch ausgestaltet und sichert so am besten das Ziel der gerechten Entscheidung6. Die Lsung dieser Aufgaben vollzieht sich in dem Bereich der Normen der Strafprozeßordnung, die sich damit als die „Magna Charta“ des Beschuldigten bewhrt.

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Bei der Wahrheitserforschung hat nun der Verteidiger eine ganz spezielle Aufgabe. Sie wurzelt in dem Wissen, daß es dem Menschen nicht mglich ist, die objektive Wahrheit eines Falles mit den Mitteln seines Erkennens absolut sicher zu ermitteln. Ein Richter kann nur versuchen, der absoluten Wahrheit so nahe wie mglich zu kommen. Sein Urteil ist ein Wurf nach der Gerechtigkeit. Der Richter muß sich mit einer „relativen“ Wahrheit begngen. Er findet sie im Wege einer Rekonstruktion zeitlich

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6 Eine gewisse Auflsung der dialektischen Struktur ergibt sich allerdings bei Verfahrensabsprachen (Rn. 177 ff., 496 ff. et passim), die auch die Wahrheitsfindung berhren knnen.

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Die allgemeine Stellung des Verteidigers

zurckliegender Vorgnge durch die Benutzung bestimmter Beweismittel. Je nach der Zuverlssigkeit der Beweismittel kommt der Richter der wahrheitsgemßen Feststellung eines frheren Geschehens nahe oder bleibt ihr fern. Es kann auch sein, daß er genau die objektive Wahrheit feststellt. Das ist aber dann nicht die Folge zwingender Natur- oder Denkgesetze, sondern das Ergebnis einer glcklicherweise gewonnenen – objektiv aber nie feststellbaren – bereinstimmung mit dem tatschlichen Geschehen. Die Erforschung der materiellen Wahrheit erweist sich somit letztlich als eine Illusion. In Wahrheit tritt an ihre Stelle die „richterliche berzeugung“. Sie findet der Richter aufgrund seiner freien Beweiswrdigung. Dies ist das Fundament seines Urteils. 7

Mit dieser Klarstellung tritt die Gefahr eines Fehlurteils offen zutage. Denn fr die freie Beweiswrdigung gibt es keine objektiv gltigen und immer berprfbaren Maßstbe. Die Rechtsprechung lßt daher auch fr die Bildung der richterlichen berzeugung eine „nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, dem gegenber vernnftige Zweifel nicht mehr aufkommen“7, gengen. Das ist eine bedenkliche, gefhrliche und oft mißverstandene Formel. Sie bedeutet nicht, daß der Richter sich ber bestehengebliebene Zweifel hinwegsetzen und sich an Stelle eines vollen Beweises mit einem Grad von Wahrscheinlichkeit begngen drfte. Das wre ein klarer Verstoß gegen den Grundsatz des „in dubio pro reo“ (Rn. 966)8. Es besagt, daß nur verurteilt werden darf, wenn fr das Gericht nach angemessener, kritischer Prfung der unwiderlegbare Beweis dafr erbracht ist, daß eine Schuldlosigkeit des Angeklagten absolut unmglich ist. Kristallisationspunkt bleibt aber die subjektive berzeugung des Gerichts; eine jederzeit reproduzierbare und nachvollziehbare, quasi naturwissenschaftlich-mathematische Beweisfhrung wird nicht gefordert. In diesem Bereich ist die Funktion des Verteidigers von besonderer Wichtigkeit. Seine Aufgabe ist eindeutig. Indem er einseitig zum Schutze seines Mandanten ttig wird, ist er auch Diener am Recht, wie es fr ihren Teil Richter und Staatsanwalt sind. Sie alle steuern dem Ziel der Gerechtigkeit zu, aber von verschiedenen Ausgangspunkten her: der Staatsanwalt vom Strafanspruch des Staates, der Richter von der Totalitt des Rechts, der Verteidiger vom Schutzanspruch des Beschuldigten aus. Der Richter hat sich zu bemhen, die Wahrheit objektiv nach allen Richtungen in vollem Umfange zu ergrnden. Der einseitig fr seinen Mandanten ausgerichtete Verteidiger sieht dagegen die Wahrheit nur im Profil. Seine

7 BGH, NStZ 1988, 236. 8 BGHSt. 10, 208.

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Funktion ist damit aber ebenso legitim wie die des advocatus diaboli im kanonischen Prozeß der Seligsprechung. Dem wahren Richter wird deshalb der gute Verteidiger gerade wegen seiner Einseitigkeit und Hrte willkommen sein9. Denn er strkt das Gewissen des Richters, weil er ihn zur Beachtung aller entlastenden Gesichtspunkte zwingt. Erreicht er damit den Freispruch seines Mandanten, so wird der Richter es ihm danken, ihn vor einem Fehlurteil bewahrt zu haben. Dringt der Verteidiger nicht durch, so ist das Gewissen des Richters beruhigt, weil er zur Prfung aller Bedenken veranlaßt worden ist. Dieses berufsethische Niveau der Strafverteidigung wird aber auch noch in einer anderen Beziehung sichtbar. Die auf Strafverfolgung ausgehenden Staatsorgane knnen sich irren, und die Strafe kann dann einen Unschuldigen treffen. Wenn das geschieht, geht etwas Schreckliches vor sich. Der Rechtsstaat selbst, der das Recht zu setzen und zu wahren hat, begeht Unrecht. Er begeht es durch seine eigene, der Rechtsverwirklichung verpflichtete Justiz. Von allen Formen des Unrechts ist seinem Wesen nach dieses justizielle Unrecht der Obrigkeit das schlimmste. Es bedeutet die Pervertierung des Rechtsstaates.

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Der Verteidiger, der solcher Mglichkeit entgegenzuwirken bestimmt ist, erfllt eine große Aufgabe. In ihr liegt die Wrde seines Berufes begrndet. Allerdings muß anderseits beachtet werden, daß eine auf dem pflichtmßigen Einsatz einer erfolgreichen Verteidigung beruhende Entscheidung auch materiell falsch sein kann. Ein Schuldiger kann freigesprochen werden. Das braucht aber den Verteidiger nicht zu belasten. Denn auch dieses Urteil entspricht dem Recht, weil Prozeßrecht ebenso „Recht“ ist wie das materielle Recht. In dieser Wertordnung ist im Rechtsstaat die Rechtssicherheit verbrgt. Ihre Wertidee hat den hheren Rang vor der materiell gerechten Entscheidung des Einzelfalles. Daraus folgt die Pflicht des Verteidigers, eine nicht prozeßgerechte Verurteilung mit allen gesetzlichen Mitteln auch dann zu verhindern, wenn sie materiell richtig sein wrde. „Das verlangt das Recht von ihm“10.

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Zur Schutzaufgabe des Verteidigers gehrt indessen auch ein anderer Bereich, der seinen unmittelbaren Umgang mit dem Mandanten betrifft. Dieser ist in der Regel durch das Verfahren stark betroffen. Er fhlt sich von Verwandten und Freunden verlassen oder verachtet. Er verliert seine

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9 Zur Konflikt- oder Chaosverteidigung vgl. Rn. 71, 444 et passim sowie Dahs, FS Odersky (1996), S. 317 ff. 10 Eberhard Schmidt, Lehrkommentar, Vorbem. vor § 137 Nr. 6.

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Selbstsicherheit und seine Ruhe. Besonders schlimm ist seine Lage in der Untersuchungshaft (Rn. 334). Der Verteidiger ist dann sein ganzer Halt. Ihm kann er sich ohne Scheu anvertrauen. Von seiner Leistung und Erfahrung verspricht er sich alles. Er ist die Brcke zur Justiz, der er zugeordnet ist und deren Sprache er spricht. Es ist beraus wichtig, aus dieser Lage heraus das richtige Vertrauensverhltnis zum Mandanten auf- und auszubauen. Dazu gehren auch viele Einzelheiten geringerer Bedeutung, so z. B. die Bezeichnung des Mandanten in schriftlichen Eingaben und vor Gericht als „Herr X“ und nicht als der „Angeklagte“ oder der „Beschuldigte“, auch der Gebrauch der Hflichkeitsformen im Schriftverkehr und die Begrßung mit Handschlag. Gerade bei unangenehmen Charakteren sollte der Verteidiger bedenken, daß eine unsympathisch wirkende Person leichter „in die Klemme“ geraten kann. In diesem Falle ist er in seiner Schutzaufgabe sogar verstrkt gefordert. Der Verteidiger muß die angemessene Form zu finden suchen, um einerseits das ntige Vertrauen einzuflßen, andererseits Distanz zu halten und sich Respekt zu verschaffen (Rz. 156). Seine Schutzaufgabe verbietet es dem Verteidiger natrlich auch, Eigeninteressen zu Lasten seines Mandanten nachzugehen. Er darf insbesondere nicht den Fall seines Klienten als Mittel zur Praxiserweiterung auswerten. Man muß manchmal den Eindruck gewinnen, daß gewisse Verteidiger z. B. an einer geruschlosen Einstellung oder sonst einfachen Erledigung einer Sache nicht interessiert sind, weil sie das Spektakulum einer großen Hauptverhandlung und ihren publikumswirksamen Auftritt vorziehen. Dabei sind sie auch dem Verdacht ausgesetzt, an einem hohen Honorar mehr interessiert zu sein als am Schutz ihrer Klienten. Staatsanwlte ußern ihren Unwillen ber mangelndes Eintreten von Verteidigern fr vernnftige Verfahrenserledigung im Interesse ihrer Mandanten, z. B. durch Stellungnahmen mit geeigneten Beweisantrgen und -anregungen im Ermittlungsverfahren, bei Verhandlungen ber die Bedingungen einer Einstellung (§ 153a) (Rn. 322 ff.) oder eine Verfahrensbeendigung durch Strafbefehl (Rn. 1065) u. dgl. Gelegentlich wird gesagt, daß hierzu erforderliche vertrauliche Gesprche keineswegs mit jedem – auch nicht jedem wirtschaftlich unabhngigen – Rechtsanwalt gefhrt werden knnen. Das sind bse Verdchtigungen. Aber sind sie wirklich immer unbegrndet?

3. Die Zuordnung des Verteidigers zur Rechtspflege Armbruster, Die Entwicklung der Verteidigung in Strafsachen, Berlin 1980, S. 137 ff.; Augstein, Der Anwalt: Organ der Rechtspflege, NStZ 1981, 52; Bemmann/Grnwald u. a., Die Verteidigung, S. 37 ff.; Bernsmann, Zur Stellung des Strafverteidigers im deutschen Strafverfahren, StraFo 1999, 226; Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren, 1980, S. 50 ff.; Beulke, Strafverteidigung im Spannungs-

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feld zwischen Rechtsstaatlichkeit und Verfahrenseffizienz in Deutschland, in „Alte Strafrechtsstrukturen und neue gesellschaftliche Herausforderungen in Japan und Deutschland“ (Hrsg. Khne und Miyazawa) 2000, S. 137; Beulke, Wohin treibt die Reform der Strafverteidigung?, „Strafprozeß und Reform“ (Hrsg. Schreiber) 1979, S. 30 ff.; Busse, Anwaltsethik unter der Geltung des neuen Berufsrechts, AnwBl. 1998, 231; Dahs, Verteidiger der Gehilfe des Gerichts?, AnwBl. 1966, 371; Dahs, Ausschließung und berwachung des Strafverteidigers (Strafverteidiger freier Beruf oder „Halbbeamter“?), NJW 1975, 1385, 1387 ff.; Dahs, Strafverteidigung und Strafrechtspflege, FS Odersky (1996), S. 317; Dahs, Ethische Aspekte im Strafverfahren? – Ein Denkanstoß, JR 2004, 96; Dornach, Ist der Strafverteidiger aufgrund seiner Stellung als „Organ der Rechtspflege“ Mitgarant eines justizfrmigen Verfahrens?, NStZ 1995, 57; Eschen, Noch einmal: § 1 BRAO – Die Bedeutung des Begriffes „Organ der Rechtspflege“, StV 1981, 365; Hanack, Grundlagen und Inhalt der „ffentlich-rechtlichen Komponente“ des Mandatsverhltnisses zwischen Beschuldigtem und Verteidiger. Strafrechtsausschuß der BRAK RS-Nr. 22/80; Hanack, Arbeitskreis Strafprozeßreform: Die Verteidigung, ZStW 93 (1981), 559; Hassemer, Reform der Strafverteidigung, ZRP 1980, 326; Hassemer, ber den Mißbrauch von Rechten, FS Meyer-Goßner (2001) S. 127; Holtfort, Strafverteidiger als Interessenvertreter – Berufsbild und Ttigkeitsfeld – 1979, S. 37 ff.; Kempf, Rechtsmißbrauch im Strafprozeß, StV 1996, 507; Knapp, Der Verteidiger – ein Organ der Rechtspflege?, 1974; Knapp, Verteidigung des Rechtsstaats durch Bekmpfung des Verteidigers?, AnwBl. 1975, 373; Krmer, Der Rechtsanwalt – ein „staatlich gebundener Vertrauensberuf“?, NJW 1975, 849; Krmer, Die verfassungsrechtliche Stellung des Rechtsanwalts, NJW 1995, 2313; Mller, Egon, Strafverteidigung, NJW 1981, 1801; Ostler, Der Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege, Schriftenreihe Juristische Studiengesellschaft Karlsruhe, Heft 56/57, 1963, S. 16 ff.; Redeker, Bild und Selbstverstndnis des Juristen heute, Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft Berlin, Band 36, 1970; Rieß, Prolegomena zu einer Gesamtreform des Strafverfahrensrechts, FS K. Schfer (1979), S. 155, 200 ff.; Schier, Die Stellung des Rechtsanwalts in der Rechtsprechung der Verfassungsgerichte, AnwBl. 1984, 410; Stern, Anwaltschaft und Verfassungsstaat, Schriftenreihe der BRAK, Bd. 1, 1980; Vogel, Sinn und Grenzen anwaltlicher Unabhngigkeit, Bulletin der BuReg. Nr. 61 vom 14. 5. 1975, S. 571; Welp, Der Verteidiger als Anwalt des Vertrauens, ZStW 90 (1978), 101; Welp, Die Rechtsstellung des Strafverteidigers, ZStW 90 (1978), 804; Zuck, Die beruflichen Pflichten des Rechtsanwalts, MDR 1996, 1204.

In Wahrnehmung der Schutzaufgabe erfllt der Verteidiger seinen speziellen Auftrag als ein selbstndiges Organ der Rechtspflege. Diese Bezeichnung ist dem Rechtsanwalt – nicht nur dem Strafverteidiger – allgemein in § 1 BRAO verliehen. Die Frage nach dem rechtlichen Inhalt der Organstellung und den daraus folgenden Rechten und Pflichten des Verteidigers ist Gegenstand einer wohl nie endenden Diskussion. Die Spanne der Auffassungen reicht vom „staatlich gebundenen Vertrauensberuf“ ber den „unabhngigen, jedoch in die Funktion der Rechtspflege integrierten Beistand“ bis zum nahezu schrankenlos ausschließlich „parteigebundenen Helfer politisch/sozialer Gegenmacht“ zur staatlichen Rechtspflege. Nach meiner Ansicht ist der Organbegriff (allein) als Grundlage fr eine substantielle Bestimmung des Verhltnisses zwischen Rechtsanwalt und 13

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Staat ungeeignet: auch als Basis fr ein Koordinatensystem der Verteidigerrechte und -pflichten und der Grenzen zulssigen Verteidigerhandelns kann er nicht dienen. Die Rechtsprechung verpflichtet den Verteidiger lediglich auf die „Interessen der Strafrechtspflege“11. Es spricht vieles dafr, daß die Formel des § 1 BRAO nur die Integration des Rechtsanwalts in den Funktionszusammenhang der Rechtspflege beschreibt. Daraus lßt sich als Maxime fr die Ausbung des Berufes lediglich ableiten, daß der Verteidiger Teilhaber und nicht Gegner einer funktionsfhigen Rechtspflege ist, diese also nicht, und zwar auch nicht in der Ausprgung des einzelnen Verfahrens, „bekmpfen“ darf. An der Erfllung der Aufgabe des Strafprozesses, durch Erforschung der Wahrheit zu einem gerechten Urteil zu gelangen, hat er kontradiktorisch die Interessen des Beschuldigten beratend und vertretend mitzuwirken. Bei einer Kollision zwischen der Schutzaufgabe des Verteidigers und den Interessen der Strafrechtspflege hat grundstzlich die erstere Vorrang12. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Beistandsleistung sich als Angriff auf die Funktion der Rechtspflege darstellt. Ein solcher liegt aber noch nicht vor, wenn der Verteidiger die schtzenden Formen des Strafverfahrensrechts „parteiisch und intensiv“ nutzt13. Dies gehrt sogar zum ureigensten Verteidigungsauftrag14. 12

Die Frage, ob die Institution des Strafverteidigers eine ffentlich-rechtliche Komponente hat15, ist wohl ebensowenig berzeugend zu beantworten wie die nach dem rechtlichen Gehalt der Organstellung. Freilich wird man das Verhltnis zwischen Verteidiger und Klient auch nicht als ausschließlich privatrechtlicher Natur bezeichnen knnen16. In bestimmten Verfahren muß dem Angeklagten ein Verteidiger zur Seite stehen, ob er will oder nicht (§ 140); dabei spielt auch die wirtschaftliche Leistungsfhigkeit keine Rolle. Schließt er keinen Verteidigungs-Vertrag ab, so erfolgt eine Beiordnung von Amts wegen, die beim Verteidiger außer der Verpflichtung, die Verteidigung zu fhren (§ 49 BRAO), keine weiteren Pflichten gegenber dem Staat auslst. Jedem Verteidiger stehen die Rechte u. a. auf Einsicht in die Ermittlungs- und Gerichtsakten, Besichtigung der Beweismittel (§ 147) und auf nichtberwachten mndlichen und schriftlichen Verkehr mit dem Inhaftierten zu (§ 148, vgl. auch Rn. 13). 11 12 13 14 15

BGHSt. 38, 111, 114 = NJW 1992, 1245, 1246; BGHSt. 38, 214. Deutlich BVerfG, AnwBl. 1996, 468. So aber LG Wiesbaden, StV 1995, 239 f. Vgl. Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren, (Vor Rn. 1), S. 137. So Hanack in einem Referat vor dem Strafrechtsausschuß der Bundesrechtsanwaltskammer v. 24. 10. 1980 – RS 22/80 –; Beulke spricht in hnlichem Zusammenhang von „ffentlichen Interessen“ – Der Verteidiger im Strafverfahren, S. 79 ff. –. 16 Lwe/Rosenberg/Lderssen[25], Vor § 137, Rn. 33 ff. (zum Vertragsprinzip).

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Daß diese Rechtsgewhrung beim Gesetzgeber ein erhebliches Vertrauen in die Seriositt des Verteidigers und seine Haltung zur Strafrechtspflege voraussetzt, kann nicht bezweifelt werden. Die Beziehung des Verteidigers zur Strafrechtspflege kann man deshalb schwerlich als eine nur negative verstehen, die aktiv zu Strungen der Tataufklrung verleitet17. Der Gesetzgeber verbindet vielmehr nach wie vor mit der Funktion des Verteidigers unserer Strafprozeßordnung das Leitbild eines an Wahrheit und Fairneß orientierten Verhaltens, ohne daß daraus fr den Einzelfall konkrete Rechte und Pflichten abzuleiten sind. Darin ist auch die „Geschftsgrundlage“ fr die dem Verteidiger gewhrten gesetzlichen Verfahrensrechte zu sehen. In diesem Rahmen ist der Verteidiger selbstndiger Beistand des Beschuldigten. Er handelt in eigener Verantwortung und ist an Weisungen des Mandanten nicht gebunden18. Daraus ergibt sich zugleich, daß er grundstzlich nicht dessen Vertreter ist19. Ihm stehen vielmehr prozessuale Rechte zu, die der Beschuldigte selbst nicht hat, so die Befugnis zur Akteneinsicht (Rn. 254 ff.), zur Anwesenheit bei Vernehmungen, von denen der Beschuldigte ausgeschlossen ist (§ 168c Abs. 5)20 (Rn. 304) und zur unmittelbaren Befragung von Mitangeklagten (§ 240 Abs. 2 S. 2). Eine Vertretung des Mandanten durch den Verteidiger sieht das Verfahrensrecht nur in Einzelfllen vor (vgl. §§ 234, 329 Abs. 1 S. 1, 330 Abs. 2 S. 1, 387 Abs. 1, 411 Abs. 2 S. 1).

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In diesen Zusammenhang gehrt auch die Frage, wie weit Fehler oder Versumnisse des Rechtsanwalts sich rechtlich zum Nachteil des Beschuldigten auswirken. Nach stndiger Rechtsprechung wird anders als im Zivilprozeß das Verschulden des anwaltlichen Strafverteidigers und seines (gut ausgewhlten und berwachten) Personals bei der Versumung von Fristen (§ 44) dem Beschuldigten nicht zugerechnet21. Er hat Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Rn. 1074), sofern ihn nicht ein Mitverschulden trifft22. Versptung oder Fehler bei der Einlegung von Rechtsmitteln bleiben daher unschdlich. Das ist besonders auch im Revisionsrecht von Bedeutung (Rn. 902). Fehler des Verteidigers in der Sache, z. B. unzulngliche Aktenkenntnis, versptete oder nachlssige Bearbeitung, unterlassene Antrge und Beanstandungen, ein schlech-

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17 18 19 20 21

Dazu Dahs, FS Odersky (1996), S. 317 ff. BGHSt. 13, 337, 343. BGHSt. 9, 356; BGHSt. 12, 367, 369; Meyer-Goßner, Vor § 137 Rn. 1. Meyer-Goßner, § 168c Rn. 5; auch § 247 Rn. 1. BVerfG, NJW 1991, 351; BVerfG, NJW 1994, 1856; BGHSt. 14, 306, 308; vgl. aber zur Beratungshaftung OLG Nrnberg, StraFo 1997, 186. 22 Vgl. i. e. Meyer-Goßner, § 44 Rn. 18.

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Die allgemeine Stellung des Verteidigers

tes Pldoyer, Mngel der Revisionsbegrndung u. . gehen demgegenber zu Lasten des Mandanten – ohne Heilungsmglichkeit! Zur zivilrechtlichen Haftung des Strafverteidigers vgl. Kap. B II.4. 15

Die selbstndige Stellung des Verteidigers schließt auch jede Abhngigkeit vom Staat (Rn. 28) und vom Gericht (Rn. 29) aus. Er ist nicht dessen Gehilfe, aber er bleibt der Aufgabe verpflichtet, das Recht mit zu pflegen und die Aufrechterhaltung der Rechtsordnung zur Richtschnur seines Handelns zu machen. Der Rechtsanwalt als Verteidiger steht in voller Gleichberechtigung Gericht und Staatsanwalt gegenber. Er ist aber nicht wie diese zur Unparteilichkeit verpflichtet. Ihm obliegt es auch nicht, der Wahrheitsermittlung in objektiver Weise umfassend zu dienen, da er nur auf Entlastung seines Mandanten hinzuwirken hat. Er unterliegt andererseits der Pflicht zur Wahrheit und dem Verbot der Lge. Er darf den Sachverhalt nicht verdunkeln und keine Beweismittel beseitigen oder verflschen. Er darf sich nicht rechtlich unzulssiger Mittel bedienen. Wenn er dagegen verstßt, wird aus seiner Verteidigung strafbare Strafvereitelung. Die Grenzen zwischen „noch zulssig“ und „schon unzulssig“ sind allerdings nicht immer leicht zu ziehen (Rn. 55). Die Beurteilung von Verteidigeraktionen als „unzulssig“ wird aber wegen der rechtsstaatlich geforderten Gewhrleistung einer effektiven Verteidigung (auch im Hinblick auf Art. 12 GG) allerdings nur mit großer Zurckhaltung erfolgen knnen23.

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Ob und in welchen Fllen der Verteidiger die Funktion bernimmt, durch Strafanzeige und Strafantrag eine Strafverfolgung in Gang zu setzen, ist eine je nach Lage des Falles zu beantwortende Stilfrage. Es gibt durchaus Flle, in denen die unverzgliche Strafanzeige gerade durch den Verteidiger ein sinnvolles Instrument der Verteidigung sein kann, z. B. gegen den falsch aussagenden Zeugen, den „wahren“ Tter u. a. Opferschutz, Privatund Nebenklage (§§ 406 d ff., 374 ff., 395) zeigen, daß der Gesetzgeber den Rechtsanwalt, und das heißt hier den Strafverteidiger (Rn. 1063), auch in diese Aufgabe gestellt hat. Nutzlos und erfahrungsgemß eher schdlich sind allerdings in aller Regel die von Mandanten oft gewnschten „Gegenanzeigen“, sowie Anzeigen gegen Polizeibeamte und Staatsanwlte wegen Verfolgung Unschuldiger, Ntigung, Aussageerpressung usw. Hier ist auch die Gefahr zu sehen, daß der Verteidiger sich selbst dem Vorwurf der blen Nachrede aussetzen kann24. Er sollte im allgemeinen die Erstattung einer Strafanzeige seinem Mandanten berlassen, den er freilich anwaltlich dabei beraten oder auch durch einen Entwurf untersttzen kann.

23 BGH, NJW 2002, 2115 f. 24 Vgl. dazu auch OLG Hamburg, MDR 1980, 953 m. N.

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4. Die Beratungsfunktion des Verteidigers Krause, Die Anklrungspflicht des Verteidigers gegenber seinem Mandanten; BRAK-Schriftenreihe, Bd. 12 (Symp. f. Egon Mller) 2000, S. 11; Lderssen, Bedeutung und Wirkung von Vertrauen in der Beziehung zwischen Mandant und Verteidiger, BRAK-Schriftenreihe Bd. 12 (Symp. f. Egon Mller) 2001, S. 41.

Dieser Abschnitt gehrt zugleich in den Teil B II „Verteidiger und Mandant“ (Rn. 120 ff.) sowie E I und II „Verteidiger als Rechtsbeistand“ (Rn. 1141 ff., 1150 ff.). Dem Beginn der eigentlichen Verteidigung im Verfahren ist oft eine beratende Ttigkeit des Verteidigers vorgeschaltet. Sie kann zu ihrem wichtigsten Stck werden, indem das Verfahren berhaupt verhtet oder in gnstige Bahnen gelenkt wird. Die Beratung kann sich fruchtbar nur auf der Grundlage des Vertrauens entwickeln. Der Verteidiger gewinnt es durch seine berzeugende Haltung. berlegene Sachkunde, ausgeglichenes Wesen und Bestimmtheit des Auftretens sind entscheidend. Der Mandant muß fhlen, daß er einen bereitwilligen und fhigen Beistand gefunden hat, er muß aber auch merken, daß dieser sich nichts vormachen lßt. Auch in der umgekehrten Richtung spielt das Vertrauen eine Rolle. Zwar wird der Mandant nicht immer gleich die ganze Wahrheit sagen knnen (Rn. 77). Der Verteidiger muß ihm aber wenigstens in etwa trauen, statt ihm nur etwas zutrauen zu knnen.

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In vielen Strafprozessen geht es um die Hauptfrage, ob der Betroffene schuldig oder nichtschuldig ist. Im ersten Fall trifft ihn die Strafverfolgung mit dem Einsatz ihrer einschneidenden Machtmittel zu Recht, und empfindliche Strafen knnen oft eine gerechte Sanktion sein. Im anderen Fall gebhrt dem zu Unrecht Verfolgten der Freispruch. Solange die Schuldfrage strittig ist, bedeutet Verteidigung nur die Kunst des Mglichen. Die Weichen hierzu werden im Verfahren immer wieder neu gestellt. Dabei bedarf der Beschuldigte eines Ratgebers, der nur sein Verteidiger sein kann. Dieser ist nicht verpflichtet, den Mandanten zu einem Gestndnis zu drngen. Er ist kein Beichtvater, der im Klienten Reue und Leid zu erwecken und ihn zur Entshnung zu bringen htte (Rn. 57). Es kann aber ein Akt der Klugheit sein, dem Mandanten das Eingestndnis etwa vorhandener Schuld nahezulegen. Das kann viele Vorteile bringen (Rn. 484). Das Verfahren wird abgekrzt. Die Vorgeschichte und Motive des Fehlverhaltens knnen dargelegt werden. Fr die Geltendmachung aller Milderungsgrnde ist der Weg freigemacht. Die Einstellung des Verfahrens nach § 153a – obwohl von einem Gestndnis nicht abhngig – rckt in den Bereich des Mglichen. Sogar ein Freispruch (etwa aus § 20 17

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Die allgemeine Stellung des Verteidigers

StGB) oder das Absehen von Strafe (z. B. §§ 60, 199 StGB, § 31 BtMG, §§ 153b, 153c, 154c StPO, § 31a BtMG) kann jetzt seine Begrndung finden. Daneben erffnet der Weg ber ein Eingestndnis die Mglichkeit der Schadenswiedergutmachung, die nach § 46a StGB regelmßig zu einer Strafmilderung fhrt. Der Verteidiger kann auch sonst fr den Strafausspruch alle gnstigen Umstnde und Beweismittel zur Persnlichkeitsbeurteilung und Zukunftsprognose einfhren und in dem breitgefcherten gesetzlichen Rahmen eine milde Straf- oder Maßregelsanktion erzielen (z. B. §§ 59, 60 StGB) – alles Erfolge, die bei starrem Bestreiten nicht zu erringen sind (vgl. besonders Rn. 57, 431, 484, 645). Je nach Lage der Sache knnen auch Initiativen zu einer Verfahrensabsprache (Rn. 496 ff.) entwickelt werden. Der Verteidiger hat in allen genannten Bereichen eine besonders schwere, aber auch schne Aufgabe. Er ist dabei allerdings besonders darauf angewiesen, daß der Mandant Vertrauen zu ihm gewinnt. 19

Andererseits darf sich der Verteidiger von seinem Mandanten nicht „einkassieren“ lassen. Viele Beschuldigte haben das Bedrfnis, angesichts der gegen sie erhobenen Vorwrfe von ihrem Verteidiger ein „Glaubensbekenntnis“ fr die Untadeligkeit ihrer Person und ihre Darstellung der Sache zu erhalten und drngen auf entsprechende Beteuerungen rckhaltloser Gemeinsamkeit. Davon sollte man sich fernhalten. Dem richtig verstandenen Interesse des Beschuldigten ist mit einem kritiklos „heißen Herzen“ seines Verteidigers nicht gedient. Das soll keine Einschrnkung des Verteidigungs-Engagements bedeuten, jedoch wird der allseits einen gewissen inneren Abstand wahrende, den Anklagevorwurf, die Ermittlungsergebnisse und auch die Einlassung des Mandanten distanziert-kritisch analysierende Beistand in seiner Beratung und Verteidigung grßere Erfolge erzielen.

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Auch sonst obliegt es dem Verteidiger in besonderem Maße, die fr die kriminalpolitische Beurteilung des Tters wesentlichen Tatsachen in das Verfahren einzufhren und fr seinen Mandanten auszuwerten. Eine Vielzahl bedeutsamer Umstnde aus dem persnlichen Bereich des Angeklagten sind ihrer Natur nach verborgen und der Amtsermittlung durch Staatsanwaltschaft und Gericht nicht zugnglich. Hier liegt eine große Chance fr den Verteidiger: Wenn er aufgrund des zu dem Mandanten bestehenden Vertrauensverhltnisses von diesem umfassende Informationen zu den tatschlichen Grundlagen des Strafausspruchs erhalten kann (oder: erhlt), entsprechende Beweise herangeschafft hat und darber hinaus die Feinheiten des Straf- und Maßregelsystems beherrscht, kann er in diesem Teil des Erkenntnisprozesses sogar eine gewisse verfahrensmßige Fhrungsposition und berlegenheit gewinnen und auf diese Weise maßgeblich auf die richterliche Straffolgenentscheidung Einfluß nehmen. 18

Der Berufsauftrag des Verteidigers

Rn. 22

Auch eigene Ermittlungen des Verteidigers (Rn. 307 ff.) sind in gewissem Rahmen denkbar und von Nutzen. Der Verteidiger wird in diesem Zusammenhang oft um eine Prozeßprognose gefragt, besonders fr den Fall eines Eingestndnisses. Sie ist manchmal recht schwierig und gefhrlich. Allzu dstere Bemerkungen gefhrden das Vertrauen, und Schnfrberei zahlt sich nicht aus.

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So ist der Verteidiger als Berater auch dann in hohem Maße gefordert, wenn ein strafrechtlich relevantes Verhalten von Anfang an unbestreitbar ist. Zunchst muß er den Klienten darber aufklren, was nach Gesetz und Erfahrung als Sanktion berhaupt in Betracht kommt. Hufig bestehen darber vllig berzogene Vorstellungen, die eine fast irrationale Angst auslsen und den Blick fr eine realistische Einordnung der Tat in das Sanktionensystem versperren. Die „Entkrampfung“ des Verhltnisses zu der begangenen Straftat frdert dann nicht selten Schuldmilderungs-, zuweilen sogar Rechtfertigungsgrnde oder stichhaltige Argumente gegen Nebenfolgen (z. B. §§ 44, 69, 69a, 70 StGB) zutage. Verfahrensrechtlich kann so der Weg zur Erledigung der Sache ohne Hauptverhandlung und Urteil (§§ 153, 153a – Rn. 322 ff.), zum Strafbefehlsverfahren (§ 407 oder auch 408a!) oder zu einem weniger belastenden Strafausspruch (z. B. Fahrlssigkeit statt Vorsatz oder § 59 StGB) gefunden werden. Auch kann eine saubere rechtliche Subsumierung dazu fhren, daß die Tat in eine andere Kategorie eingeordnet wird, z. B. als minder schwerer Fall. Alles dies verlangt, daß der Verteidiger zwar sensibel, aber auch bestimmt die Beratung fhrt und Mittel und Wege findet, die Sache seines Mandanten optimal an die Staatsanwaltschaft – nicht selten auch an deren Ermittlungsbehrden – oder das Gericht heranzutragen (dazu nher Rn. 201, 434 ff.).

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5. Verteidigung und Rechtsentwicklung Altvater, Das 34. Strafrechtsnderungsgesetz – § 129b StGB, NStZ 2003, 179; BRAK-Schriftenreihe, Bd. 8, Thesen zur Strafverteidigung, 1992; BRAK-Schriftenreihe, Bd. 13, Reform der Verteidigung im Ermittlungsverfahren, 2004; Buttge, Das Gesetz zur nderung der Vorschriften ber die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, NJW 2004, 1065; Dahs, „Reformeifer“ – Zur Rechtsmittelreform in Strafsachen, NJW 2000, 1620; Jahn, Aktuelle Probleme der Reform des Strafverfahrens, NJ 2005, 106; Knauer, Zivilprozessuale und strafprozessuale nderungen durch das Justizmodernisierungsgesetz – Teil 2: nderungen der StPO, NJW 2004, 2932; Neuhaus, Die nderungen der StPO durch das Erste Justizmodernisierungsgesetz vom 24. 8. 2004, StV 2005, 47; Sommer, Moderne Strafverteidigung – Strafprozessuale nderungen des Justizmodernisierungsgesetzes, StraFo 2004, 295.

Zu Entwicklungen in frheren Zeiten und damit zum stetigen Wandel vgl. die Vorauflagen. 19

Rn. 23

Die allgemeine Stellung des Verteidigers

23

Strafrecht und Strafprozeßrecht sind in stndigem Fluß – seit Jahren mit der Tendenz zur Ausweitung und Verschrfung strafrechtlicher Tatbestnde und ihrer Sanktion. Nicht selten sieht sich der Gesetzgeber auch veranlaßt, auf neue Lebenssachverhalte durch die Schaffung von Straftatbestnden zu reagieren, z. B. § 200a, § 129d StGB25. Zu verweisen ist auf das Gesetz zur nderung der Vorschriften ber die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung vom 27. 12. 2003 (BGBl. I 3007) sowie das vom Bundestag am 28. 10. 2004 beschlossene Gesetz gegen Menschenhandel. Im Strafverfahren sind Entwicklungen zu immer weitergehender Einschrnkung von Beschuldigten- und Verteidigerrechten sowie Rechtsmitteln offenbar nicht aufzuhalten. Durch das jngste Strafrechtsmodernisierungsgesetz wird etwa die Stellung der Polizei gestrkt (§§ 110, 256), die Regelvereidigung abgeschafft (§§ 59 ff.), eine Verlngerung der Unterbrechungsfristen eingefhrt (§ 229), der Richter mit der Aufgabe der Protokollfhrung belastet (§ 226), die Mglichkeit des „Durchentscheids“ der Revisionsgerichte verstrkt (§ 354). Begrndet werden die legislatorischen Initiativen vielfach mit der berlnge der Strafverfahren, der berlastung der Justiz und zuweilen auch mit dem Vorwurf des Rechtsmißbrauchs durch „die Verteidiger“. Der Verteidiger darf sich nicht darauf beschrnken, von Gesetzesnderungen und allenfalls von den Entscheidungen nur Kenntnis zu nehmen. Er muß zu seinem Teil auf ihre Entwicklung (Rn. 736) Einfluß nehmen. Dazu ist er als der Vertreter seines dynamischen Berufes, durch seine kmpferische Aufgabe und seine Erfahrungen mit der Praxis der Strafjustiz besonders qualifiziert. Er sollte nicht mde werden, gegen veraltete, festgefahrene oder kurzschlssige und tagespolitisch motivierende Auffassungen anzugehen und neue Entwicklungen und Gedanken zum Durchbruch zu bringen (fr das Pldoyer Rn. 736). Auch in eher restaurativ geprgten Epochen sollte der Verteidiger sich als Avantgardist einer modernen Fortentwicklung der Strafrechtspflege fhlen und besttigen. Auch lohnt sich fr ihn ein „europischer Blick“. Neben aktuellen Bestrebungen auf EU/EG-Ebene kann der Verteidiger auf eine strkere Beachtung der Rechte der EMRK pochen. Bis zur Jahrtausendwende wurde eine Entscheidung des EGMR nur viermal in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erwhnt26.

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Als ebenso einschlgiges wie trauriges Kapitel sei in diesem Zusammenhang das Haftrecht (Rn. 331 ff.) genannt. Die Zahl der Untersuchungsgefangenen steigt seit Jahren berproportional an. Die Praxis nicht weniger Haftgerichte scheint sich weniger an den ausziselierten Gesetzeskriterien und deren sorgfltiger Auslegung zu orientieren als an der simplen Ge25 Ein Stalking-Tatbestand wird derzeit diskutiert. 26 Sommer, StraFo 1999, 309.

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Der Berufsauftrag des Verteidigers

Rn. 26

samtwrdigung „Der gehrt rein“! Es sind allein die Strafverteidiger und ihre anwaltlichen Berufsorganisationen, die immer wieder solche Mißstnde anprangern und versuchen, Gesetzgeber und Justiz aufzurtteln27. Gerade der Strafverteidiger ist aufgerufen, sowohl restriktiven Bestrebungen des Gesetzgebers, die vielfach auf den politischen Tageserfolg ausgerichtet sind, entgegenzutreten, als auch jedem Versuch einer Rechtsverkrzung oder Rechtseinengung in der Praxis Widerstand zu leisten. Auf der anderen Seite kann er versuchen, allgemeinen nderungen der Rechtsberzeugung in der Rechtsanwendung schon Geltung zu verschaffen, bevor sie frmliche Gesetzeskraft erlangt haben. Dies alles geschieht nicht um eigener Privilegien willen, sondern in Erfllung der Aufgabe, fr die Rechte des Beschuldigten einzutreten und damit der Rechtspflege zu dienen28.

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6. Die Delegation der Verteidigung Peter, Der Rechtsreferendar als Strafverteidiger, JuS 1991, 140; Prtting, Ethos anwaltlicher Berufsausbung, AnwBl. 1994, 315, 317.

Der Wahlverteidiger kann sich in der Ausbung seiner Ttigkeit durch einen anderen Anwalt vertreten lassen (ber Vertretung in der Hauptverhandlung vgl. Rn. 505: fr Pflichtverteidiger vgl. Rn. 151). Die Vertretung kommt vor allem bei Terminkollisionen und auswrtigen Rechtshilfeoder Hauptverhandlungsterminen in Betracht, zumal die Sonderkosten des nicht am Gerichtsort domizilierenden Verteidigers in der Regel nicht erstattet werden. Der Wahlverteidiger hat auch die Mglichkeit, einem Referendar mit einer Ausbildung von einem Jahr und drei Monaten die Verteidigung zu bertragen (§ 139), nicht jedoch einem Rechtsassessor29. Dazu bedarf er der Zustimmung des Angeklagten, nicht aber des Gerichts. Dieses Recht hat jedoch nur der Wahlverteidiger, nicht der Pflichtverteidiger30. Es bedeutet inhaltlich die bertragung aller oder nur einzelner Aufgaben des 27 Vgl. nur Dahs, Apokryphe Haftgrnde, FS Dnnebier (1982), S. 227; Dahs, Der Haftgrund der Fluchtgefahr, AnwBl. 1983, 418; Deckers, Die Vorschrift des § 112 Abs. 3 StPO, AnwBl. 1983, 420; Krekeler, Probleme der Verteidigung in Wirtschaftsstrafsachen, wistra 1983, 43; Parigger, Tendenzen im Haftrecht in der Rechtswirklichkeit, AnwBl. 1983, 423; Schwenn, Straferwartung – ein Haftgrund?, StV 1984, 132. 28 Vgl. BRAK-Schriftenreihe, Bd. 8, Thesen zur Strafverteidigung, 1999 sowie Bd. 13, Reform der Verteidigung im Ermittlungsverfahren, 2004. 29 BGHSt. 26, 319; BayObLG, NJW 1991, 2434. 30 BGH, NStZ 1995, 356; Schnarr, NStZ 1996, 214.

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26

Rn. 27

Die allgemeine Stellung des Verteidigers

Verteidigers. Der Verteidiger sollte in jedem Falle, auch bei Zustimmung des Mandanten, gewissenhaft berlegen, ob er die bertragung auf den Referendar verantworten kann. Er muß die Sache und die Person des Referendars daraufhin prfen, ob fachliche Qualifikation, Unabhngigkeit und Stehvermgen gesichert erscheinen. Es ist bezeichnend, daß im Bereich der Pflichtverteidigung (Rn. 146 ff.) Referendare nur sehr selten bestellt werden, jedenfalls nicht in den erstinstanzlichen Strafkammersachen und in Oberlandesgerichts- und Bundesgerichtshofsachen. Praktisch wichtiger ist die Mglichkeit fr den Verteidiger, sich der Assistenz eines Referendars oder Assessors, auch in der Hauptverhandlung, zu bedienen. Sie ist zulssig und zur Erleichterung der Verteidigung, aber auch fr die Ausbildung des Referendars ein sehr geeignetes Mittel, besonders wenn der juristische Mitarbeiter an der Sichtung und Ordnung des Materials mitgewirkt hat. Eine bestimmte Ausbildungszeit ist hier nicht vorgeschrieben. In der Hauptverhandlung kann der Referendar neben dem verantwortlichen Verteidiger auch Fragen stellen und Erklrungen abgeben, aber wohl nur mit Zustimmung des Gerichts (entsprechend § 138 Abs. 2).

II. Unabhngigkeit des Verteidigers 1. Der Bereich der Unabhngigkeit Amelung, Der Anwalt – abhngiges Organ unabhngiger Richter?, AnwBl. 2002, 347 ff.; Dahs, Wehrhafter Rechtsstaat und freie Verteidigung – Ein Widerspruch?, AnwBl. 1977, 362; Habscheid, Die Unabhngigkeit des Rechtsanwalts, NJW 1962, 1958; Kniemeyer, Das Verhltnis des Strafverteidigers zu seinem Mandanten: Vertrauen und Unabhngigkeit, 1997; Lderssen, Wie abhngig ist der Strafverteidiger von seinem Auftraggeber, wie unabhngig kann und soll er sein?, FS Dnnebier (1982), S. 263; Prtting, Ethos anwaltlicher Berufsausbung, AnwBl. 1994, 315, 317; Quack, Sinn und Grenzen anwaltlicher Unabhngigkeit heute, NJW 1975, 1337 = AnwBl. 1975, 259; Schneider, Der freie Anwalt und die Prjudizien, MDR 1972, 745; Vehling, Die Funktion des Verteidigers im Strafverfahren, StV 1992, 86; Vogel, Sinn und Grenzen anwaltlicher Unabhngigkeit, Bulletin der BuReg. Nr. 61 vom 14. 5. 1975, S. 571.

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Ein wesentliches Element der Verteidigung ist die Unabhngigkeit des Anwalts, die Freiheit der Advokatur, die in § 1 der Berufsordnung nher beschrieben ist31. Sie hat verschiedene Bezge. Ursprnglich ist sie als Freiheit von der staatlichen Obrigkeit verstanden worden. In der Tat mußte die Loslsung des Anwaltsberufs von der Verbeamtung im 19. Jahr31 Fr den Verteidiger vgl. auch BRAK-Schriftenreihe, Bd. 8, These Nr. 1 S. 23.

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Unabhngigkeit des Verteidigers

Rn. 29

hundert erst erkmpft werden. Andere Aspekte des Unabhngigkeitsproblems traten in den Vordergrund als das Streben nach Sicherheit die Unabhngigkeit in seinen Gefahrenbereich zog und merkantiles Denken die berufsethische Fundierung des unabhngigen Anwaltsberufs zu erschttern begann. Es entspricht nicht dem praktischen Zweck dieses Buches, die anwaltliche Unabhngigkeit in all ihren Beziehungen aufzuzeigen, angefangen von der freien Zulassung, der Freizgigkeit, ber die Freiheit von politischen Bindungen und die Freiheit der politischen Bettigung bis zur Freiheit des Berufsstandes in mglichst weitreichender Selbstverwaltung. Jeder Verteidiger sollte aber doch mit den Grundelementen und Grenzfragen seiner Unabhngigkeit und seiner Bindungen vertraut sein. Im Vordergrund steht die Unabhngigkeit vom Staat (§ 2 Abs. 1 BRAO). Sie ist ein unabdingbarer Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Rechtsordnung. Die Gewißheit, den Beruf frei von staatlicher Einflußnahme und insbesondere politisch motivierten Sanktionen ausben zu knnen, setzt den Verteidiger in den Stand, an der Staatsttigkeit ohne Scheu Kritik ben zu knnen. Das aber ist gerade die Aufgabe des Verteidigers im Strafverfahren, das so gravierend in die Freiheitssphre des Beschuldigten eingreift. Er hat sich hier seine volle Handlungsfreiheit zu erhalten und darf keinem staatlichen Druck und keiner politischen Beeinflussung nachgeben. Im parlamentarischen Kampf um die sogenannte politische Klausel hat die Anwaltschaft auch die gesetzliche Anerkennung ihrer absoluten Freiheit vom Staat in der Bestimmung des § 7 Nr. 6 BRAO durchgesetzt. Hiernach verwirkt der Anwalt seine Zulassung nur dann, wenn er „die demokratische Grundordnung in strafbarer Weise bekmpft“. Außerdem lautet sein Eid, „die verfassungsmßige Ordnung zu wahren“ (§ 26 BRAO). Mit weiteren Einschrnkungen von seiten des Staates ist seine Ttigkeit nicht belastet.

28

Die Zeit des Nationalsozialismus oder der DDR lehrt, mit welchen Methoden eines polizeistaatlichen Regimes versucht wurde (leider nicht ohne Erfolg), die unabhngige Strafverteidigung zu sabotieren. Rechtswidrige Gesetze und Anordnungen, hufig durch Tuschung, Drohung und Zwang, wurden gegen Beschuldigte und Verteidiger eingesetzt. Die Unabhngigkeit der Verteidiger war ebenso wie die der Richter und Staatsanwlte in grßter Bedrngnis. Diese unheilvolle Reminiszenz an berholte Epochen ist heute eine Warnung an den Verteidiger, jedem etwa denkbaren Versuch einer Beeintrchtigung seiner politischen Unabhngigkeit schon in den Anfngen zu wehren. Die Bindung an Gesetzes- und Berufsrecht wird dadurch aber nicht eingeschrnkt (Rn. 35 ff.). Die Unabhngigkeit vom Gericht ergibt sich aus dem Wesen der Strafverteidigung. Als selbstndiges Organ der Rechtspflege ist der Verteidiger 23

29

Rn. 30

Die allgemeine Stellung des Verteidigers

dem Gericht nicht untergeordnet, sondern ist in voller Gleichberechtigung ttig. Die unmittelbare Folge davon ist, daß der Verteidiger weder der Ordnungsstrafgewalt des Gerichts noch sonstigen Zwangsmaßnahmen gemß § 177 GVG, sondern allein den sitzungspolizeilichen Maßnahmen nach § 176 GVG unterliegt (Rn. 194). Unrhmliche Bedeutung hat diese Rechtslage dadurch erlangt, daß das Amtsgericht Hagen im Jahre 2003 erstmalig in der deutschen Justizgeschichte Ordnungshaft gegen einen Strafverteidiger verhngt hat32. Nur unter ganz besonderen Voraussetzungen darf der Verteidiger von der Fhrung der Verteidigung ausgeschlossen werden (§§ 138a ff. – Rn. 37). Dem Vorsitzenden steht keine Befugnis zu, einem Verteidiger wegen seiner Antrge oder seiner sonstigen Prozeßhandlungen eine Rge zu erteilen33 oder sein Verhalten als berufsrechtswidrig zu beurteilen. Dem Gericht obliegt nicht die berwachung des Verteidigers, ob dieser ordnungsmßig verteidigt. Ordnungswidrige Fhrung der Verteidigung ist auch kein Revisionsgrund. Die Frsorgepflicht des Gerichts fhrt zur Ablsung des Verteidigers nur ganz ausnahmsweise, etwa bei Krankheit, Altersstrung, oder durch Sucht- oder Rauschmittel bedingter Unfhigkeit, die Verteidigung zu fhren. Das Gericht hat auch den Verteidiger nicht zu kritisieren, insbesondere nicht ein berufsrechtliches Fehlverhalten festzustellen34. Geschieht dies doch, sollte der Verteidiger in aller Festigkeit klarstellen, daß die Verhandlung zwar der Vorsitzende fhrt, die Verteidigung ihm aber allein zu eigener Verantwortung zustehe (Rn. 194). Damit soll nicht in Zweifel gezogen werden, daß es in der Praxis Flle gravierender Unttigkeit und/oder Unwilligkeit gibt, z. B. wenn sich das Pldoyer auf die Worte beschrnkt: „Herrn X (dem Mandant) wird noch manches ins Stammbuch geschrieben werden mssen. Ich stelle keinen Antrag“! Solche Mißgriffe drfen indes an dem Rechtsinstitut der Unabhngigkeit nichts ndern. 30

Die Unabhngigkeit vom Mandanten ist eine praktisch besonders wichtige und hufig auf die Probe gestellte Anforderung. Fr den Anwalt, der vor den staatlichen Gerichten als Reprsentant der freien Anwaltschaft als der dritten Sule der Rechtspflege auftreten will, muß unter allen Umstnden die ußere und innere Freiheit vom Auftraggeber gewhrleistet sein. Er darf deshalb keine Bindungen eingehen, die seine berufliche Unabhngigkeit gefhrden knnten. Er kann jedes Mandat ohne Begrndung ablehnen, wenn es ihm nicht paßt. 32 Die Vollziehung wurde allerdings bereits nach drei Stunden durch das OLG ausgesetzt und die Ordnungshaft spter fr unzulssig erklrt. Vgl. OLG Hamm, StraFo 2003, 244 sowie Nobis, StraFo 2003, 257. 33 BGH, JR 1980, 218 m. Anm. v. Meyer. 34 BGH 4 StR 143/67 – unv.

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Unabhngigkeit des Verteidigers

Rn. 31

Vor allem der Strafverteidiger muß jederzeit die freie Entschließung behalten, wem und wie er seine Berufsttigkeit gewhren will (Rn. 153). Sein Berufsauftrag in der Rechtspflege verbietet es ihm, die Verteidigung anders zu fhren, als es dem sachlich begrndeten Schutzinteresse seines Auftraggebers entspricht. Der Aufgabe, dem Recht zu dienen, gebhrt der unbedingte Vorrang vor sachfremden, politischen, ideologischen oder sonstigen Interessen des Mandanten, die dieser im Strafverfahren – sei es im Zusammenhang mit seiner Verteidigung, sei es gar anstelle einer sachgerechten Verteidigung – vielleicht verfolgen will. Weisungen des Auftraggebers knnen den Verteidiger weder in seiner Rechtsberzeugung binden noch ihn von der Verantwortlichkeit fr sein Handeln freistellen. Jedes ihm angesonnene Verhalten, das seine Berufspflichten verletzen wrde, muß er unterlassen. Der Anwalt muß auch jede Blße oder Unkorrektheit (etwa steuerlicher Art) vermeiden, die ihn durch eine Mitwisserschaft des Mandanten in dessen Abhngigkeit bringen kann (Rn. 1218). Er knnte sich dann nicht mehr nach dem richten, was er als Recht zu vertreten hat, sondern mßte sich nach dem einstellen, was der Klient von ihm verlangt. So knnen auch das gebotene Maß bersteigende Honorare oder Geschenke, mglicherweise auch Darlehen, ebenso gesellschaftliche Vorteile eine Abhngigkeit begrnden. Der Anwalt, der dieserhalb den Klienten nicht verlieren mchte, gert leicht in die Gefahr, sich zu einem Vorgehen verleiten zu lassen, das er sonst nicht fr richtig halten wrde. Stets sollte er darauf achten, auch jeden falschen Anschein zu vermeiden (Rn. 90). Schließlich kann ebenfalls ein allzu vertrauter persnlicher Verkehr seine Unabhngigkeit gefhrden (Rn. 156). Ein heikles Kapitel ist die Unabhngigkeit des Verteidigers vom „Kostentrger“, wenn es sich dabei um außerhalb des Mandats stehende Dritte handelt. Zu denken ist an Verwandte und Bekannte des Klienten, an Unternehmen oder Organisationen, die aus der Frsorgepflicht des Arbeitgebers heraus die Kosten tragen, an Rechtsschutzversicherungen und nicht zuletzt an Medien, denen der Mandant seine Lebens- und Prozeßgeschichte (exklusiv) verkauft hat. Nur ausnahmsweise werden diese „Nothelfer“ vllig selbstlos und neutral handeln; oft haben sie recht handfeste eigene Interessen, in die sie den Klienten und seinen Verteidiger mit Hilfe ihrer Finanzkraft einzubinden versuchen. So wird z. B. einem Betriebsleiter nahegebracht, die „oberen Etagen“ des Unternehmens oder beteiligte Behrden (z. B. Umwelt-, Bestechungs- oder Kartellstrafsachen) „aus der Sache herauszuhalten“. Medien sind an spektakulrer, vor allem „streitiger“ Prozeßfhrung („Konfliktverteidigung“) interessiert und wnschen entsprechende „Zusammenarbeit“ (vulgo: Prozeßrabatz auf Bestellung). 25

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Rn. 32

Die allgemeine Stellung des Verteidigers

Andere Kostentrger verlangen einen kurzen Prozeß mit mglichst geringem Kostenaufwand (z. B. fr Gutachten). Dies und manches andere wird in erkennbarem Zusammenhang mit Honorarzusage oder Honorarhhe diskret oder direkt an den Verteidiger herangetragen – zuweilen sogar ohne Wissen des Mandanten. Nur selten werden sich solche Wnsche mit dem individuellen Prozeßziel des Betroffenen ohne weiteres decken; manchmal knnen sie im Wege des Kompromisses in bereinstimmung gebracht werden. Immerhin kann der fachlich beratene Klient seine Verteidigungslinie selbst definieren und z. B. darauf verzichten, sich auf Kosten Dritter zu entlasten. Wo dies nicht mglich ist, muß der Verteidiger der Versuchung widerstehen, die von ihm erkannten wohlverstandenen Interessen seines Klienten auch nur ein wenig zurckzustellen, um das lukrative Mandat nicht zu gefhrden. Geschieht dies dennoch, so wird der Mandant (auch wenn er es nicht merkt), im eigentlichen Sinne „verraten“. Es kommt auch vor, daß der Beschuldigte seine Prozeß-„story“ an Medien verkauft hat mit der Auflage, daß sein aus dem Erls honorierter Verteidiger in der Gestaltung der Verteidigung mit dem Geldgeber „zusammenarbeitet“ und dessen Interessen an „farbigen“ Verfahrenseffekten – vor allem whrend der Hauptverhandlung – untersttzt. Es sollte nicht zweifelhaft sein, daß so motivierte „knallige“ Zusammenstße mit Staatsanwaltschaft, Gericht oder Zeugen eine Perversion freier, sachbezogener Verteidigung und nachdrcklich zu verurteilen sind. Ein Verteidiger, der sich auf ein solches Spiel einlßt, begibt sich in die Rolle einer Marionette, die seines Berufes unwrdig ist. 32

Die Unabhngigkeit des Verteidigers besteht auch gegenber dem Kammervorstand. Der Verteidiger untersteht zwar als Rechtsanwalt seiner Berufsorganisation. Er ist ipso jure Mitglied seiner Kammer, deren Vorstand die Berufsaufsicht ausbt. Diese berechtigt aber den Kammervorstand nicht, dem einzelnen Anwalt Anweisungen fr sein berufliches Verhalten zu geben. Insbesondere das freie Wort des Anwalts unterliegt keiner Kontrolle seiner Standesvertretung, Entgleisungen nach Form und Inhalt ausgenommen. Der Verteidiger hat scharf darauf zu achten, daß ihm das Recht zur Kritik nicht beschnitten und die rckhaltlose Interessenvertretung nicht gefhrdet wird. Das gilt insbesondere auch, wenn er bei einzelnen Prozeßbeteiligten Mißfallen erregt hat und nun der Kammervorstand ber entsprechende Beschwerden befinden wird. Hier hat sich der Anwalt kraftvoll zu behaupten, allerdings in den begrenzenden Bindungen seiner Berufsorganisation.

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Allerdings sollte er auch nicht vergessen, daß die Kammer in schwierigen Berufssituationen als kompetente Beratungsstelle zur Verfgung steht, 26

Unabhngigkeit des Verteidigers

Rn. 35

auch in Honorarfragen (z. B. Rn. 1184 ff.). Ihr Votum ist fr den Verteidiger eine sichere und beruhigende Handlungsbasis. In dieser Funktion kann man die Rechtsanwaltskammer durchaus als Garantin anwaltlicher Unabhngigkeit verstehen. Sonstige Unabhngigkeit ist auch bezglich aller rechtsfremden Einflsse anderer Art geboten. Es wird oft von außen versucht, den Verteidiger fr oder gegen einen Beteiligten einzunehmen. Sympathien und Antipathien, aber auch hintergrndige Absichten sind die Triebkrfte. Der Verteidiger muß diese Einflsse ausschalten. Andernfalls verletzt er seine Treuepflicht (Rn. 79) und verrt seinen Mandanten. Er darf auch nicht knochenweich werden, wenn er einen anderen angreifen und bloßstellen muß, mag er sich damit auch Feinde zuziehen und Nachteilen ausgesetzt werden.

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2. Die Bindung an das Berufsrecht Busse, Anwaltsethik unter der Geltung des neuen Berufsrechts, AnwBl. 1998, 231; Dahs, Ethische Aspekte im Strafverfahren? – Ein Denkanstoß, JR 2004, 96; Eylmann, Unsachlichkeit als Charakterfehler ahnden?, AnwBl. 1999, 338; Hassemer, Beck'sches Formularbuch, 4. Aufl., 2002, S. 4; Kleine-Cosack, Neuordnung des anwaltlichen Berufsrechts, NJW 1994, 2249; Loewer, Neuordnung des anwaltlichen Berufsrechts, BRAK-Mitt. 1994, 186; Odersky, Anwaltliches Berufsrecht und hchstrichterliche Rechtsprechung, AnwBl. 1991, 238; Prtting, Die rechtlichen Grundlagen anwaltlicher Berufspflichten und das System der Reaktionen bei anwaltlichem Fehlverhalten, AnwBl. 1999, 361; Schardey, Die neue Bundesrechtsanwaltsordnung, AnwBl. 1994, 369.

Die Unabhngigkeit ist dem Anwalt ebensowenig wie dem Richter um seiner selbst willen gegeben, sondern damit er als freier Mann fhig und berufen ist, den Dienst am Recht und den Kampf ums Recht zu bestehen. Freiheit ohne Bindung ist aber nicht denkbar. Ihrer Sicherung dient vorwiegend das Berufsrecht. Das frhere anwaltliche Standesrecht ist durch die Novelle zur BRAO aus dem Jahre 1994 obsolet geworden, nachdem es zuvor durch das Bundesverfassungsgericht35 fr verfassungswidrig erklrt worden ist. Grundlage der Berufsausbung des Rechtsanwalts und des Strafverteidigers sind nunmehr vorrangig die allgemeinen Gesetze (insbesondere §§ 185 ff., 201, 203, 258, 352, 356d, 356 StGB), die §§ 53 ff., 53, 56, 76 BRAO, womit die Berufspflichten des Rechtsanwalts als Strafverteidiger nunmehr auf ausschließlich gesetzlicher Grundlage geregelt sind36. Ob indes die grundle35 BVerfGE 76, 171. 36 Prtting, AnwBl. 1999, 361, 362; in der BORA sind keine speziell den Strafverteidiger betreffenden Normen mehr enthalten.

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35

Rn. 36

Die allgemeine Stellung des Verteidigers

gende Berufspflicht des § 43a Abs. 3 BRAO – das Sachlichkeitsgebot – die Grenzen zulssiger Verteidigung hinreichend deutlich umreißt, wird bezweifelt37. Damit ist die Gefahr nicht auszuschließen, daß quasi „durch die Hintertr“ Aspekte des frheren Standesrechts mit Rcksicht auf die Einheitlichkeit der Pflichtverletzung38 Eingang in die Bewertung finden knnten39. 36

Den Verteidiger, der sich an die Grundpflichten hlt, hat niemand zu schelten. Es muß aber jeder fr sich entscheiden, ob er es bei diesem rechtlichen Minimalstandard belßt oder seine Berufsausbung an einem zuweilen anspruchsvolleren Ethos der Strafverteidigung ausrichtet. Das Handbuch ist nicht der Ort, das Konzept einer solchen „Ethik der Strafverteidigung“ zu entwerfen40; deshalb sollen nur einige Aspekte und Beispiele aus der Praxis verdeutlichen, was u. a. gemeint ist: Konfliktverteidigung „im Grenzbereich des Zulssigen“ sollte nicht das Prinzip des Verteidigerlebens sein; die Erfahrung lehrt, daß sie nur in seltenen Ausnahmefllen ntig ist. hnliches gilt fr einen Verteidigungsstil, der primr darauf abzielt, dem Gericht prozessuale „Fallen zu stellen“ (z. B. durch in umfangreiche Schriftstze kryptisch eingebaute Beweisbegehren, provokative Ablehnungsgesuche u. .)41. In diesen Bereich gehrt auch der Gebrauch einer im Grenzbereich von Wahrheit und Unwahrheit schillernden Sprache. Den Interessen des Mandanten schadet es i. d. R. auch nicht, einem Staatsanwalt, der sich „vergaloppiert“ hat, Gelegenheit zu geben, das Gesicht zu wahren – statt ihn in der Verhandlung verbal „niederzumachen“. berhaupt sollte der Umgang mit den Justizorganen von Respekt und Verstndnis fr die „jeweils unterschiedliche Aufgabe“ getragen sein – und nicht a priori von Aggression. Auch das persnliche Abqualifizieren von Zeugen ist i. d. R. ebenso unpassend wie das bewußt auf den Lstigkeitseffekt abzielende „Belmmern“ des Tatopfers, den Strafantrag zurckzunehmen oder der Rcknahmekauf zu weit bersetztem („Entschdigungs-“)Preis42. Entsprechendes gilt fr aggressives Hinwirken auf die Ausbung von Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechten. Allgemein passen Kniffe und Winkelzge nicht zum Bild des serisen Strafverteidigers. Damit ist die Ausnutzung fachlicher berlegenheit

37 Henssler/Prtting/Eylmann, BRAO, § 43a Rn. 82: „nicht justitiable Leerformel“. 38 St. Rspr., vgl. nur BGHSt. 16, 240. 39 Nach Jhmke, FS Pfeiffer, S. 941, 954 geht es um „die Minderung der Anwaltsehre schlechthin“. 40 Dahs, JR 2004, 96. 41 Vgl. dazu u. a. BVerfGE 34, 293, 306; Dahs, FS Odersky (1996), S. 317 ff. 42 BRAK-Schriftenreihe Bd. 8, Thesen S. 55 f.

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Unabhngigkeit des Verteidigers

Rn. 37

nicht ausgeschlossen, aber professionelle Strafverteidigung bedeutet nicht Kampf mit allen Mitteln gegen ein Feindbild Strafjustiz43! Eine professionelle und erfolgreiche Verteidigung wird aber nicht nur durch die rechtliche Zulssigkeit des Verteidigerhandelns und seiner ethischen Ausrichtung bestimmt, sondern auch durch informelle Programme44. Diese Programme bzw. Strategien erschließen sich dem (jungen) Strafverteidiger durch Ratschlge, Beobachtungen und Vorbilder; nicht zuletzt insoweit mchte das Handbuch eine Hilfe sein. 3. Ausschließung und berwachung des Verteidigers Burhoff, Der Ausschluß des Verteidigers im Strafverfahren, ZAP Fach 22 (2002), 361; Dahs, Ausschließung und berwachung des Strafverteidigers – Bilanz und Vorschau, NJW 1975, 1385; Frye, Die Ausschließung des Verteidigers, wistra 2005, 86; Gohl, Hat sich die Einfhrung des berwachungs- und Leserichters (§§ 148 Abs. 2, 148a StPO) bewhrt?, FS Rebmann (1989), S. 199; Neufeld, Die besonderen berwachungsmaßnahmen nach § 148 Abs. 2, NStZ 1984, 154; Remagen-Kemmerling, Der Ausschluß des Strafverteidigers in Theorie und Praxis; 1992; Rieß, Der Ausschluß des Verteidigers in der Rechtswirklichkeit, NStZ 1981, 328; (zum Rechtszustand vor 1980 vgl. das in der 5. Aufl. angefhrte Schrifttum).

Die Ausschließung des Verteidigers von der Verteidigung in einem oder mehreren Strafverfahren ist in der Vergangenheit ein „heißes“ Thema gewesen45. Nach §§ 138a ff. ist die Ausschließung zulssig, wenn gegen den Verteidiger (auch den Unterbevollmchtigten) der dringende oder hinreichende Verdacht (§ 203) der Tatbeteiligung (§ 138a Abs. 1 Nr. 1) oder der Begnstigung, Strafvereitelung, Hehlerei (§ 138a Abs. 1 Nr. 3), des Mißbrauches des freien Verkehrs mit dem inhaftierten Mandanten zur Begehung von Straftaten, der erheblichen Gefhrdung der Sicherheit der Bundesrepublik (§ 138a Abs. 1 Nr. 2, § 138b) besteht. In Verfahren wegen terroristischer Delikte (§ 129a, auch i. V. m. § 129b StGB) reicht es schon aus, daß „bestimmte Tatsachen“ einen Verdacht i. S. § 138a Abs. 1 Nr. 1 u. 2 begrnden. Der Verdacht eines zwar (sogar grob) berufswidrigen, nicht aber strafrechtlich relevanten Verhaltens kann die Ausschließung nicht rechtfertigen46, sogar bei Begehung von strafbaren Verfehlungen wie Beleidigung, Bedrohung des Gerichts o. . darf der Verteidiger nicht ausgeschlossen werden47. Die Vorschriften sind vom Bundesverfassungsge43 Dahs, NJW 1994, 909; Dahs, JR 2004, 96. 44 Hassemer, StV 1982, 377 ff.; Krekeler, NStZ 1989, 146, 153: ungeschriebene Regeln der anwaltlichen Klugheit. 45 Vgl. nur BVerfGE 34, 293, 306; Dahs, NJW 1975, 1385. 46 BGH, AnwBl. 1981, 115. 47 Meyer-Goßner, § 138a Rn. 1.

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Rn. 38

Die allgemeine Stellung des Verteidigers

richt als verfassungsmßig anerkannt48, sie sind aber kein „jederzeit nutzbares Zuchtmittel“49 gegen unbequeme und hartnckige Verteidiger. Fr Staatsanwaltschaften und Gerichte ist vielmehr grßte Zurckhaltung bei der Einleitung von Ausschließungsverfahren geboten. Dessen ist sich die Strafjustiz wohl auch bewußt, denn Ausschlsse von Verteidigern sind in der Vergangenheit vereinzelt geblieben50 und heute eine Seltenheit. 38

Die Entscheidungszustndigkeit des Oberlandesgerichts (§ 138c I 1), das Beschwerderecht (§ 138d VI 1), die Beteiligung der Rechtsanwaltskammer am Verfahren (§ 138c II 3, 4), Beweisaufnahme (Freibeweis)51 in mndlicher Verhandlung52 (§ 138d I, IV), gewhren dem Betroffenen bzw. dem „den Verteidiger verteidigenden Verteidiger“ ausreichende Mglichkeiten, bei der Klrung der zu beurteilenden Vorgnge und ihrer rechtlichen Wrdigung auf die Entscheidung Einfluß zu nehmen. Zugute kommt dem betroffenen Verteidiger auch, daß die Gerichte strenge Anforderungen an Ausschließungsantrge stellen53. Eine Kontaktaufnahme mit dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer vor der mndlichen Verhandlung wird vielfach zweckmßig sein. Gerade in problematischen berufsrechtlichen Fragen drfte sein Votum die richterliche Entscheidung maßgeblich beeinflussen. Darauf sollte sich der betroffene Verteidiger rechtzeitig einstellen knnen.

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Ob auf den Pflichtverteidiger ebenfalls das Verfahren nach § 138a ff. Anwendung findet oder seine Bestellung durch den Vorsitzenden widerrufen wird, war frher umstritten. Nach heute wohl berwiegender Ansicht ist er nicht anders als der Wahlverteidiger zu behandeln54. Die Gleichstellung

48 BVerfGE 39, 238, 245 = NJW 1975, 2341. 49 Deutlich und immer noch richtig OLG Kln, NJW 1975, 459 (pers. Bem. des Vors.). 50 Vgl. nur die Zusammenstellung bei Rieß, NStZ 1981, 328: 1975 bis 1980 insges. 17; in den letzten 15 Jahren (Bezugspunkt 2004) kein Ausschluß in Terrorismusverfahren, laut Diskussionsentwurf fr eine Reform des Strafverfahrens (Fraktion der SPD und Bndnis 90/Die Grnen und BMJ), S. 29; ferner die restriktiven Entscheidungen des OLG Hamm, NStZ-RR 1999, 50; OLG Dsseldorf, StV 1999, 531; OLG Kln, StraFo 1999, 233. 51 BGHSt. 28, 116. 52 Dazu OLG Stuttgart, NJW 1975, 1669; BVerfG, NJW 1975, 2341. 53 OLG Dsseldorf, StV 1999, 531 (der hinreichende Tatverdacht muß sich schlssig allein aus der Begrndung der Vorlage ergeben); OLG Kln, StraFo 1999, 233 ff. („Erforderlich ist eine in sich geschlossene, auch die Beweismittel angebende Darstellung der Tatsachen [...]; dabei darf auf andere Schriftstcke nicht lediglich Bezug genommen werden.“); vgl. auch OLG Hamm, NStZ-RR 1999, 50. 54 BGH, NStZ 1997, 46 m. Anm. Weigend; OLG Dsseldorf, NStZ 1988, 519 m. N.; eingehend Meyer-Goßner, § 138a Rn. 3.

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Der Verteidiger im Widerstreit seiner Berufspflichten

Rn. 41

ist geboten, weil prozessuale Funktion und Berufsauftrag gleich sind; außerdem sollte auch der Anschein vermieden werden, daß der von Amts wegen bestellte Verteidiger einer indirekten Disziplinierung durch den Vorsitzenden unterworfen und dadurch in seinen Verteidigungs-Aktivitten eingeschrnkt sein knnte. Freilich soll bei Mißbrauch prozessualer Rechte auch die Entpflichtung des Verteidigers mglich sein55. Der Verteidiger wird allerdings immer im Auge behalten mssen, ob der Sachverhalt ihm nicht im eigenen und im Interesse des Mandanten die freiwillige Niederlegung der Verteidigung nherlegt als die Durchfhrung eines Ausschlußverfahrens. Denn fr die richtige Entschließung bleibt er in jedem Fall seiner Aufsichtsinstanz verantwortlich. Die Entscheidung kann ihm besonders in der Hauptverhandlung sehr pltzlich abverlangt werden. Der Verteidiger sollte deshalb mit den Einzelheiten des Problems vertraut sein, aber auch in jedem Falle sich die erforderliche Zeit zur berlegung – gegebenenfalls durch Unterbrechung der Hauptverhandlung – sichern.

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Die berwachung des schriftlichen Verkehrs zwischen Verteidiger und Klient (§§ 148, 148a) und die Trennscheibe beim mndlichen Gesprch (§ 148 Abs. 2) in Verfahren wegen terroristischer Straftaten (§ 129a, evtl. i. V. m. § 129b StGB) mußten als gesetzgeberische Einschrnkungen der Verteidigung leider hingenommen werden56. Eine analoge Anwendung der Bestimmungen auf hnliche Fallgestaltungen ist aber unzulssig57.

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III. Der Verteidiger im Widerstreit seiner Berufspflichten Alsberg, Die Philosophie der Verteidigung, 1930; Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren, 1980; Gatzweiler, Mglichkeiten und Risiken einer effizienten Strafverteidigung, StV 1985, 248; Hartung/Holl, Anwaltliche Berufsordnung, 1997; Krekeler, Strafrechtliche Grenzen der Verteidigung, NStZ 1989, 146; Seibert, Konfliktslagen fr Anwalt und Verteidiger, JR 1951, 678. Vgl. auch die Rspr.-bersichten zum Recht der Strafverteidigung von Mller, Egon/Schmidt, Jens in NStZ-RR, zuletzt 2005, 129; 2004, 97.

55 OLG Hamburg, NStZ 1998, 586 m. Anm. Kudlich. 56 Vgl. dazu BGH, NStZ 1981, 236; zur Rechtsgltigkeit von § 148 Abs. 2 S. 3 (Trennscheibe) KG, GA 1979, 340; OLG Hamm, NJW 1980, 1404. 57 BGHSt. 30, 38, 41.

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Rn. 42

Die allgemeine Stellung des Verteidigers

1. Der Teufelskreis 42

Stellung und Aufgabe des Verteidigers bringen ihm tglich Konflikte. Sie erwachsen zwangslufig aus der Antinomie der Rechte und Pflichten seines Berufs. Es widersprechen oder berschneiden sich die Verpflichtung gegenber der Allgemeinheit mit seiner Schutzaufgabe als Verteidiger, seine strafprozessualen Mglichkeiten mit den berufsrechtlichen Bindungen, das Interesse des Mandanten mit seinem beruflichen Imperativ, seine Unabhngigkeit mit der vertraglichen Mandatsbindung, seine Wahrheitspflicht mit der Verschwiegenheitspflicht, seine Pflicht zur Unerschrokkenheit mit dem Gebot des Maßhaltens. Die Flle dieser widerstreitenden oder auch korrespondierenden Aspekte und deren Unterordnung unter das vorrangige Postulat der Treuepflicht gegenber dem Mandanten58 macht die Vielseitigkeit der Konfliktstoffe aus. Im Rahmen des Handbuchs ist eine auch nur annhernd vollstndige Behandlung der weitschichtigen Materie nicht mglich. Die nachfolgende Darstellung geht von praktischen Bedrfnissen des Verteidigers aus, indem sie die hauptschlichen Konfliktsflle herausstellt und durch Beispiele lebendig zu machen sucht. 2. Wahrheitspflicht Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren, 1980, S. 149 f.; Friedlaender, Wahrheitspflicht des Rechtsanwalts, JW 1921, 406; Ostendorf, Strafvereitelung durch Strafverteidigung, NJW 1978, 1345; Prtting, Ethos anwaltlicher Berufsausbung, AnwBl. 1994, 315, 319.

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Sie ist eine der tragenden Grundlagen jeder anwaltlichen Ttigkeit59. Wenn auf das Wort eines Rechtsanwalts kein Verlaß mehr ist, leidet die Rechtspflege schweren Schaden. Der Rechtsanwalt unterliegt auch als Verteidiger der Pflicht zur Wahrheit und dem Verbot der Lge. Die Anwaltsgerichte ahnden Verstße mit Recht in unnachsichtiger Strenge. Unwahrhaftigkeiten sind des Verteidigers unwrdig. Die Wahrheitspflicht besteht in erster Linie gegenber dem Mandanten. Sie ist die Grundlage seines Vertrauens sowie Element der anwaltlichen Schutz- und Beistandsaufgabe (Rn. 3 ff.). Der Verteidiger bßt Ansehen und Autoritt ein, wenn er zur Lge seine Zuflucht nimmt. Er untergrbt damit seine Fhigkeit, den Verteidigungsauftrag seris zu erfllen. Auch eine nur fahrlssige Unwahrheit hat er zu vermeiden. Er darf auch nicht der Wahrheit durch bertreiben und Aufschneiden spotten, um sich damit in Szene zu

58 RGSt. 70, 393. 59 BRAK-Schriftenreihe, Bd. 8, Thesen Nr. 19–21, 47 ff.

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Der Verteidiger im Widerstreit seiner Berufspflichten

Rn. 43

setzen und Mandate zu akquirieren, indem er sich im Vergleich zu Anwalts-Kollegen herausstellt („Den Staatsanwalt kenne ich so gut, daß ein einziger Anruf von mir gengen wird ...“). Die Wahrheitspflicht bindet den Verteidiger aber nicht nur gegenber dem Mandanten, sondern gegenber jedermann. Sie erfhrt ihre Bewhrung im Verhltnis des Verteidigers zur Justiz. Seine Zuordnung zur Rechtspflege schließt hier jede Unwahrhaftigkeit absolut aus. Wenn er diesen Grundsatz nicht eisern respektiert, gert er in den Bereich der Strafvereitelung (Rn. 51 ff.). Er ist dann auch nicht aus seiner Schutzaufgabe heraus gerechtfertigt oder entschuldigt. Sie berechtigt und verpflichtet ihn zwar zu kompromißloser Verteidigung, aber nicht mit den Mitteln der Unwahrheit. Das ist auch dann grds. nicht anders, wenn der Verteidiger nur auf diese Weise ein materiell falsches Urteil verhindern knnte – abgesehen davon, daß ein solcher Fall praktisch kaum vorstellbar ist –. Der Zweck heiligt auch hier das Mittel nicht. Nur ganz ausnahmsweise kann die Verletzung der Wahrheitspflicht nach allgemeinen Grundstzen durch einen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund straflos sein60. Der Verteidiger gert aber nicht in die Gefahr der Strafbarkeit, wenn er die Richtigkeit vom Mandanten vorgebrachter Tatsachenbehauptungen zwar fr zweifelhaft, aber nicht fr ausgeschlossen hlt. Im Gegenteil verpflichtet ihn sein Mandat, sie dem Gericht vorzutragen, ggfs. auch entsprechende Beweisantrge zu stellen (Rn. 647), selbst wenn er ihre Unrichtigkeit fr wahrscheinlich hlt61. Grenze ist das Handeln wider besseres Wissen62. So klar und eindeutig das Gebot der Wahrheit und das Verbot der Lge zu sein scheinen, so schwer kann es in der Praxis fr den Verteidiger sein, damit nicht in Konflikt zu kommen. Das ist besonders dort gefhrlich, wo die Wahrheitspflicht mit anderen Berufspflichten, besonders mit der Verschwiegenheitspflicht (Rn. 48), kollidiert. Zum Fall der „unwahren Verfahrensrge“ vgl. Rn. 917 ff. Auch in einer ihn selbst betreffenden Strafsache ist der Verteidiger als Rechtsanwalt dem Verbot der Lge unterworfen (Rn. 1168). 3. Verschwiegenheitspflicht Ackermann, Zur Verschwiegenheitspflicht des Rechtsanwalts in Strafsachen, FS zum hundertjhrigen Bestehen des Deutschen Juristentages, 1960, Bd. I, S. 479 ff.; 60 BRAK-Schriftenreihe, Bd. 8, Thesen Nr. 19–21, 47 ff. 61 BGH, NStZ 1993, 79 = StV 1993, 93 m. Anm. Scheffler; Egon Mller, NStZ 1997, 222. 62 OLG Dsseldorf, StraFo 1997, 333.

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Die allgemeine Stellung des Verteidigers

Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren, 1980, S. 119 ff.; Botthe, Wahrheitspflicht des Verteidigers, ZStW 96 (1984), 726; v. Galen, Der Verteidiger – Garant eines rechtsstaatlichen Verfahrens oder Mittel zur Inquisition?, StV 2000, 575; Habscheid, Zur Schweigepflicht des Anwalts nach dem Tode seines Mandanten, AnwBl. 1964, 302; Haas, Die Grenzen des anwaltlichen Zeugnisverweigerungsrechts gem. § 53 Abs. 1 Nr. 3, NJW 1972, 1081; Hartung/Holl, Anwaltliche Berufsordnung, 1997; Henssler, Das anwaltliche Berufsgeheimnis, NJW 1994, 1817; Kalsbach, ber die Schweigepflicht und das Offenbarungsrecht des Rechtsanwalts, AnwBl. 1955, 41; Kleine-Cosack, Neuordnung des anwaltlichen Berufsrechts, NJW 1994, 2249, 2251; Kohlhaas, Strafrechtliche Schweigepflicht und prozessuales Schweigerecht, GA 1958, 65; Kmmelmann, Die anwaltliche Schweigepflicht nach dem Tode des Mandanten, AnwBl. 1984, 535; Lenckner, Aussagepflicht, Schweigepflicht und Zeugnisverweigerungsrecht, NJW 1965, 321; Lurinski, Anwaltliche Schweigepflicht und E-Mail, BRAK-Mitt. 2004, 12; Mller, Egon, Strafverteidigung, NJW 1981, 1801, 1804; Tzschaschel, Die Information des Beschuldigten ber das psychiatrisch-psychologische Gutachten, NJW 1990, 749; Weihrauch, Verteidigung im Ermittlungsverfahren, 4. Aufl., 1995, Rn. 162; Welp, Die Geheimsphre des Verteidigers in ihren strafprozessualen Funktionen, FS Gallas (1973), S. 391 ff.

44

Die Verschwiegenheitspflicht ist ein Oberbegriff, der die in § 203 I Ziff. 3 StGB strafrechtlich sanktionierte Schweigepflicht im engeren Sinne mitumfaßt (§ 43a Abs. 2 BRAO, § 2 BORA, Ziff. 2.3. CCBE-Richtlinien). Neben der Schweigepflicht steht das Schweigerecht (§ 53 Abs. 1 Nr. 2). Mit diesen Begriffen korrespondieren Offenbarungspflicht und Offenbarungsrecht. Die allgemeine Verschwiegenheitspflicht erstreckt sich auf alles, was dem Rechtsanwalt in Ausbung seines Berufs anvertraut oder ihm bei Gelegenheit seiner Berufsausbung bekannt geworden ist. Sie gilt ber den Tod des Mandanten hinaus (§ 203 Abs. 4 StGB)63. Nur im Vertrauen auf die Verschwiegenheit des Anwalts kann sich der Beschuldigte seinem Verteidiger unbesorgt anvertrauen und dessen Rat fr die geeignete Verteidigung einholen. Grundstzlich bindet die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht den Anwalt auch noch da, wo der Mandant Publizitt wnscht, etwa weil er die „story“ seiner Straftaten an die Presse verkauft hat. Denn die Verschwiegenheitspflicht ist ein Element der beruflichen Haltung. Davon kann der Mandant nicht entbinden, weil sie unabhngig von seinem Willen und Interesse besteht.

45

Dem Mandanten ist es dagegen unbenommen, sein Wissen und seine Meinung auf den ffentlichen Markt zu tragen. Allerdings wird dies seiner Sache in der Regel mehr schaden als ntzen, was ihm der Verteidiger klar machen sollte. In Sonderfllen kann es eine sachgerechte Verteidigung 63 Kmmelmann, AnwBl. 1984, 535.

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Der Verteidiger im Widerstreit seiner Berufspflichten

Rn. 45

allerdings gebieten, die Hilfe der ffentlichkeit und der Medien in Anspruch zu nehmen, z. B. um sonst nicht erreichbare Zeugen oder andere Beweismittel aufzuspren oder auch Recherchen auszulsen, zu denen Ermittlungsbehrden – aus welchen Grnden auch immer – nicht bereit sind. Wenn die Publizitt einer Sache wirklich Schutz und Hilfe fr den Klienten bedeutet, muß der Verteidiger seine Verschwiegenheit zurckstellen, was er mit dem Mandanten zuvor sorgfltig abwgen muß. Die Verschwiegenheitspflicht verpflichtet den Verteidiger auch zur Diskretion gegenber nicht mit der Sache beauftragten Kollegen, selbst wenn diese der Schweigepflicht unterliegen. Verteidiger von Mit-Beschuldigten halten den vertraulichen Informationsaustausch hufig fr ganz selbstverstndlich („Was wird denn Ihr Mandant sagen?“). Auch bei Entbindung von der Schweigepflicht (§ 53 Abs. 2) ist gegenber solchen Gesprchswnschen Vorsicht geboten (Rn. 68). Sie knnen allzu leicht in Kollusionen hineinfhren. Verschwiegenheit des Verteidigers ist auch gegenber seinem Personal geboten, soweit dieses nicht zwangslufig durch den Geschftsgang unterrichtet ist. Im brigen bestimmt sich der Geheimnischarakter einer dem Anwalt „anvertrauten“ oder ihm in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt „bekanntgewordenen“ Tatsache entscheidend nach dem subjektiven Geheimhaltungswillen des sich dem Anwalt Anvertrauenden. Der Verteidiger kann in diesem Bereich nicht vorsichtig genug sein. So kann z. B. schon die ußerung, daß eine bestimmte Person ihn in seiner Praxis besucht hat oder daß sie sein Klient geworden ist, schwerwiegende Folgen auslsen. Sie ist deshalb unzulssig. Das Mandatsverhltnis selbst ist hier schon geschtztes Geheimnis. Nicht ganz charakterfeste Verteidiger halten diese Grenzen fter nicht ein. Sie unterliegen ihrer Publicity- und Renommiersucht, indem sie mit ihren prominenten Mandanten „angeben“ oder im Familien- oder Freundeskreis darber plaudern. Der Anwalt sollte sich besser schweigend anhren, was dort ber den interessanten Fall und seine Akteure geredet wird, statt selbst sich zum eitlen Schwtzer zu degradieren. Die Schweigepflicht gilt auch dort, wo das Geheimnis schon bekannt ist64. Denn der Anwalt als Geheimnistrger kann nicht mit Sicherheit erkennen, in welchen Einzelheiten und mit welchem Bestimmtheitsgrad das Geheimnis bereits aufgehoben ist. Die Pflicht zur Verschwiegenheit erstreckt sich nicht nur ber den rechtskrftigen Abschluß eines Prozesses, sondern sogar ber die Beendigung eines Mandatsverhltnisses hinaus.

64 RGSt. 26, 5, 8.

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Die allgemeine Stellung des Verteidigers

46

Der Schutz des Anwaltsgeheimnisses wird ergnzt durch die Schweigepflicht der in der Kanzlei ttigen Hilfspersonen und Referendare (§ 203 Abs. 3 StGB). Der Anwalt hat gerade in Strafsachen sein Personal und seine Mitarbeiter deutlich und nachhaltig auf ihre Schweigepflicht hinzuweisen und Verstße scharf zu ahnden. Zu beachten ist, daß der durch § 203 StGB bestimmten Schweigepflicht des Anwalts und seines Hilfspersonals das Zeugnisverweigerungsrecht der §§ 53, 53a entspricht (Rn. 565)65.

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Der Verteidiger muß auch wissen, daß gemß § 97 seine gesamten Handakten und sonstigen Verteidigungsunterlagen beschlagnahmefrei sind66 (Rn. 390). Ein Anwalt, der seine Handakten an Polizei, Zoll- und Steuerfahndung oder eine Kartellbehrde herausgibt, ohne daß ein Rechtfertigungsgrund vorliegt, macht sich einer Verletzung der Schweigepflicht schuldig. Auf die allgemeine Pflicht zur Herausgabe von Gegenstnden, die als Beweismittel fr die Untersuchung von Bedeutung sein knnen (§§ 94, 95), kann sich der Anwalt hier nicht berufen.

48

Inhaltlich bedeutet die Schweigepflicht des Verteidigers insbesondere das absolute Verbot, ihm bekanntgewordene ungnstige Umstnde zum Nachteil seines Mandanten preiszugeben. Der Verteidiger wrde damit die Grundlage des Vertrauensverhltnisses zum Mandanten zerstren. Er wrde verraten statt zu verteidigen. Deshalb darf er auch ein privates Gestndnis des Mandanten nicht weitergeben (Rn. 77). Auch vertrauliche ußerungen sind in diesem Bereich nicht erlaubt.

49

Nun kann hier die Schweigepflicht des Verteidigers in Widerstreit zu seiner Wahrheitspflicht geraten (Rn. 43). Das liegt im Wesen der Sache. Wenn unter „Wahrheit“ jeweils „die ganze Wahrheit“ zu verstehen ist, dann ist es dem durch seine Schweigepflicht gebundenen Verteidiger gar nicht erlaubt, „die“ Wahrheit zu sagen. Anderseits hat er die Pflicht zur „Wahrheit“. Das kann hier folgerichtig aber nichts anderes bedeuten als die Verpflichtung, nichts Unwahres zu sagen. Der Konflikt lst sich dahin auf, daß der Verteidiger „nichts als die Wahrheit“, aber nicht „die ganze Wahrheit“ zu sagen hat – oder anders ausgedrckt: Alles, was der Verteidiger sagt, muß wahr sein, aber er darf nicht alles sagen, was wahr ist. Es liegt auf der Hand, daß die Verpflichtung, alle dem Mandanten ungnstigen Umstnde zu verschweigen, den Verteidiger insbesondere dann in eine fatale Lage bringt, wenn der Mandant die Verfolgungsbehrden oder das Gericht belgt. Verteidigungsauftrag und Geheimhaltungspflicht bin-

65 Dazu ausfhrlich Lwe/Rosenberg/Dahs[25], § 53 Rn. 7 ff. 66 Lwe/Rosenberg/G. Schfer[25], § 97 Rn. 86 ff.

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Der Verteidiger im Widerstreit seiner Berufspflichten

Rn. 51

den ihm einerseits die Zunge, anderseits darf er die Lge nicht untersttzen. Gerade diese zwiespltige Situation rckt ihn bei dem unkritischen Teil des Publikums leicht ins Zwielicht. Die Schweigepflicht entfllt, wenn der Verteidiger zur Offenbarung befugt ist. Ob dies der Fall ist, hat er jeweils sorgfltig zu prfen, ehe er sich dazu entscheidet. Die Befugnis zur Offenbarung ist gegeben, wenn er von der Schweigepflicht eindeutig entbunden ist oder sie im Rahmen des Auftrages liegt (Mitteilung an den Privatgutachter, den zugezogenen Kollegen usw.) oder wenn sich ein Offenbarungsrecht aus dem Grundsatz der Rechtsgter- und Pflichtenabwgung ergibt. Auch ist das Interesse des Rechtsanwalts an seiner eigenen sachgemßen Verteidigung im Strafprozeß oder im berufsgerichtlichen Verfahren als vorrangig anerkannt67, desgleichen das Interesse an der Durchsetzung des Honoraranspruchs im Zivilprozeß gegen den sumigen Auftraggeber68. Die Offenbarung muß sich in jedem Falle auf das erforderliche Mindestmaß beschrnken.

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Die Gterabwgung ist in den verschiedenen Fllen oft recht schwierig. Wenn z. B. ein Tter dem Verteidiger seine Schuld eingestanden hat und jetzt ein anderer Verdchtiger verhaftet wird, ist der Verteidiger durch seine Verschwiegenheits- und Treuepflicht grundstzlich gehindert, sein Wissen preiszugeben. Wird aber der Unschuldige wegen Mordes etwa zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, so wird man aus der Abwgung der widerstreitenden Pflichten und Rechtsgter heraus ein Offenbarungsrecht anerkennen mssen69. Schwierig ist auch die Frage, ob der Verteidiger berechtigt ist, die erheblich eingeschrnkte oder ausgeschlossene Schuldfhigkeit des Mandanten im Prozeß zu offenbaren, wenn dieser widerspricht. hnlich ist es mit der krankheitsbedingten Verhandlungsunfhigkeit. Nach meiner Ansicht ist der Verteidiger auch in solchen Fllen nicht zur Offenbarung berechtigt, sollte aber fr sich und den Mandanten eine andere Lsung anstreben70. Schließlich soll die bertragung von Verteidigerwissen in eine andere Sache angesprochen werden: Gegen die als Ladendiebin Angeklagte tritt als einziger oder entscheidender Belastungszeuge der Warenhausdetektiv auf. Dem Verteidiger ist aus einem anderen, gleichgelagerten Verfahren bekannt, daß dieser erheblich, auch wegen Aussagedelikten u. ., vorbestraft ist, was der Zeuge auf Frage in Abrede stellt. M. E. ist der Verteidi67 68 69 70

BGHSt. 1, 366; Henssler, NJW 1994, 1817, 1822 f.; Trndle/Fischer, § 203 Rn. 46. Trndle/Fischer, § 203 Rn. 46; v. Galen, StV 2000, 575, 577 ff. So Henssler, NJW 1994, 1817, 1823 m. N.; Beulke, S. 120. BRAK-Schriftenreihe, Bd.8, S. 46; a. A. wohl Beulke, S. 120.

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Die allgemeine Stellung des Verteidigers

ger aus seiner Schutzaufgabe heraus befugt, den ihm aus der anderen Sache vorliegenden Strafregisterauszug dem Gericht mit dem Antrag auf Einfhrung in die Hauptverhandlung vorzulegen, wenn er sonst damit rechnen muß, daß die Aussage des Zeugen zur Verurteilung seiner Klientin fhren wird und das Gericht zu einer Aufklrung der Vorstrafen des Zeugen anderenfalls nicht bereit ist. Der Fall wre wohl anders zu beurteilen, wenn der Rechtsanwalt seine Kenntnis aus einer frheren Verteidigung des jetzigen Zeugen htte. Jedenfalls wird man dem gewissenhaft prfenden Verteidiger in solchen Fllen wohl mindestens einen entschuldbaren Verbotsirrtum zugute halten. Dagegen ist die abstrakte, d. h. von dem konkreten, individualisierbaren Fall gelsten bertragung von (Erfahrungs-)Wissen des Verteidigers, z. B. ber Ermittlungs- oder Erledigungsmodalitten der Staatsanwaltschaft bei bestimmten Fallgruppen oder speziellen Delikten, selbstverstndlich unbedenklich. 52

Konflikte mit der Verschwiegenheitspflicht spielen auch in den Fllen eine Rolle, in denen ein Mandant sich trotz seiner beweisbaren Unschuld verurteilen lassen will, weil er einen anderen Tter oder eine eigene andere Straftat verdecken will. Ob der Verteidiger hier sein besseres Wissen gegen den Willen des Mandanten zur Verhtung einer falschen, vielleicht schweren Verurteilung preisgeben oder etwa ein rztliches Gutachten anregen darf, berhrt außer der Frage des Offenbarungsrechtes auch noch andere grundstzliche Fragen der Verteidigung71. Ich neige dazu, der Schweigepflicht den Vorrang einzurumen, wenn die Verteidigung nicht niedergelegt werden kann72.

53

Eine Offenbarungspflicht als Ausnahme von dem Grundsatz der Schweigepflicht kann sich als Rechtspflicht aus dem Gesetz ergeben, etwa im Rahmen der §§ 138, 139 StGB. Aufgrund seiner Organstellung wurde der Verteidiger frher fr verpflichtet gehalten, erkanntermaßen falsche Zeugenaussagen aufzudecken. Bei Unterlassung machte er sich strafbar. Diese Ansicht ist aufgegeben, weil sie mit der Verschwiegenheitspflicht nicht in Einklang zu bringen ist (Rn. 214). Wird der Anwalt nach § 53 Abs. 2 von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden, ist er aufgrund der allgemeinen Zeugnispflicht zur Offenbarung seines gesamten Wissens verpflichtet. Anderseits kann die Pflicht zur wahrheitsgemßen Auskunft und zur Handaktenvorlage gegenber dem Kammervorstand oder einem

71 Egon Mller, NJW 1981, 1801, 1804. 72 Vgl. BRAK-Schriftenreihe, Bd. 8, These Nr. 12; a. A. wohl Henssler, NJW 1994, 1817, 1823.

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Der Verteidiger im Widerstreit seiner Berufspflichten

Rn. 54

beauftragten Mitglied (§ 56 BRAO) die Schweigepflicht aus § 203 StGB nicht aufheben. Der Verteidiger muß beachten, daß eine seiner Verschwiegenheitspflicht entsprechende Bindung des Mandanten nicht besteht. Dieser Unterschied kann zu betrchtlichen Unannehmlichkeiten fhren. Oft plaudern Mandanten alle mglichen Vorgnge und ußerungen aus vertraulichen Besprechungen aus. Besonders bei falscher oder verzerrter Wiedergabe kann das Ansehen des Verteidigers dadurch schwer beeintrchtigt werden. Dieser kann sich dagegen meistens nicht wirksam zur Wehr setzen, weil die eigene Schweigepflicht ihm den Mund verschließt. Das muß stets bedacht werden und zu ußerster Vorsicht Anlaß geben.

4. Verteidigung und Strafvereitelung Barton, Rechtstatsachen zur Dauer von Strafverfahren und zu deren Grnden, StV 1996, 690; Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren, 1980, S. 218; Beulke, Die Strafbarkeit des Verteidigers, 1989; Beulke, Zwickmhle des Verteidigers – Strafverteidigung und Strafvereitelung im demokratischen Rechtsstaat, FS Roxin (2001), S. 1173 ff.; Beulke, Umfang und Grenzen der erlaubten Strafverteidigerfhigkeit, Anm. JR 1994, 116; Beulke, Strafvereitelung durch Strafverteidigung, Anm. NStZ 1983, 504; Dahs, Strafverteidigung und Strafrechtspflege – eine Momentaufnahme, FS Odersky (1996), S. 317 ff.; Dessecker, Strafvereitelung und Strafverteidigung: ein lsbarer Konflikt?, GA 2005, 142; Grabemeyer, Die Grenzen rechtmßiger Strafverteidigung (1997); Hamm, Thesen zum Thema: Strafrechtliche Freirume der Strafverteidigung, NJW-Sonderheft zum 65. Geburtstag fr Gerhard Schfer am 18. 10. 2002, S. 32; Hammerstein, Verteidigung wider besseres Wissen?, NStZ 1997, 12; Hartmann, Der Strafverteidiger und sein Handeln – oftmals Strafvereitelung und Geldwsche? – Ein berblick, AnwBl. 2002, 330 ff.; Ignor, Zur Rechtsstellung und zu den Aufgaben des Strafverteidigers, FS Schlchter (1998), S. 39 ff.; Jahn, Kann „Konfliktverteidigung“ Strafvereitelung (§ 258 StGB) sein?, ZRP 1998, 103; Jerouschek/Schrder, Die Strafverteidigung: Ein Tatbestand im Meinungsstreit, GA 2000, 51 ff.; Kempf, Rechtsmißbrauch im Strafprozeß, StV 1996, 507; Krekeler, Strafrechtliche Grenzen der Verteidigung, NStZ 1989, 146; Krpil, Entstehungsgeschichte der strafprozessualen Mißbrauchsvorschriften in §§ 241 Abs. 1 und 138 a Abs. 1 Nr. 2 StPO, DRiZ 1996, 446; Kudlich, Gesetzliche Regelungsmglichkeiten gegen den strafprozessualen Mißbrauch im Kontext von Freiheit und Verantwortung, FS Schlchter (1998), S. 13 ff.; Lderssen, Strafvereitelung und Strafverteidiger, StV 1999, 537; Mller, Eckhart, Die Sokkelverteidigung, StV 2001, 649; Mller, Ingo, Die Strafvereitelung im System der Rechtspflegedelikte, StV 1981, 90; Nehm/Senge, Ursachen langer Hauptverhandlungen, NStZ 1998, 377; Otto, Strafvereitelung durch Verteidigerhandeln, Jura 1987, 329; Pellkofer, Sockelverteidigung und Strafvereitelung (1999); Pfeiffer, Zulssiges und unzulssiges Verteidigerhandeln, DRiZ 1984, 341; Ransiek, Die Information des Kunden ber strafprozessuale und steuerrechtliche Ermittlungsmaßnahmen bei Kreditinstituten, wistra 1999, 401, 402 ff.; Richter II, Sockelverteidigung. Voraussetzungen, Inhalt und Grenzen der Zusammenarbeit von Verteidigern

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Die allgemeine Stellung des Verteidigers

verschiedener Beschuldigter, NJW 1993, 2152; Scheffler, Strafvereitelung des Verteidigers, JR 2001, 294; Schnarr, Zum strafrechtlichen Freiraum legitimer Strafverteidigung, NJW-Sonderheft fr G. Schfer, 2002, 64; Seier, Die Trennlinie zwischen zulssiger Verteidigungsttigkeit und Strafvereitelung, JuS 1981, 806; Stankewitz, Grenzen zulssiger Rechtsausbung im Strafprozeß – Rechtsmißbrauch im Strafprozeß, FS Schlchter (1998), S. 25 ff.; Stumpf, Gibt es im materiellen Strafrecht ein Verteidigerprivileg?, NStZ 1997, 7; Stumpf, Die Strafbarkeit des Strafverteidigers wegen Strafvereitelung (§ 258 StGB), 1999; Stumpf, Zur Strafbarkeit des Verteidigers gemß § 258 StGB, wistra 2001, 123; Wassmann, Strafverteidigung und Strafvereitelung (1982); Weihrauch, Verteidigung im Ermittlungsverfahren, 1995, Rn. 84; Widmaier, Strafverteidigung im strafrechtlichen Risiko, FS BGH (2000), S. 1042 ff.; Wohlers, Strafverteidigung vor den Grenzen der Strafgerichtsbarkeit, StV 2001, 420.

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Der Verteidiger befindet sich stndig in der Nhe strafbarer Strafvereitelung. Nach § 258 StGB wird bestraft, „wer absichtlich oder wissentlich ganz oder zum Teil vereitelt, daß ein anderer dem Strafgesetz gemß wegen einer rechtswidrigen Tat bestraft oder einer Maßnahme (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB) unterworfen wird.“ Durch seine Schutzaufgabe ist der Verteidiger berufen, den Tatverdchtigen und damit evtl. auch den Tter vor der Strafverfolgung zu schtzen. Strafvereitelung und Verteidigung stehen damit dicht nebeneinander. Der Verteidiger kann leicht in den ihm verbotenen Bereich dieser strafbaren Handlung geraten, wenn er nicht gewissenhaft die Grenzen beachtet. Wer freilich im Rahmen seines gesetzmßigen Berufsauftrages einen Verdchtigen im Zusammenstoß mit den Strafverfolgungsorganen verteidigt, der „vereitelt“ nicht eine gesetzmßige Bestrafung. Die Verteidigung eines Schuldigen kann ebenso engagiert gefhrt werden wie die Verteidigung eines Unschuldigen. Der BGH konzediert dem Verteidiger ausdrcklich, zugunsten seines Mandanten dessen Tatsachenbehauptungen (z. B. in einem Beweisantrag) vorzutragen, obwohl er an deren Richtigkeit erhebliche Zweifel hat, jedoch nicht fr ausgeschlossen bzw. ihre Unrichtigkeit fr wahrscheinlich hlt73. Selbst wenn die Verteidigung zu materiell ungerechtem Freispruch fhrt, handelt der Verteidiger damit nicht pflichtwidrig, sondern pflichtgemß. Es fehlt nicht nur an der Rechtswidrigkeit seines Handelns, sondern an der Tatbestandsmßigkeit. Verteidigung und Strafvereitelung liegen hiernach zwar dicht zusammen, sie schließen sich aber begrifflich absolut aus74. Strafbar ist nur die rechtsfeindliche Komplizenschaft des Verteidigers mit (dem) Beschuldigten75. 73 BGHSt. 38, 345, 348; BGHSt. 46, 53, 54 f.; BGHSt. 29, 99, 102; Trndle/Fischer, § 258 Rn. 8a m. N. 74 BGHSt. 38, 345, 347 ff.; BGHSt. 46, 53, 54 f.; Trndle/Fischer, § 258 Rn. 8a m. N. 75 Treffende Formulierung bei Trndle/Fischer, § 258 Rn. 10.

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Der Verteidiger im Widerstreit seiner Berufspflichten

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In die Nachbarschaft der Strafvereitelung kann der Verteidiger in verschiedener Weise geraten. Am hufigsten sind die Konfliktsituationen, die sich aus der Kollision der Schutzaufgabe des Verteidigers (Rn. 3 ff.) mit seiner Zuordnung zur Rechtspflege (Rn. 11 ff.), insbesondere auch aus seiner Wahrheitspflicht und Verschwiegenheitspflicht (Rn. 42 ff.), ergeben. Die Grenzen zwischen strafrechtlich neutralem Verteidigerhandeln und tatbestandsmßiger Strafvereitelung werden durch das Prozeßrecht und das Berufsrecht abgesteckt. Was sowohl verfahrens- wie berufsrechtlich zulssig ist, kann strafrechtlich nicht verboten sein76. Genauere Abgrenzungskriterien werden sich in abstracto kaum finden lassen: das hngt mit den prozessualen Besonderheiten der Institution „Verteidigung“ und der eigenartigen Doppelstellung des Rechtsanwalts zusammen. Die Rechtsprechung hat nur zu der allgemeinen Formel gefunden, daß der Verteidiger sich jeder aktiven Verdunkelung und Verzerrung des Sachverhalts enthalten muß77. Zu beachten ist auch, daß in subjektiver Hinsicht § 258 StGB Eventualvorsatz hinsichtlich der Vortat ausreichen lßt78; im brigen ist direkter Vorsatz erforderlich79. In der Praxis des Verteidigers gehren die Konfliktsituationen zum beruflichen Alltag. Er ist ihnen in seiner Kanzlei ebenso wie bei Gericht stndig ausgesetzt. Schon bei der ersten Besprechung will der Mandant meist eine Belehrung ber seine zweckmßige Einlassung. Die Bindung an seine Wahrheitspflicht verbietet dem Verteidiger, dem Mandanten zur Lge zu raten oder eine solche zu vertreten. Einer meiner ersten Klienten legte mir die Anklageschrift auf den Tisch mit der Erklrung: „Was da steht, das stimmt. Das sage ich aber nur Ihnen. Das Lgen besorgen Sie.“ Mit diesem Mandanten habe ich zwar „kurzen Prozeß“ gemacht. Aber nur selten enthllt sich die Zumutung zur Strafvereitelung so plump. Meist versteckt sie sich, weil der Mandant aus richtigem Instinkt dem Verteidiger die Mglichkeit zu erhalten sucht, nach außen sein Gesicht zu wahren. So „erkundigt“ er sich etwa ber Vernehmungsfragen, wobei er in Wahrheit eine Hilfestellung zur Lge sucht. Ebenso kommt oft die Frage des Klienten, was er zu einem bestimmten Punkt „sagen solle“. Auch bei Formulierungshilfe zu schriftlichen Erklrungen des Beschuldigten (Rn. 56 f.) ist der Weg zur bewußten Untersttzung der Unwahrheit nicht weit. Anderseits ist die Hilfe nicht verboten, selbst dann nicht, wenn der Verteidiger an der Richtigkeit zweifelt. Gerade hier ist aber auch die berufsrechtliche Seite zu beachten. Der Verteidiger darf auch den Beschul76 So ausdrcklich BGHSt. 46, 53, 54 m. N. 77 BGHSt. 38, 345, 348 m. A. Scheffler, StV 1993, 470; Beulke, JR 1994, 116. 78 BGHSt. 45, 97, 100 m. Anm. Neumann, StV 2000, 425; Dlling, JR 2000, 379; Trndle/Fischer, § 258, Rn. 17; krit. Ingo Mller, StV 1981, 92 m. N. 79 BGHSt. 45, 97, 100; BGHSt. 38, 345, 348.

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Die allgemeine Stellung des Verteidigers

digten darber belehren, daß er fr eine unwahre Aussage nicht zur Verantwortung gezogen wird80. Zu einer solchen raten darf er aber nicht81. 57

Der Verteidiger braucht einen Mandanten nicht zum Gestndnis oder sonst zur Wahrheit zu drngen, wenn dies auch hufig das Richtige sein wird. Der Verteidiger kann damit in vielen Fllen dem wirklichen Interesse des Mandanten am besten dienen (Rn. 18, 431, 484). Niemals darf er einen Mandanten veranlassen, ein wahres Gestndnis zu widerrufen. Auch sollte er einen zum Gestndnis Neigenden nicht davon abhalten. Er wird allerdings zu berlegen haben, ob er dem Mandanten dazu rt, sich auf sein Schweigerecht zu berufen. Je nach Lage des Falles und des Beweisergebnisses erffnet ihm diese Variante der Verteidigung die Mglichkeit, Freispruch (mangels Beweises) zu beantragen82. Es kommt vor, daß ein Mandant dem Verteidiger eine ganz „dumme“ Einlassung gibt, die er auf einen Wink des Verteidigers absolut entschrfen knnte. Er sieht z. B. nicht, daß er einen Verkehrsunfall ohne weiteres mit der unwahren Angabe erklren knnte, der Zu-Tode-Gekommene sei pltzlich mitten auf die Fahrbahn gelaufen oder die tdlich verunglckte Beifahrerin sei ihm berraschend ins Steuer gefallen oder jemand habe unbemerkt Cognac in sein Bier gegossen. Der Verteidiger wrde sich schwer vergehen, wenn er eine Aussage auf solche Weise in eine falsche Richtung lenken wrde83. Theoretische Belehrungen und Fragen sind dem Verteidiger aber nicht verboten, insbesondere wenn sie notwendig sind, um die Wahrheit festzustellen. Solche Belehrungen stehen allerdings einer inhaltlichen Beeinflussung der Aussage manchmal verteufelt nahe. Es ist unzulssig, auf diesem Weg den Mandanten zu bestimmten Angaben hinzulenken, was freilich eine Formulierungshilfe nicht ausschließt. „In den Mund legen“ z. B. darf man dem Mandanten auch keine Schlafmittel oder andere Medikamente, wenn er auch noch so sehr um Angabe von Rezept und richtiger Dosierung bettelt, um damit seine Einlassung zu verbessern84. Ein wegen Unfallflucht angeklagter Mandant konnte seinem Verteidiger keine Erklrung dafr geben, weshalb er den lauten Anstoß eines anderen Wagens am Heck seines Autos nicht bemerkt haben wolle. Der Verteidiger stellte ihm die Frage, ob er etwa infolge des eingeschalteten Autoradios, durch den Lrm einer vorbeifahrenden Straßenbahn oder loser Ge80 In diesem Sinne BGH, NJW 1992, 3047 (bzgl. Rechtsauskunft); OLG Dsseldorf, StV 1998, 552 (bzgl. Zeugenberatung). 81 BGH, NStZ 1999, 188, 189. 82 BGHSt. 29, 99, 107; BGHSt. 2, 375, 377 f.; Trndle/Fischer, § 258 Rn. 10. 83 Vgl. dazu Salditt, StV 1999, 61, 64; Widmaier, FS BGH (2000), S. 1042, 1050 f.; auch Trndle/Fischer, § 258 Rn. 10. 84 BGH, NStZ 1999, 188 (Medikamentendosierung).

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genstnde im Kofferraum den Anstoß berhrt haben knnte. Nach einiger berlegung entsann sich der Mandant eines dort gelegenen Wagenhebers, der erhebliche Gerusche verursacht habe. Aufgrund dieser Einlassung wurde der Mandant freigesprochen. Dem Verteidiger war es dabei nicht gemtlich, obwohl er sich nicht inkorrekt verhalten hatte (vgl. auch Rn. 77 a. E.). Fr Besprechungen mit Zeugen sind die besonderen Sorgfaltspflichten (Rn. 216) zu beachten, deren Verletzung Strafvereitelung sein kann. Es ist aber keine Strafvereitelung, wenn der Verteidiger einen Zeugen berredet, von seinem Auskunfts- oder Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch zu machen (Rn. 216, 1153)85.

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Der Verteidiger kann auch in den Gefahrenbereich der Strafvereitelung geraten, wenn man aus seiner Zuordnung zur Rechtspflege (Rn. 11 ff.) eine besondere Art von Schweigepflicht ableitet. Er kann in eine Pflichtenkollision geraten, wenn er erfhrt, daß Zwangsmaßnahmen wie Durchsuchung und Beschlagnahme, Haftbefehl u. . gegen seinen Mandanten bevorstehen. Durch seine Schutzaufgabe und die Treuepflicht wird er sich zur Information des Klienten gedrngt fhlen. Dabei kommt ihm jedoch der Gedanke, mglicherweise ein Verhalten des Betroffenen zu veranlassen, das seiner Zuordnung zur Rechtspflege widersprechen knnte. Die Frage ist ebenso schwierig wie sie kontrovers beantwortet wird86. Das Spektrum praktischer Fallgestaltung ist groß: Hat der Verteidiger sein Wissen in Ausbung seines Rechts auf Einsicht in die Ermittlungsakten zulssigerweise erlangt, so gebhrt seiner Schutzaufgabe Vorrang (Rn. 3 ff.)87. Es kann aber auch sein, daß er sich die Akteneinsicht ohne vorherige Entscheidung der Staatsanwaltschaft verschafft hat, z. B. in einem „unbewachten“ Augenblick auf der Geschftsstelle die Akten eingesehen oder einen nachgeordneten Justizbediensteten veranlaßt hat, ihm „kurzerhand“ d. h. ohne Rckfrage beim Staatsanwalt die Akte zu berlassen; dann kann die Lage anders sein. Auch vertrauliche Besprechungen mit Richtern und Staatsanwlten fhren zu Konflikten, wenn dem Verteidiger, vielleicht sogar ungefragt, Informationen gegeben werden, die ausdrcklich oder aus der Natur der Sache heraus der Weitergabe an andere Personen entzogen sind. Es kann ferner so sein, daß der Verteidiger zufllig eine fr seinen Klienten wichtige Information „aufschnappt“ z. B.

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85 BGHSt. 10, 393; OLG Dsseldorf, NJW 1991, 996; BRAK-Schriftenreihe, Bd. 8, S. 55 ff. 86 Zum Streitstand Trndle/Fischer, § 258 Rn. 12 m. N. Wie hier wohl BGHSt. 29, 99, 103; anders OLG Hamburg, BRAK-Mitt. 1987, 163 m. Anm. Dahs; Krekeler, NStZ 1989, 146, 149. 87 So auch Beschluß des Strafrechtsausschusses der BRAK v. 16. 2. 1979 (RS 7/79).

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Die allgemeine Stellung des Verteidigers

wenn andere in seiner Gegenwart darber sprechen. Sicherlich sind solche Erkenntnisse nicht in unzulssiger Weise erlangt: auch kann dem Verteidiger von einem Staatsanwalt oder Richter kein rechtlich bindendes Schweigegebot auferlegt werden. Gleichwohl ist eine rechtlich-abstrakte, zugleich aber praktisch brauchbare Abgrenzung zwischen erlaubter und nicht zulssiger Unterrichtung des Klienten angesichts der Vielgestaltigkeit der denkbaren Flle kaum mglich. Liegen aber alle Umstnde, die zum Wissen des Verteidigers gefhrt haben, allein in der „Risikosphre“ der Justiz (z. B. Gewhrung der Akteneinsicht, zuflliges Mithren eines Gesprches), so spricht vieles dafr, der Schutzaufgabe des Verteidigers den Vorrang gegenber seiner ohnehin kryptischen Zuordnung zur Rechtspflege einzurumen. Gleichwohl muß er bedenken, daß die auch heute noch berwiegende Auffassung eine Information an den Mandanten, die den Untersuchungszweck gefhrdet, in den Tatbestand des § 258 StGB verweist88. Der Verteidiger, der seinen „guten Draht“ zur Justiz oder seine von ihr definierte „Vertrauenswrdigkeit“ auch fr die Zukunft erhalten mchte, wird unabhngig von der strafrechtlichen Lage stets versuchen, einen Weg zu finden, auf dem er die Interessen seines Mandanten wahrt, ohne seine Qualifikation als Partner vertraulicher Gesprche mit der Justiz zu verlieren. 60

Gelegentlich wird der Verteidigungs- und Beratungsauftrag schon erteilt, bevor das Ermittlungsverfahren richtig in Gang gekommen ist z. B. aufgrund der ffentlichen Mitteilung einer Strafanzeige oder einer Publikation in Medien. Der Mandant stellt dann hufig die Frage, was jetzt alles auf ihn „zukommen“ knne. Der Verteidiger ist dann nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, ber alle denkbaren gesetzlichen Schritte der Staatsanwaltschaft (Durchsuchung, Beschlagnahme, Haftbefehl, Observation, Telefonberwachung), ihre Voraussetzungen (z. B. typische Verdunkelungshandlungen), ihren mglichen Umfang (Geschfts-, Privatrume, Person – auch andere Personen [§ 95] –, Banksafes) Ausknfte zu erteilen, auch wenn nach seiner Beurteilung derartige Maßnahmen der Staatsanwaltschaft unmittelbar bevorstehen knnen. In derartigen Fllen ist auch die Entgegennahme einer Blankovollmacht durchweg unbedenklich89.

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Sehr oft fragt der besorgte Mandant, ob er nicht „aus geschftlichen Grnden“ oder „zur Erholung“ eine Auslandsreise machen knne. Das kann nach den Umstnden ganz unbedenklich sein. Es kann aber auch die Ein-

88 BGHSt. 29, 99, 103; Trndle/Fischer, § 258 Rn. 9; anders OLG Hamburg, BRAK-Mitt. 1987, 163 m. Anm. Dahs; Krekeler, NStZ 1989, 146, 149. 89 Bedenken bestehen, wenn die Straftat erst geplant ist, Mitteilungen der BRAK, Nov. 1976, S. 4.

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leitung zu einer Flucht und der Ratschlag des Verteidigers damit Strafvereitelung sein. Manchmal fragt auch ein im Ausland befindlicher Mandant, ob er dort bleiben solle und ob der Verteidiger ihn zur Besprechung aufsuchen wolle. Der Besuch im Ausland ist unbedenklich, wenn damit nicht unzulssig eine bevorstehende Verhaftung vereitelt werden soll. Manchmal ist es mglich, mit dem Staatsanwalt ber solche Fragen zu sprechen, vor allem wenn eine Durchsuchung oder ein Haftbefehl „in der Luft liegt“. Das setzt aber ein großes Vertrauensverhltnis und sehr viel Fingerspitzengefhl voraus. Bedenken gegen den Zweck der Auslandsreise knnen z. B. durch entsprechende Nachweise (die nicht unbedingt Inhalt der Ermittlungsakten werden mssen) zerstreut werden. Dagegen kann die Hinterlegung des Reisepasses beim Verteidiger mit der Absprache, ihn jeweils nur mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft auszuhndigen und die Rckgabe zu berwachen, problematisch sein. Der Verteidiger wird sich nur in besonders gelagerten Ausnahmefllen auf ein solches Verfahren einlassen knnen. Drohende Durchsuchungen knnen durch die Erklrung der Bereitschaft zur Herausgabe nicht selten vermieden oder wenigstens „diskret“ gestaltet werden. Der Verteidiger muß in solchen Fllen allerdings viel Vertrauen in die korrekte Abwicklung durch die Klientel aufbringen knnen. Dem Klienten muß andererseits gesagt werden, daß ein gewisses „Restrisiko“ nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. auch Rn. 374 ff.). Manche Klienten wollen wissen, aus welchen Lndern eine Auslieferung nach Deutschland nicht zu erwarten ist. ber die Rechtslage zur Auslieferung (z. B. Europ. Recht, vlkerrechtliche Vertrge) darf der Verteidiger im Rahmen seines Rechts zur allseitigen Aufklrung ber die Rechtslage informieren90, die Grenze zur strafbaren konkreten Fluchtempfehlung und Fluchtplanung muß aber beachtet werden. Ein Rechtsanspruch des Anwalts auf Einsicht in das Deutsche Fahndungsbuch lßt sich nicht begrnden. Besonders listenreiche Leute bringen es auch fertig, den Verteidiger an der Straftat durch objektive Strafvereitelung teilnehmen zu lassen, ohne daß dieser es merkt. Sie stellen ein Paket mit Diebesgut oder belastendem Material in der Kanzlei des Verteidigers ab in der nicht falschen berlegung, daß es dort am wenigsten gesucht und wegen der Verschwiegenheitspflicht und des Beschlagnahmeschutzes am schwersten gefunden werden kann. Der Verteidiger sollte ein solches „depositum irregulare“ nicht dulden (Rn. 390). 90 Trndle/Fischer, § 258 Rn. 9; auch Strafrechtsausschuß der Bundesrechtsanwaltskammer, Beschl. v. 16. 2. 1979 (RS 7/79).

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Fast alle, die sich schuldig fhlen, arbeiten auf Verzgerung des Verfahrens. Sie wollen mit dem Verteidiger den „Faktor Zeit“ mobilisieren. Bewußte Verzgerung des Strafverfahrens oder der Vollstreckung kann aber strafbare Strafvereitelung sein. Ich habe als Verteidiger die Verurteilung und den spteren Ausschluß eines Kollegen aus der Anwaltschaft erlebt, der seine Klienten zum Verbleib im Ausland veranlaßte, whrend er die Justiz mit unwahren oder irrefhrenden Angaben einige Monate hinzuhalten wußte.

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Bei umfangreichen Wirtschaftsstrafsachen oder Serienstraftaten wirkt sich die oft unertrglich lange Verfahrensdauer gravierend aus. Das geltende Straf- und Strafprozeßrecht scheint bei der zgigen Bewltigung dieser Großverfahren zu versagen. Bis zum rechtskrftigen Urteil vergehen viele Jahre. Das kommt schon einem Bankrott der Justiz nahe, um so mehr, als der angerichtete Schaden in die Milliarden geht. Andererseits mssen Nichtschuldige auf ihre Rehabilitierung endlos warten. Der Verteidiger hat in diesem Raum viele Mglichkeiten, aber auch eine große Verantwortung (vgl. dazu Rn. 131). Bei einem gut betuchten Klienten und entsprechender Honorarvereinbarung (oder auch Pflichtverteidigung) mag ihm die Zeitdauer recht sein, zumal sie – wenn nicht vom Angeklagten verursacht – ein Strafmilderungsgrund bei Verurteilung ist (Rn. 749). „Da muß man doch wirklich nicht auf Eile drngen.“

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Der Verteidiger muß aber auch gegenber einem schuldigen Mandanten seine Pflichten beachten. So ist er unter Umstnden nicht befugt, den Aufenthaltsort des Mandanten anzugeben. Das kann sogar als Verletzung der Schweigepflicht und der Treuepflicht ein Berufsvergehen sein. In einem Telefongesprch mit einem Staatsanwalt ist es mir vor Jahren passiert, von einem bevorstehenden Besuch meines Mandanten zu erzhlen, ohne daß ich dabei an die Mglichkeit eines Haftbefehls berhaupt dachte. Die dadurch „begnstigte“ Vollstreckung des Haftbefehls in meinem Hause steckt mir noch heute in den Gliedern. Auch gegenber „Einladungen“ der Staatsanwaltschaft zu einem verfahrensfrdernden oder -erledigenden Gesprch sollte man vorsichtig sein. Die Verhaftung des Klienten von der Seite des Verteidigers weg ist dann zwar ein grober Stilbruch der Staatsanwaltschaft, jedoch muß sich der Verteidiger die Frage gefallen lassen, warum er diese Gefahr nicht gesehen und ihr in geeigneter Weise im Vorfeld vorgebeugt hat, z. B. durch ausdrckliche Besprechung des Problems mit den Strafverfolgungsorganen (Rn. 374).

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Eine schwierige Situation kann sich auch ergeben, wenn ein flchtiger Beschuldigter den Verteidigungsauftrag dahin erteilt, er wolle „das Verfahren jetzt hinter sich bringen“, aber ohne aufgrund des ihm bekannten 46

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Haftbefehls in Untersuchungshaft genommen zu werden. Ein sachlich denkender Staatsanwalt wird sich hufig dem Wunsch nach einer Zustimmung zur Haftverschonung nicht verschließen. Es kommt aber auch vor, daß im Zwischenstadium bis zu dieser Entscheidung, deren Voraussetzungen (z. B. fester Wohnsitz im Inland [!], Arbeitsstelle) noch geschaffen werden mssen, Beamte der Ermittlungsbehrden, gelegentlich sogar Richter, den Versuch unternehmen, vom Verteidiger oder auch seinem Bropersonal scheinbar harmlose Ausknfte („Adresse zum Zwecke der Zustellung“) zu erhalten, um den Haftbefehl zu vollstrecken. Daran muß der Verteidiger denken und Sorge tragen, daß derartige Mitteilungen unterbleiben. Befindet sich der Mandant in Untersuchungshaft, muß der Verteidiger zur Vermeidung des Verdachts der Strafvereitelung alle einschlgigen Vorschriften und seine Berufspflichten besonders sorgfltig beachten (Rn. 359 ff.). Die ihm eingerumten Sonderrechte sind groß. Das berbringen von Mitteilungen, Umgehung der Postkontrolle91 und die Weitergabe von Informationen sowie viele andere – auch fahrlssige – Verdunkelungshandlungen knnen den Verteidiger in eine bse Lage bringen. Andererseits ist der Beschuldigte gerade in dieser Lage besonders auf eine effektive Verteidigung angewiesen. Der Verteidiger darf deshalb auch dem inhaftierten Mandanten Protokolle, Aktenauszge, die er in zulssiger Weise erhalten hat, ebenso Vermerke von Zeugen ber ihr Wissen oder den Inhalt ihrer Vernehmung berlassen92. Die (kaum je) auszuschließende Gefahr, auf diese Weise den Untersuchungszweck zu gefhrden, ist gerade wegen der Untersuchungshaft geringer als sonst.

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Eine besondere Gefahrenlage ist gegeben, wenn noch andere Beschuldigte und auch durch andere Verteidiger vertreten sind. Die Privilegien des Verteidigers, besonders sein Akteneinsichtsrecht und sein Verkehrsrecht mit dem inhaftierten Klienten, ermglichen ihm die Verstndigung mit den anderen Betroffenen und die Weitergabe von Informationen, die durch die Untersuchungshaft gerade verhindert werden soll. Das gilt insbesondere fr den Akteninhalt, wenn anderen Verteidigern die Einsicht (noch) verwehrt wird (§ 147 Abs. 2). Damit wrde der Verteidiger aber gerade das Vertrauen mißbrauchen, das die Strafprozeßordnung ihm bewußt entgegenbringt (Rn. 24). Damit werden auch die Verteidigerbesprechungen, besonders im Ermittlungsverfahren, ein Prfstein fr die berufsethische Haltung der Verteidi91 Hamb. AnwG, StraFo 1998, 142. 92 Vgl. zu diesem Problemkreis BGHSt. 29, 99, 103; Trndle/Fischer, § 258 Rn. 9 m. N.

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ger. Die Koordinierung der Verteidigung darf nicht zu verfahrenswidriger Kollusion werden. Die Grenzen sind im Einzelfall manchmal recht schwer zu ziehen. Aussprachen der Verteidiger sind legal, vielfach unentbehrlich und dem allgemeinen Verfahrenszweck dienlich. Sie knnen von der Klrung von Einzelfragen (z. B. „Hat Ihr Mandant ausgesagt?“) bis zur Planung und Durchfhrung einer gemeinsamen Basis- oder „Sockelverteidigung“93 (Rn. 68, 237, 464) fhren. Eine solche kommt in Betracht, wenn zum Verfahrensgegenstand Sach- oder Rechtsfragen gehren, die fr mehrere oder alle Beschuldigte gleich sind und ohne Beeintrchtigung der jeweils individuellen Verteidigungsposition gemeinsam oder arbeitsteilig behandelt werden knnen. Die gemeinsame Sockelverteidigung kann sich auf die genaue Ermittlung des verfahrensgegenstndlichen Sachverhalts (insbesondere vor Gewhrung von Akteneinsicht) oder die Feststellung entlastender (primr objektiver) Tatumstnde ebenso beziehen wie auf die im Verfahren voraussichtlich relevanten Rechtsfragen prozessualer oder materiell-rechtlicher Art (Rn. 237). Auch kann eine umfangreiche Verfahrensmaterie zur vorbereitenden Bearbeitung in Einzelkomplexe aufgeteilt und – je nach Spezialwissen – bestimmten Verteidigern als „Berichterstattern“ zugewiesen werden. Schließlich gehrt auch die Ausarbeitung von großen Schriftstzen nach einem entsprechend gestalteten „Modulsystem“ hierher94. Die Abgrenzung zu begnstigenden „Absprachen“ kann dabei allerdings dnn werden95. Besonders am Anfang eines Verfahrens haben die Verteidiger mit dem ihnen zur Einsichtnahme bedingungslos zustehenden Protokoll ber die Vernehmung ihres Mandanten (§ 147 Abs. 3) allerlei in der Hand, dessen Austausch die Untersuchungshaft illusorisch oder die Aufklrung sehr erschweren oder gar unmglich machen wrde. Ein Mißtrauen der Staatsanwaltschaft gegen solche Veranstaltungen der Verteidiger ist daher hufig zu beobachten. Fr einen pflichtmßig handelnden Verteidiger ist das allerdings kein Grund, das sachlich Gebotene nicht zu tun. Dazu kann unter Umstnden auch der kollegial-vertrauliche Austausch der Einlassungen der Beschuldigten gehren96. Dabei hat der Mitteilungsempfnger aber in erster Linie die Verantwortung fr die Nichtweitergabe an seinen Mandanten, dessen Angehrige oder andere Personen, mit denen er Gesprche fhrt. Nur durch große Zurckhaltung kann der Verteidiger je nach Lage des Falles hier den Verdacht der Verdunkelung vermeiden. Zu diesem Zwecke kann es gebo93 Dazu Eckhart Mller, StV 2001, 649; BRAK-Schriftenreihe, Bd. 13, S. 113 ff.; Richter II, NJW 1993, 2152. 94 Zust. KG, StraFo 2003, 147. 95 Vgl. i. e. Pellhofer, Sockelverteidigung und Strafvereitelung (1999). 96 Vgl. dazu OLG Dsseldorf, JR 2003, 346 m. Anm. Beulke; OLG Frankfurt, NStZ 1981, 144.

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ten sein, die Unterlagen nur zu treuen Hnden zu bersenden und damit den Hinweis zu verbinden, sie nicht auszuhndigen und sie nur als „Gedchtnissttze“ zu gebrauchen, um eine sachgerechte Darstellung einzelner Umstnde durch den Mandanten zu ermglichen. Dagegen ist es nicht zulssig, ohne Zustimmung der Ermittlungsbehrde Aktenauszge an die Verteidiger von Mitbeschuldigten weiterzugeben, denen die Einsicht bisher versagt wurde. Strafvereitelung kann auch im Gerichtssaal begangen werden. Zwar hat der Verteidiger gerade hier alle Mittel fr seinen Mandanten einzusetzen. Es ist keine Strafvereitelung, wenn er dabei beispielsweise die Beweisaufnahme nicht objektiv, sondern einseitig wrdigt. Auch kann und muß er die Rechtsauffassungen vertreten oder wenigstens als anderweitig vertretene Ansichten darlegen und auswerten, die fr seine Sache am gnstigsten sind (Rn. 734). Die Wahrheitserforschung beeintrchtigt er dadurch nicht in verbotener Weise, solange er die Sammlung des Beweismaterials und die Feststellung der Tatsachen nicht durch objektiv und subjektiv falschen Sachvortrag behindert. Er ist auch nicht verpflichtet, die vom Mandanten angefhrten Beweismittel vor ihrer Benennung auf ihre Standfestigkeit zu berprfen97, wozu er meist auch gar nicht in der Lage sein wrde. Manchmal allerdings kommt der Mandant mit Zeugen, deren offensichtlich falsche Aussagen ihn retten sollen. In diesem Falle kann die Benennung der Zeugen Strafvereitelung sein (Rn. 646). Es bleibt im brigen immer eine Sache des Gewissens, nicht zu weit zu gehen und sich vor dem peinlichen Verdacht einer Tuschung des Gerichts durch falsche Beweismittel zu hten. Der Verteidiger kann zu leicht den Eindruck erwecken, daß er seinen Mandanten um jeden Preis „heraushauen“ wolle.

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Strafbare Strafvereitelung kann auch vorliegen, wenn der Verteidiger durch Beweisantrge falsche Zeugenaussagen bewußt herbeifhrt98, womit er sich zugleich der Beihilfe zum Meineid schuldig machen kann (Rn. 214). Ganz problematisch sind auch finanzielle Zuwendungen an Zeugen99. Es ist auch vorgekommen, daß der Verteidiger eine bei ihm hergestellte Fotokopie einer Urkunde vorlegte, um damit einen im Original vorhandenen, aber bei der Ablichtung abgedeckten Zusatz zu unterdrcken.

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Die Ausnutzung prozessualer Befugnisse und eine entsprechende Beratung sind prinzipiell erlaubt, auch wenn dies Gefahren fr eine baldige 97 BGHSt. 38, 345, 348; Trndle/Fischer, § 258 Rn. 9. 98 Dazu OLG Kln, StV 2003, 15; OLG Frankfurt, NStZ-RR 2003, 238. 99 Dazu grundlegend BGH, NJW 2000, 2433.

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und richtige Entscheidung mit sich bringt100. So darf weder allein aus der Zahl noch aus dem „spten“ Zeitpunkt von Beweisantrgen der Vorwurf der Strafvereitelung abgeleitet werden101; auch vom Mandanten veranlaßte „ins Blaue hinein“ gestellte Beweisantrge gehren hierher; anders ist es, wenn sich der Verteidiger selbst Behauptungen „ausdenkt“. Der Verteidiger darf jedoch einen vernehmenden Richter nicht durch eine gezielte Querfrage oder eine andere sachlich nicht oder nicht in diesem Zeitpunkt gebotene Aktion (Antrag, Beanstandung, Erklrung, Unterbrechung) von einem gefhrlichen Punkt ablenken, um die Aufklrung zu verhindern. 71

Eine immer wieder auflebende Diskussion betrifft die „Verfahrensverzgerung durch unzulssiges Verteidigerverhalten“ („Prozeßsabotage“) , z. B. mit dem Ziel, den Prozeß bis zum Eintritt der absoluten Verjhrung (§ 78c Abs. 3 S. 2 StGB)102, der krankheitsbedingt zu erwartenden Verhandlungsunfhigkeit des Angeklagten, Vernehmungsunfhigkeit oder Unerreichbarkeit eines wichtigen Belastungszeugen auszudehnen. Wann eine Verteidigung prozessual „unzulssig“ wird, ist bis heute nicht eindeutig geklrt103; vom Tatgericht als unzulssig oder wegen Verschleppungsabsicht abgelehnte Beweisantrge reichen fr ein solches Verdikt – schon wegen der berprfung durch das Revisionsgericht – sicher nicht aus. Der BGH104 hat die Abgrenzung dahin definiert, daß der Verteidiger im Rahmen der Regelungen des Prozeßrechts grundstzlich alles tun darf, was in gesetzlich nicht zu beanstandender Weise seinem Mandanten nutzt. Er ist auch verpflichtet, Tatsachenschilderungen des Mandanten, an deren Richtigkeit er erhebliche Zweifel hat, dem Gericht vorzutragen und zum Gegenstand von Beweisantrgen zu machen. Die Grenze ist erst bei Kenntnis der Unrichtigkeit erreicht. Es soll allerdings auch Flle geben, in denen Verteidiger ihren Klienten „garantieren“, den Prozeß durch sog. Konfliktverteidigung (Rn. 36, 71, 198, 444, 695, 807) zum „Platzen“ oder in die absolute Verjhrung zu bringen (dem beugt heute § 78b Abs. 4 StGB vielfach vor) und sogar ein Erfolgshonorar (Rn. 1201 ff.) dafr vereinbaren. Wenn solche Ziele mit zweifelsfrei sachfremden oder bewußt wahrheitswidrigen Prozeßaktionen 100 OLG Dsseldorf, StV 1992, 57; KG, NStZ 1988, 178. 101 OLG Dsseldorf, StV 1986, 288, 289; Meyer-Goßner, § 138a Rn. 11. 102 Dazu einerseits Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren, S. 153, andererseits Krekeler, NStZ 1989, 146, 152; im brigen ist § 78b Abs. 4 zu beachten! 103 Vgl. nur Dahs, FS Odersky (1996), S. 322 f.; BRAK-Schriftenreihe, Bd. 8, Thesen Nr. 33 ff. 104 BGHSt. 46, 53, 54; NStZ 1993, 79; bei Egon Mller, NStZ 1997, 222; m. Anm. Scheffler, MDR 1993, 1168; m. Anm. Beulke, JR 1994, 114; diff. Trndle/ Fischer, § 258 Rn. 8a.

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(Erklrungen, Gesuchen, Antrgen) angestrebt werden, drfte der Tatbestand des § 258 StGB wohl erfllt sein. Freilich ist in der Praxis die Grauzone groß und die berfhrung sehr schwierig. Was ein verrgerter, sich „ausgenommen“ fhlender Mandant nach dem Prozeß ber seinen Verteidiger erzhlt, hat mit der Wahrheit oft nur einen sehr losen Zusammenhang. Bis heute sind mir jedenfalls Verurteilungen von Strafverteidigern wegen Strafvereitelung durch unzulssiges Prozeßverhalten dieser Art nicht bekannt geworden. Besondere Konfliktfragen knnen in der Hauptverhandlung auch durch die Antinomie der Wahrheitspflicht und Verschwiegenheitspflicht entstehen (Rn. 43, 49). Grundstzlich geht die Verschwiegenheitspflicht vor. Wenn es z. B. auf Vorstrafen ankommt (Strafzumessung, Strafaussetzung), die das Gericht noch nicht kennt, darf der Verteidiger sie ohne Zustimmung des Mandanten nicht offenbaren. Er wird aber nicht das Fehlen dieser Vorstrafen positiv behaupten und auswerten drfen105. Es kommt auch vor, daß der Richter – was er nicht sollte – den Verteidiger fragt, ob ein ihm bekanntes Verfahren inzwischen zu einer Verurteilung des Mandanten gefhrt habe. Die Wahrheit wird der Verteidiger ebensowenig sagen drfen wie die Unwahrheit. Aber das Schweigen wrde Bejahung bedeuten. Der peinliche Konflikt lst sich am besten, wenn der Verteidiger den Mandanten dazu bringt, der Aufklrung des Gerichts zuzustimmen. Die Sprengung des Mandats durch Niederlegung der Verteidigung (Rn. 161 ff.) als ußerstes Mittel sollte er zu vermeiden wissen. Der Verteidiger ist nicht verpflichtet, der Staatsanwaltschaft auf Kosten seines Mandanten eingeholte Privatgutachten vorzulegen, wenn sich daraus fr seinen Mandanten Belastendes ergibt106, jedoch soll der Sachverstndige ber den Inhalt seines Gutachtens als Zeuge vernommen werden drfen107.

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Dagegen braucht der Verteidiger einem „unlauteren“ Verhalten des Beschuldigten nicht ußerlich erkennbar entgegenzutreten: Schweige- und Treuepflicht haben Vorrang. 5. Die Verteidigung des schuldigen Angeklagten Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren, 1980, 150, 156; Wohlers, Strafverteidigung vor den Schranken der Strafgerichtsbarkeit, StV 2001, 425.

Die unter dieser berschrift viel errterte Konfliktsituation des Verteidigers ist ein Alltagsproblem, mit dem er sich in der Sprechstunde wie im 105 EGE VI, 270. 106 LG Koblenz, StV 1994, 378. 107 LG Essen, StraFo 1996, 92; krit. Krause, StraFo 1998, 1.

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Gerichtssaal stndig befaßt sieht. Strafrechtlich ist das heute kein Problem mehr108. Hier geht es nicht um die Frage anwaltlicher Berufshaltung, ob der Anwalt die Verteidigung eines schuldigen, aber bestreitenden Angeklagten bernehmen will, was stets in seinem Belieben steht. Er wird das aber vielfach grundstzlich oder im speziellen Falle ablehnen (Rn. 74). Es handelt sich dabei aber nicht um eine Frage der Zulssigkeit der Verteidigung. Mit der Verwechslung der beiden Bezugspunkte wird oft der Zugang zur richtigen Erkenntnis der Konfliktsfrage verschttet. 74

Die Frage, ob der Anwalt „wider besseres Wissen“ verteidigen darf, betrifft Grundlagen des Strafprozesses. Das Gericht hat seinem Urteil nur das Ergebnis der Hauptverhandlung unter Ausschaltung allen privaten Wissens zugrunde zu legen. Es darf nur verwertet werden, was in prozeßgerechter Weise gewonnen worden ist. Dazu gehrt nicht das in der Hauptverhandlung nicht behandelte persnliche Wissen des Verteidigers. Es steht außerhalb des Prozesses. Die Situation kann den Verteidiger aber ins Zwielicht bringen. Er gert leicht in den Verdacht, durch die Unterdrckung seines Wissens zu begnstigen. Es kommt manchem so vor, als gehe es dem Verteidiger nur darum, einen Schuldigen mit allen Mitteln „herauszureißen“. Man sieht in ihm so etwas wie einen Komplizen des Verbrechens. Man will nicht verstehen, daß ein Anwalt sich gegen seine berzeugung oder gar gegen sein besseres Wissen dazu hergibt, einen Schuldigen der Strafe zu entziehen, besonders wenn es sich um schwere oder scheußliche Verbrechen handelt. Daraus resultieren die oft gestellten Fragen an den Verteidiger, „ob er das denn alles selbst glaube“, wie man „so einen Kerl“ berhaupt verteidigen knne und ob der Verteidiger dafr viel Geld bekomme. Diese in der Volksmeinung hufigen Auffassungen ber den Verteidiger als „Bratenwender“ (H. Heine) haben eine gesunde Wurzel. Fr den Anwalt, der auf seine Reputation hlt, ist es ein recht schwieriger Entschluß, wider besseres Wissen zu verteidigen und die Freisprechung eines Schuldigen herbeizufhren. Er wird hufig nicht bereit sein, sich einer solchen Zumutung eines Delinquenten, der das Gericht belgt, zu beugen. Das gilt allerdings nicht in jedem Falle. Die Verteidigung „wider besseres Wissen“ wird auch ein honoriger Anwalt in gewissen Fllen vor sich verantworten knnen, z. B. im Kampf gegen ein ungerechtes oder berholtes Gesetz oder aus politischer oder weltanschaulicher berzeugung oder auch zur Lsung eines schweren menschlichen Konflikts. Man den108 BGH, NStZ 1993, 79; Anm. Scheffler, MDR 1993, 1168; Anm. Beulke, JR 1994, 114; BGH, StV 2000, 427; Wohlers, StV 2001, 425; Trndle/Fischer, § 258 Rn. 8a.

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ke an den – heute vielleicht antiquierten, gleichwohl instruktiven – Fall des „Kavaliereides“. Ein Mann, der von der Straftat einer ihm nahestehenden Frau weiß und darber als Zeuge aussagen soll, kann sich aus hchst ehrenhaften Motiven entschließen, durch einen Meineid, Ehre, Ehe und wirtschaftliche Existenz der Frau und ihrer Familie zu schtzen. In solchem Falle wird auch ein mit sich selbst strenger Anwalt zur Verteidigung bereit sein knnen. Rechtlich besteht jedenfalls kein Zweifel daran, daß der Rechtsanwalt als Verteidiger berechtigt ist, die Verteidigung des schuldigen Angeklagten auch bei Kenntnis der Tatschuld mit dem Ziele des Freispruchs zu fhren. Das ist auch der Standpunkt der Rechtsprechung109. Jede andere Auffassung wre eine Verkennung des Wesens der Strafverteidigung und ihrer Aufgabe in einem rechtsstaatlichen Strafverfahren110. Damit ist auch die bernahme der Verteidigung dem freien Entschluß des Verteidigers anheimgegeben. Ihn kann zur Annahme der Verteidigung sogar der Gesichtspunkt bestimmen, daß gerade auch der schlimmste Verbrecher Anspruch auf eine Verteidigung hat. Zudem hat der zu bestellende Pflichtverteidiger gar keine andere Mglichkeit, als das private Gestndnis des Beschuldigten fr sich zu behalten und mit diesem Wissen zu verteidigen. Wenn sich der Verteidiger hiernach zur Fhrung der Verteidigung entschlossen hat, kommt jetzt alles darauf an, wie er sie fhrt. Er hat sich streng auf seine legalen Mittel zu beschrnken: Aufdeckung aller Beweislcken, Angriffe auf belastendes Beweismaterial, Stellungnahme zur Rechtslage, Auslegung des Gesetzes usw. Er bleibt verpflichtet, nichts Belastendes gegen den Angeklagten vorzubringen. Verboten aber bleibt ihm, was ohnehin nicht erlaubt ist: die Irrefhrung des Gerichts durch Vorspiegelungen, Verdunkelung und Trbung von Beweisquellen. Die Situation mag an einem Beispiel erlutert werden: Ein Angeklagter wird ausschließlich durch einen Zeugen belastet, der ihn beim nchtlichen Einsteigen in ein Haus aus großer Entfernung beobachtet haben will. Er behauptet, es sei eine mondhelle Nacht gewesen. Der Verteidiger weiß, daß der Angeklagte schuldig ist. Er bringt gleichwohl die Aussage durch eine Auskunft des Wetterdienstes zu Fall. Hiernach war es stockdunkle Nacht gewesen. Der Verteidiger beantragt und erwirkt damit den Freispruch. Dem Verteidiger kann hier sein Prozeßverhalten nicht zum Vorwurf gemacht werden. hnlich liegt der Fall, wenn der Verteidiger den Zeugen durch den Nachweis von Vorstrafen wegen Eidesverletzung als unglaubwrdig darstellen kann. Hier ist die Erwirkung des Freispruchs dann unbedenklich, wenn die Aus-

109 Vgl. Fn. 107. 110 So ausdrcklich BGH, NStZ 1993, 79.

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sage des Zeugen nach der Vorstellung des Verteidigers falsch ist, obwohl der Angeklagte tatschlich der Schuldige ist. Ist die Aussage des Zeugen aber nach seiner berzeugung richtig, wird es dem Verteidiger nicht gestattet sein, die Aussage durch den Beweis der allgemeinen Unglaubwrdigkeit des vorbestraften Zeugen auszuschalten. Vor diesem Hintergrund bestehen auch unter berufsrechtlichen Aspekten gegen die Verteidigung des schuldigen Angeklagten grundstzlich keine Bedenken. 76

Es versteht sich aber von selbst, daß der Verteidiger die Form der Verteidigung seiner Konfliktslage anpassen muß. Er darf nicht wider besseres Wissen die Unschuld seines Mandanten positiv behaupten oder gar lauthals heraustnen. Er hat sich darauf zu beschrnken, die Nichtberfhrung des Angeklagten darzutun. Insbesondere das Pldoyer des Verteidigers einschließlich seiner Antrge erfordert auch hier viel Geschick und Takt (Rn. 728).

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Mit dieser Klarstellung der Rechtslage fangen nun die praktischen Fragen fr die Tagespraxis erst an. Sie entwickeln sich urpltzlich aus der Situation der Sprechstunde. Der potentielle Mandant kommt meist mit der fragenden Bemerkung: „Ihnen, Herr Rechtsanwalt, kann ich ja alles sagen.“ Der Anwalt muß sich in dieser „juristischen Sekunde“ entscheiden, was er darauf antwortet und ob er den Mandanten weitersprechen lßt. Wenn er das tut, wird er vielleicht sofort ein „Wissender“. Ein Anwalt, der grundstzlich nicht „gegen besseres Wissen“ verteidigen will, hat sich damit den Weg zum Mandat verbaut. Der Rechtspflege ntzt sein korrektes Verhalten allerdings nichts: Denn der jetzt klug gewordene Mandant geht zum nchsten Anwalt, den er konsequent belgt. Der Verteidiger kann nun auch dem Mandanten ins Wort fallen und ihn auffordern, ihn nicht durch ein Gestndnis um seinen „guten Glauben“ und um das Mandat zu bringen. Das wre aber ein recht krummer Weg. Aus diesem Dilemma gibt es kaum einen befriedigenden Ausweg. Es ist vielleicht das kleinste bel, den Mandanten auf eine entsprechende Frage oder Bemerkung oder an sonst geeigneter Stelle im Anfangsstadium der Besprechung abstrakt zu belehren, daß alle seine ußerungen durch die Schweigepflicht abgesichert sind, er aber gleichwohl seine beabsichtigte Stellungnahme daraufhin berprfen mge, ob sie den Verteidiger – wenn die Verteidigung mit dem Ziele des Freispruchs gefhrt werden soll – in (kurz zu skizzierende) Konflikte bringen kann, die die Unbefangenheit und Qualitt der Verteidigung oder sogar das Mandat selbst gefhrden. Die Mandanten verstehen das meist sehr rasch. Wohl kann man sich aber auch dabei nicht fhlen, mag auch der Verteidiger nicht zur Herbeifhrung eines Gestndnisses verpflichtet sein (Rn. 57). 54

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Die Situation wird fr den Verteidiger noch schwieriger, wenn er ein Mandat zunchst gutglubig angenommen hat und der Mandant ihm erst spter die Wahrheit gesteht. Hier kann m. E. der Verteidiger verlangen, daß der Mandant nun auch bei Gericht der Wahrheit die Ehre oder im Prozeß schweigt. Will er das nicht, gewinnt der Verteidiger seine Entschlußfreiheit zurck und braucht sich m. E. zur Weiterfhrung der Verteidigung nicht zwingen zu lassen. Allerdings sollte die Niederlegung des Mandats so schonend wie mglich vor sich gehen. Anders steht es auch hier fr den Pflichtverteidiger, der keine Mglichkeit hat, die Rcknahme seiner Bestellung zu beantragen. Er mßte sonst das Gestndnis des Mandanten offenbaren, was mit der Verschwiegenheitspflicht nicht vereinbar ist (Rn. 48). Eine alltgliche Variante ist der Konflikt des Verteidigers, wenn er von der Schuld des Mandanten zwar nicht positiv weiß, aber von ihrem Gegebensein persnlich berzeugt ist. Diese subjektive Gewißheit gewinnt der Verteidiger oft durch berzeugende Anzeichen in Verhalten und ußerungen des Mandanten, seiner Angehrigen oder Dritter oder aus anderen Umstnden. Hier muß der Verteidiger seine Entscheidung noch sehr viel sorgfltiger abwgen. Er hat dabei zu beachten, daß subjektive Gewißheit keine objektive Wahrheit zu sein braucht. Sie ist nicht einmal durch ein „Gestndnis“ immer sicher verbrgt, das aus mancherlei Motiven unwahr sein kann (Rn. 74). Die behandelte Konfliktslage hat viele Varianten. Hufig ist es so, daß der Mandant den Tatbestand in wesentlichen Teilen zugibt, jedoch andere Taten oder Tatteile verschweigen will. Er gibt z. B. eine Unfallflucht zu, will aber den dem Verteidiger berichteten Alkoholkonsum verschweigen. Der Verteidiger wird von Fall zu Fall entscheiden mssen, ob er in dieser Linie die Verteidigung fhren oder niederlegen will (vgl. auch Rn. 57). 6. Interessenkollision und Parteiverrat Dahs, Mnchener Kommentar zum StGB (ersch. vorauss. 2006), § 356; Dahs, Anmerkung zu OLG Stuttgart, JR 1986, 349; Dahs, Anmerkung zu BGH, JR 1987, 476; Dahs, Anmerkung zu BGH, NStZ 2000, 370, 371; Dahs, Absprachen im Strafprozeß – Chancen und Risiken, NStZ 1988, 153; Dahs, Parteiverrat im Strafprozeß, NStZ 1991, 561; Dahs, Angeklagter und „verdchtiger Zeuge“ – Parteien im Strafprozeß (§ 356 StGB), NStZ 1995, 16; Dahs, Zum Parteiverrat und zur Schweigeund Treuepflicht des Rechtsanwalts (Anm. zu BGHSt. 34, 190), JR 1987, 476; Dingfelder/Friedrich, Parteiverrat und Standesrecht, 1987; Erb, Parteiverrat, BRAK-Schriftenreihe, Bd. 14, 2005; Eylmann, Die Interessenkollision im Strafverfahren, AnwBl. 1998, 359; Geppert, Der strafrechtliche Parteiverrat, 1961; Geppert, Strafverteidigung und Parteiverrat, NJW 1958, 1959; Geppert, Anmerkung zu OLG Stuttgart, NStZ 1990, 542; Holtz, Parteiverrat in Strafsachen, Diss. Tbingen 1996;

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Kleine-Cosack, Parteiverrat bei Mehrfachvertretung, AnwBl. mann/Burckart, Die Interessenkollision – Anwaltschaft im 2005, 312; Prinz, Der Parteiverrat des Strafverteidigers, Diss. Begriff „dieselbe Rechtssache“ beim Parteiverrat, JR 1996, 256; Strafverteidigung, Parteiverrat, NJW 1959, 133.

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2005, 338; OfferWandel?, AnwBl. 1999; Ranft, Zum Schmidt-Leichner,

Das Mandat des Verteidigers untersteht dem Gebot absoluter Treuepflicht. Die Treue gegenber dem Mandanten bildet die Grundlage des Anwaltsberufes. Die Treuepflicht ist das Spiegelbild des Vertrauens, das der Mandant dem Verteidiger entgegenbringt. Dieser offenbart sich ihm in rckhaltloser Offenheit, weil er in seiner Lage alles von ihm erhofft. Die Treuepflicht gebietet dem Rechtsanwalt nicht nur sorgfltigste Prozeßfhrung und strenge Beobachtung seiner Berufspflichten, sondern darber hinaus den ußersten Einsatz aller Verhandlungsmittel unter Anspannung seiner ganzen Krfte. Dabei darf er allerdings seine Unabhngigkeit nicht in Gefahr geraten lassen. Die Verletzung der Treuepflicht ist ein schlimmes Vergehen des Verteidigers. Sie ist als Verrat des Mandanten schlechterdings unertrglich. Deshalb wird der Parteiverrat des Rechtsanwalts mit einer Mindeststrafe von drei Monaten Freiheitsstrafe bedroht (§ 356 StGB). Auch die BRAO und die Berufsordnung enthalten in § 43a Abs. 4 und § 3 Abs. 1 entsprechende Vorschriften. Kraft dieser Bestimmungen ist es dem Anwalt nicht erlaubt, in derselben Rechtssache zwei Parteien, deren Interessen einander widerstreiten, durch Rat oder Beistand pflichtwidrig zu dienen. Daß diese Voraussetzungen gegeben sind, liegt manchmal klar auf der Hand. In vielen Fllen ist dies aber schwer zu erkennen und wird in der Praxis oft in geradezu erschreckendem Umfang verkannt. Wer in einem Strafverfahren zunchst den Beschuldigten und spter den Nebenklger vertritt, begeht Verrat. Wer einen Angeklagten in der Hauptverhandlung verteidigt und einen von ihm angegriffenen Zeugen spter in einem Strafverfahren wegen derselben (Falsch-)Aussage vertritt, handelt pflichtwidrig und ist regelmßig strafbar. Die Verteidigung mehrerer Beschuldigter durch einen gemeinschaftlichen Verteidiger wegen derselben Tat (§ 264) ist nach § 146 generell unzulssig (vgl. i. e. Rn. 125), auch wenn die Gefahr der Interessenkollision nicht besteht. Dagegen ist die sukzessive Verteidigung prozessual zulssig, womit ber eine Interessenkollision im Einzelfall allerdings nichts gesagt ist111. Auch ist nicht ausgeschlossen, daß mehrere Mitglieder einer Soziett verschiedene Beschuldigte in dem-

111 Fr Mitbeschuldigte vgl. OLG Stuttgart, NStZ 1990, 542 m. Anm. Geppert, OLG Zweibrcken, NStZ 1995, 36 m. N.

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selben Verfahren verteidigen, wenn der Auftrag nicht der Soziett, sondern dem einzelnen Sozius persnlich erteilt wird (Rn. 138)112. Die neben der Verteidigung eines Beschuldigten in demselben Verfahren einem anderen gewhrte bloße Beratung ist durch § 146 nicht untersagt, jedoch ist auch hier die Gefahr der Interessenkollision besonders zu beachten. Das wird hufig bersehen, wenn die Beratung der Beteiligten zu verschiedenen Zeiten erfolgt. Wenn der Verteidiger den einen Beschuldigten – wenn auch nur flchtig – beraten und dieser inzwischen einen anderen Verteidiger beauftragt hat, darf er spter nicht den Geschdigten beraten oder vertreten. Bei der nach § 146 zulssigen sukzessiven Verteidigung mehrerer Beschuldigter wegen derselben Tat in demselben Verfahren muß der Verteidiger besonders auch bedenken, daß die Treuepflicht mit der Auflsung eines Mandats nicht endet.

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Die Probleme in dem hier behandelten Bereich des Parteiverrats gehen zu einem wesentlichen Teil auf die irrefhrende Kennzeichnung „Parteiverrat“ zurck. Sie legt die Auslegung nahe, daß einziges geschtztes Rechtsgut der Verbotsnorm die Treuepflicht des Anwalts sei. Das ist ein verhngnisvoller Irrtum. Das Verbot wrde dann nmlich in allen Fllen nicht gelten, in denen die Parteien mit der Vertretung der entgegengesetzten Interessen oder mit einer doppelseitigen Beratung einverstanden sind. In Wirklichkeit beseitigt dieses Einverstndnis das Verbot und auch die Strafbarkeit grundstzlich nicht113. Denn geschtztes Rechtsgut ist außer der Treuepflicht die Funktion des Verteidigers im Rechtssystem114. Nach h. M.115 ist es freilich Zweck der Verbotsnorm, die Gefhrdung der Rechtspflege durch anwaltliches Fehlverhalten auszuschließen. Diese ist bei der Vertretung kollidierender Interessen immer gegeben, auch wenn die Parteien demselben Anwalt in derselben Rechtssache ihr Vertrauen schenken. Der Rechtsanwalt muß aber geradlinig bleiben, er darf nicht auf zwei Schultern tragen, er darf dieselbe Sache nicht einmal schwarz und ein anderes Mal weiß darstellen. Die Verhtung solcher Zwiespltigkeit ist die ratio legis.

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Ein weiterer Grund fr die Mißverstndnisse ist der Begriff „derselben Rechtssache“116. Er wird oft dahin ausgelegt, es msse sich um dasselbe

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112 BVerfG, NJW 2003, 2520; Kleine-Cosack, AnwBl. 2003, 359; eingehend Dahs, MKo StGB, § 356 Rn. 34. 113 Dazu eingehend Dahs, MKo StGB, § 356 Rn. 48 ff. 114 Dahs, MKo StGB, § 356 Rn. 2 ff. 115 Vgl. nur BVerfG, NJW 2001, 3180 f.; LK/Hbner, § 356 Rn. 9; Prinz, S. 20 f.; Lackner/Khl, § 356 Rn. 1. 116 Dazu i. e. Dahs, MKo StGB, § 356 Rn. 43 ff.

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Verfahren handeln. Das ist schon deshalb falsch, weil das Verbot fr jede anwaltliche Ttigkeit gilt, auch wenn ein frmliches Verfahren nicht anhngig ist, wie etwa in den Fllen außergerichtlicher Beratung. „Rechtssache“ ist vielmehr jedes einheitliche Lebensverhltnis. Die Einheitlichkeit wird auch durch lngeren Zeitabstand nicht aufgehoben. Typische Flle sind das durch die Ehe begrndete Lebensverhltnis, ein Mietverhltnis oder auch eine Autofahrt, bei der es zu einem Verkehrsdelikt gekommen ist117. Daraus kann zu ganz verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Verfahren ein Rechtsstreit entstehen. Ein Rechtsanwalt hat eine Frau im Sorgerechtsverfahren vertreten und auftragsgemß den Ehemann sexueller Handlungen am Kind beschuldigt. Nach einiger Zeit erscheinen die inzwischen vershnten Eheleute und bitten den Anwalt dringend, die Verteidigung des von dem Kind verleumdeten Ehemannes in dem Strafverfahren wegen des Sexualdelikts zu fhren. Die Annahme dieses Mandats ist Parteiverrat, weil der Anwalt die angeblichen Handlungen des Mannes einmal gegen ihn ausgewertet hat, dieselben Handlungen jetzt aber als sein Verteidiger in Abrede stellen soll. Auf die Einwilligung der Ehefrau als der frheren Mandantin kommt es nicht an. Der Verteidiger greift eine Zeugin im Strafverfahren wegen einer angeblich falschen Aussage an. Der trotzdem verurteilte Mandant betreibt eine Wiederaufnahme des Verfahrens ber den Weg eines Strafverfahrens gegen die Zeugin. Spter verlobt er sich mit ihr und beauftragt den Anwalt, ihre Verteidigung im Strafverfahren wegen Falschaussage zu fhren. Die bernahme dieses Mandats wre Parteiverrat trotz des absoluten Einverstndnisses der Beteiligten. Der Verteidiger vertritt zunchst den als PKW-Fahrer wegen eines Verkehrsdelikts angeklagten Halter; gleichzeitig bert er die als Zeugin geladene Mitfahrerin, die alternativ als Fahrerin in Betracht kommt. Das ist – ebenso – Parteiverrat wie gleichzeitige Mandatsfhrung fr Nebentter oder Beschuldigte und „Opferzeugen“118. 83

Es gibt nun allerdings auch Flle, in denen die Parteien den Interessengegensatz dadurch ausschalten knnen, daß sie das Mandat in einer bestimmten Weise „ausrichten“. In Strafsachen ist dies u. a. wegen der Maxime der Sachaufklrung von Amts wegen (§ 160, § 244 Abs. 2) schwierig119. Wenn zu Beginn eines grßeren Ermittlungsverfahrens ein Anwalt den Auftrag einer Unternehmensleitung bernimmt, Betriebsangehrige

117 Vgl. OLG Zweibrcken, NStZ 1995, 35; dazu Dahs, NStZ 1995, 16; interessant auch OLG Karlsruhe, wistra 1997, 315. 118 OLG Zweibrcken, NStZ 1995, 36. 119 Interessanter Fall: BGH, NStZ 1982, 465; vgl. ferner Dahs, NStZ 1991, 564 f.

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in ihrer Eigenschaft als Beschuldigte hinsichtlich der formellen Seite mglicher Vernehmungen zu informieren (Aussageverweigerung, schriftliche Einlassung u. a.), so kann dies unbedenklich sein, wenn der Verteidiger bei diesen Belehrungen es absolut vermeidet, sachliche Einzelfragen zu besprechen, und wenn er außer Zweifel stellt, daß er nicht Verteidiger des einzelnen ist. Der Verteidiger ist dann nicht gehindert, im weiteren Verfahren einen der vorher beratenen Betroffenen zu verteidigen, weil die gegenstzlichen Elemente des Sachverhalts durch Beschrnkung des ersten Auftrages ausgeschaltet waren. Kritisch ist die Situation dann, wenn zwei Mandate bernommen und gefhrt werden, zwischen denen eine Interessenkollision auftreten knnte, tatschlich jedoch (noch) nicht besteht. Diese in der Sache zwar angelegte (latente) Interessenkollision, die aber nicht unbedingt aufbrechen muß, kann durch eine entsprechend ausgerichtete Verteidigung – wenn dies im Einverstndnis aller geschieht – kupiert werden. Der Verteidiger geht hier aber einen gefhrlichen Weg, wenn es mehr oder weniger von Zufall abhngig ist, ob der Interessenkonflikt im Laufe des Verfahrens aufbricht oder nicht und ob er dies rechtzeitig bemerkt und mit der Niederlegung beider Mandate reagieren kann. Nicht verboten ist die Vertretung entgegengesetzter Interessen in der „gleichen“ Rechtssache, sofern es sich nicht um „dieselbe“ Rechtssache handelt. Verteidigt der Anwalt im ersten Verfahren den Autofahrer A gegen den Vorwurf schuldhafter Trunkenheit im Straßenverkehr mit der Begrndung, dieser habe um die atypische Wirkung des Alkoholkonsums im Zusammenhang mit einer bestimmten Erkrankung nicht gewußt, und vertritt er spter in einem anderen Strafverfahren einen Nebenklger B gegen denselben Angeklagten A mit der Begrndung, A habe seine Erkrankung und ihre Bedeutung bei Alkoholkonsum gekannt, so fehlt es am gesetzlichen Tatbestand des § 356 StGB. Die Vertretung durch denselben Anwalt betrifft hier nicht „dieselbe Rechtssache“, weil der erste Fall mit dem zweiten Fall nicht in einem „einheitlichen Lebensverhltnis“ zusammengeschlossen ist. Es handelt sich vielmehr um verschiedene Vorflle zwischen verschiedenen Personen zu verschiedenen Zeiten und ohne eine das Ganze zusammenfassende Klammer. Nur ein einzelner tatbestandlicher Umstand ist in beiden Fllen bedeutungsvoll, die Alkoholvertrglichkeit eines Beteiligten. Dadurch entsteht in einem Punkte fr den Anwalt eine Gleichheit der Lage, aber keinesfalls eine Identitt der beiden Rechtssachen. Der Verteidiger handelt allerdings wegen seiner kompromittierenden Doppelzngigkeit wohl berufswidrig (§ 43 BRAO). Es kann berhaupt recht geschmacklos – wenn auch nicht unbedingt berufswidrig oder gar strafbar – sein, gegen Personen aufzutreten, die man 59

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Die allgemeine Stellung des Verteidigers

in einer anderen Sache vertritt oder vertreten hat, auch wenn es sich nicht um dieselben Streitpunkte handelt. In einer Strafsache fhrte ein Anwalt eine Verteidigung, die ihn zu schrfsten Angriffen und Beweisantrgen gegen einen Zeugen ntigte. Diesen Zeugen vertrat er gleichzeitig in einer anderen Strafsache. Die beiden Flle standen in keinem Zusammenhang. Der Vorsitzende beanstandete die Doppelvertretung als „Interessenkollision“. Eine solche war im technischen Sinne nicht gegeben, weil es am Begriff „derselben Rechtssache“ fehlte. Dem Verteidiger war gleichwohl die Niederlegung der Verteidigung zu empfehlen, obwohl sein Mandant mit der zweiten Verteidigung einverstanden gewesen war. Das konnte am ußeren Bild des auf zwei Schultern tragenden Anwalts nichts ndern. 84

Die Verteidigung eines Beschuldigten im Strafverfahren kann mit der Vertretung im zivilrechtlichen Schadensersatzprozeß kollidieren, wenn der Anwalt dort sowohl den Beschuldigten wie dessen Haftpflichtversicherung als gemeinsame Beklagte vertritt. Er kann als Verteidiger Tatsachen erfahren haben, deren Bekanntgabe an die Versicherung zur Entziehung des Versicherungsschutzes fhren knnte120.

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Kein Problem ist heute mehr der Aktenauszug fr Versicherungsgesellschaften. Die Haftpflichtversicherung eines Unfallbeteiligten bittet den Verteidiger eines anderen Beteiligten um berlassung eines vom Verteidiger beschafften Aktenauszuges aus den Strafakten gegen die bliche Pauschalgebhr bzw. Erstattung der Kopierkosten. Noch hufiger wird dieses Verlangen an den Anwalt des Nebenklgers und Geschdigten gerichtet. Die Aushndigung des Auszuges soll in diesen Fllen der beschleunigten Regelung des Schadens dienen und liegt daher vor allem im Interesse der vom Anwalt vertretenen (und ggf. beweispflichtigen) Partei. Es ist aber zu beachten, daß an sich der Anwalt mit Annahme und Ausfhrung des Auftrages gegen Entgelt dem Gegner in derselben Rechtssache dient, in der er den anderen vertritt. Zudem kann der Aktenauszug auch Umstnde ergeben, die dem Mandanten ungnstig sind. Andererseits wird die Versicherung den Aktenauszug auch auf anderem Wege erhalten und bis dahin zur Schadensregelung nicht bereit sein. Gegen den Vorwurf einer Interessenkollision spricht auch, daß der Auftrag der Versicherung an den Anwalt auf den Aktenauszug beschrnkt ist und daß in diesem Bereich die Interessen der Beteiligten sich decken. Auch kann man sagen, daß die Aushndigung des Aktenauszuges zur Vertretung des Mandanten gehre. Dann ist aber auch die Annahme der blichen (sehr geringen) Pauschalgebhr fr die Fertigung des Aktenauszuges hinnehmbar. Sonst wrden die Versicherungsgesellschaften die Nutznießer der berufsrechtlichen Gebun120 Gerhardt, NJW 1970, 313.

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Der Verteidiger im Widerstreit seiner Berufspflichten

Rn. 87

denheit des Anwalts, indem sie den Aktenauszug letztlich unentgeltlich bekmen – sicher kein wnschenswertes Ergebnis (vgl. Rn. 282). Die Zustimmung des Klienten sollte freilich herbeigefhrt werden. Die Betroffenen berufen sich hufig auf ihre Gutglubigkeit und einen entschuldbaren Verbotsirrtum. Damit werden sie in den meisten Fllen keinen Erfolg haben. Die Irrtumsfragen bei § 356 StGB sind sehr komplex und schwierig121. Es besteht eine gewisse Neigung, eine strafausschließende Entschuldbarkeit grundstzlich nicht anzuerkennen mit der Begrndung, daß der Rechtsanwalt „seinen“ Paragraphen am besten kennen msse122. Das kann anders sein, wenn ein zu Rate gezogener erfahrener Kollege123 oder der Vorstand der Rechtsanwaltskammer die Strafbarkeit auf Anfrage verneint hatte124 oder wenn der Betroffene zu einer Rechtsansicht aufgrund sorgfltiger eigener Prfung gelangt ist125. Dem Verteidiger ist deshalb dringend zu empfehlen, im Zweifelsfalle ein qualifiziertes Zweit-Votum einzuholen. Das hilft ihm allerdings nur, wenn er alle wesentlichen Umstnde genau bekanntgibt. Sonst wird ihm ein solches „moralisches Alibi“ nicht abgenommen. Die angedrohte Mindeststrafe von drei Monaten Freiheitsstrafe ist Warnung genug.

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Zwar ist der „bse Anschein“ der Vertretung widerstreitender Interessen heute kein Berufsvergehen mehr. Der Verteidiger sollte aber bedenken, daß schon der Verdacht einer Straftat (§ 356 StGB) oder eines Berufsvergehens (§ 43 a Abs. 4 BRAO i. V. m. § 3 Abs. 1 BORA) ein Ermittlungsverfahren mit all seinen negativen Konsequenzen und Belastungen auslsen kann. In jedem Falle leidet sein guter Ruf, vor allem bei der Strafjustiz, erheblich. Deshalb kann nur dringend dazu geraten werden, schon bei dem leisesten Zweifel das Mandat lieber aufzugeben als sich aufs Glatteis zu begeben. Wenn der Verteidiger schon so viele Zweifel hat, daß er mit Herumfragen anfngt, dann sollte er von dem Mandat ablassen.

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7. „Werbung“ Bardenz, Anwaltliches Werberecht – Aktuelles zu den berufs- und wettbewerbsrechtlichen Grenzen, MDR 2001, 1409; Bardenz, Anwaltliches Werberecht – Eine bersicht mglicher Werbemittel, MDR 2001, 247; Danko/Donsbach/Sreglich, Anwaltswerbung aus der Sicht deutscher Anwlte – Ergebnisse einer reprsentativen Umfrage unter DAV-Mitgliedern, NJW 2004, 18; Deppert, Die Rechtsprechung

121 122 123 124 125

Dahs, MKo StGB, § 356 Rn. 63 ff. BGHSt. 7, 262, 263; BGHSt. 18, 192, 195. BGHSt. 18, 192, 197; BGHSt. 15, 332, 341. BGHSt. 18, 192, 197; BGHSt. 5, 301, 307; Dahs, NStZ 1991, 565 f. BGHSt. 15, 332, 341; BGHSt. 18, 192, 197.

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Rn. 88

Die allgemeine Stellung des Verteidigers

des Senats fr Anwaltssachen des Bundesgerichtshofs im Jahre 2002, BRAK-Mitt. 2003, 42; Feuerich/Weyland, BRAO, Kommentar, 6. Aufl., 2003, § 43b; HillmannStadtfeld, Aktuelle Rechtsprechung zur Zulssigkeit anwaltlicher Werbemaßnahmen, AnwBl. 2002, 271; Hoß, Berufs- und wettbewerbsrechtliche Grenzen der Anwaltswerbung im Internet, AnwBl. 2002, 377; Pohlmann, Die Beschrnkung anwaltlicher Werbung in Berufs- und Wettbewerbsrecht, Diss. 2002; Salditt, Strafverteidiger und ffentliche Meinung, AnwBl. 1999, 445; Schneider, Standes- und wettbewerbsrechtliche Grenzen der Internet-Prsentation von Anwlten, MDR 2000, 133; Graf v. Westphalen, Einige Bemerkungen zu Akquisitionserfolgen und Manieren, AnwBl. 2005, 306, 309 ff.

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Gerade Strafsachen erfreuen sich vielfach eines großen Publikums- und Medieninteresses. Fr den Verteidiger bieten sie deshalb den besonderen Reiz, sich und die von ihm bearbeitete Sache sensationell herauszustellen und so Werbung fr seine Praxis zu machen. Presse und andere Medien haben naturgemß ein hohes Interesse sowohl an effektvollen Auftritten von Verfahrensbeteiligten wie auch an (vertraulichen) Informationen aus erster Hand. Gelegentlich bringen Journalisten auch ganz unverhohlen zum Ausdruck, der Verteidiger mge im Interesse seines Bekanntheitsgrades die ihm gebotene „Chance“ fr seine Praxis nutzen. Davon machen Verteidiger auch immer wieder Gebrauch. Oft wundert man sich, wie unbedacht ber Anklage, Verfahrensstrategie, Richter und Klienten in aller Medien-ffentlichkeit geplaudert wird. Mir ist stets das Wort eines Strafkammervorsitzenden im Ohr, der einen notorisch publicityorientierten Verteidiger kurzerhand dahin beschied: „Herr Rechtsanwalt, eigentlich brauchen Sie hier gar nichts mehr zu sagen, denn Ihre Verteidigungsargumente kennen wir schon aus der X-Illustrierten!“ Besser ist allemal die Werbung durch die eigene Leistung. Mit dieser hat der Verteidiger sich Ansehen und Klientel zu verschaffen, nicht aber mit den Reklamemitteln eines Kaufmanns. Auch das anwaltliche Berufsrecht verbietet die reklamehafte, d. h. kaufmnnisch-anreißerische Werbung (vgl. §§ 43b BRAO, 6, 7 BORA). Die Mglichkeit, die Bezeichnung Fachanwalt fr Strafrecht (§ 43c BRAO) zu erwerben und auf Briefbgen, in Praxisbroschren Hinweise auf Interessen- und Ttigkeitsschwerpunkte zu geben (§ 7 BORA), sollte ausreichen, um in seriser Weise auf besondere Qualifikationen aufmerksam zu machen. Um kein Mißverstndnis aufkommen zu lassen: Der Umgang mit Medienvertretern ist den Verteidigern weder berufsrechtlich untersagt, noch wird ihm hier davon abgeraten. Da die Justizbehrden, insbesondere die Staatsanwaltschaften, durch Pressesprecher oder auch Behrden- und Abteilungsleiter sowie Dezernenten Informationen herausgeben126, sind entsprechende Erklrungen der Verteidigung nicht nur erlaubt, sondern oft 126 Vgl. Nr. 23 RiStBV.

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Der Verteidiger im Widerstreit seiner Berufspflichten

Rn. 89

sogar geboten, sei es zur Richtigstellung von tendenzisen oder unzutreffenden Verlautbarungen oder als „Kontrapunkt“ zur (einseitigen) Sicht der Strafverfolgung (Rn. 98). Es gibt auch – allerdings seltene – Flle, in denen die Verteidigungsaufgabe es gebietet, von sich aus an die Medien heranzutreten (Rn. 97 f., 1163). Dies muß aber nach sorgfltiger Abwgung und in streng sachbezogener Form geschehen. Er sollte sich auch nicht an die Gerichtsreporter heranmachen und sich bei ihnen beliebt machen, damit sie seinen Namen bringen. Zuwendungen und Einladungen zu diesem Zwecke sind zu unterlassen. Eher ist eine gewisse Zurckhaltung innerhalb und außerhalb des Gerichtssaals vorzuziehen. In der Fhrung der Verteidigung ist jede auf Sensation und Reklame abzielende Pose zu vermeiden. Der Verteidiger soll sich nicht gespreizt in Szene setzen und effektvolle Auftritte oder Zusammenstße provozieren, um so aufzufallen und zu Publicity zu gelangen. Nicht zuletzt dadurch ist das dumme Wort vom „Staranwalt“ entstanden. Es versteht sich von selbst, daß der Verteidiger sich nicht in das „Schußfeld“ von Fotoreportern und Kameraleuten hineindrngen sollte. Er braucht sich allerdings vor ihnen auch nicht zu verstecken. Angesichts der zuweilen geradezu beherrschenden Rolle der abbildenden Medien im oder vor dem Gerichtssaal oder dem Gerichtsgebude wren solche Versuche eher krampfhaft und seiner Stellung unwrdig. Der Presse auf Wunsch ein Foto zur Verfgung zu stellen, ist besser als die Alternative eines etwa vorhandenen Archivbildes, das einem Fahndungsfoto hnlich ist. Berufsrechtlich wird inzwischen sehr viel konzediert. Schwierig drfte es aber werden, wenn Medien von dem Verteidiger ein Film- oder BildInterview wnschen und ihn in anreißerischer Pose, z. B. vor dem Gericht oder der JVA – natrlich in Robe – gleich serienweise „schießen“ wollen. Das knnte berufsrechtlich bedenklich sein. Allerdings soll die bloße berlassung von Anwaltsfotos fr einen anpreisenden Pressebericht keine berufswidrige Werbung sein127. Sogar die Angabe von Erfolgs- und Umsatzzahlen wird heute toleriert128. Schriftstellerische129 und rednerische Ttigkeit ist als solche keine verbotene Praxiswerbung (Rn. 113), ebensowenig die Teilnahme an einer Fernsehsendung ber fachliche, berufspolitische oder rechtspolitische Fragen. Dabei sollte die reißerische Herausstellung des Berufes auf jeden Fall unterbleiben – was zwar hufig „nur“ Geschmacksache sein mag, aber ggf. 127 BVerfG, EWiR 2000, 77 m. Anm. Huff. 128 OLG Nrnberg, BRAK-Mitt. 2004, 184. 129 BGHSt. 26, 131.

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Rn. 90

Die allgemeine Stellung des Verteidigers

auch das Berufsrecht (§ 43 S. 2 BRAO) tangieren knnte. (Vgl. i. . Rn. 95) Der Verteidiger darf sich auch nicht an potentielle Auftraggeber mit dem Ziel der Akquisition von Mandaten „heranmachen“. Wenn er beispielsweise bei Akteneinsicht fr eine Versicherung Namen von Beschuldigten oder anderen potentiellen Auftraggebern erfhrt, darf er mit diesen keine Verbindung aufnehmen. Wenn ihm eine Verteidigung angetragen wird, die er zugunsten eines anderen Beteiligten lieber ablehnen mchte, darf er diesen nur ausnahmsweise – z. B. wenn es sich um einen „Dauermandanten“ handelt – darber informieren (Rn. 139). In dem Sonderfall einer Beauftragung durch die Presse ist besondere Vorsicht geboten (Rn. 143). 90

Allzu intensive Kontakte mit Medien bergen stets die Gefahr des „bsen Anscheins“ der Werbung um jeden Preis in sich. Solch bser Anschein ist heute als solcher zwar berufsrechtlich nicht mehr sanktioniert, jedoch sollte bedacht werden, daß in sehr vertrauten Gesprchen leicht die Selbstkontrolle nachlassen und z. B. die Schweigepflicht und die damit zusammenhngende Schutzaufgabe Schaden nehmen knnen. Vertrauliche „Hintergrundinformationen“, die nicht zur Verffentlichung bestimmt sind, wird der Verteidiger nur mit ausdrcklicher Zustimmung des Mandanten an besonders vertrauenswrdige Journalisten geben knnen, wenn die sachgerechte Vertretung der Interessen des Klienten dies erfordert oder wenigstens gestattet. Hlt der Verteidiger eine Presseerklrung oder gar eine Pressekonferenz (Rn. 98) fr notwendig, so sollte er das vielleicht durchaus berechtigte Verteidigungsanliegen nicht im Rahmen eines Luxushotels mit Buffet und Alkohol „unterstreichen“.

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Mandate aus der JVA (Rn. 129, 136) konzentrieren sich nach bereinstimmenden Erfahrungen verbreitet auf bestimmte Verteidiger. Das kann auf durchaus legaler Grundlage beruhen. Im Milieu der Haftanstalt kann sich aber der Verteidiger auch mit anderen Mitteln beliebt machen. Zigaretten und sonstige Aufmerksamkeiten erzeugen bei dem Anstaltspersonal leicht eine gnstige Stimmung, die sich mit Empfehlungen oder Mandatsvermittlungen bezahlt machen kann. hnlich wirkt es, wenn der Verteidiger seine Klientel mit solchen Dingen, etwa mit Geld, Tabakwaren oder Schlimmerem verwhnt, besonders aber, wenn er großzgig in der Vermittlung privater oder gar auf die Sache bezglicher Nachrichten verfhrt. Ich habe Kollegen erlebt, die bei jedem Besuch des Klienten in der JVA zunchst das „Fllhorn“ ihres Tascheninhalts – Zeitschriften, Zigaretten, Toilettesachen, Genußmittel – ausgossen, ehe man dann ein Sachgesprch versuchen konnte. In der Haftanstalt verbreitet sich erfahrungsgemß der so entstandene Ruf des Verteidigers wie ein Lauffeuer. Dazu gehrt auch der Mißbrauch der fr den Verteidiger unbeschrnkten Be64

Verteidiger und Medien-ffentlichkeit

Rn. 92

suchserlaubnis zu sachlich nicht gebotenen stundenlangen Unterhaltungen, die sich schließlich so herumsprechen, daß der betreffende Verteidiger zu einer Art von beliebtem „Hausanwalt“ der Haftanstalt wird, der stndig zur Verfgung steht. Alles das ist mit Wrde und Berufspflichten des Verteidigers nicht zu vereinbaren.

IV. Verteidiger und Medien-ffentlichkeit Bttcher, Zur Instrumentalisierung des Ermittlungsverfahrens im politischen Meinungskampf, GS Schlchter (2002), S. 435; Bornkamm, Pressefreiheit und Fairneß des Strafverfahrens, 1980; BRAK-Schriftenreihe, Bd. 13, S. 115 ff.; Bundesregierung, Bericht zur Vorverurteilung durch die Medien, BT-Drucks 10/4608; Dahs, Der Brger im Strafverfahren: Zwischen Vorverurteilungen und Persnlichkeitsschutz, Osnabrcker Rechtswissenschaftliche Abhandlungen, Bd. 27 (1991), S. 367; Dahs, Anm. zu BGH, NStZ 1986, 562, 563; Dalbkermeyer, Der Schutz des Beschuldigten vor identifizierenden und tendenzisen Pressemitteilungen der Ermittlungsbehrden, 1994; Gatzweiler, Verteidigung und Medienkontakte, StraFo 1995, 64; Hassemer, Vorverurteilung durch die Medien, NJW 1985, 1921; Jahn, Der Einfluß der Medien auf das Strafverfahren, 1990 S. 5; Krekeler, Maßnahmen zur Verhinderung der Entstehung und der Einwirkung „ffentlicher Vorverurteilungen“ auf das Strafverfahren, AnwBl. 1985, 426; Lehr, Bildberichterstattung der Medien ber Strafverfahren, NStZ 2001, 63; Lehr, Strafverteidigung und Medien, Mnchener Anwaltshandbuch Strafrecht, in Vorbereitung, § 19; Roxin, Strafrechtliche und strafprozessuale Probleme der Vorverurteilung, NStZ 1991, 153; Salditt, Strafverteidiger und ffentliche Meinung, AnwBl. 1999, 445; Schaefer, Vorverurteilung, NJW 1996, 496; Schroers, Versteckte Probleme bei der Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaften und Medien, NJW 1996, 969; Ulsamer, Einige Bemerkungen ber Medien und Strafprozeß, FS Jauch (1991), S. 221; Wagner, Strafprozeßfhrung ber Medien, 1987; Weiler, Medienwirkung auf das Strafverfahren, ZRP 1995, 130; Widmaier, Gerechtigkeit – Aufgabe von Justiz und Medien, NJW 2004, 399; Zipf, Gutachten zum 54. DJT 1982; Zuck, Medien und Justiz, DRiZ 1997, 23.

1. ffentlichkeit in Strafprozessen und Verfahren vor parlamentarischen Untersuchungsausschssen Vgl. auch Rn. 1158 ff. Der Begriff der ffentlichkeit, wie ihn die Verfahrensordnung in § 169 S. 1 GVG kennt, ist vor allem in Strafsachen seit langem ber die bloße Zugnglichkeit des Verhandlungsraumes fr jedermann hinausgewachsen. Wer heute in diesem Zusammenhang von ffentlichkeit spricht, meint nur zuletzt den Zuhrer im Verhandlungssaal, sondern versteht darunter vielmehr die unbestimmte Vielzahl von Personen, die mit Hilfe der Massenmedien am Geschehen eines Strafprozesses oder eines strafprozeßhnlichen Verfahrens teilnehmen. So entsteht gleichsam eine „elektronische 65

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Rn. 93

Die allgemeine Stellung des Verteidigers

ffentlichkeit“. Waren es frher nur die Berichterstatter der Presse (der sog. Printmedien), denen diese Informationsaufgabe zufiel, so sind mit dem Fortschreiten der technischen Entwicklung die Reporter des Rundfunks, des Fernsehens und die Berichterstattung im Internet hinzugekommen. Zwar sind unmittelbare Rundfunk- und Fernsehbertragungen aus dem Gerichtssaal whrend der Verhandlung – anders als Bildaufnahmen, fr die allgemeinere Vorschriften gelten130 – nach § 169 S. 2 GVG nach wie vor unzulssig. Es hat sich aber (leider) mehr und mehr eingebrgert, daß Vorsitzende und Verhandlungsleiter das Fotografieren, das Filmen und Fernsehaufnahmen vor und nach der Hauptverhandlung, in den Pausen und auch nach Eintritt des Gerichts in den Saal ber einen mehr oder weniger langen Zeitraum bis zur frmlichen Erffnung der Verhandlung zulassen. Sogar Erklrungen des Staatsanwalts, des Vorsitzenden, auch von Verteidigern und ihren Mandanten „am Rande“ der Hauptverhandlung vor laufenden Kameras sind keine Seltenheit mehr. 93

In Verfahren vor parlamentarischen Untersuchungsausschssen des Bundes und der Lnder (dazu E II. u. III., Rn. 1150 ff., 1158 ff.), die der „sinngemßen Anwendung der Vorschriften ber den Strafprozeß“ (Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG) verpflichtet sind, geben Mitglieder sogar whrend noch andauernder Vernehmung von Zeugen in der Beweisaufnahme vor dem Sitzungssaal Informationen ber Aussagen an Presse und Fernsehen, wobei sie ihre eigene oder ihrer Fraktion Beweiswrdigung gleich einbeziehen131. Diese Entwicklungen sind auch deshalb bedenklich, da Verlautbarungen der skizzierten Art quasi „binnen Stundenfrist“ in den Internet-Nachrichten – mit den einschlgigen Fotos – nachgesehen werden knnen. Der Rechtsgrundsatz des § 169 S. 1 GVG wird dadurch zunehmend ausgehhlt. Der Verteidiger (und Zeugenbeistand – Rn. 1150 ff.) muß sich diese Situation bewußt machen und in seine Verteidigungsstrategie einbeziehen, d. h. den Wunsch der Medienvertreter nach Informationen ber ein bestimmtes Verfahren nicht schlechterdings ignorieren. Denn auch er selbst braucht im Einzelfall die Medien, um sich an die ffentlichkeit wenden zu knnen und z. B. Presseerklrungen der Staatsanwaltschaft, des Gerichtssprechers und anderer Verfahrensbeteiligter im Interesse des Mandanten entgegenzutreten, dessen Standpunkt zur Geltung zu bringen oder bestimmte Prozeßvorgnge zu kommentieren. In dieser Weise berhren und berschneiden sich die Belange des Anwalts und seiner Mandanten mit dem Interesse der ffentlichkeit an allgemei130 Dazu Lehr, NStZ 2001, 63, 64 f. 131 Vgl. dazu i. e. Dahs, FS Rudolphi, S. 597, 607 f.

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Verteidiger und Medien-ffentlichkeit

Rn. 95

ner wie an spezieller Unterrichtung aus Anlaß eines einzelnen Verfahrens. Es sind mitunter feinnervige Beziehungen, die unter den Beteiligten spielen. Durch ihre Empfindlichkeit wird dem Verteidiger viel an Fingerspitzengefhl und Verantwortung abverlangt. Die Massenmedien sind auf Befriedigung des Wissensdranges des Publikums und oft auch des Sensationsbedrfnisses der Menge und damit weniger auf den objektiven und rechtserheblichen Kern ihrer Informationen ausgerichtet. Daraus erklrt sich die Aufmachung mancher Berichte, die durch bertreibung und Zuspitzung Schlagzeilen machen sollen. Die Sachverhalte werden dabei hufig verzerrt. Ihrer Beurteilung in der Abschlußentscheidung wird in unerwnschter Weise vorgegriffen. Hinzu kommt die Beeinflussung von Zeugen durch Massensuggestion und die bedenklichen „Vorermittlungen“ der Medien (Rn. 600) oder anderer Organisationen, die ein Interesse daran haben, die ffentlichkeit in einem bestimmten Sinne zu beeinflussen.

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Davon sollte sich der Verteidiger fern halten, was sich auch auf die indirekte Beeinflussung der ffentlichkeit – und damit der Justiz – durch von ihm gegrndete oder gefrderte „Untersttzungskomitees“, „Solidarittsinitiativen“ u. . (= „pressure groups“) bezieht.

2. Verteidiger und Medien a) Informationen Beachte dazu auch das Kapitel „Werbung“, Rn. 88 ff. sowie Rn. 31 und 174. Der Verteidiger kommt mit den Medien, insbesondere der Presse zur Erteilung von Informationen in Verbindung, wenn er um eine Berichterstattung angegangen wird oder selbst eine solche anbietet (vgl. Rn. 98 f.). Beides ist legitim, sofern der Verteidiger damit in den gebotenen Grenzen bleibt. Diese werden vor allem durch das Gebot der Sachlichkeit und das Verbot anreißerischer Reklame (§ 6 BORA) gezogen (Rn. 95). Aber auch die Beeinflussung eines schwebenden Verfahrens ist zu vermeiden. Der Verteidiger muß dafr sorgen, daß in der ffentlichkeit kein falsches Bild entsteht. Dabei sollte er allerdings den Eindruck vermeiden, als solle durch mehr oder weniger gezielte Informationen an die ffentlichkeit auf Berufs- oder Laienrichter eingewirkt werden. Die berufsgerichtliche Rechtsprechung ist in frherer Zeit in diesem Bereich sehr streng gewesen; einschlgige Urteile sind indes heute selten geworden. Die Grenze bilden aber jedenfalls die Bestimmungen des allgemeinen Strafrechts, vor allem der merkwrdigerweise recht unbekannte § 353d (insbesondere 67

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Rn. 96

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Nr. 3), §§ 203 Abs. 1 Nr. 3, 204, 185 ff., 240, 22, 241 StGB. Der Strafverteidiger ist gut beraten, wenn er sich mit „ffentlichkeitsarbeit“ mglichst zurckhlt, um gar nicht in die Nhe solcher Tatbestnde zu kommen. Es ist vorgekommen, daß ein Angeklagter den Gang der Hauptverhandlung laufend – in seiner Sichtweise – in das Internet gestellt hat. Dann ist es mehr als eine Stilfrage, ob der Verteidiger sich daran aktiv oder passiv beteiligt und diese besondere Art der Publikation einschließlich seiner Antrge, Schriftstze und Prozeßerklrungen duldet. 96

Auf der anderen Seite ist aber die sogenannte Boulevardpresse fr die Rechtsfindung eine große Gefahr. Sie ist darauf aus, die Flle hochzuspielen. Dabei werden die Beteiligten rcksichtslos „zwischengenommen“. Die Sache kann bis zur Unkenntlichkeit entstellt werden. Der verderbliche Einfluß derartiger unseriser Publikationen auf das Gericht, insbesondere auf die Laienrichter, aber auch auf Zeugen und sonstige Prozeßbeteiligte, ist ebenso unabsehbar wie schwer einzuschtzen. Er kann den Rufmord an dem Beschuldigten bedeuten. Treffend wird vom „Vor-Urteil als ungebetenem Hilfsorgan der Staatsanwaltschaft“ und von der „Halsgerichtsbarkeit“ der Medien vor der Hauptverhandlung gesprochen. Der Verteidiger hat sich jeder Mitwirkung an solchen Machwerken zu enthalten. Besonders hat er den Eindruck zu vermeiden, er wolle sich selbst herausstreichen. Er darf nicht einmal darauf hinwirken, daß sein Name in der Presse genannt wird. Erst recht darf er sich dieserhalb nicht anbiedern (Rn. 89). Die Anwlte kommen immer wieder mit der Entschuldigung, die Medien htten die sachlich richtig erteilte Information falsch oder verzerrt wiedergegeben. Damit kann der Anwalt grundstzlich nicht gehrt werden. Er muß wissen, was die Presse aus einer Sache zu „machen“ versteht. Durch Auslassungen und Verstellungen, durch eingeschobene berschriften und falsche Akzente kann ein Text entstehen, den man selbst nicht mehr wiedererkennt. So knnen selbst harmlos gegebene Erklrungen und objektiv gefhrte Gesprche mit den Medien schlimme Folgen haben, um so mehr, als deren Vertreter es in aller Regel ablehnen, einen Text vor der Publikation zur Genehmigung vorlegen und außerdem die „Aufmachung“ der Informationen nicht von den Reportern, sondern in den Redaktionen bewirkt wird. Die Situation ist also immer geladen. Der Umgang mit den Medien ist ebenso verfhrerisch wie gefhrlich. Nur beim ersten Schritt ist man frei ... Entlarvend ist auch der alte Spruch der Reporter: „Nichts verdirbt eine gute Story schneller als ein paar Tatsachen“.

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Verteidiger und Medien-ffentlichkeit

Rn. 97

b) Medienkontakte als „flankierende Verteidigung“ Die berschrift darf nicht als generelle Handlungsempfehlung mißverstanden werden – was sich eigentlich nach den vorhergehenden Ausfhrungen von selbst versteht. An dem Grundsatz, daß die Verteidigung im Gerichtssaal und nicht in den Medien zu fhren ist, darf prinzipiell nicht gerttelt werden. Es gibt aber besondere Konstellationen im Strafverfahren, besonders aber auch in Verfahren vor den parlamentarischen Untersuchungsausschssen (Rn. 1158 ff.), bei denen es anzuraten ist, flankierend zur Verteidigung in der Sache professionellen Kontakt mit den Medien zu suchen. Das gilt vor allem in Fllen, in denen – gewollt oder ungewollt – (stndig) Informationen aus dem Bereich von Ermittlungsbehrden, Gerichten oder parlamentarischen Institutionen den Weg in die ffentlichkeit finden. Den sich daraus fr die Tatsachen- und Rechtsfindung sowie die Persnlichkeit des Mandanten drohenden Gefahren einer einseitig-zielgerichteten Information gilt es rechtzeitig entgegenzuwirken oder sie sofort zu neutralisieren. Dies sollte nicht in erster Linie – aber auch – mit Hilfe des rechtlichen Instrumentariums (Rn. 101 ff.) geschehen, sondern durch nchtern-sachliche, unpolemische Aufklrung seriser, vertrauenswrdiger Medienreprsentanten, denen nicht an sensationellen Kurzberichten, sondern an sorgfltiger Recherche gelegen ist. Ob es immer optimal ist, dafr eine public-relations-Agentur einzuschalten, mag dahinstehen. Die Erfahrungen der Praxis lehren, daß ein medienrechtlich versierter Anwalt mit guten Kontakten und Beziehungen zu den „richtigen“ Leuten durch entsprechende Aktivitten neben dem Verteidiger mehr bewirken kann. Außer offenen, zur Außenwirkung gegebenen Erklrungen spielt dabei das „Hintergrundgesprch“, das seiner Natur nach vertraulich ist, eine wichtige Rolle. In diesem besonderen Rahmen sind auch Journalisten nicht selten bereit, das Ergebnis ihrer Nachforschungen offenzulegen und besttigende oder korrigierende Informationen aufzugreifen und zu verwerten. Beiderseits als vertraulich vereinbarte Gesprche werden fast immer auch vertraulich behandelt. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse verschaffen dem Medienvertreter, der den Akteninhalt nicht kennt, bei der Verfahrensbeobachtung und gegenber tendenzisen anderen Verlautbarungen einen berlegenen „Durchblick“ und eine objektiv-fundierte Berichterstattung – auch gegenber einem nach außen vielleicht eher negativ gefrbten Verfahrensgang. Der Verteidiger und ggf. der ihn untersttzende Kollege mssen allerdings immer zwei elementare Bedingungen beachten: Die Entbindung von der Schweigepflicht durch den Mandanten – und die Gewißheit von der Serisitt und Qualitt des Gesprchspartners aus dem Bereich der Medien. Die flankierende Begleitung der Verteidigungsarbeit durch Medienkontakte der beschriebenen Art steht in ihrer Bedeutung zuweilen der Verteidigung in der 69

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Rn. 98

Die allgemeine Stellung des Verteidigers

Sache fast gleich! Man mag dies bedauern oder rechtsbedenklich finden – an der Realitt und Bedeutung des Faktors „Medienberichterstattung“ fr die Verteidigung des Mandanten ndert dies nichts. 98

Auch wenn optimale Mglichkeiten der skizzierten Art nicht bestehen, kann – und muß – der Medienaspekt der Verteidigung je nach Art und Lage des Falles stets mit ins Auge gefaßt und zur Wahrung der Mandanteninteressen realisiert werden. So knnen in grßeren Sachen mit Außenwirkung „Presseerklrungen“ oder sogar „Pressekonferenzen“ in Betracht kommen, um falschen Auffassungen und Vorurteilen zu begegnen (Rn. 90). Durch unrichtige Pressemitteilungen kann die ffentlichkeit zu Lasten des Beschuldigten grblich irregefhrt sein. Auch knnen Mitteilungen der Justizpressestelle oder der Staatsanwaltschaft durch Einseitigkeit dem Mandanten gefhrlich sein132. Es kann dann fr den Verteidiger geboten sein, Vertreter der Medien und der Presseagenturen zur Entgegennahme einer Information zusammenzurufen oder ihnen eine schriftliche Erklrung zu bermitteln133. Mit Recht weisen die Mandanten darauf hin, daß die Unterlassung jeder Gegenerklrung im Publikum als Eingestndnis der Schuld gedeutet wird. Man kann daher in entsprechenden Fllen das Verlangen der Mandanten nicht einfach ablehnen. Anderseits soll das Verfahren nicht in der Presse ausgetragen werden, sondern gegenber den zustndigen Justizstellen. Gericht und Staatsanwaltschaft sehen Presseerklrungen der Verteidigung nicht gern, was freilich Staatsanwaltschaften nicht immer hindert, gerade in bedeutenderen Strafverfahren die Anklageerhebung und andere Gelegenheiten zu effekthaschenden Auftritten vor den Medien zu nutzen. Aktivitten gegenber den Medien gehren nicht selten zu den schwierigsten – weil besonders zweischneidigen – Aktionen der Verteidigung. Sie mssen daher in jedem Falle – auch in der Prognose auf das Gesamtverfahren und „die Zeit danach“ – sorgfltigst berlegt und abgewogen werden. Verbleiben Unsicherheiten und Zweifel, so wird mit weitgehender Zurckhaltung dem Interesse des Auftraggebers wohl besser gedient (Rn. 48). Die grundstzlich gebotene Zurckhaltung kann dem Mandanten dadurch nhergebracht werden, daß auf die Wahrscheinlichkeit von Gegenerklrungen der Staatsanwaltschaft auf die Erklrungen der Verteidigung hingewiesen wird. Solche Reaktionen liegen nicht im Interesse des Mandan-

132 Vgl. zur Rechtswidrigkeit einer Presseerklrung der StA: BVerwG, StV 1992, 185; LG Dsseldorf, NJW 2003, 2535. 133 Dazu: BRAK-Schriftenreihe, Bd. 8, These Nr. 58 (S. 87); Reform der Verteidigung im Ermittlungsverfahren, BRAK-Schriftenreihe, Bd. 13, Thesen 71–73 (S. 115 ff.).

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Rn. 101

ten, dessen Fall auf diese Weise immer strker und permanent in die ffentlichkeit hineinwirkt. Der Anwalt selbst sollte keinesfalls an spektakulren oder reißerischen Verffentlichungen mitwirken, die mit der „Story“ des Mandanten auch den Verteidiger publikumswirksam herausstellen und den Eindruck des Haschens nach Reklame vermeiden. Hierher gehrt auch die Verlesung beabsichtigter Beweisantrge oder Prozeßerklrungen vor Kamera und Mikrophon. Der Kampf um das Recht gehrt nicht auf den Markt, sondern in den Gerichtssaal. Daß man eine Presseerklrung nicht mit einem kalten Bfett fr die Reporter garnieren sollte, wird nur erwhnt, weil auch das vorgekommen ist.

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Bei der Abwgung des Fr und Wider einer Mitteilung an die ffentlichkeit kann der Verteidiger auch auf andere Weise in Konflikte geraten. Die Presse gibt sich besonders in Sensationsprozessen selten mit dem gebotenen Material zufrieden. Ein Teil lßt Verstndnis und Rcksichtnahme auf Stellung und Aufgaben des Verteidigers vermissen. Lehnt der Verteidiger aus Grnden der Schweigepflicht eine Information ab, so sieht er sich gelegentlich der Drohung ausgesetzt, man werde das dem Anfragenden (angeblich) schon vorliegende Material mit dem Hinweis, die Verteidigung habe eine ußerung abgelehnt, verffentlichen. Enthlt es falsche Beschuldigungen gegen seinen Auftraggeber oder falsche Darstellungen ber Art und Stand des Verfahrens, dann steht der Verteidiger vor der Frage, ob er die Verschwiegenheitspflicht (Rn. 43 ff.) brechen und den Sachverhalt richtigstellen soll, um Schlimmeres zu verhten. Manchmal gengt der nachdrckliche Hinweis, die der Presse vorliegende Information sei falsch und eine Publikation werde nicht hingenommen werden, um Journalisten vorsichtig werden zu lassen.

100

c) Schutz des Mandanten Bornkamm, Pressefreiheit und Fairneß des Strafverfahrens, 1980; Lampe, Der Straftter als „Person der Zeitgeschichte“, NJW 1973, 217 ff.; Lehr, Bildberichterstattung der Medien ber Strafverfahren, NStZ 2001, 63; Lehr, Mnchener Anwaltshandbuch Strafrecht, in Vorbereitung, § 19; Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, Handbuch des ußerungsrechts, 5. Aufl., 2003.

Die geschilderten Nachteile von Medienberichten fr den Beschuldigten rufen den Verteidiger in der Regel auf den Plan, weil er stndig von seinen Klienten um Abwehrmaßnahmen dringend gebeten wird. Das betrifft in besonderem Maße auch die Berichterstattung ber Hauptverhandlungen und andere Untersuchungen, durch die der Betroffene sehr bloßgestellt werden kann. Viele Mandanten frchten zu Recht – den ffentlichen 71

101

Rn. 102

Die allgemeine Stellung des Verteidigers

Pranger der Medien oft weit mehr als das ihnen evtl. drohende Urteil. Das ist allgemeines Erfahrungsgut aller Verteidiger. 102

Auf ein „Stillhalteabkommen“ lßt sich die Presse in aller Regel nicht ein, zumal der Verteidiger kaum je in der Lage sein wird, einen lohnenden Informationen-Preis als Gegenleistung fr den zeitweisen Verzicht auf Verffentlichung anzubieten.

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Der Verteidiger hat in dieser Lage eine schwierige Aufgabe. Er kann zwar eine Reihe von rechtlichen Mglichkeiten aufzhlen, sie aber hufig nicht empfehlen. Die in den meisten Pressegesetzen vorgesehene Gegendarstellung ist eine einseitige Berichtigung ohne Beweiskraft, weil sie ohne Prfung ihres Wahrheitsgehalts publiziert werden muß. Sie wird daher dem Strafverfolgten in der Regel nicht „abgenommen“. Immerhin mag sie manchmal ein einigermaßen wirksames Mittel sein. hnliche Bedenken knnen gegen Richtigstellungen durch den Verteidiger in der Presse bestehen (Rn. 98). Es muß auch hier damit gerechnet werden, daß dasselbe Presseorgan die Sache wieder aufgreift und nun der Betroffene erst recht in aller Leute Mund kommt.

104

Der Strafantrag wegen bler Nachrede u. a. (§§ 186, 185 pp.) hat den unbestreitbaren Effekt des schnellen Gegenschlags, wenn der Verteidiger ihn ffentlich bekanntgibt. Darin erschpft sich aber praktisch seine Wirkung. Strafverfahren gegen die Presse pflegen lange zu laufen und versanden schließlich. Zu einer Bestrafung eines Presseangehrigen kommt es nur sehr selten. Das liegt an dem extrem weitgehenden Schutz, den Art. 5 GG, § 193 StGB nach einer sich immer weiter zu Lasten dese Betroffenen entwickelnden Rechtsprechung zur Meinungs- und Pressefreiheit gewhren134. Fr den Verletzten unangenehm wirken sich auch die Mglichkeiten des Beschuldigten aus, fr seine Behauptungen im Prozeß den Wahrheitsbeweis anzutreten. Aber selbst wenn fr einen Teil der Verffentlichungen eine Bestrafung zu erzielen ist, muß sie teuer erkauft werden. Denn der Verletzte hat sich die ffentliche Ausbreitung des ganzen Stoffes in dem Beleidigungsverfahren durch drei Instanzen hindurch gefallen zu lassen. Er kann dabei nicht verhindern, daß auch die ihn belastenden Bestandteile des Falles zur Sprache kommen. Die Situation ist hnlich wie die Situation eines Beleidigten im Privatklageverfahren (Rn. 1027 ff.) oder im Nebenklageverfahren (Rn. 1061). Im brigen hat der Verteidiger besonders darauf zu achten, daß die in der Regel sehr kurze Verjhrungsfrist fr Pressedelikte135 nicht berschritten wird. Nach den Erfahrungen

134 Dazu Lehr, NStZ 2001, 63. 135 Dazu i. e. Trndle/Fischer, § 78 Rn. 7 f.

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Verteidiger und Medien-ffentlichkeit

Rn. 106

der Praxis kann der „strafrechtliche Gegenschlag“, von Ausnahmefllen abgesehen, nicht empfohlen werden. Dagegen kann die professionelle Durchsetzung des rechtlichen Unterlassungsanspruchs sinnvoll und wirksam sein136. Das gilt vor allem fr die Berichterstattung, die bereits whrend des Ermittlungsverfahrens oder zu Beginn einer lngeren Hauptverhandlung beginnt. Die fr den Unterlassungsanspruch wesentliche Wiederholungsgefahr kann dann oft im Hinblick auf eine zu erwartende Folgeberichterstattung mit guten Grnden dargelegt werden. Es gelingt auch nicht selten, bei den mit der Materie vertrauten Pressekammern der Landgerichte eine einstweilige Verfgung innerhalb krzester Zeit durchzusetzen137. Freilich ist dabei zu bedenken, daß damit eine „zweite Front“ erffnet wird, weil der Mandant sich parallel zur Verteidigung im Strafverfahren nun auch im Zivilverfahren mit derselben Materie verteidigend auseinandersetzen muß – nicht immer zu seinem Vorteil. Es empfiehlt sich deshalb, in allen Sachen, die das Interesse der Medien finden knnen, eine presserechtliche Krisenbewltigung zu betreiben. Dazu gehrt die rechtzeitige Erkenntnis der Gefahr von Publikationen, nach Mglichkeit die Nutzung eines Zuganges zu den Entscheidungstrgern der Medien oder der Rechtsabteilung, im Streitfall die sorgfltige und verantwortungsbewußte Abfassung einer eidesstattlichen Versicherung und angesichts der Notwendigkeit, in zeitlich ganz kurzer Frist Rechtsschutz zu erlangen, ein gutes Personal- und Zeitmanagement. Aber auch wenn die Voraussetzungen fr einen zivilrechtlichen Erfolg gnstig sind, sollte einer abwehrenden Deeskalation oft der Vorrang gegeben werden138. Insgesamt kommt im Rahmen des Mandantenschutzes der presserechtlichen Gegendarstellung und dem Unterlassungsanspruch durchaus erfolgversprechende Bedeutung zu. Anders sieht es mit Widerrufs- und Schadensersatzklagen aus. Die entsprechenden Prozesse knnen sich lange Zeit durch die Instanzen ziehen. Die Beweislage des Klgers ist ungnstiger, die ffentliche Errterung des Falles wird mehrfach wiederholt, was der Boulevardpresse hochwillkommen ist. Selbst wenn der Betroffene nach langer Zeit den Prozeßerfolg erringt, ist dies fr das auf Sensationen erpichte Publikum kaum noch interessant. Man kann sogar die Frage stellen, ob die im Prozeß erreichte Wiederherstellung der Ehre und des Ansehens berhaupt in der Realitt noch eine Bedeutung hat.

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Die Durchmusterung des Arsenals der rechtlichen Waffen ergibt zwar heute keine Unterbilanz des Ehrenschutzes mehr (Rn. 1057). Die Erfah-

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136 Vgl. i. e. Lehr, Anwaltshandbuch, § 19 V 1. 137 Lehr, Anwaltshandbuch, § 19 V 1. 138 Zu allen Einzelheiten Lehr, NStZ 2001, 63.

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Rn. 107

Die allgemeine Stellung des Verteidigers

rungen der Praxis fhren gleichwohl immer wieder dazu, dem Mandanten von rechtlichen Maßnahmen gegen die Medien abzuraten. Dessen Reaktion kann dann leicht die Erschtterung des Vertrauens sein, weil der Verteidiger nicht scharf genug auftrete. Dieser muß seine Klienten zu berzeugen wissen, daß ein Kampf gegen die Medien mit ungleichen Waffen und nicht immer zu einem guten Ende gefhrt wird. Ein professionelles medienrechtliches Krisenmanagement ist in der Regel erfolgreicher. 107

Auch whrend und nach einer Hauptverhandlung kann der Verteidiger einiges tun, um Unheil zu verhten. Er kann mit den anwesenden Gerichtsberichterstattern sprechen und auf Sachlichkeit hinwirken. Zweischneidig und in aller Regel erfolglos ist aber der Versuch, den Reporter zum gnzlichen Verzicht auf Berichterstattung zu bewegen. Das ist ein hufiger Wunsch der Angeklagten. Anders ist es mit dem Verzicht auf Namensnennung, den die Presse durchweg freiwillig praktiziert. Hier muß der Verteidiger versuchen, den Journalisten davon abzuhalten, die Person des Mandanten in anderer Weise identifizierbar zu beschreiben (z. B. Initialen, Beruf, Wohn- oder Berufsort). Der Versuch kann gelingen. Die Presse verhlt sich hierzu nach bestimmten Richtlinien139. Manchmal stßt man aber auf empfindliche Reaktionen der auf ihren Auftrag und ihre Freiheit bedachten Pressevertreter, die sich fr den Pressebericht recht schdlich auswirken knnen. Wenn die Berichterstattung zu beanstanden ist, kann es ggf. geboten sein, dies bei Gericht zur Sprache bringen im Hinblick auf die Erhaltung der Unvoreingenommenheit der Schffen und z. B. noch zu vernehmender Zeugen. Der Ausschluß von insoweit „fehlsamen“ Journalisten von der Hauptverhandlung drfte freilich heute kaum mehr zu erreichen sein140. d) Selbstschutz des Verteidigers Bornkamm, Pressefreiheit und Fairneß des Strafverfahrens, 1980; Dahs sen., Der Anwalt im Strafprozeß, AnwBl. 1959, 181; Mller, Zum Verhalten des Gerichts und des Verteidigers bei Presseangriffen auf den Verteidiger, ArchPressR 1965, 62; Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, Handbuch des ußerungsrechts, 5. Aufl., 2003.

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Die Verffentlichungen der Medien greifen zuweilen auch in unverantwortlicher Weise in die Freiheit der Verteidigung ein. Bildreportagen, die knstlich gestellt sind, unsachliche Berichterstattung ber die Fhrung 139 Richtlinien fr die publizistische Arbeit nach den Empfehlungen des Deutschen Presserates, Pressekodex/Beschwerdeordnung v. 2. 3. 2005. 140 Nicht nur wegen Art. 5 GG und § 338 Nr. 6 StPO; frher bejahend OLG Hamm, NJW 1967, 1289.

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Verteidiger und Medien-ffentlichkeit

Rn. 109

der Verteidigung, beleidigende ußerungen knnen zu einer Art Pressefeldzug auch gegen den Verteidiger werden. Und dies nicht nur in den sogenannten politischen Strafsachen, sondern auch in anderen Verfahren, an denen die Medien besonders interessiert sind. In solchen Fllen die richtigen Maßnahmen zu treffen, erfordert Fingerspitzengefhl und Erfahrung. Hierzu muß der Verteidiger wissen, daß er u. U. die Ausschließung des Berichterstatters von der Verhandlung durchsetzen kann, der unsachliche und aufreizende Reportagen gegen die Verteidigung schreibt141. Der Anspruch der ffentlichkeit auf Information muß in solchen Fllen gegenber dem Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren und ungehinderte Fhrung der Verteidigung zurckstehen. Gegebenenfalls hilft ein Gerichtsbeschluß. Lehnt das Gericht die Ausschließung ab, kann in krassen Fllen ggf. in der Revisionsinstanz die unzulssige Beschrnkung der Verteidigung gergt werden (§ 338 Nr. 8) (Rn. 906, 928). Diffamierende ußerungen der Presse zwingen den Verteidiger unter Umstnden, Strafantrag zu stellen. Der Antrag besitzt Publizittswirkung, wenn er bekannt wird, und verschafft dadurch dem Verteidiger Respekt. Auch kann man bei der Staatsanwaltschaft anregen, das ffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu bejahen und zu diesem Zweck den Vorstand der Rechtsanwaltskammer einschalten. Er hat allerdings kein selbstndiges Strafantragsrecht gemß § 77a StGB. Dieser Weg ist vor allem zu empfehlen, falls es sich um eine „Kollektivbeleidigung“ der Anwaltschaft handelt. Wird das ffentliche Interesse verneint, so kommt Privatklage in Betracht. Es ist aber sehr fraglich, ob dem Verteidiger zu diesem Mittel geraten werden kann (Rn. 1025 ff.). ußerstenfalls muß sich der Verteidiger die Niederlegung des Mandats berlegen. Dieses letzte Mittel bedarf sorgfltigster Prfung und kommt allein in Betracht, falls die Medienangriffe es unmglich machen, die Verteidigung innerlich und ußerlich frei zu fhren. 3. Bildaufnahmen, Fernsehen und Rundfunk Die modernen elektronischen Nachrichtenmittel bringen fr die Betroffenen im Strafverfahren empfindliche Nachteile und Gefahren (Rn. 101 ff.). Fotografen sowie die Mitarbeiter von Rundfunk und Fernsehen haben offenbar ein besonderes Interesse daran, die Angeklagten beim Betreten des Gerichts, des Sitzungssaales und insbesondere „auf der Anklagebank“ auf den Film und damit zu Gehr und zu Gesicht eines riesigen Publikums zu bringen. Darunter knnen die unglcklichen Opfer der Sensationslust außerordentlich leiden. Sie sollen den knallenden Beschuß der

141 Dazu BGH, NJW 1964, 1485.

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Rn. 109

Die allgemeine Stellung des Verteidigers

Fotoreporter und das Surren der Kameras ebenso wie begleitende, in der Regel provokative Fragen („Wie haben Sie letzte Nacht geschlafen?“) wehrlos ber sich ergehen lassen, und sie sollen mit Stimme und Gesicht einer sensationslsternden Menge ausgeliefert werden. Dagegen sollten die Verteidiger ihre Mandanten zu schtzen wissen, statt sie ihren klglichen und entwrdigenden Versuchen zu berlassen, durch Vorhalten von Aktenteilen oder anderen Gegenstnden ihr Gesicht zu verbergen. Zur Verhtung solcher Anprangerungen ist in erster Linie der Vorsitzende des Gerichts berufen. Das folgt aus seiner Sitzungsgewalt (§ 176 GVG: Nr. 129 RiStBV). Sie umfaßt rumlich den Sitzungssaal und die zugehrigen Vor- und Nebenrume, zeitlich die Hauptverhandlung einschließlich der Sitzungspausen, besonders auch whrend der Beratung vor der Urteilsverkndung142. Whrend des Gangs der eigentlichen Verhandlung sind Rundfunk- und Fernsehaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zu Zwecken der ffentlichen Vorfhrung berhaupt verboten (§ 169 GVG)143. Das in § 169 nicht genannte Fotografieren scheitert in der Regel an § 176144. Das gilt auch fr die Urteilsverkndung (Rn. 764). Verstße hiergegen sind ein durchgreifender Revisionsgrund (Rn. 935). Leider bleibt aber noch reichlich Raum fr unzumutbare Beeintrchtigungen vor Beginn der Sitzung und in den Sitzungspausen im Sitzungssaal, auf die sich das Verbot mindestens dann nicht erstreckt, wenn der Angeklagte im Sitzungsraum nicht anwesend ist145. Als ußerstes Mittel ist daran zu denken, daß der Mandant sich weigert, den Saal zu betreten, solange dort fotografiert und gefilmt wird. Eine entsprechende Ankndigung der Verteidigung wird manchen „pressefreundlichen“ Vorsitzenden nachdenklich machen. Fr das Gerichtsgebude ist der Gerichtsprsident als Hausherr zustndig; das gilt auch fr die Zeit unmittelbar vor Beginn der Hauptverhandlung. Nur selten besteht heute noch ein generelles Film- und Fotografierverbot im ganzen Gebude. Ggfs. muß man rechtzeitig ein solches beantragen und begrnden146. Vor dem Gerichtsgebude bleiben die Verfahrensbeteiligten den Reportern, Fotografen und Kameraleuten in jedem Falle ausgeliefert. Findige Verteidiger schtzen ihren Klienten, indem sie ihn ber „Nebenwege“ in 142 143 144 145 146

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Meyer/Goßner, § 176 GVG Rn. 1; i. e. Lehr, Anwaltshandbuch, § 19 III 4. Zeichnen ist dagegen erlaubt. BVerfG, NJW 1996, 310; KK-Gummer, § 169 Rn. 16; Lehr, NStZ 2001, 63. BGH, NJW 1970, 63. Ein um sein gutes Verhltnis zur Presse besorgter Vorsitzender schlug mir in einem solchen Gesprch vor, die Reporter dadurch zufriedenzustellen, daß sich die (brigens sehr attraktive) Angeklagte zusammen mit mir vor dem Blumenfenster des Gerichts statt im Sitzungssaal fotografieren ließe (!).

Verteidiger und Medien-ffentlichkeit

Rn. 112

das Gericht schleusen oder ihn lange vor Verhandlungsbeginn das Gebude betreten lassen. Das Bundesverfassungsgericht147 hat es bei Verhandlungen gegen Personen der Zeitgeschichte zugelassen, daß einigen Vertretern der Medien – stellvertretend fr alle – Film-, Fernseh- und Fotoaufnahmen bis zum Aufruf der Sache durch den Vorsitzenden im Sitzungssaal gestattet werden (sog. Pool-Lsung)148. Voraussetzung ist ein den Individualschutz berwiegendes Interesse der Allgemeinheit am Zeitgeschehen, was jeweils kritisch zu prfen ist. Diese Rechtsgrundstze werden von Instanzgerichten auch auf „relative“ Personen der Zeitgeschichte angewendet. Der Verteidiger muß mit seinem Klienten errtern, ob er dies hinzunehmen bereit ist und ggfs. dagegen intervenieren – bis zur Verfassungsbeschwerde (einstweilige Anordnung). Sonst bleibt nur die Mglichkeit, daß der Angeklagte sich weigert, den Sitzungssaal zu betreten, whrend gefilmt und fotografiert wird. In der Regel scheuen die Vorsitzenden eine zwangsweise „Vorfhrung vor die Kameras“.

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Fr den Verteidiger selbst bringen die Ton- und Bildaufnahmen (Interviews) allerdings auch noch besondere Probleme mit sich. Sie bewirken hufig keine Diskriminierung seiner Person, sondern nur Publicity. Das mag manchem Anwalt willkommen sein. Er darf aber selbst zu ihrer Frderung nichts tun. Eine Todsnde wre die Duldung von Aufnahmen unter bewußter Zurcksetzung der Interessen seines Mandanten, der davon verschont sein mchte. Ein solcher Verteidiger sollte ebenso undenkbar sein wie etwa die Figur eines Staatsanwalts oder Richters, der um seiner eigenen Publicity willen derartige Vorgnge im Gerichtssaal zulassen wrde.

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In allen Fllen wird der Verteidiger allerdings berlegen mssen, ob die volle Ausntzung der Schutzrechte fr seinen Mandanten und fr sich selbst opportun ist (Rn. 101 ff.). Zuweilen lassen sich darber Absprachen treffen. Manche Mandanten wollen sich auch nicht dagegen wehren, aufgenommen zu werden, weil sie ein gutes Gewissen haben oder demonstrieren wollen. Jedenfalls muß der Verteidiger sich rechtzeitig auf die jeweilige Situation einrichten, um im entscheidenden Augenblick richtig agieren zu knnen. Ob und in welcher Weise sich der Verteidiger an einer vom Mandanten gewnschten Eigen-Vermarktung149 beteiligt, ist mindestens eine Stilfrage.

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147 BVerfGE 87, 334 148 Dazu i. e. Lehr, NStZ 2001, 63. 149 Dazu Lehr, Anwaltshandbuch, § 19 IV.

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Rn. 113

Die allgemeine Stellung des Verteidigers

4. ffentliches Wirken des Verteidigers 113

Schriftstellerische, rednerische, politische und sonstige ffentliche Ttigkeit ist dem Verteidiger gestattet, sofern sie sachlich ist und anreißerische Werbung vermieden wird. Das gilt z. B. fr wissenschaftliche Aufstze, Bcher, ffentliche Vortrge und dergleichen. Diese dienen dem Ansehen des Berufsstandes um so mehr, je hherstehend ihre Qualitt ist. Das gilt besonders auch fr Publikationen in Fachzeitschriften. Aber auch in der Tagespresse oder in periodischen Druckschriften kann der Verteidiger sich zu Worte melden und auch als Rechtsanwalt bezeichnen. Auch braucht er sich nicht zu scheuen, sich an Rundfunk- und Fernsehveranstaltungen zu beteiligen, wenn es sich um sachlich abgestimmte Veranstaltungen handelt, etwa um ein Podiumsgesprch ber rechtspolitische Fragen oder Gesetzesvorhaben. Ob sog. „Talk-Shows“ dafr ein geeignetes Forum sind, wird sehr vom Einzelfall abhngen und zuweilen eher eine Stilfrage sein. Es besteht aber durchaus ein allgemeines Interesse daran, Ansehen und Bedeutung der Anwaltschaft auch der ffentlichkeit darzutun. Daß damit zugleich als Nebenprodukt eine persnliche Werbewirkung fr den mitwirkenden Anwalt ausgelst wird, ist unvermeidbar und unbedenklich (vgl. i. . Rn. 88).

V. Das Selbstverstndnis des Verteidigers 114

Jeder Strafverteidiger wird im Laufe des Berufslebens ein eigenes, differenziertes Selbstverstndnis seiner Funktion im Bereich der Rechtspflege entwickeln. Das Gesetz bietet ihm dafr nur wenige Koordinaten, z. B. in der BRAO, (BORA), BGB, StGB. Aus den vorangegangenen Kapiteln in Verbindung mit langjhrigen Erfahrungen der Praxis lassen sich indes folgende Eckpunkte gewinnen:

115

Der Strafverteidiger ist ein Dienstleister. Das gilt unabhngig von allen Theorien ber Mandatsvertrag, Offizialverteidigung, Organstellung usw. (Rn. 3 ff.). Kern seiner Aufgabe in strafrechtlichen Angelegenheiten ist die Untersttzung des Mandanten durch Beratung, Anleitung, Beistand, Schutz und Vertretung. Allein der Klient ist das Prozeßsubjekt, auf das die Arbeit des Verteidigers bezogen ist, nur seinen Interessen im Verfahren hat er Knnen und Kraft zu widmen. Letztlich bestimmt dieser auch die Verteidigungsziele und die Verfahrensstrategie. Der Verteidiger muß dies ungeachtet seiner berlegenen Fachkenntnis und entsprechender – auch nachdrcklicher – Beratung akzeptieren. Bei unberbrckbaren Differenzen ist er berechtigt, das Mandat zu beenden. Bei der Fhrung der Verteidigung darf er weder Anerkennung, Einvernehmen oder gar Sympathie des Gerichts und der Staatsanwaltschaft, erst recht nicht die Bewun78

Das Selbstverstndnis des Verteidigers

Rn. 116

derung der ffentlichkeit anstreben, sondern sein Dienst am Recht verlangt und erschpft sich in der „Protektion“ des Mandanten – sei er unschuldig oder nicht. Auch das Schielen nach Zufriedenheit und Wunscherfllung von Dritten als Auftraggeber (und Kostentrger) – seien es (Groß-)Unternehmen, eine Partei oder andere „mandatstrchtige“ Organisationen (Rn. 27 ff.) – ist eine Todsnde wider den Geist der Strafverteidigung. Die Person des Verteidigers hat hinter der so verstandenen Berufsaufgabe unbedingt zurckzutreten. Es geht nicht darum, daß er im Prozeß „glnzend“ da steht, sondern daß er Rechte und Interessen des Mandanten optimal gesttzt hat – auch wenn dieser verurteilt wird. Der (dann eher seltene) Kommentar „An Ihnen hat es nicht gelegen“, muß ihm als Anerkennung reichen! Der Strafverteidiger ist kein „Entscheider“. Er kann zwar in gewissem Umfang rechtlicher Vertreter seines Klienten sein (z. B. §§ 233, 387, 411 Abs. 2); außerhalb dieses engen Bereichs sollte er sich aber davon fernhalten, anstelle seines Klienten Entscheidungen zu treffen. Nicht wenige Mandanten versuchen, vor allem in schwierigen Verfahrenslagen (Zustimmung zu § 153a, Absprachen, Gestndnis, Rechtsmittel), die Entscheidung ber das Prozeßverhalten dem Strafverteidiger zuzuschieben. „Entscheiden Sie das, Sie verstehen mehr davon“ ist ein Beispiel fr ScheinKomplimente dieser Art. Sie sollten beim Verteidiger ein Alarmsignal auslsen: Entweder ist es ihm nicht gelungen, den Mandanten fr diesen verstndlich und umfassend ber das Fr und Wider der anstehenden Entscheidung aufzuklren und zu beraten – oder es soll ihm eine Verantwortung zugeschoben werden, die er gar nicht bernehmen kann. Hier geht es in der Regel um die Disposition der Entscheidung in der Sache selbst, also um den ureigensten, hchstpersnlichen Willen des Mandanten, der auch die Konsequenzen der Entscheidung zu tragen hat. Es ist nicht Sache des noch so engagierten Verteidigers, solche Entscheidungen zu bernehmen. Dies auch deshalb, weil der fr den zu treffenden Entschluß maßgebende „wirkliche Sachverhalt“150 und die daraus folgende „wahre Interessenlage“ in aller Regel zwar dem Mandanten, aber keineswegs immer dem Verteidiger bekannt ist. Mit einem Wort: Der Verteidiger kann die Verantwortung gar nicht bernehmen und sollte sich, nicht zuletzt auch in seinem eigenen Interesse, nicht in sie hineindrngen lassen! Nur damit entgeht er der Gefahr spterer Vorwrfe des Mandanten, wenn diesem die getroffene Entscheidung – aus welchen Grnden auch immer – nicht mehr „paßt“. Erfahrungsgemß reicht es auch aus, dem Mandanten (nochmals) klarzumachen, daß die Aufgabe des Verteidigers sich in der Erklrung der Sach- und Rechtslage, der Beratung einschließ150 OLG Zweibrcken, NStZ 1995, 35, 36; dazu Dahs, NStZ 1995, 16.

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Rn. 117

Die allgemeine Stellung des Verteidigers

lich der Vermittlung von Erfahrungen, auch aus vergleichbaren Sachen beschrnkt, die Entscheidung ber sein prozessuales Schicksal aber letztlich Sache des Betroffenen selbst ist. 117

Der Strafverteidiger ist ein „Einzelkmpfer“. Keiner der brigen Verfahrensbeteiligten steht nach beruflicher Aufgabe und prozeßtypischer Zielsetzung (a priori) auf seiner Seite. Das Gericht ist allein der Totalitt des Rechts verpflichtet, gleich wem es ntze oder schade. Dies ist nicht stets im Sinne des Mandanten. Die Maxime gilt von Rechts wegen auch fr die Staatsanwaltschaft (§ 160 Abs. 2); allerdings lehrt die Praxis, daß diese doch eher dem Strafverfolgungsanspruch verhaftet ist. Nebenklger sind schon kraft Rechtsposition (§ 395) die dezidierten Antipoden des Verteidigers. Selbst der eigene Mandant, in dem man eigentlich den „gekorenen“ Mitkmpfer sehen sollte, ist fr den Verteidiger nicht selten eine Chimre. Einerseits verlangt er den von ihm vorgegebenen Verteidigungserfolg gegen die Anklage, andererseits zeigen die Erfahrungen aus langjhriger Praxis, daß er seinen Verteidiger oft nur selektiv informiert und versucht, ihn gegenber der Strafrechtspflege als eine Art Schachfigur in seinem Interessendispositiv einzusetzen. Und geht die Sache „schief“, so wird der Verteidiger in der Außendarstellung durch den Verurteilten leicht zum „Sndenbock“ gemacht. Bei allem Engagement des Verteidigers fr den Klienten muß er sich dieser keineswegs nur theoretischen Gefahr bewußt sein und entsprechend handeln. Dazu gehrt letztlich auch eine Aktenfhrung, die es jederzeit – auch nachtrglich – ermglicht, den verteidigungsinternen Informations- und Beratungsgang sowie die getroffenen Entscheidungen in ihrer Genesis nachzuvollziehen. Auch insoweit muß sich der Verteidiger bewußt sein, daß er ggfs. allein steht. Es sind nicht immer die „Edelsten des Volkes“, die sich der Institution Strafverteidiger zu „bedienen“ trachten.

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Der Strafverteidiger ist schließlich Partner der Rechtspflege – und nicht ihr Gegner oder gar „Feind“ (Rn. 11 ff.). Das bedeutet, daß er ihren Reprsentanten „auf Augenhhe“ gegenbertreten und um das Rechte ringen kann. Umgekehrt kann er erwarten, daß er entsprechend geachtet und in seinem beruflichen Agieren akzeptiert wird. Der Verteidiger ist die von Recht und Gesetz gewollte „personifizierte Antithese“ zu staatlicher Strafverfolgung auf der Basis von Verdacht, Beweisfhrung und Rechtsfindung (Rn. 3 ff.). Dieser Bereich wird auch dann nicht verlassen, wenn Verteidigungsmaßnahmen als prozessual unzulssig oder offensichtlich unbegrndet beurteilt werden (Rn. 55 f., 71). Die Grenze der zulssigen Verteidigung wird erst durch die distanzlose Kumpanei mit dem Mandanten berschritten, der in strafrechtlich relevanter Weise den Gang der Rechtspflege zu sabotieren sucht (Rn. 71). 80

B. Zweiter Hauptteil Die Stellung des Verteidigers zu den Beteiligten des Strafverfahrens

Alsberg, Die Philosophie der Verteidigung, 1930, S. 14 ff.; Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren, 1980; Dahs sen., Der Anwalt im Strafprozeß, AnwBl. 1959, 171; Dahs, Strafverteidigung und Strafrechtspflege, FS Odersky (1996), S. 317; Dahs, Ethische Aspekte im Strafverfahren? – Ein Denkanstoß, JR 2004, 94; v. Stackelberg, Der Anwalt im Strafprozeß, AnwBl. 1959, 190; Wahle, Gedanken zur Beziehung von Mandant und Verteidiger, FS Hanack (1999), S. 105.

I. Allgemeines Die Verteidigung eines Beschuldigten bedeutet vielseitige Begegnungen mit den sehr verschiedenen Prozeßbeteiligten in den einzelnen Abschnitten des Verfahrens. Der Verteidiger kann die ihm damit zukommenden Aufgaben nur erfllen, wenn er ber Wissen und Knnen, ber Menschenkenntnis und Lebenserfahrung verfgt. Sein Auftreten wird sich jeweils nach Person und Funktion des anderen in der konkreten Situation des Prozesses richten mssen. Dabei knnen ganz verschiedene Verhaltensweisen in Betracht kommen, je nachdem, ob es sich um die anderen Organe der Rechtspflege, ob Richter, Staatsanwalt oder seine Ermittlungsorgane (z. B. Polizei, Steuer- und Zollfahndung), um die Beweispersonen, Zeugen und Sachverstndigen und den eigenen Mandanten, Mitverteidiger sowie um die durch die Medien reprsentierte ffentlichkeit handelt. Es dominiert dabei die Regel des § 43 a Abs. 3 BRAO, wonach der Rechtsanwalt die ihm anvertrauten Interessen sachlich zu vertreten hat. Danach ist ihm das Maßhalten vorgeschrieben, energisches und scharfes Auftreten fr den gegebenen Fall aber nicht verboten. Hiernach muß er die Regeln des Taktes und des guten Geschmacks ebenso beherrschen, wie er in der Lage sein muß, mit einem unverschmten Zeitgenossen Fraktur zu reden, wenn das notwendig ist. In keinem Fall darf er aber die Nerven verlieren und aus der Rolle fallen: auch wenn es innerlich in ihm kocht, soll er nach außen hin eiserne Ruhe bewahren. Der Zorn ist ein schlechter Vater fr Gedanken.

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Rn. 120

Stellung zu den Beteiligten des Strafverfahrens

II. Verteidiger und Mandant Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren, 1980, S. 163, 183; Hammerstein, Verteidigung wider besseres Wissen?, NStZ 1997, 12; Kniemeyer, Das Verhltnis des Strafverteidigers zu seinem Mandanten, 1997; Rieß, Das Selbstbestimmungsrecht des Mandanten, BRAK-Schriftenreihe Bd. 12 (Symp. f. Egon Mller) 2000, S. 1; Salditt, Das Mandanteninteresse, BRAK-Schriftenreihe Bd. 12 (Symp. f. Egon Mller) 2000, S. 25; Ch. Schaefer, Die Kommunikation zwischen Mandant und Verteidiger – rechtlich absolut geschtzt?, BRAK-Schriftenreihe Bd. 12 (Symp. f. Egon Mller) 2000, S. 53; Spendel, Zur Vollmacht und Rechtsstellung des Strafverteidigers, JZ 1959, 737; Wahle, Gedanken zur Beziehung von Mandant und Verteidiger, FS Hanack (1999), S. 105.

In den Zusammenhang dieses Abschnittes gehrt auch das Kapitel I 4 ber die Beratungsfunktion des Verteidigers (Rn. 17 ff. und 1140 ff., 1150). 120

Als erste Hauptperson begegnet dem Verteidiger der Mandant. Er schreibt ihm einen Brief (oder eine „Mail“), telefoniert mit ihm, vereinbart eine Besprechung mit ihm oder erbittet seinen Besuch in der Vollzugsanstalt. Es kann ein dem Verteidiger schon bekannter Klient oder ein Fremder sein, es kann sich um einen unbescholtenen Brger oder um einen Vorbestraften handeln. Der Verteidiger kann mit dem Fall schon anderweitig vertraut sein oder noch nichts davon wissen. Diese und andere Varianten fhren den Verteidiger sofort in die Spannung hinein, die das erregende Element seines Wirkens im Strafverfahren und seines Berufes berhaupt ist. Oft ist das Verhltnis des Verteidigers zum Mandanten von der ersten Begegnung an bis zum Ende der Verteidigung von der alles beherrschenden Frage bestimmt: Gilt die Verteidigung einem Schuldigen oder Unschuldigen?! Die Frage kann schon bei der ersten dem Verteidiger abverlangten Entscheidung dominieren, ob er die Verteidigung berhaupt bernehmen oder ablehnen soll (Rn. 128 ff.). Es erscheint deshalb geboten, vorab die rechtlichen Grundlagen des Verteidigermandats im Strafverfahren anzusprechen, die fr den Wahlverteidiger und den Pflichtverteidiger verschieden sind. Sie knnen aber nicht fr sich betrachtet, sondern mssen im Zusammenhang mit den bei der Verteidigerbestellung erfahrungsgemß auftretenden praktischen Fragen der Zweckmßigkeit und des Zweifels gesehen werden.

1. Die bernahme der Verteidigung a) Wahlverteidiger Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren, 1980, S. 183 ff.; v. Briel, Strafbarkeitsrisiko der beratenden Rechtsanwalts, StraFo 1997, 71; Eylmann, Die Interessenkollision im Strafverfahren, AnwBl. 1998, 359.

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Verteidiger und Mandant

Rn. 123

Zwischen dem Rechtsanwalt als gewhltem Verteidiger und seinem Mandanten besteht zivilrechtlich ein Dienstverhltnis, und zwar ein Geschftsbesorgungsvertrag im Sinne des § 675 BGB1. Er kommt nach allgemeinen Regeln durch Angebot und Annahme zustande. Die Rechte und Pflichten bestimmen sich nach dem brgerlichen Recht, soweit sich nicht Besonderheiten aus der Zuordnung des Verteidigers zur Rechtspflege ergeben (Rn. 11 ff.).

121

Die Bestellung des Wahlverteidigers erfolgt in der Regel mit der Unterzeichnung einer Strafprozeßvollmacht. Die Vollmacht ist aber kein Element des anwaltlichen Vertrages zur Verteidigung. Der Verteidiger kann daher, auch ohne im Besitz einer Vollmachtsurkunde zu sein, ttig werden2. So kann er z. B. ein Rechtsmittel wirksam einlegen, auch wenn die Vollmacht erst nach Fristablauf nachgereicht wird. Er muß dann aber auf Anfordern die rechtzeitige schriftliche oder mndliche Beauftragung nachweisen knnen3. Die Bestellung zur Verteidigung wird wirksam mit der schriftlichen oder mndlichen Annahmeerklrung. Eine Mitteilung zu den Akten des Gerichts oder der Ermittlungsbehrde ist nicht essentiell. Es wird sogar nicht selten zweckmßig sein, die bernahme der Verteidigung zunchst noch nicht anzuzeigen, z. B. wenn zu Beginn eines Ermittlungsverfahrens der Mandant beraten sein will (Rn. 241), die Sache aber nicht durch Auffahren von „Kanonen“ in ihrem Gewicht hochgetrieben und auffllig gemacht werden soll. In solchen Fllen muß der Verteidiger den Mandanten davor warnen, auf dahin zielendes Befragen der Vernehmungspersonen zu lgen. Dieser muß vielmehr sehen, wie er auf andere Weise der Frage begegnet.

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Ehe der Anwalt die Verteidigung bernimmt, wird er feststellen, ob schon ein anderer Verteidiger bestellt ist. Es ist dann zu klren, ob der Mandant zwei Verteidiger bestellen will. Der Verteidiger wird berlegen mssen, ob das der Sache dienlich ist. Er wird auch dann ablehnen, wenn die doppelte Verteidigung mit seinem Selbstgefhl nicht vereinbar ist oder er sie dem erstverteidigenden Kollegen nicht zumuten will. Andererseits kann die Bestellung eines zweiten Verteidigers, z. B. am Sitz der zustndigen Justizbehrde, sehr sachdienlich sein. Schon aufgrund seiner Vertrautheit mit den dortigen Usancen und Personen wird dieser hufig wertvolle Arbeit leisten, indem er dem Mit- oder Hauptverteidiger wichtige InsiderInformationen liefert; in auswrtigen Haftsachen ist er fast unentbehrlich

123

1 BGH, NJW 1954, 2402, 2404; eingehend Lwe/Rosenberg/Lderssen[25], vor § 137 Rn. 35 ff. 2 BayObLG, StV 1981, 117; BayObLG, DAR 1986, 249. 3 Vgl. i. e. Meyer-Goßner, Vor § 137 Rn. 9 m. N., BayObLG, NStZ 2002, 277.

83

Rn. 124

Stellung zu den Beteiligten des Strafverfahrens

wegen des unmittelbaren Kontaktes zu dem Mandanten und den ihm bekannten Anstaltspersonal. 124

Sollen mehrere Verteidiger ttig werden, so ist zu beachten, daß die Zahl der Wahlverteidiger drei nicht bersteigen darf (§ 137 Abs. 1 Satz 2): entscheidend ist das Datum der Vollmachterteilung. „berzhlige“ weitere Wahlverteidiger mssen Staatsanwaltschaft und Gericht zurckweisen4. Ist der Verteidiger Mitglied einer Soziett, die aus mehr als drei Rechtsanwlten besteht, so muß er darauf achten und mit dem Mandanten besprechen, daß nur (hchstens) drei Mitglieder der Soziett beauftragt werden knnen5. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob im Vollmachtsformular die Namen von mehr als drei Anwlten genannt sind; entscheidend ist tatschliche Auftragserteilung6. Die Beschrnkung des § 137 Abs. 1 S. 2 umfaßt nicht die neben Wahlverteidigern bestellten Offizialverteidiger7, auch nicht den Unterbevollmchtigten, wenn er nur anstelle des Hauptbevollmchtigten, etwa in der Hauptverhandlung, ttig wird8. Der Verteidiger muß aber beachten, daß das Verbot der Doppelverteidigung auch fr Unterbevollmchtigte gilt. Es empfiehlt sich, in jedem Einzelfalle die reichhaltige und differenzierte Judikatur und das Schrifttum zu Rate zu ziehen. Zu den Fragen, die sich fr den Wahlverteidiger ergeben knnen, wenn eine schon bestehende Pflichtverteidigung (entgegen § 143) nicht aufgehoben oder ein Pflichtverteidiger zustzlich bestellt wird, vgl. Rn. 150; zum Verhltnis zwischen Mitverteidigern Rn. 176.

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Bei der bernahme des Mandats ist auch das Verbot der Doppelverteidigung (§ 146; Rn. 79) zu beachten9. Die Vorschrift wird von der Rechtsprechung extensiv ausgelegt: Die Verteidigung durch einen Verteidiger ist unzulssig, wenn mehrere Beschuldigte zwar nicht in demselben Verfahren verfolgt werden, das ihnen zur Last gelegte Verhalten aber Teil eines einheitlichen Tatkomplexes (§ 264) ist10 oder der Vorwurf der Mittterschaft oder der Beteiligung im weitesten Sinne (auch Begnstigung, Hehlerei und Strafvereitelung) erhoben wird11. Das gleiche gilt, wenn in demselben Verfahren den Beschuldigten verschiedene Taten zur Last gelegt

4 5 6 7 8 9 10 11

84

BGHSt. 26, 291; BGHSt. 26, 335. BVerfGE 43, 79, 91; Meyer-Goßner, § 137 Rn. 6 m. N. BVerfGE 43, 79, 91; BGHSt. 40, 188. Meyer-Goßner, § 137 Nr. 5. BGH bei Holz, MDR 1978, 108, 111; Meyer-Goßner, § 137 Rn. 5 m. N. Nach BVerfGE 39, 156 verfassungsgemß. BVerfG, NJW 1976, 231; aber BGHSt. 27, 315. OLG Stuttgart, NJW 1976, 157.

Verteidiger und Mandant

Rn. 127

werden12. Dagegen ist die sukzessive Verteidigung mehrerer Beschuldigter zulssig13, wenn das frhere Verteidigungsverhltnis rechtlich beendet ist14. Die Vorschrift des § 146 verbietet aber nicht die Verteidigung mehrerer Beschuldigter durch Rechtsanwlte einer Soziett, wenn jeder Anwalt einen anderen Beschuldigten verteidigt. Ist dies der Fall, kommt es nicht darauf an, daß die Vollmachtsurkunden auf mehrere Sozien lauten15. Allerdings ist die Mglichkeit einer Interessenkollision sorgfltig zu prfen, damit nicht spter eventuell alle Mandate niedergelegt werden mssen. Bei nicht eindeutiger Situation hat es sich bewhrt, daß sich ein Verteidiger zunchst nur als „Firmenanwalt“, also insbesondere fr eine juristische Person legitimiert, gleichwohl intern die Beratung koordiniert und erst spter, nach weiterer Klrung, Verteidiger fr konkrete Beschuldigte bestellt werden (vgl. auch Rn. 240 f.). Der Wahlverteidiger kann einem anderen Verteidiger Untervollmacht erteilen; eine Befugnis, die dem Pflichtverteidiger nicht zusteht16. Die Zustimmung des Mandanten ist erforderlich. Sie wird zweckmßigerweise in der Verteidigervollmacht generell erteilt. Auch Referendaren kann nach § 139 die Verteidigung unter Umstnden bertragen werden (Rn. 26).

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Soll der Wahlverteidiger an die Stelle eines schon bestellten Erstverteidigers treten, so ist eine kollegiale Rckfrage geboten, ob das frhere Mandat beendet ist. Darber hinaus ist es guter kollegialer Stil, zu unterrichten und anzufragen, ob kollegiale Bedenken bestehen. Manchmal kann dann der Mandant als Querulant oder sonst fragwrdige Erscheinung erkannt werden. Hufig sind auch die Kosten nicht gezahlt worden. In diesem Falle wird man sich die Annahme des Mandats berlegen, wenn auch nicht allgemein ein Anspruch auf Gebhrenschutz bestehen mag. Ein besonderer Fall ist das Ansinnen eines Familienangehrigen oder nahen Verwandten des Verteidigers, eine Verteidigung fr ihn zu bernehmen. Dazu sollte der Verteidiger im allgemeinen nicht bereit sein. Handelt es sich um nahe Angehrige im Sinne des § 52 Abs. 1, befindet sich der Verteidiger im Bereich der (straflosen) Strafvereitelung (§ 258 Abs. 6 StGB), wenn er seine Grenzen berschreitet. Der daraus sich ergebende Eindruck ist nicht gnstig. Aber auch sonst steht der Verteidiger hier nicht in guter Beleuchtung, weil er sich zu leicht als Verwandter statt als

12 BGH, NStZ 1994, 500. 13 § 146 verbietet nur die „gleichzeitige“ Mehrfachverteidigung; OLG Karlsruhe, NStZ 1988, 567. 14 BGHSt. 27, 154. 15 BVerfGE 43, 79. 16 BGH, NStZ 1983, 208 und 354; BGH, StV 1992, 213.

85

127

Rn. 128

Stellung zu den Beteiligten des Strafverfahrens

Organ der Rechtspflege fhlen knnte. Es kommt indessen immer auf den einzelnen Fall an, so z. B. wenn ein Verwandter neben anderen Hauptverteidigern nur eine begrenzte Aufgabe, etwa durch Beratung „in Hintergrund“ bernimmt. 128

Der Verteidiger wird im brigen die Annahme des Mandats immer mit abhngig machen von der Persnlichkeit des Mandanten und dem Charakter seiner Sache. Ratsuchende Kollegen stellen zuweilen die Frage, ob sie das Mandat eines „Schwerverbrechers“ oder eines „Massenmrders“ annehmen sollen. Die Entscheidung muß der Befragte aus seiner Verantwortung heraus selbst treffen. Gerade auch der schwerster Straftaten Verdchtige und der vorbestrafte Beschuldigte haben Anspruch auf sachgemße Verteidigung, um so mehr, als Vorbestrafte besonders leicht in Verdacht gezogen werden, auch wenn sie unschuldig sind. Die bernahme der Verteidigung bedeutet keine Identifizierung mit Tat oder Tter, sondern nur die Sicherung eines fairen Verfahrens fr den Beschuldigten. Darin liegen die Notwendigkeit und die Ethik der Verteidigung beschlossen (Rn. 8). Dennoch kann der Verteidiger in solchen Fllen wie auch sonst ablehnen, wenn das Mandat seiner Einstellung oder seinem Gefhl widerspricht. Es gibt darber keine Regel außer derjenigen, die der Verteidiger sich selbst gesetzt hat.

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Das gilt ganz besonders fr Mandate der Unterwelt. Es gab schon immer Verteidiger, die sich der besonderen Wertschtzung dieser Kreise erfreuen und sich damit einen etwas zweifelhaften Ruf erwerben. Es kann natrlich keine Rede davon sein, daß eine solche Verteidigung abgelehnt werden mßte. Es handelt sich vielmehr um eine Frage des Geschmacks und des Berufsstils, ber die man nicht streiten kann. Sie gewinnt noch ihren besonderen Aspekt im Zusammenhang mit der Honorierung des Verteidigers (Rn. 1200, 1207). Entscheidend wird immer sein, in welcher Art und Weise der Verteidiger die Verteidigung tatschlich fhrt. In Schwierigkeiten kommt ein Verteidiger, der sich bei blen Anklagen im allgemeinen versagt, aber in einem konkreten Fall von der Unschuld des Beschuldigten berzeugt ist. Je unsympathischer oder widerlicher das vorgeworfene Delikt und je grßer der Verdacht ist, um so mehr bedarf dann der Verdchtige des Verteidigers. Der Freispruch eines Unschuldigen in einem solchen Falle ist des Verteidigers schnster Lohn. Oft genug hat aber auch ein gutglubiger Verteidiger Vertrauen und Einsicht an einen Schuldigen verschwendet. Dessen Verurteilung ist fr den Verteidiger dann eine bittere Enttuschung.

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Die Verteidigung eines Terroristen oder anarchistischen Straftters ist ein Sonderproblem, das fr den Verteidiger zu einer schwierigen Gewissens86

Verteidiger und Mandant

Rn. 132

entscheidung werden kann. Wird ihm angesonnen, sich mit den Zielen des Beschuldigten zu identifizieren, sich in ein Informations- und Weisungssystem einzuordnen sowie Inhalt und Form der Verteidigung den Vorstellungen des Mandanten z. B. ber die „Fortsetzung des revolutionren Kampfes im Gerichtssaal“ anzupassen, so wird er den Auftrag nicht annehmen17. Wird ein Mandat in diesem Bereich dagegen bernommen, so wird der Beistand nur in strengster Sachlichkeit und strikter Beachtung der Pflichten des Verteidigers auch gegenber der Rechtspflege erfolgen knnen. Der Verteidiger ist dann besonders aufgerufen, sich seiner Verantwortung gegenber dem (prozessualen und materiellen) Recht bewußt zu sein. Mit Bedenken kann der Verteidiger sich auch konfrontiert sehen bei Mandanten in grßeren Wirtschaftsstrafsachen, etwa wegen Steuervergehen, Bilanz- und Finanzschwindel, Großbetrug u. a. (Rn. 64). Diese knnen ber die ganze Bundesrepublik und auch auf das Ausland ausgedehnt sein. Die Aufklrung ist fr Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei auch bei Mitwirkung von Interpol sehr schwierig, ußerst zeitraubend und manchmal sogar unmglich. Die Tter mit den „weißen Kragen“ (white collar) legen es nicht selten auf Sabotage der Ermittlungen durch Mobilisierung aller Mglichkeiten und finanzieller Mittel an. Die Justiz mit ihren vergleichsweise unzulnglichen Mitteln kann dadurch praktisch kaltgestellt werden. Das ist besonders folgenschwer, wenn die Tter bis zur Rechtskraft einer Verurteilung durch Neugrndungen oder Verlagerungen ihres Ttigkeitsgebietes ihr frheres Treiben zum Schaden der rechtstreuen Bevlkerung manchmal jahrelang fortsetzen. Der Verteidiger steht vor der schwierigen Aufgabe, den Sach- und Rechtsverhalt zu durchdringen, sich an rechtswidriger Verfahrensverschleppung (doppelte Verjhrung § 78c Abs. 3 StGB!) und Aufklrungssabotage nicht zu beteiligen, anderseits aber auch seinen Mandanten gegen die Strafverfolgung wirksam in Schutz zu nehmen und dabei alle legalen Mittel voll auszuschpfen. Dazu gehrt sehr viel, nicht zuletzt grndliche Sachkunde, berufliche Erfahrung und Fingerspitzengefhl.

131

Besondere Erwgungen wird der Verteidiger anstellen, wenn es um Mandaten politischer Parteien bzw. politisch exponierter Persnlichkeiten geht, mit deren Parteirichtung der Verteidiger leicht identifiziert wird. Ein solches Odium hlt sich erfahrungsgemß sehr hartnckig, obwohl es vielfach recht tricht ist. Wenn einer den Kopf in der Schlinge hat, sucht er sein Heil meist in der Tchtigkeit seines Verteidigers, nicht im Parteibuch.

132

17 Vgl. dazu BGHSt. 29, 99; Rudolphi, FS Bruns (1978), S. 315.

87

Rn. 133

Stellung zu den Beteiligten des Strafverfahrens

133

Es gibt auch Flle, in denen man zu einem Mandanten oder seiner Sache von vornherein kein Vertrauen fassen kann. Hier sollte man am besten gleich nein sagen oder wenigstens bei der bernahme besonders vorsichtig sein. Man kann mit Klienten bse berraschungen erleben. Ein Kollege mit großer Erfahrung – aber auch mit Neigung zum Zynismus – gab mir als jungem Anwalt den Rat: „Betrachten Sie Ihren Mandanten immer als Ihren knftigen Prozeßgegner, dann behandeln Sie ihn richtig.“

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Einer besonderen Betrachtung wert ist die Verteidigung von Beschuldigten, denen Sexualstraftaten, vor allem an Kindern, zur Last gelegt werden. Der Verteidiger wird sich hier besonders prfen, ob er in der Lage ist, sich fr den Klienten zu engagieren. Dabei wird neben einer vielleicht vorhandenen starken gefhlsmßigen Ablehnung aber auch die Haltung des Klienten in die Waagschale fallen mssen. Beharrt dieser auf einer Verteidigung, die als Zumutung empfunden werden muß, wird die Ablehnung des Mandats hufig richtig sein, wobei die Mglichkeit der nicht ganz seltenen Falschbezichtigung besonders zu erwgen ist. Oft begehen gerade auf diesem Gebiet Tter aber aus einer unnatrlichen Veranlagung oder psychischem Strung heraus scheußlichste Verbrechen. Diese sind abstoßend und widerwrtig. Das kann manchem Anwalt die Ablehnung der Verteidigung nahelegen. Er sollte aber bedenken, daß diese beklagenswerten und oft verzweifelten Menschen fr ihre Veranlagung oft nichts knnen und fr ihre Taten nicht oder nur beschrnkt verantwortlich sind oder wenigstens Anspruch auf Zubilligung mildernder Umstnde in reichlichem Maße haben. Es kann sehr viel fr sie zu tun sein, besonders wenn eine aufgebrachte ffentlichkeit sich des Falles schon bemchtigt hat. Ich habe aus dem ersten Jahr meiner anwaltlichen Ttigkeit immer in Erinnerung behalten, wie ich als Pflichtverteidiger mich schmen zu mssen glaubte, einen solchen Fall zu vertreten. Die Verteidigung und das Pldoyer, das ich mir abrang, waren schwchlich und farblos. Wirklich beschmt wurde ich dann erst durch die Urteilsverkndung. Der Vorsitzende, sonst ein strenger Richter, begann mit dem Ausdruck seines Mitgefhls fr den Angeklagten, der mit seiner perversen Veranlagung zur Welt gekommen sei und unser aller Mitleid verdiene. Die weitere Begrndung des Urteils war das versumte Pldoyer der Verteidigung. In diesen Fllen lauert auch die schlimme Gefahr, daß man durch den Abscheu vor den vorgeworfenen Handlungen die Beweislage nicht sehr kritisch und sorgfltig prft und dem durch die Ermittlungen entstandenen Sog eines „Vor“-Urteils selbst erliegt, obwohl der Betroffene mglicherweise unschuldig ist. Oft genug beeinflussen den Verteidiger dabei auch ußerungen aus seiner Umgebung, wie man „so einen Mann“ verteidigen knne und dgl. 88

Verteidiger und Mandant

Rn. 136

Besonders junge Anwlte werden oft mit „faulen Mandaten“ bedacht. Ihnen nhern sich zweifelhafte oder vertrauensunwrdige Subjekte, meist „alte Kunden“ des Gerichts und der ortsansssigen Rechtsanwlte, die auf die Unerfahrenheit, Anflligkeit und Schwche des Anfngers spekulieren. Sie belgen ihren Anwalt oder suchen ihn zu ihrem willfhrigen Gehilfen zu machen. Dazu betrgen sie ihn auch noch um seine Gebhren. Eine unsaubere Sache sollte gerade der junge Anwalt nicht bernehmen, um sich seinen Ruf nicht zu verscherzen. Das ist schnell geschehen, denn er steht im hellen Licht.

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hnlich sind die Flle zu sehen, in denen Beschuldigte gegenber Ermittlungsbehrden einfach behaupten, sie htten RA X. als Verteidiger beauftragt oder wrden dies tun. berraschend oft gelingt es ihnen, auf diese Weise die Ermittlungen zu verzgern. Ein Verteidiger wird sich einer solchen „Vereinnahmung“ zu entziehen wissen. Oft erfhrt man erst durch Rckfrage der Polizei oder Staatsanwaltschaft von einem solchen Luftmandat. Hat der potentielle Mandant in der Zwischenzeit nicht um bernahme des Mandats gebeten, so sollte man ihm, wenn er sich doch noch meldet, die passende Antwort fr diese dreiste Usurpierung des Verteidigerbeistands geben. Es gibt allerdings Ausnahmeflle, in denen die beabsichtigte ordnungsgemße Auftragserteilung durch Krankheit oder andere Bedrngnisse verzgert worden ist. Rckfragen knnten hier berufsrechtlich problematisch sein. Dies ist anders in den Fllen, wo Angehrige, Freunde, Arbeitgeber, Rechtsschutzversicherungen oder sonst vertrauenswrdige Dritte um die bernahme der Verteidigung fr einen Beschuldigten bitten. Hier ist eine Rckfrage bei dem Betroffenen, ob er das Mandat zu erteilen wnscht, unbedenklich. Ob man ihm sofort eine Mandatsbesttigung schickt und sich zugleich im Verfahren bestellt, ist zwar eine Stilfrage. Die alsbaldige Niederlegung des Mandats, wenn der Betroffene sich doch anders entscheidet, kann aber zu einer etwas „schiefen Optik“ fhren. Eine besondere Gruppe von Auftraggebern sind die „Knastologen“. Sie haben einen eigenen Stil, um ihre Verteidigung zu werben. Sie beanspruchen als „Alteingesessene“ zuweilen sogar eine Art von Respekt. In einer gewissen Einheitssprache, deren Eigenart sich nach geheimnisvollen Gesetzen zu bilden scheint, schreiben sie aus der Untersuchungs- oder Strafhaft den Anwalt an, dem sie ihr Mandat verschenken wollen. Sie verstehen es durch den Hinweis auf die Dringlichkeit ihrer Sache, den Anwalt in eine Verantwortung hineinzumanvrieren oder ihm einen (mglichst sofortigen) Besuch in der Haftanstalt aufzuntigen. Dabei bieten sie zugleich Honorare an, fr deren Zahlung meistens Verwandte, Freunde oder imaginre Brute bereit sein sollen oder fr die „sofort nach der Entlas89

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Rn. 137

Stellung zu den Beteiligten des Strafverfahrens

sung“ gesorgt werden solle. Der Anwalt sollte auf solche Typen nicht hereinfallen. Sie nutzen ihn nur aus. Er darf auch nicht vergessen, daß er nur bei einwandfreier (Rn. 1173, 1204) Zahlung seiner Gebhren ttig werden darf, andernfalls er sich berufsrechtlich oder sogar strafrechtlich (Geldwsche18) vergeht. In geeigneten Fllen kann er sich zum Pflichtverteidiger bestellen lassen. 137

Somit ist bei der Mandatsannahme mancherlei Vorsicht geboten. Das gilt um so mehr, als es immer schwer sein wird, eine einmal bernommene Verteidigung wieder niederzulegen (Rn. 161). Auch erfhrt der Verteidiger manches ber den Mandanten und die Sache erst durch die Akteneinsicht. Diese ist ihm aber erst nach der bernahme der Verteidigung mglich. Daraus eben erwchst das Dilemma des Verteidigers und die berlegung, ob die Verteidigung vielleicht „unter Vorbehalt“ angenommen werden kann, was in der Regel nicht gehen wird. Wenn mglich, sollte man sich vorher z. B. die Anklage vom Klienten schicken lassen. In diesem Stadium wird im brigen auch die Frage der Honorierung der Verteidigung erstmalig bedeutungsvoll. Sie ist in Rn. 1170 ff. besonders behandelt.

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Der Verteidiger muß auch jetzt schon darauf achten, daß er nicht unversehens in eine Interessenkollision gert (Rn. 73 ff.). Das kann ihm leicht passieren, wenn er Beteiligte frher vertreten oder auch nur beraten hat. Dies kann dazu fhren, daß er spter das unbedacht bernommene Mandat niederlegen muß (Rn. 161). In Sozietten kann bersehen, hufig aber auch vor der Mandatsannahme gar nicht festgestellt werden, ob ein Sozius schon in einem kollidierenden Mandat ttig ist. In diesem Fall ist jedes Mandat der Soziett illegal, was besonders der Mandant nicht wissen oder nicht wahrhaben will. Der Verteidiger darf sich von ihm nicht berreden lassen. Die Gefahr einer Interessenkollision ist besonders zu beachten, wenn in einem Strafverfahren die Verteidigung mehrerer Beschuldigter durch Anwlte der Soziett bernommen werden sollen. Dies kann unbedenklich sein, wenn kollidierende Interessen zwischen den Mandanten nach der Struktur des Falles offensichtlich ausgeschlossen sind. Mit dieser Beurteilung sollte man indes vorsichtig sein. Die Erfahrung lehrt, daß bei bernahme des Mandats von den Beteiligten Interessenkollisionen ausgeschlossen werden und auch fr den Verteidiger nicht erkennbar sind, jedoch dann, wenn im Laufe des Verfahrens Sachverhalte und Einlassungen erarbeitet werden, sich berraschend herausstellt, daß die vorausge18 BVerfG, NStZ 2004, 259; Trndle/Fischer, StGB § 261 Rn. 35 ff.

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Verteidiger und Mandant

Rn. 138

setzte Einheitlichkeit und Kongruenz der Interessen doch nicht besteht. Die Notwendigkeit der Niederlegung aller Mandate wird dann die Folge sein. Dieser Gefahr kann man in geeigneten Fllen dadurch begegnen, daß von den Anwlten der Soziett zunchst nur einer sich als Verteidiger bestellt und die Begrndung der weiteren Mandate zurckgestellt wird, bis die Beschuldigungen konkretisiert sind, die individuellen Verteidigungslinien miteinander verglichen und Fragen nach mglichen Interessenkollisionen beantwortet werden knnen. Allerdings muß man sich in solchen Fllen auch davor hten, die Sache intern unter den Strafverteidigern fr die vorbereitende Bearbeitung so zu verteilen, daß sie unversehens in die Wahrnehmung eines Individualinteresses „hineinrutschen“. Dann kommt es fr den Interessenwiderstreit und seine Folgen auf das „Außenbild“ naturgemß nicht an. Kommen als Beschuldigte Personen in Betracht, die unterschiedlichen Hierarchiestufen, z. B. im Unternehmen, angehren und soll ein bestimmter Verteidiger auf jeden Fall fr eine bestimmte Person „reserviert“ bleiben, so empfiehlt es sich, daß dieser zunchst aus dem Mandatsbereich ausgeklammert bleibt, solange noch nicht sicher ist, daß der fr ihn vorgesehene Mandant berhaupt Beschuldigter (oder etwa „verdchtiger Zeuge“) im Verfahren sein wird. In der Regel sollte der Methode der Vorzug gegeben werden, daß sich nur ein Anwalt, der nicht unbedingt ein ausgewiesener Strafverteidiger sein muß, als Verteidiger bestellt und i. w. allein in der Sache agiert, bis die Frage der Interessenkollision geklrt ist, woraufhin dann die brigen Verteidigungsmandate begrndet werden knnen. Zur Frage der Interessenkollision bei der Vertretung von Angeklagten und Zeugen oder mehreren Zeugen als Beistand vgl. Rn. 1151. Der Verteidiger muß das Mandat ablehnen, wenn er selbst an der dem Beschuldigten vorgeworfenen Tat beteiligt ist19. Sehr schwierig ist es, wenn der Verteidiger im Verfahren als Zeuge in Betracht kommt. Die Verteidigung wird dadurch nicht unzulssig20, zumal sich die Zeugenvernehmung whrend des Prozesses auch berraschend ergeben kann, vor allem wenn es sich um Vorgnge im Verfahren handelt. Gleichwohl sollte der Verteidiger jedenfalls dann Zurckhaltung ben, wenn schon bei Mandatsbernahme damit zu rechnen ist, daß er fr wesentliche Umstnde, die die Sache selbst betreffen, als Zeuge in Betracht kommt. Die Peinlichkeit, sich einer kontroversen Befragung ausgesetzt zu sehen und evtl. Gegenstand unterschiedlicher Beweiswrdigung zu sein, sollte er unbe19 Ausschließungsgrund nach § 238a Abs. 1 StPO. 20 Vgl. i. e. Meyer-Goßner, Vor § 48 Rn. 18; Lwe/Rosenberg/Dahs[25], Vor § 48 Rn. 45 ff.

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Rn. 139

Stellung zu den Beteiligten des Strafverfahrens

dingt vermeiden. Diese Rolle entfernt sich zu sehr von seinem Berufsbild und seiner Aufgabe. 139

Delikate Fragen lst ein Verteidigungsauftrag eines Beschuldigten aus, wenn damit zu rechnen ist, daß ein anderer Beschuldigter auf denselben Anwalt als Mandant zukommen wird. Das kann z. B. der Fall sein, wenn dieser potentielle Mandant schon Klient in einer anderen Sache ist oder sonstige gute Verbindungen bestehen. Nimmt der Verteidiger den ersten Auftrag an, so wird er fr den erwnschten zweiten Auftrag illegal und schaltet sich damit selbst aus (§ 146). Lehnt er ihn ab, kann er bei Ausbleiben des zweiten Mandats „zwischen zwei Sthle“ geraten. Das Dilemma des Verteidigers ist noch verschrft, wenn das angetragene Erstmandat nur eine unbedeutende Randfigur des Verfahrens betrifft, whrend das erwartete Zweitmandat einen grßeren oder sonst vorzuziehenden Auftrag darstellen wrde. Handelt es sich um einen Mandanten, der anwaltlich stndig oder jedenfalls zur Zeit in anderer Sache vertreten wird, erscheint eine allgemein gehaltene Rckfrage vertretbar. Die Erfahrung lehrt, daß solche Klienten dies auch erwarten und geradezu konsterniert sind, wenn „ihr“ Vertrauens-Anwalt sich durch die Annahme eines anderen Auftrages in der Sache blockiert hat. Es ist eine Frage des Stils, die Rckfrage so zu gestalten, daß jeder Anschein der Werbung vermieden wird. Auch die bloße Mitteilung, man habe das angetragene Mandat wegen der bestehenden beruflichen Beziehungen zum Adressaten abgelehnt, wre berufsrechtlich wohl nicht sanktionsbewehrt. Zu beanstanden ist dagegen eine Kontaktaufnahme zu einem Nicht-Klienten, zumal sie hufig mit einer reklamehaften Empfehlung der eigenen Fachkunde verbunden ist – oder jedenfalls so verstanden wird.

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Hier spielt auch das Problem der Reservierung fr ein Verteidigungsmandat eine Rolle. Der Klient will sich fr den Fall der entsprechenden Entwicklung einer Sache seinen Anwalt sichern. Man muß sich das dann gut berlegen, wenn man auf ein „besseres“ Mandat in derselben Sache rechnen kann. Es passiert aber auch, daß ein Beschuldigter einen Anwalt fr sich reserviert, ohne berhaupt gewillt zu sein, ihn spter zu beauftragen. Damit bezweckt er, den betreffenden Anwalt, den er als Gegner frchtet, fr jedes Gegenmandat, z. B. fr einen ihn belastenden Mitbeschuldigten, in derselben Rechtssache auszuschalten. Dieses Ziel wird erreicht, wenn der Angesprochene sich auch nur auf eine vorlufige Beratung einlßt. Wenn der Mandant dann statt seiner einen anderen Verteidiger beauftragt, sieht er sich letztlich durch solch raffiniertes Vorgehen fr jedes kollidierende Mandat aus der Sache „herausgeschossen“. Es kommt auch vor, daß ein Betroffener, der diesen Effekt anstrebt, das offen zur Sprache bringt. Er schlgt dem Anwalt vor, sich gegen Honorierung jeder Mandatsannahme 92

Verteidiger und Mandant

Rn. 142

fr Interessengegner in der Sache zu enthalten, whrend der Mandant selbst doch „seinen“ Anwalt als Verteidiger behlt. Wer das mitmacht, lßt sich gewissermaßen „einkaufen“ und leistet damit einen Dienst durch echtes Nichtstun. Das ist die Wirksamkeit einer fleet in being – ein mit der Berufsauffassung wohl kaum zu vereinbarendes Manver. Ein Syndikusanwalt darf die Verteidigung eines Reprsentanten seines Unternehmens oder Verbandes vor Gericht nicht bernehmen. § 46 BRAO verbietet die Vertretung eines Auftraggebers, bei dem er als Syndikusanwalt ttig ist; darunter fllt auch die Vertretung gesetzlicher Vertreter (Mitglied des Vorstandes, Geschftsfhrer, persnlich haftender Gesellschafter) in einer Strafsache aus dem Unternehmensbereich21. Anders ist es bei einer rein persnlichen Strafsache, die die Belange des Unternehmens nicht tangiert22.

141

In der Praxis bernehmen Syndikusanwlte hufig die Verteidigung von Mitarbeitern „ihres“ Unternehmens, die unterhalb der Ebene gesetzlicher Vertreter stehen. Derartige Mandate sollten genau bedacht werden. Zum einen ist zu prfen, ob eine der gesetzlichen Sperren des § 46 Abs. 2 BRAO besteht (Vorbefassung), zum anderen ist die Gefahr einer Kollision der Interessen des Unternehmens mit denen der individuellen Verteidigung kaum einmal auszuschließen23. Das gilt z. B., wenn zur Verteidigung auf Weisungen (bisher nicht beschuldigter)Vorgesetzter, ungengende Anleitung und Ausstattung sowie Organisationsmngel hingewiesen werden muß, was nach praktischer Erfahrung hufig der Fall ist. Darin liegen brigens auch fr den externen Verteidiger Probleme, zumal wenn das Unternehmen seine Kosten trgt (nher dazu Rn. 31). Schließlich muß der Syndikusanwalt berlegen, ob er ber die fr eine Strafverteidigung notwendigen Spezialkenntnisse und Erfahrungen verfgt. Der exzellente Kenner des Handels-, Gesellschafts- und Steuerrechts, des nationalen und internationalen Unternehmensrechts u. a. ist in seiner Berufsausbung regelmßig von Strafrecht, besonders von der forensischen Strafverteidigung, meilenweit entfernt. Gerade der Mangel an laufend aktualisierter Alltagserfahrung im Umgang mit Strafverfolgungsorganen kann zu Fehlern und Mißgriffen fhren, die nach der Eigenart des Strafprozesses irreparabel sind. Staatsanwlte sprechen im Zusammenhang mit der Verteidigung durch Syndikusanwlte etwas abschtzig von der „Laienspielschar“. Der Syndikus dient seinem Unternehmen in der Regel besser, wenn er den Aufbau einer externen Verteidigung organisiert und sich auf deren

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21 Feuerich/Weyland, § 46 BRAO Rn. 18. 22 Feuerich/Weyland, § 46 BRAO Rn. 18. 23 hnliches gilt fr den Syndikus als Zeugenbeistand – vgl. Rn. 141.

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Rn. 143

Stellung zu den Beteiligten des Strafverfahrens

interne Information und Beratung beschrnkt. Dazu kann er (soweit erforderlich) seine Spezialkenntnisse ebenso wie die Interessen aller Beteiligten in die Diskussion ber die Verteidigungsstrategie und -taktik einbringen (dazu Rn. 443) und fruchtbar machen. Dabei muß er allerdings bedenken, daß – wenn er im Verfahren nicht als Verteidiger bestellt ist – die Beschlagnahmefreiheit seiner Unterlagen nach § 97 nicht ohne weiteres gesichert ist24. Die Zusammenarbeit zwischen externen Verteidigern und Syndikusanwlten ist ein vielschichtiges und nicht selten schwieriges Kapitel; sie erfordert auf beiden Seiten Souvernitt und Fingerspitzengefhl. 143

Wenn der Auftrag zur Verteidigung durch dritte Personen erteilt wird, entsteht das Verteidigungsverhltnis erst durch Vereinbarung mit dem Beschuldigten, ohne dessen Vollmacht der Verteidiger nicht handeln kann. Ein besonderer Fall dieser Variante ist die Beauftragung durch die Medien (dazu Rn. 31). Auf der Jagd nach Sensationen suchen deren Vertreter hufig die Verbindung zu Anwlten, um ber sie schnell und zuverlssig Informationen zu erhalten. Im Umgang mit den Medien sollte der Verteidiger allgemein Zurckhaltung ben (Rn. 95), insbesondere das Reklameverbot und das Schweigegebot zu beachten (Rn. 88). In publikumswirksamen Sachen tritt die Presse manchmal an einen Anwalt heran und bietet ihm fr die Fhrung der Verteidigung ein hohes Honorar an. Es ist nicht grundstzlich verboten, ein solches Mandat anzunehmen. Der Anwalt muß sich aber den Auftrag vom Beschuldigten besttigen und sich Vollmacht erteilen lassen. Er hat dann ausschließlich dem Interesse des Verteidigten zu dienen, auch wenn das den Wnschen des Pressemandanten zuwiderluft. Er hat auch besonders auf die Respektierung der Persnlichkeitsrechte und der Intimsphre seines Mandanten zu achten. Auch wenn dieser ihn von der gesetzlichen Schweigepflicht entbindet, hat der Verteidiger die darber hinausgehende Pflicht zur beruflichen Verschwiegenheit (Rn. 44). Das bedeutet, daß er nicht zur Sensationsmache und zu spektakulren Publikationen mitwirken darf. Das gilt besonders auch dann, wenn der Verteidigte es anders wnscht, weil er sich ffentlich interessant machen oder ein mglichst hohes Honorar herausschlagen will. Auch hat der Anwalt zu beachten, daß durch solche Sensationsartikel das Verfahren nachteilig beeinflußt werden kann. Das gilt jedenfalls dann, wenn das Verfahren noch nicht rechtskrftig abgeschlossen ist, sondern noch luft oder durch ein Wiederaufnahmeverfahren wieder in Gang gesetzt werden soll. 24 Dazu Meyer-Goßner, § 53 Rn. 15; Lwe/Rosenberg/G. Schfer[25], § 97 Rn. 109; Roxin, NJW 1992, 1129; vgl. auch LG Frankfurt, StV 1993, 359; Hassemer, wistra 1986, 1.

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Rn. 145

Die Berichterstattung gerade in Wiederaufnahmefllen (Rn. 991) ist hufig darauf ausgerichtet, der Justiz grobe Verfahrensfehler vorzuwerfen oder sonst den Verurteilten als Opfer eines Justizirrtums sensationell herauszustellen. Die dabei angewandten Methoden der Meinungsbeeinflussung sind fr das schwebende Verfahren sehr gefhrlich, besonders wegen der Einwirkung auf die Laienrichter und die Verfahrenszeugen. Dazu darf der Verteidiger nicht mitwirken, und er hat darber hinaus dafr zu sorgen, daß sein Name und seine Informationen nicht mit derartigen Verffentlichungen in Zusammenhang gebracht werden. Es gibt allerdings auch Flle, in denen das Interesse der Medien-ffentlichkeit und die publizistische Begleitung des Verfahrens dem Klienten Schutz vor einem allzu rasanten „Abbgeln“ seiner Bemhungen um die berprfung eines zweifelhaften Urteils bieten kann. Daran darf der Verteidiger selbstverstndlich durch zutreffende und objektive Information mitwirken, wenn der Mandant damit einverstanden ist. Auch dann ist es aber schon ein Gebot der Klugheit, auf strenge Sachlichkeit in der Berichterstattung hinzuwirken.

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Ein ganz anderer Fall liegt vor, wenn der Verteidiger den Auftrag der Presse entgegennimmt, als deren Vertreter und in deren Interesse in einer Sache zu recherchieren und der Presse Material zu geben. In diesem Falle wird der Anwalt nicht Verteidiger des Betroffenen. Dieser erteilt ihm auch keine Vollmacht, und der Anwalt ist ihm gegenber frei. Aber auch hier sind Unabhngigkeit und das Ansehen des Berufs zu wahren (Rn. 30). Das Verbot der Reklame (Rn. 88) ist zu achten. Besonders hat der Verteidiger zu bedenken, daß durch eine pressemßige Ausschlachtung seiner Informationen das Verfahren gestrt und der Betroffene geschdigt werden kann. Verteidiger werden oft von Inhabern oder Leitern von Unternehmen oder Geschften beauftragt (vgl. auch Rn. 31), die im Rahmen ihrer Frsorgepflicht fr Betriebsangehrige das Honorar des Verteidigers bernehmen (Rn. 31). Hier ist große Wachsamkeit geboten. Nicht selten kollidieren nmlich die Interessen der in einen strafrechtlichen Vorwurf geratenen Beschuldigten mit den zivilrechtlichen Interessen des Unternehmers hinsichtlich des Schadensersatzes oder auch mit den strafrechtlichen Interessen des Inhabers oder Leiters. Der Verteidiger darf dann zwar von dort das Honorar annehmen, aber er hat nur seinem speziellen Mandanten zu dienen und darf mit keinem Auge nach dem „Brtchengeber“ schielen. Darber hat er auch von vornherein Klarheit zu schaffen. Er darf niemals im Zwielicht stehen. (Zur „Ausschreibung“ von Mandaten und zur Unabhngigkeit von Kostentrgern Rn. 31, 155)

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Rn. 146

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b) Pflichtverteidiger Beulke, Die notwendige Verteidigung in Jugendstrafverfahren – Land in Sicht?, FS Bhm (1999), S. 647; Brangsch, Kann ein Rechtsanwalt mittelbar oder unmittelbar zur Pflichtverteidigung gezwungen werden?, AnwBl. 1972, 15; Burgard, Notwendige Verteidigung wegen hoher Strafverwartung durch nderung der Verfahrenssituation in der Hauptverhandlung, NStZ 2000, 242; Dahs, Der streikende Pflichtverteidiger, AnwBl. 1972, 297; Danckert/Ignor, BF (1998), S. 52 ff.; Haffke, Zwangsverteidigung – notwendige Verteidigung – Pflichtverteidigung – Ersatzverteidigung, StV 1981, 471; Hamm, Die (notwendige) Verteidigung whrend des Vorverfahrens im Licht der Vertragstheorie und der neueren Rechtsprechung, FS Lderssen (2002), S. 717; Hilgendorf, Die Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung gem. § 143 StPO, NStZ 1996, 1; Klemke, Unterlassene Pflichtverteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren und ihre Konsequenzen, StV 2003, 413; Leipold, Die Pflichtverteidigung – Verteidigung 2. Klasse?, AnwBl. 2004, 683; Lderssen, Die Pflichtverteidigung, NJW 1986, 2472; Oellerich, Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung und Zeitpunkt der Pflichtverteidigerbestellung, StV 1981, 454; Rieß, Pflichtverteidigung – Zwangsverteidigung – Ersatzverteidigung-Reform der notwendigen Verteidigung, StV 1981, 460; Rmer, Pflichtverteidiger neben Wahlverteidiger?, ZRP 1977, 92; Schlothauer, Die Auswahl des Pflichtverteidigers, StV 1981, 443; Schnarr, Der bevollmchtigte Pflichtverteidiger und sein Stellvertreter, NStZ 1996, 214; Welp, Der Verteidiger als Anwalt des Vertrauens, ZStW 90 (1978) 101, 107, 122; Widmaier, Zu den Folgen der Verletzung von Art. III lit. d EMRK durch unterbliebene Verteidigerbestellung: Beweiswrdigungslsung oder Verwertungsverbot?, NJW-Sonderheft fr Gerhard Schfer 2003, 76.

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In den Fllen der notwendigen Verteidigung ist dem Beschuldigten von Amts wegen ein Verteidiger zuzuordnen, falls keine Wahlverteidigung besteht. Grundlage ist einmal der Straftatenkatalog des § 140 Abs. 1, zum anderen die Auffangregelung des § 140 Abs. 225. Zu beachten ist, daß die Bestellung z. B. immer dann erfolgen muß, wenn die nur dem Verteidiger zustehende Akteneinsicht zu einer sachgemßen Verteidigung erforderlich ist26. Streitig ist die Frage, ob die Erwartung einer Freiheitsstrafe von einem Jahr die notwendige Verteidigung auslst oder dies erst dann der Fall ist, wenn zwei Jahre drohen27. Der vom Beschuldigten um Beratung angesprochene Anwalt sollte im Zweifel seine Bestellung beantragen: vielfach werden sich gute Grnde anfhren lassen. Das Gefhl mancher Vorsitzender fr die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 ist immer noch

25 Zur Bedeutung der Pflichtverteidigergarantie vgl. EuGMR, EuGRZ 1980, 662. 26 BVerfG, StV 1993, 647 f.; OLG Dsseldorf, StV 1994, 237 f.; KG, StV 1993, 5 f.; OLG Koblenz, NStZ-RR 2000, 176; OLG Koblenz, StV 1993, 461 f.; eingehend Meyer-Goßner, § 140 Rn. 27. 27 Richtwert = ein Jahr: OLG Mnchen, StV 1993, 65; BayObLG, StV 1993, 180; OLG Koblenz, StV 1993, 461; mindestens zwei Jahre: OLG Celle, StV 1985, 184; OLG Frankfurt, StV 1984, 370; OLG Zweibrcken, NStZ 1987, 89; krit. Meyer-Goßner, § 140 Rn. 23.

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Rn. 147

unterentwickelt und erst durch entsprechend begrndete Antrge zu aktivieren28. Den Pflichtverteidiger hat der Vorsitzende des Gerichts in den dafr in Betracht kommenden Fllen mglichst aus dem Kreis der im Bezirk zugelassenen Rechtsanwlte zu bestellen (§ 142 Abs. 1 S. 1); benennt der Beschuldigte (§ 142 Abs. 1 S. 2 u. 3) einen auswrtigen Verteidiger, so hat das Vertrauensverhltnis Vorrang29, was ggfs. dargelegt werden muß. Durch ffentlich-rechtlichen Akt wird das Rechtsverhltnis zwischen dem Pflichtverteidiger und dem Beschuldigten begrndet, dessen Zustimmung oder Ablehnung dazu rechtlich nicht von Bedeutung ist30. Der Pflichtverteidiger hat kraft der Bestellung seine Rechte und Pflichten unabhngig von den Weisungen des Beschuldigten auszuben. Als Pflichtverteidiger soll in erster Linie ein Anwalt des Vertrauens des Beschuldigten bestellt werden. Deshalb ist ihm Gelegenheit zu geben, einen solchen zu benennen (§ 142 Abs. 1 S. 2). Dem Wunsch des Beschuldigten muß entsprochen werden, wenn nicht wichtige Grnde entgegenstehen (S. 3). Fiskalische Grnde oder die bekannte „Unbequemlichkeit“ des Verteidigers drfen nicht zur Ablehnung fhren31. Die Bestellung erfolgt durch den Vorsitzenden (S. 1), auch wenn der Beschuldigte keinen Verteidiger benannt hat. Die Verletzung des § 142 Abs. 1 kann unter bestimmten Voraussetzungen mit der Beschwerde angefochten werden32; Entsprechendes gilt auch fr die Bestellung des Pflichtverteidigers33. Schließlich kommt bei Rechtsfehlern ggfs. die Revision in Betracht34. Die Anwlte haben verschiedene Auffassungen ber die Erwnschtheit von Pflichtverteidigungen. Besonders der jngere Anwalt sollte danach streben, durch Pflichtverteidigungen Erfahrungen in Strafsachen zu sammeln und sich der ffentlichkeit bekanntzumachen. Auch wenn die einzelne Sache ihm nicht sympathisch sein mag, so verschafft sie dem Anwalt doch vielfltige Kontakte zu Gericht, Staatsanwaltschaft, Zeugen und Sachverstndigen sowie zum Publikum und zur Presse. Sie gibt ihm

28 Zum Umfang der Mitwirkung von Verteidigern in Strafverfahren allgemein Rieß, FS Sarstedt (1980), S. 261. Zur notwendigen Verteidigung bei Auslndern vgl. OLG Dsseldorf, StV 1992, 363 m. Anm. Wolf; OLG Hamm, StV 1995, 64; OLG Landshut, StV 1994, 239. 29 OLG Zweibrcken, StV 2002, 238; Meyer-Goßner, § 142 Rn. 12 f. m. N. 30 Die Einzelheiten des Rechtsverhltnisses zwischen Pflichtverteidiger und Beschuldigtem sind dogmatisch nicht geklrt. 31 OLG Zweibrcken, StV 2002, 238 m. N. 32 OLG Dsseldorf, JMBl. NRW 2000, 98. 33 OLG Dsseldorf, StV 2004, 62 m. Anm. Bockemhl. 34 BGHSt. 39, 310, 313; BGHSt. 47, 172, 180; NStZ 1992, 292 m. N.

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damit eine vorzgliche Gelegenheit zu erlaubter Werbung durch Leistung. Es braucht auch an sich nicht bedenklich zu sein, Vorsitzende wissen zu lassen, daß Pflichtverteidigungen erwnscht sind. Viele Gerichte legen im Zusammenwirken mit den Anwaltvereinen Listen an, die fr die Auswahl dem Vorsitzenden eine willkommene Hilfe sind. 148

Wenn ein Anwalt sich generell fr die Ablehnung von Pflichtverteidigungen entschieden hat, wird er gegen seinen erklrten Willen wohl nicht bestellt werden, obwohl er an sich zur Fhrung von Pflichtverteidigungen verpflichtet ist (§ 49 Abs. 1 BRAO). Das geschieht um so weniger, als der Pflichtverteidiger die Aufhebung der Bestellung aus „wichtigen Grnden“ verlangen kann (§§ 49 Abs. 2, 48 Abs. 2 BRAO)35. Schwierigkeiten knnen auftreten, wenn der gewhlte und schon ttig gewordene Wahlverteidiger nach Niederlegung seines Mandats ohne seinen Antrag zum Pflichtverteidiger bestellt wird. Das kommt besonders dann vor, wenn – vielleicht kurz vor oder whrend der Hauptverhandlung – der Vorsitzende den Termin retten will. Der Verteidiger wird dann hufig als gewichtigen Grund fr die Ablehnung bzw. Aufhebung der Pflichtverteidigung die vorher aufgetretenen Strungen der Vertrauensgrundlage vorbringen knnen. Diese werden in der Praxis auch regelmßig als Ablehnungs- bzw. Aufhebungsgrund anerkannt36. Es kommt auch, besonders in großen Sachen, vor, daß der Vorsitzende eines auswrtigen Gerichts den ausgeschiedenen Wahlverteidiger zum Pflichtverteidiger bestellen will, weil er die Sache kennt und die zeitraubende Einarbeitung eines anderen Pflichtverteidigers vermieden werden soll. Das ist aber bei weiter Entfernung in der Regel dem Verteidiger nicht zuzumuten, wenn die Zusatzkosten nicht sichergestellt sind. Anderseits gibt es in der Praxis hufig den Fall, daß der Wahlverteidiger niederlegt, weil seine Kosten nicht bezahlt oder gesichert sind. Er muß damit rechnen, daß der Vorsitzende ihn jetzt zum Pflichtverteidiger bestellt; einer solchen Beiordnung wird er sich schwerlich entziehen knnen – Grund genug, die Kostenfrage mglichst langfristig vor der Hauptverhandlung zu klren (Rn. 1185). So darf der Anwalt seine Bestellung zum Pflichtverteidiger nicht hinnehmen, wenn er nicht gengend Zeit zur Vorbereitung der Hauptverhandlung hat. Mindestens muß er dann eine Aussetzung verlangen. Dasselbe 35 Vgl. auch BRAK-Schriftenreihe, Bd. 8, These Nr. 7. 36 BGH, NStZ 1988, 420: Niederlegung wegen Strung des Vertrauensverhltnisses allein gengt nicht. Es muß dargetan sein, daß und warum das Vertrauensverhltnis tatschlich beseitigt ist. Zu den Voraussetzungen einer Entpflichtung aus wichtigem Grund siehe auch OLG Kln, StV 1994, 234 m. Anm. Mnchhalffen.

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gilt natrlich gemß § 145 Abs. 3 dann, wenn der Pflichtverteidiger erst whrend der Hauptverhandlung wegen Wegfalls des Erstverteidigers bestellt wird. In den vorgenannten Fllen muß der Verteidiger hart gegenber dem Vorsitzenden, aber auch hart gegen sich selbst sein. Die Versuchung ist groß, sich das Wohlwollen des Vorsitzenden (Rn. 192) besonders im Hinblick auf Zuteilung weiterer Pflichtverteidigungen durch Nachgiebigkeit zu erkaufen und auf den verfahrensstrenden Aussetzungsantrag zu verzichten. Das geschieht dann aber auf dem Rcken des Angeklagten, der damit verraten statt verteidigt wird. Es ist vorgekommen, daß ein Anwalt sich in einer Umfangstrafsache kurz vor Beginn der Hauptverhandlung zum Offizialverteidiger bestellen ließ und auf den vom Angeklagten selbst in der Hauptverhandlung gestellten Antrag auf Aussetzung zum Zwecke sachgemßer Vorbereitung die Erklrung abgab, er knne sich ja whrend der Verhandlung nach und nach mit dem Inhalt der Akten (30 Bnde!) vertraut machen. Der Vorsitzende hatte zuvor angedeutet, man werde sich auch fr die Gewhrung einer Pauschvergtung (§ 99 BRAGO) einsetzen. Es soll andererseits auch geschehen, daß Verteidiger versuchen, ihre Bestellung dadurch zu „erzwingen“, daß sie das Mandat als Wahlverteidiger so kurz vor Beginn der (umfangreichen) Hauptverhandlung niederlegen, daß der Gerichtsvorsitzende praktisch keine andere Mglichkeit hat als sie zum Offizialverteidiger zu bestellen, wenn er den Termin „retten“ will. Dieses Verhalten ist berufswidrig, wenn der Verteidiger schon frher wußte, daß z. B. der Mandant die Kosten nicht wrde zahlen knnen. In solchen Fllen muß der Verteidiger auch mit der Kostenfolge nach § 145 Abs. 4 rechnen, wenn aus triftigen Grnden ein anderer Pflichtverteidiger bestellt wird. Die „unzeitige“ Niederlegung des Mandats als Wahlverteidiger allein ist aber kein ausreichender Grund. Praktisch bedeutsam ist die Wirksamkeit der Bestellung fr die Gesamtdauer des Verfahrens (außer der Hauptverhandlung in der Revisionsinstanz37 – Rn. 889) bis zur Urteilsrechtskraft, falls sie nicht ausdrcklich beschrnkt ist. Die Bestellung des Pflichtverteidigers muß auch fr eine evtl. Wiederaufnahme (Rn. 991 ff.) erfolgen (§ 364a, b). Das verursacht Konflikte, wenn der Pflichtverteidiger einen Wiederaufnahmeantrag fr aussichtslos hlt. Er verstßt gegen die Treuepflicht, wenn er weder dem Gericht den Vertrauensentzug durch seinen Mandanten mitteilt noch die Aufhebung seiner Beiordnung beantragt.

37 BGHSt. 19, 258; Meyer-Goßner, § 140 Rn. 9.

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Die Bestellung zum Pflichtverteidiger hat gemß § 143 zu unterbleiben oder ist zurckzunehmen, wenn ein Wahlverteidiger bestellt ist oder wird. Es soll grundstzlich keine Pflichtverteidigung bestehen, wo ein Wahlverteidiger bestellt ist. Das folgt aus der Struktur des Gesetzes und auch aus der Gefhrdung ordnungsmßiger Verteidigung, falls der Pflichtverteidiger andere Wege gehen will als der Mandant oder sein Wahlverteidiger. Eine Ausnahme ist u. a. aber dann geboten, wenn von vornherein feststeht, daß der Wahlverteidiger in der Hauptverhandlung nicht stndig anwesend sein kann38. Die Praxis geht besonders in Umfangsachen noch darber hinaus, indem der Vorsitzende trotz bestehender Wahlverteidigung einen Pflichtverteidiger vorsorglich bestellt. Dazu kann ein unabweisbares Bedrfnis bestehen39. In solchen Verfahren bestellen sich nicht selten whrend des Ermittlungs- oder Zwischenverfahrens Wahlverteidiger, die hufig kurz vor oder sogar whrend einer dieser monatelangen Hauptverhandlungen ihr Mandat niederlegen, sei es aus allgemeinen Praxisgrnden oder aus gesundheitlichen oder auch aus Kostengrnden40. Damit wrde die Hauptverhandlung „platzen“, wenn nicht vorsorglich neben dem Wahlverteidiger ein Pflichtverteidiger bestellt worden wre. Es muß allerdings verlangt werden, daß der zustzliche Offizialverteidiger im Einverstndnis mit dem Wahlverteidiger bestellt wird, was in der Praxis nur zum Teil geschieht. Der Verteidiger sollte diese Praxis kennen und rechtzeitig mit dem Vorsitzenden ber die Person des zustzlichen Pflichtverteidigers sprechen.

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Die Bestellung des zustzlichen Pflichtverteidigers kann nach den Erfahrungen der Praxis fr den Wahlverteidiger und den Klienten erhebliche Vorteile haben. So kann mit dem ortsansssigen und an allen Verhandlungstagen anwesenden Pflichtverteidiger eine Arbeitsteilung oder ein Informationssystem vereinbart werden, wodurch die Fhrung manchen Mandats berhaupt erst ermglicht wird. An die vom Wahlverteidiger mit dem Mandanten erarbeitete Verteidigungsstrategie schließt sich der Offizialverteidiger erfahrungsgemß durchweg an. Kommt es – aus welchen Grnden auch immer – nicht zu einer aktiven Kooperation, so pflegt der zustzliche Pflichtverteidiger sich regelmßig auf die Rolle eines „Ersatzverteidigers“ zu beschrnken, d. h. sich bei i. w. passiver Teilnahme an der Verhandlung fr den Notfall in Reserve zu halten. Man erlebt allerdings auch Kollegen, die offenbar eine andere Auffassung von ihrer Auf38 BGHSt. 15, 309; OLG Stuttgart, NJW 1967, 945; OLG Frankfurt (M.), StV 1986, 144. 39 Meyer-Goßner, § 143 Rn. 2. 40 OLG Zweibrcken, NStZ 1982, 298.

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gabe als zustzlicher Pflichtverteidiger haben und unter Herausstellung ihrer guten Kenntnis des Gerichts (des Vorsitzenden!) Gestndnisempfehlungen erteilen. Dringen sie damit nicht durch, stellen sie in der Verhandlung Fragen, die jedem Staatsanwalt Ehre machen wrden. Einer derart gefhrlichen „Verteidigung“ muß der Wahlverteidiger, dem naturgemß das Primat in der Verteidigung zukommt, in geeigneter Weise entgegentreten. Die Bestellung des zustzlichen Pflichtverteidigers kann aber auch zu anderen, fr die Beteiligten fast unlsbaren Problemen fhren. Hier ist zu denken an die Flle, in denen Offizialverteidiger allein zum Zwecke der „Verfahrenssicherung“ bestellt werden. Das geschieht dann, wenn der Vorsitzende befrchtet, daß der oder die gewhlten Verteidiger ausgeschlossen (Rn. 37) werden mssen, vom Angeklagten entlassen werden oder ihr Mandat niederlegen, um die Verhandlung zum „Platzen“ zu bringen. Solchen Entwicklungen soll der zustzliche Offizialverteidiger vorbeugen. Es liegt in der Natur der Sache, daß bei der Auswahl dieses Verteidigers nicht der Wunsch des Beschuldigten, sondern das Vertrauen des Vorsitzenden in die Person des Anwalts vorrangig ist. Gleichwohl ist auch hier das Vorschlagsrecht des Beschuldigten zu beachten41. Ein Vertrauensverhltnis zwischen dem Beschuldigten und seinen Wunschverteidigern auf der einen und dem unerwnschten Pflichtverteidiger auf der anderen Seite kommt allerdings meist nicht zustande, statt dessen beherrschen Ablehnung oder Feindschaft und Aggression die Szene. Eine berufsrechtliche Pflicht des sog. aufgentigten Offizialverteidigers („Zwangsverteidigers“), die Aufhebung seiner Beiordnung zu betreiben, besteht nicht, weil der Antrag nach § 48 Abs. 2 BRAO immer nur fakultativ ist42. Auf der anderen Seite hat der Verteidiger aber das Recht, die Aufhebung seiner Bestellung zu beantragen, wenn das Vertrauen des Mandanten fehlt und die Weiterfhrung der Verteidigung unzumutbar ist43. Das Interesse an der Verfahrenssicherung hat kein solches Gewicht, daß demgegenber alle elementaren Berufs- und Persnlichkeitsrechte des Verteidigers (einschließlich Art. 1 GG) zurcktreten mßten. Es spricht sogar manches dafr, daß die Sicherung des Verfahrens berhaupt kein rechtlicher Bestandteil der Idee und Institution der notwendigen Verteidigung ist, sondern nur ein Reflex der dem Schutz und Vorteil des Angeklagten verpflichteten Verfahrensteilhabe des Verteidigers44. Lehnt das 41 OLG Dsseldorf, NStZ 1994, 599. 42 Das ist auch die Auffassung des Strafrechtsausschusses der BRAK (Kurzprot. der 122. Tagung, S. 5); BRAK-Schriftenreihe, Bd. 8, These Nr. 7. 43 Vgl. Fn. 42. 44 A. A. OLG Karlsruhe und KG in AnwBl. 1978, 241.

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Gericht die Entbindung des Pflichtverteidigers ab, so ist er verpflichtet, sich an den ablehnenden Beschluß zu halten (arg. ex § 49 Abs. 1 BRAO)45. Andererseits kann der vom Mandanten gewhlte Verteidiger standesrechtlich nicht gehalten sein, gegen dessen Wunsch und Weisung mit dem abgelehnten Offizialverteidiger zu kooperieren, insbesondere ihm die Verteidigungsstrategie zu offenbaren. Das entbindet ihn allerdings nicht von der Beachtung der Grundstze kollegialer Hflichkeit. 151

Der Pflichtverteidiger kann sich grundstzlich nicht durch einen Unterbevollmchtigten vertreten lassen, weil die Bestellung auf seine Person beschrnkt ist46; das gilt auch fr den Kanzleisozius47. Die Vertretung ist aber mit Zustimmung des Vorsitzenden zulssig48. Dagegen ist eine Vertretung durch Referendare auch bei Zustimmung des Vorsitzenden unzulssig, da § 139 nur fr den Fall der Wahlverteidigung gilt49. Das gilt auch fr den Stationsreferendar50 (Rn. 26), jedoch nicht fr den Referendar, der zum allgemeinen Vertreter fr alle Flle der Verhinderung des Rechtsanwalts bestellt ist51. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß ein Referendar mit einer Ausbildungszeit von 1 Jahr und 3 Monaten vom Vorsitzenden zum Pflichtverteidiger bestellt werden kann (§ 139 – Rn. 26) – was in der Praxis kaum geschickt und in aller Regel den Referendar berfordern wrde.

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Bei der Einlegung von Rechtsmitteln und der Begrndung der Revision ist besonders darauf zu achten, daß die Schriftstze vom Pflichtverteidiger persnlich unterzeichnet werden: die Unterschrift des Kanzleisozius oder eines Unterbevollmchtigten fhrt zur Unzulssigkeit des Rechtsmittels52. Das gilt aber nicht fr den allgemeinen Vertreter i. S. von § 53 BRAO. Dagegen soll der „unzulssige“ Vertreter die Revision wirksam zurcknehmen knnen53. Die Pflichtverteidigung wirft auch besondere Kosten- und Honorarfragen auf, die in einem besonderen Abschnitt (Rn. 1182 f.) behandelt werden.

45 In ganz extremen Situationen ist nach meiner Ansicht eine andere Entscheidung bei Anwendung des Rechtsgedankens aus § 35 StGB vertretbar. 46 BGH, NStZ 1995, 356; BGH, StV 1981, 393. 47 BGH, StV 1981, 12. 48 OLG Frankfurt, NJW 1980, 1703. 49 BGH, StV 1989, 465; Meyer-Goßner, § 139 Rn. 1. 50 BGH, NJW 1958, 1308. 51 BGH, StV 1989, 465; BGH, NJW 1975, 2351. 52 BayObLG, NJW 1981, 1629; BGH, StV 1981, 393. 53 BGH, NStZ 1995, 356; dazu Schnarr, NStZ 1996, 214.

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2. Autoritt und Distanz Die Unabhngigkeit vom Mandanten (Rn. 30) erfordert eine straffe Fhrung der Verteidigung. Sie darf nicht durch schwchliche Folgsamkeit beeintrchtigt werden. Die Betroffenen treten oft mit unsachgemßen Wnschen und Zumutungen an den Verteidiger heran. Das beruht zum Teil auf ihrem Unverstand oder ihrem schlechten Charakter, zum Teil sind es Respektlosigkeit, Dnkel und Arroganz. Diese Eigenschaften finden sich besonders bei den Mandanten „mit der dicken Brieftasche“, die sich ihren Anwalt „nehmen“ und dann nach ihren Vorstellungen fr ihre Verteidigung einspannen wollen. Ihnen muß man gleich von Anfang an energisch begegnen. Principiis obsta (Rn. 17)! Nur der Verteidiger selbst hat die Mglichkeit, aber auch die Verantwortung, den Umfang und die Grenzen seiner Wirksamkeit zu erkennen und die Verteidigung entsprechend zu fhren. Daß er sich dabei nicht zu straf- oder berufsrechtlich bedenklichem Verhalten bestimmen lassen darf, ist ohnehin selbstverstndlich. So hat er beispielsweise die Zumutung eines Mandanten zurckzuweisen, nach dem Vorhandensein eines Haftbefehls zu recherchieren, damit der Mandant sich dann gegebenenfalls noch durch eine Auslandsreise absetzen knnte (Rn. 61) oder der eindeutigen Aufforderung nachzukommen „Mit dem Zeugen X muß deutlich gesprochen werden!“. Der Mandant wird meist rebellisch, wenn der Verteidiger sich derartigen oder hnlichen Ansinnen nicht beugt. Solche Auftraggeber drngen vielfach auch auf Einschaltung der Presse, Mobilisierung politischen Einflusses („die politische Schiene fahren“), auf Einflußnahme bei zustndigen oder unzustndigen Stellen, auf Einreichung von Antrgen, Rechtsmitteln, Dienstaufsichtsbeschwerden, telefonische Anrufe zu hheren Dienststellen u. dgl. Der Verteidiger hat mit gelassener berlegenheit das Unzumutbare oder Unzweckmßige zurckzuweisen, dabei jedem Unwillen mit souverner Bestimmtheit zu begegnen. Der Mandant wird dann bald merken, daß er an eine Persnlichkeit geraten ist, die sich nichts vormachen und sich auch nicht einkaufen lßt. Er wird sich dem Fhrungsanspruch des Verteidigers beugen und seine Maßnahmen respektieren mssen, wenn er auf diesen Verteidiger nicht verzichten will. Er wird sich auch die Auffassung abgewhnen mssen, daß der Verteidiger nur fr ihn da zu sein und andere Berufsaufgaben bedingungslos zurckzustellen habe. Von Ausnahmen abgesehen soll der Verteidiger sich auch grundstzlich nicht in die Wohnung des Mandanten zitieren lassen und auch Besuche in seiner eigenen Wohnung – besonders erwnscht an Wochenenden – abwehren. In diesen Bereich gehrt auch das Ansinnen, den Urlaub zu unterbrechen oder abzubrechen, obwohl die Sachlage dies weder erfordert noch die „Mandatspflege“ es ausnahmsweise nahelegt. Der Mandant mag in seinem Beruf ber seine Leute wie ber Schachfiguren verfgen kn103

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nen, der freie und unabhngige Anwalt wird sich keinem Despotismus beugen. Das gilt auch bei Untersuchungshaft, die solchen Mandanten naturgemß besonders zusetzt und sie nervs und aufbrausend werden lßt. Der Verteidiger sollte in solchen Fllen allerdings zugleich auch mit etwas diplomatischem Geschick zu Werke gehen, um das Mandat nicht zu verlieren. Das alles ist – besonders fr den jungen Anwalt – nicht immer einfach. Aber auf die Dauer erwirbt er nur mit starkem Rckgrat Autoritt und Ansehen. 154

Auf der anderen Seite ist es heute auch nicht mehr so, daß der Anwalt Besprechungen mit Klienten ausschließlich in seiner Kanzlei durchfhrt, gleichgltig wie viele Personen wie weit reisen mssen. In viele Mandate, besonders aus den Bereichen der Wirtschaftsunternehmen, Organisationen und Behrden sind von Anfang an zahlreiche Beteiligte eingebunden, z. B. Beschuldigte, Noch-nicht-Beschuldigte, Vorgesetzte, Syndici, „Hausanwlte“ u. a. Zustzlich kann umfangreiches Aktenmaterial vorliegen, das fr die Sache Bedeutung hat. In solchen Fllen wre die „Einbestellung“ aller Beteiligten in die Kanzlei nicht nur unhflich, sondern fr das Mandat geradezu gefhrlich. Es hat sich daher das Prinzip eingebrgert, daß derjenige reist, fr den dies den geringsten Aufwand bedeutet. Diese Praxis hat dem Strafverteidiger, zumal wenn er berregional ttig ist, eine lebhafte Reisettigkeit beschert, die ihm besondere Organisations- und Koordinierungsfhigkeit abverlangt.

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Viel schwieriger zu behandeln ist die nicht so seltene „Ausschreibung“ von Mandaten, die in Bereichen des zivilen Wirtschaftsrechts bereits zum Standard zu werden scheint. Einzelpersonen oder Unternehmen, die Auftrge in sensationellen, umfangreichen „wirtschaftlich“ attraktiven oder sonst aus dem Rahmen fallenden Straf-Verfahren zu vergeben haben, sprechen mehrere Verteidiger an und arrangieren „unverbindliche Vorgesprche“ (manchmal sogar am Telefon), in denen sich die an einem Mandat interessierten Rechtsanwlte in Auftreten, Gesprch und Honorarvorstellung prsentieren sollen. Dabei wird gelegentlich auch ganz ungeniert gesagt, welche Kollegen mit in der Konkurrenz sind. Erst nach Abschluß dieser „Verteidigerschau“ wird dann entschieden, ob berhaupt, wer, welches der anstehenden Mandate erhlt. Die Neigung, sich an einem solchen „Schaulaufen“ zu beteiligen, sollte gering sein, ist es aber nicht. Es ist eine unwrdige Vorstellung, daß Verteidiger vor einer Mandanten-Jury eine „Show abziehen“, mit Mandanten und Erfolgen protzen, kollegiale Konkurrenten dezent aber deutlich „in die Pfanne hauen“ und gegenseitig die Honorare unterbieten. Daß so der objektiv beste Verteidiger gefunden wird, erscheint mehr als zweifelhaft. Wenn ein potentieller Mandant, was verstndlich ist, vor der Erteilung des Auftrages einen persnlichen Ein104

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druck vom Verteidiger gewinnen will, so ist das persnliche Gesprch (in der Kanzlei) – ohne Offenlegung des Wettbewerbs – dafr angemessen. Die inzwischen blich gewordene Praxisbroschre mag als ergnzende Information, die Empfehlung eines kompetenten Kollegen als weitere Entscheidungshilfe dienen. Obwohl dies eigentlich eine Selbstverstndlichkeit sein sollte, drngt sich die Erkenntnis auf, daß sich mancher um des „fetten“ Mandats willen auch an unangemessenen Auswahlverfahren – ja geradezu „Bewerbungen“ beim Beschuldigten – beteiligt – eine bedauerliche Entwicklung mit Risiken fr alle Beteiligten. Die Autoritt kann auch sonst dadurch gefhrdet werden, daß der Verteidiger nicht die notwendige Distanz hlt. Am besten ist es, sich auf die berufliche Aufgabe zu beschrnken oder wenigstens das Berufliche vom Privaten zu trennen. Der Verteidiger luft sonst Gefahr, die Grenzen nicht klar zu sehen und in Abhngigkeit zu geraten. Darauf legen manche Klienten es geradezu an. Sie inszenieren Einladungen, alkoholische Gelage, amourse Abenteuer, Golfpartien im In- und Ausland und Duzfreundschaften. Der Verteidiger kann sich dabei seinem Klienten unter Umstnden weitgehend ausliefern und ihm geradezu „hrig“ werden. Diese Warnung gilt besonders im Milieu einer Klientel, die sich nicht immer aus den Edelsten der Nation zusammensetzt. Allerdings soll es auch Verteidiger geben, die mit hnlichen Methoden Syndici, Kollegen und andere Personen umgarnen, von denen die „Vergabe“ lukrativer Mandate erwartet werden kann.

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Der Verteidiger sollte sich auch keine plumpen Vertraulichkeiten, besonders in der ffentlichkeit und bei Gericht, gefallen lassen. Die Situation kann allerdings unter Umstnden schwierig werden, wenn etwa im Gerichtssaal der vorbestrafte Schwerverbrecher oder die stadtbekannte Bardame den Verteidiger aufdringlich begrßen will. Ein heikles Kapitel ist manchmal auch die Anrede des Mandanten. Wenn gegen diesen z. B. wegen unbefugten Fhrens des Professor-Titels verhandelt wird, kann die Anrede mit diesem Titel ebenso fragwrdig sein wie ihre Umgehung.

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Eine spezielle Betrachtung erfordert die Situation des Verteidigers in den Verhandlungspausen des Gerichts. Sobald der Vorsitzende den Beginn einer Pause bekanntgibt, tritt das Gericht geschlossen in das Beratungszimmer ab. Demgegenber gert der Verteidiger von seinem „niedrigen“ Platz aus in den Strom der durch die allgemeine Tr nach außen drngenden Angeklagten und sonstigen Beteiligten und des Publikums. Die Gespanntheit der Verhandlung lst sich weitgehend in Unordnung, in lrmende Unterhaltung und aufdringliche Befragungen des Verteidigers durch seinen Klienten, die Angehrigen, die Medienvertreter und alle mglichen

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Stellung zu den Beteiligten des Strafverfahrens

anderen Leute auf. Es ist nicht immer einfach, dabei eine gute Figur abzugeben. Der Verteidiger muß sich aber bemhen, seine Haltung stets zu bewahren. Er muß auch, wenn er sich in entlegensten Orten des Gerichtsflures befindet, an seine Robe denken. Vom Erhabenen zum Lcherlichen ist nur ein kleiner Schritt. 159

Anbahnungen persnlicher Beziehungen zu Klienten des anderen Geschlechts im Mandat ist primr eine Stilfrage. Die Ablsung der beruflichen Distanz durch intime Beziehungen kann aber besonders je nach der Art der vertretenen Strafsache recht bedenklich oder mindestens geschmacklos sein. Das Bekanntwerden einer solchen Beziehung whrend des Verfahrens bei Gericht oder Staatsanwaltschaft diskreditiert den Verteidiger. Der Sache kann sie nur schaden. Der Verteidiger sollte dann lieber niederlegen – die Verteidigung oder das Verhltnis. Alle Vertraulichkeiten der geschilderten Art gefhrden im brigen nicht nur die Autoritt, sondern auch den Honoraranspruch des Verteidigers (Rn. 1196).

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Der Verteidiger bringt schließlich wie jeder Anwalt seine Autoritt durch Unwahrheit oder Geschwtzigkeit in Gefahr. Verschwommene ußerungen und Schnredereien stren das Vertrauen. Unwahrheiten und Halbwahrheiten des Verteidigers (Rn. 43) verzeiht ihm kein Klient. Auch Notlgen sind unwrdig. Sie sollten auch nicht zur Bemntelung einer terminlichen Verhinderung oder dergleichen benutzt werden. Der Verteidiger setzt dabei auch den Respekt des Bropersonals aufs Spiel, das er selbst zu strenger Wahrheitspflicht zu erziehen hat. 3. Niederlegung der Verteidigung Ch. Richter II, Der Umgang des Verteidigers mit dem Tatverdacht, BRAK-Schriftenreihe Bd. 12 (Symp. f. Egon Mller) 2000, S. 34; Thomas, Der Umgang des Verteidigers mit dem Tatverdacht, BRAK-Schriftenreihe Bd. 12 (Symp. f. Egon Mller) 2000, S. 36.

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Der Wahlverteidiger kann grundstzlich nach seinem Ermessen die Verteidigung niederlegen. Dabei tauchen aber mancherlei Fragen auf. Zwar darf er seinen Auftrag „nicht zur Unzeit“ kndigen, es sei denn, daß zwingende Grnde vorliegen54. Praktisch sagt das aber nicht allzuviel. Als zwingenden Grund wird man eine erhebliche Erschtterung des Vertrauens regelmßig anerkennen mssen, ebenso wie die Nichtzahlung der Kosten55 (Rn. 1208). Insbesondere wird sich der Verteidiger anmaßendes Verhalten des Mandanten, Nachlssigkeit, Unwahrhaftigkeit und sonsti54 BRAK-Schriftenreihe, Bd. 8, These Nr. 8. 55 Vgl. aber OLG Koblenz, MDR 1975, 773.

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ges schlechtes Benehmen nicht gefallen lassen, wenn es sich nicht um eine einmalige Entgleisung, etwa aufgrund der Haftsituation, handelt. Erst recht wird er sich von einem Mandanten trennen, der ihm unerlaubte Mittel oder berufswidriges Verhalten zumutet oder seine Autoritt nicht respektiert besonders in seiner Einlassung zur Sache und seinem sonstigen Verhalten verbohrt und eigensinnig ist. (ber den Fall der Niederlegung der Verteidigung eines schuldigen Angeklagten s. Rn. 77 f.). Hierher gehrt auch der Fall eines bestreitenden Angeklagten, den der Verteidiger fr hoffnungslos berfhrt hlt56. Zwar sollte der Verteidiger mit der Bildung einer solchen Meinung sehr vorsichtig sein. Vor der Hauptverhandlung insbesondere ist die Prognose fast immer unsicher. Nichts ist trostloser als die Verzweiflung eines unschuldigen Menschen, dem sein eigener Verteidiger nicht mehr glaubt. Wenn aber auch bei ußerster Gewissenhaftigkeit kein noch so entfernter Hoffnungsschimmer mehr zu erkennen ist, dann verliert der Verteidiger jede Glaubwrdigkeit, wenn er die aussichtslose Sache nicht aufgibt. Er muß dann den Mandanten zu vernnftigem Prozeßverhalten bringen. Insbesondere muß der Mandant sich damit einverstanden erklren, daß die Verteidigung auf das Strafmaß beschrnkt wird (Rn. 18). Sonst muß er ggf. die Konsequenz der Niederlegung ziehen. Selbstgefhl und Gewissen mssen ihm mehr bedeuten als der Verlust des Mandats. In der Hauptverhandlung entwickelt sich der Konflikt im brigen auch zu der Frage, ob der Verteidiger aus seiner selbstndigen Verantwortung heraus gegen Willen und Auffassung seines Mandanten pldieren darf (Rn. 724). Immer geboten ist die Niederlegung des Mandats bei Auftreten einer Interessenkollision (Rn. 79 ff., 108, 138, 161). Bei Zweifeln knnen auch hier vertrauliche Rcksprachen mit Richtern und Staatsanwlten, insbesondere aber auch mit dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer oder erfahrenen Kollegen ntzlich sein. Aber der Verteidiger muß beachten, daß die Niederlegung des Mandats dem Mandanten sehr schdlich sein kann, wenn daraus auf dessen Schuld geschlossen wird. Um das auszuschließen, kann man in entsprechenden Fllen unter Umstnden bei der Niederlegung erklren, daß sie „nicht aus Grnden erfolgt, die in der Sache selbst liegen“. Der Verteidiger muß auch die Entscheidung ber die Niederlegung seiner Stellung als Organ der Rechtspflege zuordnen und bedenken, daß die Niederlegung empfindliche Strungen des Verfahrens mit sich bringen kann. Das ist besonders der Fall, wenn die Hauptverhandlung bevorsteht, der Mandant einen anderen Verteidiger nicht rechtzeitig bestellen kann oder will und die Zeit fr die Bestellung und Vorbereitung eines Pflichtverteidigers nicht reicht.

56 A. A. Richter II, BRAK-Schriftenreihe, Bd. 12, S. 35.

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Die Niederlegung kann dann zum „Platzen“ der Hauptverhandlung fhren. Oft zeichnet sich einige Zeit vor der Hauptverhandlung die Mglichkeit ab, daß der Verteidiger dort evtl. nicht auftreten knnte, z. B. wegen Erkrankung oder aus sonstigen Grnden. Dann ist es ein nobile officium des Verteidigers, das Gericht rechtzeitig ber diese Mglichkeit zu informieren, damit der Vorsitzende gegebenenfalls noch einen Pflichtverteidiger vorsorglich bestellen kann, der wieder ausscheidet, wenn der Wahlverteidiger doch noch auftritt. Solche Abstimmungen mit dem Vorsitzenden werden dankbar aufgenommen und sichern dem Verteidiger entsprechendes Entgegenkommen fr den nchsten Fall. (Zum Problem der Terminkollision s. Rn. 454). 162

In manchen Fllen ist es praktisch, die Verteidigung nicht frmlich niederzulegen, sondern nur im Termin nicht aufzutreten, so etwa im Fall nicht ausreichender Informationen oder aus Kostengrnden, wenn dies dem Mandanten rechtzeitig angekndigt worden ist. Der Verteidiger bleibt dann in seinem Mandat und wird nicht selten fr die zweite und dritte Instanz wieder in Anspruch genommen, wenn der verurteilte Mandant sieht, was er angerichtet hat. Wenn der Verteidiger die Niederlegung nicht angezeigt hat, kommt es leicht dazu, daß in der Sitzung die Vorgnge ffentlich besprochen werden. Dabei ist der Verteidiger gegen Entstellungen und Unwahrheiten nicht geschtzt, ganz abgesehen von der Peinlichkeit ffentlicher Errterungen, etwa von Honorarfragen. Solche gibt der Mandant mit Vorliebe als Grund der Niederlegung an, auch wenn die Grnde in Wahrheit in der Sache selbst oder in seiner Person liegen. berhaupt ist der Verteidiger immer in der Gefahr, nach der Mandatskndigung durch unwahre oder entstellte Darstellungen seines ehemaligen Mandanten bloßgestellt oder verleumdet zu werden. Er kann sich in der Regel schon wegen der Schweigepflicht (Rn. 49) dagegen kaum wehren. Darauf muß er sein Verhalten von Anfang an einrichten, um keine unangenehmen berraschungen zu erleben.

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Die dargestellten Mißlichkeiten sind noch prekrer, wenn der Mandant selbst das Mandat entzieht. Ein solcher Vorgang ist an sich schon unangenehm. Die Umwelt neigt dazu, ein Versagen des Verteidigers zu vermuten. Dieser muß zu allen Fragen und Unterstellungen schweigen, was oft schwer fallen mag. Hufig erhebt auch der Mandant direkte Vorwrfe, besonders wenn er verurteilt worden ist und in angeblichen Fehlern des Verteidigers sein moralisches Alibi sucht. Dieser knnte mit einem Wort Aufklrung geben und den Verleumder bloßstellen. Das kann er aber viel108

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fach nicht tun. Es wre wenig geschmackvoll, ber seine frheren Klienten abfllig zu reden, nachdem er bis dahin als Auftraggeber gut genug war. In einem aufsehenerregenden Prozeß mußte ein angesehener Verteidiger es hinnehmen, daß als Grund fr die Mandatsentziehung in dem Wiederaufnahmeverfahren vom Mandanten und in der Presse kolportiert wurde, er habe durch grobe Fehler in der Hauptverhandlung die Verurteilung verschuldet. In Wahrheit hatte der Verteidiger sich geweigert, dem Mandanten in der Beschaffung und Auswertung eines falschen Beweismittels zu folgen. Der Verteidiger htte zur Feststellung der Wahrheit und zur Wahrnehmung seiner Interessen an sich wohl eine Klarstellung veranlassen knnen, ohne daran durch seine Schweigepflicht gehindert zu sein. Unter den besonderen Umstnden des Falles mußte er aber vorziehen zu schweigen und sich mit der erheblichen Beeintrchtigung seines Rufes abzufinden. Wenn die Niederlegung der Verteidigung durch eine Kndigung des Mandanten ausgelst wird, braucht der Verteidiger das dem Gericht nicht ausdrcklich zu erklren, was auch nicht gerade angenehm wre. Zu empfehlen ist die Anzeige, das Mandat sei „beendet“. Das ist besser als die Erklrung des Verteidigers, daß er die Verteidigung „niederlege“. Damit wrde er den Mandanten nur provozieren, das Gericht und mglicherweise die ffentlichkeit ber die von ihm ausgegangene Kndigung zu unterrichten. Fr den Pflichtverteidiger besteht die Mglichkeit der einfachen Niederlegung der Verteidigung nicht. Er kann nur nach Maßgabe des § 48 Abs. 2 BRAO aus wichtigen Grnden die Aufhebung der Pflichtverteidigung bei dem Vorsitzenden des Gerichts beantragen57. Hier gibt es manchmal Schwierigkeiten. Wenn aber ein Vertrauensverhltnis zum Verteidiger nicht oder nicht mehr besteht, insbesondere wenn die nicht gewnschte Pflichtverteidigung aufgezwungen ist, wird eine verstndige Aussprache mit dem Vorsitzenden oft eine befriedigende Lsung bringen. (Vgl. i. . zu dieser Problematik Rn. 147 ff.) 4. Zivilrechtliche Haftung des Verteidigers BRAK-Schriftenreihe, Band 13, 2004, S. 121 ff.; Chab, Neue Regreßprobleme im strafrechtlichen Mandat, AnwBl. 2005, 497; Krause, Die zivilrechtliche Haftung des Strafverteidigers, NStZ 2000, 225; G. Schfer, Zur Frage der zivilrechtlichen Haftung des Verteidigers, BRAK-Schriftenreihe, Bd. 12 (Symp. f. Egon Mller) 2000, S. 63; Zwiehoff, Haftung des Strafverteidigers?, StV 1999, 555.

57 Dazu grundstzlich OLG Hamm, StV 1982, 510, vgl. auch BRAK-Schriftenreihe, Bd. 8, These Nr. 7.

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Stellung zu den Beteiligten des Strafverfahrens

Die Konsequenzen einer schlechten Verteidigung hat in aller Regel der Mandant allein zu tragen (Rn. 14). Zwar ist ein zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch auf der Grundlage einer positiven Verletzung des Mandatsvertrages (entgeltlicher Geschftsbesorgungsvertrag gem. §§ 675, 611 BGB) durchaus denkbar und dagegen steht indes – anders als im Zivilprozeß – die Struktur des Strafprozesses indem das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen umfassend – also auch ohne Mitwirkung des Verteidigers oder gegen seine Intentionen – aufzuklren hat (§ 244 Abs. 2) und sein Urteil in freier – rechtlich kaum angreifbarer – Beweiswrdigung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung zu fllen hat (§ 261). Damit kommt dem Gericht – idealiter – eine Art Garantiestellung fr die Fehlerfreiheit des Verfahrens und der Entscheidung zu, die zudem mit verschiedenen Rechtsmitteln bzw. Rechtsbehelfen berprft werden kann. Selbst wenn also ein bestimmtes Verhalten des Verteidigers als fehlerhaft, ja unvertretbar erwiesen wrde, so folgt daraus weder die Wahrscheinlichkeit noch die Sicherheit einer anderen gerichtlichen Entscheidung bei alternativem Verteidigerverhalten. Die Feststellung, daß bei einem anderen, d. h. fehlerfreiem Agieren der Verteidigung es zu einer fr den Mandanten gnstigeren Entscheidung gekommen wre, ist in aller Regel nicht zu treffen58. Es ist klar, daß sich mit dieser Feststellung kein Anwalt beruhigen kann, der die optimale Erfllung fr den Verteidigungsauftrages die beherrschende Maxime seines beruflichen Handelns ist. Es gibt aber auch Ausnahmen, in denen Rechtsprechung und Schrifttum die zivilrechtliche Haftung des Strafverteidigers bei Beratungs- und Prfungsfehlern bejaht haben59. Dazu gehrt z. B. die unterlassene bzw. fehlerhafte Prfung von Verfahrenshindernissen, die auch aus nachtrglicher Sicht zwingend zu einer Nichtverurteilung des Mandanten gefhrt htten. Das gilt sowohl fr den Eintritt der Verfolgungsverjhrung60 wie auch fr den fehlenden oder rechtlich unwirksamen Strafantrag beim absoluten Antragsdelikt; Entsprechendes drfte fr das Verfahrenshindernis der Immunitt gelten. Schon an dieser Stelle sei bemerkt, daß die Rechtsprechung den Verteidiger nicht dadurch als entlastet ansieht, daß Staatsanwaltschaft und Gericht denselben Fehler gemacht, also das Verfahrenshindernis bersehen haben; die Haftung des Verteidigers soll sogar gegenber der Amtshaftung vorrangig sein (§ 839 Abs. 1 S. 2 BGB)61.

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Ein weites Feld fr mgliche Schadensersatzansprche sind auch Verletzungen der Beratungs- und Belehrungspflicht. So macht sich ein Verteidi58 59 60 61

BRAK-Schriftenreihe, Bd. 13, S. 121 ff.; OLG Dsseldorf, BRAK-Mitt. 1980, 63. Eingehend zum ganzen: Krause, NStZ 2000, 225. BGH, NJW 1964, 2402. BGH, NJW 1964, 2402; Krause, NStZ 2000, 225, 228.

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ger ggfs. haftpflichtig, wenn er zum Einspruch gegen einen Strafbefehl rt, ohne den Mandanten auf die Mglichkeit einer hheren Bestrafung im Verurteilungsfalle hinzuweisen oder darauf aufmerksam zu machen, daß das Gericht bei Kenntnis der wahren Einkommensverhltnisse des Mandanten den Tagessatz mit einem wesentlich hheren Betrag festgesetzt htte62. Schadenseratzbegrndend ist auch die Empfehlung, eine Verurteilung hinzunehmen, ohne den Mandanten darber zu beraten, daß die Rechtskraft des Urteils (ein Jahr Freiheitsstrafe) automatisch zum Ausscheiden aus dem Beamtenverhltnis fhrt63 oder eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren zum Verlust der beamtenrechtlichen Versorgungsbezge als Ruhestandsbeamter64. Sehr weitgehend ist die Bejahung einer Verteidigerhaftung, wenn dem Mandanten die Einlegung und Durchfhrung der Revision empfohlen wird, ohne daß er auf die allgemein geringen Erfolgsaussichten dieses Rechtsmittels hingewiesen wird65. Ein Schadensersatz begrndender Rechtsfehler des Verteidigers ist auch in dem Fall bejaht worden, daß der Verteidiger im Revisionsverfahren die Rge des § 338 Nr. 5 – rechtsfehlerhafte Fortfhrung der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten – nicht in einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 gengenden Weise begrndet hatte66; wenn auch wegen des absoluten Revisionsgrundes das tatrichterliche Urteil htte aufgehoben werden mssen, so bleibt doch vllig offen, ob das Sachurteil in der erneuten Tatsacheninstanz gnstiger ausgefallen wre67. Schließlich sei das unterlassene Vorbringen von Strafzumessungsgrnden in die Hauptverhandlung erwhnt, die dem Gericht nicht bekannt sind (sein knnen) und zu einer anderen bzw. geringeren Strafe gefhrt htten, z. B. der gem. § 46 Abs. 1 S. 2 StGB zu bercksichtigende Wegfall der beamtenrechtlichen Versorgungsbezge nach § 59 BeamtVG68. Haftungsbegrndend wirkt auch der Beratungsfehler an den im Ausland befindlichen, im Inland mit Haftbefehl gesuchten Mandanten, er knne ohne Bedenken einreisen, da Strafverfolgungsverjhrung eingetreten sei – was bei zutreffender Beurteilung der Rechtslage (hier: § 78b Abs. 4 StGB) nicht der Fall war69.

62 OLG Dsseldorf, StV 1986, 211. 63 OLG Dsseldorf, NJW RR 1999, 785. 64 OLG Nrnberg, StV 1997, 481, das sogar hinsichtlich der strafgerichtlichen Entscheidung eine Beweislastumkehr zulasten des Verteidigers statuiert hat; OLG Nrnberg, StV 1997, 481. 65 Dazu OLG Dsseldorf, NJW RR 1999, 785. 66 LG Berlin, StV 1991, 310. 67 Dazu Zwiehoff, StV 1999, 555, 556. 68 Dazu Zwiehoff, StV 1999, 555, 557 m. N. 69 OLG Braunschweig, StraFo 2002, 94.

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Stellung zu den Beteiligten des Strafverfahrens

Der Verteidiger muß sich bewußt sein, daß an seine beruflichen Fhigkeiten und Anstrengungen – gerade im Regreßprozeß – besonders hohe Anforderungen gestellt werden. Dementsprechend wird auch die gngige Ausrede „Arbeitsberlastung“ ebensowenig verfangen wie – mit welchem Grnden auch immer gerechtfertigte – Unkenntnis hchstrichterlicher Rechtsprechung, insbesondere in Revisionssachen. Es sind nicht die schlechtesten Verteidiger, die sich entschließen, Mandate, die besondere Spezialkenntnisse erfordern, gemeinsam mit einem entsprechend versierten Kollegen zu fhren. Dies gilt auch unabhngig vom Risiko eines Haftungsprozesses, das angesichts zunehmender „Regreßfreude“ der Gesellschaft eher zunehmen wird.

III. Verteidiger und Verteidiger 167

In grßeren Verfahren, besonders in Wirtschaftsstrafsachen, ist es zur Regel geworden, daß jeder Angeklagte durch mehrere Verteidiger vertreten wird, seien es ausschließlich Wahlverteidiger oder Wahl- und Pflichtverteidiger (Rn. 121, 146). Dazu treten u. U. dann noch als „Gehilfen“ der Verteidigung Steuerberater, Wirtschaftsprfer oder Sachverstndige bestimmter Fachbereiche (z. B. des Preisprfungsrechts, der Außenwirtschaftsverwaltung u. a.) und intern die Syndikusanwlte. Solche Verteidigungs-Teams bedrfen sorgfltiger Auswahl, Fhrung und Behandlung, um sie zu optimaler Leistung zu bringen. So ist einerseits eine straffe Leitung, Koordination und Aufgabenverteilung unerlßlich, andererseits muß auf das fachliche Selbstwertgefhl und persnliche Empfindlichkeiten Rcksicht genommen werden, um das sachorientiert-loyale Zusammenwirken und damit die Schlagkraft der Verteidigung nicht zu gefhrden. Nichts ist schdlicher als unkoordiniertes oder gar von Konkurrenzhaltung beeinflußtes Agieren; der Vorteil eines Teams von Verteidigern verkehrt sich dann rasch in das Gegenteil! Manchmal ist es leicht, im consensus omnium einem der beteiligten Verteidiger aufgrund seiner Erfahrung, Reputation etc. die Koordinierungsaufgabe zu bertragen, manchmal gibt es dafr auch Vorgaben des oder der Auftraggeber oder Kostentrger (Rn. 31). Bleibt die Frage der „leadership“ indes dem „freien Spiel der Krfte“ vorbehalten, kann es zu unerfreulichen und unkollegialen Profilierungs- und Verdrngungsbestrebungen kommen (im Jargon „Hahnenkmpfe“). Ob man sich daran beteiligt, ist weniger eine Frage des Berufsrechts als des Stils und der Selbstachtung. Auch die gegenseitige Loyalitt und die innere Einheit der Verteidigung bleiben dabei leicht auf der Strecke. Bei Verfahren mit sehr vielen Betei112

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ligten kann sich die Einrichtung einer „leading group“ bewhren, die z. B. aus je einem Verteidiger der Unternehmensleitung, der Mitarbeiter und einem Syndikusanwalt besteht. Schwierigkeiten der geschilderten Art mgen geringer sein, wenn als Verteidiger-Team von vornherein eine „Seilschaft“ beauftragt wird. So bezeichnet man eine Gruppe gleichgesinnter und -gestimmter Rechtsanwlte, die sich zur dauernden Verteilung von Mandaten (und gemeinsamen Fhrung) zusammengeschlossen haben – informell versteht sich. Wird einer von ihnen in einem Verfahren beauftragt, in dem weitere Mandate zu vergeben sind, so ist die Auswahl geeigneter Kollegen kein Problem! In einem solchen „Kartell“ gibt es auch kaum Koordinationsoder Fhrungsprobleme, zumal dafr gesorgt wird, daß kein außenstehender Kollege die Kreise durch eigenstndige Vorstellungen ber die beste Verteidigung strt. Eine „eingespielte Mannschaft“ hat – wie jeder Sportsfreund weiß – Vorteile, ber denen allerdings die Nachteile, die ein solcher „closed shop“ fr die Unabhngigkeit und Eigenstndigkeit der Individualverteidigung in besonderem Maße mit sich bringt, nicht bersehen werden sollten.

IV. Verteidiger und Geschdigter Leipold, Zulssige Einwirkung und Belehrung von Zeugen durch den Verteidiger, StraFo 1998, 79; Lderssen, Das Recht des Verletzten auf Einsicht in beschlagnahmte Akten, NStZ 1987, 249; Neuhaus, Zur Gewhrung von Akteneinsicht fr den Verletzten, StraFo 1996, 27; Riedel/Wallau, Das Akteneinsichtsrecht des „Verletzten“ in Strafsachen – und seine Probleme, NStZ 2003, 393; H. Schfer, Die Einsicht in Strafakten durch den Verletzten, wistra 1988, 216.

In diesem Kapitel wird das Verhltnis des Verteidigers zum Geschdigten in allgemeiner Beziehung und in besonderen Problemlagen dargestellt. Soweit der Geschdigte im Prozeß als Privat- oder Nebenklger, Verletzter oder im Adhsionsverfahren selbst auftritt, wird seine Stellung in Kapitel C. VI. (Rn. 1025 ff.) behandelt. Die Erfahrung lehrt, daß der beste Prozeß fr den Mandanten nicht so viel wert ist, wie seine Verhtung. Das gilt fr das Strafverfahren ganz besonders. Der Verteidiger sollte deshalb fr seinen Mandanten alles daran setzen, es nicht zu einer Anzeige des Geschdigten kommen zulassen oder sie schnell wieder aus der Welt zu schaffen oder abzuschwchen. Das ist vielfach auf durchaus legalem Wege mglich. Bei Antragsdelikten unterbleibt die Strafverfolgung, wenn der Verletzte bewogen werden kann, den Strafantrag nicht zu stellen. Ist es dafr schon zu spt, kann die Rck113

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Stellung zu den Beteiligten des Strafverfahrens

nahme noch bis zum rechtskrftigen Abschluß des Verfahrens erklrt werden (§ 77d Abs. 1 StGB). Weder dem Beschuldigten noch dem Verteidiger ist es verboten, auf den Antragsberechtigten entsprechend einzuwirken, um damit der Strafverfolgung zu entgehen. Das ist keine verbotene Strafvereitelung (Rn. 51 ff.), wenn es nur mit erlaubten Mitteln geschieht. Der Verteidiger sollte das in geeigneten Fllen mit seinem Mandanten beraten. Insbesondere wird die Wiedergutmachung des Schadens, ggfs. in Verbindung mit einer Entschuldigung, meist zur Vermeidung oder Rcknahme des Strafantrags fhren. 169

Der Verteidiger kann auch eine Geldzahlung fr gemeinntzige Zwecke vorschlagen. Dem Verletzten selbst eine Geldzahlung anzubieten und ihm so den Strafantrag „abzukaufen“, ist berufsrechtlich nicht unzulssig, soweit die Geldleistung zum angemessenen Ausgleich eines durch die Straftat wirklich zugefgten materiellen oder immateriellen Schadens dient. Es kann aber rechtsbedenklich sein, wenn der Verteidiger neben einer Entschuldigung finanzielle Leistungen an den Geschdigten anbietet, bei denen keine Konnexitt zu den durch die Straftat (potentiell) erlittenen Nachteilen besteht70. Der Einsatz von Einschchterung, Drohung und Zwang gegen einen unwilligen Verletzten ist ebenso unzulssig wie Tuschung und Winkelzge71. Andererseits sollte der Verteidiger sich Bestrebungen des Verletzten, den Schdiger zu erpressen oder jedenfalls aus der Sache „Kapital zu schlagen“, nicht unterwerfen (vgl. hierzu besonders auch Rn. 1044). Es kommt dabei darauf an, ob der freie Wille des Antragsberechtigten beeintrchtigt wird. Das ist zweifelhaft z. B. bei dem Hinweis an den antragsberechtigten Vater eines Kindes im Zusammenhang eines Sexualdelikts, in einer Hauptverhandlung wrden „sehr peinliche Fragen“ gestellt werden. Auch wiederholtes, instndiges Bedrngen des Antragsberechtigten, gar unter Hinweis auf religise Aspekte, den Strafantrag zu unterlassen, ist bedenklich. Erst recht darf der Verteidiger den Antragsberechtigten nicht arglistig ber die Antragsfrist hinziehen. Einem Mandanten, der eine Ttung zu verantworten hat, sollte der Verteidiger raten, sein menschliches Mitgefhl den Angehrigen in angemessener Weise, etwa durch einen Kondolenzbrief oder eine Kranzspende zu bekennen. Der Mandant muß natrlich belehrt werden, daß sein Verhalten gegenber dem Betroffenen immer unter dem Gesichtspunkt beargwhnt wird, ob es sich dabei nicht um ein gezieltes Manver handelt, um damit die Beteiligten zu wohlwollender Gestaltung ihrer etwaigen Zeugenaussagen zu

70 Vgl. dazu BRAK-Schriftenreihe, Bd. 8, These 28. 71 BRAK-Schriftenreihe, Bd. 8, These Nr. 28.

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beeinflussen. Auch muß er sich gegen die Auslegung zu schtzen wissen, durch sein Verhalten gebe er seine strafrechtliche Schuld zu, whrend er sie im Verfahren bestreitet. Es sollte deshalb der Verteidiger, wenn der Mandant sich schriftlich an den Antragsberechtigten wenden will, den Text kritisch berprfen. Auch der Verteidiger selbst muß sich vor Mißdeutungen eines vielleicht gutgemeinten Verhaltens schtzen. Wird der von ihm vertretene Angeklagte in erster Instanz freigesprochen, sollte er mit Angeboten an den Geschdigten zu dessen Schadloshaltung vorsichtig sein. Allzu leicht entsteht der Verdacht, daß er den Gegner damit von Rechtsmitteln abhalten wolle. Das wird besonders deutlich, wenn das Rechtsmittel unterbleibt, der Mandant sich aber an die ußerungen seines Verteidigers nicht bindet. Was vielleicht als karitatives Spontanangebot an einen Schwerverletzten gemeint war, kann nachtrglich im Lichte eines prozessualen Winkelzuges erscheinen. Handelt es sich um ein Offizialdelikt, kann die Strafanzeige nicht wirksam zurckgenommen werden. Es gibt aber auch hier noch erfolgversprechende Mglichkeiten, die Wirkung der Anzeige zu beseitigen oder abzumildern. Wenn der Verletzte damit einverstanden ist oder sich sogar dafr einsetzt, kann das Verfahren unter Umstnden nach § 153 oder 153a eingestellt werden. Der Tter-Opfer-Ausgleich nach Maßgabe des § 46a StGB erffnet in Verbindung mit einem Gestndnis die Mglichkeit, daß von Strafe abgesehen wird. Diese Chancen muß der Verteidiger durch Verhandlungen mit dem Geschdigten und der Staatsanwaltschaft wahrnehmen und seinen Mandanten entsprechend anweisen. Obwohl die Einstellung des Verfahrens keine Schuldfeststellung voraussetzt72 und die Unschuldsvermutung uneingeschrnkt fortgilt73, muß der Verteidiger darauf achten, daß er sich die Verteidigung fr die Hauptverhandlung nicht verbaut (Rn. 322 ff.). In einer Strafverkehrssache hatte ich mit der sehr gefhrlichen Anzeige einer aufgebrachten Dame gegen meinen Mandanten zu tun, dem grob verkehrswidriges und rcksichtsloses berholen mit Ntigung durch scharfes Schneiden des von der Anzeigenden gesteuerten Autos vorgeworfen wurde. Auf meinen Vorschlag schrieb der Mandant einen von mir mitberatenen Brief, der in angemessener Form das Bedauern ber den Vorfall zum Ausdruck brachte. Die Schuldfrage wurde dabei offengelassen. Gedacht war bei diesem Schritt an eine Entschrfung der zu erwartenden Zeugenaussage. Bewirkt wurde weit mehr: In der Hauptverhandlung kam statt der Zeugin ein Brief, mit dem sie ihr Desinteresse an der Bestrafung erklrte. Selbst der Staatsanwalt war durch solches Ver-

72 Meyer-Goßner, § 153 Rn. 3; Meyer-Goßner, § 153a Rn. 7. 73 BVerfG, MDR 1991, 891.

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Stellung zu den Beteiligten des Strafverfahrens

halten von Herrn und Dame so beeindruckt, daß mit seiner Zustimmung das Verfahren gegen eine Geldauflage eingestellt wurde. Die Bitte um Entschuldigung an den Verletzten sollte der Verteidiger in entsprechenden Fllen auch in der Hauptverhandlung anraten. Die damit bekundete Einsicht wirkt beim Verletzten, Staatsanwalt und Richter, besonders bei den Schffen, oft Wunder. 171

Die Akteneinsicht des „Verletzten“ gemß § 406 e StPO ist eine fr den Verteidiger und seinen Mandanten in der Regel weniger willkommene Variante der Einsicht in Strafakten. Die Bestimmung ermglicht dem (potentiell) Verletzten die Einsichtnahme in Ermittlungs-, Gerichts- und ggfs. sogar Beweismittelakten. Der Verteidiger muß den Auswirkungen dieses Rechts, die sowohl das Strafverfahren wie auch – und oft vor allem – sachgleiche Zivil- oder andere Prozesse betreffen, von Anfang an besonderes Augenmerk widmen. Er kann sich nicht darauf verlassen, daß Ermittlungsbehrden oder Gerichte die Vorschrift im Lichte des Datenschutzes des Betroffenen restriktiv auslegen – im Gegenteil. Die Erfahrung zeigt, daß die Justizbehrden nicht selten recht großzgig zur Herausgabe von Verfahrensakten bereit sind und wenig Mhe darauf verwenden, dem durchaus komplizierten Regelungscharakter des § 406e gerecht zu werden74. So wird hufig die Eigenschaft des Antragstellers als „Verletzter“ vorschnell bejaht, das Erfordernis des „berechtigten Interesses“ an der Einsichtnahme ohne erkennbare Prfung unterstellt und die gebotene Abwgung der Interessen von Antragsteller und Beschuldigtem nicht vorgenommen. Daneben werden allzuoft die gesamten Akten ausgehndigt, ohne die gebotene Prfung durchzufhren, ob sich das rechtliche Interesse des „Verletzten“ wirklich auf smtliche Aktenvorgnge, z. B. auch den Antragsteller nicht betreffende Straftaten und Einzelinhalte der Akten erstreckt75. Vor allem hat der Verteidiger die Versagungsgrnde des § 406e Abs. 2 in den Blick zu nehmen, wenn berwiegende schutzwrdige Interessen des Mandanten oder anderer Personen entgegenstehen, der Untersuchungszweck gefhrdet erscheint oder bei absehbar erheblicher Verzgerung des Verfahrens76. Insgesamt ist zu beachten, daß das Bundesverfassungsgericht fr die Gewhrung der Akteneinsicht an mutmaßlich Verletzte der Abwgung zwischen deren Interessen und dem Recht des Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) große Bedeutung beimißt und enge Gren74 Vgl. i. e. Riedel/Wallau, NStZ 2003, 393; Neuhaus, StV 2004, 620; w. N. bei BVerfG, NJW 2003, 501. 75 Zutr. restriktiv AG Saalfeld, StV 2005, 261: keine Akteneinsicht bis zur Zeugenvernehmung des Verletzten in der Hauptverhandlung. 76 Riedel/Wallau, NStZ 2003, 396; Schlothauer, StV 1987, 336, 337.

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Verteidiger und Geschdigter

Rn. 171

zen gezogen hat77. Diese betreffen vor allem den Fall in den Akten befindlicher Geschfts- und Betriebsgeheimnisse des oder der Betroffenen oder sonst schutzwrdige Daten78. In der Praxis wird daher nicht selten Akteneinsicht unter Auflagen gewhrt. Die Variationsbreite reicht von – ggfs. durch „Verpflichtungserklrungen“ verstrkten – Verboten gegenber dem Rechtsvertreter des Verletzten, den Aktenauszug an seinen Mandanten weiterzugeben, diesem vorzulesen o. . bis zum Verbot, den Akteninhalt zu anderen Zwecken, insbesondere zur Klientenwerbung, zu verwenden79. Es knnte indes zweifelhaft sein, ob solche Auflagen (deren Rechtsgrund bisher nicht geklrt ist – ffentlich-rechtlicher Vertrag?) tatschlich die intendierte Wirkung zu erreichen. Das Bundesverfassungsgericht hat z. B. dem Verbot an den Verletztenvertreter, seinem Mandanten einen Aktenauszug auszuhndigen usw. wenig Eignung zugesprochen, da dem „Verletzten“ sptestens bei Erstellung einer zivilrechtlichen Klageschrift ohnehin der Akteninhalt bekannt wrde80. Im Mandanteninteresse geht die Empfehlung an den Verteidiger dahin, in einschlgigen Sachen bereits zu einem frhen Zeitpunkt der Ermittlungen (und im Fortgang des Verfahrens wiederholt) fr den Fall eines Antrages nach § 406e seinerseits den Antrag auf vorherige Anhrung entsprechend § 33 Abs. 3, 2 zu stellen, oder von vornherein der Gewhrung der Akteneinsicht an den mutmaßlich Verletzten zu widersprechen und den Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 406 e Abs. 4 zu stellen. Nur durch diese „vorbeugende Notifikation“ seines Mitwirkungsbegehrens bzw. Widerspruchs kann der in einer Zeit des fast berpointierten „Opferschutzes“ durchaus realen Gefahr von sachlichen und rechtlichen Nachteilen fr den Mandanten mit einiger Erfolgsaussicht begegnet werden. Allerdings ist auch in diesem Zusammenhang stets sorgfltig zu prfen, ob aus besonderen Grnden des Einzelfalls eine gerichtliche Entscheidung insbesondere zum Tatverdacht nicht besser zu meiden ist. Hier gelten hnliche berlegungen wie bei der Frage, ob aus taktischen Erwgungen eine obergerichtliche Entscheidung ber eine Haft-Beschwerde und also eine „gerichtliche Festschreibung des Tatverdachts im Ermittlungsverfahren“ lieber nicht riskiert werden sollte (Rn. 354).

77 78 79 80

BVerfG, NJW 2003, 501. I. e. Riedel/Wallau, NStZ 2003, 396 m. N. Neuhaus, StraFo 1996, 27; Riedel/Wallau, NStZ 2003, 396, 398. BVerfG, NJW 2003, 501 ff.

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Rn. 172

Stellung zu den Beteiligten des Strafverfahrens

V. Verteidiger und Polizeibehrden 172

Die Beziehungen des Verteidigers zur Polizei werden durch ihr systemspezifisches Spannungsverhltnis bestimmt. Die Polizei nimmt die Interessen des Staates wahr und ist deshalb mit dem Recht und der Pflicht zum ersten Zugriff ausgestattet (§ 163 Abs. 1). Sie ist Ermittlungsorgan der Staatsanwaltschaft: ihre Beamten werden im Strafverfahren als deren Hilfsorgane ttig (§ 152 GVG). Demgegenber ist es Aufgabe des Verteidigers, den Beschuldigten vor ungerechtfertigten Vorwrfen zu schtzen. Zu diesem Zweck hat er die polizeilichen Ermittlungsmaßnahmen zu berwachen, wenn mglich zu beeinflussen und muß sie hufig hart kritisieren. Daß daraus Spannungen entstehen knnen, liegt auf der Hand. Die Lage des Verteidigers ist um so mißlicher, je mehr „Jagdeifer“ die Polizei entwickelt und deshalb die Grenzen ihrer Befugnis und den Grundsatz eines fairen Verfahrens vergißt. Hinzu kommt, daß die Polizei im wesentlichen Trger der Ermittlungen ist. Nur selten ist der Staatsanwalt wirklich der Herr des Ermittlungsverfahrens, wie ihn die Strafprozeßordnung vorsieht. Damit muß sich der Verteidiger abfinden und seine Beziehungen zu den Behrden und Beamten der Polizei darauf einstellen. Freilich besteht kaum eine solche unmittelbare Beziehung whrend des polizeilichen Ermittlungsverfahrens. Es fehlt eine auf beiderseitigem Vertrauen gegrndete Zusammenarbeit. Sie setzt voraus, daß die Polizei ihr Mißtrauen gegenber den Verteidigern aufgibt, und die Verteidiger sich nicht dazu verstehen, die Verbrechensbekmpfung zu gefhrden. Beide Teile mssen sich ihre verschiedenen Funktionen und die Grenzen ihrer Aufgaben in der tglichen Praxis vor Augen halten. Fr den Verteidiger ist es selbstverstndlich, daß er die ihm anvertrauten Interessen gegenber der Polizei sachlich wahrnimmt. Dazu ist er berufsrechtlich genauso verpflichtet wie gegenber Richter und Staatsanwalt (Rn. 119, 177).

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Mag die Atmosphre auch noch so gespannt sein, der Verteidiger darf sich keine Entgleisungen erlauben und polizeiliche Anordnungen nicht in beleidigender Form kritisieren. Nur auf diese Weise kann man berhaupt zu vernnftiger Zusammenarbeit gelangen und allmhlich das Mißtrauen der Polizei abbauen. Die Belehrungspflicht der Polizei bietet einen guten Ansatzpunkt. In vielen Verfahren ffnet der Hinweis des Polizeibeamten, der Beschuldigte knne vor seiner Vernehmung den Rat eines Rechtsanwalts einholen (§§ 163a Abs. 4, 136 Abs. 1), den Weg zu gegenseitiger Verbindungsaufnahme. In geeigneten Fllen sollte sich der Verteidiger nicht scheuen, offen mit dem Sachbearbeiter der Polizei zu sprechen, was der Verteidigung manchmal große Vorteile bringt. Unter Umstnden kann er ihm sogar Vertraulichkeit des Gesprchs zusichern (Rn. 178). Allerdings muß die Zusammenarbeit auf Gegenseitigkeit beruhen. Bleibt der Polizei118

Verteidiger und Polizeibehrden

Rn. 174

beamte reserviert, etwa weil er sich in den Ermittlungen nicht stren lassen will, so hat sich der Verteidiger danach zu richten. Sonst entsteht leicht der Eindruck, er halte von der Sache seines Mandanten nichts. „Knochenweiches“ Nachgeben ist von bel. Deshalb kommt unter Umstnden die Anfechtung polizeilicher Maßnahmen in Betracht. Hierzu muß der Verteidiger wissen, wie strafprozessuale Handlungen der Polizei angefochten werden knnen. Sie werden nicht als Justizverwaltungsakte angesehen und unterliegen deshalb nicht dem Antragsrecht nach §§ 23 ff. EGGVG, jedoch ist der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten erffnet81. Schneller zum Ziel kann die Dienstaufsichtsbeschwerde fhren. Sie ist unbeschrnkt zulssig und ist hufig geeignet, die Polizei zu gesetzmßigem Vorgehen anzuhalten. Ihr Vorteil ist vor allem, daß die Staatsanwaltschaft gezwungen wird, sich selbst um die Ermittlungen zu kmmern (Rn. 1089). Als letztes Mittel bleibt die Strafanzeige gegen den Polizeibeamten. Sie darf nur nach genauer Prfung der objektiven und subjektiven Tatseite erstattet werden (Rn. 209). Ein besonderer belstand sind die Indiskretionen, die durchweg der Polizei angelastet werden, wenn wieder einmal Vorgnge aus Ermittlungsverfahren, insbesondere Zwangsmaßnahmen, den Weg in die Medien gefunden haben. Wenn Staatsanwaltschaft und Polizei – zuweilen in Kompaniestrke – zur Durchsuchung anrcken und Fernsehen und Presse sie bereits vor Ort erwarten, wird hufig ein Schaden an persnlicher und wirtschaftlicher Reputation von Einzelpersonen und Unternehmen angerichtet, der in keinem Verhltnis zu Gegenstand und Ergebnis des Ermittlungsverfahrens steht, zumal wenn dieses eines Tages eingestellt wird. hnlich ist es, wenn Informationen (fast immer mit belastender Tendenz) an die Presse „durchsickern“. Ganz schlimm wird es, wenn erkennbar der Presse Aktenteile zur Verfgung gestanden haben, aus denen sie zitiert. In Steuerstrafsachen wird § 30 AO (das Steuergeheimnis) – gerade in „Prominentensachen“ – nicht selten verletzt. Staatsanwlte berichten gelegentlich etwas verzweifelt darber, daß die eingeleiteten Ermittlungsverfahren wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses (§ 353b StGB) kaum je zum Erfolg fhren und auch keine hinreichend abschreckende Wirkung gegenber einem unserisen „Scheckbuchjournalismus“ entfalten. Der Verteidiger muß diese Gefahr sehen und in entsprechenden „Risikofllen“ rechtzeitig mit der Staatsanwaltschaft vorbeugende Maßnahmen errtern. Mindestens mssen fr die Klientel eine Presseerklrung fr den Fall einer Indiskretion vorbereitet werden und im brigen die Mglichkei-

81 BVerwGE 1975, 893.

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Rn. 175

Stellung zu den Beteiligten des Strafverfahrens

ten einer flankierenden Verteidigung in den Medien (Rn. 97) genutzt werden. 175

Das Verhltnis Verteidiger – Polizei kann nun nicht nur durch Gegenstzlichkeiten, sondern auch durch allzu gutes Verstehen beeintrchtigt sein. Das wnschenswerte Einvernehmen darf nicht zu einer pflichtwidrigen Bevorzugung bestimmter Verteidiger durch die Polizei fhren. Es kommt immer wieder vor, daß die Polizei Anwlte als Verteidiger empfiehlt. Verstndlicherweise bedrngen Beschuldigte besonders bei pltzlichem Zugriff oder sogar Festnahme in ihrer Not den Polizeibeamten um Empfehlung eines Verteidigers. Das liegt namentlich im Zusammenhang der Belehrung und Hilfestellung bei „Auffinden“ eines Verteidigers nach § 13682 nahe. Der Beamte muß sich solchen Ansinnen verschließen. Tut er das pflichtwidrigerweise nicht, braucht dies fr den empfohlenen Verteidiger kein Grund zur Ablehnung des Mandats zu sein. Er hat aber jedes eigene auf Werbung abzielende Verhalten zu vermeiden. Insbesondere sind persnliche oder sogar freundschaftliche Beziehungen zu Beamten der Polizei suspekt. Abgesehen von dem Verbot anreißerischer Werbung (Rn. 88) kann damit die Unabhngigkeit des Verteidigers (Rn. 32 a. E.) in der Vertretung seines Mandanten in Gefahr geraten, etwa wenn im Verfahren Angriffe gegen den Beamten zur Verteidigung notwendig werden.

VI. Verteidiger, Staatsanwalt und Richter Das Verhltnis des Verteidigers und seines Mandanten zu den Funktionen und zu den Trgern der Justiz ist in der zeitgeschichtlichen Entwicklung dem Wandel unterworfen. Aktuelle Einzelphnomene sollten aber nicht gleich zu einer grundstzlichen Neuorientierung fhren, sondern die Entwicklung in Ruhe abgewartet werden. Tout s'arrange! 1. Allgemeines Beulke/Satzger, Der fehlgeschlagene Deal und seine prozessualen Folgen, JuS 1997, 1072; Bttcher/Dahs/Widmaier, Verstndigung im Strafverfahren – eine Zwischenbilanz, NStZ 1993, 375; BRAK-Schriftenreihe, Bd. 8 S. 66 ff.; Dahs, Absprachen im Strafprozeß – Chancen und Risiken, NStZ 1988, 153; Dahs, Strafverteidigung und Strafrechtspflege, FS Odersky (1996), S. 317 ff.; Dreher, Staatsanwalt und Verteidiger – eine Gegenberstellung, FS Kleinknecht (1985), S. 91; van Els, Kompetenzverteilung zwischen Richter und Staatsanwalt im Ermittlungsverfahren, NJW 1977, 85; Geisler, Stellung und Funktion der Staatsanwaltschaft im heutigen

82 BGHSt. 46, 93; BGH, StV 2002, 117; BGH, StV 2002, 180.

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Verteidiger, Staatsanwalt und Richter

Rn. 176

deutschen Strafverfahren, ZStW 93 (1981), 1109; Grner, Strafverteidiger und Sitzungspolizei, 1998; Haas, Vereinbarungen im Strafverfahren – Ein Beitrag zur Lehre von den Prozeßhandlungen, NJW 1988, 1345; Heghmanns, Das Arbeitsgebiet des Staatsanwalts, 3. Aufl., 2003; Kaiser, Der Staatsanwalt im Strafverfahren, GA 1970, 80; Koller, Die Staatsanwaltschaft – Organ der Judikative oder Exekutivbehrde, 1997; Marx, Aufgaben der Staatsanwaltschaft in der strafrechtlichen Hauptverhandlung, GA 1978, 365; Nehm/Senge, Ursachen langer Hauptverhandlungen, NStZ 1998, 377; Niemller, Absprachen im Strafprozeß, StV 1990, 34; Rmer, Kooperatives Verhalten der Rechtspflegeorgane im Strafverfahren?, FS SchmidtLeichner (1977), S. 133; Rnnau, Die neue Verbindlichkeit bei den strafprozessualen Absprachen, wistra 1998, 49; Roxin, Zur Rechtsstellung der Staatsanwaltschaft damals und heute, DRiZ 1997, 109; Rckel, Verteidigertaktik bei Verstndigungen und Vereinbarungen im Strafverfahren, NStZ 1987, 298; Rping, Die Staatsanwaltschaft – Stiefkind der Revolution, StV 1997, 276; Schreiber, Wie unabhngig ist der Richter?, FS Jescheck (1985), S. 757; Schnemann, Wetterzeichen einer untergehenden Strafprozeßkultur? Wider die falsche Prophetie des Absprachenelysiums, StV 1993, 657; Schwedhelm, Deal und Verstndigung im Steuerstrafverfahren, StraFo 1997, 69; Tscherwinka, Absprachen im Strafprozeß, 1995; Volk, Der Laie als Strafrichter, FS Dnnebier (1982), S. 373; Weihrauch, Richter und Verteidiger – Konfrontation oder Kooperation?, FS 175 Jahre pflzisches Oberlandesgericht (1990); Wolfslast, Absprachen im Strafprozeß, NStZ 1990, 409; Zschockelt, Die Urteilsabsprache in der Rechtsprechung des BVerfG und des BGH, NStZ 1991, 305. Zur Verfahrensabsprache vgl. i. . das vor Rn. 496 angef. Schrifttum.

a) Aufgabenbereiche Zwischen Strafrichter, Staatsanwalt und Verteidiger besteht eine Funktionsteilung. Sie ist begrndet in der unterschiedlichen Aufgabenstellung und ausgerichtet auf das Ziel des Strafprozesses, eine sachgerechte Entscheidung zu finden. Daraus entspringt die Wechselwirkung richterlicher, staatsanwaltlicher und anwaltlicher Ttigkeit. Alle drei sind einander zugeordnet und korrespondierende Elemente einer Sinneinheit83. Die Funktionsteilung bewirkt hier ein natrliches und notwendiges Spannungsverhltnis, in dem der Verteidiger den Schutzanspruch des Beschuldigten vertritt. Das ist einer der Grnde, weshalb die Beziehungen zwischen der Anwaltschaft einerseits und Staatsanwlten und Richtern andererseits nie einfach waren. Der Persnlichkeit nach setzt die Funktionsteilung gegenseitige Achtung, Verstndnis und Vertrauen voraus84. Ohne Anerkennung der anderen Organe der Rechtspflege ist ein gedeihlicher Ablauf des Verfahrens nicht denkbar. Sachliche Schrfen sind dabei freilich erlaubt und vielfach geboten. Sie frdern im Fr und Wider der Meinungen die Sache. 83 Immer noch zutreffende Definition des frheren GBA Gde, AnwBl. 1951, 3. 84 Dies kann in der frheren Fassung der RiStBV (Ziff. 90 a. F.) sinnfllig zum Ausdruck: „Der Verteidiger erfllt wichtige Aufgaben der Strafrechtspflege. Die Zusammenarbeit soll auf Verstndnis und Vertrauen beruhen“.

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Rn. 177

Stellung zu den Beteiligten des Strafverfahrens

Noch immer gilt: Der Streit ist der Vater des Gedankens! (Heraklit). Persnliche Herabsetzungen gehren dazu aber nicht. b) Zusammenarbeit, Besprechungen und Absprachen 177

Sie wird durch achtungsvolle Unabhngigkeit bestimmt. Dieser Begriff kennzeichnet einerseits die Pflicht zur sachlichen und wrdigen Form der Interessenvertretung und andererseits die Aufgabe des Verteidigers, alle zulssigen Maßnahmen fr seinen Mandanten unbefangen in eigener Verantwortung durchzufhren (Rn. 30, 153). In dieser Aufgabe liegt ein Doppeltes: Der Verteidiger hat die Organe der Strafjustiz zu untersttzen, indem er alle zugunsten des Betroffenen sprechenden Umstnde vorbringt und vertritt. Er hat aber auch darber zu wachen, daß die Rechte des Betroffenen nicht verletzt und die ihn schtzenden Regeln des Verfahrens eingehalten werden. Innerhalb dieser Grenzen hat sich die vernnftige Zusammenarbeit in der tglichen Praxis zu vollziehen.

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Vertrauliche Besprechungen mit Staatsanwalt und Richter sind unentbehrlich und knnen fr alle Beteiligten ntzlich sein. Die Gesprchspartner mssen sich darauf verlassen knnen, daß die Vertraulichkeit gewahrt bleibt, und zwar ggfs. auch gegenber dem Mandanten (Rn. 59). Ihr Bruch ist die Todsnde des Verteidigers. Er kann nicht erwarten, daß ihm in Zukunft dieselbe Mglichkeit nochmals geboten wird. berhaupt muß er damit rechnen, daß Staatsanwalt und Richter gegen Besprechungen mit ihm mißtrauisch sind, wenn sie das Gefhl haben, berfahren zu werden. Diese Gefahr ist besonders groß bei bekannten Verteidigern, die von auswrts anreisen. Auf keinen Fall sollte der Verteidiger zu einer Lge greifen, um sein Erscheinen zu motivieren, etwa mit der Bemerkung: „Ich habe heute ohnehin in X. zu tun und mchte Sie bei dieser Gelegenheit einmal besuchen.“ Klger, aber schillernd wre auch die neutrale Formulierung: „Ich bin heute in X. und mchte deshalb mit Ihnen sprechen.“ Nicht selten bietet eine sachlich motivierte Besprechung „technischer“ Fragen des Verfahrens, z. B. Akteneinsicht, Terminierung, einen guten Einstieg in ein vertrauliches Sachgesprch.

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Besprechungen und auch Absprachen/Verstndigungen mit den Organen der Strafrechtspflege gehren heute zum allgemeinen „Inventar“ der Verteidigung und werden mit gewissen Kautelen als legitim anerkannt85. In den einzelnen Verfahrensabschnitten gibt es zahlreiche Situationen, in 85 Umfassende Darstellung bei Meyer-Goßner, Einl. Rn. 119 ff.; BVerfG, NStZ 1987, 419; BGH, GSSt. NJW 2005, 1440; BGHSt. 37, 99; BGHSt. 43, 195; BGH, NStZ 2005, 115; grds. krit. Schnemann, StV 2000, 159.

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Verteidiger, Staatsanwalt und Richter

Rn. 179

denen sie fast unentbehrlich sind. Darauf wird an den entsprechenden Stellen des Handbuchs jeweils eingegangen werden. Im Vorverfahren knnen ggfs. Zwangsmaßnahmen wie Durchsuchung und Beschlagnahme abgewendet werden, wenn die von den Ermittlungsbehrden bentigten Unterlagen freiwillig zur Verfgung gestellt werden. Zumindest kann auf diese Weise ein schdlicher Medienrummel (Rn. 143) vermieden werden. Auch eine Begrenzung des Verfahrensstoffes nach §§ 154, 154a ist erreichbar, ebenso die Zusicherung des Staatsanwalts, das Verfahren gegen einen Erpreßten nach § 154 c einzustellen, wenn die zunchst anonym gegebene Schilderung des Verteidigers sich als zutreffend erweisen sollte. Schließlich sind die Mglichkeiten der Verfahrenseinstellung nach §§ 153, 153a und die Erledigung des Verfahrens durch Strafbefehl zu erwhnen (Rn. 1065 ff.). Diese Modalitten sind ggfs. auch noch im Hauptverfahren, wo sogar zwischen Gericht, Staatsanwalt und Verteidiger ber Schuldund Strafausspruch gesprochen werden kann (Rn. 496), anwendbar. ber verfahrensrechtliche Pannen kann man evtl. durch Rgeverzicht (Rn. 783) hinwegkommen, wenn dies dem Angeklagten zugute kommt. Schließlich knnen Staatsanwalt und Verteidiger sich absprechen, beiderseits keine Rechtsmittel einzulegen (Rn. 838). Sie brauchen sich dann nicht bis zur Minute des Fristablaufs gegenseitig zu belauern. In Privat- und Nebenklageverfahren (Rn. 1025 ff., 1057, 1063 ff.) gibt es viele Prozeßlagen, die sich im Agreement erledigen lassen. Dies gilt auch fr Offizialverfahren wegen Beleidigung, wo auch nach Erhebung der Anklage der Verteidiger ber eine Ehrenerklrung des Beleidigers, ber Buße und auch ber die Kosten gegen Rcknahme des Strafantrages verhandeln kann. Bei jeder Absprache muß der Verteidiger etwaige außerstrafrechtliche Konsequenzen des erwogenen Verfahrensabschlusses prfen oder den Klienten ber die Notwendigkeit einer solchen Prfung beraten. Dies kann zivilrechtliche, arbeitsrechtliche, gesellschaftsrechtliche, verwaltungsrechtliche oder disziplinarrechtliche Folgen betreffen. Die unterlassene Beratung kann den Verteidiger schadensersatzpflichtig machen86 (Rn. 165 f.). Allen Absprachen mit dem Verteidiger ist etwas Bestimmtes gemeinsam. Er muß das Vertrauen genießen, unbedingt zu seinem Wort zu stehen und sich bei seinem Mandanten durchsetzen zu knnen, insbesondere diesen nicht in die nur dem Verteidiger gewhrte Vertraulichkeit einzubeziehen und in keinem Fall die ihm gegebenen Erklrungen auszuspielen. Gesprche mit dem Ziel einer Verfahrensvereinbarung knnen in besonderen Fllen so vertraulich sein, daß sie bei vorzeitigem Bekanntwerden „nicht stattgefunden“ haben! bel war der Fall eines Verteidigers, der eine vertrauliche ußerung des Staatsanwalts, er habe Zweifel an der Aussicht 86 OLG Nrnberg, StraFo 1997, 186 m. krit. Anm. Barton.

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Stellung zu den Beteiligten des Strafverfahrens

einer Anklage, zum Gegenstand einer Dienstaufsichtsbeschwerde machte, als die Anklage doch erhoben wurde. Die Erfahrung lehrt brigens, daß sich die Strafjustiz geradezu peinlich genau an getroffene (klare) Absprachen zu halten pflegt. 180

Es ist mehr als eine Stilfrage, ein persnlich gutes Verhltnis zur Justizperson nicht in unangemessener Weise auszunutzen. So sollte der Verteidiger in Gegenwart des Mandanten von telefonischen Anrufen bei Staatsanwlten oder Richtern Abstand nehmen. Sie sind in dieser Situation ohnehin in der Regel ein Ausdruck von Renommiersucht. Dies gilt besonders auch fr die Bekanntgabe eines Duzverhltnisses mit Justizpersonen (etwa aus der gemeinsamen Ausbildungszeit). In der Praxis wird hier oft gesndigt: „Ich rufe mal eben meinen Freund ... bei der Staatsanwaltschaft an, dann werden wir die Sache schon vom Tisch bringen“! Wenn bei einem solchen Gesprch sogar die Anwesenheit des Mandanten verschwiegen wird, drngt sich der Gedanke an Mißbrauch auf. berhaupt sollte es selbstverstndlich sein, zunchst beim Gesprchspartner zu erkunden, ob er zu einem Sachgesprch sofort oder spter bereit ist; dabei schadet auch das Angebot einer persnlichen Vorsprache (als hflicher Geste) nicht. Auf jeden Fall haben Besprechungen eine sachlich bessere und angemessene Basis, wenn sie vorher vereinbart sind, der Gesprchspartner sich vorbereiten kann und die Akte vorliegt.

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Vertrauliche Gesprche mit Staatsanwlten oder Richtern knnen den Verteidiger aber auch in Konflikt mit seiner Schutzaufgabe (Rn. 3 ff.) bringen. Das ist immer dann der Fall, wenn der Verteidiger Sachinformationen oder Einschtzungen erfhrt, die nicht aus den Akten zu entnehmen, fr die Sache der Verteidigung aber wichtig sind. So wenn der Staatsanwalt Zweifel an der Glaubwrdigkeit des entscheidenden Belastungszeugen ußert oder auf weitere nicht bekannte Ermittlungsverfahren gegen den Mandanten mit gleichartigem Vorwurf hinweist. Es gibt auch Richter, die schon lange vor der Hauptverhandlung deren Ergebnis verknden („Wir geben in diesen Fllen immer drei Jahre!“) oder vor Erlaß des Erffnungsbeschlusses alternative Szenarien der Hauptverhandlung in den Raum stellen („Bei Gestndnis kriegt er zwei Jahre ,mit‘ – sonst drei!“). Wie ernst solche ußerungen zu nehmen sind, ist zwar nicht immer leicht zu erkennen, der Umgang mit ihnen, insbesondere gegenber dem Mandanten, ist aber ein Problem, weil dieser einerseits einen Anspruch gegen den Verteidiger auf volle Information hat, andererseits der Verteidiger – wenn er daraufhin vom Mandanten verlangte Maßnahmen ergreift, womit der Gesprchsinhalt offengelegt wird – sich selbst die Basis fr zuknftige Gesprche entzieht. Am besten vereinbart man mit dem Mandanten vorher eine nur eingeschrnkte Informationspflicht. Das schließt 124

Verteidiger, Staatsanwalt und Richter

Rn. 182

nicht aus, in der Verteidigung auch die anderen Erkenntnisse in einer Form einzusetzen, die den Gesprchspartner nicht desavouiert („Es ist der Verteidigung zwar bekannt, daß die Strafkammer in solchen Fllen durchweg eine Freiheitsstrafe von ... verhngt, jedoch wrde dieses Strafmaß dem vorliegenden Fall nicht gerecht ...“). In zugespitzten Verfahrenslagen wird der Verteidiger bei Interessenkollision seiner Schutzaufgabe den Vorrang geben mssen – mit fr ihn negativen Konsequenzen. Er sollte deshalb Gesprche mit Justizorganen im eigenen Interesse so fhren, daß er sich solche Konflikte erspart oder – je nach Mandant – auf vertrauliche Besprechungen ganz verzichtet. Im persnlichen Umgang mit Richtern und Staatsanwlten sollte der Verteidiger stets einen gewissen Abstand wahren, sie in der Verhandlung und der Korrespondenz mit der Funktionsbezeichnung, z. B. Herr Vorsitzender, Berichterstatter, Richter, anreden. Die Amtsbezeichnungen nach § 19a DRiG (z. B. Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht, Richter am Landgericht) sind zur Benutzung im persnlichen Gesprch wenig geeignet. Im Schriftwechsel mit den Behrden ist es heute blich, die allgemeinen Hflichkeitsfloskeln in der Anrede und vor der Unterschrift beiderseits zu verwenden („Sehr geehrter Herr Staatsanwalt“, Mit freundlichen Grßen“ oder „Mit vorzglicher Hochachtung“). Daß sich auch bei Behrden diese Tendenz durchsetzt, ist zu begrßen. Dagegen erscheint es problematisch, den Staatsanwalt oder Richter mit „Herr Kollege“ zu titulieren – erst recht wenn der Verteidiger selbst Beschuldigter ist (Rn. 1165 ff.). Im außerdienstlichen Verkehr sollte die Initiative zu grßerer Vertrautheit jeweils abgewartet werden, damit nicht der Eindruck entsteht, man wolle sich „anbiedern“. Andererseits sollte sich der Verteidiger auch nicht fr eine dienstliche Handlung des Richters oder Staatsanwalts „bedanken“. Aus besonderem Anlaß kann man aber ggfs. seine „Befriedigung“ ber eine dienstliche Erledigung der Sache ußern. Aus denselben Grnden sollten private Freundschaften mit Richtern und Staatsanwlten nicht knstlich herbeigefhrt werden. Sie sind zwar keineswegs unzulssig. Zurckhaltung ist aber anzuraten, weil sonst leicht die fr die berufliche Ttigkeit notwendige Distanz und damit die innere Freiheit des Verteidigers beeintrchtigt wird (Rn. 156). Einladungen in die Wohnung oder in Lokale sind nur bei nherer Bekanntschaft unbedenklich. Die Eingeladenen knnten sich sonst veranlaßt sehen, sich zu revanchieren. Das kann nicht nur zu einem Zwang unerwnschter Ausgaben fhren, sondern auch zu dem Verdacht, sie sollten beeinflußt werden. Auf keinen Fall vertretbar ist es, die Gelegenheit einer Einladung oder einer gesellschaftlichen Veranstaltung zu benutzen, den Richter oder Staatsanwalt auf Verfahren anzusprechen, die er bearbeitet. 125

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Stellung zu den Beteiligten des Strafverfahrens

Bei Geschenken und kleinen Aufmerksamkeiten an Richter und Staatsanwlte ist große Zurckhaltung geboten. Sogar bei Dedizierung eigener Publikationen des Verteidigers mssen die Richter mitunter die Genehmigung des Gerichtsprsidenten einholen. Auch das Angebot des Rechtsanwalts, den Richter oder Staatsanwalt in seinem Pkw zu einem auswrtigen Termin mitzunehmen, kann bedenklich sein. Zwangloser geht es in der Praxis zuweilen zu, wenn die Verfahrensbeteiligten – evtl. ber mehrere Tage – bei auswrtigen Rechtshilfeterminen im In- oder Ausland zusammen sind. Staatsanwlte und auch Richter achten dann manchmal weniger auf „Abstand“. Der Verteidiger muß sich dem nicht entziehen – sollte sich aber in keiner Weise anbiedern, sondern mit wachen Sinnen auf scheinbar hingeworfene Bemerkungen und Zwischentne achten. Er kann auch selbst in der Unterhaltung versuchen, bestimmte Gedanken und Erwgungen beim Gegenber zu plazieren. 183

Wirtschaftliche Beziehungen des Anwalts zum Richter oder Staatsanwalt sind nicht per se unzulssig. Aber auch hier darf in keinem Fall der Verdacht der Abhngigkeit entstehen. Dieser ist z. B. bei der Darlehnsgewhrung kaum zu vermeiden. Dem Rechtsanwalt kann nur geraten werden, sogar den Anschein zu vermeiden, er habe den Richter oder Staatsanwalt in seinen amtlichen Entscheidungen unfrei machen wollen. Am besten ist es, wenn zwischen Rechtsanwlten und Angehrigen der Strafjustiz keine wirtschaftlichen Beziehungen bestehen.

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Zur Verlßlichkeit des Verteidigers gehrt auch die gewissenhafte Behandlung der Akten und deren fristgerechte Rckgabe (Rn. 270), das pnktliche Erscheinen zum Termin, der Antrag auf Terminverlegung nur in unvermeidbaren Fllen (Rn. 454). Berufswidrig und dem Ansehen des Anwalts abtrglich ist es, die Verlegung eines Termins mit der unrichtigen Begrndung zu beantragen, der Verteidiger sei verhindert. Ebenso ist darauf zu achten, daß im Verkehr mit einem inhaftierten Mandanten nicht einmal der Anschein einer unzulssigen Umgehung der Kontrollstelle aufkommt, soweit sie die Verbindung zum Verteidiger berhaupt prfen darf (Rn. 359). Der Verteidiger verletzt seine Berufspflicht, wenn er ein Schreiben des Auftraggebers ohne Prfung der Zulssigkeit und Unverfnglichkeit und ohne eigene Stellungnahme an Gericht oder andere Behrden weitergibt. Er muß selbst die Verantwortung bernehmen. 2. Verteidiger und Staatsanwalt

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Der Verteidiger, der im Staatsanwalt nur das „Feindbild“ schlechthin sieht, macht einen großen Fehler. Zwar sind Strafverfolger und Verteidiger in ihren Funktionen im Strafprozeß einander entgegengesetzt, jedoch le126

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diglich im Diskurs um Sachverhaltsklrung und rechtliche Bewertung. Das gilt letzten Endes auch trotz des reichlich vollmundigen Begriffs der „Herrschaft“ im Ermittlungsverfahren. Zwar wird der Staatsanwalt hufig den ersten Schritt gegen den Mandaten tun (mssen), entscheidend ist aber der letzte Schritt, mit dem das Vorverfahren beendet wird. Schrittfolge und -richtung zugunsten seines Mandanten zu beeinflussen, ist Aufgabe des Verteidigers. Dies kann durch prventive Beratung (Rn. 232), Antrge auf Erhebung von Beweisen, Argumentation und Diskussion geschehen (i. e. Rn. 231). Immer ist der Staatsanwalt im Ablauf des Verfahrens „die erste Adresse“, wenn es darum geht, jede Art von Unbill, die das Verfahren auslsen kann, abzuwenden (Rn. 233) und die Strafverfolgung zu beenden. In aller Regel strebt der Staatsanwalt auch nicht nach dem Prinzip „koste es, was es wolle“ die Anklage an. (Vgl. die in Rn. 1 erwhnte Statistik.) Bei Verfahrenserledigungen durch Ermessensentscheidungen (§§ 153 ff.) ist es fr den Verteidiger ein großer Vorteil, daß der Staatsanwalt die ganze Breite der einzelnen Fallgruppen sieht, whrend der Richter nur mit den vergleichsweise wenigen Fllen befaßt wird, die durch Anklage oder auf andere Weise an ihn gelangen. Fr die Gewichtung des Vorwurfs in der Palette vergleichbarer Straftaten findet man deshalb beim Staatsanwalt oft besser Gehr – und Erfolg. Nach aller Erfahrung ist es – gerade in schwierigen Sachen – dem Staatsanwalt durchaus willkommen, in einer qualifizierten Verteidigung den Diskussionspartner zu finden, der seine eigene Sicht schrft und zur sachgerechten Abwgung beitrgt. Wem indes das hier skizzierte Bild des Staatsanwalts zu positiv erscheint, dem sei konzediert: Es gibt auch Staatsanwlte ganz anderer Art – bis hin zu solchen, deren „Feindbild“ der Verteidiger ist! Aber wie stets hngt vieles von der Art der Sache, der Persnlichkeit des Verteidigers und den Erfahrungen des Staatsanwalts ab. Einen Versuch ist es allemal wert!

3. Verteidiger und Richter a) Achtungsanspruch Achtungsvolles Verhalten gegenber dem Richter ist eine Selbstverstndlichkeit. Der Richter ist als Trger der rechtsprechenden Gewalt zu achten. Das gilt auch dann, wenn sich ein Richter – im Erscheinungsbild oder verbal – mehr oder weniger salopp gibt. Ebenso muß der Anwalt aber erwarten knnen, daß Richter und Staatsanwalt ihm Achtung und Vertrauen entgegenbringen bei voller Anerkennung seiner kontrren Berufsaufgabe. Dieses Verhltnis herzustellen und zu bewahren, gehrt zu den Obliegenheiten des Anwalts. Es sollte alles unterbleiben, was die wech127

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selseitige Anerkennung und Respektierung als Grundlage der Zusammenarbeit (Rn. 178) stren knnte. Sonst kann der Anwalt seine Berufsarbeit nicht unabhngig und gleichberechtigt leisten. Verletzendes Benehmen im Gerichtssaal ist zu unterlassen. Dazu gehrt der Ton im mndlichen Vortrag, die Steigerung der Stimme in provozierender Form, das geflissentliche berhren richterlicher Hinweise, der Gebrauch beleidigender Ausdrcke (so z. B. die Bezeichnung eines Richters als „Appendix“ (Wurmfortsatz) der Anklagebehrde87. Die Niederlegung der Verteidigung in der Hauptverhandlung kommt nur als ußerstes Mittel im Extremfall in Frage, ebenso das demonstrative Ausziehen der Robe und der Wechsel in den Zuhrerbereich des Gerichtssaales. Bloße Spannungen mit dem Vorsitzenden knnen solche Aktionen ebensowenig rechtfertigen wie Verfahrensfehler des Gerichts. Im allgemeinen reichen die formelle Beanstandung (Rn. 533) und der Antrag aus, die Auseinandersetzung wrtlich zu protokollieren (Rn. 536). Auch persnliche Kontrahagen mit dem Staatsanwalt knnen die Wrde des Gerichts tangieren, wenn sie den Charakter einer Anrempelei annehmen. Allerdings gibt es gelegentlich auch Entgleisungen von Vorsitzenden und Staatsanwlten, die eine deutliche Antwort erfordern (Rn. 196). 187

Ein besonderes Kapitel ist die Kritik an richterlichen Entscheidungen. Die „Urteilsschelte“ darf in der Sache scharf, im Ton muß sie bedachtsam sein. So ist es nicht vertretbar, von willkrlicher88, gesetzwidriger Beweiswrdigung oder von einem Tendenzurteil zu sprechen oder zu schreiben. Auch die Bemerkung, der Richter sei fehl am Platz, er habe es an einer gewissenhaften Behandlung der Sache fehlen lassen, er habe mit zweierlei Maß gemessen, er habe sein Ermessen bewußt mißbraucht, um ein frheres Fehlurteil zu decken, widerspricht einer sachlichen Interessenwahrnehmung. Dazu gehrt auch die ußerung eines Rechtsanwalts, er knne sich die Entscheidung „nur durch die Faulheit oder Gehssigkeit der Richter erklren“89 oder durch „Rechtsblindheit“ und „himmelschreiende Befangenheit“90: ebenso der Vergleich einer Gerichtsentscheidung mit der Gesinnungsjustiz des Nationalsozialismus91. Solche Bemerkungen verlassen den Boden sachlicher Kritik. Sie sind ebenso zu beanstanden wie die tendenzis-ungenaue Wiedergabe einer richterlichen Entscheidung. 87 EG Frankfurt, Urt. v. 19. 12. 1976 – EG 10/76. 88 Ggfs. sogar strafbar nach AG Marburg, NStZ-RR 2004, 213; dazu auch OLG Dsseldorf, NStZ 1998, 516. 89 BayEGH, Urt. v. 5. 5. 1977 – II 8, 22/76. 90 BGH, wistra 2004, 313. 91 EGH Berlin, Urt. v. 7. 7. 1980 – II EGH 15/79.

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Bemerkungen solcher Art verbieten sich nicht nur in der ffentlichkeit, namentlich gegenber der Presse, sondern auch dem Mandanten gegenber. Sie sind auch dann unstatthaft, falls sie in Informationsschreiben an den Anwalt der Rechtsmittelinstanz enthalten sind. Dabei wird nicht verkannt, daß die Erfllung des Mandats oft eine energische Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung erfordert92. Formulierungen dieser Art sollten jedoch den Eindruck vermeiden, die Sache selbst stehe schwach, es solle bewußt verletzt werden, der Mandant solle sehen, wie „scharf“ der Anwalt seine Sache vertrete. Es soll sogar vorkommen, daß Anwlte mit ihrer zur Schau getragenen Emprung ber ein angebliches „Unrechtsurteil“ von eigenen Fehlern in der Verteidigung abzulenken versuchen. Bei verbalen Mißgriffen kann sich der Anwalt nicht ohne weiteres auf das Recht zur freien Meinungsußerung berufen. Dieses Recht ist durch die Berufspflicht (§ 43 BRAO) eingeschrnkt und steht mit ihr in Wechselwirkung93. Der Verteidiger darf allerdings auch nicht zu ngstlich sein und sich zuviel gefallen lassen. Auf scharfe Angriffe muß er scharf reagieren. Darber darf sich der Richter (oder der Staatsanwalt) nicht wundern, der den Anwalt herabsetzt. Der Verteidiger darf auch starke, eindringliche Ausdrcke benutzen94, wobei nicht entscheidend ist, ob er seine Kritik auch anders htte formulieren knnen. Dabei gilt allerdings nur mit Einschrnkung der Grundsatz, daß die mit seiner Meinungsußerung verbundene Verletzung von Individualrechten das schonendste Mittel der Interessenwahrnehmung sein muß. Nicht jede aus nachtrglicher Beurteilung unntige Schrfe lßt den Rechtfertigungsgrund des § 193 StGB entfallen95. Auch der Anwaltssenat des BGH96 hielt es nicht fr standeswidrig, wenn der Anwalt „zur Errterung stellt“, ob bestimmte Maßnahmen mit der gebotenen Objektivitt bereinstimmen97. Nicht akzeptabel ist es dagegen, daß der Anwalt einen anderen Beteiligten grundlos verunglimpft. Es ist auch nicht zulssig, gegen Richter Vorwrfe zu erheben, die nicht zuvor sorgfltig geprft sind. Der Vorwurf der Rechtsbeugung zum Beispiel darf weder vorgebracht werden noch berhaupt anklingen, wenn die innere und ußere Tatseite nicht guten Gewissens bejaht werden kann98. Auch die Kritik an einem Richter oder Staats-

92 93 94 95 96 97 98

Erfreulich deutlich AGH Hamm, BRAK-Mitt. 1997, 261. BGH, NJW 1967, 891. Dazu i. e. BVerfG, StV 1999, 532. KG, AnwBl. 1998, 278; zur Abwgung auch OLG Bremen, StV 1999, 534. BGH, NJW 1967, 891. S. dazu Arndt, NJW 1967, 1331. Thr. OLG, StraFo 2002, 203; zum frheren Standesrecht EGE II, 128; EGE IV, 1; EGE V, 7, 113; EGE XI, 176.

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anwalt als Zeugen hat sich nach diesen Grundstzen zu richten (z. B. Zivilrichter als Zeuge bei der Verhandlung eines Aussagedelikts). Allerdings untersteht der Richter wie der Zeuge Fragen und Vorhaltungen. Persnlich herabsetzende Kritik an seiner Aussage ist jedoch unzulssig, so die Frage nach der Zeugenvernehmung eines Richters und eines Anwalts, wer denn nun einen Meineid geleistet habe (Rn. 210)99. Im Ergebnis kann es hufig auf die Umstnde des Einzelfalles ankommen. Manches in diesem Bereich drfte letztlich eine Frage „abgezirkelter“ Formulierung sein. 189

Beanstandungen der Verhandlungs- und Sachleitung des Richters bringen den Verteidiger fast regelmßig in eine schwierige Lage. Sie fhren hufig zu Zusammenstßen mit Richter und Staatsanwalt. Die gegenstzliche Aufgabenstellung tritt hier besonders schroff hervor. Der Verteidiger ist zur Einseitigkeit verpflichtet und hat deshalb darber zu wachen, daß die Verfahrensregeln eingehalten werden. Der Mandant darf durch die Gestaltung des Ablaufs der Hauptverhandlung nicht „berfahren“ werden. Erst recht drfen prozessuale Fehler zu seinem Nachteil nicht hingenommen werden. Zu diesem Zweck sind Anordnungen des Richters, die die Sachleitung betreffen (§ 238: Rn. 533) und unzulssige Fragen (§ 242: Rn. 529 f., 545) zu beanstanden. Dadurch gert der Verteidiger notwendigerweise in eine Frontstellung zum Richter, oft auch zu dem Staatsanwalt, der nicht bereit ist, Formfehlern entgegenzutreten100. Deshalb muß der Verteidiger seine Stellungnahme sorgfltig abwgen und maßvoll vortragen. Soweit sich Verhandlungs- und Sachleitung in zulssigen Bahnen bewegen, drfen sie nicht angegriffen werden. Im Falle von Beanstandungen sind beleidigende Formulierungen verboten: sie untergraben Achtung und Vertrauen zur Rechtspflege. Ebenso wre es unstatthaft, sich in eine zulssige Art der Vernehmung einzumischen und den Richter dauernd zu unterbrechen. Die in khl-berlegener Sprache, die Materie sachlich und rechtlich beherrschende Beanstandung ist ohnehin eher geeignet, das angestrebte Ziel zu erreichen.

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Der Verteidiger ist befugt, alle zulssigen Rechtsbehelfe gegen richterliche Entscheidungen auszuschpfen. Dies darf er sowohl zum Schutz seiner eigenen Stellung als Verteidiger wie auch fr seinen Mandanten. Ob und welche Rechtsbehelfe der Verteidiger ergreift, liegt in seinem pflichtgemßen Ermessen. Er trifft die Entscheidung hierber in eigener Verantwortung (Rn. 794 f.). Davon befreit ihn auch nicht der Umstand, daß Richter und Staatsanwalt von Amts wegen alle zugunsten des Beschuldigten spre99 EGE V, 236. 100 Hierzu Kohlhaas, DRiZ 1966, 46.

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chenden Umstnde zu bercksichtigen haben. Verletzt der Verteidiger diese Verpflichtung, so kann er sich schadensersatzpflichtig machen. Aus diesen Grnden sind die Entscheidungen des Verteidigers insoweit richterlicher Kritik entzogen. Keinesfalls darf der Verteidiger zur Drohung mit Rechtsmitteln, Dienstaufsichtsbeschwerden und Strafanzeigen greifen101. Auch ist es nicht erlaubt, Stellen außerhalb der Rechtspflege anzugehen, z. B. Eingaben an den Bundeskanzler oder Justizminister zu dem Zwecke, in ein gerichtliches Verfahren einzugreifen. Ebenso ist es grob unzulssig, einem Richter anzukndigen, die von ihm beabsichtigte Entscheidung werde fr ihn „Konsequenzen“ haben. Das grenzt an Richterntigung. Entsprechendes gilt natrlich auch fr das Verhltnis des Verteidigers zum Staatsanwalt (Rn. 185). Auch er darf z. B. nicht „unter Druck gesetzt“ werden etwa mit der Drohung, man werde aus der Sache eine Medien-Sensation machen oder dergleichen. Ungehrig ist auch die Bemerkung, die Zustimmung zu einer Einstellung nach § 153 werde verweigert, whrend Mordanzeigen in der Schublade liegen blieben. Inwieweit solche und hnliche Vorgnge heute noch zu einer berufsgerichtlichen Ahndung fhren, ist eine Frage des Einzelfalles. Es ist aber ein Gebot der Klugheit fr den Verteidiger, auch in erhitzter oder gar „vergifteter“ Atmosphre abzuwgen, was letztlich den – allein maßgebenden – Interessen seines Klienten dienlich ist. Die Erfahrung lehrt, daß „die Strafjustiz“ in diesen Bereichen sehr nachtragend sein kann – zum Nachteil der Mandanten oder auch des Verteidigers. b) Ehrenamtliche Richter Das Verhltnis des Verteidigers zu den Laienrichtern erfordert seine besondere Aufmerksamkeit. Infolge ihrer geringen Vertrautheit mit dem Verfahren sind sie mit ihrem bedeutenden Stimmgewicht fr das Urteil Gefahr und Chance zugleich. Sie beobachten und werten auch z. B. objektiv kaum wesentliche Einzelheiten (Rn. 705) und lassen sich leicht durch Eindrcke und Emotionen, Sympathie und Antipathie beeinflussen (vgl. fr das Pldoyer Rn. 739). Sie beobachten auch aus Interesse oder Mißtrauen den Verteidiger selbst und seine Attitde sehr aufmerksam. Ihre Empfindungen knnen sogar als irrationale Entscheidungselemente in das Urteil eingehen. Zwar hat ein „starker“ Vorsitzender die Schffen oft „in der Hand“. Aber wir wissen, daß sie bisweilen „stur“ bleiben und ihr Votum durchsetzen. Jedoch ist dies nur eine Teilerscheinung der problematischen Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege.

101 EGE VI, 211.

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Der Verteidiger tut in jedem Falle gut daran, sich mit der Person der Schffen vertraut zu machen (§ 24 Abs. 2 – Rn. 200, 450) und ggfs. Erkundigungen einzuziehen (Rn. 450). Ihre Namen finden sich blicherweise in der Besetzungsmitteilung (§ 222a) oder auf der Terminrolle vor dem Sitzungssaal. c) Favor judicis 192

Diese Hinweise entsprechen der guten bung als Richtschnur fr anwaltliches Verhalten, sich um ein gutes Verhltnis zu Staatsanwalt und Gericht, um den sog. „favor judicis“, zu bemhen und ihn zu pflegen. In der Tat beruht eine gute Strafrechtspflege auf dem vertrauensvollen, wenigstens von Spannungen freien Verhltnis der an ihr beteiligten Organe. Aber das Wort vom favor judicis ist sehr gefhrlich. Wenn es mißverstanden wird, fhrt es zur Beeintrchtigung der inneren Unabhngigkeit und Freiheit des Verteidigers. Dessen oben (Rn. 1 ff.) beschriebene Berufsaufgabe fordert von ihm harte Entschlossenheit und Unerschrockenheit in der kmpferischen Auseinandersetzung. Daraus entstehende Konflikte auch mit dem Gericht muß er durchstehen und darf nicht „knochenweich“ werden, um damit sein angenehmes persnliches Verhltnis zu erhalten. Er darf auch nicht an seine folgenden Verteidigungen denken und den Richtern nach den Augen sehen. Wer das nicht kann, kommt in die Gefahr, seinen Mandanten zu verraten. Werbung um den favor judicis und der Kampf um Recht vertragen sich eben manchmal nicht. Die Unabhngigkeit des Geistes besteht in der Unerschrockenheit, sich unbeliebt zu machen102. Man muß daher hellhrig werden, wenn Richter den Verteidiger loben, mit dem sich „immer so gut arbeiten lasse“ und der „keine Schwierigkeiten mache“. In Wahrheit will der gute Vorsitzende den schwchlichen Verteidiger auch gar nicht haben und entzieht dem aufrechten nicht seine Gunst. Es ist selbstverstndlich, daß der Verteidiger dabei die verbindliche Form zu wahren hat und die Vorteile diplomatischer Geschicklichkeit sich zunutze machen sollte (vgl. auch zu den Fragen der Opportunitt Rn. 1087).

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Das Interesse eines Verteidigers am favor iudicis oder „favor procuratoris“ macht ihn also nicht zum „Softy“, solange der Verteidiger die Wrde seiner Berufsaufgabe wahrt und sich nicht zum kriecherischen Ja-Sager herabwrdigt. Die harte Durchsetzung von Beschuldigten- und Verteidigerrechten ist eines. Wenn sie in der Sache geboten ist, muß sie kompromißlos erfolgen. Fr die optimale Erfllung des Verteidigungsauftrages 102 Arndt, 40. Deutscher Juristentag, Verhandlungen, Bd. II C 59; ferner: „Er spricht nicht mehr mit mir, der Herr Vorsitzende“, AnwBl. 1971, 172.

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und der Wahrnehmung der Interessen des Klienten kann aber ein gutes, auf Respekt und gegenseitiger Wertschtzung gesttztes Verhltnis zu Richter gar nicht hoch genug eingeschtzt werden. Darauf ist an vielen Stellen dieses Buches hinzuweisen. Vor allem in manchen nicht durchnormierten Bereichen des Strafprozesses, bei Ermessensentscheidungen sowie in Fllen einer gewnschten Rcksichtnahme auf den Verteidiger, auf die kein Rechtsanspruch besteht, kann die persnliche Einstellung des Richters zu dem jeweiligen Verteidiger den Ausschlag geben. Der einzelne Strafprozeß ist in aller Regel auch nicht geeignet, Ansprche und Rechte der Verteidigung um ihrer selbst willen oder „aus grundstzlichen Erwgungen“ zu exemplifizieren und durchzukmpfen. Gegenstand des Strafprozesses ist nicht der Kampf um die Rechte des Strafverteidigers, sondern der Kampf um ein optimales Ergebnis fr den Klienten. Alle anderen Interessen, mgen sie noch so wichtig sein, haben ihren Platz primr auf der rechtspolitischen und berufspolitischen Ebene. Die Anwlte haben – vor allem in neuerer Zeit – durchaus unterschiedliche Einstellungen zum „favor judicis“. Nicht wenige lehnen ein solches Bemhen ab und geben einer „Konfliktverteidigung“ (Rn. 36, 71, 198, 444, 695, 807) den Vorzug. Ob diese dem Schutzanspruch des Klienten besser dient, scheint eine „Glaubensfrage“ der Verteidiger zu sein, der mit rationalen Argumenten kaum beizukommen ist103. 4. Fehlverhalten des Verteidigers Grner, Strafverteidiger und Sitzungspolizei, 1998; Hassemer, ber den Mißbrauch von Rechten, FS Meyer-Goßner (2001), S. 127; Hbel, Sitzungspolizeilich verfgte Durchsuchung von Verteidigern nach GVG § 176, StV 1998, 243; Jahn, Sitzungspolizei contra „Konfliktverteidigung“?, NStZ 1998, 389; Krekeler, Durchsuchung des Verteidigers beim Betreten des Gerichtsgebudes, NJW 1979, 185; Mller, Zwangsweise Entfernung eines Rechtsanwalts aus dem Sitzungszimmer, NJW 1979, 22; Nobis, Ordnungshaft fr den Verteidiger – Eine Justizposse aus Hagen, StraFo 2003, 257; Rping/Dornseifer, Dysfunktionales Verhalten im Prozeß, JZ 1977, 417; Salditt, Verteidigung in der Hauptverhandlung – Notwendige Alternativen zum Praxisritual, StV 1993, 442; Weber, Der Mißbrauch prozessualer Rechte im Strafverfahren, GA 1975, 289.

Es folgt aus der allseitigen Unabhngigkeit des Verteidigers (Rn. 27 ff.), daß gegen ihn nur in ganz beschrnktem Umfange eingeschritten werden kann, wenn wegen seiner Verteidigung Bedenken bestehen. Neben der außerordentlichen Maßnahme der Ausschließung des Verteidigers nach § 138a (Rn. 37 ff.) kommt ein Vorgehen gegen den Verteidiger, besonders gegen ein Fehlverhalten des Verteidigers, in der Hauptverhandlung in 103 Zum Problem Dahs, FS Odersky (1996), S. 317 ff.

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Betracht. Der Verteidiger untersteht der Sitzungspolizei des Vorsitzenden (§ 176 GVG). Der Richter ist zu Ermahnungen und Rgen freilich nur befugt, wenn der Verteidiger in der Form fehlgreift oder seine ußerungen nicht zur Sache gehren. Selbst scharfe Auseinandersetzungen berechtigen nicht zu Anordnungen, die den Verteidiger herabsetzen oder seine Rechte schmlern. So ist es dem Richter nicht gestattet, gegen einen Beweisantrag im Wege der Sitzungspolizei vorzugehen. Allerdings sind Verteidiger und Mandant gesetzlich nur unzureichend gegen unrechtmßige Maßnahmen geschtzt. Das Gericht kann zwar angerufen werden gegen die Anordnungen der Verhandlungsleitung (§ 238 Abs. 2). Sitzungspolizeiliche Maßnahmen begrnden als solche aber nicht die Revision. Handelt es sich jedoch um Anordnungen der Sachleitung, so kann die Verteidigung in einem wesentlichen Punkt beschrnkt sein (§§ 238, 338 Nr. 8). Der Angeklagte hat Anspruch auf ungehinderte Fhrung der Verteidigung und auf ein faires Verfahren. In einem solchen Falle geht der Revisionsgrund aber verloren, wenn der Verteidiger nicht einen Gerichtsbeschluß herbeifhrt104 (Rn. 535). Andere sitzungspolizeiliche Befugnisse als Rgen und Ermahnungen stehen dem Richter gegen den Verteidiger nicht zu, insbesondere unterliegt er nicht der Ordnungsstrafgewalt des Gerichts (§ 178 GVG)105. 195

Auch eine Entfernung des Verteidigers aus dem Gerichtssaal durch Gerichtsbeschluß gemß § 177 GVG ist unzulssig106. Sie lßt sich weder aus der sitzungspolizeilichen Befugnis des § 176 GVG noch aus dem allgemeinen Hausrecht der Justizbehrden herleiten. Der Verteidiger ist immer befugt anwesend. Dem Richter bleibt nur die Mglichkeit, das Verhalten des Verteidigers strafrechtlich oder berufsrechtlich berprfen zu lassen. Soweit strafbare Handlungen des Verteidigers vorliegen, hat das Gericht den Tatbestand im Protokoll festzulegen und der zustndigen Behrde Mitteilung zu machen (§ 183 GVG: Rn. 702). Bei bloßen Verstßen gegen das Berufsrecht greift diese Bestimmung jedoch nicht ein. Daher ist auch der Protokollvermerk unzulssig, der Verteidiger habe sich berufswidrig verhalten. Allerdings kann das Gericht gegen schwere Ungebhr des Verteidigers auf anderem Wege vorgehen. Nach § 145 sind dem Wahl- und Pflichtverteidiger die Kosten aufzuerlegen, wenn durch seine Schuld eine Hauptverhandlung ausgesetzt werden muß. Beispiel: Der Verteidiger entfernt sich 104 Meyer-Goßner, § 338 Rn. 60 f. 105 Deutlich OLG Hamm, StraFo 2003, 244; OLG Dsseldorf, wistra 1994, 79; Meyer-Goßner, § 177 GVG Rn. 3. 106 OLG Hamm, StraFo 2003, 244.

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ohne wichtigen sachlichen Anlaß aus der Sitzung oder weigert sich, die Verteidigung zu fhren (Rn. 505, 795). Gleich zu behandeln ist der Fall, daß sich der Verteidiger trotz mehrfacher Ermahnung ungebhrlich benimmt und deshalb nicht weiterverhandelt werden kann, so wenn der Verteidiger vom Vorsitzenden verlangt, er mge sich jeweils selbst davon berzeugen, daß die (abgelehnten) Beweisantrge des Verteidigers protokolliert seien107. In jedem Falle muß die Aussetzung der Verhandlung mit der Kostenfolge zu Lasten des Verteidigers das letzte Mittel sein. § 145 gibt dem Gericht nicht das Recht, sich auf diese Weise eines unbequemen Verteidigers zu entledigen. Das Gericht hat in diesen Fllen auch die Mglichkeit, die Hauptverhandlung lediglich zu unterbrechen. Bedeutung hat eine solche Maßnahme aber nur gegenber einem Pflichtverteidiger, weil seine Bestellung zurckgenommen und ein anderer Verteidiger bestellt werden kann (§ 145 Abs. 1). Die im Zusammenhang mit dem Mißbrauch prozessualer Rechte durch den Verteidiger bestehenden Fragen werden an anderer Stelle, z. B. bei der Ablehnung von Gerichtspersonen (Rn. 198) und beim Beweisantragsrecht (Rn. 662 ff.) behandelt. 5. Fehlverhalten von Richtern und Staatsanwlten a) Flle Der Verteidiger darf und muß sich in aller Form zur Wehr setzen, wenn der Richter oder der Staatsanwalt sich nicht richtig verhlt. Das kommt leider oft genug vor (Rn. 29). Es gibt gute und schlechte, erfahrene und unerfahrene, schnelle und langsame, eifrige und phlegmatische, bescheidene und selbstbewußte, kluge und weniger kluge Richter und Staatsanwlte. Hierher gehrt auch die hufig anzutreffende Fehleinstellung von Richtern zu ihrer richterlichen Aufgabe. Sie fhlen sich nicht selten weniger als vom Staat unabhngige und zur Kontrolle der ffentlichen Gewalt und zum Schutze der Freiheitsrechte des Brgers berufene Souverne, sondern eher als von ihm bestellte und besoldete Staatsdiener, dessen Funktionen sie wie Rechtsprechungsbeamte ausben. Solche im Obrigkeitsdenken befangene (auch jngere) Richter machen es der Verteidigung oft recht schwer. Man trifft als Verteidiger darber hinaus auch auf eingebildete und dnkelhafte Richter. Das sind diejenigen, die durch ihren Sitz am Richtertisch auf einem hheren Platz als der Verteidiger nach und nach in die 107 OLG Hamm, NJW 1954, 1053; vgl. auch OLG Hamburg, NStZ 1982, 171, 172.

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Auffassung hineingeraten, der rumliche Hhenunterschied bedeute auch ihre berlegenheit im geistigen und moralischen Bereich. Diese berheblichen Richter schauen auf den Verteidiger „von oben herab“ und steigern sich im Laufe der Dienstjahre mehr oder weniger in eine Art „Unfehlbarkeitswahn“. Sie kennen die Wahrheit schon beim ersten Eintritt in den Sitzungssaal. Auch sonst darf der Verteidiger die Aktenkenntnis der Berufsrichter und ihre etwaige Mitwirkung am Erffnungsbeschluß, anderen Vorentscheidungen und Parallelsachen nicht außer acht lassen. Diese Umstnde fhren leicht zu einer fr den Richter unbewußten, dem Betroffenen aber durchaus evidenten Voreingenommenheit (Rn. 4, 203). Die Hauptverhandlung kann dann zu einem bloßen Nachvollzug der Ermittlungsakten entarten (Rn. 546, 576). Dies wird u. a. dadurch deutlich, daß der Richter den Verteidiger etwa bei der Befragung des Angeklagten, der Zeugen oder Sachverstndigen stndig unterbricht oder ihn gar herabsetzt. Auch kommt es vor, daß ungeeignete Vorsitzende laut werden und Angeklagte geradezu anschreien. Solche Angriffe des Richters erfordern eine sachlich scharfe Erwiderung: Sie zwingen den Verteidiger zu Gegenmaßnahmen, um sein Ansehen und die Belange des Mandanten zu wahren. Furcht vor „Ungnade“ darf auch den Pflichtverteidiger hiervon nicht abhalten. Er darf sich z. B. nicht die Bemerkung eines Vorsitzenden, der Verteidiger fhre seine Verteidigung mit „Tricks“ oder „Mtzchen“, gefallen lassen. Ungehrig ist auch die Bemerkung eines Richters, der Verteidiger verstoße gegen sein Berufsrecht. Das gilt auch fr die ußerung, der Richter werde „Meldung“ erstatten, der Verteidiger mache nur Schwierigkeiten oder fr den unbegrndeten Vorwurf der „Prozeßsabotage“. Mit der Pflicht zur gegenseitigen Achtung ist es nicht vereinbar, wenn ein Richter whrend des Pldoyers (Rn. 716) in den Akten blttert, mit anderen Richtern spricht oder bereits die Urteilsformel niederschreibt oder sonst zum Ausdruck bringt, daß ihn der Vortrag nicht interessiert. Der Verteidiger muß innehalten, bis ihm wieder zugehrt wird. Darauf hat er Anspruch. Ebensowenig braucht er Unterbrechungen seines Vortrages zu dulden. Gegen jeden Eingriff in die Freiheit des Pldoyers hat er sich zur Wehr zu setzen. Dies kann indessen anders sein, wenn der Verteidiger sich stndig wiederholt oder weitschweifig wird. Selbstverstndlich darf der Verteidiger seine Rechtsansicht ußern, auch wenn sie mit der herrschenden Lehre oder der Meinung des erkennenden Gerichts nicht bereinstimmt. Dann steht es Richter und Staatsanwalt nicht zu, von einer „eigenartigen“ oder „exotischen“ Rechtsauffassung der Verteidigung zu sprechen. Der Verteidiger stßt auch sonst oft genug auf eine nicht achtungsvolle, verstndnislose oder sogar ausgesprochen unfreundliche Einstellung von 136

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Richtern. So werden hufig unbegreiflich kurze Fristen zur Bearbeitung gesetzt, die ein beschftigter Anwalt einfach nicht einhalten kann. Mit Vorliebe wird auch von manchen die berlassung von Akten auf Minifristen – von ein bis drei Tagen – beschrnkt, auch wenn es fr den Verteidiger die erste Akteneinsicht nach langer Verfahrensdauer ist. Die Frist einfach zu berschreiten und die Akten festzuhalten, wre in einem solchen Fall nicht korrekt. Der Staatsanwalt oder der Richter wrde zwar auf Bitte wohl die Frist verlngern. Dazu braucht sich aber der Verteidiger nicht immer herzugeben. Wirksam kann die fristgerechte Rckgabe der Akten sein in Verbindung mit dem Antrag, nunmehr eine angemessene Frist zu bestimmen (Rn. 270). Das nchste Mal wird es dann schon besser gehen. In dieser Weise sollte man allerdings nur dort reagieren, wo Verstndnislosigkeit oder gar bser Wille zu vermuten ist. Der Verteidiger sollte auch gegen die hufige bung angehen, Zustellungen zu Unzeit, d. h. vor Festtagen, etwa zur Weihnachtszeit durchzufhren, damit der Sachbearbeiter Anklagen, Urteile oder sonstige Entscheidungen noch schnell „vom Tisch hat“. Der Verteidiger sitzt dann im Fristdruck, den verstndnisvolle Zusammenarbeit htte verhindern sollen. Es kommt erfreulicherweise der umgekehrte Fall sehr viel hufiger vor: Auf die – rechtzeitige – Bitte des Verteidigers wird die Zustellung bis zu einem besser passenden Zeitpunkt zurckgestellt. b) Maßnahmen des Verteidigers In fast allen Fllen des Fehlverhaltens von Richtern oder Staatsanwlten kommt der Verteidiger in eine schwierige Lage. Verwahrt er sich dagegen nicht in wirksamer Form, so setzt er seine Autoritt aufs Spiel, die er nicht nur um seiner selbst willen, sondern auch im Interesse der Mandanten zu schtzen hat. Ein Verteidiger mit einem ffentlichen Tadel ist fr den Angeklagten nichts wert. Weist der Verteidiger die Herausforderung zurck, so kann er die Chancen des Mandanten verscherzen. Es kommt daher auf den Einzelfall an, ob und was zu unternehmen ist. Oft wird eine unverzgliche, in der Sache deutliche, in der Form korrekte Zurckweisung des Angriffs ausreichen. ußerstenfalls bleibt die Mandatsniederlegung (Rn. 795). Allerdings sollte man so schweres Geschtz in der Regel nicht abfeuern, sondern nur auffahren. Allenfalls tut ein „Schuß vor den Bug“ seine Wirkung, etwa die Ankndigung einer Mandatsniederlegung in der Hauptverhandlung, die das Gericht naturgemß vermeiden will (vgl. auch Rn. 197). Allerdings sollte der Verteidiger nicht bei jeder Gelegenheit mit der Niederlegung des Mandats drohen, sonst wird daraus rasch eine stumpfe Waffe, die nicht mehr ernstgenommen wird. Auch schadet eine solche Maß137

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nahme in der Regel dem Klienten mehr als sie ntzt. Vorzuziehen ist daher oft eine Unterbrechung der Verhandlung, die zu einem Gesprch, evtl. unter Vermittlung eines Beisitzers – oder des Staatsanwalts – genutzt werden kann. So kann berraschend oft die Atmosphre entspannt und die Verhandlung – ggfs. auch nach kurzen Erklrungen der Beteiligten – in einem besseren Klima fortgesetzt werden. Kommt der Verteidiger in die Lage, gegen Richter oder Staatsanwalt auf schriftlichem Wege persnlich vorgehen zu mssen, so ist er zu gewissenhafter selbstverantwortlicher Prfung besonders verpflichtet. Auf die Angaben des Mandanten oder Dritter darf er sich nicht verlassen. Das Gesuch ist in korrekter Form vorzubringen. Sonst kann sich der Verteidiger berufsrechtlicher Ahndung und unter Umstnden strafrechtlicher Verfolgung aussetzen, z. B. wegen versuchter Ntigung oder Beleidigung. Alle Umstnde sind sorgfltig abzuwgen. Leichtfertige Angaben sind ebenso zu vermeiden wie bewußt mißbruchlicher Einsatz einer formal zulssigen Maßnahme. Diese Grundstze sind fr alle im nchsten Abschnitt behandelten Gegenmittel des Verteidigers zu beherzigen. aa) Ablehnung von Richtern Dahs/Dahs, Die Revision im Strafprozeß, Rn. 161 ff.; Geiter, Richterablehnung wegen Vorbefassung, Recht und Psychiatrie 1991, 14; Hamm, Der gesetzliche Richter und die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, Diss. 1973; Hassemer, Rechtsprechungsbersicht, Befangenheit wegen Absprachen im Strafprozeß, JuS 1991, 781; Krehl, Zur Rechtzeitigkeit eines nicht sofort angebrachten Ablehnungsgesuches ..., NStZ 1992, 598; Krekeler, Der befangene Richter, NJW 1981, 1633; Krpil, Zur Entstehung und Bedeutung des § 26a Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 StPO, AnwBl. 1997, 575; Michel, Befangenheit in der Strafgerichtsbarkeit, MDR 1993, 1146; Rabe, Zur Zulssigkeit eines Ablehnungsgesuches gem. § 26a I Nr. 2 StPO, NStZ 1996, 369.

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Die Ablehnung von Richtern einschließlich der Laienrichter (und gelegentlich auch von Staatsanwlten) spielt in der Praxis eine große Rolle. Der Erfolg eines Ablehnungsgesuchs entscheidet oft den Ausgang des Verfahrens und bestimmt dadurch maßgeblich das Schicksal des Mandanten. Die durch Ablehnung erreichte anderweitige Besetzung des Gerichts fhrt hufig zu gnstigerer Beurteilung der Sach- und Rechtslage. Auch muß der Verteidiger stets im Auge behalten, daß der Anspruch auf ein faires Verfahren unter Umstnden die Ablehnung gebietet. Um seiner Aufgabe gerecht werden zu knnen, muß der Verteidiger die einschlgige reichhaltige Rechtsprechung und die nicht weniger umfangreiche Literatur ber die Richterablehnung (auch in Zivilsachen) kennen, auf die wegen aller Einzelheiten verwiesen wird. Wichtig ist eine praktische Erfahrung: Das Gegenmittel der Ablehnung darf nicht ber Gebhr strapaziert wer138

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den108. Stndige Ablehnungsgesuche sprechen sich herum: Sie machen mißtrauisch und werden als bloßes Mittel der „Konfliktverteidigung“ nicht mehr ernst genommen. Dabei ist nicht zuletzt eine gewisse Empfindlichkeit der Richter ins Kalkl zu setzen. Nicht nur die unmittelbar Betroffenen sehen erfahrungsgemß die Ablehnung als einen „Affront gegen den Berufsstand“ an109. Verteidiger spren hufig, wie distanziert man ihnen nach einem Ablehnungsantrag gegenbertritt, vor allem, wenn er erfolgreich gewesen ist. Dies wirkt sich auch auf den Mandanten aus. Bewußt oder unbewußt wird er hrter angefaßt, falls sein Verteidiger oder er selbst es unternommen hat, mit einem Ablehnungsgesuch die Objektivitt eines Organs der Rechtspflege zu bezweifeln. Nicht zuletzt der bermßige Gebrauch des Ablehnungsrechts hat zu der Diskussion ber gesetzgeberische Maßnahmen gegen „Mißbrauchsverteidiger“ gefhrt110. Die Ablehnung kann aber auch eine entgegengesetzte Wirkung haben. Die Zurckweisung eines Ablehnungsantrages kann den Bestand des Urteils in der Revisionsinstanz erheblich gefhrden. Man hat nun manchmal den Eindruck, daß das Gericht aus diesem Grund zu einem „entgegenkommenden“ Urteil (etwa durch Strafaussetzung zur Bewhrung) kommt, um der berprfung der Befangenheitsrge zu entgehen (Rn. 206). Dabei ist bedeutsam, daß fr den Verteidiger zur Durchsetzung der Ablehnung auch die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts wegen des Grundrechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 102 I 2) in Betracht kommen kann111. Die Erfahrung lehrt im brigen: Bei Ablehnungsverfahren kann der Verteidiger mit seinen Berufspflichten in Konflikt geraten. Einerseits hat er alle Umstnde vorzutragen, die fr die Besorgnis der Befangenheit sprechen, und muß deshalb notwendigerweise den Richter oder den Staatsanwalt persnlich angreifen. Andererseits hat er sich jeder ußerung zu enthalten, die den Betroffenen verunglimpft. Ablehnungsgesuche allein zu diesem Zwecke knnen als unzulssig verworfen werden (§ 26a Abs. 1 Nr. 3112) und halten nicht einmal den Fortgang der Hauptverhandlung auf (§ 29 Abs. 2). Der Sachvortrag des Verteidigers muß in jedem Falle maßvoll sein (Rn. 187). Die Richterablehnung umfaßt zwei Flle, den Ausschluß kraft Gesetzes, der ebenfalls durch Ablehnung geltend gemacht werden kann (§ 24 108 Vgl. dazu BRAK-Schriftenreihe, Bd. 8, Thesen Nr. 35 und 42. 109 Deubner, NJW 1967, 2371. 110 Zum Begriff des Rechtsmißbrauchs durch Verteidiger BGHSt. 38, 111, 113; OLG Hamburg, NStZ 1998, 586 m. Anm. Kudlich; Hassemer, FS Meyer-Goßner (2001), S. 127 ff.; ferner Dahs, FS Odersky (1996), S. 317 ff. 111 BVerfGE 21, 148 f. 112 KG, JR 1966, 229.

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Abs. 1), und die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit. Der Richterausschluß bietet im allgemeinen keine Schwierigkeiten, wenn der Richter wegen einer besonderen Beziehung zum Gegenstand des Verfahrens nicht mitwirken darf (§ 22). Problematisch hingegen knnen die Flle sein, in denen der Richter ausgeschlossen ist, weil er an frheren Entscheidungen in derselben Sache beteiligt war (§ 23 Abs. 1). Dies ist nur der Richter der Vorinstanz, nicht jedoch der Rechtsmittelrichter bei der neuen erstinstanzlichen Entscheidung. Ausgeschlossen ist auch der Richter, der an einer frheren Entscheidung beteiligt war, die im Wiederaufnahmeverfahren angegriffen wird (§ 23 Abs. 2). Dies gilt fr die Richter aller Sachentscheidungen im frheren Verfahren, gleichgltig in welcher Instanz sie ttig waren113, gleichgltig auch, in welchem Abschnitt des Wiederaufnahmeverfahrens sie wieder ttig werden sollen114. Dagegen ist der Richter nicht ausgeschlossen, wenn er als Zeuge sich nur zu dienstlichen Vorgngen in dem anhngigen Verfahren geußert hat115. 200

Weiter ist die Richterablehnung zulssig, wenn der Richter zwar nicht kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, wenn aber seine Befangenheit befrchtet werden muß. Obschon das Gesetz in § 24 Abs. 2 genau zu umschreiben sucht, wann Besorgnis der Befangenheit anzunehmen ist, gibt es hierber eine umfangreiche Rechtsprechung, auf die verwiesen werden muß116. Es kommt immer auf den Einzelfall an; auch spielen die Zeitumstnde eine nicht unwesentliche Rolle. Nach dem Gesetzeswortlaut ist Befangenheit des Richters zu befrchten, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Maßgebend ist der Standpunkt des Ablehnenden (subjektives Element). Fr ihn mssen vernnftige Grnde vorliegen, an der Unbefangenheit des Richters zu zweifeln (objektives Element). Ob sich der Richter selbst fr befangen hlt, ist hingegen unerheblich. Ohne Bedeutung ist auch, ob der Richter in Wahrheit befangen ist. Es reicht aus, wenn objektiver Anlaß zu der Befrchtung besteht. Der Verteidiger, der ein Ablehnungsgesuch in Betracht zieht, muß also vom Standpunkt seines Auftraggebers aus prfen, ob sachliche Grnde fr die Besorgnis der Befangenheit sprechen. Zur Vorbereitung dieser Prfung kann die rechtzeitige Namhaftmachung der Richter erforderlich sein. Darauf hat der Angeklagte einen Anspruch (§ 24 Abs. 3 S. 2 – Rn. 460, vgl. auch Rn. 191). In aller Regel ergeben sich die Namen der mitwirkenden Richter einschließlich der Laienrichter in Ver113 Zu Ausnahmen vgl. Meyer-Goßner, § 23 Rn. 6; enger Dahs sen., NJW 1965, 85. 114 OLG Saarbrcken, NJW 1966, 167; OLG Bremen, NJW 1966, 605. 115 BGH, NStZ 1998, 524 m. Anm. Bottke. 116 Vgl. die bei Meyer-Goßner, § 24 Rn. 9 ff. und 15 ff. angefhrten Beispiele.

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fahren vor dem Landgericht (und Oberlandesgericht) aus der Besetzungsmitteilung nach § 222a, sonst aus dem Terminzettel am Sitzungssaal. Die Rechtsprechung zur Befangenheit ist vielgestaltig. Ausreichend sind Freundschaft oder Feindschaft des Richters zum Beschuldigten oder Verletzten, entferntere Verwandtschaft, die den Richter nicht schon kraft Gesetzes ausschließt, richterliche ußerungen gegenber der Presse des Inhalts, die Anklage enthalte schon feststehende Tatsachen117, Zureden des Richters, die Ehefrau des Angeklagten, die ihn belastet, mge die Aussage nicht verweigern118, die Bemerkung eines Beisitzers im vorangegangenen Haftprfungstermin, aufgrund der Strafliste stehe fest, daß der Angeklagte der Typ des Gewohnheitsverbrechers sei, die bewußte Nichtgewhrung rechtlichen Gehrs (Art. 103 I GG), die Warnung an den nichtgestndigen Angeklagten, fehlende Einsicht in das Unrecht der Tat knne strafschrfend bercksichtigt werden119, die richterliche ußerung in sicherer Form, der Angeklagte sei schuldig120 oder der im Gesprch ber eine Verstndigung erweckte Eindruck, sich vorbehaltlos und endgltig festgelegt zu haben121. Der Verteidiger sollte immer wieder dafr eintreten, daß auch die Unsitte des Niederschreibens der vollstndigen Urteilsformel vor Abschluß des „letzten Wortes“122 und die Ausarbeitung eines Manuskripts der mndlichen Urteilsbegrndung vor den Schlußvortrgen als Befangenheitsgrnde anerkannt werden. Gelegentlich erreicht man es, daß Instanzgerichte in diesem Sinne entscheiden. Bloße gute Bekanntschaft oder Nachbarschaft soll die Ablehnung nicht rechtfertigen123, eine bedenkliche Auffassung, die allein auf die Richtertugend der Objektivitt abstellt und den Grundsatz des fairen Verfahrens vernachlssigt124. Auch unsachliche ußerungen berechtigen zur Ablehnung, so wenn den Richter die Ruhe verlßt und er mit starken oder abflligen Worten die Person oder das Verhalten des Mandanten kritisiert125. Sogar Mienenspiel und Gestik eines Richters knnen mangelnde Objektivitt ausdrcken 117 BGHSt. 4, 264. 118 BGHSt. 1, 34. 119 BGH, StV 2002, 115 (wenn es sich nicht um einen abstrakten Hinweis auf die Rechtslage handelt). 120 BGH, GA 1962, 282. 121 BGH, StV 2000, 289. 122 Vgl. dazu BGHSt. 11, 74, wo ein Verstoß gegen § 261 StPO zwar verneint, aber eingerumt wird, daß diese Praxis „den Eindruck erwecken kann, der Richter habe sich bereits endgltig entschieden“. 123 LG Bonn, NJW 1966, 160. 124 Rasehorn, NJW 1966, 666. 125 OLG Hamm, NJW 1967, 1577 m. zust. Anm. Deubner, NJW 1967, 2371; BGHSt. 24, 336; zu Unmutsußerungen vgl. BGH, NStZ 2000, 325.

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und die Ablehnung rechtfertigen126. Bei Laienrichtern ist die Kenntnis der Anklageschrift, insbesondere des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen vor deren Verlesung ein Ablehnungsgrund127 (Rn. 513). In der Hauptverhandlung kann der Verteidiger danach fragen. Auf diese Weise ist auch festzustellen, ob sich Laienrichter durch sensationelle Berichterstattung ber den Prozeßstoff ein „Vor-Urteil“ gebildet haben (Rn. 96), wobei allerdings die bloße Kenntnis von Presseverffentlichungen nicht ausreichen soll128; die Grenze wird hier aber oftmals schwer zu ziehen sein. berhaupt mssen unvorsichtige ußerungen von Laienrichtern gegenber Dritten den Verteidiger auf den Plan rufen. Hier finden sich oft Ablehnungsgrnde, wenn auch die Gerichtspraxis nicht leicht darauf eingeht129. 202

Ob persnliche Differenzen des Richters mit dem Verteidiger des Angeklagten die Ablehnung rechtfertigen, ist umstritten. Der Verteidiger hat kein eigenes Ablehnungsrecht. Daher sollen Zerwrfnisse des Verteidigers mit dem Richter, die schon vor der zu verhandelnden Sache entstanden sind, in aller Regel als Ablehnungsgrund ausscheiden130. Man befrchtet, dieser Richter werde immer dann ausgeschaltet, wenn dieser Verteidiger auftritt. Diese Rechtsprechung ist zu eng. Sie bercksichtigt nicht, daß schwere, langandauernde persnliche Feindschaft zwischen Richter und Rechtsanwalt sich sehr wohl auf die Einstellung zum Angeklagten auswirken kann131. Jedenfalls rechtfertigt aber ein schwerwiegender persnlicher Streit des Verteidigers mit dem Richter dann die Ablehnung, wenn er in der betreffenden Sache aufgetreten ist132. Auch drastisch-herabsetzende Bewertungen von Fragen des Verteidigers in einem Gerichtsbeschluß knnen die Ablehnung rechtfertigen133. Ebenso grob stilwidrige, mißachtende Gesten whrend der Ausfhrungen des Verteidigers knnen die Ablehnung rechtfertigen. Auch aus der Entscheidung ber ein Ablehnungsgesuch oder der vorangegangenen dienstlichen ußerung zum Ab-

126 127 128 129 130

OVG Lneburg, AnwBl. 1974, 132. Nr. 126 Abs. 3 RiStBV; BGH, NStZ 1994, 14. BGHSt. 22, 289, 294 f. BGH, NJW 1966, 2331 m. Anm. Hanack, JR 1967, 229. BGH, StV 1993, 339; BGH, StV 1995, 396; OLG Hamm, StraFo 2002, 355; OLG Hamm, NStZ-RR 2005, 15; OLG Braunschweig, StraFo 1997, 76. 131 Bejahend OLG Braunschweig, StraFo 1997, 76; OLG Dsseldorf, wistra 1991, 78; wohl auch OLG Hamm, NStZ-RR 2005, 15, 16. 132 BGH, NJW 1953, 1425; BGH, NStZ 1987, 19; BGH, StV 1995, 396: Kontroverse zwischen Richter und Verteidiger kann Besorgnis der Befangenheit begrnden, wenn sie durch Verfahrensrechte des Angeklagten verletztende Handlungen ausgelst wird, oder: BGH, StV 1993, 339: vllig unangemessenes Reagieren auf Verhalten des Verteidigers. 133 BGH, StV 2005, 72.

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lehnungsgesuch kann sich ein neuer Ablehnungsgrund ergeben, was aber sorgfltig geprft werden muß. Indessen kann aus dem eigenen Verhalten des Verteidigers und des Angeklagten grundstzlich kein Ablehnungsgrund hergeleitet werden. Jedoch fhren fortlaufende Unmutsußerungen des Richters auch in diesem Falle zur Ablehnung134. Der Verteidiger kann sich deshalb nichts davon versprechen, einen Streit mit dem Richter vom Zaun zu brechen und knstlich einen Eklat herbeizufhren. Wrde dies die Ablehnung rechtfertigen, wre ihr Erfolg mehr oder weniger dem Verteidiger in die Hand gegeben. Das wird nicht zugelassen135. berhaupt darf das Ablehnungsrecht nicht als „jederzeit nutzbares Zuchtmittel“ der Verteidigung gegenber dem Richter angesehen und eingesetzt werden. Der Verteidiger muß vielmehr eine von ihm in Erwgung gezogene Richterablehnung immer besonders kritisch prfen und bei der Begrndung des Gesuches die Sachlichkeit wahren (§ 43 BRAO), was deutliche Worte nicht ausschließt136. Kein Ablehnungsgrund ist es nach der Rechtsprechung, wenn der Richter sich ohne Zusammenhang mit dem Verfahrensgegenstand politisch oder konfessionell bettigt, wenn gegen ihn eine Strafanzeige wegen Rechtsbeugung erstattet137 oder ein Disziplinarverfahren eingeleitet ist, wenn er in sachlicher Form seine Rechtsansicht whrend des Verfahrens ußert oder ndert138, wenn er zur Rcknahme eines Rechtsmittels rt. Die Ablehnung verspricht auch dann keinen Erfolg, wenn der Vorsitzende dem Angeklagten die Verdachtsgrnde vorhlt, weil er hierzu nach §§ 243 Abs. 4, 136 Abs. 2 verpflichtet ist139. Jedenfalls reichen die Grnde allein zur Ablehnung nicht aus, wenn nicht Entgleisungen in der Form hinzutreten. Fehlerhafte Verfahrensentscheidungen allein vermgen ebenfalls die Ablehnung nicht zu rechtfertigen140, falls sie nicht rechtlich unbegrndbar und willkrlich sind141. Sehr zweifelhaft ist der Erfolg der Ablehnung des Richters, der vor der Hauptverhandlung an vorangegangenen Entscheidungen im Erffnungsverfahren, im Haft- und Beschlagnahmeverfahren mitgewirkt oder der ein-

134 135 136 137 138 139 140 141

OLG Celle, MDR 1967, 310. BGH, NJW 1952, 1425; Meyer-Goßner, § 24 Rn. 7 m. Beispielen. KG, NStZ-RR 1998, 12. BVerfG, NJW 1996, 2022. BGH, NJW 1962, 748. OLG Kln, MDR 1956, 694 fr den Untersuchungsrichter alten Rechts. BGH, NStZ 1994, 447. BGH, NJW 1984, 1907; BGH, NJW 1990, 1373.

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zelne Beweise gemß § 202 erhoben hat. Im allgemeinen wird hier die Ablehnung wegen Befangenheit nicht durchgreifen, solange das geltende Recht die Identitt dieser Richter mit den erkennenden Richtern bewußt in Kauf nimmt, obwohl gerade hier fast stets der Eindruck entsteht, der Richter sei befangen: so auch, wenn der Vorsitzende im Rahmen des § 221 eine rege Ermittlungsttigkeit entfaltet hat142. Mindestens kann die Ablehnung dann versucht werden, wenn der Richter sich in den vorangegangenen Verfahren auf eine Wertung oder juristische Ansicht festgelegt hat. Das kann etwa zutreffen, wenn der Richter im Zwischenverfahren durch Verhngung oder Aufrechterhaltung von Haft oder durch vorlufige Entziehung der Fahrerlaubnis schwerwiegende Entscheidungen getroffen und sich damit nicht nur auf den dringenden Tatverdacht, sondern auch auf eine „zu erwartende hohe Freiheitsstrafe“ gegen den Angeklagten festgelegt hat143. Auch die Mitwirkung eines Richters in anderen Verfahren, die denselben Sachverhalt betreffen (sog. „Parallelverfahren“), kann den Verteidiger zur Ablehnung veranlassen. Freilich verneint die Praxis in den genannten Prozeßsituationen berwiegend die Befangenheit. Dies gilt nicht, wenn die Zwischenentscheidung rechtlich vllig unhaltbar144 oder das richterliche Vorgehen willkrlich ist145. Der Verteidiger sollte das nicht in jedem Falle hinnehmen146 und jedenfalls in krassen Fllen, die oft genug vorkommen, den Versuch unternehmen, die Rechtsprechung zu beeinflussen. Dies gelingt gelegentlich bei Fallkonstellationen, in denen es um Aussagedelikte und versuchte Strafvereitelung geht, wenn derselbe Richter schon das Ausgangsverfahren gefhrt und den jetzt angeklagten (Entlastungs-)Zeugen im Urteil fr unglaubwrdig und seine Angaben fr falsch erklrt hat. Besondere Aufmerksamkeit muß der Verteidiger der Frage widmen, ob nach Zurckverweisung durch das Revisionsgericht ein Tatrichter allein wegen seiner Mitwirkung an der frheren Entscheidung abgelehnt werden kann. Das Revisionsgericht hat zwar an eine andere Abteilung oder Kammer zurckzuverweisen (§ 354 Abs. 2), es ist aber nicht auszuschließen, daß ein Berufs- oder Laienrichter nunmehr dieser Abteilung oder dieser Kammer angehrt, etwa bei nderung der Geschftsverteilung. In diesem Falle hat die Rechtsprechung die Befangenheit fr den Berufsrichter verneint147. Fr den Laienrichter ist die Frage offengelassen148. Diese Ansicht 142 143 144 145 146 147

A. A. BGH, MDR 1966, 529. Vgl. BGH, StV 2000, 289. OLG Koblenz, GA 1977, 314. BayObLG, DRiZ 1977, 244. Dahs sen., NJW 1966, 1691, 1697. NJW 1967, 62; BGH, GA 1968, 372; ebenso OLG Celle, NJW 1966, 168; OLG Hamm, NJW 1966, 2073; aber BGHSt. 24, 336; Meyer-Goßner, § 354 Rn. 39. 148 BGH, NJW 1967, 2217.

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begegnet erheblichen Bedenken149. Sie berfordert den Tatrichter, besonders den ehrenamtlichen Richter, der „sein“ Urteil aufgehoben sieht und jede Kenntnis ber das frhere Verfahren aus seinem Bewußtsein verdrngen soll. Diese Auffassung lßt aber vor allem die Situation des Angeklagten außer acht. Er steht vor demselben Richter, der ihn schon einmal verurteilt hat, und soll ihm gleichwohl vertrauen. Erfahrungsgut aller Verteidiger ist demgemß die hoffnungslose Verzweiflung aller Angeklagten, wenn sie sich demselben Richter wieder stellen sollen. Sie sehen die erfolgreiche Revision nun tatschlich als einen „Pyrrhussieg“ an. Dieses unberwindliche Mißtrauen gegen die Vorurteilslosigkeit des Richters beseelt die Angeklagten aller Gattungen und Stnde. Es ist in der Tat nicht zu bestreiten, daß aus der auch sonst maßgeblichen subjektiven Sicht des Angeklagten der Tatrichter nicht mehr unvoreingenommen erscheint. Aufgabe des Verteidigers ist es, in geeigneten Fllen die Gerichte immer wieder zur Prfung dieser Meinung zu zwingen. So wurden Ablehnungsgesuche gegen die frheren Tatrichter fr begrndet erachtet nach Aufhebung des Urteils wegen abtrglicher Werturteile ber den Angeklagten in den Urteilsgrnden, die sich mglicherweise nachteilig auf die Strafzumessung ausgewirkt htten150. Haben die Schffen die Anklageschrift erhalten und vor Verlesung in der Hauptverhandlung zur Kenntnis genommen, so ist ein Befangenheitsgesuch am Platze151: dagegen wird in Umfangstrafsachen die berlassung des verlesenen Anklagesatzes nicht beanstandet werden knnen152. Ablehnungsgesuche, die mit dem Verhalten von Richtern im Zusammenhang mit einer Verfahrensabsprache (Rn. 496) – zumal einer gescheiterten – begrndet werden, sind ein heikles Kapitel. Ist der Verteidiger von solchen Gesprchen, etwa zwischen Richter und Staatsanwalt, ausgeschlossen worden, drfte die Besorgnis der Befangenheit begrndet sein153. Anders ist es bei ußerungen zur Schuld- und Straffrage, auch wenn der Angeklagte die Tat bestreitet. Hat der Verteidiger – im Einvernehmen mit seinem Klienten154 – das Gesprch initiiert oder sich darauf eingelassen, wird das offene Wort eines Richters, das ausgesprochen oder unausgespro149 Hanack, NJW 1967, 580. 150 BGHSt. 24, 336, 338 m. Anm. Arzt, JR 1973, 33. 151 Vgl. dazu schon BGH bei Dallinger, MDR 1957, 268; BGH, MDR 1973, 19; Nr. 126 Abs. 3 S. 1 RiStBV; zu den Einschrnkungen vgl. Meyer-Goßner, § 31 Rn. 2. 152 So auch Nr. 126 Abs. 3 S. 2 RiStBV; weitergehend Schreiber, FS Welzel (1974), S. 941. 153 Vgl. hierzu BGH, StV 1991, 194 (LS. in StV 1991, 241 m. Anm. Weider); MeyerGoßner, § 26 Rn. 8 m. Nachw. 154 Dazu BRAK-Schriftenreihe, Bd. 8, These Nr. 40.

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chen unter dem Vorbehalt des weiteren Verfahrensganges und der Schlußberatung steht, nicht Gegenstand eines Ablehnungsgesuchs sein knnen155. Nur in Extremfllen, in denen etwa ein Richter vllig „aus der Rolle fllt“, drfte eine andere Entscheidung in Betracht kommen156. In jedem Fall muß der Verteidiger aber die Interessen des Klienten besonders bedenken, dem es letzten Endes nur um ein mglichst gnstiges Verfahrensergebnis geht. Es muß ihm auch klar sein, daß ein auf den Inhalt vertraulicher Gesprche mit Richtern und Staatsanwalt gesttztes Ablehnungsgesuch ihn in den Augen der Strafjustiz fr immer disqualifizieren kann. Ein solcher Vorgang wird sich sehr schnell und weit „herumsprechen“. Deshalb wird er sich auch berlegen, ob er etwa wegen eines einzelnen verbalen Mißgriffs in den Errterungen ber eine Verfahrensabsprache ein Ablehnungsgesuch fr den Fall ihres Scheiterns in Aussicht stellt, was zudem als Versuch der Ntigung empfunden werden knnte. 205

Da sich der Verteidiger meist schnell entscheiden muß, ist es seine Pflicht, das Ablehnungsverfahren einschließlich der Zustndigkeit (§§ 26 ff.) zu beherrschen. Sonst riskiert er, daß der Antrag als unzulssig verworfen wird (§ 26a). Auf jeden Fall empfiehlt es sich, den Antrag auch in der Hauptverhandlung schriftlich einzureichen. Der Ablehnungsgrund ist glaubhaft zu machen, was nicht durch Eid geschehen kann, wohl aber durch Bezugnahme auf das Zeugnis des abgelehnten Richters oder – wenn dienstliche Erklrungen fehlen – durch anwaltliche Versicherung der Richtigkeit des Sachvortrags157. Dazu muß der Verteidiger wissen: Die Glaubhaftmachung soll das Gericht in die Lage versetzen, ohne weitere Ermittlungen zu entscheiden. Der Sachverhalt ist so vorzutragen, daß er dem Gericht wahrscheinlich erscheint158. Auf die Gewhrung einer Frist fr die Begrndung des Ablehnungsgesuchs besteht kein Anspruch159, ebensowenig fr eine ergnzende Glaubhaftmachung. Besonders wichtig ist der Zeitpunkt der Ablehnung (§ 25). Der Verteidiger tut gut daran, das Ablehnungsgesuch sofort vorzubringen. Sonst wird der Vorwurf der Verzgerung erhoben. ußerste Grenze ist die Beendigung des letzten Wortes (§ 25 Abs. 2 S. 2). Bis zum Beginn der Sachvernehmung, in der Revisionsverhandlung bis zum Beginn der Revisionsausfhrungen, ist die Ablehnung unbeschrnkt zulssig. Danach kann sie nur erfolgreich sein, wenn die zur Ablehnung berechtigenden Umstnde erst 155 BGH, StV 1988, 417; vgl. i. e. Meyer-Goßner, § 24 Rn. 18; BRAK-Schriftenreihe, Bd. 8, These Nr. 42. 156 Meyer-Goßner, § 24 Rn. 15 ff. 157 BGH, StV 2005, 72, 73; BGHR, StPO, § 338 Nr. 3 Revisibilitt 1. 158 BGH, NJW 1968, 710; BGH, NStZ 1991, 144; BGHSt. 21, 334, 350. 159 OLG Mnchen, NJW 1976, 436.

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spter eingetreten oder erst spter bekanntgeworden sind und unverzglich vorgebracht werden (§ 25 Abs. 2), d. h. ohne eine durch die Sachlage nicht begrndete Verzgerung160, wobei allerdings dem Antragsteller eine ausreichende Zeit zur berlegung und Beratung mit seinem Verteidiger eingerumt wird161. Hier heißt es fr den Verteidiger schnell zu schalten, damit der Ablehnungsgrund nicht verlorengeht. So muß er auf unsachliche und herabsetzende richterliche ußerungen whrend der Vernehmung des Mandanten sofort reagieren (Rn. 545). Bei mehrtgigen Hauptverhandlungen ist es stets geboten, das Ablehnungsgesuch vor Fortsetzung der Verhandlung einzureichen162. Wird der Zeitpunkt verpaßt, so darf der Verteidiger nicht aufstecken. Selbst ein versptetes Ablehnungsgesuch kann den betroffenen Richter zur Selbstablehnung bringen (§ 30). Auch zuvor nicht (rechtzeitig) gergte ußerungen eines Richters knnen einem spteren Ablehnungsgesuch grßeres Gewicht verleihen163. In der Praxis hat sich die Fortsetzung der Hauptverhandlung trotz eines Ablehnungsgesuches – oft ber lngere Zeit – eingebrgert (§ 29 Abs. 2). Der Verteidiger wird schon besonders gute Grnde vorbringen mssen, um dies zu verhindern, z. B. daß die Grnde der Ablehnung gerade die anstehende Beweiserhebung beeintrchtigen oder daß ohnehin eine Unterbrechung bevorsteht (Mittagspause!). Das Gericht entscheidet zunchst ber die Zulssigkeit der Ablehnung; bei dieser Entscheidung ist der abgelehnte Richter nicht ausgeschlossen, sondern wirkt daran mit (§ 27 Abs. 2). Ein typischer Fall der Unzulssigkeit ist die pauschale Ablehnung eines Kollegialgerichts. Die Ablehnung kann sich immer nur auf einen bestimmten Richter beziehen und muß aus seiner Person heraus begrndet sein. Es ist aber natrlich nicht ausgeschlossen, daß in Bezug auf jedes einzelne Mitglied des Gerichts ein Ablehnungsgrund dargetan werden kann. Dann kann jeder einzelne – damit im Ergebnis das ganze Gericht – abgelehnt werden164. Wird die Ablehnung nicht als unzulssig verworfen, so entscheidet ber ihre Begrndetheit das Gericht ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters (§ 27 Abs. 1). Die Einzelheiten der Zustndigkeit und des Verfahrens sind dem Gesetz zu entnehmen. Der Beschluß, der die Ablehnung fr begrndet erklrt, ist unanfechtbar. Wird sie als unzulssig verworfen oder als unbegrndet zurckgewiesen, 160 161 162 163 164

BGH, NStZ 1982, 291, 292; BGHSt. 21, 334, 339. BGH, NStZ 1992, 290 m. Anm. Krehl 598. BGH, NStZ 1993, 141; BGHSt. 21, 334. BGH, wistra 2004, 351. Meyer-Goßner, § 24 Rn. 3; BVerfGE 46, 200.

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so ist hiergegen sofortige Beschwerde gegeben. Betrifft die Entscheidung allerdings einen erkennenden Richter, so ist sie nur zusammen mit dem Urteil anfechtbar (§ 28 Abs. 2 S. 2). bb) Ablehnung des Staatsanwalts Bttcher, Rechtsschutz gegen befangene Ermittler, FS Roxin (2001), S. 1334; BRAK-Schriftenreihe, Bd. 13, Thesen 67 f.; Frisch, Ausschluß und Ablehnung des Staatsanwalts, FS Bruns (1978), S. 385; Hger, Zu den Folgen staatsanwaltlicher in der Hauptverhandlung begangener Verfahrensfehler, GS K.-H. Meyer (1990), S. 171, 179 ff.; Hilgendorf, Verfahrensfragen bei der Ablehnung eines befangenen Staatsanwalts, StV 1996, 50; Joos, Ablehnung des Staatsanwalts wegen Befangenheit?, NJW 1981, 100 ff.; Mller-Gabriel, Neue Rechtsprechung des BGH zum Ausschluß des „Zeugen-Staatsanwalts“, StV 1991, 235; Pawlik, Der disqualifizierte Staatsanwalt, NStZ 1995, 309; Pfeiffer, Zur Ausschließung und Ablehnung des Staatsanwalts im geltenden Recht, FS Rebmann (1989), S. 359; Reinhardt, Der Ausschluß und die Ablehnung des befangen erscheinenden Staatsanwalts, 1997; G. Schfer, Die Praxis des Strafverfahrens, 6. Aufl., 2000, Rn. 107 ff.; Schneider, Gedanken zur Problematik des infolge einer Zeugenvernehmung „befangenen“ Staatsanwalts, NStZ 1994, 457; Tolksdorf, Mitwirkungsverbot fr den befangenen Staatsanwalt, 1989; Wendisch, Zur Ausschließung und Ablehnung des Staatsanwalts, FS K. Schfer (1979), S. 243.

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Die Ablehnung eines Staatsanwalts ist im Gesetz nicht geregelt, weil die staatsanwaltlichen Sachbearbeiter im Gegensatz zum Richter jederzeit ausgetauscht werden knnen. Die Ablehnung in entsprechender Anwendung der §§ 22 ff. wird als nicht zulssig angesehen165. Gleichwohl gehrt es zu den Amtspflichten eines Staatsanwalts, in den Verfahren nicht ttig zu werden, die ihn oder seine Angehrigen im Sinne des § 22 Abs. 1 bis 3 und 5 betreffen. Der Verteidiger ist befugt und verpflichtet, hierauf hinzuweisen und die Abberufung des Staatsanwalts, notfalls im Wege der Dienstaufsichtsbeschwerde, zu betreiben, wenn dieser gleichwohl ttig wird. Ebenso ist es zulssig, wegen Besorgnis der Befangenheit die Abberufung des Staatsanwalts bei seinem Dienstvorgesetzten zu verlangen, falls ein vernnftiger Grund vorliegt166. Wann sachlicher Anlaß zu der Befrchtung besteht, der Sachbearbeiter der Staatsanwaltschaft sei voreingenommen, hngt auch hier von den Umstnden des Einzelfalles ab. hnlich wie bei der Richterablehnung drfte die Besorgnis zu bejahen sein bei Verwandtschaft, Freundschaft oder Feindschaft des Staatsanwalts zum Verletzten oder Beschuldigten. Hingegen werden ußerungen des Staatsanwalts ber seine Auffassung vom Verdacht oder dem Nachweis der 165 BVerfGE 25, 336, 345 (obiter dictum); Lwe/Rosenberg/Wendisch[25], Vorbem. 8 vor § 22; Meyer-Goßner, Vorbem. 3 vor § 22 m. N. 166 BGH, NStZ 1991, 595; BVerfGE 25, 336, 345.

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Verteidiger, Staatsanwalt und Richter

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strafbaren Handlung keinen Ablehnungsgrund geben, wie dies bei entsprechenden Erklrungen des Richters der Fall sein kann. Denn es ist Aufgabe des Staatsanwalts, strafbare Handlungen zu verfolgen und sich ber den Verdacht und ber die Beweislage schon vor der Verurteilung ein Bild zu machen. Ein besonderes Verfahren fr die Abberufung des Staatsanwalts ist nicht vorgeschrieben. Der Beschuldigte oder sein Verteidiger knnen sich jederzeit, auch nach Anklageerhebung und whrend der Hauptverhandlung, an den Dienstvorgesetzten wenden, um die Abberufung des amtierenden Staatsanwalts zu erreichen, whrend der Antrag nach §§ 23 ff. EGGVG fr unzulssig gehalten wird167. Auch von Amts wegen oder auf Anregung des betroffenen Staatsanwalts selbst kann es zu einer Ablsung kommen. Wird dem Verlangen nicht stattgegeben, so wird die Wirksamkeit der staatsanwaltschaftlichen Amtshandlungen allerdings dadurch nicht berhrt. Insbesondere gibt seine Mitwirkung keinen Grund zur Anfechtung gerichtlicher Entscheidungen. Nach den Erfahrungen der Praxis halten die Staatsanwaltschaften mit Zhigkeit an ihrem Sitzungsvertreter fest, vor allem wenn ein „Platzen“ der Hauptverhandlung droht168. Ein gut begrndeter Ablsungsantrag kann aber immerhin bewirken, daß der Staatsanwalt intern angehalten wird, sein Verhalten zu ndern. Anders ist die Situation bei der Vernehmung des Staatsanwalts als Zeuge (Rn. 664), was zwar nicht seinen Ausschluß aus der Hauptverhandlung, jedoch eine Einschrnkung seiner Aktionsfhigkeit zur Folge hat. Sie spielt insbesondere eine Rolle, wenn der Staatsanwalt ber Vorgnge und eigene ußerungen whrend des Vorverfahrens vernommen werden soll. Der Staatsanwalt, der selbst ermittelt hat, ist Verhrsbeamter und kann als solcher ber Vernehmungen von Beweispersonen und des Beschuldigten sowie andere Vorgnge (z. B. im Rahmen von Errterungen ber eine Verfahrensabsprache, in Aussicht gestellte Vorteile bei einem Gestndnis usw.) als Zeuge gehrt werden. Der Verteidiger darf freilich einen Staatsanwalt nicht allein zu dem Zwecke als Zeugen benennen, um ihn aus der Hauptverhandlung herauszubekommen oder seine Aktionsfhigkeit einzuschrnken. Es gibt aber Flle, in denen die Vernehmung des Staatsanwalts hnlich derjenigen des Verteidigers als Zeugen fr die Sachaufklrung unerlßlich ist. Dann muß der Verteidiger einen entsprechenden Beweisantrag stellen. Vernimmt das Gericht den Staatsanwalt, so ist er 167 OLG Hamm, NJW 1969, 808; vgl. auch eingehend Meyer-Goßner, Vor § 22 Rn. 3 und Pawlik, NStZ 1995, 309, 314 f. 168 Der Ablsungsantrag soll allerdings nicht zur Aussetzung der Hauptverhandlung fhren – OLG Zweibrcken, StV 2000, 516.

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Stellung zu den Beteiligten des Strafverfahrens

nach der Rechtsprechung nicht grundstzlich von der weiteren Amtsausbung ausgeschlossen169. Vom BGH wird die Auffassung vertreten, er knne die staatsanwaltliche Funktion trotzdem wahrnehmen, wenn sie sich von der Errterung und Wertung seiner Zeugenaussage trennen lasse170. Dagegen muß sich der Verteidiger in geeigneten Fllen wehren, z. B. wenn es um die Herbeifhrung eines seinen Mandanten belastenden „Gestndnisses“ des Mitangeklagten geht. Die Objektivitt des Staatsanwalts ist im allgemeinen nicht mehr gewhrleistet. Das ist erst recht der Fall, wenn die Glaubwrdigkeit des Staatsanwalts als Zeuge mit guten Grnden bezweifelt wird, sogar vom Gericht171. cc) Andere Maßnahmen 209

Liegen bei einem Fehlverhalten des Richters oder Staatsanwalts die Voraussetzungen der Ablehnung oder Abberufung nicht vor oder will der Verteidiger diesen Weg nicht gehen, stehen ihm noch andere Gegenmittel zur Verfgung. Strafanzeige gegen einen Richter oder Staatsanwalt ist ein schweres Geschtz. Der Verteidiger sollte fr seine eigene Person tunlichst davon absehen. Auch einem Mandanten ist hier Zurckhaltung zu empfehlen. Die Strafanzeige kann nur in besonderen Fllen als ultima ratio geboten sein, wenn schwere Pflichtverletzungen begangen sind, wozu auch Beleidigung des Verteidigers gehren kann. Es versteht sich von selbst, daß die Anzeige eine sorgfltige Prfung der ußeren und inneren Tatseite voraussetzt. Der Verteidiger muß dabei bedenken, daß er sich seinerseits strafbar machen kann (§§ 164, 185 ff. StGB). Der Vorwurf der Rechtsbeugung (§ 339 StGB), die schwerste Beschuldigung fr einen Richter, ist im Zweifel schon aus subjektiven Grnden nicht berechtigt (Rn. 188). In der Regel wird man berhaupt erwarten mssen, daß der Verteidiger seine Rehabilitierung oder Genugtuung auf anderem Wege sucht. Eine Aussprache oder die Vermittlung durch einen Dritten werden hufig zum Ziele fhren knnen. Auch wird in schwerwiegenden Fllen der Kammervorstand oder der rtliche Anwaltverein bereit sein, sich einzuschalten und gegebenen169 BGHSt. 14, 265; BGHR, StPO, § 24, Staatsanwalt 3, 5; auch BGHSt. 21, 85, 90 und BGH, NStZ 1983, 135. 170 BGH, NJW 1966, 2321 m. Anm. Hanack, JR 1967, 229; Ausnahmen: BGH, NStZ 1989, 583: Zeugenschaftliche Vernehmung des Staatsanwalts bezieht sich auf Wahrnehmungen, die nicht in unlsbarem Zusammenhang mit dem i. . zu errternden Sachverhalt stehen. BGH, StV 1994, 225: Staatsanwalt wurde in einer vorangegangenen Hauptverhandlung in gleicher Sache vor einer anderen Strafkammer als Zeuge vernommen. 171 BGH, Urt. v. 3. 2. 2005 – 5 StR 84/04 – (S. 8) – unv.

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falls auf dem Wege der Dienstaufsicht des Richters oder Staatsanwalts eine Beilegung versuchen. Der Verteidiger kann aber auch eine Dienstaufsichtsbeschwerde erheben. Sie ist ein schwcheres Mittel als die Strafanzeige und in ihrer Wirksamkeit zweifelhaft. Ihre Voraussetzungen und ihre Durchfhrung erfordern sorgfltige berlegungen (Rn. 1086). Dasselbe gilt von der Anrufung des Oberlandesgerichts nach §§ 23 ff. EGGVG, die als Rechtsbehelf nur gegen Justizverwaltungsakte in Betracht kommt (Rn. 1081).

VII. Verteidiger und Zeuge Bttcher, Der Schutz der Persnlichkeit des Zeugen im Strafverfahren, FS Kleinknecht (1985), S. 25; Dahs, Zum Persnlichkeitsschutz des „Verletzten“ als Zeuge im Strafprozeß, NJW 1984, 1921; Dahs, Der Zeuge – zu Tode geschtzt?, NJW 1998, 2332; Kempf, Wahrnehmungen des Rechts: Einflußnahme auf Zeugen, StraFo 2003, 79.

Unter dieser berschrift werden die Beziehungen des Verteidigers zum Zeugen im allgemeinen, ihre beiderseitigen Funktionen sowie die geschriebenen und ungeschriebenen Regeln ihres Zusammenwirkens behandelt. Die Vernehmung der Zeugen in der Hauptverhandlung wird in Kapitel C III in den Unterabschnitten 2e bb) und 2i besonders errtert (Rn. 537, 634). Ein anderes Kapitel ist auch die Beratung und Begleitung von Zeugen im Zusammenhang mit Vernehmungen vor Staatsanwaltschaft, Gericht und parlamentarischen Untersuchungsausschssen. Diese Fragen werden gesondert in Kapitel E II. und III. Rn. 1150 ff., 1158 ff. behandelt. 1. Behandlung des Zeugen Der Zeuge im Strafprozeß ist nicht zu beneiden! Schon in der Ladung wird er mit Sanktionen bedroht (§ 48). In der Hauptverhandlung wird er zur Wahrheit ermahnt, auch wenn es dieser Ermahnung gar nicht bedarf (§ 57 S. 1); zugleich wird ihm strafrechtliche Verfolgung fr den Fall einer Unrichtigkeit in seiner Aussage angekndigt (§ 57 S. 2)172. Nicht selten fallen alle Prozeßbeteiligten wie aufgrund einer geheimen Verabredung ber einen ungelenken Zeugen her, der sich nicht ausdrcken kann. Der Zeuge ist aber kein prozessuales „Freiwild“, sondern trgt durch die Erfllung seiner staatsbrgerlichen Pflicht zur Klrung des Sachverhalts und damit zur Rechtserkenntnis bei. Deshalb hat jeder Zeuge hat Anspruch 172 Dahs, NJW 1998, 2332.

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Stellung zu den Beteiligten des Strafverfahrens

auf menschenwrdige Behandlung. Die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbettigung darf durch keinen Prozeßbeteiligten beeintrchtigt werden. Seelische Qulereien, Krnkungen, Tuschungen und Versprechen von gesetzwidrigen Vorteilen greifen in diesen Schutzbereich ein und sind darum schon verfassungsrechtlich unzulssig, auch soweit eine ausdrckliche Regelung hierfr fehlt173. Unter diesem Schutz steht besonders die Intimsphre, soweit nicht die Zwecke des Strafverfahrens berwiegen. Fr den Verteidiger bedeuten diese Grundstze: Persnliche, durch die Sache nicht gebotene Angriffe auf einen Zeugen sind selbst dann in der Regel unstatthaft, wenn der Verteidiger meint, der Zeuge sage die Unwahrheit. Der Verteidiger darf und muß zwar eine Bekundung als falsch bezeichnen, wenn er sie fr falsch hlt174. Er ist aber nicht befugt, etwa den Zeugen wegen einer unrichtigen Erklrung „charakterlos“ oder „minderwertig“ zu nennen oder zu bemerken, der Zeuge leiste jeden Meineid. Das sagt sich freilich leichter, als es in der Praxis aussieht. Oft mssen Zeugen hart angefaßt werden, um sie zur Wahrheit zu bringen. Bei anderen Zeugen erreicht der Verteidiger damit nur das Gegenteil. Vielfach muß der Verteidiger nicht lediglich die Aussagen des Zeugen kritisieren, sondern auch seine Persnlichkeit wrdigen, sein Vorleben oder sein Interesse an der Sache errtern (Rn. 596). In allen Fllen gilt, daß die Kritik in der Form maßvoll bleiben muß175. Das muß auch dem Mandanten verdeutlicht werden; die berschreitung der Grenze angemessener Verteidigung gegenber einem Belastungszeugen kann sonst zu einer Strafschrfung fhren176. Darauf ist auch im Pldoyer zu achten. Allerdings darf der Verteidiger rhetorische Mittel einsetzen, um seine Ausfhrungen einprgsam und plastisch zu machen. Solche Mittel sind u. a. Ironie und Spott, die der Verteidiger auch bei der Errterung einer Zeugenaussage verwenden darf, sofern er damit den Zeugen nicht verunglimpft. Innerhalb dieser Grenzen sind ehrverletzende Angriffe auf Zeugen durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gedeckt (§ 193 StGB). Ausgenommen hiervon sind Formalbeleidigungen und Verleumdungen. 211

Einen besonderen Schutz des Zeugen vor Bloßstellung gewhrt § 68a. Darauf hat vor allem der Verteidiger zu achten. Weder darf er hinnehmen, daß andere Beteiligte einen Zeugen verunglimpfen, noch ist er selbst befugt, nach Tatsachen zu fragen, die dem Zeugen oder seinen Angehrigen 173 Meyer-Goßner, Vor § 48 Rn. 10 m. N. 174 BGH, NStZ 1995, 78. 175 BGH, StV 1985, 146, 147; inwieweit dabei Angriffe auf die Ehre des Zeugen gerechtfertigt sind, beurteilt sich nach § 193 StGB. 176 BGH, NStZ 2004, 616 m. N.

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Verteidiger und Zeuge

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zur Unehre gereichen. Geschtzt sind die sittliche Bewertung des Zeugen in seiner Umwelt, sein Ruf und seine private Sphre. Freilich muß der Schutz des Zeugen zurcktreten gegenber notwendiger Wahrheitserforschung. Deshalb sind bloßstellende Fragen zulssig, die zur Prfung der Glaubwrdigkeit eines Zeugen unerlßlich sind177. Praktisch knnen damit nur Fragen nach solchen Tatsachen zurckgewiesen werden, die das Gericht fr unerheblich und damit fr ungeeignet (§ 241 Abs. 2) hlt. Das schrnkt die Bedeutung der Schutzvorschrift des § 68a ein. Dabei ist auch nicht zu verkennen, daß schon die Fragestellung als solche und deren Formulierung den Zeugen treffen und verletzen kann. Der Verteidiger kommt in solchen Fllen leicht in Konflikte, besonders wenn er im Interesse des Auftraggebers nach Umstnden der Intimsphre fragen muß. Handelt es sich gar um eine Zeugin, so ist die Situation noch heikler, vor allem, wenn sie dem Mandanten nahesteht und er sie geschtzt wissen will. Hier kommt es zu unerwarteten Reaktionen. Vorwrfe gegen den Verteidiger sind keine Seltenheit. Darber hinaus knnen solche Fragen als ungeeignet zurckgewiesen werden178. Selbstverstndlich gilt dies auch fr die Fragen anderer Prozeßbeteiligter, die der Verteidiger ggfs. zu beanstanden hat. Fragen nach Vorstrafen sollen an einen Zeugen nur gestellt werden, um festzustellen, ob er unfhig ist, als Zeuge eidlich vernommen zu werden oder ob er an der Tat beteiligt oder der Begnstigung oder Hehlerei verdchtig ist (Flle des § 60 Nr. 1 und 2), oder um seine Glaubwrdigkeit zu beurteilen. Die Glaubwrdigkeit wird nicht durch jede Vorstrafe in Frage gestellt, wohl aber bei Betrug, Untreue, falscher Verdchtigung, Falschaussage und Meineid, nicht hingegen bei Krperverletzung. Die Rechtsprechung hat es zugelassen, bei Zweifeln an der Glaubwrdigkeit des Zeugen auch das gegen ihn gerichtete Strafurteil zu verlesen179. Allerdings drfen die Vorstrafen eines Zeugen dann nicht errtert werden, wenn der Vermerk im Strafregister getilgt ist (§ 50 Abs. 1 BZRG).

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Greift ein Zeuge den Verteidiger in beleidigender Form an, so verletzt er damit die Wrde des Gerichts und strt die Ordnung im Gerichtssaal180. Der Verteidiger sollte daher in solchen Fllen notfalls beantragen, einen Ordnungsstrafbeschluß gemß § 178 GVG zu erlassen.

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177 178 179 180

BGHSt. 13, 254. BGH, NStZ 1982, 170. BGHSt. 1, 341. OLG Hamm, NJW 1963, 1791.

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Stellung zu den Beteiligten des Strafverfahrens

2. Falschaussagen Beulke, Zum Versuchsbeginn bei der Strafvereitelung, NStZ 1982, 330; Bockelmann, Zum Problem der Meineidsbeihilfe durch Unterlassen, NJW 1954, 697; Brammsen, Kann das Benennen eines Zeugen und Schweigen zu dessen Falschaussage eine strafbare Teilnahme an dem Aussagedelikt des Zeugen sein?, StV 1994, 135; Reimers, Zur Verhinderung falscher Aussagen im Zivil- und Strafprozeß, DRiZ 1953, 141.

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Der Verteidiger kann Teilnehmer der falschen Aussage eines Zeugen durch eigenes Handeln sein, etwa indem er einen Zeugen im Wissen und in der Erwartung einer unrichtigen Bekundung benennt (dolus eventualis) oder einen falsch aussagenden Zeugen bewußt ermuntert. Diese Flle sind ebenso unproblematisch wie der Fall, daß der Verteidiger einen Zeugen zu beeinflussen sucht, falsch auszusagen. Die Frage, ob und wann der Verteidiger sich der Teilnahme schuldig macht, wenn er der erkanntermaßen unwahren Aussage eines Zeugen nicht entgegentritt (Teilnahme durch Unterlassen) wird dahin beantwortet, daß der Rechtsanwalt nicht verpflichtet ist, eine Falschaussage und einen Meineid zu verhindern, nur weil er an der Wahrheitsfindung mitzuwirken hat181. Im Strafprozeß gibt es ohnehin keine dem § 138 ZPO entsprechende Vorschrift (Rn. 53). Der Anwalt kme auch sonst in unzumutbare Schwierigkeiten und Interessenkonflikte. So mßte er ggfs. beantragen, den Zeugen nicht zu vereidigen und die Grnde aufdecken (Rn. 596), auch wenn er dem Mandanten Nachteile zufgt. Schwierig ist die Frage, ob der Verteidiger bei Gericht auf die (nur noch ausnahmsweise gebotene – § 59 Abs. 1 S. 1) Verteidigung hinwirken darf. M. E. ist das zulssig, wenn es im Interesse der Verteidigung des Klienten nach berzeugung des Verteidigers unerlßlich ist, um dem Gericht zu demonstrieren, daß der Zeuge trotz kritischer Hinweise auf den Wahrheitsgehalt seiner Aussage sogar zum Meineid bereit ist. Eine so zugespitzte Situation wird aber der Ausnahmefall sein. In aller Regel drfte es ausreichen, die Eidesbereitschaft des Zeugen durch entsprechende Frage festzustellen und dann die Falschaussage nachzuweisen. Im Zweifel hat die Schutzaufgabe das bergewicht; die Verantwortung fr seine Aussage muß der Zeuge selbst tragen.

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Mandanten verlangen hufig, ihr Anwalt mge Strafanzeige gegen einen Zeugen stellen, der Zeuge habe falsch ausgesagt. Meist handelt es sich dann um Aussagen von Belastungszeugen. Wie in allen Fllen der Strafanzeige ist es geboten, den ußeren und den inneren Tatbestand sorgfltig zu 181 BGHSt. 4, 327; fr andere Prozeßbeteiligte hat der BGH die Duldung einer falschen Aussage nicht als Beihilfe oder Strafschrfungsgrund angesehen, BGHSt. 17, 321; BGH, wistra 2004, 297; auch BGH, wistra 2004, 180.

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prfen. Der Verteidiger sollte auch die Anzeige tunlichst nicht selbst erstatten, sondern sie dem Mandanten berlassen, wobei er ihm behilflich sein kann (Rn. 16). Er sollte zur Anzeige raten, wenn der Zeuge tatschlich die Unwahrheit gesagt hat. Dadurch hlt er sich die Mglichkeit offen, spter ein Wiederaufnahmeverfahren (§ 359 Nr. 2) zu erreichen (Rn. 991). Er muß andererseits bedenken, daß die Anzeige als bloßer Schachzug und taktisches Kalkl erscheinen kann, besonders wenn die Sache selbst sub judice ist. Der Verteidiger setzt sich dem Verdacht aus, daß der Zeuge nur „madig“ gemacht werden soll. In der Regel ist es besser, die Strafanzeige erst nach Beendigung des Verfahrens zu erstatten. 3. Außergerichtliche Befragung Bemmann/Grnwald u. a., Die Verteidigung, S. 95 f.; BRAK-Schriftenreihe, Bd. 8, Thesen S. 52 f., 55 ff.; Bd. 13, S. 89 ff.; Jungfer, Eigene Ermittlungsttigkeit des Verteidigers, StrafV 1981, 100; Krey , Zur Problematik privater Ermittlungen des durch die Straftat Verletzten, 1994; Weihrauch, Verteidigung im Ermittlungsverfahren, 6. Aufl., 2002, Rn. 92. Vgl. auch die vor Rn. 307 angefhrte Literatur!

a) Zulssigkeit ber die Zulssigkeit der außergerichtlichen Befragung von Zeugen durch den Verteidiger herrschte lange Zeit Streit. Einerseits wurde die Ansicht vertreten, die Befragung von Zeugen whrend des Ermittlungsverfahrens sei allein Sache der Staatsanwaltschaft und des Gerichts sowie der Polizei, der Verteidiger habe sich nicht einzumischen. Inzwischen ist nicht mehr streitig, daß der Rechtsanwalt Zeugen ber ihr Wissen dann befragen darf, wenn es zur pflichtgemßen Sachaufklrung notwendig ist182. Gleichwohl muß er bedenken, daß in der Strafjustiz immer noch – z. T. unterschwellig – Mißtrauen gegen die Befragung von Zeugen durch einen Anwalt besteht. Diesem Umstand sollte der Verteidiger Rechnung tragen, wenn er sich dazu entschließt, außergerichtlich zu erforschen, was denn nun ein Zeuge tatschlich weiß. Um gar nicht erst in den Verdacht zu geraten, einen Zeugen beeinflußt zu haben, wird vielfach die Befragung von Zeugen unterlassen, auch wenn sie der Sache nach geboten wre. Hierzu trgt auch die berlegung bei, die Befragung der Zeugen durch den Verteidiger knne den Mandanten nur schaden, weil die Aussage dieser Zeugen dann von vornherein kritisch betrachtet werde. Solche Gedankengnge sind aber nicht geeignet, den Anwalt von seiner Verpflichtung zu entbinden, Zeugen außergerichtlich anzuhren, wenn 182 BGH, AnwBl. 1981, 115; w. N. bei Meyer-Goßner, Vor § 137 Rn. 2; Weihrauch, Rn. 92 f.

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dies zur Verteidigung geboten ist. Einem Anwalt darf nicht ohne weiteres unterstellt werden, er verdunkele den Sachverhalt. Als Organ der Rechtspflege steht es ihm zu, aus seiner Sicht zur Wahrheitserforschung beizutragen. Wenn die Staatsanwaltschaft in allen Abschnitten des Verfahrens, z. B. auch zwischen erster und zweiter Instanz oder gar zwischen den Hauptverhandlungsterminen, Zeugen vernehmen und sich dadurch ber deren voraussichtliche Aussagen in der Hauptverhandlung Kenntnis verschaffen und auf sie einwirken darf, gibt es keinen berzeugenden Grund, dem Verteidiger gleiches zu verweigern. Allerdings ist Zurckhaltung geboten, wenn die Zeugen schon gerichtlich, staatsanwaltschaftlich oder polizeilich vorvernommen sind. Drfte der Verteidiger Zeugen nicht außergerichtlich befragen, so wre es ihm in vielen Fllen unmglich, eine sachgerechte Verteidigung vorzubringen, etwa wenn der Mandant ihm einen Entlastungszeugen benennt, dessen angeblichem Wissen der Verteidiger mißtraut. Ihn in das Verfahren einzufhren, wre nicht nur fr den Beschuldigten gefhrlich, dadurch wrde auch der Gang des Verfahrens unntig belastet. Nicht selten verbeln die Gerichte es einem Verteidiger und seinen Mandanten auch, nutzlose Beweisantrge gestellt zu haben. Ebenso liegt es bei einem Zeugen, der fr die Berufungsinstanz oder ein beabsichtigtes Wiederaufnahmeverfahren neue Tatsachen oder neue Wahrnehmungen bekunden soll. Es ist undenkbar, daß ein verantwortungsbewußter Verteidiger sich in diesen Fllen nicht mit dem Zeugen außergerichtlich in Verbindung setzen drfen sollte. Der Zeuge kommt ohnehin nur freiwillig zu dem Verteidiger. Ein Zwangsmittel steht nicht zur Verfgung. Aus diesen Grnden ist es auch abzulehnen, die Zeugenbefragung nur in Anwesenheit eines Dritten fr zulssig zu halten, whrend Richter, Staatsanwalt und Polizei im Ermittlungsverfahren jederzeit berechtigt sind, einen Zeugen unter vier Augen anzuhren. Auch werden viele Zeugen einem Verteidiger berhaupt nicht Rede und Antwort stehen, wenn ihnen in allen Fllen wiederum ein Zeuge beigegeben werden mßte. Im Einzelfall wird der Verteidiger schon von sich aus Bedacht darauf nehmen, einen Dritten hinzuzuziehen, um sich gegen jeden Vorwurf zu schtzen. Nicht zutreffend ist schließlich die Auffassung, der Verteidiger msse den Zeugen darber aufklren, daß es sich nicht um eine amtliche Vernehmung handele. Das weiß ohnehin jeder. Der Verteidiger darf nur nicht den Eindruck erwecken, der Zeuge sei ihm gegenber zu Angaben verpflichtet. Dies ist am besten dadurch zu erreichen, daß man dem Zeugen schriftlich mitteilt, worum es sich handelt, und ihn zu einer Besprechung bittet. Auf diese Weise werden Mißverstndnisse vermieden: auch kann der Verteidiger jederzeit nachweisen, wie er vorgegangen ist. 156

Verteidiger und Zeuge

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Die Aufnahme einer Aufzeichnung und schriftlichen Erklrung des Zeugen mit seiner Unterschrift ist grundstzlich zulssig. Von einer solchen Aufzeichnung darf der Verteidiger aber nur zum Zwecke des Vorhalts an den Zeugen im Verfahren Gebrauch machen. Die Aufzeichnung darf nur in Ausnahmefllen des Beweisnotstandes als Beweismittel benutzt werden. Nimmt der Verteidiger eine unterzeichnete Niederschrift ber die Erklrung des Zeugen auf, so ist er gentigt, die belastenden Aussagen mit zu protokollieren, sonst verstßt er gegen die Wahrheitspflicht (Rn. 43). Nimmt er die belastenden Tatsachen aber auf, dann verstßt er gegen seine Schutzaufgabe (Rn. 3). Er gert in Gewissenskonflikte, weil er alles belastende Material verschweigen muß183. Heimliche Tonbandaufnahmen sind selbstverstndlich verboten (Rn. 636). Insgesamt ist die anwaltliche Protokollierung von Zeugenaussagen ein zweischneidiges Schwert; vielfach wird ein informeller Aktenvermerk oder ein nach der Besprechung gefertigtes „Gedchtnis-Protokoll“ vorzuziehen sein. Im brigen ist der Verteidiger hier wie sonst befugt, den Zeugen ber seine Rechte und Pflichten, insbesondere seine Wahrheitspflicht zu belehren und zu beraten. Dazu zhlt auch die Belehrung ber ein etwaiges Aussageverweigerungsrecht. Der Anwalt darf auch wie jeder Dritte einem Zeugen zureden, von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch zu machen184, wenn dies nicht unter Drohung oder Zwang geschieht (Rn. 563). Die außergerichtliche Befragung von Zeugen findet ihre Grenze, wenn sie in eine unzulssige Beeinflussung des Zeugen bergeht185. Vollendete oder versuchte Zeugenbeeinflussung kann zum Ausschluß aus der Anwaltschaft fhren. Die Besprechung mit einem Zeugen darf der Wahrheitserforschung nicht zuwiderlaufen und sie auch nicht beeintrchtigen. Der Rechtsanwalt darf einen Zeugen nicht veranlassen, bestimmte Tatsachen anzugeben oder andere zu verschweigen, selbst wenn er diese Tatschen fr unerheblich hlt. Der Verdacht der Beeinflussung und damit auch der Verdacht der Begnstigung des Beschuldigten kann schon durch die ußere Form der Besprechung mit dem Zeugen entstehen. So sollten Einladungen und Bewirtungen eines Zeugen ebenso vermieden werden wie die Vorspiegelung privaten Interesses an der Person einer Zeugin in der Absicht, von ihr Material fr den Prozeß zu erhalten. berhaupt ist tu183 Zutr. Eb. Schmidt, Lehrkommentar, Vorbem. zu § 137 Nr. 18. 184 BRAK-Schriftenreihe, Bd. 8, These Nr. 56; BRAK-Schriftenreihe, Bd. 13, These 63. 185 BGH zu § 258: Es ist dem Verteidiger nicht erlaubt, auf Zeugen mit dem Ziel einzuwirken, daß sie unzutreffende Aussagen machen und sie nach einer solchen „Vorbereitung“ als Beweismittel zu benennen (BGH, JR 1984, 299).

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Stellung zu den Beteiligten des Strafverfahrens

schendes Verhalten bedenklich, z. B. die Inszenierung eines Unfalls, um Zugang zu einem Zeugen zu gewinnen. In Verhandlungen entstehen hufig peinliche Szenen, wenn Zeugen von Gericht oder Staatsanwaltschaft befragt werden, ob der Verteidiger mit ihnen ber die Sache gesprochen habe und ob sie sogar in sein Bro bestellt worden seien. In einer Art aufgeschreckten Untertanengeist reagieren die Befragten oft durch ein falsches Bestreiten, so als ob sie sich mit dem Teufel eingelassen htten. Der Verteidiger sollte deshalb daran denken, den Zeugen zu veranlassen, auf solche Fragen wahrheitsgemß und unbefangen zu antworten und ihm bei der Besprechung auch sagen, daß dieses Gesprch nichts Verbotenes oder Unlauteres ist. b) Eidesstattliche Versicherungen Schmid, ber Eid und eidesstattliche Versicherung im strafprozessualen Freibeweisrecht, SchlHA 1981, 41; Weihrauch, Verteidigung im Ermittlungsverfahren, 6. Aufl., 2002, Rn. 112.

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Anders als im Zivilprozeß kommt eine eidesstattliche Versicherung als Mittel der Glaubhaftmachung im Strafverfahren nur ausnahmsweise in Betracht. So ist im Falle der Richterablehnung der Ablehnungsgrund (§ 26 Abs. 2) glaubhaft zu machen. Dies kann durch eidesstattliche Versicherung von Zeugen oder anderen Personen geschehen186. Die Aufnahme eidesstattlicher Erklrungen erfordert sorgfltige Belehrung im Hinblick auf § 156 StGB. Darber hinaus obliegt dem Rechtsanwalt die Prfung, ob die Verwertung einer eidesstattlichen Versicherung zulssig ist. So erscheint es bedenklich, eidesstattliche Versicherungen dann einzureichen, wenn das Gesetz vollen Beweis fordert. Ein solches Verfahren erweckt zu leicht den Anschein, verfahrensfremde Zwecke mit der eidesstattlichen Versicherung zu verfolgen, etwa den Zeugen vor seiner mndlichen Aussage schon „festgelegt“ zu haben. Es kommt immer wieder einmal vor, daß einem als Verteidiger ungewollt vom Mandanten – sogar von Kollegen – eidesstattliche Versicherungen als Beweismittel zur Verfgung gestellt oder gar aufgedrngt werden. Mir ist dann immer recht unbehaglich zumute – vielleicht zu Unrecht. Aber eine Rckfrage nach der Entstehung der Erklrung erscheint dann mindestens angezeigt. Einreichen sollte man ein solches Papier – wenn berhaupt – mit einer kurzen Erluterung („Der Zeuge X hat aufgrund eigener Initiative meinem Mandanten die beiliegende schriftliche ,Erklrung‘ zur Verfgung gestellt“) und in Verbindung mit einem entsprechenden Beweisantrag.

186 Meyer-Goßner, § 26 Rn. 10.

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Rn. 219

Im Strafverfahren sollte daher der Verteidiger eidesstattliche Versicherungen von Zeugen nur in den wenigen Fllen aufnehmen und verwenden, in denen das Gesetz die Glaubhaftmachung durch solche Erklrungen zulßt, z. B. in den Verfahrensbereichen, in denen das Freibeweisverfahren zulssig ist (Rn. 806).

VIII. Verteidiger und Sachverstndiger Barton, Sachverstndiger und Verteidiger, StV 1983, 73; Barton, Strafverteidigung und Kriminaltechnik, StV 1988, 124; Barton, Anm. zu BGH, StV 2003, 537; BRAKSchriftenreihe, Bd. 13, S. 83 ff.; BRAK-Thesen Nr. 18 ff.; Detter, Der Sachverstndige im Strafverfahren – eine Bestandsaufnahme, NStZ 1998, 57; Dippel, Die Stellung des Sachverstndigen im Strafprozeß, Heidelberg 1986; Fincke, Die Pflicht des Sachverstndigen zur Belehrung des Beschuldigten, ZStW 86 (1974), 656; Jessnitzer/Ulrich, Der gerichtliche Sachverstndige, 11. Aufl., 2001, Rn. 168 ff.; Krause, Der „Gehilfe“ der Verteidigung und sein Schweigerecht (§ 53a StPO), StraFo 1998, 1; Kube, Polizeibedienstete als Zeugen und Sachverstndige vor Gericht, DRiZ 1979, 38; Kube/Leineweber, Polizeibeamte als Zeugen und Sachverstndige, BKASchriftenreihe, Bd. 45, 2. Aufl., 1980; Mller, E., ber Probleme des Sachverstndigenbeweises im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren, FS Lke (1997), S. 493 ff.; Mller, K., Der Sachverstndige im gerichtlichen Verfahren, Handbuch des Sachverstndigenbeweises, 3. Aufl., 1988; Rode/Legnaro, Der Straftter und sein Gutachter, Subjektive Aspekte der psychiatrischen Begutachtung, StV 1995, 496; Sarstedt, Auswahl und Leitung des Sachverstndigen im Strafprozeß, NJW 1968, 177; dazu Karpinski, NJW 1968, 1173; Lrken, NJW 1968, 1161; Rauch, NJW 1968, 1173; Schorsch, Phantasie, Irrtum, Lge und die Wahrheitsfindung, StV 1985, 522; Thielmann, Von promovierten habilitierten oberflchlichen Sachverstndigen, StraFo 2004, 5; Toepel, Grundstrukturen des Sachverstndigenbeweises, 2002; Weihrauch, Verteidigung im Ermittlungsverfahren, 6. Aufl., 2002; Zwiehoff, Das Recht auf den Sachverstndigen, 2000. Weitere Literaturangaben vor Rn. 609.

In diesem Abschnitt werden Begriff und allgemeine Aufgaben des Sachverstndigen im Strafprozeß sowie seine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit behandelt. Der Ladung und der Vernehmung des Sachverstndigen in der Hauptverhandlung sind die speziellen Darstellungen in den Unterabschnitten C III 1g (Rn. 466 ff.) und C III 2e cc (Rn. 609 ff.) des Handbuchs gewidmet. 1. Stellung des Sachverstndigen Die Beziehungen des Verteidigers zu den Sachverstndigen sind nicht immer die besten. Die Erfahrungen besttigen, daß der Sachverstndigenbeweis trotz aller Warnungen die selbstverantwortliche berzeugungsbildung des Richters hufig zu ersetzen droht. Das ist eine Folge der außer159

219

Rn. 220

Stellung zu den Beteiligten des Strafverfahrens

ordentlichen Entwicklung von Wissenschaft und Technik, insbesondere auch der Kriminaltechnik. Sie fhrt dazu, daß mancher Strafprozeß zu einem wissenschaftlichen Streitgesprch und der Gerichtssaal zum Hrsaal wird. Je komplizierter das Fachgebiet und je geringer die Zahl der kompetenten Sachkenner ist, um so mehr steigert sich die Tendenz zur Verlagerung der Verhandlungskompetenz vom Richter auf den Sachverstndigen. Es kommt zu einem „Prozeß der Gutachter“, der fr die Rechtsfindung sehr bedenklich ist. In dieser Situation hat auch der Verteidiger eine schwierige Aufgabe. Die Auseinandersetzungen von Juristen mit Sachverstndigen im Prozeß sind deshalb so schwer, weil sie in verschiedenen Sprachen reden (Rn. 610). Fr die zur Verurteilung eines Menschen erforderliche Gewißheit der Tatsachenfeststellung gelten andere Maßstbe als fr die Bildung einer wissenschaftlichen These. Diese beruht auf einer berwiegenden Wahrscheinlichkeit gegenber anderen in Betracht kommenden Mglichkeiten. Der Grad der Wahrscheinlichkeit ist nicht derselbe wie die vom Richter verlangte „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“ (Rn. 6). Diese Verschiedenheit ist einer der Grnde, weshalb es immer wieder zu scharfen Auseinandersetzungen zwischen Verteidiger und Sachverstndigen kommt. Sie belasten die Atmosphre im Gerichtssaal in oft unertrglicher Weise. Gegenseitige Vorurteile und Mißtrauen drfen jedoch den Verteidiger nicht davon abhalten, den Sachverstndigenbeweis nchtern zu beurteilen. Ruhe und Gelassenheit mssen sein Handeln auch dann bestimmen, wenn er berechtigte Kritik am Verhalten und an der Einstellung eines Sachverstndigen zu ben hat. 220

Der Verteidiger muß allerdings in jedem Fall darauf achten, daß der Sachverstndige sich nicht zum Richter aufwirft, sondern „Gehilfe“ des Richters bleibt. Dazu muß der Verteidiger jedes Sachverstndigengutachten kritisch prfen und darf es nicht als unabnderlich hinnehmen.

221

Ggfs. hat er einen anderen Sachverstndigen außergerichtlich zu befragen187. Das kann nicht nur notwendig sein, um sich die eigene Sachkunde zu verschaffen, sondern auch um zu entscheiden, ob ein anderer Sachverstndiger im Wege des Beweisantrages (Rn. 469 ff., 677 f.) in das Verfahren eingefhrt werden soll. Hierbei ist zu bedenken: Es ist gefhrlich, einen Sachverstndigen ins Blaue hinein zu benennen. Die Ladung ist nur sinnvoll und sachgerecht, wenn der Verteidiger die Ansicht des Sachverstndigen vorher wenigstens in groben Zgen kennt. Die Alternative besteht darin, daß die Verteidigung selbst einen Sachverstndigen beauftragt und erst mit dem fertigen Gutachten bei Gericht hervortritt. Manchmal ist es 187 BRAK-Schriftenreihe, Bd. 8, These 28.

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Verteidiger und Sachverstndiger

Rn. 224

schwierig, einen kompetenten Gutachter zu gewinnen, weil dieser den Vorwurf des „Parteigutachtens“ befrchtet. Ihm muß dann klargemacht werden, daß die Vorlage des vom Verteidiger eingeholten Gutachtens in gleicher Weise der Rechtsfindung dient wie die von Staatsanwalt und Gericht in Auftrag gegebenen Expertisen. Um den Verdacht einer unzulssigen Befragung oder Beeinflussung (Rn. 217) zu vermeiden, etwa durch Bekanntgabe des Akteninhalts (Rn. 278), sollte der Verteidiger den Sachverstndigen schriftlich beauftragen und sich das vorbereitende Gutachten schriftlich und in vollstndiger Fassung geben lassen. Bei der Beauftragung eines eigenen Sachverstndigen muß der Verteidiger die Gefahr sehen, daß „sein“ Gutachter – den er wegen ungnstiger Ergebnisse nicht in das Verfahren einfhren will – als Zeuge vernommen werden knnte, wenn Staatsanwaltschaft und Gericht davon Kenntnis erhalten, z. B. durch die berprfung amtlich verwahrten Beweismaterials. Ob der Sachverstndige als „Gehilfe“ des Verteidigers ein Schweigerecht nach § 53a hat, ist streitig188.

222

Schließlich ist zu beachten, daß den Sachverstndigen auch eine Haftung fr ein fehlerhaftes Gutachten trifft: diese soll allerdings nur bei grober Fahrlssigkeit eintreten, wogegen sich gute Grnde anfhren lassen189.

223

2. Sachkunde des Verteidigers Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, 3. Aufl., 1993; Barton, Strafverteidigung und Kriminaltechnik, StV 1988, 124; Bssler, Humanbiologische Spuren, 1995; Boerner, Das psychologische Gutachten, 7. Aufl., 2004; Burghard/Hamacher/Herold, Kriminalistiklexikon, 3. Aufl., 1996; Hecker, Forensische Handschriftenuntersuchung, 1993; Hellmiss, Kriminaltechnische Begutachtung, Schrift-, Branduntersuchung, biologische Spuren, 1994; Kube, Kriminalistik Bd. I, 1992; Bd. II, 1994; Meyer/Wolf, Kriminalistisches Lehrbuch der Polizei, 1990; Neuhaus, Kriminaltechnik fr den Strafverteidiger, StraFo 2004, 127; Olfert/Krner/Langenbeck, Bilanzen, 1995; Pohl, Untersuchungen bei Brnden, Bd. 25 der Reihe Kriminalistik, 1984; Schwerd, Rechtsmedizin, 5. Aufl., 1992; Tondorf, Neue kriminaltechnische Entwicklungen – eine Herausforderung fr den Strafverteidiger, StV 1993, 39 ff.; v. Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung fr rzte und Juristen, 1994. Zur lteren Literatur vgl. die 5. Aufl.

Es ist ein Charakteristikum der Aufgabe des Strafverteidigers, daß er sich regelmßig mit Fragen aus anderen wissenschaftlichen Fachgebieten konfrontiert sieht, die ihm fremd sind und auf deren Bewltigung er weder durch seine theoretische noch praktische Ausbildung vorbereitet ist. Geht 188 Mit berzeugenden Grnden bejahend Krause, StraFo 1998, 1. 189 BVerfG, NJW 1979, 305 m. abw. Meinung von 4 Richtern.

161

224

Rn. 225

Stellung zu den Beteiligten des Strafverfahrens

es heute um die Rekonstruktion eines Verkehrsunfalles, knnen morgen komplizierte Fragen der Entstehung eines Brandes, der Ballistik, der Schriftvergleichung und der DNA-Analyse der Bearbeitung bedrfen. Whrend Staatsanwaltschaften und Gerichte mit der Lsung derartiger Probleme Sachverstndige beauftragen, steht dem Verteidiger diese Mglichkeit nicht immer zu Gebote, was seine Ursache auch in den finanziellen Aufwendungen hat, die ein Gutachten erfordert. In der Regel wird der Verteidiger bei Gelegenheit der Akteneinsicht feststellen, daß die Ermittlungsbehrden entweder selbst z. B. die Auswertung von Spuren, die Aufklrung eines Betriebsunfalles vorgenommen oder sich dazu besonders fachkundiger Behrden, z. B. der wissenschaftlichen Abteilungen von LKA oder BKA bedient oder ein Sachverstndigengutachten eingeholt haben. Er steht dann vor der Aufgabe, diese Ermittlungsergebnisse auf ihre sachliche und wissenschaftlich-gutachterliche Schlssigkeit zu berprfen. Dazu muß er sich die entsprechenden Fachkenntnisse in der Regel durch Selbststudium und Einholung von Einzelausknften verschaffen. Die damit gestellten Aufgaben sind nicht immer einfach zu lsen. Sie erfordern Literaturstudien, Kontaktgesprche mit Fachleuten, genaue Aufarbeitung des einschlgigen Tatsachenmaterials – und einen erheblichen Zeitaufwand. Darber hinaus sind Flexibilitt, Initiative und Phantasie gefragt. Die hier an den Verteidiger gestellten Anforderungen, sich – auch kurzfristig – in andere, ihm bisher fremde Materien einzuarbeiten, knnen betrchtlich sein; sie machen allerdings auch die Vielseitigkeit der Arbeit deutlich, die den Beruf so attraktiv macht. Stellt sich der Verteidiger der Aufgabe, sich mit dem Fachgebiet der beteiligten Sachverstndigen bis in alle Einzelheiten zu befassen, so beweist die Erfahrung, daß er dann den Gutachtern hufig auch gewachsen ist190. Auch vor fachlich komplizierten Problemen sollte er nicht verzagen, denn Staatsanwalt und Richter mssen sich in gleicher Weise das hinreichende Fachwissen aneignen, um Beweisfhrung und Ergebnis des Gutachtens verantwortlich kontrollieren und in ihre Entscheidung einbeziehen zu knnen. 225

Viele Sachverstndige halten es fr selbstverstndlich, daß sich alle Prozeßbeteiligten ihrem Votum beugen. Bei genauer Beschftigung mit dem Fachgebiet kann es jedoch gelingen, Ungenauigkeiten und Oberflchlichkeiten aufzudecken. Auch gibt es Sachverstndige, die ihr eigenes Wissen berschtzen, z. B. ein Waffensachverstndiger glaubt, Richtlinien des BKA bei der Untersuchung eines Jagdunfalles außer Acht lassen zu knnen. Im brigen hat der Verteidiger besonders die tatschlichen Grundlagen zu untersuchen, auf denen das Sachverstndigengutachten aufbaut. So darf er nicht durchgehen lassen, daß ein Sachverstndiger lediglich auf190 Fehlerquellen bei Schriftgutachten: Hecker, Krim. 1972, 21.

162

Verteidiger und Sachverstndiger

Rn. 226

grund von fotografischen Aufnahmen eine Todesursache feststellen will, solange die Leiche nicht untersucht ist. Auch sollte der Verteidiger im Auge behalten, daß sich unter Umstnden der Sachverstndige schadensersatzpflichtig macht, der fahrlssig ein falsches Gutachten erstattet. Allerdings stellt die Rechtsprechung die Sachverstndigen weitgehend von jedem Haftungsrisiko frei191. In diesen Zusammenhang gehrt der von vielen Sachverstndigen gepflegte „Zwar-aber-Stil“, der es oft erschwert, einen komplizierten Sachverhalt aufzuhellen. Hier hat der Verteidiger den Sachverstndigen durch Fragen zu zwingen, „Farbe zu bekennen“. Viele Sachverstndige beanspruchen auch Kenntnisse und Erfahrungen aus einem anderen Gebiet (s. nur die Differenzen zwischen Psychiatern und Psychologen – Rn. 608) und wagen es nicht, die Grenzen ihrer eigenen Fachkunde einzugestehen192. Besonders die sog. „Gerichtsrzte“ sind wegen ihrer Allkompetenz ebenso gefhrlich wie bei Gericht beliebt (Rn. 615). Selbst anerkannte Kapazitten besitzen nicht stets so berragende spezielle Kenntnisse, daß ihre Beurteilung unantastbar ist. Auch sie unterliegen der Routine, auch ihr Wissen kann durch neue Forschungen zweifelhaft, wenn nicht gar berholt sein193. Jedenfalls darf der Verteidiger nicht vor Titel, Erfahrung und wissenschaftlichem Ruf eines Sachverstndigen zurckschrecken. Die einschlgigen wissenschaftlichen Abteilungen der Landeskriminalmter und des BKA gelten als Stellen mit „berlegenen Forschungsmitteln“ (§ 244 Abs. 4 S. 2 HS 2). Fehleinschtzungen muß der Verteidiger in allen Verfahrensabschnitten eindringlich entgegentreten. Schon im Ermittlungsverfahren hat er dafr zu sorgen, daß der richtige Sachverstndige bestellt wird, z. B. fr krperliche Untersuchungen (Rn. 398), Genomanalyse (Rn. 405), vorlufige Unterbringungen (Rn. 396), Begutachtung von Geld, Wertzeichen und Schriften. In geeigneten Fllen sollte der Staatsanwalt daran erinnert werden, daß der Sachverstndige mglichst im Einvernehmen mit dem Verteidiger bestimmt werden soll194. Ggfs. ist unverzglich durch Beweisantrag ein anderer Fachmann zu benennen (Rn. 439). Auch in der Hauptverhandlung muß der Verteidiger alle Mittel einsetzen und notfalls im Wege einer Erklrung ankndigen (Rn. 520), die erfahrungsgemß geeignet sind, Sachverstndige zur Objektivitt und Genauigkeit anzuhalten. Dazu gehren 191 BGHZ 42, 313 zu § 410 ZPO; BGH, NJW 1968, 787. 192 Sarstedt, NJW 1968, 181. 193 Dazu plastisch Dennemark, NJW 1970, 1960: Derselbe Arzt macht psychiatrische Gutachten, ... seziert, ... untersucht gynkologisch, ... gutachtet erbbiologisch. Das kann man ... als eine Art organisierten Dilettantismus bezeichnen ... und als „pathologisches“ Wissen, „alles zu wissen“. 194 RiStBV Nr. 70; Jessnitzer/Frieling, 10. Aufl., 1992, Rn. 182; Jessnitzer, JVBl. 1970, 28, 80; Meyer-Goßner, § 73 Rn. 1.

163

226

Rn. 227

Stellung zu den Beteiligten des Strafverfahrens

der Antrag auf Vereidigung (Rn. 618 i. d. M.), die wrtliche Aufnahme wesentlicher Teile des Gutachtens in die Niederschrift (Rn. 618), die Einfhrung eines anderen Sachverstndigen durch Beweisantrag (Rn. 446, 677). 3. Ablehnung Bleyl, Wissenschaftliche Publikation und Befangenheit vor Gericht, MedR 1994, 106; Dstner, Zur Anwendbarkeit des § 74 StPO auf Polizeibedienstete als Sachverstndige, MDR 1979, 545; dazu Leineweber, Die Rechtsstellung der Polizeibediensteten als Sachverstndige vor Gericht, MDR 1980, 7; Dahs, Der Standpunkt des Verteidigers zum Sachbeweis, BKA-Vortragsreihe, Bd. 24, S. 20 f.; Jessnitzer/ Frieling, Der gerichtliche Sachverstndige, 10. Aufl., 1992, Rn. 188 ff.; Wiegemann, Ablehnung von Mitarbeitern der Strafverfolgungsbehrden als Sachverstndige (§ 74 StPO), StV 1996, 570.

227

Die Erfahrung lehrt, daß auf die „Befangenheit“ der Sachverstndigen zu wenig geachtet wird. Hufig ist nmlich einem voreingenommenen Sachverstndigen nur durch ein Ablehnungsgesuch beizukommen. Selbst dessen Zurckweisung kann dazu beitragen, daß Sachverstndige vorsichtig werden und sich auf die gebotene Neutralitt besinnen. Sachverstndige halten sich leicht fr eine Art von Hilfsorgan der Staatsanwaltschaft und des Gerichts, wenn sie stndig von diesen bestellt und schon im Ermittlungsverfahren als sachkundige Helfer der Polizei ttig werden. Dadurch wird auch bei bestem Willen ihre Einstellung zur Sache beeinflußt, die nicht selten offen zutage tritt. Deshalb hat der Verteidiger Verhalten und ußerungen des Sachverstndigen in allen Verfahrensabschnitten darauf zu prfen, ob ein Ablehnungsantrag notwendig ist. Zu diesem Zweck muß er das Ablehnungsverfahren beherrschen, denn er muß sich meist schnell entscheiden (§§ 74 ff.). Insbesondere darf er nicht bersehen, daß das Ablehnungsgesuch noch nach Erstattung des Gutachtens angebracht werden kann. Ein vor der Hauptverhandlung zurckgewiesener Antrag ist in der Verhandlung zu wiederholen. Sonst kann die Verfahrensrge auf die fehlerhafte Zurckweisung nicht gesttzt werden. Auch ist daran zu denken, daß die Entscheidung mit der einfachen Beschwerde angefochten werden kann (Rn. 840), wenn sie außerhalb der Hauptverhandlung ergangen ist195.

228

Der Ablehnungsantrag ist in den Fllen zu stellen, in denen ein Richter kraft Gesetzes ausgeschlossen wre (Rn. 199). Besonders muß der Verteidiger vor allem den Sachverstndigen der Kriminalpolizei im Auge behalten, der die strafbare Handlung unmittelbar verfolgt hat196. Im brigen 195 Meyer-Goßner, § 74 Rn. 14. 196 BGHSt. 18, 214.

164

Verteidiger und Sachverstndiger

Rn. 228

kommt es bei der Ablehnung darauf an, ob aus der Sicht des Mandanten vernnftige Grnde eine Befangenheit befrchten lassen (Rn. 200 ff.). Beispiele: Wettbewerb zwischen Mandanten und Sachverstndigen, Abhngigkeit des Sachverstndigen vom Geschdigten197, Erstattung eines Gutachtens fr eine beteiligte Versicherungsgesellschaft198 oder fr den Verletzten199. In Staatsschutzsachen ist die Mitwirkung von Sachverstndigen problematisch, die dem Verfassungsschutz angehren. In der Regel werden sie aber als „unbefangen“ angesehen200. Hiergegen muß sich der Verteidiger ebenso wehren wie gegen die Auffassung, es mache nichts aus, daß ein Sachverstndiger im Vorverfahren im Auftrag der Staatsanwaltschaft oder der Polizei ein Gutachten erstattet hat oder daß dieser berhaupt als Sachverstndiger fortgesetzt fr Staatsanwaltschaft und Polizei ttig ist201. In diesen Fllen soll das Ablehnungsgesuch nur Erfolg haben knnen, falls der Sachverstndige besonderen „Jagdeifer“ entwickelt hat202. Besonders problematisch sind dabei die Flle, in denen der Sachverstndige Polizeibediensteter ist. Zwar trifft es zu, daß allein die Zugehrigkeit zu einer Polizeidienststelle einen Ablehnungsgrund weder nach §§ 74, 22 Nr. 4203, noch unter dem Gesichtspunkt der Befangenheit204 darstellt205. Andererseits kann die Ablehnung des Sachverstndigen nicht daran scheitern, daß er fr eine Behrde ttig geworden ist. § 256 schrnkt den Geltungsbereich des § 74 nicht ein206. Auch ist zu beachten, daß die Ablehnung nicht allein deshalb durchgreift, weil der Sachverstndige eine dem Mandanten ungnstige wissenschaftliche Meinung vertritt207. Hier muß der Verteidiger prfen, ob er einen anderen Sachverstndigen namhaft machen soll. Andererseits erscheint die Ablehnung begrndet, wenn der Sachverstndige schon vor der Hauptverhandlung den Fall mit seiner fachlichen Beurteilung in Fachzeitschriften publiziert hat. Der Verteidiger sollte auch – ggfs. mit Hilfe des Klienten – die Fachliteratur daraufhin berprfen, ob der Sachverstndige etwa wissenschaftlich abseitige Ansichten vertritt, z. B. die allgemein blichen Ansthesiegerte als „sterile

197 198 199 200 201 202 203 204 205

RGSt. 58, 262. BGH, NStZ 2002, 215; RGSt. 72, 251. BGH, NJW 1965, 2017. BGH, NJW 1964, 1681. Kohlhaas, NJW 1962, 1329 m. N. BGH, NJW 1957, 1834. BGH, NJW 1958, 1308. BGHSt. 18, 214 ff. S. a. Dstner, MDR 1979, 545 ff., mit abl., aber nicht berzeugender Kritik von Leineweber, MDR 1980, 7 ff. 206 Dstner, MDR 1979, 547. 207 OLG Celle, NJW 1966, 1880.

165

Rn. 228a

Stellung zu den Beteiligten des Strafverfahrens

Hinrichtungsmaschinen“ bekmpft208. Besonders ist das Verhalten des Sachverstndigen in der Hauptverhandlung zu beobachten, in der Ablehnungsgrnde hufiger hervortreten, als angenommen wird (Rn. 619). 228a

Bei alledem ist aber zu bedenken, daß ein abgelehnter Sachverstndiger als Zeuge vernommen werden kann. Die herrschende Ansicht lßt es zu, ihn ber Tatsachen zu hren, die er bei Durchfhrung seines Auftrages wahrgenommen hat209. Der Verteidiger muß mindestens darauf bestehen, daß die Zeugenaussage kein „verkapptes Gutachten“ wird, sondern sich auf reine Tatsachenbekundungen beschrnkt. Der zum Zeugen gemachte Sachverstndige darf keine einzige sachkundige Folgerung ziehen (Rn. 612, 619).

208 Als nicht akzeptabel ist auch ein medizinischer Sachverstndiger angesehen worden, der die generelle berzeugung geußert hatte, die Angeklagten in Wirtschaftsstrafsachen, die sich auf Haft- und Verhandlungsunfhigkeit beriefen, seien durchweg Simulanten (LG Kln, StV 1981, 540). 209 BGHSt. 20, 222; BGH, NJW 1965, 1492 = JR 1966, 424 m. abl. Anm. Hanack.

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C. Dritter Hauptteil Die Aufgaben des Verteidigers in den Abschnitten des allgemeinen Strafverfahrens

I. Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren 1. Allgemeines und Besonderes Bandisch, Die zuknftige Praxis der Strafverteidigung im reformierten Ermittlungsverfahren, AnwBl. 1996, 69; Beulke, Muß die Polizei dem Beschuldigten „Erste Hilfe“ bei der Verteidigerkonsultation leisten?, NStZ 1996, 257; Beulke, Strafprozeßrecht, 7. Aufl., 2004, Rn. 309 ff.; Bockemhl (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Strafrecht/Bockemhl, 2. Aufl., 2002, S. 59 ff.; Bockemhl/Lesch, S. 1141 ff.; Bttcher, Zur Instrumentalisierung des Ermittlungsverfahrens im politischen Meinungskampf; GS Schlchter (2002), S. 435; Bottke, Rechtsbehelfe der Verteidigung im Ermittlungsverfahren – Eine Systematisierung, StV 1986, 120; BRAK-Schriftenreihe, Bd. 8, Thesen zur Strafverteidigung, 1992; Bd. 13, Reform der Verteidigung im Ermittlungsverfahren, 2004; Burhoff, Verteidigerfehler in der Tatsachen- und Revisionsinstanz, StV 1997, 432; Burhoff, Handbuch fr das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 3. Aufl., 2003; Dahs, Zur Verteidigung im Ermittlungsverfahren, NJW 1985, 1113; Dahs/Dahs, Revision, 6. Aufl., 2001, Rn. 218 ff.; Danckert/Ignor, Beck'sches Formularbuch, 4. Aufl., 2002, S. 59 ff., S. 1151; Deckers, Verteidigung beim ersten Zugriff der Polizei, NJW 1991, 1151; Generalstaatsanwaltschaft beim OLG Frankfurt, Kooperation im Ermittlungsverfahren (Rundverfgung v. 16. 3. 1998), AnwBl. 1998, 263; Gillmeister, Rechtliches Gehr im Ermittlungsverfahren, StraFo 1996, 114; Groß/Fnfsinn, Datenweitergabe im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, NStZ 1992, 105; Knig, Wege und Grenzen eigener Ermittlungsttigkeit des Strafverteidigers, StraFo 1996, 98; Mller, Egon, Gedanken zur Verteidigung im Ermittlungsverfahren, in Aktuelle Probleme der Strafrechtspflege (Hanack-Symp.) (1991), S. 21; Mller, Eckhart, Die Sockelverteidigung, StV 2001, 649; Ransiek, Belehrung ber Aussagefreiheit und Recht der Verteidigerkonsultation: Folgerungen fr die Beschuldigtenvernehmung, StV 1994, 343; Richter II, Grenzen anwaltlicher Interessenvertretung im Ermittlungsverfahren, NJW 1981, 1820; Richter II, Zum Bedeutungswandel des Ermittlungsverfahrens, StV 1985, 382; Richter II, Sockelverteidigung. Voraussetzungen, Inhalt und Grenzen der Zusammenarbeit von Verteidigern verschiedener Beschuldigter, NJW 1993, 2152; Ch. Schaefer, Kooperation im Ermittlungsverfahren, AnwBl. 1988, 67; Wagner, Rechtliches Gehr im Ermittlungsverfahren, ZStW 109 (1997), 545; Weihrauch, Verteidigung im Ermittlungsverfahren, 6. Aufl., 2002. Siehe auch die regelmßigen Rspr.-Berichte von E. Mller/J. Schmidt zum Recht der Strafverteidigung, zuletzt NStZ-RR 2005, 219; 2004, 97. Zum Thema Medienprobleme im Ermittlungsverfahren vgl. den Abschnitt A. IV. „Verteidiger und Medien-ffentlichkeit“ (Rn. 92 ff.) und das dort angefhrte Schrifttum.

167

Rn. 229 229

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

Das Strafverfahren beginnt mit der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens. Die Staatsgewalt setzt sich durch die Staatsanwaltschaft oder ihre Hilfsbehrden wie Polizei, Steuer- und Zollfahndung, Kartellbehrden u. a. gegen den Beschuldigten in Bewegung. In der Regel lst das Furcht und Schrecken, jedenfalls Sorgen und Unruhe aus. Es entsteht im Beschuldigten ein Gefhl der Hilflosigkeit gegenber der ungewohnten Situation. Ein akutes Schutzbedrfnis treibt den Betroffenen zum Anwalt als dem berufenen Vertreter im Umgang mit der Justiz. Die Not ist am grßten, wenn schon Verhaftung, Durchsuchungen und Beschlagnahmen durchgefhrt sind. Die allgemeinen Funktionen des Verteidigers in diesem Anfangsstadium sind vielfltig. Er hat einerseits seinen Mandanten verantwortlich zu beraten und ihm zugleich eine menschliche Hilfe zu geben, deren dieser jetzt dringend bedarf. Insbesondere will der Auftraggeber wissen, wie er sich zu verhalten hat, sowie, ob und wie er aussagen oder Rechtsmittel einlegen soll. Der Beschuldigte drngt auf Kontakte mit Mitbeschuldigten und Zeugen, um sich dadurch zu unterrichten und vielleicht auch, um Einfluß auf das Verhalten dieser Beteiligten zu gewinnen. Der Verteidiger hat in diesem Stadium des Verfahrens keine leichte Aufgabe, wenn er alles Erforderliche tun und nichts versumen will.

230

Fr keinen anderen Abschnitt des Strafprozesses hat die „Philosophie“ der Strafverteidigung in dem zurckliegenden Jahrzehnt eine so tiefgreifende Vernderung erfahren wie fr das Vorverfahren. Dieses war ber 100 Jahre die Domne der Strafverfolgungsbehrden, whrend die Verteidigung keine das Verfahren mitgestaltende Rolle spielte – was nur in Fllen der Untersuchungshaft anders gewesen sein mag. Es galt i. w. die Maxime, kein Verteidigungsterrain preiszugeben durch vorzeitige Offenbarung in streitigem Diskurs mit Staatsanwaltschaft und Polizei. Der Gedanke an eigene „Ermittlungen“ des Verteidigers lag fern. Man wartete ab, was eines Tages als Ermittlungsergebnis prsentiert werden wrde und hielt dafr „das Pulver trocken“. Das Ermittlungsverfahren war also eher ein Durchgangsstadium zu spteren Verteidigungsaktivitten. Heute hat sich dagegen weithin die berzeugung durchgesetzt, daß dem Ermittlungsverfahren und seinen Ergebnissen fr das weitere Verfahren, und zwar auch fr das Hauptverfahren und die Hauptverhandlung eine große, man sagt sogar urteilsprgende Bedeutung, zukommt1. Was im Vorverfahren versumt wird, kann in keiner Phase des Prozeßfortganges 1 Richter II, StV 1985, 382; Dahs, BRAK-Schriftenreihe, Bd. 13, S. 2 f. sowie Thesen 1 ff.; Wagner, ZStW 109 (1997) 557 und Bahnsen, Akteneinsicht, S. 125 (Fn. 531).

168

Allgemeines und Besonderes

Rn. 231

wieder gutgemacht werden. Niederschriften ber frmliche Vernehmungen, informelle ußerungen, Augenscheinseinnahmen, Gegenberstellungen und andere nicht oder so nicht wiederholbare und reproduzierbare Beweiserhebungen werden mehr oder weniger unabnderlich und damit im Ergebnis zur Grundlage tatrichterlicher berzeugungsbildung, ohne daß die Verteidigung im Stadium des Entstehens des Beweisergebnisses aktiv geworden ist, sei es kontrollierend, mitgestaltend oder durch eigene Recherchen oder Erhebungen die klrungsbedrftigen Punkte auch aus der Sicht des Beschuldigten beleuchtend. Dies gilt auch fr die Einholung von Sachverstndigengutachten, bei denen zwar nach Nr. 70 Abs. 1 RiStBV der Verteidiger an der Auswahl der Person des Sachverstndigen beteiligt werden soll (was in der Praxis nicht selten „bersehen“ wird), aber nicht zu Formulierung, Umfang und Gegenstand des Begutachtungsauftrages zuvor gehrt wird – und auf diese Weise ggfs. auch darauf aufmerksam wird, daß ein „Gegengutachten“ durch einen von der Verteidigung beauftragten Sachverstndigen geboten ist. Die Mitwirkung des Verteidigers am Ermittlungsverfahren steht nach heute wohl herrschender Meinung jedenfalls in vielen Fllen unter dem Gebot der Mitgestaltung oder sogar des Mit-Managements. Voraussetzung dafr ist freilich, daß der (frhzeitig beauftragte) Verteidiger sich so bald wie mglich einen Zugang zur Staatsanwaltschaft oder den anderen Ermittlungsbehrden verschafft. Auch wenn die Akteneinsicht nach § 147 Abs. 2 noch versagt wird, gibt es Mglichkeiten, sich ein gewisses Basiswissen ber Vorwurf und Beweismittel zu verschaffen. Ausknfte der Staatsanwaltschaft und ihrer Hilfspersonen, die Begrndung von Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlssen, Erkenntnisse aus Haftvorgngen, Kontakten mit anderen Verteidigern, Analyse der nach § 147 Abs. 3 nicht zu sperrenden Aktenteile, Informationen des Mandanten zur Sache, Befragung von Zeugen u. a. Auf diesem provisorischen Plafond, um dessen Vergrßerung er sich stndig bemhen muß, kann der Verteidiger durchaus agieren. Den Tat- oder Unfallort kann er besichtigen, seinen Zustand durch Fotos oder in sonst geeigneter Weise festhalten, Vorgnge rekonstruieren, nach Beweisstcken kann er suchen oder suchen lassen, Doppel von beschlagnahmten Urkunden beschaffen u. a. Zeugen knnen ausfindig gemacht, befragt, ber Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechte (§§ 52–55), Strafantragsrechte und ihre Rcknahme informiert, ber das Recht zum Zeugenbeistand (Rn. 1150 ff.) belehrt, Gutachter knnen „reserviert“ oder schon mit Teilauftrgen befaßt werden; schließlich knnen ggfs. Antrge auf Beweiserhebungen an die Staatsanwaltschaft gestellt werden. Liegt Aufklrung im Interesse der Verteidigung – was beileibe nicht immer der Fall ist –, wird der Verteidiger bei der Staatsanwaltschaft hufig ein offenes Ohr fr Anregungen und Antrge finden. Sogar die 169

231

Rn. 232

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

Gestattung der Anwesenheit des Verteidigers bei – zumal von ihm selbst beantragten – Beweiserhebungen wird dann manchmal zu erlangen sein. ber eine Beschrnkung der Verfahrensmaterie (§§ 154, 154a) oder Teileinstellung kann gesprochen und „verhandelt“, ber die Person des Sachverstndigen oder die Fassung des Auftrages kann Einigkeit erzielt werden. Rechtsprobleme, z. B. der Verjhrung, Verwertungsverbote, die Vernehmung auslndischer Zeugen u. a. kann diskutiert werden. Zu gegebener Zeit kann der Verteidiger seine Vorstellungen ber die Abschlußentscheidung zur Geltung bringen. Dieses Idealbild eines kooperativen Ermittlungsverfahrens2 ist zwar keineswegs Standard in der heutigen Realitt des Vorverfahrens. Die skizzierte Mitgestaltung des Verfahrens oder das Mit-Management in der Bewltigung umfangreichen Verfahrensstoffes ist aber hufiger (wenigstens teilweise) erreichbar als – etwas unreflektiert – allgemein angenommen wird. Auf diese Weise kann zugunsten des Klienten auch viel mehr bewirkt werden als man sich in der Vergangenheit offenbar vorgestellt hat. Grßere Aktivitten und Bemhungen um substantielle Beitrge zum Ermittlungsergebnis sind dem Verteidiger in geeigneten Fllen also anzuraten, um die Wirksamkeit seines weiteren Prozeßhandelns zu erhhen3. 232

Insgesamt kann der Verteidiger durch ein rechtzeitiges, professionelles prventives Krisenmanagement viel erreichen. Entscheidende Voraussetzung ist allerdings, daß er bei den ersten „Alarmzeichen“, die auf die zu erwartende oder bereits erfolgte Einleitung eines Ermittlungsverfahrens hindeuten, beauftragt wird. Die Unkenntnis nicht nur des Einzelmandanten sondern auch von Wirtschaftsunternehmen ber die Omnipotenz des Staates gerade im Vorverfahren ist zuweilen erschreckend! Die wichtigsten Aufgabenfelder, denen der Verteidiger dann seine Arbeit zu widmen hat, sind folgende: Zunchst sollte er sich aus allen zur Verfgung stehenden Quellen, z. B. Informationen der Mandantschaft, Presseberichten oder anderen Medien-Publikationen, einen ersten Informations-Plafond verschaffen, der ein ungefhres Bild ergibt, worum es berhaupt geht oder gehen knnte. Der nchste Schritt ist die Belehrung des oder der Betroffenen ber Ablauf und Bedeutung des Ermittlungsverfahrens, Verhalten bei denkbaren Zwangsmaßnahmen und daran anschließend die berlegung von Gegenmaßnahmen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf drohende Durchsuchungen und Beschlagnahmen. Wenn z. B. die Unterlagen, an denen die Ermittlungsbehrde ein besonderes Interesse haben knnte, einigermaßen sicher eingegrenzt werden knnen, so ist zu empfehlen, daß

2 Dazu nher Dahs, NJW 1985, 1113. 3 Im Jargon: so frh wie mglich den Fuß in die Tr bringen.

170

Allgemeines und Besonderes

Rn. 233

von diesen sofort Fotokopien hergestellt und dem Verteidiger zur Verfgung gestellt werden, um im Falle der Beschlagnahme die Verteidigungsfhigkeit zu erhalten. Denn die Erfahrung zeigt, daß Einsicht in die Beweismittel erst in einem relativ spten Stadium des Ermittlungsverfahrens zu erlangen ist – wenn die Staatsanwaltschaft diese bereits ausgewertet und sich damit bewußt oder unbewußt ein Bild ber die Vorgnge gemacht hat. In diesen Zusammenhang gehrt auch die Prfung eines „Kooperationsangebots“ an die Ermittlungsbehrden. Eine solche proaktive Verteidigung gegenber der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren kann fr die Verteidigung gute Chancen bieten. Ist abzusehen, daß sich die Ermittlungen auf bestimmte Sachkomplexe erstrecken werden und damit gerechnet werden muß, daß die Ermittlungsbehrden im Wege der Durchsuchung und Beschlagnahme einschlgige Unterlagen ohnehin erlangen knnen, so kommt in Betracht, als proaktive Maßnahme der Staatsanwaltschaft anzubieten, ihr alle einschlgigen Unterlagen, Datenstze usw. auf erste Anforderung vollstndig zur Verfgung zu stellen und dazu einschlgige Informationen zu geben, so daß es einer Zwangsmaßnahme nicht bedarf. Der Verteidiger muß sich bei einem solchen KooperationsAngebot allerdings tunlichst sicher sein, daß der Mandant insoweit wirklich bereit ist, „mit offenen Karten zu spielen“ und nicht versucht, belastende Dokumente verschwinden zu lassen oder sie auf andere Weise den Ermittlungsbehrden vorzuenthalten. Er muß wissen, daß ein solcher „Trick“ in aller Regel auffllt (oft sind z. B. Dokumente mehrfach vorhanden), alle Bestrebungen um eine kooperative Gestaltung des Ermittlungsverfahrens zunichte gemacht werden und „die letzten Dinge schlimmer sein werden als die ersten“. Bei derartigen Angeboten an Ermittlungsbehrden steht im gewissem Sinne auch das Prestige und der gute Ruf des Verteidigers mit auf dem Spiel – was er ggfs. im eigenen Interesse bedenken sollte. Staatsanwaltschaften sind vor allem in unbersichtlichen, umfangreichen oder in der Sachaufklrung aus anderen Grnden schwierigen Verfahren nicht ganz selten bereit, auf ein entsprechendes Angebot der Verteidigung jedenfalls einen „Testlauf“ zu riskieren und die Seriositt des Angebots zu berprfen. Dazu mag auch der Umstand beitragen, daß es in Großunternehmen fr die Ermittlungsbehrden oft sehr schwierig ist, in unterschiedlichen Abteilungen, Archiven und ausgelagerten Betriebssttten wirklich alle verfahrensrelevanten Unterlagen und Daten aufzufinden. Auch kann der Betrieb des Unternehmens, z. B. durch Beschlagnahme von EDV-Speichern oder der Unterlagen des gesamten Rechnungswesens gefhrlich beeintrchtigt oder sogar blockiert werden. Aus der Vergangenheit sind Flle 171

233

Rn. 234

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

bekannt, in denen ein allzu „forsches“ Vorgehen der Ermittlungsbehrden zum Zusammenbruch von Unternehmen oder zu schweren wirtschaftlichen Schden gefhrt hat, die schließlich in einen Regreßprozeß gegen das betreffende Bundesland gemndet haben. 234

Auch ist Bedacht darauf zu nehmen und mit der Staatsanwaltschaft abzusprechen, ob und ggfs. welche Unterlagen Betriebs- oder Geschftsgeheimnisse enthalten, deshalb einer besonders gesicherten Aufbewahrung zugefhrt und nicht ohne weiteres potentiellen Geschdigten auf Akteneinsichtsantrag (§ 406e StPO) zur Verfgung gestellt werden knnen. Der Verteidiger hat auf der anderen Seite mit Nachdruck sicherzustellen, daß die Originalunterlagen bis zur Entscheidung der Staatsanwaltschaft vollstndig an ihrem blichen Platz in Aktenregalen und Archiven verbleiben, Datensammlungen nicht angetastet werden und auch sonst nichts geschieht, was eine mißtrauische Ermittlungsbehrde unter den Begriff der Verdunklungsgefahr subsumieren knnte. Die dem Verteidiger in einem solchen Szenario obliegenden Aufgaben setzen große Erfahrung, Fingerspitzengefhl und ein hohes Maß an Vertrauen bei allen Beteiligten voraus. Geht ein solcher Kooperationsversuch „schief“, so hat nicht nur die Mandantschaft die Folgen zu tragen, sondern der Verteidiger wird in vergleichbaren Fllen fr die Staatsanwaltschaft als Gesprchspartner kaum noch in Betracht kommen. Allein dies mag Grund genug sein, das skizzierte vollstndige Instrumentarium eines frhzeitigen Krisenmanagements nur in dafr wirklich geeigneten Fllen zu wagen.

235

Nicht minder wichtig kann je nach Sachlage die Medienarbeit sein. Viele Ermittlungsverfahren werden erst aufgrund einer Verffentlichung in der Presse, im Rundfunk oder im Fernsehen eingeleitet – und in der Folgezeit von diesen in mehr oder weniger sensationeller Aufmachung „begleitet“. Diese unerwnschte aber als solche nicht zu verhindernde Verfahrensbegleitung kann nicht nur fr den Mandanten als Einzelperson oder als Unternehmen immaterielle oder materielle Schden auslsen, die nicht selten zur Bedeutung des Ermittlungsgegenstandes in keinem Verhltnis stehen und das strafrechtliche Gewicht der Untersuchung bersteigen. Diese Gefahr muß der Verteidiger rechtzeitig erkennen oder voraussehen und eine entsprechende Strategie entwickeln. Diese sollte keineswegs immer in der Ausschpfung des rechtlichen Instrumentariums (Rn. 103 ff.) gegenber jeder Verffentlichung bestehen. Oft knnen offiziell erteilte Informationen, Hintergrundgesprche, Richtigstellungen oder Kontakte mit der Rechtsabteilung des Medien-Organs – also ein eher „stilles Krisenmanagement“ – grßere Erfolge erzielen (vgl. im einzelnen Rn. 107) als die Anrufung der Gerichte. 172

Allgemeines und Besonderes

Rn. 238

Schließlich darf auch die Bearbeitung der Sache gegenber evtl. zustndigen Haftpflichtversicherungen, Berufsgenossenschaften, auch Aufsichtsbehrden u. . nicht aus dem Auge gelassen werden. Anders als bei Aussagen im Ermittlungsverfahren muß der Betroffene oder das betroffene Unternehmen z. B. bei Betriebsunfllen oder Fehlern im Betriebsablauf wahrheitsgemße Berichte abgeben und dabei unter Umstnden Schwachstellen im Betriebsablauf offenbaren, die nicht nur die der Leitung obliegenden Organisations- und berwachungspflichten betreffen, sondern seitens der Strafjustiz bzw. der Bußgeldbehrden auch zu empfindlichen Sanktionen gegen das Unternehmen als juristische Person fhren knnen (§§ 130, 30 OWiG). Die insoweit gegenber dritten Stellen geschuldeten Berichte zur Sache unterliegen dem Zugriff der Ermittlungsbehrden. Sie knnen auch in aller Regel nicht lange aufgeschoben werden, jedenfalls nicht bis zum Abschluß der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen. Entsprechendes gilt fr sachgleiche Zivilprozesse oder andere rechtliche Verfahren. Derartige Konstellationen knnen ebenfalls Veranlassung geben, von Anfang an gegenber den Ermittlungsbehrden bei der Sachverhaltsermittlung „mit offenen Karten zu spielen“.

236

Zum Instrumentarium einer sachgerechten Verteidigung im Ermittlungsverfahren mit einer Mehrzahl von Beteiligten gehrt auch die Basis- oder Sockelverteidigung, an der sich mehrere Verteidiger beteiligen knnen. Ein Verstoß gegen § 146 liegt darin nicht, auch wenn der Verteidiger dabei Kenntnis von Einlassungen anderer Beschuldigter erhlt4. Sie betrifft die arbeitsteilige Aufarbeitung und Bearbeitung von Sachverhalten und Rechtsfragen, die fr alle Betroffenen gleich sind. Die personelle Zurechnung von Vorgngen, der subjektive Tatbestand und Rechtsfragen mssen dadurch oft nicht berhrt werden. Auf die Darstellung unter Rn. 68 wird verwiesen.

237

Es sind also je nach Lage des Falles eine ganze Reihe von Aktionsfeldern vom Verteidiger in den Blick zu nehmen und in seine Beratung der Mandantschaft und sein Agieren gegenber Ermittlungsbehrden einzubeziehen – eine sehr schwierige und hufig auch nicht vollstndig bzw. optimal zu lsende Aufgabe. Gelingt aber der kooperative Ansatz, so ist fr die Sache des Mandanten – zumindest unter dem Aspekt einer Schadensbegrenzung – viel gewonnen und nicht selten die Mglichkeit erffnet, das Verfahren insgesamt in der einen oder anderen Weise erheblich zu seinen Gunsten zu beeinflussen oder zu erledigen (vgl. Rn. 322 ff.).

238

In der großen, vielleicht berwiegenden Zahl der Flle wird allerdings das „Heil“ des Beschuldigten nach wie vor darin liegen, daß der Sachverhalt 4 OLG Dsseldorf, JR 2003, 346 m. Anm. Beulke; KG, StraFo 2003, 147.

173

Rn. 239

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

eben gerade nicht lckenlos aufgeklrt wird. Hier werden sich die Aktivitten des Verteidigers zunchst auf einige wenige Punkte, z. B. Beteiligung an der Auswahl des Sachverstndigen, Rechtsfragen, Beschrnkung des Verfahrensstoffes, Kontrolle der Rechtmßigkeit der Ermittlungen im Sinne des Klienten, reduzieren. Die Bereitschaft von Staatsanwlten, mit einem sich in der Sache „bedeckt“ haltenden Verteidiger zu kooperieren, sollte dann aber nicht berschtzt werden. Hufig bedarf es einiger Geschicklichkeit und berzeugungskraft, bei der Ermittlungsbehrde Verstndnis dafr zu finden, daß an der Sachaufklrung vorerst nicht mitgewirkt werden kann, eine Mitwirkung bei anderen verfahrensgestaltenden Fragen gleichwohl sinnvoll und frderlich ist. 239

Generell gilt indes die Empfehlung, im Ermittlungsverfahren aus der nur passiv-abwehrenden Verteidigungshaltung herauszutreten und aktiv auf formellen und informellen Wegen zur Mitgestaltung des Vorverfahrens nach Maßgabe der Verteidigungsinteressen des Beschuldigten zu gelangen. Die so definierte Generalaufgabe des Verteidigers im Ermittlungsverfahren ist allerdings nicht unumstritten. So wird auch als „Strategie“ empfohlen, man msse die Ermittlungsbehrden „kommen lassen“ – eine gefhrlich doppeldeutige Maxime – und den Staatsanwalt mit der Anklage „auflaufen“ lassen. Nach den Erfahrungen der Praxis erscheint diese Haltung bei der großen Vielzahl der Flle allerdings eine gefhrliche Illusion. Die Vorstellung, die Ermittlungen wrden durch eine „Mauer des Schweigens“ oder Strens so beeintrchtigt, daß der Staatsanwalt keine den gesetzlichen Anforderungen gengende Anklage zustande bringen knne, ist in aller Regel realittsfern. Die Anforderungen, die § 200 an den Inhalt der Anklageschrift stellt, sind eher marginal. Die Zurckweisung von Anklagen wegen rechtlich oder sachlich unzulnglicher Begrndung ist in der Praxis eine seltene Ausnahme5. Auch „magere“ Anklagen werden hufig zugelassen6 und ihre Lcken und Mngel werden im Hauptverfahren ber § 244 Abs. 2 und § 265 beseitigt. Wer als Verteidiger das Ermittlungsverfahren nach dem Prinzip „Schotten dicht“ ablaufen lßt und auf eine Zurckweisung der Anklage im Zwischenverfahren oder einen Freispruch (wegen Aufklrungsmngeln) spekuliert, wird in aller Regel eine Enttuschung erleben – und diese gegenber seinem Mandanten zu verantworten haben. Er sollte nicht vergessen, daß es nach zugelassener Anklage und Hauptverhandlung nur in ca. 3% der Flle zum Freispruch kommt. Auch wenn die Hauptverhandlung nicht als „Nachvollzug der Akten“ praktiziert wird (dazu Rn. 196, 546, 576), ndert dies nichts an der Er5 Meyer-Goßner, § 200 Rn. 25 ff. m. N. 6 Seufzer eines Vorsitzenden: „Was glauben Sie, was wir hier an Anklagen bekommen?“

174

Allgemeines und Besonderes

Rn. 240

kenntnis, daß im Ermittlungsverfahren „die Weichen gestellt werden“. Dies muß der Verteidiger wissen und sein berufliches Handeln darauf einstellen. Nach allen Erfahrungen wird hier in der Praxis viel versumt. Ob und wann ihm der Verteidigungsauftrag erteilt wird, liegt naturgemß allein beim Klienten; der Verteidiger darf sich darum nicht „bewerben“ (Rn. 30 ff.). Freilich gibt es Fallgestaltungen, in denen der Rat, nunmehr eine formelle Verteidigerbestellung vorzunehmen, geboten ist. Viele Ermittlungsverfahren werden nicht von Anfang an gegen eine konkret benannte natrliche Person gefhrt, sondern zunchst gegen „Unbekannt“ oder „die Verantwortlichen der Firma ...“ o. . Hier wird der anwaltliche Auftrag nicht selten von einem Wirtschaftsunternehmen, einer Organisation oder auch einer (mglicherweise betroffenen) Einzelperson dahin erteilt, den Gang des Ermittlungsverfahrens zu beobachten und Kontakt mit der Ermittlungsbehrde zu halten, um die Interessen des Auftraggebers, sollten sie des Schutzes bedrfen, zu wahren. Dabei kann gleichzeitig vorgesehen sein, den Anwalt bei Konkretisierung der Ermittlungen im Hinblick auf eine bestimmte Person als Verteidiger zu beauftragen. In diesen, aber auch in Fllen ohne potentielle Zuordnung ist es ein Gebot sachgerechter Beratung, den Klienten auf die Zweckmßigkeit oder Notwendigkeit einer Verteidigerbestellung hinzuweisen, wenn entweder feststeht, daß die Ermittlungen sich gegen bestimmte natrliche Personen richten oder damit nach Lage der Sache gerechnet werden muß. Entsprechendes gilt auch, wenn der Anwalt zunchst als Beistand eines gefhrdeten Zeugen (Rn. 1150) beauftragt ist und ihm deutlich wird, daß der bisherige Zeuge mit hoher Wahrscheinlichkeit Beschuldigter werden, vielleicht vom Staatsanwalt (wenn auch unausgesprochen) bereits als solcher behandelt wird. Freilich sind beim Wechsel der Position vom Zeugenbeistand zum Verteidiger Fragen der Interessenkollision zu beachten (Rn. 79), vor allem, wenn der Verteidiger als Rechtsbeistand fr mehrere Zeugen in derselben Sache aufgetreten ist (Rn. 1150 ff.). Bei Ermittlungen gegen Angehrige eines Unternehmens, das eine juristische Person ist (z. B. AG, GmbH), kommt eine Bestellung fr diese in Betracht, wenn sie mglicherweise als Nebenbeteiligte gem. §§ 130, 30 OWiG fr Fehler von Organmitgliedern einzustehen hat. Der spteren (zustzlichen) bernahme der Verteidigung eines Organmitgliedes steht auch § 146 StPO nicht entgegen (Rn. 1146)7. Ob eine Interessenkollision in Betracht kommt, bedarf freilich der Prfung. Schließlich ist es auch fr den zunchst nur zivilrechtlich beauftragten Anwalt ein Gebot professionellen Handelns, zur Beauftragung als Strafverteidiger zu raten, wenn er erkennt, daß ent7 BVerfGE 45, 272, 288; BGH, DRiZ 1977, 24, 25; KKOWiG-Rogall, § 30 Rn. 180; Meyer-Goßner, § 444 Rn. 12.

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240

Rn. 241

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

weder die zivilrechtliche Materie strafrechtlichen Stellenwert hat oder absehbar ist, daß aus dem Zivilprozeß sich ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren entwickeln kann. 241

Etwas anderes ist die sog. „verdeckte Verteidigung“. Damit ist gemeint, daß der Verteidigungsauftrag zwar noch erteilt wird, jedoch Einigkeit darber besteht, daß der Verteidiger noch nicht als solcher zu den Ermittlungsakten legitimiert sein soll, intern aber bereits an der Verteidigung wesentlich mitarbeitet. Diese Sonderform der verdeckten Verteidigung kommt z. B. bei Klienten in Betracht, die aufgrund ihrer beruflichen Position oder aus anderen Grnden besonders im Lichte der ffentlichkeit oder anderer Aufmerksamkeit stehen und befrchten, daß die formelle Beauftragung eines Verteidigers entweder von den Ermittlungsbehrden oder der ffentlichkeit dahin mißdeutet werden knnte, sie htten sich etwas vorzuwerfen. Dieser Besorgnis begegnet man in gesteigertem Maße, wenn der beauftragte Rechtsanwalt ein bekannter Strafverteidiger ist. Ob solche Bedenken immer gerechtfertigt sind, erscheint zwar angesichts der Selbstverstndlichkeit, mit der heute weitgehend fr alle Rechtsflle Anwlte beauftragt werden, recht zweifelhaft, jedoch wird man solchen Wnschen des Klienten nur selten entgegentreten. Der Verteidiger sollte in solchen Fllen Wert darauf legen, daß sein Auftrag genau fixiert ist (z. B. Verteidigungsauftrag mit der Maßgabe, daß die Bestellung zu den Ermittlungsakten zu gegebener Zeit im beiderseitigen Einvernehmen – oder nach der Entscheidung des Verteidigers – erfolgt), er insbesondere ber eine Vollmacht verfgt, so daß im Bedarfsfalle (z. B. bei prozessualen Zwangsmaßnahmen) die Voraussetzungen fr ein sofortiges Agieren auch nach außen gegeben sind. Im brigen kann das Mandat bis zu diesem Zeitpunkt in der Form gefhrt werden, daß im Außenverhltnis etwa der Syndikus des Unternehmens (Rn. 141) oder der rtliche Firmenanwalt agieren, whrend im Innenverhltnis der beauftragte Strafverteidiger schon die vorliegenden Informationen auswertet, beratend ttig wird, eine Strategie entwickelt und insbesondere bei der Ausarbeitung etwaiger Schriftstze, Antrge, Rechtmittel (federfhrend) mitwirkt. Es ist berraschend, in welchem Umfange etwa bei einem Betriebsunfall den (strafrechtlich eben nicht ausgewiesenen) Firmenjuristen von den Ermittlungsbehrden und Gutachterstellen (z. B. Gewerbeaufsicht, Berufsgenossenschaft) Ausknfte erteilt und Hinweise gegeben werden, die Grundlage fr eine optimale Verteidigung schon im Ermittlungsverfahren bieten, wenn sie „professionell“ von einem Strafverteidiger umgesetzt werden. Es mag sein, daß die „Dramatik“ einer frmlichen Verteidigerbestellung mit entsprechend energischen Antrgen (primr auf Akteneinsicht) ntzliche Informationsquellen zum Versiegen bringen wrde. Auch manche Staatsanwlte geraten anscheinend gegenber den von ihnen oft als „harmlos“ 176

Die speziellen Aufgaben

Rn. 243

eingeschtzten Firmenjuristen8 eher ins Plaudern als gegenber dem Strafverteidiger, den sie ganz automatisch als ihren qualifizierten Widerpart im Verfahren empfinden. In summa kann man in entsprechend gelagerten Fllen mit einer engen und loyalen Kooperation viel erreichen. Ob mit einer „offenen Verteidigung“ dasselbe Ziel nicht auch (irgendwann) erreicht worden wre, mag offen bleiben. Manchmal ist die Entscheidung fr die „verdeckte Verteidigung“ auch wohl nur das Ergebnis der psychischen Befindlichkeit und Vorstellungswelt des Klienten, auf die man jedenfalls dann Rcksicht nehmen sollte, wenn es fr die Sache nicht schdlich ist. 2. Die speziellen Aufgaben Die speziellen Aufgaben des Verteidigers im Ermittlungsverfahren ergeben sich im brigen aus dessen Zielsetzung. Es dient der Entscheidung der Staatsanwaltschaft, ob gegen den Beschuldigten eine ffentliche Klage (Anklage oder Antrag auf Erlaß eines Strafbefehls) zu erheben oder das Verfahren mangels Tatverdachts (§ 170 Abs. 2) oder aus Opportunittsgrnden (§§ 153 ff.) einzustellen ist. Damit sind die Funktionen des Verteidigers eindeutig ausgewiesen. Er hat mit allen zulssigen Mitteln auf die Einstellung des Verfahrens hinzuwirken. So soll er als Organ der Rechtspflege sogar verpflichtet sein, Verfahrenshindernisse wie die Verfolgungsverjhrung geltend zu machen, andernfalls ihn nachteilige Konsequenzen treffen knnen9. Der Mandant kann aber gute Grnde haben, statt einer prozessualen eine Sachentscheidung anzustreben. Der Verteidiger muß aber das Verfahren so beeinflussen, daß fr den Fall einer ffentlichen Klage die nach Lage der Sache gegebenen Mglichkeiten der Verteidigung im Ermittlungsverfahren ausgeschpft sind und eine mglichst gnstige Ausgangsposition fr den Beschuldigten im Erffnungsverfahren und in der Hauptverhandlung geschaffen ist. Je frher der Verteidiger ttig wird, desto besser kann er die Belange des Beschuldigten wahrnehmen (Rn. 229 ff.).

242

Wie jeder erfahrene Verteidiger weiß, werden Richtung und Akzente des Verfahrens bereits whrend der polizeilichen bzw. staatsanwaltlichen (Rn. 230) Ermittlungen gesetzt. Aufklrungsmngel werden hufig von einem zum anderen Verfahrensabschnitt mitgeschleppt. Diese Erfahrungen werden freilich vom Gesetzgeber ignoriert, wenn nach § 467a die notwendigen Auslagen des Beschuldigten, also insbesondere die Verteidigergebhren, bei Einstellung des (mglicherweise Jahre dauernden) Verfah-

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8 Im Jargon ist gelegentlich (oft zu Unrecht) von „Laienspielschar“ die Rede. 9 Dazu Arndt, NJW 1963, 348; Arndt, NJW 1963, 1592; Jecht, NJW 1964, 639; Dahs, AnwBl. 1966, 371.

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Rn. 244

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

rens vor Abschluß der Ermittlungen nicht erstattet werden – angesichts der Bedeutung, die eine Anklage disziplinar- oder berufsrechtlich oder in der ffentlichkeit haben kann, eine traurige Groteske10. Der Verteidiger muß im brigen auch schon in diesem Stadium des Verfahrens im Auge behalten, ob und wann er mit dem Mandanten ber die Vor- und Nachteile eines Eingestndnisses etwa vorhandener Schuld beraten soll. Hier knnen bedeutende Chancen einer gnstigen Erledigung (Rn. 18, 431, 484 ff.) liegen. Bei Verfahren gegen Bundestags- und Landtagsabgeordnete sind die besonderen Bestimmungen des § 152a und der Nr. 191, 192 ff. RiStBV zu beachten. 244

Eine dominierende Rolle spielen im Ermittlungsverfahren und in den spteren Verfahrensabschnitten die polizeilichen Protokolle. Ihnen muß der Verteidiger grßte Aufmerksamkeit zuwenden. Sie bilden die Grundlage fr fast alle vorlufigen Maßnahmen, etwa die Anordnung der Haft oder die Entziehung der Fahrerlaubnis. Hufig werden die polizeilichen Protokolle vom Haftrichter kurzerhand verlesen. In der Hauptverhandlung werden die Niederschriften mindestens dann vorgehalten, wenn sich Abweichungen gegenber der frheren Einlassung ergeben (Rn. 350, 543 f., 547, 576). Widersprche treten nur zu leicht auf, ohne daß sie in jedem Falle auf Lge beruhen oder gar eine Schuld beweisen. Kaum ein Mensch ist in der Lage, den Inhalt einer Vernehmung auch nach kurzer Zeit noch in allen Einzelheiten im Kopf zu haben.

245

Besonderes Augenmerk muß der Verteidiger der Frage zuwenden, ob der Beschuldigte eine ordnungsgemße Belehrung nach § 136 Abs. 1, insbesondere ber sein Schweigerecht, das Recht zur Konsultation eines Verteidigers und ggfs. Hilfe beim Erreichen eines Verteidigers, vor der Vernehmung erhalten hat. Mit im Protokoll hufig vorgedruckten formularmßigen Vermerken (Nr. 45 Abs. 1 RiStBV) darf er sich nicht zufrieden geben, sondern muß mit dem Klienten den Vorgang im einzelnen nachvollziehen. Die hchstrichterliche Rechtsprechung zu den Folgen der Verletzung des Belehrungsgebots sowie der Verpflichtung der Ermittlungsbehrden, dem Beschuldigten auf Wunsch einen Verteidiger zu „beschaffen“, ist streng11. Sie wird in jedem Einzelfall der Auswertung bedrfen, 10 Anders ist es, wenn die erhobene ffentliche Klage zurckgenommen wird (§ 467a Abs. 1) oder die Anzeige vorstzlich oder leichtfertig falsch erstattet wurde (§ 469). 11 BGHSt. (GrS) 42, 139, 147; EGMR, EuGRZ 96, 587, 592; BGHSt. 42, 15; eingehend Meyer-Goßner, § 136 Rn. 7 ff.; zur „informatorischen Befragung“ vgl. BGH, wistra 2005, 239.

178

Die speziellen Aufgaben

Rn. 247

wobei das Erfordernis der Geltendmachung des Verwertungsverbots durch ausdrcklichen Widerspruch der Verteidigung in der Hauptverhandlung sptestens im Zeitpunkt des § 257 nicht bersehen werden darf12 (Rn. 523)! Hierbei handelt es sich auch um ein Gebiet, in dem der Verteidiger aufgerufen ist, in geeigneten Fllen sich um eine Fortentwicklung des Rechts (Rn. 23) der Aussagefreiheit zu bemhen. Die Erfahrung lehrt, daß es fr einen Beschuldigten so gut wie unmglich ist, von den polizeilichen Niederschriften seiner Vernehmung loszukommen. Weicht er spter von ihnen ab, so werden in der Regel die Verhrpersonen ber das Zustandekommen und Inhalt der polizeilichen Niederschrift als Zeugen vernommen. Der Beschuldigte unterschreibt erfahrungsgemß die polizeilichen Protokolle und genehmigt sie ausdrcklich, obwohl sie auch im Falle eines Gestndnisses entgegen Nr. 45 Abs. 2 RiStBV vielfach nicht mit seinen Worten und in seiner Ausdrucksweise abgefaßt zu werden pflegen. Auch geben die Niederschriften meist lediglich die Ergebnisse der Vernehmung wieder. Sie halten weder den Gang des Verhrs im einzelnen fest noch dokumentieren sie die zeitlich oft umfnglichen „Vorgesprche“ vor Beginn der niedergeschriebenen Vernehmung. Gerade hieraus knnen sich aber nicht selten Rckschlsse auf das Zustandekommen der Aussage, die ußeren Umstnde der Vernehmung und den Wahrheitsgehalt der abgeblichen Aussage ziehen lassen. Ein Protokoll von wenigen Seiten bei einer Vernehmungsdauer von mehreren Stunden muß beim Verteidiger immer ein Alarmsignal auslsen. Besonders mißtrauisch sollte der Verteidiger gegenber polizeilichen Formulierungen sein, nach denen der Beschuldigte etwas „zugegeben“ hat. Oft handelt es sich nicht um Gestndnisse, sondern um bloße Angaben von Tatsachen. Sie erwecken den Eindruck, als habe der Beschuldigte eine Tat gestehen wollen. („Ich gebe zu, 10 Minuten nach der Tat in einer Entfernung von 1 km vom Tatort gestellt worden zu sein.“) Nicht selten finden solche Formulierungen ihren Grund in dem Wunsch des Polizeibeamten, ein Gestndnis protokollieren zu knnen.

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Die Polizei mag sich dabei noch im Rahmen ihrer Pflicht zur Ermittlung strafbarer Handlungen bewegen. Aus verstndlichen und beachtenswerten Grnden legt sie Wert darauf, schon bei der ersten Vernehmung den Beschuldigten zu berfhren. Dabei darf sie auch die Wirkung einer berraschung ausnutzen. Der Beschuldigte hingegen ist an der Sicherung seines Individualrechtes interessiert, dessen Schutz vordringliche Aufgabe des Verteidigers auch im Ermittlungsverfahren ist (Rn. 3 ff.). Daraus ergeben sich notwendigerweise Spannungen und Gegenstzlichkeiten. Um sie

247

12 BGH, NJW 1996, 1547.

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Rn. 248

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

zu berwinden, greift der Polizeibeamte hufig in der Vernehmungstechnik zu Mitteln, die zwar noch nicht unzulssig sein mssen, die aber doch geeignet sind, auf die Willensentschließung des Beschuldigten entscheidend einzuwirken13. So wird dem Beschuldigten mehr oder weniger eindringlich zugeredet, die Wahrheit zu sagen, bei der Feststellung des Sachverhaltes zu helfen, sein Gewissen und seine Lage zu erleichtern, nichts zu verschweigen und dergleichen mehr. Obwohl der Beweiswert derartiger Gestndnisse, die manchmal nur durch den berraschungseffekt ausgelst sind, nicht berschtzt werden sollte, steht doch fest, daß die Unrichtigkeit von Gestndnisprotokollen kaum einmal zu beweisen ist. Einem „Gestndnis“ wird noch immer geglaubt, schon deshalb, weil der Beschuldigte (hufig neben anderen) sich dabei (auch) selbst belastet – vielleicht um sich um so besser an anderer Stelle zu entlasten. Es wird selten gengend geprft. Dabei wird viel zu wenig beachtet, wie hufig falsche Gestndnisse vorkommen. Sie knnen ganz verschiedene Ursachen haben, z. B. Furcht vor der (Fortdauer der) Untersuchungshaft (Rn. 336), das Bestreben, den Ermittlungsbehrden im eigenen Interesse („Absprache“ oder andere Vorteile, zu. B. nach §§ 154, 154a) gefllig zu sein oder auch nur das „unnormale Verhalten“ Gerichtsfremder im Prozeß14. 248

Die Grenzen des § 136a werden mit Hinweisen der Polizei, die die Gestndniswilligkeit frdern sollten, nicht ohne weiteres berschritten. Die Rechtsprechung sieht in der Regel hierin noch keine unzulssigen Vernehmungsmittel, sondern lediglich den mahnenden Vorhalt von Umstnden und Grnden, die dem Beschuldigten die Beurteilung seiner Lage ermglichen sollen. Auch die Androhung von statthaften Maßnahmen, etwa der vorlufigen Festnahme, der Verhaftung oder der Durchsuchung, wird fr zulssig gehalten15. Anders wre es nur, wenn ein Polizeibeamter die Androhung allein mit dem Leugnen des Beschuldigten begrnden wrde16. Da die Rechtsprechung den § 136a eng auslegt und nur massive Beeintrchtigungen anerkennt, kommt es in der Praxis selten vor, daß eine Aussage nachweisbar auf Drohung, Qulerei oder Tuschung zurckzufhren ist und deshalb nicht verwertet werden darf17. Unzulssiger Zwang liegt indessen vor, wenn einem Beschuldigten die Verschonung von der Untersuchungshaft fr den Fall eines Gestndnisses 13 Vgl. hierzu Beulke, StV 1990, 182; Puppe, List im Verhr des Beschuldigten, GA 1978, 289 ff. 14 Peters, Untersuchungen zum Fehlurteil, S. 14. 15 BGH, GA 55, 246; Meyer-Goßner, § 136a Rn. 22. 16 BGH bei Dallinger, MDR 1953, 723. 17 Deutlich BGHSt. 20, 268; i. e. Meyer-Goßner, § 136a Rn. 4 ff.

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Die speziellen Aufgaben

Rn. 248

zugesagt wird und der Vernehmende weiß, daß der Beschuldigte auf Haftentlassung drngt18. Kaum angreifbar ist allerdings die Praxis, fr den Fall einer umfassenden Aussage (= Gestndnis) die Entlassung aus der Untersuchungshaft wegen Wegfalls der Verdunkelungs- oder sogar Fluchtgefahr (!) in Aussicht zu stellen. Auch muß der Verteidiger prfen, ob der Mandant nicht ber Umfang und Bestehen seines Schweigerechts getuscht worden ist. Dann darf die Einlassung nicht verwertet werden. Freilich erkennt die Rechtsprechung nur eine bewußte Tuschung an, nicht auch die nur versehentlich unterlassene Belehrung19 (Rn. 287). Alle diese Fragen sind nach den Erfahrungen der Praxis nur zu klren, wenn der Verteidiger mit Energie und Hartnckigkeit den Einzelheiten der Vernehmung nachgeht – auch wenn er sich dabei hufig den Unwillen der Justizorgane zuziehen wird. In Verkehrsstrafsachen kann die Vernehmung an der Unfallstelle unter § 136a fallen, falls der Beschuldigte nachweisbar unter Schockwirkung stand. Der Beschuldigte steht aber nicht nur diesen Fragen meist ratlos gegenber. Schon die Tatsache, daß berhaupt gegen ihn staatliche Ermittlungen gefhrt werden, macht ihn hufig unsicher und unbeholfen, auch wenn er sonst gewandt ist und nichts zu verbergen hat. Das Verfahren wirkt wie ein Schock und trifft vor allem denjenigen, der zu Unrecht verdchtigt wird. Der Schuldige weiß sich meist besser zu helfen. Er kennt seine Rechte oft aus Erfahrung: er merkt, worauf der Vernehmende hinaus will. Der Unschuldige hingegen redet hufig zuviel. Er ist emprt, wenn er von dem Verdacht in Kenntnis gesetzt wird, und ist nur zu gern bereit, sofort auszusagen, weil er ein gutes Gewissen hat und glaubt, durch seine Aussage die Sache „erledigen“ zu knnen. Veranlaßt wird er dazu zuweilen durch den Hinweis des Polizeibeamten, der Beschuldigte knne sich den „Skandal“ der Verhaftung und die Schdigung seines Rufes nicht leisten. Dabei bersieht er jedoch vielfach, daß er die Tatsachen, auf die es ankommt, nicht kennt und daß die Wahrheit fr ihn hufig ungnstiger ist als die Unwahrheit (Beispiel: Der Beschuldigte bestreitet den Willen zur Selbstbegnstigung). Auch der unschuldig Verdchtigte sagt hufig die Unwahrheit, etwa aus Angst vor dem Verdacht, aus Scham vor dem Aufsehen durch das Verfahren oder in der Absicht, eine andere Person zu schtzen20. Daß sich der Beschuldigte durch ein solches Verhalten selbst in Verdacht bringt, merkt er oft erst zu spt. 18 BGHSt. 20, 268. 19 BGHSt. 31, 395, 400; BGHSt. 35, 328, 329; zum Begriff der Tuschung einschrnkend: BGH, NJW 1996, 2940, 2942; BGH, NStZ 1997, 251. 20 Hirschberg, Das Fehlurteil im Strafprozeß, S. 53.

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Rn. 249

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

Aus diesen Grnden steht der Verteidiger im Ermittlungsverfahren oft vor einer schwierigen Aufgabe. Die erste Frage ist meist: Soll er die Ermittlungen der Polizei abwarten, oder soll er alsbald aktiv werden? Was richtig ist, hngt vom Einzelfall ab (vgl. Rn. 229 ff.). Soviel kann aber gesagt werden: Wenn es darum geht, entlastende Umstnde unverzglich aufklren zu lassen, darf der Verteidiger nicht zgern, sie der Ermittlungsbehrde (zum richtigen Zeitpunkt!) vorzutragen. Das weit verbreitete polizeiliche Mißtrauen sollte ihn nicht stren. Vielfach gelingt es auf diese Weise, eine Anklage zu verhindern. Auch kann es im Einzelfall pflichtwidrig sein, entlastendes Beweismaterial zurckzuhalten. 249

Was vorstehend zu den Ermittlungshandlungen der Polizei und der Verteidigeraufgabe im polizeilichen Ermittlungsverfahren dargestellt ist, trifft im Prinzip auch fr das Verfahren der Staatsanwaltschaft zu, soweit diese die Ermittlungen selbst betreibt. Das gilt besonders auch fr die staatsanwaltlichen Vernehmungen und deren Niederschriften (§§ 161a, 163a, 168b). Sie haben fr das Verfahren eine wesentlich strkere Bedeutung, weil das der Staatsanwaltschaft gebhrende Vertrauen in ihre Objektivitt hher einzustufen ist als die Sachgerechtigkeit polizeilichen Vorgehens. Der Verteidiger ist aber dadurch nicht von seinen Funktionen entbunden. Er hat es indessen im Umgang mit der Staatsanwaltschaft wesentlich leichter als mit der Polizei. Er ist oft bei den Sachbearbeitern der Staatsanwaltschaft und ihren Vorgesetzten bekannt und kann mit dem entsprechenden Vertrauen rechnen. Der Staatsanwalt ist wie er selbst streng an Gesetz und Recht gebunden. Er hat in jedem Stadium des Verfahrens seiner vornehmsten Pflicht zu gengen, auch die den Beschuldigten entlastenden Tatsachen zu ermitteln (§ 160 Abs. 2). Das alles ist durch den Verteidiger nutzbar zu machen, befreit ihn aber nicht von seiner Pflicht, seinerseits in eigener Verantwortung seinen Obliegenheiten zu gengen und alle seinem Mandanten gnstigen Umstnde in das Verfahren einzufgen. Er darf sich nicht darauf verlassen, daß die Staatsanwaltschaft schon alles bercksichtigen werde. Leider verfahren viele Verteidiger nach diesem gefhrlichen „Vertrauensgrundsatz“ und verfehlen ihre Aufgabe. Eine besonders schwere Verfehlung begeht der Verteidiger, der schwerwiegendes Entlastungsmaterial oder durchschlagende (Rechts-)Argumente ohne zwingenden Grund zurckhlt, um sich in der Hauptverhandlung einen spektakulren und erfolgreichen Auftritt zu sichern. Damit wird seine Schutzaufgabe (Rn. 3 ff.) geradezu pervertiert. Aber auch das soll vorkommen!

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Wie stets hat der Verteidiger darauf zu achten, die Grenzen der zulssigen Verteidigung nicht zu berschreiten und damit aus der Verteidigung in die Strafvereitelung zu geraten. Im einzelnen sind diese Gefahr und ihre Vermeidung in dem Abschnitt „Verteidigung und Strafvereitelung“ 182

Verbindung zu den Organen der Strafverfolgung

Rn. 251

(Rn. 55 ff.) dargestellt, wobei der Bereich des Ermittlungsverfahrens besonders bercksichtigt ist (Rn. 56 ff.). Darauf wird namentlich hinsichtlich Beratung und Belehrung des Mandanten ber Einlassung, Vernehmung, Gestndnis und Widerruf sowie des Zusammenwirkens mit Mitverteidigern („Verteidigerbesprechungen“ – Rn. 68) verwiesen. Die vorgelagerte Frage, ob und wie das Mandat berhaupt anzunehmen oder abzulehnen ist oder wieder abgegeben werden soll, kann dem Verteidiger ebensoviel Kopfzerbrechen machen. Dazu wird auf den besonderen Abschnitt „Verteidiger und Mandant“ verwiesen (Rn. 120 ff.). Ein besonderes Problem ist auch die Verteidigung des schuldigen Angeklagten (Rn. 73 ff.), insbesondere, wenn dieser sich dem Anwalt offenbart, bei Staatsanwaltschaft und Gericht aber bestreiten will. 3. Verbindung zu den Organen der Strafverfolgung BRAK-Schriftenreihe, Bd. 13, Reform der Verteidigung im Ermittlungsverfahren, 2004; Krause, Einzelfragen zum Anwesenheitsrecht des Verteidigers im Strafverfahren, StV 1984, 169; Nelles, Der Einfluß der Verteidiger auf Beweiserhebungen im Ermittlungsverfahren, StV 1986, 74; Richter II, Zum Bedeutungswandel des Ermittlungsverfahrens, StV 1985, 382; Schaefer, Ch., Kooperation im Ermittlungsverfahren, AnwBl. 1998, 67; Thomas, Erweiterte Teilhaberechte des Verteidigers im reformierten Ermittlungsverfahren, AnwBl. 1986, 56; Wagner, Rechtliches Gehr im Ermittlungsverfahren, ZStW 109 (1997), 545; Weihrauch, Verteidigung im Ermittlungsverfahren, Rn. 161 ff.

Um nichts zu versumen, sollte der Verteidiger mglichst frhzeitig zu den Ermittlungsbehrden Verbindung aufnehmen (Rn. 231). In der Folgezeit sollte er den Kontakt nicht abreißen lassen und so fr mglichst weitgehende Information sowie Einfluß auf die Ermittlungen sorgen. Das wird unter Umstnden von den Ermittlungsbehrden gerne gesehen, manchmal aber auch mit betonter Reserve so gerade geduldet. Der Verteidiger stßt insbesondere bei den Polizeidienststellen hufig auf Ablehnung. Er sollte sich dadurch aber nicht abschrecken lassen. Wenn der Beamte merkt, daß er es mit einem serisen Anwalt zu tun hat, wird er nach und nach aus sich herausgehen. Er wird vor allem erkennen, daß der Verteidiger eine unvergleichliche Hilfe leisten kann, wenn es darum geht, den Beschuldigten im eigenen Interesse zur wahrheitsgemßen Aussage zu veranlassen, statt in starrem Leugnen zu verharren. Die Polizei wird alsbald auch Hinweisen und Antrgen des Verteidigers zu weiteren Ermittlungen Folge leisten, wenn sie damit gute Erfahrungen macht. Die baldige Fhlungnahme mit der Polizei ist fr den Verteidiger auch zweckmßig, um den Gegenstand der Beschuldigung zu erfahren, wenn sich nicht aus dem Bericht des Mandanten volle Klarheit erzielen lßt. Er sollte die Polizei nach dem Stand des Ermittlungsverfahrens fragen, wenn 183

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Rn. 252

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

dies notwendig ist, um Entscheidungen ber Aussageverweigerung oder schriftliche ußerung zu treffen. Er sollte auch die Feststellung versuchen, wie die Polizei eine schriftliche Aussageverweigerung auffassen wird, ob sie daraus Folgerungen etwa fr Haftantrge oder hnliches ziehen wrde. 252

Bezglich der Verbindung zur Staatsanwaltschaft ist zunchst die Frage wichtig, ob der Verteidiger seine Bestellung als Wahlverteidiger sofort bei der Staatsanwaltschaft anzeigen soll, wenn er sich nicht schon bei der Polizei gemeldet hat. Vielfach ist es zweckmßig, damit zunchst zu warten. Die Erfahrung lehrt, daß sehr frhzeitig eingesetzte Verteidigung auch mißtrauisch machen kann (Rn. 241). Außerdem unterstellt der Staatsanwalt sofort (meist zu Recht), daß Erklrungen und Eingaben des Beschuldigten vom Verteidiger beeinflußt oder sogar formuliert sind. Der Verteidiger muß also abwgen, was im Einzelfall richtig ist. Die unverzgliche Anzeige der Bestellung ist immer dann vorteilhaft, wenn es darauf ankommt, mglichst schnell Akteneinsicht zu erhalten (Rn. 254 ff., 289) oder sonst im staatsanwaltschaftlichen Verfahren unmittelbar mitzuwirken. In jedem Fall ist aber der Mandant darber zu belehren, daß er die Verteidigerbestellung nicht wahrheitswidrig verschweigen soll, wenn er danach gefragt wird. Er knnte sich damit generell unglaubwrdig machen. Auch wenn mehrere Personen um ihre Verteidigung in derselben Sache bitten, kann es mit Rcksicht auf § 146 zweckmßig sein, nicht sofort fr alle Mandanten Verteidiger zu bestellen. Hier hat es sich bewhrt, zunchst nur fr einen Betroffenen einen Verteidiger auftreten zu lassen und die weiteren Bestellungen erst dann vorzunehmen, wenn geklrt ist, welche Personen berhaupt als Beschuldigte angesehen werden und wo ggfs. der Schwerpunkt der Vorwrfe liegt (Rn. 240). Bei der Staatsanwaltschaft sollte man grundstzlich mit dem Sachbearbeiter selbst das Gesprch suchen. Nur in Ausnahmefllen sollte dessen Vorgesetzter angesprochen werden, wenn es wegen der Bedeutung der Sache angezeigt erscheint oder wenn sich bei der Besprechung mit dem Sachbearbeiter Schwierigkeiten ergeben. In diesem Falle kann die Unterredung mit dem Vorgesetzten zu dem Zwecke gefhrt werden, eine Anweisung fr den Sachbearbeiter zu erreichen, dessen Bedenken zu zerstreuen oder aber im Wege der Dienstaufsichtsbeschwerde vorzugehen (Rn. 1086). Ist das Verhltnis zum Dezernenten der Staatsanwaltschaft belastet, kann auch eine „Bitte um Vermittlung“ an den Vorgesetzten sehr ntzlich sein. Ermittelt der Staatsanwalt selbst, wird der Verteidiger sich alsbald ber den Gegenstand der Beschuldigung informieren. Im brigen ist es wichtig, 184

Verbindung zu den Organen der Strafverfolgung

Rn. 253

von der Staatsanwaltschaft den jeweiligen Stand der Ermittlungen zu erfahren und mglichst schon vor deren Abschluß Akteneinsicht zu erhalten (Rn. 261). Auch wird der Staatsanwalt bei vernnftiger Zusammenarbeit gelegentlich bekanntgeben, welche Beweiserhebungen er beabsichtigt. Das kann besondere Bedeutung haben fr die Vernehmung des Beschuldigten (§ 163a Abs. 3), von Zeugen und die Anhrung von Sachverstndigen (§ 161a). Wird der Mandant vom Staatsanwalt vernommen, so sollte der Verteidiger von seinem Anwesenheitsrecht (§ 163a Abs. 3 S. 2 i. V. m. § 168c Abs. 1 – Rn. 295) stets Gebrauch machen. Mindestens ebenso wichtig ist die Mitwirkung des Verteidigers bei der Vernehmung von Zeugen und Sachverstndigen. Hier besteht zwar kein gesetzlicher Anspruch des Verteidigers auf Teilnahme, jedoch schließt das Gesetz die Mitwirkung des Verteidigers auch nicht aus21. Sachliche Grnde, den Verteidiger nicht zuzulassen, drften in aller Regel nicht bestehen, zumindest dann nicht, wenn bereits Akteneinsicht gewhrt worden ist oder die Beweiserhebung auf Antrag der Verteidigung erfolgt. Der Verteidiger sollte auf seine Anwesenheit drngen und sie bei Weigerung des Sachbearbeiters gegebenenfalls durch den Vorgesetzten zu erreichen suchen. In der Praxis besteht das Problem in der Regel darin, berhaupt zu erfahren, daß und wann der Staatsanwalt eine Vernehmung durchfhrt. Bevor der Verteidiger sich fr oder gegen eine umfassende Stellungnahme zum Ermittlungsergebnis entscheidet, sollte er versuchen, die Ansicht des Staatsanwalts genauer festzustellen. Sobald der Beschuldigte die Ladung zur richterlichen Vernehmung erhlt, sollte sich der Verteidiger mit dem Ermittlungsrichter in Verbindung setzen. Es ist dies insbesondere geboten, wenn der Verteidiger vom Gegenstand der Beschuldigung keine sichere Kenntnis hat. Auch sollte er mit dem Richter darber sprechen, ob ein Haftbefehl zu erwarten ist, falls der Beschuldigte nicht aussagt oder sich schriftlich ußert (Rn. 289, 338). Auch bei allen anderen richterlichen Ermittlungshandlungen (§ 168c Abs. 2, § 168d Abs. 1) hat der Verteidiger einen Anspruch auf Teilnahme22. Es kann zweckmßig sein, den Wunsch nach rechtzeitiger Terminsbenachrichtigung (§ 168c Abs. 5) aktenkundig zu machen, um einschlgigen „technischen Pannen“ vorzubeugen und Terminkollisionen zu vermeiden. Ein Anspruch auf Terminverlegung soll nach § 168c Abs. 5 S. 3 nicht bestehen, jedoch ist eine Verlegung immerhin mglich. Der Verteidiger sollte also ggfs. bei Verhinderung des Klienten oder eigener Verhinderung 21 Dazu Wagner, ZStW 109 (1997), 548 ff.; anders bei der Vernehmung des Mitbeschuldigten (str.) BGH, StV 1997, 234; OLG Karlsruhe, StV 1996, 302 m. Anm. Theisen in JR 1996, 436. 22 Vgl. aber BGHSt. 29, 1 sowie die Hinweise in Rn. 295.

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Rn. 254

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

durchaus den Verlegungsantrag mit eingehender (und wahrheitsgemßer) Begrndung stellen und das Gericht darauf hinweisen, daß angesichts der Bedeutung des Verfahrens und der Notwendigkeit des Verteidigerbeistandes sowie letztlich auch im Interesse der Beschleunigung der Sache eine Verlegung des Termins angezeigt ist. In diesem Zusammenhang kann ein Hinweis darauf, daß der Beschuldigte zwar zu einer Aussage bereit ist, jedoch nur in Gegenwart seines Verteidigers, hilfreich sein. Damit hat der Verteidiger ein gewisses „Druckmittel“ in der Hand, um zu einer einvernehmlichen Terminsbestimmung zu kommen, jedoch wohl nur dann, wenn die Staatsanwaltschaft ein echtes Interesse an der Aussage des Beschuldigten hat. 4. Akteneinsicht Bahnsen, Das Akteneinsichtsrecht der Verteidigung im Strafverfahren, 1996; Beck'sches Formularbuch/Dankert/Ignor, 4. Aufl., 2002, S. 64 ff.; Beulke, Das Einsichtsrecht des Strafverteidigers in die polizeilichen Spurenakten, FS Dnnebier (1982), S. 285; Burkhard, Zum Recht des Strafverteidigers auf Akteneinsicht im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, wistra 1996, 171; Eisenberg, Aspekte der Rechtsstellung des Strafverteidigers, NJW 1991, 1257; Gtz, Kriminalpolizeiliche Spurenakten, Kriminalistik 1988, 481; Groh, Zum Recht des Strafverteidigers auf Einsichtnahme in staatsanwaltliche Ermittlungsakten, DRiZ 1985, 52; Kempf, Zur verfassungsrechtlichen Entwicklung des Akteneinsichtsrechts, StraFo 2004, 299; Marberth-Kubicki, Die Akteneinsicht in der Praxis, StraFo 2003, 366; Mehle/Hiebl, Rechtsschutz gegen Verweigerung der Akteneinsicht durch die Staatsanwaltschaft, StV 1995, 571; Meyer-Goßner, Die Behandlung kriminalpolizeilicher Spurenakten im Strafverfahren, NStZ 1982, 353; Neuhaus, Das Opferrechtsreformgesetz 2004, StV 2004, 620; Riedel/Wallau, Das Akteneinsichtsrecht des „Verletzten“ in Strafsachen – und seine Probleme, NStZ 2003, 393; Schneider, Grundprobleme des Rechts der Akteneinsicht des Strafverteidigers, Jura 1995, 337; Taschke, Die behrdliche Zurckhaltung von Beweismitteln im Strafprozeßrecht, 1989; Wasserburg, Das Einsichtsrecht des Anwalts in die kriminalpolizeilichen Spurenakten, NJW 1980, 2440; Weihrauch, Verteidigung im Ermittlungsverfahren, 6. Aufl., 2002, Rn. 55 ff.; Welp, „Probleme des Akteneinsichtsrechts“, FG Karl Peters (1984), S. 309; Welp, Rechtsschutz gegen verweigerte Akteneinsicht, StV 1986, 446.

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Wichtigstes Privileg des Verteidigers im Ermittlungsverfahren ist das in § 147 geregelte Recht zur Akteneinsicht23. Es gewhrt ihm weitgehende und sehr wirksame Mglichkeiten zum Schutze des Verfolgten. Allein die Aktenkenntnis ffnet den Weg zur sachlichen Diskussion mit dem Sachbearbeiter der Staatsanwaltschaft und zu dem Ziel, die Staatsanwaltschaft zur Einstellung des Verfahrens zu bringen. 23 Der EuGMR billigt allerdings dem Beschuldigten selbst ebenfalls ein Recht auf Akteneinsicht zu, NStZ 1998, 429 m. Anm. Deumeland. Das gilt jedoch nicht, wenn er einen Verteidiger hat – OLG Frankfurt, NStZ-RR 2001, 374.

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Akteneinsicht

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a) Gesetzliche Regelung Der Verteidiger hat grundstzlich das Recht zur Akteneinsicht in allen Verfahrensabschnitten (§ 147), mit Ausnahme des polizeilichen Ermittlungsverfahrens. Er darf die Akten und Beiakten, die dem Gericht vorliegen oder im Fall der Anklageerhebung vorzulegen wren, die also den anderen Rechtspflegeorganen bekannt sind, einsehen und amtlich verwahrte Beweisstcke besichtigen. Allerdings hat er keinen Anspruch darauf, daß die Akten stndig bereitgehalten werden. Es ist daher zweckmßig, die Absicht der Akteneinsicht auf der Geschftsstelle vorher anzukndigen. Der Fortgang des Verfahrens soll durch die Akteneinsicht nicht unangemessen verzgert werden. Freilich muß eine Verzgerung in Kauf genommen werden, wenn anders die Verteidigung nicht sachgerecht zu fhren ist. Darauf muß der Verteidiger bestehen. Die in der Praxis verbreitete (formularmßige) Erwiderung auf Einsichtsantrge, die Akten seien „versandt“ oder „nicht entbehrlich“, darf er jedenfalls (im Wiederholungsfalle) nicht hinnehmen, sondern sollte eine frmliche Entscheidung darber herbeifhren, ob die Voraussetzungen des allein die Verweigerung rechtfertigenden § 147 Abs. 2 vorliegen. Einen praktischen Kompromiß erreicht man brigens nicht selten mit dem Angebot, die Akten durch Boten abholen und binnen 24 oder 48 Stunden zurckbringen zu lassen. Nur in besonderen Verfahrenslagen kann er sich mit Akteneinsicht auf der Geschftsstelle begngen, so in Haftsachen (Rn. 338) oder kurz vor bzw. whrend der Hauptverhandlung.

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Die Einsicht in private oder behrdliche Beiakten steht dem Verteidiger ebenfalls frei. Die Staatsanwaltschaft darf dem Gericht nur solche Aktenteile und Beweisstcke vorlegen, die Bestandteile der Akten und damit auch dem Verteidiger zugnglich werden (vgl. Nr. 111 Abs. 5 RiStBV). Das Verfahren, derartige Akten „neben dem Vorsitzenden liegen zu lassen“, ohne sie zum Gegenstand der Verhandlung zu machen, muß der Verteidiger beanstanden. Solche „heimlichen Beiakten“ knnen die richterliche berzeugungsbildung in gefhrlicher Weise beeinflussen. Im Steuerstrafverfahren bezieht sich die Befugnis des Verteidigers auch auf smtliche Akten, die das Finanzamt bei seiner Entscheidung bercksichtigen will. Schließt eine Behrde im Einzelfall die Einsicht in ihre beigezogenen Akten aus, so darf deren Inhalt nicht zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden24.

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24 Nher Meyer-Goßner, § 147 Rn. 13 ff.; eine Ausnahme kommt nur im Falle des § 96 in Betracht; dagegen begrndet allein der Charakter der Vertraulichkeit keine Begrenzung des Akteneinsichtsrechts, BGH, NJW 1996, 2171 = NStZ 1997, 43.

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Rn. 257

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

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Besonderen Schwierigkeiten kann sich der Verteidiger gegenbersehen, wenn polizeiliche Spurenakten dem Gericht nicht vorgelegt werden. Ein Anspruch auf Einsicht nach § 147 soll dann nicht bestehen25. Ein schlssiger Beweisantrag kann in der Regel nicht formuliert werden, weil der konkrete Inhalt der einzelnen Spurenakte unbekannt ist. Es bleibt daher nur der unsichere Weg des Beweisermittlungsantrages (Rn. 685), dem das Gericht nur im Rahmen seiner allgemeinen Aufklrungspflicht (§ 244 Abs. 2) nachgehen muß, wenn der aufzuklrende Tatsachenkomplex einigermaßen konkretisiert werden kann26. Jedenfalls in den Fllen, in denen der Angeklagte seine Tterschaft bestreitet und Ermittlungen gegen verschiedene Tatverdchtige gefhrt worden sind, drfen weder Verteidigung noch Gericht auf die Auswertung der Spurenakten verzichten27. Eine solche Einschrnkung der richterlichen Erkenntnismglichkeit durch die Ermittlungsbehrde kann nur im Ausnahmefall mit Rcksicht auf hherrangige rechtliche Interessen toleriert werden, wobei ein strenger Maßstab anzulegen ist.

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Das Recht auf Akteneinsicht muß aber darber hinaus auch die fr das Verfahren gespeicherten oder sonst dafr ausgewerteten Daten (§ 98b Abs. 3) erfassen. Wrde man aus dem Einsichtsrecht die elektronischen Dateien ausklammern, wre es nicht nur inkomplett, sondern knnte dadurch unterlaufen werden, daß „sensible“ Daten/Ermittlungsergebnisse nicht aktenkundig gemacht, sondern – jedenfalls bis zum Abschluß der Ermittlungen – nur in EDV gespeichert wrden. Der zunehmende Einsatz von EDV-Anlagen bei Betroffenen einerseits und in der Strafrechtspflege sowie der Polizei andererseits muß deshalb zur Folge haben, daß auch das Einsichts-/Informationsrecht des Verteidigers in fortgebildeter Auslegung des § 147 bis in diese Tiefe reicht. Auf Antrag sind daher Ausknfte ber EDV-gespeicherte Daten konkreter Verfahrensrelevanz zu erteilen28.

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Schließlich umfaßt das Akteneinsichtsrecht auch die Kopie von Videoaufzeichnungen29.

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Es empfiehlt sich, den Antrag auf Akteneinsicht ausdrcklich auf „alle Hauptakten, Beiakten, Beweismittelakten, Spurenakten usw.“ zu erstrecken sowie auf Informationen ber etwa elektronisch gespeicherte 25 So BGHSt. 30, 131, 139 f., aber: BVerfG, StV 1983, 177, 178: Spurenakten mssen dann Gericht (und Verteidigung) vorgelegt werden, wenn Inhalt fr etwaige gegen Beschuldigten zu verhngenden Rechtsfolgen von irgendeiner Bedeutung sein kann. Weitere Hinweise bei Meyer-Goßner, § 147 Rn. 18. 26 Vgl. BGH, NStZ 1981, 361. 27 Meyer-Goßner, § 147 Rn. 18. 28 Nher dazu Weihrauch, Rn. 61a; Meyer-Goßner, § 147 Rn. 18a m. N. 29 OLG Stuttgart, StV 2003, 17 m. Nachw.; OLG Koblenz, StV 2003, 608.

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Akteneinsicht

Rn. 261

verfahrensrelevante Daten. Es kommt nmlich immer wieder vor, daß nur ein Teil der Akten ausgehndigt wird, ohne daß die Existenz weiterer Verfahrensakten erkennbar ist. Auch deshalb sollte man bei Rckgabe der Akten in einem Begleitschreiben genau festhalten, welche Aktenstcke vorgelegen haben. Spter etwa notwendig werdende Antrge auf Verlngerung von Fristen oder auf Vertagung knnen angesichts des umfassenden frheren Antrags dann kaum zurckgewiesen werden. – Es ist grundstzlich nicht, wie Richter gelegentlich meinen, „Sache des Verteidigers, dafr zu sorgen, daß er alle Akten und Unterlagen bekommt“30. Sobald der Staatsanwalt den Abschluß der Ermittlungen in den Akten vermerkt hat, hat der Verteidiger einen unbeschrnkten Anspruch auf Akteneinsicht. Die Versagung der Akteneinsicht und der Besichtigung der Beweisstcke darf nur ausnahmsweise und vor Abschluß der Ermittlungen (§ 147 Abs. 2) erfolgen, wenn dadurch der Untersuchungszweck gefhrdet wird (Rn. 268). In diesem Falle ist die Staatsanwaltschaft bei Abschluß der Ermittlungen zu einer ausdrcklichen Mitteilung an den Verteidiger verpflichtet, daß die Akten nunmehr unbeschrnkt eingesehen werden knnen (§ 147 Abs. 6 S. 2). Fr die zeitweilige Ablehnung der Akteneinsicht kann es ausnahmsweise objektive Grnde geben, die nach dem Stand des Verfahrens gerechtfertigt sind, z. B. die Vorbereitung berraschender Untersuchungshandlungen, etwa einer Durchsuchung oder einer Haftanordnung. Manchmal gewhrt der Staatsanwalt trotzdem Akteneinsicht (nach Entnahme der einschlgigen Vorgnge), wenn er an einer Stellungnahme der Verteidigung besonders interessiert ist oder um seinen Standpunkt zu berprfen. Dagegen rechtfertigen ermittlungstaktische Erwgungen der Staatsanwaltschaft die Verweigerung nicht, z. B. die Absicht, neue Ermittlungsergebnisse dem Beschuldigten oder Zeugen in einer bevorstehenden Vernehmung berraschend vorzuhalten. Es ist allerdings auch nicht ausgeschlossen, daß die Staatsanwaltschaft versucht, die Aussageverweigerung des Beschuldigten zu benutzen, um die Akteneinsicht abzulehnen: Das ist nach der ratio legis ebenfalls nicht zulssig! Zu Schwierigkeiten fhrt die Versagung der Akteneinsicht, wenn der Staatsanwalt glaubt, sie damit begrnden zu mssen, der Verteidiger komme sonst in eine Pflichtenkollision oder er sei persnlich unzuverlssig. Ob ein mglicher Pflichtenwiderstreit (Rn. 275) allein zur Versagung der Akteneinsicht ausreicht, muß bezweifelt werden. Zwar ist das Bedenken nicht leicht zu nehmen. Der Verteidiger steht aber in Erfllung seines 30 Nach BGH, StV 2001, 4 ist sogar das Gericht ggfs. verpflichtet, dem Verteidiger von Amts wegen (ergnzende) Akteneinsicht zu gewhren.

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Rn. 262

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

Auftrages mehr oder weniger stndig in Konfliktsituationen, die er nach Recht und Berufspflichten zu lsen hat. Allein deswegen die Akteneinsicht und damit die Mglichkeit zu sachgerechter Verteidigung schon vor Abschluß der Ermittlungen zu verweigern, ist nicht angngig. 262

berhaupt ist die Akteneinsicht der Prfstein fr das Verstndnis zwischen Staatsanwalt und Verteidiger, so wie es frher die Richtlinien fr das Strafverfahren (Nr. 90 a. F.) in richtiger Deutung des Gesetzes ausdrcklich vorschrieben (Rn. 176 Fn. 84). Der Gesetzgeber hat dem Verteidiger mit dem Privileg der Akteneinsicht großes Vertrauen bewiesen und ihn damit als Funktionstrger der Rechtspflege anerkannt. Es liegt am Verteidiger, sich dieses Vertrauens wrdig zu erweisen. Es liegt aber auch am Staatsanwalt, im Einzelfall mit „Verstndnis und Vertrauen“ so zu praktizieren. Die meisten Staatsanwlte handeln dementsprechend und sehen in der Akteneinsicht durch den Verteidiger grundstzlich keine Gefhrdung des Untersuchungszweckes. Es gibt aber Staatsanwlte, die ebenso grundstzlich erklren, der Untersuchungszweck sei in jedem Falle mindestens dann gefhrdet, wenn der Beschuldigte noch nicht vernommen sei. Wenn der Verteidiger auf solche Auffassungen stßt, muß er auf die Barrikaden gehen, falls er den Staatsanwalt nicht in einer persnlichen Aussprache berzeugen kann. Er muß die Grundsatzfrage notfalls bei dem Vorgesetzten des Sachbearbeiters frmlich auspauken.

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Allerdings gibt es hier manchmal praktische Schwierigkeiten sehr diffiziler Natur. Dem Staatsanwalt kann aus anderen Fllen bekannt sein, daß der betreffende Verteidiger das Akteneinsichtsrecht mißbraucht und sich damit als unzuverlssig erwiesen hat. Man wird dann fr die Bedenken des Staatsanwalts Verstndnis haben mssen. Anderseits darf es nicht dazu kommen, daß die Verteidiger von der Staatsanwaltschaft in eine erste Gruppe vertrauenswrdiger und in eine zweite Gruppe vertrauensunwrdiger (Rn. 251 f.) Anwlte klassifiziert werden. Dies will auch die Staatsanwaltschaft selbst im allgemeinen nicht. Sie wird eine Form der Ablehnung mit oder ohne Einzelbegrndung zu finden wissen, die der Situation angemessen ist. Wenn die Staatsanwaltschaft die vollstndige Akteneinsicht noch nicht gewhren will, kann man in geeigneten Sachen manchmal im Kompromißwege erreichen, daß wenigstens Teileinsicht in die Akten, die schon „ausermittelte“ Sachkomplexe enthalten, gewhrt wird. In Fllen, in denen der Verteidiger sich vor Abschluß der Ermittlungen bestellt hat, sollte er vorsorglich immer „Akteneinsicht nach Abschluß der Ermittlungen“ beantragen, die ihm nicht versagt werden darf31. Das 31 Weihrauch, Rn. 64.

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Akteneinsicht

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gilt besonders dann, wenn zur Sache eine Stellungnahme abgegeben worden ist, die zu weiteren Ermittlungen gefhrt hat. Die Ermittlungsbehrden sehen es leider nur selten als ihr nobile officium an, die Ergebnisse der vom Verteidiger angeregten oder beantragten Ermittlungen diesem von Amts wegen vor ihrer Abschlußentscheidung zur Kenntnis zu bringen. berhaupt muß der Verteidiger bei Verweigerung der Akteneinsicht die Anfechtungsmglichkeit prfen. Richterliche Entscheidungen unterliegen der Beschwerde, staatsanwaltschaftliche Ablehnungen der Dienstaufsichtsbeschwerde (Rn. 1086). Der Antrag nach § 23 EGGVG wird als unzulssig angesehen32. Unbestritten zulssig ist der Antrag, falls die Akteneinsicht außerhalb eines anhngigen Verfahrens versagt wird (Rn. 1082).

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Die Erfahrung beweist darber hinaus, daß vielen Verteidigern die Vorschrift des § 147 Abs. 3 nicht gelufig ist. Bei Ablehnung der Akteneinsicht kann der Verteidiger jederzeit die Sachverstndigengutachten und die polizeilichen, staatsanwaltschaftlichen und richterlichen Protokolle ber die Vernehmungen des Beschuldigten einsehen, desgleichen die Niederschriften ber richterliche Untersuchungshandlungen, an denen er teilgenommen hat oder htte teilnehmen drfen. Auf diesem Wege lßt sich auch bei der Polizei Einsicht in diese Aktenteile erreichen33. Versagung der Akteneinsicht in diesen Fllen bedeutet Verweigerung des rechtlichen Gehrs34. Der Verteidiger hat auch das Recht auf Einsicht in die Akten auslndischer Strafverfolgungsbehrden, vorausgesetzt, diese Akten wurden von den deutschen Ermittlungsbehrden oder dem erkennenden Gericht beigezogen35. Aus Fragen und Vorhalten in diesen Niederschriften kann der Verteidiger oft die Schuldvorwrfe und Belastungsmomente erkennen.

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Fr die Durchfhrung der Akteneinsicht gilt folgendes: Wenn nicht wichtige Grnde entgegenstehen, darf der Verteidiger die Akten mit Ausnahme der Beweisstcke in seine Geschftsrume oder in seine Wohnung mitnehmen. Die Entscheidung hierber ist nach ausdrcklicher Gesetzesvorschrift nicht anfechtbar (§ 147 Abs. 4). Im allgemeinen wird die Einsicht der Akten in den Rumen des Verteidigers bewilligt (Nr. 187 Abs. 2

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32 BVerfG, StV 1994, 1, Antrag nach § 23 EGGVG nicht statthaft, selbst wenn Beschuldigter in U-Haft; ebenso OLG Karlsruhe, NStZ 1997, 49; dagegen Mehle/Hiebl, StV 1995, 571 m. N. 33 Kleinknecht, Kriminalistik 1965, 454. 34 BVerfG, NJW 1965, 1171; NJW 1983, 1043 (im Fall des Abs. 3 sowie der Spurenakten ist § 23 EGGVG zulssig). 35 OLG Frankfurt, NStZ-RR 1996, 238.

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Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

RiStBV). Anders ist auch eine Verteidigung, vor allem in umfangreichen Sachen, nicht ordnungsgemß zu fhren. Es ist schwer verstndlich, daß Staatsanwaltschaften und Gerichte gerade in großen Sachen am ehesten die Neigung haben, die berlassung der Akten in die Kanzlei oder die Versendung an den Kanzleiort „wegen des Umfanges der Akten“ abzulehnen. Vor der „technischen Unbeholfenheit“ von Justizorganen sollte der Verteidiger aber nicht kapitulieren. Der Aufwand und die Schwierigkeiten, die dem Verteidiger mit der Durcharbeitung umfangreicher Akten und der Herstellung eines Aktenauszuges auf der Geschftsstelle eines mglicherweise von seinem Kanzleiort weit entfernten Gerichts zugemutet werden, sind unvergleichlich grßer als die Expedierung von einigen Aktenkisten. Seit einiger Zeit gibt es auf Seiten der Justiz offenbar Mißtrauen gegen die Post, und die Aktenversendung auf diesem Wege wird abgelehnt. Oder scheut man die Kosten? Der Verteidiger kann dann nur eine Abholung der Akten durch eigene Mitarbeiter oder einen Kurierdienst organisieren, wenn er nicht Tage oder Wochen in einem auswrtigen Gericht zubringen will. Eine Ausnahme gilt in Staatsschutzsachen, in denen die Interessen des Geheimnisschutzes gelegentlich vorgehen knnen (Rn. 274), und in Steuerstrafsachen fr die eigentlichen Steuerakten, die von der Mitnahme regelmßig ausgeschlossen werden. Soweit Akten oder Beweisstcke in den Dienstrumen der Staatsanwaltschaft eingesehen werden mssen, kann der Verteidiger damit einen (z. B. am Ort befindlichen) Kollegen oder auch einen juristischen Mitarbeiter beauftragen36. Die Besichtigung von Beweismitteln oder die Einsicht in Beweisunterlagen, z. B. in Wirtschaftsstrafsachen, darf auch durch einen vom Verteidiger dafr bevollmchtigten Sachverstndigen, z. B. Wirtschaftsprfer, Steuerberater, Fachingenieur usw. im Auftrage des Verteidigers durchgefhrt werden37. Bei diesen Personen wird es sich entweder um Hilfspersonen des Verteidigers i. S. des § 53a (Rn. 309) oder um Angehrige „verkammerter Berufe“ handeln, die selbst berufsrechtlichen Bindungen, insbesondere der Verschwiegenheitspflicht (§ 203 StGB) unterliegen. Das Verbot, dem Verteidiger Beweisunterlagen zur Fertigung von Fotokopien in die Kanzlei zu berlassen (§ 147 Abs. 4) kann gleichwohl insbesondere in großen Wirtschaftsstrafsachen die Verteidigung extrem behindern. Die Ermittlungsbehrden und Gerichte sind zwar heute zuweilen bereit, die Beweisurkunden (z. B. Krankenbltter usw.) nach Absprache 36 OLG Brandenburg, NJW 1996, 67; Meyer-Goßner, § 147 Rn. 9. 37 Meyer-Goßner, § 147 Rn. 9; LG Bielefeld, Beschl. v. 19. 3. 1998 – 9 KLs K 2/95 IX – unv.

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ganz oder teilweise mit oder ohne Kostenerstattung fr den Verteidiger abzulichten: ein Rechtsanspruch darauf besteht allerdings nicht. Hilfsweise kommt in Betracht, daß die Beweisunterlagen gegen Kostenerstattung vom Verteidiger oder unter seiner Aufsicht von Mitarbeitern im Dienstgebude der Staatsanwaltschaft fotokopiert werden. Auch dies wird bei umfangreichen Akten bisweilen abgelehnt und der Verteidigung anheim gegeben, ein Fotokopiergert selbst mitzubringen! Besondere Schwierigkeiten gibt es auch bei der notwendigen Herstellung von Farbkopien, was den behrdlichen Technik-Status in der Regel bersteigt. Hier kann nur eine fr den Einzelfall praktikable Lsung weiterhelfen. In der Praxis sieht die Aktenberlassung an den Verteidiger vielfach anders aus als auf dem Papier. Die Beamten der Geschftsstelle geben manchmal die Akten dem Verteidiger oder seinen Broangestellten kurzerhand mit gegen die Zusage pnktlicher Rckgabe. Das ist fr den Beamten und fr den Verteidiger dann ein bedenkliches Verfahren, wenn es heimlich und den Umstnden nach ohne oder gegen Anordnung des Sachbearbeiters geschieht. Vielfach haben aber die Beamten eine Art genereller Erlaubnis, nach ihrem Ermessen die Akten an „vertrauenswrdige“ Verteidiger herauszugeben. Der Verteidiger kann es wohl vertreten, von dem ihm so zugeteilten ius singulare Gebrauch zu machen. Die Verantwortung hat dann der Beamte bzw. die Behrde.

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Hat der Staatsanwalt den Abschluß der Ermittlungen in den Akten vermerkt, so ist die Befugnis des Verteidigers zur Akteneinsicht unbeschrnkbar. Will der Staatsanwalt das Verfahren einstellen, so braucht er den Abschluß der Ermittlungen allerdings nicht aktenkundig zu machen. Wird ein Einstellungsbeschluß jedoch im Beschwerdeverfahren spter aufgehoben oder wird der Staatsanwalt im Klageerzwingungsverfahren zur Anklageerhebung angewiesen, muß er nunmehr den Vermerk anbringen. Damit tritt die unbeschrnkbare Befugnis des Verteidigers zur Akteneinsicht ebenfalls in Kraft.

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Endet das Ermittlungsverfahren mit einer Einstellung mangels Tatverdachts nach § 170 Abs. 2, besteht hufig dennoch ein Interesse an der Akteneinsicht. Nach Nr. 88 RiStBV wird dem Betroffenen bzw. seinem Verteidiger im Regelfall lediglich mitgeteilt, daß das Verfahren eingestellt worden ist, whrend die Begrndung dieser Entscheidung und evtl. Nebenentscheidungen aktenintern bleiben. Es liegt auf der Hand, daß sowohl der Betroffene als auch sein Verteidiger ein gesteigertes Interesse daran haben, die Grnde fr die Einstellung des Verfahrens und die sachlichen Grundlagen der Entscheidung in Erfahrung zu bringen. Sie knnen fr ein disziplinarisches oder berufsgerichtliches Verfahren ebenso Bedeutung ha-

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Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

ben wie fr die Rehabilitierung des Betroffenen in der ffentlichkeit oder in anderen Bereichen. Die Entscheidungsgrnde knnen auch Veranlassung zu einer Strafanzeige (z. B. nach § 164 StGB) oder zivilrechtlichen Schadensersatzansprchen bieten; darber hinaus sind sie mglicherweise fr arbeitsrechtliche oder dienstrechtliche Fragen relevant. Deshalb erffnet Nr. 88 S. 1 RiStBV auch die Mglichkeit, auf ausdrcklichen Antrag die Grnde fr die Einstellung des Verfahrens mitgeteilt zu bekommen. Dies geschieht allerdings nur, soweit kein schutzwrdiges Interesse entgegensteht. Das Interesse der Verteidigung des Klienten kann aber ber die Begrndung der Einstellungsverfgung hinausgehen, insbesondere wenn die Entscheidung der Staatsanwaltschaft auf Ermittlungsergebnissen beruht, die der Verteidigung noch nicht bekannt waren. Merkwrdigerweise stehen nicht wenige Staatsanwlte auf dem Standpunkt, daß mit Abschluß des Ermittlungsverfahrens der Betroffene und sein Verteidiger „Dritte“ i. S. der Nr. 185 Abs. 3 RiStBV geworden sind und ihnen ein Anspruch auf Akteneinsicht nur zusteht, wenn sie ein rechtliches Interesse darlegen knnen. Die an sich schon eigenartige Rechtslage, daß dem Betroffenen die Grnde der Abschlußentscheidung nur auf Antrag mitgeteilt werden, wird durch diese Auffassung noch verschrft. Es kann durchaus auf Seiten des Betroffenen ein Interesse daran bestehen, eben nicht aktenkundig zu machen, aus welchen Grnden er an dem vollstndigen Ermittlungsergebnis, das vor der Abschlußentscheidung erhoben worden ist, ein Interesse hat. So knnen z. B. Erkenntnisse fr die Verteidigung des Betroffenen in einem anderen Ermittlungsverfahren – vielleicht sogar wegen eines hnlichen Vorwurfs – direkte oder indirekte Bedeutung entfalten, fr die Frage der Richtigkeit einer von ihm als Zeuge in einem anderen Verfahren gemachten Aussage wichtig sein u. . Es kann auch sein, daß sich die Grundlage fr die Einstellungsentscheidung als so „schwach“ erweist, daß eine mgliche Beschwerde (§ 172 Abs. 1) zu befrchten ist oder aus anderen Grnden damit gerechnet werden muß, daß aufgrund eines zu erwartenden „Anstoßes“ die Ermittlungen wieder aufgenommen werden. Fr diese Flle Vorsorge zu treffen, ist essentieller Bestandteil der selbstverstndlichen Pflicht des Verteidigers zur Nachsorge (Rn. 771). Richtigerweise muß daher auch nach einer Einstellung des Verfahrens das Verteidigerverhltnis als fortbestehend angesehen und der Anspruch auf Gewhrung der Akteneinsicht aus § 147 anerkannt werden38. Das soll allerdings dann nicht gelten, wenn die Einsicht fr Zwecke begehrt wird, die mit der Verteidigung nicht mehr zusammenhngen39. 38 Dazu Meyer-Goßner, § 147 Rn. 11 m. N. 39 So Meyer-Goßner, § 147 Rn. 11; a. A. OLG Hamm, NJW 1984, 880.

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Akteneinsicht

Rn. 270

b) Aktenbehandlung Die sorgfltige Verwahrung und Behandlung der Akten ist Pflicht des Verteidigers, der die Akten aufgrund eigenen Rechtes und des ihm vom Gesetzgeber eingerumten Vertrauens einsehen und in die Kanzlei mitnehmen darf. Man erwartet von ihm, daß er die Aktenkenntnis nicht mißbruchlich ausntzt und fr die Unversehrtheit der Akten einsteht. Der Verteidiger hat daher gewissenhaft darauf zu achten, daß dieses Vertrauen nicht gestrt wird. Die Aufbewahrung ist so zu gestalten, daß Unbefugte keinen Einblick nehmen knnen, daß sie nicht verlorengehen und nicht beschdigt werden knnen (§ 19 Abs. 1 BORA). Jede Nachlssigkeit, auch des Bropersonals, ist geeignet, das Vertrauen zu erschttern, und kann dazu fhren, daß dem Verteidiger in Zukunft die Mitnahme der Akten in sein Bro oder gar die Akteneinsicht vor Abschluß der Ermittlungen verweigert wird. Es ist deshalb notwendig, die Angestellten ber die Behandlung der Akten zu belehren und sie in ausreichendem Maße zu beaufsichtigen. Um Fehler zu vermeiden, empfiehlt sich weiter eine genaue Kontrolle des Eingangs und Ausgangs der berlassenen Akten und Beiakten. Dies kann in Form einer Liste geschehen, in der die Akten mit der Zahl der Aktenbnde (Hauptakten, Beiakten usw.) nach der Reihenfolge ihres Eingangs mit Datum, Bezeichnung der Sache, bersendender Behrde, deren Aktenzeichen und Termin der Rckgabe vermerkt werden. Die letzte Spalte einer solchen Liste kann fr den Nachweis der Rckgabe der Akten an die Behrde benutzt werden: zumindest sollten die Akten nie formlos von Hand zu Hand, sondern stets mit einem Schriftsatz zurckgegeben werden, in dem sie einzeln genau bezeichnet sind. Auf die pnktliche Rckgabe der Akten ist besonderer Wert zu legen. Reicht die gewhrte Frist nicht aus, so sollte rechtzeitig deren Verlngerung beantragt werden. Es darf nicht vorkommen, daß nach Fristablauf das Aktenretent dem Sachbearbeiter vorgelegt wird, ohne daß wenigstens eine Erklrung des Verteidigers eingegangen ist, aus welchem Grunde die Akten noch nicht zurckgesandt worden sind und bis wann dies geschehen wird. berhaupt sollte der Verteidiger sich von vornherein eine ausreichende Frist zur Akteneinsicht geben lassen. In umfangreichen Sachen ist dies unumgnglich. Zu kurze Fristen darf er nicht hinnehmen (Rn. 196 a. E.). Fr die unmittelbare Weitergabe der Akten an einen Mitverteidiger ist die Zustimmung der Behrde einzuholen, die die Akten berlassen hat. Sicherheitshalber sollte man sich die Genehmigung schriftlich erteilen lassen oder eine mndliche/telefonische Genehmigung in einer Notiz genau 195

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festhalten. Besser ist es, die Akten an die berlassende Behrde zurckzugeben, um Nachforschungen und Auseinandersetzungen zu vermeiden. Keinesfalls drfen Akten ohne Genehmigung der Staatsanwaltschaft an Mitverteidiger weitergegeben werden, denen die Einsichtnahme verwehrt worden ist (§ 147 Abs. 2). Geradezu unbegreiflich sind die immer wieder berichteten Flle, in denen die Staatsanwaltschaft gezwungen ist, sich die dem Verteidiger berlassenen Akten per Durchsuchungsbeschluß zurckzuholen. Solche Vorflle sind fr den nachlssigen oder gar bswilligen Verteidiger „tdlich“. c) Aktenauszug 271

Der Verteidiger ist befugt, Abschriften oder Fotokopien aus den berlassenen Akten fr sich und ggfs. seinen Klienten anzufertigen oder durch seine Angestellten anfertigen zu lassen40. Dabei hat er gewissenhaft darauf zu achten, daß Mißbruche ausgeschlossen sind. Das gilt insbesondere fr die Anfertigung von Ablichtungen, z. B. Farbkopien, außerhalb des Bros, die nur unter Aufsicht des Verteidigers oder seines Beauftragten geschehen darf und nur dann zulssig ist, wenn Dritte von dem Akteninhalt nicht Kenntnis nehmen knnen (§ 19 Abs. 1 BORA). Wird der Inhalt der Akten in Datenspeicher bertragen, ist sicherzustellen, daß nicht Dritte – auch nicht andere Bromitarbeiter – Zugang erhalten. Generell ist zu empfehlen, den strafrechtlichen EDVBereich aus jedem Netzwerkverbund herauszunehmen.

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Art und Umfang des Aktenauszuges hngen von sachlichen und persnlichen Gesichtspunkten ab. Sachlich werden die Aktenteile ausscheiden, die nur fr den internen Dienstbetrieb der Justizbehrden von Belang sind, etwa Zustellungsurkunden, soweit es im Einzelfall nicht auf Art und Zeitpunkt der Zustellung ankommt. In einem Verfahren gegen mehrere Beschuldigte kann der Verteidiger sich ggfs. auf die Aktenteile beschrnken, die seinen Auftraggeber betreffen. Dabei ist allerdings Vorsicht geboten im Hinblick auf sachliche, persnliche oder indizielle Verbindungen. Die Erfahrungen der Praxis legen es nahe, eine vollstndige Kopie des Akteninhalts herzustellen. Es ist kaum einmal sicher abzuschtzen, ob etwa einzelne Aktenteile fr die Verteidigung keine Bedeutung gewinnen knnen. Die Erfahrung lehrt, daß der Verteidiger eher zu viel als zu wenig aus den Akten zur Hand haben sollte. So kann er z. B. Widersprche in den Aussagen von Belastungszeugen in der Hauptverhandlung in der Re40 BGHSt. 18, 369; Meyer-Goßner, § 147 Rn. 7.

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Rn. 274

gel nur aufdecken, wenn er die frheren Bekundungen der Zeugen wortwrtlich kennt und sie ihnen vorhalten kann. Ermittlungsverfgungen des Staatsanwalts und des Gerichts sowie Vermerke rechtlichen Inhalts sind stets von Bedeutung. Außerdem muß man auf Randbemerkungen, Unterstreichungen, Ausruf- und Fragezeichen sowie andere Notizen achten. Oft vermitteln sie wertvolle Aufschlsse, wie Richter und Staatsanwalt die Sache beurteilen. Dabei sind auch die eigenen Schriftstze des Verteidigers zu berprfen. Schließlich ist an die Entwrfe fr Verfgungen und Beschlsse zu denken, die der Sachbearbeiter auf Aktenbltter gesetzt, aber nicht unterschrieben hat. Bei Kollegialgerichten schreibt der Berichterstatter die Urschriften der Entscheidungen vielfach noch mit der Hand. Aus Korrekturen ergeben sich gelegentlich wichtige Hinweise. Inzwischen haben sogar die Kostenbeamten erkannt, daß es dem Verteidiger nicht zuzumuten ist, umfangreiche Akten persnlich daraufhin zu berprfen, ob etwa einzelne Seiten nicht fotokopiert werden mssen. Zudem muß im Interesse einer konomischen Sachbearbeitung die Fertigung von Aktenauszgen durchweg dem Kanzleipersonal berlassen werden, das ohnehin nicht in der Lage ist, eine Auswahl zu treffen.

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Einschrnkungen knnen sich in Staatsschutzverfahren ergeben. Grundstzlich darf dem Verteidiger die Befugnis zur Akteneinsicht auch aus Grnden des Geheimnisschutzes nicht verwehrt werden41. Ob der Verteidiger sich in solchen Fllen Auszge aus den Akten anfertigen lassen darf, ist eine Frage des Einzelfalles. Sie ist zu bejahen, wenn eine sachgerechte Verteidigung anders nicht gewhrleistet ist. Die zustndige Justizbehrde kann dann allerdings dem Verteidiger besondere Sicherungsmaßnahmen auferlegen, um das Staatsgeheimnis zu bewahren, etwa anordnen, wie die Akten aufzubewahren sind und mit wem sie errtert werden drfen (Mitverteidiger, Beschuldigter, Sachverstndiger42). In diesem Zusammenhang sind auch die Verschlußsachenvorschriften besonders zu beachten.

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d) Verwertung Beulke, Die Strafbarkeit des Verteidigers, 1989; Jahn/Lips, Hat der Strafverteidiger die Pflicht, bei der Rekonstruktion außer Kontrolle geratener Verfahrensakten mitzuwirken?, StraFo 2004, 229; Krause, Der „Gehilfe“ der Verteidigung und sein Schweigerecht, StraFo 1998, 1; Krekeler, Probleme der Verteidigung in Wirtschaftsstrafsachen, wistra 1983, 43; Krekeler/Schonard, Der Berufshelfer i. S. des § 53a, wistra 1998, 137; Schlothauer, Vorbereitung der Hauptverhandlung, 2. Aufl., 1998, S. 30 ff.; Schlothauer/Weider, Untersuchungshaft, 3. Aufl., 2001; Theisen, Zum 41 BGHSt. 18, 369. 42 BGHSt. 18, 369.

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Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

Akteneinsichtsrecht und zum Anwesenheitsrecht bei der Vernehmung von Mitbeschuldigten, JR 1996, 436; Tondorf, Begeht der Strafverteidiger eine Strafvereitelung und verletzt es seine Standespflichten, wenn er den Mandanten benachrichtigt, nachdem er von einem geplanten Haft- oder Durchsuchungsbefehl erfahren hat?, StV 1983, 257; Weihrauch, Ermittlungsverfahren, 6. Aufl., 2002, Rn. 74 ff.

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Die Information des Klienten ber den Inhalt der dem Verteidiger von der Ermittlungsbehrde oder dem Gericht zur Einsicht berlassenen Akten wird zwar grundstzlich heute nicht mehr in Frage gestellt43; Probleme gibt es aber, wenn sich aus den Akten ergibt, daß ein Haft- oder Durchsuchungsbefehl o. . erlassen oder beantragt ist oder sonst berraschende Ermittlungsmaßnahmen geplant sind oder ihre Ausfhrung bevorsteht. Hier wird immer noch (vom BGH) die Auffassung vertreten, der Verteidiger drfe seinen Mandanten darber weder unterrichten noch ihm die entsprechenden Akten(-teile) berlassen44. Diese Ansicht verkennt die Aufgaben- und Verantwortungsverteilung zwischen Justizorganen und Verteidiger, die Rechtsstellung des Anwalts und seine beruflichen Pflichten gegenber dem Klienten. Es ist allein Aufgabe der die Akteneinsicht gewhrenden Staatsanwaltschaft oder des Gerichts, vor Gewhrung der Einsicht zu prfen, ob sie ohne Gefhrdung des Untersuchungszwecks mglich ist (§ 147 Abs. 2). Unterlaufen bei dieser Prfung Fehler, so liegen diese allein in der Risikosphre der Justiz und gehen zu ihren Lasten. Es macht keinen Unterschied, ob etwa ein geschwtziger Staatsanwalt unbedacht etwas ausplaudert, eine vertrauliche Mitteilung falsch adressiert wird o. . Auch die Integration des Verteidigers in die Rechtspflege kann nicht zu der Pflicht fhren, etwaige Fehler der Justizorgane „auszubgeln“ – unter Zurckstellung seiner Schutzaufgabe und Treuepflicht zum Nachteil des Mandanten. So wird der Verteidiger auch nicht als verpflichtet angesehen, Informationen deshalb zurckzuhalten, weil der Beschuldigte generell die Kenntnis des Ermittlungsstandes zu Verdunkelungsmaßnahmen nutzen kann45. Der Verteidiger hat nach dem Mandatsvertrag gar kein Recht, den Klienten auch nur partiell ber wesentliche Umstnde des Verfahrens uninformiert zu lassen. Ein solches „Informationsgeflle“ ist mit dem Kerngehalt des auf Vertrauen und rckhaltlosen Beistand angelegten Verteidigungsverhltnisses unvereinbar. Dem Klienten wrde ausgerechnet durch seinen Verteidiger die Mglichkeit genommen, z. B. vor Vollstreckung eines Haftbefehls (mit mglicherweise katastrophalen Folgen) durch sofortige Aktivitten den Staatsanwalt oder Haft43 So ausdrcklich § 19 Abs. 2 S. 1 BORA; BGH, NJW 1980, 64; Meyer-Goßner, § 147 Rn. 20. 44 BGHSt. 29, 99, 103; Meyer-Goßner, § 147 Rn. 21 m. N. insbes. auch zur gegenteiligen Auffassung. 45 BGHSt. 29, 99, 103.

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Akteneinsicht

Rn. 276

richter davon zu berzeugen, daß kein Haftgrund vorliegt, oder eine (spektakulre) Durchsuchung durch freiwillige Herausgabe abzuwenden. Man kann daher gerade als verantwortungsbewußter Verteidiger nur den Standpunkt des uneingeschrnkten Informationsrechts vertreten46. Dies alles gilt aber nicht, wenn sich der Verteidiger die Akteneinsicht auf nicht ordnungsgemßem Weg verschafft hat, z. B. unter bewußter Umgehung des Staatsanwalts ber die Geschftsstelle, die Kanzlei, die Wachtmeisterei usw. Soweit der Verteidiger das Recht zur Information des Mandanten hat, besteht aufgrund seines Auftrages auch eine entsprechende Pflicht zur Unterrichtung47. Diese wird zweckmßig in der Form durchgefhrt, daß der Aktenauszug in der Regel dem Klienten zur eingehenden und ruhigen Durchsicht berlassen wird. Dabei muß der Verteidiger allerdings Mißbruchen vorzubeugen versuchen. Bewhrt hat sich hier die Belehrung, daß „der Aktenauszug nur den Zwecken der Verteidigung dienen darf“. Der Aktenauszug darf dann nicht weitergegeben werden, wenn der Verteidiger als sicher davon ausgehen muß, daß der Beschuldigte ihn zu strafbaren oder sonst unzulssigen Zwecken verwenden will. Dann liegt aber wohl ohnehin eine Beendigung des Mandats nahe. Beschrnkungen knnen sich auch aus zulssigen Anordnungen der Einsicht gewhrenden Behrde ergeben (§ 19 Abs. 2 BORA). Der Verteidiger ist zu einer Rckforderung des Aktenauszuges vom Mandanten nach Kenntnisnahme oder bei Beendigung des Mandats nicht verpflichtet48. Er wird zwar hufig (schon aus Kostengrnden) lediglich eine Kopie der Akten herstellen, jedoch kann nach Lage des Falles und der Person des Klienten die Fertigung eines doppelten Aktenauszuges zweckmßig oder unerlßlich sein, um eine laufende „zweispurige“ Bearbeitung zu ermglichen. Grundstzlich zulssig ist die Weitergabe des Akteninhalts dagegen, wenn sie zwar nicht unmittelbar der Verteidigung im Strafverfahren dient, sondern die Wahrnehmung der Rechte des Mandanten in einem sachgleichen Zivilprozeß, Arbeitsgerichtsverfahren oder anderen Verfahren, die mit gleicher Zielrichtung wie die Verteidigung gefhrt werden. Dies dient mittelbar der Verteidigung, weil unterschiedlicher Sachvortrag, die Unfhigkeit, Widersprche und Unwahrheiten aufzudecken und eine negative

46 So auch Schlothauer/Weider, U-Haft, Rn. 378; Krekeler, wistra 1983, 47; Mehle, NStZ 1983, 557; a. A. Meyer-Goßner, § 147 Rn. 21; Trndle/Fischer, § 258 StGB Rn. 7; Beulke, Rn. 42 f. 47 BGHSt. 29, 99, 102 m. zust. Anm. Mller-Dietz, JR 1981, 76. 48 Meyer-Goßner, § 147 Rn. 23.

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Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

anderweitige Gerichtsentscheidung die Verteidigungsposition im Strafverfahren beeintrchtigen knnen. ber diese Kriterien sollte sich der Verteidiger allerdings vergewissern. Zustzlich kann eine entsprechende Mitteilung an die zustndige Strafjustizbehrde zweckmßig sein, um Irritationen zu vermeiden. 277

Die Aushndigung von Originalakten an den Mandanten ist unzulssig, an Mitarbeiter der Kanzlei zulssig (§ 19 Abs. 1 BORA). Dagegen kommt es in besonders gelagerten Fllen in Betracht, mit Zustimmung der aktenfhrenden Behrde dem Mandanten die Durchsicht von Originalunterlagen unter der berwachung des Verteidigers zu ermglichen, wenn es sich z. B. um nicht reproduzierbare Lichtbilder, Filme, Plne oder umfangreiche Buchhaltungs-, Rechnungs- oder sonstige Geschftsunterlagen handelt. Die Strafjustizbehrden verhalten sich gegenber einem Verteidiger, dem sie vertrauen, insoweit auch nicht engherzig. Soweit Beweismittel der Sperre des § 147 Abs. 4 unterliegen, wird die Staatsanwaltschaft zumindest auf Antrag zu gestatten haben, daß diese bei der Behrde unter Aufsicht von Ermittlungsbeamten und Verteidiger auch durch den Beschuldigten eingesehen werden. Gegen die Versagung der Erlaubnis drfte der Rechtsweg nach § 23 EGGVG (Rn. 1081) gegeben sein.

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Die Aushndigung von Aktenauszgen an Dritte ist im Rahmen der Verteidigung grundstzlich zulssig, wenn dies (im weitesten Sinne) den Verteidigungsinteressen des Mandanten dient. So darf der Verteidiger dem gesetzlichen Vertreter seines Auftraggebers oder einer Person, ber die er sich mit dem Beschuldigten verstndigt (Dolmetscher, Taubstummenlehrer), Aktenauszge zur Verfgung stellen. Das gilt auch fr an der Bearbeitung der Sache beteiligte juristische Mitarbeiter (Rechtsanwalt, Assessor, Referendar). Gleiches muß aber auch fr den in die Verteidigung einbezogenen, beauftragten Hochschullehrer, Buchsachverstndigen oder Wirtschaftsprfer usw. gelten (Rn. 309), die spezielle Fach- oder Rechtsfragen fr die Verteidigung bearbeiten, auch wenn nicht von Anfang an vorgesehen ist, daß sie nach außen als Sachverstndige auftreten49. Da z. B. in umfangreichen Wirtschaftsstrafverfahren fast immer eine (gesetzlich unbeschrnkte) Mehrzahl von Staatsanwlten und Wirtschaftsreferenten sachbearbeitend ttig ist, ist es schon ein Erfordernis des Prinzips der Waffengleichheit, daß diesem Anklageteam ein gleichwertiges Verteidigungsteam entgegengesetzt werden kann. Diese Mglichkeit ist durch § 137 ohnehin eingeschrnkt genug. Die Verteidigung muß daher berechtigt sein, durch einen qualifizierten internen und externen Mitarbeiterstab i. S. des § 53a (Rn. 309) eine Gleichwertigkeit in der Sachbearbeitung zu 49 Lwe/Rosenberg/Dahs[25], § 53a Rn. 5; Krause, StraFo 1998, 1.

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Akteneinsicht

Rn. 281

erreichen, weil sie sonst der Anklagebehrde von vornherein unterlegen ist50. Die berlassung des Aktenauszuges an Mitverteidiger ist nicht so problemlos wie sie auf den ersten Blick vielleicht scheinen knnte. Zwar sehen es die Justizbehrden nicht selten als eine Vereinfachung an, wenn die Akten „von Verteidiger zu Verteidiger“ wandern; dies teilen sie dann aber blicherweise auch mit. In umfangreichen, komplexen und schwierigen Verfahren kann es aber genau anders sein: Hier wird ber die Akteneinsicht hufig sehr selektiv entschieden. So mag ein Verteidiger die Akten erhalten, z. B. weil sein Klient nur eine Nebenrolle spielt oder der ihn betreffende Sachkomplex vorab erledigt werden soll (vielleicht auch, um so einen Zeugen gegen andere Beteiligte zu gewinnen). Gleichzeitig wird gegenber anderen Betroffenen, z. B. den „Hauptbeschuldigten“ oder solchen, gegen die Zwangsmaßnahmen erwogen werden, die Akteneinsicht nicht gewhrt. Gedankenlose Weitergabe von Aktenauszgen – auch auf „kollegiale“ Anforderung unter Zusicherung der Vertraulichkeit – kann einen sehr rasch in den Dunstkreis der versuchten Strafvereitelung bringen. Aus solchen und anderen Grnden ist hier grßte Vorsicht am Platze. Auf die einfache Behauptung des Kollegen, die Staatsanwaltschaft sei einverstanden, sollte man sich nicht verlassen. Jede Weitergabe von Akten an Mitverteidiger sollte nur nach klarer Abstimmung mit den Justizbehrden erfolgen und aktenkundig gemacht werden.

279

Grundstzlich unzulssig ist es, der Presse den Aktenauszug zu berlassen. Dagegen kann es im Einzelfall gerechtfertigt sein, Medien ber den Akteninhalt etwas mitzuteilen, wenn dies im Interesse der Verteidigung des Mandanten unerlßlich ist, z. B. daß das Verfahren bei gleichem Sachstand von der Staatsanwaltschaft bereits wiederholt eingestellt worden ist oder bei notwendiger Erwiderung auf Verlautbarungen der Justizbehrden. Die Wahrung des berechtigten Interesses des Mandanten, auch die Wahrung seines Ansehens in der ffentlichkeit (etwa um einer Vorverurteilung entgegenzuwirken) kann Vorrang haben – was allerdings jeweils sorgfltiger Prfung bedarf (Rn. 97).

280

Der Verteidiger darf auch nicht ohne weiteres seine Kenntnis von Strafregisterauszgen (Auszgen aus dem Bundeszentralregister) dritter Personen benutzen. Indessen ist es unbedenklich und aufgrund der Treuepflicht geboten, wenn der Verteidiger in einem Zivilprozeß, den er fr den Beschuldigten wegen des gleichen Sachverhalts fhrt (etwa in Verkehrsun-

281

50 Zu diesen und anderen Fragen sehr instruktiv OLG Brandenburg, NJW 1996, 67.

201

Rn. 282

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

fallsachen), von den Strafregistervermerken anderer Beteiligter Gebrauch macht: Die Strafakten knnen jederzeit als Beiakten im Zivilprozeß ausgewertet werden. Auch dann, wenn der Verteidiger zulssigerweise von dem Vorstrafenregister eines Zeugen (z. B. Warenhausdetektiv) Kenntnis erlangt hat, darf er diese in einem anderen Strafverfahren, in dem derselbe Zeuge eine Rolle spielt, mit gleicher Zielrichtung benutzen, wenn und soweit die Vorstrafen fr die Wrdigung der Zeugenaussage Bedeutung gewinnen knnen. 282

Gewisse Probleme wurden frher beim Aktenauszug fr Versicherungsgesellschaften, vor allen Dingen in Verkehrsstrafsachen, gesehen. Die Versicherungsgesellschaften haben kein eigenes Recht auf Einsicht. Nach § 475 Abs. 1 gewhren Staatsanwaltschaft und Gericht bevollmchtigten Rechtsanwlten fr die Unfallbeteiligten oder deren Versicherungsgesellschaften Akteneinsicht. Fr den Verteidiger ist die Beschaffung des Aktenauszuges fr eine Versicherung gegenber seinem (beweispflichtigen) Mandanten mit dessen Zustimmung bei Erstattung der Kopierkosten nicht pflichtwidrig i. S. des § 356 Abs. 1 StGB51.

283

Fr die Untersuchungshaft spielt der Akteninhalt eine besondere Rolle, wenn es darum geht, ob Einwendungen gegen den dringenden Tatverdacht nach § 112 Abs. 1 mit Aussicht auf Erfolg erhoben werden knnen. Hierzu kann der Verteidiger in den meisten Fllen ohne Akteneinsicht nur wenig vortragen und riskiert so eine u. U. recht belastende „Festschreibung“ des Tatverdachts. Entlastende Umstnde vorzubringen und hierfr Beweiserhebungen zu beantragen, ist nur aussichtsreich bei genauer Kenntnis der Belastungen. Hiervon hngt auch die Entscheidung ab, ob der Verteidiger Beweismittel noch zurckhalten soll, ob er dem Mandanten raten kann, die Einlassung zu verweigern oder sich schriftlich zu ußern – eine Entscheidung, die gerade im Haftverfahren besondere Brisanz hat, wird doch nicht selten von Ermittlungsbehrden angedeutet, man knne bei einer sachfrdernden „zufriedenstellenden“ Einlassung die Haftfrage berdenken. Um so wichtiger ist es, daß die Rechtslage zur Akteneinsicht im Haftverfahren durch eine Entscheidung des Europischen Gerichtshofes fr Menschenrechte52 eine wichtige nderung erfahren hat. Danach hat der Verteidiger einen unbeschrnkbaren Rechtsanspruch darauf, alle Akten einzusehen, auf deren Inhalt der Haftbefehl beruht und die sonst fr jede weitere Haftentscheidung relevant sind. Dieses Recht muß der Verteidiger kennen und in vollem Umfang kompromißlos durchsetzen, sonst verspielt er 51 Dahs, Mnchener Kommentar zum StGB, § 356 Rn. 58 m. N. 52 EGMR, StV 1993, 283; Meyer-Goßner, § 147 Rn. 25a m. N.

202

Beratung und Mitwirkung bei Vernehmungen

Rn. 285

seine Chancen in dem ohnehin schwierigen Kampf um die Freiheit seines Klienten (Rn. 331). Erst durch die Akteneinsicht wird die Entwicklung einer substantiellen Verteidigungsstrategie mglich. Die Erkenntnis der beabsichtigten Ermittlungsschritte der Staatsanwaltschaft gibt die Chance, auf den Gang des Ermittlungsverfahrens einzuwirken, z. B. die Anwesenheit des Verteidigers schon bei polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Vernehmungen zu erreichen (Rn. 286 ff., 295 ff.). Auch fr eine sachgerechte Vertretung des Mandanten im Erffnungsverfahren (Rn. 414), erst recht in der Hauptverhandlung ist die Aktenkenntnis unerlßlich. Die Vorbereitung der Einlassung des Mandanten, der Erfolg von Fragen und Vorhalten aus den Akten an Mitangeklagte, Zeugen und Sachverstndige, der Erfolg der Aufdeckung von Widersprchen u. . hngt primr davon ab, daß der Verteidiger genau weiß, was in den Akten steht. Dasselbe gilt im besonderen Maße fr den Erfolg von Rechtsmitteln (Rn. 810 ff.), insbesondere bei Beschwerden gegen Durchsuchung und Beschlagnahme, Untersuchungshaft sowie vorlufige Entziehung der Fahrerlaubnis (Rn. 331, 377, 406).

284

Zuweilen kommt es vor, daß die Justizbehrden selbst von der Akteneinsicht des Verteidigers profitieren wollen. Das ist dann der Fall, wenn die Originalakten in „Verlust“ geraten“ sind, was immer wieder einmal vorkommt. Staatsanwaltschaft oder Gericht bitten dann den Verteidiger um Vorlage seines Aktenauszuges zur Rekonstruktion. Eine Verpflichtung des Verteidigers, an der Wiederherstellung der Akten mitzuwirken, besteht grundstzlich nicht. Mit Zustimmung des Mandanten darf der Aktenauszug zur Verfgung gestellt werden, wenn dieser zuvor ber die aufgrund einer solchen Zustimmung fr ihn entstehenden Gefahren sorgfltig belehrt worden ist; dabei wird eine Empfehlung zur Zustimmung nur gegeben werden knnen, wenn die Durchfhrung des Verfahrens der Rehabilitierung dient oder die Blockierung des Verfahrens fr den Klienten Nachteile mit sich bringt. Dagegen ist eine Pflicht des Verteidigers zur Vorlage seines Aktenauszuges – auch ohne Zustimmung des Mandanten – zu bejahen, wenn die Originalakten im Einflußbereich des Anwalts, z. B. in seinem Bro, verlorengegangen sind53.

285

5. Beratung und Mitwirkung bei Vernehmungen Artkmper, Fehlerquellen der Beschuldigtenvernehmung, Kriminalistik 1996, 393; Bernsmann, Verwertungsverbot bei fehlender und mangelhafter Belehrung, StraFo 53 Das ist i. w. auch die Auffassung des Strafrechtsausschusses der BRAK, Prot. der 58. Tagung v. 5.–7. 3. 1965, Bl. 140 ff.

203

Rn. 286

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

1998, 73; Beulke, Die Vernehmung des Beschuldigten – Einige Anmerkungen aus der Sicht der Prozeßrechtswissenschaft, StV 1990, 180; Beulke, Muß die Polizei dem Beschuldigten vor der Vernehmung „Erste Hilfe“ bei der Verteidigerkonsultation leisten?, NStZ 1996, 257; BRAK-Schriftenreihe, Bd. 13, Thesen 14 ff.; Dahs, Zur Verteidigung im Ermittlungsverfahren, NJW 1985, 1113; Dahs/Langkeit, Das Schweigerecht des Beschuldigten und seine Auskunftsverweigerung als „verdchtiger Zeuge“, NStZ 1993, 213; Danckert, Anwesenheitsrechte im Ermittlungsverfahren, AnwBl. 1995, 215; Lesch, Handbuch des Fachanwalts Strafrecht (Bockemhl), 2. Aufl., 2001, S. 1141 ff.; Odenthal, Zulssigkeit und Beweiswert einer heimlichen Stimmenidentifizierung, NStZ 1995, 579; Ranft, Strafprozeßrecht, 1995, S. 94 ff.; Ransiek, Die Rechte des Beschuldigten in der Polizeivernehmung, 1990, 88; Ransiek, Belehrung ber Aussagefreiheit und Recht der Verteidigerkonsultation: Folgerung fr die Beschuldigtenvernehmung, StV 1994, 157; Roxin, Das Recht des Beschuldigten zur Verteidigerkonsultation in der neuesten Rechtsprechung, JZ 1997, 343; Weihrauch, Ermittlungsverfahren, 6. Aufl., 2002, Rn. 148 ff.; Widmaier, Zu den Folgen der Verletzung von Art. 6 III lit. d EMRK durch unterbliebene Verteidigerbestellung, NJW-Sonderheft fr G. Schfer (2002), S. 76.

a) Beratung und Mitwirkung bei Vernehmungen der Polizei 286

Die Beratung des Beschuldigten vor seiner ersten polizeilichen Vernehmung gewinnt ihre eigentliche Bedeutung in Verbindung mit der Verpflichtung von Richter, Polizei und Staatsanwaltschaft, den Beschuldigten ber seine Rechte (Aussagefreiheit, Verteidigerkonsultation, schriftliche ußerung, Entlastungsbeweisantrge) zu belehren (§§ 136, 163a). Der Beschuldigte holt sich sptestens dann, im allgemeinen aber in einem frheren Zeitpunkt anwaltlichen Rat. Dies gilt nicht nur fr den auf freiem Fuß befindlichen Beschuldigten, sondern erst recht fr den vorlufig festgenommenen oder verhafteten Beschuldigten (Rn. 331 ff.).

287

Der Schutzzweck des § 136 wird unterlaufen, wenn die Polizei Verdchtige und sog. Auskunftspersonen ohne Belehrung befragt, obwohl sie nach Lage der Sache tatschlich als Beschuldigte anzusehen sind. Wird eine Person schriftlich zur Polizeibehrde vorgeladen, so soll die Ladung erkennen lassen, daß sie als Beschuldigter vernommen werden soll (Nr. 44 Abs. 1 RiStBV); dementsprechend ist dieser Hinweis auch bei Vernehmungen ohne vorangegangene schriftliche Ladung geboten. Freilich ist noch nicht jeder Verdchtige schon Beschuldigter. Zu den Fragen der Rechtsstellung und Befugnisse der verdchtigen Auskunftsperson gibt es ein umfangreiches Schrifttum (vgl. oben vor Rn. 286), das in jedem Einzelfall der Auswertung bedarf. Die Einleitung oder das Betreiben des Ermittlungsverfahrens gegen eine bestimmte Person verschafft dem Verdchtigen jedenfalls die Stellung eines Beschuldigten54. 54 Zu den Grenzen BGH, NStZ-RR 2004, 368; Meyer-Goßner, § 152 Rn. 5.

204

Beratung und Mitwirkung bei Vernehmungen

Rn. 288

Wird gegen die Belehrungspflicht des § 136 verstoßen oder dem Anspruch des Beschuldigten, zunchst einen Verteidiger zu konsultieren direkt oder indirekt nicht stattgegeben oder wird er bei der Suche nach einem Verteidiger nicht sachgerecht unersttzt, fhrt dies grundstzlich zum Verbot der Verwertung der unter solchen Umstnden zustande gekommenen Aussagen. Dies ist heute auch der Standpunkt der Rechtsprechung, der allerdings zum einen die freiwillige Aussage des Beschuldigten (wenn dabei keine verbotenen Vernehmungsmethoden angewendet worden sind) zulßt und im brigen das Verwertungsverbot an den rechtzeitigen (§ 257) Widerspruch (des Verteidigers) bindet55. Wird das Verteidigungsmandat erst nach polizeilicher Vernehmung bernommen, so hat der Verteidiger die Voraussetzungen eines evtl. Verwertungsverbotes sorgfltig zu prfen und dieses ggfs. rechtzeitig geltend zu machen (Rn. 523). Eine zwangsweise Vorfhrung des Beschuldigten zur polizeilichen Vernehmung ist brigens immer unzulssig56. Vor der frmlichen Einleitung des Verfahrens (§ 152 II) gegen eine oder mehrere bestimmte Personen greift die Polizei hufig zu dem Mittel der zunchst nur informatorischen Anhrung, um die Art der Beteiligung des einzelnen festzustellen (z. B. bei Betriebs- und Verkehrsunfllen, Umweltschden, Brnden und Schlgereien). Allerdings ist nicht auszuschließen, daß durch ein solches Vorgehen derjenige, den die Polizei sachlich als Beschuldigten ansieht, erst zu einem spteren Zeitpunkt ber seine Rechte belehrt wird. Dies ist unzulssig, wenn die Strafverfolgungsbehrde den Betroffenen mit sachfremden Erwgungen, etwa nur zu dem Zweck, ihn dem Aussage- und Vereidigungszwang auszusetzen, in die Rolle eines Zeugen drngt57. Die besondere Schwierigkeit besteht darin, daß die Erklrung des Betroffenen, der zuerst als Zeuge vernommen und dann Beschuldigter geworden ist, ber die Verhrspersonen (Rn. 630) in die Hauptverhandlung eingefhrt werden kann. Eine – versptete – Belehrung ntzt ihm dann nichts mehr. Der Rat zur Aussageverweigerung vor der Polizei wird oft richtig sein, zumal wenn der Verteidiger die Akten nicht kennt und sein Recht auf Anwesenheit problematisch ist (Rn. 292). Gleichwohl ist er nach wie vor eine zweischneidige Angelegenheit und erfordert eingehende berlegun55 BGHSt. 38, 214; BGHSt. 39, 349 (gegen BGHSt. 31, 395); BGH, StV 1996, 187 ff. unter Berufung auf BGHSt. 39, 349; BGHSt. 38, 372, 373; BGH, NStZ 1996, 452; aus dem Schrifttum: Meyer-Goßner, § 136 Rn. 25; Lwe/Rosenberg/Hanack[25], § 136 Rn. 67 ff.; Roxin, JZ 1993, 426; 1997, 346; Dahs, StraFo 1998, 253; Meyer-Goßner/Appl, StraFo 1998, 258; Fezer, JR 1992, 385. 56 BGH, NJW 1962, 1020. 57 BGH, NJW 1957, 230; BGH, wistra 2005, 239.

205

288

Rn. 288

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

gen auch dann, wenn feststeht, daß der Mandant als Beschuldigter vernommen werden soll. Nicht in jedem Falle ist es richtig, sich der Polizei gegenber ablehnend zu verhalten. Das kann zu prozessualen Zwangsmaßnahmen und sogar zu Anklagen fhren, die bei vollstndiger ußerung vielleicht unterblieben wren. Mindestens verzgert sich das Verfahren, weil die Polizei die Beweiserhebung ausdehnt, was erfahrungsgemß die Lage des Beschuldigten nur selten verbessert. Auch muß der Verteidiger immer noch damit rechnen, daß Polizei und im weiteren Verfahren Staatsanwalt und Gericht das Schweigen unausgesprochen und oft auch unerkennbar als Schuldindiz ansehen – ungeachtet der insoweit vllig eindeutigen anderen Rechtslage58. Hiergegen wird der Verteidiger immer wieder ankmpfen mssen. Schweigen ist kein Beweis fr Schuld. Allenfalls eine gewisse Besttigung dafr, daß nicht ein vllig Unbeteiligter verfolgt wird. Freilich darf der Verteidiger die nachteiligen Auswirkungen nicht verkennen, die sich insbesondere fr die Hauptverhandlung ergeben knnen (Rn. 488). Hierzu muß man wissen, daß Schweigen vor der Polizei und spteres Reden vor dem Richter nicht zu Lasten des Beschuldigten bercksichtigt werden drfen (Rn. 488). Fr den Verteidiger bleibt aber stets offen, ob das Schweigen vor der Polizei nicht doch die berzeugungsbildung des Richters ungnstig beeinflußt. Nach aller Erfahrung ziehen vor allem Laienrichter bewußt oder unbewußt aus dem Schweigen Schlsse auf die Schuld des Angeklagten. Besonders heikel ist die Frage des vorlufig festgenommenen oder verhafteten Mandanten. Zwar hat der Haftrichter den Beschuldigten ber sein Recht zum Schweigen zu belehren (§ 115 Abs. 3). Trotz der Belehrungspflicht ist jedoch nicht zu leugnen, daß die Aussageverweigerung zur Verlngerung der Haft fhren kann („Wer schweigt, wird auch verdunkeln“ – Rn. 290). Oft wird auch in bedenklicher Weise die Erklrung des Beschuldigten, er wolle vor seiner ußerung zur Sache einen Anwalt befragen, als Aussageverweigerung bewertet. In Verkehrsstrafsachen kann die Rckgabe des sichergestellten oder vorlufig entzogenen Fhrerscheins davon abhngen, daß sich der Beschuldigte zur Sache ußert. Schließlich kann das Schweigen den Zeitpunkt hinausschieben, in dem der Verteidiger Akteneinsicht erhlt. Allerdings hat der Verteidiger grundstzlich das Recht auf Akteneinsicht schon vor dem Vermerk ber den Abschluß der Ermittlungen (§§ 169a, 147 Abs. 1), die Staatsanwaltschaft knnte aber die Aussageverweigerung des Beschuldigten zum Anlaß nehmen, den Untersuchungszweck als gefhrdet anzusehen (Rn. 261) und die Akteneinsicht verzgern. 58 BVerfGE 38, 105; BVerfGE 56, 37; BGHSt. 38, 214; 38, 302; deutlich: BVerfG, NStZ 1995, 555.

206

Beratung und Mitwirkung bei Vernehmungen

Rn. 290

Diese Nachteile sind gegenber den Vorteilen einer Einlassungsverweigerung abzuwgen. Schon in Verfahren mittleren Umfangs bersieht der Beschuldigte selten die Bedeutung und Folgen seiner Erklrungen. Die Gefahr, daß er sich „festlegt“, ist kaum auszurumen. Schweigt der Beschuldigte vor der Polizei, so werden die Nachteile vermieden, die sich notwendigerweise aus der Situation des Betroffenen und aus dem Spannungsverhltnis zu dem amtlichen Interesse an Aufklrung des Sachverhalts ergeben. Auch kann sich der Mandant in der Hauptverhandlung immer noch zur Sache ußern, obwohl er bei der Polizei geschwiegen hat. Eine Mißdeutung dieses Aussageverhaltens kann ggfs. durch Erklrung des Verteidigers abgefangen werden (z. B.: Eine Erklrung soll nicht vor Gewhrung der Akteneinsicht abgegeben werden.). Im umgekehrten Falle – er redet vor der Polizei und schweigt in der Hauptverhandlung – muß er hingegen mit erheblichen Nachteilen durch Verwertung seiner Aussage ber die Zeugenvernehmung des Polizeibeamten rechnen (Rn. 488). Welcher Rat richtig ist, kann immer nur vom Einzelfall abhngen. Hierbei muß der Verteidiger auch die Persnlichkeit des Mandanten in Betracht ziehen. Sein Auftreten, seine Gewandtheit, sein Temperament, seine gesundheitliche Verfassung spielen bei den berlegungen eine nicht unerhebliche Rolle. Die Entscheidung wird dadurch erschwert, daß der Verteidiger den Sachverhalt zu diesem Zeitpunkt oft nur aus der Sicht des Auftraggebers kennt. Das bisherige Beweisergebnis kann er seinem Rat selten zugrunde legen. Er ist insoweit vielfach auf Vermutungen angewiesen. In geeigneten Fllen bietet sich eine andere Lsung, die diese Nachteile vermeidet und gleichwohl einen Aufschub der Vernehmung ermglicht. Der Verteidiger erklrt, daß sein Mandant Wert darauf lege, sich eingehend zur Sache zu ußern. Damit verbindet er den Antrag auf Akteneinsicht gemß § 147, ber den die Staatsanwaltschaft entscheiden mge. Er fgt hinzu, daß die Stellungnahme zur Sache bis zur Durchfhrung der Akteneinsicht zurckgestellt werde. Damit vermeiden der Verteidiger und der Beschuldigte eine „Aussageverweigerung“ mit einer nicht gnstigen Auswirkung. Außerdem bekommt der Verteidiger die Akteneinsicht evtl. schneller (oder wenigstens teilweise) und kann den Mandanten dann sachgemß beraten. Polizei und Staatsanwlte sind von solcher Verfahrensweise des Verteidigers meist nicht erbaut. Sie knnen aber nichts dagegen tun. Der Verteidiger hat hier die strkere Position. Unterbleibt allerdings die ausdrcklich angekndigte Stellungnahme, kann dies mindestens psychologische Nachteile auslsen!

289

Die Methode kann dann gefhrlich sein, wenn ein Haftbefehl in der Luft liegt. Dann wird die Ablehnung der Aussage zur Begrndung einer Verdunkelungsgefahr oder einer Haftverlngerung mit herangezogen, obwohl

290

207

Rn. 291

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

der Beschuldigte nur von seinem gesetzlichen Recht Gebrauch macht (Rn. 340). 291

Schließlich darf der Beschuldigte sich in allen Fllen schriftlich zur Sache ußern. Darber soll er in geeigneten Fllen belehrt werden (§ 136 Abs. 1 S. 4). Die Polizei schrnkt die Belehrung gelegentlich ein, indem sie darin keine Verpflichtung, sondern lediglich eine Befugnis sieht. Das ist unrichtig. Der Vorteil einer schriftlichen ußerung liegt auf der Hand. Der Beschuldigte kann seine eigenen Worte gebrauchen. Er kann sich seine Einlassung in Ruhe berlegen und die Punkte hervorheben, auf die es zu seiner Entlastung ankommt. Das spielt vor allem in umfangreichen Sachen eine Rolle, bei denen der Beschuldigte etwaige Unterlagen auswerten muß. Er kann auch einen Anwalt um Formulierungshilfe bitten. Fr den Anwalt ist freilich Vorsicht geboten. Die Gefahr der Verdunkelung und der Strafvereitelung liegt hier besonders nahe (Rn. 56). Der sachliche Wahrheitsgehalt darf nicht verflscht werden. Schildert der Mandant einen Sachverhalt, der ihn belastet, darf der Anwalt diesen Sachverhalt nicht „umbiegen“. Er braucht aber die belastenden Umstnde nicht zu offenbaren, wenn nicht mit ihrer Unterdrckung die Sachdarstellung zur Unwahrheit hin verflscht wird. Allerdings ist das Mißtrauen der Polizei bei anwaltlich beratenen schriftlichen Einlassungen in Betracht zu ziehen. Der Verteidiger wird darauf achten mssen, diesem Mißtrauen durch korrektes Verhalten zu begegnen. Noch ein anderer Umstand ist zu bercksichtigen: Die schriftliche ußerung des Mandanten ist eine Urkunde, die in der Hauptverhandlung verlesen und auch zum Nachteil des Mandanten verwertet werden darf (Rn. 623)59. Dieser Nachteil wird vermieden, wenn der Verteidiger die Erklrung seines Mandanten in einem anwaltlichen Schriftsatz einfgt, am besten in indirekter Rede oder nicht personenbezogener Darstellung. Derartige Schriftstze gelten prozessual nicht als Einlassung des Mandanten60, was freilich Vorhalte (Rn. 576) nicht ausschließt61. Alles Grnde, die Stellungnahme nicht etwa in der Sprechstunde „herunterzudiktieren“, weil sie ja „nur“ an die Polizei geht. Sie kann, wenn auch weniger prozeßrechtlich, so doch psychologisch Wirkungen bis zum Urteil entfalten.

292

Es ist auch nicht ausgeschlossen, die Anwesenheit des Verteidigers bei der Vernehmung des Mandanten durch die Polizei, ggfs. ber die Staats-

59 OLG Hamm, JMBl. NRW 1968, 215. 60 Dazu BGH, StV 1994, 468; BGH, StV 2002, 182. 61 Fr Hauptverhandlung vgl. BGH, NStZ 2004, 457 m. Anm. Dahs.

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Beratung und Mitwirkung bei Vernehmungen

Rn. 293

anwaltschaft, zu erreichen, obwohl ein gesetzlicher Anspruch auf Anwesenheit nicht besteht62. Praktisch kann der Verteidiger seine Anwesenheit erzwingen, indem er sich nur auf eine staatsanwaltliche oder richterliche Vernehmung des Mandanten einlßt (Rn. 302 ff.), worauf die Ermittlungsbehrden allerdings nicht eingehen mssen. Die Anwesenheit birgt freilich auch eine Gefahr. Polizeiliche Niederschriften, die in Gegenwart des Verteidigers aufgenommen worden sind, kann er spter kaum noch angreifen. Solche Bedenken mssen jedoch zurcktreten, wenn es darauf ankommt, Entlastungsbeweise und auch die Umstnde alsbald vorzubringen, die den Fall unmittelbar noch nicht betreffen, die aber die Verhltnisse des Beschuldigten und seine Persnlichkeit schon bei der ersten Vernehmung klren. Rechtlich erhebliche Entlastungsbeweise sind schon im Ermittlungsverfahren zu erheben (§ 163a Abs. 2). Ebenso sind bereits die persnlichen Verhltnisse aufzuklren (§ 136). Ist der Verteidiger anwesend, so darf er Fragen stellen und dem Mandanten Hinweise geben (vgl. im einzelnen Rn. 305). Der Verteidiger sollte schon bei der Polizei anregen, ihm Abschriften der Protokolle ber die Vernehmung des Beschuldigten und der Zeugen zuzuleiten. Der Antrag wird vor allem in Sachen grßeren Umfangs zweckmßig sein. Allerdings ist auch insoweit mit dem Widerstand der Polizei zu rechnen, obwohl die Aushndigung von berstcken der Beschuldigtenvernehmung bedenkenlos ist, da der Verteidiger diese Aktenteile nach § 147 Abs. 3 immer erhalten kann (Rn. 265). Der Verteidiger hat hier auch ein probates Mittel in der Hand. Die Erteilung der Abschriften wird praktisch „erzwungen“, wenn er andeutet, daß der Beschuldigte sich anderenfalls berhaupt nicht vernehmen lassen werde. Ggfs. kann auch versucht werden, ber die Staatsanwaltschaft eine entsprechende Anweisung an die Polizei zu erreichen. Werden Vorhalte aus Zeugenvernehmungen gemacht, so kann der Verteidiger versuchen, entsprechend vorzugehen. Zumindest sollte er erreichen, daß er die einschlgigen Passagen durchlesen kann, um die Korrektheit des Vorhalts zu berprfen. Die Kenntnis vom Abschluß der polizeilichen Ermittlungen und der Abgabe der Sache an die Staatsanwaltschaft ist fr den Verteidiger von Bedeutung, damit er sich alsbald mit dem Sachbearbeiter der Staatsanwaltschaft in Verbindung setzen kann (Rn. 252). Der Verteidiger kann den Antrag an die Polizei in der Form stellen, daß er seine Vollmacht vorlegt und bittet, ihm von der Abgabe an die Staatsanwaltschaft Nachricht zu 62 So Meyer-Goßner, § 163 Rn. 16; Krause, StV 1984, 169, 173; Lwe/Rosenberg/ Rieß[25], § 163a Rn. 95 f.; KK-Wache, § 163, 19.

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Rn. 294

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

geben. Freilich ist dies meist unzureichend, weil dieser Antrag bei der Polizei oft bersehen wird. Daher ist es zweckmßig, mndlich oder fernmndlich mit dem zustndigen Polizeibeamten Verbindung zu halten, um die Weitergabe der Sache und ggfs. das Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft rechtzeitig zu erfahren. b) Mitwirkung bei Gegenberstellungen Gniech/Stadler, Die Wahlgegenberstellung – Methodische Probleme des kriminalistischen Wiedererkennungsexperiments, StV 1981, 565; Khnken, Gegenberstellung – Fehlerquellen bei der Identifizierung durch Augenzeugen, Kriminalistik 1993, 231; Merten/Schwarz/Walser (Hrsg.), Praxis des Wiedererkennungsverfahrens bei der Polizei des Landes Baden-Wrttemberg, 1998; Nelles, Der Einfluß der Verteidigung auf Beweiserhebungen im Ermittlungsverfahren, StV 1986, 74; Nldeke, Zum Wiedererkennen des Tatverdchtigen bei Gegenberstellung und Bildvorlage, NStZ 1982, 193; Odenthal, Die Gegenberstellung im Strafverfahren, 1986; Odenthal, Die Gegenberstellung zum Zwecke des Wiedererkennens, NStZ 1985, 433; Pauly, Das Wiedererkennen im Straf- und Bußgeldverfahren, StraFo 1998, 41; Wiegmann, Das Wiedererkennen im Straf- und Bußgeldverfahren, StraFo 1998, 37.

294

Wahlgegenberstellungen zur Identifizierung des Beschuldigten werden durchweg von der Polizei durchgefhrt. Sie haben oft verfahrensentscheidende Bedeutung. Der Verteidiger sollte seine Beteiligung durchsetzen, um die ußeren Bedingungen (Zahl, hnlichkeit – Statur, Haartracht, Brille –, Kleidung, Haltung der Vergleichspersonen)63 zu berwachen und die erste ußerung der Zeugen mitzuhren. Ein entsprechender Antrag an die Staatsanwaltschaft fhrt hier hufig zum Erfolg, zumal wenn vom Beschuldigten eine gewisse Kooperation, z. B. hinsichtlich Haar- und Barttracht, Brille, Kleidung usw. erwartet wird. Auch wenn der Beschuldigte die Bereitschaft zur Mitwirkung an den Modalitten der Wahlgegenberstellung von der Anwesenheit seines Verteidigers abhngig macht, erklrt die Staatsanwaltschaft nicht selten ihre Zustimmung. Allerdings wird es als zulssig angesehen, das von der Ermittlungsbehrde fr richtig erachtete Aussehen und Verhalten des Beschuldigten mit Gewalt zu er zwingen64. Dagegen werden Einwendungen erhoben65, wobei Art und Intensitt der Zwangsmaßnahmen der Ermittlungsbehrde u. a. am Grundsatz der Verhltnismßigkeit zu messen sind. Ist in einem Ermittlungsverfahren mit Zwangsmaßnahmen solcher Art zu rechnen, kann es am Platze sein, in einem vorsorglich eingereichten Schriftsatz auf Bedenken aufmerksam zu machen. Man erreicht damit wenigstens eine vorherige berprfung 63 Lwe/Rosenberg/Dahs[25], § 58 Rn. 13. 64 BVerfGE 47, 239; KG, JR 1979, 347; KG, NJW 1979, 1688. 65 Grnwald, JZ 1981, 423.

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Beratung und Mitwirkung bei Vernehmungen

Rn. 297

der polizeilichen Intentionen durch die Staatsanwaltschaft (vgl. i. . Rn. 591). Der Frage, ob der Wahlgegenberstellung etwa Lichtbildvorlagen bei der Polizei vorausgegangen sind, muß der Verteidiger besondere Aufmerksamkeit schenken, weil sie die Gegenberstellung zu einer Farce machen knnen und zudem hufig selbst fehlerbehaftet sind66. In einer solchen Situation wird oft Anlaß bestehen, die Gegenberstellung abzulehnen und die Grnde aktenkundig zu machen. So kann ggfs. die Staatsanwaltschaft veranlaßt werden, diesen fr den Beschuldigten oft gefhrlichen Ermittlungsansatz aufzugeben, weil das Ergebnis mit zu großen Sach- oder Rechtsrisiken behaftet sein wrde. c) Beratung und Mitwirkung bei Vernehmungen der Staatsanwaltschaft Vgl. das vor Rn. 286 angefhrte Schrifttum. Der Beschuldigte ist verpflichtet, zur Vernehmung vor dem Staatsanwalt zu erscheinen: sein Verteidiger hat dabei Anspruch auf Benachrichtigung vom Termin und Anwesenheit (§ 163a Abs. 3). In geeigneten Fllen sollte auf die Vernehmung des Mandanten durch den Staatsanwalt hingewirkt werden. Gegenber der polizeilichen Vernehmung kann sie den Vorteil haben, daß der Staatsanwalt frhzeitig einen persnlichen Eindruck von dem Beschuldigten erhlt und sich nicht aus den Akten ein notwendig unvollstndiges Bild machen muß. Darin liegt auch der Vorteil einer persnlichen Vernehmung gegenber einer nur schriftlichen Eingabe an die Staatsanwaltschaft.

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Die Vernehmung des Mandanten durch den Staatsanwalt bedarf sorgfltigster Vorbereitung. Sie ist nicht selten entscheidend fr Anklage oder Einstellung. Ist die Akteneinsicht schon gewhrt worden, muß der Klient die Ergebnisse der Ermittlungen genau kennen und prsent haben. Die zu erwartenden Fragen und Vorhalte mssen mit ihm besprochen sein. Bei der Vorbereitung sollte der Verteidiger lieber zu viel als zu wenig tun, allerdings auch darauf achten, daß der Mandant nicht berfordert wird (vgl. i. . Rn. 490 ff., 1152).

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Die persnliche Teilnahme des Verteidigers an der staatsanwaltlichen Vernehmung ist eine unabdingbare Notwendigkeit. Der Mandant darf in dieser ersten und mglicherweise entscheidenden Begegnung mit dem Ermittlungsbeamten, der ber die Anklage zu entscheiden hat, nicht

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66 Zu diesem Problemkreis BGH, NStZ 1987, 288; Odenthal, NStZ 1985, 433; Khnken, Kriminalistik 1993, 231; Lwe/Rosenberg/Dahs[25], § 58 Rn. 14.

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Rn. 298

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

allein gelassen werden, sondern bedarf in besonderem Maße des Schutzes und der Betreuung. Bei der Vernehmung hat der Verteidiger dieselben weitgehenden Rechte zu Fragen, Hinweisen und Beanstandungen, wie er sie bei richterlicher Vernehmung haben wrde (Rn. 305). Darber hinaus muß er aufkommende Nervositt und Unsicherheit des Klienten in geeigneter Weise abfangen, Mißverstndnisse korrigieren, ungeschickte und mehrdeutige Formulierungen klarstellen und auf sachgerechte Protokollierung achten. Geschieht dies mit behutsamer Hand, so wird auch der vernehmende Staatsanwalt die Hilfestellung des Verteidigers akzeptieren. 298

Das Mitwirkungsrecht des Verteidigers impliziert den Anspruch auf eine Abschrift oder Kopie des Protokolls. Vorsorglich sollte man dies zu Beginn der Vernehmung klarstellen, um im Weigerungsfalle jedenfalls mitschreiben zu knnen. Auf eine eigene Tonbandaufnahme besteht dagegen kein Rechtsanspruch.

299

Wenn, was allgemeine Praxis ist, die Vernehmung auf Tontrger diktiert wird, sollte auf das Angebot des Staatsanwalts, der Beschuldigte knne selbst diktieren, nur eingegangen werden, wenn der Mandant in der Sache absolut sicher und sprachgewandt ist. Notwendig werdende hufige Interventionen des Verteidigers beim Diktat knnten zu einem ungnstigen Eindruck fhren. Die Vernehmung auf Tontrger bietet im brigen den hoch einzuschtzenden Vorteil, daß das Protokoll nicht sofort unterschrieben und geschlossen werden kann. Es wird vielmehr in der Regel von der Staatsanwaltschaft zugeschickt, was die Mglichkeit erffnet, daß der Inhalt von Verteidiger und Mandant nochmals berprft und ggfs. korrigiert und ergnzt werden kann. Dies ist nicht selten und wird von der Staatsanwaltschaft blicherweise auch ohne weiteres hingenommen. Allerdings sollte dies nicht dazu fhren, daß ein fast vllig neues Protokoll entsteht (oder sogar neu geschrieben wird, was auch vorgekommen ist). Die nderungen sollten korrekterweise kenntlich gemacht werden.

300

Es kommt vor, daß der Staatsanwalt das Verfahren einstellen will, sich aber durch das bisherige Schweigen des Beschuldigten daran gehindert sieht. Er wnscht die Vernehmung dann mehr als formalen Akt und zur besseren Fundierung der Einstellung. Wenn das dem Verteidiger durch den Staatsanwalt deutlich gemacht wird, kann er auf die zeitraubende Akteneinsicht und evtl. sogar auf die Anwesenheit bei der Vernehmung verzichten.

301

Im brigen muß der Verteidiger rechtzeitig dafr sorgen, daß die Staatsanwaltschaft die dem Beschuldigten gnstigen Umstnde von vornherein vollstndig aufklrt. Fr Antrge, insbesondere Beweisantrge, und Anre212

Beratung und Mitwirkung bei Vernehmungen

Rn. 303

gungen zur Beweiserhebung durch den Staatsanwalt gelten hnliche berlegungen wie beim polizeilichen Ermittlungsverfahren (Rn. 242 ff.). So kann ein Beweisantrag ganz unbedenklich sein, vor allem, wenn der Verteidiger das zu erwartende Beweisergebnis abschtzen kann. Ansonsten muß er bedenken, daß ihm ein Rechtsanspruch auf Teilnahme an Beweiserhebungen durch die Staatsanwaltschaft oder die von ihr beauftragte Polizei nicht zusteht (Rn. 292), was man aber ggfs. mit dem Staatsanwalt „aushandeln“ kann. d) Beratung und Mitwirkung bei Vernehmungen des Vernehmungsrichters Eisenberg, Zur „besonderen Qualitt“ richterlicher Vernehmungen im Ermittlungsverfahren, NStZ 1988, 488; Rieß, Grenzen der Ermittlungsbefugnisse des Richters im Vorverfahren, NStZ 1983, 521; Rieß, Die Prfungskompetenz des Ermittlungsrichters, NStZ 1991, 513; Schellenberg, Zur Zulssigkeit staatsanwaltlicher Vernehmungsersuchen im Ermittlungsverfahren, NStZ 1991, 72; Schlothauer, Zum Beweisantragsrecht des Beschuldigten gegenber dem Ermittlungsrichter (§ 166 Abs. 1 StPO), StV 1995, 158; Welp, Anwesenheitsrechte und Benachrichtigungspflichten, JZ 1980, 134; vgl. auch das vor Rn. 286 angefhrte Schrifttum.

In manchen Fllen kann es zweckmßig oder sogar geboten sein, daß der Verteidiger die richterliche Vernehmung des Beschuldigten schon im Ermittlungsverfahren beantragt. Mit Rcksicht auf sein Recht zur Teilnahme an einer Vernehmung durch den Staatsanwalt (Rn. 252) wird es sich dabei jedoch nur um Flle handeln, in denen begrndete Bedenken gegen ein objektives Vorgehen der Staatsanwaltschaft bestehen oder es aus anderen Grnden angebracht ist, auf richterlicher Vernehmung zu bestehen, etwa wegen der Persnlichkeit des Mandanten. Erzwingbar ist die richterliche Vernehmung allerdings nicht. Auch die Ankndigung, vor der Staatsanwaltschaft nicht auszusagen, lßt diese hufig kalt.

302

Es muß aber bedacht werden, daß ein richterliches – nicht aber ein staatsanwaltliches – Vernehmungsprotokoll in der Hauptverhandlung ggf. als Beweismittel verlesen werden kann67. Auch an einem richterlichen Vernehmungstermin sollte der Verteidiger daher in jedem Fall teilnehmen, auch wenn er zur Aussageverweigerung rt. Nur so wird er verhindern knnen, daß der Mandant dazu kommt, sich entgegen dem anwaltlichen Rat zur Sache zu erklren. Darber hinaus ist der Auftraggeber zu belehren, daß er auch dann zu dem Termin zu erscheinen hat, wenn er sich schriftlich geußert hat oder die Aussage verweigern will; ber seine Personalien muß er ohnehin Auskunft geben68. Bei unbegrndetem Nicht-

303

67 Meyer-Goßner, § 254 Rn. 1. 68 Arg. ex § 111 OWiG.

213

Rn. 304

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

erscheinen besteht die Gefahr eines Vorfhrungsbefehls (§ 135), der indessen keinesfalls außer Verhltnis zu dem erstrebten Zweck stehen darf69. 304

Auch bei allen anderen richterlichen Untersuchungshandlungen (Vernehmung von Zeugen und Sachverstndigen, Einnahme des Augenscheins) besteht ein Recht auf Anwesenheit (Rn. 253) fr den Verteidiger (ebenso fr den Staatsanwalt); von den Terminen muß er benachrichtigt werden (§§ 168c, d). Es empfiehlt sich, schon zu Beginn des Termins die Fertigung einer zustzlichen Protokolldurchschrift und ihre Aushndigung zu beantragen. Bedenklich ist die einschrnkende Auslegung des § 168c Abs. 5 (auf den in § 163a Abs. 3 verwiesen wird) durch den BGH70, wonach eine Benachrichtigung des Verteidigers von der bevorstehenden Vernehmung dann unterbleiben kann, wenn nur hierdurch materielle Gefahren fr die „Gewinnung einer wahrheitsgemßen Aussage“ abgewendet werden knnen. Erfhrt der Verteidiger indes auf andere Weise von dem Termin und erscheint, so darf ihm die Anwesenheit nicht versagt werden71. Eine Ausnahme gilt fr die im Gesetz nicht geregelte Frage des Anwesenheitsrechts bei der Vernehmung eines Mitbeschuldigten. Dazu hat der BGH entschieden, daß § 168 Abs. 2 nicht analog anzuwenden ist und somit der Verteidiger kein Teilnahmerecht hat72.

305

In den Fllen der Anwesenheit hat der Verteidiger das Recht, Fragen zu stellen, Vorhalte zu machen und Hinweise zu geben73. Der Verteidiger kann dadurch Gang und Inhalt der Vernehmung beeinflussen. Beanstandungen sind hufig notwendig, wenn es um subtile innere Tatsachen geht, etwa bei hypothetischen Fragen wie: „Knnen Sie es ausschließen, daß ...“, „Wie htten Sie reagiert, wenn ...“. Das sind in Wahrheit keine Fragen nach Tatsachen. Bedenklich ist auch die Protokollierung: „Ich gebe zu ...“, die bei der Polizei vielfach blich ist und die Niederschrift mit einer Tendenz versieht (Rn. 246). Andererseits ist zu beachten, daß der Verteidiger bohrende Fragen des Richters, die sachlich gehalten sind, nicht immer verhindern kann, auch wenn sie den Mandanten in Gefahr bringen. Greift der Verteidiger bei solchen Fragen ein, so entsteht der Eindruck, der Mandant habe etwas zu verbergen. Deshalb kann man auch nur

69 Was bei richterlicher Vernehmung nach allg. Meinung jedoch nie der Fall sein soll; so Lwe/Rosenberg/Rieß[25], § 133 Rn. 13; Meyer-Goßner, § 133 Rn. 7. 70 BGHSt. 29, 1 ff. m. abl. Anm. Welp, JZ 1980, 134; i. . str. vgl. Meyer-Goßner, § 168 Rn. 5 m. N. 71 BGHSt. 29, 1; Meyer-Goßner, § 168c Rn. 5. 72 BGH, StV 1997, 234. 73 Meyer-Goßner, § 168c Rn. 1.

214

Beratung und Mitwirkung bei Vernehmungen

Rn. 306

vorsichtig auf eine Aussageverweigerung hinwirken. Sie bringt den Verteidiger auch in den Verdacht, das Verfahren sabotieren zu wollen. Zwar kann er mit der Aussageverweigerung die Vernehmung stillegen und durch eine entsprechende Ankndigung sich gegenber dem Vernehmenden durchsetzen. Die damit verbundenen Nachteile drfen aber nicht außer acht bleiben. Ein Nachteil der richterlichen Handlungen im Ermittlungsverfahren kann es sein, daß Staatsanwaltschaft und erkennendes Gericht solchen Vernehmungen besondere Bedeutung beimessen. Die richterliche Untersuchung macht das vorbereitende Verfahren „vollkommen“. Wird der Beschuldigte durch seine Einlassung vor dem Ermittlungsrichter oder durch Zeugen und Sachverstndige in der richterlichen Vernehmung belastet, so verstrkt sich der Verdacht. Ihn zu entkrften, wird kaum einmal mglich sein. Dabei ist im Auge zu behalten, daß das richterliche Protokoll in die Hauptverhandlung hineinwirkt. Es kann evtl. im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden (§§ 251 Abs. 1, 254: Rn. 626, 631). Kommt es in der richterlichen Vernehmung zu Auseinandersetzungen mit dem Richter, etwa ber die Zulssigkeit von Fragen und Vorhalten, Beschrnkungen der Verteidigung oder gar die Art und Weise der Vernehmung (offensichtlich voreingenommener oder sachunkundiger Richter), so muß darauf gedrungen werden, daß diese in das Protokoll aufgenommen werden. Lehnt der Richter entsprechende Antrge der Verteidigung ab, so sollten die Vorgnge sofort im Anschluß an den Termin schriftstzlich aktenkundig gemacht werden. Damit kann eine wesentlich bessere Basis fr spteren Einwendungen gegen die Verwertung bzw. Wrdigung des Protokollinhalts geschafft werden als wenn der Protest erst in der Hauptverhandlung erhoben wird. Der Verteidiger wird einen Antrag auf richterliche Vernehmung seines Mandanten im Ermittlungsverfahren nur stellen, wenn der Beschuldigte sich vor dem Richter zur Sache ußern will. Beantragt der Staatsanwalt die richterliche Vernehmung des Beschuldigten (§ 162), so kann es im Einzelfall zweckmßig sein, dem Auftraggeber zu raten, seine Einlassung auch gegenber dem Richter zu verweigern oder sich nur schriftlich zu ußern. Fr die berlegungen des Verteidigers gelten dieselben Grundstze wie fr die Aussageverweigerung und die schriftliche ußerung im polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren (Rn. 288). Hat der Ermittlungsrichter schon Termin zur Vernehmung des Mandanten bestimmt, so hebt er ihn erfahrungsgemß auf, wenn eine schriftliche ußerung innerhalb einer bestimmten, ggf. mit dem Richter abzusprechenden Frist angekndigt wird. Es empfiehlt sich, in die schriftliche 215

306

Rn. 307

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

Erklrung auch die Angaben zur Person aufzunehmen (§ 111 OWiG), weil sonst unter Umstnden auf diesem Teil der Vernehmung vor dem Richter bestanden wird. 6. Eigene „Ermittlungen“ Beck'sches Formularbuch/Danckert/Ignor, 4. Aufl., 2002, S. 82 ff.; BRAK-Schriftenreihe, Bd. 13, S. 89 ff.; Knig, Wege und Grenzen eigener Ermittlungsttigkeit des Strafverteidigers, StraFo 1996, 98; Krause, Der „Gehilfe“ der Verteidigung und sein Schweigerecht, StraFo 1998, 1; Krekeler, Strafrechtliche Grenzen der Verteidigung, NStZ 1989, 146, 150; Krekeler/Schonard, Der Berufshelfer i. S. des § 53a StPO, wistra 1988, 137; Neuhaus, Außergerichtliche Zeugenvernehmungen durch den Strafverteidiger, ZAP 1995, 209; Parigger, Zeugengewinnung und -vernehmung durch den Verteidiger, StraFo 2003, 262; Schliwienski, Das Zeugnisverweigerungsrecht des Berufshelfers und seine Bedeutung im Rahmen des § 203 StGB, NJW 1988, 1507; Weihrauch, Verteidigung im Ermittlungsverfahren, 6. Aufl., 2002, Rn. 92 ff.; Widmaier, Zur Rechtsstellung des nach §§ 220, 38 StPO vom Verteidiger geladenen Sachverstndigen, StV 1985, 526; Wittstamm, Wahrnehmung von Verteidigerrechten = Amtsanmaßung?, StV 1999, 573; vgl. auch das vor Rn. 229 angefhrte Schrifttum.

307

Das Recht auf eigene „Ermittlungen“ (besser: Erhebungen) des Verteidigers ist als Rechtsinstitut heute zwar unbestritten74; seine Durchfhrung (Inanspruchnahme) lst aber gleichwohl bei Staatsanwlten und Richtern oft nicht nur kritische Nachfragen, sondern auch unverhohlenes Mißtrauen und Ablehnung aus. Beweisergebnisse solcher Provenienz werden nach aller Erfahrung einer wesentlich strengeren Wrdigung unterzogen als dies bei Ermittlungsergebnissen der Staatsanwaltschaft geschieht. Dieses Spannungsfeld muß der Verteidiger stets im Blick haben und in die Entscheidung ber eigene Aktivitten einbringen. Dabei gengt es nicht, nur das Ermittlungsverfahren zu sehen, sondern es muß zugleich die Wirkung der eigenen Erhebungen vor dem Hintergrund einer/im Hinblick auf die – mgliche – Hauptverhandlung bedacht werden.

308

Eigene Erhebungen knnen zweckmßig sein, um die Benennung von Beweismitteln im Ermittlungsverfahren vorzubereiten, insbesondere die Validitt des Beweismittels vorab zu testen. Nicht selten werden die Recherchen des Verteidigers zu dem Ergebnis fhren, von einer Benennung, z. B. des vermeintlichen Entlastungszeugen Abstand zu nehmen oder zu der Erkenntnis, daß der Zeuge hinsichtlich der Ausbung seines Aussageverweigerungsrechts unbeeinflußbar ist. Bei der eigenen Anhrung von Zeugen, Mitbeschuldigten und Sachverstndigen (Rn. 216 ff., 74 Vgl. nur OLG Frankfurt, StV 1981, 28 und die Nachw. bei Meyer-Goßner, Vor § 137 Rn. 2 und Weihrauch, Rn. 93, Fn. 254.

216

Eigene „Ermittlungen“

Rn. 310

221) sind auch gewisse rechtliche Grenzen zu beachten75. Der Verteidiger kann im brigen seine Recherchen auf alle Arten von Beweismitteln erstrecken und unterliegt keinen sachlichen Beschrnkungen. So kommen neben den „klassischen“ Beweisen auch Rekonstruktionen, Fahrversuche, Laboruntersuchungen und alle Varianten des Sachbeweises in Betracht. Die Beschaffung von entlastendem Beweismaterial oder das Aufspren von Zeugen muß der Verteidiger nicht in eigener Person durchfhren, sondern kann sich dafr dritter Personen als Rechercheuren bedienen. Der Rechercheur muß nicht ein Privatdetektiv sein, sondern es kann jede dafr geeignete Person, z. B. ein pensionierter Kriminalbeamter oder Werkschutzangehriger usw. herangezogen werden. Bei Einschaltung einer dritten Person muß der Verteidiger aber stets bedenken, daß findige Staatsanwlte oder Richter nicht selten auf den Gedanken kommen, diese Personen als Zeugen ber ihre Arbeitsweise und alle von Ihnen gewonnenen Erkenntnisse zu vernehmen und so fr den Angeklagten negative Beweisergebnisse aus der Ermittlungsttigkeit seines eigenen Verteidigers zu produzieren. Dem muß der Verteidiger dadurch vorbeugen, daß er die herangezogenen Personen, auch einen beauftragten Sachverstndigen, zum Gehilfen der Verteidigung i. S. des § 53a macht. Damit sichert er seinen Hilfspersonen das gesetzliche Schweigerecht, das nicht ohne weiteres anerkannt wird. Die Anerkennung darf aber dann nicht verweigert werden, wenn die Hilfsperson in dem „informationellen Schutzbereich“ des Verteidigungsmandats einbezogen ist, d. h. insbesondere wenn sie (natrlich mit Zustimmung des Mandanten) Sachinformationen oder Einsicht in vorliegende Urkunden, Aktenauszge u. . erhalten hat76. Es empfiehlt sich, zur einwandfreien Dokumentation des strafprozessualen Gehilfenstatus den erteilten Auftrag, die Tatsache, daß Informationen aus dem Mandatsbereich erteilt wurden und die sich ergebenden Rechtsfolgen aus § 53a in einem Brief an den beauftragten Sachverstndigen, Privatdetektiv oder Rechercheur festzuhalten. Der Verteidiger hat damit sichergestellt, daß eine Vernehmung der Hilfsperson als Zeuge nur mglich ist, wenn er sie zuvor selbst von der Schweigepflicht entbunden hat. Daß er dabei im Einvernehmen mit dem Mandanten handeln muß, versteht sich von selbst.

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Der Verteidiger kann Ausknfte amtlicher und nichtamtlicher Stellen und Personen einholen, z. B. des Wetterdienstes oder einer Firma ber ein von ihr hergestelltes Produkt. Er kann Zeugen um Informationen ersu-

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75 Dazu Jungfer, StV 1981, 100; BRAK-Schriftenreihe, Bd. 13, S. 99. 76 Zu allen Einzelheiten Lwe/Rosenberg/Dahs[25], § 53a Rn. 3, 5 m. N.

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Rn. 310

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

chen, und zwar gleichgltig, ob sie bereits vernommen worden sind oder nicht, insbesondere auch, wenn er oder sein Mandant die Zeugen erst ausfindig gemacht hat, sie also noch gar nicht „verfahrensbekannt“ sind. So wichtig es fr die Verteidigung sein kann, einen neuen oder noch nicht „ausgeschpften“ Zeugen zu prsentieren, so viel Sorgfalt und Fingerspitzengefhl muß der Verteidiger dabei aufwenden, um den erstrebten Effekt bei dem in der Regel a priori skeptischen Gericht nicht zu verspielen. Die Skepsis manifestiert sich nicht selten in Stzen wie: „Das wollen wir doch mal ganz genau hren, wie das Gesprch mit dem Herrn Verteidiger abgelaufen ist“. Zunchst muß der Verteidiger bei dem Zeugen den Eindruck vermeiden und ggfs. korrigieren, dieser sei zu Angaben ihm gegenber verpflichtet; der entsprechende Hinweis sollte mglichst in einem Vermerk festgehalten werden. Daß der Zeuge im Zusammenhang mit seiner Aussage weder getuscht, bedroht noch sonst unter Druck gesetzt werden darf, ist schon vor dem Hintergrund der §§ 258, 240 StGB selbstverstndlich. Dieser strafrechtlichen Grenze vorgelagert ist jedoch eine Grauzone, die nicht zu unterschtzende Gefahren fr die Beweiskraft mit sich bringt: Jede Art des „Einschmeichelns“ bei dem Zeugen, Geschenke oder ber tatschlich aufgewendete Kosten hinausgehende finanzielle „Entschdigungen“, auch die Mobilisierung religiser Empfindungen, moralischer Standards und politischer berzeugungen sind hier zu nennen. Wenn dem Gericht solche oder hnliche – nicht ohne weiteres unzulssige – Methoden bekannt werden, ist mit Sicherheit der Beweiswert so herbeigefhrter Aussagen fr die richterliche berzeugungsbildung „kaputt“. Erfahrene Richter finden auch immer einen Weg, dies in der Beweiswrdigung so zu „verpacken“, daß sie rechtlich unangreifbar bleibt. – Nun gibt es Zeugen, die auch an einem sachlich gefhrten Gesprch leicht ins „Schwtzen“ geraten und das Gesagte dann spter nicht mehr wahrhaben wollen – aus welchen Grnden auch immer. Dieser Gefahr begegnet man zweckmßig entweder durch das Diktat der Angaben des Zeugen whrend des Gesprchs oder durch einen im Anschluß diktierten Aktenvermerk. Allerdings mssen solche Niederschriften, wenn sie nach außen verwendet werden sollen, vollstndig sein, d. h. auch evtl. negative Bekundungen enthalten, was ihren Verteidigungswert stark schmlern kann. Daß der Verteidiger es unterlassen sollte, durch eine entsprechend geschickte Frage- und Gesprchsfhrung, mglicherweise auch durch Abblocken ihm unbequemer Angaben, die negativen Erkenntnisse des Zeugen aus seiner Befragung „herauszuhalten“, sollte selbstverstndlich sein. Er riskiert sonst den Vorwurf, die Zeugenaussage bewußt manipuliert und versucht zu haben, die Staatsanwaltschaft oder das Gericht irrezufhren. Um sich selbst und den Zeugen zur Sorgfalt anzuhalten, kann man die Niederschrift des Gesprchs oder den gefertigten Aktenvermerk von ihm gegenzeichnen lassen – riskiert dabei aber „Rckzieher“ des Zeugen, der sich 218

Eigene „Ermittlungen“

Rn. 311

„so genau“ denn doch nicht festlegen lassen wollte. Wenig frderlich erscheint auch die Gegenwart einer dritten Person, die ihrerseits die Zeugenaussagen spter besttigen soll. Die meisten Zeugen werden wohl dann sehr zurckhaltend sein, wenn sie merken, daß sie – in welcher Form auch immer – auf jedes Wort „festgenagelt“ werden sollen. – Diese wenigen Bemerkungen mgen deutlich machen, ein wie heikles Unterfangen die anwaltliche Zeugenanhrung sein kann. Besonders problematisch kann es werden, wenn der Verteidiger vor den Ermittlungsbehrden schon alle Zeugen „vernommen“ hat. Dies wird – obwohl nicht unzulssig – schlicht als der Versuch eines Unterlaufens der staatlichen Sachaufklrung angesehen – und entsprechend gewrdigt. Diese psychologische „Fernwirkung“ sollte bedacht werden. Von der Verteidigung beauftragte Sachverstndige knnen sehr gute Arbeit leisten und betriebsblind gewordene Gutachter der Ermittlungsbehrden widerlegen. Allerdings ist der Verteidigung mit einem „Geflligkeitsgutachten“ – wie gut und teuer es auch sei – nicht gedient. Staatsanwlte und Strafkammervorsitzende, die vielfach ein unausrottbares Mißtrauen gegen von der Verteidigung bestellte Gutachter haben, machen sich geradezu einen „Sport“ daraus, solche Sachverstndige so lange und intensiv zu vernehmen und mit Anknpfungstatsachen aus dem Ergebnis der Ermittlungen oder der Beweisaufnahme der Hauptverhandlung zu „fttern“, bis es ihnen gelingt, den Sachverstndigen (z. B. durch „Vorgaben“ aus dem Sachverhalt) „umzudrehen“ und seine Begutachtung zu Lasten des Beschuldigten bzw. Angeklagten verwerten knnen. Der Sachverstndige sollte daher angehalten werden, sich streng am Akteninhalt zu orientieren und evtl. in Betracht kommende andere fachliche Meinungen und Ausdeutungen von Fakten offen anzusprechen. Es versteht sich, auch, daß die Begutachtung zunchst intern bleiben sollte, z. B. in der Form eines Vorgutachtens oder einer Tendenzußerung. Die grßte Schwierigkeit besteht indes nach aller Erfahrung darin, den fachlich fr die einzelne Sache am besten geeigneten Sachverstndigen ausfindig zu machen und ihn fr eine Begutachtung zu gewinnen. Viele und gerade angesehene Sachverstndige neigen dazu, nur im Auftrage von Gericht oder Behrden ttig zu werden und frchten, das Odium eines „Parteigutachtens“. Hier hat der Verteidiger viel berzeugungsarbeit zu leisten, um den angesprochenen Gutachter von der Seriositt und Bedeutung des Auftrages zu berzeugen. Bei der Auswahl ist nchterner Sachverstand klangvollen Titeln und (angeblichen) Großtaten in anderen Verfahren der Vorzug zu geben. Oft ist es fr die Zwecke der Verteidigung auch ausreichend, daß der Sachverstndige lediglich die fachliche Schlssigkeit und die abstrakt-wissenschaftliche Vertretbarkeit eines von der Staatsanwaltschaft eingeholten Gutachtens berprft und der Verteidigung Schwachstellen fr die Auseinanderset219

311

Rn. 312

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

zung aufzeigt – ohne mit einem eigenen Gutachten hervorzutreten. Auf dieser Basis kann dann im Ermittlungsverfahren oder in der Beweisaufnahme die Grundlage fr einen Antrag auf Einholung eines „Obergutachtens“ (Rn. 677) geschaffen werden. Dieser Weg ist oft erfolgversprechender als ein noch so tnendes Gutachten, das letztlich auf tnernen Fßen steht. 312

Wesentlich unproblematischer ist der Umgang mit Urkunden, die sich die Verteidigung in jeder in Betracht kommenden Weise verschaffen kann. Fr die Prfung der Nutzbarkeit kommt es allein auf die Echtheit und den Aussagegehalt der Dokumente an. Vor Jahren war ich in der Situation, mglicherweise verfahrensentscheidende, jedoch im Ausland befindliche Urkunden nur im Wege des Kaufs erhalten zu knnen. Dies wurde bei der Vorlage der Dokumente vor Gericht auch offengelegt. Die spontane Skepsis ber diese Art der Beweisbeschaffung verkehrte sich allerdings in ihr Gegenteil, nachdem das Gericht durch ein Behrdengutachten die Echtheit der Dokumente besttigt erhalten hatte. Soweit der Verteidiger Kopien oder Abschriften von Urkunden vorlegt, ist auf die Vollstndigkeit und inhaltliche Richtigkeit des wiedergegebenen Textes selbstverstndlich besonders zu achten; gegen die Vorlage von Auszgen aus Urkunden sind Staatsanwaltschaften und Gerichte sehr mißtrauisch. Sie sollte deshalb unterbleiben oder – wenn unumgnglich – bei Vorlage schriftlich plausibel erklrt werden.

313

Wie jedermann hat der Verteidiger auch das Recht der Besichtigung von Tatorten und Unfallorten. Er kann ber die rtlichen Verhltnisse Skizzen und Fotografien fertigen oder sie vermessen (lassen). Fotografien mssen dabei in dem durch den Verfahrenszweck abgesteckten Rahmen objektiv sein und drfen nicht, etwa durch die Wahl bestimmter, nicht verfahrensrelevanter Winkel die rtlichen Verhltnisse fr den Betrachter verflschen. Solche „Lichtbildlgen“ htten auch in aller Regel kurze Beine, weil die Ermittlungsbehrden den sich aus den Fotografien fr die Verteidigung ergebenden gnstigen Befund mit Sicherheit durch eigene Augenscheinseinnahme nachprfen wrden. Auch eine „Nachsuche“ nach beweisrelevanten Gegenstnden ist dem Verteidiger – wie brigens jedermann – nicht verboten. Anders als „jedermann“ kommt der Verteidiger aber in Schwierigkeiten, wenn er dabei „Zufallsfunde“ macht, die erkanntermaßen fr seine Klienten im Verfahren negative Bedeutung gewinnen wrden. Whrend der beim Spaziergang fndig gewordene „Jedermann“ solche Funde mitnehmen, ins Unterholz oder ins Wasser werfen drfte, knnte ein solches Verhalten fr den Verteidiger den geraden Weg in die (versuchte) Strafvereitelung nach § 258 StGB bedeuten. Er muß daher solche Beweisstcke am Fundort belassen, 220

Eigene „Ermittlungen“

Rn. 315

kann aber natrlich sein so erworbenes Wissen im Rahmen seiner Beratungs- und Verteidigungsaufgabe auswerten. Damit ist allerdings nicht gemeint, daß er nunmehr seinen Klienten veranlaßt, das zu tun, was ihm selbst untersagt ist. Ob er (ungefragt) eine unmittelbar aktuelle Informationspflicht gegenber seinem Mandanten hat, ist eine sehr schwierige Frage. Sie kann wohl nur von Fall zu Fall „praktikabel“ gelst werden. Zum Glck kommen aber derartige Flle recht selten vor. Hat der Verteidiger auf seine Weise Beweise „erhoben“, so muß er noch berlegen, ob eine sofortige Verwertung richtig oder er sie fr einen spteren Verfahrensabschnitt zurckhlt. Verweigert z. B. die Polizei die Anwesenheit des Verteidigers bei der Zeugenvernehmung, so ist die sofortige Benennung eines Zeugen oft nicht zweckmßig. Bringt der Verteidiger im polizeilichen Verfahren schon alle Beweismittel vor, so wird dem Verfahren auch zu leicht der Charakter der Vorlufigkeit und Unvollkommenheit genommen. Das berraschungsmoment geht verloren. Staatsanwaltschaft und Gericht werden dazu neigen, dem Akteninhalt des „vollkommenen“ Vorverfahrens grßere Bedeutung beizumessen als einem Verfahren, in dem ersichtlich noch nicht alle Beweismittel erschpft sind.

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Indessen kann die Zurckhaltung von Beweismaterial ein Nachteil sein, wenn das Beweismaterial verlorengeht oder seine sptere Benutzung erschwert werden kann (z. B. DNA-Material) und wenn die vollstndige Beweiserhebung im Ermittlungsverfahren alsbald zur Einstellung des Verfahrens, zur Aufhebung des Haftbefehls oder anderen Maßnahmen fhren kann. Auch hier kommt es auf den Einzelfall an. Keine Rolle sollte allerdings der Umstand spielen, daß die notwendigen Auslagen nicht erstattet werden, wenn das Verfahren vor Abschluß der Ermittlungen eingestellt wird (§ 467a). Schließlich darf der Verteidiger nicht bersehen, daß das Entlastungsmaterial den polizeilichen Schlußbericht beeinflussen kann. Die Polizei pflegt in diesem Bericht nicht nur die Tatsachenfeststellungen zusammenzufassen, sie nimmt hufig auch eine rechtliche Subsumtion vor und beurteilt aus ihrer Sicht den objektiven und subjektiven Tatbestand. Diese polizeilichen Schuldfeststellungen sind zwar ußerst problematisch. Trotzdem werden sie hufig kritiklos bernommen und finden sich zuweilen fast wortgleich in Anklagen wieder. Sofern fr Ermittlungen Privatdetektive beauftragt werden, ist Vorsicht geboten. Ihre Methoden und ihre persnliche Zuverlssigkeit sind nicht immer unanfechtbar. Am besten ist eine Vermittlung ber eine kompetente und zuverlssige Empfehlung, z. B. durch Kollegen oder durch die 221

315

Rn. 316

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

Verbandsorganisationen77. Diese Stellen benennen Mitglieder ihrer Organisation, die fr den betreffenden Fall in Betracht kommen. Wenigstens geben sie ihre Mitgliederliste bekannt. Dem Mandanten muß man in jedem Fall raten, eindeutige Honorarvereinbarungen zu treffen und dabei besonders vorsichtig zu verfahren. Detektivauftrge sind Vertrauenssache. Die Schwierigkeit liegt meistens darin, daß der Umfang und der Erfolg der zu leistenden Arbeit im voraus kaum abzuschtzen sind. Der Mandant muß damit rechnen, daß der beauftragte Detektiv nach einigen vorbereitenden Informationen erklrt, daß sein Honorarvorschuß erschpft sei und weitere Zahlungen erwartet werden. Der Verteidiger muß beachten, daß die dem Mandanten durch die Ttigkeit des Detektivs entstehenden Auslagen nur selten aus der Staatskasse erstattet werden. Die Notwendigkeit dieser Kosten wird sehr scharf berprft. Die Erstattung wurde z. B. abgelehnt78, weil das Gericht auf eine Eingabe des Verteidigers inzwischen beschlossen hatte, eine psychologische Begutachtung ber die Glaubwrdigkeit eines Zeugen anzuordnen, auf den sich der Detektivauftrag bezogen hatte. Das Gericht legte es dem Verteidiger zur Last, daß er die Erstattung des Gutachtens nicht abgewartet hatte. Mit hnlicher Argumentation muß auch sonst gerechnet werden. Im brigen stehen Staatsanwlte und Richter Erkenntnissen, die Detektive als Zeugen bekunden, nach den Erfahrungen der Praxis sehr kritisch gegenber und versuchen, die Arbeitsmethoden (mit negativer Tendenz) zu „hinterfragen“. Der Verteidiger sollte auch aus diesem Grunde erwgen, die erzielten Ergebnisse zwar fr die Verteidigung auszuwerten und in das Verfahren einzubringen, jedoch mglichst ohne den Detektiv nach außen als Beweisperson zu prsentieren. Ist es unvermeidlich, den Detektiv als Zeugen einzufhren, so sollte man diesen zuvor ber die Art und Weise befragen, in der er seine Erkenntnisse gewonnen hat. Dazu mahnen bse Beispiele: Getrkter Verkehrsunfall, um so in das Haus des Auszuforschenden zu gelangen; Anknpfen einer scheinbaren Liebesbeziehung, um die „Zugnglichkeit“ der angeblich vergewaltigten Zeugin zu testen; rechtswidriger „Mitschnitt“ von Gesprchen u. a. 316

Zusammenfassend betrachtet wird es in vielen Fllen fr den Verteidiger geboten sein, im Interesse des Mandanten eigene Erhebungen anzustellen, Beweismittel aufzuspren, zu verifizieren und in geeigneter Weise auszuwerten. So wichtig es also ist, Recherchen jeder Art im Verteidigungs77 Bundesverband Deutscher Detektive e. V. (BDD), Klnstraße 16, 53125 Bonn. 78 OLG Hamm, NJW 1968, 1537; LG Nrnberg-Frth, JurBro 1993, 1346; MeyerGoßner, § 464a Rn. 16.

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Einstellung des Verfahrens

Rn. 317

instrumentarium prsent zu haben, so sehr muß doch auch vor einem blinden „Ermittlungsaktivismus“ gewarnt werden. Nach den Erfahrungen der Praxis ist in der Mehrzahl der Flle ein Weniger und nicht ein Zuviel der Verteidigung dienlich. Unbedachte Erhebungsaktivitten knnen nicht nur der Sache selbst schaden, sondern den Verteidiger auch in unangenehme Konfliktsituationen bringen. Hier wie auch sonst sollte die Maxime des klugen Abwgens mit einer sorgfltigen Erfolgsabschtzung Vorrang haben vor der Euphorie, ein zustzliches Verteidigerrecht mehr um seiner selbst willen zu aktivieren! 7. Einstellung des Verfahrens a) Einstellung mangels hinreichenden Tatverdachts Bottke, Zur Anklagepflicht der Staatsanwaltschaft, GA 1980, 161; Damrau, Der Ort der Rckgabe beschlagnahmter Sachen, NStZ 2003, 408; Hilger, ber die Pflicht der Staatsanwaltschaft zur unverzgerten Einstellung gem. § 170 Abs. 2 StPO, JR 1985, 93; Hoffmann/Knierim, Rckgabe von im Strafverfahren sichergestellten oder beschlagnahmten Gegenstnden, NStZ 2000, 461; Kaiser, Tatverdacht und Verantwortung des Staatsanwalts, NJW 1965, 2380; Weiland, Von Recht und Pflicht zur Anklageerhebung, NStZ 1991, 575.

Alle Maßnahmen des Verteidigers im Ermittlungsverfahren dienen dem Ziel, nach Mglichkeit die Einstellung des Verfahrens zu erreichen. Dazu ist der Staatsanwalt verpflichtet, wenn „die Ermittlungen keinen gengenden Anlaß zur Erhebung der ffentlichen Klage bieten“ (§ 170), d. h. wenn der Beschuldigte nicht hinreichend verdchtig im Sinne des § 203 ist79. Der Verteidiger hat deshalb stndig darauf zu drngen, daß die Staatsanwaltschaft ihrer Pflicht zur Ermittlung auch der entlastenden Umstnde nachkommt (§ 160 Abs. 2). Notfalls muß er das im Wege ber die Dienstaufsicht erzwingen, allerdings nicht sofort ber den Generalstaatsanwalt, sondern den Abteilungsleiter. Er muß auch wissen und dem Staatsanwalt sollte es nicht unbekannt sein, daß eine Verletzung dieser Amtspflicht Schadensersatzansprche auslsen kann80. Auch eine Verzgerung der Entscheidung darf der Verteidiger sich nicht gefallen lassen. Denn die Fortdauer eines unberechtigten Ermittlungsverfahrens ist fr jeden Staatsbrger eine schwere Belastung, um so mehr, als die leichtfertigste und dmmste, wie auch die anonyme Anzeige gengt, ihn zunchst „in die Mhle zu bringen“.

79 Hinreichender Tatverdacht besteht, wenn eine auf Tatsachen gegrndete hohe Wahrscheinlichkeit nicht nur fr die straftatbestandlichen Voraussetzungen, sondern auch fr die prozessuale Verfolgbarkeit vorliegt. 80 BGHZ 20, 178; BGHZ 27, 338.

223

317

Rn. 318

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

Der Verteidiger muß auch die bemerkenswerte Vorschrift im Gedchtnis haben, daß der Beschuldigte und der Verteidiger von der Einstellung des Verfahrens grundstzlich nicht benachrichtigt werden, wenn der Beschuldigte als solcher noch nicht vernommen ist und nicht um einen Bescheid besonders gebeten hat (§ 170 Abs. 2). Es darf nicht dazu kommen, daß der Beschuldigte sich immer noch unter dem Druck des Verfahrens fhlt, obwohl es lngst eingestellt ist. Es ist auch weithin unbekannt, daß der zu Unrecht denunzierte Staatsbrger seine volle Rehabilitation erreichen kann, indem der Einstellungsbescheid damit begrndet wird, daß der Beschuldigte unschuldig ist oder kein begrndeter „Verdacht gegen ihn besteht“ (RiStBV Nr. 88 S. 2). Schließlich ist daran zu denken, bei vorstzlich oder leichtfertig erstatteten Strafanzeigen nach Einstellung des Verfahrens bei der Staatsanwaltschaft den Antrag zu stellen, die Kosten der Verteidigung dem Anzeigeerstatter aufzuerlegen (§ 469, RiStBV Nr. 92). 318

Der Verteidiger hat auch oft noch mit einem anderen Phnomen zu tun. Zwar stellt die Staatsanwaltschaft in bis zu 80 v. H. der Flle das Verfahren (aus unterschiedlichen Grnden) ein. Das sind aber in der Masse die weniger problematischen Flle. In den Sachen, die „auf des Messers Schneide stehen“, ist dagegen die Neigung zur Anklageerhebung „in dubio contra reum“ allgemein zu beobachten. Das liegt einerseits an der Berufsausrichtung des Staatsanwalts und der Dehnbarkeit des Begriffs „hinreichender Tatverdacht“, andererseits auch an sachfremden Einflssen. Damit ist die zu beobachtende berobjektivitt der Staatsanwaltschaft gemeint, die besonders bei der Beurteilung sozial oder politisch prominenter Persnlichkeiten um der Gerechtigkeit willen schrfer zugreift als es dem kleinen Mann geschehen wrde (so etwa bei der Verfolgung von Fhrungspersnlichkeiten in Politik und Wirtschaft, Justizangehrigen, Rechtsanwlten).

319

Gemeint ist aber auch die bewußte oder unbewußte Rcksichtnahme auf das Interesse der ffentlichkeit in den sensationellen Fllen, die mglicherweise auch die Medien besonders hochgespielt haben. Hier gewinnt man gelegentlich den Eindruck, daß die Verantwortung fr die Entscheidung (auch gegenber der ffentlichkeit) ganz gerne (durch Anklageerhebung) an die Gerichte „weitergereicht“ wird. Die Schwierigkeiten in der Praxis liegen darin, daß heute selten ein Staatsanwalt eine derartige Ansicht noch ußern wrde. Sie kann aber gleichwohl seine Einstellung bestimmen. Nicht jeder Staatsanwalt ist ein Gesinnungsheld. Der Verteidiger muß sich in solchen Fllen verantwortungsscheuen Verhaltens Gehr zu verschaffen wissen, notfalls bei dem Leiter der Behrde oder sogar hheren Orts, um klares Unrecht zu verhindern. 224

Einstellung des Verfahrens

Rn. 321

Hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt, knnen fr den Verteidiger gewisse Nachsorgepflichten bestehen. Der Einstellungsbescheid besteht in aller Regel nur aus dem Satz „Das gegen Sie (Ihren Mandanten) eingeleitete Ermittlungsverfahren habe ich eingestellt“. Eine Begrndung wird nur im Ausnahmefall mitgeteilt (Nr. 88 RiStBV); an ihr besteht aber großes Interesse, nicht nur im Hinblick auf evtl. Disziplinar- oder Berufsgerichtsverfahren, sachgleiche Zivilprozesse, rechtliche Maßnahmen gegen Anzeigeerstatter (z. B. § 164 StGB, § 469 StPO) u. a. Schließlich sollte der Verteidiger auch selbst ein Interesse daran haben, ob aufgrund seiner Aktivitten oder aus vllig anderen Grnden die Einstellung erfolgt ist. Akteneinsicht ist also geboten. Daneben ist die Frist fr eine evtl. Beschwerde gegen die Einstellung unter Kontrolle zu nehmen. Schließlich muß er sich um die Rckgabe evtl. beschlagnahmter Gegenstnde, insbesondere von Unterlagen des Mandanten, kmmern. Dabei kann es zu Schwierigkeiten kommen, wenn eine (auswrtige) Staatsanwaltschaft nicht bereit ist, etwa umfangreiches Aktenmaterial auf Kosten der Justiz zurckzuschaffen. Ein Rechtsanspruch darauf ist wohl nicht zu begrnden, so daß Verteidiger und Mandant dies in Absprache mit der Behrde organisieren mssen81.

320

Nicht ganz selten steht der Staatsanwalt vor der Frage, ob er das Verfahren („mit Bauchschmerzen“) nach § 170 Abs. 2 einstellen soll, obwohl mit einer Beschwerde (§§ 172 Abs. 1, 171) gegen die Entscheidung zu rechnen ist, die nicht ohne weiteres als aussichtslos qualifiziert werden kann. Er kommt dann zuweilen auf den Verteidiger zu mit der Anfrage, ob fr den Mandanten eine Einstellung nach § 153 Abs. 1 (Rn. 323) vielleicht gnstiger ist, weil es dagegen kein Rechtsmittel gibt82. Der Verteidiger muß einerseits den Vorteil des Mandanten sehen, der damit das Verfahren endgltig „los“ ist, diesen andererseits auf den Nachteil hinweisen, daß er die Kosten der Verteidigung selbst tragen muß83. Da aus der Einstellung nach § 153 dem Mandanten jedoch keinerlei Rechtsnachteile erwachsen knnen84, spricht viel dafr, die Einstellung nach § 153 („mit der Faust in der Tasche“) zu akzeptieren, vor allem, wenn – in entsprechenden Sachen – eine passable Pressemitteilung durch die Staatsanwaltschaft zugesagt wird.

321

81 Nach BGH, NJW 2005, 988 Rckgabe am Ort der Aufbewahrung; a. A. Damrau, NStZ 2003, 408; Hoffmann/Knierim, NStZ 2000, 461; Lwe/Rosenberg/ Schfer[25], § 98 Rn. 64, 66. 82 BVerfG, NStZ 2002, 211. 83 Evtl. Ansprche nach dem StrEG bleiben unberhrt. 84 BVerfG, MDR 1991, 881; BVerfG, NStZ-RR 1996, 168.

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Rn. 322

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

b) Einstellung wegen Geringfgigkeit, nach Erfllung von Auflagen und aus anderen Grnden, Beschrnkung des Verfahrensstoffs, Tter-OpferAusgleich (§ 153, §§ 153a–e; §§ 154a–e, §§ 155a und b StPO) Bandemer, Einstellung hinter der Einstellung, NStZ 1988, 297; Br, Bedeutung und Anwendung der § 153 a StPO in Verkehrsstrafsachen, DAR 1984, 129; Dahs, § 153 a StPO – ein Allheilmittel der Strafrechtspflege?, NJW 1996, 1192; Fnfsinn, Die „Zumessung“ der Geldauflage nach § 153a I Nr. 2 StPO, NStZ 1987, 97; Hohendorf, § 153a I StPO als Radikalmittel zur Bewltigung der „Massen-Bagatellkriminalitt“?, NJW 1987, 1177; Jungwirth, Bagatelldiebstahl und Sachen ohne Verkehrswert, NJW 1984, 954; Meinberg, Geringfgigkeitseinstellungen von Wirtschaftsstrafsachen, 1985; Paschmanns, Die staatsanwaltliche Verfahrenseinstellung wegen Geringfgigkeit nach §§ 153, 153a StPO – Entscheidungsgrenzen und Entscheidungskontrolle, 1988; Rieß, Zur weiteren Entwicklung der Einstellungen nach § 153a StPO, ZRP 1985, 212; Schdler, Der „weiße Fleck“ im Sanktionensystem, ZRP 1985, 186; Schaefer, Ch., Kooperation im Ermittlungsverfahren, AnwBl. 1998, 67; Schlothauer, Die Einstellung des Verfahrens gemß §§ 153, 153a nach Erffnung des Hauptverfahrens, StV 1982, 409; Terbach, Einstellungserzwingungsverfahren, 1996, Terbach, Rechtsschutz gegen die staatsanwaltliche Zustimmungsverweigerung zur Verfahrenseinstellung nach §§ 153 II, 153a StPO, NStZ 1998, 172.

322

Die Einstellung des Verfahrens nach §§ 153 ff. bietet dem Verteidiger ußerst bedeutungsvolle Chancen, ein Verfahren ganz oder wenigstens teilweise ohne Urteilsspruch zur Erledigung zu bringen. Das auf eine Vielzahl von praktischen Fallgestaltungen zugeschnittene System von Einstellungsgrnden sollte der Verteidiger in jedem Verfahren und Verfahrensstadium im Auge behalten. Ist mit einer Verurteilung zu rechnen, so bietet die Einstellung die mglicherweise einzige Chance, den Makel einer Bestrafung mit Eintragung in das Bundeszentralregister abzuwenden (dazu Rn. 179). Whrend die Denkweise des Richters entscheidend durch seine Aufgabe, die materielle Wahrheit festzustellen, geprgt ist, muß sich der Verteidiger vielfach das „Denken in Verfahrensrisiken“ zu eigen machen. Er wird also, auch wenn nach seiner Beurteilung eine Einstellung des Verfahrens nach § 170 Abs. 2 mangels hinreichenden Tatverdachts oder ein Freispruch erreichbar erscheint, im Interesse seines Mandanten stets auch das Risiko einkalkulieren, daß die Ermittlungsbehrde oder das Gericht zu einer anderen, ungnstigen Entscheidung kommt. Dieses Risiko ist in der Praxis selten vllig auszuschließen. Dem Mandanten, der von seiner Nichtschuld berzeugt ist, muß das strafprozessuale Verfahrensrisiko oft mit einiger Mhe klargemacht werden. Dabei kann durchaus die Gefahr entstehen, daß der Mandant die Erwgungen seines Verteidigers als „mangelnden Schneid“ ansieht und die Vertrauensbasis gefhrdet wird. Ein Gesprch ber derartige Fragen muß deshalb mit Behutsamkeit und Geschick gefhrt werden. Trotzdem wird die Erkenntnis eines Prozeßrisikos sachlicher oder rechtlicher Natur fr den Verteidi226

Einstellung des Verfahrens

Rn. 323

ger immer Anlaß sein mssen, neben dem erstrangigen Ziel einer Einstellung des Verfahrens mangels Tatverdachts oder des Freispruchs hilfsweise auch das fr seinen Mandanten (nur) relativ beste Ergebnis auf dem „unteren Wege“ der Einstellung des Verfahrens nach §§ 153 ff. anzusteuern. Dies ist um so mehr geboten, wenn bereits ungnstige Zwischenentscheidungen der Ermittlungsbehrde oder eines Instanzgerichts gefallen sind. In dieser Rangfolge der Verteidigungsziele ist die Einstellung des Verfahrens nach § 153 sicherlich das relativ gnstigste Ergebnis. Der Verteidiger sollte aber stets darauf eingestellt sein, bei Nichterreichbarkeit dieses Optimums sich auf der „Stufenleiter“ der gesetzlichen Mglichkeiten ber § 153a, evtl. auch § 153b, bis auf die §§ 154, 154a nach und nach zurckzuziehen, um auf diese Weise jedenfalls noch einen Teilerfolg zu erzielen, zumal die Einstellung nach §§ 153, 153a auch nicht in das Bundeszentralregister eingetragen wird85. Der Antrag auf Einstellung des Verfahrens oder die Geltendmachung von Einstellungsgrnden neben dem Antrag auf Freispruch begegnet heute auch keinen verteidigungstaktischen Bedenken mehr. Nach der Neufassung des Gesetzes setzt die Einstellung des Verfahrens keine Schuldfeststellung mehr voraus86, sondern es gengt, daß eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Schuldspruches besteht87. Der Einstellung des Verfahrens frderlich ist erfahrungsgemß in dafr in Betracht kommenden Fllen auch der Tter-Opfer-Ausgleich (§§ 155a und b StPO, § 46a StGB), der auch ohne Mitwirkung der Staatsanwaltschaft und der Ausgleichsstelle mglich ist. Die gleichzeitige Negierung jeden Verschuldens wird dabei allerdings kaum mglich sein. Die Einstellung des Verfahrens wegen Geringfgigkeit (§ 153) kommt in Betracht, wenn kein ffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht und die Schuld als gering anzusehen wre. Bei der berlastung der Justiz findet man hufig offene Ohren fr eine Einstellung, wenn sie mit guten Grnden angeregt werden kann. So ist es z. B. zweckmßig, einerseits auf die eigene Verletzung des Beschuldigten, nachteilige wirtschaftliche Folgen, drohende Disziplinarmaßnahmen und berufsrechtliche Auswirkungen aufmerksam zu machen und andererseits fr den Fall der Ablehnung der Einstellung auf die voraussichtlich von der Verteidigung zu stellenden Beweisantrge, evtl. verfahrensrechtliche Pro-

85 Auch nicht in das Verkehrszentralregister (§ 28 StVG). 86 Vgl. schon den Wortlaut des § 153 (... Verschulden gering wre). 87 Meyer-Goßner, § 153 Rn. 3; § 153a Rn. 7.

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323

Rn. 324

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

bleme und den sich daraus ergebenden Verfahrensumfang hinzuweisen. Die Inadquanz von Justizaufwand und Tatgewicht kann die Gerichte in vielen Fllen bewegen, ihre Zustimmung zur Einstellung zu erteilen. Fraglich ist das ffentliche Interesse auch dann, wenn bei Krperverletzungen im Straßenverkehr ein Strafantrag des Verletzten nicht gestellt wurde und wenn weder Leichtfertigkeit oder schwere Unfallfolgen vorliegen. Die gelegentlich anzutreffende bung von Staatsanwlten, ihre Zustimmung zur Einstellung des Verfahrens von einer Art „Schuld- und Reuebekenntnis“ des Beschuldigten abhngig zu machen, ist nach dem Wortlaut des Gesetzes als unzulssig zurckzuweisen. Geringfgige Vermgensdelikte knnen nach § 153 Abs. 1 Satz 2 auch ohne Zustimmung des Gerichts durch Einstellung erledigt werden. Hierher gehren vor allem die Bagatellflle des Diebstahls und Betruges, die zudem in der Regel nur noch auf Strafantrag hin verfolgt werden (§ 248a StGB). Dabei muß jedoch zustzlich dargelegt werden, daß der angerichtete Schaden gering ist. Fr den praktisch bedeutsamen Bereich des Ladendiebstahls erffnen sich hier besonders gnstige Perspektiven fr eine erfolgreiche Verteidigung88. 324

Erreicht der Verteidiger die Zustimmung zur Einstellung des Verfahrens nach § 153 nicht, weil ein ffentliches Interesse an der Strafverfolgung bejaht wird, so kann dieses Hindernis auf dem Wege zur Verfahrenserledigung durch die Erfllung von Auflagen nach Maßgabe des § 153a berwunden werden. In derartigen Fllen kann sich ein informelles Vorabgesprch mit dem Staatsanwalt (Rn. 178) oder dem Richter ber den Rahmen der in Betracht kommenden Auflagen, die sehr erheblich sein knnen, empfehlen. In der Praxis steht heute die Einstellung nach § 153a bei allen gewichtigeren Fllen eindeutig im Vordergrund. Manchmal bedarf es großer Anstrengungen der Verteidigung, diese Entscheidung zu erreichen, manchmal geht es berraschend leicht. Die Maßstbe sind nicht einheitlich. Wichtig ist, daß trotz der gesetzlich notwendigen Zustimmung des Beschuldigten und auch bei Zahlung einer hohen Geldauflage die Unschuldsvermutung uneingeschrnkt fortbesteht und eine fr den Klienten negative Verwertung in einem anderen Verfahren (z. B. Disziplinarverfahren) unzulssig ist89. Die Entscheidung ber die Kosten und notwendigen Auslagen des Einstellungsbeschlusses kann nicht angefochten werden90. Verweigert die Staats88 Einzelflle bei Meyer-Goßner, § 513 Rn. 16 ff. 89 So ausdrcklich BVerfG, MDR 1991, 891; BVerfG, NStZ-RR 1996, 168. 90 Dazu KK-Schoreit, § 153a Rn. 61 f. m. N.

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Einstellung des Verfahrens

Rn. 326

anwaltschaft die Einstellung, so kommt die Dienstaufsichtsbeschwerde in Betracht (Rn. 1086); sie verspricht allerdings nur Erfolg, wenn es lediglich darum geht, daß der Sachbearbeiter sich scheut, die Verantwortung fr die Einstellung allein zu bernehmen. Der Verteidiger sollte daran denken, daß manchmal das Revisionsgericht das Verfahren noch nach § 153 (nicht 153a) einstellt91, vor allem bei berlanger Verfahrensdauer. Kann von Strafe abgesehen (z. B. § 60 StGB) oder der Angeklagte fr straffrei erklrt werden, so kommt ebenfalls von vornherein die Einstellung in Betracht. Auch hier empfiehlt es sich, die Grnde im einzelnen rechtzeitig der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht darzulegen. Freilich ist mindestens in der Formulierung Vorsicht geboten. Wie im Falle der Einstellung wegen Geringfgigkeit (Rn. 322) sollte der Verteidiger im allgemeinen den Antrag nach § 153a nur unter dem Vorbehalt stellen, daß die Schuldfrage berhaupt zu bejahen ist. Sonst kann aus dem Antrag zu leicht gefolgert werden, der Beschuldigte rume seine Schuld ein. Das muß der Verteidiger auch bedenken, wenn die Zustimmung des Angeschuldigten zur richterlichen Einstellung abgegeben werden soll (§ 153a Abs. 2). Hier wird sorgfltig abzuwgen sein, ob man es auf eine Hauptverhandlung ankommen lassen kann. Im allgemeinen sollte der Einstellung zugestimmt werden, weil eine Hauptverhandlung fr den Mandanten fast immer mit Nachteilen verbunden ist.

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Auch bedeutsame und große Verfahren werden zuweilen nach § 153a erledigt, wenn sich herausstellt, daß das Verfahren nicht (mehr) „verhandelbar“ ist/sein wird oder die Schuld sich auf so viele Personen verteilt, daß der Anteil des Einzelnen die Minimalgrenze erreicht. Zu einer solchen Verfahrensentwicklung kann es aus vielen Grnden kommen, z. B. unzulngliche Ermittlungen und eine Anklage, die stndig „nachgebessert“ werden muß, „ausgefallene“ Mitbeschuldigte/Angeklagte und Zeugen, die (un)absehbare Dauer der Hauptverhandlung bei drngenden anderen (Haft-) Sachen, Probleme bei Beweiserhebungen im Ausland oder bei der Vernehmung von Auslandszeugen u. a.92. Der Verteidiger muß ein waches Auge fr den Zeitpunkt haben, in dem die rechtlichen und tatschlichen Schwierigkeiten der Bewltigung eines Verfahrens den Grad erreicht haben, der erfahrungsgemß bei Staatsanwaltschaft oder Gericht die Neigung auslst, einer „pragmatischen“ Lsung der Probleme zuzustimmen.

326

Der Verteidiger muß auch bedenken, daß es der Staatsanwaltschaft und dem Gericht nicht verwehrt werden kann, die Einstellungsentscheidung mit einer schriftlichen Begrndung zu versehen, wenn dies auch in der 91 Meyer-Goßner, § 153 Rn. 39. 92 Dahs, NJW 1996, 1192.

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Rn. 327

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

Praxis selten geschieht. Er sollte versuchen, auf diese Begrndung Einfluß zu nehmen, um jedenfalls zu verhindern, daß darin ber den Gesetzesinhalt hinausgehend ein Verschulden „festgeschrieben“ wird oder der Sache nicht angemessene Androhungen fr einen etwaigen Wiederholungsfall ausgesprochen werden. Grndlich daneben gegriffen hat ein Staatsanwalt, der in der Einstellungsverfgung Unternehmen und Personen mit der Einleitung von Ermittlungen bedrohte, die am Verfahren gar nicht beteiligt waren. Aber auch das kommt vor. Es gibt auch Flle, in denen der Mandant Interesse an einer fr ihn positiven Begrndung hat – wenn sie nmlich dahin geht, die Mglichkeit/ Wahrscheinlichkeit eines (Teil-)Freispruchs deutlich zu dokumentieren. Dies kann fr Folgeverfahren, z. B. berufsgerichtlicher oder disziplinarischer Art – sogar fr Zivilprozesse – sehr wichtig sein. Der Verteidiger darf nicht zgern, dieses Anliegen angemessen zur Sprache zu bringen. Er wird damit berraschend Erfolg haben. Bei jeder Einstellung des Verfahrens muß der Verteidiger die Frage einer Entschdigung fr Strafverfolgungsmaßnahmen nach § 3 StrEG prfen (Rn. 366). Eine wichtige Mglichkeit der Einstellung bietet sich fr den Verteidiger in den §§ 154, 154a. Hiernach knnen Nebendelikte oder abtrennbare Teile der Tat ausgeschaltet werden, wenn die Bestrafung gegenber den Haupttaten nicht ins Gewicht fallen wrde (Rn. 326). 327

Einer besonderen Situation sieht sich der Anwalt gegenber, wenn der Betroffene im Falle einer Ntigung oder Erpressung um Rat bittet. Es empfiehlt sich, sehr vorsichtig zu Werke zu gehen, um zu erreichen, daß die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung absieht (§ 154c). Man kann kaum einmal voraussagen, wie die Staatsanwaltschaft den Sachverhalt beurteilt. Nach Nr. 102 RiStBV hat sie zu prfen, ob die Ntigung oder die Erpressung strafwrdiger ist als die Tat des Erpressungsopfers. Diese Anweisung weicht insofern von § 154c ab, als danach der Staatsanwalt das Verfahren einstellen kann, wenn nicht wegen der Schwere der Tat eine Shne unerlßlich ist93. Da diese Maßstbe ungewiß sind, kann der Anwalt es nur selten verantworten, den Namen seines Mandanten frhzeitig bekanntzugeben. Er wrde ihn sonst einer unsicheren Entscheidung ausliefern, die berdies nach herrschender Auffassung nur mit der Dienstaufsichtsbeschwerde anfechtbar ist. Bewhrt hat sich folgendes Verfahren: Der Anwalt trgt der Staatsanwaltschaft den Sachverhalt vollstndig vor, ohne vorerst die Namen der Beteiligten zu nennen. Er bittet um die verbindliche Zusicherung der Einstellung unter der Voraussetzung, daß die 93 KK-Schoreit, § 154c Rn. 4.

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Einstellung des Verfahrens

Rn. 328

angegebenen Tatsachen zutreffen. Nach der Zusicherung nennt er die Namen. Dieses Verfahren hat eine sorgfltige wahrheitsgemße Aufnahme und Darstellung des Tatbestandes zur Voraussetzung. Deshalb ist der Auftraggeber anzuhalten, dem Anwalt den gesamten Sachverhalt rckhaltlos zu offenbaren. c) Beschwerde und Klageerzwingung Bischoff, Die Praxis des Klageerzwingungsverfahrens, NStZ 1988, 63; Langer, Zur Klageerzwingung wegen Verfolgung Unschuldiger, JR 1989, 95; Rieß, Alte und neue aktuelle Fragen im Klageerzwingungsverfahren – Notanwalt, Ermittlungserzwingung, NStZ 1986, 433; Rieß, Zur Versptung eines Klageerzwingungs-Antrages nach Wiederaufnahme der Ermittlung und zur Zurechnung des Anwaltverschuldens bei der Fristversumung, NStZ 1989, 194; Wohlers, Zu den formellen Voraussetzungen eines Antrags nach StPO § 172, NStZ 1990, 98.

Hat der Verteidiger es erreicht, daß die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren mangels hinreichenden Tatverdachts nach § 170 Abs. 2 einstellt, so ist seine Arbeit damit nicht immer zu Ende. Der durch die angebliche Straftat „Verletzte“ kann nmlich gegen den Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft Beschwerde einlegen (§ 172 Abs. 1). Der Verteidiger muß wissen, daß der Begriff des Verletzten in der Praxis sehr weit ausgedehnt wird94 und der Anzeigeerstatter nach Nr. 89 RiStBV in einem begrndeten Bescheid ber die Einstellung sein Beschwerderecht unterrichtet wird. Gegen eine Einstellung nach § 153 oder § 153a ist dagegen eine Beschwerde nicht statthaft. Wichtig ist, daß die Einlegung der Beschwerde dem Verteidiger und seinem Klienten nicht mitgeteilt werden muß, was in der Praxis auch regelmßig nicht geschieht. Man muß sich daher durch Nachfrage oder Akteneinsicht darber vergewissern, um die Rechte seines Mandanten auch in dem an sich nur internen berprfungsvorgang der Staatsanwaltschaft wahrzunehmen. Dabei sollte man es nach praktischer Erfahrung nicht bei einem schriftlichen Antrag auf bersendung der Beschwerdebegrndung belassen (der gelegentlich bersehen wird), sondern durch mndliche Nachfrage sich ber Beschwerde und Beschwerdebegrndung informieren. Erfhrt man dann vom Dezernenten der Staatsanwaltschaft, er werde aufgrund der Beschwerde die Ermittlungen auf jeden Fall wieder aufnehmen (mssen) (Nr. 105 RiStBV), so kann es sich empfehlen, eine Stellungnahme zur Beschwerdebegrndung zurckzustellen, bis die erneuerten Ermittlungen zum Abschluß gekommen sind. Allgemein lßt sich sagen, daß die Haltung der rtlichen Staatsanwaltschaft zu Beschwerden sich deutlich an der Einstellung der jeweiligen Generalstaatsanwaltschaft orientiert. So haben in vielen Ge94 Meyer-Goßner, § 172 Rn. 10; KK-Schmid, § 172 Rn. 19 ff.

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Rn. 329

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

richtsbezirken Beschwerden kaum eine Chance, whrend in anderen viele Beschwerden zur Wiederaufnahme der Ermittlungen fhren, weil ansonsten mit einem entsprechenden Auftrag der Generalstaatsanwaltschaft sicher gerechnet werden muß. Der Verteidiger sollte derartige rtliche Besonderheiten kennen und sie in seine Konzeption einbeziehen. 329

Bleibt die Beschwerde ohne Erfolg, so kann der Antragsteller ein Klageerzwingungsverfahren einleiten, sofern nicht die Ausnahmeflle gemß § 172 Abs. 2 gegeben sind (insbes. bei Privatklagedelikten und Geringfgigkeit). Das Erzwingungsverfahren wird verhltnismßig wenig praktiziert und ist auch selten vom Erfolg gekrnt. Da fr die Entscheidung ber den Antrag das Oberlandesgericht zustndig ist (§ 172 Abs. 4 S. 1), wird dem Beschuldigten und seinem Verteidiger unter den Voraussetzungen des § 33 Abs. 3 vor der Entscheidung rechtliches Gehr gewhrt. Der Verteidiger ist daher aufgerufen, den Gang des Verfahrens auch nach einer gnstigen Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft (die ihm ebenfalls von Amts wegen nicht mitgeteilt wird) im Auge zu behalten. Er muß durch eigene Aktivitten dafr Sorge tragen, daß er den Zeitpunkt der Zustellung der Beschwerdeentscheidung an den Antragsteller, den Eingang des Klageerzwingungsantrages und seine Begrndung erfhrt und zur Kenntnis erhlt. Es ist davor zu warnen, sich bei einer Klageerzwingung allein auf die Generalstaatsanwaltschaft und das OLG zu verlassen, wenn auch Klageerzwingungsantrge in der Praxis eher selten erfolgreich sind. Keinesfalls darf es dazu kommen, daß der Verteidiger sich bei einer erfolgreichen Klageerzwingung der Frage des Klienten stellen muß, aus welchem Grunde er nicht versucht habe, auf die Entscheidung Einfluß zu nehmen. Dies ist um so weniger als die Verteidigungschancen in aller Regel gut sind. Das Klageerzwingungsverfahren ist geradezu „gespickt“ mit formellen und sachlichen Anforderungen, die der Antragsteller hufig nicht erfllt95. Insoweit kann auf die einschlgige Kommentarliteratur verwiesen werden96.

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Problematisch kann auch die aufgrund der Beschwerde fr den „Verletzten“ leichter zu erreichende Akteneinsicht (§ 406e) fr die Verteidigung sein (Rn. 171 ff.). Hier muß ggfs. prventiv bei der Staatsanwaltschaft interveniert, und es mssen Gegengrnde angebracht werden. Es kommt immer wieder vor, daß Motiv fr Strafanzeigen und Beschwerden gegen Einstellungen die Ausforschung des von den Ermittlungsbehrden und der Verteidigung zusammengetragenen Materials einschließlich persnlich95 Dazu OLG Dsseldorf, MDR 1981, 161; OLG Koblenz, NJW 1977, 1461 m. zahlr. N. 96 Meyer-Goßner, § 172 Rn. 27; Beck'sches Formularbuch/Gillmeister, S. 963 ff.

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Untersuchungshaft

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keitsrelevanter Daten, Geschfts- und Betriebsgeheimnissen zu anderen als strafrechtlichen Zwecken ist. Der Verteidiger muß sicherstellen, daß er vor der Entscheidung Gehr erhlt (analog § 33). Insgesamt gehren Beschwerde- und Klageerzwingungsverfahren zu dem Aufgabenbereich des Verteidigers, der an anderer Stelle (Rn. 771 ff.) als „Nachsorge“ fr den Mandanten nach positiver Sachentscheidung behandelt wird. Die Risiken, die sich im staatsanwaltschaftlichen „NachsorgeBereich“ ergeben knnen, insbesondere bei Wiederaufnahme der Ermittlungen, sollten rechtzeitig gesehen und nchtern bewertet werden. Es kann ein Gebot der Klugheit sein, auf die „Einstellung erster Klasse“ nach § 170 Abs. 2 zu verzichten und sich statt dessen mit einer Verfahrenserledigung nach § 153 oder § 153a zufrieden zu geben, weil das Verfahren dann mit Sicherheit beendet ist. Allerdings ist es nicht immer leicht, die dafr notwendige Einsicht beim Mandanten wecken! Auch wenn ein Klageerzwingungsantrag – ausnahmsweise – Erfolg hat, ist fr die Verteidigung noch nichts verloren, wenn auch der Antragsteller im Verfahren als Nebenklger beitreten kann (§ 395 Abs. 1 Nr. 3). Denn der Erfolg des Klageerzwingungsverfahrens erschpft sich in der Verpflichtung der Staatsanwaltschaft, die ffentliche Klage zu erheben. Sie kann dessen ungeachtet ihre abweichende Auffassung zur Sach- und Rechtslage weiter vertreten oder sich der „besseren Einsicht“ des Oberlandesgerichts anschließen. Der Verteidiger des Angeklagten befindet sich in der Hauptverhandlung jedenfalls in einer einmaligen Prozeßsituation. Er trifft auf einen Staatsanwalt, der die Anklage gegen seine berzeugung gezwungenermaßen erhoben hat und ggfs. durch die Beschlußgrnde des Gerichts auch nicht anderen Sinnes geworden ist. Der Verteidiger gewinnt damit zu seiner berraschung einen Verbndeten, mit dem er sich – auch in der Vorbereitung der Hauptverhandlung – ggfs. abstimmen kann. Die Gerichte sind nach aller Erfahrung ebenfalls von einer ihnen derart aufgezwungenen Sache nicht gerade begeistert. Kommt es trotzdem – extrem selten – zu einer Verurteilung, ist der Staatsanwalt nicht gehindert, vielleicht sogar besonders geneigt, ein Rechtsmittel zugunsten des Angeklagten einzulegen – sonst ein seltenes Mauerblmchen in der deutschen Strafrechtspflege. 8. Untersuchungshaft Baumann, Zur Revisibilitt von Haftentscheidungen, FS Pfeiffer (1988), S. 255; Baumann, Gesetzliche Regelung des Vollzugs der Untersuchungshaft, JZ 1990, 107; Bohnert, Untersuchungshaft, Akteneinsicht und Verfahrensrecht, GA 1995,

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Rn. 331

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

468; Burmann, Zur Parallelitt vorlufiger Freiheitsentziehung im Erkenntnisverfahren und im Widerrufsverfahren, StV 1986, 80; Dahs sen., Recht und Unrecht der Untersuchungshaft, NJW 1959, 505; Dahs, Apokryphe Haftgrnde, FS Dnnebier (1982), S. 227; Dahs, Der Haftgrund der Fluchtgefahr, AnwBl. 1983, 418; Dahs, Das Verbrechensbekmpfungsgesetz vom 28. 10. 1994, NJW 1995, 553; Dahs/Riedel, Auslndereigenschaft als Haftgrund? Zur Problematik eines Haftbefehls gegen im Ausland lebende auslndische Staatsbrger, StV 2003, 416; Deckers, Reform der Untersuchungshaft, FG Koch (1989), S. 151; Deckers, Verteidigung beim ersten Zugriff der Polizei, NJW 1991, 1151; Deckers, Verteidigung in Haftsachen, NJW 1994, 2261; Deckers, Beck'sches Formularbuch (1998), S. 175 ff.; Dnkel, Praxis der Untersuchungshaft in den 90er Jahren, StV 1994, 610; Dvorak, Unverzglichkeit der Vorfhrung vor dem zustndigen Richter, StV 1983, 514; Eisenberg, ber Verhngung und Vollzug von Untersuchungshaft bei Jugendlichen und Heranwachsenden, GA 1993, 293; Fischer, Aufhebung des Haftbefehls nach § 121 StPO, StV 1987, 462; Hamm, Zur Prognosegenauigkeit der Haftentscheidung, StV 1986, 499; Hamm, Kommunikationsfreiheit in der Haft, ZRP 1984, 292; Hilger, Die Entwicklung der Untersuchungshaft – Zahlen von 1981 – 1987, NStZ 1989, 107; Jungfer, Sicherheitsleistung zur Verminderung der Verdunkelungsgefahr, GedS K. H. Meyer (1990), S. 227; Krekeler, Zum Haftgrund der Verdunkelungsgefahr, insbesondere bei Wirtschaftsdelikten, wistra 1982, 8; Mnchhalffen/Gatzweiler, Das Recht der Untersuchungshaft, 2. Aufl., 2002 (NJW-Schriftenreihe Bd. 30); Ohm, Persnlichkeitswandel unter Freiheitsentzug, 1964; Paeffgen, Apokryphe Haftverlngerungsgrnde in der Rechtsprechung zu § 121 StPO, NJW 1990, 537; Paeffgen, Haftvoraussetzungen, Schriftenreihe Strafverteidigervereinigungen, 1996; Parigger, Aus der Praxis des Rechts der Untersuchungshaft, NStZ 1986, 211; Rckel, Handlungsmglichkeit des Strafverteidigers im Haftverfahren, StV 1985, 36; Schlothauer, Die Bedeutung des materiellen Strafrechts fr die Verteidigung in Untersuchungshaftfllen, StV 1996, 391; Schlothauer, Die Verteidigung des inhaftierten Mandanten, StraFo 1995, 5; Schlothauer/Weider, Untersuchungshaft, 3. Aufl., 2001; Schch, Kurze Untersuchungshaft durch Strafverteidigung?, StV 1997, 323; Schwenn, Straferwartung – ein Haftgrund?, StV 1984, 132; Seebode, Zur Verhltnismßigkeit von Untersuchungshaft, StV 1994, 86; Sommermeyer, Recht der Untersuchungshaft, NJ 1992, 336; Ullrich, Handlungsmglichkeiten des Strafverteidigers im Haftverfahren?, StV 1986, 268; Weider, Die Anordnung der Untersuchungshaft, StraFo 1995, 11; Wolter, Untersuchungshaft, Vorbeugehaft und vorlufige Sanktionen, ZStW 93 (1981), 452; Zieger, Akteneinsichtsrecht des Verteidigers bei Untersuchungshaft, StV 1993, 320; Ziegert, Der Richter des nchsten Amtsgerichts – Richter oder Urkundsbeamter?, StV 1997, 439. Vgl. auch die Rspr.-bersichten von Paeffgen in NStZ, zuletzt 2005, 75.

a) Problematik 331

Die Untersuchungshaft ist das trostloseste Kapitel der Strafverteidigung! In keinem anderen Verfahrensbereich treten die Allmacht des Staates und die Ohnmacht der Verteidigung so deutlich hervor. Antrge auf Erlaß von Haftbefehlen scheinen nahezu „Selbstgnger“, wenn es nur um das „richtige“ Delikt und den „passenden“ Beschuldigten geht. Dabei wird nicht 234

Untersuchungshaft

Rn. 332

bersehen, daß wohl in der Mehrzahl der Flle die Untersuchungshaft wegen Flucht- oder Verdunklungsgefahr tatschlich am Platze ist. Es gibt aber daneben einen erheblichen Anteil von Haftverfahren, in denen man nicht nur an der Notwendigkeit des Freiheitsentzuges zweifeln, sondern an der richterlichen Prfungskompetenz geradezu verzweifeln muß. Die weniger juristische als justiz-emotionale Maxime „Der gehrt rein“ scheint bei nicht wenigen Entscheidungen Pate zu stehen und die gebotene kritische Prfung des Tatverdachts und der Haftgrnde zu berlagern. Die Statistik ber die Zunahme von Verhaftungen und der Vergleich zwischen Untersuchungshaft und rechtskrftiger Sachentscheidung ergibt ein bedrckendes Bild. Fr den Verteidiger gehrt das vergebliche Anrennen gegen formelhafte Haftbeschlsse und Rechtsmittelentscheidungen zu den frustrierenden Seiten seiner Berufsausbung. Der mit der Untersuchungshaft verbundene psychische und physisch empfundene Druck wird nach den bereinstimmenden Erfahrungen der Verteidiger von Ermittlungsbehrden nicht selten bewußt eingesetzt, um das Schweigerecht des Beschuldigten zu untergraben und zu eliminieren – zumindest wird diese Konsequenz gern hingenommen. Auch der solchermaßen von der Notwendigkeit einer Aussage „berzeugte“ Beschuldigte sieht sich oft auch unter dem Druck, immer noch mehr aussagen zu sollen und vor allem weitere Personen zu belasten – um die Verdunkelungsgefahr zu beseitigen. Dabei wird nicht selten ganz unverhohlen gesagt, es msse noch ein wenig „zugelegt“ werden, wenn die Staatsanwaltschaft Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls oder Verschonung stellen solle. Der Verteidiger kann in solchen und hnlichen Fllen die Freude des Klienten ber die wiedergewonnene Freiheit nicht so recht teilen, weil er weiß, daß die vorlufige Freilassung mit einer erfahrungsgemß nicht revokablen und daher endgltigen Einlassung erreicht worden ist, die zur Grundlage fr die Verhngung einer Freiheitsstrafe werden kann. Diese Konsequenz ist Mandanten, die vielfach unter dem Druck der Existenzvernichtung bei Fortdauer der Untersuchungshaft stehen, in ihrer bedrngten Situation nur schwer beizubringen. Die erfolgreiche Verteidigung des in Untersuchungshaft befindlichen Klienten ist die schwierigste Aufgabe, die einem Verteidiger gestellt werden kann. Es besteht eine Tendenz der Gerichte, die gesetzlichen Vorschriften mehr in Richtung einer Sicherung der Verbrechensverfolgung auszulegen als in Richtung auf eine Sicherung der Freiheitsrechte des Beschuldigten. Die Untersuchungshaft wirkt praktisch wie eine vorweggenommene Bestrafung. Fr den Verteidiger ist genaueste Kenntnis des materiellen und formellen Haftrechts und der neuesten Rechtsprechung unbedingt notwendig. Besonders die Judikatur des zustndigen Oberlandesgerichts muß er unbedingt kennen. 235

332

Rn. 333

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

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Der Mandant macht hufig Haftunfhigkeit geltend. Das Gericht lßt sich auf privatrztliche Atteste im allgemeinen nicht ein. Vielmehr wird der Gerichts- oder Anstaltsarzt beauftragt. Er neigt erfahrungsgemß zur Bejahung der Haftfhigkeit. In anderen Fllen wird die berweisung in ein Gefngnislazarett angeordnet und dort fr den Aufenthalt in der Krankenabteilung die Haftfhigkeit bejaht. In schwerwiegenden Fllen, in denen die Behandlung in einer Klinik unerlßlich ist, muß damit gerechnet werden, daß die Erffnung des Haftbefehls dort erfolgt und der Mandant in der Folgezeit durch Vollzugbeamte dort bewacht wird. Dabei ergeben sich leicht Unzutrglichkeiten, die eine Einschaltung des Haftrichters (§ 119) erforderlich machen. Mit einem vernnftigen Staatsanwalt wird man auch insoweit manches regeln knnen, z. B. daß die Bewacher nicht im Krankenzimmer sitzen und sich die Zeit am Fernseher vertreiben.

334

Der Vollzug der Untersuchungshaft ist fr den Betroffenen eine Tortur und auch fr den Verteidiger des Beschuldigten eine schwere Zeit. Er erlebt die „Qual der Untersuchungshaft“ (Hachenburg) von seiner Seite aus mit. Es gibt kaum einen empfindlicheren Eingriff in das Leben eines Brgers als den Freiheitsentzug. Er wird aus seinem gewohnten Leben herausgerissen, von Beruf und Familie getrennt, in einer – hufig stark veralteten – Anstalt „verwahrt“, deren Regeln er sich unterordnen muß (UVollzO Nr. 18 Abs. 4). Ihm wird ein Tageslauf auferlegt, der ihn um so hrter trifft, je mehr er seinen sonstigen Gepflogenheiten widerspricht. Der Schock der Verhaftung, die Schdigung seines Ansehens durch die Haft, die Ungewißheit der Haftdauer, krperlich und seelisch ungnstige Folgen der Haft, die Unmglichkeit, seine Verteidigung selbst sachgerecht vorzubereiten, zermrben den Betroffenen am schlimmsten, der nicht durch Erfahrung abgebrht ist. Niedergeschlagenheit, bis zu Selbstmordabsichten gesteigerte Verzweiflung einerseits, trotzige Auflehnung, jhzornige Vorwrfe andererseits, sind in allen ihren Schattierungen je nach Charakter und Temperament die Reaktion des Verhafteten. Es ist eine schwierige Aufgabe des Verteidigers, mit psychologischem Einfhlungsvermgen den Weg zum Ohr und zum Verstndnis des Mandanten zu finden. In den meisten Fllen ist dies nur zu erreichen, wenn der Verteidiger auch den mehr persnlichen Sorgen und Belangen des Auftraggebers seine Aufmerksamkeit widmet. Der Verteidiger muß versuchen, den Mandanten von unberlegten Schritten abzuhalten. Er muß ihm klarmachen, daß vernnftige und sachliche berlegungen eher helfen als gefhlsbedingte, wenn auch verstndliche Erregung. Deshalb sollte der Verteidiger dem verhafteten Mandanten empfehlen, sein Verhalten der Ordnung in der Anstalt anzupassen und nicht sinnlos gegen deren Regeln anzugehen. Das kostet den Betroffenen nur Nervenkraft, die er besser fr die Vorbereitung seiner Verteidigung verwendet. Aus diesem Grunde 236

Untersuchungshaft

Rn. 335

sollte der Verteidiger den Mandanten auch auf alle Mglichkeiten hinweisen, die dem Verhafteten den Freiheitsentzug in zulssigem Rahmen erleichtern knnen wie Lesen, Schreiben, Arbeiten in der Haft, Teilnahme am Hofgang, Gesprche mit dem Anstaltsgeistlichen und dem Frsorgebeamten, ggfs. mit dem Arzt. Hierzu muß der Verteidiger wissen, daß Zeitungen und Zeitschriften (§ 45 UVollzO)97 und die Benutzung einer Schreibmaschine zugelassen sind98, ggfs. auch Rundfunkgerte (§ 40 Abs. 2 UVollzO)99 und Fernsehgerte (§ 40 Abs. 3 UVollzO). Dagegen soll die Benutzung eines Laptops nur zulssig sein, wenn sie zur ordnungsgemßen Verteidigung erforderlich ist100, was in grßeren Wirtschaftsstrafsachen in der Regel der Fall sein drfte. In diesen Zusammenhang gehrt der Briefverkehr mit Dritten, dessen Kontrolle und Grenzen der Verteidiger dem Mandanten deutlich machen muß; entsprechendes gilt fr den Telefonverkehr101. Grundstzlich hat auch der Hftling das Recht auf Meinungsußerung und Information102. Damit ist das Problem aber nicht erschpft. Der Mandant muß auch auf die Gefahr hingewiesen werden, daß seine Briefe gegen ihn verwertet werden knnen. Auch muß der Verteidiger damit rechnen, daß der erkennende Richter, falls er die Briefkontrolle ausbt, in seiner berzeugungsbildung beeinflußt wird. Ein besonderes Kapitel sind schriftliche Eingaben des Mandanten an Gericht und Staatsanwaltschaft. Briefe strafbaren Inhalts knnen angehalten (§ 34 UVollzO) und als Beweismittel beschlagnahmt werden. Der Verteidiger sieht seine Bemhungen auch durchkreuzt, wenn sich der Auftraggeber schriftlich zu rechtfertigen sucht. Erfahrungsgemß sind Verhaftete nur allzu leicht bereit, sich alles von der Seele zu schreiben. Das ist begreiflich und fhrt deshalb fr den Verteidiger zu zwei Konsequenzen. Einmal muß er dem Mandanten ausreichend Gelegenheit geben, sich mit ihm in Ruhe auszusprechen, zum anderen muß er berwachen, daß der Auftraggeber nicht unberlegt trichte Erklrungen abgibt. Verletzungen der Postkontrolle durch den Verteidiger werden als Mißbrauch seiner privilegierten Stellung berufsrechtlich streng geahndet103. 97 OLG Saarbrcken, JBl. Saar 1966, 206; Schlothauer/Weider, Rn. 956. 98 BVerfGE 35, 5 = NJW 1973, 1363; Untersagung nur bei konkreten Anhaltspunkten fr eine reale Gefhrdung von Anstaltssicherheit, so BVerfG, NStZ 1994, 604. 99 BVerfGE 15, 288. 100 OLG Koblenz, StV 1995, 86; OLG Hamm, StV 1997, 566; OLG Stuttgart, NStZ-RR 2003, 347; Meyer-Goßner, § 119 Rn. 29. 101 BGH, BRAK-Mitt. 1999, 48. 102 BVerfGE 15, 288; OLG Dsseldorf, StV 1991, 221. 103 Hamb.AnwG, StraFo 1998, 142.

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Rn. 336 336

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

Gestndnissen gegenber sollte der Verteidiger kritisch sein. Falsche Gestndnisse oder Teilgestndnisse von Verhafteten sind hufiger als gemeinhin angenommen wird. Viele Beschuldigte glauben (vielleicht zu Recht), sich auf diese Weise am schnellsten ihre Freiheit „einzuhandeln“. Manchmal werden sie auch durch die Art der Vernehmung in den Glauben versetzt, ein Gestndnis bringe Vorteile, auf die sie sonst keinen Anspruch htten. Nur in extremen Fllen hilft das Verbot des § 136a. So, wenn der Staatsanwalt gesetzlich nicht vorgesehene Vorteile fr den Fall eines Gestndnisses zusagt104. Im brigen pflegen simulierte Gestndnisse alsbald nach der Haftentlassung oder sptestens in der Hauptverhandlung widerrufen zu werden. Die damit verbundenen Schwierigkeiten hat der Verteidiger auszutragen (Rn. 492, 547). „Erfahrene“ Beschuldigte versuchen, ber entlassene Mithftlinge mit Dritten Verbindung aufzunehmen. Davon hat der Verteidiger abzuraten. Auch sollte er dem Auftraggeber empfehlen, nicht mit anderen Hftlingen ber das Verfahren zu sprechen. Gesprchspartner knnen das Vertrauen mißbrauchen und ihr Wissen – richtig oder falsch – an die Strafverfolgungsbehrden weitergeben.

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All diese Aufgaben kann der Verteidiger nur erfllen, wenn er regelmßig Kontakt mit dem verhafteten Mandanten hlt. Dazu dienen die Besuche in der Haftanstalt. Oft ist es allerdings schwierig, allen Wnschen des Mandanten zu entsprechen oder sich zu versagen. Manche Auftraggeber sind sehr anspruchsvoll. Sie verlangen Zuspruch wie von einem Seelsorger. Solche „karitativen“ Besuche liegen nicht jedem Verteidiger. Auch kommt die sachliche Frderung der Verteidigung dabei zu kurz. Dies hat in der Praxis zu der problematischen Figur des „Besuchsverteidigers“ gefhrt, der mehr fr die seelische Untersttzung oder Unterhaltung des Mandanten als fr seine Verteidigung zustndig ist. Der Verteidiger muß es auch in schwieriger Situation erreichen, daß der Mandant sich an seinen Stil gewhnt und seinen Fhrungsanspruch anerkennt (Rn. 153). b) Haftgrnde Dahs, Apokryphe Haftgrnde, FS Dnnebier (1982), S. 227; Dahs, Der Haftgrund der Fluchtgefahr, AnwBl. 1983, 418; Dahs/Riedel, Auslndereigenschaft als Haftgrund? Zur Problematik eines Haftbefehls gegen einen im Ausland lebenden auslndischen Staatsbrger, StV 2003, 416; Deckers, Verteidigung in Haftsachen, NJW 1994, 2261; Deckers, Die Vorschrift des § 112 III StPO, sogenannter „Haftgrund der Tatschwere“, AnwBl. 1983, 420; Franzheim, Der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr bei Wirtschaftsstrafsachen, GA 1970, 109; Gallandi, Das nicht vollstndige

104 BGH, NJW 1965, 2262; auch BGH, NStZ 2005, 393.

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Gestndnis als Haftgrund der Verdunkelungsgefahr, StV 1987, 87; Hohmann, Zur verfassungsmßig gebotenen restriktiven Auslegung von StPO § 112a Abs. 1 Nr. 2, StV 1997, 310; Jungfer, Sicherheitsleistung zur Verminderung der Verdunkelungsgefahr?, GS K. Meyer (1990), S. 227; Krekeler, Zum Haftgrund der Verdunkelungsgefahr, insbesondere bei Wirtschaftsdelikten, wistra 1982, 8; Khne, Die Definition des Verdachts als Voraussetzung strafprozessualer Zwangsmaßnahmen, NJW 1979, 617; Lemme, Apokryphe Haftgrnde im Wirtschaftsstrafrecht?, wistra 2004, 288; Mller, Fluchtgefahr whrend des Vollzugs von Freiheitsstrafe in anderen Sachen?, NStZ 1991, 606; Neere, Zur Zulssigkeit der Sicherungshaft gem. § 112a StPO, insbesondere bei Anwendung von Jugendstrafrecht, StV 1993, 212; Nix, Der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr, StV 1992, 445; Paeffgen, Haftvoraussetzungen, Schriftenreihe Strafverteidigervereinigungen, 1996; Parigger, Aus der Praxis des Rechts der Untersuchungshaft, NStZ 1986, 211; Schlothauer/Weider, Untersuchungshaft, 3. Aufl., 2001; Schwenn, Straferwartung – ein Haftgrund?, StV 1984, 132; Wattenberg, Bercksichtigung eines mglichen Bewhrungswiderrufs zur Begrndung von Fluchtgefahr, StV 1996, 384; Weihrauch, Anpassung des Haftgrundes der Tatschwere an die Rspr. des BVerfG, ZRP 1988, 119; Wolter, Untersuchungshaft, Vorbeugehaft und vorlufige Sanktionen, ZStW 93 (1981), 452.

Zu ihrer Beurteilung muß der Verteidiger die rechtlichen und tatschlichen Voraussetzungen prsent haben. Die gesetzlichen Bestimmungen und die Judikatur muß er beherrschen oder sorgfltig studieren. Die Kenntnis des Sachverhalts muß er sich in erster Linie durch Akteneinsicht (Rn. 254 ff.) beschaffen, damit er ein eigenes Bild ber den Stand des Verfahrens und die von der Strafverfolgungsbehrde behaupteten Haftvoraussetzungen erlangen kann. Er bewegt sich sonst im Dunkeln und ist auf Vermutungen angewiesen, die sich fr den Mandanten verhngnisvoll auswirken knnen, wenn sie nicht zutreffen. Insoweit ist verfassungsrechtlich anerkannt, daß der Verteidiger einen (eingeschrnkten) Anspruch auf Akteneinsicht jedenfalls insoweit hat, als der Haftbefehl auf den Akteninhalt gesttzt ist und er die diesbezglichen Informationen bentigt, um auf die gerichtliche Haftentscheidung effektiv einwirken zu knnen. Dies gilt vor allem, wenn eine mndliche Mitteilung der Tatsachen und Beweismittel, die das Haftgericht seiner Entscheidung zugrunde legen will, unzureichend ist105. Der umfassende Anspruch auf Akteneinsicht nach § 147 I steht dem Verteidiger dagegen whrend der Untersuchungshaft von Verfassungs wegen nicht zu, soweit die Voraussetzungen des § 147 Abs. 2 gegeben sind106. Der Anspruch auf Akteneinsicht muß fr alle Umstnde, mit denen der Haftbefehl begrndet ist, besonders aber den dringenden Tatverdacht, der durch Tatsachen zu belegen ist (§ 112 Abs. 1 i. V. m. § 114 Abs. 2 Nr. 4) gelten. Schon deshalb muß der Verteidiger den Stand der Ermittlungen 105 EGMR, NJW 2002, 2013; i. e. Meyer-Goßner, § 147 Rn. 25a m. N. 106 BVerfG, NStZ 1994, 551.

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Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

selbst anhand der Akten prfen und darf nicht auf mehr oder weniger vollstndige Informationen durch Gericht und Staatsanwalt verwiesen werden. Dringender Tatverdacht bedeutet, daß eine Tat nach dem Stand des Verfahrens als fast bewiesen erscheinen muß107. Der Verteidiger sollte berhaupt jedesmal genau untersuchen, wie es sich mit den bestimmten Tatsachen verhlt, die das Gesetz als Voraussetzung fr die Verhaftung verlangt. Seine Kontrolle hat sich darauf zu erstrecken, ob solche Tatsachen im Haftbefehl angegeben sind und ob sie in Wahrheit vorliegen. Diese Prfung bedingt eine sorgfltige Analyse des Sachverhalts. Gerade hier finden sich erfahrungsgemß Fehler, deren Beanstandung zur Aufhebung von Haftbefehlen fhren kann. 339

So ist ein Haftbefehl wegen Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2) nur gerechtfertigt, wenn diese Gefahr mit bestimmten Tatsachen belegt ist. Dazu sollen auch (kriminalistische) Erfahrungstatsachen gehren108, jedoch nicht bloße Mutmaßungen und Spekulationen. Eine unheilvolle Rolle spielt der angebliche Erfahrungssatz, daß die Neigung der Flucht desto grßer sei, je hher die zu erwartende Strafe eingeschtzt werde. Als Kriterium fr die Hhe der zu erwartenden Strafe wird von den Haftgerichten dann gerne die Hhe des „angerichteten Schadens“ verwendet. Dies fhrt in der Praxis zu einer Art „Akzessoriett“ des Haftgrundes der Fluchtgefahr zum dringenden Tatverdacht und zu der unheilvollen Gleichung „dringender Tatverdacht eines hohen Schadens = Fluchtgefahr“109. Es ist außerordentlich schwierig, erfolgreich gegen diese starre Formel zu argumentieren, zumal die als Gegengewicht zur Fluchtgefahr an sich anerkannten Umstnde wie berufliche und familire Bindungen usw. in ihrer Wertigkeit vielfach unterschtzt und gegenber der „hohen Straferwartung“ zurckgestellt werden („Es ist zu erwarten, daß sich die beruflichen und privaten Bindungen im Zuge des Fortganges des Verfahrens lockern werden oder abbrechen“). Der Besitz von Vermgen im Ausland, geschftliche oder private Beziehungen in das Ausland machen die Fluchtgefahr fast zu einer „unwiderleglichen Vermutung“. Allerdings soll auch Vermgen im Inland keinen Schutz gegen Fluchtgefahr bieten („Der Beschuldigte kann selbst oder durch dritte Personen sein inlndisches Vermgen verlagern oder verußern“). Wer ber kein Vermgen verfgt, dem wird 107 Meyer-Goßner, § 112 Rn. 5: strkerer Grad als der hinreichende Verdacht, große Wahrscheinlichkeit. 108 KK-Boujong, § 112 Rn. 15. 109 Dahs, Apokryphe Haftgrnde, FS Dnnebier (1982), S. 227 ff.; OLG Kln, StV 1991, 305 ist der Auffassung, daß die Formel hohe Straferwartung = Fluchtgefahr eine unzulssige Anwendung des Gesetzes darstelle; ebenso OLG Bremen, StV 1995, 85; LG Mnchen, StV 2005, 38.

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attestiert, es fehle ihm deshalb eine wesentliche Bindung an das Inland. Ein etwas verzweiflungsvoller Teufelskreis! In vielen Fllen lßt sich argumentativ gegen den Haftgrund wenig ausrichten, weil zu jedem Argument das Gegenargument schon bereitgestellt ist. Streitig ist die Frage, ob ein Beschuldigter, der sich an seinem Heimatort im Ausland aufhlt und sich dem Strafverfahren in Deutschland nicht „stellt“, deshalb „flchtig“ ist110. Fr die Fluchtgefahr kommt es letztlich auf die innere Haltung des Betroffenen zum Vorwurf und zum Verfahren an. Diese innere Haltung ist mittelbar dem fr die Haftfrage zustndigen Staatsanwalt und Richter nur schwer zu vermitteln. Statt vieler Worte in Schriftstzen sollte der Verteidiger daher in geeigneten Fllen den Versuch unternehmen, eine persnliche Anhrung/Vernehmung des Klienten zu erreichen. Nach aller Erfahrung erffnet sich hier am ehesten die Chance, das Haftgericht davon zu berzeugen, daß sich der Betroffene dem Verfahren stellen wird. Eine Haftentscheidung, die auf den persnlichen Eindruck gesttzt wird, hat zudem den Vorteil, daß sie durch das Rechtsmittelgericht nicht so leicht abgendert werden kann, sofern sie sich im Bereich der Vertretbarkeit bewegt; zumindest muß das Rechtsmittelgericht sich seinerseits ein Bild von der Persnlichkeit des Inhaftierten durch persnliche Anschauung machen. Dies alles ndert aber nichts daran, daß bei einem auf Fluchtgefahr gesttzten Haftbefehl das gesamte argumentative und taktische Knnen des Verteidigers gefordert ist. Wenn er zudem gute Kontakte zur Staatsanwaltschaft und zum Haftgericht hat, kann eine Vorab-Errterung der Frage, wodurch einer evtl. Fluchtgefahr wirksam begegnet werden knnte, hilfreich und fr die Freiheit des Klienten manchmal entscheidend sein. Lßt sich im Einzelfall gegen die Fluchtgefahr als solche nichts einwenden, so muß der Verteidiger wenigstens die Aussetzung des Haftvollzuges nach § 116 zu erreichen suchen (Rn. 355). Vor allem aber ist es Aufgabe des Verteidigers, gegen die immer wieder zu beobachtenden staatsanwaltschaftlichen und richterlichen Routineentscheidungen in Haftsachen, gegen schematische oder gar rein formularmßige Behandlung der Haftanordnung vorzugehen. Der Verteidiger muß erwgen, ob vorhandene Haftunfhigkeit (Rn. 333) nicht zugleich Fluchtunfhigkeit bedeutet. Dann ist der Haftbefehl aufzuheben. Haftunfhigkeit kann auch zugleich Verhandlungsunfhigkeit be-

110 Bejahend OLG Kln, NStZ 2003, 219; verneinend OLG Karlsruhe, NStZ 2000, 75; zum Ganzen Dahs/Riedel, StV 2003, 418.

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deuten. In diesem Fall kann die Einstellung des Verfahrens zu erreichen sein (§§ 205, 206a; Rn. 419). 340

Bei der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 3) kommt es auf die richtige Auslegung der gesetzlichen Begriffe und die Prfung der fr ihre Anwendung vorgebrachten Tatsachen an. Hier geht es vornehmlich um vier Punkte: Die Feststellung von „bestimmten Tatsachen“ in bezug auf das „Verhalten des Beschuldigten“, das den „dringenden Verdacht“ einer Verdunkelung begrnden soll: daraus muß die „Gefahr drohen, daß die Ermittlung der Wahrheit erschwert werde“. Im einzelnen muß hinsichtlich der zahlreichen Fallgruppen und Einzelfragen auf das reichhaltige Schrifttum und die Entscheidungen der Oberlandesgerichte verwiesen werden. Der Verteidiger sollte dem Mandanten ußerste Vorsicht in seinem Verhalten empfehlen. Er muß ihn auf die Gefahren aufmerksam machen, in die auch der Beschuldigte geraten kann, der sich guten Gewissens mit Zeugen und Mitbeschuldigten in Verbindung setzt. Der Verteidiger muß verhindern, daß auch nur der Eindruck unlauterer Einwirkung auf die Wahrheitsermittlung aufkommt. Das Gesetz will indessen nicht, daß der Beschuldigte in seiner legalen Verteidigung eingeschrnkt wird. Die bloße Verbindungsaufnahme mit Zeugen, Mitbeschuldigten und Sachverstndigen (Rn. 216 ff., 221), die Suche nach Entlastungsmaterial (Rn. 307 ff.), die Verweigerung der Aussage (Rn. 288), der Aufschub der Einlassung bis zur Beratung durch einen Verteidiger (Rn. 289), ja selbst das wahrheitswidrige Bestreiten der Tat drfen deshalb fr sich betrachtet nicht zur Verhaftung wegen erkennbarer Absicht der Verdunkelung fhren. Insoweit handelt es sich um erlaubte Verteidigungsmittel111. Ebensowenig verdunkelt der Beschuldigte, der einem Zeugen zuredet, von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch zu machen, der einen dazu berechtigten Sachverstndigen veranlaßt, das Gutachten zu verweigern, oder der einen Mitbeschuldigten auffordert, die Einlassung zur Sache zu verweigern112.

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Vor allem in Strafsachen aus dem Wirtschaftsleben im weitesten Sinne wird der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr hufig damit begrndet, daß die zu untersuchende Straftat ihrem Charakter und ihrer Begehungsweise nach von vornherein auf Tuschung und Verdunkelung des Sachverhalts angelegt sei oder eine solche vor und nach ihrer Begehung geradezu vor111 KK-Boujong, § 112 Rn. 35; Lwe/Rosenberg/Hilger[25], § 112 Rn. 48; MeyerGoßner, § 112 Rn. 33 ff.; Dahs sen., NJW 1965, 82 und 889; Philipp, DRiZ 1965, 83. 112 Schlothauer/Weider, Rn. 595; Meyer-Goßner, § 112 Rn. 29; fr den Verteidiger vgl. BRAK-Schriftenreihe, Bd. 8, Thesen Nr. 19, 5 ff.

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aussetze113. Diese Konstruktion der „bestimmten Tatsachen“ ist ußerst problematisch114, weil der dringende Tatverdacht damit zu einer nicht oder kaum widerlegbaren Vermutung des Haftgrundes wird. Das Anwendungsgebiet dieses „vereinfachten Haftgrundes“ ist breit. Wenn bei der Begehung der Straftat Kontrollinstanzen getuscht, Unterlagen verndert oder geflscht oder sonst besondere, tatbestandsberschreitende Maßnahmen zur Verdeckung der Tat, zur Verheimlichung der Person des Tters o. . getroffen worden sind, soll dies den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr auslsen. Die Verteidigung ist in solchen Fllen praktisch gezwungen, zur Sache selbst und zur Beteiligung des Klienten im einzelnen Stellung zu nehmen, um gegen den Haftgrund erfolgreich anzugehen. Diese frhzeitige Offenlegung der Verteidigungslinie kann naturgemß im weiteren Verfahren in der Sache fr den Klienten u. U. erhebliche Nachteile mit sich bringen; sie muß daher sorgfltig berlegt werden. Kommt ein Gestndnis oder Teilgestndnis in Betracht, so kann dieses allerdings hufig geeignet sein, die Verdunkelungsgefahr zu widerlegen, wenn der Sachverhalt zur Zufriedenheit des Staatsanwalts geklrt ist. Natrlich gibt es Staatsanwlte, die den Beschuldigten (manchmal auch den Verteidiger) so berzeugend ber diese positive Folge eines Eingestndnisses belehren, daß sich dieser der Verlockung wiederzugewinnender Freiheit nicht zu entziehen vermag. Der Verteidiger findet in einer solchen Situation bei seinem Klienten wenig Gehr fr die Warnung, daß durch Eingestndnisse im Haftverfahren der Sachverhalt auch fr eine sptere Hauptverhandlung praktisch „festgeschrieben“ wird. Der verbreiteten laienhaften Vorstellung, man knne ein frher abgegebenes Gestndnis jederzeit wirksam widerrufen (Rn. 492), muß er entgegentreten. Im brigen ist zu beachten, daß die Verdunkelungsgefahr auch ohne besondere Mitwirkung des Verhafteten mit der Zeit und dem Fortschritt der Ermittlungen immer geringer wird. Je mehr die Staatsanwaltschaft nach ihrer Vorstellung den Sachverhalt aufgeklrt hat, desto geringer ist die Gefahr, daß er durch einen auf freiem Fuß befindlichen Beschuldigten noch verflscht werden knnte. Bei einem Antrag auf Haftverschonung nach § 116 Abs. 2 (Rn. 355) kann auch darauf hingewiesen werden, daß der Beschuldigte bereit ist, sich einem Kontaktverbot mit Zeugen und Mitbeschuldigten zu unterwerfen (§ 116 Abs. 2). Schließlich ist daran zu denken, die Ermittlungsarbeit der Staatsanwaltschaft insoweit zu untersttzen, als es um die Herausgabe (ohnehin beschlagnahmefhiger) Unterlagen und Dokumente geht (Rn. 233). Auch auf diese Weise kann die Sachverhaltsklrung in geeigneten Fllen so gefrdert werden, daß die Verdunkelungsgefahr,

113 Meyer-Goßner, § 112 Rn. 30 m. N. 114 Dahs, Apokryphe Haftgrnde, S. 235; Schlothauer/Weider, Rn. 606.

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Rn. 342

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

wenn nicht beseitigt, so doch in einem solchen Maße reduziert werden kann, daß die Aufrechterhaltung der Haft auch unter dem Aspekt des Verfassungsgrundsatzes der Verhltnismßigkeit (§ 112 Abs. 1 S. 2) nicht mehr gerechtfertigt ist. 342

Der Haftbefehl bei Ttungs- und Sprengstoffdelikten sowie Bildung terroristischer Vereinigungen (§ 112 Abs. 3) ist eine systemwidrige Einrichtung, insofern hier die Untersuchungshaft nicht in erster Linie der Sicherung des Verfahrens dienen, sondern ein Haftgrund der „Unertrglichkeit“ sein soll. Der Verteidiger muß die Unvereinbarkeit mit dem Verhltnismßigkeitsgrundsatz und ihre verfassungsrechtliche Problematik und die Notwendigkeit einer streng verfassungskonformen Auslegung herausstellen115. Dazu gehrt auch, daß eine Aussetzung des Vollzuges entsprechend § 116 zulssig ist116.

343

Der Verteidiger hat auch im Falle der Verhaftung wegen Wiederholungsgefahr (§ 112a) in erster Linie zu prfen, ob hierfr bestimmte Tatsachen im Haftbefehl angegeben sind und auch tatschlich vorliegen117. Dabei wird der Verteidiger bercksichtigen mssen, daß es sich bei diesem Haftgrund um eine dem Haftrecht sonst fremde Prventivmaßnahme handelt, die mit der Sicherung der Wahrheitsermittlung nichts mehr zu tun hat. Vielfach wird auch die Wiederholungsgefahr mit Erwgungen aus kriminologischer Sicht ausgerumt werden knnen118.

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Auch sonst hat der Verteidiger whrend des gesamten Haftverfahrens sein Augenmerk darauf zu richten, ob die Untersuchungshaft nicht dem Grundsatz der Verhltnismßigkeit widerspricht (§ 112 Abs. 1 Satz 2)119. Steht die Verhaftung von vornherein außer Verhltnis zur Bedeutung der Sache oder tritt dieser Fall im Laufe der Haft ein (§ 120 Abs. 1), etwa weil nunmehr die berufliche Existenz des Betroffenen gefhrdet ist, so muß der Verteidiger unverzglich Aufhebung des Haftbefehls beantragen120.

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Die schwierige Situation der Verteidigung gegenber der Untersuchungshaft wird nicht selten gnstiger, wenn es gelingt, in der Entscheidungsphase ber die Haftanordnung eine mndliche Anhrung durch das Haft-

115 BVerfGE 19, 342 = NJW 1966, 243 u. 772. 116 BVerfGE 19, 353; OLG Frankfurt, StV 2000, 374; Lwe/Rosenberg/Hilger[25], § 116 Rn. 30; Meyer-Goßner, § 116 Rn. 18 m. N. 117 Meyer-Goßner, § 114 Rn. 15. 118 Kritisch zu § 112a: Hassemer, StV 1989, 78. 119 BVerfG, NJW 1966, 243. 120 BVerfG, NJW 1980, 1448 (Aufhebung sogar trotz Aussetzung); OLG Braunschweig, MDR 1967, 514 = NJW 1967, 1290.

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Rn. 345

gericht (Rn. 349 ff.) zu erreichen. Dann gewinnt nmlich der sonst im Haftverfahren eher bedeutungslose „persnliche Eindruck“ des Betroffenen auf das Gericht u. U. erhebliche Bedeutung. Der Verteidiger muß einen solchen Termin mit dem Klienten sorgfltig vorbereiten, der dem Richter weder aggressiv, verschlossen oder wortkarg gegenbertreten noch allzu eloquent oder „prpariert“ erscheinen darf („keine Show abziehen!“). Wichtig ist, daß es zu einem echten Gesprch mit dem Richter kommt und dieser nicht nur formal seiner Verpflichtung zum rechtlichen Gehr gengt. In den Dialog zwischen Richter und Betroffenen sollte der Verteidiger sich nach Mglichkeit nicht einschalten, falls nicht eine Korrektur des Gesprchsganges unerlßlich ist („Ich wollte mir von Ihrem Klienten einen Eindruck verschaffen, nicht von Ihnen, Herr Verteidiger!“). Hat der Haftrichter, aber auch das erkennende Gericht, den persnlichen Eindruck gewonnen, daß sich der Angeklagte dem Verfahren nicht durch die Flucht entziehen oder keine Verdunkelungshandlung vornehmen wird, so ist eine (auch) auf diesen Umstand gesttzte gnstige Haftentscheidung auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft nur beschrnkt berprfbar. Die berprfung muß sich angesichts der Unmglichkeit einer detaillierten Darlegung der Elemente, die zu einem bestimmten persnlichen Eindruck gefhrt haben, darauf beschrnken, ob die Entscheidung auf einer vertretbaren Wertung der fr und gegen die Haftvoraussetzungen sprechenden Umstnde beruht121. Ist die Haftentscheidung whrend einer laufenden Hauptverhandlung ergangen, so wird das Beschwerdegericht sie hufig schon deshalb akzeptieren mssen, weil es nicht berprfen kann, ob das erkennende Gericht aus dem Inbegriff der mndlichen Hauptverhandlung rechtlich richtige Erkenntnisse gewonnen hat122. c) Rechtsbehelfe Burhoff, Die besondere Haftprfung durch das OLG nach den §§ 121, 122 StPO, StraFo 2000, 109; Deckers, Verteidigung in Haftsachen, NJW 1994, 2261; Dnnebier, Zur Haftprfung bei mehreren Taten, NStZ 1982, 343; Fischer, Zur Zustndigkeitsverteilung zwischen „nchsten“ und „zustndigem“ Richter nach §§ 115, 115 a StPO und zu der fr die Vorfhrung vor dem Richter zu whlenden Transportart, NStZ 1994, 321; Heinrich, Die Entscheidungsbefugnis des „nchsten Amtsrichters“ nach § 115 a StPO, StV 1995, 660; Hohmann, Rechtsbehelf bei „berhaft“: – Antrag auf Haftprfung oder Haftbeschwerde?, NJW 1990, 1649; Koch, Noch einmal – Zustndigkeitsverteilung und Transportart nach den §§ 115, 115 a StPO, NStZ 1995, 71; Maier, Was darf der „nchste“ Richter nach § 115a StPO?, NStZ 1989, 59; Mehle, Haftprfung mit mndlicher Verhandlung – einige

121 BGH, StV 1991, 595; OLG Karlsruhe, StV 1997, 312; OLG Frankfurt/M., StV 1995, 593; KG, StV 1993, 252. 122 Z. B. OLG Hamm, Beschl. v. 2. 7. 1996 – 3 Ws 32796 – unv.

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Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

praktische Hinweise, StraFo 1989, 2; Nibbeling, Gesetzliche Fesseln des Richters bei der Haftentscheidung, ZRP 1998, 342; Rckel, Handlungsmglichkeiten des Strafverteidigers im Haftverfahren, StV 1985, 36; Schlothauer, Drfen in der Begrndung von Haftentscheidungen die maßgebenden Beweismittel verschwiegen werden, wenn anderenfalls eine Gefhrdung aller Ermittlungen zu befrchten wre?, StV 1991, 522; Schlothauer/Weider, Rn. 694 ff.; Schmitz, Monika, Der verhaftete Beschuldigte und sein erster Richter (§§ 115, 115 a StPO), NStZ 1998, 165; Spendel, Unzulssiger richterlicher Eingriff in eine Haftsache, JZ 1998, 85; Tondorf, Verfassungsbeschwerde gegen Haftentscheidungen?, StV 1992, 235; Wasserburg, Muß bei der Aufhebung eines Haftbefehls eine Entscheidung ber die notwendigen Auslagen des Beschuldigten ergehen?, NStZ 1988, 195; Ziegert, Der Richter des nchsten Amtsgerichts – Richter oder Urkundsbeamter?, StV 1997, 439.

aa) Allgemeines 346

Die Vielzahl der Rechtsbehelfe im Haftverfahren darf den Verteidiger nicht darber hinwegtuschen, daß es sich hufig um stumpfe Waffen handelt, deren Einsatz zudem auf den Mandanten zurckfallen und ihm Nachteile bringen kann. Stumpf sind die Waffen hufig deshalb, weil die Rechtsbehelfe in der Praxis allesamt zu einer nicht unerheblichen Verzgerung der Ermittlungen fhren, noch dazu, wenn sie hintereinander gestaffelt in Bewegung gesetzt werden. Die Schwierigkeiten sind fr den Verteidiger deshalb u. a. so groß, weil er auf Akteneinsicht angewiesen ist, wenn er einen Antrag mit Aussicht auf Erfolg begrnden will. Die Akten befinden sich aber oft bei der Polizei. Sie mssen ihr erst weggenommen werden, um Staatsanwaltschaft, Gericht und Verteidigung fr die Haftprfung zur Verfgung zu stehen. Der Verteidiger sollte aus diesen Grnden schon frhzeitig darauf bestehen, daß Polizei und Staatsanwaltschaft Zweitschriften der Akten fhren. Das wird noch nicht berall gehandhabt, obwohl gerade die „Doppelakte“ allen Beteiligten Arbeitszeit erspart, denn es macht keine Mhe, wenn schon die Polizei Kopien der Vernehmung der Zeugen und der Beschuldigten anfertigt. Das sollte der Verteidiger schon bei der Polizei beantragen (Rn. 293) und ggfs. auch die Einlassung zur Sache hiervon abhngig machen. Das ist fr ihn eine wesentliche Erleichterung.

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Gerade in Haftsachen wird im brigen die Akteneinsicht in der Regel versagt, weil sie den Ermittlungszweck gefhrden knne (§ 147 Abs. 2). Die Rechtsprechung billigt dem Verteidiger jedoch auch in solchen Fllen eine eingeschrnkte Einsicht in die Akten zu, soweit er die darin befindlichen Informationen bentigt, um auf die gerichtliche Haftentscheidung effektiv einwirken zu knnen123. Das gilt sowohl – sogar in erster Linie –

123 BVerfG, NStZ 1994, 551.

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Rn. 348

fr den dringenden Tatverdacht als auch fr die Haftgrnde. Diese Rechtsentwicklung hat die Verteidigungsbasis gegen Haftbefehle deutlich verbessert und muß entsprechend extensiv genutzt werden. Das Recht auf (Teil-)Akteneinsicht reicht so weit, daß die Verteidigung in die Lage versetzt wird, den dringenden Tatverdacht insgesamt anzugreifen. Allerdings soll der Anspruch auf Akteneinsicht nicht bestehen, wenn eine mndliche Mitteilung der entscheidungsrelevanten Tatsachen und Beweismittel ausreichend ist124. Mit dieser mndlichen Mitteilung darf sich der Verteidiger aber nicht ohne weiteres „abspeisen“ lassen. In aller Regel wird vor allem fr die schriftstzliche Bearbeitung die Akteneinsicht unverzichtbar und notfalls mit der Verfassungsbeschwerde durchzusetzen sein. Im Haftverfahren muß sich der Verteidiger ohnehin schnell entscheiden, ob er Antrge gegen einen Haftbefehl stellt. Freilich darf er neben der Verzgerung der Ermittlungen auch nicht außer acht lassen, daß eine sichere Prognose fr die Erfolgsaussichten kaum einmal zu stellen ist. Statt einer vielleicht aussichtslosen Anfechtung des Haftbefehls empfiehlt es sich dann, bei Polizei und Staatsanwaltschaft energisch auf Beschleunigung der Ermittlungen zu drngen. Ein offenes Gesprch mit dem Staatsanwalt bewirkt gelegentlich, daß die durch Maßnahmen der Verteidigung nicht behinderten Ermittlungen zgig voranschreiten (vgl. auch Rn. 179, 262). Solche Absprachen mit der Staatsanwaltschaft (Rn. 185) fhren hufig zur Fixierung bestimmter Termine, bis zu denen der Staatsanwalt die Haft aufzuheben verspricht. Zwar kann der Staatsanwalt nach der Natur der Sache einen solchen Termin nicht mit absoluter Verbindlichkeit nennen. Das Agreement bedeutet aber immerhin eine starke Position des Verteidigers zur baldigen Durchsetzung der Haftentlassung. Je lnger die Haft dauert, desto schwieriger wird es allerdings fr den Verteidiger, dem Mandanten und seinen Angehrigen klar zu machen, daß es besser ist, Antrge gegen den Haftbefehl noch zurckzustellen: denn der Auftraggeber erwartet von dem Verteidiger in erster Linie, daß er die Aufhebung der Untersuchungshaft durchsetzt, und hat wenig Verstndnis dafr, daß ihm das zeitliche Risiko der Ermittlungen aufgebrdet wird. Die immer wieder zu beobachtende Haftpsychose nimmt dem Betroffenen die Mglichkeit zu ruhiger vernnftiger berlegung. Nicht selten kommt es aus diesen Grnden zu Vertrauenskrisen zwischen Verteidiger und Mandanten, die die Lage des Mandanten nur noch verschlimmern.

124 BVerfG, NStZ 1994, 551.

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Rn. 349

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Aufgabe des Verteidigers ist es, auch in scheinbar aussichtlosen Situationen Ruhe und Gelassenheit zu bewahren und den begreiflicherweise nervsen Beschuldigten menschlich zu fhren. Dabei hilft es u. a., diese Probleme in der „Wir-Form“ zu besprechen. Dadurch erhlt der Auftraggeber das Gefhl fr die gemeinsame Aufgabe. Freilich kann es notwendig werden, die Fortfhrung des einmal gefaßten Verteidigungsplanes durchzusetzen. Erfahrungsgemß ist dies jedenfalls richtiger, als mit einer Mandatsniederlegung zur Unzeit die Flinte ins Korn zu werfen. bb) Die mndliche Verhandlung 349

Im Verfahren der Haftprfung wird der Verteidiger hufig mndliche Verhandlung – Haftprfung – beantragen (§§ 118, 118a), auf deren Durchfhrung er dann einen gesetzlichen Anspruch hat. Im Beschwerdeverfahren steht sie im Ermessen des Gerichts. Gelingt es, ihre Vorteile auszunutzen, so wird sich eine Aufhebung des Haftbefehls, mindestens aber eine Verschonung von der Haft (Rn. 355) eher erreichen lassen als im schriftlichen Haftprfungsverfahren. Der Verteidiger muß die mndliche Verhandlung beantragen, wenn es darauf ankommt, dem Richter einen persnlichen Eindruck (Rn. 485) von dem Beschuldigten zu vermitteln, der grundstzlich vorzufhren ist. Fluchtgefahr und Verdunkelungsabsicht auszurumen, gelingt erfahrungsgemß am besten mit dem persnlichen Eindruck, den der Beschuldigte macht. Einwendungen gegen den Haftbefehl, die in den persnlichen Verhltnissen des Beschuldigten ihre Rechtfertigung finden, lassen sich in der mndlichen Verhandlung besser begrnden. Auch kann es richtig sein, auf mndlicher Verhandlung zu bestehen, um dem Richter vor Augen zu fhren, wie stark die Haft den Beschuldigten krperlich und seelisch mitnimmt.

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Der Verteidiger darf aber die Nachteile der mndlichen Verhandlung nicht bersehen. Ist die Verfahrenslage im wesentlichen unverndert, so wird der Richter, der den Haftbefehl erlassen hat, nicht leicht zu bewegen sein, seine eigene Entscheidung aufzuheben. Aus diesem Grunde bedarf die mndliche Verhandlung der eingehenden Vorbereitung. Der Verteidiger muß sich ber den Stand des Verfahrens und den Umfang der Beschuldigung unterrichten. Akteneinsicht in dem aus Art. 6 Abs. 3a MRK folgenden Minimalumfang (Rn. 347) ist unerlßlich. Darber hinaus sollte er auf seinem Recht bestehen, vor dem Haftprfungstermin die Niederschriften ber die bisherigen Vernehmungen des Beschuldigten und etwaige Sachverstndigengutachten kennenzulernen (§ 147 Abs. 3) (Rn. 265), bzw. deren Zweitschriften zu erhalten (Rn. 346 a. E.). Whrend der Haftbefehl den strafrechtlichen Vorwurf oft nur formelhaft und sachlich allzu knapp wiedergibt, kann man aus Fragen und Vorhalten im Vernehmungs248

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Rn. 352

protokoll hufig zustzliche konkrete Erkenntnisse ber den Sachverhalt der Beschuldigung und das Beweismaterial gewinnen. Auch die Befragung des Mandanten ber Vorgnge, die nicht im Protokoll stehen, insbesondere ber Fragen und Bemerkungen der Vernehmungsbeamten „am Rande“ erbringt fr den Verteidiger oft ntzliche Hinweise. Der Verteidiger kann auch versuchen, mit Richter und Staatsanwalt vor dem Termin zu sprechen, um ihre Meinung zu erfahren. Diese ergibt sich aus der ihm zustehenden Minimal-Akteneinsicht (Rn. 347) i. d. R. nicht. Bei vertrauensvoller Zusammenarbeit erhlt er so dabei mindestens wertvolle Hinweise. Gegebenenfalls kann der Verteidiger auch in der mndlichen Verhandlung anregen, ihn in Abwesenheit des Beschuldigten genauer zu unterrichten. Nur wenn der Verteidiger den Sachverhalt so kennt wie Richter und Staatsanwalt, ist ein echtes „Dreiergesprch“ mglich und fruchtbar.

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Hat er die Akten frher eingesehen, so muß er berprfen, ob zustzliche Ermittlungsergebnisse vorliegen. Ein bevorstehender Haftprfungstermin frdert erfahrungsgemß die Ermittlungsaktivitt. Der Verteidiger muß dafr Sorge tragen, daß er im Termin keine berraschungen erlebt. Prsentiert die Ermittlungsbehrde erst im Termin belastende Unterlagen, so ist ein Antrag auf angemessene Unterbrechung der Verhandlung angezeigt, um das neue Material zu prfen und mit dem Mandanten zu besprechen. Derartige Aktionen der Staatsanwaltschaft werden auch von den Gerichten nicht geschtzt. Der auswrtige Verteidiger befindet sich bei der Anberaumung des Termins im Haftverfahren gelegentlich im Nachteil, wenn er nicht mehr rechtzeitig benachrichtigt werden kann. Er sollte dann auf jeden Fall Wiederholung der mndlichen Verhandlung beantragen. Hat der Termin gesetzwidrig ohne Verteidiger stattgefunden, wird die Entscheidung auf Beschwerde aufgehoben und die Sache zurckverwiesen, wenn nicht das Beschwerdegericht nach § 118 Abs. 2 selbst die mndliche Verhandlung durchfhrt125. Der Verteidiger ist verpflichtet, die Verhandlung auch mit dem Mandanten im einzelnen vorzubereiten. Der Beschuldigte muß wissen, worauf es ankommt, wie er sich zu verhalten hat und wo die Grenzen liegen, die seinen Wnschen durch das Haftrecht gesetzt sind. Der Verteidiger muß auch die Frage aufwerfen, ob ber den bekannten Akteninhalt hinaus evtl. mit bestimmten weiteren Belastungen zu rechnen ist, hinsichtlich derer vorsorglich eine Stellungnahme fr die Verhandlung vorbereitet werden 125 Meyer-Goßner, § 118a Rn. 7 m. N.

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sollte („Leiche im Keller“). Der Mandant wird in fast allen Fllen auf einen frhen Haftprfungstermin drngen. Diesem verstndlichen Bestreben wird der Verteidiger dann entgegentreten mssen, wenn die Aufhebung des Haftbefehls oder die Verschonung von der Haft voraussichtlich nicht oder noch nicht zu erreichen ist. So wird es in der Regel unzweckmßig sein, in die mndliche Verhandlung zu gehen, ohne den tatschlichen Umfang der Beschuldigung hinreichend zu kennen, ohne entlastende Umstnde und Beweismittel berprft zu haben. Der Verteidiger wird auch whrend der Haft seines Mandanten bedenken mssen, daß es nicht in allen Fllen sinnvoll ist, schon „alle Karten auf den Tisch zu legen“. Auch ist zu bercksichtigen, daß eine erneute mndliche Verhandlung erst nach zwei Monaten oder nach einer Mindesthaftdauer von drei Monaten erzwungen werden kann (§ 118 Abs. 3). Der Verteidiger muß sich also den Zeitpunkt fr seinen Antrag auf mndliche Verhandlung genau berlegen. cc) Haftbeschwerde 353

Vor einer Haftbeschwerde126, deren Verfahren sich nach §§ 304 ff. richtet (Rn. 840 ff.), sollte der Verteidiger bedenken, daß sie regelmßig die Ermittlungsarbeit wesentlich verzgert. Die Staatsanwaltschaft braucht die Akten zur Ausarbeitung einer Stellungnahme, das Beschwerdegericht muß sich erst in die Akte einarbeiten, die Entscheidung bedarf der Beratung. Die Erfahrungen mit der Haftbeschwerde sind in der Praxis nicht gnstig. Die Strafkammern als Beschwerdegericht neigen zur Besttigung des Haftbefehls. Das kommt auch daher, daß namentlich in Fllen des dringenden Tatverdachts der Verteidiger zu Beginn eines Ermittlungsverfahrens eine Haftbeschwerde nur in seltenen Fllen umfassend begrnden kann (was sogar in der Sache Nachteile bringen kann). Sie kommt jedoch sehr in Betracht, wenn ein formeller oder materieller Fehler des Haftbefehls auf der Hand liegt oder wenn eine mndliche Verhandlung schon einmal stattgefunden hat und die Fristen von drei bzw. zwei Monaten nach § 118 Abs. 3 noch nicht abgelaufen sind. In der Praxis hat sich die weitere Beschwerde als eher wirksames Rechtsmittel erwiesen. Sie ist nach § 310 zulssig. Der Verteidiger erreicht damit die Nachprfung durch das Oberlandesgericht, das in der Ebene eines Revisionsgerichts sich um streng gesetzmßige Interpretation der Bestimmungen und der ihnen zugrunde liegenden ratio legis bemht. Die Oberlandesgerichte haben sich um restriktive Auslegung und objektive 126 Beck'sches Formularbuch/Deckers, 4. Aufl., 2002, S. 179 ff.

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Rechtsfindung im Haftrecht sehr verdient gemacht und manche untragbaren Haftbefehle aufgehoben. Allerdings ist die Rechtsprechung regional sehr unterschiedlich. Neben liberal denkenden (in dubio pro libertate) gibt es auch ausgesprochen „haftfreudige“ Obergerichte. Es kommt vor, daß die Entscheidung des Oberlandesgerichts ber die weitere Beschwerde sich verzgert, ohne daß ein sachlicher Grund dafr erkennbar ist. Manchmal ist der Verdacht begrndet, daß die Sache einfach „liegengelassen“ wird. In diesen Fllen sollte der Verteidiger nicht lange zgern, sondern Verfassungsbeschwerde einlegen wegen Verletzung des Art. 2 GG und des aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Beschleunigungsgebots (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 3 MRK). Die Erfahrung zeigt, daß das Bundesverfassungsgericht in solchen Fllen sehr schnell reagiert. Entweder gengt schon eine Anfrage aus Karlsruhe bei dem OLG, um eine kurzfristige Entscheidung herbeizufhren, oder es kann sehr rasch zur Aufhebung der Haft durch Beschluß des BVerfG kommen. In der Benutzung des Rechtsmittels der Haftbeschwerde (vor allem auch der weiteren Beschwerde) liegen aber auch nicht zu unterschtzende Gefahren fr die Verteidigung insgesamt. Viele Gerichte neigen dazu, den dringenden Tatverdacht zwar einerseits nur summarisch zu prfen, andererseits ihn aber in der Begrndung ihrer Entscheidung zur Anklage- oder gar Verurteilungs-Gewißheit zu verdichten („Eine Einstellung des Ermittlungsverfahrens durch die StA wird nicht in Betracht kommen“). Darber hinaus werden mehr oder weniger konkrete Straferwartungen ausgesprochen („... hat mit einer mehrjhrigen Freiheitsstrafe zu rechnen“ oder „... wird eine Freiheitsstrafe im oberen Bereich des Strafrahmens in Betracht kommen“). Derartige Entscheidungen ben erfahrungsgemß nicht nur einen u. U. erheblichen Einfluß auf die Staatsanwaltschaft, sondern auch auf das im Hauptverfahren erkennende Gericht aus. Ganz besonders problematisch sind die Flle, in denen die Beschwerdestrafkammer auch als Gericht des ersten Rechtszuges im Hauptverfahren zustndig ist. Die Rechtsmittel im Haftverfahren bleiben also nicht nur hufig erfolglos, sondern knnen sogar zu einer faktischen Verschlechterung der Situation des Betroffenen fhren. Der Verteidiger muß diese Risiken in seine berlegungen einbeziehen und insbesondere auch mit dem Mandanten besprechen. Er muß darber hinaus ebenso Erkundigungen ber die geschftsplanmßige Zustndigkeit der Spruchkrper einholen wie sich auch Informationen ber die Rechtsprechung des konkreten Gerichts in Haftsachen verschaffen. Besonders wichtig knnen auch Informationen ber das „Klima“ zwischen Staatsanwaltschaft und Landgericht sein. berraschend erlebt man hier immer wieder einmal gespannte Beziehungen, was sich ein geschickter Verteidiger in vielfltiger Weise zunutze machen kann.

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Rn. 355

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d) Haftverschonung Jakoby, Zulssigkeit von Anordnungen gem. § 132 Abs. 1 StPO gegen im Ausland befindliche Beschuldigte, StV 1993, 448; Neuhaus, Haftverschonungsauflagen und ihre Kontrolle, StV 1999, 340; Sowada, Zur Strafbarkeit wegen Rechtsbeugung wegen angemaßter richterlicher Zustndigkeit, GA 1998, 177; Spendel, Unzulssiger richterlicher Eingriff in eine Haftsache, JZ 1998, 85; Wendisch, Ist die Außervollzugsetzung eines Haftbefehls vom Beschuldigten mit der weiteren Beschwerde anfechtbar?, StV 1991, 219.

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Der Verteidiger wird – wenn schon die Vermeidung oder Aufhebung des Haftbefehls nicht erreichbar ist – die Aussetzung des Haftvollzuges nach § 116 von vornherein ins Auge fassen. Die Praxis lehrt, daß Richter und Staatsanwalt eher bereit sind, den Beschuldigten unter Auflagen von der Haft zu verschonen, als den Haftbefehl aufzuheben. Diese Erfahrung sollte sich der Verteidiger zunutze machen und in geeigneten Fllen von vornherein die Unterwerfung unter angemessene richterliche Weisungen anbieten. Dabei muß der Verteidiger vor allem die persnlichen Verhltnisse des Mandanten, dessen familire und berufliche Bindungen offenlegen und ggf. in mndlicher Verhandlung durch Vernehmung des Beschuldigten unter Beweis stellen. Nach Ablauf von sechs Monaten ist die Verschonung von der Haft unter bestimmten Voraussetzungen zwingend vorgeschrieben (§ 121 Abs. 1 und 2: Rn. 357). Welche Auflagen der Verteidiger anbieten kann, muß er sich im Einzelfall berlegen. Der Katalog des § 116 Abs. 1 ist reichhaltig, einzelne Maßnahmen sind indessen nicht immer bedenkenfrei. So muß der Verteidiger beachten, daß die Einbehaltung des Reisepasses und Personalausweises fr den Klienten, der z. B. im Wirtschaftsleben ttig ist, sehr einschneidend sein kann, von der Rechtsprechung aber in der Regel fr zulssig gehalten wird127. Ggfs. muß er zu erfahren suchen, wie die Meinung des zustndigen Haftrichters zu dieser und anderen Streitfragen ist. Bei einer Unterredung wird er auch feststellen knnen, ob der Richter nicht schon von sich aus den Haftbefehl aufheben will und deshalb der Antrag auf Haftverschonung berflssig ist. Der Antrag birgt die Gefahr in sich, daß der Richter auf die Aussetzung des Haftvollzugs ausweicht, statt den Haftbefehl aufzuheben. Der Verteidiger muß ferner bercksichtigen, daß die Haftverschonung auch bei der Verdunkelungshaft mglich ist (§ 116 Abs. 2), daß aber die richterliche Anweisung, der Beschuldigte drfe sich nicht mit Zeugen, Mitbeschuldigten oder Sachverstndigen in Verbindung setzen, die Verteidigung in bedenklicher Weise einschrnkt. Der Verteidiger ist gehalten, sich gegen solche Auflagen zu wehren. Ein Kontaktverbot mit Familienangehrigen drfte zudem gegen Art. 6 GG verstoßen. Ob 127 OLG Celle, StV 1991, 473; Lwe/Rosenberg/Hilger[25], § 116 Rn. 23, 24.

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das immer klug ist, ist eine andere Frage. Er bewirkt damit u. U. gerade die Ablehnung der Haftverschonung. In einem sehr kritischen Fall hat der Verteidiger sie dadurch erwirkt, daß er dem Haftrichter ein Schreiben vorlegte, das an alle noch zu vernehmenden Zeugen gerichtet war und die nachdrckliche Aufforderung enthielt, wahrheitsgemß auszusagen, gegebenenfalls auch gegen den Beschuldigten selbst auszusagen. Der Verteidiger muß also in der Haftsituation pragmatisch zu Werke gehen, statt theoretische Pldoyers ber das Haftrecht zu halten. Im brigen darf der Verteidiger selbst auch in dieser Phase des Verfahrens jederzeit in zulssigem Rahmen mit Zeugen, Mitbeschuldigten und Sachverstndigen Verbindung aufnehmen und Recherchen durchfhren (Rn. 307 ff.), die Mithilfe des Mandanten wird jedoch in den meisten Fllen nicht zu entbehren sein. Ist es fr den Beschuldigten zweckmßig, mit Beteiligten in Verbindung zu treten, so empfiehlt sich ein Weg, der sich in der Praxis bewhrt hat, um jeden Verdacht einer unzulssigen Beeinflussung zu vermeiden. Der Verteidiger kann dem Mandanten aufgeben, ihm die Fragen genau zu nennen, die er beantwortet haben will; ggfs. kann der Verteidiger bei der Formulierung der Fragen helfen. Entweder leitet er die Fragen selbst an den anderen Beteiligten oder dessen Verteidiger weiter, oder der Beschuldigte schickt die genau aufgesetzten Fragen an diese Personen. Ist der Mandant mit einem solchen Vorgehen nicht einverstanden, so weiß der Verteidiger, daß die Absicht der Verdunklung nicht auszuschließen ist. Er verhindert dann im allgemeinen, daß sie ausgefhrt wird. Im anderen Falle wird der Verdacht irgendeiner unzulssigen Beeinflussung von vornherein vermieden. Besondere Bedeutung bei der Haftverschonung hat die Mglichkeit der Sicherheitsleistung (§ 116 Abs. 1 Nr. 4). Die Erfahrungen mit Sicherheitsleistungen, insbesondere auch solchen, die von Dritten erbracht werden, sind recht positiv. Sicherheitsleistung kann in verschiedenster Form erfolgen: Hinterlegung von Bargeld, Wertpapieren, Erbringung einer Brgschaft, Eintragung oder Abtretung von Grundpfandrechten u. a. Dies sollte je nach den Mglichkeiten des Mandanten vor der Entscheidung ber die Haftverschonung mit dem Haftrichter besprochen werden. Eine sptere Abnderung des negativ ausgefallenen Haftverschonungsbeschlusses kann nicht nur schwierig werden, sondern braucht in jedem Falle Zeit – die der Mandant weiter hinter Gittern zu verbringen hat. Bei der in der Praxis hufigen Brgschaft wird in erster Linie eine Bankbrgschaft in Betracht kommen, daneben jedoch auch die Brgschaft eines oder mehrerer Angehriger, von Freunden oder auch des Arbeitgebers des Betroffenen. Tritt ein Unternehmen mit eigener Rechtspersnlichkeit fr die Sicherheitsleistung ein, wird dort ggfs. § 266 StGB beachtet werden mssen; 253

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insoweit unbedenklich ist eine Lsung ber die Gewhrung eines Darlehens. Der Verteidiger sollte sich mit einer Sicherheitsleistung aus eigenen Mitteln große Zurckhaltung auferlegen. Er darf sich insbesondere nicht aus Ehrgeiz verleiten lassen, aus eigener Tasche einen Betrag zu hinterlegen, nur um den Erfolg der Haftentlassung des Mandanten fr sich verbuchen zu knnen128. Schließlich kann er sich durch eine Brgschaftsbernahme auch von seinem Mandanten abhngig machen. Erfhrt er von Fluchtabsichten, so steht er in dem Widerstreit, entweder die verbrgte Summe zu verlieren oder aber den Justizbehrden Kenntnis von den Fluchtvorbereitungen zu geben (Rn. 49 i. d. M.). Einem solchen Gewissenskonflikt darf sich der Verteidiger nicht aussetzen. Bei der Verwaltung und Abrechnung eines Sicherheitsbetrages, den der Verteidiger vom Mandanten oder dessen Angehrigen erhalten hat, muß er beachten, daß er ohne Zustimmung nicht befugt ist, den Sicherheitsbetrag mit seiner Gebhrenforderung zu verrechnen (§ 4 Abs. 3 BORA). Auch die Hhe der Sicherheit, die sich nach der sozialen Stellung des Mandanten richtet, sollte der Verteidiger mit dem Haftrichter und dem Staatsanwalt besprechen. Erfahrungsgemß schließen sich die Strafverfolgungsbehrden einem vernnftigen Vorschlag im wesentlichen an, sobald sie die beizubringenden Unterlagen geprft haben. e) Haftdauer Bartsch, Richtermangel und Dauer der Untersuchungshaft, NJW 1973, 1303; Bertram, Grner Esel – schwarzer Sack?, NJW 1996, 1451; Fahl, Muß der Verdacht einer weiteren Straftat in einen bereits ergangenen Haftbefehl aufgenommen, oder kann ein zweiter Haftbefehl erlassen werden?, NStZ 1997, 98; Happel, Aufhebung des Haftbefehls nach § 121 StPO, StV 1986, 501; Luther, Zur Dauer der Untersuchungshaft ber sechs Monate, NJ 1990, 417; Paeffgen, Neuerlaß eines Haftbefehls nach Aufhebung des alten wegen derselben Tat?, JR 1995, 75; Schlothauer, Zur Fortdauer der Untersuchungshaft wegen wichtigen Grundes nach StPO § 121, StV 1992, 183; Schlothauer, Zur Berechnung der Frist nach StPO § 121 Abs. 1 bei Haftzeiten wegen mehrerer Straftaten und bei zeitweiser Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus, StV 1996, 554; Schch, Kurze Untersuchungshaft durch frhe Strafverteidigung?, StV 1997, 323; Seebald, Zur Verhltnismßigkeit der Haft nach erstinstanzlicher Verurteilung, NJW 1975, 28; Seetzen, Untersuchungshaft und Verfahrensverzgerung insbesondere nach erstinstanzlicher Hauptverhandlung, ZRP 1975, 29; Starke, Probleme der Fristberechnung nach § 121 I StPO, NStZ 1995, 98.

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Bei lngerer Haftdauer ist es Pflicht des Verteidigers, darauf zu achten, daß die Bestimmungen des § 121 eingehalten werden. Der Verteidiger muß darauf hinwirken, daß die gesetzlich vorgeschriebene Prfung durch 128 Vgl. BRAK-Schriftenreihe, Bd. 8, Thesen Nr. 15 u. 57.

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Untersuchungshaft

Rn. 357

Staatsanwalt und Haftrichter129 rechtzeitig vor Ablauf der Sechsmonatsfrist stattfindet. Damit die Frist nicht bersehen wird, empfiehlt sich deren Vermerk in den Handakten und im Fristenkalender. Eine Vorfrist von drei bis vier Wochen ist zweckmßig. Da die nicht rechtzeitige Vorlage der Sache an das Oberlandesgericht nicht die Aufhebung des Haftbefehls zur Folge hat130, muß der Verteidiger ggfs. in den Geschftsgang eingreifen, indem er energisch auf Beschleunigung drngt. Um so eher kann er geltend machen, daß die verzgerliche Bearbeitung von Haftsachen der Menschenrechtskonvention widerspricht (Art. 6 Abs. 3 MRK)131. Dabei ist freilich zu bedenken, daß die Vorlage der Akten an das Oberlandesgericht die Ermittlungen hinausschiebt. Dieser Nachteil kann nur aufgefangen werden, wenn ein Haftsonderheft oder „Doppelakten“ gefhrt werden – was erreichbar sein sollte. Unabhngig von dem Verfahren nach §§ 121 ff. ist ein Haftbefehl aufzuheben, wenn die Ermittlungen nicht hinreichend zgig betrieben, insbesondere auch bei der Erffnung des Hauptverfahrens der Termin zur Hauptverhandlung wegen der Geschfts- oder Personallage des Gerichts erheblich hinausgeschoben wird132. Nach Ablauf der in § 121 Abs. 1 bestimmten Frist darf der Beschuldigte jedenfalls nicht lnger in Haft gehalten werden als es die ordnungsgemße Vorbereitung der Hauptverhandlung erfordern wrde: Ein Jahr darf die Untersuchungshaft nur in besonderen Ausnahmefllen bersteigen. berhaupt muß der Verteidiger darauf drngen, daß ein Verfahren, in dem der Beschuldigte in Haft ist, nicht lngere Zeit unbearbeitet bleibt. Das kann gegen Art. 2 Abs. 2 GG133 verstoßen und zwingt dann zur Aufhebung des Haftbefehls. Die Oberlandesgerichte legen bei der Prfung, ob das Verfahren mit der durch die Haft gebotenen Intensitt gefrdert worden ist, durchweg einen strengen Maßstab an. Richtermangel, berlastung des Spruchkrpers u. . werden nicht hingenommen. Der Verteidiger muß sich mit der einschlgigen Rechtsprechung, die vielfltig vorhanden ist, vertraut machen. Wird die Entscheidung des Oberlandesgerichts unangemessen verzgert, kann Verfassungsbeschwerde geboten sein (Rn. 354). Ordnet das Oberlandesgericht die Fortdauer der Haft an (§ 121 Abs. 2), so hat der Verteidiger die rechtzeitige Haftprfung nach drei Monaten zu berwachen (§ 122 Abs. 3). Im brigen treten Schwierigkeiten auf, falls 129 Meyer-Goßner, § 121 Rn. 27 m. N. 130 BGH, MDR 1988, 357; Meyer-Goßner, § 121 Rn. 28. 131 EGMR, EuGRZ (Jahr 1993), 386 unter B; BVerfG, NJW 1966, 1259; Herzog, JZ 1966, 658. 132 BVerfG, JZ 1974, 582 m. Anm. Kleinknecht. 133 BVerfGE 36, 264.

255

Rn. 358

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

der Senat im Haftverfahren zu kurze ußerungsfristen setzt (i. d. R. 3 Tage). Dann ist zu erwgen, ob die kurze Frist in Kauf genommen werden kann oder deren Verlngerung beantragt werden muß, die notwendigerweise die Ermittlungen weiter verzgert. f) Verkehr mit dem Verhafteten Berndt, Eingriffe in den Briefverkehr von Untersuchungshaftgefangenen, NStZ 1996, 157; Ernesti, Grenzen anwaltlicher Interessenvertretung im Ermittlungsverfahren, JR 1982, 221; Krekeler, Probleme der Verteidigung in Wirtschaftsstrafsachen, wistra 1983, 43; Kruis/Cassardt, Verfassungsrechtliche Leitstze zum Vollzug von Straf- und Untersuchungshaft, NStZ 1995, 521; 574; Liemersdorf, Grenzziehung zwischen zulssigem und unzulssigem Verhalten eines Strafverteidigers im Umgang mit seinem Mandanten, MDR 1989, 204; Lbbe-Wolff/Geisler, Neuere Rechtsprechung des BVerfG zum Vollzug von Straf- und Untersuchungshaft, NStZ 2004, 478; Mnchhalffen, „Der Fall Rechtsanwalt P.“ oder „Wie man einem unliebsamen Verteidiger den Zugang zu einem inhaftierten Beschuldigten versagt“, StraFo 1997, 106; Schlothauer/Weider, Untersuchungshaft, Rn. 93 ff.; Wenfeld, Zur Weiterleitung von Schreiben Strafgefangener an die Aufsichtsbehrde im Rahmen der Briefkontrolle, NStZ 1985, 237; Wllrich, Die Schwierigkeit des Verteidigers mit dem Zugang zum Beschuldigten nach dessen Festnahme, StraFo 1996, 48.

358

Allein die stndige Verbindung mit dem verhafteten Beschuldigten setzt den Verteidiger in den Stand, seiner Aufgabe gerecht zu werden. Der unbeschrnkte mndliche und schriftliche Verkehr ist durch § 148 gewhrleistet. Ob das Privileg des unkontrollierten Kontaktes auch schon fr die Anbahnung des Mandats Geltung hat, ist streitig, wird aber berwiegend verneint134. Fr das mndliche Anbahnungsgesprch, zu dem blicherweise der Anwalt durch einen Justizbeamten begleitet wird, kann die berwachung dadurch eliminiert werden, daß man sich zu Beginn eine (vorlufige) Verteidigervollmacht unterschreiben lßt, diese dem Justizbeamten vorlegt, woraufhin dann das Gesprch unberwacht weitergefhrt werden kann. Erst am Ende des Gesprchs kann dann die Entscheidung ber die endgltige Mandatserteilung fallen. Kommt das angebahnte Mandat nicht zustande, sollte die Verteidigervollmacht zurckgegeben oder vernichtet und die Justizvollzugsanstalt entsprechend informiert werden. Unabhngig davon zeigt aber die Erfahrung, daß der zustndige Richter gelegentlich auch bereit ist, ein unbewachtes Anbahnungsgesprch zu gestatten135. Im Schriftverkehr ist fr die Anbahnungsphase daran zu denken, die Briefe zwar mit dem Aufdruck „Verteidigerpost“, jedoch mit dem deutlichen 134 OLG Stuttgart, StV 1999, 235; KK-Laufhtte, § 148 Rn. 5; Schlothauer/Weider, Rn. 93 ff.; Meyer-Goßner, § 148 Rn. 3 f. m. N. 135 KG, StV 1991, 304; Meyer-Goßner, § 148 Rn. 4.

256

Untersuchungshaft

Rn. 358

Zusatz „Mandatsanbahnung“ zu versehen. Dann kann die Staatsanwaltschaft oder das Gericht von Fall zu Fall entscheiden, ob sie den Brief ausnahmsweise unkontrolliert passieren lassen. Hat der Verteidiger die bernahme des Mandats der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht angezeigt, so empfiehlt es sich, zugleich den Antrag zustellen, die Justizvollzugsanstalt von der bernahme der Verteidigung zu informieren. Es kommt auch in Betracht, die Verwaltung der JVA unmittelbar durch bersendung einer Kopie der Verteidigerbestellung und der Vollmacht von der bernahme des Mandats in Kenntnis zu setzen. Die Erfahrung zeigt, daß ohne entsprechende Bemhungen des Verteidigers die Information an die JVA sich verzgern oder unterbleiben kann. Dies bringt naturgemß Schwierigkeiten im schriftlichen und mndlichen Kontakt mit dem Verhafteten, die durch die Initiative des Verteidigers vermieden werden knnen. Der unkontrollierte Kontakt mit dem Klienten ist eingeschrnkt in Verfahren, die eine Straftat nach § 129a StGB (terroristische Vereinigung) zum Gegenstand haben; hier ist die berwachung des schriftlichen Verkehrs in § 148 Abs. 2 Gesetz geworden. Fr den Bereich des mndlichen Kontaktes muß in gewissen Fllen eine Trennscheibe hingenommen werden (§ 148 Abs. 2 S. 3). In Extremfllen kann eine weitgehende Kontaktsperre Platz greifen (§§ 31 ff. EGGVG), wodurch die Verteidigung nahezu paralysiert wird. Die Anwaltschaft sollte den rechtspolitischen Widerstand gegen derartige Angriffe auf den Kernbereich ihrer Berufsausbung nicht aufgeben. Die Durchsuchung von Verteidigern beim Besuch von Untersuchungshftlingen ist leider eine von der Rechtsprechung136 gebilligte Praxis in bestimmten Verfahren geworden. Der Verteidiger, der zu Unrecht von einer solchen Maßnahme betroffen wird, sollte dieses um seiner Selbstachtung und der Wrde seines rechtsstaatlichen Berufsauftrages willen keinesfalls hinnehmen und alle zulssigen Rechtsbehelfe ausschpfen. Allgemeine Beschrnkungen knnen sich aus richterliche Anordnungen fr den Vollzug der Untersuchungshaft nach § 119 und durch die Regeln der Untersuchungshaftvollzugsordnung ergeben. Der Verteidiger ist hier aufgerufen, auf die Einhaltung des § 119 Abs. 3 StPO durch die Behrden zu achten. So ist beispielsweise der Staatsanwalt nur zu Anordnungen berechtigt, die den Hftling nicht beschweren. Sonst ist die richterliche Entscheidung einzuholen (Nr. 312 UVollzO)137. Zulssig sind berhaupt 136 BVerfGE 48, 118 = NJW 1978, 1048; BGH, AnwBl. 1973, 313. 137 Meyer-Goßner, § 119 Rn. 46.

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Rn. 359

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

nur solche Maßnahmen, die der Zweck der Haft und die Anstaltsordnung erfordern. Verboten ist hingegen jede inhaltliche Einengung der Verteidigerrechte, z. B. die Begrenzung der Zahl der Besuche in der Anstalt oder ihre Dauer im Einzelfall138. Gegen solche Versuche muß sich der Verteidiger scharf zur Wehr setzen, denn sie greifen in die Grundlagen der Verteidigung ein. Er hat nur solche Maßnahmen hinzunehmen, durch welche die ußere Ordnung der Verbindung des Verhafteten mit seinem Verteidiger geregelt ist, etwa die Besuchszeit, die Art und Ausstattung des Sprechraums, den Nachweis der Verteidigerbestellung. Die Bestimmungen ber die ußere Ordnung findet der Verteidiger in der Untersuchungshaftvollzugsordnung. Da der Bund von seiner Gesetzgebungsbefugnis keinen Gebrauch gemacht hat, gilt die Untersuchungshaftvollzugsordnung in der bundeseinheitlichen Fassung der Lnder vom 1. 12. 1990. Die Untersuchungshaftvollzugsordnung ist eine allgemeine Verwaltungsanordnung, die den Richter nicht bindet139. Der Richter darf im Einzelfall im Rahmen der Bestimmungen der StPO (insbes. § 119 Abs. 3, 4) von der Verwaltungsanordnung abweichen (Nr. 2 Abs. 2 UVollzO). Die Verbindung des Verhafteten mit seinem Verteidiger regeln die Nr. 36 und 37 UVollzO. 359

Die Grundstze dieser Verwaltungsanordnungen haben fr den Verteidiger auch noch eine berufsrechtliche Seite. Er muß beachten, daß er in keinem Fall den Zweck der Untersuchungshaft gefhrden darf. Es ist ihm dringend zu empfehlen, schon den Anschein zu vermeiden, es solle verdunkelt, begnstigt oder gegen die Anstaltsregeln verstoßen werden. Es darf berhaupt keinen Anlaß zu Mißtrauen geben. Auch noch so verstndlichen Wnschen des Mandanten darf der Verteidiger nicht nachgeben. Er muß die Grenzen, die der Untersttzung gesetzt sind, kennen und streng einhalten, auch wenn er dadurch in Konflikte kommt. Selbst eine Beeintrchtigung des Vertrauensverhltnisses muß er in Kauf nehmen und eher ein Mandat niederlegen, als eine Verfehlung zu begehen sowie Ruf und Ansehen aufs Spiel zu setzen.

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In derartige Situationen gert der Verteidiger vor allem bei mndlichen Besprechungen mit dem Mandanten in der Anstalt, die sich nur auf den Verteidigungszweck erstrecken drfen (Nr. 36 Abs. 1 UVollzO). Der Verteidiger muß sich der Haftanstalt gegenber durch die Vollmacht oder die Bestellung ausweisen. Besitzt er noch keine Vollmacht, so muß er einen Einzelsprechschein vorlegen (Nr. 36 Abs. 3 UVollzO). Vollmacht, Bestellung oder Sprechschein ermchtigen ihn zur inhaltlich uneingeschrnkten 138 Dazu OLG Stuttgart, NStZ 1998, 212. 139 BVerfG, NJW 1963, 755; i. e. Schlothauer/Weider, Rn. 954 ff.

258

Untersuchungshaft

Rn. 361

mndlichen (im Rahmen der Sprechzeiten der JVA) und schriftlichen Verbindung mit dem Mandanten. Seine Vertreter und seine Gehilfen, die mindestens Referendare sein mssen, drfen den Mandanten ebenso besuchen wie der Verteidiger, wenn sie sich ausweisen und die Bevollmchtigung oder Bestellung des Verteidigers nachgewiesen ist. Auf keinen Fall darf der Verteidiger tuschen oder auch nur den Verdacht erwecken, das Anstaltspersonal solle hintergangen werden (Krasses Beispiel: Der Verteidiger schmuggelt die Ehefrau des Hftlings als Sekretrin ein). Dabei muß der Verteidiger auch immer bedenken, daß sein unzulssiges Verhalten zu Maßnahmen gegen den Mandanten fhren kann, beispielsweise zu Hausstrafen auf Grund der Nr. 67 ff. UVollzO, die naturgemß den Freiheitsentzug und seine Wirkungen erschweren. Wie die Erfahrung zeigt, bereitet das Problem der Befrderung von Schriftstcken des Verhafteten immer wieder Schwierigkeiten. Es ist berufswidrig, die Postberwachung zu umgehen. Das heimliche Hinausschmuggeln von Briefen des Hftlings ist ein erheblicher Mißbrauch des Vertrauens, das dem Verteidiger eingerumt ist140. Der Anwalt kann sich nicht damit entlasten, der Inhalt sei harmlos gewesen, oder die Mitteilung an einen Dritten sei nach Kontrolle ohnehin zulssig gewesen, oder er habe die Schriftstcke nicht weitergegeben. Ist der Verteidiger zugleich Anwalt des inhaftierten Klienten in anderen als Strafsachen, so muß der unkontrollierte Schriftverkehr streng auf das Verteidigungsmandat beschrnkt werden141. Vorsicht ist ebenso anzuraten, falls der Mandant in der verschlossenen und daher nicht kontrollierten Verteidigerpost Schriftstcke fr Dritte bermittelt. Hftlinge sehen darin oft eine gnstige Mglichkeit, die Kontrolle zu umgehen. Der Verteidiger darf solche Post nicht weiterleiten und trgt auch die Verantwortung dafr, daß sein Personal so verfhrt. Er muß solche Schriftstcke, zweckmßig mit einer entsprechenden Belehrung, an den Klienten zurcksenden. Beachtet er diese Grundstze nicht, so setzt er sich unter Umstnden dem Verdacht der Strafvereitelung aus und gibt damit den Strafverfolgungsbehrden Anlaß, die Durchsuchung seiner Kanzlei oder gar die Beschlagnahme der Handakten anzuordnen (Rn. 392 ff.). Der Verteidiger ist auch nicht berechtigt, dem Verhafteten Schriftstcke Dritter ohne Genehmigung zu bermitteln. Ausgenommen von diesem Verbot sind unverschlossene Schriftstcke, die unmittelbar das Strafverfahren oder das Mandatsverhltnis (etwa die Anklageschrift) betreffen (Nr. 36 Abs. 5 UVollzO).

140 BGHSt. 27, 260, 265. 141 BGHSt. 26, 304 = NJW 1976, 1700; Schlothauer/Weider, Rn. 146 ff.

259

361

Rn. 362 362

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

Ebenso hufig kommt der Verteidiger in Konflikte, wenn es um die berlassung von Nahrungsmitteln und Genußmitteln sowie Lesestoff geht. Auch dies ist dem Verteidiger nicht gestattet. Er darf sich ebenso nicht als Bote der Angehrigen des Mandanten zur bermittlung hergeben. Dieses Verbot gilt auch, wenn der Anwalt den Inhalt prft, weil er nicht ausschließen kann, daß der Verdacht entsteht, es sollten Nachrichten versteckt eingeschleust werden (Rn. 91). Rauchen whrend der Besprechung mit dem Mandanten ist nicht grundstzlich verboten. Dem Verteidiger kann es ohnehin nicht untersagt werden; er ist deshalb auch befugt, dem Mandanten Zigarren oder Zigaretten zum sofortigen Konsum anzubieten. Der Verteidiger sollte schließlich nicht vergessen, daß er sich durch Verstße gegen diese Grundstze dem Klienten als Mitwisser ausliefert. Dieser kann die Situation ausnutzen, indem er den Verteidiger zu weiteren Unkorrektheiten drngt. Das gilt auch fr sonstige Verstße, besonders im Verhltnis zum Anstaltspersonal. Konziliantes oder gar pflichtwidriges Entgegenkommen der Verteidiger spricht sich in Kreisen der Hftlinge und ihrer Angehrigen erfahrungsgemß schnell herum. Darauf darf der Verteidiger es nicht anlegen. Untersagt ist es auch, dem Gefngnispersonal Vollmachtsformulare fr Hftlinge als potentielle Mandanten zu berlassen oder auf andere Weise sich ihrer Vermittlung zu bedienen.

363

Außer in Verfahren, die einen Vorwurf nach § 129 a StGB zum Gegenstand haben, unterliegt der Briefverkehr des Verteidigers mit dem Beschuldigten keiner Kontrolle. Dies gilt auch, wenn der Haftbefehl wegen Verdunkelungsgefahr erlassen ist. Die Prfung darf sich nur noch darauf beziehen, ob es sich um Post des legitimierten Verteidigers handelt (Nr. 37 UVollzO). Der Verteidiger sollte daher seine schriftlichen Mitteilungen an den Verhafteten deutlich als „Verteidigerpost“ schon ußerlich kennzeichnen. Dann ist es auch sicher, daß Post, die sein Auftraggeber an ihn richtet, keiner inhaltlichen berprfung unterworfen wird. Er sollte den Klienten veranlassen, die an ihn gerichteten Briefe ebenfalls als „Verteidigerpost“ zu kennzeichnen (Nr. 37 Abs. 1 UVollzO). Die Freiheit des Briefverkehrs gilt auch dann, wenn der Mandant sich in einer anderen Strafsache in Untersuchungshaft befindet142, in der ein anderer oder kein Verteidiger ttig ist.

364

Der Verteidiger muß endlich wissen, welche Rechtsbehelfe er gegen Entscheidungen ergreifen kann, die die schriftliche und mndliche Verbindung mit dem verhafteten Mandanten betreffen. Gegen Maßnahmen der Anstaltsleitung ist ggfs. Dienstaufsichtsbeschwerde einzulegen 142 Meyer-Goßner, § 148 Rn. 6.

260

Untersuchungshaft

Rn. 365

(Rn. 1086). Hierber entscheidet der Richter, wenn es sich um Anordnungen handelt, die das erlaubte Maß des Freiheitsentzuges betreffen (§ 119 Abs. 3 u. 6: Nr. 75 Abs. 1 UVollzO). Die richterliche Verfgung wiederum ist mit der einfachen Beschwerde anfechtbar (Rn. 840)143, whrend das Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG nicht ohne weiteres Erfolg verspricht144. Dieser besondere Rechtsbehelf ist aber dann statthaft, wenn Maßnahmen der Anstalt angegriffen werden, die nicht der richterlichen Kontrolle unterliegen (Nr. 75 Abs. 3 UVollzO: Rn. 1081). g) Anrechnung Der Verteidiger muß schon whrend des Haftverfahrens an die Probleme denken, die sich fr eine etwaige sptere Strafzumessung aus der Anrechenbarkeit der Untersuchungshaft und der einstweiligen Unterbringung ergeben. Danach wird ihn vor allem der Mandant fragen, der mit einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe rechnet. Da die Dauer der Untersuchungshaft ungewiß ist, will der Beschuldigte wenigstens erfahren, ob und in welchem Umfang er mit der Untersuchungshaft schon praktisch die erwartete Strafe ganz oder teilweise verbßt. Nach § 51 StGB wird die Untersuchungshaft automatisch angerechnet, und zwar nicht nur auf eine zeitige Freiheitsstrafe, sondern auch auf Geldstrafe. Nur ausnahmsweise kann das Gericht – auch das Revisionsgericht – anordnen, daß die Anrechnung ganz oder zum Teil unterbleibt, wenn sie mit Rcksicht auf das Verhalten nach der Tat nicht gerechtfertigt ist (§ 51 Abs. 1 S. 2 StGB). Dazu gehrt vor allem auch das Verhalten im Verfahren, insbesondere die Verschleppung der Sache. Dagegen darf das Bestreiten des Angeklagten nicht zur Verweigerung der Haftanrechnung fhren. Er braucht nicht zu seiner berfhrung beizutragen145. h) Entschdigung fr Strafverfolgungsmaßnahmen Abramenko, Der Freispruch wegen eines nachtrglichen Beweisverwertungsverbotes und die Entschdigung nach §§ 1, 2 StrEG, NStZ 1998, 176; Galke, Die Entschdigung nach dem StrEG – ein Fall verschuldensabhngiger Staatshaft, DVBl 1990, 145; Haas, Verzicht auf Haftentschdigung, MDR 1994, 9; Kunz, Gesetz ber die Entschdigung fr Strafverfolgungsmaßnahmen, Kommentar, 3. Aufl., 2003; 143 Meyer-Goßner, § 119 Rn. 49. 144 Lwe/Rosenberg/Hilger[25], § 119 Rn. 160 ff. m. N.; § 23 EGGVG zulssig bei allgem. Anordnungen, unzulssig bei Beschrnkungen in Bezug auf einen bestimmten Gefangenen, z. B. Beschrnkung der Besuchsdauer durch den Verteidiger: OLG Karlsruhe, NStZ 1997, 407. 145 Trndle/Fischer, § 51 StGB Rn. 12; BGHSt. 23, 307 f.; LG Freiburg, StV 1982, 338 („bswillige Verschleppung“).

261

365

Rn. 366

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

Meyer, Der Entschdigungsanspruch im Strafbefehlsverfahren, MDR 1992, 219; Meyer, Strafrechtsentschdigung, Kommentar, 6. Aufl., 2005; Meyer, Zum Umfang der Entschdigung fr vorlufige Fhrerscheinmaßnahmen (§ 7 StrEG), JurBro 1990, 685; Meyer, StrEG-Entschdigung bei vertanem Urlaub, MDR 1994, 658; Mmmler, Fragen zur Erstattung des Verdienstausfalls des Angeklagten, JurBro 1983, 886; Pflger, Entschdigung fr Strafverfolgungsmaßnahmen zugunsten des verstorbenen Angeklagten?, GA 1992, 20; Schlothauer/Weider, Rn. 1150 ff.; Sojka, Entschdigung auch bei Einstellung nach § 153a StPO mglich, MDR 1993, 948.

366

In allen Fllen der Einstellung des Verfahrens, des Freispruchs, des Wegfalles einer Maßregel der Besserung und Sicherung oder einer Nebenfolge sowie der Milderung der erkannten Strafe muß der Verteidiger prfen, ob ein Anspruch auf Entschdigung fr Strafverfolgungsmaßnahmen nach den §§ 1 bis 4 StrEG gegeben ist. Die Mglichkeit der Entschdigung sollte er schon frh in seine Beratung einbeziehen und auf Beweissicherung drngen. Von besonderer Bedeutung fr die Praxis ist die Entschdigung wegen Sicherstellung und vorlufiger Entziehung der Fahrerlaubnis sowie wegen vorlufiger Festnahme (§ 2 Abs. 2 Ziff. 2, 5 StrEG). Restriktiven Tendenzen bei der Gewhrung der „Entschdigung nach Billigkeit“ (§§ 3, 4 StrEG) sollte der Verteidiger energisch entgegentreten. Daß eine solche Entschdigung nur im Ausnahmefall zu gewhren ist, kann aus dem Gesetz nicht entnommen werden146; sie ist eine konsequente Folge der (fortbestehenden) Unschuldvermutung147. An die tatschlichen Feststellungen der Einstellungsverfgung ist der Richter nicht gebunden148. Problematisch ist die Versagung der Entschdigung nach § 6 Abs. 1 Ziff. 1 StrEG, wenn der Beschuldigte schuldhaft wesentliche entlastende Umstnde bei seiner Aussage verschwiegen hat149. Fr die Durchfhrung des Entschdigungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft sind bundeseinheitliche Ausfhrungsvorschriften (AV)150 erlassen, die auch vom Verteidiger beachtet und ausgewertet werden sollten.

367

Die Frist fr den (notwendigen) Antrag auf Feststellung der Entschdigungspflicht betrgt einen Monat seit Mitteilung der Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft (§ 9 Abs. 1 StrEG). Wird sie durch Verschulden des Verteidigers (oder seiner Mitarbeiter) versumt, soll Wie146 So Meyer-Goßner, § 3 StrEG, Rn. 2; richtigerweise hat eine Gesamtabwgung zu erfolgen, OLG Dsseldorf, StV 1989, 29; OLG Dsseldorf, MDR 1987, 80. 147 BVerfG, NJW 1992, 2011. 148 Meyer-Goßner, § 9 Rn. 9. 149 Vgl. dazu Meyer-Goßner, § 467 Rn. 13; Meyer, Strafrechtsentschdigung, Vor §§ 5 u. 6; strenger Maßstab zugunsten des Beschuldigten: OLG Dsseldorf, StV 1988, 446. 150 Anlage C zu den Richtlinien fr das Straf- und Bußgeldverfahren.

262

Untersuchungshaft

Rn. 369

dereinsetzung nach §§ 44, 45 nicht zulssig sein151. Das gilt aber nicht fr die sofortige Beschwerde nach § 8 Abs. 3 gegen eine Entscheidung des Gerichts152. Die Frist fr die Geltendmachung des konkreten Entschdigungsanspruches betrgt sechs Monate ab Zustellung des Belehrungsschreibens durch die Staatsanwaltschaft (§ 10 StrEG). Wird die Frist durch Verschulden des Rechtsanwalts versumt, so ist der Anspruch ausgeschlossen153. Ist seit der Feststellung der Entschdigungspflicht ein Jahr verstrichen, kann der Anspruch nicht mehr erhoben werden (§ 12 StrEG). Die verschiedenen Fristen bergen fr den anwaltlichen Strafverteidiger besondere Regreßrisiken, denen er durch entsprechende Sicherung der gesetzlichen Fristen Rechnung tragen sollte. Der Nachweis der entstandenen Schden ist oft schwierig. Gerade in schwerwiegenden Fllen, in denen eine lang andauernde Untersuchungshaft zum Verlust der beruflichen Existenz, zum Notverkauf von Vermgenswerten u. . gefhrt hat, ist die Hhe des Schadens schwer zu ermitteln, weil fr den Betroffenen und seine Angehrigen in dieser Notzeit vllig andere Probleme im Vordergrund stehen als die Beschaffung und Erhaltung von Beweismaterial fr ein spteres Entschdigungsverfahren. Die genaue Rekonstruktion der mutmaßlichen Weiterentwicklung der wirtschaftlichen Verhltnisse des Klienten ohne die Strafverfolgungsmaßnahme, ihre Kausalitt fr eine Vielzahl von Einzelschden sowie der Streit um ein mitwirkendes Verschulden (§ 254 BGB)154 hinsichtlich der Hhe der Schden bieten z. B. bei Unternehmern und Freiberuflern kaum zulsende Probleme. Den Antragsteller trifft fr die geltend gemachten Ansprche die volle Beweislast, wenn auch die Prfungsstelle nach AV B II Nr. 4155 von kleinlichen Beanstandungen absehen soll.

368

Die Schwierigkeiten knnen sich noch dadurch erhhen, daß die zustndige Prfstelle mit den notwendigen Erhebungen ber den Entschdigungsanspruch gerade die Polizeibehrden beauftragt, die frher mit den Ermittlungen gegen den Mandanten betraut waren und die jetzt zu entschdigende Strafverfolgungsmaßnahme herbeigefhrt haben. Die Erfahrungen der Praxis besttigen, daß die Polizeibeamten, die manchmal das Ergebnis des Strafverfahrens nicht zu akzeptieren vermgen, mit der Durchfhrung von Erhebungen zugunsten des Entschdigungsanspruchs des frheren Beschuldigten psychologisch berfordert sind. Sie fhren die

369

151 BGHSt. 26, 126; OLG Dsseldorf, StV 1988, 447; OLG Karlsruhe, MDR 1980, 693; Meyer-Goßner, § 9 StrEG, Rn. 5. 152 OLG Karlsruhe, MDR 1980, 693. 153 BGHZ 66, 125. 154 Vgl. hierzu OLG Hamm, NJW 1975, 2033; OLG Hamm, NJW 1976, 761. 155 Anl. C der Richtlinien fr das Strafverfahren.

263

Rn. 370

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

Ermittlungen verzgerlich und in erkennbar einseitiger Weise zuungunsten des Anspruchstellers. Der Verteidiger sollte daher darauf drngen, daß eine andere Polizeibehrde, zumindest aber andere Polizeibeamte mit den Feststellungen fr den Entschdigungsanspruch beauftragt werden. In geeigneten Fllen sollte die Aufklrung durch die Prfstelle selbst im Interesse der Neutralitt der Feststellungen beantragt werden. Wenn die Verhandlungen mit der Prfstelle sich „festgefahren“ haben, sollte man die Vorlage der Sache an das zustndige Landesjustizministerium beantragen oder das Ministerium selbst angehen. Dieses Verfahren empfiehlt sich auch, wenn der Anspruchsteller eine vergleichsweise Erledigung seiner Ansprche anstrebt, was vor allem bei bestehenden Beweisschwierigkeiten vielfach zweckmßig sein wird. Der Mandant wird kaum ein Interesse daran haben knnen, nach Abschluß eines mehrjhrigen Strafverfahrens erneut langwierige Ermittlungen ber seine Einkommens- und Vermgensverhltnisse in Vergangenheit und Zukunft ber sich ergehen zu lassen und lange Zeit auf seine Entschdigung zu warten. 370

Fr den Verteidiger ist es besonders bedeutsam, daß die Entschdigung nach § 7 StrEG auch den Ersatz der Kosten der Verteidigung umfaßt, die durch die Beauftragung mit dem Ziel der Aufhebung der Strafverfolgungsmaßnahme notwendig waren, soweit die Kostenvorschriften der eine Kostenerstattung nicht vorsehen156. Die Anwaltsgebhren fr die Vertretung im Entschdigungsverfahren sind als Teil des Vermgensschadens ebenfalls zu erstatten157.

371

Gegen die Entscheidung der Prfstelle ber den Entschdigungsanspruch ist der Zivilrechtsweg gegeben. Die Klage muß innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Zustellung der Entscheidung bei dem fr die Prfstelle zustndigen Landgericht erhoben werden (§ 13 Abs. 1 StrEG). Schließlich sollte man den Mandanten darauf hinweisen, daß die Entschdigungszahlung der Steuerpflicht unterliegt (Ziffer B II 2e der Ausfhrungsbestimmungen zum StrEG). i) Freiheitsentziehung und Regreß

372

In den Fllen der Untersuchungshaft und der einstweiligen Unterbringung sollte der Verteidiger auch die Mglichkeit des Amtshaftungsanspruches nach Art. 34 GG, § 839 BGB im Auge behalten. Dieser steht unabhngig 156 Meyer-Goßner, § 7 Rn. 5 m. N. 157 Ziff. B II 2g) der Ausfhrungsbestimmungen.

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Untersuchungshaft

Rn. 372

neben dem Entschdigungsanspruch wegen erlittener Strafverfolgung158 (Rn. 366), wird aber nur praktisch, soweit entstandener Schaden nicht vom StrEG erfaßt wird. Der Verteidiger darf sich durch die hufig nicht einfache Beurteilung der Sach- und Rechtslage nicht davon abhalten lassen, den Mandanten ber den Anspruch zu belehren. Allerdings sind ihm die Hnde gebunden, wenn der Auftraggeber von einem vielleicht langwierigen Zivilprozeß nichts wissen will, der sich an das gerade berstandene Strafverfahren anschließt. Man macht die Erfahrung, daß nur wenige Mandanten sich zu einer Amtshaftungsklage entschließen. Grundlage des Anspruchs sind die fehlerhafte Anordnung der Haft und die fehlerhaft unterlassene Aufhebung des Haftbefehls, veranlaßt vom Staatsanwalt oder vom Richter. Haftentscheidungen fallen nicht unter das Privileg des Spruchrichters nach § 839 Abs. 2 BGB. Die Fehler eines Haftbefehls knnen auf mannigfachen Ursachen beruhen. Im wesentlichen lassen sich zwei Fallgruppen unterscheiden. Einmal die mangelnde Aufklrung von Tatsachen (Beispiel: Der Staatsanwalt geht sofort zu beschaffendem Entlastungsmaterial nicht nach), zum anderen die unrichtige Einordnung des Sachverhalts unter die gesetzlichen Voraussetzungen (Beispiel: Beantragung und Verhngung der Verdunkelungshaft mit der bloßen Begrndung, die Ermittlungen dauerten noch an)159. Die Voraussetzungen fr den Regreß muß der Verteidiger schon whrend des Haftverfahrens im Auge behalten. Vor allem muß er in diesen Fllen Haftbeschwerde und ggfs. weitere Beschwerde einlegen, weil ohne Ausschpfung der Rechtsmittel die Ersatzpflicht nicht eintritt (§ 839 Abs. 3 BGB). Er muß dies auch tun, damit ihm nicht im Amtshaftungsprozeß entgegengehalten wird, der Betroffene habe auf andere Weise Ersatz erlangen knnen, nmlich bei seinem Verteidiger, der die zulssigen Rechtsmittel unterlassen hat (§ 839 Abs. 1 S. 2 BGB). Hat der Verteidiger diese Voraussetzungen beachtet, so bedarf es sorgfltiger Prfung, ob die Amtspflichtverletzung – die fehlerhafte und damit rechtswidrige Verhaftung – auf Verschulden eines oder mehrerer Beamten beruht. Hier liegen meist die Schwierigkeiten fr die Durchsetzung des Anspruchs. Die Begriffe „dringender Tatverdacht“, „Fluchtgefahr“, „Verdunkelungsgefahr“ und „Wiederholungsgefahr“ rumen dem Staatsanwalt und dem Richter einen gewissen Beurteilungsspielraum ein. Ein Mißgriff in der Beurteilung fhrt daher nur bei offensichtlichen Fehlern zur Verschuldenshaftung. Dabei muß aber der Verteidiger wissen, daß es auch ein 158 Meyer-Goßner, Vor § 1 StrEG Rn. 3. 159 Weitere Beispiele: Schmidt-Leichner, NJW 1959, 849.

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Rn. 373

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

verschuldeter Mangel des Haftbefehls ist, wenn Staatsanwalt und Richter die gebotene Umsicht und Vorsicht außer acht lassen und solche Umstnde nicht bercksichtigen, die einer Verhaftung entgegenstehen160. Beispiele: Die Anhrung eines sofort verfgbaren Entlastungszeugen wird unterlassen; der Haftrichter arbeitet die Akten vor der Haftprfung nur flchtig durch. Fr das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren hat der Bundesgerichtshof161 den Grundsatz hervorgehoben, es sei Amtspflicht der Strafverfolgungsbehrden gegenber dem Betroffenen, die Ermittlungen ordnungsgemß zu fhren. Der Verteidiger sollte sich auch nicht von einer Besttigung eines fehlerhaften Haftbefehls durch die Beschwerdeinstanzen stren lassen. Hierin findet zwar die Rechtsprechung in der Regel einen Umstand, der zum Ausschluß der Amtshaftung fhrt162. Diese Regel gilt nur dann nicht, wenn das Kollegialgericht die Sach- und Rechtslage vllig verkannt hat. 373

Eine andere Sache ist der Regreß wegen schadenstiftender Presseerklrungen (Rn. 93, 97) der Ermittlungsbehrden oder Gerichte, zu denen es erfahrungsgemß gerade in Haftfllen kommen kann. Der Verteidiger sollte daher in Verfahren, die ffentlichkeitsinteresse finden, die Publikationen, die auf Erklrungen von Justizpressestellen zurckgehen, von Anfang an sammeln (lassen), um nach rechtskrftiger Freistellung des Mandanten von den Vorwrfen die Grundlagen zur Prfung des Regreßanspruches zur Hand zu haben. Dies ist ein Teil der Nachsorge, die dem Verteidiger auch nach einem gnstig ausgegangenen Strafprozeß obliegt (Rn. 771 ff.). Die Rechtsprechung ist gegenber Mißgriffen der Justizpressestellen oder anderer Justizorgane eher streng163, was auch bei Besprechungen mit der Staatsanwaltschaft geltend gemacht werden kann. So wird es z. B. fr unzulssig gehalten, die ffentlichkeit ber eine Anklageerhebung mit Einzelheiten zu informieren, solange nicht der Betroffene Gelegenheit zur Kenntnisnahme der Anklage hatte164. j) Vorbeugende Maßnahmen

374

In allen Sachen, in denen der Antrag auf Erlaß eines Haftbefehls nicht mit Sicherheit ausgeschlossen ist oder gar ein solcher „in der Luft liegt“ (Rn. 261), muß der Verteidiger die Mglichkeit der Freiheitsentziehung 160 BGHZ 20, 178; zu den Maßstben der Amtspflichtverletzung BGH, StV 1988, 441; BGH, StV 1994, 329: auch immaterieller Schaden. 161 BGHZ 27, 388. 162 BGHZ 27, 388 = NJW 1959, 35 m. Anm. Dahs sen. 163 BGH, NStZ 1986, 562 m. Anm. Dahs, 563. 164 VG Frankfurt, StV 1997, 240.

266

Untersuchungshaft

Rn. 374

ins Kalkl ziehen und schon im Vorfeld versuchen, solche Antrge der Ermittlungsbehrden zu vermeiden. Dies geschieht in erster Linie durch Beratung des Mandanten ber die gesetzlichen Voraussetzungen des Haftbefehls und die diesbezglichen praktischen Erfahrungen. Dabei muß der Mandant erfahren, daß fr ihn schon der Anschein eines haftbegrndenden Verhaltens hchst gefhrlich ist. Er muß insbesondere darber informiert werden, welche Verhaltensweisen die Ermittlungsbehrden blicher- und typischerweise als Vorbereitungen zur Flucht oder Versuch der Verdunkelungsgefahr ansehen. Auch wenn man darber streiten kann, ob die Sicht der Ermittlungsbehrde richtig ist, so ist das Risiko einer Inhaftierung des Mandanten doch in aller Regel so schwerwiegend, daß auch einem Mißverstndnis der Staatsanwaltschaft vorgebeugt werden muß. Die Erfahrung lehrt, daß dann, wenn der Haftbefehlsantrag gestellt oder der Haftbefehl gar erlassen ist, es unvergleichlich schwieriger ist, die Freiheit des Mandanten zu bewahren oder wiederzugewinnen. Die vorbeugende Beratung kann sogar so weit gehen, an sich zulssige Maßnahmen, z. B. Einholung von Informationen bei Zeugen, Anforderung von Unterlagen u. . nicht vom Angeklagten, sondern vom Verteidiger durchfhren zu lassen oder gar zurckzustellen. Die Praxis lehrt, daß in diesem Bereich große Vorsicht dem Klienten besser dient als die Ausschpfung seiner Rechte. Daneben kann man aber auch auf der Ebene der Strafverfolgungsbehrden einiges tun, um sie von Haftbefehlsantrgen abzuhalten. Dazu gehrt je nach Lage des Falles die im mndlichen Gesprch zum Ausdruck gebrachte Kooperationsbereitschaft, z. B. Herausgabe oder Beschaffung von Unterlagen, die sonst fr die Ermittlungen nicht ohne weiteres zu Verfgung stehen, die Benennung von Zeugen, Beschaffung von Anschriften, einzelne sachliche oder technische Erklrungen, frhzeitige Errterungen von Rechtsfragen oder Bereitschaft zur teilweisen oder vollstndigen Aussage, wofr dann wieder ein bestimmter Zeitpunkt oder Ermittlungsabschnitt ins Auge gefaßt werden kann. Bei solchen Kooperationen handelt es sich freilich um ein heikles Gebiet, in dem der Verteidiger einerseits seine Schutzaufgabe (Rn. 3) im Auge behalten, andererseits darauf achten muß, daß er bei den Ermittlungsbehrden nicht in den Verdacht der Doppelzngigkeit, Verschleierung oder gar Tuschung gert, wodurch er mindestens seinen Ruf als seris, fair und verlßlich einbßen kann. Es handelt sich hier um ein Teilgebiet der Absprachen im Strafprozeß (Rn. 177 ff., 496 ff.), auf dem manches erreicht, aber auch viel verloren werden kann. Mit dem Klienten sind die Vor- und Nachteile einer solchen Strategie zu errtern, und seine Zustimmung ist herbeizufhren, wobei der Verteidiger sich freilich einen gewissen Verhandlungsfreiraum ausbedingen sollte. Es kann auch richtig sein, mit dem Staatsanwalt die Haft267

Rn. 374

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

frage ausdrcklich anzusprechen und offen zu errtern. Dabei wird man nicht selten etwas ber die allgemeine Haftpraxis der Behrde und die persnliche Einstellung des Staatsanwalts zum Freiheitsentzug erfahren. Es gibt Staatsanwlte, die in solchen Gesprchen mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg halten und entweder einen Haftbefehl als nicht in Betracht kommend bezeichnen oder darlegen, bei welcher Entwicklung der Sache sei einen entsprechenden Antrag in Erwgung ziehen. Daraus ergibt sich dann rasch das Gesprch darber, durch welche Umstnde der in Erwgung gezogene Haftgrund widerlegt werden kann. Es muß aber auch bedacht werden, daß ein zur Inhaftierung entschlossener Staatsanwalt durch seine Dienstpflicht gehindert ist, dies dem Verteidiger direkt oder indirekt zu offenbaren. Gibt das Gesprch mit dem Staatsanwalt Veranlassung zu der Befrchtung, daß ein Haftbefehl beantragt werden knnte, z. B. weil der Staatsanwalt entsprechende Andeutungen macht, sich nur sibyllinisch ußert oder das Gesprch ber die Frage ablehnt, so kommt in Betracht, bei dem zustndigen Haftrichter vorsorglich einen Verteidigungsschriftsatz gegen den zu erwartenden Antrag zu hinterlegen, in dem ggfs. zum dringenden Tatverdacht, zu den mutmaßlichen Haftgrnden und zur Frage der Verhltnismßigkeit Stellung genommen wird. Gleichzeitig kann hilfsweise Haftverschonung (§ 116) beantragt und die Zustimmung zu in concreto in Betracht kommenden Auflagen erklrt werden. Problematisch wird die Sache fr den Verteidiger dann, wenn der Staatsanwalt ihm eindeutig erklrt, er habe bereits Antrag auf Erlaß des Haftbefehls gestellt oder werde dies kurzfristig tun. Der Verteidiger gert damit in das Dilemma, seinen Mandanten darber zu unterrichten – ohne dessen Reaktion vorhersehen zu knnen (vgl. dazu 253) oder „sehenden Auges“ die Inhaftierung seines Klienten hinzunehmen. Allerdings drften derartige Erklrungen eines Staatsanwalts mit seinen Dienstpflichten nur schwer in Einklang zu bringen sein. Ein geschickter Verteidiger knnte deshalb in einer solchen Situation dennoch den Versuch unternehmen, mit dem Staatsanwalt zu einer anderweitigen Behandlung der Haftfrage zu gelangen – wobei er freilich den Eindruck vermeiden muß, er wolle auf den Staatsanwalt wegen dessen Fehlverhaltens Druck ausben. Eher knnte in einer solchen Extremsituation die sofortige – persnliche und mndliche – Intervention beim Haftrichter Erfolg haben. Aber auch dies ist ein heikles Unternehmen zwischen Schutzaufgabe, Schweigepflicht und Bindung an die Rechtspflege (Rn. 3). Allgemein gltige Regeln lassen sich nicht aufstellen; es wird sehr auf die Persnlichkeit der Beteiligten und das gegenseitige Respekts- und Vertrauensverhltnis ankommen.

268

Andere vorlufige Maßnahmen

Rn. 375

9. Einstweilige Unterbringung Die einstweilige Unterbringung (§ 126a) ist als nur vorlufige Maßnahme ein Vorgriff auf die endgltige Sicherungsmaßnahme der §§ 63, 64 StGB (Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt). Das Verfahren entspricht im wesentlichen dem Haftrecht (Rn. 338 ff.). Es kann insbesondere geltend gemacht werden, daß die ffentliche Sicherheit nicht gefhrdet und die Unterbringung nicht gerechtfertigt ist, falls weniger einschneidende Maßnahmen gengen oder die Unterbringung außer Verhltnis zur Bedeutung der Sache steht165. Beispiele fr weniger einschneidende Anordnungen sind Bestellung eines Vormundes, Unterbringung in einem Heim oder Sanatorium und psychotherapeutische Behandlung. Die Tatsachen, die die Unterbringung begrnden sollen, mssen sich mindestens eindeutig aus den Akten ergeben166. Der Kontakt mit dem Mandanten wird sich in diesen Fllen oft schwierig gestalten. Der Verteidiger ist dann darauf angewiesen, Entscheidungen zu treffen, die er sonst nur nach Belehrung und mit Einverstndnis des Mandanten vorzunehmen pflegt. Immerhin sollte der Verteidiger jede Mglichkeit ausnutzen, mit den Angehrigen des Beschuldigten, mit seinem Pfleger oder Vormund zu sprechen, um sein Vorgehen abzustimmen. Erweist sich eine einstweilige Unterbringung spter als unberechtigt, kommt wie bei der Untersuchungshaft ein Entschdigungsanspruch in Betracht (Rn. 366). 10. Andere vorlufige Maßnahmen a) Durchsuchung Amelung, Grundfragen der Verwertungsverbote bei beweissichernden Haussuchungen im Strafverfahren, NJW 1991, 2533; Br, Beschlagnahme von Computerdaten, CR 1996, 744; Beck'sches Formularbuch/Danckert/Ignor, 4. Aufl., 2002, S. 100 ff.; Burhoff, Durchsuchung und Beschlagnahme, Bestandsaufnahme zur obergerichtlichen Rechtsprechung, StraFo 2005, 140; Jung, Durchsuchung und Beschlagnahme in Medienangelegenheiten, AfP 1995, 375; Klaas, Zum Zeitpunkt des Vollzuges einer Durchsuchung, wenn beim Beschuldigten elektronisch gespeicherte Daten in der Weise beschlagnahmt werden, daß eine Kopie des gesamten Datentrgers erstellt wird, NStZ 1995, 55; Krekeler, Verwertungsverbot bei der Durchsuchung, AnwBl 1992, 356; Malek/Wohlers, Zwangsmaßnahmen und Grundrechtseingriffe im Ermittlungsverfahren, Verteidigerstrategien, 2. Aufl., 2001; Roxin, Zur richterlichen Kontrolle von Durchsuchungen, StV 1997, 654; Sachs, Gltigkeitsdauer richterlicher Durchsuchungsanordnungen, JuS 1998, 363; Schfer, G., Die Praxis des Strafverfahrens, 6. Aufl., 2000, S. 172; Schroth, Probleme der Sichtung von Datentrgern vor Ort, CR 1992, 173; Schuhmann, Durch165 Meyer-Goßner, § 126a Rn. 5. 166 OLG Kln, JMBl. NJW 1954, 205.

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375

Rn. 376

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

suchung und Beschlagnahme im Steuerverfahren, wistra 1994, 93; Sommer, Moderne Strafverteidigung, Strafprozessuale nderungen des Ersten Justizmodernisierungsgesetzes, AnwBl. 2004, 506, 507; Wehnert, Zur Praxis der Durchsuchung und Beschlagnahme, StraFo 1996, 77; Weihrauch, Ermittlungsverfahren, 6. Aufl., 2002, Rn. 208 ff.; vgl. auch das vor Rn. 338 angefhrte Schrifttum.

376

Die Durchsuchung ist neben der oft mit ihr in Zusammenhang stehenden Freiheitsentziehung der gravierendste und oft folgenreichste Eingriff der Strafverfolgung in die Individualsphre natrlicher (und juristischer) Personen. Dabei geht es oft nicht nur um die Auffindung tatschlich oder scheinbar belastender Urkunden und Gegenstnde, sondern auch um „Zufallsfunde“ (§ 108) und vor allem die Wirkungen der staatlichen Zwangsmaßnahme auf Mitarbeiter und – in der Regel unvermeidbar – die ffentlichkeit (Rn. 235), die nicht selten die gravierendsten Folgen (z. B. bei Kreditinstituten, Geschftspartnern) auslsen. Daß sie zu den „Standardmaßnahmen“ von Ermittlungsbehrden gehrt, ist Grund genug fr den Verteidiger, dieses Risiko von Anfang an ins Visier zu nehmen, nicht zuletzt ggfs. auch durch Vorbereitung einer Presseerklrung (Rn. 98).

377

Die Kontrollbefugnis des Verteidigers ist im Verfahren der Durchsuchung (§§ 102 ff.) stark eingeengt. So hat er keinen Rechtsanspruch auf Anwesenheit. Gestattet aber der Inhaber der zu durchsuchenden Rume oder Gegenstnde die Anwesenheit, so darf ihm diese nicht versagt werden, es sei denn, daß er die Amtshandlung i. S. des § 164 StPO strt167. Von einer Strung kann indes nicht die Rede sein, wenn der Verteidiger nur die Rechtmßigkeit des Vorgehens prft und Rechte des Betroffenen sachlich wahrnimmt168. In der Praxis wird die Anwesenheit des Verteidigers, auch des Justitiars oder Syndikusanwalts, in der Regel gestattet. Gegen die Weigerung der vor Ort ttigen Ermittlungspersonen hilft hufig die telefonisch oder per Telefax herbeizufhrende Entscheidung des Staatsanwalts. Nicht selten sind die Ermittlungspersonen, insbesondere die Staatsanwlte, auch bereit, mit dem Beginn der Durchsuchung zu warten, bis der Verteidiger eintrifft, falls dieser kurzfristig erscheinen kann und Gefahr fr den Durchsuchungszweck nicht besteht. Auch hier kann es darauf ankommen, ob der Verteidiger dem Staatsanwalt als seris und sachlich bekannt ist (Rn. 178 f., 382). Der Verteidiger sollte auch dann versuchen, die Erlaubnis fr seine Anwesenheit zu erwirken, falls er ausnahmsweise von einer beabsichtigten Durchsuchung erfhrt. Er kann darauf hinweisen, daß seine Anwesenheit notwendig ist, damit er sich ein eigenes Bild ber Art und Umfang der Durchsuchung machen und berflssige Auseinandersetzungen verhindern kann. Dadurch werden nicht nur 167 Meyer-Goßner, § 106 Rn. 3. 168 Meyer-Goßner, § 164 Rn. 1.

270

Andere vorlufige Maßnahmen

Rn. 378

unntige Rechtsbehelfe vermieden, der Verteidiger ist auch in der Lage, schon bei der Durchsuchung auf Entlastungsmaterial zu achten und dessen Sicherstellung zu veranlassen. Das spielt vor allem eine Rolle, wenn nicht die Rume des Beschuldigten, sondern Dritter durchsucht werden (§ 103): hier ist die Gefahr besonders groß, daß Entlastungsmaterial (Briefe, Abrechnungen) verlorengeht, das der durchsuchende Beamte in diesem Abschnitt des Verfahrens noch fr nebenschlich hlt, das aber spter bedeutsam wird. In jedem Falle sollte der Verteidiger dem Beschuldigten raten, ein Exemplar des Durchsuchungsbeschlusses und ein Verzeichnis der in Verwahrung genommenen Gegenstnde zu verlangen, oder selbst dieses Verlangen stellen (§ 107). Das Verzeichnis bildet die Grundlage fr die sptere Auswertung der Durchsuchung. So kann der Verteidiger aus der Auswahl der weggenommenen Gegenstnde oft entnehmen, worauf der strafrechtliche Vorwurf hinzielt. Auch kann er Mngel des Verzeichnisses den Ermittlungspersonen vorhalten, wenn diese spter als Zeuge vernommen werden. Von besonderer Bedeutung ist die Durchsicht der gefundenen Papiere, die nur dem Staatsanwalt und seinen Ermittlungspersonen i. S. des § 152 GVG (die i. e. durch Landesrecht bestimmt sind) zusteht – ohne Einwilligung des Betroffenen nicht jedoch anderen Beamten (§ 110 Abs. 2 S. 1). Insoweit ist ggfs. nach § 110 Abs. 2 S. 2 zu verfahren (Versiegelung und bergabe an die Staatsanwaltschaft). Als „Papiere“ i. S. des § 110 werden in Analogie jede Art von Datentrgern (z. B. Computer-Festplatten, Disketten)169, Tontrger, Filme, Lochkarten und Magnetbnder gewertet170. Auf die Mglichkeit der Sicherung des Inhalts, z. B. durch Sicherungsdiskette sollte der Verteidiger drngen, auf die Teilnahme des Beschuldigten an der Durchsuchung Wert legen (§ 106) und zugleich seine eigene Anwesenheit unter Hinweis auf §§ 163 a Abs. 3 S. 2, 168c Abs. 1171 durchsetzen. Die Staatsanwaltschaften neigen zuweilen dazu, unter allgemeinem Hinweis auf die entsprechende Zeitverzgerung die Mitwirkung zu versagen. Darauf muß sich der Verteidiger einstellen. Die ihm bei der Durchsicht der Papiere zuteil werdende „Akteneinsicht“, Fragen und Bemerkungen des Staatsanwalts u. . knnen von großer Bedeutung fr die Beratung des Klienten und den Aufbau der Verteidigung sein. Der Verteidiger hat hier eine legale Mglichkeit, die „Mauer des Schweigens“, die das Ermittlungsverfahren oft bis zur Akteneinsicht um169 BGH, StV 1988, 90. 170 Meyer-Goßner, § 110 Rn. 1. 171 Schluß a maiore ad minus.

271

378

Rn. 379

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

gibt, zu durchbrechen. Dadurch kommt er auch in die Lage, belastendes Material alsbald kennenzulernen und entlastende Schriftstcke schon im Ermittlungsverfahren in den Vordergrund zu stellen. Wird ein entlastender Brief bersehen und ist er spter nicht mehr auffindbar, so ist das Versumnis kaum gutzumachen. In vielen Fllen bezweckt die Durchsuchung ausschließlich, Schriftstcke zu finden, die in Beziehung zu einer bestimmten Straftat stehen (Handelsbcher, Korrespondenz, Vermerke u. .). Die Durchsuchung zu diesem Zweck ist darum hufig die erste Maßregel, die die Strafverfolgungsbehrde anordnet. Der Verteidiger sollte darauf bestehen, daß er bei Durchsicht der weggenommenen Papiere anwesend ist, auch wenn der Beschuldigte kein Teilnahmerecht hat. Einen durchschlagenden sachlichen Grund, den Verteidiger auszuschließen, wird die Staatsanwaltschaft schwerlich finden. 379

Ein besonders heikles Kapitel sind die Zufallsfunde (§ 108), bei denen nach Erfahrungen der Praxis hufig der Verdacht besteht, daß sie das eigentliche Ziel der Durchsuchung sind. Natrlich ist eine derartige Maßnahme unzulssig172, jedoch ist es schwierig, den Nachweis zu fhren, daß gezielt nach „Zufalls“-Funden gesucht worden ist. Bei großen Durchsuchungsaktionen kommt es freilich gelegentlich vor, daß die eingesetzten Beamten Einsatzbefehle oder andere Schriftstcke liegen lassen, aus denen diesbezgliche Erkenntnisse zu gewinnen sind; auch das Studium der Ermittlungsakten und der darin enthaltenen Vermerke des Sachbearbeiters der Staatsanwaltschaft oder ihrer Hilfsbeamten frdert zuweilen berraschendes zutage.

380

Verfahrensverstße hat der Verteidiger zu beanstanden. Hufig wird ohne echten Tatverdacht durchsucht, gleichsam zum Zwecke der Ausforschung. Die neuere Rspr. ist insoweit recht streng173. Statthaft ist die Durchsuchung nur, wenn Anhaltspunkte dafr vorhanden sind, daß Gegenstnde gefunden werden, die als Beweismittel in Betracht kommen oder deren Einziehung zu erwarten ist. Die Durchsuchung darf sich schließlich nicht auf Sachen erstrecken, deren Beschlagnahme verboten ist (Rn. 389 f.).

381

Rechtsmittel gegen die Durchsuchung ist die Beschwerde (§ 304), gegen die Art und Weise ihrer Durchfhrung die Beschwerde nach § 92 Abs. 2 172 Meyer-Goßner, § 108 Rn. 1 m. N. 173 Vgl. nur BGH, NStZ 2002, 215; BVerfG, wistra 2004, 295; BVerfG, NStZ 2002, 212; LG Nrnberg-Frth, StV 1999, 521 m. Anm. Wehnert m. N.; LG Berlin, StV 1999, 520 („beralterter Beschluß“); LG Berlin, StV 2002, 69 (Durchsuchung bei Dritten); LG Frankfurt, StV 2002, 70 m. N.; Thr. OLG, StV 2002, 63 (Behrdenakten).

272

Andere vorlufige Maßnahmen

Rn. 382

S. 2 analog174. Die Beschwerde kann heute nicht mehr nur bis zum Abschluß der Durchsuchung – wozu auch die Durchsicht von Papieren gehrt175, sondern unter bestimmten Voraussetzungen auch nach deren Abschluß eingelegt werden176. Grundlage fr die nachtrgliche richterliche berprfung ist ein Antrag nach § 98 Abs. 2 S. 2 analog, wenn ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit besteht177. Ein Feststellungsinteresse ist dann gegeben, wenn wegen der erheblichen Folgen des Eingriffs oder der Gefahr einer Wiederholung ein nachwirkendes Bedrfnis fr die richterliche berprfung besteht. Besser als die Ausschpfung aller gesetzlichen Rechte gegen die Durchsuchung sind im Rahmen des strafprozessualen Krisenmanagements des Verteidigers (Rn. 232 ff.) auch hier vorbeugende Maßnahmen. Die Durchsuchung, bei der von den eingesetzten Beamten nicht immer zurckhaltend vorgegangen wird, bringt fr den betroffenen Personenkreis und Bereich intern mindestens Irritationen und extern eine Rufschdigung mit sich. Das gilt vor allem bei „Großdurchsuchungen“ von Industrieunternehmen, Banken, Versicherungen, Verbnden, Kliniken, Arztpraxen usw. Hier muß notwendigerweise der Einsatz mehrerer Staatsanwlte sowie einer großen Zahl von Hilfsbeamten aus dem Bereich von Polizei, Steuerfahndung oder Zollfahndung erfolgen. Der Abtransport umfangreichen Materials bleibt nicht unbemerkt. Es wird auch immer wieder berichtet, daß bei derartigen Aktionen von Anfang an Vertreter der Medien, sogar Kamerateams, vor Ort sind – manchmal sogar vor Eintreffen der Ermittlungsbeamten. Welche der beteiligten Personen oder Stellen hier etwas hat „durchsickern“ lassen, ist nach den Erfahrungen der Praxis offenbar niemals zu klren. Der Schaden, der durch die unmittelbare Berichterstattung „vom Ort des Geschehens“ angerichtet wird, ist fr die Betroffenen eminent. Eine sptere Freistellung von dem erhobenen Verdacht oder seine Reduzierung auf Einzelvorwrfe gegen nachgeordnete Mitarbeiter finden, falls darber berhaupt berichtet wird, kaum noch Interesse. Dagegen bleibt die spektakulre Durchsuchungsaktion („ein halbes Dutzend Staatsanwlte, Polizei in Kompaniestrke, fnf LKW, hunderte von Kisten Beweismaterial“) im Gedchtnis des Publikums und hat mglicherweise katastrophale Folgen. So sind z. B. Banken mit Kreditkndigungen schnell bei der Hand.

174 BGHSt. 44, 265; BGHSt. 45, 183. 175 BVerfG, NStZ-RR 2002, 144; BGHSt. 20, 206, 209; Meyer-Goßner, § 110 Rn. 6. 176 BRAK-Schriftenreihe, Bd. 13, S. 61 ff.; Beispiele bei Dahs, JR 2004, 96. 177 BGHSt. 37, 79; BGH, NJW 1978, 1013 m. Anm. Amelung; BGHSt. 28, 57; BGHSt. 28, 160; BGHSt. 28, 206; Meyer-Goßner, § 98 Rn. 23.

273

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Rn. 382

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

Diese Gefahren in Verbindung mit der Erfahrung, daß gerade in Wirtschaftsstrafsachen umfangreiche Durchsuchungen zum „Standardrepertoire“ von Ermittlungsbehrden gehren, sollten den Verteidiger rechtzeitig auf den Plan rufen. Er muß wissen, daß durch rechtzeitiges Agieren manche Durchsuchung ganz vermieden und viele andere so durchgefhrt werden knnen, daß sie ohne die geschilderte Außenwirkung bleiben. Dies setzt voraus, daß der Verteidiger ein Gespr dafr entwickelt, wann mit einer Durchsuchung zu rechnen ist und worauf diese sich voraussichtlich erstrecken wird. Er kann dann zunchst mit der Klientel errtern, ob die Bereitschaft besteht, hinsichtlich der Herausgabe von Unterlagen pp. mit der Ermittlungsbehrde zu kooperieren, d. h. freiwillig und vollstndig das von der Staatsanwaltschaft mutmaßlich erwartete Material herausgegeben wird. In vielen Fllen wird damit nichts vergeben, weil mit dem Erlaß entsprechender Durchsuchungsbeschlsse nach aller Erfahrung ohnehin gerechnet werden muß. Wird das Einverstndnis der Klientel erteilt und kann der Verteidiger darauf vertrauen, daß diese sich an die gegebene Zusage auch halten wird, (eine Belehrung darber, daß die Beseitigung von Beweismaterial als Verdunkelungshandlung i. S. des § 112 gewertet wird, ist allemal am Platze) so sollte er mit dem Staatsanwalt Verbindung aufnehmen. Einem als vertrauenswrdig anerkannten Verteidiger kann es dann durchaus gelingen, bei der Staatsanwaltschaft Verstndnis fr die Belange des Betroffenen zu wecken. Das optimale Ergebnis, der Verzicht auf die Durchsuchung, ist erreichbar, wenn ber die gesuchten Gegenstnde und Unterlagen hinreichende Klarheit besteht, z. B. Einkaufs-, Verwendungs- und Abrechnungsunterlagen ber bestimmtes medizinisches Hilfsmaterial fr ein konkretes Jahr oder das Betriebstagebuch einer bestimmten technischen Anlage fr einen bestimmten Zeitraum oder eine „Globalerklrung“ abgegeben wird, daß alle von der Ermittlungsbehrde gewnschten Gegenstnde herausgegeben werden. In unbersichtlichen Sachen ist die Staatsanwaltschaft im Ausnahmefall sogar bereit, einen Fragenkatalog mit Anforderung von Unterlagen an den Verteidiger zu richten (Rn. 233). In anderen Fllen ist es mglich, ber die Modalitten der Durchsuchung eine Vereinbarung zu treffen, die spektakulre Außen- und irritierende Intern-Wirkungen vermeidet, z. B. die Ermittlungsbeamten kommen in unaufflliger Weise zu einem vereinbarten Zeitpunkt, zu dem die gesamten zu prfenden Unterlagen in einem Raum konzentriert zur Verfgung stehen. Ob es in der Folgezeit bei der „schonenden“ Durchsuchung bleibt, hngt in allen Fllen davon ab, ob die zu prfenden Gegenstnde/Dokumente tatschlich aus der Sicht der Ermittlungsbehrde vollstndig zur Verfgung gestellt werden. Jede Art von „Tricks“, die den Ermittlungszweck beeintrchtigen, mssen in solchen Fllen strikt unterbleiben, weil 274

Andere vorlufige Maßnahmen

Rn. 383

sonst „die letzten Dinge schlimmer sind als die ersten“. Der serise und geschickte Verteidiger kann also auch auf dem Gebiet der strafprozessualen Zwangsmaßnahmen manches erreichen. Nicht alle Flle sind fr vorbeugende Maßnahmen der geschilderten Art geeignet. Dann ist es gut, wenn dem Betroffenen zuvor eine prventive Beratung durch den Verteidiger – so er denn rechtzeitig beauftragt war – zuteil geworden ist. Sie ist geboten, wenn Durchsuchung und Beschlagnahme in Betracht kommen, was jedenfalls in Wirtschaftsstrafsachen regelmßig der Fall ist (Rn. 232). Die Erfahrungen der Praxis zeigen die Wichtigkeit der Vorbereitung von Betriebsangehrigen – auch der Rechtsabteilung – fr den Umgang mit Strafverfolgungsbehrden jeder Art u. a. bei Durchsuchungen. Der Versuch, Polizeibeamten oder andere Ermittlungspersonen den Zutritt zu den Betriebsrumen und Bros generell zu verweigern („Pforte“), ist ein schwerer Fehler, weil dadurch „die Staatsmacht“ sich herausgefordert fhlt und entsprechend reagiert. Richtig ist die Bitte um Identifizierung und Vorlage des Durchsuchungsbeschlusses, der manchen Aufschluß ber Grund und Ziel der Aktion gibt. Zugleich ist die Rechtsabteilung und/oder ein externer Verteidiger zu informieren – dessen kurzfristiges Erscheinen jedenfalls Staatsanwlte gelegentlich abwarten. Whrend der Durchsuchung empfiehlt sich eine flexible, aber grundstzlich passive Haltung. So mag zwar der Standort von gesuchten Akten mitgeteilt, diese aber nicht freiwillig herausgegeben werden. Bei betriebsnotwendigen Unterlagen ist auf Fertigung von Kopien zu drngen, bei EDV-Daten auf Sicherungsdisketten. Einer „Begleitung“ durch einen Rechtsanwalt bei der Durchsuchung wird kaum widersprochen werden knnen, whrend eine Filmdokumentation als Strung der Amtshandlung i. S. des § 164 empfunden wird. Besonders ist darauf zu achten, daß es nicht zu spontanen ußerungen zur Sache kommt, die von den Beamten in Vermerken festgehalten und spter als Zeugen besttigt werden. Also: „Technische“ Hilfe kann geleistet werden – schon damit nicht der ganze Betrieb „auf den Kopf gestellt“ wird (mit der Folge echter oder unechter Zufallsfunde – § 108) – whrend „informatorische“ Aussagen zur Sache nicht zur Durchsuchung gehren. Es ist darauf zu achten, sptestens bei Beendigung der Aktion ein Exemplar des richterlichen Beschlusses, des Verzeichnisses nach § 107 Abs. 2 zu erhalten, den Widerspruch im Protokoll zu vermerken, auf Geschfts- oder Betriebsgeheimnisse ausdrcklich hinzuweisen und eine entsprechende Kennzeichnung zu verlangen.

b) Beschlagnahme Amelung, Strafprozessuale Beschlagnahme von Behrdenakten?, NStZ 1993, 48; Beulke, Beschlagnahmefreiheit von Verteidigungsunterlagen, FS Lderssen (2002),

275

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Rn. 384

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

S. 693; Bohlander, Grundrechtswidrige Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlsse, AnwBl. 1996, 177; Braczyk, Zur Zustndigkeit der Staatsanwaltschaft fr das Herausgabeverlangen nach § 95 StPO, wistra 1993, 57; Dahs, Die Beschlagnahme von Verteidigungsmaterial und die Ausforschung der Verteidigung, GS K. Meyer (1990), S. 61 ff.; Damrau, Der Ort der Rckgabe beschlagnahmter Sachen, NStZ 2003, 408; Frommel, Zur Zulssigkeit der Beschlagnahme einer rztlichen Patientenkartei, StV 1992, 114; Hoffmann/Knierim, Rckgabe von im Strafverfahren sichergestellten oder beschlagnahmten Gegenstnden, NStZ 2000, 461; Kluger, Die Zustndigkeit der Staatsanwaltschaft fr Maßnahmen nach § 95 StPO, wistra 1991, 17; Konrad, Die Beschlagnahme von Verteidigungsunterlagen, 2000, S. 173 ff.; Lisken, Rechtsschutzbedrfnis bei berprfung erledigter Anordnungen zu Durchsuchung und Beschlagnahme, StV 1997, 396; Lffler, Die Herausgabe von beschlagnahmten oder sichergestellten Sachen im Strafverfahren, NJW 1991, 1705; Lorenz, Grenzen des strafprozessualen Zugriffs auf Tagebcher, JR 1994, 430; Lhrs, Eingeschrnkte Beschlagnahmemglichkeiten von „Mailbox-Systemen“ aufgrund des Fernmeldegeheimnisses?, wistra 1995, 19; Odenthal, Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nach Erffnung des Hauptverfahrens, StV 1991, 441; Ost, Zur Beschlagnahme des Testaments eines Klienten beim Berufsgeheimnistrger, wistra 1993, 177; Schfer, G., Der Schutz von Verteidigungsunterlagen und Verteidigungsstrategie gegen Eingriffe der Strafverfolgungsorgane, FS Hanack (1999); Schfer, H., Die Rckgabe beschlagnahmter Beweismittel nach Rechtskraft des Urteils, wistra 1984, 136; Schuhmann, Zur Beschlagnahme von Mandantenunterlagen bei den Angehrigen der rechts- und steuerberatenden Berufe, wistra 1995, 50; Waldowski, Durchsuchung und Beschlagnahme in der Anwaltskanzlei, AnwBl. 1975, 106 ff.; Weinmann, Die Beschlagnahme von Geschftsunterlagen des Beschuldigten bei Zeugnisverweigerungsberechtigten, FS Dnnebier (1982), S. 199; Wilhelm, Allgemeine Beschlagnahme bei Presseinhaltsdelikten, NStZ 1996, 204; Wolf, Zum Rechtsweg fr die Anfechtung von strafprozessual angeordneten und erledigten Durchsuchungen und Beschlagnahmen, StV 1992, 56.

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Bei Beschlagnahmeanordnungen, die normalerweise der Durchsuchung folgen, muß der Verteidiger beachten, daß sie nur zulssig sind, um Unterlagen oder Gegenstnde sicherzustellen, die Beweisstcke sind oder dem Verfall oder der Unbrauchbarmachung unterliegen (§ 94, § 111b). Man macht immer wieder die Erfahrung, daß diese Grenze berschritten wird. Das hngt damit zusammen, daß die Beschlagnahme, ihre Anordnung und ihre Durchfhrung das Ermittlungsverfahren in aller Regel erffnet. Vorgeschaltet ist allenfalls die Durchsuchung nach beschlagnahmefhigen Gegenstnden (Rn. 376 ff.).

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Wie bei der Durchsuchung ist die Mitwirkung des Verteidigers im Beschlagnahmeverfahren im allgemeinen darauf beschrnkt, eine nachtrgliche Kontrolle auszuben (Rn. 377; vgl. aber auch Rn. 282). Deshalb bleibt ihm in vielen Fllen nur die Beschwerde, die auch zulssig ist, falls die Beschlagnahme schon durchgefhrt ist. Zweckmßigerweise verbindet der Verteidiger die Beschwerde mit dem Antrag auf Akteneinsicht (Rn. 255). In geeigneten Fllen kann er sich auch die Beschwerde276

Andere vorlufige Maßnahmen

Rn. 388

begrndung vorbehalten, bis er die Akten eingesehen hat. Denn dann darf ohne Gewhrung der Akteneinsicht nicht zum Nachteil des Betroffenen entschieden werden178. Dieses Verfahren empfiehlt sich, falls die Beschwerde ohne Kenntnis der Akten, wenigstens der Niederschriften ber die bisherigen Vernehmungen der Beschuldigten und etwaiger Sachverstndigengutachten, nicht sachgerecht begrndet werden kann (Rn. 853). Falls nicht ein Richter die Beschlagnahme angeordnet hat, muß der Verteidiger berlegen, ob es sinnvoll ist, die richterliche Entscheidung zu beantragen (§ 98 Abs. 2 S. 2). Dazu ist der Betroffene jederzeit befugt. Geboten ist der Antrag insbesondere, wenn der Ermittlungsbeamte bei der Beschlagnahme deren gesetzliche Voraussetzungen verkannt hat. Hierzu gehrt der Tatverdacht. Es gengt nicht die bloße Vermutung einer strafbaren Handlung, es gengt auch nicht jeder Verdacht einer strafbaren Handlung im Sinne von § 152 Abs. 2 und § 160 Abs. 1, es mssen schon strker konkretisierte Umstnde vorliegen, die ein Gerichtsverfahren voraussehen lassen179. Das BVerfG wacht mit Strenge ber die Gesetzlichkeit des Eingriffs in den grundgesetzlich geschtzten Bereich des Betroffenen. Formelhafte oder sonst drftige Beschlsse lßt es nicht durchgehen180. Wie berall gilt hier auch der Grundsatz der Verhltnismßigkeit. Je schwerer der Eingriff, desto erheblicher muß der Verdacht sein181.

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In diesen Zusammenhang gehrt auch „die Verhaftung des Gedankens“, d. h. die Pressebeschlagnahme, die Beschlagnahme sonstiger periodischer Druckwerke sowie entsprechender Unterlagen von Rundfunk und Fernsehen. Nachdem das Redaktionsgeheimnis durch §§ 53 Abs. 1 Nr. 5, 97 Abs. 5 umfassend geschtzt ist182, sind Beschlagnahmeaktionen nur noch in sehr begrenztem Rahmen zulssig183, wobei dem in § 111m und § 111n konkretisierten Verhltnismßigkeitsgrundsatz besondere Bedeutung zukommt.

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Fehler werden hufig bei der Postbeschlagnahme gemacht, die alle Postsendungen und den Telefonverkehr des Beschuldigten betreffen kann (§§ 99, 100, 100a). Es ist Aufgabe des Verteidigers, auch hier darauf zu

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178 BVerfG, NJW 1965, 117. 179 BGHSt. 9, 351, 355. 180 Vgl. nur BVerfG, wistra 2004, 295; BVerfG, NStZ 2002, 212; BVerfG, NJW 1992, 551. 181 Meyer-Goßner, § 94 Rn. 18. 182 Dazu Lwe/Rosenberg/Dahs[25], § 53 Rn. 43 ff. 183 BVerfGE 77, 65; Groß, StV 1996, 559; Pfeiffer, NStZ 1983, 208.

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Rn. 389

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

achten, daß die gesetzlichen Grenzen eingehalten werden. Zu beanstanden hat der Verteidiger, wenn Ermittlungspersonen, insbesondere die Polizei die Postbeschlagnahme anordnen. Befugt hierzu ist nur der Richter, im Falle eines Vergehens bei Gefahr im Verzug auch der Staatsanwalt, niemals die Polizei (§ 100 Abs. 1). Der Vollzug einer staatsanwaltschaftlichen oder richterlichen Beschlagnahmeanordnung obliegt ausschließlich der Post. Der Verteidiger darf nicht versumen, die Poststellen darauf hinzuweisen, daß eine staatsanwaltschaftliche Beschlagnahmeanordnung ohne richterliche Besttigung nach drei Tagen außer Kraft tritt (§ 100 Abs. 2). Auch muß er darauf bestehen, daß die Staatsanwaltschaft Briefe und andere Postsendungen ungeffnet dem Richter vorlegt (§ 100 Abs. 1)184, wenn dieser seine Befugnis nicht auf die Staatsanwaltschaft bertragen hat. Ob diese Delegation (noch) rechtmßig ist, hat der Verteidiger laufend zu berprfen. Bei der Durchsicht der weggenommenen Postsendungen sollte der Verteidiger seine Anwesenheit erwirken (§§ 110 Abs. 3, 106). Der Verteidiger muß stets kontrollieren, ob die Aufrechterhaltung der Postbeschlagnahme noch gerechtfertigt ist. Dabei hat er im Zusammenhang mit dem Verhltnismßigkeitsgrundsatz auch auf die wirtschaftlichen Nachteile hinzuweisen, die dem Betroffenen drohen (s. Nr. 77 Abs. 1 RiStBV). Auch ist die Beschlagnahme aller Postsendungen kaum einmal begrndet: meist ist eine Beschrnkung auf den Postverkehr mit bestimmten Personen oder auf eine bestimmte Art von Postsendungen geboten (Nr. 77 Abs. 3 RiStBV). 389

Dem Verteidiger obliegt es besonders, darauf zu achten, daß die Beschlagnahmeverbote eingehalten werden (§ 97). Erfahrungsgemß tauchen hier vor allem Probleme auf, wenn die Ermittlungsbehrden versuchen, rztliche Aufzeichnungen, Anwaltsakten, Unterlagen von Wirtschaftsprfern185 oder anderes Verteidigungsmaterial zu beschlagnahmen, das nicht im Gewahrsam der zeugnisverweigerungsberechtigten Personen ist186. Es ist heute anerkannten Rechts, daß auch Unterlagen, die der Betroffene erkennbar zu seiner Verteidigung in dem gegen ihn anhngigen Verfahren angefertigt hat, weder beschlagnahmt noch gegen seinen Widerspruch verwertet werden drfen187. Im Mittelpunkt der berlegungen steht insoweit nicht selten die Entbindung von der Schweigepflicht. Der Verteidiger hat den Mandanten darber zu belehren, daß die Beschlagnahme solcher Un-

184 Hierzu Wagner, MDR 1961, 97; Lttger, MDR 1961, 809. 185 LG Bonn, StV 2002, 68 m. Anm. Wehnert. 186 BVerfG, NStZ 2002, 377 (Notebook); LG Frankfurt, StraFo 2004, 239 (anwaltliches Strategiepapier); Dahs, GS Meyer (1990), S. 61; Lwe/Rosenberg/ G. Schfer[25], § 97 Rn. 85 ff.; Meyer-Goßner, § 97 Rn. 37 m. N. 187 BGH, NStZ 1998, 309.

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Andere vorlufige Maßnahmen

Rn. 390

terlagen grundstzlich zulssig wird, sobald der Berechtigte den Schweigeberechtigten, z. B. den Arzt von der Schweigepflicht entbindet188. Ob dies geschehen soll, hngt von der Lage des Einzelfalles ab. Es ist jeweils zu prfen, auf welche Umstnde sich die Schweigepflicht des Geheimnistrgers erstreckt. In Zweifelsfllen ist es besser, den Arzt o. a. nicht von der Schweigepflicht zu entbinden, um die Beschlagnahme zu verhindern. Dann bleiben auch in jedem Falle die im Bereich des Arztes oder z. B. des Zivil-Anwalts ruhenden Geheimnisse geschtzt, die dem Betroffenen selbst gar nicht bekannt sind, etwa unbekannte rztliche Befunde oder kritische Aufzeichnungen des Arztes ber den Patienten oder des Anwalts ber seinen Mandanten. Freilich muß der Verteidiger bedenken, daß die Ermittlungsbehrden aus der Weigerung nachteilige Schlsse ziehen knnen. Deshalb kann es z. B. geboten sein, dem Arzt keine allgemeine Genehmigung zu erteilen, sondern durch eine ausdrckliche Beschrnkung die Befreiung auf bestimmte Tatsachen zu beschrnken, etwa auf ein bestimmtes Leiden oder die Folgen eines bestimmten Unfalles. Das ist zulssig189. Eine Absicherung ist auch in der Form mglich, daß der Beschuldigte dem Arzt erlaubt, den Verteidiger ber den Inhalt der rztlichen Aufzeichnung zu informieren. Dann erfhrt der Verteidiger zuverlssig etwaige Bedenken des Arztes, ihn von der Schweigepflicht zu entbinden. Bei der Beratung des Mandanten sollte der Verteidiger auch daran denken, daß sich in rztlichen Unterlagen nicht selten Geheimnisse dritter Personen befinden, etwa naher Angehriger des Beschuldigten. Solche Geheimnisse sind geschtzt, sofern diese Personen den Arzt nicht ebenfalls von der Schweigepflicht entbinden. Werden die Geheimnisse gleichwohl aufgedeckt, so drfen sie nicht gegen die Betroffenen verwertet werden. Dieses Verwertungsverbot gilt auch dann, wenn die Beschlagnahme zulssig war, weil der Arzt selbst Beschuldigter ist190. Die Anordnung zur Beschlagnahme von Handakten des Verteidigers muß ausnahmslos bekmpft werden, sofern ihre Beschlagnahmefreiheit nicht aus den Grnden des § 97 Abs. 2 zweifelsfrei aufgehoben ist191. Nur in diesen Grenzen sind die Handakten des Verteidigers schlechthin beschlag-

188 189 190 191

BGHSt. 38, 144; OLG Hamburg, NJW 1962, 689. OLG Hamburg, NJW 1962, 690. OLG Celle, NJW 1963, 406. Vgl. dazu BGH, NJW 1973, 2034 m. Anm. Specht, NJW 1974, 65; Roxin, JR 1974, 115; Welp, JZ 1974, 423; Krekeler, AnwBl. 1977, 367; Schller, StV 1985, 169; OLG Frankfurt, StV 1992, 64; BGH, NStZ 1983, 85 (Verwertung, obwohl Tatverdacht entfallen war).

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Rn. 391

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

nahmefrei192. Sein Gewahrsam ist aber nicht geschtzt, wenn er Gegenstnde in Besitz hat, die unter den Begriff der instrumenta et producta sceleris fallen oder die sonst aus der Straftat herrhren (Beispiel: die geflschte Urkunde, die gesuchte Kartellvereinbarung, die vermißten Geschftsunterlagen u. .). Der Gewahrsam des Verteidigers ist ebenso wie derjenige des Arztes dann nicht geschtzt, wenn er einer Teilnahme oder Strafvereitelung verdchtigt ist. Aus diesen Grnden muß der Verteidiger schon den leisesten Anschein vermeiden, als ob er mit dem Beschuldigten gemeinsame Sache mache. Das hat nicht nur fr ihn strafrechtliche und berufsrechtliche Folgen, auch der Mandant muß mit Nachteilen rechnen, eben gerade der Durchbrechung des Beschlagnahmeverbots, wenn der Verteidiger sich unkorrekt verhlt. Lßt er sich beispielsweise verleiten, Schriftstcke aus der Haftanstalt zu schmuggeln, durch die Zeugen beeinflußt werden sollen (Rn. 361), so entfllt das Beschlagnahmeverbot wegen des Verdachts der Strafvereitelung. Besondere Vorsicht ist auch geboten, wenn der Mandant oder ein Dritter dem Verteidiger Gegenstnde bergeben wollen, die zu der Straftat in Beziehung stehen knnen. Bro und Wohnung des Verteidigers sind denkbar ungeeignete Aufbewahrungsorte fr solche Sachen (Rn. 62). Hat der Verteidiger auch nur die Vermutung, daß sie mit der strafbaren Handlung zusammenhngen, so muß er ihre Entgegennahme ablehnen. Das gilt erst recht, wenn es sich um Gegenstnde handelt, deren Beschlagnahme bereits angeordnet ist. Trifft der Verteidiger in Konfliktfllen eine falsche Entscheidung, so gibt er damit den Schutz des Beschlagnahmeverbotes auf. 391

Ein Sonderproblem ist die Beschlagnahme von Akten der Syndikusanwlte in Ermittlungsverfahren, die sich gegen Angehrige des Unternehmens richten, in dem sie ttig sind. Das liegt daran, daß Syndikusanwlte hufig neben eindeutig selbstndiger anwaltlicher Ttigkeit auch in Unternehmensaufgaben eingebunden sind, die den Bereich des Managements im weitesten Sinne betreffen, sie insoweit weisungsgebunden sind und daher die in §§ 53 Abs. 1 Nr. 3, 97 Abs. 1 Nr. 1 vorausgesetzte Selbstndigkeit und Unabhngigkeit fehlt193. Fr die Beschlagnahmefreiheit entscheidend ist eine ußerliche Separierung des „Anwaltsbereichs“, insbesondere der anwaltlichen Akten und Unterlagen, z. B. durch entsprechend gekennzeichnete Zimmer, Schrnke oder Regalabteilungen und die Zugangseinschrnkung auf den Syndikus, der z. B. allein ber entsprechende 192 Lwe/Rosenberg/G. Schfer[25], § 97 Rn. 96, 97, der selbst die Beschlagnahme bei einem teilnahmeverdchtigen Verteidiger whrend einer bestehenden Verteidigung ablehnt; KK-Nack, § 97 Rn. 39 („exzeptionelle Ausnahmeflle“). 193 Dazu i. e. Roxin, NJW 1992, 1129, 1134 m. N.; Hassemer, wistra 1986, 1, 14; Dahs, Mnchener Kommentar zum StGB, § 356 Rn. 17.

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Andere vorlufige Maßnahmen

Rn. 392

Schlssel verfgt194. Haben dagegen Mitglieder der Unternehmensleitung oder andere nach eigener Entscheidung Zugang zu den Akten (Mitgewahrsam), sollen die Voraussetzungen des § 97 Abs. 2 nicht gegeben sein195. Beim Aufbau einer Verteidigung unter Einbeziehung von Syndikusanwlten (Rn. 141 f., 1145) muß auf diese Umstnde geachtet werden; hufig wird es sich empfehlen, daß der Syndikus zustzlich als Verteidiger bestellt wird. Dabei wird die Frage mglicher Interessenkollision (Rn. 142) jeweils besonderer Prfung bedrfen. Die Erfahrung lehrt, daß Staatsanwaltschaft und Instanzgerichte der Syndikusttigkeit eher kritisch gegenberstehen und nach Mitteln und Wegen suchen, auf deren Arbeitsbereich Zugriff zu erhalten. In Gewissenskonflikte kommt der Verteidiger, wenn die Strafverfolgungsbehrde unter Hinweis auf die Entbindung von der Schweigepflicht durch den Mandanten Herausgabe einzelner Schriftstcke oder der ganzen Handakte begehrt. Folgt er diesem Verlangen nicht, muß er mit der Beschlagnahmeanordnung rechnen. Die Handakten enthalten aber vielfach Unterlagen und Aufzeichnungen des Verteidigers, die den Beschuldigten nicht nur entlasten, sondern auch belasten. Der Verteidiger verletzt seine Schweigepflicht, falls er diesen Inhalt der Handakten ohne spezifisches Einverstndnis des Mandanten preisgibt (Rn. 47). Er muß daher dem Mandanten klarmachen, daß das Beschlagnahmeverbot an das Recht des Verteidigers auf Verweigerung des Zeugnisses geknpft ist. Ggfs. muß er dem Beschuldigten empfehlen, ihn nicht von der Schweigepflicht zu entbinden oder diese Erklrung zurckzunehmen, da sonst die Beschlagnahmefreiheit in vollem Umfang aufgehoben wird (Rn. 389). Weiterhin hat er zu prfen, ob seine Handakten oder die ihm bergebenen Schriftstcke Umstnde offenbaren, die zwar mit dem eigentlichen strafrechtlichen Vorwurf des anhngigen Verfahrens nichts zu tun haben, die aber Hinweise auf andere Straftaten des Beschuldigten oder dritter Personen enthalten. Allerdings kann auch insoweit ein Verwertungsverbot bestehen196. Generell ist der Verteidiger verpflichtet, sich nachdrcklich gegen Durchsuchungsanordnungen zu wehren, die seinen Gewahrsamsbereich betreffen. Das kann er allerdings nur, wenn sein korrektes Verhalten außer Zweifel steht.

194 Hassemer, wistra 1986, 1, 14; Roxin, NJW 1992, 1129, 1134 m. N.; LG Frankfurt, WM 1995, 47, 48; AG Dsseldorf, Beschl. v. 14. 11. 1997 – 151 Gs 1897/ 97 – unv. 195 LG Frankfurt, WM 1995, 47, 48; AG Dsseldorf, Beschl. v. 14. 11. 1997 – 151 Gs 1897/97 – unv.; die zustzlich eine „Sperrwirkung“ der anwaltlichen Ttigkeit in § 46 Abs. 2 BRAO ableiten. 196 Vgl. dazu Meyer-Goßner, § 97 Rn. 49 m. N.

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Rn. 393 393

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

In allen Beschlagnahmefllen muß der Verteidiger im Auge behalten, daß nicht jede berschreitung des Beschlagnahmeverbots die Verwertung etwa vorgefundener Beweismittel untersagt. So besteht kein Verwertungsverbot bei freiwilliger Herausgabe durch den Beschuldigten oder durch eine Person, die zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt ist. Gibt z. B. ein Verteidiger seine Handakten (oder ein Arzt seine Aufzeichnungen) heraus, ohne von der Schweigepflicht entbunden zu sein und ohne daß einer der Flle des § 97 Abs. 2 gegeben ist, so hilft der nachtrgliche Widerspruch nichts. Die etwa aus den Akten aufgedeckten belastenden Umstnde drfen gegen den Beschuldigten verwendet werden. In diesem Zusammenhang muß der Verteidiger auch bercksichtigen, daß gegenber einem zeugnisverweigerungsberechtigten Angehrigen die Verpflichtung zur Belehrung ber das Verbot der Beschlagnahme und der Verwertung besteht. Ermittlungsorgane und Instanzgerichte bersehen vielfach, daß freiwillig herausgegebene oder beschlagnahmte Gegenstnde (insbesondere Schriftwechsel) nicht verwertet werden drfen, wenn der weigerungsberechtigte Angehrige auf das Beschlagnahmeverbot nicht ausdrcklich hingewiesen worden ist und sich deshalb der Bedeutung seiner Erklrung nicht bewußt war197. In der Praxis sind dies die Flle, in denen die Beschlagnahme im Bereich des Angehrigen zulssig ist, weil gegen ihn Teilnahmeverdacht besteht (§ 97 Abs. 2). Hier muß der Verteidiger bercksichtigen, daß nur solche Gegenstnde beschlagnahmt werden drfen, die mit diesem Verdacht etwas zu tun haben. Werden z. B. belastende Schriftstcke gefunden, die mit diesem Verdacht in keinem Zusammenhang stehen, so drfen sie weder gegen den Beschuldigten noch gegen den Angehrigen verwendet werden, auch nicht in anderen Verfahren198.

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Wenn es im Verfahren nicht zu einer Verurteilung des Beschuldigten kommt, muß der Verteidiger prfen, ob ein Anspruch auf Entschdigung wegen der Beschlagnahme in Betracht kommt (§§ 2 ff. StrEG) (Rn. 366 ff.). Die Rckgabe beschlagnahmter Sachen soll nach Meinung des 3. Zivilsenats des BGH an den Ort erfolgen, an dem die Sachen aufzubewahren waren (§ 97 BGB analog)199. In allen Fllen der Beschlagnahme und der Durchsuchung sollte der Verteidiger auch prfen, ob dem Mandanten empfohlen werden kann, Amtshaftungsansprche geltend zu machen. Schuldhaft rechtswidrige Maßnahmen bei Anordnung und Durchfhrung der Beschlagnahme lsen den 197 BGHSt. 18, 227; KK-Nack, § 97 Rn. 3. 198 BGHSt. 18, 227; Lwe/Rosenberg/G. Schfer[25], § 97 Rn. 80. 199 BGH, NJW 2005, 988; Hoffmann/Knierim, NStZ 2000, 461 ff.

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Andere vorlufige Maßnahmen

Rn. 395

Regreßanspruch aus, falls ein Schaden entstanden ist. Auch ein eigener Schaden des Verteidigers kann in Betracht kommen, etwa wenn wegen unzulssiger Beschlagnahme Akten nicht weiterbearbeitet werden knnen oder ihm Mandate entzogen werden. Indessen bedarf es stets sorgsamer berlegung, ob die rechtswidrige Anordnung dem Beamten als Verschulden zuzurechnen ist (Rn. 372). c) berwachung von Kommunikation und Telekommunikation sowie Observation Bernsmann, Zum Umfang der gerichtlichen Kontrollen der tatschlichen Voraussetzungen fr die Anordnung einer Telefonberwachung, NStZ 1995, 512; Bernsmann, Heimliche Ermittlungsmethoden und ihre Kontrolle – Ein systematischer berblick, StV 1998, 217; Beulke, berwachung des Fernsprechanschlusses des Verteidigers, Jura 1986, 642 ff.; Burhoff, Auskunft ber Telekommunikationsverbindungsdaten, ZAP Fach 22, 359; Demko/Wohlers, Der strafprozessuale Zugriff auf Verbindungsdaten (§§ 100 g, 100 h StPO), StV 2003, 241; Eisenberg/Singelstein, Zur Unzulssigkeit der heimlichen Ortung per stiller SMS, NStZ 2005, 62; Eisenberg, Zur Unzulssigkeit optischer Ermittlungsmaßnahmen (Observation) betreffend eine Wohnung, NStZ 2002, 638; Globig, Zur Vernichtung der Niederschriften ber eine Telefonberwachung, StV 1994, 286; Hassemer, Telefonberwachung und Gefahrenabwehr, ZRP 1991, 289; Hefendehl, Observation im Spannungsfeld von Prvention und Repression, StV 2000, 270; Hilger, Gesetzgebungsberichte zu §§ 100g, 100h StPO, GA 2002, 228; zu § 100i, GA 2002, 557; Kpper, Zur Verwertung von Beweisen aus einer Telefonberwachung und deren berprfbarkeit, JR 1996, 214; Mahnkopf, Telefonberwachungsmaßnahmen bei Opfern von Schutzgelderpressungen ohne deren Einwilligung, NStZ 1995, 112; Mann, Prventiver Lauschangriff via Telefon?, ZRP 1995, 180; Michalke, Digitale Daten im Spannungsfeld – Chancen der Verteidigung, StraFo 2005, 91; Palm, Der BGH und der Zugriff auf Mailboxen, NJW 1997, 1904; Strmer, Der gerichtliche Prfungsumfang bei Telefonberwachungen – Beurteilungsspielraum bei Anordnungen nach § 100a StPO?, StV 1995, 653; Taschke, Zur Verwertbarkeit der Ergebnisse einer Telefonberwachung, StV 1990, 436; Welp, Strafprozessuale Zugriffe auf Verteidigerakten des Fernmeldeverkehrs, NStZ 1994, 209; Welp, Wird in das Fernmeldegeheimnis eingegriffen, wenn ein Polizeibeamter im Einverstndnis des Telefoninhabers ein Gesprch ohne Wissen des Gesprchspartners mithrt?, NStZ 1994, 294; Wolff, Anordnung der Auskunft ber Telekommunikationsverbindungsdaten gegen unbekannt?, NStZ 2003, 404; Zietsch, Telefonberwachung, Kriminalistik 1996, 129.

Die berwachung der Kommunikation, insbesondere der Aufnahme des Telefon-, Mobilfunk-, Fernschreib-, Telefax- und Funkverkehrs, des nichtffentlichen Gesprchs, das observierende Fotografieren und Filmen nach Maßgabe des komplizierten Vorschriften-Zyklus der §§ 100a bis 100i unterscheidet sich von den anderen vorlufigen Maßnahmen im Strafverfahren u. a. dadurch, daß der Betroffene davon erst nachtrglich – mglicherweise nach langer Zeit – erfhrt. Die Mglichkeit von Abhrmaßnahmen 283

395

Rn. 395

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

und Maßnahmen nach § 100c, g und i wird daher in erster Linie Gegenstand der prventiven umfassenden Beratung des Mandanten bei Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der in § 100a und 100c Abs. 1 nher bezeichneten Katalogstraftaten sein. Dabei ist von besonderer Bedeutung, daß auch Gesprche von und mit unbeteiligten, gutglubigen Dritten berwacht werden knnen200; sogar die Kontakte des Verdchtigen mit dem Verteidiger knnen davon betroffen werden201. Allerdings darf der Telefonanschluß des Verteidigers im Hinblick auf § 148 nicht abgehrt werden202. Ist die berwachung nachtrglich offengelegt, so muß der Verteidiger ihre formelle Ordnungsmßigkeit und materielle Rechtmßigkeit, diese besonders auch unter dem Verhltnismßigkeitsgrundsatz203 (Verdachtsgrad, Gewicht der vorgeworfenen Tatbeteiligung, Umfang und Dauer der berwachung) genau prfen und gegebenenfalls ein Verwertungsverbot geltend machen. So wird mit guten Grnden die Verwertung der Niederschrift ber ein Telefongesprch des Beschuldigten von seinem Anschluß mit seinem Verteidiger, der selbst unverdchtig ist, fr unzulssig gehalten (arg. ex § 148); insoweit soll auch ein Anspruch auf Vernichtung der Unterlagen bestehen204. Besonders problematisch sind die Folgewirkungen der berwachung in bezug auf Delikte des Beschuldigten, die nicht unter § 100a fallen sowie Erkenntnisse ber Straftaten oder Berufsvergehen (!) der unbeteiligten Gesprchspartner. Inwieweit derartige „Zufallsfunde“ verwertet werden drfen, ist umstritten und wird vielfach mit guten Grnden fr unzulssig erklrt werden knnen. berwiegend wird heute eine Unverwertbarkeit angenommen, wenn es sich nicht um Katalogtaten des Beschuldigten und Dritter handelt205. d) Krperliche Untersuchungen und Eingriffe Benfer, Zur Rechtmßigkeit von Blutprobenentnahmen bei Reihenuntersuchungen im Ermittlungsverfahren, NStZ 1997, 397; Graalmann-Scherer, DNA-Massentest de lege lata und de lege ferenda, NStZ 2004, 297; Lhrs, Genomanalyse im Strafverfahren, MDR 1992, 929; Malek/Wohlerse, Zwangsmaßnahmen und Grundrechtseingriffe im Ermittlungsverfahren, 2. Aufl., 2001; Mayer, Die Entnahme ei-

200 201 202 203 204

Meyer-Goßner, § 100a Rn. 10 m. N. BGH, NStZ 1988, 562. BGHSt. 33, 347; weit. N. bei Meyer-Goßner, § 100a Rn. 13. BVerfGE 30, 1, 20 ff.; BVerwG, StV 1991, 290. OLG Koblenz, StV 1994, 284; Strafrechtsausschuß der Bundesrechtsanwaltskammer, Beschl. v. 19. 6. 1981, RS Nr. 16/81. 205 Vgl. i. e. Meyer-Goßner, § 100a Rn. 18 ff.; KK-Nack, § 100a Rn. 80 ff.

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Andere vorlufige Maßnahmen

Rn. 397

ner Blutprobe nach §§ 81a, 81c StPO zum Zwecke der Feststellung einer AIDSInfizierung, JR 1990, 358; Rill/Vossel, Psychophysiologische Tterschaftsbeurteilung („Lgendetektion“, „Polygraphie“), NStZ 1998, 481; Rogall, Die Vergabe von Vomitivmitteln als strafprozessuale Zwangsmaßnahme, NStZ 1998, 66; Senge, Strafverfahrennderungsgesetz – DNA-Analyse, NJW 1997, 2409; Solbach, Krperliche Untersuchungen bei Verdacht intrakorporalen Drogenschmuggels, MedR 1987, 80; Weiler, Darf eine Blutprobe, die dem Angeklagten im Krankenhaus zur Vorbereitung einer Operation entnommen wurde, gerichtlich zum Beweis der BAK verwertet werden?, NStZ 1995, 98.

Die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Vorbereitung eines Gutachtens ber seinen psychischen Zustand (§ 81) wird der Verteidiger manchmal von sich aus anregen mssen. Freilich kann er hier in kaum lsbare Konflikte geraten. Er wird die Tatsachen, die fr die Anwendung des § 20 StGB sprechen, nicht vorbringen und damit auch die Unterbringung nicht anregen drfen, so lange der Auftraggeber gute Aussichten hat, aus anderen Grnden freigesprochen zu werden. Von der Anregung dieser Maßnahmen wird der Verteidiger auch absehen mssen, wenn der Mandant mit der Begutachtung und somit auch der Unterbringung nicht einverstanden ist. Der Verteidiger muß bercksichtigen, daß die Beobachtung in einem psychiatrischen Krankenhaus gleichsam nur letztes Mittel sein darf206. Gegen den Willen des Beschuldigten darf sie nur angeordnet werden, falls der Sachverstndige auf andere Weise kein sicheres Bild gewinnen kann207. Sie entfllt nach dem Grundsatz der Verhltnismßigkeit auch, wenn nur eine geringe Strafe zu erwarten ist208.

396

Zuvor ist allerdings die Frage zu entscheiden, ob die Verteidigung berhaupt auf Schuldunfhigkeit gesttzt werden soll – mit allen außerstrafrechtlichen Nachteilen, die dem Mandanten bei einem so erzielten „Erfolg“ drohen, z. B. beamtenrechtlicher, berufsrechtlicher, arbeitsrechtlicher Art, insbesondere auch der nicht lschungsfhigen Eintragung im BZRG (§§ 11, 45 Abs. 1). Ist der Wille des Mandanten nicht zuverlssig festzustellen oder zweifelhaft, ob er Bedeutung und Tragweite der Entscheidung erfaßt, wird sich der Verteidiger an seine Schweigepflicht (Rn. 44) gebunden sehen und entsprechende Antrge oder (auch versteckte) Anregungen unterlassen mssen209.

397

Vor der Entscheidung muß ein (fachlich geeigneter) Sachverstndiger gehrt und dem Verteidiger Gelegenheit gegeben werden, zu dem Gutachten 206 207 208 209

Lwe/Rosenberg/Krause[25], § 81 Rn. 14 m. N. BVerfG, StV 1995, 617. OLG Hamm, NJW 1960, 1400; Meyer-Goßner, § 81 Rn. 7. Vgl. dazu BRAK-Schriftenreihe, Bd. 8, S. 45 f.

285

Rn. 398

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

Stellung zu nehmen (§ 81 Abs. 1). Zur Vorbereitung der Stellungnahme muß deshalb rechtzeitig Akteneinsicht beantragt werden. Unter Umstnden ist auch die mndliche Anhrung des Mandanten am Platze, am besten in Anwesenheit des Sachverstndigen. Dieser muß den Beschuldigten ohnehin untersuchen und darf seine Gutachten nicht allein auf Grund des Akteninhalts oder telefonisch gewonnener Erkenntnisse abgeben210. Es ist Aufgabe des Verteidigers, auf tunliche Abkrzung der Unterbringung zu drngen. So ist nicht in jedem Falle die gesetzliche Hchstdauer von sechs Wochen erforderlich, obwohl sie in der Praxis oft gedankenlos hingenommen wird. Gegen Unterbringungsbeschlsse ist sofortige Beschwerde einzulegen, die aufschiebende Wirkung hat (§ 81 Abs. 4: Rn. 848) und auch gegen den Unterbringungsbeschluß des erkennenden Gerichts in der Hauptverhandlung statthaft ist. 398

Die krperliche Untersuchung des Beschuldigten (§ 81a) wird in der Regel stattgefunden haben, wenn ein Verteidiger beauftragt wird. Das gilt insbesondere fr die Entnahme einer Blutprobe in Verkehrsstrafsachen (Rn. 400). Ihre Verzgerung gefhrdet in der Regel den Untersuchungserfolg und darf daher von den Ermittlungspersonen, also der Polizei an Stelle des Richters angeordnet werden (§ 81a Abs. 2). Im allgemeinen kann der Beschuldigte den Verteidiger vorher nur in den Fllen um Rat bitten, in denen ein rztlicher Eingriff ernsterer Natur angeordnet wird, etwa die Hirnkammerfllung (Enzephalographie) im Zusammenhang mit einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Rn. 396). Die Unterbringungsanordnung allein deckt den Eingriff noch nicht, die Voraussetzungen des § 81a mssen gesondert beachtet werden211. Der Verteidiger muß den Mandanten darauf hinweisen, daß er nicht verpflichtet ist, bei seiner Untersuchung aktiv mitzuwirken. Der Beschuldigte braucht keine Fragen zu beantworten. Er hat die angeordnete Untersuchung lediglich zu dulden212. Freilich kommt es auf den Einzelfall an, ob diese Empfehlung richtig ist. Im Interesse des Mandanten kann es liegen, dem Arzt Aufklrung zu geben, z. B. ber Erkrankungen in der Familie und eigene Krankheiten. Der Verteidiger muß auch berlegen, ob er dem Beschuldigten nicht raten soll, sich einer Untersuchung freiwillig zu unterziehen. Dann erbrigt sich die behrdliche Anordnung der Untersuchung.

399

Bei der Untersuchungsanordnung treten gelegentlich Verfahrensfehler auf, die nicht nur eine Anfechtung des Beschlusses mit der (einfachen)

210 Meyer-Goßner, § 81 Rn. 11 m. N.; Lwe/Rosenberg/Krause[25], § 81 Rn. 17 m. N. 211 BGHSt. 8, 144. 212 Meyer-Goßner, § 81a Rn. 11.

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Andere vorlufige Maßnahmen

Rn. 400

Beschwerde rechtfertigen, sofern nicht das erkennende Gericht die Untersuchung angeordnet hat213, sondern auch fr die Frage bedeutsam sind, ob die Untersuchung fr das weitere Verfahren verwertbar ist. So darf die Untersuchung nicht angeordnet werden, falls der Grundsatz der Verhltnismßigkeit entgegensteht. Der Eingriff muß fr das Verfahren erheblich und durch die Schwere des Tatverdachts begrndet sein214. Die anordnende Behrde muß den Eingriff genau bezeichnen, er darf nicht dem rztlichen Ermessen berlassen bleiben215. Der Verteidiger muß sich auch mit der Frage befassen, ob nicht nachteilige gesundheitliche Folgen zu befrchten sind, die den Eingriff unzulssig machen. Hierbei muß er sich mit dem neuesten Stand der rztlichen Wissenschaft auseinandersetzen. So ist die Hirnkammerluftfllung heute durch die (nicht invasiven) Mglichkeiten der Elektroencephalographie (EEG) und der Computertomographie (CT) berholt216. In jedem Falle ist vorher eine ußerung des Sachverstndigen herbeizufhren, welche zustzlichen Erkenntnisse durch den Eingriff gewonnen werden knnen, der selbstverstndlich nur durch einen Arzt vorgenommen werden darf217. Das Problem der Verwertbarkeit stellt sich fr den Verteidiger vor allem in Verkehrsstrafsachen bei der Entnahme einer Blutprobe, die im Bußgeldverfahren auch von der Verwaltungsbehrde angeordnet werden darf (§ 46 Abs. 4 OWiG). Er darf nicht verkennen, daß alkoholisierte Verkehrsteilnehmer mit Recht einer strengen Beurteilung unterliegen. Gerade deswegen hat aber der Betroffene Anspruch darauf, daß die Verfahrensregeln genau eingehalten werden. Der Verteidiger muß in solchen Fllen dem in den Akten befindlichen Protokoll ber die Blutentnahme seine besondere Aufmerksamkeit widmen. Die Niederschrift weist manchmal formelle oder auch sachliche Fehler auf, die jedoch nur im Ausnahmefall die sachliche Verwertbarkeit im Prozeß in Frage stellen sollen. Der schriftliche Untersuchungsbericht und das Ergebnis der Blutprobe drfen nach § 256 Abs. 1 Nr. 3 und 1 verlesen werden. Die Vernehmung der beteiligten rzte ist die Ausnahme, z. B. wenn es darum geht, ob ohne Zustimmung des Beschuldigten nicht approbierte rzte, Pfleger oder Krankenschwestern die Blutprobe ohne Aufsicht eines approbierten Arztes entnommen haben sollen218.

213 Str. dazu Meyer-Goßner, § 81a Rn. 11 m. N.; Lwe/Rosenberg/Krause[25], § 81a Rn. 84 m. N. 214 BVerfG, NJW 1963, 1597 u. NJW 1970, 505. 215 OLG Celle, MDR 1956, 695; BayObLG, NJW 1957, 272. 216 Meyer-Goßner, § 81a Rn. 20; Lwe/Rosenberg/Krause[25], § 81 Rn. 57. 217 BGHSt. 24, 125; Meyer-Goßner, § 81a Rn. 32 m. N. 218 Dazu Meyer-Goßner, Rn. 81a Rn. 19.

287

400

Rn. 401

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

401

Was die Testbungen betrifft, so sollte der Verteidiger sein Augenmerk darauf richten, ob nicht der Beschuldigte in unzulssiger Weise zu einer aktiven Mitwirkung gebracht worden ist, zu der er nicht verpflichtet ist. Der Beschuldigte darf sich nach entsprechender Belehrung (§ 163a Abs. 4 i. V. m. § 136 Abs. 1 S. 2) freiwillig entscheiden, ob er die Fragen des Arztes beantworten und die bungen ausfhren will219. Indessen – auch daran sollte der Verteidiger denken – ist mit der Aufdeckung einschlgiger Fehler allein noch nicht viel gewonnen, weil zweifelhaft ist, ob sie die Verwertung des Untersuchungsergebnisses verbieten. Der Verteidiger sollte daher prfen, ob nicht die Regeln des § 136a zugunsten des Betroffenen eingreifen. Bei Unklarheiten, Widersprchen und Divergenzen mit anderen Ermittlungsergebnissen muß der Arzt als sachverstndiger Zeuge vernommen werden.

402

Gelegentlich wird der Verteidiger befragt, ob erkennungsdienstliche Maßnahmen gegen den Beschuldigten zulssig sind. Sie sind grundstzlich statthaft (§ 81b), jedoch ist – wie stets – der Grundsatz der Verhltnismßigkeit zu beachten. Auch hat der Beschuldigte nicht ohne weiteres einen Anspruch auf Entfernung der Lichtbilder und Fingerabdrcke aus den Polizeiakten (§ 483). Der Verteidiger muß ihn allerdings darauf hinweisen, daß er die Vernichtung der Unterlagen durch Verwaltungsgerichtsklage wenigstens dann erreichen kann, wenn das Verfahren jeden Verdacht beseitigt hat (Rn. 778)220.

403

Der Polygraphentest („Lgendetektor“) kommt als krperliche Untersuchung nicht in Betracht, nachdem der BGH ihn – auch auf freiwilliger Basis – fr unzulssig erklrt hat221.

404

Die krperliche Untersuchung von Zeugen (§ 81c) wirft fr den Verteidiger vor allem die Frage auf, ob das Untersuchungsergebnis verwertbar ist, auch wenn die Ermittlungspersonen die Voraussetzungen des Gesetzes nicht beachtet haben. Trotz fehlerhafter Durchfhrung der Untersuchung soll ihr Ergebnis dem Verfahren zugrunde gelegt werden knnen. Eine Ausnahme gilt indessen, wenn der Zeugnisverweigerungsberechtigte oder ggfs. der gesetzliche Vertreter nicht ber das Recht belehrt worden ist, die Untersuchung zu verweigern. Fehlt die Belehrung, so darf das Ergebnis der Untersuchung nicht verwendet werden222. Dabei muß der Verteidiger wissen, daß die Belehrungspflicht auch besteht, wenn der Zeuge freiwillig in 219 BGHSt. 34, 39; KK-Pelchen, § 81a Rn. 4. 220 BVerfGE 16, 89, 94; BGH, NJW 1975, 2075 f.; BVerwGE 11, 181; Meyer-Goßner, § 81b Rn. 23. 221 BGHSt. 44, 308; Meyer-Goßner, § 136a Rn. 24. 222 Meyer-Goßner, § 81c Rn. 24; BGHSt. 12, 235; BGH, StV 1993, 463.

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Andere vorlufige Maßnahmen

Rn. 405

die Untersuchung einwilligt. Sie entfllt schließlich nicht, wenn es sich um eine freiwillige Untersuchung handelt, zu der der Zeuge nach § 81c berhaupt nicht verpflichtet ist, z. B. einer Untersuchung auf seine Glaubwrdigkeit223. Die Frage der Zumutbarkeit der Untersuchung ist in jedem Fall zu prfen (§ 81c Abs. 4). e) „Genetischer Fingerabdruck“ (DNA-Analyse) Benfer, Zur Rechtmßigkeit von Blutprobeentnahmen bei Reihenuntersuchungen im Ermittlungsverfahren, NStZ 1997, 397; Burr, Das DNA-Profil im Strafverfahren, 1995; Busch, Einwilligung in die DNA-Analyse als Ersatz der richterlichen Anordnung?, StraFo 2002, 46; Busch, Die Speicherung von DNA-Identifizierungsmustern in der DNA-Analyse-Datei, NJW 2002, 1754; Busch, Die Zulssigkeit molekulargenetischer Reihenuntersuchungen, NJW 2001, 1335; Endriß/Kinzig, Betubungsmittel und DNA-Analyse, NStZ 2001, 299; Fischer/Sprenger, Zur Erforderlichkeit der richterlichen Anordnung von DNA-Analysen, NJW 1999, 1830; Germann, „DNA-Fingerprinting“, Kriminalistik 1997, 673; Keller, Die Genomanalyse im Strafverfahren, NJW 1989, 2289; Krieglstein, Der genetische Fingerabdruck zur Personenidentifizierung im Strafverfahren, 1994; Rackow, Rechtsprobleme bei der Ausweitung der DNA-Analyse, Kriminalistik 2003, 476; Schneider/Rittner, Genprofile von Sexualstrafttern, ZRP 1998, 64; Senge, Strafverfahrensnderungsgesetz – DNA-Analyse, NJW 1997, 2409; Taschke/Breidenstein, Die Genomanalyse im Strafverfahren, 1995; Volk, E., DNA-Identittsfeststellungsgesetz, NStZ 2002, 561; Wiegand/Kleiber/Brinkmann, DNA-Analytik, Kriminalistik 1996, 720. Vgl. i. . die umfangreichen Nachweise und Erluterungen bei Lwe/Rosenberg/ Krause[25], § 81a.

Die molekulargenetische Untersuchung (DNA-Analyse) betrifft die Untersuchung von Krpermaterial, das nach § 81a Abs. 1 (Rn. 398) gewonnen worden ist. Dabei wird aufgefundenes Krpermaterial des Tatopfers oder eines anderen „Spurenlegers“ (z. B. Blut, Haar, Sperma, Hautfetzen u. a.) genetisch analysiert und mit der genetischen Struktur vergleichbaren Materials des Beschuldigten und/oder Dritter verglichen (z. B. Verdchtige, Zeugen, Unverdchtige). Die Methode dient der Identifizierung von Personen, die mit einem Tatopfer oder Gegenstnden in Kontakt genommen sind oder sich an einem verfahrensrelevanten Ort aufgehalten haben224. Die Ergebnisse der DNA-Analyse haben fr die Beweisfhrung einen zwar hohen, aber keinen absoluten Beweiswert225. Sie machen die Beweisaufnahme und die umfassende Wrdigung ihrer Ergebnisse nicht berflssig226. Fr den Verteidiger wichtig ist der Umstand, daß ein Beweisantrag (Rn. 641 ff.) auf Durchfhrung einer DNA-Analyse zur Entlastung des Beschuldigten in 223 224 225 226

BGHSt. 36, 217; jedoch nur fr Zeugen, die Verweigerungsrecht haben. So etwa steht es in § 81e. So schon Leitsatz BGHSt. 38, 320; Vogt, StV 1993, 175. BGH, NStZ 1994, 554.

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405

Rn. 405

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

der Regel nicht abgelehnt werden darf227. Ist Spurenmaterial vorhanden oder Vergleichsmaterial zu beschaffen, so gebietet schon die Aufklrungspflicht nach § 244 Abs. 2 die Durchfhrung der Untersuchung228. Wegen ihres hohen Beweiswertes ist die DNA-Analyse fr die Verteidigung Chance und Risiko zugleich. Dies erfordert eine umfassende und sorgfltige Aufklrung des Mandanten, bevor entsprechende Verteidigeraktivitten entfaltet werden. Gegen eine von den Ermittlungsbehrden oder dem Gericht angeordnete Maßnahme, deren Durchfhrung auf § 81a Abs. 1 oder § 81c beruht, bestehen allerdings nur geringe Verteidigungschancen (Rn. 398 f.). Umsomehr ist der Verteidiger aufgerufen, das Zustandekommen der Anordnung rechtlich und des Analyseergebnisses in der Sache kritisch zu hinterfragen. Seine Prfung muß sich dabei zunchst auf die Gewinnung des Materials vom Tatopfer, Tatort u. a. beziehen, sodann auf die Behandlung des Materials in der Folgezeit und schließlich auf die Durchfhrung der Analyse. Wenn bei der Verfolgung besonders schwerwiegender oder ffentlichen Abscheu erregender Straftaten, z. B. Sexualstraftaten (an Kindern) mit Ttung des Opfers sog. „Massentests“ durchgefhrt werden, z. B. die gesamte mnnliche Bevlkerung des Ortes einer bestimmten Altersgruppe oder hnlicher Gruppen aufgefordert sind, „freiwillig“ Testmaterial zur Verfgung zu stellen, mssen Fehler bei der Materialgewinnung und Verwechslungen ausgeschlossen sein, was der Verteidiger ggfs. kritisch nachprfen muß. Die Erfllung dieser Aufgabe setzt eine Einarbeitung in die Materie voraus, die mit Hilfe des Schrifttums, durch Einholung von Ausknften entsprechender Institute, Befragung von Sachverstndigen oder Teilnahme an Fachveranstaltungen erfolgen kann. Wird durch Ermittlungsbehrden, insbesondere die Polizei, zur freiwilligen Teilnahme an Massentests aufgerufen, so begrndet die Verweigerung der Teilnahme zwar keinen Anfangsverdacht i. S. des § 152 Abs. 2, es muß aber damit gerechnet werden, daß die Polizei gleichwohl den Testverweigerern ihr besonderes Augenmerk widmen und sie als Zeugen ber ihr Alibi zur Tatzeit u. a. vorladen wird. Aus der Sicht der Praxis ist der Testverweigerer nur noch „hauchdnn“ vom Anfangsverdacht entfernt. Vor diesem Hintergrund kann man bezweifeln, ob die Aufforderung von Ermittlungsbehrden an einen großen unverdchtigen Personenkreis, sich „freiwillig“ dem DNA-Test zu unterwerfen, mit dem Geist eines rechtsstaatlichen Verfahrens in Einklang zu bringen ist. Andererseits kann gerade der Verteidiger in die Lage kommen, im Interesse seines Klienten die Durchfhrung solcher „Massentests“ zu beantragen und an dessen Ver227 BGH, NJW 1990, 2328. 228 BGH, NStZ 1991, 399.

290

Andere vorlufige Maßnahmen

Rn. 406

weigerung durch Einzelpersonen Verdachtsgrnde zu knpfen. So erweist sich die DNA-Analyse auch unter diesem Aspekt als ein durchaus zweischneidiges Schwert. Zur Durchfhrung der Materialgewinnung von Beschuldigten oder anderen Personen ist auf die Ausfhrungen des § 81a (Rn. 398) und das Gesetz zur Novellierung der forensischen DNA-Analyse (2005) zu verweisen.

f) Vorlufige Entziehung der Fahrerlaubnis Beck'sches Formularbuch/Gillmeister, 4. Aufl., 2002, S. 852 ff.; Gebhardt, Verwaltungsrechtliche Folgen eines strafrechtlichen Fhrerscheinverfahrens, StraFo 1997, 41; Hentschel, Trunkenheit, Fahrerlaubnisentziehung, Fahrverbot im Straf- und OWi-Recht, 9. Aufl., 2003; Himmelreich, Fahrverbot, Fhrerscheinentzug, 8. Aufl., 2005; Himmelreich/Janker, MPU-Begutachtung, 2. Aufl., 1998; Lenhard, Das Erfordernis tatrichterlicher Feststellungen ber die Eignung im Hinblick auf Anordnung einer MPU durch die Fahrerlaubnisbehrde – Bindungswirkung, DAR 2002, 203; Loos, Vorlufige Entziehung der Fahrerlaubnis wegen relativer alkoholbedingter Fahruntchtigkeit und Entschdigung nach dem StrEG, JR 1990, 438; Matt, Handbuch des Fachanwalts Strafrecht (Bockemhl), 2. Aufl., 2001, S. 501 ff.; Meyer, Beschlagnahme auslndischer Fhrerscheine, DAR 1991, 442; Mller/Freyschmidt, Verteidigung in Straßenverkehrssachen, 8. Aufl., 2005.

Im Verfahren der vorlufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111 a) sieht sich der Verteidiger hnlichen Problemen gegenber wie bei der Verhaftung des Beschuldigten (Rn. 331 ff.). Er muß prfen, ob der Beschluß, der die Fahrerlaubnis vorlufig entzieht, auf dem Verdacht einer strafbaren Handlung und auf dringenden Grnden dafr beruht, daß die Fahrerlaubnis endgltig entzogen werden wird. Das ist nichts anderes als der dringende Tatverdacht, bezogen auf die Voraussetzungen des § 69 StGB. Daher ist es Pflicht des Verteidigers, die vorlufige Entziehung der Fahrerlaubnis auch in der Richtung zu prfen, ob nach der Tat und nach der Persnlichkeit des Beschuldigten mit der Entziehung im Urteil zu rechnen ist. Hier hat er insbesondere darauf zu achten, daß die Gerichte nicht schematisch und formularmßig vorgehen. Die Praxis der Verkehrsgerichte neigt in besonderem Maße zur Vereinfachung. Das ist begreiflich, weil sie sonst die Masse der Verfahren nicht bewltigen knnte. Gerade darum ist es Aufgabe des Verteidigers, sorgfltig abzuwgen, ob der ihm anvertraute Einzelfall eine solche Behandlung vertrgt. Kommt er zu der berzeugung, daß das Individualinteresse gegenber dem Schutz der Allgemeinheit vor weiterer Gefhrdung nicht gengend bercksichtigt ist, so muß er sich fr die Rckgabe des Fhrerscheins schon vor Abschluß des Verfahrens einsetzen, ggfs. ist auch die Beschrnkung der vorlufigen Entziehung auf bestimmte Fahrzeugarten zu erreichen (§ 111a Abs. 1 S. 2), z. B. bei einem Landwirt. 291

406

Rn. 407 407

Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren

Der Verteidiger muß allerdings bercksichtigen, daß es in vielen Fllen nicht zweckmßig ist, eine richterliche Entscheidung nach § 111a herbeizufhren oder gegen einen solchen Beschluß Beschwerde einzulegen. Der Betroffene kann zwar bei polizeilicher Wegnahme des Fhrerscheins richterliche Entscheidung beantragen (§ 98 Abs. 2 S. 2), an deren Stelle die Beschlußfassung ber die vorlufige Entziehung der Fahrerlaubnis tritt (§ 111a Abs. 4), die wiederum mit der Beschwerde anfechtbar ist. Wie im Haftrecht (Rn. 348) darf der Verteidiger aber nicht bersehen, daß die Ausnutzung der Rechtsbehelfe zu einer hufig betrchtlichen Verzgerung des Verfahrens fhrt. Darauf hat er den Auftraggeber hinzuweisen, der verstndlicherweise auf frhzeitige Rckgabe des Fhrerscheins drngt. Die Erfahrung zeigt, daß es nicht angebracht ist, richterliche Entscheidungen zu beantragen, wenn von vornherein feststeht, daß die endgltige Entziehung der Fahrerlaubnis mit Sicherheit zu erwarten ist. Auch kann der Verzicht auf solche Antrge im Endergebnis bei der Bemessung der Sperrfrist honoriert werden. Ein richtiges Urteil kann der Verteidiger sich hier nur bilden, wenn er sich im Falle der Trunkenheitsfahrt frhzeitig Aufschluß ber das Ergebnis der Blutprobe (Rn. 400) verschafft. Im allgemeinen gibt die Polizei dem Verteidiger oder dem Betroffenen Auskunft ber den festgestellten Alkoholgehalt. berhaupt sollte der Verteidiger in Fllen der vorlufigen Entziehung und der bloßen Wegnahme des Fhrerscheins auf das Zeitmoment sein besonderes Augenmerk richten. Fr den Beschuldigten, der auf die Fahrerlaubnis angewiesen ist, kann es eine Frage der Existenz sein, wann er den Fhrerschein wieder in der Hand hat. Deshalb ist die Aufhebung der vorlufigen Entziehung zu beantragen und notfalls im Beschwerdewege durchzusetzen, wenn sich das Verfahren ungebhrlich hinauszgert229. Die vorlufige Entziehung hat die Wirkung einer Beschlagnahme. Dies gilt auch fr die EU-Fahrerlaubnis eines Betroffenen mit inlndischem Wohnsitz (§ 111a Abs. 3).

408

Der Verteidiger hat im Falle der Verurteilung auch auf die Anrechnung derjenigen Zeit zu achten, in der der Beschuldigte tatschlich schon ohne Fhrerschein war (§ 69a Abs. 4 u. 6). Er hat auch rechtzeitig alle Umstnde zu sammeln und dem Gericht vorzutragen, die dafr sprechen, die Mindestsperrfrist bis auf drei Monate abzukrzen (§ 69a Abs. 4–6 StGB). Besteht Aussicht, die Zeit der vorlufigen Entziehung der Fahrerlaubnis annhernd auf das Mindestmaß von drei Monaten herabzusetzen, so darf der Verteidiger die Chance nicht außer acht lassen, die das Fahrverbot gewhrt (§ 44 StGB). Ist das Gericht erkennbar bereit, die Sperrfrist fr die 229 Lwe/Rosenberg/G. Schfer[25], § 111a Rn. 65.

292

Andere vorlufige Maßnahmen

Rn. 410

Entziehung auf drei Monate oder nur wenig darber festzusetzen, so lassen sich im allgemeinen auch gute Argumente finden, statt der Entziehung der Fahrerlaubnis nur den Denkzettel des Fahrverbots von ein bis drei Monaten zu verhngen. Fr den Betroffenen hat das Fahrverbot den Vorteil, daß der Fhrerschein lediglich in Verwahrung genommen wird; er braucht nach Fristablauf keine neue Fahrerlaubnis bei der Verwaltungsbehrde zu beantragen. Es kommt hinzu, daß bei Entziehung der Fahrerlaubnis wegen des eigenen Prfungsrechts der Verkehrsbehrde diese gravierende Bedingungen auferlegen kann, z. B. Einholung eines MPU-Gutachtens, rztliche Prfung der Fahrtauglichkeit oder Wiederholung der Fahrprfung. Besonders bei lteren oder sonst nicht mehr ganz „sattelfesten“ Klienten sollte der Verteidiger deshalb in Fllen der Verhngung des Fahrverbots statt der Entziehung der Fahrerlaubnis versuchen, in der Hauptverhandlung den Wegfall der Ungeeignetheit des Betroffenen zum Fhren von Kraftfahrzeugen unter Beweis zu stellen, um das Gericht dazu zu bewegen, in den Urteilsgrnden klar zum Ausdruck zu bringen, daß es aufgrund einer eigenstndigen abschließenden Beurteilung den Betroffenen nunmehr wieder fr geeignet hlt, ein Kraftfahrzeug zu fhren. Dann kann die Verkehrsbehrde nmlich denselben Sachverhalt, der bereits Gegenstand des Strafverfahrens war, nicht erneut zum Anlaß fr eine Eignungsuntersuchung (MPU) nehmen. Das strafgerichtliche Urteil entfaltet dann gegenber der Fahrerlaubnisbehrde Bindungswirkung230.

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Der Verteidiger muß dem Mandanten raten, den Fhrerschein unmittelbar nach Rechtskraft des Fahrverbotes bei der Vollstreckungsbehrde abzuliefern und nicht auf die Wegnahme zu warten. Denn die Verbotsfrist luft erst ab Verwahrung des Fhrerscheins (§ 44 Abs. 3 S. 1 StGB), worber der Richter den Angeklagten zu belehren hat (§ 268c). Bei Rcknahme des Einspruchs gegen einen entsprechenden Bußgeldbescheid empfiehlt sich die gleichzeitige bersendung des Fhrerscheins. Das „timing“ dieser Prozeßhandlung kann dann auch auf die individuellen Bedrfnisse des Mandanten ausgerichtet werden, z. B. Urlaubs- und andere Abwesenheiten. Im brigen ist auf die Sondervorschrift des § 25 Abs. 2a StVG zu achten.

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In diesem Zusammenhang ist auch daran zu denken, daß auf die Dauer des Fahrverbots ebenfalls die Zeit der vorlufigen Entziehung und der Wegnahme des Fhrerscheins anzurechnen ist (§ 51 Abs. 5 StGB). Diese Grundstze hat der Verteidiger auch zu beachten, wenn die Verwaltungsbehrde wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit ein Fahrverbot verhngt. 230 BVerwG, VRS 1975, 379, 384; Lenhard, DAR 2002, 302.

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Rn. 411

Der Verteidiger im Zwischenverfahren

411

Der Verteidiger muß fr die unverzgliche Aushndigung des beschlagnahmten Fhrerscheins sorgen, wenn das Gericht im vorbereitenden Verfahren die vorlufige Entziehung der Fahrerlaubnis ablehnt (§ 111a Abs. 5 S. 1) oder seinen Beschluß in der Hauptverhandlung aufhebt. Ist die Hauptverhandlung abgeschlossen, so empfiehlt es sich, die vorlufige Entziehung der Fahrerlaubnis zu berprfen, wenn das Urteil, das auf Entziehung lautet, nicht sofort rechtskrftig wird. Berufungs- und Revisionsgericht knnen die von der Vorinstanz angeordnete vorlufige Maßnahme aufheben, wenn nach ihrer Beurteilung der Eignungsmangel entfallen ist. Bloßer Zeitablauf gengt dafr aber nicht231.

412

Je nach Lage des Falles kann die Zeit der vorlufigen Entziehung des Fhrerscheins zur Teilnahme an einem Nachschulungskurs u. a. fr alkoholauffllige Kraftfahrer genutzt werden232. Dadurch kann in Verbindung mit anderen Umstnden u. U. die endgltige Entziehung vermieden oder die Sperrfrist verkrzt werden.

413

bersieht der Verteidiger eine Mglichkeit, dem Betroffenen den Fhrerschein alsbald wieder zu verschaffen, so setzt er sich der Gefahr des Regresses aus. Deshalb muß er in Verkehrsstrafsachen stets im Auge behalten, ob nicht Verjhrung eingetreten ist oder ein anderes Verfahrenshindernis besteht. Die Pflicht des Staatsanwalts und des Richters, auf Mngel des Verfahrens zu achten, soll den Verteidiger nicht entlasten knnen233. Diese Ansicht darf der Verteidiger nicht unwidersprochen lassen, wenn er seinerseits alles getan hat, was zur ordentlichen Interessenwahrnehmung notwendig ist (Rn. 16, 424). Erweist sich eine vorlufige Entziehung der Fahrerlaubnis spter als ungerechtfertigt, hat der Verteidiger die Mglichkeit eines Entschdigungsanspruches nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 StrEG (Rn. 366 ff.) zu prfen.

II. Der Verteidiger im Zwischenverfahren Beck'sches Formularbuch/Hamm, 4. Aufl., 2002, S. 255 ff.; Beulke, Strafprozeßrecht, 7. Aufl., 2004, Rn. 352 ff.; Hamm, Die Verteidigungsschrift im Verfahren bis zur Hauptverhandlung, StV 1982, 490; Kempf, Mnchener Handbuch Strafverteidigung, § 6; Koch, K., Das Zwischenverfahren im Strafprozeß – Mauerblmchen oder verborgener Schatz?, StV 2002, 222; Krekeler, Das Zwischenverfahren in Wirtschaftsstrafsachen aus der Sicht der Verteidigung, wistra 1985, 54; Rath, Zum

231 H. M. Trndle/Fischer, § 69a Rn. 3 m. N. 232 Dazu Trndle/Fischer, § 69 Rn. 36 m. N.; Trndle/Fischer, § 69a Rn. 44 m. N. 233 BGH, NJW 1964, 2402.

294

Verteidigungschancen

Rn. 415

Begriff der Verhandlungsunfhigkeit im Strafverfahren, GA 1997, 214; Rieß, Der fehlerhafte Erffnungsbeschluß und Mglichkeit der Behebung dieses Verfahrenshindernisses, JR 1991, 34; Schfer, G., Die Praxis des Strafverfahrens, 6. Aufl., 2000, S. 275 ff.; Schlothauer, Vorbereitung der Hauptverhandlung, 2. Aufl., 1998; Seetzen, Zur Verhandlungs(un)fhigkeit, DRiZ 1974, 259; Welp, Die Gestellung des verhandlungsunfhigen Angeklagten, JR 1991, 265.

1. Verteidigungschancen Mit der Erhebung der ffentlichen Klage beantragt die Staatsanwaltschaft die Erffnung des Hauptverfahrens bei Gericht. Die Anklageschrift wird dem Angeschuldigten (oder dem Verteidiger – § 145a) mit einer Erklrungsfrist zugestellt. Der Verteidiger (bzw. der Angeschuldigte) erhlt eine Abschrift. Das Verfahren kommt damit in einen entscheidenden Abschnitt. Deshalb wird auch in der Mehrzahl der Flle der Verteidiger erst jetzt beauftragt. Das Gericht darf die Anklage nur zulassen und das Hauptverfahren erffnen, wenn der Angeklagte „hinreichend verdchtig“ ist (§ 203).

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Nach allen praktischen Erfahrungen ist die Ablehnung der Verfahrenserffnung nur selten zu erreichen. Meist werden die Erffnungsbeschlsse als Entwurf der Geschftsstelle gleich mit den erforderlichen Abschriften entsprechend dem Text der Anklage dem Gericht vorgelegt und zum großen Teil fast schematisch unterschrieben. In Sachen von großer Bedeutung wird sorgfltiger geprft, um so mehr als das Gericht sich mit der Ablehnung eine Hauptverhandlung ersparen kann. Andererseits zwingt die Ablehnung zu einer sorgfltigen Begrndung des Beschlusses, der von der Staatsanwaltschaft mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden kann und in der Regel auch wird. Das ist einer der Grnde fr manche ungerechte Erffnung. Ein weiterer hufiger Grund ist die Rcksichtnahme auf Beteiligte oder das Interesse der ffentlichkeit. So wird besonders bei tdlichen Unfllen fast immer erffnet. Erst recht geschieht dies in großen Sachen, die publizistisch schon ausgebreitet und „beurteilt“ sind oder die erhebliches politisches oder sonstiges „Interesse der ffentlichkeit“ berhren oder prominente Persnlichkeiten oder Unternehmen betreffen. Solche Gesichtspunkte zu bercksichtigen ist unzulssig und gesetzwidrig, weil sie fr den hinreichenden Tatverdacht nichts besagen. Es gelten hier die gleichen Grundstze, die auch fr den Staatsanwalt bei der Entscheidung ber die Anklageerhebung maßgeblich zu sein haben (Rn. 319). Die Richter behaupten daher auch immer, daß sie sich durch solche sachfremde Umstnde nicht beeinflussen lassen. Der Verteidiger sollte dennoch deren tatschliches Gewicht nicht unterschtzen. Er wrde – wie die Verfasser in praktischer Erfahrung – oft enttuscht werden.

415

295

Rn. 415

Der Verteidiger im Zwischenverfahren

In dieser Situation steht der Verteidiger anderseits unter dem starken Druck des Mandanten, der alles zur Vermeidung der ihn kompromittierenden Hauptverhandlung eingesetzt wissen will. Mit Recht frchtet er seine ffentliche Diffamierung durch die Medien, die Folgen fr seinen Beruf (Suspendierung!) und fr sein Ansehen im Freundes- und Familienkreis. Sie knnen bedeuten, daß er schon ein „Hingerichteter“ ist, wenn die Verhandlung beginnt. Selbst ein Freispruch kann das nicht wieder ausgleichen. Dies sehen Richter hufig nicht ein, wenn sie einem darlegen, bei Ablehnung der Erffnung bestehe das Risiko, daß das Beschwerdegericht anders entscheide und deshalb sei „es fr den Angeklagten doch besser, wenn er ggfs. gleich freigesprochen werde“. Der Verteidiger steht in dieser Situation in einem Dilemma, das in allen nun zu treffenden Entscheidungen sich auswirken muß. Insbesondere geht es darum, ob er jetzt sein gesamtes Verteidigungsvorbringen ausbreiten oder es fr die Hauptverhandlung zurckhalten soll (vgl. darber im einzelnen Rn. 429 ff.). Es kommt vor, daß das rechtliche Gehr nach § 201 nicht gewhrt wird, z. B. wenn das Gericht entscheidet, ohne die Frist zur ußerung abzuwarten. Der Verteidiger kann dann versuchen, im Wege der Nachholung des rechtlichen Gehrs (§ 33a) Einwendungen gegen die Zulassung der Anklage zu erheben, um eine Aufhebung des Erffnungsbeschlusses zu erreichen. Die Aussichten sind nach den Erfahrungen der Praxis aber verschwindend gering. Wird ber die Erffnung nicht sofort nach Ablauf der ußerungsfrist entschieden, kann der Verteidiger auch nach Fristablauf noch Einwendungen vorbringen. Das ist besonders wichtig, wenn der Mandant ihn zu spt, oft erst nach Zustellung der Anklage und Ablauf der Erklrungsfrist beauftragt. Der Verteidiger sollte seine berlegungen im Zwischenverfahren nicht nur auf das Ziel der vollstndigen Zurckweisung der Anklage in der Sache beschrnken. Es gibt eine Reihe von „Zwischenzielen“ und Teilerfolgen, fr die das Zwischenverfahren durchaus Chancen bietet (Rn. 322 ff., 428 ff.). Er muß allerdings auch bedenken, daß er sich schon in einem Vorstadium des Hauptverfahrens befindet und deshalb die Bezge und Auswirkungen seiner Aktivitten auf die Vorbereitung der Hauptverhandlung (§§ 213 ff.) und deren Durchfhrung im Auge haben. Insbesondere muß abgewogen werden, ob und welche Verteidigungsmaßnahme vor oder nach der Zulassungs- und Erffnungsentscheidung grßere Erfolgschancen bietet234.

234 BGH, NJW 1964, 2402.

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Einwendungen gegen die Erffnung

Rn. 417

2. Einwendungen gegen die Erffnung a) Grnde Die Zweckmßigkeit von Einwendungen hngt wesentlich von ihrem prozessualen Gewicht ab. Man kann es erst richtig abschtzen, wenn man alle rechtlichen Mglichkeiten sorgfltig durchgeprft hat. Nachstehend werden die hauptschlichen Flle behandelt.

416

Vorab sollten die Prozeßvoraussetzungen beachtet werden. Wenn eine solche fehlt oder ein Prozeßhindernis besteht, lßt sich im allgemeinen die Einstellung des Verfahrens bereits vor der Hauptverhandlung durch Beschluß erreichen (§§ 205, 206a, 206b, 209). Der Vorteil liegt auf der Hand: Dem Auftraggeber wird die oft peinliche Hauptverhandlung erspart, das Verfahren wird schneller und billiger beendet, vorlufige Maßnahmen werden hinfllig. Der Verteidiger muß auch bedenken, daß die vorstzliche oder auch nur fahrlssige Nichtbeachtung von Verfahrenshindernissen ihn in Schwierigkeiten bringen kann (Rn. 16, 242, 424)235. Andererseits ist auch zu beachten, daß die Einstellung ein Scheinerfolg sein kann, dann nmlich, wenn der Einstellungsgrund einem neuen Strafverfahren nicht entgegensteht (Beispiele: die Frist fr den bisher fehlenden Strafantrag ist noch nicht abgelaufen [Rn. 421]; Fehler der Anklageschrift und des Erffnungsbeschlusses werden im neuen Verfahren vermieden [Rn. 417]). Der Verteidiger muß sich also genau ansehen, ob es im Interesse des Auftraggebers liegt, ein zweites Verfahren in Kauf zu nehmen. Dabei ist auch auf die Verjhrungsfrage zu achten, insbesondere § 78c Abs. 3 – absolute Verjhrung. Anklageschrift und Erffnungsbeschluß sind daraufhin zu prfen, ob sie nach Form und Inhalt wesentliche Mngel aufweisen236. Fehler der Anklageschrift kehren im Erffnungsbeschluß hufig wieder. Frher wurden Teile der Anklageschrift kurzerhand eingeklammert und auf diese Weise in den Erffnungsbeschluß bernommen. Heute wird „die Anklage der Staatsanwaltschaft in X vom ... zugelassen!“ (§ 207). Eine Begrndung ist nicht vorgeschrieben und nicht blich. Es kann aber im Interesse der Verteidigung sein, daß das Gericht die Vorlufigkeit seiner Beurteilung in einer Kurzbegrndung zum Ausdruck bringt. Im brigen gilt der Satz: Mngel der zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage sind zugleich Mngel des Erffnungsbeschlusses237. Freilich muß sich der Verteidiger darber klar sein, daß nicht jeder Fehler des Zulassungsbeschlusses bzw. der Anklage zur Einstellung des Verfahrens fhrt. So wird die Ansicht 235 BGH, NJW 1964, 2402. 236 Meyer-Goßner, § 200 Rn. 25 ff.; Meyer-Goßner, § 207 Rn. 11. 237 KK-Treier, § 207 Rn. 16.

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Rn. 418

Der Verteidiger im Zwischenverfahren

vertreten, die Einstellung komme nur in Betracht, wenn sich aus der Anklageschrift unter Hinzuziehung des Akteninhalts der Anklagevorwurf nicht hinreichend bestimmbar entnehmen lasse238 oder sonst funktionale Mngel vorliegen239. Unklarheiten des Erffnungsbeschlusses ber Art und Umfang des Schuldvorwurfs240 darf der Verteidiger grundstzlich nicht durchgehen lassen; er weiß sonst hufig gar nicht genau, gegen welche Beschuldigung er den Beschuldigten verteidigen soll. Indessen gilt auch hier die Erfahrung, daß dem Mandanten mit einem zweiten Verfahren nicht immer gedient ist. Man weiß kaum einmal genau, ob die zweite Anklageschrift gnstiger ausfllt. Der Verteidiger muß berhaupt bedenken, daß eine berechtigte Beanstandung der Anklage in der Regel nur dazu fhren wird, daß das Gericht deren Beseitigung veranlaßt. Damit wird ein erst wahrscheinlicher Fehler des Erffnungsbeschlusses ausgeschaltet, der das knftige Urteil noch in der Revisionsinstanz zu Fall bringen knnte. Daß der den Fehler jetzt nicht beanstandende Verteidiger damit sein Rgerecht verwirken wrde (Rn. 783), ist nicht anzunehmen. 418

Der Verbrauch der Strafklage241 bedarf vor allem der Prfung, wenn wegen desselben Vorgangs bereits eine Verurteilung erfolgt ist, z. B. nach rechtskrftiger Verurteilung wegen Volltrunkenheit (§ 323a StGB), nunmehr wegen in diesem Zustand begangener Straftaten gesondert Anklage erhoben wird. Auch ein rechtskrftiger Strafbefehl fhrt nach § 410 Abs. 3 zum uneingeschrnkten Strafklageverbrauch. Dagegen wird durch einen Bußgeldbescheid die Strafklage nicht immer verbraucht (§ 84 OWiG).

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Der Verteidiger muß sich ggfs. ber die Verhandlungsfhigkeit des Angeklagten Gedanken machen. Fehlt sie, so kann die vorlufige (§ 205) oder auch die dauernde Einstellung des Verfahrens (§ 206a) erreicht werden242. Hier trgt der Verteidiger eine besondere Verantwortung. Der Mandant kann hufig selbst nicht beurteilen, welche physische und psychische Kraft die Hauptverhandlung erfordert. Man macht immer wieder die Erfahrung, daß sich gesundheitlich anfllige Mandanten zuviel zutrauen und dann der Hauptverhandlung bei bestem Willen nicht gewachsen sind. Befindet sich der Beschuldigte gar lngere Zeit in Untersuchungshaft, so 238 239 240 241 242

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BGHR, § 200 Abs. 1 S. 1 Anklagesatz 4. Meyer-Goßner, § 200 Rn. 6 m. Beisp. BGH, NJW 1961, 1366. Meyer-Goßner, Einleitung Rn. 171 ff. BGH, StV 1989, 239; OLG Frankfurt, NJW 1969, 570; Meyer-Goßner, § 205 Rn. 1 ff.; Meyer-Goßner, Einleitung Rn. 97 f.

Einwendungen gegen die Erffnung

Rn. 420

kann seine Widerstandskraft vollends geschwcht sein (Rn. 331). Bei aller Frsorge fr den Mandanten darf sich der Verteidiger aber nicht vorspannen lassen. Manche Beschuldigte fliehen bewußt oder unbewußt in eine Krankheit, weil sie die Hauptverhandlung frchten. Das ist nicht immer leicht zu erkennen. Noch schwieriger ist es, solchen Auftraggebern klarzumachen, daß der Verteidiger nicht dazu da ist, unberechtigten Wnschen Vorschub zu leisten, etwa um Zeit zu gewinnen (Rn. 63). Der Verteidiger muß solchen Mandanten erklren, daß nur schwere seelische und krperliche Erkrankungen die Verhandlungsfhigkeit ausschließen243 und dies sehr kritisch geprft wird. Die Grenze liegt dort, wo der Beschuldigte nicht mehr in der Lage ist, in vernnftiger Weise seine Interessen zu wahren und seine Verteidigung zu fhren244 oder wo ihn die Hauptverhandlung gesundheitlich schwer gefhrdet245. Es gengt nicht, daß der Mandant „der Verhandlung folgen kann“ i. d. S., daß er hrt und aufnimmt, was vor ihm abluft. Er muß auch in der Lage sein, das was er hrt und sieht intellektuell rasch zu verarbeiten, auf seine Relevanz fr das Verfahren und seine Verteidigung zu prfen und mit zielgerichtete, berlegten Aktivitten zu erwidern oder solche an seinen Verteidiger heranzutragen. Dazu gehrt auch, daß er in der Lage war, rechtzeitig vor der Verhandlung die Akten zu lesen und auszuwerten (Art. 6 Abs. IIIa) MRK). Diese richtig verstandene Verhandlungsfhigkeit wird von Richtern nicht selten verkannt. Fehler knnen noch in der Revision Bedeutung gewinnen. In Zweifelsfllen empfiehlt es sich, eine rztliche Begutachtung herbeizufhren. Allerdings werden hufig rztliche Atteste, auch von Fachrzten, vorgelegt, deren Standfestigkeit bei der zu erwartenden berprfung durch den Amtsarzt, den „Gerichtsarzt“ oder anderer Gutachter zweifelhaft ist. Bleibt der Mandant wegen Krankheit aus, so muß mit der Anordnung amtsrztlicher Untersuchung gerechnet werden. Es ist keineswegs sicher, daß die Hauptverhandlung „platzt“. Wenn das Gericht das Attest als nicht gengend ansieht, kann der Mandant entgegen seiner Erwartung verhaftet werden (Vorfhrungs- oder Haftbefehl, § 236; Rn. 477), besonders wenn er sich wegen angeblicher Erkrankung nach auswrts oder sogar ins Ausland begeben hat (Rn. 61). Unter bestimmten Voraussetzungen kann auch ohne ihn verhandelt werden (§ 232). Das Problem der Verhandlungsunfhigkeit, vor allem in komplizierten, lang dauernden Verhandlungen ist ein weites Feld, in dem zwar viel vorgespiegelt, aber auch nicht selten die Sache zu hart „durchgezogen“ wird. 243 Meyer-Goßner, Einleitung Rn. 97. 244 OLG Hamm, NJW 1974, 1894. 245 „Schwerwiegender Schaden an der Gesundheit“ BGH, StV 1992, 553 unter Berufung auf BVerwG, NJW 1979, 2349.

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Rn. 421

Der Verteidiger im Zwischenverfahren

Hat der Angeklagte seine Verhandlungsunfhigkeit vorstzlich und schuldhaft herbeigefhrt, so kann das Gericht unter bestimmten Voraussetzungen (§ 231a) ohne ihn verhandeln (Rn. 477). Angesichts der mglicherweise schwerwiegenden, oft nicht wiedergutzumachenden Nachteile fr die Verteidigung des Angeklagten muß der Verteidiger sehr kritisch prfen, ob die tatschlichen Voraussetzungen fr die Abwesenheitsverhandlung erwiesen und die rechtlichen Bedingungen gegeben sind. Das gilt insbesondere fr die Frage, ob die Anwesenheit des Mandanten „unerlßlich“ ist. Die Verletzung des § 231a soll wegen der in § 231a Abs. 3 S. 3 erffneten sofortigen Beschwerde nicht die Revision begrnden. Will aber der Beschuldigte die Hauptverhandlung hinter sich bringen, so sollte der Verteidiger das Gericht ber den Gesundheitszustand des Mandanten vor Beginn der Hauptverhandlung unterrichten. Auch muß er in diesen Fllen im Verlaufe der Hauptverhandlung darauf achten, in welcher Verfassung sich der Auftraggeber befindet. Ggfs. muß er beantragen, die Hauptverhandlung zu unterbrechen oder auszusetzen (Rn. 506). Gegen den Willen des Mandanten darf er aber dessen Erkrankung nicht offenbaren246. 421

Der Strafantrag spielt außer im allgemeinen Strafrecht, in Verkehrsstrafsachen und in Privatklageverfahren, besonders auch im Nebenstrafrecht eine Rolle. Genaue Prfung der Formalien (§§ 77 ff. StGB) ist Pflicht des Verteidigers. Wie die Praxis zeigt, werden Strafantrge nicht immer in der rechten Form gestellt; daher ist es notwendig, sich das Schriftstck, das den Strafantrag enthalten soll, mglichst in Urschrift anzusehen. Dabei ist ggfs. der Frage nachzugehen, ob der Unterzeichner des Strafantrags, z. B. bei Unternehmen, berhaupt feststellbar ist und ob er Vertretungsbefugnis hatte. Es ist auch zu prfen, ob der Strafantrag nicht zulssigerweise zurckgenommen ist. Bevor der Verteidiger freilich das Fehlen eines wirksamen Strafantrages beanstandet, sollte er berlegen, wie es mit der Antragsfrist von drei Monaten steht. Ist nmlich die Frist noch nicht abgelaufen, so kann der Antrag nachgeholt werden247. Unter diesen Umstnden wrde der Verteidiger dem Auftraggeber keinen guten Dienst erweisen. Wegen der richtigen Berechnung der Antragsfrist vgl. Rn. 1048.

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In manchen Antragsverfahren, insbesondere in Fllen der Beleidigung, lohnt sich die Prfung, ob die Rcknahme des Strafantrages durch eine „Ehrenerklrung“ oder auch durch Entschdigung erlangt werden kann (Rn. 169, 1044, 1064). Praktisch muß der Verteidiger die Ehrenerklrung gegen die Zusicherung anbieten, daß der Strafantrag zurckgenommen 246 BRAK-Schriftenreihe, Bd. 8, S. 46 (unter 4). 247 Meyer-Goßner, § 158 Rn. 5 m. N.

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Einwendungen gegen die Erffnung

Rn. 424

und das Verfahren anschließend eingestellt wird. Das ist auch noch in der Hauptverhandlung nach mehreren Terminen mglich. Indessen ist Vorsicht am Platze, da sich der Verteidiger auf das Wort der anderen Beteiligten verlassen muß. Wie bei der Anregung, das Verfahren aus den Grnden des § 153 einzustellen, kann er aber sein Angebot nur fr den Fall machen, daß eine Schuld des Auftraggebers berhaupt festgestellt werden kann (Rn. 322). Außerdem ist zu erklren, daß der Beschuldigte die Kosten und notwendigen Auslagen des Geschdigten bernimmt. Sonst wird der Betroffene den Strafantrag nicht zurcknehmen, damit ihm nicht die Kosten auferlegt werden knnen (§ 470). Einer besonderen Situation sieht sich der Verteidiger in Verkehrsstrafsachen gegenber, bei denen zugleich eine Krperverletzung angeklagt ist. Hier bejaht die Staatsanwaltschaft unabhngig von einem etwaigen Strafantrag stets das besondere ffentliche Interesse an der Strafverfolgung (§ 232 Abs. 1 StGB). Diese stndige bung stimmt dann nicht mit Nr. 243 Abs. 3 RiStBV berein, wenn sie ohne nhere Prfung schematisch praktiziert wird. Gegen diese Praxis kann sich der Verteidiger freilich nur schwer wehren. Es gibt kein Rechtsmittel gegen die Bejahung oder Verneinung des ffentlichen Interesses. Nach berwiegender Auffassung ist das Gericht zur Nachprfung nicht befugt248. Der Verwaltungsrechtsweg ist verschlossen249.

423

Das Verfahren nach § 23 EGGVG entfllt250. In geeigneten Fllen bleibt allenfalls die Dienstaufsichtsbeschwerde, deren Erfolgsaussichten im allgemeinen gering sind (Rn. 1086). Auch die Frage der Verjhrung der Strafverfolgung bedarf der Aufmerksamkeit. Genaues Studium der Akten ist zu der Feststellung geboten, ob eine richterliche Anordnung die Verjhrung rechtzeitig unterbrochen hat. Hierbei ist zu beachten, daß nicht jede Anordnung des zustndigen Richters geeignet ist, die Verjhrung zu unterbrechen (§ 78c Abs. 1 StGB)251. Seit „Abschaffung“ der fortgesetzten Handlung252 strapazieren Staatsanwlte hufig die Rechtsfigur der „natrlichen Handlungseinheit“, um Einzeltaten vor der Verjhrung zu „retten“. Derartigen Versuchen kann der 248 BVerfGE 51, 176 = NJW 1979, 1591; BGH, NJW 1961, 2120; BayObLG, NJW 1991, 1765; BVerfGE 51, 176; BGHSt. 19, 381; Trndle/Fischer, § 230 StGB, Rn. 4 m. N. 249 BVerwG, NJW 1959, 448. 250 BGHSt. 16, 225. 251 Trndle/Fischer, § 78c StGB, Rn. 14. 252 BGHSt. 40, 138.

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Rn. 425

Der Verteidiger im Zwischenverfahren

Verteidiger in der Regel mit Erfolg begegnen. Besonderheiten gelten fr die Verjhrung von Ordnungswidrigkeiten (§§ 31 ff. OWiG). 425

Mit der sachlichen und rtlichen Zustndigkeit muß sich der Verteidiger gelegentlich befassen, so z. B. wenn die Staatsanwaltschaft mit der Anklageerhebung zunchst ber die Zustndigkeit des Gerichts befindet (insbesondere §§ 24, 25 GVG). Mandanten fragen den Verteidiger schon im Vorverfahren, vor welchem Gericht sie stehen werden und welche Rechtsmittel es im Falle einer Verurteilung gibt. Diese Frage kann der Verteidiger in solchen Fllen erst nach Anklageerhebung beantworten. Aufgrund gesetzlicher nderungen (§§ 24, 25 GVG) gelangen heute viele Sachen vor die Schffengerichte oder Strafkammern in „Zweierbesetzung“ (§ 76 Abs. 2 GVG), die frher vor „Plenar“-Strafkammern verhandelt worden wren. Hier kann ein Revisionsgrund entstehen (Rn. 929). Auch hat die Staatsanwaltschaft nach Nr. 113 RiStBV sorgfltig zu prfen, vor welchem Gericht sie anklagt. Ein gewisser Beurteilungsspielraum der Staatsanwaltschaft im Sinne der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zum unbestimmten Rechtsbegriff wird sich jedoch in der Praxis nicht angreifen lassen. Es empfiehlt sich daher, rechtzeitig mit dem Sachbearbeiter der Staatsanwaltschaft Fhlung aufzunehmen, um dessen Absichten kennenzulernen. Auf diese Weise kann der Verteidiger unter Umstnden die Zustndigkeitswahl der Staatsanwaltschaft und damit den Rechtsmittelzug beeinflussen. hnliches gilt fr die rtliche Zustndigkeit (§§ 7 ff., 13, 16), wenn die Sache aus einer ungnstigen rtlichen Atmosphre herausgenommen werden soll, z. B. weil Parallelsachen schon ungnstig entschieden sind oder sich durch Abtrennungen u. . neue prozessuale Aspekte ergeben.

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Die Einstellung wegen potentiell geringer Schuld (§ 153) oder aus den Grnden der §§ 153a–d sowie eine Teileinstellung oder Beschrnkung des Verhandlungsstoffes (§§ 154, 154a) wird in manchen Fllen im Zwischenverfahren erreichbar sein. Man sollte nicht darauf vertrauen, daß der Richter zu Beginn oder im Verlaufe der Hauptverhandlung diese Frage kraft seiner Amtspflicht schon anschneiden werde. Dann ist es oft zu spt, weil der amtierende Staatsanwalt, der oft nicht der Sachbearbeiter ist, Bedenken hat und auch eine entsprechende Weisung nicht einholen will oder erhalten kann (Rn. 516).

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Im brigen wird der Verteidiger zur Begrndung der Einstellung so argumentieren und vorgehen mssen wie im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft. Die dort gemachten Ausfhrungen gelten auch hier in vollem Umfange (Rn. 322 ff.). Die Situation ist jetzt allerdings erschwert, weil sowohl Gericht als auch Staatsanwalt zur Einstellung bereit sein 302

Einwendungen gegen die Erffnung

Rn. 428

mssen. Sie ist anderseits erleichtert, weil das Gericht vielfach der Staatsanwaltschaft den Antrag oder die Zustimmung – manchmal dringend – nahelegt. Das Zwischenverfahren bietet noch weitere Gelegenheiten, die Sache zugunsten des Mandanten zu beeinflussen. So kann auf vorgreifliche Rechtsfragen aus anderen Rechtsgebieten hingewiesen und analog § 262 Abs. 2 die Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung der zustndigen Fachgerichte beantragt werden253. Die Neigung der Strafgerichte, Verfahren auszusetzen, z. B. um eine Entscheidung der Finanzgerichte oder Verwaltungsgerichte abzuwarten, ist allerdings gering; offenbar fhlen sie sich durch § 262 Abs. 1 als „Universal-Fachjuristen“ ermutigt, auch schwierigste Probleme, z. B. des Verwaltungsrechts, selbst zu entscheiden. Es bedarf daher schon sehr sorgfltiger, andererseits fr den Adressaten auch „griffiger“ und eingngiger Argumentation. Besser sind die Aussichten, wenn beispielsweise die Verfassungsmßigkeit tatrelevanter Bestimmungen (z. B. des Nebenstrafrechts) bereits der verfassungsrechtlichen berprfung zugefhrt sind (oder gar eine einstweilige Anordnung gegenber den Verwaltungsbehrden erlassen wurde). Hier gelingt es eher, wenn schon nicht eine formelle Aussetzung, so doch ein „Abwarten“ bis zur verfassungsgerichtlichen Entscheidung zu erreichen. hnliches gilt bei prozeßunkonomischen Anklagen, z. B. wenn bei komplexem und schwierigem Sachverhalt die Anklage gegen den Haupttter zur Wirtschaftsstrafkammer erhoben ist, die Anklage gegen den Gehilfen jedoch beim Strafrichter eingereicht wird, der somit gentigt sein wrde, anstelle der Wirtschaftsstrafkammer alle schwierigen Sach- und Rechtsfragen im Prozeß gegen den Gehilfen zu entscheiden. Hier kommt entweder ein stillschweigendes Zuwarten in Frage oder auch wegen des Sachzusammenhanges die Abgabe des Verfahrens an die Wirtschaftsstrafkammer, was fr die Verteidigung je nach Lage des Falles erwnscht oder unerwnscht sein wird. Schließlich gibt es Fallgestaltungen, die absehbar oder von der Verteidigung beeinflußbar große prozeßrechtliche Schwierigkeiten mit sich bringen werden. Zu denken ist an eingeschrnkte Verhandlungsfhigkeit des Angeklagten (pro Verhandlungstag nur drei Stunden), „berzahl von Angeklagten“ (und Verteidigern!), zu erwartende totale Auskunftsverweigerung wesentlicher Zeugen nach § 55, Notwendigkeit der Vernehmung von Auslandszeugen, Einholung bisher versumter Sachverstndigengutachten zu umfangreichen und schwierigen Fragen in der Hauptverhandlung, 253 Dies gilt nicht nur fr Fragen des Zivilrechts, sondern auch fr alle anderen Gerichtszweige – Meyer-Goßner, § 262 Rn. 5.

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Rn. 429

Der Verteidiger im Zwischenverfahren

Geltendmachung von Verwertungsverboten, Notwendigkeit einer Vielzahl von Beweisantrgen wegen mangelnder Aufklrung der Sache im Vorverfahren usw. Der Verteidiger wird sorgfltig zu prfen haben, ob und welche Grnde allein oder in Kombination mit anderen Erwgungen geeignet sind, dem Gericht „die Lust an der Sache zu nehmen“. Wird das zu erwartende Verhandlungsszenario gut und sachlich, aber auch eindringlich und von Zeugen vorgetragen, so kann damit der Boden fr manche, den Interessen des Mandanten dienende Zwischen- oder Endentscheidung bereitet werden. In geeigneten Fllen ist daran zu denken, in einer Art Doppelstrategie die schriftliche Argumentation mit flankierenden Gesprchen mit Gericht (und Staatsanwaltschaft) ber eine umfassende oder partielle Verfahrensabsprache zu kombinieren (Rn. 177 ff., 496 ff.). Die dargestellte Palette von Verteidigungsmglichkeiten ndert im Ergebnis nichts daran, daß wegen der Masse der alltglichen Strafprozesse das Zwischenverfahren eine bis zur Formalitt erstarrte „Durchgangsstation“ zu Hauptverfahren und Hauptverhandlung ist. In Verfahren mittlerer und grßerer Bedeutung, insbesondere wenn die ffentliche Hauptverhandlung fr den Klienten gravierende Nachteile mit sich bringt, muß der Verteidiger mit wachem Auge die vorhanden Chancen nutzen. Hier wird in der Praxis viel versumt – hoffentlich nur aus Fahrlssigkeit und nicht aus Gebhreninteresse! b) Geltendmachung 429

Die vorstehende bersicht der im Zwischenverfahren mglichen Einwendungen und ihrer rechtlichen Begrndungen gegen die Erffnung des Hauptverfahrens besagt noch nichts zur Art ihrer Geltendmachung. Der Verteidiger muß hier einerseits sehr auf die formale Seite, d. h. auf die Sicherung der ihm zustehenden Fristen achten, anderseits vielfach subtile berlegungen anstellen, ob und wie er seine Einwendungen oder Antrge bei Gericht anbringt. aa) Erklrungsfrist

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Vorab muß der Verteidiger dafr Sorge tragen, daß er selbst und der Mandant je ein Exemplar der Anklageschrift erhalten. Darauf besteht ein Rechtsanspruch (§ 145a Abs. 1, 4, Nr. 108 RiStBV). Die mit der Zustellung der Anklage bestimmte Erklrungsfrist bedarf in der Praxis wegen oft gedankenlos kurzer Fristsetzungen (3 Tage, 1 Woche) oft der Verlngerung. Diese ist in der Regel zu erreichen. Sie ist unerlßlich, wenn jetzt erstmalig Akteneinsicht gewhrt wird. Der neu bestellte Verteidiger kennt bis dahin die Sache nicht. Die Erklrungsfrist ist fr ihn 304

Einwendungen gegen die Erffnung

Rn. 431

daher erst nutzbar, wenn er vorher die Akteneinsicht durchgefhrt und die Sache mit seinem Mandanten besprochen hat. Es ist deshalb notwendig, den Antrag auf Akteneinsicht mit dem Antrag zu verbinden, die Frist stillschweigend bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nach Beendigung der Akteneinsicht zu verlngern. Praktisch ist der Zusatz: „Ich bitte annehmen zu drfen, daß die beantragte Verlngerung der Erklrungsfrist stillschweigend bewilligt ist, wenn ich eine andere Mitteilung nicht erhalte.“ Damit erspart man dem Gericht Arbeit und sichert sich selbst das rechtliche Gehr. In „heiklen Sachen“ ist aber doch eine fernmndliche Erkundigung ratsam, ob der Richter entsprechend verfgt hat. Ggfs. ist eine zweite Fristverlngerung – mit Begrndung – zu beantragen. Ein Gesprch mit dem Richter ist in diesem Stadium oft ein ntzliches Unternehmen, wenn der Richter sich in die Sache eingearbeitet hat. Sonst empfiehlt es sich in der Regel, fr diesen Zeitpunkt einen (weiteren) Kontakt zu vereinbaren. Man erfhrt etwas von der Einstellung des Gerichts zur Sache. Hinweise des Richters knnen wertvollen Aufschluß geben und der Verteidiger kann seine Fragen und Zweifel zur Sprache bringen. Auch die Mglichkeiten fr eine Einstellung des Verfahrens vor oder nach der Erffnung knnen offen besprochen werden (Rn. 322 ff.), ebenso Beschrnkungen des Verfahrensstoffes (§§ 154, 154a). Besonders in grßeren Sachen sind die Richter interessiert, das Verteidigungsvorbringen einschließlich der Beweismittel mglichst erschpfend zu erfahren. Sie fhren auch aus diesem Grunde solche Gesprche in freundlichster Form. Manche Verteidiger berichten darber ihrem Mandanten mit stolzer Genugtuung. Sie sonnen sich im Wohlwollen des Gerichts, sollten dabei aber auch auf der Hut sein. Die persnliche Freundlichkeit bedeutet noch lange nicht die Neigung, den Einwendungen des Verteidigers tatschlich zu folgen. Die Richter wollen hufig die Einstellung der Verteidiger nur mglichst umfassend erfahren, um sich danach fr die Hauptverhandlung einzurichten, ohne daß ernstlich daran gedacht wrde, das Hauptverfahren nicht zu erffnen. So kann es sein, daß in solchen Besprechungen der Verteidiger nur der Gebende und der Richter der Nehmende geblieben ist. brigens muß der Verteidiger auch damit rechnen, daß der Richter bei solchen Vorbesprechungen den Staatsanwalt zuzieht oder jedenfalls unterrichtet. Besprechungen der bezeichneten Art knnen allerdings auch fr die Verteidiger von großem Nutzen sein. Sie werden hufig vom Vorsitzenden anberaumt, um in Gegenwart von Beisitzern und Staatsanwalt Fragen der Hauptverhandlung schon jetzt fr den Fall zu errtern, daß es zu einer Erffnung des Hauptverfahrens kommt. Sie sind besonders in Verfahren grßeren Umfangs eigentlich unerlßlich, um einen reibungslosen Ablauf 305

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Rn. 432

Der Verteidiger im Zwischenverfahren

der Hauptverhandlung zu gewhrleisten. So kann der Verteidiger dem Gericht etwaige Terminwnsche mitteilen, damit Terminkollisionen vermieden werden (Rn. 454). Auch kann es geboten sein, ausreichende Zeit fr die Vorbereitung der Hauptverhandlung zu sichern (Rn. 452, 506). In persnlichen Rcksprachen lassen sich schließlich die Vorstellungen des Gerichts und der Staatsanwaltschaft ber den Gang des Verfahrens, besonders der Terminplan, am besten klren. Vorgesehene tgliche Verhandlungsdauer, geplante Unterbrechungszeiten (§ 229 Abs. 2), Reihenfolge der Zeugenvernehmungen und der Sachverstndigenanhrung muß der Verteidiger frhzeitig kennen, damit er sich einrichten und den Mandanten vorbereiten kann. Auch muß er zu erfahren suchen, ob und wann das Gericht Ortstermine abhalten will, ob kommissarische Vernehmungen beabsichtigt sind (Rn. 478) und was das Gericht davon hlt, wenn der Mandant vom Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden werden will (Rn. 476). Erfhrt der Verteidiger den Plan der Hauptverhandlung, so kann er auch Wnsche ußern, Anregungen geben und Antrge stellen. Will er Zeugen oder Sachverstndige zur Hauptverhandlung laden (Rn. 469 ff.), so ist zu empfehlen, dem Gericht hiervon Mitteilung zu machen, wenn nicht das berraschungsmoment in der Hauptverhandlung ausgenutzt werden soll. Der Vorsitzende kann dann rechtzeitig die Vernehmung dieser Beweispersonen vorsehen. Der Termin, in dem die Zeugen erscheinen sollen, kann vereinbart werden. Der Verteidiger setzt sich nicht dem Vorwurf aus, den Zeitplan des Gerichts durcheinanderzubringen. Allerdings riskiert er, daß die Staatsanwaltschaft den Zeugen noch zuvor vernimmt, was nicht unzulssig ist, aber in Kollision zur „Prozeßfairneß“ stehen drfte. Man kann aber auch diese Frage ggfs. ansprechen und ein Agreement erreichen. Das Richtergesprch gibt dem Verteidiger auch Anhaltspunkte fr die Frage, ob seinem Mandanten jetzt das Eingestndnis etwa vorhandener Schuld anzuraten ist. Solange der Mandant bestreitet, kann der Verteidiger die entlastenden Umstnde zur Persnlichkeitsbewertung, Tatmotiv, Zukunftsprognose u. a. (Rn. 18) kaum einfhren. Mit einer Schuldigerklrung wrde das schlagartig anders. Verteidiger und Mandant knnten sich damit ggfs. die Sympathien des Gerichts erringen und die Hauptverhandlung in ein gnstiges Fahrwasser steuern (vgl. Rn. 18 und zur Beratung vor der Hauptverhandlung Rn. 57, 484). Darber und sogar ber das Ergebnis lßt sich mancher Richter (und Staatsanwalt) zu (unverbindlichen) ußerungen oder auch zu Absprachen (Rn. 496) veranlassen, die zwar auch rechtlich, aber nach den Erfahrungen der Praxis sehr verlßlich sind. 432

Bei einer derartigen Rcksprache muß der Verteidiger seine bereits vorgebrachten oder beabsichtigten Beweisantrge (Rn. 467) im Auge behalten. 306

Einwendungen gegen die Erffnung

Rn. 434

Unter Umstnden kann er diese Antrge in geeigneter Form ankndigen. Er wird meist erfahren, wie der Vorsitzende oder Staatsanwalt darber denkt. Bei vertrauensvoller Aussprache kommt es dabei in der Regel auch zu einem Gesprch ber die Sache selbst, das fr die Maßnahmen des Verteidigers ntzlich sein kann. Bei einem solchen Gesprch kann der Verteidiger auch alle Bitten vortragen, die notwendig sind, um den Mandanten vor unntigen Errterungen seines persnlichen Bereichs zu schtzen (Rn. 538). Insbesondere kann er veranlassen, daß etwaige Vorstrafen nicht errtert werden (Rn. 539). Hinsichtlich der Einlassung und der Beweismittel zur Schuld- und Straffrage befindet sich der Verteidiger im brigen wegen der Zweischneidigkeit seines Vorgehens in einem gefhrlichen Dilemma (Rn. 475 u. a.). Wenn es im Zwischenverfahren zu Vorbesprechungen der geschilderten Art nicht kommt, sind sie sptestens vor der Terminbestimmung am Platze. Sie sind dann im wesentlichen in derselben Form zu fhren (Rn. 462).

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bb) „Schutzschrift“ Erhebliche Zweifel betreffen die Einreichung einer sog. Schutzschrift. Das Dilemma des Verteidigers, einerseits den Mandanten vor der Hauptverhandlung zu schtzen, anderseits nicht den Fehler vorheriger Preisgabe seines Verteidigungsvorbringens zu machen (Rn. 415 a. E.), macht diese Frage zu einem Teufelsproblem. Es ist nicht einheitlich zu entscheiden, ob die Schutzschrift ntzlich ist. Der Spannungsbereich geht von der evtl. berufswidrigen Unterdrckung (etwa Verschweigen eines einwandfreien Alibizeugen) bis zur Prozeßdummheit vollstndiger Materialauslieferung, etwa Offenlegung aller Beweismittel an Gericht und Staatsanwaltschaft statt eigener Auswertung in der Hauptverhandlung. Selbst grobe Mngel der Anklageschrift sollte man unter Umstnden zweckmßigerweise erst in der Hauptverhandlung auswerten. Dort kann sie der Sitzungsstaatsanwalt meist schlechter ausrumen als vorher der Sachbearbeiter der Staatsanwaltschaft. Meine Erfahrungen haben mich bestimmt, mit der Einreichung von Schutzschriften eher zurckhaltend zu sein. Wenn man allerdings die Anklage so gut wie sicher entkrften kann, sollte man den Versuch wagen. Das kann z. B. sein, wenn die Anklage wegen eines klaren Rechtsfehlers nicht schlssig, wenn die Verjhrung bersehen ist oder ein neuer Zeuge die Beschuldigung eindeutig widerlegt. Mit einer solchen Schutzschrift findet auch der Verteidiger, der wegen seiner sonstigen „Sparsamkeit“ mit Schutzschriften bekannt ist, sofort Beachtung. Sie kann auch dazu dienen, das Gericht durch eine gezielte Verteidigungsstra307

434

Rn. 435

Der Verteidiger im Zwischenverfahren

tegie auf einen bestimmten „Kurs“ zu bringen, z. B. durch die Kombination von sachlichen oder prozessualen Problemen mit dem Angebot einer „teuren“ Einstellung nach § 153a (Rn. 324). In den meisten anderen Fllen ntzt sich das Verteidigungsmittel der Schutzschrift durch stndigen Gebrauch ab. Was von der „Schutzschrift“ tatschlich gehalten wird, lßt schon ihre ominse Bezeichnung erkennen. Das Wort steht in verdchtiger Nachbarschaft zur „Schutzbehauptung“ eines Angeklagten – ein Terminus, der die skeptische Reserve von Richtern und Staatsanwlten sichtbar macht, die unter dem Ausdruck in der Regel nichts anderes als ein Lgengewebe des Angeklagten verstehen. Die Schutzschrift bewirkt dann im gnstigsten Falle die Ladung benannter Zeugen zur Hauptverhandlung oder die Beiziehung von Akten und nicht mehr. Am Ende steht der Verteidiger dann mit leeren Hnden da, nachdem er alles verausgabt hat. In der Hauptverhandlung verbleibt er in der Rolle eines in den Hintergrund gedrngten Komparsen, der zusehen muß, was die wirklichen Akteure des Prozesses mit seinem Material machen, das er ihnen wie ein gutmtiger Michel treu und brav berlassen hat. 435

Hierher gehrt auch das Problem der Rechtsausfhrungen. Damit sollte der Verteidiger ebenfalls nur zurckhaltend operieren. Zwar hat er die Sache in rechtlicher Hinsicht intensiv durchzuprfen. Im allgemeinen sind aber Errterungen der Rechtsfragen in der Schutzschrift nur zweckmßig, wenn damit die Erffnung wirklich zu vermeiden oder die Rechtslage so kompliziert ist, daß sie sich in der Hauptverhandlung nicht bersichtlich darstellen lßt. Anderenfalls richten Staatsanwaltschaft und Gericht sich auf die rechtlichen Hinweise ein und sind allzu leicht versucht, die tatschlichen Feststellungen zu steuern, denen dabei vielleicht Gewalt angetan wird. Schweigt dagegen der Verteidiger zu kritischen Punkten, werden die tat schlichen Feststellungen hufig knapper ausfallen und die Revision erleichtern (Rn. 956). Wie in der Hauptverhandlung, besonders beim Pldoyer (Rn. 737) sieht sich der Verteidiger hier schon im Erffnungsverfahren vor die ußerst schwierige Frage gestellt, ob in der Tatsacheninstanz in solchen Situationen die Verteidigung mit dem Blick auf die Revision gefhrt werden soll. Das bedarf sorgfltiger Abwgung der Erfolgschancen wie auch der Pflichten des Verteidigers gegenber seinem Mandanten, vielleicht auch seiner Zuordnung zur Rechtspflege.

436

Es gibt allerdings Sonderflle, in denen die an sich gebotene Zurckhaltung nicht durchgehalten werden kann. Das sind die, in denen die ffentliche Hauptverhandlung ohne Rcksicht auf ihr Ergebnis fr den Mandanten katastrophale Folgen haben wrde, z. B. wenn er sich in exponierter Stellung befindet und zu erwarten ist, daß sich die Medien auf den Fall strzen werden. In solchen Situationen entscheiden sich die Klienten 308

Sonstige Antrge

Rn. 439

trotz Kenntnis des Dilemmas der Verteidigung (Rn. 415) nicht selten dafr, auch eine nur kleine Chance im Zwischenverfahren wahrzunehmen – manchmal mit berraschendem Erfolg. Auch wenn es nicht gelingt, die Zurckweisung der Anklage in toto zu erreichen, kann es zu beachtlichen Teilerfolgen kommen oder das Gericht wird durch einen guten Schriftsatz auf eine fr die Hauptverhandlung gnstige Linie gebracht. In freilich seltenen Fllen kann die Hauptverhandlung dann sogar zu einem „Triumph des Angeklagten“ werden. Wenn der Verteidiger die Einreichung einer Schutzschrift nicht fr richtig erachtet, sollte er aber, wenn der Angeschuldigte nicht gestndig ist, es grundstzlich nicht unterlassen, wenigstens den schriftlichen Antrag auf Ablehnung der Erffnung des Hauptverfahrens. Er kann die Begrndung auf die Erklrung beschrnken, daß „nach dem Ergebnis der Ermittlungen der Angeschuldigte nicht hinreichend verdchtig“ ist, oder daß „die Anklage rechtlich oder/und tatschlich unbegrndet“ sei oder hnlich. Er kann auch auf die bisherigen Einlassungen verweisen und dazu bemerken, daß „ggfs. die (weitere) Verteidigung der Hauptverhandlung vorbehalten bleibe“. Er rumt damit mindestens die Ungewißheit des Gerichts aus, ob die Verteidigung noch etwas bringen werde. Es ist nach der Erfahrung besonders in grßeren Sachen auch daran zu denken, in einer knappen Eingabe dem Gericht wenigstens die allgemeine Richtung der Verteidigung bekanntzugeben. Damit kann eine Mitteilung der Verteidigungsplanung und die Angabe von Beweismitteln verbunden werden, wenn diese die Verteidigung nicht gefhrdet. Damit verhtet man die Erstarrung der Hauptverhandlung zu einem allgemeinen Stellungskrieg der Verhaltenheit und des Mißtrauens.

437

Eine Erwiderung der Staatsanwaltschaft muß der Verteidiger sich zu beschaffen wissen, entweder durch ausdrcklichen Antrag oder durch nochmalige Akteneinsicht. Er muß wissen, daß sie ihm von Amts wegen nicht bekanntgegeben zu werden braucht. In wichtigen Sachen sollte er durch Vereinbarung mit dem Vorsitzenden seine Unterrichtung sicherstellen. Allerdings sind die Entgegnungen der Staatsanwaltschaft meist von enttuschender Krze und beschrnken sich vielfach auf eine Wiederholung des Antrags der Anklage.

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3. Sonstige Antrge Statt Einwendungen gegen die Erffnung des Hauptverfahrens vorzubringen, kann der Verteidiger Beweiserhebungen beantragen (§§ 201, 202). Das ist auch dann am Platze, wenn er sich erst nach Erhebung der Beweise schlssig werden kann oder will, ob und wie er der Erffnung wider309

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Rn. 440

Der Verteidiger im Zwischenverfahren

spricht. Das Gericht kann die beantragten Beweise sofort erheben, was in der Praxis leider eine Seltenheit ist. Fr die Teilnahme des Verteidigers gelten dann die allgemeinen Bestimmungen ber richterliche Vernehmungen. Mit der angeordneten weiteren Aufklrung wird aber in der Regel die Staatsanwaltschaft beauftragt, die sich hufig der Hilfe der Polizei bedient. Der Verteidiger kann dann mit guten Grnden beantragen, ihm die Anwesenheit bei den Beweiserhebungen zu gestatten. Das wird ihm – notfalls ber das Gericht – meistens gelingen. Ob solche Beweiserhebungsantrge opportun sind, muß der Verteidiger sorgfltig erwgen. Es kommt darauf an, ob er das Beweisergebnis im voraus schon kennt, ob eine außergerichtliche Befragung (Rn. 216 ff.) oder ein Beweisantrag zur Hauptverhandlung (Rn. 641 ff.) nicht besser wre. 440

Die Zustellung der Anklage kann auch der richtige Zeitpunkt zur Vorlage von Gutachten oder Gegengutachten sein. Sie kann mit dem Antrag auf Ladung des Sachverstndigen oder mit der Ankndigung einer Selbstladung gemß §§ 220–245 verbunden werden. Die Sache kann damit in ein anderes Fahrwasser kommen. Nach aller Erfahrung veranlaßt allerdings Gericht oder Staatsanwaltschaft dann ein Nachtragsgutachten des gerichtlichen Sachverstndigen oder ein „Obergutachten“. Der Verteidiger muß deshalb berlegen, ob er sein Vorgehen nicht besser bis kurz vor der Hauptverhandlung zurckstellt. Dann allerdings muß er mit deren Aufhebung rechnen, was sich als ein Vorteil, aber auch als Nachteil herausstellen kann. Besonders problematisch (aber immer noch beliebt) ist die Vorlage von Rechtsgutachten, die hufig in geeigneten Fllen im Auftrag der Verteidigung durch Universittsprofessoren oder sonstige Spezialexperten erstattet werden. Sie knnen eine wesentliche Hilfe sein, jedoch sind die Gerichte dagegen ebenso empfindlich wie mißtrauisch. Zumeist werden sie in der richterlichen Entscheidung nicht einmal erwhnt. Besser ist es daher, solche Rechtsgutachten nur intern fr die Verteidigung auszuwerten. Davon sind die Klienten aber oft nur schwer zu berzeugen. Der Glaube an die Heilkraft von „Professoren-Gutachten“ ist nach den Erfahrungen der Praxis ebenso verbreitet wie irrig. In jedem Fall gilt: „Geflligkeitsgutachten“ ohne berzeugungskraft schaden nur.

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Befindet sich der Mandant in Untersuchungshaft, so wird das Gericht mit der Erffnung des Verfahrens zugleich ber die Fortdauer der Haft zu beschließen haben. Dazu sollte der Verteidiger sich rechtzeitig erklren. Mit der Anklage ist die Verdunkelungsgefahr meist entfallen, der Fluchtverdacht kann sich abgeschwcht haben. Jedenfalls muß der Verteidiger 310

Vorbereitung der Hauptverhandlung

Rn. 442

hier alle Chancen nutzen und gerade auch durch Besprechungen mit dem Gericht die Entlassung zu bewirken suchen. Das Gericht wird sich ggfs. von der starken Erschwerung der Verteidigung und deren Vorbereitung durch die Haftfortdauer berzeugen lassen und auch Gesprchen ber eine Kaution zugnglich sein (Rn. 356). Auch bei vorlufiger Entziehung der Fahrerlaubnis kann jetzt ein Zeitpunkt zu Verhandlungen und Antrgen zu ihrer Aufhebung gekommen sein (Rn. 406).

III. Der Verteidiger im Hauptverfahren des ersten Rechtszuges 1. Vorbereitung der Hauptverhandlung a) Allgemeines Basdorf, Formelle und informelle Prklusion im Strafverfahren, StV 1997, 488; Beck'sches Formularbuch/Ignor, 4. Aufl., 2002, S. 255 ff.; Beulke, Empirische und normative Probleme der Verwendung neuer Medien in der Hauptverhandlung, ZStW 113/2001, 709; Beulke, Strafprozeßrecht, 7. Aufl., 2004, Rn. 368 ff.; Burhoff, Handbuch fr die strafrechtliche Hauptverhandlung, 3. Aufl., 2000; Dahs/Dahs, Revision, Rn. 242 ff.; Dahs, Stumpf gewordene StPO?, NJW 1994, 909 = BRAKMitt. 1994, 75; Dahs, Strafverteidigung und Strafrechtspflege – eine Momentaufnahme, FS Odersky (1996), S. 317; Dahs, Ethische Aspekte im Strafverfahren? – Ein Denkanstoß, JR 2004, 96; Greiser/Artkmper, Die „gestrte“ Hauptverhandlung, 2. Aufl., 1997; Hahn, Staatsanwaltliche Ermittlungsttigkeit whrend des Hauptverfahrens, GA 1978, 331; Jahn, Sitzungspolizei kontra „Konfliktverteidigung“?, NStZ 1998, 389; Jahn, M., Konfliktverteidigung und Inquisitionsmaxime, 1998; Kropp, Zur berprfung von Terminsbestimmungen des Vorsitzenden in Strafsachen, NStZ 2004, 668; Kudlich, Gesetzliche Regelungsmglichkeiten gegen den strafprozessualen Mißbrauch im Kontext von Freiheit und Verantwortung, FS Schlchter (1998), S. 13 ff.; Nehm/Senge, Ursachen langer Hauptverhandlung, dargestellt am Beispiel von 3 Strafverfahren, NStZ 1998, 377; Neuhaus, Terminsbestimmung, Terminverlegung und das Recht auf Beistand durch den Verteidiger des Vertrauens, StraFo 1998, 84; Niemller, Besetzungsrge und „Willkrformel“, StV 1987, 311; Salditt, Verteidigung in der Hauptverhandlung – Notwendige Alternative zum Praxisritual, StV 1993, 442; Schfer, G., Die Praxis des Strafverfahrens, 6. Aufl., 2000, 251 ff.; Schlothauer, Vorbereitung der Hauptverhandlung, 2. Aufl., 1998; Senge, Mißbruchliche Inanspruchnahme verfahrensrechtlicher Gestaltungsmglichkeiten – wesentliches Merkmal der Konfliktverteidigung? Abwehr der Konfliktverteidigung, NStZ 2002, 225; Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren, 2002.

Da die Hauptverhandlung das Kernstck jedes Strafverfahrens ist, liegt hier das Hauptgewicht der Verteidigungsaufgabe. Ungeachtet der „urteilsprgenden Kraft“ des Vorverfahrens (Rn. 230) kann in der Hauptverhandlung immer noch alles gewonnen oder verloren werden. In vielen Fllen steht auch lediglich eine Tatsacheninstanz zur Verfgung. Nur was in der 311

442

Rn. 442

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

Hauptverhandlung prozeßrechtlich einwandfrei errtert wird, darf Gegenstand der Urteilsfindung sein. Niemand sollte sich auf gnstige Zuflle in der Hauptverhandlung verlassen. Erst recht nicht darauf, das Gericht werde schon alle dem Angeklagten gnstigen Umstnde finden. Auch die Hoffnung, es drfe nicht zu Lasten des Angeklagten gehen, daß er keinen gewandteren Anwalt hat, kann den Verteidiger von seinen Pflichten nicht entbinden. Endlich ist es ein nicht entschuldbarer Irrtum zu glauben, der Verteidiger knne allein auf seine Erfahrung, sein Wissen, seine Schlagfertigkeit und die berzeugungskraft seines Pldoyers bauen. Zwar muß er in der Hauptverhandlung in einer Art Multifunktion jede Situation erfassen, in das Verteidigungskonzept integrieren und Vorteile sofort wahrnehmen, er muß auch berzeugend pldieren knnen. Damit allein ist es aber nach aller Erfahrung nicht getan. Er kann seiner bernommenen Aufgabe nur gerecht werden, wenn jede Hauptverhandlung eingehend vorbereitet ist. Nichts, aber auch gar nichts darf dem Zufall berlassen bleiben. Sonst kann er die Verteidigung nicht verantworten. Er muß sich deshalb nicht nur selbst ausreichend Zeit zur Vorbereitung nehmen, sondern auch darauf bestehen, daß ihm diese Zeit gelassen wird (Rn. 452). So darf der Verteidiger, der kurzfristig bestellt oder beauftragt wird, nicht erklren, er sei gengend vorbereitet, wenn dies nicht der Fall ist254. Er schadet sonst dem Klienten, dem Ansehen der Rechtspflege und des Berufes. Auch gibt es die Ansicht, die schuldhaft schlechte Vorbereitung einer Hauptverhandlung knne dazu fhren, dem Verteidiger die Kosten einer Aussetzung jedenfalls dann aufzuerlegen, wenn er die unzureichende Vorbereitung dem Gericht zu spt mitteilt255. Aus diesen Grnden muß der Verteidiger rechtzeitig Aussetzung nach § 265 Abs. 4 (Rn. 698) oder nach § 145 Abs. 2 u. 3 (Rn. 506) beantragen. berhaupt muß der Verteidiger, der das Mandat oder die Bestellung erst nach Erffnung des Hauptverfahrens erhlt, das nachholen, was der von Anfang an ttige Verteidiger bereits in den vorausgegangenen Verfahrensabschnitten an Vorbereitung zu leisten hatte. Vor allem muß er unverzglich Akten und Beiakten einsehen (Rn. 254 ff.); deren nochmalige Einsicht kann auch fr den rechtzeitig bestellten oder gewhlten Verteidiger notwendig sein. Gegebenenfalls sind Zeugen und Sachverstndige noch außergerichtlich zu befragen (Rn. 216, 224) und das Fachgebiet eines Sachverstndigen eingehend zu studieren (Rn. 224). Auch ist der Verteidiger gehalten, die Voraussetzungen eines Haftbefehls (Rn. 338 ff.), einer vorlufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (Rn. 406 ff.) oder einer Unterbringung

254 BGH, NJW 1965, 2164 m. Anm. Schmidt-Leichner. 255 OLG Dsseldorf, AnwBl. 1981, 201; Einzelflle bei Meyer-Goßner, § 145 Rn. 21.

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Vorbereitung der Hauptverhandlung

Rn. 444

in einem psychiatrischen Krankenhaus (Rn. 396) zu prfen und die Ordnungsmßigkeit des Zwischenverfahrens, vor allem des Erffnungsbeschlusses (Rn. 416 ff.) zu kontrollieren. Die unmittelbare Vorbereitung der Hauptverhandlung wird zum einen durch die Verteidigungsstrategie, zum anderen durch technische Vorbereitungsmaßnahmen (Rn. 445 ff.) bestimmt. Es ist jetzt der spteste Zeitpunkt, sich ber das Ziel der Verteidigung einschließlich etwaiger Alternativ- oder Hilfsziele abschließende Gedanken zu machen, falls die Strategieplanung noch nicht bereits im Vorverfahren (Rn. 230 ff.) oder nach Vorlage der Anklage im Zwischenverfahren (Rn. 434) erfolgt ist. Die Frage der Einlassung des Mandanten, ggfs. ihres Inhalts (Rn. 480) steht dabei ebenso im Vordergrund wie die Prfung der Zustndigkeit (Rn. 456), der Besetzung der Richterbank (Rn. 457), von Beweisantrgen (Rn. 467), Ablehnungsgesuchen (Rn. 460) und eigener Recherchen (Rn. 466). So wichtig dies alles ist, so muß der Verteidiger vermeiden, sich durch die intensive Vorbereitung und Festlegung in einem starren Schema zu verfangen und deshalb nicht zu merken, daß die Hauptverhandlung in eine ganz andere Richtung gehen wird. Er muß die Sensibilitt und Flexibilitt bewahren, nicht erwartete Entwicklungen der Hauptverhandlung frhzeitig zu erkennen und darauf sofort zu reagieren – notfalls das ganze, mhsam erarbeitete Verteidigungskonzept umzuwerfen und neu aufzubauen. Diese Fhigkeit, ausgearbeitete Konzepte, Antrge und Strategien von einer Sekunde auf die andere aufzugeben und sich in der Verhandlungskonzeption vllig umzustellen, gehrt zur hohen Kunst professioneller Strafverteidigung.

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Jetzt ist auch der Zeitpunkt, in dem der Verteidiger mit seinem Klienten entscheiden muß, ob es in dessen Interesse liegt, eine „Verteidigung der verbrannten Erde“ einzuschlagen, d. h. bis zur Grenze des Mißbrauchs alle prozessualen Mglichkeiten auszunutzen, um das Gericht „mrbe“ zu machen, zu revisiblen Rechtsfehlern zu provozieren, das Hauptverfahren auf nicht absehbare Zeit aufzuschieben oder auszudehnen, Ablehnungsgrnde zu provozieren oder sonst die Hauptverhandlung zum „Platzen“ zu bringen. Grnde fr eine solche „Konfliktstrategie“ knnen die Aussichtslosigkeit der Verteidigung in der Sache (der Mandant hat nichts zu verlieren), der ideologisch motivierte Kampf gegen das Rechtspflegesystem als solches („Klassenjustiz“), der Ablauf der doppelten Verjhrungsfrist (§ 78c Abs. 3 StGB), Erlaß des Erffnungsbeschlusses (§ 78b Abs. 4), der zu erwartende Ausfall entscheidender Belastungszeugen oder anderer Beweismittel oder die berzeugung sein, bei dem erkennenden Gericht ein faires Verfahren nicht erwarten zu knnen u. a. Das prozessuale Waffenarsenal, das in einem solchen „Feldzug“ gegen die Durchfhrung eines Hauptverfahrens bis zum Urteil eingesetzt wird, ist sattsam

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313

Rn. 445

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

bekannt: Vertagungsantrge, Ablehnungsantrge, Einstellungsantrge, Beanstandungen, Verteidigererklrungen, und last not least immer wieder Beweisantrge. Verfahren, in denen die Verteidigung derartige Mittel flchendeckend oder teilweise zum Einsatz bringt, haben zu den Schlagworten Konfliktverteidigung und Chaosverteidigung gefhrt, die im rechtspolitischen Bereich sich als wohlfeiles Phnomen fr Gesetzinitiativen zur (weiteren) Einschrnkung von Beschuldigten- und Verteidigerrechten erwiesen hat – wie sie auch die Rechtsprechung zu mancherlei restriktiven Gesetzesauslegungen ermuntert hat256. Es mag seltene, extrem gelagerte Flle geben, in denen die Verteidigung keine anderen Mglichkeiten hat, gegen ein voreingenommenes Gericht Front zu machen und ein ungerechtes Urteil zu verhindern. Diese drften aber keineswegs so hufig sein, wie es nicht wenige Flle derartiger Konfliktverteidigung in der Praxis glauben machen sollen. Es soll auch keineswegs bersehen werden, daß bei Verfahrensentwicklungen, die in konfrontativen Strategien aller Verfahrensbeteiligter kulminieren, die Schuld keineswegs einseitig bei Angeklagten und Verteidigern liegt257. Es ist allerdings nicht beabsichtigt, diese Art der Strafverteidigung, an deren Nutzen fr den Klienten in aller Regel Zweifel erlaubt sind, im Handbuch nher darzustellen. 445

Bei der sachlich-technischen Vorbereitung ist danach zu streben, den Gegenstand des Verfahrens, die Materie der bevorstehenden Hauptverhandlung, in allen Einzelheiten zu beherrschen. Und hier ist es wiederum in erster Linie der Sachverhalt, den der Verteidiger vollstndig im Gedchtnis haben muß. Dies gilt sowohl fr den Sachverhalt, der sich aus Hauptakten, Beiakten, Beweismittelakten, Sonderheften, Beistcken etc. ergibt, auch fr den Einlassungs-Sachverhalt, den der Mandant mitgeteilt hat oder der durch eigene Ermittlungen der Verteidigung erhoben worden ist. Wie er sich den gesamten Tatsachenkomplex erarbeitet und jederzeit parat hlt, ist eine Frage der persnlichen Arbeitsweise. Er muß dafr sorgen, daß er in der Hauptverhandlung die Unterlagen fr das gerade behandelte Thema griffbereit hat. Mißlich ist es, wenn der Verteidiger erst in den Akten blttern und das suchen muß, worauf es im Augenblick ankommt (Stereotype Frage an den Vorsitzenden, der aus den Akten vorhlt: „Band? Blatt?“). Dadurch knnen nicht nur wesentliche Einzelheiten der Verhandlung verlorengehen: oft wird alsdann auch die Gelegenheit zu einer schnellen, schlagfertigen Erklrung verpaßt. Die Folgen sind Unsicherheit und Nervositt. Derartige Unzulnglichkeiten lassen sich nur durch genaue Vorbereitung vermeiden. Das ist besonders wichtig in um256 Dazu z. B. Jahn, NStZ 1998, 389 m. zahlr. N. 257 Dazu z. B. Nehm/Senge, NStZ 1998, 377; Dahs, NJW 1994, 909 = BRAK-Mitt. 1994, 75; Dahs, FS Odersky (1996), S. 321 ff.

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Vorbereitung der Hauptverhandlung

Rn. 446

fangreichen Sachen. Hier bewhrt es sich, schon frhzeitig einen Plan fr die Hauptverhandlung in hnlicher Weise vorzubereiten wie Richter und Staatsanwalt. Die Art der Aufzeichnungen ist wiederum eine Frage des persnlichen Stils. Sie hngt auch von der eigenen Erfahrung ab, die man mit der vorbereitenden Systematisierung des Verfahrensstoffs und entsprechenden Aufzeichnungen gemacht hat. Am wichtigsten ist die bersichtlichkeit der Notizen. Ergnzungen und nderungen mssen sich leicht anbringen lassen. In vielen Fllen empfiehlt es sich sogar, die verschiedenen Komplexe oder historischen Abschnitte eines Geschehens auf getrennten Bogen zeitlich geordnet zu skizzieren. Dadurch lßt sich auch ein sprder Stoff in Stichworten verhltnismßig einfach erarbeiten. Auch kann der Verteidiger die vorbereiteten Aufzeichnungen in der Hauptverhandlung ergnzen. Er erkennt sofort etwaige Widersprche gegenber frheren Erklrungen der Beteiligten. Er besitzt die Grundlage fr das Pldoyer, das in manchen Fllen allein an Hand geordneter Notizen gehalten werden kann (Rn. 711). Aus diesen Grnden ist es zweckmßig, jeweils gesondert aber nach demselben Schema bersichtlich Tatzeit, etwaige Mittter, Zeugen, Sachverstndige und Urkunden unter Angabe der Blattzahlen aus den Gerichtsakten zu vermerken. Stichwortartig kann auch der Inhalt der Einlassung des Mandanten und der Beweispersonen festgehalten werden. Greifen einzelne Abschnitte ineinander ber, so sind Verweisungen zu empfehlen. (Vgl. auch Rn. 445 ff.). Bei dieser Vorbereitung ist zunchst der Sachverhalt zu erarbeiten, der sich bisher aus den Akten ergibt. Etwaige Widersprche sind hervorzuheben. Schon jetzt sollte man sich eingehend mit der Persnlichkeit der Zeugen und ihrer Bekundung beschftigen, um sie in der Hauptverhandlung sachgerecht befragen zu knnen (Rn. 543 ff.). Der Verteidiger wird auch vermerken, an welchen Stellen er mit einer abweichenden Darstellung in der Hauptverhandlung rechnet, etwa weil der Mandant seine Einlassung ndern will oder weil der Verteidiger eigene Zeugen oder Sachverstndige benannt hat oder laden lassen will. Vor der Hauptverhandlung abgelehnte Beweisantrge bedrfen besonderer Hervorhebung, damit nicht bersehen wird, sie in der Hauptverhandlung zu wiederholen (Rn. 468). Auch die eigenen Handakten mssen fr den Hauptverhandlungsplan ausgewertet werden, z. B. Notizen ber Besprechungen mit Mandanten, außergerichtliche Befragung von Zeugen und Sachverstndigen oder andere Erhebungen. Die Handakten sind deshalb mit Blattzahlen zu versehen. Wie die Erfahrung zeigt, ist es zweckmßig, fr bestimmte allgemeine Probleme, die in der Hauptverhandlung voraussichtlich angesprochen werden, besondere Aufzeichnungen anzulegen, z. B. fr die Umstnde, die fr die Strafzumessung, die Anrechnung der 315

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Rn. 447

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

Haft oder die Wegnahme des Fhrerscheins von Bedeutung sind. Auch erweist es sich immer wieder als praktisch, an den jeweiligen Stellen Anhaltspunkte fr die rechtliche Beurteilung in Stichworten oder Paragraphen zu notieren, die der Verteidiger spter nach dem neuesten Stand von Rechtsprechung und Schrifttum berarbeiten und vertiefen kann. Hierbei sollte er sein Augenmerk nicht zuletzt darauf richten, ob das Gericht Beweisergebnisse aus dem Ermittlungsverfahren in der Hauptverhandlung verwerten darf (Umgehung der Beweisverbote – Rn. 569, 625 ff.) oder Wahrunterstellungen beachten muß. Auch Einwendungen gegen das Verfahren (Rn. 416 ff.) sollten hier bereits festgehalten werden. 447

Nachdem inzwischen der Laptop Einzug in den Gerichtssaal gehalten hat (und zwar nicht nur auf der Verteidigerbank), ist er das ideale technische Hilfsmittel. Wer die Materie der elektronischen Datenverarbeitung einigermaßen beherrscht, ist damit in der Lage, den gesamten Verhandlungsstoff zu speichern, in Gliederungen unter verschiedenen Aspekten, in Stichworten oder in anderer Weise zu systematisieren und in der Hauptverhandlung jederzeit abzurufen. Die Erarbeitung eines entsprechenden Programms kann bei umfangreichen und komplexen Sachverhalten einige Mhe bereiten, lohnt sich aber. Whrend Staatsanwlte, Nebenklger oder Verteidigerkollegen noch bestimmte Unterlagen in Ordnern suchen, ist der Text auf dem Bildschirm bereits abzulesen und die Diskussion mit dem Gericht oder die Befragung eines Zeugen oder Sachverstndigen kann beginnen. Es entfallen auch die ebenso ermdenden wie fruchtlosen Errterungen darber, wie eine bestimmte Textstelle, die man gerade nicht zur Hand hat und nicht lange suchen will, nun wirklich lautet. Der Verteidiger sollte sich diese Mglichkeiten elektronischer Information zunutze machen; sie verschafft ihm bei vielen Gelegenheiten einen wichtigen Vorsprung an Schnelligkeit der Reaktion und zuverlssiger Prsentation von Sachverhalt. In Einzelfllen gibt es heute schon Gerichtsverhandlungen, in denen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung auf diese Weise „elektronisch prozedieren“.

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In den meisten Verfahren wird indes weiter auf „Papiergrundlage“ gearbeitet. Es ist eine Frage der persnlichen Neigung, ob man mit Ringbchern mit Austauschblttern oder mit einzelnen Bogen arbeitet, die ggfs. in einen Ordner zu heften sind. Es kann auch zweckmßig sein, Passagen der Beweisaufnahme stenografisch mitschreiben zu lassen. Allein auf sein Gedchtnis oder ungeordnete Stichworte sollte sich jedenfalls niemand verlassen.

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Die vollkommene Beherrschung des Prozeßstoffes reicht aber allein nicht aus. Wie sich immer wieder zeigt, wird den ußeren Gegebenheiten zu 316

Vorbereitung der Hauptverhandlung

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wenig Beachtung geschenkt, durch die sich der Verteidiger auch in der Hetze des Alltags die Vorbereitung eines Hauptverhandlungstermins vereinfachen kann. So sollte man sich rechtzeitig ber die Rumlichkeiten am Orte der Hauptverhandlung und im Sitzungssaal ber Mikrofone, LaptopAnschlsse, Sitzanordnungen usw. informieren. Da Pnktlichkeit geboten ist, empfiehlt es sich, die Nummer des Verhandlungssaals auf einem Zettel zu notieren oder sich zu merken, um zeitraubendes Suchen in der Aktentasche zu vermeiden. Zu dieser Art der Vorbereitung gehrt die Bereitstellung und Mitnahme der gngigen Kurzkommentare in jeweils neuester Auflage. berhaupt sollte sich der Verteidiger vor der Hauptverhandlung berlegen, was er als „Rstzeug“ bentigt, etwa speziell fr diesen Fall bedeutsame Rechtsprechung und Literatur (mglichst in Fotokopie). Es bewhrt sich immer wieder, wenn der Verteidiger derartiges Material in der Hauptverhandlung zur Hand hat. Es muß auch daran gedacht werden, daß eine Hauptverhandlung unterbrochen werden kann und dann in der Sitzung ein neuer Termin abgesprochen wird. Fr solche Flle empfiehlt es sich, einen Kalender seiner wichtigsten Termine zur Hand zu haben. Der Verteidiger tut auch gut daran, sich ber die Person der Berufsrichter und der Schffen der Hauptverhandlung ein Bild zu machen, insbesondere bei den Schffen – falls mglich – ihren Beruf und wenn mglich weiteres zu erforschen. Daraus kann er ntzliche Hinweise fr seine Verteidigung gewinnen (§ 24 Abs. 3 – Rn. 191).

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Mngel der Ladung wird der Verteidiger rgen mssen, wenn die ordnungsgemße Vorbereitung der Hauptverhandlung nicht gengend gewhrleistet ist. Das kann bei Nichtbeachtung der Ladungsfrist von einer Woche der Fall sein. Allerdings kann dem Mandanten an schneller Durchfhrung gelegen sein, oder dem Gericht soll eine rgerliche Unbequemlichkeit erspart werden. Gegen eine ermessensfehlerhafte Terminsbestimmung ist die Beschwerde zulssig258.

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Entscheidet sich der Verteidiger fr die Beanstandung eines Verfahrensfehlers, so ist es zweckmßig, dem Gericht hiervon rechtzeitig Mitteilung zu machen. Das Gericht wird dann den Termin von Amts wegen aufheben, andernfalls muß der Verteidiger den Termin wahrnehmen oder fr Vertretung sorgen. Denn die Verletzung der gesetzlichen Voraussetzungen fr Ladung und Ladungsfrist muß in Form des Aussetzungsantrages in der Hauptverhandlung gergt werden. Sonst geht das Rgerecht verloren. Handelt es sich um einen Fall der notwendigen Verteidigung, so kann zwar das Gericht die Hauptverhandlung aussetzen oder einen anderen 258 OLG Frankfurt/M., StV 2001, 157; OLG Hamburg, StV 1995, 11; OLG Mnchen, NStZ 1994, 451; LG Dsseldorf, StraFo 2003, 425.

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Rn. 452

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

Verteidiger bestellen, wenn der Pflichtverteidiger ausbleibt (§ 145 Abs. 1). Der Verteidiger setzt sich aber dann dem Vorwurf der Mißachtung des Gerichts aus, jedenfalls ist „das Klima verdorben“ (Rn. 193). 452

Bei Prfung der Frmlichkeiten der Ladung ist zu bercksichtigen, daß der Verteidiger selbst nur geladen werden muß, wenn er seine Wahl im Zeitpunkt der Ladung dem Gericht angezeigt hat (§ 218 Abs. 1). Bei mehreren Verteidigern ist jeder Verteidiger gesondert und einzeln zu laden259. Schwierigkeiten treten auf, wenn das Mandat erst nach Zustellung der Terminsladung erteilt wird. Sie beginnen fr den Verteidiger schon bei der Einsicht in die Akten, die kurz vor der Hauptverhandlung hufig nicht sofort greifbar sind. In Verfahren auch nur mittleren Umfangs ist die Zeit dann meist zu kurz bemessen, um eine pflichtgemße Vorbereitung zu ermglichen. Je nach Umfang und Schwierigkeit der Sache wird der Verteidiger um eine Verlegung der Hauptverhandlung bitten mssen, auch wenn die Ladungsfrist eingehalten ist. Er kann darauf hinweisen, daß die Frmlichkeiten der Ladung das rechtliche Gehr sichern sollen und zwar auch in dem Sinne, daß ausreichend Zeit zur Vorbereitung bleibt. Dieser Grundsatz verlangt unter Umstnden wesentlich lngere als die gesetzlichen Fristen. Das ist in der Rechtsprechung fr den Pflichtverteidiger anerkannt260. Falls nach Art und Umfang der Sache eine lngere Vorbereitungszeit unumgnglich ist, darf der Verteidiger von einem Vertagungsantrag nicht deshalb absehen, weil er befrchten muß, die Gunst des Gerichts zu verlieren (Rn. 192). Niemand, auch nicht der Richter, kann dem Verteidiger die Verantwortung abnehmen. Der Verteidiger allein kann bersehen, ob er den Sachverhalt vllig kennt und ob er zur Vorbereitung noch weitere Zeit braucht. Richtschnur sind ausschließlich die Interessen des Mandanten, selbst wenn das Gericht durch die Aussetzung in Terminnot gert. Der Auftraggeber muß sich darauf verlassen knnen, daß der Verteidiger ausreichende Vorbereitungszeit durchsetzt. In allen Fllen, in denen der Verteidiger um eine Verlegung der Hauptverhandlung bitten muß, bewhrt es sich, dem Vorsitzenden die Grnde schriftlich darzulegen. Daraus kann sich brigens durchaus ein fr die Verteidigung ntzliches Gesprch ergeben (Rn. 454 f., 462).

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Dies gilt auch bei einer Verhinderung des Mandanten. Freilich hat der Verteidiger darauf zu achten, daß der Sachverhalt wahrheitsgemß vorgetragen wird. Er darf sich auch nicht „vorspannen“ lassen, falls ein Zeitgewinn wnschenswert wre, etwa weil in einem spteren Zeitpunkt das Verhandlungsklima gnstiger ist. Es gilt zwar als Erfahrungsregel, daß die 259 BGHSt. 36, 259; BGH, NStZ 1995, 298. 260 BGH, NJW 1963, 1114.

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Vorbereitung der Hauptverhandlung

Rn. 454

Zeit fr den Beschuldigten arbeitet. Der Verteidiger darf aber nicht auf dieses Ziel hinwirken, sonst setzt er sich dem Verdacht der Strafvereitelung (auf Zeit) aus (Rn. 64). Keineswegs darf er dem Mandanten raten, ohne triftigen Grund in der Hauptverhandlung nicht zu erscheinen. Ein besonderes Kapitel sind Terminkollisionen des Verteidigers (vgl. auch Rn. 161 f. und 400, 454). Sie fhren hufig zu Mißhelligkeiten und starker Belastung, weil die Gerichtspraxis sehr unterschiedlich ist. Viele Vorsitzende sehen es heute zwar als Selbstverstndlichkeit an, in grßeren Sachen den Hauptverhandlungstermin langfristig mit der Verteidigung abzustimmen. Auf der anderen Seite erlebt man es immer wieder, daß ein sachlich gerechtfertigter Verlegungsantrag unter lapidarem Hinweis auf „die Geschftslage“ oder z. B. mit der Begrndung abgelehnt wird, der Termin sei „langfristig mit dem Sachverstndigen abgesprochen“ (!). Obwohl § 228 Abs. 2 immer noch bestimmt, daß die Verhinderung des Wahlverteidigers kein Grund zur Aussetzung der Hauptverhandlung ist, darf der Verteidiger derartige Entscheidungen nicht hinnehmen. Der Beschuldigte hat einen Anspruch darauf, von dem Anwalt seines Vertrauens verteidigt zu werden261. Dieses Recht steht im Range dem Gebot zur Verfahrensbeschleunigung grundstzlich nicht nach. Aufgrund seiner Stellung und Aufgabe in der Rechtspflege kann der Verteidiger beanspruchen, daß sein beruflicher Einsatz nicht „von Obrigkeits wegen“ verfgt wird, sondern Termine in grßeren und bedeutsamen Sachen – wenn eben mglich – einverstndlich festgelegt werden. Der Verteidiger sollte darauf bestehen, daß auf seine Verhinderung in allen Fllen Rcksicht genommen wird, in denen eine anders nicht zu beseitigende Kollision mit einer gleichrangigen beruflichen Aufgabe besteht. Das ist z. B. der Fall, wenn eine Kollision mit einem Termin vor einem hheren Gericht, insbesondere einem Revisionsgericht (Rn. 975) oder mit einer bereits frher abgestimmten Hauptverhandlung in einer vergleichbar gewichtigen Sache besteht, oder wenn die Kollision durch die Verzgerung einer anderen Hauptverhandlung entsteht, die weder der Verteidiger noch der Angeklagte zu vertreten hat262. Zu den anzuerkennenden Verhinderungen gehrt grundstzlich auch der Urlaub des Verteidigers, zumal wenn er in die allgemeine Ferienzeit fllt263.

261 Art. 6 Abs. 3 c MRK, BVerfGE 38, 105, 111; BGH, StV 2004, 191; OLG Braunschweig, StraFo 2004, 242; OLG Frankfurt/M., StV 1995, 9, 11; OLG Frankfurt/M., StV 1997, 402. 262 OLG Hamm, NJW 1969, 943; vgl. auch die bedeutsamen Ausfhrungen des BFH im AnwBl. 1976, 126, der fr § 227 ZPO sogar zu einer „Rechtspflicht“ des Gerichts zur Terminverlegung gelangt. 263 Auf den Urlaub eines Zeugen wird fast immer Rcksicht genommen!

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454

Rn. 454

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Der Verteidiger muß aber auch seinerseits zur Vermeidung von Terminkollisionen beizutragen. So empfiehlt es sich vielfach, das Gericht schon im Zwischenverfahren zu bitten, „fr den Fall der Erffnung des Hauptverfahrens den Hauptverhandlungstermin langfristig abzustimmen, damit Terminkollisionen vermieden werden knnen“. Auf bereits feststehende Verhinderungen in den folgenden Wochen oder Monaten z. B. durch andere Strafsachen oder Urlaub sollte dabei hingewiesen werden. Ein Vorsitzender wird sich nur schwer ber solche Anregungen und Bitten eines Verteidigers hinwegsetzen knnen. Termine in Zivilsachen oder „kleine“ Bußgeldsachen werden im allgemeinen zurcktreten mssen, zumal hier eine Vertretung leichter zu ermglichen ist. Ggfs. muß der Verteidiger in der Hauptverhandlung einen Aussetzungsantrag stellen und einen Gerichtsbeschluß herbeifhren. Damit wird die berprfung des Vorganges in der Revision erffnet (§ 338 Nr. 8) (Rn. 938). Die Aufhebung eines Termins kann nicht verlangt werden, wenn der Verteidiger das Mandat in Kenntnis der Kollision bernommen hat. Das Gericht kann im brigen erwarten, daß der Antrag auf Aufhebung eines Termins nicht nur formelhaft („wegen einer Terminkollision“), sondern im einzelnen, ggf. sogar unter Angabe des Aktenzeichens des kollidierenden Verfahrens, begrndet wird. Der Verteidiger sollte das Gericht auch darber informieren, aus welchem Grunde eine Vertretung z. B. durch einen Sozius in dieser Sache nicht mglich ist. Bei Erkrankung des Verteidigers braucht er allerdings ein rztliches Attest nicht vorzulegen. Er kann erwarten, daß seinem anwaltlichen Wort geglaubt wird. Daß jede Unwahrhaftigkeit des Verteidigers in diesem Bereich die Rcksichtnahme und Kooperationsbereitschaft des Gerichts fr alle Zukunft ausschließt, versteht sich am Rande; auch seine persnliche Glaubwrdigkeit wre verloren. Es kann nur im Einzelfall entschieden werden, ob bei Terminschwierigkeiten eine schriftliche Eingabe, eine persnliche oder telefonische Besprechung mit dem Richter der geeignete Weg ist. Stets sollte der Verteidiger ber die Sitzungstage des Gerichts informiert sein und dem Richter Ausweichtermine „anbieten“ knnen. Die Verstndigung des Gerichts muß auch unverzglich nach Eingang der Terminsmitteilung erfolgen, damit der Vorsitzende ggfs. eine andere Sache „einschieben“ kann oder in Großverfahren durch eine Umgestaltung des Verhandlungsplanes und/ oder die zustzliche Bestellung eines Offizialverteidigers die Abwesenheit des Wahlverteidigers an einzelnen Verhandlungstagen berbrcken kann264. Ein Kompromiß in diesen Fragen ist – auch im Hinblick auf das

264 BGH, NJW 1973, 1985.

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Vorbereitung der Hauptverhandlung

Rn. 456

Verhandlungsklima – allemal besser als stures Beharren auf einer (vermeintlichen) Rechtsposition oder eine Beschwerde265. Es gibt im brigen noch eine andere Mglichkeit, die mit der Bestellung eines Vertreters zusammenhngt. Falls eine Terminkollision nicht zu beheben ist, muß der Verteidiger zu der einen oder anderen Sache einen Vertreter entsenden. Bei Bestellung eines Pflichtverteidigers kann dieser den Wahlverteidiger vertreten. Viele Vorsitzende akzeptieren eine solche Lsung. Kommt sie nicht in Betracht, so muß der Verteidiger dafr sorgen, daß der Vertreter voll informiert ist. Sonst kann er die Verteidigung nicht wirksam fhren. Als Vertreter kommen entweder Kollegen aus der eigenen Kanzlei oder andere Kollegen in Frage, die fr ein angemessenes Honorar (Rn. 1177) aushelfen. ußerstenfalls muß die Sache vllig an einen Kollegen abgegeben werden. Auch die Vertretung durch Referendare kann in geeigneten Sachen Betracht kommen (Rn. 26). Zuweilen gelingt mit dem Vorsitzenden auch eine Vereinbarung dahin, daß auf die Verhinderung durch Auswahl entsprechenden Verhandlungsstoffes (indirekt) Rcksicht genommen wird.

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b) Prfung der Zustndigkeit Zur Vorbereitung der Hauptverhandlung gehrt auch eine berprfung der Zustndigkeit des mit der Sache befaßten Gerichts. Diese Maßnahme ist notwendig, wenn der Verteidiger sich die Revisionsrge der Unzustndigkeit des Tatgerichts (§ 338 Nr. 4) erhalten will, da insoweit eine Rgeprklusion besteht. Die Untersuchung der Zustndigkeit kann sich aber auch aus Grnden empfehlen, die nicht im Bereich des Revisionsrechts liegen. Die rtliche Unzustndigkeit des Gerichts ist nach Erffnung des Hauptverfahrens nur auf besondere Rge zu beachten, die bis zum Beginn der Vernehmung des Mandanten vorgebracht sein muß (§ 16 S. 2). Findet die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten statt, muß die Beanstandung vor Beginn der Verhandlung geltend gemacht werden. Bei der Untersuchung der rtlichen Zustndigkeit ist an Hand der Akten zu ermitteln, welcher Gerichtsstand (§§ 7 ff.) in Betracht kommt und ob das angerufene Gericht auch nach dem Geschftsverteilungsplan rtlich zustndig ist. Neben der rtlichen Zustndigkeit bedarf die besondere funktionelle Zustndigkeit ebenfalls der berprfung, weil auch hier eine Rgeprklusion (§ 6a) gilt. Diese Rge kommt in Betracht, wenn z. B. statt der angerufenen allgemeinen Strafkammer eine besondere Strafkammer (§ 74e 265 OLG Stuttgart, NJW 1976, 1647 m. w. N.

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Rn. 457

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GVG) zur Entscheidung berufen ist. Auch hier muß die Rge bis zum Beginn der Vernehmung des Mandanten zur Sache vorgebracht werden. Der Verteidiger wird aber stets berlegen mssen, ob eine Verweisung des Verfahrens an die Spezialstrafkammer tatschlich den Interessen seines Mandanten dient, oder ob dieser nicht vielleicht bei der allgemeinen Strafkammer letztlich doch „besser aufgehoben“ ist. Eine besondere Form ist fr die Rge nicht vorgeschrieben: im Hinblick auf die den Beschwerdefhrer im Revisionsverfahren treffende „Beweislast“ ist die Schriftform dringend zu empfehlen. Der Inhalt der Rge muß den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 entsprechen266. Die Verfahrensvoraussetzung der sachlichen Zustndigkeit im brigen ist durch das Gericht von Amts wegen zu prfen (§ 6). Hier geht es jedoch nur um die Frage, ob ein Gericht hherer Ordnung zustndig ist, z. B. anstelle des Schffengerichts die Große Strafkammer. Fr den Verteidiger wird im allgemeinen kein Anlaß bestehen, die Verweisung der Sache an das hherrangige Gericht zu beantragen, weil damit in der Regel eine Instanz verlorengeht. Es gibt allerdings Ausnahmen: Hat sich z. B. das Oberlandesgericht, das bei einer Hauptverhandlung I. Instanz vor dem Schffengericht fr die Revision zustndig wre, in wesentlichen Sach- oder Rechtsfragen des Falles bereits im Haftprfungsverfahren, Beschwerdeverfahren oder Klageerzwingungsverfahren festgelegt, so kann die Verweisung an die Große Strafkammer als Tatgericht I. Instanz zweckmßig sein, weil damit das OLG aus dem Verfahren ausgeschaltet wird. Der damit verbundene Verlust der zweiten Tatsacheninstanz ist manchmal das kleinere bel. c) Besetzung der Richterbank 457

Auch mit der ordnungsgemßen Besetzung des Gerichts muß sich der Verteidiger bereits vor der Hauptverhandlung befassen, wenn er sich fr die Revisionsinstanz die Mglichkeit einer Besetzungsrge (§ 338 Nr. 1) (dazu Rn. 929) sichern will. Die Rgeprklusion tritt allerdings nur dann ein, wenn die Besetzung des Gerichts mitgeteilt und den Verfahrensbeteiligten ausreichende Gelegenheit zur berprfung gegeben worden ist. Die Einzelheiten des nicht unkomplizierten Verfahrens sind in den §§ 222a und 222b geregelt. Die sich in der Praxis ergebenden Fragen sind zahlreich und vielgestaltig: insoweit muß wegen aller Einzelheiten auf die Kommentarliteratur und das Schrifttum verwiesen werden, mit dem man sich sehr sorgfltig vertraut machen muß267. 266 BGH, GA 1980, 255; Dahs/Dahs, Rn. 172. 267 Dahs/Dahs, Rn. 120 ff.; Sarstedt/Hamm, Rn. 307; Beck'sches Formularbuch/ Danckert/Ignor, 4. Aufl., 2002, S. 334.

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Vorbereitung der Hauptverhandlung

Rn. 458

Die Praxis der Gerichte bei der Mitteilung ihrer Besetzung ist unterschiedlich. Es gibt Gerichte, die grundstzlich die Besetzung erst zu Beginn der Hauptverhandlung bekanntgeben. Der Verteidiger muß wissen, daß er in solchen Fllen Anspruch auf Unterbrechung der Hauptverhandlung fr eine Woche hat268. Es gehrt zu den Widersprchlichkeiten des Strafprozesses, daß manche Richter in solchen Fllen rgerlich reagieren, wenn der Verteidiger den durch die Sumigkeit des Gerichts ausgelsten Unterbrechungsanspruch geltend macht bzw. voll „ausschpft“. Man wird das unbehagliche Gefhl nicht los, daß die Ausnutzung der dem Verteidiger ausnahmsweise hier zugewachsenen „Position der Strke“ gegenber dem Gericht fr den Mandanten das Risiko irgendwelcher Nachteile mit sich bringt. Der Verteidiger, der solche Konfrontation von vornherein vermeiden will, wird sich ungeachtet des § 222a die Kenntnis von der Besetzung der Richterbank verschaffen und diese berprfen. Es gibt sogar Gerichte, die an auswrtige Verteidiger zugleich mit der Besetzungsmitteilung die entsprechenden Unterlagen (Auszug aus dem Geschftsverteilungsplan, nderungsbeschlsse, Auszge aus den Schffenunterlagen) bersenden. Der Verteidiger steht dann vor der Frage, ob er sich auf diesen „Service“ verlassen kann oder zustzlich eine eigene berprfung der Originalunterlagen vornehmen muß. Soweit die ihm bermittelte Dokumentation lckenlos und in sich schlssig ist, kann er wohl auf ihre Richtigkeit und Vollstndigkeit vertrauen; in jedem Zweifelsfalle ist jedoch die eigene Kontrolle vorzuziehen. Die Nachprfung der Besetzung des Gerichts erfordert genaueste Nachforschungen und manchmal geradezu Suchaktionen. Sie erstreckt sich sowohl auf die Berufsrichter (inkl. einer etwaigen „Zweierbesetzung“ der Strafkammer269) wie auf die ehrenamtlichen Richter. Der Berufung und Auswahl der Richter sowie der Zusammensetzung des Spruchkrpers ist an Hand der Generalakten und des Geschftsverteilungsplanes nachzugehen. Die Geschftsstellen der Gerichte und der Justizverwaltung sind verpflichtet und innerdienstlich angewiesen, dem Verteidiger die in Betracht kommenden Vorgnge offenzulegen; darauf hat der Verteidiger einen Rechtsanspruch270. Bezglich der Berufsrichter bei den Strafkammern ist der Geschftsverteilungsplan zu berprfen, der vom Prsidium des Landgerichts aufgestellt

268 BGHSt. 29, 283. 269 Dahs/Dahs, Rn. 128a. 270 So schon BVerwG, NJW 1961, 1989 fr die Einsicht in die Geschftsverteilungsplne sowie die Schffenlisten.

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Rn. 459

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ist (§ 21e Abs. 1 S. 1 GVG). Zunchst ist der Frage nachzugehen, ob das Prsidium ordnungsgemß gebildet (§ 21b GVG) ist. Der Verteidiger sollte auch untersuchen, ob der Geschftsverteilungsplan etwa nicht in zulssiger Weise aufgestellt271 oder von vorneherein undurchfhrbar, sein Inhalt also insgesamt rechtswidrig ist, oder ob er gendert worden ist, ohne daß dafr die Voraussetzungen des § 21e Abs. 3 GVG gegeben waren. Allerdings wird fr die Revisibilitt von Fehlern „Willkr“ gefordert272. Hinsichtlich des Vorsitzenden kann die Besetzungsrge dann begrndet sein, wenn dieser infolge anderweitiger Aufgaben so hufig verhindert ist, daß er auf die Rechtsprechung der Kammer keinen richtungsweisenden Einfluß ausben kann273. Hinsichtlich der Beisitzer ist die Zuteilung im Geschftsverteilungsplan maßgebend: dabei sind insbesondere auch die dort getroffenen Regelungen fr die Reihenfolge der Vertreter im Verhinderungsfalle zu beachten. Hat die Strafkammer mehr als zwei Besitzer, so regelt sich die Heranziehung in den einzelnen Sachen nach dem internen Geschftsverteilungsplan der Strafkammer (§ 21g GVG). 459

Bei den Schffen ist die Identitt der mitwirkenden Schffen mit den ausgelosten Schffen zu kontrollieren, ebenso die Ordnungsmßigkeit der Auslosung274 und Vereidigung275. Sind Hilfsschffen zugezogen worden, so kann es darauf ankommen, wer die Entscheidung ber die Streichung des Hauptschffen oder seine Entbindung von der Einzelsitzung getroffen hat276, ob tatschlich der in der Hilfsschffenliste an nchster Stelle stehende noch nicht „verbrauchte“ Hilfsschffe herangezogen worden ist, ob, wann und von wem die Schffen beeidigt worden sind u. a.277. Nicht jeder Fehler in der Besetzung des Gerichts ist jedoch ein absoluter Revisionsgrund i. S. des § 338 Ziff. 1. Nur bei (objektiv) willkrlicher, nicht schon bei irrtmlicher Abweichung von den Geschftsverteilungsplnen wird ein revisionsbegrndender Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG anerkannt278. 271 BGHSt. 18, 386. 272 Vgl. BGHSt. 44, 161; Dahs/Dahs, Rn. 123, 126. 273 Nach BGHZ 37, 210 muß der Vorsitzende durchweg 75% der ihn treffenden Obliegenheiten selbst erledigen; BGHSt. 25, 54; auch BGHZ 88, 1; MeyerGoßner, § 21 f. GVG Rn. 2. 274 BGH, StV 1983, 446; BGH, NStZ 1984, 274; i. e. Dahs/Dahs, Rn. 146 ff. 275 Dazu BGH, NStZ 2004, 98; BGH, NJW 2001, 3062. 276 Die Grnde fr die Entbindung eines Schffen von der Dienstleistung sind der revisionsgerichtlichen Nachprfung entzogen, BGH, GA 1981, 382; i. . Dahs/Dahs, Rn. 150. 277 Dazu i. e. KK-Kuckein, § 338 Rn. 39 ff. 278 Vgl. nur BGHSt. 22, 237, 239; BGHSt. 44, 161; Meyer-Goßner, § 21e GVG Rn. 25.

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Vorbereitung der Hauptverhandlung

Rn. 460

Die Frage, in welchem Zeitpunkt die Besetzungsrge erhoben wird, lßt sich nur im Einzelfall beantworten. Soll die Besetzungsrge „vorsorglich“ erhoben werden, um fr den Fall eines ungnstigen Ausganges des Verfahrens fr die Revision einen „Pfeil im Kcher“ zu haben, so wird die Geltendmachung der Beanstandung bis zur Hauptverhandlung zurckzustellen sein, weil erfahrungsgemß das Gericht dann eher geneigt ist, an seiner Besetzung festzuhalten, die beantragte Unterbrechung abzulehnen (Rn. 511) oder die Rge zurckzuweisen, die dann in der Revision uneingeschrnkt erhoben werden kann. Geht es jedoch darum, einen oder mehrere Richter aus bestimmten Grnden im Interesse des Klienten bereits von der Mitwirkung in der Tatsacheninstanz auszuschließen, so wird es sich i. d. R. empfehlen, die Rge so rechtzeitig vor der Hauptverhandlung geltend zu machen, daß das Gericht unbeeinflußt von Organisations- und Zeitdruck entscheiden und noch rechtzeitig andere Richter zur Dienstleistung heranziehen kann (vgl. i. . Rn. 511). d) Ablehnungsgesuche Grnde und Verfahren der Richterablehnung sind im Unterabschnitt B V 3b aa behandelt (Rn. 198 ff.). Vgl. auch die dort angefhrte Rspr. u. Lit. Hier werden nur die Besonderheiten der Ablehnung im Stadium der Vorbereitung der Hauptverhandlung behandelt. Will der Verteidiger sich vor der Hauptverhandlung ber die Mglichkeiten einer Richterablehnung informieren, muß er rechtzeitig die Gerichtsbesetzung nachprfen. Im allgemeinen wird es gengen, auf der Geschftsstelle des Gerichts nachzufragen. Andernfalls kann der Verteidiger beantragen, ihm die in der Hauptverhandlung mitwirkenden Personen namhaft zu machen (§ 24 Abs. 3 S. 2). Das Gericht ist nmlich dann verpflichtet, eine nderung in der Besetzung mitzuteilen279. Unterlßt das Gericht die beantragte Mitteilung, so darf der Verteidiger nicht versumen, den Verfahrensfehler in der Hauptverhandlung zu beanstanden, sonst kann darauf eine Revision nicht gesttzt werden280. Kennt der Verteidiger die Besetzung des Gerichts, so kann es geboten sein, daß er die etwa gegen einzelne Gerichtspersonen in Frage kommenden Ablehnungsgrnde selbst nachprft, wenn sie nicht offen zutage liegen. Auch den Zeitpunkt des Ablehnungsgesuchs muß der Verteidiger sorgfltig berlegen (Rn. 205).

279 Meyer-Goßner, § 24 Rn. 21. 280 Meyer-Goßner, § 24 Rn. 22 m. N.

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Rn. 461 461

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Es kann zweckmßig sein, den Ablehnungsgrund zu einem mglichst frhen Zeitpunkt vorzubringen, also sogar einige Zeit vor der Hauptverhandlung. Dies ist z. B. dann zu empfehlen, wenn der Mandant ein Interesse daran hat, daß die Hauptverhandlung zu dem festgesetzten Zeitpunkt durchgefhrt wird. Verteidigungstaktisch ist die frhe Ablehnung unbedenklich, wenn die Ablehnungsgrnde eindeutig sind und das Gericht an dem Gesuch nicht „vorbeikommen“ kann. Vorsorglich sollte man allerdings prfen, welcher Richter an die Stelle des Abgelehnten rcken wird, damit man nicht trotz des erfolgreichen Ablehnungsgesuchs eine „bse berraschung“ erlebt. Die Zurckstellung eines Ablehnungsgesuchs bis unmittelbar vor Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten ber seine persnlichen Verhltnisse (§ 25 Abs. 1) kann sich aus verteidigungstaktischen Grnden dann empfehlen, wenn ein sachliches Interesse daran besteht, die Hauptverhandlung nicht so zgig „durchlaufen“ zu lassen wie vom Gericht geplant, oder wenn die Entscheidung ber das Ablehnungsgesuch schwierig ist und darauf spekuliert wird, daß dem Gericht in seinem Drang, die Hauptverhandlung zu „retten“, ein Fehler unterluft. Dieser kann dann ein „Pfeil im Kcher“ fr eine evtl. Revision sein. Schließlich kann die Zurckstellung des Ablehnungsgesuchs auch dem Ziel dienen, das Gericht „gesprchsbereit“ zu stimmen (Rn. 179, 496), z. B. wenn der abgelehnte Berichterstatter nicht kurzfristig ersetzt werden kann. Bei allen verteidigungstaktischen berlegungen sollte man allerdings § 26a Abs. 1 Nr. 3 im Auge behalten. Ein evidenter Mißbrauch des Ablehnungsrechts knnte in Extremfllen den Verdacht der versuchten Strafvereitelung (§§ 258, 22 StGB) auslsen.

e) Kontakte zu Gericht und Staatsanwaltschaft 462

In vielen Fllen ist es angebracht, vor der Hauptverhandlung den Vorsitzenden des Gerichts und den Sachbearbeiter der Staatsanwaltschaft zu einer Besprechung aufzusuchen. Dabei kann alles errtert werden, was fr die Hauptverhandlung bedeutungsvoll werden kann. Das ist der Fall fr dieselben Fragen und Umstnde, die im Stadium des Zwischenverfahrens zur Sprache kommen, wenn der Vorsitzende sie schon in diesem Zeitpunkt fr den Fall der Erffnung zur Diskussion stellt. Die sich hierauf beziehende eingehende Darstellung (Rn. 431 f.) fr das Erffnungsverfahren ist daher zugleich ein Teil des hier behandelten Abschnitts. In geeigneten Fllen erffnet sich gerade hier auch die Mglichkeit zu einer Verfahrensabsprache (Rn. 177 ff., 496 ff.), weil sie quasi die letzte Gelegenheit ist, die Hauptverhandlung ganz oder teilweise zu „ersparen“. Je nach Situation bei Gericht und Staatsanwaltschaft erhlt man u. U. geradezu verblffend gnstige „Angebote“. 326

Vorbereitung der Hauptverhandlung

Rn. 464

Wird dem Verteidiger erst so kurz vor der Hauptverhandlung Akteneinsicht gewhrt, daß die Vorbereitungszeit fr eine sachgerechte Verteidigung nicht mehr ausreicht, muß dies dem Gericht unverzglich mitgeteilt werden, damit es hinsichtlich des Termins noch anderweitig disponieren kann. Die Zurckstellung des Vertagungsantrages bis zur Hauptverhandlung kann dazu fhren, daß dem Verteidiger die Kosten des Termins auferlegt werden (§ 145 Abs. 4)281.

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Auch wenn frher schon Akteneinsicht gewhrt worden ist, sollte der Verteidiger kurz vor der Hauptverhandlung eine erneute Akteneinsicht (Rn. 254 ff.) durchfhren. Hufig hat der sachliche Inhalt der Gerichtsakten zugenommen282, aus Verfgungen des Gerichts und der Staatsanwaltschaft, auch aus Schriftstzen anderer Verfahrensbeteiligter oder Briefen von Zeugen an das Gericht ergeben sich nicht selten wichtige Hinweise fr die Verteidigung. In diesem Stadium des Verfahrens ist ggfs. auch bei dem Vorsitzenden und dem Prsidenten des Landgerichts zu beantragen, Foto- und Filmaufnahmen in und vor dem Sitzungssaal zu untersagen (Nr. 129 RiStBV)283. f) Verbindung zu Mitangeklagten und Mitverteidigern Der Verteidiger sollte sich in jedem Verfahren, an dem mehrere Angeklagte beteiligt sind, sptestens jetzt berlegen, ob und in welchem Umfang es notwendig ist, Kontakte mit den Mitangeklagten bzw. deren Verteidigern vor Beginn der Hauptverhandlung aufzunehmen. Das ist ebenso zulssig wie der Ansatz zu einer Sockelverteidigung (Rn. 68, 237)284. Nur muß der Verteidiger die Grenzen genau beachten, die das Verbot der Verdunkelung (Rn. 340) und der Strafvereitelung (Rn. 55, 68) setzen. Auch muß er sich selbstverstndlich jeder Beeinflussung der Mitangeklagten enthalten. Gegenber Mitangeklagten, die nicht verteidigt sind, ist besondere Vorsicht am Platze. Das gilt vor allen Dingen, wenn sich die Angeklagten bisher untereinander belastet haben und der Verteidiger feststellen will, wie sich der andere Mitangeklagte in der Hauptverhandlung einlassen wird. Erfahrungsgemß macht dieser Fall in der Praxis am ehesten die Befragung anderer Angeklagter erforderlich. Hier ist es empfehlenswert, sich auf die bloße Frage nach der Einlassung in der Hauptverhandlung zu beschrnken. In heiklen Fllen kann es geboten sein, die Frage 281 OLG Dsseldorf, AnwBl. 1981, 201. 282 Bei Verweigerung der Akteneinsicht besteht u. U. ein Vertagungsanspruch, OLG Hamm, VRS 1975 (49), 113. 283 BVerfGE 87, 334 = NJW 1992, 3288. 284 Meyer-Goßner, § 137 Rn. 11 m. N.

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Rn. 465

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auch schriftlich zu formulieren. Schriftliche Festlegung der Fragen ist auch zweckmßig, wenn es nur darum geht, ob andere Mitangeklagte ber Umstnde Bescheid wissen, die dem eigenen Mandanten unbekannt sind oder die ihn entlasten knnten (Rn. 307 ff.). Wird der Mitangeklagte verteidigt, so scheidet er als unmittelbarer Gesprchspartner aus. Die Prozeßsituation darf nur mit seinem Verteidiger errtert werden. Das gilt auch fr Verhandlungspausen, falls der Mitverteidiger nicht anwesend ist. In diesem Falle hat sich der Verteidiger jeder Errterung des Verfahrensgegenstandes zu enthalten. Dies widerspricht der Pflicht zur Kollegialitt und kann unangenehme Reaktionen bei dem bergangenen Verteidiger auslsen. Auch wenn man von einem Mitangeklagten in Abwesenheit seines Verteidigers angesprochen wird, ist i. d. R. Zurckhaltung zu empfehlen. Im brigen sind Verteidigerbesprechungen (Rn. 45, 68) in vielen Fllen auch in diesem Stadium notwendig. Freilich besteht die Gefahr der Verdunkelung auch hier, weil jeder Verteidiger die Akten und damit die Punkte kennt, in denen sich die Beschuldigten gegenseitig belasten. Jedenfalls kann leicht der Verdacht aufkommen, die Verteidiger „steckten unter einer Decke“. Es gelten hier dieselben berlegungen wie im Ermittlungsverfahren (Rn. 68). Allerdings sollte man deshalb die Verbindung zu den Mitverteidigern auch nicht scheuen. Sie kann bei voller Wahrung berufs- und prozeßrechtlicher Maximen außerordentliche Vorteile fr die Verteidigung bringen, z. B. Vereinbarung einer gemeinsamen Basis- oder Sockelverteidigung (Rn. 68, 237), „Arbeitsteilung“, Vermeidung sachlich nicht notwendiger Kontroversen u. a.285. g) Vorbereitung der Beweisfhrung 465

Grßte Aufmerksamkeit und schwierige Entscheidungen werden dem Verteidiger zur Vorbereitung der Beweisaufnahme abverlangt. Seine Mglichkeiten sind zweischneidig (vgl. besonders Rn. 475). Dazu kommt verschiedenes in Betracht. aa) Eigene „Ermittlungen“ Vgl. dazu das vor Rn. 307 angefhrte Schrifttum.

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Hat der Verteidiger eigene Beweispersonen bereits angehrt (Rn. 216 ff., 224), so kann zur Vorbereitung der Hauptverhandlung ggfs. eine nochma-

285 OLG Dsseldorf, NJW 1991, 996; Trndle/Fischer, § 258 Rn. 9; BRAK-Schriftenreihe, Bd. 8, These Nr. 13.

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Vorbereitung der Hauptverhandlung

Rn. 466

lige Befragung geboten sein. Unter Umstnden gehrt es zur Pflicht des Verteidigers, Zeugen und Sachverstndige vor der Hauptverhandlung zu befragen, wenn er vorher keine Gelegenheit dazu hatte und anders die Verteidigung nicht ordnungsgemß gefhrt werden kann (Rn. 307 ff., 442). Der Verteidiger ist gehalten, die Grenzen der Befragung zu beachten, und er sollte im eigenen Interesse auch den Anschein einer unzulssigen Beeinflussung vermeiden. Er darf jedoch einem Zeugen nahelegen, von einem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch zu machen (Rn. 216)286. Hat der Zeuge bereits ausgesagt und will er in der Hauptverhandlung schweigen, so muß der Verteidiger daran denken, daß die Verhrspersonen unter bestimmten Umstnden vernommen werden knnen (Rn. 569). Auch wird die bloße Aussageverweigerung eines Angehrigen hufig als Belastung des Mandanten gewertet (Rn. 563). Ist am Verfahren ein Sachverstndiger beteiligt, so kann auch eine nochmalige außergerichtliche Kontaktaufnahme im Interesse des Auftraggebers liegen. Das gilt insbesondere, wenn es sich um eigene Sachverstndige der Verteidigung handelt und deren Stellungnahme von anderen Prozeßbeteiligten angegriffen worden ist. Steht ein fachlicher Streit der Sachverstndigen bevor, wie vielfach in Strafverfahren mit medizinischen, pharmazeutischen oder technischen Problemen, so ist die Beratung mit dem eigenen Sachverstndigen und seine Information ber die forensischen Modalitten kurz vor der Hauptverhandlung unerlßlich. Der Verteidiger muß dabei beachten, daß Gerichte in der Hauptverhandlung gerne nach solchen Kontakten fragen. Obwohl sie zulssig sind287, hat man zuweilen doch das unangenehme Gefhl, daß sich Richter dadurch – in prozeßrechtlich nicht faßbarer – Weise beeinflussen lassen. Ein Indiz dafr kann die besonders kritische Befragung eines solchen Sachverstndigen sein. Dann ist ggfs. eine deutliche Erklrung der Verteidigung angebracht. Auch die Augenscheinseinnahme des Tat- oder Unfallortes kann zur Vorbereitung der Hauptverhandlung von großem Nutzen sein: sie ist unerlßlich, wenn die rtlichen Gegebenheiten ein wesentliches Element der Beweisfhrung bilden. Der Verteidiger sollte nicht ohne weiteres von den bei den Akten befindlichen polizeilichen Skizzen ausgehen. Diese knnen Unrichtigkeiten aufweisen, vor allem wenn sie auf Schemablttern (z. B. von Kreuzungen) erstellt werden. Auch Fotos bieten nicht immer eine naturgetreue Wiedergabe: schon ein ungnstiger Aufnahmewinkel kann zu tuschenden Verzerrungen fhren. Im allgemeinen vermittelt auch nur die eigene Ortsbesichtigung ein hinreichend plastisches Bild, um zu beur286 BRAK-Schriftenreihe, Bd. 8, These Nr. 29. 287 BRAK-Schriftenreihe, Bd. 8, These Nr. 31.

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Rn. 467

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

teilen, ob ein Beweisantrag auf richterliche Augenscheinseinnahme am Platze ist. bb) Antrge zur Beweiserhebung Alsberg/Nse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß, 5. Aufl., 1983, S. 335 ff.; Dahs/Dahs, Revision, Rn. 240; Nehm/Senge, Ursachen langer Hauptverhandlungen, NStZ 1998, 377; Oehler, Der vor der Hauptverhandlung gestellte Beweisantrag, JZ 1951, 725; Oske, Die Bescheidung von Beweisantrgen vor der Hauptverhandlung, MDR 1971, 797; Perron, Das Beweisantragsrecht des Beschuldigten im deutschen Strafprozeß, 1995; Schlothauer, Vorbereitung der Hauptverhandlung, 2. Aufl., 1998; Traub, Die Behandlung bergangener, nach § 219 StPO gestellter Beweisantrge, NJW 1957, 1095.

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Hufig ist es erforderlich, schon vor der Hauptverhandlung „Beweisantrge“ nach § 219 zu stellen. Sie kommen insbesondere in Betracht, wenn der Angeklagte erst nach Abschluß des Zwischenverfahrens einen Verteidiger beauftragt. Nach Form und Inhalt muß auch der vorweggenommene Beweisantrag die Voraussetzungen eines echten Beweisantrages erfllen (Rn. 641 ff.). Der Vorteil des Beweisantrages vor der Hauptverhandlung liegt darin, dem Vorsitzenden ggfs. die Zielsetzung der Verteidigung und den voraussichtlichen Umfang der Beweisaufnahme zu signalisieren. Die Beweisantrge knnen das Ziel haben, das Gericht schon bei der Vorbereitung der Hauptverhandlung „auf die richtige Schiene zu bringen“ oder die Schwierigkeiten aufzuzeigen, die eine (uneingeschrnkte) Durchfhrung der Hauptverhandlung mit sich bringen wrde (dazu Rn. 428 ff.). Evtl. besteht auch ein Interesse daran, Verstimmungen zu vermeiden, die leicht auftreten, wenn in der Hauptverhandlung die Beweisantrge berraschend gestellt werden (Rn. 659 f.). Freilich darf er auch die Nachteile nicht verkennen (Rn. 475). Nicht immer ist es allerdings zweckmßig, den Verteidigungsplan frhzeitig offenzulegen (Rn. 435 f.). Auch ist nicht auszuschließen, daß sich die Staatsanwaltschaft oder in ihrem Auftrage die Polizei mit einem vor der Hauptverhandlung benannten Zeugen oder Sachverstndigen befaßt. Auseinandersetzungen mit dem Vorsitzenden ber die Ladung von Zeugen oder Sachverstndigen dienen zudem meist nicht der Sache des Auftraggebers. Diesen Nachteil vermeidet der Verteidiger, wenn er auf einen Antrag nach § 219 verzichtet und die Beweispersonen selbst ldt, die er fr die Hauptverhandlung bentigt (Rn. 469 ff.), wobei er allerdings die gesetzlichen Einschrnkungen des § 245 Abs. 2 ins Kalkl ziehen muß.

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Der Verteidiger darf nicht bersehen, daß die Ablehnung eines vorweggenommenen Beweisantrages seine besondere Aufmerksamkeit verlangt. Die Ablehnung hat nur vorlufigen Charakter, so daß der Antrag in der 330

Vorbereitung der Hauptverhandlung

Rn. 469

Hauptverhandlung wiederholt werden muß. Das ist insbesondere erforderlich, wenn der Vorsitzende des Gerichts das Gesuch ohne Begrndung ablehnt oder antwortet, ber den Antrag werde in der Hauptverhandlung entschieden. Wiederholt der Verteidiger den Beweisantrag nicht, so kann ihm im Revisionsverfahren entgegengehalten werden, er habe darauf verzichtet288 (Rn. 518, 789). Eine Wiederholung des Antrages in der Hauptverhandlung kann lediglich unterbleiben, wenn der Vorsitzende den Beweisantrag mit der Begrndung ablehnt, die unter Beweis gestellte Tatsache werde als wahr unterstellt. Hierber zu befinden ist allein Sache des Gerichts in der Hauptverhandlung289. Erneute Stellung des Antrages ist auch erforderlich, wenn die auf einen Beweisantrag des Verteidigers von Amts wegen geladenen Zeugen oder Sachverstndigen in der Hauptverhandlung nicht erscheinen. Sonst geht das Rgerecht verloren. In allen Fllen der Ablehnung des Beweisantrages sollte sich der Verteidiger berlegen, ob er die von ihm benannten Beweispersonen nicht selbst ldt oder „stellt“ (Rn. 690 ff.) und einen erneuten Beweisantrag – evtl. mit Begrndung – in der Hauptverhandlung stellt (Rn. 467 ff.). Im Interesse des Mandanten darf er es nicht darauf ankommen lassen, einen Verfahrensverstoß erst im Revisionsverfahren zu rgen. cc) Selbstladung von Zeugen und Sachverstndigen Hartwig, Die Selbstladung von Auslandszeugen, StV 1996, 626; Jessnitzer/Ulrich, Der gerichtliche Sachverstndige, 11. Aufl., 2001; Krause, Der „Gehilfe“ der Verteidigung und sein Schweigerecht, StraFo 1998, 1; Mller, Egon, Der arme Angeklagte und § 245 StPO, ZRP 1969, 174; Mller, Egon, Der Grundsatz der Waffengleichheit im Strafverfahren, NJW 1976, 1063; v. Pentz, Entschdigung nach § 220 StPO unmittelbar geladener Personen aus der Staatskasse, NJW 1960, 735; Sarstedt/Hamm, Die Revision in Strafsachen, 6. Aufl., 1998, Rn. 732 f.; Schlothauer, Vorbereitung der Hauptverhandlung, 2. Aufl., 1998.

Das Recht des Verteidigers und des Nebenklgers (Rn. 1057), Zeugen und Sachverstndige zur Hauptverhandlung selbst zu laden (§ 220) hat von seiner Bedeutung fr die Verteidigerpraxis viel verloren, weil § 245 n. F. das Gericht nicht mehr zwingt, die geladenen und erschienenen Beweispersonen ohne weiteres zu hren, sondern der Verteidiger muß zustzlich einen Beweisantrag stellen, der allerdings nur unter eingeschrnkten Voraussetzungen abgelehnt werden kann. Auch mag die Bereitschaft des Gerichts zur Vernehmung aus psychologischen Grnden grßer sein, „wenn der Zeuge (Sachverstndige) nun schon mal da ist“. Das Verfahren der 288 BGHSt. 1, 286; BayObLG, GA 1964, 334; Meyer-Goßner, § 219 Rn. 7. 289 Meyer-Goßner, § 219 Rn. 7; differenziert: Alsbert/Nse/Meyer, S. 861 f.; abl. Bohnert, NStZ 1983, 344.

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Rn. 470

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

Selbstladung ist geboten, falls Beweisantrge vor der Hauptverhandlung ohne Begrndung oder mit fehlerhafter Begrndung abgelehnt werden (Rn. 468). Sie kann angebracht sein, falls es sich im Laufe einer Hauptverhandlung als notwendig erweist, einem bereits entlassenen Zeugen oder Sachverstndigen noch Fragen vorzulegen (Rn. 587). Schließlich ist die unmittelbare Ladung dann am Platz, wenn durch Beweisantrge mit Angabe des Beweisthemas die Strategie der Verteidigung zur Unzeit offenbart wrde. 470

Die Vorteile des prsenten Beweismittels kann der Verteidiger allerdings nur ausnutzen, wenn er die formellen Voraussetzungen hierfr geschaffen hat. Entscheidend ist die Ladung durch den Gerichtsvollzieher (§ 38). „Stellt“ der Verteidiger lediglich einen Zeugen oder Sachverstndigen ohne formelle Ladung, so gilt fr den Beweisantrag § 244 Abs. 3–5. Der Verteidiger sollte in jedem Einzelfall berlegen, ob er dem Gericht und der Staatsanwaltschaft die Ladung zur Hauptverhandlung mitteilt, auch wenn die Unterlassung rechtlich unschdlich ist (§ 222 Abs. 2). Es ist eine unangenehme Situation, wenn dem Verteidiger die unbegrndete Unterlassung der Mitteilung vorgehalten wird. Sie soll nmlich den Prozeßbeteiligten Gelegenheit geben, sich vor der Hauptverhandlung ber die Person des Geladenen zu unterrichten – nicht aber der Staatsanwaltschaft ermglichen, den Zeugen zunchst selbst – ohne Verteidiger zu vernehmen. Es kann auch zweckmßig sein, dem Gericht mitzuteilen, fr welchen Zeitpunkt der Hauptverhandlung der Zeuge geladen ist. Er braucht nmlich nicht zu Beginn der Hauptverhandlung anwesend zu sein290. Dagegen ist es sachlich geboten, die Mitteilung zurckzustellen, etwa wenn der berraschungseffekt der Gegenberstellung mit einem Belastungszeugen ausgenutzt werden soll.

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ber die Ladung durch den Gerichtsvollzieher ist in der Hauptverhandlung der Nachweis zu fhren. Ist die Zustellung vom Gerichtsvollzieher noch nicht zurck, so ist daran zu denken, daß Zeugen und Sachverstndige Ladungen meist bei sich tragen. Es reicht aus, wenn diese Ladungen dem Gericht vorgelegt werden. Der Verteidiger darf auch nicht vergessen, daß er bei der Ladung die gesetzliche Entschdigung fr Reisekosten und Versumnis durch den Gerichtsvollzieher in bar anbieten oder deren Hinterlegung nachweisen lassen muß. Sonst ist die Beweisperson nicht zum Erscheinen verpflichtet (§ 220 Abs. 2). Dieses Verfahren ist umstndlich. Besonders bei Sachverstndigen ist es schwierig, die Entschdigung fr Versumnisse in der richtigen Hhe anzubieten. Die Vergtung fr den Sachverstndigen braucht vorher nicht in jedem Falle angeboten zu wer290 Meyer-Goßner, § 243 Rn. 5.

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Vorbereitung der Hauptverhandlung

Rn. 473

den. Sind Zeugen oder Sachverstndige bereit zu erscheinen, so gengt es, auf der Ladung zu vermerken, daß der Angeklagte die Entschdigung fr Versumnis und Reisekosten zahlt. Diese Ladung verpflichtet die Beweisperson zwar nicht zum Erscheinen, auch ist die Ladung formell nicht in Ordnung, das Gericht hat aber das Angebot der Entschdigung nicht zu prfen291. Der Verteidiger darf allerdings in diesen Fllen in die Ladung nicht die Androhung einer Geld- oder Haftstrafe fr den Fall des Nichterscheinens aufnehmen, die wegen der Ordnungswidrigkeit der Ladung nicht verhngt werden knnte. Der Verteidiger knnte sich damit dem Verdacht der Ntigung aussetzen. Die Ladung von Sachverstndigen kann Schwierigkeiten wegen der Kostenfrage bewirken. Die Kosten knnen so betrchtlich sein, daß der Mandant sie nicht aufbringen kann. Bei Pflichtverteidigung stehen sie ohnehin meist nicht zur Verfgung. Damit wird eine Benachteiligung der Verteidigung sichtbar, die dem Prinzip der Waffengleichheit stark widerspricht292. Bei der Informationserteilung an den Sachverstndigen wird der Verteidiger dem Sachverstndigen auch seine Akten vollstndig zur Verfgung stellen, soweit dieser sie fr das Gutachten bentigt (Rn. 278). Auch wird er in geeigneten Fllen die Sache zunchst mit dem Sachverstndigen mndlich errtern und erst danach seinen Auftrag exakt formulieren. Hlt der Verteidiger oder der Sachverstndige weitere Sachaufklrung fr erforderlich, kann ggfs. das Gericht eingeschaltet werden (§ 80). Dabei knnen schwierige Situationen entstehen.

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Der Schriftsachverstndige z. B. kann sich meist nur ußern, wenn er die Urschrift der zu prfenden Urkunde untersuchen kann. Sie befindet sich regelmßig in den Akten. Der Verteidiger muß also fr den Sachverstndigen die Erlaubnis beantragen, die Urkunde einzusehen. Ist das bewilligt und geschehen und beruft er sich spter nicht auf diesen Sachverstndigen, so kann gefolgert werden, das Gutachten sei fr den Angeklagten ungnstig ausgefallen. Gericht und Staatsanwalt knnen auf den Gedanken kommen, nun diesen Sachverstndigen ihrerseits zu befragen. Es ist passiert, daß auf einen zunchst benannten Schriftsachverstndigen vom Verteidiger verzichtet werden mußte, weil er sich außerstande erklrte, sich zugunsten des Angeklagten zu ußern. Der Verteidiger war nicht wenig berrascht, im Sitzungssaal „seinen“ Sachverstndigen anzutreffen. Er war von dem Vorsitzenden, der aus dem Verzicht des Verteidigers seine Schlsse gezogen hatte, nachgeladen und wurde durch sein negatives Gutachten dem Angeklagten zum Verhngnis (Rn. 475). Die Erklrung des

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291 Lwe/Rosenberg/Gollwitzer[25], § 220 Rn. 17. 292 Egon Mller, ZRP 1969, 174.

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Rn. 474

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

Sachverstndigen zum „Gehilfen der Verteidigung“ mit der Folge des Zeugnisverweigerungsrechts nach § 53a ist geboten, aber nicht ohne rechtliches Risiko293. Eine hnliche Situation entsteht, wenn der Sachverstndige Untersuchungen an einem Prozeßbeteiligten durchfhren muß, z. B. fr ein psychologisches Gutachten die Exploration einer Zeugin (Kind) unerlßlich ist. Abgesehen davon, daß die Zeugin (Nebenklgerin) ohnehin dazu nicht gezwungen werden kann (§ 81c Abs. 1)294, knnte der Vorsitzende von sich aus Schwierigkeiten machen. Kommt der Verteidiger an diesen Klippen vorbei, kann er auch hier wieder der Verlierer sein, wenn der Sachverstndige zu einem negativen Ergebnis kommt und jetzt das Gericht auf der Vernehmung besteht. Wenig erfreulich wirkt es, wenn die Staatsanwaltschaft sich in die Bemhungen des Verteidigers um Gewinnung eines bestimmten Sachverstndigen einschaltet und ihn fr die Staatsanwaltschaft gewissermaßen „wegengagiert“. Das ist schon im Ermittlungsverfahren oft genug ein schweres Handicap der Verteidigung. Dem kann man allerdings dadurch vorbeugen, daß mit den in Betracht kommenden Sachverstndigen eine Reservierungsabrede getroffen oder ein Vorauftrag (z. B. Gutachtenskizze) erteilt wird. Das geht allerdings nur, wenn der Kreis der mglichen Gutachter fachlich oder lokal beschrnkt ist und entsprechende finanzielle Mittel zur Verfgung stehen. 474

Will der Verteidiger einen Sachverstndigen zur Hauptverhandlung laden, so stßt er auch noch auf andere Schwierigkeiten. Sachverstndige lehnen es hufig berhaupt ab, als „Parteigutachter“ ttig zu werden. Sie frchten den Anschein der Parteilichkeit und sind um ihren Ruf besorgt, obwohl sie keine Bedenken haben, sich von der Polizei oder Staatsanwaltschaft beauftragen und bezahlen zu lassen. Untersttzt wird diese Einstellung dadurch, daß Staatsanwlte in der Hauptverhandlung gegen Sachverstndige Front machen, die vom Verteidiger beauftragt sind. Es wird u. a. versucht, sie durch Ablehnungsantrge auszuschalten. Diese Erfahrung fhrt auch dazu, daß Sachverstndige versuchen, einer unmittelbaren Ladung auszuweichen, obgleich sie zum Erscheinen verpflichtet sind (Rn. 471). Solche Widerstnde darf der Verteidiger nicht hinnehmen, wenn er berzeugt ist, daß der in Aussicht genommene Sachverstndige zur Entlastung des Mandanten beitragen kann. Das ist allerdings leichter ge-

293 Str., bejahend Lwe/Rosenberg/Dahs[25], § 53a Rn. 5 m. N.; Krause, StraFo 1998, 1; Krekeler/Schonard, wistra 1998, 137; a. A. Meyer-Goßner, § 53a Rn. 2 m. N.; LG Essen, StraFo 1996, 52. 294 BGHSt. 14, 13.

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Rn. 475

sagt als getan. Wenn der Sachverstndige absolut nicht will, wird die Erzwingung seines Erscheinens dem Verteidiger nicht viel helfen. Von einem widerwilligen Sachverstndigen ist kein wirksamer Einsatz zu erwarten. Die ihm abverlangte geistige Leistung setzt vielmehr seine innere Bereitschaft voraus. Sie kann nicht erzwungen werden. In der Praxis hat es sich bewhrt, in solchen Fllen dem Sachverstndigen geduldig auseinanderzulegen, daß das Gericht schon im Interesse der Staatskasse aus Kostengrnden seine Ladung als weiterer Sachverstndiger nicht anordnen, aber von der Sache her seine Mitwirkung sehr begrßen werde. Mindestens kann man den widersprechenden Sachverstndigen darber aufklren, daß der Verteidiger ein selbstndiges, von der Zulassung durch das Gericht unabhngiges Ladungsrecht hat, mit dessen Hilfe die Vernehmung leichter durchgesetzt werden kann. dd) Gefhrliche Zweischneidigkeiten Schon in den voraufgehenden Abschnitten ist dargetan, daß die Vorbereitungsmaßnahmen des Verteidigers fr ihn recht gefhrlich werden knnen, wenn sie ihm aus der Hand gleiten (Rn. 467, 473). Es kommt hinzu, daß der Verteidiger schon in diesem Stadium daran denken muß, fr den Fall eines Schuldspruchs die Beweismittel fr die Zumessung der Strafe, der Maßregeln der Besserung und Sicherung und fr die Strafaussetzung zur Bewhrung zur Stelle zu haben (Rn. 645). Wenn das Gericht darauf abzielende Beweisbemhungen des Verteidigers erkennt, knnte es daraus Schlsse auf die Schuldberzeugung des Verteidigers ziehen. Zweischneidig ist insbesondere auch die Einfhrung von Sachverstndigen zur Beurteilung von Fragen der Schuldfhigkeit. Man weiß nie, was dabei herauskommt. So htte sich in einem von mir vertretenen Fall der Nachweis entlastender Tatmotive (Vermgensverluste, Erpressung, verschmhte Liebe, Mitleid, Kameradschaft) fr den Mandanten im Strafmaß sehr gnstig ausgewirkt. Ihre Einfhrung war aber nicht zu verantworten, weil dem Gericht gerade das Tatmotiv zur Schließung der Beweiskette noch fehlte. Solche gefhrlichen Zweischneidigkeiten (bei nach geltendem Recht fehlendem Schuldinterlokut) fhren den Verteidiger in ein unlsbares Dilemma (Rn. 747). Das ist brigens auch bei der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung der Fall (Rn. 645). Die unheilvolle Situation wird den Verteidiger auch hier zu vorsichtigen Erwgungen ntigen, ob nicht dem Mandanten das Eingestndnis (Rn. 18) etwa vorhandener Schuld nahegelegt werden soll. Damit wrde der Weg zu den Entlastungsbeweisen frei.

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Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

h) Entbindung vom Erscheinen, kommissarische Vernehmung und richterlicher Augenscheinsbeweis vor der Hauptverhandlung Maatz, Die Fortsetzung der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten, DRiZ 1991, 200; Mnchhalffen, Zur Zulssigkeit der Aussetzung der Hauptverhandlung zur Wahrung der prozessualen Waffengleichheit, StraFo 1996, 157; Schlothauer, Vorbereitung der Hauptverhandlung, 2. Aufl., 1998.

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Der Auftraggeber tritt gelegentlich mit dem Wunsch an den Verteidiger heran, vom Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden zu werden. Darber belehrt ihn das Gericht hufig vor der Ladung zum Termin, insbesondere bei Strafsachen geringeren Gewichts (Nr. 120 RiStBV). Es ist begreiflich, daß ein Angeklagter Zeit, Kosten und Aufregungen scheut, die die Wahrnehmung eines Termins an einem weit entfernten Gerichtsort nun einmal mit sich bringt. Er zieht es vor, sich kommissarisch vernehmen zu lassen. Der Verteidiger wird aber dadurch nicht von der Verantwortung entbunden, die Vorteile und die Nachteile gegeneinander abzuwgen und den Mandanten darber zu belehren. Auch wenn die Voraussetzungen des § 233 zu bejahen sind, wiegen die Nachteile hufig so schwer, daß er dem Mandanten raten muß, in der Hauptverhandlung anwesend zu sein. In vielen Verfahren wird sich ein gnstiges Ergebnis nur erreichen lassen, wenn der Mandant vor dem erkennenden Gericht Rede und Antwort steht. Die Vernehmung durch einen beauftragten oder ersuchten Richter, dessen Protokoll in der Hauptverhandlung ebenso verlesen wird wie die Niederschrift ber einen richterlichen Augenschein (§ 233 Abs. 3 S. 2), kann den persnlichen Eindruck nicht ersetzen. Die Niederschrift ist nicht mehr als eine Urkunde, die die Persnlichkeit, die sie unterschrieben hat, nur selten deutlich macht. Die vorweggenommene Vernehmung verzgert vielfach das Verfahren. Stellt sich beispielsweise in der Hauptverhandlung heraus, daß neue Tatsachen oder Beweismittel zu bercksichtigen sind, so muß der Angeklagte hierzu erneut richterlich vernommen werden, falls sie sich zu seinem Nachteil auswirken knnen295. Erfahrungsgemß kommt es auch vor, daß das Gericht im Verfahrensabschnitt zwischen Zulassung der Anklage und Hauptverhandlungstermin ergnzende Ermittlungen veranlaßt oder vornimmt, z. B. eine Zeugenvernehmung durchfhrt. Dieses Verfahren kann der Verteidiger ggfs. als unstatthaft beanstanden296. Soll ein Antrag nach § 233 gestellt werden, den der Verteidiger nur mit ausdrcklicher Ermchtigung des Mandanten einreichen kann297, jedoch

295 Meyer-Goßner, § 233 Rn. 16. 296 Meyer-Goßner, Vor § 213 Rn. 5. 297 Meyer-Goßner, § 233 Rn. 5.

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Vorbereitung der Hauptverhandlung

Rn. 478

auch noch in der Hauptverhandlung der Berufungsinstanz298, so ist es zweckmßig, die Meinung des erkennenden Gerichts vorher festzustellen. In aller Regel lßt sich auf diese Weise vorweg klren, ob das Gericht berhaupt bereit ist, auf die Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung zu verzichten. Der Verteidiger sollte beim Gericht in vorsichtiger Weise anfragen, damit nicht der Eindruck entsteht, der Angeklagte wolle sich vor der Hauptverhandlung „drcken“ oder er nehme seine eigene Sache nicht so wichtig. hnlich problematisch ist das eigenmchtige Ausbleiben des Mandanten in der Hauptverhandlung. Unter den Voraussetzungen des § 232 kann zwar ohne den Angeklagten verhandelt werden; auch kann der Verteidiger den Mandanten mit schriftlicher Vollmacht vertreten (§ 234) und, wenn die Voraussetzungen gegeben sind, zu Beginn der Hauptverhandlung noch beantragen, den Mandanten vom Erscheinen zu entbinden, wozu ein Gerichtsbeschluß herbeigefhrt werden muß299. Das unentschuldigte Fehlen macht aber einen schlechten Eindruck. In der Regel wird das persnliche Erscheinen angeordnet und ein Vorfhrungs- oder Haftbefehl erlassen (§ 236). Kommt es zu einer Verurteilung des nicht erschienenen Angeklagten, so ist sowohl der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als auch Berufungseinlegung zu erwgen (§ 235: Rn. 856, 1074).

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Rechtzeitig vor der Hauptverhandlung sollte der Verteidiger feststellen – gegebenenfalls durch persnliche Vorsprache (Rn. 462) –, ob das Gericht die kommissarische Vernehmung von Zeugen oder Sachverstndigen oder einen richterlichen Augenschein außerhalb der Hauptverhandlung beabsichtigt (§§ 223, 225). Keinesfalls darf der Verteidiger den Standpunkt einnehmen, man knne das Ergebnis einer kommissarischen Vernehmung erst einmal abwarten. Wie die Erfahrung lehrt, ist es nach der Vernehmung meist zu spt. Der Verteidiger wird auf der Anhrung der Beweispersonen in der Hauptverhandlung bestehen mssen, falls nach der Bedeutung der Sache und nach der zu erwartenden Aussage des Zeugen oder Sachverstndigen der persnliche Eindruck entscheidend ist. Das ist besonders wichtig bei Zeugen, die den Mandanten voraussichtlich belasten. Besteht freilich keine Aussicht, die Belastung zu erschttern oder gar zu widerlegen, so kann es auch richtig sein, der kommissarischen Vernehmung nicht zu widersprechen. Die Beweiskraft belastender Angaben wird mglicherweise ohne den persnlichen Eindruck des Zeugen geringer. hnliche Erwgungen wird der Verteidigung bei der beabsichtigten Vorfhrung einer Bild-Ton-Aufzeichnung (§ 255a) anzustellen haben. Auch

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298 BGHSt. 25, 281; OLG Kln, NJW 1969, 705. 299 Nachw. bei Meyer-Goßner, § 233 Rn. 9.

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Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

Lichtbilder und Skizzen darf der Verteidiger nicht ohne weiteres als Beweismittel gelten lassen. Hufig besteht die Veranlassung, die Vernehmung des Herstellers zu beantragen300. Skizzen und Lichtbilder knnen jedoch jederzeit als Hilfsmittel der Vernehmung Verwendung finden. In allen Fllen der kommissarischen Vernehmung und des vorweggenommenen Augenscheins muß der Verteidiger grundstzlich selbst den Termin wahrnehmen, von dem er zu benachrichtigen ist (§§ 224 Abs. 1, 225, 233 Abs. 3). Der Verteidiger kann bei Verhinderung eine Eingabe zu den Akten geben, die seine Auffassung mit Hinweisen und Antrgen enthlt. Sie wird von dem kommissarischen Richter beachtet werden, kann aber natrlich die persnliche Mitwirkung nicht ersetzen. 479

Die Anwesenheit des Verteidigers bei einer kommissarischen Vernehmung und einem Augenscheinstermin hngt nicht zuletzt von den finanziellen Mglichkeiten des Mandanten ab. Der Verteidiger sollte dieses Problem offen mit dem Auftraggeber besprechen. Ggfs. muß er erwgen, ob er nicht im Einverstndnis mit dem Mandanten einen Anwalt am Ort der Vernehmung mit der Wahrnehmung des Termins beauftragen soll. Dann ist es allerdings notwendig, diesen Kollegen genau ins Bild zu setzen und ihm die Fragen, auf die es ankommt, im einzelnen zu bezeichnen, sowie Vorhaltungen an Zeugen oder Sachverstndige schriftlich zu formulieren. Der Pflichtverteidiger muß in diesem Zusammenhang beachten, daß zur Bestellung eines Terminvertreters die Genehmigung des beiordnenden Gerichtsvorsitzenden erforderlich ist. Der Vertreter wird dadurch zum Pflichtverteidiger fr diesen Teil des Verfahrens301. Nimmt der Pflichtverteidiger den Termin selbst wahr, so empfiehlt es sich, die Notwendigkeit der Reise vorher durch das Gericht besttigen zulassen (§ 46 Abs. 2 RVG). i) Vorbereitung der Einlassung Amelung, Die Einlassung des Mandanten im Strafprozeß, FS Ludwig Koch (1989), S. 145; Dahs/Langkeit, Das Schweigerecht des Beschuldigten und seine Auskunftsverweigerung als „verdchtiger Zeuge“, NStZ 1993, 213; Dahs, Anm. z. Urt. des BGH v. 24. 4. 2003, NStZ 2004, 451; Geppert, Schriftliche oder mndliche Erklrungen des Verteidigers als Einlassung des Angeklagten?, FS Rudolphi (2004), S. 643; Kempf, Mnchener Handbuch Strafverteidigung, 2006, § 6; Michel, Einlassung durch den Anwalt?, MDR 1994, 648; Miebach, Der teilschweigende Angeklagte, NStZ 2000, 234; Park, Einlassung des Verteidigers bei Schweigen des Angeklagten, StV 1998, 59; Quentmeier, Gestndnis, Schweigerecht und Schweigen des Beschuldigten, JA 1996, 215; Richter II, Reden – Schweigen – Teilschweigen, StV 300 BayObLG, NJW 1965, 2357. 301 KK-Laufhtte, § 142 Rn. 10.

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1994, 687; Schlothauer, Vorbereitung der Hauptverhandlung, 2. Aufl., 1998; Stree, Schweigen des Beschuldigten im Strafprozeß, JZ 1966, 539; Volk, Zur Verwertbarkeit des teilweisen Schweigens des Angeklagten, NStZ 1984, 377; Wessels, Schweigen des Beschuldigten im Strafverfahren, JZ 1966, 593.

Der wichtigste Teil der Vorbereitung der Hauptverhandlung ist die Frage der Einlassung des Mandanten. Dabei geht es nicht nur um das Grundproblem, ob eine Einlassung erfolgen soll oder nicht, sondern um eine Vielzahl von Varianten, z. B. Zeitpunkt der Einlassung, Teileinlassung302, schriftliche oder mndliche Verteidigererklrung303 u. a. Die Aufgabe eines Verteidigers umfaßt auch alle mit der ußeren Prsentation der Einlassung zusammenhngenden Fragen, vom Erscheinungsbild des Angeklagten (Rn. 482) bis zu Formulierungshilfen und ggfs. zur Wortwahl. Auch frhere Einlassungen oder sonstige Sacherklrungen sind zu beachten und – falls ntig – auf eine „Harmonisierung“ mit der Verteidigung in der Hauptverhandlung zu prfen. Zu erwartende Fragen und Vorhalte des Gerichts und der Staatsanwaltschaft sind ebenso einzubeziehen wie zu erwartende anderweitige Beweisergebnisse. Schließlich muß die gesamte Arbeit an der Einlassung durch den Blick auf die rechtliche Struktur des den Gegenstand der Vernehmung bildenden Straftatbestandes und seine Auslegung durch Rechtsprechung und Schrifttum berwlbt werden. Mit der Einlassung des Angeklagten, die zu Beginn der Hauptverhandlung unmittelbar der Verlesung des Anklagesatzes folgt, knnen viele „Punkte gemacht“, aber ebenso viele verloren werden. Der Mandant hat die große Chance, sich als erster dem Gericht als Person zu prsentieren und seine „Pflcke einzuschlagen“. Fehler in diesem Stadium der Hauptverhandlung sind in der Regel irreparabel. Wenn auch der Mandant letztlich die Verantwortung seiner Darstellung des den Gegenstand der Verhandlung bildenden Sachverhalts tragen muß, so hat doch der Verteidiger als prozeßerfahrener Berater dabei eine wichtige Aufgabe und große Mit-Verantwortung. Dabei muß er aber stets beachten, daß er zwar dem Mandanten seine Erfahrungen vermitteln und ihn beraten darf, sein zulssiges Agieren aber dort seine Grenze findet, wo er selbst die sachlich fr den Klienten gnstigste Einlassung entwickelt (erfindet) oder sich in anderer Weise aktiv an der Entwicklung einer wahrheitswidrigen Einlassung und Irrefhrung des Gerichts beteiligt (§ 258 StGB). Das bedeutet indessen nicht, daß dem Verteidiger etwa untersagt wre, den Klienten darauf hinzuweisen, daß ein bestimmter von ihm vorgesehener Sachvortrag vom Gericht 302 Vgl. dazu Miebach, NStZ 2000, 234 m. umfangr. N.; OLG Karlsruhe, NStZRR 2004, 371 m. N. 303 Dazu BGH, NStZ 2003, 498 m. Anm. Dahs, NStZ 2004, 451; Dahs, NStZ-RR 2000, 210; Saarl. OLG bei Egon Mller, NStZ-RR 2004, 102; OLG Hamm, StV 2002, 187.

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Rn. 481

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

fr ihn negativ gewrdigt werden wrde und ihm deshalb die berlegung des Schweigens oder Teilschweigens anhand zu geben. Nicht selten ist es besonders schwierig, gerade in diesem Stadium der Verteidigung einerseits das Vertrauen des Klienten zu gewinnen oder zu erhalten, ohne andererseits etwa unangemessenen Wnschen um Untersttzung nachzugeben, die die Grenzen des strafrechtlich Zulssigen berschreiten. Im brigen muß der Verteidiger – wie stets – die Beratung zur Einlassung seines Mandanten mit dem Blick auf die Revision fhren (Rn. 886). 481

Unmittelbar vor der Hauptverhandlung empfiehlt sich eine abschließende Besprechung mit dem Mandanten. Der Verteidiger hat dann seine Vorbereitungen im allgemeinen beendet. Sein Plan fr die Hauptverhandlung ist fertig. Nun muß er mit dem Auftraggeber besprechen, worauf es im einzelnen ankommt. Ein gereizter, nervser Angeklagter kann die besten Absichten des Verteidigers zunichte machen.

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Hierbei spielen zunchst die ußerlichkeiten der Hauptverhandlung eine nicht geringe Rolle. Fr ungewandte Auftraggeber beginnen die Schwierigkeiten hufig schon bei der Frage, wie sie das Gerichtsgebude und den Sitzungssaal finden. Auch der ußere Rahmen und die Sitzordnung im Gerichtssaal sind nicht allgemein bekannt. ber Reihenfolge und Bedeutung der Prozeßhandlungen weiß kaum jemand Bescheid. Selbst wenn der Mandant Kenntnisse oder gar Erfahrungen besitzt, sollte der Verteidiger den Ablauf der Hauptverhandlung im Detail und mit mglichen Varianten mit ihm errtern. Ungeschicklichkeiten werden dadurch vermieden. Der Angeklagte fhlt sich sicherer, er weiß, wann er aufstehen muß (RiStBV Nr. 124 Abs. 2), wie Richter und Staatsanwalt anzureden sind, wann er zu Wort kommt und wie einzelne Prozeßvorgnge zu verstehen sind. Der Verteidiger darf auch die ußerlichkeiten nicht vernachlssigen, weil das Auftreten des Mandanten den Eindruck mitbestimmen kann, den der Richter in das Beratungszimmer mitnimmt. Eine gute Hilfe ist es, dem Mandanten zu raten, vor seiner eigenen Verhandlung an einer anderen Hauptverhandlung mglichst desselben Gerichts teilzunehmen. Er lernt dann die Atmosphre kennen und bekommt Ruhe und Sicherheit fr seine eigene Sache. Gegebenenfalls ist sogar zu besprechen, in welcher „Aufmachung“ der Mandant vor Gericht erscheint. Die frher strengen Maßstbe werden zwar heute nicht mehr angelegt. Der Toleranzbereich bis zur Grenze der Ungebhr vor Gericht ist grßer geworden. Der Mandant muß aber wissen, daß er durch sein Auftreten und seine ußere Erscheinung – auch wenn das Gericht keine Ordnungsmaßnahme nach § 178 GVG verhngt – seiner Sache schaden kann, wenn die Richter, insbesondere die Laienrich340

Vorbereitung der Hauptverhandlung

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ter, darin den Ausdruck allgemeiner Mißachtung der Rechtsordnung und ihrer richterlichen Ttigkeit sehen. Solche Eindrcke fließen erfahrungsgemß unkontrollierbar zum Nachteil des Beschuldigten in die Entscheidung ein. Unter diesem Aspekt ist es zumindest ungeschickt und berflssig, daß der Mandant durch Kleidung, Haartracht oder sonstige ußerlichkeiten auffllt und damit in seiner Verteidigung „Punkte verliert“. Das sehen die Klien ten, die an einem gnstigen Urteil Interesse haben, im allgemeinen auch ein. Mandanten, die von Natur aus renitent sind, sollten in der Vorbesprechung auf die Folgen eines ungebhrlichen Verhaltens hingewiesen werden. Schließlich sollten dem Verteidiger auch die medizinischen Erkenntnisse gelufig sein, die aus der Erforschung von „Streßsituationen“ gewonnen worden sind und es beispielsweise angeraten sein lassen, Angeklagte und Zeugen ihre Angaben im Sitzen machen zu lassen, was heute ohnehin der allgemeinen Gerichtspraxis entspricht. Der Mandant muß auch wissen, daß er Anspruch auf eine Pause hat, wenn er sich zu belastet fhlt, der Verhandlung nicht mehr folgen kann oder sich mit dem Verteidiger besprechen will.

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Ein auch fr die abschließende Beratung vor der Hauptverhandlung immer noch aktueller und wichtiger Punkt ist die Frage des Eingestndnisses etwa vorhandener Schuld (vgl. besonders Rn. 18). Ein solches erffnet dem wirklich Schuldigen große Chancen. Die Hauptverhandlung nimmt mit der Schuldigerklrung einen gnzlich anderen Verlauf. Die Einlassung zur Sache wird abgekrzt, Zeugen und Sachverstndige werden abbestellt, die Verteidigung verluft reibungslos. Vor allem aber hat der Verteidiger nur auf diese Weise die Mglichkeit, alle entlastenden Umstnde zur Person und zur Sache einzufhren, das Material zur Persnlichkeitsdiagnose und zur Zukunftsprognose vorzulegen, die entlastenden Tatmotive darzutun, Sachverstndige zu hren und berhaupt alles anzubringen, was einem Urteil im Sinne der modernen Kriminalpolitik entspricht (vgl. im einzelnen Rn. 18, 57, 431). Erkenntnisse dieser Art aus der Innensphre des Mandanten sind sonst fr das Gericht in er Regel nicht zu erkennen und aufzuklren. Auf diese Weise vermeidet der Verteidiger die schweren Nachteile, die sich sonst aus dem Fehlen eines Schuldinterlokuts (= Vorabentscheidung zum Schuldspruch) in der Hauptverhandlung ergeben (Rn. 645, 747). Die Vorbereitung der Hauptverhandlung kann ggfs. zu einer Kooperation mit Gericht und Staatsanwaltschaft werden, die den Richtungswechsel begrßen.

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Zu dahingehender Beratung hat der Verteidiger besonders dann Veranlassung, wenn die Einlassung des Mandanten bereits widerlegt ist oder in der Hauptverhandlung wahrscheinlich widerlegt werden wird. Vor einem 341

Rn. 485

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

selbstmrderischen Bestreiten muß der Mandant jedenfalls bewahrt werden. In anderen Fllen sollte der Verteidiger den Mandanten nicht allzu sehr drngen, die nach seiner berzeugung unwahre Einlassung in der Hauptverhandlung zu berichtigen. Zwar empfiehlt es sich, dem Auftraggeber die Vorteile und Nachteile zu erlutern, die seine abweichende Einlassung in der Verhandlung mit sich bringen wird. Redet der Verteidiger aber dem Angeklagten zu, nunmehr die Wahrheit zu sagen, obwohl zu einer Selbstbelastung keine Notwendigkeit besteht, so wird das Vertrauensverhltnis gestrt. Der Mandant bekommt den Eindruck, der Verteidiger stehe nicht fr ihn ein. Auch gibt es selten Einlassungen, die in ihren smtlichen Teilen unwahr sind. Richtige und unrichtige Angaben sind meist miteinan der vermischt. Umstnde, die der Betroffene fr gnstig hlt, stellt er in den Vordergrund, andere Einzelheiten, von denen er meint, sie seien nachteilig, drngt er zurck oder erwhnt sie berhaupt nicht. Halbe Wahrheiten sind hufiger als vllige Unwahrheiten. Bei genauer Erforschung des Sachverhalts findet man dann vielfach belastende Tatumstnde, die nicht zu beweisen sind. Dann ist es weder angngig noch zweckmßig, dem Mandanten zu raten, solche Umstnde in der Hauptverhandlung zu offenbaren. 485

Im brigen wird der persnliche Eindruck des Angeklagten stark durch die Art seiner Einlassung bestimmt. Hier kann die Vorbereitung der Hauptverhandlung nicht eingehend genug sein. Viele Angeklagte wollen sich in der Hauptverhandlung aussprechen. Sie tun des Guten leicht zuviel, sie werden langatmig und weitschweifig. Diesen Neigungen muß der Verteidiger entgegentreten. Anderen wieder wird er raten mssen, mehr aus sich herauszugehen, damit nicht der Verdacht der Verstocktheit und des Verdeckenwollens entsteht. Kennt der Verteidiger den Richter, so kann er dem Mandanten empfehlen, sich auf dessen Art einzustellen. Er kann ihm sagen, ob es besser ist, sich knapp zu fassen oder ausfhrlich zu berichten, Reue zu zeigen oder auf seinem Recht zu beharren, Mitleid zu erregen oder „mannhaft“ ohne Ausflchte fr die Tat einzustehen. Selbstverstndlich wird der Verteidiger darauf bedacht sein, daß der Mandant nicht schauspielert, daß er insbesondere keine Rhrszenen auffhrt. Er darf seinen Schtzling nicht auf die Hauptverhandlung „trimmen“ und nicht allzu sehr darauf drngen, daß er gewissermaßen im Sonntagsanzug auftritt. Solches Verhalten wird durchschaut und verfehlt in der Regel seine Wirkung. Manchmal greifen in der Hauptverhandlung Angeklagte auch in fataler Weise daneben, indem sie „Sprche machen“. Sie beginnen mit emphatischer Verkndung ihrer Lebensgrundstze, wie etwa „Ehrlich whrt am lngsten“, „Tue recht und scheue niemand“, mit dem Motto ihrer Stu342

Vorbereitung der Hauptverhandlung

Rn. 486

dentenverbindung „Ehre, Treue, Vaterland“, der Berufung auf die „preußischen Tugenden“ oder auch mit der Erklrung zur Betrugsanklage: „Gutheit ist Dummheit“. Es ist auch passiert, daß ein wegen mehrerer Bestechungen angeklagter Mandant seinen kategorischen Imperativ mit den Worten verkndete: „Bei mir weiß die rechte Hand nie, was die linke tut.“ Der Verteidiger muß vor solchen Torheiten warnen. Er sollte auch verhindern, daß der Mandant sich herausstreicht durch Hinweise auf sein vorbildliches Leben, karitative Werke, Auszeichnungen, Wiedergutmachungsleistungen. Es wirkt sehr viel besser, wenn das alles erst auf Fragen des Verteidigers von ihm gesagt wird. Man macht auch die Erfahrung, daß der Mandant von der Hauptverhandlung entweder zu viel oder zu wenig erwartet und sein Verhalten nach solchen Vorstellungen einrichten will. Besonders der verhaftete Beschuldigte legt sich vielfach auf seinen eigenen Verteidigungsplan fest, den er sich in den Tagen und Nchten der Haft ersonnen hat. Besonders schwierig pflegen die Auftraggeber zu sein, die auf ihr vermeintliches Recht pochen. Der Verteidiger muß sie ber die Rechts- und Beweislage aufklren und versuchen, sie zur Rechtseinsicht zu bringen. Dabei bleibt es nicht aus, daß er dem Auftraggeber die Argumente der Staatsanwaltschaft entgegenhalten muß. Hieraus kann eine Vertrauenskrise erwachsen. Der Mandant meint, der Verteidiger habe kein Verstndnis oder, was noch schlimmer ist, er glaubt, der Verteidiger stehe innerlich auf der anderen Seite. In diesen Fllen kann allein geduldige und sachlich begrndete Anleitung helfen. Man kann allerdings auch eigene Bedenken gegen die Sachdarstellung des Mandanten in die Form bringen „dazu wird Sie der Staatsanwalt fragen ...“ oder „dem wird das Gericht entgegenhalten ...“. Die so geschaffene verbale Distanz kann manches schwierige Gesprch sehr erleichtern und in eine andere Einlassung oder gar ein Eingestndnis mnden. Die Vorbereitung der Vernehmung zur Person (Rn. 538) ist im allgemeinen nicht schwierig. Der Betroffene weiß, worum es geht. Die Vernehmung zum Lebenslauf und zu den wirtschaftlichen Verhltnissen gehrt nicht hierher304. Schon die Errterung der persnlichen Verhltnisse spielt fr die Verteidigung eine bedeutsame Rolle. Der Angeklagte hat hier die erste Gelegenheit, sich dem Gericht gnstig zu prsentieren, indem er in klarer, angemessen knapper und nchterner Form Vorleben, Ausbildungsgang und beruflichen Weg schildert. Die hier besonders ausgeprgte Neigung vieler Mandanten zu Weitschweifigkeit und Selbstmitleid muß der Verteidiger 304 Meyer-Goßner, § 243 Rn. 12.

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bekmpfen: bei „Unebenheiten“ des Werdeganges knnen einige erklrende Zustze allerdings am Platze sein. Es kann sich je nach Lage des Falles auch empfehlen, dem Gericht vorab einen schriftlichen Lebenslauf und Werdegang in tabellarischer Form zur Verfgung zu stellen. Zur Frage der wirtschaftlichen Verhltnisse knnen sich die Gerichte seit Einfhrung des Tagessatzsystems (§ 40 StGB) nicht mehr mit allgemeinen Angaben zufriedengeben. Der Angeklagte ist nicht zur ußerung verpflichtet. Das Gericht hat die wesentlichen Umstnde fr den Strafausspruch von Amts wegen zu ermitteln305. Schtzungen ohne jede Tatsachenfeststellung im einzelnen, etwa nach dem Muster „wenn Sie keine Angaben machen, gehen wir von 10 000,00 Euro netto monatlich aus“306, sind vom Verteidiger zu widersprechen. Im allgemeinen wird die eigene Darstellung seiner finanziellen Situation durch den Mandanten vorzuziehen sein, zumal amtliche Ermittlungen zu unerwnschter Publizitt der Einkommensverhltnisse und zu wirtschaftlichen Nachteilen, z. B. bei kreditgewhrenden Banken fhren knnen. Es empfiehlt sich daher auch, in geeigneten Fllen Unterlagen ber Einknfte und Belastungen zu beschaffen und in der Hauptverhandlung zur Hand zu haben, um sie ggfs. dem Gericht zu berlassen. 487

Die Vernehmung zur Sache (Rn. 542) bedarf abschließend nochmals genauester Beratung. Sie richtet sich in ihren Einzelheiten natrlich nach den konkreten Fallumstnden. Es ist wichtig, dem Mandanten klarzumachen, was er zu erklren hat und was dem Verteidiger obliegt. Wenn er sich diese Funktionsteilung nicht zu eigen macht, ist das ganze Konzept des Verteidigers in Gefahr. So sollte der Angeklagte sich auf die reinen Tatsachenangaben beschrnken. Rechtsausfhrungen, Schlußfolgerungen und Wertungen sind Sache des Verteidigers. Aber selbst die Tatsachen knnen im Einzelfall zweckmßigerweise zu einem verabredeten Teil der Befragung durch den Verteidiger berlassen werden. Sie kommen dann besser heraus. berhaupt muß man dem Mandanten das sichere Gefhlgeben, daß etwas von ihm Vergessenes vom Verteidiger nachgefragt wird. Das beruhigt ihn sehr.

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Wichtigster Teil der Beratung kann die Frage sein, ob sich der Auftraggeber in der Hauptverhandlung zur Sache ußern oder auf sein Recht zum Schweigen berufen soll. Es bewhrt sich, den Mandanten rechtzeitig darber aufzuklren, daß der Richter ihn ber dieses Recht belehren muß (§ 243 Abs. 4). Laien fassen die ordnungsgemße Belehrung gelegentlich 305 BGH, NStZ 1989, 178; Trndle/Fischer, § 40 StGB Rn. 6 ff. 306 Beispiel aus der Praxis! Als Beruf hatte der Angeklagte „Anlageberater“ angegeben.

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Rn. 488

als richterliche Aufforderung auf, zur Sache nichts auszusagen. Das kann zu nachteiligen Mißverstndnissen fhren. Ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht ist ein revisibler Rechtsfehler307. Das Urteil soll aber dann nicht auf dem Fehler beruhen, wenn der Angeklagte sein Schweigerecht gekannt hat308, z. B. aus eigener Prozeßerfahrung309. Im brigen geht der BGH in der Regel davon aus, bei einem verteidigten Angeklagten die Kenntnis zu unterstellen, weil die Aussagebereitschaft „eine der ersten und wichtigsten Fragen ist, welche der Verteidiger mit seinem Mandanten zu errtern hat“. Eine andere Frage ist es, ob Schweigen in der Hauptverhandlung opportun ist. Oft steht der Verteidiger vor einem nur schwer lsbaren Konflikt. Er weiß, daß das Schweigen noch immer eine „zweischneidige Angelegenheit“ ist. Schweigende Angeklagte sind im deutschen Gerichtssaal immer noch Ausnahmeerscheinungen. Sie rufen oft Erstaunen, wenn nicht gar rger hervor. Das Schweigen wirkt leicht wie ein Schuldbekenntnis, weil nach der Lebenserfahrung ein Mensch, dem Vorwrfe gemacht werden, sich redend verteidigt. Nach dieser Auffassung bedeutet Schweigen den Ausdruck eines schlechten Gewissens, und zwar gerade fr Laienrichter, die in erster Linie ihre Lebenserfahrung in die Waagschale werfen. Auch scheint die richterliche und staatsanwaltschaftliche Erfahrung darauf festgelegt zu sein, daß nur schuldige und in der Gerichtspraxis erfahrene Angeklagte von ihrem Recht zum Schweigen Gebrauch machen. Nicht selten macht man auch die Erfahrung, daß Schweigen des Angeklagten als eine Art „Kampfansage“ verstanden wird310, die mindestens das Verhandlungsklima negativ beeinflußt. Der Verteidiger muß immer wieder dafr eintreten, daß der Angeklagte nicht verpflichtet ist, die Verdachtsgrnde zu beseitigen. Die Freiheit der Entschließung ist nur gewhrleistet, wenn der Angeklagte aus dem Schweigen nicht nachteilige Schlsse besorgen muß. Solange dies geschieht, zwingt die Gerichtspraxis den Angeklagten meistens zur Aussage, obwohl das Schweigen auch beachtenswerte Grnde haben kann. Der Satz, das Schweigen sei schlechthin das gute Recht des Angeklagten und drfe auch nicht in versteckter Form zu seinem Nachteil ausgehen, stßt sich in der Praxis hart mit dem Recht und mit der Pflicht des Richters zur freien Beweiswrdigung (Rn. 7). Dabei muß der Verteidiger bedenken, daß in vielen Fllen allein der Mandant in der Lage ist, Zusammenhnge auf307 BGH, NStZ 1983, 210 (Pf/M); BGHSt. 25, 325. 308 BGH bei Pfeiffer/Miebach, NStZ 1983, 210; BGHSt. 25, 325; BGHSt. 22, 129 (132 f.). 309 BGHSt. 25, 325, 332; BGH, NStZ 1983, 210 (P/M); BGH, NJW 1966, 1719. 310 Dazu Dahs, FS Odersky (1996), S. 317 ff.

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zuklren, sich zu entlasten oder Umstnde vorzubringen, die fr eine milde Strafe sprechen. Das vllige Schweigen steht sonst einer gnstigen Aufklrung entgegen. Jedenfalls darf aus dem Schweigen allein nicht auf die Schuld geschlossen werden311; anderenfalls wird die Verweigerung der Einlassung zum „beredten Schweigen“312 vor dem man den Auftraggeber nur warnen kann. Weiß der Verteidiger oder muß er damit rechnen, daß Belastungszeugen auftreten, so kann er dem Mandanten nur selten empfehlen, in der Hauptverhandlung zu schweigen. Er setzt ihn sonst der Gefahr aus, daß in der Verweigerung der Einlassung – unausgesprochen – eine Besttigung der Schuld gefunden wird. Zumindest berlßt er ausgerechnet den Belastungszeugen die Mglichkeit, bestimmte Tatsachenbereiche unwidersprochen mit ihrer Version des Geschehens zu besetzen! Nicht zu Lasten des Angeklagten darf bercksichtigt werden, daß er nicht schon bei seiner polizeilichen Vernehmung (Rn. 288), sondern erst vor dem Richter ausgesagt hat313 (Rn. 302 ff.); das gleiche gilt, wenn der Angeklagte als Zeuge in einem Verfahren gegen Dritte nach § 55 die Auskunft verweigert hat314. Auch das „Nachschieben“ weiterer Entlastungsbehauptungen und Beweisangebote – z. B. nach erkennbar gewordener Argumentation des Gerichts – darf nicht ohne weiteres zu seinem Nachteil gewrdigt werden315. Der umgekehrte Fall – der Angeklagte schweigt erst vor dem Richter –, fhrt in der Praxis dazu, daß der Verhrbeamte in der Hauptverhandlung als Zeuge vernommen wird (Rn. 569, 630). So problematisch diese Praxis ist, der Verteidiger muß mit ihr rechnen und abwgen, ob Schweigen berhaupt sinnvoll ist, falls der Angeklagte vorher Angaben gemacht oder sogar ein Gestndnis abgelegt hat, etwa in einer polizeilichen, staatsanwaltschaftlichen oder richterlichen Vernehmung, auch in einer frheren Hauptverhandlung (z. B. Einlassungsverweigerung erst im Berufungsverfahren)316 oder Dritten gegenber. In keinem dieser Flle kann der Verteidiger verhindern, daß der Tatrichter diese Personen als Zeugen vernimmt und aus dem Schweigen Folgerungen mindestens fr die Strafzumessung zieht. Auch eine andere Erfahrung muß der Verteidiger bercksichtigen:

311 BGH, NJW 1974, 2295; BGH bei Holtz, MDR 1980, 108; auch nicht Mimik und Gestik des schweigenden Angeklagten BGH, StV 1993, 458; BVerfG, StV 1995, 505; im einzelnen Miebach, NStZ 2000, 235. 312 So Schmidt-Leichner, NJW 1966, 189. 313 BGH, StV 1994, 413; BGH, StraFo 1996, 212; BGH, StV 1987, 377; BGHSt. 20, 281; Richter II, StV 1994, 687. 314 BGHSt. 38, 302, 305. 315 Dazu Miebach, NStZ 2000, 237 sowie einerseits BGHR, StPO, § 261 Aussageverhalten 9 u. 11; andererseits BGH, NStZ 1987, 218 (Pf/M). 316 OLG Celle, NdsRpfl. 1966, 228.

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Rn. 489

Das ist die unausgesprochene berzeugungsbildung des Richters, die jeder Kontrolle entzogen ist. Der vorsichtige Richter tut selten kund, was er von dem Schweigen des Angeklagten hlt. Er bildet sich aber seine Meinung, deren Grundlage er hufig nicht einmal in die Urteilsgrnde zu schreiben braucht. Keinesfalls darf es dazu kommen, daß in der Hauptverhandlung eine Diskussion darber entsteht, ob der Angeklagte nun schweigen will oder nicht. Man gewinnt nicht selten den Eindruck, daß diese Frage nicht ausreichend vorbereitet ist. Schwierigkeiten dieser Art knnen auch dadurch vermieden werden, daß der Verteidiger fr den Angeklagten nur die Erklrung abgibt, dieser werde (zunchst) von einer ußerung Abstand nehmen oder der Mandant bestreite den Anklagevorwurf. Ein grober Fehler des Verteidigers ist es in aller Regel, wenn er duldet, daß der Mandant teilweise zur Sache aussagt und im brigen schweigt, etwa in Punktesachen zu einem Vorwurf Stellung nimmt, zu einer anderen Beschuldigung aber die Einlassung verweigert. Die Rechtsprechung lßt es zu, wenn daraus nachteilige Schlsse gezogen werden. Mit der nur teilweisen Einlassung soll sich der Angeklagte selbst zu einem Beweismittel machen und damit der freien Beweiswrdigung unterstellen317. Dies gilt vor allem, wenn der Mandant Entlastungstatsachen vorbringt, zu ihrer nheren Aufklrung aber nicht beitrgt. Fr die Beratung des Mandanten kann der Verteidiger aus dieser Rechtsprechung nur den Schluß ziehen: Entweder soll der Auftraggeber in vollem Umfange schweigen oder er soll reden. Irgendeine auch noch so geschickt ausgeklgelte Mittellsung, ein „Teilschweigen“, fhrt zu unbersehbaren Nachteilen, die auch in der Revisionsinstanz kaum einmal behoben werden knnen. Einen Mittelweg kann man in geeigneten Fllen manchmal in der Form gehen, daß der Angeklagte selbst einen (inhaltlich mit dem Verteidiger beratenen) Brief kurz vor Beginn der Hauptverhandlung an das Gericht schreibt, in dem er in konzentrierter Form seine Stellungnahme zum Anklagevorwurf zum Ausdruck bringt. Wenn der Angeklagte dann in der Hauptverhandlung von seinem Schweigerecht Gebrauch macht, kann der Brief – wie jede andere schriftliche ußerung – durch Verlesung eingefhrt werden, was der Verteidiger ggfs. anzuregen oder sogar zu beantragen hat. Diese Methode empfiehlt sich z. B. in Fllen, in denen der Verteidiger weiß, daß der Angeklagte wegen seiner Persnlichkeitsstruktur dem ihn vernehmenden Vorsitzenden so wenig gewachsen ist, daß er in 317 BGHSt. 32, 140, 145 = NStZ 1984, 377; zu allen Einzelheiten Miebach, NStZ 2000, 234 ff.

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die Gefahr gert, sich unbewußt „in etwas hinein zu reden“. In der Berufungsinstanz oder nach Zurckverweisung eines Verfahrens aus der Revisionsinstanz kommt es in Betracht, bei Ausbung des Schweigerechts durch den Angeklagten den Richter oder Staatsanwalt, der eine in frherer Instanz abgegebene Einlassung des Mandanten gehrt hat, als Zeugen vernehmen zu lassen. Dieser Weg liegt u. a. nahe, wenn sonst die Gefahr besteht, daß der Mandant sich in Widersprche zu frheren Einlassungen verwickelt, was nach den Erfahrungen der Praxis in den Augen des Gerichts seiner Aussage die Glaubwrdigkeit nimmt. Der Verteidiger muß in geeigneten Fllen auch berlegen, ob der Mandant zunchst von seinem Schweigerecht Gebrauch macht und sich vorbehlt, erst in einem spteren Stadium der Hauptverhandlung zur Sache Stellung zu nehmen („Zeitschweigen“). Dies kann geboten sein, wenn zunchst abgewartet werden soll, was bestimmte, fr die Verteidigung problematische Zeugen aussagen werden oder wenn der Angeklagte mit einer (unwiderlegbaren) Einlassung die Bekundungen von zu seinem Nachteil festgelegten Zeugen widerlegen kann. Es kann dem Interesse der Verteidigung dienlich sein, solche Zeugen zunchst „in die Falle laufen zu lassen“ und sie erst danach ber die Einlassung (und entsprechende Beweisangebote) als Lgner zu entlarven. Wird eine solche Einlassung zu Beginn der Verhandlung gegeben, so kann der Verteidiger nicht immer sicher sein, daß die Richter die Beweisaufnahme in seinem Sinne gestalten und die Zeugen entsprechend befragen. Eine zu frhe Offenbarung der Einlassung gegenber einem lgnerischen Zeugen kann diesem die Gelegenheit geben, „den Kopf aus der Schlinge zu ziehen“. Dies kann sich dann unter Umstnden als nachteilig fr die Verteidigungsposition des Klienten erweisen. Bei allem muß aber bedacht werden, daß das Gericht die „spte“ Einlassung in die Beweiswrdigung einbeziehen kann318. 490

Falls der Angeklagte nicht in der Hauptverhandlung schweigen soll, mssen Form und Inhalt der Einlassung mit ihm besprochen werden (Rn. 480, 493). Dem verantwortungsbewußten Verteidiger bleibt es nicht erspart, im Rahmen dieser Errterung die Einlassung mit dem Mandanten Stck fr Stck „durchzukauen“. Whrend dieser seine Darstellung der Sache vortrgt, hat jener die Rolle des Richters oder Staatsanwalts zu bernehmen, indem er die sich aus den Akten oder dem mutmaßlichen Ergebnis der Beweisaufnahme ergebenden Vorhalte, Widersprche, Unwahrscheinlichkeiten u. . dem Mandanten entgegenhlt, Querfragen stellt usw. (Rn. 480). Nur durch eine derart intensive, geradezu penible Vorarbeit

318 St. Rspr.; BGH, StV 1997, 292; BGHSt. 38, 302; BGHR, § 261 Aussageverhalten 11.

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kann sichergestellt werden, daß die große, nicht selten prozeßentscheidende Chance, die dem Angeklagten durch seinen Auftritt als erste Beweisperson in der Verhandlung geboten wird, optimalgenutzt wird. In vielen Fllen vermag nichts bei den Richtern den Boden fr eine skeptisch-kritische Haltung gegenber spter folgenden belastenden Beweiserhebungen so zu bereiten wie eine gut prsentierte, berzeugende Erklrung zur Sache. Dieses Ziel rechtfertigt einen hohen Aufwand. Bleibt der Mandant bei den Angaben, die er in den vorausgegangenen Verfahrensabschnitten gemacht hat, so ergeben sich im allgemeinen keine besonderen Probleme. Freilich sollte der Verteidiger darauf achten, daß dem Auftraggeber die Erklrungen, die er im Laufe des Verfahrens abgegeben hat, noch gegenwrtig sind. Er muß wissen, wie er sich frher eingelassen hat, damit er sich in der Hauptverhandlung nicht in scheinbare Widersprche verwickelt. Unklarheiten und Erinnerungslcken, selbst in Nebenpunkten, lassen Zweifel an seiner Wahrheitsliebe aufkommen. Einen ungnstigen Eindruck macht es auch, wenn der Mandant sich ber etwaige Vorstrafen unrichtig ußert oder sich nicht mehr erinnert. Eine bewußte nderung der Einlassung bedarf sorgsamer berlegung. Erfahrungsgemß wirkt sie sich ungnstig aus. Die frhere Vernehmung wird vorgehalten. Aus der Abweichung zieht das Gericht meistens nachteilige Schlsse, und es kann zu unangenehmen Reaktionen kommen (Rn. 546 f.). Daher muß der Verteidiger von Fall zu Fall prfen, was richtig ist, wenn der Auftraggeber seine Einlassung in der Hauptverhandlung ndern will. War die frhere Erklrung unwahr, so kann es notwendig sein, den Mandanten zu veranlassen, den Hergang in der Hauptverhandlung richtig zu schildern.

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Schwierigkeiten treten immer auf, wenn der Auftraggeber in der Hauptverhandlung an seinen frheren Angaben, die der Wahrheit entsprechen, nicht mehr festhalten will. Hierzu zhlt auch der Widerruf eines ausdrcklichen richterlichen Gestndnisses. Der Verteidiger darf dem Mandanten nicht raten, ein solches Gestndnis in der Hauptverhandlung zu widerrufen (Rn. 57). Dies ist weder zulssig noch zweckmßig. Ein richterliches Protokoll ber ein Gestndnis kann im Wege des Urkundenbeweises (Rn. 631) verlesen werden (§ 254 Abs. 1). Fehlt ein verwertbares und verlesbares Gestndnis, so kann die Verhrperson ber das Zustandekommen und den Inhalt des Gestndnisses vernommen werden (Rn. 547, 631).

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Freilich hat der Verteidiger sorgsam zu prfen, ob die Erklrungen, die der Auftraggeber in der Hauptverhandlung widerrufen will, tatschlich ein Gestndnis sind. Mandanten erklren immer wieder, der vernehmende 349

Rn. 493

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Polizeibeamte habe ihre Angaben nicht oder nicht vollstndig oder nicht so niedergeschrieben, wie sie es gewnscht haben. Polizeiliche Protokolle pflegen nicht in der Ausdrucksweise des Beschuldigten abgefaßt zu werden (Rn. 246). Auch der unbefangene Bearbeiter liest aus solchen Protokollen nicht selten Gestndnisse heraus, die in Wahrheit keine sind. 493

Bei der Beratung des Mandanten ber den Inhalt der Einlassung hat der Verteidiger auch alle Umstnde zu bercksichtigen, die sich bisher im Verfahren und bei der Vorbereitung der Hauptverhandlung ergeben haben. So ist der Auftraggeber ber den Inhalt der Akten zu informieren (Rn. 275 ff.); das Ergebnis eigener Erhebungen (Rn. 307, 466) und kommissarischer Vernehmungen ist ihm mitzuteilen. Beabsichtigte Beweisantrge vor oder in der Hauptverhandlung (Rn. 467 f., 641 ff.) sowie in Aussicht genommene Selbstladungen von Zeugen und Sachverstndigen (Rn. 469 ff.) sind eingehend zu errtern. Manchmal hat der Mandant hierber abweichende Ansichten. Oft will er Beweisantrge gestellt und Zeugen geladen haben, von denen der Verteidiger nichts hlt. Umgekehrt ist vielleicht der Verteidiger der Auffassung, daß dieser oder jener Zeuge zur Hauptverhandlung unbedingt bentigt wird, der Angeklagte will aber davon nichts wissen. Mglicherweise kennt er auch die Umstnde nicht, die der Verteidiger zu kennen glaubt, vielleicht steht auch das Vorbringen des Angeklagten den Antrgen entgegen. Der Verteidiger darf von diesen Antrgen auch dann nicht ohne weiteres absehen, wenn sich der Mandant nicht berzeugen lßt. Er hat den Fhrungsanspruch (Rn. 153) und die Verantwortung (Rn. 30). Allerdings sollte es den Verteidiger auch mißtrauisch machen, wenn der Auftraggeber sich hartnckig der vom Verteidiger fr richtig gehaltenen Ladung eines Zeugen verweigert, der nach Lage der Sache eigentlich „positiv“ aussagen mßte. Er muß ins Kalkl ziehen, daß der Mandant mglicherweise mehr ber die zu erwartende Aussage dieses Zeugen weiß als er zugibt oder aus anderen Grnden Veranlassung hat, die Aussage des Zeugen zu scheuen. Die Durchsetzung des Fhrungsanspruches muß insoweit mit Fingerspitzengefhl und Vorsicht praktiziert werden.

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Schließlich muß der Verteidiger den Mandanten ber Sinn und Zweck des letzten Wortes (§ 258) rechtzeitig aufklren. Immer wieder macht man die Erfahrung, daß hierber in allen Bevlkerungskreisen erhebliche Unklarheiten bestehen. Durch das Schlußwort kann viel gewonnen, aber auch viel verdorben werden. Gerade deshalb sollte der Mandant schon vor der Hauptverhandlung mit den maßgeblichen berlegungen vertraut gemacht werden, weil die Zeit der Hauptverhandlung fr Belehrungen nicht ausreicht und der Mandant nach den ihn erregenden Schlußvortrgen kaum in der Lage ist, die Bedeutung seines letzten Wortes richtig einzuschtzen. (Im einzelnen wird hierzu auf Rn. 758 verwiesen.) 350

Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 495

2. Der Verteidiger in der Hauptverhandlung Dahs sen., Der Anwalt im Strafprozeß, AnwBl. 1959, 186 f.; Dahs, Der Zeuge – zu Tode geschtzt?, NJW 1998, 2332; Beck'sches Formularbuch/Danckert/Ignor, 4. Aufl., 2002, S. 324 ff.; Heubel, Die Verschiebung der Hauptverhandlung wegen Versptung des Verteidigers, NJW 1981, 2678; Malek, Verteidigung in der Hauptverhandlung, 3. Aufl. 1999; Marx, Aufgaben der Staatsanwaltschaft in der strafrechtlichen Hauptverhandlung, GA 1978, 365; Mnchhalffen, Bedeutung der Sitzordnung fr eine ungehinderte Verteidigung, StraFo 1996, 18; Rieß, Die Durchfhrung der Hauptverhandlung ohne Angeklagten, JZ 1975, 265; Salditt, Verteidigung in der Hauptverhandlung – Notwendige Alternativen zum Praxisritual, StV 1993, 442; Stern, Der verdrehte Kopf – Sitzordnung mit Verteidigung auf der Anklagebank?, StraFo 1996, 46; Warda, Hauptverhandlung mit dem verhandlungsunfhigen, aber verhandlungswilligen Angeklagten?, FS Bruns (1978), S. 415; vgl. auch das vor Rn. 442 angefhrte Schrifttum.

a) Allgemeines Zum Verhltnis Verteidiger – Medien whrend der Hauptverhandlung vgl. Rn. 92 ff. und das dort angefhrte Schrifttum.

Das Verhalten des Verteidigers in der Hauptverhandlung findet bei den Beteiligten und der ffentlichkeit besondere Beachtung. Hier reprsentiert der Verteidiger augenflligerweise seinen Berufsstand und das Institut der Strafverteidigung. Allein deshalb ist geboten, daß er so auftritt, wie es die Achtung vor dem Gericht und den beteiligten Personen verlangt. Wer diese Regeln nicht beachtet, setzt nicht nur die Interessen des Auftraggebers aufs Spiel. Es ist eine allgemeine Erfahrung, daß unkorrektes Auftreten oder gar verletzendes Benehmen des Verteidigers bewußt oder unbewußt auch gegen seine sachlichen Argumente einnimmt. „Angeheizte Stimmung im Gerichtssaal“319 verbaut den Erfolg fr sachlich gerechtfertigte Antrge, vor allem fr Beweisantrge. Das ist nur zu verstndlich und macht deutlich, wie wichtig es ist, das rechte Maß in Angriff und Verteidigung zu finden. Erfahrung und Fingerspitzengefhl sind oft die einzigen Ratgeber. Der Verteidiger muß einerseits in der Hauptverhandlung den richtigen Ton schnell treffen und andererseits die Interessen des Mandanten gerade whrend der Verhandlung tatkrftig wahrnehmen. Nachgiebige Haltung ist dann nicht angebracht, wenn die Rechte der Verteidigung des Angeklagten, aus welchen Grnden auch immer, verkrzt werden. Aber gerade, wenn es darum geht, die Verteidigungsrechte in der Hauptverhandlung durchzusetzen, bewhrt sich der eher untertreibende, jedenfalls der sachliche Ton. Das „Ausschlachten“ von Irrtmern des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft kann zwar sehr effekt-

319 Dahs, FS Odersky (1996), S. 317 ff.

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Rn. 495

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

voll sein; ob es dem Interesse des Klienten dient, ist eine andere Frage. Auch nervse und gereizte Erklrungen wirken nicht berzeugend. berhaupt muß sich der Verteidiger immer die vielfltigen Auswirkungen vor Augen halten, die sein Auftreten fr den Mandanten haben kann. Wie sich der Verteidiger benimmt und ausdrckt, was er sagt oder nicht sagt, kurz, die Wirkung seiner Persnlichkeit hinterlßt nicht nur bei den Laienrichtern oft nachhaltige Eindrcke. Je sachlicher und taktvoller der Verteidiger seine Aufgabe zu lsen versucht, desto eher werden seine berlegungen im Beratungszimmer Beachtung finden. In Strafsachen vor auswrtigen Gerichten sollte es fr den Verteidiger selbstverstndlich sein, den Vorsitzenden vor Beginn der Hauptverhandlung – ggfs. durch Vermittlung der Geschftsstelle – aufzusuchen, um sich vorzustellen. Diese selten gewordene Geste der Hflichkeit ist in besonderem Maße geeignet, ein gutes sachliches Klima fr die Hauptverhandlung zu schaffen. Der Verteidiger sollte aber von sich aus bei einem solchen Vorstellungsbesuch nicht oder nur ausnahmsweise die Sache selbst ansprechen. Nicht selten kommt es ohnehin auf Initiative des Richters zu einer Errterung der Sache selbst. Der Verteidiger sollte hier grundstzlich Zurckhaltung ben, besonders wenn er direkt oder indirekt nach dem Verteidigungsplan „gefragt“ wird. Nur im Ausnahmefall darf er das Risiko eingehen, dem Richter bestimmte Ziele der Verteidigung in der Beweisaufnahme mitzuteilen. Ein berzeugend vorgetragenes „Vorpldoyer“ kann bei einem aufnahmebereiten und souvernen Richter allerdings zu dem Erfolg fhren, daß er die Gedanken der Verteidigung aufgreift und die Verhandlung selbst in dieser Richtung fhrt – zum Nutzen des Angeklagten (Rn. 507). b) Verfahrensabsprachen Beulke/Salzger, Der fehlgeschlagene Deal und seine prozessualen Folgen, JuS 1997, 1072; Beulke/Swoboda, Zur Verletzung des Fair-trial Grundsatzes bei Absprachen im Strafprozeß, JZ 2005, 67; Bockemhl (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts fr Strafrecht/Satzger, 2. Aufl., 2001, Rn. 1372; Bttcher, Absprachen im Strafprozeß?, JR 1991, 353; Bttcher, Der Deutsche Juristentag und die Absprachen im Strafprozeß, FS Meyer-Goßner (2001), S. 49; Bttcher/Dahs/Widmaier, Verstndigung im Strafverfahren – eine Zwischenbilanz, NStZ 1993, 375; BRAK-Schriftenreihe, Bd. 8, 1992, S. 66 ff.; Braun, Vorschlag fr eine Abspracheregelung, StraFo 2001, 77; Braun, Grnde fr das Auftreten von Absprachen im Strafverfahren, AnwBl. 2000, 222; Dahs, Absprachen im Strafprozeß – Chancen und Risiken, NStZ 1988, 153; Hamm, Von der Unmglichkeit, Informelles zu formalisieren – Das Dilemma der Urteilsabsprachen, FS Meyer-Goßner (2001), S. 33; Hassemer, Absprachen ber Strafrahmen, JuS 1992, 527; Jahn, Zurck in die Zukunft – Die Diskurstheorie des Rechts als Paradigma des neuen konsensualen Strafverfahrens, GA 2004, 272; Kintzi, Verstndigung im Strafverfahren. Steht die Diskussion vor dem Abschluß?, FS Hanack (1999), S. 177 ff.; Krekeler, Keine Wirkung von Absprachen außerhalb

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Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 496

der Hauptverhandlung ber die Bestrafung des Angeklagten im Falle eines Gestndnisses, NStZ 1994, 196; Martin, Rechtsprechungsbersicht, Folgen des Ablegens eines Gestndnisses im Rahmen einer Absprache, JuS 1998, 373; Meurer, Dogmatik und Pragmatismus, Marksteine in der Rechtsprechung des BGH in Strafsachen, NJW 2000, 2936, 2944; Meyer-Goßner, Die Rechtsprechung zur Verstndigung im Strafprozeß, StraFo 2001, 73; Meyer-Goßner, Der gescheiterte Deal, StraFo 2003, 401; Niemller, Absprachen im Strafprozeß, StV 1990, 34; Rnnau, Die neue Verbindlichkeit bei den strafprozessualen Absprachen, wistra 1997, 49; Rnnau, Die Absprache im Strafprozeß, GA 1990, 387; Rnnau, Die neue Verbindlichkeit bei den strafprozessualen Absprachen, wistra 1998, 49; Rckel, Verteidigertaktik bei Verstndigungen und Vereinbarungen im Strafverfahren, NStZ 1987, 298; Schellenberg, Verfahrensabsprachen, ffentlichkeitsgebot und Medieninformationsrechte, DRiZ 1996, 280; Schmidt-Hieber, Absprachen im Strafprozeß – Privileg der Wohlstandskriminellen?, NJW 1990, 1884; Schmidt-Hieber, Absprachen im Strafprozeß – Rechtsbeugung und Klassenjustiz, DRiZ 1990, 321; Schrder, Der abgesprochene Rechtsmittelverzicht in der Rechtsprechung des BGH, StraFo 2003, 412; Schnemann, Absprachen im Strafverfahren?, Dt. Juristentag 58 (Mnchen 1990), B 1–17; Schnemann, Wetterzeichen einer untergehenden Strafprozeßkultur? Wider die falsche Prophetie des Absprachenelesysiums, StV 1993, 657; Schnemann, Die Absprachen im Strafprozeß, FS Rieß (2002), S. 525 ff.; FS Baumann, S. 361; Schwedhelm, Deal und Verstndigung im Steuerstrafverfahren, StraFo 1997, 69; Siolek, Die Verstndigung in der Hauptverhandlung, 1994; Terhorst, Kriterien fr konsensuales Vorgehen im Strafverfahren – freie Wahl fr Urteilsabsprachen?, GA 2002, 600; Tscherwinka, Absprachen im Strafprozeß, 1995; Wagner, Das einvernehmliche Verfahren, FS Gssel (2002), S. 585; Wehnert, Die tatschliche Ausgestaltung der Absprachenpraxis im staatsanwaltschaftlichen Wirtschaftsermittlungsverfahrens aus anwaltlicher Sicht, StV 2002, 219; Weider, Der aufgezwungene Deal, StraFo 2003, 406; Weigend, Der BGH vor der Herausforderung der Absprachenpraxis, FS 50 Jahre BGH (Wiss.) (2000), S. 1011, 1015 f.; Weßlau, Absprachen im Strafverfahren, ZStW 116 (2004), 150; Zschockelt, Die Urteilsabsprache in der Rechtsprechung des BVerfG und des BGH, NStZ 1991, 305.

Die Anfangsphase der Hauptverhandlung kann auch der richtige Zeitpunkt sein, sich vorsichtig an eine Verfahrensabsprache heranzutasten. Dies ist relativ einfach, wenn der Richter im Gesprch selbst Andeutungen in dieser Richtung macht oder man feststellt, daß erhebliche Probleme fr den Verhandlungsablauf aufgetreten sind oder erkennbar werden. Man macht allerdings die Erfahrung, daß Richter in dieser Hinsicht sehr vorsichtig sind, wenn sie den Verteidiger nicht kennen oder er als „ablehnungsfreudig“ gilt. Die Chance fr eine Verfahrensabsprache liegt nicht selten unausgesprochen „in der Luft“, wofr der Verteidiger ein feines Gespr entwickeln muß. Die Vorbesprechung mit dem Vorsitzenden bietet nicht selten die letzte Mglichkeit, eine fr den Mandanten unter Umstnden sehr vorteilhafte Absprache zu entrieren. Nimmt die Hauptverhandlung erst einmal ihren frmlichen Verlauf, ist es gar schon zu ersten Kontroversen mit Staatsanwaltschaft und Gericht gekommen und eine (aufwendige) Beweisaufnahme im Gang, knnen (nicht: mssen) sich 353

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Rn. 497

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

die Chancen rapide verschlechtern. Der Verteidiger mag dann nach Herzenslust mit dem Gericht streiten und Aufmerksamkeit in der Presse finden – der Klient dagegen hat das Nachsehen (sptestens bei der Urteilsverkndung)! Die Verfahrensabsprache ist weder die „Krone der Strafverteidigung“ noch die „Bankrotterklrung der Strafjustiz“ oder „das Reich des Bsen“, sondern ein Kind der Praxis, ber dessen Legitimitt seit mehr als einem Jahrzehnt erbittert gestritten wird (vor allem im Schrifttum – siehe oben!), das aber gleichwohl nach wie vor prchtig gedeiht. Die richtig verstandene Verfahrensabsprache beruht zum einen auf einem ungeschminkt-nchternen Resume der Sache und Verfahrenssituation aller Beteiligten und zum anderen dem Konsens, den Fall diesen Gegebenheiten entsprechend im Rahmen des Rechts zu Ende zu bringen. Die Wahrung unterschiedlicher Prozeßfunktionen wird durch die Beteiligung der Reprsentanten von „Recht“sprechung, Strafverfolgung und Verteidigung gewhrleistet. Die hchstrichterliche Rechtsprechung hat zur Absprache Leitlinien320 entwikkelt, die mit der Entscheidung des Großen Senats fr Strafsachen vom 3. 3. 2005 wohl eine zumindest vorlufige „Abrundung“ erfahren haben. Absprachen ber Verfahrensmodalitten und Verfahrensergebnisse sind an vielen Stellen des Handbuchs erwhnt (vgl. z. B. Rn. 10, 177 ff., 204, 300, 348, 431, 496 ff., 767, 801, 1016, 1094); sie differieren in Ansatz, Durchfhrung und Resultat entsprechend den jeweiligen Verfahrensstadien, dem Gegenstand der Absprache und des Grades der Konkretisierung ihres Ergebnisses. Es ist hier nicht der Ort, den dogmatischen und rechtspolitischen Streitfragen um die Verstndigung zwischen den Prozeßbeteiligten eines Strafverfahrens nachzugehen; fr die Behandlung im Handbuch gengt es, daß ihre Existenz in der Praxis ein von der hchstrichterlichen Rechtsprechung gebilligtes Ergebnis richterlicher Rechtsfortbildung ist321 – wenn auch nicht bei allen Gerichten und Staatsanwaltschaften blich. 497

Der Verteidiger ist in diesem Zusammenhang in seiner Geschicklichkeit und Seriositt gleichermaßen gefordert322. Es liegt in seiner Verantwortung, fr den Klienten eine Verteidigungsposition nur dann aufzugeben, wenn die hohe Sicherheit besteht, daß er mit Gericht und Staatsanwaltschaft auch zu der angestrebten Konkordanz ber die weitere Abwicklung des Verfahrens gelangen kann. In gleichem Maße ist er seinem Klienten dafr verantwortlich, daß die Mglichkeit einer Verfahrensabsprache nicht verpaßt wird, diese aber so klar und eindeutig formuliert ist, daß 320 BVerfG, NStZ 1987, 419. 321 Beschl. v. 3. 3. 2005 – GSSt 1/04 – NJW 2005, 1440. 322 Vgl. Dahs, NStZ 1988, 53.

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Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 499

Mißverstndnisse ber Inhalt und Ergebnis ausgeschlossen sind. Schließlich hat er darauf zu achten, daß nichts zum Inhalt der Absprache gemacht wird, auf das die Beteiligten keinen Einfluß haben, z. B. Modalitten der Strafvollstreckung oder Leistungen in anderer Sache323. Fr den Angeklagten kann durch eine Verfahrensabsprache manches erreicht werden. Die Rechtsprechung verlangt heute auf jeden Fall die Einbeziehung aller beteiligten Richter und der Staatsanwaltschaft, eine Offenlegung und Protokollierung in der Hauptverhandlung324 und eine qualifizierte Rechtsmittelbelehrung (§§ 35a S. 1; 273 Abs. 1)325. Im brigen hat der Verteidiger, schon im Interesse des Mandantenschutzes, aber auch im Hinblick auf die Rechtsbestndigkeit der Absprache auf die Einhaltung des Fairneßgebotes im Zusammenhang mit Zustandekommen und Abwicklung der Absprache zu achten326. Insbesondere ist jede unangebrachte Pression zurckzuweisen327. Heikel ist die Frage des Rechtsmittelverzichts, die das Gericht nach wie vor erwarten und der Mandant (von der Staatsanwaltschaft und ggfs. Nebenklage) in aller Regel wnschen wird. Der Rechtsmittelverzicht als Bestandteil der Absprache ist zwar nach Auffassung des BGH328 unzulssig und unwirksam. Das kann und darf den Verteidiger aber nicht hindern, diese Frage intern mit dem Mandanten zu klren und evtl. auch die Staatsanwaltschaft (außerhalb der Errterungen mit dem Gericht) nach ihren diesbezglichen Intentionen zu fragen. Dazu sei die Prognose gewagt, daß ber den Rechtsmittelverzicht in Zukunft zwar mit dem Gericht nicht mehr verhandelt werden wird, dieser aber gleichwohl eine unausgesprochene „stille clausula“ bleiben wird. Der Mandant muß gleichwohl wissen, daß er entsprechend der zu erteilenden Rechtsmittelbelehrung (§ 35a) in seiner Entscheidung ber eine Anfechtung der inhaltlich abgesprochenen Entscheidung frei ist. Das „Zuverlssigkeitsrisiko“ trgt damit der Verteidiger. In der Vielzahl der Flle ist es aber gering, weil die Nichtanfechtung des abgesprochenen Urteils gerade fr den Angeklagten ein Essentiale ist, weil er „froh ist, die Sache hinter sich zu haben“.

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Bei einem spteren Scheitern der abgesprochenen Verfahrenserledigung im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung, z. B. wegen neuer gewichtiger Erkenntnisse329 muß das Gericht einen zu protokollierenden (§ 273 Abs. 1)

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323 324 325 326 327 328 329

BGH, NStZ 2004, 338 m. Anm. Weider; BGHSt. 43, 195. So schon BGH, NStZ 2004, 342. Beschl. v. 3. 3. 2005 – GSSt 1/04 – NJW 2005, 1440. Dazu BGH, NJW 2005, 1442 f. Krasser Fall BGH, StV 2004, 636 m. Anm. Eidam, StV 2005, 201. Beschl. v. 3. 3. 2005 – GSSt 1/04 – NJW 2005, 1440. BGH, StV 2003, 268.

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Rn. 500

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

Hinweis geben, wenn es nunmehr ein hheres Strafmaß oder gar einen anderen Schuldspruch in Erwgung zieht. 500

Ob eine konfrontative oder kooperative Verteidigung am besten geeignet ist, das Feld fr eine Absprache vorzubereiten, scheint unter den Strafverteidigern eine Art „Glaubensfrage“ zu sein; hier wird jeder seine eigenen Erfahrungen haben oder machen mssen. Fr den professionell agierenden Verteidiger bietet sich mit diesem Verfahrensinstrument jedenfalls oft eine große Chance, die er zum Vorteil seines Mandanten nutzen kann. Allerdings sollte er sich nicht von Staatsanwaltschaft oder Gericht zu einer Absprache drngen lassen, z. B. wenn Rechtsgrnde der Verurteilung seines Mandanten entgegenstehen. Daß die Absprache zu einer Verkrzung des Verfahrens fhrt, darf auch unter Honorar- oder Gebhrengesichtspunkten kein Hindernis bilden, diesen Weg zu beschreiten, wenn der Fall dafr geeignet ist. Schutzaufgabe, Treue- und Schweigepflicht gebieten dem Verteidiger, den Mandanten von Anfang an in einem gemeinsam festzulegenden Rahmen ber die Aufnahme von Gesprchen, ihren Fortgang und die angestrebten und erreichten Ergebnisse zu unterrichten und mit seiner Zustimmung das Verfahren alsbald zu beenden. c) Beginn

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Pnktlichkeit des Verteidigers zu Beginn der Hauptverhandlung ist an sich eine Selbstverstndlichkeit; sie ist aber nicht immer leicht zu erreichen, z. B. wenn vorangegangene Termine sich unerwartet verzgern. In solchen und anderen Fllen unverschuldeter Versptung muß das Gericht vor der Terminsstunde durch eine telefonische Nachricht oder in anderer Weise unterrichtet werden. Es ist dann verpflichtet, auf die zeitweise Verhinderung des Verteidigers Rcksicht zu nehmen und die Sache spter aufzurufen330. Der Bitte um Verschiebung des Terminbeginns um 20 oder auch 30 Minuten wegen Verhinderung des Verteidigers ist stets stattzugeben331. Auch im brigen muß das Gericht so lange auf das Erscheinen des Verteidigers warten, wie dies mit dem Interesse an der Einhaltung der Tagesordnung vereinbar ist332. Vom Verteidiger kann aber erwartet werden, daß er seine Anreise z. B. zu einem auswrtigen Gericht zeitlich so kalkuliert, daß auch die immer mglichen Reiseverzgerungen nicht zu einer Versptung fhren. 330 OLG Hamm, AnwBl. 1980, 200; Meyer-Goßner, § 228 Rn. 11 m. N. 331 OLG Dsseldorf, StV 1995, 454; BayObLG, StV 1985, 6; OLG Hamburg, MDR 1981, 165. 332 BVerwG, MDR 1979, 606.

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Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 503

Andererseits muß auch der Verteidiger eine Verschiebung des Verhandlungsbeginns hinnehmen, wenn die Verzgerung in der Sphre des Gerichts liegt, z. B. weil der voraufgegangene Termin noch andauert. Stundenlange Wartezeiten braucht er bei anderweitigen Terminsaufgaben allerdings nicht hinzunehmen. Das erste Auftreten im Sitzungssaal erfordert zunchst die Beachtung gewisser ußerer Gegebenheiten. So wie der Verteidiger die Sitzordnung fr die Beteiligten antrifft, wird er sie im allgemeinen hinnehmen mssen, auch wenn ihm kein der Plazierung des Staatsanwalts entsprechender Platz zugewiesen ist. Wenn der Platz des Angeklagten allerdings eine „Armesnderbank“ ist, muß er protestieren; das gilt fr jede „umfriedete Anklagebank“, die nur ausnahmsweise in Betracht kommt (Nr. 125 Abs. 2 RiStBV)333. Die „Flsterverstndigung“ mit dem Mandanten muß gewhrleistet sein; darauf besteht ein Rechtsanspruch334. Es gibt Verteidiger, welche die Rechte des Angeklagten in diesem Punkte lautstark verknden und daraus eine massive Sensation machen. Besser ist meist eine ruhige Verstndigung mit dem Vorsitzenden, unter Umstnden allerdings auch ein stillschweigendes Hinnehmen, wenn dies die Verteidigung nicht substantiell beeintrchtigt.

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Der Verteidiger hat zu beachten, daß ihm das Tragen der Amtstracht vor Gericht vorgeschrieben ist (§ 20 BORA). Zu fordern ist im allgemeinen schwarze Robe und weißer Quer- oder Lngsbinder, fr die Kolleginnen auch ein weißes Halstuch. Solange Richter und Staatsanwlte entsprechend gekleidet sind, ist unerfindlich, woraus manche Kollegen fr sich das Sonderrecht z. T. exotischer Kleidung vor Gericht ableiten, z. B. grellfarbige Hemden (kariertes Hemd vor dem BGH!), phantasievoll gemusterte Krawatten – oder gar keine usw. Wenigstens im Interesse des Mandanten sollte man sich nicht derart „unter“ Richter und Staatsanwalt stellen. Im brigen hat vor langer Zeit das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß der Rechtsanwalt auch „gerichtsrechtlich“ verpflichtet ist, in Robe aufzutreten, und daß die berwachung dieser Pflicht dem Prozeßgericht obliegt335. Der Verteidiger, der nicht in Amtstracht auftritt, kann sogar zurckgewiesen werden336. Der Verteidiger sollte auch darauf achten, daß sein Mobiltelefon („Handy“) abgeschaltet ist. Abgesehen davon, daß ein ankommender Telefonanruf die Verhandlung strt, pflegen die nchtern denkenden Richter 333 334 335 336

Lesenswert Eb. Schmidt, Formen im Gerichtssaal, ZRP 1969, 254 (257). BayObLG, StraFo 1996, 47; OLG Kln, NJW 1980, 302. BVerfGE 28, 21 = NJW 1970, 851. BGHSt. 27, 34; BVerfGE 28, 21; OLG Karlsruhe, DRiZ 1976, 353.

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Rn. 504

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die Bedeutung des Verteidigers und seiner Praxis an anderen Kriterien zu messen. 504

Beabsichtigt der Verteidiger, in der Hauptverhandlung einen Laptop zu benutzen (Rn. 447), sollte er dies zuvor rechtzeitig mit dem Vorsitzenden besprechen, zumal er fr die Stromzufuhr oft auf „technische Hilfe“ der Justizverwaltung angewiesen sein wird. Ein Gebrauch des Laptop, der die Verhandlung nicht strt, wird ihm – jedenfalls in umfangreichen Sachen – nicht verwehrt werden knnen, nachdem die elektronische Datenverarbeitung auch in die Strafjustiz Eingang gehalten hat. Auch wenn der Verteidiger aus anderen Grnden auf die Benutzung des Laptop angewiesen ist (etwa wegen einer Behinderung), muß er ggfs. einen Gerichtsbeschluß herbeifhren, um die Beeintrchtigung der Verteidigung revisibel (§ 338 Nr. 8) zu machen. Allerdings wird es derartige Probleme immer seltener geben, nachdem schon heute in entsprechenden Verfahren auch Richter und Staatsanwlte sich in der Verhandlung dieser elektronischen Hilfsmittel bedienen.

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Der Verteidiger ist grundstzlich zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung von deren Beginn bis zur Beendigung der Urteilsverkndung verpflichtet337. Verstße begrnden bei notwendiger Verteidigung die Revision (§ 338 Nr. 5 – Rn. 931). Auch knnen die Kosten des Verfahrens einem sumigen Verteidiger auferlegt werden (Rn. 195, 796). Bei zeitweiliger Verhinderung kann der Verteidiger sich vertreten lassen (Rn. 26).

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Aussetzungs- und Vertagungsantrge wird der Verteidiger in der Regel gleich zu Beginn der Hauptverhandlung stellen. Dadurch kann er verhindern, daß unntig verhandelt wird. Selbst aus der Ablehnung eines Antrages kann er Nutzen ziehen. Er erfhrt aus der Versagung hufig die Meinung des Gerichts zu der einen oder anderen Frage, die ihn fr seinen Verteidigungsplan interessiert. Will der Verteidiger die Aussetzung der Hauptverhandlung beantragen, weil die Ladungsfrist nicht eingehalten ist (§ 217 Abs. 2) oder weil die Vorbereitungszeit zu kurz war (Rn. 452 ff.), so sollte er das alsbald (bei § 217 Abs. 2 bis zu Beginn der Vernehmung des Mandanten zur Sache) tun. Auch der kurzfristig bestellte Pflichtverteidiger muß unverzglich beantragen, die Hauptverhandlung zu unterbrechen oder auszusetzen, falls die Zeit fr die Vorbereitung zu knapp war (§ 145 Abs. 3) und darber ggfs. einen Gerichtsbeschluß (§ 238 Abs. 2) herbeifhren338. Fr den Fall einer Unterbrechung oder Aussetzung der Hauptver-

337 Zur Fortfhrung der Hauptverhandlung bei Verhinderung des Wahlverteidigers vgl. BGH, NJW 1973, 1985. 338 BGH, NStZ 2000, 212.

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Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 508

handlung muß der Verteidiger seinen Terminkalender jedenfalls soweit prsent haben, daß er bei der Absprache des neuen Termins etwaige zwingende Verhinderungen sofort geltend machen kann. Auf diese Weise vermeidet er Mißhelligkeiten, die bei Terminkollisionen (Rn. 454 ff.) und Verlegungsantrgen immer wieder auftreten. Der Verteidiger muß sich berlegen, ob es angebracht ist, zu Beginn der Hauptverhandlung eine Erklrung zur Verteidigung („opening statement“) (Rn. 520) abzugeben, in der in unmittelbarer Erwiderung auf die Anklageverlesung die Eckpunkte der Verteidigungsargumentation, ihrer Beweisfhrung oder auch eine kritische Darstellung der Mngel der Anklage und des Ermittlungsergebnisses kurz und pointiert herausgestellt werden. Nachteile und Vorteile einer solchen Erklrung lassen sich nicht allgemein festlegen. Zunchst muß bercksichtigt werden, daß eine „Erffnungsrede“ des Verteidigers durchweg Erstaunen auf der Richterbank hervorruft. Sie ist ungewhnlich, weil das „opening statement“ des englischamerikanischen Verfahrens unserem Strafprozeß fremd ist. Dadurch allein sollte sich indessen der Verteidiger nicht abhalten lassen. Maßgebend ist die Prfung, ob es richtig ist, den Verteidigungsplan schon jetzt offenzulegen. Vorteilhaft kann die frhzeitige Erluterung des Verteidigungsplanes in Prozessen sein, in denen man eine alsbaldige Einstellung erreichen (Rn. 323 ff.), ein nicht festgelegtes Gericht sofort auf den „richtigen Kurs“ bringen will, oder an denen die ffentlichkeit besonders interessiert ist. Hier wird der Vorwurf der Anklage durch die Medien oft schon vor der Hauptverhandlung verbreitet. Dann kann es notwendig sein, nach Verlesung der Anklage in der Hauptverhandlung eine Verteidigungserklrung abzugeben, um einer einseitigen Darstellung in der ffentlichkeit und einer einseitigen Beeinflussung der ehrenamtlichen Richter entgegenzuwirken (Rn. 507). Besonders wichtig ist eine Erwiderung des Verteidigers, falls der Staatsanwalt oder das Gericht nach Verlesung des zugelassenen Anklagesatzes eine abweichende, dem Mandanten ungnstigere Rechtsauffassung ußern (§ 243 Abs. 3). Mit der Bekanntgabe der Verteidigungsplanung kann der Verteidiger zugleich den Ablauf der Verhandlung unter Umstnden wesentlich beeinflussen. Eine vorherige Ankndigung des opening-statements gegenber dem Vorsitzenden ist oft geeignet, Turbulenzen zu vermeiden.

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Zweifel an der Verhandlungsfhigkeit des Angeklagten sollten ebenfalls sptestens zu Beginn der Hauptverhandlung vorgebracht werden (Rn. 399), mindestens muß der Verteidiger unverzglich durch geeignete Anregungen dafr sorgen, daß auf den Gesundheitszustand des Mandanten Rcksicht genommen wird. Mit der Frage des Vorsitzenden, ob der Angeklagte „der Verhandlung folgen knne“, darf es nicht getan sein. berhaupt muß

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er dem Mandanten, der krperlich behindert ist, alsbald die notwendigen Erleichterungen verschaffen, z. B. das Gericht auf eine etwaige Schwerhrigkeit hinweisen oder darum bitten, daß regelmßige Pausen eingelegt werden oder die tgliche Verhandlungsdauer beschrnkt wird. In allen Sachen ist darauf zu drngen, daß der Mandant Gelegenheit hat, seine Unterlagen auszubreiten, zu schreiben und stndigen Kontakt mit seinem Verteidiger zu halten. 509

Eine Erleichterung der Verhandlung fr den Angeklagten ist auch die zeitweilige Beurlaubung (§ 231c). Der Verteidiger muß aber sorgfltig prfen, ob er selbst nicht dennoch im Saal bleibt, weil auch aus Verhandlungsteilen, die den Mandanten nicht im Rechtssinne „betreffen“, wichtige Erkenntnisse fr die Verteidigung gewonnen werden knnen. Mindestens sollte man sich durch die anwesenden Kollegen unterrichten lassen. Die Gerichte stehen inzwischen Beurlaubungsantrgen sehr ablehnend gegenber, weil hier eine beachtliche „Fußangel“ fr Revisionsangriffe liegt339.

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Die Hauptverhandlung darf im brigen nach § 231 Abs. 2 in Abwesenheit des Angeklagten nur dann fortgesetzt werden, wenn dieser „eigenmchtig“, also nicht unfreiwillig ferngeblieben ist, sondern versucht hat, durch Mißachtung seiner Anwesenheitspflicht den Gang der Rechtspflege zu stren. Das muß nachgewiesen sein340. Den Sonderfall der vom Angeklagten selbst absichtlich herbeigefhrten Verhandlungsunfhigkeit regelt § 231a341. Der Angeklagte ist auch dann verhandlungsunfhig, wenn er nur fr krzere Zeitspannen, die zur Erledigung des Verfahrens in vernnftiger Frist nicht ausreichen, der Verhandlung folgen kann342. Dem Verteidiger ist es hier wie in allen anderen Situationen untersagt, ein Bestreben des Angeklagten, sich dem Verfahren zu entziehen oder seinen Fortgang ohne Rechtsgrund aufzuhalten, zu untersttzen oder zu frdern (§ 258 StGB, § 138a Abs. 3). Er hat aber den Anspruch des Angeklagten auf rechtliches Gehr wahrzunehmen, insbesondere darauf hinzuwirken, daß der Wiedereintritt der Verhandlungsfhigkeit sofort mitgeteilt wird343 oder auch dem verhandlungsunfhigen Angeklagten auf seinen Wunsch die Teilnahme an der Hauptverhandlung gestattet wird344. Da die Revision wegen Verletzung des § 231a Abs. 1 aus-

339 340 341 342 343 344

360

Dahs/Dahs, Rn. 184. BGHSt. 16, 180; BGHSt. 25, 317; BGH, NJW 1980, 950; Dahs/Dahs, Rn. 183. Nach BVerfG, NJW 1976, 413 verfassungsgemß. BGH, NJW 1976, 116. Meyer-Goßner, § 231a Rn. 19 f. BGH, NJW 1976, 17.

Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 513

geschlossen sein soll345, wird die sofortige Beschwerde (§ 231a Abs. 3 S. 3) jeweils zu erwgen sein. Wenn die Besetzungsrge erhoben werden soll, so muß dies in der Hauptverhandlung, genauer gesagt, vor dem Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten – also nicht unbedingt des rgenden Angeklagten – geschehen, wobei alle Beanstandungen gleichzeitig vorgebracht werden mssen (§ 222b Abs. 1 S. 1, 3). Wird die Rge nicht in schriftlicher Form vorgebracht, was grundstzlich zu empfehlen ist, so besteht nach § 273 Abs. 1 ein Rechtsanspruch darauf, daß sie nebst Begrndung in das Protokoll der Hauptverhandlung aufgenommen wird, weil sie in ihrem Rechtscharakter und ihrer verfahrensrechtlichen Bedeutung einem Prozeßantrag mindestens gleichsteht. Der Verteidiger hat dabei darauf zu achten, daß smtliche Tatsachen zu Protokoll genommen werden, die er zur Begrndung der Rge vorgebracht hat (§ 344 Abs. 2 S. 2). (Vgl. i. . Rn. 457 ff.).

511

Ist die Besetzung der Richterbank oder eine Besetzungsnderung weniger als eine Woche vor Beginn der Hauptverhandlung mitgeteilt worden oder wird sie den Verfahrensbeteiligten erst zu Beginn der Verhandlung erffnet, so muß der Verteidiger entscheiden, ob er einen Antrag auf Unterbrechung der Hauptverhandlung zur Prfung der Besetzung stellt: auch dieser Antrag muß sptestens bis zum Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten zur Sache (also nicht unbedingt des jeweiligen Mandanten) gestellt werden (§ 222a Abs. 2). Eine Unterbrechung der Hauptverhandlung von einer Woche muß das Gericht zur Prfung der Besetzung bewilligen346 (Rn. 457). In hnlicher Weise ist die Rge der Unzustndigkeit des Gerichts in der Hauptverhandlung geltend zu machen. Sie kann allerdings nicht nur bis zur Vernehmung des ersten Angeklagten zur Sache, sondern bis zur Vernehmung des Angeklagten, der sich auf die Unzustndigkeit beruft, erhoben werden. Die Beanstandung kann schriftlich oder zu Protokoll der Hauptverhandlung (§ 273) vorgebracht werden: fr die Begrndung des Einwandes der Unzustndigkeit gilt § 344 Abs. 2 S. 2 entsprechend.

512

Zu Beginn der Hauptverhandlung, sptestens vor der Vernehmung des ersten Angeklagten ber seine persnlichen Verhltnisse (§ 25 Abs. 1 S. 1), muß der Verteidiger auch etwaige Ablehnungsgesuche vorbringen, sofern die Grnde bereits bekannt sind. Im allgemeinen ist es nicht zweckmßig, Ablehnungsgesuche bis zum letzten Augenblick aufzuschieben (Rn. 205, 460 f. a. E.).

513

345 Meyer-Goßner, § 231a Rn. 25. 346 BGH, NStZ 1988, 36: zeitlich ausreichend zur Prfung in jeder Hinsicht; BGHSt. 29, 283 = NStZ 1981, 31 m. Anm. Katholnigg; Rieß, JR 1981, 89.

361

Rn. 514

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

So kann es unter Umstnden notwendig sein, rechtzeitig zu fragen, ob die Schffen die Anklageschrift, insbesondere das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen, gelesen oder darin Einblick genommen haben. Dieser Umstand ist ein Ablehnungsgrund (Rn. 203). Die Richter, besonders die Schffen, sind vielfach befangen durch die sensationelle Berichterstattung der Medien und deren „Vor-Urteil“ (Rn. 96). Mag man dem Berufsrichter noch die Fhigkeit zur Objektivitt zutrauen, so ist die Befangenheit der Schffen eigentlich nicht zu bezweifeln. Trotzdem wird diese Begrndung allein in der Regel nicht ausreichen, weil sonst viele Sachen berhaupt nicht verhandelt werden knnten. Es ist gleichwohl zu erwgen, in Fllen, in denen das Klima, z. B. durch Verlautbarungen des Gerichts bzw. Vorverurteilung in den (lokalen) Medien vllig vergiftet ist, die Ablehnung der Schffen zu beantragen, um dadurch Bewegung in diese bedenklichen Justizzustnde zu bringen (Rn. 201). 514

Zu Beginn und im Verlaufe der Hauptverhandlung steht der Verteidiger oft vor der Frage, wie er sich zur Ausschließung der ffentlichkeit (§§ 172 ff. GVG) ußern soll. Vielfach will der Mandant schon vor der Hauptverhandlung wissen, ob denn Zuhrer dabei seien und ob der Verteidiger das nicht verhindern knne. Ein solcher Wunsch ist nur zu verstndlich: Kein Mensch sieht es gern, wenn seine persnlichen Verhltnisse, sein Privatleben und sein etwaiges Versagen ffentlich errtert und durch Zuhrer oder die Berichterstattung von Presse, Rundfunk und Fernsehen verbreitet werden knnen (Rn. 96)347. Viele Angeklagte fhlen sich allein aus diesem Grunde befangen. Das Gesetz lßt den Ausschluß aber nur in besonderen Fllen zu, z. B. wegen Gefhrdung der Sittlichkeit oder eines wichtigen Betriebs- oder Geschftsgeheimnisses (§ 172 Nr. 2 GVG). Aus dem Katalog der Ausschließungsgrnde ist der Schutz des persnlichen Lebensbereichs eines Prozeßbeteiligten oder Zeugen von besonderer Bedeutung. Der Ausschluß der ffentlichkeit zum Schutz von Persnlichkeitsrechten ist heute nach § 171b GVG leichter zu erreichen als in frherer Zeit. Es muß dargelegt werden, daß die ffentliche Errterung personenbezogener Tatsachen schutzwrdige Interessen verletzen wrde. Das kann z. B. so sein bei der Errterung von Jugendverfehlungen oder Krankenunterlagen348, der Befragung ber seine (gescheiterte) Ehe einschließlich des sexuellen Bereichs, bei der Vernehmung von medizinischen Sachverstndigen, deren mndliche Gutachten sonst die ffentlichkeit ber die intimsten physischen und psychischen Umstnde des Angeklagten

347 Vgl. dazu Nr. 129 RiStBV. 348 BGH, NJW 1967, 687.

362

Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 515

unterrichten. Der Ausschluß der ffentlichkeit ist in diesen Fllen die Regel, die Zulassung der ffentlichkeit die Ausnahme. Sie kommt nur in Betracht, wenn das Interesse an der ffentlichen Errterung berwiegt, wogegen sich hufig gute Grnde anfhren lassen. Der Verteidiger darf auch nicht bersehen, daß ber den Ausschluß der ffentlichkeit nur auf Antrag in nichtffentlicher Sitzung zu verhandeln ist (§ 174 Abs. 1 GVG), falls nicht das Gericht von sich aus die Anordnung trifft. Der Verteidiger muß vermeiden, die Grnde fr den Ausschluß vor Zuhrern errtern zu mssen, die auf diese Weise doch erfahren, worum es geht. Entsprechendes gilt fr die Bekanntgabe der Grnde des Ausschließungsbeschlusses349. Im Zusammenhang mit der ffentlichkeit der Verhandlung hat der Verteidiger darauf zu achten, daß Aufnahmen fr Fernsehen, Rundfunk und Film whrend der Hauptverhandlung untersagt sind (§ 169 GVG). Gleichwohl wird in die Gerichtssle noch hineingefilmt und fotografiert. Hiergegen hat der Verteidiger schon vor der Hauptverhandlung Front zu machen, wenn die Interessen des Mandanten es verlangen (vgl. hierzu im einzelnen Rn. 109 ff.). In der Regel wird es sachdienlich sein, Einwendungen gegen das Verfahren unverzglich vorzubringen, wenn sie nicht vor der Hauptverhandlung zur Einstellung gefhrt haben (Rn. 416 ff.). Das gilt insbesondere, falls der Verteidiger den Mangel erst kurz vor der Hauptverhandlung festgestellt oder noch keine Gelegenheit gehabt hat, sich darauf zu berufen. Beispielsweise kann die Verjhrung eben erst eingetreten (Rn. 424), der Strafantrag zurckgenommen (Rn. 422), die Verhandlungsunfhigkeit des Angeklagten gerade bekannt geworden sein (Rn. 419). Ist der Verteidiger der Ansicht, daß ein solcher Einwand durchschlgt, so sollte er nicht zgern, ihn sofort geltend zu machen. Er trgt dann dazu bei, eine unntze Hauptverhandlung zu vermeiden. Bestehen hingegen Zweifel, so kann es richtig sein, die Erklrung noch zurckzuhalten, bis die Beweisaufnahme zu dem Punkt fortgeschritten ist, auf den es fr den Einwand ankommt, etwa wenn fr die Verjhrung durch Zeugenaussagen die Tatzeit geklrt werden muß. Allerdings gibt es formelle Einwendungen, die nur bis zum Beginn der Vernehmung des Angeklagten zur Sache vorgebracht werden knnen, so der Antrag auf Aussetzung wegen Nichteinhaltung der Ladungsfrist oder wegen nicht ausreichender Zeit zur Vorbereitung der Hauptverhandlung (Rn. 442) und die nicht ordnungsgemße Besetzung des Gerichts (Rn. 511).

349 BGHSt. 30, 212.

363

515

Rn. 516 516

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

In vielen Fllen kann es zweckmßig sein, die Einstellung des Verfahrens wegen Geringfgigkeit oder gegen Auflagen (§§ 153, 153a) alsbald anzuregen (Rn. 322 ff.), etwa um eine risikoreiche Beweisaufnahme von vornherein zu vermeiden. Es ist indessen wenig sinnvoll, einen schon vor der Hauptverhandlung abgelehnten Einstellungsantrag lediglich zu wiederholen. Das kann nur in Betracht kommen, wenn seit der Ablehnung neue Umstnde hervorgetreten sind, die nunmehr die Einstellung rechtfertigen. Sonst fragen sich Gericht und Staatsanwaltschaft, warum der Gang des Verfahrens mit Wiederholungen aufgehalten wird. Auch kann es richtiger sein, die Frage der Einstellung in der Hauptverhandlung erst spter aufzuwerfen, etwa wenn damit zu rechnen ist, daß die Geringfgigkeit im Verlaufe der Beweisaufnahme nachgewiesen wird oder wenn der Auftraggeber eine Ehrenerklrung gegen Rcknahme des Strafantrags nicht sofort abgeben kann oder will (Rn. 169). Bei der Errterung der Einstellung in der Hauptverhandlung ist noch zu beachten, daß sich die Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft nicht immer berufen fhlen, ohne Einverstndnis des Sachbearbeiters oder des Abteilungsleiters die Zustimmung zur Einstellung zu erteilen. In solchen Fllen kann der Verteidiger den Versuch unternehmen, mit dem Sachbearbeiter zusammen zum Abteilungsleiter gehen und eventuell auch bei den Behrden vorstellig werden, von deren Zustimmung die Staatsanwaltschaft ihr Einverstndnis abhngig macht. Dazu muß er die Unterbrechung der Hauptverhandlung erwirken. Manchmal gelingt es sogar, den Richter zu veranlassen, sich bei der Staatsanwaltschaft unmittelbar fr diese Erledigung einzusetzen.

517

Gelegentlich kommt es auch vor, daß Gericht oder Staatsanwaltschaft ihrerseits die Einstellung wegen geringer Schuld in der Hauptverhandlung errtern und damit die Frage nach der Zustimmung des Angeklagten zur Einstellung im Raum steht. Das Gericht kann sich durch mancherlei Grnde veranlaßt sehen, die Einstellung zu erwgen350. So kann das Gericht eine Bagatellsache „vom Tisch haben wollen“. Die Errterung kann auch darauf beruhen, daß das Gericht an der Schuld des Angeklagten zweifelt, oder daß es zur vollstndigen Aufklrung eine umfangreiche Beweisaufnahme fr erforderlich hlt. Das Verfahren kann eingestellt werden, wenn sich die Schuld des Betroffenen noch nicht berblicken lßt. Es gengt, daß gegen den Angeklagten der hinreichende Verdacht eines geringen Verschuldens besteht351, oder (bei § 153a) die Schwere der Schuld nicht entgegensteht. Allerdings ist das Gericht auf Grund seiner Frsorge-

350 Dahs, NJW 1996, 1192. 351 Meyer-Goßner, § 152 Rn. 3.

364

Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 519

pflicht gehalten, das Verfahren fortzufhren, falls sich ohne viel Umstnde die Schuldlosigkeit feststellen lßt. Darauf muß der Verteidiger grundstzlich hinwirken, insbesondere, wenn nach seiner berzeugung eine Schuld berhaupt nicht vorliegt. Er darf freilich den Bogen nicht berspannen. Auf jeden Fall ist es notwendig, dem Auftraggeber die Situation zu erlutern und zu diesem Zwecke notfalls um eine kurze Unterbrechung der Hauptverhandlung zu bitten. Mandanten sind mit der Einstellung gelegentlich nicht einverstanden. Sie mssen wissen, welches Risiko sie eingehen und welche Vorteile sie ausschlagen (Rn. 322 ff.). Eine fr die Verteidigung ebenfalls wichtige Mglichkeit der Einstellung des Verfahrens bieten die Bestimmungen der §§ 154, 154a. Sie kommt in bezug auf Nebendelikte, Tatteile oder Einzeltaten in Betracht, deren Bestrafung neben der Hauptstrafe nicht betrchtlich ins Gewicht fallen wrde. Die Gerichte sind aus Grnden der Prozeßkonomie unter Umstnden gern bereit, solchen Anregungen des Verteidigers zu folgen (Rn. 323 ff.)352. Eine solche Anregung kann auch ein Test dafr sein, ob das Gericht im brigen zur Verurteilung neigt.

518

Sind Beweisantrge vor der Hauptverhandlung (§ 219) abgelehnt oder nicht beschieden worden (Rn. 467), so knnen sie ebenfalls alsbald nach Beginn der Hauptverhandlung wiederholt werden. Das Gericht und die Staatsanwaltschaft wissen dann, woran sie sind. Aus diesem Grunde knnen auch neue Beweisantrge gegebenenfalls sofort gestellt werden. Mit einem Beweisantrag kann der Verteidiger auch leicht sonstige Ausfhrungen ber seinen Plan verbinden. Dadurch fllt es nicht so stark ins Auge, daß er in Wahrheit eine Gegenerklrung zur Anklage abgibt. In allen Fllen ist es aber zweckmßig, die Ausfhrungen knapp zu halten und auf das Notwendige zu beschrnken. An dieser Stelle soll und darf nicht bereits pldiert werden.

519

d) Erklrungsrechte und Widerspruchspflichten Burkhard, Erklrungsrecht des Verteidigers, § 257 Abs. 2 StPO, StV 2004, 390; Cramer/Brgle, Die strafprozessualen Beweisverwertungsverbote, 2. Aufl., 2004; Dahs, Die Ausweitung des Widerspruchserfordernisses, StraFo 1998, 253; Hammerstein, Die Grenzen des Erklrungsrechts, FS Rebmann (1989), S. 233; Hohmann, Das Erklrungsrecht von Angeklagtem und Verteidiger, StraFo 1999, 153; Leipold, Form und Umfang des Erklrungsrechts nach § 257 StPO und seine Auswirkungen auf die Widerspruchslsung des BGH, StraFo 2001, 300; Maiberg, Zur Widerspruchsabhngigkeit von strafprozessualen Verwertungsverboten, 2003; 352 Vgl. hierzu Willms, DRiZ 1969, 247.

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Rn. 520

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

Meyer-Goßner, Die Ausweitung des Widerspruchserfordernisses, StraFo 1998, 258; Wesemann, Beanstandungs- und Erklrungsrechte zur Schaffung von Freirumen der Verteidigung, StraFo 2001, 293.

520

Der Verteidiger muß whrend der Hauptverhandlung auch das Recht nutzen, jederzeit Erklrungen abzugeben (§ 257 Abs. 2). Auf diese Weise kann er – im gnstigen Falle – die Hauptverhandlung in Bahnen lenken, die fr den Verteidigungsplan gnstig sind. Er braucht sich nicht darauf zu beschrnken, Antrge zu stellen oder sich dazu zu ußern, sein Fragerecht auszuben (Rn. 524 ff.) oder Beanstandungen vorzubringen (Rn. 533 ff.), sondern hat auch die Mglichkeit, ohne Bindung an bestimmte Prozeßsituationen jederzeit mit Zustimmung des Vorsitzenden (§ 238) das Wort zu ergreifen. Das folgt aus seiner Funktion als Organ der Rechtspflege und aus seiner Schutzaufgabe. Seine Erklrung kann kommentierender, ergnzender oder ankndigender Art sein, darf aber das Pldoyer nicht vorwegnehmen. Ohnehin macht man die Erfahrung, daß kurze, prgnante Erklrungen am besten „ankommen“. Der Verteidiger ist auch berechtigt, whrend der Hauptverhandlung schriftliche Erklrungen abzugeben. Dies kann in umfangreichen und komplexen Hauptverhandlungen oder bei lang andauernder Beweisaufnahme zweckmßig sein, um gewisse Beweisergebnisse oder Stellungnahmen dazu jedenfalls in der Form „festzuschreiben“, daß sie Bestandteil der Akten (als Anlage zum Hauptverhandlungsprotokoll) werden. Derartige Erklrungen ußern zwar keine Bindungswirkung fr das Gericht, bilden aber erfahrungsgemß doch eine gewisse „Hemmschwelle“ davor, daß ein Verfahrensvorgang oder ein Beweisergebnis bei der Entscheidung vllig anders „gesehen“ wird als sich dies aus dem in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang eingereichten Statement des Verteidigers ergibt. Schriftliche Erklrungen, in denen Teilergebnisse der Beweisaufnahme festgehalten – und kommentiert – werden, eignen sich hufig auch als Begrndung fr Beweisantrge (Rn. 671), wenn sie den Verfahrensanlaß fr den Beweisantrag und seinen Bezug zu anderen (negativen) Beweisergebnissen sowie die Relevanz fr das Urteil deutlich machen. Auf diese Weise kann auch dem Ablehnungsgrund der Prozeßverschleppung (Rn. 662) entgegengewirkt werden. Besondere Bedeutung kommt dem Erklrungsrecht bei der Beweiserhebung zu. Das Gericht pflegt den Ablauf der Beweisaufnahme anhand der Akten vorzubereiten. Mit erluternden Hinweisen zur rechten Zeit gelingt es manchmal, die Sachaufklrung in andere Richtung zu lenken. Nach der Vernehmung eines Zeugen kann der Verteidiger zum Beispiel auf bereits stattgefundene oder bevorstehende Beweiserhebungen aufmerksam machen, um die Zusammenhnge zu verdeutlichen. Auch bewhrt es sich, nach einer belastenden Zeugenaussage unverzglich vorzutragen, was an Entlastungsmaterial zu erwarten ist. Dadurch verhindert 366

Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 522

man, daß sich das Gericht, insbesondere die Laienrichter, zu frh eine feste Meinung bildet. Genauso liegt es beim Sachverstndigenbeweis. Die Praxis lehrt, daß die Richterbank dem zuerst vorgetragenen Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverstndigen große Bedeutung beimißt. Fllt das Gutachten fr den Angeklagten ungnstig aus und sind abweichende Gutachten zu erwarten, so sollte der Verteidiger darauf hinweisen. Diese Beispiele zeigen, welchen Einfluß der Verteidiger auf das Beweisergebnis und die richterliche berzeugungsbildung nehmen kann. Hier liegen nicht selten bessere Mglichkeiten als im Schlußpldoyer. Das berufliche Gewissen darf es dem Verteidiger nicht erlauben, tatenlos zuzusehen, wie ein Verfahren „falsch aufgezogen“, wie es in eine bestimmte Richtung gedrngt wird oder nach „Schema F“ abluft. Zweifel anzumelden, sie berzeugend darzulegen und, wo es not tut, auch leidenschaftlich gegen eingefahrene Routine anzukmpfen, ist das Recht und die Pflicht des Verteidigers. Wer seine Aufgabe so auffaßt, wird das Erklrungsrecht und andere prozessuale Befugnisse nicht verkrzen lassen. Gegen eine Versagung hilft die Beanstandung nach § 238 Abs. 2 (Rn. 533 ff.). Der Verteidiger kann dazu beitragen, daß er zu dieser Maßnahme nicht gezwungen wird. So ist es nicht nur unstatthaft, sondern auch unzweckmßig, die Vernehmung eines Zeugen mit einer Erklrung zu unterbrechen. Das Ende der einzelnen Beweiserhebung muß zwar abgewartet, dann aber auch gehandelt werden. Dabei wird sich der Verteidiger hten, die Erklrung zu einem lngeren Pldoyer auszuweiten. Bestenfalls wird er ein kleines Zwischenpldoyer wirksam anbringen knnen. In der Krze liegt gerade hier Wrze und Wirkung. Wer das Erklrungsrecht energisch ausbt, muß ohnehin mit Skepsis rechnen. Der Vorwurf der Prozeßstrung oder gar -verschleppung wird leicht erhoben und fhrt zu vermeidbaren Auseinandersetzungen. Wird freilich die Bedeutung des Erklrungsrechts verkannt und dem Verteidiger das Wort verweigert oder abgeschnitten, so darf er nicht nachgeben.

521

hnliche berlegungen muß er anstellen, wenn er fr den Auftraggeber das Erklrungsrecht nach § 257 Abs. 2 in Anspruch nimmt. In der Praxis wird der Angeklagte meist nicht nach jeder einzelnen Beweiserhebung gefragt, ob er etwas erklren wolle, obwohl Strafprozeßordnung und vorgedrucktes Protokoll die Frage vorschreiben. Sache des Verteidigers ist es, auf die Bestimmung hinzuweisen. Das soll nicht heißen, daß er nach jeder Beweiserhebung auf den Formfehler aufmerksam macht. Es kann aber darauf ankommen, daß der Mandant zu einer Zeugenaussage, zur Einlassung eines Mitangeklagten oder zu einer Urkunde sofort Stellung nimmt, etwa seine Angaben berichtigt oder ergnzt. Dann darf der Verteidiger

522

367

Rn. 523

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

nicht zgern, fr den Angeklagten das Wort zu erbitten. Er darf ihn nicht auf das Fragerecht (Rn. 532) oder gar das Schlußwort (Rn. 758) verweisen lassen. Notfalls muß er einen Gerichtsbeschluß (§ 238 Abs. 2) herbeifhren (Rn. 534). Freilich ist zu prfen, ob es richtig ist, daß der Mandant selbst eine Erklrung abgibt. Das hngt nicht nur von der Sachlage ab, sondern auch von der Person des Auftraggebers. Ungeschickte oder weitschweifende Erklrungen schaden in der Regel mehr, als sie ntzen. Bezweifelt der Verteidiger, ob der Mandant der Situation gewachsen ist, so sollte er von einer eigenen Erklrung abraten. Ggfs. kann er um eine kurze Unterbrechung bitten, sich mit dem Mandanten besprechen und dann die Erklrung selbst abgeben, die sich als notwendig erweist. Gegen die Entscheidung des Vorsitzenden, einen Zeugen nicht zu vereidigen, muß auch nach der Neufassung des § 59 die Entscheidung des Gerichts beantragt werden, wenn der Verteidiger der Anordnung widersprechen will353. Verletzungen des § 257 sollen die Revision nicht begrnden, weil es sich um eine Ordnungsvorschrift handelt354. 523

Zu dem in § 257 beschriebenen Zeitpunkt muß sptestens der Widerspruch gegen die Verwertbarkeit eines Beweismittels, insbesondere einer Aussage, erhoben werden355. Wer diesen Zeitpunkt verpaßt, begeht einen nicht wiedergutzumachenden Fehler; der versumte Einwand der Unverwertbarkeit ist nicht nachholbar, auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gibt es fr den Verteidiger nicht. Es ist darauf zu achten, daß der Widerspruch in das Hauptverhandlungsprotokoll aufgenommen wird. Eine schriftliche oder zu Protokoll diktierte Begrndung ist jedenfalls empfehlenswert (ebenfalls erforderlich?). Alle Grnde sind gleichzeitig geltend zu machen. Ein Gerichtsbeschluß muß dagegen nicht herbeigefhrt werden, um den Vorgang revisibel zu machen. e) Fragerechte Beck'sches Formularbuch/Tondorf, 3. Aufl., 1998, S. 370 ff.; Bender/Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht, Bd. II, Vernehmungslehre, 2. Aufl., 1995; Burhoff, Fragerecht u. a., ZAP 1994, 831; Dahs, Der Zeuge – zu Tode geschtzt?, NJW 1998, 2332; Degener, Zum Fragerecht des Strafverteidigers gem. § 240 Abs. 2 StPO, StV 2002, 618; Gollwitzer, Das Fragerecht des Angeklagten, GS K. H. Meyer (1990), S. 147; Miebach, Entziehung des Fragerechts im Strafprozeß?, DRiZ 1977, 140;

353 BGH, StV 2005, 200 m. Anm. Schlothauer. 354 BGH bei Dallinger, MDR 1967, 175; Dahs/Dahs, Rn. 313. 355 BGHSt. 38, 214; wegen aller Einzelheiten vgl. Dahs, StraFo 1998, 253; MeyerGoßner/Appl, StraFo 1998, 258; auch BayObLG, StV 2002, 179.

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Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 525

Salditt, Verteidigung in der Hauptverhandlung – Notwendige Alternativen zum Praxisritual, StV 1993, 442; Salditt, Das Interesse an der Lge, AnwBl. 1999, 134.

Jeder erfahrene Verteidiger weiß, welche Bedeutung dem Recht zukommt, Zeugen und Sachverstndige zu befragen (§ 240 Abs. 2). Whrend das Erklrungsrecht es ermglicht, auf die „allgemeine Marschroute“ der Hauptverhandlung einzuwirken (Rn. 520), kann der Verteidiger das Ergebnis der einzelnen Beweiserhebung beeinflussen, indem er selbst Fragen stellt. Man braucht sich nur vor Augen zu halten, daß die unmittelbare Befragung der vom Vorsitzenden vernommenen Beweispersonen dazu dient, ihre Angaben zu vervollstndigen und auf ihre sachliche Richtigkeit und Glaubwrdigkeit zu prfen356. Oft entscheidet das Ergebnis des „Tests“ ber Wohl und Wehe des Angeklagten. Fehler in den Tatsachenfeststellungen sind meist nicht wiedergutzumachen. Deshalb hat sich der Verteidiger dieser Aufgabe sorgsam zu widmen. Er muß nicht nur die vielfltigen Arten einer Befragung beherrschen, er muß auch die Grenzen beachten, die dem Fragerecht gesetzt sind. Sonst kommt es zu Gegenstzen und Spannungen, die dem Mandanten schaden knnen. Selbstverstndlich ist, daß der Verteidiger das Fragerecht erst beansprucht, nachdem der Richter die Beweisperson vernommen hat. Bei der Gestattung von Fragen an Beweispersonen ist der Vorsitzende an eine bestimmte Reihenfolge der Verhandlungsbeteiligten nicht gebunden357.

524

Beschrnkungen des Fragerechts kann der Verteidiger entgegenwirken, wenn nachstehende Erfahrungen beachtet werden: Grundstzlich ist zu empfehlen, Einzelfragen zu stellen. Damit wird dem zwar unrichtigen, aber verbreiteten Einwand vorgebeugt, es seien nur reine Fragen zulssig. Die einzeln gestellte Frage hat auch den Vorteil, daß die Beweisperson sie in vielen Fllen mit ja oder nein beantworten kann (Rn. 581 a. E.). Folgen Einzelfragen Schlag auf Schlag, so wird der Zeuge gehindert auszuweichen. Indessen reicht diese Form der Befragung hufig nicht aus, so bei Vorhaltungen aus frheren Vernehmungen (Rn. 576). Dann und auch in anderen Fllen muß die Frage eingeleitet werden. Solche Anknpfungen sind sowohl zum Zwecke des Vorhalts wie der Wiederholung zulssig. Der Verteidiger darf nicht dulden, daß er hierbei unterbrochen wird.

525

Hufig ist anderseits die ußerung zu hren, wo denn der Sinn der Frage liege. Oft ist es unzweckmßig, den Anlaß einer Frage zu erklren, solange die Beweisperson anwesend ist. Dann hrt sie den Grund und kann sich danach richten. In solchen Fllen soll der Verteidiger den Vorsitzenden bitten, die Beweisperson hinauszuschicken, um in ihrer Abwesenheit 356 Meyer-Goßner, § 240 Rn. 1. 357 BGH, NJW 1969, 437 = MDR 1969, 234.

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Rn. 526

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

den Zweck der Frage zu erlutern. Geht das Gericht auf die Bitte nicht ein, so kann sich der Verteidiger weigern, eine Begrndung fr die Frage zu geben. Hier muß er auf seinem Recht bestehen. Ebensowenig sollte der Verteidiger es hinnehmen, daß der Richter nach ein oder zwei Fragen die Vernehmung an sich zieht358. Das passiert vor allem, wenn der Verteidiger neue vom Richter bersehene Beweisthemen anschneidet oder schon behandelte Fragen vertieft. Freilich mag es im Einzelfall zweckmßig sein, daß der Richter weiter fragt und das Thema im Sinne der Verteidigung aufnimmt. Geschieht das nicht, soll insbesondere die Befragung wieder auf die Linie der schon beendeten richterlichen Vernehmung gebracht werden, so muß sich der Verteidiger wehren, sonst wird der Verteidigungsplan entwertet. Erwgt das Gericht die Entlassung eines Zeugen oder Sachverstndigen, so hat der Verteidiger zu prfen, ob er noch Fragen hat oder ob er die Gegenberstellung mit anderen Beteiligten zu beantragen hat. Sonst ist spter ein Beweisantrag notwendig. Auch die Antrge zur Vereidigung einer Beweisperson (Rn. 586) sind vor der Entlassung zu stellen. 526

Zu Auseinandersetzungen kommt es immer wieder, wenn der Vorsitzende meint, der Verteidiger stelle ungeeignete oder nicht zur Sache gehrende Fragen (§ 241 Abs. 2), zumal sich das Gericht ein Urteil ber die Entscheidungsrelevanz erst bilden soll, wenn es die Antwort der Beweisperson gehrt hat359. Nicht jeder Richter verfhrt großzgig, um eine vielleicht zeitraubende Debatte zu vermeiden. Unstatthaft ist die Entziehung des Fragerechts als solches. Allenfalls drfen einzelne Fragen zurckgewiesen werden. Hierzu muß der Verteidiger wissen, daß nicht allgemein gesagt werden kann, was unter „ungeeignet“ und „sachwidrig“ zu verstehen ist. Im Grunde genommen ist der Richter nur in wenigen Fllen befugt, eine Frage mit dieser Begrndung zurckzuweisen. Solange sich der Verteidiger ernsthaft um Aufklrung bemht, ist die Zurckweisung einer Frage unzulssig360. Dann darf er sogar nach Umstnden fragen, die fr einen Zeugen unehrenhaft sind oder ihn einer Strafverfolgung aussetzen. Die Form der Fragestellung spielt eine erhebliche Rolle. Ruhiger Ton und sachliche Formulierung der Frage vermeiden im allgemeinen ihre Beanstandung.

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Gegen die Zurckweisung von Fragen durch den Vorsitzenden muß die Entscheidung des Gerichts (§§ 241, 242) in der Form eines verkndeten und protokollierten Beschlusses herbeigefhrt werden, um die Revisibili-

358 Meyer-Goßner, § 240 Rn. 9. 359 BGH, NStZ 1985, 183. 360 BGHSt. 2, 284.

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Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 531

tt des Vorgangs sicherzustellen. Auch hier ist ein Fehler des Verteidigers irreparabel361. Anknpfungsfragen fhren oft zu dem richterlichen Einwand, der Zeuge habe die Frage bereits beantwortet. Der Verteidiger kann erwidern, die bloße Wiederholung einer Frage sei zulssig und knne sogar besonders geeignet sein, Zeugen zu testen (Rn. 581 i. d. M.)362. Er wird sich freilich vor Fragen hten, die der Zeuge bereits erschpfend, klar und widerspruchsfrei beantwortet hat. Indessen ist die Wiederholung unumgnglich, wenn der Schein trgt, etwa wenn der Verteidiger zu wissen glaubt, daß der Zeuge etwas verschweigt. Dann empfiehlt es sich, vor der formellen Beanstandung, mglichst in Abwesenheit des Zeugen, den Zweck der Wiederholung zu erlutern und so das Fragerecht durchzusetzen.

528

Der Verteidiger muß beachten, daß Fangfragen unzulssig sind. Sie fallen unter das Verbot der Tuschung (§§ 69 Abs. 3, 136a). Deshalb ist der Eindruck zu vermeiden, der Beweisperson solle eine Falle gestellt werden. Das ist z. B. der Fall, wenn der Vorsitzende den Angeklagten einleitend fragt: „Ist es richtig, daß Sie Ihre Ehefrau seit drei Monaten nicht mehr geschlagen haben?“ Im brigen darf der Verteidiger dabei nicht zu ngstlich sein. Er muß eher einmal einen richterlichen Einwand in Kauf nehmen, als die Chance vorbeigehen lassen, einen hartnckigen Zeugen zum Reden zu bringen.

529

Diese Erfahrung gilt auch fr die Suggestivfragen. Es gibt Zeugen, die eine neutrale Frage nicht beantworten knnen oder wollen. Hier ist oft die Zuspitzung notwendig, die bereits suggestiv wirken kann. berhaupt kommt es meist darauf an, wie die Frage formuliert ist und in welchem Ton sie vorgetragen wird. Auch eine ußerlich unverfngliche Formulierung kann die Antwort beeinflussen. Zu große Zurckhaltung ist nicht angebracht, jedenfalls dann nicht, wenn es darum geht, einen verstockten oder unwahrhaftigen Zeugen aus der Reserve zu locken.

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Zweischneidig ist die Ausarbeitung eines Fragenkatalogs fr einzelne oder alle Zeugen. Auch systematisch und psychologisch geschickt aufgebaute Systeme dieser Art werden durch die vorrangige Befragung des Zeugen durch die Richter, den Staatsanwalt und ggfs. die Nebenklage sehr oft unterlaufen. Zudem neigt man dazu, an solchen Ausarbeitungen zu „kleben“ und verheddert sich, weil man nicht mehr berblickt, welche Fragen bereits wie beantwortet worden sind, stellt Widerholungsfragen, die Kontroversen auslsen und gert insgesamt in der Befragung aus dem Kon-

531

361 Zu den Einzelheiten Dahs/Dahs, Rn. 383. 362 Dazu BGH, NStZ 1981, 71.

371

Rn. 532

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

zept. Das taktische Verteidiger-Kalkl geht entweder ins Leere oder wendet sich gar gegen den Mandanten. Besser ist es, sich nur in Stichworten die wichtigsten Punkte fr die Zeugenaussage zu notieren und diese – falls durch Vorbefragung erledigt – zu streichen, daneben die frhere Aussage des Zeugen zur Hand zu haben, um sie auf Widersprche zu berprfen. Je nach Lage des Falles muß auch die Niederschrift ber die Aussage in der Hauptverhandlung bereits gehrter Zeugen zur Hand sein, um Querverbindungen zu prfen oder Widersprche aufzugreifen. 532

Falls der Mandant unmittelbare Fragen an Zeugen oder Sachverstndige richten will, soll der Verteidiger die Zweckmßigkeit prfen. Das Fragerecht des Angeklagten wird in der Praxis weit weniger eingeschrnkt als die Fragebefugnis des Verteidigers. Diese Erfahrung zwingt zur Vorsicht. Im allgemeinen ist es nicht ratsam, den Mandanten selbst fragen zu lassen. Oft handelt es sich nicht um Fragen, sondern um mehr oder minder zweckmßige Erklrungen, die gegen den Angeklagten verwendet werden knnen. Besser ist es, sich mit dem Mandanten ber die Frage zu verstndigen und sie selbst zu stellen, falls sie sachdienlich ist. Angeklagte neigen dazu, Mitangeklagte unmittelbar zu befragen. Sie drfen es nicht (§ 240 Abs. 2 S. 2), es wird aber hufig nicht eingeschritten, weil das Gegeneinander mehrerer Angeklagter fr die Urteilsfindung aufschlußreich sein kann. Je nach Lage des Falles muß der Verteidiger eingreifen. Besteht die Gefahr, daß sein Mandant durch die pltzliche Frage eines Mitangeklagten berrascht wird, so muß er der unmittelbaren Befragung widersprechen. Freilich kann er nicht verhindern, daß der Vorsitzende die Frage aufnimmt und sie selbst stellt oder die unmittelbare Befragung gestattet363. Immerhin ist Zeit gewonnen, wenn der Verteidiger der direkten Fragestellung widerspricht. f) Beanstandungsrechte Dahs, Die Ausweitung des Widerspruchserfordernisses, StraFo 1998, 253; Ebert, Zum Beanstandungsrecht nach Anordnungen des Strafrichters gem. § 238 Abs. 2 StPO, StV 1997, 269; Fuhrmann, Verwirkung des Rgerechts bei nicht beanstandeten Verfahrensverletzungen des Vorsitzenden (§ 238 Abs. 2 StPO), NJW 1963, 1230; Fuhrmann, Das Beanstandungsrecht des § 238 Abs. 2 StPO – seine Bedeutung und seine Grenzen, GA 1963, 65; Meyer-Goßner/Appl, Die Ausweitung des Widerspruchserfordernisses, StraFo 1998, 258.

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Hufig steht der Verteidiger vor dem Problem, ob er Anordnungen des Richters beanstanden soll oder muß, die die Sachleitung betreffen (§ 238

363 Lwe/Rosenberg/Gollwitzer[25], § 240 Rn. 15.

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Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 535

Abs. 2). Je energischer er seine Rechte wahrnimmt, desto strker ist der Widerstand, dem er begegnen kann. Das gilt besonders bei der Ausbung des Erklrungsrechts (Rn. 520 ff.) und des Fragerechts (Rn. 524 ff.). Seine Lage ist nicht einfach. Er muß sich schnell entscheiden, er hat in der Form die Wrde des Gerichts zu achten (Rn. 176 ff.) und muß deshalb taktvoll bleiben, wenn der Richter eine Verteidigungsmaßnahme rgt. Er darf aber keinesfalls die Interessen des Mandanten vernachlssigen und muß deshalb unter Umstnden auch eine scharfe, sachliche Auseinandersetzung auf sich nehmen. Freilich muß er in solchen Fllen das Gericht „ins Beratungszimmer schicken“, um die Entscheidung des Vorsitzenden zu berprfen. All das setzt genaue Kenntnis der Verfahrensregeln, der Befugnisse des Vorsitzenden und der eigenen Rechte voraus. In den fr die Entscheidung wesentlichen Fragen ist es unerlßlich, einen Gerichtsbeschluß herbeizufhren. Sonst geht das Recht verloren, etwaige Fehler in der Revision zu rgen364. Nur in wenigen Fllen wirkt der Verfahrensfehler des Vorsitzenden auch ohne Gerichtsbeschluß fort365, z. B. bei der Verteidigung eines an der Tat beteiligten Zeugen. Der vorsichtige Verteidiger wird sich hierauf nicht verlassen und immer eine Entscheidung des Gerichts erwirken. Auch kann der Beschluß selbst fehlerhaft sein. So reicht es nicht aus, die Frage des Verteidigers an eine Beweisperson lediglich mit den Gesetzesworten als unzulssig abzulehnen366. Um das Rgerecht fr die Revision zu sichern, ist auch in Verfahren vor dem Einzelrichter ein formeller Beschluß notwendig367. An dieser Stelle zeigt sich erneut sehr deutlich, daß die Verteidigung in der Hauptverhandlung auch mit dem Blick auf die Revision gefhrt werden muß.

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Durch einen Gerichtsbeschluß erhlt der Verteidiger gelegentlich auch wertvolle Fingerzeige fr die weitere Verhandlung. Er erfhrt die Meinung des Gerichts und wird in die Lage versetzt, Erklrungen abzugeben, Fragen an Beweispersonen zu stellen, Beweiserhebungen zu beantragen oder Zeugen und Sachverstndige noch whrend der Hauptverhandlung selbst laden zu lassen. Dabei ist zu unterscheiden zwischen den wesentlichen Fragen und den nebenschlichen Umstnden. Bei den fr die berzeugungsbildung des Gerichts wichtigen Fragen darf der Verteidiger nicht nachgeben. Bei unwesentlichen Nebenpunkten kann es zweckmßig sein, die Anordnung des Vorsitzenden nicht zu beanstanden. Hier kann es fr

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364 365 366 367

BGH, NStZ 1982, 432; Dahs/Dahs, Rn. 383 m. N. BGHSt. 38, 260, 261. BGHSt. 2, 284. Meyer-Goßner, § 238 Rn. 18, 19.

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den Verteidiger zweckmßig sein zu bercksichtigen, daß er nicht den Eindruck erwecken und in den Ruf kommen sollte, er lege es darauf an, dem Gericht „Knppel zwischen die Beine zu werfen“. Freilich weiß der Verteidiger oft nicht so genau, ob ein Gesichtspunkt wesentlich ist oder nicht. Nicht immer ist sicher einzuschtzen, wie das Gericht die Erheblichkeit beurteilt. In Zweifelsfllen erweist es sich als richtig, die richterliche Anordnung zu beanstanden, um die Rechte des Mandanten zu wahren. Dies fhrt nicht in jedem Falle zu einem Gerichtsbeschluß. Erfahrungsgemß lenken Vorsitzende hufig ein, wenn ihre Maßnahmen beanstandet werden. Man kann sich auch darauf verstndigen, die Frage lediglich anders zu formulieren, wenn sie dadurch in ihrem Kern nicht verndert wird. 536

Bei der Beanstandung darf der Verteidiger nicht vergessen, daß der Vorgang auf seinen Antrag im Protokoll zu vermerken und die Niederschrift zu verlesen ist (§ 273 Abs. 3). Denn nur das Protokoll beweist, ob ein Antrag gestellt oder nicht gestellt ist. Er muß den Antrag stellen, wenn es darauf ankommt, die Auseinandersetzung fr das Revisionsverfahren genau festzuhalten368. Lehnt der Vorsitzende die Protokollierung und (oder) die Verlesung ab, so ist auch hierber ein Gerichtsbeschluß zu erwirken. Andernfalls geht das Beanstandungsrecht durch Verwirkung verloren (Rn. 785, 803). Obwohl es vielfach notwendig wre, wird das Recht auf Protokollierung und Verlesung in der Praxis zu selten ausgebt. Der Verteidiger darf nicht zurckschrecken, diese Befugnisse tatkrftig wahrzunehmen, wenn es im Interesse der Sache geboten ist (Rn. 702). g) Vernehmung aa) Vernehmung des Angeklagten Bender/Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht, Bd. I Glaubwrdigkeits- und Beweislehre, Bd. II Vernehmungslehre, 2. Aufl., 1995; Dahs, Anm. zu BGH, NStZ 2003, 498 – 2004, 451; Dahs/Langkeit, Das Schweigerecht des Beschuldigten und seine Auskunftsverweigerung als „verdchtiger Zeuge“, NStZ 1992, 448; Hanack, Protokollverlesungen und -vorhalte als Vernehmungsbehelf, FS Schmidt-Leichner (1977), S. 83 ff.; Jerouschek, Jenseits von Gut und Bse – Das Gestndnis und seine Bedeutung im Strafrecht, ZStW 102 (1990), 793; Malek, Verteidigung in der Hauptverhandlung, 3. Aufl., 1999; Miebach, Der teilschweigende Angeklagte, NStZ 2000, 234; Prfer, Das fragwrdige Gestndnis, StV 1998, 232; Quentmeier, Gestndnis, Schweigerecht und Schweigen des Beschuldigten, JA 1996, 215; Salditt, Das Interesse an der Lge, StV 1999, 61; Salditt, Das Mandanteninteresse, FS Egon

368 Meyer-Goßner, § 273 Rn. 16 ff.

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Mller (BRAK-Schriftenreihe, Bd. 12) (2000), S. 25; Schneider, Die strafprozessuale Beweiswrdigung des Schweigens von Beschuldigten und angehrigen Zeugen, Jura 1990, 572; Schroth, Der Vorhalt eigener protokollierter Aussagen an den Angeklagten, ZStW 1975, 103; zum Schweigerecht des Angeklagten vgl. Rn. 488 und das vor Rn. 480 angefhrte Schrifttum.

Jeder Angeklagte weiß, was von seiner Vernehmung und dem Eindruck abhngt, den er macht. Allein dieses Wissen ruft oft Nervositt und Unbeholfenheit hervor, auch bei Menschen, die sonst gewandt und geschickt sind. Gerade der unschuldige Angeklagte bleibt hiervon nicht verschont. Aus diesen Grnden wird der Verteidiger schon whrend der Vorbereitung der Hauptverhandlung versuchen, dem Mandanten Ruhe und Vertrauen einzuflßen. In den Besprechungen vor der Hauptverhandlung (Rn. 480 ff.) fallen Hinweise und Belehrungen im allgemeinen auf fruchtbaren Boden. Sie werden verstanden, der Mandant ist gewillt, sich danach zu richten. Und doch muß der Verteidiger damit rechnen, daß die Sache im Gerichtssaal pltzlich anders aussieht. Die Spannung, oft gesteigert durch die fremde Atmosphre, lßt den Mandanten alle Ratschlge vergessen: die Aufregung verschlgt ihm die Sprache. Vornehmste Aufgabe des Verteidigers ist es in dieser Situation, beruhigend und leitend einzugreifen und die eigene Gelassenheit auf den Mandanten zu bertragen.

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Dazu ist er auch whrend der Vernehmung des Angeklagten durch den Richter in der Lage. Versteht der Mandant eine Frage nicht, bleiben seine Ausfhrungen unvollstndig, wird er weitschweifig oder drckt er sich mißverstndlich aus, so ist es nicht immer ratsam, das Ende der richterlichen Vernehmung abzuwarten. Freilich darf der Verteidiger die Vernehmung nicht zur Unzeit unterbrechen. Aber schon eine beruhigende, erluternde Bemerkung kann dem Mandanten helfen. Darber hinaus kann es notwendig werden, bereits whrend der Vernehmung Unklarheiten zu beseitigen und den Mandanten zu belehren. Ein verstndnisvoller Richter wird sich dem sachlich vorgetragenen Wunsch nicht verschließen. Sprt er, daß sich der Angeklagte verhaspelt, weil er der Lage nicht gewachsen ist, so wird er den Verteidiger sogar bitten, auf den Mandanten einzuwirken: denn der erkennende Richter sieht den Angeklagten in der Hauptverhandlung meist zum ersten Male, whrend der Verteidiger ihn kennt und deshalb mit ihm umzugehen weiß. Bei der Vernehmung zur Person fhlen sich viele Mandanten begreiflicherweise gehemmt. Im allgemeinen gehen sie zwar davon aus, daß sie die blichen Angaben ber Namen, Herkunft und Beruf machen mssen (§ 111 OWiG). Sie zgern aber, vor allem, wenn Zuhrer anwesend sind und die ffentlichkeit nicht ausgeschlossen werden kann (Rn. 514), ihren persnlichen Bereich aufzudecken. Insbesondere strt sie die Frage nach 375

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ihren Einkommens- und Vermgensverhltnissen. Viele Mandanten scheuen sich, ihren Lebenslauf in allen Einzelheiten vor dritten Personen zu bekennen. Sofern der Lebenslauf nicht berhaupt entbehrlich ist, muß der Verteidiger darauf achten, daß der Mandant die wesentlichen Umstnde berichtet und nichts aus seinem Leben vergißt, was fr die Prfung des Schuldvorwurfs und der Strafzumessung bedeutsam sein kann. In der Praxis werden die Grenzen der Vernehmung ber die persnlichen Verhltnisse oft berdehnt. Der Vorsitzende errtert in diesem Vernehmungsabschnitt manchmal schon Umstnde, die die Schuldfrage und die strafrechtliche Verantwortlichkeit betreffen. Das ist unzulssig369 und muß vom Verteidiger verhindert werden, besonders wenn sich der Angeklagte zur Sache nicht einlassen will370. berhaupt kann die Errterung der persnlichen Verhltnisse zu einem Zeitpunkt vor Verlesung des Anklagesatzes und vor Vernehmung zur Sache gefhrlich sein, weil besonders die Laienrichter dadurch einen falschen Eindruck erhalten knnen, der sie bei der Entscheidung beeinflußt, wenn die persnlichen Lebensumstnde des Mandanten ungnstig sind. Es vertrgt sich auch nicht mit dem Grundsatz der Unverletzlichkeit der Person, Gegebenheiten der Intimsphre ffentlich zu errtern, wenn es dann spter nicht zu einer Verurteilung kommt. Manche Tatumstnde, insbesondere zur inneren Tatseite, lassen sich jedoch nicht aufklren, ohne die krperliche und geistige Entwicklung des Angeklagten sowie seinen beruflichen und familiren Werdegang zu kennen. Je nach Lage des Einzelfalles kann es daher fr den Mandanten gnstig sein, entlastende Umstnde aus seinem Leben alsbald vorzutragen. In diesem Falle wird der Verteidiger Fragen nicht beanstanden, die schon die Sache selbst betreffen. 539

Eine unntige Bloßstellung des Mandanten hat der Verteidiger ebenso zu verhindern wie seine krnkende und herabsetzende Behandlung (Rn. 200 a. E., 201, 513). Er muß stets dafr eintreten, daß jeder Angeklagte den Schutz der Menschenwrde beanspruchen kann und daß er keineswegs verpflichtet ist, alle seine persnlichen Verhltnisse in jedem Falle auszubreiten. Lassen sich Errterungen aus dem persnlichen Bereich nicht vermeiden, so kommt unter Umstnden der Ausschluß der ffentlichkeit in Betracht (Rn. 514), insbesondere bei der Feststellung von Vorstrafen 369 Meyer-Goßner, § 243 Rn. 12; zum Verwertungsverbot OLG Stuttgart, NJW 1974, 1570; BGH, NJW 1975, 703; zur Abgrenzung BGH bei Dallinger, MDR 1975, 368. 370 ußerungen zur Sache, insbesondere wenn sie vor der Belehrung nach § 243 Abs. 4 erfolgt sind, drfen nicht verwertet werden, BayObLG, MDR 1984, 336.

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Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 541

(Rn. 549). Der Verteidiger sollte insbesondere verhindern, daß Vorstrafen schon bei der Vernehmung zur Person besprochen werden. Das fhrt zu einer unntzen und frhzeitigen „Vorbelastung“ des Mandanten in den Augen der anderen Beteiligten und der ffentlichkeit. Die verbreitete bung, die Vorstrafen am Ende der Vernehmung zur Person festzustellen, ist unzulssig371. Die Feststellung gehrt in die Sachvernehmung (§ 243 Abs. 4 S. 3 StPO), richtiger an das Ende der Phase der Hauptverhandlung, in der die Rechtsfolgenzumessungstatsachen festgestellt werden372. Der Verteidiger muß vor der Hauptverhandlung den Strafregisterauszug auf seine Richtigkeit und Verwertbarkeit geprft haben, insbesondere unter den Kriterien der §§ 51, 45, 46 BZRG. Bei der richterlichen Belehrung ber das Recht zur ußerung oder zum Schweigen muß der Verteidiger darauf achten, ob der Mandant den Hinweis richtig versteht (Rn. 488). Will der Mandant ausnahmsweise die Einlassung zur Sache verweigern, so darf er sich nicht beirren lassen. Richterlichen Hinweisen ber Nachteile oder Unzweckmßigkeit des Schweigens hat der Verteidiger entgegenzutreten. Es ist ausschließlich seine Aufgabe, die Verteidigung zu fhren und zu verantworten. Der Richter kann und darf sie ihm nicht abnehmen. Wird die Belehrung unterlassen oder ist sie nach Form oder Inhalt fehlerhaft, so hat der Verteidiger darauf hinzuweisen. Hier geht es um grundstzliche Rechte des Betroffenen, die nicht geschmlert werden drfen. Deshalb kann man sich auch nicht mit der Rechtsprechung abfinden, die beim verteidigten Angeklagten eine fehlende oder falsche Belehrung nicht als Revisionsgrund ansieht, sondern darauf abstellt, der Angeklagte werde durch seinen Verteidiger auf jeden Fall belehrt (Rn. 488).

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In jedem Falle muß der Verteidiger im Auge behalten, daß die Ausbung des Schweigerechts sich nachteilig auswirken kann (vgl. i. e. Rn. 488). Im brigen tut er in geeigneten Fllen gut daran, eine zu erwartende Aussageverweigerung des Mandanten dem Vorsitzenden vorher anzukndigen. Damit vermeidet er einen Leerlauf der Hauptverhandlung, ermglicht eine sachgerechte Terminplanung und wirkt dem Verdacht der Effekthascherei entgegen. Mit dem Aussageverweigerungsrecht ist im brigen dem Verteidiger eine starke Waffe in die Hand gegeben, auch wenn an sich zur Sache ausgesagt werden soll. Die Verteidiger mehrerer Angeklagter knnen die Reihenfolge der Vernehmungen vereinbaren, weil sie deren Zeitpunkt letztlich bestimmen. Die Verteidiger knnen auch durchsetzen, daß zuerst be371 Meyer-Goßner, § 243 Rn. 34. 372 Meyer-Goßner, § 243 Rn. 34.

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stimmte Zeugen und Sachverstndige vernommen werden, ehe ihre Mandanten sich sachlich ußern (Rn. 488). So bekommt der Verhandlungsplan solidarischer Verteidiger praktisch einen Vorrang vor dem Verhandlungsplan des Vorsitzenden. Wenn der Verteidiger das auch noch mit einer „Erklrung“ (Rn. 520) gewissermaßen als Entgegnung auf die vorgetragene Anklage des Staatsanwalts verbindet, kann er sich eine gnstige Ausgangsposition verschaffen. Er kann durch knappen Vortrag seiner Verteidigungsargumente die Stimmung im Saal und in der ffentlichkeit beeinflussen und auch die Verhandlung selbst u. U. wesentlich mitsteuern (Rn. 442, 520). Gleichwohl sollte eine derartige Verhandlungsgestaltung die Ausnahme sein. 542

Die Vernehmung zur Sache gibt dem Mandanten, der aussagen wird, Gelegenheit, den Sachverhalt aus seiner Sicht berzeugend darzustellen. Hierbei muß der Verteidiger stets vor Augen haben, daß sich das Gericht sein Urteil aus dem „Inbegriff der Verhandlung“ zu bilden hat, also auch aus der berzeugung, die es aus dem Verhalten und den ußerungen des Angeklagten gewinnt (§ 261). Deshalb kommt es so sehr darauf an, die Einlassung zur Sache mit dem Mandanten vor der Hauptverhandlung eingehend zu besprechen (Rn. 490).

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Die Einlassung soll klar, in sich widerspruchsfrei und einleuchtend sein. Der Mandant sollte mglichst vorweg einen zusammenhngenden Bericht geben373. Das ist leichter gesagt als zu befolgen. Angeklagte sind hierzu oft nicht in der Lage. Entweder fehlt ihnen berhaupt die Fhigkeit, einen Sachverhalt zusammenhngend zu schildern, oder die Aufregung der Hauptverhandlung schrnkt diese Fhigkeit ein. Solchen Unzulnglichkeiten kann der Verteidiger entgegenwirken, indem er den Sachbericht mit dem Mandanten vorbereitet und das rechte Maß von Darstellung und Inhalt vorher bespricht (Rn. 490). Darber hinaus ist es notwendig, whrend des Sachberichts Richter und Staatsanwalt zu beobachten, um festzustellen, wie die Darstellung des Mandanten wirkt. Daran erkennt der Verteidiger, wo er whrend der Befragung des Mandanten einzusetzen hat (Rn. 553). Schwieriger ist es, wenn der Vorsitzende den Zusammenhang der Einlassung zerreißt und den Angeklagten nicht aussprechen lßt, etwa weil dieser weitschweifig wird, sich wiederholt, von frheren Erklrungen abweicht („Das haben Sie aber bei der Polizei anders gesagt.“). Dann wird der Mandant unsicher, er verliert den Faden, vergißt wesentliche Gesichtspunkte. Der Verteidiger darf nicht darauf vertrauen, diesen Fehler bei der Befragung des Mandanten zu berichtigen. Dann kann es zu spt sein. Das Gericht kann sich bereits eine Meinung gebildet haben. Deshalb 373 Meyer-Goßner, § 243 Rn. 31.

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muß der Verteidiger ggfs. sofort eingreifen. Meist ist es ausreichend, um das Wort zu bitten, das Mißverstndnis aufzuklren, den Mandanten aufzufordern, sich auf das Wesentliche zu beschrnken oder sich lckenlos zu erklren. Schlgt der Vorsitzende die Bitte ab, will er sich also nicht unterbrechen lassen, so hat der Verteidiger zu berlegen, ob er Fragen, Vorhalte und Hinweise des Vorsitzenden beanstandet (Rn. 533). Der Angeklagte ist berechtigt, sich im Zusammenhang zu ußern: der Verteidiger darf nicht dulden, daß der Bericht stndig gestrt wird. Er muß indessen bedenken, daß der Vorsitzende befugt ist, den Bericht des Angeklagten zu leiten. So darf er auf Unklarheiten, Widersprche und Lcken der Darstellung hinweisen und Gelegenheit geben, sie zu ergnzen und richtigzustellen. Dazu gehrt auch der Vorhalt aus den Akten, der allerdings nicht so ausgeweitet werden darf, daß die Verlesung der Akten an die Stelle der Vernehmung tritt. Schließlich ist es statthaft, auf frhere abweichende Aussagen von Zeugen oder den abweichenden Inhalt von Urkunden aufmerksam zu machen und Fragen ber Umstnde anzuschneiden, zu denen sich der Angeklagte aus eigenem Antrieb nicht geußert hat. Der Verteidiger muß besonders darauf achten, daß der Vorhalt sachlich richtig ist. Falsche Vorhalte, die mit dem Akteninhalt oder mit der bisherigen Beweisaufnahme nicht bereinstimmen, darf er nicht durchgehen lassen; sie drfen ihm allerdings selbst auch nicht unterlaufen. In diesem Zusammenhang ist wichtig: Der Vorhalt als solcher darf nicht gegen den Angeklagten verwendet werden. Es kommt vielmehr darauf an, was auf den Vorhalt erklrt wird. Der Vorhalt selbst darf niemals Beweisgrundlage sein. Oft befindet sich freilich der Verteidiger in einer mißlichen Situation. Wie bei Vorhalten gegenber Zeugen weiß man nie genau, ob der unbesttigte Vorhalt gegenber dem Mandanten nicht doch die richterliche berzeugungsbildung beeinflußt.

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Solange solche Hinweise in der Form sachlich bleiben und durch den zu beurteilenden Sachverhalt gedeckt sind, besteht kein Anlaß zur Beanstandung. Anders ist es, falls der Richter den Mandanten in unsachlicher und unzulssiger Form vernimmt. So muß der Verteidiger widersprechen, falls der Mandant abfllig behandelt oder unntig bloßgestellt wird (Rn. 200 ff., 514). Er muß auch eingreifen, wenn in unzulssiger Weise auf ein Gestndnis oder eine Darstellung gedrngt wird, die der Richter fr wahr hlt. Nicht selten wird die Vernehmung auf ein beabsichtigtes Ergebnis abgestellt. Indessen ist eine Belehrung ber die Prozeßlage statthaft. Sie pflegt gegenber bestreitenden Angeklagten mit dem Hinweis verbunden zu werden, ein Gestndnis knne strafmildernd bercksichtigt werden. Je nach ihrer Formulierung sind solche und hnliche Hinweise mglicher-

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weise noch zulssig374. Meist kommen derartige Belehrungen aber dem Versprechen eines gesetzwidrigen Vorteils sehr nahe. Der Mandant wird immer den Eindruck gewinnen, nur ein Gestndnis sichere ihm eine gnstige Beurteilung. In der Regel sollte der Verteidiger nun seinerseits den Mandanten jetzt nicht beeinflussen, ein Gestndnis abzulegen. Er sollte ihm lediglich die Prozeßsituation erklren, das Fr und Wider eines Gestndnisses (erneut) auseinandersetzen und ihm die Entschließung berlassen, ob er dem richterlichen Hinweis folgen will. Auch die Aufforderung des Vorsitzenden an den Angeklagten: „Nun sagen Sie mal die Wahrheit“, kann den Verteidiger auf den Plan rufen. Sie bewirkt, daß der Mandant meint, er msse aussagen. Niemand ist aber verpflichtet, sich selbst zu belasten. Zweck der Vernehmung zur Sache ist es, dem Angeklagten Gelegenheit zur ußerung zu geben. Er kann sich entlasten, er kann versuchen, den Vorwurf der Anklage zu widerlegen oder sein Verhalten in einem milderen Lichte erscheinen zu lassen. Kurzum: Der Betroffene darf zur Anklage Stellung nehmen. Man weiß, was im gerichtlichen Alltag allzu leicht daraus wird. Das beginnt mit der Bitte, manchmal auch mit der energischen Aufforderung, der Angeklagte mge in seinem eigenen Interesse bei der Wahrheit bleiben. Nicht erffnet wird ihm indessen, daß er hierzu nicht verpflichtet ist. Dadurch wird der Mandant zu einer Verteidigung gedrngt, die weder beabsichtigt war, noch in seinem Interesse liegt. Fr den Verteidiger ist es allerdings kaum einmal mglich, solche oder hnliche richterliche Aufforderungen zu verhindern. Meist kommt er zu spt; auch ist es nicht immer zweckmßig, sie ausdrcklich zu beanstanden. Es sieht sonst so aus, als ob die Verteidigung auf unrichtigen oder unvollstndigen Angaben des Mandanten aufgebaut werden solle. Keinesfalls darf aber der Verteidiger schweigen, wenn der Vorsitzende aus der Rolle fllt und den Angeklagten etwa mit abflligen Worten kritisiert. Daraus kann sich ein Ablehnungsgrund ergeben (Rn. 198 ff.). Auch wenn kein Ablehnungsgesuch gestellt wird, muß der Verteidiger dies in geeigneter Weise rgen. 546

Der Verteidiger darf auch nicht durchgehen lassen, daß der Richter unzulssige Fangfragen oder tuschende Suggestivfragen (Rn. 554) an den Angeklagten stellt. Auch der leider nicht seltenen bloßen „Nachvollziehung des Akteninhalts“ whrend der Vernehmung des Mandanten muß der Verteidiger entgegentreten. Sie verstßt gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit und der Mndlichkeit und fhrt zu einer Beeinflussung zu Lasten des Angeklagten, ehe noch die Beweiserhebung angefangen hat. Sie ist auch deshalb fr den Mandanten gefhrlich, weil schon die geringste 374 BGH, NJW 1960, 1212; Bedenken bei Grnwald, NJW 1960, 1941.

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Abweichung vom Akteninhalt das Gericht gegen ihn einnehmen kann. Manche Richter reagieren ußerst unwillig, wenn der Angeklagte frher Gesagtes nicht mehr wahrhaben will. Ergibt sich dabei, daß dieser sich damals tatschlich unrichtig geußert hat, ist er unter Umstnden erst recht unten durch. Wer einmal lgt, dem glaubt man nicht, auch wenn er dreist die Wahrheit spricht375. Die Szene wird oft turbulent, wenn der Mandant ein frheres Gestndnis widerruft (Rn. 492). Dann wird ihm das Gestndnisprotokoll mehr oder weniger energisch vorgehalten. Je nach Art und Zustandekommen des Gestndnisses muß der Verteidiger seine Maßnahmen einrichten. Dem Vorhalt selbst kann er nur widersprechen, falls der Vorsitzende das vermeintliche Gestndnis auf Grund einer Niederschrift als tatschlich abgegeben behandelt. Das Protokoll beweist nicht, daß ein Gestndnis berhaupt oder in dieser Form abgelegt ist. Es kann falsch oder ungenau protokolliert sein. In einem solchen Falle muß der Verteidiger daher den Vorhalt sofort beanstanden. Er hat darauf hinzuweisen, daß die Tatsache des frheren Gestndnisses aus dem Protokoll allein nicht gefolgert werden kann, wenn der Angeklagte sie bestreitet. Dabei ist es zweckmßig, die Grnde darzulegen: ggfs. ist auch unverzglich ein Beweisantrag darber zu stellen, daß und warum das Gestndnis in unzulssiger Weise zustande gebracht worden ist, z. B. im Falle von rechtswidrigen Vernehmungsmethoden der Polizei (Rn. 248) oder fehlender bzw. falscher Belehrung des Beschuldigten (Rn. 286 f.). Werden Polizeibeamte, die ein Gestndnis protokolliert haben, vernommen, so ist ihnen ggfs. vorzuhalten, daß sie entsprechend Nr. 45 Abs. 2 RiStBV nicht die Worte des Beschuldigten gebraucht haben (Rn. 246). Auch muß der Verteidiger darauf bestehen, daß der Verhrbeamte zunchst zusammenhngend berichtet, was er von der Vernehmung noch weiß. Erst danach darf ihm das frhere Protokoll vorgehalten werden376. Erinnert sich der Polizeibeamte trotz Vorhalts des Protokolls nicht mehr an die frhere Aussage des Mandanten, so ist es unstatthaft, den Vorhalt als solchen zu verwerten (Rn. 630 a. E.) oder das nichtrichterliche Protokoll als Urkundenbeweis zu verwenden377. Freilich kann der Verteidiger nicht verhindern, daß ein richterliches Protokoll ber ein Gestndnis im Wege des Urkundenbeweises in die Hauptverhandlung eingefhrt wird (Rn. 631).

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Sofern mehrere Taten Gegenstand der Hauptverhandlung sind und in Abschnitten getrennt verhandelt werden, muß der Angeklagte grundstzlich

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375 Treffend Schmidt-Leichner, NJW 1951, 8. 376 BGHSt. 3, 281. 377 BGH, NJW 1986, 2063; BGH, NJW 1960, 1630.

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zu jeder einzelnen Tat vor der Beweiserhebung vernommen werden378. Eine nachtrgliche Vernehmung steht mit der Ordnung des Verfahrens und ist nur statthaft, falls die Verteidigung nicht in Einklang. Dies kann ausnahmsweise zweckmßig sein, wenn erst einmal abgewartet werden soll, ob sich bei der Beweiserhebung berhaupt eine Belastung herausstellt. Die Unterlassung des Widerspruchs zur spteren Vernehmung ist auch erforderlich im Falle einer einzigen Tat379. 549

Der Verteidiger hat darauf zu achten, daß der Vorsitzende auch bei der Sachvernehmung etwaige Vorstrafen nur feststellt, wenn dies wirklich geboten ist (§ 243 Abs. 4 Satz 3). Er muß widersprechen, wenn Vorstrafen nicht „einschlgig“ sind und auch sonst nichts mit der verhandelten Sache zu tun haben380. Schon die Bemerkung des Richters, im Strafregisterauszug sei eine Strafe vermerkt, die aber fr die Sache ohne Bedeutung sei, kann dem Angeklagten schaden. Der Eindruck auf Laienrichter und Zuhrer ist kaum wiedergutzumachen. Freilich ist es schwierig, eine solche Bemerkung rechtzeitig zu verhindern. In geeigneten Fllen sollte der Verteidiger daher den Richter und den Staatsanwalt vor der Hauptverhandlung bitten, die Frage nach den Vorstrafen berhaupt nicht anzuschneiden (Rn. 462). Dabei kann er auf Nr. 134 RiStBV verweisen. Lßt sich die Vorstrafenerrterung nicht vermeiden, so muß der Verteidiger rechtzeitig berlegen, ob er den Ausschluß der ffentlichkeit beantragen kann, auch fr die Verhandlung hierber (§§ 171b, 174 GVG) (Rn. 514 a. E.). Der Verteidiger muß ferner bercksichtigen, daß eine fehlerhafte Vorstrafenerrterung die Revision nicht zu begrnden vermag, selbst wenn er einen Gerichtsbeschluß herbeifhrt381. Es kommt vor, daß das Gericht die vom Staatsanwalt verlangte Bekanntgabe der Vorstrafen ablehnt und der verrgerte Staatsanwalt sein Pldoyer damit wrzt. Der Verteidiger muß dann sofort eingreifen, wenn der Vorsitzende es nicht tut. Das ist einer der Flle, wo ein Pldoyer unterbrochen werden kann (Rn. 741). Der Staatsanwalt ist auf die Herbeifhrung eines Gerichtsbeschlusses zu verweisen (Nr. 134 RiStBV).

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Wird es notwendig, eine Frage des Richters an den Mandanten formell als unzulssig zu rgen (§ 242) oder Vorhaltungen und Hinweise zu beanstanden (§ 238 Abs. 2), so hat der Verteidiger dabei die Form zu wahren (Rn. 189). Er darf nicht die Art der gesamten Vernehmung beanstanden, 378 BGH, StV 1990, 245; BGH, NJW 1957, 1527. 379 BGH, NJW 1963, 2084. 380 Z. B. die Vorstrafe wegen eines Sexualdelikts in einem Verfahren wegen Ladendiebstahls, SK/StPO-Schlchter, § 243 Rn. 59. 381 Meyer-Goßner, § 243 Rn. 41.

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vielmehr muß er fr jede einzelne unzulssige Frage oder Maßnahme einen Gerichtsbeschluß erwirken und beantragen, den Vorgang im Protokoll zu vermerken sowie die Niederschrift zu verlesen (§ 273; Rn. 536). Zeigen sich whrend der Vernehmung des Mandanten Umstnde, die die Befangenheit des Richters befrchten lassen, so hat der Verteidiger zu erwgen, sofort ein Ablehnungsgesuch anzubringen (Rn. 198).

551

Das Ablehnungsrecht ist aber kein jederzeit einsetzbares Kampfmittel des Verteidigers gegen das Gericht. Auch Verfahrensfehler lassen nur selten einen sicheren Schluß auf den richterlichen dolus malus zu. Verstße gegen das Prozeßrecht wird jeder Verteidiger im allgemeinen mit den speziellen verfahrensrechtlichen Rechtsbehelfen und Rechtsmitteln bekmpfen. Vor allem in der Hauptverhandlung sollte das Ablehnungsrecht nur ausgebt werden, wenn es im Verteidigungsinteresse unerlßlich ist; es darf nicht strapaziert werden. Der Sache des Mandanten ist ohnehin nur das eindeutig gerechtfertigte Gesuch dienlich. Angesichts der Empfindlichkeit der Richter gegen Ablehnungsgesuche muß der Verteidiger auch damit rechnen, daß er in den Verdacht der Prozeßsabotage (Rn. 71, 444) gert. Auch revisionsrechtlich ist eine Vielzahl von Ablehnungsgesuchen ohnehin wenig erfolgversprechend382. Whrend der Vernehmung des Angeklagten durch den Staatsanwalt hat der Verteidiger ebenfalls dafr zu sorgen, daß der Mandant ordentlich behandelt und ihm keine unzulssigen Fragen gestellt werden (Rn. 545 ff.). Auch der Staatsanwalt ist nicht befugt, auf ein Gestndnis zu drngen. Schwierigkeiten knnen entstehen, falls der Staatsanwalt nach angeblich entlastenden Umstnden fragt. Die Pflicht des Staatsanwalts, auch die entlastenden Tatsachen zu bercksichtigen, fhrt nicht selten zu einem Eingriff in den Verteidigungsplan. Der Verteidiger kann dies schwerlich verhindern. Je nach Lage des Einzelfalls kann daraus aber auch eine Belastung werden, etwa wenn der Verteidiger weiß, daß der Mandant die Frage nach dem vermeintlich gnstigen Umstand verneinen oder die Unwahrheit sagen, vielleicht sogar schweigen wird (Beispiele: Schonung von Angehrigen, Verschweigen anderer Taten, keine Berufung auf Schuldunfhigkeit oder verminderte Schuldfhigkeit). Dann kann der Verteidiger nur versuchen, in Form einer Erklrung (Rn. 520) zu erlutern, warum die Frage nicht beantwortet werden soll oder bedeutungslos ist. Allerdings hilft dieser Weg nicht immer. Die Erklrung des Verteidigers kann nicht stets den ungnstigen Eindruck verwischen, der Angeklagte wolle sich zu einer angeblich entlastenden Tatsache nicht offen ußern.

382 BGHR, StPO, § 344 Abs. 2 S. 2, Befangenheitsrge 1.

383

552

Rn. 553

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

553

Die eigene Befragung des Mandanten im Wege des Fragerechts (Rn. 524 ff.) muß der Verteidiger dazu nutzen, die richterliche und staatsanwaltschaftliche Vernehmung ggfs. zu ergnzen. Lcken und Widersprche in der Darstellung sind aufzuhellen. Unklarheiten sind mglichst zu beseitigen.

554

Der Verteidiger wird die Befragung des Mandanten so einrichten, daß er Suggestivfragen vermeidet. Sonst entwertet er die Antwort. Freilich weiß jeder Richter, daß der gewissenhafte Verteidiger die Fragen vor der Hauptverhandlung mit dem Auftraggeber besprochen hat. Aus dieser Erfahrung zieht der Richter seine Schlsse. Das gilt vor allem, wenn der Verteidiger Umstnde errtert, die noch nicht Gegenstand der richterlichen Vernehmung waren (Rn. 525). Deshalb steht auch nichts im Wege, die Errterung in der Hauptverhandlung anzusprechen. So kann man den Mandanten auffordern, sich ber bestimmte Umstnde zu ußern, die er dem Verteidiger mitgeteilt habe. Dann gewinnt das Gericht den Eindruck, hier werde mit offenen Karten gespielt, hier werde nichts verheimlicht. Unterbrechungen muß der Verteidiger entgegentreten. Gerade bei der Befragung des Mandanten kommt es darauf an, daß man im Rahmen des Verteidigungsplanes sachgerecht und ungestrt fragen kann. So sollte der Verteidiger ggfs. den Einwand nicht dulden, die Frage sei schon beantwortet. Auch ist der Versuch des Vorsitzenden unzulssig, die Befragung wieder an sich zu ziehen. Notfalls muß der Verteidiger die Unterbrechung beanstanden (Rn. 528, 533). Es kann aber auch in Akt taktischen Kalkls sein, den Vorsitzenden weiter fragen zu lassen, weil er den Antworten auf seine Fragen grßeres Gewicht beimißt.

555

Bei der Befragung des Mandanten durch den Verteidiger eines Mitangeklagten ist darauf zu achten, daß die Fragen nach Form und Inhalt zulssig sind (Rn. 526 ff.). Der Verteidiger muß sonst widersprechen und notfalls einen Gerichtsbeschluß herbeifhren (§ 242). Ist die Prozeßsituation bereits vor der Hauptverhandlung mit dem Verteidiger eines Mitangeklagten errtert (Rn. 68, 464 f.), kann es berraschungen nur selten geben. Aufgabe des Verteidigers ist es aber auch hier, den eigenen Mandanten vor berrumpelung zu schtzen.

556

Trotz eingehender Vorbereitung kann eine Besprechung mit dem Mandanten whrend der Hauptverhandlung notwendig werden. In vielen Fllen wird eine kurze Verstndigung im Gerichtssaal gengen. In anderen Fllen, besonders bezglich der Abgabe von Prozeßerklrungen, kann es geboten sein, mit dem Auftraggeber unter vier Augen zu sprechen. Der Verteidiger muß den Eindruck bercksichtigen, den die Besprechung bei den anderen Beteiligten hervorruft. Sie kann als Zeichen der Unsicherheit angesehen werden. Richter und Staatsanwalt sind besonders aufmerksam, 384

Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 559

wenn sich Verteidiger und Angeklagter whrend der Hauptverhandlung „flsternd“ unterhalten. Im allgemeinen sollte daher eine Verhandlungspause abgewartet werden. Kommt sie nicht in Betracht oder ist eine unverzgliche Abstimmung mit dem Auftraggeber erforderlich, so kann der Verteidiger eine Unterbrechung der Hauptverhandlung beantragen. Sie muß gewhrt werden, solange der Fortgang der Verhandlung dadurch nicht wesentlich beeintrchtigt wird. Es kann sich also nur um eine krzere Unterbrechung handeln, die der Vorsitzende anordnet (§ 228 Abs. 1 Satz 2). Zweckmßig ist es, die fr die Besprechung ntige Zeit zu nennen und sich auf eine bestimmte Zeit zu einigen. Solche Sitzungspausen kommen insbesondere auch dann in Betracht, wenn der Verlauf der Hauptverhandlung eine Richtungsnderung der Verteidigung, namentlich ein Schuldeingestndnis nahelegt (Rn. 705 f.) oder unter nderung des Verteidigungsplanes auf die Einstellung des Verfahrens hingearbeitet werden soll (Rn. 322 ff.).

557

Nach der Sachvernehmung des Angeklagten kann in seiner Abwesenheit weiterverhandelt werden, wenn er sich aus der Verhandlung entfernt oder nach deren Unterbrechung eigenmchtig ausbleibt (§ 231). Mandanten neigen zu solchen Kurzschlußhandlungen vor allem dann, wenn sie whrend ihrer Vernehmung den Eindruck gewonnen hat, die Sache stehe schlecht. Verkennung der Situation, Angst und nicht zuletzt bser Wille fhren zu solchen Fehlreaktionen. Es steht im Ermessen des Gerichts, ob weiter verhandelt oder auf Anwesenheit des Angeklagten bestanden wird und dann unter Umstnden Vorfhrungs- oder Haftbefehl ergeht. Diese Maßnahmen sind freilich nicht statthaft bei schuldlosem Ausbleiben, z. B. wegen schlechten Gesundheitszustandes. In einschlgigen Fllen kann der Verteidiger durch ein rechtzeitiges Gesprch solche Fehlentwicklungen evtl. verhindern.

558

Nach seiner Vernehmung zur Sache kann der Angeklagte zeitweilig aus der Verhandlung entfernt werden (§ 247). Hierauf wird der Verteidiger selbst hinwirken mssen, falls durch die Errterung fr den krperlichen und geistigen Zustand des Mandanten gesundheitliche Nachteile zu befrchten sind. Im brigen hat der Verteidiger jedem Mißbrauch der Bestimmung entgegenzutreten. So reicht die Erklrung eines Zeugen nicht aus, er werde nur in Abwesenheit des Angeklagten aussagen. Das Gericht hat vielmehr die konkrete durch Tatsachen belegte Gefahr festzustellen383, daß der Mitangeklagte oder der Zeuge in Gegenwart des Angeklagten nicht bei der Wahrheit bleiben werde. Anders soll es hingegen sein,

559

383 OLG Dsseldorf, StV 1989, 472.

385

Rn. 559

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

wenn sich ein Zeuge auf sein Aussageverweigerungsrecht beruft, falls er in Anwesenheit des Angeklagten vernommen wird384. Bei der Vernehmung eines Zeugen unter 16 Jahren (§ 247 S. 2) bedarf es sorgfltiger Feststellung und Abwgung der fr und gegen die Anwesenheit des Angeklagten sprechenden Grnde. Grundstzlich muß der Verteidiger durchsetzen, daß die Zeugen in Gegenwart des Mandanten aussagen, weil das Verhalten der Beweisperson unter dem Druck, belastende Aussagen „dem Angeklagten ins Gesicht“ machen zu mssen, fr die Beweiswrdigung von großer Bedeutung sein kann. Wird nach §§ 247a, 255a (audiovisuelle Zeugenvernehmung) verfahren, ist auf die Einhaltung der gesetzlichen Voraussetzungen sowie korrekte Beteiligung und Information der Verteidigung zu achten. Der Verteidiger muß auch wissen, daß whrend der Abwesenheit des Angeklagten keine anderen Beweishandlungen, z. B. Augenschein, Urkundenverlesung, vorgenommen werden drfen, auch nicht bei einer Zeugenvernehmung385. Außerdem darf der Ausschluß nicht lnger dauern als unbedingt notwendig386. Sonst wird die Verteidigung in unzulssiger Weise beschrnkt (§ 338 Nr. 8). Nach Beendigung der Abwesenheit hat der Vorsitzende den Angeklagten ber den wesentlichen Inhalt der Verhandlung zu informieren. Hier muß der Verteidiger kontrollieren, daß der Bericht sachlich richtig und vollstndig ist. Die Vernehmung des Zeugen ist zu wiederholen, wenn sich nachtrglich herausstellt, daß er auch in Anwesenheit des Angeklagten htte vernommen werden knnen387. bb) Vernehmung der Zeugen Achenbach, Zur Verwertbarkeit eines heimlich durchgefhrten Stimmvergleichs im Strafverfahren, StV 1994, 577; Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, 3. Aufl., 1993; Arntzen, Vernehmungspsychologie, 2. Aufl., 1989; Artkmper, Gegenberstellungen – Erkenntnisquelle mit Kautelen, Kriminalistik 1995, 645; Br, Zur verdeckten Aufforschung als Zeugenbeweis, CR 1997, 367; Bayreuther, Das Vereidigungsverbot nach § 60 Nr. 2 StPO im strafprozessualen Vorverfahren, NJW 1996, 1455; Bender/Nack, Vernehmungslehre, 2. Aufl., 1995; Boerner, Das psychologische Gutachten: ein praktischer Leitfaden, 7. Aufl., 2004; Boetticher, Das Urteil ber die Einfhrung von Mindeststandards in aussagepsychologischen Gutach384 BGH, StV 1995, 509; BGH, NJW 1968, 806 m. Anm. Hanack, JZ 1972, 81. 385 Einzelheiten bei Meyer-Goßner, § 247 Rn. 7 ff., 19; i. . zur Revisibilitt Dahs/Dahs, Rn. 186. 386 Nicht zulssig z. B. whrend der Verhandlung ber die Vereidigung. Allerdings neigt der BGH wegen der nderung des § 59 zu einer Aufgabe der diesbezgl. Rspr. – BGH, StV 2005, 7; i. . Dahs/Dahs, Rn. 186. 387 OLG Hamburg, NJW 1975, 1573 m. Anm. Fischer, NJW 1975, 2034; a. A. Meyer-Goßner, § 247 Rn. 3.

386

Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 560

ten und seine Wirkungen, NJW-Sonderheft f. G. Schfer, 2002, 8; Burhoff, Verteidigerfehler in der Tatsachen- und Revisionsinstanz, StV 1997, 432; Dahs, Der Zeuge – zu Tode geschtzt?, NJW 1998, 2332; Dahs, Die Entbindung des Rechtsanwalts von der Schweigepflicht im Konkurs der Handelsgesellschaft, FS Kleinknecht (1985), S. 63; Dahs/Langkeit, Demontage des Zeugnisverweigerungsrechts?, StV 1992, 492; Dlling, Verlesbarkeit schriftlicher Erklrungen und Auskunftsverweigerung nach § 55 StPO, NStZ 1988, 6; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 4. Aufl., 2002; Fabian/Greuel/Stadler, Mglichkeiten und Grenzen aussagepsychologischer Glaubwrdigkeitsgutachten, StV 1996, 347; Fischer, Glaubwrdigkeitsbeurteilung und Beweiswrdigung, NStZ 1994,1; Geerds, Muß ber die Aussagegenehmigung fr einen Polizeibeamten, der als Zeuge verhrt werden soll, dessen oberste Dienstbehrde auch dann entscheiden, wenn das Landesrecht die Entscheidungsbefugnis generell delegiert hat?, NStZ 1996, 609; Gley, Psychologische Grundlagen und Kriterien der Beurteilung von Zeugenaussagen bei Kindern und Jugendlichen, StV 1987, 403; Graßberger, Psychologie des Strafverfahrens, 2. Aufl., 1968, S. 245; Jansen, Zeuge und Aussagepsychologie, 2004; Jansen, berprfung aussagepsychologischer Gutachten, StV 2000, 224; Joachim, Der Hrensagenbeweis im Strafverfahren, 1991; Kett-Straub, Die Glaubwrdigkeitsbegutachtung minderjhriger Zeugen, ZStW 117 (2005), 354; Krehl, Die Erkundigungspflicht des Zeugen bei fehlender oder beeintrchtigter Erinnerung, NStZ 1991, 416; Krehl, Entschuldigtes Fernbleiben eines Zeugen, wenn dessen anwaltlicher Beistand verhindert ist, am Verhandlungstermin teilzunehmen?, NStZ 1990, 192; Kube/Leineweber, Polizeibeamte als Zeugen und Sachverstndige, 2. Aufl., 1980; Kper, Der agent provocateur im Strafrecht, GA 1974, 321; Langkeit/Cramer, Vorrang des Personalbeweises bei gemß § 55 StPO schweigendem Zeugen, StV 1996, 230; Nldeke, Polizeibeamte als Zeugen vor Gericht, NJW 1979, 1644; Odenthal, Die Gegenberstellung zum Zwecke des Wiedererkennens, NStZ 1985, 433; Paulus, Zur Unterrichtung des fr die Dauer der Aussage eines Zeugen aus dem Sitzungssaal entfernten Angeklagten ber den Inhalt der Aussage dieses Zeugen, JZ 1993, 271; Reims, Coaching the witness – der vorbereitete polizeiliche Zeuge, StraFo 1993, 97; Richter II, Aussageverweigerungsrechte der Zeugen als Bestandteil der Verteidigungsstrategie, StraFo 1990, 87; Rogall, Zum bergang der Zeugenstellung zur Beschuldigteneigenschaft im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, NStZ 1997, 399; Rogall, ber die Folgen der rechtswidrigen Beschaffung des Zeugenbeweises im Strafprozeß, JZ 1996, 944; Salditt, Das Interesse an der Lge, StV 1999, 61; Salditt, StV 1993, 442; Schlothauer, Viedeo-Vernehmung und Zeugenschutz, Verfahrenspraktische Fragen, StV 1999, 47; Scholz, Die nicht glaubhafte Zeugenaussage, StV 2004, 104; Schnemann, Der deutsche Strafprozeß im Spannungsfeld von Zeugenschutz und materieller Wahrheit, StV 1998, 391; Sommer, Moderne Strafverteidigung. Strafprozessuale nderungen des Ersten Justizmodernisierungsgesetzes, AnwBl. 2004, 506; Tonberg, Der aktive Zeugenbeistand – Ein Strenfried oder ein Stck aus dem Tollhaus, StV 1996, 511; Wattenberg, Zur Verwertbarkeit von Aussagen anonym bleibender Polizeibeamten, StV 1997, 620; Welp, Zum Umfang der richterlichen Belehrungspflicht gegenber Beweispersonen bei Glaubwrdigkeitsuntersuchungen, JR 1996, 76. Vgl. auch das Schrifttum zu Sachverstndigengutachten – Vor Rn. 609.

Die Zeugenvernehmung steht im Mittelpunkt der Beweiserhebung. In den meisten Fllen entscheidet sie den Prozeß. Fr den Verteidiger kommt es deshalb besonders darauf an, Aufgabe und Funktion des Zeugen 387

560

Rn. 561

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

im Strafprozeß richtig zu erkennen und zu ihm in ein der Sache dienliches optimales Verhltnis zu gelangen. Dessen Grundlagen und ihre Ausgestaltung im allgemeinen sind im Kapitel „Verteidiger und Zeuge“ (Rn. 210 ff.) dargestellt. Die nachfolgende Abhandlung betrifft speziell die Funktion des Verteidigers in der Hauptverhandlung. 561

Der Verteidiger muß die Kunst der Beweiserhebung beherrschen. Das ist meist wichtiger als ein noch so glnzendes Pldoyer. Er muß insbesondere mit den Grundstzen der Vernehmenstechnik und der Aussagepsychologie vertraut sein (Rn. 581 ff.). Das Wissen darum ist freilich nicht aus Lehrbchern zu erlernen, so nachdrcklich deren Studium auch anzuraten ist. Man muß erfahren haben und immer wieder erfahren, wie die Zeugenvernehmung im Gerichtssaal funktioniert, welche Flle an menschlichen Eigenschaften, an Ereignissen und Zusammenhngen das Ergebnis einer Zeugenbefragung beeinflussen kann. Dabei geht es nicht nur um die Persnlichkeit des Zeugen, es geht auch um die Person des Vernehmenden. Wie er einem Zeugen entgegentritt und sich auf ihn einstellt, bestimmt oft das Aussageergebnis.

562

Aus diesen Grnden darf auch die Vernehmung zur Person nicht vernachlssigt werden. Sie ist nicht nur eine leere Form, sondern entscheidet vielfach ber den Beweiswert einer Zeugenaussage. Deshalb erfordert sie hchste Aufmerksamkeit des Verteidigers. So darf er es nicht durchgehen lassen, daß nach den Umstnden nicht gefragt wird, die die Glaubwrdigkeit und die Beziehungen des Zeugen zum Angeklagten oder Verletzten betreffen (§ 68 StPO). Ggfs. muß der Verteidiger eingreifen und entweder sofort um Ergnzung bitten oder nach der richterlichen Vernehmung sein Fragerecht ausben (Rn. 524). Oft erhellen solche Verbindungen des Zeugen schlagartig, was von seiner Aussage zu halten ist (Rn. 592 f.). Ist eine belastende Aussage zu erwarten, so kann es zweckmßig sein, die Zusammenhnge (etwa Feindschaft zum Angeklagten) sofort aufzudecken. Dann weiß jeder Beteiligte von vornherein, daß die Aussage des Zeugen vorsichtig zu bewerten ist. Auch wird der Zeuge dadurch veranlaßt, sorgfltig bei der Wahrheit zu bleiben. Freilich kann die frhzeitige Errterung der persnlichen Beziehungen auch Nachteile haben. Ist zum Beispiel die positive Aussage eines Zeugen einleuchtend oder gar unwiderlegbar, so erhlt sie besonderes Gewicht, falls der Zeuge mit dem Angeklagten verfeindet ist. In vielen Fllen ist es daher geboten, die Sachvernehmung des Zeugen abzuwarten: dann bersieht der Verteidiger, ob es richtig ist, die Freundschaft oder die Feindschaft des Zeugen zu einem Beteiligten offenzulegen.

563

Whrend der Belehrung ber ein Zeugnisverweigerungsrecht (§ 52) oder ein Auskunftsverweigerungsrecht (§ 55) gibt das Verhalten des Zeugen 388

Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 563

vielfach Hinweise auf seine Persnlichkeit und seine Einstellung zur Sache. Deshalb ist darauf zu achten, daß der Zeuge die Belehrung versteht. Bei geistig behinderten Personen und bei Kindern muß unter Umstnden der gesetzliche Vertreter belehrt werden und der Vernehmung zustimmen388. Sind die Eltern selbst angeklagt, so kommt eine Pflegerbestellung in Betracht389. Kindliche Zeugen sind in kindgerechter Form darauf hinzuweisen, daß sie trotz der Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters zu ihrer Vernehmung Angaben (und Aussagen bei der Gutachtenerstellung) verweigern knnen390. Angehrige wollen oft auf ihr Aussageverweigerungsrecht verzichten, weil sie glauben, sie wrden den Angeklagten entlasten. Bei ihrer Vernehmung stellt sich pltzlich heraus, daß sie ihn mindestens teilweise belasten. Dann ist es zu spt; der Irrtum des Zeugen macht die Aussage nicht unverwertbar391, wohl aber fhrt die unterlassene oder fehlerhafte Belehrung zu einem Verwertungsverbot392, wenn nicht feststeht, daß der Zeuge auch bei Belehrung ausgesagt htten393. Insbesondere muß sich der Verteidiger dafr einsetzen, daß sich jeder Zeuge frei und unbeeinflußt entschließen kann, ob er aussagt. Errterungen ber die Zweckmßigkeit einer Aussageverweigerung durch das Gericht oder die Staatsanwaltschaft wird er in aller Regel entgegentreten mssen. Sie beeinflussen den Zeugen. Das gilt insbesondere bei Verwandten des Angeklagten. Der Verteidiger hat im allgemeinen mit solchen Zeugen selbst (Rn. 210 ff.) oder mit dem Mandanten vor der Hauptverhandlung (Rn. 493) besprochen, ob ein Angehriger aussagen soll. Der einmalgefaßte Entschluß darf nicht grundlos aufgegeben werden. Will der Angehrige nicht aussagen, so hat der Verteidiger jeden Versuch zu verhindern, nach den Grnden zu forschen394. Hierauf ist schon deshalb zu achten, weil sich der Zeuge sonst veranlaßt sehen knnte, die Aussageverweigerung zu widerrufen: Dann darf er nmlich vernommen werden395. Verweigert der Zeuge die Aussage nach § 52, drfen allerdings auch Angaben, die er zuvor bei einer „Vernehmung“ durch den Verteidiger gemacht hat, nicht verwertet werden396. Problematisch ist die Lage vor allem, falls der Verwandte der einzige Zeuge ist, der den Angeklagten berfhren knnte (z. B. die Prostituierte den Zuhlter, den sie als Verlobten 388 389 390 391 392 393 394 395 396

BGH, NJW 1967, 2273; Lwe/Rosenberg/Dahs[25], § 52 Rn. 26. Lwe/Rosenberg/Dahs[25], § 52 Rn. 33; Meyer-Goßner, § 52 Rn. 20. BGH, StV 1996, 196. KG 67, 347. Lwe/Rosenberg/Dahs[25], § 52 Rn. 54; Meyer-Goßner, § 52 Rn. 32. BGHSt. 40, 336, 339 m. N. BGH, StV 1983, 353; BGH, NStZ 1989, 440; Meyer-Goßner, § 52 Rn. 16. Meyer-Goßner, § 52 Rn. 21. BGH, NStZ 2001, 49.

389

Rn. 564

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

ausgibt). In diesem Falle fhrt die Aussageverweigerung zum Freispruch, whrend der Angeklagte sonst verurteilt wird. berhaupt ist der Verteidiger gehalten, sich nher mit einem behaupteten Verlbnis zu beschftigen, wenn er an der Aussage des Zeugen Interesse hat. Ein Verlbnis wird oft behauptet, um eine unangenehme oder unerwnschte Aussage zu vermeiden. Es empfiehlt sich, z. B. einen Mitangeklagten zunchst eingehend ber Zeitpunkt und Begleitumstnde der angeblichen Verlobung zu befragen und danach entsprechende Fragen an die Beweisperson zu stellen, um so Widersprche aufzudecken und den Wahrheitsgehalt der entsprechenden Behauptungen in Zweifel zu ziehen. Erfahrungsgemß schaltet sich dann sehr schnell das Gericht ein, wenn es den Eindruck hat, es solle hintergangen werden. In solchen Fllen wird nicht nur sehr nachdrcklich an die Wahrheitspflicht erinnert, sondern auch eine Glaubhaftmachung (eidliche Bekrftigung) verlangt (§ 56)397. In keinem Falle darf die Tatsache der Aussageverweigerung gegen den Angeklagten verwertet werden398. Dies ginge an der Erfahrung vorbei, daß die Aussageverweigerung ganz verschiedene Motive haben kann399. Allerdings knnen jederzeit dritte Personen ber mndliche oder schriftliche ußerungen des Angehrigen vernommen werden, die außerhalb des Verfahrens gefallen sind400. 564

Beruft sich ein Zeuge auf die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung (§ 55), so kann es im Interesse des Mandanten sein, mglichst genau festzustellen, warum der Zeuge nicht aussagen will. Ist z. B. zu vermuten, daß der Zeuge der Tter ist oder den Tter kennt, so sollte der Verteidiger auf Glaubhaftmachung der Grnde bestehen (§ 56). Auch darf er nicht ohne weiteres hinnehmen, daß ein Zeuge insgesamt die Aussage verweigert. Das ist nur ausnahmsweise statthaft, wenn die Gefahr fr den Zeugen in vielen Punkten vorhanden ist (sog. Mosaiktheorie)401. Sonst ist der Zeuge lediglich befugt, auf einzelne „verdchtige“ Fragen die Auskunft abzulehnen. ußert sich ein Zeuge zu verfnglichen Fragen nicht, so lassen sich meist Schlsse zugunsten des Auftraggebers ziehen. Ggfs. muß der Verteidiger bei der Befragung des Zeugen gezielte Fragen stellen, die den Verdacht gegen den Zeugen erhrten, falls er darauf schweigt. Freilich ist hierbei zu 397 Das Verlbnis soll nicht nach zivilrechtlichen Maßstben beurteilt werden – BGH, StV 2000, 293 – und der BGH lßt die Berufung auf ein Verlbnis schon dann zu, wenn bei einem Beteiligten das Scheidungsverfahren noch anhngig ist, NStZ 1983, 564; vgl. i. . Lwe/Rosenberg/Dahs[25], § 52 Rn. 4 ff. zu allen Einzelheiten. 398 BGH, StV 1985, 485; BGH, NStZ 1987, 182; BGH, StV 1991, 450; Lwe/Rosenberg/Dahs[25], § 52 Rn. 42 ff. 399 BGH, StV 1991, 450; ferner Dahs, NJW 1998, 2332; KG, NJW 1966, 605. 400 Lwe/Rosenberg/Dahs[25], § 52 Rn. 40, 35. 401 BGHSt. 10, 105; Lwe/Rosenberg/Dahs[25], § 52 Rn. 6.

390

Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 565

bedenken, daß ein Zeuge, der eine Straftat nicht aufdecken will, eher lgt als die Auskunft verweigert. Sonst mßte er einrumen, daß er etwas zu verheimlichen hat. Indessen lehrt die Erfahrung, daß nicht jeder Zeuge, der sich auf § 55 beruft, wirklich schuldig ist. So kann es sein, daß sich ein Zeuge, falls er aussagt, lediglich dem „bsen Schein“ einer Straftat aussetzt, obgleich er in Wahrheit unschuldig ist, z. B. weil die innere Tatseite fehlt. Hier kommt es auf die ordnungsgemße Belehrung an. Der Verteidiger muß widersprechen, wenn der Vorsitzende die ebenso bliche wie irrefhrende Belehrungsformel verwendet, der Zeuge knne die Aussage verweigern, wenn er „sich selbst belasten mßte“. In Wirklichkeit kann die Aussage auch dann verweigert werden, wenn der Zeuge sich nichts hat zuschulden kommen lassen, sofern nur die Gefahr der Strafverfolgung gegeben ist402. Allerdings soll eine fehlende oder falsche Belehrung nach § 55 die Verwertung der Aussage nicht verbieten und das mangelhafte Verfahren soll die Revision nicht rechtfertigen (Rn. 939)403. Unter Umstnden kann der Verteidiger darauf hinweisen, daß die Nichtvernehmung eines falsch belehrten Zeugen gegen die Aufklrungspflicht verstßt404. Schließlich darf nicht außer acht gelassen werden, daß eine frhere richterliche Bekundung des Zeugen verlesen werden kann, der sich erst in der Hauptverhandlung auf sein Recht zum Schweigen beruft405 (Rn. 569). Auch kann der Verhrbeamte vernommen werden406. Allerdings soll der Richter ohne besonderen Anlaß nicht verpflichtet sein, den verweigernden Zeugen zu fragen, ob er in die Verwertung frherer Aussagen einwilligt407 – dies ist dann ggfs. Sache des Verteidigers. Der Verteidiger muß auch prfen, ob er die zu erwartende ungnstige Aussage eines Zeugen verhindern kann, wenn dieser in demselben oder in einem anderen Verfahren, das denselben Sachverhalt betrifft, selbst Beschuldigter ist, so z. B. im Falle einer voraufgegangenen Abtrennung seines Verfahrens. Abtrennung und Zeugenvernehmung knnen als unzulssig angegriffen werden408. Bei Zeugen, die Trger eines Berufsgeheimnisses sind (§§ 53 ff.)409, ist zu bercksichtigen, daß sie ber ihr Verweigerungsrecht nicht belehrt wer402 Lwe/Rosenberg/Dahs[25], § 55 Rn. 10 ff. 403 BGHSt. 11, 213; Meyer-Goßner, § 55 Rn. 17; Lwe/Rosenberg/Dahs[25], § 55 Rn. 26, 28. 404 OLG Oldenburg, NJW 1961, 1225; Meyer-Goßner, § 55 Rn. 16 f. 405 Dazu BGH, StV 2002, 120. 406 BGHSt. 17, 245; BGHSt. 6, 209, 211. 407 BGH, NStZ 2003, 498; BGH, NStZ 2000, 160. 408 BGH, NJW 1974, 758; BGH, JR 1969, 148 m. Anm. Gerlach. 409 Dazu Lwe/Rosenberg/Dahs[25], § 53 Rn. 3 ff.

391

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Rn. 566

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

den mssen410. In der Praxis wird aber in aller Regel errtert, ob der Zeuge aussagen will411. Hierbei ist zu prfen, ob tatschlich ein Vertrauensverhltnis vorliegt, das unter die §§ 53 ff. fllt. Das wird z. B. verneint fr den Arzt, der lediglich eine Blutprobe entnommen hat412. Auch ein Psychologe hat kein Zeugnisverweigerungsrecht, weil er in § 53 nicht genannt ist413. Insbesondere bedarf das Zeugnisverweigerungsrecht der Presse (Medien) (§ 53 Abs. 1 Nr. 5) der Beachtung. 566

Wird nicht errtert, ob der Geheimnistrger aussagen will, so kann es zweckmßig sein, daß der Verteidiger die Frage anschneidet. Nach berwiegender Auffassung soll zwar der Angeklagte keinen Anspruch auf das Schweigen des Geheimnistrgers haben414. Auch soll der Zeuge in eigener Verantwortung seine Entscheidung treffen knnen, solange er nicht von der Schweigepflicht entbunden ist. Die Gter- und Pflichtenabwgung wird ihm berlassen. Hlt er sich danach zur Aussage fr berechtigt oder sogar fr verpflichtet, so kann der Angeklagte hieraus auch dann kein Aussage-, Vernehmungs- und Verwertungsverbot herleiten, wenn der Zeuge das Geheimnis rechtswidrig offenbart415. Der Verteidiger muß diese Ansicht aber wenigstens in den Fllen bekmpfen, in denen die Strafbarkeit des Geheimnisbruchs handgreiflich ist. Denn es ist nicht einzusehen, mit welcher Berechtigung Richter, Staatsanwalt und Verteidiger in „passiver Assistenz“ einer Straftat zusehen und deren „Frchte“ auswerten sollen416. Liegt hingegen die Strafbarkeit nicht offen zutage, rechtfertigt z. B. die Gter- und Pflichtenabwgung mglicherweise die Preisgabe eines Geheimnisses, dann ist es Sache des Zeugen, ob er schweigen oder aussagen will. Er ist zur Aussage zwar nicht verpflichtet, aber berechtigt. Der Verteidiger muß widersprechen, falls das Gericht den Zeugen bewußt oder unbewußt beeinflußt417. So ist die richterliche Belehrung des Zeugen unstatthaft, er sei zum Reden verpflichtet. Freilich kann schon die Frage des Vorsitzenden, ob der nicht von der Schweigepflicht entbundene Zeuge trotzdem aussagen wolle, dessen Aussagebereitschaft frdern. Dann muß der Verteidiger eingreifen. Er darf und braucht hierbei nicht zurckhal-

410 Meyer-Goßner, § 53 Rn. 44; Lwe/Rosenberg/Dahs[25], § 53 Rn. 69. 411 Meyer-Goßner, § 53 Rn. 44 m. N. (Belehrung nur bei offensichtlicher Unkenntnis erforderlich). 412 Lwe/Rosenberg/Dahs[25], § 53 Rn. 35 f. 413 Meyer-Goßner, § 53 Rn. 3; KK-Senge[5], § 53 Rn. 2; Lwe/Rosenberg/Dahs[25], § 53 Rn. 3. 414 BGH, StV 1996, 356. 415 BGHSt. 9, 59 = NJW 1956, 599; Eb. Schmidt, § 53 Anm. 22 ff. 416 Vgl. i. e. Meyer-Goßner, § 53 Rn. 6. 417 Meyer-Goßner, § 53 Rn. 6; Lwe/Rosenberg/Dahs[25], § 53 Rn. 3, 69.

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Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

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tend zu sein. Kennt z. B. nur der Arzt oder der Anwalt belastende Umstnde, so muß sich der Verteidiger dafr einsetzen, daß der Zeuge schweigt. Wie die Erfahrung lehrt, wird jeder Trger eines Berufsgeheimnisses vorsichtig, wenn ihm in geeigneter sachlicher Form der Konflikt klargemacht wird, dem er sich gegenbersieht. Das gilt selbst bei Zeugen, die zwar nach §§ 53 f. ihre Aussage verweigern drfen, denen aber das materielle Recht keine Schweigepflicht auferlegt. So sind die Geistlichen und Abgeordneten im § 203 StGB nicht genannt: und doch kann es ratsam sein, an ihr Gewissen zu appellieren, um sie zum Schweigen zu veranlassen. Decken sich das Zeugnisverweigerungsrecht und die Schweigepflicht wie beim Arzt und beim Anwalt, so kann der Verteidiger den Zeugen notfalls auf die strafrechtlichen Folgen fr den Fall hinweisen, daß sich der Zeuge falsch entscheidet. Im Interesse des Mandanten kann es sogar notwendig werden, einen Strafantrag nach § 205 StGB anzukndigen. In derartigen Ausnahmefllen wird der Verteidiger anfhren, daß das allgemeine Vertrauen in die Wahrung eines beruflichen Geheimnisses grundstzlich der Wahrheitserforschung vorzugehen hat. Allerdings wird er zu dieser Maßnahme nur greifen, wenn sie die einzige Mglichkeit ist, den Zeugen an einer voraussichtlich belastenden Bekundung zu hindern. Setzt sich der Verteidiger zu energisch fr ein Schweigen des Zeugen ein, so entsteht leicht der Eindruck, der Angeklagte habe etwas zu verbergen. Aus der berechtigten Aussageverweigerung eines Geheimnistrgers darf zwar keine Folgerung gezogen werden, jedoch vollzieht sich die richterliche berzeugensbildung in meist nicht nachprfbarer Weise aus allen Vorgngen in der Hauptverhandlung. Auch wird dann hufig versucht, auf andere Weise die vermutete Belastung aufzuklren. Diese Erfahrung muß der Verteidiger auch im Auge haben, wenn es um die Entbindung von der Schweigepflicht geht. Hierbei ist zu beachten, daß sich die Befreiung kraft Gesetzes auf die „Berufshelfer“ des Geheimnistrgers erstreckt (§ 53 a in Verbindung mit § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 1– 4 sowie § 53 Abs. 1 Nr. 5) (Vgl. auch Rn. 309). Auch hier hat der Verteidiger sorgfltig die Vorteile und Nachteile gegeneinander abzuwgen. In Zweifelsfllen kommt eine nur teilweise Entbindung in Betracht418. berhaupt muß der Verteidiger darauf achten, daß sich die Einwilligung zur Aussage nicht nur auf die Umstnde erstreckt, die den Kernbereich des Vertrauensverhltnisses betreffen419, also beim Arzt den Befund und die Behandlung, sondern auch auf die dem Geheimnistrger bei der Anbahnung des 418 Meyer-Goßner, § 53 Rn. 49; Lwe/Rosenberg/Dahs[25], § 53 Rn. 30. 419 Meyer-Goßner, § 53 Rn. 18; Lwe/Rosenberg/Dahs[25], § 53 Rn. 30; KK-Senge[5], § 53 Rn. 18.

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Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

Vertrauensverhltnisses420 und aus dem sonstigen Lebensbereich bekanntgewordenen Tatsachen. Die Entbindung von der Schweigepflicht ist geboten, wenn der Zeuge entlastende Umstnde aufklren soll. Der Mandant darf zu solchen Tatsachen grundstzlich nicht schweigen (Rn. 489); deshalb darf er auch die Entbindung von der Schweigepflicht nicht verweigern, insbesondere dann nicht, wenn er sich selbst auf gnstige Tatsachen berufen will. Sonst kann das Gericht folgern, die Schutzbehauptung sei unglaubhaft421. Wird der zur Aussageverweigerung berechtigte Zeuge den Mandanten voraussichtlich belasten, so darf er grundstzlich von der Schweigepflicht nicht befreit werden. Freilich gibt es kaum Zeugen, die entweder nur belastend oder nur entlastend aussagen. Meist bekunden Zeugen sowohl gnstige wie ungnstige Umstnde. Auch weiß man vor der Sachvernehmung nie so genau, wie die Aussage ausfallen und wie sie wirken wird. Nicht selten entpuppt sich ein vermeintlicher Belastungszeuge als Entlastungszeuge und umgekehrt. Man macht diese Erfahrung immer wieder bei Personen, denen kraft ihres Berufes Geheimnisse anvertraut werden. Sie kennen Umstnde und Zusammenhnge, an die der Angeklagte vielleicht gar nicht mehr denkt. In Zweifelsfllen ist zu empfehlen, die Entbindung von der Schweigepflicht auf bestimmte Tatsachenkomplexe zu beschrnken. Eine Beschrnkung auf Einzeltatsachen ist allerdings nicht zulssig422. Der Verteidiger muß bedenken, daß der Richter aus der Ablehnung oder der eingeschrnkten Entbindung von der Schweigepflicht zwar keine nachteiligen Schlsse ziehen darf423, jedoch die Aufklrung mit Hilfe anderer Beweismittel versuchen kann. Es ist daher in jedem Einzelfall abzuwgen, ob die (eingeschrnkte) Befreiung von der Schweigepflicht den Interessen des Mandanten nicht doch frderlicher ist. Entsprechende Erwgungen sind anzustellen, wenn Hilfspersonen (Rn. 309) von ihm von der Schweigepflicht entbunden werden sollen oder im Interesse des Mandanten mssen. hnliche Probleme ergeben sich, wenn der Mandant die Entbindung von der Schweigepflicht fr die Hauptverhandlung widerrufen will; denn in diesem Fall drfen frhere Aussagen des Zeugen verwertet werden424. Das gilt auch fr den Richter, der einen V-Mann der Polizei frher einmal vernommen hatte (Rn. 569).

420 BGH, NStZ 1985, 372; KK-Senge[5], § 53 Rn. 18; Meyer-Goßner, § 53 Rn. 18; Lwe/Rosenberg/Dahs[25], § 53 Rn. 34, 31. 421 BGHSt. 20, 298. 422 OLG Hamburg, NJW 1962, 680; Meyer-Goßner, § 53, Rn. 49; KK-Senge, § 53 Rn. 52; Lwe/Rosenberg/Dahs[25], § 53 Rn. 75. 423 Lwe/Rosenberg/Dahs[25], § 53 Rn. 55. 424 BGHSt. 18, 146; KK-Senge[5], § 53 Rn. 54; Lwe/Rosenberg/Dahs[25], § 53 Rn. 76.

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Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

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Eine hnliche Schwierigkeit besteht, falls der Mandant die Entbindung von der Schweigepflicht fr die Hauptverhandlung widerrufen will. In diesem Falle darf nach herrschender Auffassung der Richter als Zeuge gehrt werden, der die Vertrauensperson frher einmal vernommen hatte (Rn. 569). Gelegentlich kommt es dazu, daß der Verteidiger in der Hauptverhandlung als Zeuge vernommen werden soll (Rn. 37). In diesem – in der Praxis ungewhnlichen – Fall darf der Verteidiger es nicht dazu kommen lassen, daß der Mandant durch die richterliche Aufforderung berrumpelt wird, er mge den Verteidiger von der Schweigepflicht entbinden (Beispiel: Der Richter will aufklren, ob und wann der Angeklagte seinem Verteidiger gewisse Entlastungsbehauptungen mitgeteilt hat, oder der Mandant beruft sich auf eine solche Mitteilung). Im allgemeinen ist es geboten, um eine Unterbrechung zu bitten und die Entbindung mit dem Mandanten unter vier Augen zu besprechen. In jedem Falle drfte hier eine Beschrnkung der Befreiung von der Schweigepflicht auf den konkreten Vorgang, evtl. sogar auf die konkrete Beweisfrage angezeigt sein, die mit der Erklrung ber die Entbindung von der Schweigepflicht in das Protokoll aufgenommen werden sollte. Hufig sind Zeugen zur Amtsverschwiegenheit verpflichtet, insbesondere auch Kriminalbeamte, verdeckte Ermittler, Angehrige der Nachrichtendienste usw. Sie bedrfen fr die Aussage der Genehmigung der dafr zustndigen Behrde (§ 54 i. V. m. den beamtenrechtlichen Vorschriften)425. Zu Einholung der Genehmigung ist das Gericht verpflichtet, wenn es den Zeugen vernehmen will426. Eine (unbeschrnkte) Aussagegenehmigung wird von Polizeibehrden nicht selten verweigert („Sperrerklrung“). Das Gericht muß dann – auch auf Antrag der Verteidigung – alle nach den Umstnden des Falles gebotenen Bemhungen unternehmen, um das der Vernehmung des Zeugen entgegenstehende Hindernis zu beseitigen427. Bleibt die zustndige Dienstbehrde bei der Versagung der Genehmigung, so kommt eine Dienstaufsichtsbeschwerde oder die Anfechtung der Entscheidung im Verwaltungsrechtsweg in Betracht428. Die „Erkmpfung“ einer Aussagegenehmigung ist in der Regel ein dornenvoller Weg und nicht oft von Erfolg gekrnt. Bei der Beweiswrdigung darf die Versagung der Ausnahmegenehmigung bercksichtigt werden.

425 Abgedruckt bei Meyer-Goßner, § 54 Rn. 5 ff. und Lwe/Rosenberg/Dahs[25], § 54 Rn. 7 ff. 426 Lwe/Rosenberg/Dahs[25], § 54 Rn. 15 m. N. 427 BGHSt. 32, 115, 125 ff.; BGHSt. 33, 178; BGHSt. 42, 175, 177; Lwe/Rosenberg/Dahs[25], § 54 Rn. 20, 25 ff. 428 Lwe/Rosenberg/Dahs[25], § 54 Rn. 26, 27 m. N.

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Kommt es zu einem „Zwischenstreit“ ber die Aussageverweigerung eines Zeugen, so wird sich der Verteidiger in der Regel hierzu ußern mssen. Das Gericht hat zwar nach § 70 von Amts wegen zu entscheiden, im allgemeinen erwartet es aber eine ußerung der Beteiligten. Wird der Zeuge vermutlich entlastende Tatsachen bekunden, dann muß der Verteidiger eine Ordnungsmaßnahme anregen, falls der Zeuge ohne gesetzlichen Grund die Aussage verweigert429. Der Verteidiger darf nicht hinnehmen, daß durch eine unberechtigte Zeugnisverweigerung die Aufklrung gnstiger Umstnde verhindert wird (Beispiel: Der Zeuge kennt Entlastungstatsachen, will sie aber aus Mißgunst nicht offenbaren und versteckt sich hinter der angeblichen Gefahr einer strafgerichtlichen Verfolgung). Handelt es sich um einen Belastungszeugen, so wird der Verteidiger nicht darauf drngen, die Vernehmung zu erzwingen. Freilich kann auch hier der Mandant ein Interesse daran haben, daß gegen den Zeugen eine Ordnungsmaßnahme verhngt wird. Darauf hat er allerdings keinen Rechtsanspruch430.

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In allen Fllen der berechtigten Aussageverweigerung muß der Verteidiger bedenken, daß der Richter unter Umstnden das Wissen des Zeugen in anderer Weise in die Hauptverhandlung einfhren kann. Wie die Praxis immer wieder zeigt, ist das Verlesungs- und Verwertungsverbot des § 252 in bedenklicher Weise ausgehhlt431. Das Gesetz schreibt vor: Die Aussage eines vor der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen darf nicht verlesen werden, falls er in der Hauptverhandlung sein Zeugnis berechtigt verweigert. Jeder erfahrene Verteidiger weiß, daß dieser Grundsatz in vielen Fllen nur auf dem Papier steht, obwohl er nach einhelliger Auffassung nicht nur verbietet, die frhere Aussage zu verlesen, sondern auch, sie zu verwerten432. So drfen richterliche Verhrpersonen als Zeugen „vom Hrensagen“ vernommen werden, wenn sie eine frhere Aussage des Zeugen nach ordnungsgemßer Belehrung ber dessen Zeugnisverweigerungsrecht entgegengenommen haben. Zulssig ist aber nur die Vernehmung richterlicher Verhrpersonen (auch Schffen)433, whrend eine Vernehmung der anderen Prozeßbeteiligten ausgeschlossen ist. Hat ein Angehriger im Verlaufe des Verfahrens vor einem Richter, auch in einer frheren Hauptverhandlung, nach Belehrung ber sein Weigerungs-

429 Zur Eidesverweigerung aus Gewissensgrnden vgl. BVerfG, NJW 1972, 1183 m. Anm. Peters, JZ 1972, 520; Nagel, JZ 1972, 143. 430 BGH, NJW 1966, 211; Lwe/Rosenberg/Dahs[25], § 70 Rn. 41. 431 Vgl. dazu die bei Meyer-Goßner, § 252 Rn. 8 ff., 13 f. aufgefhrten Ausnahmen m. zahlr. N. 432 BGHSt. 20, 384. 433 BGHSt. 13, 394, 398.

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Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 569

recht ausgesagt, so darf das erkennende Gericht diesen Richter als Zeugen vernehmen434, nicht aber den Protokollfhrer der frheren Vernehmungen435. Danach ist es auch zulssig und ggfs. geboten, z. B. den Zivilrichter zu vernehmen, der eine frhere Aussage des Angehrigen in einem Zivilprozeß nach ordnungsgemßer Belehrung entgegengenommen hat436. Die Vernehmung des Richters wird nicht nur im Falle des § 52 fr zulssig gehalten, sondern auch dann, wenn ein Berufsgeheimnistrger (§ 53) frher von einem Richter vernommen und damals von der Schweigepflicht entbunden war, diese Entbindung aber inzwischen widerrufen ist437. Soweit die Vernehmung des Richters statthaft ist, drfen ihm zur Auffrischung des Gedchtnisses auch Vorhalte aus den Vernehmungsniederschriften gemacht werden, die zu diesem Zweck sogar verlesen werden drfen438. Voraussetzung fr die Verwertung ist aber in jedem Fall, daß es sich bei der frheren Vernehmung um eine Zeugenvernehmung gehandelt hat. Wenn der Zeuge zum Zeitpunkt der richterlichen Vernehmung selbst Beschuldigter war und nunmehr als Zeuge von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht, ist die frhere Aussage insgesamt unverwertbar. Dann ist auch eine Vernehmung des vernehmenden Richters ausgeschlossen439. Der Vernehmung anderer als richterlicher Verhrspersonen kann der Verteidiger immer mit Erfolg widersprechen. So ist es unstatthaft, den Polizeibeamten zu vernehmen, der die frhere Aussage des Zeugen aufgenommen hat440; dasselbe gilt fr Beamte der Staatsanwaltschaft oder der Finanzbehrden441. Unzulssig ist auch die Vernehmung dieser Verhrsbeamten ber ihre Eindrcke bei der Verhandlung442. Diese Grundstze gelten ungeachtet dessen, daß die Ermittlungsbehrden einen Zeugen

434 BGHSt. 11, 338; BGHSt. 32, 25, 29; BGH, NJW 1996, 1501, 1503; krit. Eisenberg, NStZ 1988, 488; abl. Welp, JR 1996, 78. 435 BGHSt. 13, 394. 436 BGHSt. 17, 234 = NJW 1962, 1875; krit.: Eser, NJW 1963, 234; SK/StPOSchlchter, § 252 Rn. 32. 437 BGHSt. 18, 146 = NJW 1963, 723. 438 BGHSt. 11, 338, 341; BGHSt. 21, 146; Meyer-Goßner, § 253 Rn. 15; a. A. Fezer, JuS 1977, 672. 439 BGH, StV 1997, 234. 440 Meyer-Goßner, § 252 Rn. 7. 441 Meyer-Goßner, § 252 Rn. 13 m. N. 442 BGH, NJW 1979, 1722.

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ber ein etwaiges Aussageverweigerungsrecht nach § 163a Abs. 5 belehren mssen443. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, daß § 252 ber seinen Wortlaut hinaus nicht nur die Verlesung der eigentlichen Aussage verbietet. Unzulssig ist vielmehr auch die Verlesung und Verwertung von Schriftstcken, die der Zeuge bei seiner Vernehmung berreicht hat, wenn diese Inhalt seiner Aussage geworden sind444. 570

Auf das Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 ist § 252 nicht anwendbar, so daß die frhere (auch polizeiliche) Aussage eines Zeugen verwertet werden darf, der sich erst in der Hauptverhandlung berechtigterweise auf die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung beruft445. Gegenstand des Verlesungs- und Verwertungsverbots sind alle Aussagen im Rahmen einer Vernehmung. Dabei wird der Begriff der Vernehmung weit ausgelegt; geschtzt werden auch ußerungen im „Vorfeld“ der eigentlichen Vernehmung, wenn sie nur mit der Vernehmungsttigkeit der Behrden oder des Richters in Zusammenhang stehen446. Das gilt nicht fr die informatorische Anhrung447, sondern sogar bei prventiver Ttigkeit der Polizei, so etwa, wenn ein Kind gefragt wird, warum es nachts auf der Straße herumirre448. Das Verwertungsverbot wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß die Initiative zur Vernehmung vom Zeugen ausgegangen ist449. Diese Grundstze gelten entsprechend fr die von einem Sachverstndigen anlßlich der Durchfhrung seines Gutachterauftrages in Erfahrung gebrachten Zusatztatsachen. Diese drfen weder durch das Gutachten noch durch die Vernehmung des Sachverstndigen als Zeugen in die Hauptverhandlung eingefhrt oder bei der richterlichen berzeugungsbildung verwertet werden450. Das gilt auch fr die von dem explorierten Zeugen gegebene Tatsachenschilderung451. Demgegenber ist § 252 nicht anwendbar, wenn ein Zeuge gemß § 81c die Einwilligung in eine krperliche Untersuchung widerruft452. 443 444 445 446 447 448 449 450 451 452

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BGHSt. 21, 218. BGHSt. 22, 216; BGH, StV 1996, 196. BGHSt. 17, 245; BGH, StV 1996, 191; Dlling, NStZ 1988, 6, 8. BayObLG, NJW 1983, 1132; OLG Kln, VRS 1980, 32. BGHSt. 29, 230. BGHSt. 29, 230, 232. BayObLG, NJW 1983, 1132. BGH, NStZ 1997, 95. BGH bei Holtz, MDR 1987, 625; BGH, NStZ 1981, 304. Meyer-Goßner, § 81c Rn. 25; a. A. Geppert, Jura 1988, 365; Rengier, Jura 1981, 304.

Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 572

So bestreitbar diese Rechtsprechung ist, der Verteidiger muß mit ihr rechnen und seine Maßnahmen darauf einstellen. Insbesondere hat er sie bei der zulssigen Beratung eines Zeugen ber das Aussageverweigerungsrecht zu bercksichtigen (Rn. 1152). Hat ein Zeuge schon einmal vor einem Richter ber denselben Sachverhalt ausgesagt, so kommt seiner Aussageverweigerung in der Hauptverhandlung nur noch untergeordnete Bedeutung zu. Die stndige Praxis beruft sich auf die Aufklrungspflicht und vernimmt den „Vernehmungsrichter“. Mit einem Protest gegen diese Verfahrensweise, auch mit der Herbeifhrung eines Gerichtsbeschlusses, wird der Verteidiger in aller Regel keinen Erfolg haben.

571

Dann besteht nur noch die Chance, daß sich der Zeuge an den Inhalt der frheren Bekundung nicht mehr erinnert, bei einem vielbeschftigten Richter an sich kein seltener Fall. Der Verteidiger muß darauf achten, daß der Richter zunchst nach seinem prsenten Wissen zu fragen ist, ehe die frhere Vernehmung vorgehalten werden darf. Die sofortige Verlesung des Protokolls, z. B. bei der Vernehmung von Verhrspersonen, ist nicht statthaft und muß unverzglich beanstandet werden (Rn. 629). In der Praxis wird dem Zeugen die frhere Niederschrift meistens in der Form vorgehalten, daß die Vernehmung in einem Zuge vollstndig vorgelesen wird. Der Zeuge erklrt dann in aller Regel, seine Erinnerung sei jetzt in vollem Umfange zurckgekehrt und er knne besttigen, daß die Beweisperson wie protokolliert ausgesagt habe. Der Verteidiger sollte in allen derartigen Fllen darauf drngen, daß der Vorhalt des Protokolls nur satz- oder abschnittweise erfolgt und die Erinnerung des Zeugen jeweils danach „getestet“ wird. Beweisgrundlage darf nur die Bekundung der Vernehmungsperson in der Hauptverhandlung sein, nicht die Niederschrift ber die Zeugenaussage, die sie entgegengenommen hat453. Das ist freilich ein sehr feiner Unterschied, der in der Praxis stndig verwischt wird. Es ist nmlich kaum zu verhindern, daß die frhere Aussage im Wege des Vorhalts und der Verlesung in die Hauptverhandlung eingefhrt wird454. Nur wenn sich der Richter auch dann nicht mehr an den Inhalt der frheren Bekundung erinnert, sondern lediglich ußert, er habe richtig protokolliert, darf hierauf ein Urteil nicht gesttzt werden455. Bei der richterlichen Vernehmung des Zeugen zur Sache ist es Aufgabe des Verteidigers, auf die Trennung von Bericht und Verhr zu achten (§ 69 Abs. 1). Ein Verstoß hiergegen rechtfertigt die Revision456. Die Teilung ist

453 454 455 456

BGH, StV 1994, 413; BGHSt. 21, 147, 150; BGHSt. 11, 338, 341. Hiergegen zutreffend Hanack, FS Schmidt-Leichner (1977), S. 83. BGH, StV 1994, 413; BGHSt. 21, 149, 150. Dahs/Dahs, Rn. 272 m. N.

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Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

nicht nur zwingend vorgeschrieben457, sie hat auch große praktische Bedeutung458. Ein Zeuge, der nicht mit einem durch Fragen und Vorbehalte beeinflußten Bericht beginnt, sondern nur einzelnen Fragen beantwort, wird oft wesentliche Umstnde verschweigen. Der Verteidiger muß auch aus einem anderen Grunde darauf bestehen, daß der Zeuge vorweg im Zusammenhang berichtet. Das Auftreten des Zeugen und die Art und Weise des zusammenhngenden Berichtes geben wertvolle Hinweise fr den Beweiswert seiner Aussage (Rn. 598). Beantwortet er nur einzelne Fragen, so lßt sich fr die Beurteilung der Person des Zeugen viel weniger gewinnen. Es kommt nicht von ungefhr, daß manche Zeugen den Bericht scheuen und lieber bestimmte Fragen beantworten. Der Verteidiger hat freilich zu bercksichtigen, daß der Richter lenkende Hinweise geben darf, etwa um weitschweifige Erzhlungen zu verhindern, die mit der Sache nichts zu tun haben. Die Erfahrung zeigt, daß solche Hinweise oft die Grenze des zulssigen Vorhalts berschreiten (Rn. 576). Stellt der Richter nach dem Bericht des Zeugen weitere Fragen (§ 69 Abs. 2), so hat der Verteidiger einzugreifen, wenn sie unzulssig sind (Rn. 529 f., 546): Notfalls muß er sie beanstanden (Rn. 533 ff.). Dabei ist zu beachten, daß fr die Zeugenvernehmung die Grenzen des § 136a einzuhalten sind (§ 69 Abs. 3: Rn. 248). So sind Fang- und Suggestivfragen unzulssig; hingegen darf der Richter, brigens auch der Verteidiger bei Ausbung des Fragerechts (Rn. 528 ff.), den Zeugen erneut auf die Wahrheitspflicht hinweisen. Ggfs. muß der Verteidiger schon jetzt beantragen, die Zeugenaussage wrtlich ins Protokoll aufzunehmen (§ 273 Abs. 3: Rn. 666), dabei allerdings auf die engen gesetzlichen Voraussetzungen achten. Der Verteidiger muß ferner eingreifen, wenn ein Zeuge nach Ansichten und Schlußfolgerungen gefragt wird. Allerdings sind die Grenzen flssig. Der Leumundszeuge, der ber Charaktereigenschaften und Ruf des Angeklagten berichtet, muß notwendigerweise „bewerten“; ebenso der Zeuge, der ber den Grad der Trunkenheit eines Beteiligten aussagen soll459. Immer aber sollte der Verteidiger darauf hinwirken, daß auch fr einfache Beurteilungen Tatsachen angefhrt werden. 573

Auf diesen Unterschied hat der Verteidiger insbesondere bei der Vernehmung sachverstndiger Zeugen zu achten. Indessen ist der bergang zum Werturteil hier noch schwieriger, denn der sachverstndige Zeuge sagt ber Tatsachen und Zustnde aus, die er aufgrund seines besonderen Fachwissens wahrnehmen konnte. Auch die Abgrenzung zwischen der

457 BGHSt. 3, 281. 458 Zum Zeugenbericht vgl. Prfer, DRiZ 1975, 334. 459 Meyer-Goßner, Vor § 48 Rn. 4.

400

Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 575

Tatsachenbekundung eines sachverstndigen Zeugen460 und dem Gutachten eines Sachverstndigen ist nicht immer leicht (Rn. 613). Schwierigkeiten bereitet hufig die Vernehmung der Zeugen vom Hrensagen. Sie bekunden, was andere Personen ber den Sachverhalt behauptet haben. Der Verteidiger muß wissen, daß ihre Vernehmung nicht grundstzlich unzulssig oder vllig ohne Beweiswert ist461. Neben dem unmittelbaren Zeugen darf der Zeuge vom Hrensagen stets vernommen werden462, sonst ist seine Vernehmung in aller Regel nicht geeignet, die Vernehmung des unmittelbaren Zeugen zu ersetzen, falls dessen Vernehmung nicht ein rechtliches oder tatschliches Hindernis entgegensteht463. Hinzu kommt, daß sich in fast jeder Aussage eigene Beobachtungen des Zeugen mit Berichten von dritter Seite vermischen. Das geschieht insbesondere bei Sachverhalten, die lngere Zeit zurckliegen. In der Erinnerung wird selbst Erlebtes und nur Berichtetes zu leicht durcheinander gebracht. Bei der Befragung von Zeugen (Rn. 581 ff.) muß der Verteidiger versuchen, sie zu klarer Unterscheidung anzuhalten. Dadurch lßt sich oft der Beweiswert einer belastenden Bekundung erschttern (Rn. 525, 581). Mindestens wird das Gericht gezwungen, einen erreichbaren unmittelbaren Zeugen zu vernehmen, weil es sonst seine Aufklrungspflicht verletzt464. Die Aussage eines Zeugen vom Hrensagen ist auch deshalb problematisch, weil sich der Verteidiger ber die Persnlichkeit des unmittelbaren Zeugen kein eigenes Bild machen kann. Vorhalte und Fragen an den unmittelbaren Zeugen sind nicht mglich. Diese Erfahrungen muß der Verteidiger insbesondere bercksichtigen, wenn die Polizei ihre Gewhrsleute nicht preisgibt und lediglich der Verhrbeamte als Zeuge vernommen wird.

574

Der Verteidiger hat sich dieses Verfahrens zu erwehren und darauf hinzuwirken, daß auch in Staatsschutzsachen, BtM-Sachen u. a. die durch den vernehmenden Beamten mitgeteilten Angaben des anonymen verdeckten Ermittlers oder V-Mannes, des „unheimlichen heimlichen Zeugen“, nicht zur alleinigen Grundlage einer Entscheidung gemacht werden465. Zur Ver-

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Lwe/Rosenberg/Dahs[25], Vor § 48 Rn. 18. Meyer-Goßner, § 250 Rn. 4; grundstzlich BVerfG, NJW 1981, 1719, 1723 ff. BGHSt. 17, 382. Str. vgl. BGHSt. 32, 15, 123; wegen aller Einzelheiten Meyer-Goßner, § 250 Rn. 4. 464 BGHSt. 32, 115, 123. 465 BVerfG, NJW 1996, 448, 449 = StV 1995, 561; BGH, StV 1996, 584; BGH, StV 1996, 412; einschr.: BGH bei Kusch, NStZ 1996, 325, wonach bei einem komplexen Gesamtgeschehen nicht jedes Detail einer anderweitigen Besttigung bedarf; Meyer-Goßner, § 250 Rn. 5.

460 461 462 463

401

Rn. 576

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

nehmung von persnlich besonders gefhrdeten Zeugen, deren genderte Identitt und/oder Aufenthaltsort von der Exekutive geheim gehalten wird, hat das Bundesverfassungsgericht detaillierte Kriterien entwikkelt466, deren Wahrung der Verteidiger streng zu prfen hat. Die Erfahrung zeigt immer wieder, daß die Vernehmung eines Verhrbeamten fast stets zu Schwierigkeiten fhrt. Insbesondere ist die Aussage des sogenannten „Gestndniszeugen“ kritisch zu wrdigen467 (Rn. 631). Der Vernehmung eines „Spitzels“, der dem Angeklagten ein Gestndnis entlockt hat, muß der Verteidiger widersprechen468. Ein solches Verfahren ist mit der Menschenwrde nicht vereinbar469. Ebenso ist es bedenklich, wenn Angehrige der Presse auf eigene Faust „Ermittlungen“ und Nachforschungen angestellt haben und darber als Zeugen vernommen werden. 576

Fast whrend jeder Zeugenvernehmung macht der Richter Vorhalte. Entweder hlt er dem Zeugen aufgrund der Aktenkenntnis bestimmte Umstnde vor, oder benutzt die Akten als Vernehmungsbehelf. Hier heißt es fr den Verteidiger, besonders aufmerksam zu sein. Vorhaltungen verdekken hufig die Erkenntnis, was der Zeuge im Moment seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung wirklich noch weiß. Das ist aber entscheidend fr den Beweiswert seiner Bekundung (Rn. 629 f.). Vorhaltungen drfen die Vernehmung nicht ersetzen, sondern nur dazu dienen, eine ußerung der Beweisperson zu veranlassen. Falls sich ein Zeuge trotz Vorhalt nicht erinnert, darf der Vorhalt als solcher nicht verwertet werden470. Auch muß sich der Verteidiger dagegen wehren, daß der Vorhalt zum Nachvollzug des Akteninhalts entartet, etwa indem die polizeilichen Protokolle auf diese Weise in die Hauptverhandlung eingefhrt werden. Ein Indiz hierfr ist die Hufung von Vorhalten. Dann geht es nicht mehr darum, das Gedchtnis des Zeugen zu sttzen, sondern meist um eine unzulssige Verlesung von Urkunden (Rn. 629 ff.). hnlich ist die Situation, wenn dem Zeugen sofort der ganze Inhalt von Schriftstcken (Vernehmungsprotokolle, Briefe, Aktenvermerke usw.) vorgehalten wird und er pauschal besttigt. Der Verteidiger hat dann zu intervenieren und zu beantragen, daß

466 BVerfGE, 57, 250, 284; BGH, StV 2004, 241 m. Anm. Wattenberg; BGHSt. 33, 83, 91; Meyer-Goßner, Vor § 48 Rn. 10. 467 Zu „Hrfallen“ vgl. BGH (GrS), NStZ 1996, 502 m. krit. Anm. Rieß, abl. Roxin, NStZ 1997, 18. 468 Zu den Grenzen der Verwertbarkeit der „Ermittlungen“ von Spitzeln: BGH (GrS), NStZ 1996, 502 m. Anm. Rieß (polizeilich veranlaßtes Telefongesprch mit dem Tatverdchtigen). 469 Roxin, NStZ 1995, 465 (Verstoß gegen den nemo-tenetur-Grundsatz). 470 BGH, StV 1991, 197 m. w. N.; Meyer-Goßner, § 250 Rn. 14.

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Rn. 577

der Vorhalt abschnittsweise oder satzweise erfolgt und jeweils danach der Zeuge gefragt wird, ob er sich an den verlesenen Inhalt (oder den folgenden) erinnert. berhaupt zeigt die Praxis, daß der Unterschied zwischen Urkundenbeweis und Vorhalt von Urkunden vernachlssigt wird. So darf der Verteidiger den bloßen Vorhalt durch Verlesen nicht dulden, wenn es sich um schwer verstndliche oder umfangreiche Schriftstcke handelt471. Auch drfen die nur vorgehaltenen Schriftstcke nicht wrtlich in die Urteilsgrnde aufgenommen werden472. Darauf ist besonders bei der Vernehmung von Verhrspersonen (Rn. 569 i. d. M., 598) zu achten. Solchen Zeugen darf das Protokoll erst vorgehalten werden, wenn feststeht, was sie aus der Erinnerung selbst noch wissen473. Insbesondere Laienrichter halten hufig nicht auseinander, welche Tatsachen bloßer Vorhalt geblieben und welche Tatsachen ordnungsgemß durch Urkundenverlesung Gegenstand der Hauptverhandlung geworden sind. Es ist Aufgabe des Verteidigers, die nur vorgehaltenen Umstnde, die der Zeuge nicht besttigt, scharf herauszuarbeiten und ihrer Verwertung zu widersprechen (§ 257 Abs. 2!). Es darf nur das verwertet werden, was der Zeuge auf den Vorhalt erklrt hat. Freilich kann der Verteidiger kaum verhindern, daß sich der nicht besttigte Vorhalt trotzdem im Gedchtnis der Richter „festsetzt“ und ihre berzeugungsbildung beeinflußt. Das ist in der Hauptverhandlung oft gar nicht erkennbar und ergibt sich nur manchmal aus den Urteilsgrnden. Im allgemeinen stellt sich das Problem allerdings nicht so zugespitzt, denn in den meisten Fllen ist es zulssig, statt eines erfolglosen Vorhalts auf eine frhere Vernehmung des Zeugen zurckzugreifen. Der Verteidiger hat dafr zu sorgen, daß die frhere Niederschrift nur verlesen wird, falls der Zeuge trotz Vorhalts erklrt, er wisse davon nichts mehr474, oder falls eine Abweichung von der frheren Bekundung nicht auf andere Weise aufgeklrt werden kann (§ 253). Hier wird vom Zeugenbeweis zum Urkundenbeweis bergegangen (Rn. 629). Das wird auch fr statthaft gehalten, wenn im Zusammenhang mit der Zeugenvernehmung eine schriftliche Erklrung des Zeugen verlesen wird, die dieser zu Beweiszwecken verfaßt hatte475. In Zweifelsfllen sollte der Verteidiger die Verlesung beanstanden und einen Gerichtsbeschluß herbeifhren (§ 238 Abs. 2). Trotz geringer Erfolgsaussichten sollte der Verteidiger im Verlaufe einer Zeugenvernehmung stndig prfen, ob es zweckmßig ist, den Antrag zu 471 472 473 474 475

BGHSt. 11, 159, 160. BGHSt. 5, 278. BGHSt. 3, 281. OLG Kln, NJW 1965, 830. BGH, NJW 1965, 874.

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stellen, den Wortlaut der Aussage zu protokollieren (§ 273 Abs. 3) (Rn. 666). Erfahrungsgemß wird jeder Zeuge vorsichtig, sobald er durch den Antrag auf wrtliche Protokollierung merkt, daß es darauf ankommt. Hier handelt es sich freilich um ein mehr taktisches Verteidigungsmittel, weil in aller Regel die Gerichte der Meinung sind, daß es nicht auf den Wortlaut, sondern auf den Sachinhalt der Aussage ankommt476. Dazu sollte in der Antragsbegrndung etwas gesagt werden. Kann die Protokollierung durchgesetzt werden, so darf der Verteidiger nicht bersehen, die Verlesung des aufgenommenen Wortlauts zu beantragen. Dies ist auch zweckmßig, um eine entlastende Bekundung besonders hervorzuheben. Sie prgt sich auf diese Weise insbesondere ehrenamtlichen Richtern ein und gert auch nach lngerer Hauptverhandlung nicht so leicht in Vergessenheit. Insgesamt sind die Mglichkeiten des § 273 Abs. 3 aber mehr begrenzt. Stndige Antrge nach § 273 Abs. 3 werden in der Praxis dem Arsenal der „Chaosverteidigung“ (Rn. 36, 71, 198, 444, 695, 807) zugerechnet477. 578

Die Reihenfolge der Zeugenvernehmung darf der Verteidiger nicht dem Gericht allein berlassen. Bekundungen der zuerst vernommenen Zeugen wirken erfahrungsgemß nachhaltig, vor allem auf die ehrenamtlichen Richter. Im allgemeinen wird es sich um die sog. Belastungszeugen handeln, die zuerst vernommen werden. Das kann man nicht verhindern. Es ist Sache des Vorsitzenden, die Reihenfolge der Vernehmungen zu bestimmen (§ 238 Abs. 1), die im brigen auch durch das materielle Recht beeinflußt wird. Der Verteidiger wird deshalb die gewnschte Reihenfolge nur durchsetzen knnen, z. B. wenn er sachlich berzeugende Grnde dafr vortrgt, was aber die Gefahr mit sich bringen kann, die Verteidigungsstrategie offenlegen zu mssen. Besser ist eine Kontaktaufnahme mit dem Vorsitzenden vor der Hauptverhandlung, die durchaus zu einer Verfahrensabsprache – nur hinsichtlich des Prozedierens, nicht des Ergebnisses – fhren kann. In jedem Falle hat er aber darauf zu achten, daß der „mittelbare Zeuge“, z. B. der Verhrsbeamte, nicht vor einem erreichbaren unmittelbaren Tatzeugen vernommen wird.

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Der Verteidiger hat die Gegenberstellung eines Zeugen mit anderen Beteiligten anzuregen, falls sie im Interesse des Mandanten geboten ist. Oft trgt sie zur Aufklrung bei, kann aber natrlich auch zum Nachteil des Angeklagten ausgehen. In jedem Falle der Gegenberstellung muß die Reaktion der Beteiligten festgehalten werden. Hieraus lassen sich fr den Beweiswert der einen oder anderen Darstellung wertvolle Schlsse ziehen 476 Meyer-Goßner, § 273 Rn. 22. 477 Dazu Dahs, FS Odersky (1996), S. 317, 323.

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(Rn. 598). Ein Beweisantrag auf Gegenberstellung wird sich zuweilen allerdings nur schwer schlssig formulieren lassen. Bei der Befragung eines Zeugen durch Staatsanwalt oder Mitverteidiger zeigt sich, welche Umstnde der Staatsanwalt und der Mitverteidiger fr wesentlich halten. Der Verteidiger muß prfen, inwieweit die Fragen und ihre Beantwortung fr den Verteidigungsplan von Bedeutung sind. Ggfs. hat er bei der Befragung der Zeugen (Rn. 585) diese Teile des Sachverhalts erneut aufzugreifen. Stellt der Staatsanwalt unzulssige (Rn. 526, 529 f., 546) oder ungeeignete (Rn. 529 f., 546) Fragen, so ist zu widersprechen und ggfs. ein Gerichtsbeschluß herbeizufhren (§ 242).

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Bei der Befragung der Zeugen durch den Verteidiger bt dieser sein gesetzliches Fragerecht aus (§ 240 Abs. 2). Er muß dabei sachlich bleiben und darf den Zeugen nicht herabsetzen (Rn. 210 ff., 526). Auch sind die Grenzen des Fragerechts nach Form und Inhalt zu beachten (Rn. 525). Dadurch wird vermieden, daß Richter oder Staatsanwalt den Fragen des Verteidigers widersprechen. Die Erfahrung lehrt, daß nur die ungestrte Befragung eines Zeugen das bestmgliche Ergebnis gewhrleistet. Die Beachtung der rechtlichen Grenzen des Fragerechts reicht aber allein nicht aus. Gerade um einen Zeugen richtig befragen zu knnen, muß der Verteidiger die Regeln der Vernehmungstechnik beherrschen, eben jene Kunst der Beweiserhebung. Hierbei muß er sich in die Lage des Zeugen versetzen und zu erkennen suchen, warum der Zeuge in bestimmter Weise antwortet oder nicht antwortet. An sein eigenes Verhalten bei der Zeugenvernehmung hat der Verteidiger einen strengen Maßstab anzulegen. Er darf nichts dem Zufall berlassen. So muß er genau berlegen, welcher Ton angebracht ist. Meist bewhrt sich der ruhige, freundliche Ton. Gleichmßiger Tonfall wird die Regel sein. Selbst verstockte, ausweichende oder dem Mandanten feindlich gesinnte Zeugen lassen sich durch eine solche Vertrauensbrcke zum Reden bringen. Jedenfalls sollte der Verteidiger die Befragung in ruhiger Form beginnen, damit der Zeuge sich auf ihn einstellen kann. Diese Art des Verhrs ist auch aus einem anderen Grunde zu empfehlen. Aus zu starker Betonung von Teilen einer Frage oder von ganzen Fragen kann der aufmerksame Zeuge erkennen, worauf es ankommt und gegebenenfalls seine Antwort danach einrichten. Indessen gibt es kein allgemein gltiges „Rezept“. Die Art der Befragung hngt immer von der Persnlichkeit des Zeugen ab. So knnen alsbald energische Vorhalte geboten sein, etwa um dem Zeugen vor Augen zu halten, daß man ihm nicht glaubt. In einem solchen Falle darf und muß der Verteidiger deutlich seine Meinung sagen (Rn. 210, 529 f.). In der Regel kommt man aber zunchst mit Geduld und Ruhe am weitesten. Man sollte berhaupt jeden Zeugen grundstzlich zunchst in freundlicher

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Weise befragen, um sein Vertrauen zu gewinnen und bei Belastungszeugen deren instinktive Abwehrhaltung zu berwinden. Man kann damit eine Entschrfung der Aussage zugunsten des Angeklagten erreichen und Widersprche zur Einlassung des Mandanten beseitigen oder vermindern. Erst wenn diese Mglichkeiten erschpft sind, ist der Zeitpunkt gekommen, vorhandenes Material gegen den Zeugen einzusetzen, z. B. Fragen nach (relevanten) Vorstrafen, Disziplinarverfahren und dergleichen oder aus der persnlichen Vergangenheit des Zeugen oder Feindschaft und feindliche Einstellung zum Mandanten. Ruhiges Auftreten ist besonders auch dann notwendig, wenn ein Zeuge weitschweifig wird. Entweder kann er sich nicht knapp ausdrcken oder er will vom Kern der Sache ablenken. Hier bewhrt es sich, den Zeugen erst einmal reden zu lassen, ihn im geeigneten Augenblick zu unterbrechen und die Frage, vielleicht jetzt mit gehobener Stimme, kurz und knapp zu wiederholen. Der Schock der Unterbrechung und die schlagartige Wiederholung wirken oft Wunder. berhaupt sollte der Verteidiger versuchen, eine Frage so przise zu stellen, daß sie mit ja oder nein beantwortet werden kann. Das erfordert zwar hohe Konzentration und eine gute Vorbereitung auf die Zeugenvernehmung (Rn. 442 ff.), hat aber eine Reihe von Vorteilen. Richter und Staatsanwalt werden selten einen Grund finden, solche Fragen zu beanstanden. Der Zeuge wird gehindert, ins Uferlose zu geraten oder auszuweichen. Solche Zeugen kann der Verteidiger gelegentlich auch bitten, seine Fragen nur mit ja oder nein zu beantworten. Sie wissen dann, daß man sich auf Ausreden nicht einlßt. Mit knapper Formulierung seiner Fragen erreicht der Verteidiger auch am besten, daß er selbst wenig redet. Er darf die Antworten des Zeugen nicht durch lange Fragen vorwegnehmen, er darf den Zeugen auch nicht mit Erluterungen „zudecken“. Damit kann man einen Zeugen nicht nur verwirren, man verhindert auch leicht, daß der rechte Eindruck ber den Wert der Aussage entsteht. Aus diesen Grnden sollte der Verteidiger es auch vermeiden, mehrere Fragen auf einmal zu stellen. Aufeinanderfolgende Fragen lassen eine genauere Beantwortung zu. Ihre Reihenfolge muß allerdings im Einzelfall berlegt sein. 582

Nicht immer ist es zweckmßig, die „Hauptfrage“ sofort zu stellen oder die einzelnen Fragen dem zeitlichen Ablauf des Geschehens anzupassen. Oft ist es ratsam, sich zunchst mit scheinbar nebenschlichen Fragen an das Wissen des Zeugen „heranzutasten“, um im geeigneten Moment nach dem wichtigen Umstand zu fragen. Diese Art des Verhrs bewhrt sich gegenber Zeugen, die den Mandanten belasten. Auch Zeugen, die sich unangenehmen Fragen dadurch entziehen wollen, daß sie sich auf ihr Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 (Rn. 564) berufen, ist auf diese Weise manchmal beizukommen. Anders liegt es meist bei Zeugen, die der Verteidiger benannt hat. Hier weiß er, was der Zeuge voraussichtlich aus406

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Rn. 584

sagen wird, und kann alsbald auf den Kern der Sache zu sprechen kommen. Auch muß der Verteidiger stets bedenken, daß es gefhrlich sein kann, eine gnstige Aussage zu vertiefen. Sie wird dann hufig in Frage gestellt, „zerredet“ und schlgt ins Gegenteil um. All diese Erfahrungen gelten nur cum grano salis. Da der Verteidiger die Vernehmungstechnik auf die Persnlichkeit des Zeugen abstellen muß, hat er dessen Bildungsstand und Beruf sowie etwaige Beziehungen zum Mandanten oder anderen Beteiligten und die Einstellung des Zeugen zur Sache zu bercksichtigen, nicht zuletzt Geschlecht und Alter des Zeugen. Diese Umstnde bestimmen, wie er „angefaßt“ werden soll (Rn. 561, 588 ff.). Die Vernehmung von Polizeibeamten, Steuerfahndern und anderen Ermittlungsbeamten als Zeugen ist ein besonderes Kapitel. Sie sind durch ihren Beruf geschulte Zeugen, die sich nicht so leicht eine Blße geben; dem Verteidiger treten sie oft mit Mißtrauen oder Ablehnung gegenber. Sie sehen in ihm den Gegner, der sich der Durchsetzung des Rechts in den Weg stellt und ihr Verhalten ist durch latente Gereiztheit oder „stures“ Beharren gekennzeichnet. Ruhige Sachlichkeit hilft hier noch am ehesten weiter. Es ist auch unklug, aus einer festgestellten einzelnen Unrichtigkeit sofort eine „cause celbre“ zu machen, weil der Zeuge sich dann vollends verschließt und dadurch ein kritisches „Hinterfragen“ der wirklichen Kernprobleme des Falles blockiert. Andere Polizei-Zeugen wiederholen den Inhalt ihrer Anzeige und Ermittlungsberichte so perfekt, daß sich die Frage nach einer Terminsvorbereitung anhand von Aktendoppeln aufdrngt. In spektakulren und schwierigen Großverfahren ist die Polizei auch dazu bergegangen, „ihre“ Zeugen durch einen dafr ausgebildeten Planstellenbeamten beraten und auf die Vernehmung vorbereiten zu lassen478. Der Verteidiger muß dieses hchst bedenkliche behrdeninterne Zeugentraining in allen Einzelheiten aufdecken und bei der Beweiswrdigung auswerten.

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Besonderer Vorbereitung bedarf im allgemeinen die Befragung von Kindern und Jugendlichen. Sie stehen noch in der Entwicklung und reagieren daher anders als Erwachsene (Rn. 601 f.). Deshalb muß der Verteidiger einen guten Kontakt zu solchen Zeugen herstellen. Er kann dies durch einleitende Fragen erreichen. Seine Fragen mssen im besonderen Maße dem Begriffsvermgen und der Vorstellungswelt des Zeugen angepaßt sein, sonst sind sachgerechte Antworten nicht zu erwarten. Bei der audiovisuellen Zeugenvernehmung479 nach § 247a muß der Verteidiger darauf

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478 Vgl. Maeffert, Polizeiliche Zeugenbetreuung, was wissen wir heute darber?, StV 1981, 370. 479 Dazu Schlothauer, StV 1999, 47.

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achten, daß seine Fragen im Wortlaut und in der von ihm intendierten Tonlage bertragen werden. Auch in anderen Fllen hat der Verteidiger den Antrag zu erwgen, daß ihm gem. § 241a Abs. 2 die unmittelbare Befragung berlassen wird. 585

In vielen Fllen reicht die bloße Befragung eines Zeugen nicht aus. Vorhalte des Verteidigers sind vielfach geboten. Das gilt insbesondere fr Zeugen, die den Mandanten belasten. Ebenso wie der Richter hat der Verteidiger die Regeln ber den Vorhalt zu beachten (Rn. 576, 629 f.). Darber hinaus ist es notwendig, den Vorhalt im geeigneten Moment anzubringen. Im allgemeinen ist es unzweckmßig, die Befragung mit einem Vorhalt zu beginnen. Es wird zunchst ntig sein, durch einleitende oder anknpfende Fragen (Rn. 528) den Zeugen in den „Griff“ zu bekommen, um dann den Vorhalt przise vorzutragen. Erfahrungsgemß ist hier bestimmteste Form angebracht. Fr Vorhalte aus den Akten muß der Verteidiger die richtige Stelle bereit haben, wobei sich ein genauer Plan fr die Hauptverhandlung bewhrt (Rn. 445, 507). Erinnert sich der Zeuge an die frhere Bekundung nicht mehr, so muß der Verteidiger sie wrtlich vorlesen und den Zeugen ggfs. auf den Widerspruch hinweisen. Schweigt der Zeuge oder antwortet er ausweichend, so kann der Beweiswert seiner Aussage in Zweifel gezogen werden. Handelt es sich hierbei um wesentliche Tatsachengrundlagen fr die Entscheidung, so sollte jedenfalls versucht werden, den Vorhalt und die Reaktion des Zeugen wrtlich in die Niederschrift aufnehmen zu lassen (Rn. 577, 702). Auch empfiehlt es sich, die Verlesung der frheren Vernehmung zu beantragen und sie auf diese Weise zum Gegenstand des Urkundenbeweises zu machen (Rn. 621). Schließlich kommt in Betracht, durch eine Erklrung (§ 257 Abs. 2) im Anschluß an die Vernehmung des Zeugen (und seine Entlassung!) die fr die Verteidigung wichtigsten Punkte zu wiederholen und mit einem kurzen Kommentar zu versehen, damit der Vorgang sich dem Gericht besonders einprgt. Das sollte allerdings nicht dazu fhren, daß der Zeuge erneut geladen wird!

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Die Regelvereidigung im Strafprozeß ist durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz vom 24. 8. 2004 abgeschafft480. Vereidigung von Zeugen ist jetzt die Ausnahme. Dabei kommt es darauf an, ob das Gericht sie wegen der ausschlaggebenden Bedeutung der Aussage oder zur Herbeifhrung einer wahren Aussage fr erforderlich hlt (§ 59 Abs. 1 n. F.). Beschlußfassung ber die Vereidigung oder Nichtvereidigung der Zeugen kann fr das Urteil entscheidend sein. Das gilt vor allem fr die Variante der „ausschlaggebenden“ Bedeutung der Aussage – in fr den Angeklagten positi480 Dafr schon Dahs, FS Rebmann (1989), S. 161.

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ver oder negativer Hinsicht. Das knnte den Verteidiger veranlassen und ihm evtl. zur Pflicht machen, so zu pldieren wie zum Urteil. Das kommt aber eigentlich nur in Betracht, wenn das Gericht die Entscheidung ber die Vereidigung aller Zeugen bis zum Schluß der Beweisaufnahme zurckstellt (§ 257 Abs. 3). Eine erschpfende Stellungnahme hat den Nachteil, daß im Falle ihrer Erfolglosigkeit die Entschließung des Gerichts, die Zeugen zu vereidigen, weil ihre Aussage als ausschlaggebend und glaubwrdig angesehen wird, ungefhr den Charakter absoluter Endgltigkeit hat. Außerdem ist von der psychologischen Seite zu beachten, daß der Verteidiger sich den Unwillen des Gerichts zuzieht. Gegen diese Bedenken wre geltend zu machen, daß das Gericht eine Vereidigung auch bei Zweifeln an der Glaubwrdigkeit „vernehmlich“ in Erwgung ziehen knne, um zu testen, ob der Zeuge nicht unter dem Druck des Eides von seiner Aussage abrckt. Der Verteidiger kann im spteren Pldoyer darauf hinweisen und versuchen, dem Gericht das Abrcken von der Vereidigung zu erleichtern. Sehr aussichtsreich wird das aber in der Regel nicht sein. Die richtige Entschließung ist eine sehr schwere Entscheidung des Einzelfalles, die mit von der Persnlichkeit der Richter, dem Ansehen des Verteidigers und dem Verhandlungsklima abhngt. Scheidet eine umfassende Stellungnahme aus, was die Regel sein wird, so muß der Verteidiger wenigstens in prgnanter Krze seinen Standpunkt zur Vereidigung zum Ausdruck bringen und einen Gerichtsbeschluß (§ 238 Abs. 2) herbeifhren. Ob es in der Revision dann gelingt, einen relevanten Ermessensfehler des Gerichts zu erweisen, ist allerdings eine andere Frage481. Im brigen muß der Verteidiger Inhalt und Grenzen der Vereidigungsverbote (§§ 60, 61) kennen. Zu Auseinandersetzungen kommt es vor allem, sobald die Vereidigung eines „tatverdchtigen“ Zeugen (§ 60 Nr. 2) errtert wird. Dabei ist der Begriff der Tatbeteiligung weit zu fassen482. Aus den ußerungen des Gerichts zum Grund der Vereidigung drfte in der Regel zu entnehmen sein, ob es dem Zeugen glauben will. Hatte das Gericht den Zeugen wegen der Gefahr einer strafgerichtlichen Verfolgung belehrt (Rn. 563) und soll er nun vereidigt werden, so wird es seinen Angaben meist folgen wollen; mindestens ergibt sich daraus, daß der Richter den Zeugen nicht mehr als verdchtig ansieht483. Schwierig kann z. B. folgender Fall werden: Der Verteidiger weiß aus einem ihm vorliegenden Schriftstck, daß der seinen Mandanten belastende Zeuge die Unwahrheit sagt. Er erkennt aber auch, daß das Gericht dem 481 Vgl. dazu BGH, NStZ 2005, 340; Sommer, AnwBl. 2004, 506 f. 482 BGH, NStZ 1983, 516; BGH, StV 1982, 342; Meyer-Goßner, § 60 Rn. 11. 483 BGHSt. 23, 30, 32; Meyer-Goßner, § 60 Rn. 23.

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Zeugen glauben und die Aussage als ausschlaggebend beeidigen lassen will. Wrde er das Schriftstck, das den Zeugen der Unwahrheit berfhrt, whrend der Vernehmung prsentieren, befrchtet er, daß dies in den Augen des Gerichts nicht ausreichen knnte, um die Aussage des Zeugen insgesamt als unglaubhaft zu erweisen. Er lßt daher den Zeugen ohne Widerspruch und prsentiert dann die Urkunde, die den Meineid beweist. Damit ist die problematische Frage aufgeworfen, ob der Verteidiger verpflichtet ist, den ihm bekannten Meineid eines Belastungszeugen zu verhindern484. Diese Frage muß im Ergebnis wohl jedenfalls dann verneint werden, wenn berwiegende Grnde der Verteidigung fr ein solches Vorgehen sprachen. In der Regel drfte es allerdings ausreichen, wenn eine solche Urkunde oder ein vergleichbares Beweisstck prsentiert wird, nachdem der Zeuge sich zur Eidesleistung bereit erklrt hat und diese unmittelbar bevorsteht. 587

Beabsichtigt das Gericht nach Vernehmung und Befragung eines Zeugen dessen vorzeitige Entlassung (§ 248), so darf der Verteidiger nicht ohne weiteres zustimmen. Er hat zu prfen, ob dem Zeugen alle sachdienlichen Fragen vorgelegt sind, ob eine Gegenberstellung mit anderen Beteiligten, z. B. spter erscheinenden Zeugen, notwendig (Rn. 579) und ob die Frage der Vereidigung bzw. Nichtvereidigung abschließend geklrt ist. Es kann auch zweckmßig sein, einzelne Fragen an einen Zeugen bis nach der Vernehmung anderer Zeugen zurckzustellen. Dann muß der Verteidiger der Entlassung widersprechen (§ 238 Abs. 2). Sonst ist er darauf angewiesen, einen Beweisantrag zu stellen485, dessen Ergebnis ungewiß ist (Rn. 647 f.). Nach jeder Zeugenvernehmung muß sich der Verteidiger mit dem Beweiswert der Aussage auseinandersetzen. Er hat zu prfen, ob die Bekundung des Zeugen richtig ist und wie das Gericht die Aussage beurteilt. Es wre verfehlt und pflichtwidrig, diese berlegung allein dem Gericht zu berlassen. Die richterliche Beurteilung muß nicht zuletzt durch das beeinflußt werden, was der Verteidiger zum Beweiswert einer Zeugenaussage vorzutragen hat. Er hat das Recht, dazu sofort eine Erklrung abzugeben (§ 257 Abs. 2 – Rn. 520 ff.).

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Dazu braucht er eine genaue Kenntnis der „Aussagepsychologie“, die ihn in die Lage versetzt, den Wert einer Aussage zu unterstreichen oder ihre Fehlerquellen aufzudecken. Hier knnen nur einige wesentliche Gesichtspunkte und praktische Hinweise gebracht werden. Dabei sollte man sich stets bewußt bleiben, daß die Problematik vielschichtig und schwierig ist. 484 Vgl. dazu BGHSt. 4, 327; Schnke/Schrder/Lenckner, Vor §§ 153 ff. Rn. 37. 485 BGHSt. bei Holtz, MDR 1978, 626.

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Rn. 591

Das Augenfllige darf nicht die einzige Richtschnur sein. Der Verteidiger muß tiefer eindringen und versuchen, auch verborgene Regungen der menschlichen Seele aufzuhellen. Hierzu ist es oftmals geboten, Spezialliteratur zu studieren (vgl. das vor Rn. 560 angef. Schrifttum). Die Erfahrung beweist, daß es zweckmßig ist, in dem diffizilen Bereich der Aussagepsychologie mit festen Begriffen zu arbeiten. Das erleichtert nicht nur dem Verteidiger die Erkenntnis des Beweiswertes einer Aussage, er kann damit auch dem Gericht, vor allem ehrenamtlichen Richtern, die Problematik vereinfacht darstellen. Es empfiehlt sich deshalb, jede Bekundung nach „Aussagetchtigkeit“, „Aussageehrlichkeit“ und „Aussagerichtigkeit“ zu beurteilen.

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Die „Aussagetchtigkeit“ der Menschen zeigt eine breite Skala. Sie bestimmt sich danach, was der Zeuge unter den gegebenen Verhltnissen tatschlich wahrnehmen konnte, woran er sich erinnern kann und ob er in der Lage ist, das Erlebte genau zu schildern. Bei Prfung dieser drei Fhigkeiten (Wahrnehmung, Erinnerung und Wiedergabe) muß sich der Verteidiger mit der Persnlichkeit des Zeugen befassen. Hierzu finden sich hufig Hinweise in den Akten. Ausbildung, Intelligenz und Begabung spielen eine große Rolle. Je intelligenter der Zeuge, desto eher zieht er Schlsse und ußert Meinungen, statt Tatsachen wiederzugeben. Danach sieht es hufig so aus, als ob der Zeuge umfassend beobachtet habe. Vor allem ehrenamtliche Richter nehmen Ansichten und Urteile solcher Zeugen oft als bare Mnze. Falls der Richter den Zeugen nicht an der Bekundung von Tatsachen festhlt, muß der Verteidiger bei der Befragung des Zeugen den Unterschied zwischen Wahrnehmung und Vorstellung deutlich herausarbeiten. Die Zuverlssigkeit einer Aussage bestimmt sich ferner nach den Eigenschaften eines Zeugen. Der Verteidiger sieht sich immer wieder Zeugen gegenber, die verstockt, trotzig, ngstlich, geltungsbedrftig oder hochmtig sind. Auch die beruflichen und familiren Bindungen des Zeugen und seine Zugehrigkeit zu bestimmten sozialen Ordnungen lassen Rckschlsse zu, ebenso sein Alter und seine seelische und krperliche Verfassung im Moment der Beobachtung. Dem unter Alkohol oder unter Betubungsmitteln stehenden Zeugen fehlt im allgemeinen die Fhigkeit zur genauen Beobachtung; auch erhebliche Erkrankungen knnen sich negativ auswirken.

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Jeder Verteidiger weiß, daß die Aussage eines unbeteiligten Zeugen grßeres Gewicht besitzt, whrend der auch nur mittelbar betroffene Zeuge in Gefahr geraten kann, unbewußt seine Wunschvorstellungen anstelle von Wahrnehmungen zu setzen. Ebenso ist in der Regel die Bekundung des unmittelbaren Zeugen beweiskrftiger als die Aussage des Zeugen vom

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Rn. 592

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

Hrensagen (Rn. 574). Der „Zeuge vom Zeugen“ gibt die ihm mitgeteilten Tatsachen hufig entstellt wieder. Seine Bekundung hat allenfalls indiziellen Beweiswert. Besonders aufmerksam muß sich der Verteidiger mit der Frage befassen, ob der Zeuge den geschilderten Vorgang und die beteiligten Personen berhaupt beobachten konnte. Standort, Beleuchtungsverhltnisse, Sehschrfe und Entfernung zum „Tatort“ (notfalls Ortstermin beantragen [Rn. 682] und sich nicht auf Schtzungen einlassen), aber auch Erregung oder gar Entsetzen des Zeugen oder der Zeugen mgen hier als Stichworte gengen. Problematisch ist insbesondere das vermeintlich sichere Wiedererkennen einer Person486 (Rn. 294). Hier ist die Fhigkeit des Zeugen, sich zu erinnern, von großer Bedeutung. Das Erinnerungsbild wird nicht nur durch Zeitablauf getrbt, sondern auch durch frhere ußerungen im Gesprch mit Dritten und Vernehmungen ber den Vorgang. Das Erinnerungsbild kann aber auch „aufgefrischt“ worden sein durch Lichtbildvorlage487, „zufllige“ Begegnungen mit dem Angeklagten u. a. Das muß der Verteidiger aufklren und herauszufinden versuchen, ob nicht die Zeugen in dem Angeklagten nur die ihnen von dem Foto bekannte Person wiedererkennen488 oder ob ein frherer Wiedererkennungstest erfolglos war489. Ein Zeuge, der beruflich stndig mit Vernehmungen zu tun hat, wird sich begreiflicherweise an die einzelne Anhrung nur selten erinnern knnen. Deshalb muß der Verteidiger darauf bestehen, daß zunchst das „parate Wissen“ des Verhrsbeamten festgestellt wird (Rn. 576). Das ist auch notwendig, bevor dem Zeugen seine eigene frhere Aussage vorgehalten wird (Rn. 576). Man kann sonst nicht erkennen, ob der Zeuge den Tatvorgang schildert oder lediglich die frhere Vernehmung wiedergibt (Rn. 630). 592

Bei Prfung der „Aussageehrlichkeit“ muß man den Motiven nachgehen, die einen Zeugen bestimmen knnen, bewußt oder unbewußt von der Wahrheit abzuweichen. Hierauf muß der Verteidiger schon bei der Vernehmung zur Person achten und ggfs. die persnlichen Beziehungen zu einem Beteiligten offenlegen (Rn. 562). 486 BGH, NStZ 1994, 299, 296 = NJW 1994, 1807 zur berfhrung des Tters durch Stimmenvergleich; BGH, StV 1991, 501; BGH, StV 1993, 627; OLG Hamm, NStZ-RR 2000, 213. 487 Dazu u. a. BGH, StV 2004, 58 (Lichtbildvorlage und wiederholtes Wiedererkennen); BGH, StV 1996, 649; Odenthal, Rechtsprobleme des Wiedererkennens, S. 9, 17; Khnken, Identifizierung von Tatverdchtigen durch Augenzeugen, 1990. 488 BGHSt. 16, 201; BGH, StV 1981, 55; BGH, NStZ 1987, 288; BGH, StV 1991, 509; BGH, StV 1997, 180; vgl. auch BGH, NStZ 1997, 355 zum Beweiswert des Wiedererkennens nach frherer Gegenberstellung. 489 LG Gera, StV 1997, 180.

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Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 595

Dabei darf er die „Gruppeninteressen“ nicht außer acht lassen, den „Korpsgeist“, der oft die Angaben eines Zeugen beeinflußt. Gehrt er zur Gruppe des Angeklagten, so wird er nicht selten versuchen, ihn zu entlasten (z. B. die „gegnerischen“ Autoinsassen). Steht er der Gruppe des Verletzten nahe, so wird er umgekehrt leichter dazu neigen, den Tter zu belasten. Daneben gibt es noch eine dritte Gruppe, die im forensischen Alltag in Erscheinung tritt. Das sind die Zeugen, die meist unbewußt zu anderen Zeugen halten und deren Angaben besttigen, obwohl sie selbst den Vorgang weniger gut beobachten konnten (etwa die „Verkehrspolizisten“). Diese „Protektion der Solidaritt“ ist nicht immer leicht zu erkennen.

593

Dagegen lßt sich das Motiv fr eine unrichtige Bekundung meist besser aufklren, wenn der Zeuge an der Tat beteiligt ist. Ein verdchtiger Zeuge macht nicht immer von seinem Auskunftsverweigerungsrecht (Rn. 564) Gebrauch; er frbt lieber seine Aussage, weil er sonst offenbaren mßte, daß er etwas zu verheimlichen hat. Deshalb darf auch der Zeuge nicht vereidigt werden, der verdchtig ist, die Tat begangen zu haben, die dem Angeklagten vorgeworfen wird (§ 60 Nr. 2). Beteiligte Zeugen sind ohnehin in dem Wunsch befangen, ihren eigenen Beitrag zu bagatellisieren. Erfahrungsgemß gilt das im besonderen Maße fr die Bekundung von frheren Mitbeschuldigten und Mitangeklagten. Sie sind entweder durch Einstellung oder Verurteilung aus dem Verfahren ausgeschieden. Auch ist vielleicht ihr Verfahren noch nicht bis zur Hauptverhandlung gediehen und deshalb abgetrennt. Solche Zeugen sind von Haus aus voreingenommen. Der Beweiswert ihrer Aussagen ist gering. Entweder glauben sie sich in einer Art „Schicksalsgemeinschaft“ mit dem Angeklagten und versuchen, ihn zu entlasten, oder aber sie belasten ihn ungerechtfertigt, um sich ins gute Licht zu setzen490. Die Erfahrung lehrt, daß ihre Vernehmung als Zeugen fr den Mandanten meist nachteilig ist.

594

Der Verteidiger muß daher auch einer Trennung der Verfahren widersprechen, soweit dies in seinen Krften steht. Er kann darauf hinweisen, daß der Mitbeteiligte von seinem Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 Gebrauch machen kann; allerdings knnen dann frhere Aussagen verwertet werden491 (Rn. 564). Insbesondere hat sich der Verteidiger dagegen zu wehren, daß die Trennung ausschließlich zu dem Zwecke beschlossen wird, einen Mitangeklagten als Zeugen zu vernehmen492 („Rollen-

595

490 OLG Koblenz, StraFo 2004, 279. 491 Dazu i. e. Lwe/Rosenberg/Dahs[25], § 55 Rn. 19 m. N. 492 Zulssig nach BGH, NJW 1964, 1034; BGHSt. 25, 257; vgl. i. . Meyer-Goßner, Vor § 48 Rn. 22.

413

Rn. 596

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

tausch“)493. Mindestens ist die Trennung unzulssig, wenn der Angeklagte zu einem Tatgeschehen als Zeuge gehrt werden soll, das auch ihm zur Last gelegt wird494. In diesem Zusammenhang kann der Verteidiger auch auf die allgemeine Erfahrung hinweisen, daß Zeugen nicht offen reden, wenn sie um ihren Ruf frchten mssen. Sie schmen sich, eigenes Fehlverhalten aufzudecken. Oft sind sie auch in einer fr Außenstehende nicht immer erkennbaren Zwangslage. Dazu gehrt der Zeuge, der eine frhere Aussage nicht aufgeben will, um sich nicht als Lgner zu entlarven. 596

Der Verteidiger muß sich stndig damit auseinandersetzen, ob der Bekundung des Verletzten geglaubt werden kann. Dieser ist meist befangen, auch wenn er nicht Nebenklger ist, ihn die Straftat etwa nur mittelbar betrifft495. So, wenn ihn die Tat des Angeklagten dem Verdacht der Teilnahme aussetzt und dadurch sein Ansehen geschdigt wird496. Der Verteidiger wird nicht nur der Vereidigung eines solchen Zeugen widersprechen (Rn. 586), er muß auch den Beweiswert der Aussage besonders kritisch wrdigen. Gute Grnde lassen sich vorbringen, falls der Nebenklger sein Recht beansprucht, in der Verhandlung anwesend zu sein. Wird er als Zeuge vernommen, so kennt er die Einlassung des Angeklagten und kann seine Aussage danach einrichten (Rn. 1057).

597

Der Wille eines Zeugen zur richtigen oder falschen Bekundung wird schließlich durch seinen Charakter bestimmt. Charaktermngel fhren hufig zu Falschaussagen. Der Verteidiger braucht Erfahrung im Umgang mit Menschen und psychologisches Fingerspitzengefhl, um beurteilen zu knnen, ob z. B. der Zeuge charakterlich sauber oder bsartig ist. Danach richtet sich auch, wie der Zeuge zu vernehmen ist. Es wird nicht hufig gelingen, einem Zeugen voll nachzuweisen, er habe seine Aussage aus verwerflichen Motiven, etwa aus Rachsucht, absichtlich falsch gemacht. Manchmal gengt es aber, durch geschickte Fragen Zweifel an seiner Aufrichtigkeit zu wecken. Bswilligen Absprachen von Zeugen kommt man gelegentlich auf die Spur, wenn schon vernommene Zeugen in einer Verhandlungspause intensiv mit spter zu vernehmenden Zeugen sprechen (Umgehung des § 58 Abs. 1). Darauf muß der Verteidiger in Verhandlungspausen ebenso achten wie auf Gesprche zwischen Zuhrern und noch zu vernehmenden Zeugen. Diese sollte er nicht unterbinden, sondern zum Gegenstand der Befragung machen. Auch wenn derselbe

493 494 495 496

414

Dazu eingehend Prittwitz, NStZ 1981, 463. BGH, StV 1984, 186; BGH, JP 1969, 148 m. Anm. v. Gerlach. BGHSt. 5, 85. BGHSt. 17, 248.

Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 599

Zuhrer wiederholt den Sitzungsraum verlßt, kann eine Prfung geboten sein, ob er „spteren“ Zeugen Informationen gibt. Dagegen kann auch das Gericht mobilisiert werden. Die Bewertung einer Zeugenaussage muß letztlich in die Frage mnden, ob die Bekundung objektiv richtig ist („Aussagerichtigkeit“). Hierfr hat der Verteidiger auch das Verhalten des Zeugen whrend der Aussage auszuwerten. Ob ein Zeuge flssig oder stockend redet, ob er aus dem Gedchtnis frei schildert oder Auswendiggelerntes herleiert, ob er mit ruhiger oder erregter Stimme spricht, kurz: Solche einfachen psychologischen Indizien knnen zeigen, was von der Zeugenaussage zu halten ist. Dabei darf das ußere Auftreten des Zeugen nicht vernachlssigt werden. Unruhige Krperhaltung, unsteter Blick, Mienenspiel, nervse Bewegungen der Hnde geben oft Aufschlsse. Der Verteidiger muß aber auch wissen, daß Unbeholfenheit und Nervositt keine Indizien fr Unglaubwrdigkeit sein mssen, zumal sich bei Zeugen aufgrund der „Streßsituation“ im Gerichtssaal psychosomatische Strungen einstellen knnen497. Umgekehrt sind gewandtes Auftreten und Glattzngigkeit des Zeugen vielleicht nur Anzeichen fr schauspielerische Eigenschaften, durch die man leicht getuscht werden kann. Der Verteidiger muß dafr eintreten, daß jeder Zeuge zu Beginn seiner Sachvernehmung zusammenhngend berichtet (Rn. 571). Hierbei ist die Persnlichkeit des Zeugen am besten zu erkennen. Danach muß sich der Verteidiger auch richten, wenn er einen Zeugen befragt. Manchmal wird versumt, die Vernehmungstechnik auf die Persnlichkeit des Zeugen abzustellen, obwohl sie fr das richtige Ergebnis ausschlaggebend sein kann (Rn. 558, 582).

598

Die Bewertung einer Zeugenaussage hngt schließlich von ihrer Entwicklung im Laufe eines Verfahrens ab. Der erfahrene Verteidiger weiß, welche Bedeutung der „Aussagekonstanz“ zukommt. Ein Zeuge, der bei seiner letzten Vernehmung zu den wesentlichen Punkten noch dasselbe aussagt wie bei der ersten Schilderung, ist im allgemeinen glaubwrdiger als ein Zeuge, der seine Angaben wechselt. Sind Widersprche vorhanden, so muß der Verteidiger die erste ußerung des Zeugen genau prfen und festzustellen versuchen, wie sie zustande gekommen ist, insbesondere wie sich der Zeuge dabei ausgedrckt und warum er ber den Vorgang gesprochen hat. Hierzu kann es notwendig sein, die Personen als Zeugen zu benennen, die die erste ußerung gehrt oder als Vernehmende protokolliert haben. Außerdem sind die Stufen zu verfolgen, in denen sich die Aussage entwickelt hat. Letzten Endes luft dies auf die Frage hinaus, ob der Zeuge jetzt nur noch seine frheren Erklrungen gegenber Dritten –

599

497 In der Beeck/Wuttke, Wahrheitsfindung und GVG, NJW 1969, 684.

415

Rn. 600

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

Verwandte, Verhrsbeamte, Sachverstndige – wiedergibt und sich an den Vorgang selbst gar nicht mehr erinnert („aufgepfropftes Wissen“). Wie die Erfahrung lehrt, verwechseln Zeugen das beobachtete Geschehen oft mit Vermutungen, Schlußfolgerungen und Vorhaltungen derjenigen, die sie frher vernommen haben. Hier sind eingehende Fragen notwendig, um Widersprche aufzuklren (Rn. 524 ff.). Nicht nur die Beobachtungen anderer Personen, auch ihre Meinungen und Urteile fließen fast zwangslufig in die Vorstellung des Zeugen ein. Oft ist es schwierig, die tatschliche Wahrnehmung des Zeugen freizulegen. 600

Der Verteidiger sieht sich diesem Problem im besonderen Maße gegenber, wenn es sich um eine „cause celbre“ handelt, um einen sog. Sensationsprozeß, ber den jedermann spricht und von dem jedermann glaubt, er sei bestens orientiert. Hier unterliegen viele Zeugen der Massensuggestion, nicht zuletzt durch die Berichterstattung in Presse, Rundfunk und Fernsehen vor und whrend der Hauptverhandlung. Auch der gutwillige Zeuge kann sich dem meist unbewußten Einfluß kaum einmal entziehen. Noch schlimmer ist es, wenn Medien in schwebenden Verfahren „Vorermittlungen“ anstellen. Der Zeuge fhlt sich wichtig, er steht in der Zeitung oder spricht im Fernsehen. Was er dem Reporter tatschlich berichtet hat, ist nicht kontrollierbar. Suggestivfragen und „selbstgemachte Schlagzeilen“, die auf der Neigung der Presse zur Zuspitzung beruhen (Rn. 96), hindern den Zeugen, seine Angaben in der ffentlichen Hauptverhandlung zu berichtigen. Der Verteidiger muß sich dagegen wehren, daß den Bekundungen solcher Zeugen erheblicher Beweiswert beigelegt wird. Besonders schwierig liegen die Flle, in denen der Zeuge nicht durch Außenstehende, sondern durch eigene Ansichten oder gar eigene Gefhle beeinflußt wird. So wird ein Unfallzeuge nicht stets objektiv sein knnen, wenn er selbst oder seine Angehrigen Opfer des Straßenverkehrs geworden sind. hnliche Erfahrungen gibt es in „Kapitalsachen“ mit Beweispersonen, die fr die Todesstrafe eintreten. Solche emotionellen Motive aufzudecken, ist hufig nicht leicht, aber unbedingt notwendig, um den objektiv verwertbaren Kern einer Aussage herauszuschlen. Gegen den Wert einer Aussage spricht im brigen stets, daß sich Widersprche nicht zweifelsfrei aufklren lassen. Fr die Beweiskraft einer Bekundung kann angefhrt werden, daß sie sich zeitlich und rumlich, auch im Zusammenhang mit anderen Aussagen und der Einlassung des Angeklagten, widerspruchsfrei in das Gesamtbild einordnen lßt. Aus diesen Grnden muß der Verteidiger aus einer Vielzahl von Schlssen und Tatsachen zu einer Gesamtschau kommen und daraus entnehmen, ob die Aussage eines Zeugen wahr ist oder wenigstens fr wahr gehalten werden kann. 416

Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 603

Das ist besonders notwendig bei Aussagen von Kindern und Jugendlichen, deren Glaubwrdigkeit regelmßig in Verfahren um Sexualdelikte zum Problem wird. Hier kann man mit der kurzen Wiedergabe von Beispielsfllen dartun, wie scheinbar glaubhafte Aussagen von Kindern sich nachher als notorisch falsch erwiesen haben, wie ein nachgewiesenes Fehlurteil auf einer unrichtigen Kinderaussage beruht. Die Bedeutung des „passenden“ Beispiels kann nicht groß genug eingeschtzt werden. Die neuere Justizgeschichte ist an Beispielen nicht arm.

601

Der Verteidiger kann die Grundstze der Zeugenbewertung nicht einfach auf die Aussagen von Kindern und Jugendlichen bertragen. Es liegt auf der Hand, daß die Fhigkeit eines Kindes und eines Jugendlichen, einen Vorgang wahrzunehmen und ihn richtig wiederzugeben, von der eines Erwachsenen abweichen kann. Freilich braucht das nicht stets zu bedeuten, daß ein Kind weniger genau beobachtet als ein gereifter Mensch. Es kommt auf die Verstandesreife des Zeugen an, die sich nach dem Alter richtet. So ist zu beachten, daß Kinder unter 6 Jahren zwar im allgemeinen gut beobachten, insbesondere einfache Sachverhalte, daß jedoch das Erlebnis schon nach verhltnismßig kurzer Zeit nicht mehr zuverlssig dargestellt werden kann. Im Schulalter ist ihre Erinnerungsfhigkeit gebessert. In einzelnen Fllen ist auch dann nicht auszuschließen, daß Kinder ihre Vorstellung mit ihrer Wahrnehmung verwechseln. Diese Mglichkeit nimmt zwar ab, je lter und „vernnftiger“ ein Kind wird. Der Verteidiger sollte aber die oft von Sachverstndigen zu hrende Behauptung, das Kind sei im Alter von 9 bis 13 Jahren, der „reifen Kindheit“, ein besonders zuverlssiger Zeuge, nicht unbesehen hinnehmen. Die Forschungen ber die Ursachen von Fehlurteilen lassen diese Behauptung mindestens zweifelhaft erscheinen498.

602

Gerade in Verfahren wegen Sexualdelikten geschieht es hufig, daß Eltern oder Dritte aus verstndlicher Sorge das Kind vor einer Anzeige suggestiv nach sexuellen Vorkommnissen gefragt und darauf aus Angst oder Scham die „passenden“ Antworten erhalten haben. hnliches gilt fr die „Vorvernehmungen“, die hufig durch Kinderschutzorganisationen durchgefhrt worden sind499. Die Ersterklrung des Kindes zieht sich hufig als zementierte Sachverhaltsfeststellung durch die Akten. Der Verteidiger muß daher die Mglichkeit der Suggestion durch Eltern, Erzieher und selbsternannte Experten besonders beachten. Sie wird in der forensischen Praxis selbst von Psychologen oft unterschtzt. Die Exploration kindlicher Zeugen durch Eltern und Dritte sowie die Befragung durch „mitfh-

603

498 Vgl. nur Peters, Untersuchungen zum Fehlurteil, S. 23. 499 Vgl. Dahs, NJW 1996, 178 m. N.

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Rn. 604

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

lende“ Kinder verflschen in aller Regel das Beobachtungsbild des Zeugen. Das braucht gar nicht so weit zu gehen, daß z. B. eine Mutter ihrer Tochter bswillig „eintrichtert“, der geschiedene Vater habe sich an dem Mdchen sexuell vergangen. Solchen Bekundungen ist noch beizukommen. Oft wirken sie auswendig gelernt, der Zeuge sucht whrend seiner Vernehmung Hilfe bei Dritten. Durch Zwischenfragen kann man einen solchen Zeugen aus dem Konzept bringen. Die unbewußte Suggerierung einer Aussage ist viel gefhrlicher, weil sie schwieriger aufzuklren ist. Aus diesen Grnden ist es unerlßlich, die Entstehungsgeschichte der Aussage des kindlichen Zeugen in allen Einzelheiten aufzuklren. Darauf muß der Verteidiger tatkrftig hinwirken, insbesondere auch durch Beweisanregungen und Beweisantrge auf Vernehmung der Personen, die mit dem Kind frher ber die den Gegenstand des Verfahrens bildenden Vorgnge gesprochen haben, sowie die Beiziehung etwaiger Unterlagen ber solche Gesprche, insbesondere Tonbnder und Videoaufnahmen. Diese Aufklrung wird heute auch von der hchstrichterlichen Rechtsprechung gefordert500. 604

In diesem Zusammenhang muß der Verteidiger bedenken, daß die Vorstellungswelt von Kindern und Jugendlichen durch Einflsse ihrer Umwelt bestimmt wird. Schlafzimmerbeobachtungen, Nikotin- und Alkoholgenuß, ungeeignete Filme und einschlgiger Lesestoff, nicht zuletzt der pseudogeschlechtliche Umgang mit Spielgefhrten fhren zu Wunschvorstellungen und Phantasien, die allzu leicht im konkreten Falle als Belastung eines anderen vorgebracht werden. Freilich ist demgegenber zu bercksichtigen, daß jugendliche Zeuginnen erotische Erlebnisse oft verschweigen oder in der (wenn auch eingeschrnkten) ffentlichkeit einer Hauptverhandlung nur zurckhaltend schildern, sei es aus Scham, aus Angst oder aus falsch verstandener Fairneß gegenber dem Mann. Dabei werden sie vielfach von ihrer Umwelt untersttzt. Sie verdrngen deshalb ein gravierendes Erlebnis. Fr die Richtigkeit einer Aussage kann auch sprechen, daß ein Kind einen sexuellen Vorgang lebensnah schildert, dessen Erscheinungsform ihm bislang nicht bekannt war (z. B. das Verhalten eines Exhibitionisten). Keinesfalls lßt sich allgemein sagen, daß Kinder oder Jugendliche von vornherein unglaubhaft sind. Die Gefahr besteht aber in den Fllen, in denen Kinder miteinander gesprochen haben und so bewußt oder unbewußt zu einem Aussagekomplott gekommen sind. „Wenn ein Kind etwas sagt, so kannst du es ihm glauben. Wenn aber mehrere dasselbe sagen, sei voller Mißtrauen!“501. 500 BGH, NJW 1996, 207, 208; BGH, StV 1994, 227. 501 Karl Kraus nach Seibert, MDR 1968, 880.

418

Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 607

An diesen bei der Aussagebewertung zu beachtenden Bedenklichkeiten vermag auch die neue gesetzliche Lage (§ 247a), wonach die Vernehmung eines Kindes allein durch den Vorsitzenden erfolgt, letztlich nichts zu ndern. Im Gegenteil kann es Pflicht des Verteidigers sein, etwaige tendenzise oder auch nur ungeschickte Fragestellungen und Vernehmungsmethoden mit deutlichen Worten anzuprangern und ihre negativen Folgen aufzuzeigen. Vornehme Zurckhaltung gegenber Defiziten des Vorsitzenden kann sogar zum Verrat an der Sache des Klienten werden. Selbstverstndlich ist aber auch insoweit die Form zu wahren, ohne in der Sache nachzugeben.

605

Allgemein wird es wird immer darauf ankommen, die Persnlichkeit des Zeugen in seiner Entwicklungsstufe und Umwelt zu erforschen und die Umstnde der Erstbefragung in allen Einzelheiten festzustellen. Zu diesem Zwecke muß der Verteidiger notfalls frhzeitig beantragen, Eltern, Erzieher und die „Erstbefrager“ zu vernehmen, ggfs. auch das zustndige Jugendamt einzuschalten. Der Lehrer kann geeigneter Zeuge ber die Glaubwrdigkeit des Kindes sein502. Manche Schwierigkeiten werden noch dadurch verstrkt, daß sich der Verteidiger mindestens mit einem, manchmal mit mehreren Sachverstndigen auseinandersetzen muß. Er steht nicht selten mitten im Streit der Fachmeinungen. Dazu muß er den Stand der Rechtsprechung kennen. Es ist anerkannt, daß in Verfahren wegen Sexualdelikten jedenfalls dann ein Glaubwrdigkeitsgutachten einzuholen ist, wenn die Aussage eines jugendlichen oder kindlichen Zeugen wie meist die „Hauptgrundlage der Verurteilung“ bildet und der Sachverhalt Besonderheiten aufweist503.

606

Problematisch ist die Auswahl des Sachverstndigen, auf die der Verteidiger ggfs. Einfluß nehmen muß (vgl. Nr. 70 RiStBV). Die medizinischen Fachgebiete, mit denen sich der Verteidiger zu befassen hat (Rn. 224), berschneiden sich. „Die Psychologie hat es mit geistig gesunden Menschen zu tun, die Psychiatrie mit kranken504. In den Grenzgebieten wurzelt der Streit der Fachleute. Es geschieht immer wieder, daß der Gutachter des einen Gebietes Kenntnisse und Erfahrungen des anderen Faches fr sich in Anspruch nimmt und sein Ergebnis als zweifelsfrei bezeichnet. Hier muß der Verteidiger mißtrauisch darber wachen, daß der „richtige“ Sachverstndige hinzugezogen wird. Er darf sich durch die Sicherheit nicht verblffen lassen, mit der Sachverstndige ihre Gutachten

607

502 BGH, GA 1967, 343. 503 BGH, StV 2004, 241; BGHSt. 7, 82; Nr. 19, 222 RiStBV. 504 Zur Abgrenzung der psychiatrischen und psychologischen Begutachtung MeyerGoßner, § 73 Rn. 5 ff.; BGH, StV 1997, 61 m. N.

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Rn. 608

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

abzugeben pflegen (Rn. 225 ff., 614). Dabei ist auch eine andere Erfahrung zu bercksichtigen: Die Sicht, aus der ein Sachverstndiger urteilt, hngt von seinem Fach und damit von seinem Erfahrungsgut ab. So neigt der Psychologe vielleicht dazu, die geistige Gesundheit eines Kindes dem Gutachten zugrunde zu legen, whrend der Psychiater durch neurologische Untersuchungen vorausgegangene Schdigungen feststellen kann und spter mglicherweise feststellt. Bestehen auch nur die geringsten Zweifel, so hat der Verteidiger die Zuziehung eines Sachverstndigen des anderen Fachgebietes zu beantragen. Hierzu ist das Gericht aufgrund der Aufklrungspflicht grundstzlich verpflichtet505. 608

Damit aber nicht genug: Der Verteidiger muß auch darauf achten, daß der psychologische Sachverstndige die Frage der Glaubwrdigkeit nicht ausschließlich nach der Aussage beurteilt, nmlich dem Aussageverhalten, der Entwicklung und dem Inhalt der Aussage und der Motivlage506. Der Sachverstndige hat auch der Persnlichkeit und der Umwelt des Zeugen den ntigen Raum zu geben. Freilich setzt sich der Verteidiger damit hufig in Gegensatz zu einem Sachverstndigen, der eine andere Meinung vertritt. Das darf ihn aber nicht abhalten, auf dem Gutachten eines anderen Psychologen oder Psychiaters zu bestehen. Der Verteidiger muß den Schutz des betroffenen Zeugen zwar im Auge behalten; deshalb darf er einen Jugendlichen oder ein Kind nicht unntz einer stndig wiederholten Befragung zufhren. Der Konflikt ist oft nur schwer zu lsen. Die Rcksicht auf einen Zeugen darf aber keinesfalls dazu fhren, die Verteidigungsaufgabe zu vernachlssigen. Daher ist ein weiteres Gutachten vor allem zu beantragen, wenn das schriftliche Gutachten die Grundlage fr die Anklageerhebung und die Erffnung des Verfahrens abgegeben hat und dadurch den Wert der begutachteten Aussage ein fr allemal zu fixieren scheint. Bei der Exploration steht dem Sachverstndigen fast immer nur das eine von ihm zu beurteilende Kind als Beweismittel zur Verfgung. Das Frage-und-Antwort-Spiel wird manchmal nur recht pauschal oder gar in einem zusammenfassenden Bericht festgehalten und entzieht sich einer Prfung. Der Sachverstndige kann dadurch das Kind und auch sich selbst festlegen. Auf diese Weise fllt die Entscheidung ber den Wert einer kindlichen Bekundung nicht in der Hauptverhandlung, sondern im Vorverfahren. Dabei werden die Grenzen zwischen richterlicher und gut-

505 BGH, StV 1996, 4. 506 Dazu BGH, NStZ 2000, 100; Boetticher, Das Urteil ber die Einfhrung von Mindeststandards in aussagepsychologischen Gutachten und seine Wirkungen, NJW-Sonderheft fr G. Schfer, 2002, 8 m. N., sowie Steller, Aussagepsychologie und Strafjustiz: Kooperation ohne Trauma, NJW-Sonderheft fr G. Schfer, 2002, 69.

420

Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 608

achterlicher Aufgabe oft nicht eingehalten. Es kommt vor, daß ein Sachverstndiger nur im Wege einer sog. „therapeutischen Befragung“ des Probanden Erkenntnisse zur Sache gewonnen hat und diese dem Gericht vermitteln will. Das ist nicht zulssig. Zeugen, die bei einer „normalen“ Befragung versagen, fehlt die Aussagetchtigkeit. Das Gericht darf die Vernehmung nicht dem Sachverstndigen berlassen und dann dessen Erkenntnisse, die es selbst in foro nicht nachvollziehen kann, bernehmen. Der Verteidiger muß darauf bestehen, daß der Richter die Befragung und die Beweiswrdigung vornimmt, whrend der Sachverstndige ihm lediglich die fachlichen Unterlagen zur Verfgung stellen darf (Rn. 589), also: Wesenszge und Verhalten der jugendlichen oder kindlichen Zeugen, Erklrung der Aussage nach Inhalt und Entwicklung507. Deshalb muß sich der Verteidiger auch dagegen wehren, daß ein Sachverstndiger eine Aussage fr glaubwrdig oder wahr erklrt. Dieses Urteil steht ihm nicht zu. cc) Vernehmung der Sachverstndigen Bender/Nack, Vernehmungslehre, 2. Aufl., 1995; Boetticher, Das Urteil ber die Einfhrung von Mindeststandards in aussagepsychologischen Gutachten und seine Wirkungen, NJW-Sonderheft fr G. Schfer, 2002, 8 m. N.; Bussiek/Ehrmann, Buchfhrung, 8. Aufl., 2004; Dahs, Die Ausweitung des Widerspruchserfordernisses, StraFo 1998, 253; Dahs, Der Standpunkt des Verteidigers zum Sachbeweis, BKA-Vortragsreihe, Bd. 24, 1977, S. 19; Detter, Der Sachverstndige im Strafverfahren – eine Bestandsaufnahme, NStZ 1998, 57; Detter, Der von der Verteidigung geladene Sachverstndige, FS Salger (1995), S. 231; Driest, Zur Ablehnung eines Sachverstndigen wegen Besorgnis der Befangenheit und zur Beteiligung des Beschuldigten bei der Auswahl des Sachverstndigen, StV 1990, 390; Dring, Zur Untersuchung durch Sachverstndige bei Sexualstraftaten an Kindern, StV 1997, 456; Fezer, Die Folgen der Sachverstndigenablehnung fr die Verwertung seiner Wahrnehmungen, JR 1990, 397; Fiedler, Persnlichkeitsstrungen, 5. Aufl., 2001; Forster/Ropohl, Rechtsmedizin, 5. Aufl., 1989; Geppert, Der Sachverstndigenbeweis, Jura 1993, 249; Hirschberg, Das Fehlurteil im Strafprozeß, 1960, S. 59 ff.; Jessnitzer/Ulrich, Der gerichtliche Sachverstndige, 11. Aufl., 2001; D. Krause, Der „Gehilfe“ der Verteidigung und sein Schweigerecht, StraFo 1998, 1; Krekeler, Strafverteidigung mit einem und gegen einen Sachverstndigen, StraFo 1996, 5; Krekeler/Schonard, Der Berufshelfer i. S. des § 53a StPO, wistra 1998, 137; Kube/Leineweber, Polizeibeamte als Zeugen und Sachverstndige, 2. Aufl., 1980; Lrken, Auswahl und Leitung des Sachverstndigen im Strafprozeß, NJW 1968, 1161; MeyerGoßner/Appl, Die Ausweitung des Widerspruchserfordernisses, StraFo 1998, 258; E. Mller, ber Probleme des Sachverstndigenbeweises im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren, FS Lke (1997), S. 493; K. Mller, Der Sachverstndige im gerichtlichen Verfahren, 3. Aufl., 1988; Neuhaus, Kriminaltechnik fr den Strafverteidiger – Eine Einfhrung in die Grundlagen, StraFo 2001, 406; Nix, Ablehnung eines polizeilichen Sachverstndigen, Kriminalistik 1994, 83; Oster, Das

507 BGHSt. 21, 62.

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Rn. 609

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

Zeugnisverweigerungsrecht des Sachverstndigen als Berufshelfer der Verteidigung, StraFo 1996, 92; Peters, Untersuchungen zum Fehlurteil im Strafprozeß, 1967, S. 21 ff.; Sarstedt, Auswahl und Leitung der Sachverstndigen im Strafprozeß, NJW 1968, 177; Steller, Aussagepsychologie und Strafjustiz: Kooperation ohne Trauma, NJW-Sonderheft fr G. Schfer, 2002, 69; Thielmann, Von promovierten habilitierten oberflchlichen Sachverstndigen, StraFo 2004, 5; Tondorf, Der Sachverstndige, ein „Gehilfe“ auch des Strafverteidigers?, StV 1997, 493; Tondorf, Psychologische und psychiatrische Sachverstndige im Strafverfahren, 2. Aufl., 2005; Trndle, Der Sachverstndigenbeweis, JZ 1969, 374; Witting, Uneingeschrnkte Exploration durch privaten Sachverstndigen whrend der Untersuchungshaft, StV 1998, 174. Weitere Literaturangaben vor Rn. 187.

Die nachstehende Darstellung der Sachverstndigenvernehmung in der Hauptverhandlung ist im Zusammenhang mit dem allgemeinen Kapitel „Verteidiger und Sachverstndiger“ (Rn. 187 ff.) zu verstehen. Dort sind die allgemeine Stellung des Sachverstndigen in ihren verfahrensmßigen Grundlagen sowie das Recht der Ablehnung behandelt. 609

Die Anhrung eines oder mehrerer Sachverstndiger kann ungleich wichtiger sein als die Zeugenvernehmung. Gutachtliche ußerungen der Fachleute entscheiden mehr denn je den Prozeß. Andererseits neigen Richter nicht selten dazu, die eigene Sachkunde in diesem Bereich zu berschtzen. Hier liegt eine schwierige, jedoch besonders wichtige Aufgabe des Verteidigers. Einerseits ist er dazu aufgefordert, Sachverstndige in das Verfahren einzufhren, falls eine beweiserhebliche Tatsache nicht ohne besonderes Fachwissen festgestellt werden kann (durch Beweisantrag: Rn. 641 ff., 675). Anderseits hat er energisch dafr einzutreten, daß der Sachverstndige seinen Auftrag nicht berschreitet. Er darf sich keine richterliche Aufgabe anmaßen und deshalb nicht in die richterliche Wertung und Beweiswrdigung eingreifen508. In der Praxis ziehen Gutachter vielfach tatschliche und juristische Folgerungen, z. B. zur Anwendung des § 20 StGB. Der Verteidiger muß dafr sorgen, daß der Richter diese und hnliche Wertungen nicht unbesehen bernimmt. Der Sachverstndige ist „Gehilfe des Richters“. Kraft seines Fachwissens hat er die tatschliche Grundlage, den Befund festzustellen, der zur Beantwortung der Beweisfrage notwendig ist509. Der Sachverstndige hat lediglich die fehlende oder nicht ausreichende Sachkunde des Richters zu ersetzen oder zu ergnzen. Diese Abgrenzung ist besonders bedeutsam bei Aussagen von Kindern, Jugendlichen (Rn. 601) und Zeugen mit Erkrankungen510. Der 508 BGHSt. 2, 16. 509 BGHSt. 9, 292. 510 Vgl. BGH, NStZ 2000, 100; BGH, StV 1997, 60; Boetticher, Das Urteil ber die Einfhrung von Mindeststandards in aussagepsychologischen Gutachten und seine Wirkungen, NJW-Sonderheft fr G. Schfer, 2002, 8 m. N.

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Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 610

Verteidiger kann dazu beitragen, daß solche Schwierigkeiten gar nicht erst auftreten. Wie die Erfahrung beweist, werden die Auftrge an Sachverstndige nicht immer przise genug formuliert. Der Verteidiger muß durch Anregungen oder Antrge auf sachgerechte Fragestellung hinwirken. Die Pflicht zur Leitung des Sachverstndigen (§ 78) wird von den Gerichten nach den Erfahrungen der Praxis allerdings stark vernachlssigt bzw. gar nicht wahrgenommen. Es ist aber eine verbreitete Unsitte, dem Sachverstndigen kurzerhand „die Akten“ zu berlassen mit einem knapp gefaßten Gutachtenauftrag, z. B. zur berschuldung des Unternehmens, zur Betriebssicherheit einer technischen Anlage, zur Glaubwrdigkeit des Zeugen oder gar zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Angeklagten Stellung zu nehmen. Nur in Ausnahmefllen werden dem Sachverstndigen die Anknpfungstatsachen, insbesondere auch aus der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung vorgegeben, die er dem Gutachten zugrunde legen soll; ebenso selten werden dem Gutachter Sachverhaltsalternativen zur Prfung vorgegeben. Diese Verfahrensweise entspricht nicht dem Gesetz511. Es wirkt sich hufig zum Nachteil des Angeklagten aus, wenn der Sachverstndige nach seinem Ermessen Aussagen, Urkunden und andere Beweisergebnisse auswhlt, auf denen er seine Begutachtung aufbaut. Nicht selten geraten auf diese prozeßordnungswidrige Weise sogar Sachverhalte und andere Erkenntnisse in das Gutachten, die nicht Gegenstand der Hauptverhandlung waren512. Beanstandungen der Verteidigung werden hufig vom Gericht mit der Bemerkung quittiert, es obliege dem Gutachter, die erforderlichen Befundtatsachen aufgrund seiner besonderen Sachkunde selbst zu erheben. Natrlich gibt es Flle, in denen eine so hoch spezialisierte Materie zu begutachten ist, daß nur der Sachverstndige aufgrund seines besonderen Expertenwissens in der Lage ist, die dafr erforderlichen Tatsachen und Beweisergebnisse auszuwhlen513. Darauf kann sich aber z. B. eine insoweit ebenfalls sachkundige Wirtschaftsstrafkammer nicht berufen, wenn es um die (erkennbare) Konkursreife eines Unternehmens o. . geht, ebensowenig eine Jugendstrafkammer, die aufgrund besonderer Fallumstnde nach durchgefhrter Beweisaufnahme ein Glaubwrdigkeitsgutachten in Auftrag gibt. Durch dieses Vorgehen wird der Verteidigung die Mglichkeit abgeschnitten, ihrerseits darauf hinzuwirken, daß dem Gutachter weitere Tatsachen und Beweisergebnisse ergnzend oder alternativ als Anknpfungstatsachen vorgegeben werden; sie 511 BGHSt. 36, 384, 386; BGHSt. 18, 107. 512 BGHSt. 13, 1, 250; BGHSt. 18, 107. 513 Dazu BGHR, § 78 Leitung 1; Lwe/Rosenberg/Krause[25], § 78 Rn. 9; Sarstedt, NJW 1968, 179 f.

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Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

kann deshalb ihrer Aufgabe, durch Antrge und Erklrungen zugunsten des Mandanten zu intervenieren, praktisch nicht wahrnehmen. Der Verteidiger muß in solchen Fllen den Versuch unternehmen, das Gericht durch Antrge zur Erfllung seiner Leitungspflicht anzuhalten. Dringt er damit nicht durch, so ist die Geltendmachung eines Verwertungsverbotes im Hinblick auf das Gutachten in Erwgung zu ziehen, wobei fr den insoweit zu erhebenden Widerspruch gegen den Vortrag des Gutachtens und die Befragung des Sachverstndigen „der spteste Zeitpunkt“ des § 257 zu beachten ist514. 611

Die hufigen Kontroversen mit den Sachverstndigen in der Hauptverhandlung haben oft die Ursache darin, daß Juristen und Naturwissenschaftler in verschiedenen Sprachen reden (Rn. 219 Abs. 2). Insbesondere verstehen sie unter „Beweis“ etwas Verschiedenes. Medizinische Diagnose und prozessualer Tat- und Schuldbeweis sind grundverschiedene Dinge. Das liegt an der Divergenz ihrer Maßstbe. Die Juristen haben im Prozeß dafr zu sorgen, daß kein Unschuldiger verurteilt wird. Die Unertrglichkeit eines Fehlurteils zwingt sie dazu, auch entfernt liegende Mglichkeiten zugunsten des Beschuldigten zu bercksichtigen. Demgegenber praktiziert z. B. der Arzt nach Maßgabe der grßten Wahrscheinlichkeit. Er wird einen lebensgefhrlich Erkrankten operieren, wenn er einen durchgebrochenen Blinddarm fr wahrscheinlich hlt. Das wird auch dann geschehen, wenn andere Ursachen des Zustandes nicht auszuschließen, aber unwahrscheinlich sind. Dem Arzt bleibt keine andere Wahl, wenn er nicht Gefahr laufen will, durch Unttigkeit den Tod herbeizufhren, whrend der Eingriff als solcher ungefhrlich ist. Der Verteidiger muß sehr aufpassen, daß von daher keine aus den Begriffsvorstellungen des Sachverstndigen stammenden prozessual unzulnglichen Schlußfolgerungen hingenommen werden. Anderseits muß er aber auch beachten, daß die nur abstrakt theoretische Mglichkeit eines Andersseins die richterliche berzeugung nicht auszuschließen braucht, wenn sie so entfernt liegt, daß sie keinen „vernnftigen Zweifel“ bewirkt. Der Verteidiger ist also z. B. noch nicht am Ziel, wenn er den Sachverstndigen nur so weit bringt, daß dieser die naturwissenschaftliche Mglichkeit einer bestimmten theoretischen Annahme nicht absolut ausschließen kann. So kann ein Gericht aufgrund eines Gutachtens die Kausalitt zwischen einer Verletzung und einer tdlich verlaufenen Entzndung als bewiesen auch dann ansehen, wenn ein bedchtiger oder eingeschchterter Sachverstndiger dem Verteidiger schließlich zugegeben hat, die Entzndung aus einer anderen – konkret nicht auszumachenden – Ursache sei nicht auszuschließen. 514 BGH, NJW 1963, 401; BGH, NJW 1951, 771; KG, StV 1993, 628.

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Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 612

Im brigen ist darauf zu achten, daß der Sachverstndige nicht unversehens zum Zeugen wird, indem das Gericht Umstnde verwertet, die nur der Sachverstndige in der Hauptverhandlung vorbringt. Es wird nicht immer scharf unterschieden zwischen Befundtatsachen und Zusatztatsachen. Deshalb muß der Verteidiger schriftliche und mndliche ußerungen jedes Sachverstndigen kritisch durchleuchten. In der Regel enthalten sie nicht nur die Umstnde, die der Sachverstndige aufgrund seiner Sachkunde festgestellt hat (Befundtatsachen). Ihre Verwertung ohne besondere Beweiserhebung ist unbedenklich. Die Gutachter behandeln aber auch Sachverhalte und erheben darber Beweise, deren Feststellung nur dem Gericht mglich ist und nur diesem zusteht (Zusatz-[Anklage-]tatsachen). Ihrer Verwertung durch den Sachverstndigen hat der Verteidiger zu widersprechen, solange sie nicht ordnungsgemß zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden sind (§ 80)515. Das kann z. B. dadurch geschehen, daß der Richter die vom Sachverstndigen benutzten Akten beizieht, die von ihm angehrten Personen oder ihn selbst als Zeugen vernimmt516. In diesem Zusammenhang ergeben sich hufig Schwierigkeiten, wenn der medizinische Sachverstndige dritte Personen, insbesondere Verwandte des Untersuchten, ber Umstnde befragt, die fr die Begutachtung wesentlich sind. Vielfach handelt es sich um belastende Tatsachen. Sie drfen auch dann nicht ohne Vernehmung des Sachverstndigen als Zeugen herangezogen werden, wenn sie nicht Zusatztatsachen im eigentlichen Sinne sind. Das gilt vor allem fr Umstnde des Tathergangs, die Dritte dem Sachverstndigen mitgeteilt haben. Will etwa das Gericht die Darstellung eines Zeugen fr glaubhaft halten, weil er sie auch dem Sachverstndigen gegenber gegeben hat („Aussagekonstanz“, Rn. 599), so muß es den Sachverstndigen als Zeugen hren517. Hier muß der Verteidiger auch daran denken, daß der Sachverstndige Dritte erst befragen darf, nachdem sie ber ein etwaiges Zeugnisverweigerungsrecht richterlich, staatsanwaltschaftlich oder polizeilich belehrt worden sind518. Das wird in der tglichen Praxis oft bersehen und fhrt dazu, daß Angehrige arglos belastende Umstnde ausplaudern, vor allem einem Arzt gegenber, von dem sie meinen, er stehe auch in diesem Falle unter rztlicher Schweigepflicht. Der Sachverstndige darf ber solche Tatsachen nicht als Zeuge vernommen werden, falls ihre Verwertung nach § 252 verboten ist (Rn. 569). Freilich soll das Gericht solche Umstnde verwenden knnen, wenn es sie unabhngig von den Angaben des Sachverstndigen als fest515 516 517 518

BGHSt. 20, 164, 166; BGHSt. 18, 107; BGHSt. 13, 1. BGH, NJW 1985, 135; BGHSt. 13, 1. BGHSt. 13, 250 = NJW 1959, 2222. BGH, NStZ 1996, 95; BGH, NStZ 1991, 398; Lwe/Rosenberg/Gollwitzer[25], § 252 Rn. 33.

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Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

gestellt ansieht. Dann soll auch der Sachverstndige diese Tatsachen seinem Gutachten zugrunde legen drfen519. In der Hauptverhandlung ist es meist schwierig zu erkennen, ob das Gericht den schmalen Grat bercksichtigt, der die unzulssige von der eben noch statthaften Verwertung solcher Umstnde trennt. Um die Einstellung des Gerichts zu erfahren, kann der Verteidiger der Verwendung bestimmter Tatsachen durch den Sachverstndigen widersprechen. Er muß dann beantragen, der Sachverstndige mge angehalten werden, sein Gutachten so zu erstatten, als ob diese Tatsachen ihm nicht bekannt wren. In diesen Fllen ist es ratsam, den Antrag wrtlich ins Protokoll aufnehmen zu lassen (Rn. 536, 702). 613

Wird ein Sachverstndiger zulssigerweise als Zeuge vernommen, so hat der Verteidiger darauf zu achten, daß kein verstecktes Gutachten erstattet wird. Der Sachverstndige darf als Zeuge nur Tatsachen bekunden; Schlußfolgerungen sind ihm nicht gestattet (Rn. 613 a. E.). Dies gilt auch, wenn er als sachverstndiger Zeuge vernommen wird (Rn. 613). Es leuchtet ein, daß hierbei die bloße Wiedergabe von Tatsachen und deren Bewertung ineinanderfließen. Gleichwohl muß der Verteidiger die Beweispersonen anhalten, beide Bereiche zu trennen, auch wenn die Gerichtspraxis die Grenzen verwischt520. Der Verteidiger hat darauf zu bestehen, daß der Sachverstndige sein Fragerecht (§ 80 Abs. 2) ordnungsgemß ausbt. Unzulssigen Fragen ist zu widersprechen und ggfs. ein Gerichtsbeschluß herbeizufhren (§ 242). Auch darf der Verteidiger nicht dulden, daß der Mandant mit scheinbar harmlosen Fragen berrascht wird. Der Angeklagte kann sich auch gegenber dem Sachverstndigen auf sein Recht zum Schweigen berufen. Diese Maßnahme kommt aber nur in Betracht, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Richter aus der Weigerung ungnstige Schlsse zieht (Rn. 488).

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Der Verteidiger hat den Sachverstndigen insbesondere bei der mndlichen Erstattung des Gutachtens zu kontrollieren. Zu dieser Prfung und der anschließenden Befragung ist der Verteidiger nur in der Lage, wenn er sich eingehend mit dem Fachgebiet des Sachverstndigen befaßt hat (Rn. 224 ff.). Sonst kann er weder sachgerecht fragen noch Fehler aufdekken. Deshalb muß der Verteidiger Stand und Fortschritt der jeweiligen Wissenschaft kennen. Vor allem darf sich der Verteidiger durch die Sicherheit nicht tuschen lassen, mit der Sachverstndige ihre Gutachten vorzutragen pflegen. Er muß kritisch prfen, ob der Sachverstndige die behaupteten Fachkenntnisse und Erfahrungen tatschlich besitzt. Er muß auch feststellen knnen, ob die Schlußfolgerungen des Sachverstndigen 519 BGHSt. 18, 107. 520 OLG Hamm, NJW 1969, 567.

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Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 615

wissenschaftlich richtig und vertretbar sind oder ob der Gutachter eine singulre und nicht anerkannte wissenschaftliche Ansicht vertritt. Von besonderer Bedeutung ist die Prfung, ob der Sachverstndige etwa auf die zu untersuchende Frage „speziell spezialisiert“ ist: geht es z. B. darum, ob ein Urologe whrend einer kurzen Behandlung eines Patienten mit einem schweren urologischen Leiden dessen Diabetes-Erkrankung erkennen konnte und mußte, so ist ein auf die Zuckerkrankheit spezialisierter Internist kein geeigneter Gutachter. In Verfahren gegen rzte empfiehlt es sich berhaupt, mit Hilfe des Mandanten die spezielle fachliche Ausrichtung des Gutachters und seine Verffentlichungen zu ermitteln. Auch darf der Verteidiger nicht hinnehmen, daß der medizinische Sachverstndige Kenntnisse und Erfahrungen eines anderen Gebietes in Anspruch nimmt und sie als gesicherte Grundlage des Gutachtens hinstellt (s. Verhltnis des Psychiaters zum Psychologen, Rn. 607). Besonders kritisch hat der Verteidiger die Gutachten der stndig fr Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht ttigen Fachleute unter die Lupe zu nehmen, so der „Gerichtsrzte“. „Rechtsmediziner sind Mnner, die das ganze Wissen der Zeit in sich vereinen“ (Gerhard Mauz). Obwohl sie nicht auf allen Gebieten gleichmßig erfahren sein knnen, trauen sie sich die Beurteilung vieler Sachfragen zu (Rn. 225 f., 679), oft nach nur kurzer Untersuchung, was nicht ganz selten zu Wiederaufnahmeverfahren fhrt. berhaupt ist es eine „falsche Selbstverstndlichkeit“, daß der Gutachter der Staatsanwaltschaft auch der gerichtliche Sachverstndige sein msse521. Hier sind auch die kriminaltechnischen Gutachter zu nennen, die Angehrige des Bundeskriminalamtes oder der Landeskriminalmter sind. Ihre Bedeutung insbesondere beim Sachbeweis im Strafprozeß ist sehr groß522. Sie haben fr ihr spezielles Fachgebiet oft eine berragende Kompetenz und Erfahrung. Das wird auch der Verteidiger in vielen Fllen anerkennen mssen. So kommen sie fr einen Beweisantrag der Verteidigung auf Einholung eines „Obergutachtens“ in Betracht, weil sie ber berlegene Forschungsmittel verfgen (Rn. 677) und bei den Gerichten viel Anerkennung finden. Die Praxis lehrt, daß in nicht wenigen Fllen Gutachten dieser Art entscheidend zur Entlastung beigetragen haben. Auf der anderen Seite kommt es aber auch vor, daß – gerade in kleineren Sachen – die Gutachten nicht mit der gebotenen ußersten Sorgfalt und unter Ausschpfung des gesamten einschlgigen Tatsachenmaterials (Rn. 225) erarbeitet worden sind. Diese sachlichen Grundlagen der Begutachtung muß

521 Arndt, NJW 1962, 26; Eb. Schmidt, JR 1961, 585. 522 Dazu Neuhaus, StraFo 2001, 406; Dahs, BKA-Vortragsreihe, Bd. 23, S. 19.

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der Verteidiger kritisch hinterfragen. Ist der Gutachter bereits von den Ermittlungsbehrden herangezogen worden, so muß geprft werden, ob er sich streng an seine wissenschaftliche Aufgabenstellung gehalten oder sich in die vorhandene Ermittlungsarbeit eingeschaltet hat; im letzteren Falle wird er inhabilis523 und kann wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden (Rn. 227 ff.). 616

Manches Gutachten kann der Verteidiger durch eine genaue Analyse seines Textes zu Fall bringen. Die Sachverstndigen pflegen ihrer Beurteilung im schriftlichen Gutachten den Akteninhalt zugrunde zu legen. Dabei verwerten sie auch Vorgnge, die nicht zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht werden. Das ist unzulssig und entwertet das Gutachten (Rn. 610).

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Genaue Prfung ist auch anzuraten, wenn der Gutachter in der Hauptverhandlung nicht persnlich anwesend ist, etwa wenn der Direktor der medizinischen Klinik seinen Assistenten schickt524. Der Verteidiger muß sich dafr einsetzen, daß der benannte Sachverstndige selbst erscheint. Hierbei ist nicht zu verkennen, daß die Kapazitten eines Faches der Gutachterpflicht nicht stets persnlich nachkommen knnen. Das befreit aber den Verteidiger nicht davon, im Einzelfall zu prfen, ob der „Ersatzmann“ die fachlichen Voraussetzungen, insbesondere Erfahrungen und Spezialkenntnisse auf dem betreffenden Gebiet mitbringt. Andernfalls hat der Verteidiger auf Anwesenheit des bestellten Sachverstndigen zu bestehen. Denn die Auswahl des geeigneten Sachverstndigen ist Sache des Gerichts: sie darf nicht vom Sachverstndigen getroffen werden. Aus diesem Grunde ist auch zu prfen, ob das vorausgegangene schriftliche Gutachten von dem benannten Sachverstndigen mindestens unter seiner Verantwortung erstellt ist525.

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Einwendungen gegen Form und Inhalt der Gutachterttigkeit darf der Verteidiger auch dann nicht unterdrcken, wenn er scharfe Auseinandersetzungen mit dem Sachverstndigen erwarten muß. Es gibt Sachverstndige, die jeden sachlichen Einwand als persnliche Diffamierung auffassen und dementsprechend reagieren. Sie sind auf ihren Ruf bedacht und weisen jede Kritik zurck. Allerdings darf der Verteidiger einen Sachverstndigen nicht unntig herabsetzen (Rn. 225 f.), im Konfliktfalle gehen jedoch regelmßig die Interessen des Mandanten vor. Kaum einmal wird man einen Sachverstndigen zu dem freimtigen Bekenntnis eines Irr523 BGHSt. 18, 214, 215; Lwe/Rosenberg/Krause, § 74 Rn. 12. 524 Gegen jede Delegation Meyer-Goßner, § 73 Rn. 10 m. N.; BGH bei Kusch, NStZ 1993, 31. 525 BGHSt. 22, 268; OLG Frankfurt, MDR 1993, 849 m. Anm. Mller.

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tums veranlassen knnen. Im allgemeinen gengt es jedoch, Zweifel zu wecken. Der Verteidiger darf deshalb berechtigte Einwendungen gegen das Fachwissen des Sachverstndigen und die Richtigkeit des Gutachtens nicht fr sich behalten, um den Sachverstndigen zu schonen. Mitunter sind Sachverstndige zur Genauigkeit und Objektivitt nur dadurch anzuhalten, daß jedes prozessual zulssige Mittel ausgeschpft wird. Dazu kann auch der Antrag gehren, wesentliche Teile des Gutachtens wrtlich ins Protokoll aufzunehmen und zu verlesen (Rn. 702). Auf diese Weise kann zwar nicht die gesamte mndliche ußerung des Sachverstndigen Wort fr Wort in die Niederschrift bernommen werden, es knnen aber ggfs. wesentliche Teile festgehalten werden. Man erreicht dadurch, daß der Sachverstndige vorsichtig wird und sich mindestens seine Formulierungen genau berlegt. Die przise Fixierung der Sachverstndigenerklrung – notfalls durch fr die Beteiligten erkennbare eigene Mitschrift – erleichtert unter Umstnden deren Widerlegung. Nach nderung des § 79 Abs. 1 durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz vom 24. 8. 2004 kann der Verteidiger die Vereidigung des Sachverstndigen nicht mehr erzwingen. Sie erfolgt nur noch nach dem Ermessen des Gerichts, auf das er freilich durch (begrndeten) Antrag oder nach § 238 Abs. 2 ggfs. Einfluß nehmen kann. Erfahrungsgemß werden Sachverstndige vorsichtig, wenn ein Antrag auf ihre Vereidigung angekndigt und notfalls gestellt wird. Dabei ist zu bedenken: Der Eid bezieht sich auch auf die Befundtatsachen (Rn. 612), die der Sachverstndige in die Hauptverhandlung einfhrt. Die Sachverstndigen sind die Vereidigung nicht gewohnt. Ihre Nichtvereidigung ist die Regel. Beantragt der Verteidiger die Vereidigung, so werden die Sachverstndigen zur Genauigkeit angehalten. Nur durch den Eid wird die fahrlssig falsche Gutachtenerstattung auch strafbar; nur auf diese Weise kann der Wiederaufnahmegrund des § 359 Nr. 2 entstehen. Man macht im brigen dabei die Erfahrung, daß bei beantragter oder durchgefhrter Vereidigung eines Sachverstndigen etwa nachfolgende Sachverstndige zurckhaltender werden und sogar von ihrem schriftlichen Gutachten abweichen. Zu den Maßnahmen, die der Verteidiger unter Umstnden ergreifen muß, gehrt die Benennung eines anderen Sachverstndigen im Wege des Beweisantrags (Rn. 641 ff., 669 ff., 675) evtl. nach Selbstladung durch den Verteidiger. Oft liegt hier die einzige Mglichkeit, ein Gutachten zu widerlegen. Dabei muß der Verteidiger nicht selten den Widerstand der Fachleute berwinden, sich von der Verteidigung benennen und vom Angeklagten bezahlen zu lassen (Rn. 289). Schließlich kann es geboten sein, gegen Sachverstndige ein Ablehnungsgesuch anzubringen (Rn. 227 ff.). Der Verteidiger wird hiervon nicht unn429

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tig Gebrauch machen. Dringt die Ablehnung nicht durch, so muß mit einer Verstimmung des Sachverstndigen gerechnet werden. Auch beeinflußt das Gutachten eines abgelehnten Sachverstndigen in unkontrollierbarer Weise die berzeugungsbildung des Gerichts. Manchmal bleibt aber nur die Ablehnung, um eine objektive Begutachtung zu erzwingen. Ablehnungsgrnde knnen sich noch in der Hauptverhandlung ergeben, z. B. aus der Fragestellung des Sachverstndigen an Zeugen oder aus der Art, wie ein Sachverstndiger versucht, die Aussagebereitschaft des Probanden zu frdern. Im brigen verhindert nach h. M. die erfolgreiche Ablehnung nicht, daß der Sachverstndige als Zeuge ber die Tatsachen verhrt wird, die er bei Durchfhrung seines Auftrages wahrgenommen hat (Rn. 613)526. Immerhin darf er dann nur Tatsachen bekunden und keine Schlußfolgerungen vortragen. Zur Begutachtung ist ein anderer Sachverstndiger zu bestellen (§ 83 Abs. 2). h) Urkundenbeweis Alsberg/Nse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß, 5. Aufl., 1983, S. 241 ff.; Br, Beschlagnahme von Computerdaten, CR 1996, 744; Burhoff, Vorlagen geflschter Urkunden durch Strafverteidiger, ZAP, Fach 22 R, 27; Dahs, Verwertungsverbote bei unzulssiger Beschlagnahme von Tagebuchaufzeichnungen, Verteidigungsunterlagen sowie bei unzulssiger Gesprchsaufzeichnung und Blutprobe, Schriftenreihe Arbeitsgemeinschaft DAV, 1989, S. 122; Langkeit/Cramer, Vorrang des Personalbeweises bei gemß § 55 StPO schweigenden Zeugen, StV 1996, 230; G. Schfer, Die Praxis des Strafverfahrens, 6. Aufl., 2000, 372 ff.; Sommer, Moderne Strafverteidigung, strafprozessuale nderungen des Ersten Justizmodernisierungsgesetzes, AnwBl. 2004, 506, 507.

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Fast in jedem Strafprozeß wird ein Urkundenbeweis erhoben. Darunter fallen nicht nur Schriftstcke, deren Inhalt selbst Gegenstand des Tatvorwurfs ist (z. B. der betrgerische Prospekt, der geflschte Scheck, der Beleidigungsbrief), sondern vor allem die Urkunden, die zur sonstigen Aufklrung des Sachverhalts verwendet werden. Hierbei sieht sich der Verteidiger einer verwirrenden Vielfalt von Mglichkeiten und Meinungen gegenber. Gesetzliche Regelung, Rechtsprechung und Handhabung der Praxis stecken voller Widersprche und fhren immer wieder zu Schwierigkeiten. Zur Orientierung in dem „Gestrpp“ der Verfahrensvorschriften ist es ratsam, von der grundstzlichen gesetzlichen Regelung auszugehen und sie mit den praktischen Erfahrungen zum Urkundenbeweis zu verbinden.

526 BGHSt. 20, 222 = JR 1966, 424 m. abl. Anm. Hanack; Lwe/Rosenberg/ Krause[25], § 74 Rn. 35 f.

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Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

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Am Anfang steht der Grundsatz, daß zur Feststellung des Sachverhalts aus allen Arten von Schriftstcken alle tatschlichen Schlsse gezogen werden drfen, die denkgesetzlich mglich sind (Beweiskraft der Urkunde). Dieses Prinzip ist freilich in mannigfacher Weise eingeschrnkt. So ist nicht jede Urkunde in der Hauptverhandlung verwertbar. Auch besitzen nicht alle verwertbaren Urkunden die volle Beweiskraft fr ihren Inhalt. Der Verteidiger wird zwar die Erfahrung bercksichtigen, daß eine Urkunde oft zuverlssiger ist als das Gedchtnis eines Zeugen. So ist der Nachweis einer Zahlung durch Vorlage einer Quittung gewisser zu fhren als durch eine Zeugenvernehmung. Diese Erfahrung darf jedoch nicht dazu verleiten, den Inhalt einer Urkunde unbesehen als wahr hinzunehmen. Die Urkunde kann falsch sein oder den Sachverhalt ungenau oder tendenzis wiedergeben. Zum Beispiel beweist eine polizeiliche Niederschrift ber ein Gestndnis noch nicht, daß der Mandant tatschlich ein Gestndnis abgelegt hat (Rn. 246). Bestreitet er den Inhalt des Protokolls, so kann das Gestndnis nicht allein durch die polizeiliche Niederschrift bewiesen werden. Ebensowenig beweist ein Aktenvermerk, daß ein Gesprch mit exakt diesem Inhalt stattgefunden hat. Außer der Beweiskraft einer Urkunde hat der Verteidiger zu prfen, ob sie als Beweismittel verwertbar ist. Hier liegen die eigentlichen Schwierigkeiten des Urkundenbeweises. Sie sind am besten zu berwinden, wenn man auf den gesetzlichen Grundlinien aufbaut. Danach ist zunchst jedes Schriftstck im Wege der Verlesung verwertbar, unbeschadet seiner Beweiskraft (§ 249). Der Verlesungszwang hat eine wichtige Funktion. Er soll den Beteiligten vllige Klarheit ber den Inhalt einer Urkunde verschaffen, damit sie sich unter Umstnden dagegen wehren knnen. Eine zweischneidige Sache ist die Ersetzung der Verlesung durch „stille“ richterliche Kenntnisnahme nach § 249 Abs. 2 (Selbstleseverfahren). Sie vermeidet zwar die ermdenden „Lesestunden“ insbesondere in Wirtschaftsstrafsachen, jedoch ist einem oft nicht wohl und man fragt sich, ob wirklich alle Mitglieder des Gerichts die Dokumente sorgfltig gelesen haben. Allerdings kann der Verteidiger (oder der Angeklagte) der Anordnung des Vorsitzenden, das Selbstleseverfahren durchzufhren, „unverzglich“ widersprechen und so eine Entscheidung des Gerichts herbeifhren (§ 249 Abs. 2 S. 2 n. F.). Da es sich um eine Ermessensentscheidung handelt, sollte der Widerspruch mglichst stichhaltig – und schriftlich – begrndet werden, was Teil der sachgemßen Vorbereitung der Hauptverhandlung sein kann. Im brigen soll auch die Inhaltsangabe als Verlesungsersatz neben § 249 Abs. 2 zulssig sein527.

527 BGHSt. 30, 10; Meyer-Goßner, § 249 Rn. 25 ff.

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Besondere Aufmerksamkeit des Verteidigers ist am Platze, wenn er selbst Urkunden vorlegt. Sie sind dann prsente Beweismittel (§ 245 Abs. 2). Man erlebt aber hufig das Mißtrauen des Gerichts gegen Urkunden, die von der Verteidigung in der Hauptverhandlung vorgelegt werden. Der Richter wirft oft nur einen flchtigen Blick darauf und reicht sie dem Verteidiger kurzerhand zurck, legt sie „neben die Akten“ oder erklrt, man werde ggfs. darauf zurckkommen. Der prozessual ungewandte Verteidiger, der sich das gefallen lßt, bringt sich um das Beweismittel. Er muß den in § 245 Abs. 2 vorgesehenen Beweisantrag stellen und auf seiner Protokollierung bestehen. Gegenstand der Beweisbehauptung darf aber nur der in der Urkunde dokumentierte Inhalt sein, nicht der Sachverhalt, den der Verteidiger daraus folgern will (Rn. 658).

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Das Prinzip, daß jedes Schriftstck durch Verlesung verwertbar ist, erleidet eine Reihe von praktisch bedeutsamen Ausnahmen verfassungs- und prozeßrechtlicher Art. Die einschlgige Rechtsentwicklung muß der Verteidiger unter dem Stichwort „Beweisverbot“ im Auge behalten. Ein prgnantes Beispiel ist die Verwertung privatester Aufzeichnungen eines Beschuldigten, insbesondere eines Tagebuchs. Insoweit besteht dann ein uneingeschrnktes Verwertungsverbot, wenn der absolut geschtzte Kernbereich persnlicher Lebensgestaltung betroffen ist528. In den brigen Fllen soll eine Abwgung erforderlich sein, wobei sich auch die Verwertung intimer Aufzeichnungen als zulssig ergeben kann, wenn sie einen unmittelbaren Bezug zu einer schweren Straftat aufweisen529. Aufzeichnungen, die sich der Angeklagte (auch der Inhaftierte) zum Zwecke seiner Verteidigung macht, unterliegen ebenfalls einem Verwertungsverbot530 und drfen deshalb auch nicht beschlagnahmt werden531. Entsprechendes gilt auch fr anderes Verteidigungsmaterial des Angeklagten532 und fr die persnlichen Notizen eines frheren Mitangeklagten533. Nicht vor der Verwertung geschtzt sind dagegen schriftliche ußerungen, die der Angeklagte außerhalb der genannten Schutzbereiche, z. B. gegenber Dritten oder gemß § 163a im Vorverfahren abgegeben hat534. Eine vom Verteidi-

528 BVerfGE 34, 238, 249; BVerfGE 80, 367; Dahs, Schriftenreihe Arbeitsgemeinschaft DAV, Bd. 6, 1989, S. 122. 529 Zum Streitstand ausfhrlich Meyer-Goßner, Einleitung Rn. 56a; BGHSt. 19, 325, 331; Lwe/Rosenberg/Krause[25], § 97 Rn. 105 m. N. 530 BGH, NStZ 1998, 309. 531 Dahs, GS K. Meyer (1990), S. 61 ff. 532 Dahs, GS K. Meyer (1990), S. 61 ff. 533 OLG Celle, NdsRpfl. 1964, 279. 534 OLG Hamm, JMBl. NRW 1968, 215; VRS 42 (1972), 99; Meyer-Goßner, § 163a Rn. 14.

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ger formulierte Erklrung, die er fr den Mandanten abgegeben hat, ist dagegen nicht verlesbar535. Von den in der geregelten Ausnahmen ist die wichtigste: Der Urkundenbeweis ist unzulssig, falls die zu beweisende Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person beruht (§ 250 S. 1). In diesem Falle besitzt der Zeugenbeweis in der mndlichen Hauptverhandlung den Vorrang. Deshalb darf die persnliche Anhrung nicht durch Verlesung eines frheren Protokolls oder einer schriftlichen Erklrung der Auskunftsperson ersetzt werden (§ 250 S. 2). Dazu ist aber klarzustellen, daß das Verlesungsverbot des § 250 S. 2 nur den Ersatz einer Vernehmung durch die Verlesung einer Niederschrift oder Erklrung betrifft, die zu Beweiszwecken fr ein Verfahren (dasselbe oder ein anderes) hergestellt worden ist536. Der erfahrene Verteidiger weiß, wie hufig das gesetzliche Verbot in der tglichen Praxis z. B. durch Vorhalte (Rn. 629) durchlchert wird. Man muß immer wieder betonen, daß die Mndlichkeit der Hauptverhandlung verlorengeht, wenn statt der Zeugenvernehmung Urkunden verlesen werden. Es fehlt der nicht selten entscheidende persnliche Eindruck, den der Zeuge macht, auch sind Fragen und Vorhaltungen unmglich.

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Trotz dieser Erkenntnis lßt das Gesetz unter bestimmten Voraussetzungen zu, von der Anhrung einer Auskunftsperson in der Hauptverhandlung abzusehen und dafr Niederschriften ber frhere Vernehmungen oder von ihnen stammende schriftliche Erklrungen zu verlesen (§ 251 Abs. 1 n. F.). Die gesetzliche Regelung, die Beweisverluste verhten und das Verfahren beschleunigen soll, fhrt zu einer Ausweitung des Urkundenbeweises gegenber dem Zeugen- und Sachverstndigenbeweis und zu der Gefahr, mehr und mehr ins schriftliche Verfahren abzugleiten. Der Verteidiger muß in jedem Einzelfall genau berwachen, ob die Verlesung an die Stelle der persnlichen Vernehmung eines Zeugen oder Sachverstndigen treten darf. Ggfs. muß er Beweisantrge auf persnliche Vernehmung stellen, die nicht immer leicht zu begrnden sind.

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Nach § 251 Abs. 2 drfen nur ordnungsgemße richterliche Protokolle verlesen werden, und zwar unter den verhltnismßig engen gesetzlichen Voraussetzungen des § 257 Abs. 2 Nr. 1 – 3. ber die Tatbestandsmerkmale kann im Einzelfall nicht immer zuverlssig entschieden werden, etwa ber die große Entfernung und die Bedeutung der Aussage in Nr. 2. Deshalb weicht die Praxis auf § 251 Abs. 2 Nr. 3 aus und versucht, das Einverstndnis der Beteiligten mit der Verlesung eines richterlichen Pro-

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535 OLG Celle, NStZ 1988, 426; Meyer-Goßner, § 163a Rn. 14. 536 BGHSt. 20, 160; BGHSt. 6, 209.

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Rn. 627

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

tokolls zu erhalten. Der Verteidiger sollte seine Zustimmung nur nach sorgfltiger berlegung erteilen. Er begibt sich aller Mglichkeiten, wenn er dieses Verfahren mitmacht oder auch nur stillschweigend duldet. Er muß ggfs. ausdrcklich widersprechen, sein Schweigen wird sonst leicht als Zustimmung aufgefaßt537. Der Verteidiger muß auf die Anhrung einer Auskunftsperson in der Hauptverhandlung drngen, wenn es auf den persnlichen Eindruck ankommt oder wenn er die Auskunftsperson befragen muß. Anders kann er sich nur entscheiden, falls die frhere richterlich protokollierte Bekundung den Mandanten eindeutig entlastet und das Gericht diese Aussage erkennbar auch so werten will. Die Entscheidung hat der Verteidiger selbstndig zu treffen, notfalls auch gegen den Willen des Mandanten, falls die Anhrung der Beweisperson unerlßlich ist. 627

Noch sorgsamer muß der Verteidiger darauf achten, daß andere als richterliche Protokolle nicht contra legem im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden (§ 251 Abs. 2). Polizeiliche Niederschriften ber Zeugenvernehmungen und schriftliche ußerungen einer Beweisperson sind mit „besonderer Skepsis“ zu prfen, ehe der Verteidiger etwa ihrer Verlesung nach § 251 Abs. 1 Nr. 1 zustimmt. Gegenber der persnlichen Vernehmung in der Hauptverhandlung und gegenber einem frheren richterlichen Protokoll sind sie nach aller Erfahrung das schlechtere Beweismittel. Deshalb drfen solche Aufzeichnungen zum Zwecke des Urkundenbeweises nur verlesen werden, wenn die Auskunftsperson verstorben ist oder aus einem anderen Grunde in absehbarer Zeit nicht gerichtlich vernommen werden kann (§ 251 Abs. 1 Nr. 2). Im Falle des Todes einer Beweisperson darf ihre polizeiliche Aussage nicht verlesen werden, wenn sie sich nach der Vernehmung auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen hat538. Ebenfalls unverwertbar ist die Niederschrift, wenn der – noch lebende – Zeuge vor seiner Vernehmung nicht ber sein Zeugnisverweigerungsrecht belehrt worden ist539. Unzulssig ist es auch, das Polizeiprotokoll ber die Vernehmung eines Angehrigen in der Berufungsverhandlung zu verlesen, der in der Hauptverhandlung erster Instanz sein Zeugnis verweigert hat540. Hufig wird bersehen, daß es sich um unberwindliche Vernehmungshindernisse handeln muß541. Problematisch ist das Merkmal „in nicht absehbarer Zeit“. Der Verteidiger hat darauf zu bestehen, daß nicht aus Scheu vor einer Vertagung die gesetzliche Ausnahme zur Regel

537 BGH, NStZ 1985, 376; BGH, NStZ 1983, 326; Meyer-Goßner, § 251 Rn. 24 ff. 538 BGHSt. 22, 35; Meyer-Goßner, § 252 Rn. 1; Lwe/Rosenberg/Gollwitzer[25], § 252 Rn. 12a. 539 Meyer-Goßner, § 251 Rn. 11. 540 OLG Celle, NJW 1968, 415. 541 Meyer-Goßner, § 251 Rn. 9.

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Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 629

wird. So verstndlich das Streben nach Beschleunigung ist, es darf nur im Ausnahmefall dazu fhren, eine in Zukunft vielleicht doch mgliche persnliche Vernehmung durch einen Urkundenbeweis zu ersetzen. In diesem Zusammenhang muß der Verteidiger auch an eine andere praktisch wichtige Ausnahme denken: Jedes Schriftstck (richterliche und nichtrichterliche Protokolle, schriftliche Erklrungen der Auskunftsperson) darf auch ohne die Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 u. 2 verlesen werden, wenn dies nicht zur Urteilsfindung dient, sondern z. B. zur Feststellung, ob eine Auskunftsperson zu vernehmen und zu laden ist (§ 251 Abs. 3). Hier hat der Verteidiger darber zu wachen, daß die Verlesung nur verfahrensrechtliche Entscheidungen vorbereiten darf. Dabei kann er allerdings selten verhindern, daß das verlesene Schriftstck nicht doch die Meinungsbildung des Richters beeinflußt. Es gibt einen Weg, diese Gefahr zu vermeiden und zu erreichen, daß der Richter genau prft, ob er die Urkunde fr verfahrensrechtliche Entscheidungen verlesen und sie trotzdem fr die Urteilsfindung nicht verwerten darf. Der Verteidiger kann eine Erklrung abgeben (Rn. 520) und notfalls im Wege eines Beweisantrages persnliche Vernehmung der Auskunftsperson vor der Verlesung einer frheren Niederschrift oder ußerung beantragen. Das Gericht erwartet ohnehin eine ußerung des Verteidigers, ehe es die Verlesung von Urkunden dieser Art anordnet und dabei den Grund der Verlesung bekanntgibt (§ 251 Abs. 4).

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In einem nicht minder großen, manchmal unlsbaren Dilemma befindet sich der Verteidiger beim Vorhalt frherer Protokolle whrend der Vernehmung von Zeugen und Sachverstndigen (§ 253). Die praktische Bedeutung dieses Rechtsinstituts liegt auf der Hand. Kaum eine Vernehmung geschieht ohne Vorhalt aus den Akten. Deshalb ist es fr den Verteidiger unerlßlich, die Grundlagen des Vorhalts zu beherrschen und seine Gefahren im Einzelfall sofort zu erkennen. Vorweg muß man sich darber klar sein, daß die gesetzliche Regelung eine „Kombination zwischen Zeugenbeweis und Urkundenbeweis“ zulßt. Der Urkundenbeweis darf jedoch nicht die Vernehmung ersetzen, er muß Vernehmungsbehelf bleiben. Das Gesetz sagt dies deutlich, indem es die Verlesung frherer Protokolle nur unter bestimmten Voraussetzungen zulßt, nmlich im Falle des § 253 Abs. 1, wenn sich die Auskunftsperson an eine bestimmte Tatsache nicht mehr erinnert und die Verlesung bezweckt, ihr Gedchtnis zu untersttzen; im Falle des § 253 Abs. 2, wenn ohne Verlesung eines frheren Protokolls ein Widerspruch nicht festgestellt oder behoben werden kann, ohne die Hauptverhandlung zu unterbrechen.

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So klar diese Regelung erscheint, so wenig wird sie in der tglichen Praxis eingehalten (Rn. 576). Man erlebt es hufig, daß mit der Verlesung frhe435

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Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

rer Niederschriften, zu denen in diesem Falle die polizeilichen Protokolle gehren, nicht gewartet wird, bis man weiß, ob die Beweisperson sich noch erinnert, oder bis ein Widerspruch zu frheren Bekundungen festgestellt ist. Der Zeuge wird vielmehr oft mit Vorhalten mehr oder weniger „zugedeckt“, etwa in der Art, daß ihm die polizeiliche Vernehmung alsbald vorgelesen wird und gefragt wird, ob das so stimme. Gegen diese Art von Vorhalten muß der Verteidiger vorgehen. Sie verhindern nicht nur die Erkenntnis, was der Zeuge im Zeitpunkt der Hauptverhandlung wirklich noch weiß, sondern auf diese Weise wird lediglich der Akteninhalt nachvollzogen. Gegenstand der Hauptverhandlung ist dann nicht mehr die Aussage des Zeugen in der Verhandlung, sondern das Schriftstck ber seine frhere Vernehmung. Das ist gerade deshalb gefhrlich, weil im Wege des an sich zulssigen Vorhalts nicht nur richterliche Protokolle, sondern jede behrdliche Niederschrift vorgelesen werden darf, obwohl z. B. Vernehmungsprotokolle der Polizei nicht immer genau das wiedergeben, was der Vernommene erklrt hat (Rn. 244, 246). Auf diese Weise kann das Polizeiprotokoll zum entscheidenden Beweismittel in der Hauptverhandlung werden, allenfalls noch untersttzt durch eine kurze Vernehmung der Verhrperson (Rn. 244). Einer solchen Entwicklung muß der Verteidiger energisch entgegentreten. Sie trgt noch eine andere Gefahr in sich: Durch den Vorhalt kann eine frhere Aussage als Gegenstand der mndlichen Erklrung in der Hauptverhandlung „gestaltet“ werden. Sie fhrt dann zu tatschlichen Feststellungen im Urteil, die mit der Revision nicht anfechtbar sind. 630

Insbesondere wird immer wieder bersehen, daß der Vorhalt als solcher niemals Beweismittel sein darf542: Beweisgrundlage darf lediglich die Erklrung sein, die die Auskunftsperson in der Hauptverhandlung abgibt. Sie ist zunchst vollstndig ber ihr noch vorhandenes Wissen zu vernehmen543. Dabei sind etwaige Erinnerungslcken und Widersprche festzustellen; erst danach ist es zulssig, frhere Niederschriften vorzuhalten und sie zu verlesen, obwohl die „Verlesung“ im Sinne der Strafprozeßordnung sonst vielleicht unzulssig wre. Besttigt die Auskunftsperson auf einen Vorhalt, sie erinnere sich nunmehr an eine bestimmte Tatsache, dann ist Gegenstand des Beweises die Aussage in der Verhandlung, ergnzt durch den vergessenen frheren Inhalt der Vernehmungsniederschrift. Erklrt die Beweisperson hingegen trotz des Vorhalts, sich nicht mehr zu erinnern, so ist der Vorhalt gegenstandslos. Freilich beweist die Erfahrung, daß insbesondere Zeugen lediglich auf die frhere Bekundung Bezug nehmen und erklren, das damals Gesagte sei sicher richtig, wenn 542 BGH, NJW 1966, 211. 543 BGHSt. 3, 281; Meyer-Goßner, § 253 Rn. 3.

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Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 630

sie auch den Inhalt nicht mehr einzeln im Kopf haben. Eine solche Erklrung in der Hauptverhandlung macht die frhere Vernehmungsniederschrift nicht verwertbar. Besser ist es, wenn eine sptere Wiederholungsfrage des Verteidigers zutage bringt, daß der Zeuge sich tatschlich nicht erinnert hat. Auf solche Umstnde muß der Verteidiger besonders bei der Vernehmung von Verhrspersonen achten (Rn. 569). Die bloße Aussage des Richters oder des Polizeibeamten, er habe richtig protokolliert, darf nicht dazu fhren, daß das frhere Protokoll sachlich verwertet wird544. Statthaft ist die Protokollverwertung nur, wenn die Verhrsperson auf den Vorbehalt besttigt, sich auch an den Inhalt der Niederschrift zu erinnern. Diesen Unterschied muß der Verteidiger in der Verhandlung deutlich herausarbeiten. Das gilt vor allem bei der Vernehmung von Verhrspersonen ber behauptete frhere Gestndnisse des Mandanten, die jetzt bestritten werden (Rn. 547). Besonders Laienrichter erkennen hufig nicht, was bloßer Vorhalt geblieben und damit unverwertbar ist. Indessen kann der Verteidiger nicht verhindern, daß sich der gegenstandslos gewordene Vorhalt im Gedchtnis der Richter festsetzt und die Urteilsfindung beeinflußt. Dies wird nur selten augenfllig. Gelegentlich findet man in Urteilen Feststellungen, die auf einen unbesttigten Vorhalt oder auf eine nicht verlesene und nicht vorgehaltene Niederschrift zurckgehen. Im letzteren Falle kann die Versagung des rechtlichen Gehrs gergt werden, weil zu der Niederschrift nicht Stellung genommen werden konnte545. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, hat das Revisionsgericht im Freibeweisverfahren aufzuklren. Meist hat die Rge des unzulssig verwerteten Vorhalts freilich wenig Erfolgsaussicht. Im Urteil braucht nur der Satz zu stehen, der Inhalt der frheren Vernehmung sei aufgrund der Vernehmung der Verhrsperson festgestellt worden. Daher muß der Verteidiger mglichst verhindern, daß es berhaupt zu einem unzulssigen Vorhalt kommt. So ist es notwendig, den Vorhalt sofort zu beanstanden (§ 238 Abs. 2), wenn z. B. schwer verstndliche oder umfangreiche Schriftstcke verlesen werden sollen546. Das ist ebenso unstatthaft wie die Verlesung der frheren Bekundung eines Zeugen, der in der Hauptverhandlung die Aussage verweigert (§ 252: Rn. 569). Stets ist es ratsam, in Zweifelsfllen dem Vorhalt zu widersprechen und ausdrcklich zu beantragen, die Verlesung und ihren Grund in das Hauptverhandlungsprotokoll aufzunehmen (§ 255). Hierbei sieht sich der Verteidiger nicht selten einer prekren Situation gegenber: Einerseits muß er immer wieder auf die Verfahrensregeln hinweisen, um

544 BGHSt. 14, 310; BGH, StV 1994, 413. 545 BGH, NJW 1968, 997. 546 BGHSt. 11, 159.

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Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

die Interessen des Mandanten nicht zu gefhrden, anderseits kann es jedoch im Einzelfall unzweckmßig sein, die prozessualen Rechte ber Gebhr zu beanspruchen. Erfahrung und Fingerspitzengefhl sind notwendig, um das rechte Maß zu finden. 631

Diese schwierige Situation tritt besonders whrend des Vorhalts von Gestndnisprotokollen gegenber dem Angeklagten auf (§ 254). Hier muß der Verteidiger darauf bestehen, daß ausschließlich frhere ordnungsgemße richterliche Protokolle verlesen werden drfen, z. B. einer kommissarischen Vernehmung des Mandanten nach § 233 (Rn. 476). Nur richterliche Niederschriften sind auch geeignet, ein frheres Gestndnis oder Widersprche zu einer frheren Einlassung festzustellen. Es ist verboten, andere Niederschriften zu verwerten. Freilich kann der Verteidiger ebensowenig den Vorhalt von Erklrungen, besonders eines Gestndnisses, verhindern547 wie die Zeugenvernehmung der Verhrsperson (Rn. 569). Allerdings muß er genau darauf achten, daß ein polizeiliches Gestndnisprotokoll nicht ber den Umweg des Vorhalts als wahr behandelt wird. Das Protokoll kann falsch oder unrichtig aufgenommen sein (Rn. 246). Wird der vernehmende Polizeibeamte in der Hauptverhandlung gehrt, so darf ihm das Protokoll nicht sofort vorgehalten werden, er muß vorweg alles berichten, was er von der Sache noch weiß. Erinnert er sich trotz des Vorhalts an die frhere Einlassung des Mandanten nicht mehr, so darf das nicht-richterliche Protokoll nicht als Urkundenbeweis verwendet werden (Rn. 547, 631 a. E.). Richterliche Protokolle hingegen sind verlesbar, auf keinen Fall darf es der Verteidiger jedoch hinnehmen, daß ein solches Protokoll verwendet wird, das lediglich auf eine polizeiliche Vernehmung Bezug nimmt, ohne sie wenigstens inhaltlich zu wiederholen548. Einen derartigen „unselbstndigen Anhang“ zu verwenden, ist schlechthin unzulssig.

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Zeugnisse und Gutachten ffentlicher Behrden sowie rztliche Erklrungen, Atteste und Routinegutachten (§ 256) sind darauf zu kontrollieren, ob sie berhaupt im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden drfen. Nicht jeder Angehrige einer Behrde ist berechtigt, Gutachten fr die Behrde zu erstatten549. Hierbei muß der Verteidiger daran denken, daß Institutsgutachten verlesen werden mssen, ehe sie ein Sachverstndiger in der Hauptverhandlung seinem Gutachten zugrunde legen darf, wenn er nicht selbst das schriftliche Gutachten erstattet hat550. Besonders

547 548 549 550

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BGH, NJW 1967, 2020. BGH, NJW 1996, 1547, 1550; Meyer-Goßner, § 254 Rn. 4. Meyer-Goßner, § 256 Rn. 15; BGH, NStZ 1988, 283. BGH, NJW 1967, 299.

Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 634

bedenklich ist die Zulssigkeit der Verlesung von Vermerken der Polizei ber Ermittlungshandlungen nach § 256 Abs. 1 Nr. 5 n. F.551. Oft werden solche Schriftstcke Elemente einer Vernehmung enthalten, was Widerspruch gegen die Verlesung (§ 238 Abs. 2) erfordert (§ 256 Abs. 1 Nr. 5 l. Hs.). Fr den Verteidiger praktisch wichtig sind die Leumundszeugnisse, die kraft ausdrcklicher Vorschrift (§ 256 Abs. 1 S. 1) dem Urkundenbeweis nicht zugnglich sind. Der Verteidiger muß deshalb darauf verzichten, sie zu verlesen. Man sollte auch nicht versuchen, solche Schriftstcke whrend des Pldoyers vorzulesen. Das ist unfair und außerdem prozessual unbeachtlich. Es gibt jedoch eine praktische Mglichkeit, ohne frmliche Ladung des Leumundszeugen das Zeugnis zur Wirkung zu bringen. Man kann als Beweis- oder als Eventualbeweisantrag die Ladung des Leumundszeugen ber das Thema des schriftlichen Zeugnisses beantragen. Dabei kommt das Zeugnis zur Verlesung. Evtl. kommt auch eine Verlesung nach § 257 Abs. 3 in Betracht.

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Hier ist anzumerken, daß die Bedeutung der Leumundszeugen von dem Gericht vielfach nicht respektiert wird. Sie sollen nicht immer nur einen Milderungsgrund belegen, sondern oft die Tterschaft oder Schuld des Angeklagten in Zweifel setzen, weil ihm die Tat nicht zuzutrauen sei. Ihre Vernehmung wird hufig mit der Wahrunterstellung umgangen (Rn. 658), weil die allgemeine Aussage die Schuld im konkreten Falle nicht ausschließe. Der Verteidiger sollte in den entsprechenden Fllen dies nicht hinnehmen, weil schon im Rahmen der Persnlichkeitsdiagnose und -prognose die vollstndige Aufklrung geboten ist. i) Beweis durch Augenschein aa) Allgemeines Alsberg/Nse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß, 5. Aufl., 1987; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 4. Aufl., 2002, Rn. 2220 ff.; Geppert, Der Augenscheinsbeweis, Jura 1996, 307; Haas, Der Beschuldigte als Augenscheinsobjekt, GA 1997, 368; Mhlhaus, Unfallskizzen und Lichtbilder, DAR 1965, 12; Rogall, Die Augenscheinseinnahme an zeugnisverweigerungsberechtigten Personen, MDR 1975, 813 ff.; Rogall, Der Augenscheinsgehilfe im Strafprozeß, GS K. Meyer (1990), S. 391; Wenskat, Der richterliche Augenschein im deutschen Strafprozeß, 1988.

Der Beweis durch Augenschein dient der Gewinnung von Beweisanzeichen durch die Sinnesorgane552, ist also nicht auf Besichtigung im engeren 551 Zutr. Kritik bei Sommer, AnwBl. 2004, 507 f. 552 Meyer-Goßner, § 86 Rn. 1.

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Rn. 635

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

Sinne beschrnkt. Nhere Vorschriften sind in der Strafprozeßordnung nicht enthalten, abgesehen von der Protokollvorschrift des § 86 (Rn. 702). Gegenstand des Augenscheins knnen Sachen jeder Art sein. Dazu gehren auch Lichtbilder, Filme, Skizzen, Schallplatten, Ton- und Videobnder sowie Datentrger.

bb) Ton- und Filmaufnahmen Kpper, Tagebcher, Tonbnder, Telefonate, JZ 1990, 416; Preuß, Zur Verwertbarkeit heimlicher Tonbandaufnahmen als Beweismittel im Strafverfahren, StV 1995, 66 (Anm. zu BayObLG, StV 1995, 65).

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Gegenstand der Beweiserhebung durch Augenschein knnen insbesondere auch Tontrger sein, die im Strafprozeß eine nicht unbedeutende Rolle spielen. Damit sind zunchst Ton- und Filmaufnahmen gemeint, die nicht durch Organe der Strafrechtspflege hergestellt sind. Der Verteidiger muß wissen und beachten, daß solche Beweismittel in besonderem Maße der Verflschung zugnglich sind. Je vollkommener die Gerte sind, desto eher verleiten sie zu mißbruchlicher Verwendung, etwa durch berspielen oder Schneiden und Umspielen des geschnittenen Bandes auf ein anderes Band, das als solches dann unversehrt ist. Notfalls wird sich der Verteidiger ber die technischen Einzelheiten unterrichten mssen, um sachgerecht zu reagieren, z. B. ein Beweisantrag auf kriminaltechnische berprfung stellen – wenn dies erfolgversprechend ist. Im brigen kommt es darauf an, daß die Aufnahme in der Hauptverhandlung ordnungsgemß zu Gehr gebracht wird. Im wesentlichen sind zwei Gesichtspunkte zu beachten: Die Aufnahme muß technisch einwandfrei sein, also gut hrbar und sichtbar sowie fr alle Beteiligten verstndlich sein. Sie muß aber auch auf gesetzliche Weise zustande gekommen und damit fr die Hauptverhandlung verwertbar sein.

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Das nicht ffentlich gesprochene Wort eines anderen, z. B. eines Zeugen im Gesprch mit dem Verteidiger, darf nicht unbefugt auf einen Tontrger aufgenommen, eine so hergestellte Aufnahme darf weder gebraucht noch einem Dritten zugnglich gemacht werden, der unbefugte Einsatz eines Abhrgertes ist verboten (§ 201 StGB). Diese Strafsanktion will das Recht am eigenen Wort schtzen und regelt eine Reihe von praktisch bedeutsamen Problemen, ohne sie freilich vollstndig zu lsen. Die heimliche Tonbandaufnahme ist auch dem Verteidiger durch die Strafvorschrift des § 201 Abs. 1 StGB untersagt. Das gilt fr die Aufnahmen von Raumgesprchen ebenso wie fr das Aufnehmen von Telefonaten. Schwierig kann die Situation werden, wenn dem Verteidiger private Tonaufnahmen zur Verwertung berlassen werden. Grundstzlich darf die 440

Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 637

versteckte Aufnahme als Beweismittel weder angeboten noch gebraucht werden (§ 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB). Deshalb muß der Verteidiger prfen, wie die ihm bergebene Aufnahme zustande gekommen ist. Auf die bloßen Angaben eines nicht als zuverlssig bekannten Mandanten oder Dritten wird er sich nicht verlassen knnen. Er hat sich im Rahmen des Mglichen zu vergewissern, ob die Aufnahme befugt hergestellt ist oder befugt verwendet wird. Die entsprechende Versicherung des zuvor rechtlich belehrten Mandanten wird dann gengen, wenn nicht handgreifliche Zweifel bestehen. Ob bei Vorlage des Beweismittels dem Gericht gegenber eine entsprechende Erklrung abgegeben werden sollte, ist eine Frage des Einzelfalles. Die Anfertigung und die Verwertung einer Tonaufnahme ist stets befugt, wenn der Sprechende einwilligt. Diese Einwilligung muß der Verteidiger zu erreichen versuchen, falls er selbst eine Unterredung auf Tontrger aufnehmen will. Zweischneidig sind fr den Verteidiger die Flle, in denen ausnahmsweise die heimliche Tonaufnahme nach den Grundstzen der Gter- und Pflichtenabwgung hergestellt und verwertet werden darf. Die Verwertung eines solchen Tonbandes kann lediglich aus zwingenden Grnden erlaubt sein, wobei die Grenze eng gezogen werden muß. Daher wird die versteckte private Aufnahme nur im Falle der Notwehr553 oder der notwehrhnlichen Lage554 zugelassen. Sonst verstßt sie gegen das Persnlichkeitsrecht555 und darf deshalb auch nicht auf dem Umweg in das Verfahren eingefhrt werden, daß ein Zeuge ber den Inhalt vernommen wird556. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, daß sich der Verteidiger bei außergerichtlichen Befragungen von Beweispersonen (Rn. 216) nur in Notfllen Tonaufnahmen geben lassen darf, etwa wenn ein Zeuge weder im Ermittlungsverfahren noch im Prozeß seine Aussagen vor Gericht machen kann (Rn. 216 i. d. M.). Entsprechendes gilt z. B. fr audiovisuelle Videoaufnahmen. hnlichen Problemen sieht sich der Verteidiger gegenber, falls eine behrdliche Ton-, Bild- und Filmaufnahme im Verfahren gebraucht werden sollen (§§ 100a, 100c, 247a). Angesichts der ausdifferenzierten Gesetzeslage (vgl. nur §§ 100b, c, d bis i) ist der Verteidiger in der Regel auf die sorgfltige Kontrolle beschrnkt, ob alle Zulssigkeitsvoraussetzungen vorgelegen haben bzw. vorliegen (§ 247a). Im Zweifelsfall ist ein Verwertungsverbot geltend zu machen bzw. ein Gerichtsbeschluß (§ 238 Abs. 2) herbeizufhren. Die verbreitete Praxis, polizeiliche Vernehmungen auf Tonband aufzunehmen, ist nur zulssig, falls der Beschuldigte oder die 553 554 555 556

BGHSt. 14, 358 (Tonbandurteil). OLG Celle, NJW 1965, 1677; OLG Frankfurt/M., NJW 1967, 1047. BGHZ 27, 284. OLG Dsseldorf, NJW 1966, 214.

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Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

Beweisperson zustimmt557. Ausnahmen sind bei Vernehmungen nicht denkbar, wohl aber in sonstigen Fllen, wenn nach der Gter- und Pflichtenabwgung das ffentliche Interesse berwiegt (z. B. die Aufnahme von erpresserischen Telefonanrufen). Hierzu rechnen in den Fllen des § 100a die Anordnungen zum Abhren des Fernsprechverkehrs und dessen Aufnahme auf Tontrger558. 638

Die Rekonstruktion von gelschten Daten (Texten) von elektronischen Datentrgern (PC-Festplatte, Diskette) ist eine insbesondere in Wirtschaftsstrafsachen, immer wichtiger werdende Beweisfhrung. Freilich darf die Rekonstruktion in entsprechend gelagerten Fllen nicht zur „freischaffenden Lckenfllung“ werden, was der Verteidiger ggfs. kritisch zu hinterfragen hat. Ebenso muß er sich Gewißheit darber verschaffen, daß nach bernahme der Datentrger in staatlichen Gewahrsam eine lckenlose Kontrolle ber die Asservate bestanden hat, so daß die Mglichkeit eines manipulativen Zugriffs auf die Daten durch Dritte ausgeschlossen ist. Im brigen hngt es vom Einzelfall ab, ob sich das Gericht mit dem Ausdruck von Daten begngen kann oder eine unmittelbare Augenscheinseinnahme auf dem Bildschirm vorzugswrdig ist. j) Der kriminaltechnische Gutachten-Sachbeweis Bssler, Humanbiologische Spuren, 1995; Berke-Mller, Der rote Faden, 9. Aufl., 1980; Blei, Technik und Beweisverbot, BKA-Vortragsreihe, Bd. 23, 1977, S. 143; Boerner, Das psychologische Gutachten, 7. Aufl., 2004; Burghard/Hamacher/Herold, Kriminalistik Lexikon, 3. Aufl., 1996; Dahs, Der Standpunkt des Verteidigers zum Sachbeweis, BKA-Vortragsreihe, Bd. 23, S. 19; Foth, Richter und Sachbeweis, BKA-Vortragsreihe, Bd. 24, S. 25; Hauptmann, Psychologie fr Juristen (Untertitel: Einfhrung in die Psychologie des Strafrechts – Kriminologie fr Psychologen), 2. Aufl., 1993; Hecker, Forensische Handschriftenuntersuchung, 1993, Kriminalistik Verlag Heidelberg; Hellmiss, Kriminaltechnische Begutachtung, Schrift-, Branduntersuchung, 1994; Kube, Kriminalistik (Handbuch fr Praxis und Wissenschaft), Bd. 1, 1992 und 2, 1994; Michel, Mglichkeiten und Probleme der Sicherung latenter Druckspuren auf Schrifttrgern, Arch. f. Krim. 1995, 169; Neuhaus, Kriminaltechnik fr den Strafverteidiger – Eine Einfhrung in die Grundlagen, StraFo 2001, 406; Prante, Die Personenerkennung – Daktyloskopie, 1982, BKASchriftenreihe, Bd. 51; Schiller, Textilfasern in Anschmelzspuren, Kriminalistik 1995, 728; Schwerd, Rechtsmedizin (Lehrbuch fr Mediziner und Juristen), 5. Aufl., 1992; Schyma, Fehlermglichkeiten der Schußentfernungsbestimmung bei rikochettierten Vollmantelgeschossen, Arch. f. Krim. 1995, 30; Simmross, Kunststoffanalytik in der Kriminaltechnik, Kriminalistik 1995, 569; Steinke, Forensische Ballistik, Linguistik, Thermographie, 1995, Bd. 84 der Internationalen 557 BGHSt. 14, 339 (Tonbandurteil). 558 Zum Abhren von Gesprchen zwischen Verteidiger und Klient BGH, NStZ 1986, 323 m. Anm. Welp, NStZ 1986, 294.

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Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

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Schriftenreihe; Tondorf, Neue kriminaltechnische Entwicklungen – eine Herausforderung fr den Strafverteidiger, StV 1993, 39; Witthuhn, Klassifizierung und Recherche von Handflchenabdrucken, Kriminalistik 1995, 425. Zur DNA-Analyse vgl. die bei Lwe/Rosenberg/Krause[25] angefhrte umfangr. Lit.

Als Sachbeweis bezeichnet man die mit modernsten technischen Mitteln der Kriminalistik vorgenommene Feststellung und gutachterliche Auswertung aller am Tatort oder an sonstigen tat- oder tterrelevanten Stellen befindlichen Spuren, Gegenstnde, Flssigkeiten usw. im Hinblick auf den Ablauf des Tatgeschehens und die Person des Tters. Die fr die Kriminalistik nutzbar gemachten neuesten Erkenntnisse der Naturwissenschaft erlauben es den Ermittlungsbehrden, aus der materiellen Beschaffenheit einer Spur viel mehr herauszulesen, als dies frher mglich war. Zu denken ist hier u. a. an den Einsatz der Datenverarbeitungstechnik in der vergleichenden Daktyloskopie und beim Spurenvergleich: Das Massenspektrometer nimmt wegen seiner universellen Anwendbarkeit, des schnellen Analysenganges und vor allem des geringen Substanzbedarfs einen hervorragenden Platz in der Auswertung von Krpersekreten oder Organteilen ein; das Rasterelektronenmikroskop hat die Erkenntnisse z. B. bei Waffen- und Werkzeugspuren erheblich verbessert und eignet sich besonders gut auch zur fotografischen Dokumentation der Befunde. Die DNA-Analyse erbringt einen genetischen Fingerabdruck, der einen extrem hohen Sicherheitsgrad fr Identifizierungen hat559. Dies sind nur einige Beispiele aus diesem sich stndig weiter entwickelnden kriminalistischen Fachbereich. Prozeßrechtlich handelt es sich bei dem Sachbeweis nicht um ein selbstndiges oder gar neues Beweismittel, sondern um eine Kombination der klassischen Beweismittel Zeuge, sachverstndiger Zeuge, Augenschein und Sachverstndige. Das Auffinden des Beweisgegenstandes und die Feststellung der Tatspur sind Umstnde, die zunchst nur durch solche Zeugen in das Verfahren eingefhrt werden knnen, die sie sinnlich d. h. normalerweise visuell wahrgenommen haben. Die Sicherstellung der Objekte einer spteren kriminaltechnischen Untersuchung, die Sicherung der visuell wahrnehmbaren Tatortsituation durch Fotografien (Stereofotografie, Skizze usw.) sowie die Beschaffung des Vergleichsmaterials fr die molekulargenetische Untersuchung (§ 81e) kann in die Hauptverhandlung ebenfalls nur durch (sachverstndige) Zeugen eingefhrt werden. Auch die weitere Behandlung der Asservate bis zur wissenschaftlich-kriminaltechnischen Auswertung und Begutachtung kann nur Gegenstand von Zeugenaussagen sein. Der mit der eigentlichen wissenschaftlichen Untersuchung betraute Kriminaltechniker oder Wissen559 BGH, NStZ 1990, 353; zur verfassungsrechtlichen Zulssigkeit BVerfG, NStZ 1996, 606.

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Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

schaftler legt als Sachverstndiger seine Arbeitsmethode, die Bearbeitung der Spuren und Asservate im konkreten Fall und die daraus gezogenen Schlußfolgerungen und Erkenntnisse dar. Schließlich werden Asservate, Spuren und ihre Dokumentationen durch das Gericht im Wege des Augenscheins oder sonst sinnlicher Wahrnehmung verifiziert. 640

Die Eigenart und strafprozessuale Qualifizierung der kriminaltechnischen Beweisfhrung zeichnet dem Verteidiger seine Aufgabe vor: Er muß die Feststellung, die Dokumentation und die Weiterleitung der Asservate und Spuren, die kriminalwissenschaftlich ausgewertet werden, durch eingehende Befragung der Zeugen berprfen. Dabei wird er die fachliche Qualifikation der Zeugen, ihre spezielle Ausbildung, ihre Erfahrung und Praxis usw. ebenso zu erforschen haben wie ihren Auftrag und ihre Ttigkeit in der einzelnen Sache. Dabei ist insbesondere Wert auf die Klrung der Frage zu legen, ob Spuren und Asservate irgendwelchen Einflssen ausgesetzt waren, die ihre Beweisqualifikation beeintrchtigt haben knnen. Viel schwieriger ist die Situation des Verteidigers gegenber dem schriftlichen und mndlichen kriminaltechnischen Gutachten. ber eine ausreichende eigene Sachkunde, die ihn zur Kontrolle der Ergebnisse des Sachverstndigen befhigen wrde, verfgt er nicht. In der Regel besteht auch keine Mglichkeit, den spezialisierten und qualifizierten Mitarbeitern der Landeskriminalmter und des Bundeskriminalamtes einen anderen Sachverstndigen entgegenzusetzen, weil es „freie Sachverstndige“ auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Kriminaltechnik praktisch nicht gibt. Der Verteidiger muß daher versuchen, sich durch das Studium des einschlgigen Schrifttums wenigstens insoweit kundig zu machen, daß er einen Einstieg in die Untersuchungsmethoden und berlegungen des Sachverstndigen gewinnen kann; im brigen muß er den Gutachter veranlassen, Methodik und Gang seiner wissenschaftlichen Untersuchungen Schritt fr Schritt in verstndlicher Form offenzulegen, wozu der Sachverstndige verpflichtet ist560. Zu Teilbereichen des Gutachtens kommt auch eine Beratung durch Physiker, Chemiker oder Mathematiker in Betracht. Da die kriminaltechnischen Sachverstndigen ausnahmslos dem Polizeidienst angehren, stellt sich fr den Verteidiger vielfach die Frage, ob sie wegen Besorgnis der Befangenheit nach §§ 74, 24 abgelehnt werden knnen. Die Rechtsprechung lßt dies aber nur dann zu, wenn der Sachverstndige bei seiner Ttigkeit sicherheitspolizeiliche Aufgaben wahrgenommen, sich also nicht auf die beratende oder sonst typische Ttigkeit des wissenschaftlichen Gutachters beschrnkt hat561. Die Grenzen sind 560 BGH, Urt. v. 14. 5. 1974 – 3 StR 113/75 – unv. 561 BGH, NJW 1958, 1308; BGHSt. 18, 214, 217; Meyer-Goßner, § 74 Rn. 7.

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Rn. 640

hier vielfach schwer zu ziehen. Dem Bestreben der Polizeibehrden, die gesamte kriminaltechnische Untersuchung vom ersten Zugriff bis zur Gutachtenerstattung in der Hauptverhandlung in die Hnde desselben Sachverstndigen zu legen, muß sich der Verteidiger – notfalls auch durch Ablehnungsgesuche – widersetzen. k) Beweisantrge aa) Beweisantrge des Verteidigers Alsberg/Nse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß, 5. Aufl., 1983; Basdorf, nderungen des Beweisantragsrechts und Revision, StV 1995, 310; Beck'sches Formularbuch/Michalke, 4. Aufl., 2002, S. 455 ff.; Burhoff, Beschrnkung des Beweisantragsrechts auf Verteidiger, ZAP, Fach 22 R. 17; Dahs/Dahs, Revision, Rn. 248 ff.; Deckers, Zur Ablehnung eines Beweisantrages wegen Bedeutungslosigkeit, StV 1992, 147; Foth, „Der falsche Weg zum richtigen Ziel?“, JR 1996, 100; Frister, Das Verhltnis von Beweisantragsrecht und gerichtlicher Aufklrungspflicht im Strafprozeß, ZStW 105 (1993), 340; Gssel, Zum Verhltnis der Aufklrungsmaxime zum sog. formellen Beweisantragsrecht im Strafverfahren, JR 1996, 100; Heinrich, Zur Begrndung der Ablehnung von Beweisantrgen im Strafverfahren, DAR 1997, 319; Herdegen, Zur Ablehnung eines Beweisantrages wegen tatschlicher Bedeutungslosigkeit, NStZ 1997, 505; Herdegen, Da liegt der Hase im Pfeffer – Bemerkungen zur Reform des Beweisantragsrechts, NJW 1996, 26; Herdegen, Zu den rechtsstaatlichen Anforderungen an das strafprozessuale Beweisantragsrecht und zur Behandlung eines nur zum Schein gestellten Hilfsbeweisantrages, NStZ 1995, 202; Herdegen/Gollwitzer, Einschrnkungen des Beweisantragsrechts durch Umdeutung von Beweisantrgen in Beweisanregungen, StV 1990, 420, 518; Herzog, Die Stellung zum Beweisantragsrecht als Judikatur autokratischer und korporatistischer Vorstellungen zum Strafverfahren, StV 1994, 166; Kramer, Die Vernehmung von Verfahrensbeteiligten im Strafprozeß als Zeugen, Jura 1989, 113; Kudlich, Unzulssigkeit eines mißbruchlichen Hilfsbeweisantrags – BGHSt. 40, 287, JuS 1997, 507; Malek, Verteidigung in der Hauptverhandlung, 3. Aufl., 1999, S. 133 ff.; Niemller, Negativbehauptungen als Gegenstand strafprozessualer Beweisantrge, StV 2003, 687; Perron, Das Beweisantragsrecht des Beschuldigten – Ursache oder Symptom der Krise des deutschen Strafprozesses?, ZStW 108 (1996), 128; Sarstedt/Hamm, 1998, S. 275; G. Schfer, Die Praxis des Strafverfahrens, 6. Aufl., 2000, S. 404 ff.; Scheffler, Beweisantrge kurz vor oder whrend der Verkndung des Strafurteils, MDR 1993, 3; Scheffler, Die Entziehung des Beweisantragsrechts, JR 1993, 170; Scheffler, Der Hilfsbeweisantrag und seine Bescheidung in der Hauptverhandlung, NStZ 1989, 158; Schrader, Der Hilfsbeweisantrag – ein Dilemma, NStZ 1991, 224; Schulz, Abgrenzung von Beweisantrag und Beweisermittlungsantrag im Strafverfahren, NStZ 1991, 449; Strate, Zu den formalen Anforderungen an einen Beweisantrag im Strafverfahren, StV 1994, 171; ter Veen, Beweisumfang und Verfahrenskonomie im Strafprozeß: Eine Analyse zur Interpretation des Beweisantragsrechts (§ 244 Abs. 3 Satz 2) und der Kontrolle seiner tatrichterlichen Anwendung in der revisionsgerichtlichen Rechtsprechung, 1994; Widmaier, Zu den Anforderungen an die Individualisierung eines in einem Beweisantrag mit unvollstndiger Anschrift benannten Zeugen und zum Umfang der strafgerichtlichen Aufklrungspflicht, NStZ 1994, 248; Widmaier, Mitwirkungs-

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pflicht des Verteidigers in der Hauptverhandlung und Rgeverlust, NStZ 1992, 519; Wohlers, Ablehnung eines Beweisantrages wegen Bedeutungslosigkeit und Verbot der Beweisantizipation, StV 1997, 570. Vgl. auch die Rechtsprechungsbersichten zum Beweisantragsrecht von Becker, Jrg-Peter in NStZ, zuletzt 2004, 432.

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Alsberg schrieb im Vorwort zu seinem Werk ber den Beweisantrag im Jahre 1930: Das Beweisproblem ist schlechthin das zentrale Problem des Strafprozesses. Und weiter meinte er: Nur von einer intimen Kenntnis der tatschlichen Vorgnge, einem einsichtigen Verstehen der praktischen Notwendigkeiten ausgehend, ist somit ein Rechtsanspruch, wie ihn der Beweisantrag verwirklichen soll, in seinem Bedeutungsgehalt zu begreifen. Nach mehr als sieben Jahrzehnten haben diese Stze nichts an Aktualitt eingebßt. Fr den Praktiker gibt es kein wichtigeres Problem als die Frage, ob eine Tatsache bewiesen ist oder nicht. Nur selten wird „ums Recht gestritten“562. berwiegend geht es um die richtige Feststellung der Tatsachen. Der Verteidiger kann und muß diese Feststellung durch Beweisantrge beeinflussen. Er darf sich nicht darauf verlassen, das Gericht werde kraft seiner Aufklrungspflicht schon die Wahrheit finden. Er hat selbstverantwortlich an der Ermittlung des Sachverhalts in dem Sinne mitzuwirken, daß er alle dem Mandanten gnstigen Umstnde unter Beweis stellt, falls sie nicht anderweitig in das Verfahren eingefhrt werden. Diese Verantwortung kann dem Verteidiger niemand abnehmen, weder Richter noch Staatsanwalt, letztlich auch nicht der Mandant, der die Bedeutung dieser oder jener Tatsache hufig gar nicht erkennen kann. Der Verteidiger ist befugt, einen Beweisantrag auch gegen den Willen des Mandanten zu stellen563.

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Nun braucht der Verteidiger nicht nur die Kenntnis der Verfahrensregeln. Wer auf sachgerechte Ermittlung von Tatsachen einwirken will, muß die Zusammenhnge des Lebens in mglichst vielen Bereichen zu deuten wissen. Er muß mit Menschen umgehen und sich in ihre Lage versetzen knnen. Dazu gehren Erfahrung und psychologisches Einfhlungsvermgen, die man sich nicht allein aus Bchern aneignen kann. Aus diesem Grunde befassen sich die folgenden Ausfhrungen vorwiegend mit den Grundstzen und den praktischen Erfahrungen der Beweiserhebung. Zur Lsung von Einzelfragen wird der Verteidiger immer wieder zum Alsberg/ Nse/Meyer greifen mssen, der nach wie vor das Standardwerk ber das Beweisrecht ist und dem Praktiker ber alle Fragen zuverlssige Auskunft gibt. Der Verteidiger muß seinen Alsberg/Nse/Meyer „zerlesen“ haben, wie Sarstedt treffend pointiert hat. 562 Sarstedt, DAR 1964, 307. 563 BGH, NJW 1953, 1314.

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Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 645

Die Beweiserheblichkeit eines Umstandes fr die Schuld- oder Straffrage, der Lebensnerv des Beweisantrags, kann den Verteidiger zu komplizierten berlegungen tatschlicher und rechtlicher Art zwingen. Zur Erforschung der Wahrheit sind alle Umstnde beweiserheblich, die geeignet sind, den ußeren und inneren Tatbestand der vorgeworfenen Tat festzustellen oder zu widerlegen (§ 244 Abs. 2).

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Aufgabe des Verteidigers ist es, alle Tatsachen in das Verfahren einzufhren, die den Tatvorwurf aus dem Wege rumen oder mindestens die Tatsachen als zweifelhaft erscheinen lassen, mit denen der Vorwurf bewiesen werden soll. Oft gengt es, beim Richter Zweifel zu wecken und damit seine berzeugung von den Tatsachen zu erschttern oder von vornherein zu verhindern, daß er sich eine feste berzeugung bildet. In diesen Fllen greift der Grundsatz ein „in dubio pro reo“564. Die Bemhungen des Verteidigers, mit Hilfe des ihm allein zur Verfgung stehenden „Instruments Beweisantrag“ seine Beweisaufnahme durchzufhren, finden hufig nicht den Beifall des Gerichts. Das gilt insbesondere dann, wenn der Verteidiger z. B. als Reaktion auf die Kundgabe vorlufiger richterlicher berzeugungen eine Vielzahl von Beweisantrgen stellen muß, etwa um eine vom Gericht als glaubhaft gewertete Zeugenaussage durch eine Reihe von indiziellen Tatsachen zu erschttern und als unrichtig zu beweisen. Der Verteidiger darf sich durch den nicht selten deutlich bekundeten richterlichen Unwillen nicht abschrecken lassen, seine Schutzaufgabe zu erfllen. Das Gesetz (§ 246) und die Rechtsprechung erkennen seine Anstrengungen auch als zulssig an bis zur „Mißbrauchsgrenze“. Da es ein allgemeines Mißbrauchsverbot nicht gibt, wird die Grenze im Einzelfall dann als erreicht angesehen, wenn ein Verfahrensbeteiligter die ihm durch die Strafprozeßordnung eingerumten Mglichkeiten zur Wahrung der von ihm zu vertretenden Belange dazu benutzt, gezielt verfahrensfremde oder verfahrenswidrige Zwecke zu verfolgen, z. B. wenn ein Antrag nur zum Schein der Sachaufklrung wegen gestellt wird, in Wahrheit aber verfahrensfremde Zwecke verfolgt565.

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Der Verteidiger muß auch sein Augenmerk auch auf alle Tatsachen richten, die fr eine etwaige Strafzumessung bedeutsam sind. Es ist seine Pflicht, das gesamte beweisbedrftige Entlastungsmaterial vorzubringen. Dazu gehren auch alle Umstnde und Beweismittel, die auf die kriminologisch und kriminalpolitisch maßgeblichen Tatsachen Bezug haben

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564 Meyer-Goßner, § 261 Rn. 26. 565 Dazu umfassend BGHSt. 38, 111, 113 m. N.; BGH, StV 1991, 99, 100; OLG Hamburg, NStZ 1998, 586 m. Anm. Kudlich; BayObLG, StV 2005, 12 (fr den Angeklagten).

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(Rn. 748 ff.). Das gilt auch fr die Maßnahmen zur Besserung und Sicherung und die Strafaussetzung zur Bewhrung. Der Verteidiger hat hier eine besonders schwierige Aufgabe, die (mangels eines Schuldinterlokuts) durch die Einheit der Hauptverhandlung bedingt ist. Solange er auf den Freispruch seines Mandanten ausgeht, vertrgt sich seine Verteidigung nicht mit Beweisantrgen zur Hhe und Aussetzung der Strafe oder zur Verhngung von Maßregeln (ber dieses Dilemma vgl. auch Rn. 475, 747 ff.). Der Verteidiger wird daher dahingehende Beweisantrge zwar (schriftlich) vorbereiten, aber erst im entsprechend spteren Zeitpunkt (evtl. als Hilfsbeweisantrag) anbringen, was freilich seine großen Tcken hat (Rn. 661). Jedenfalls muß er zur Vorbereitung der Beweiserhebung alle ußeren und inneren Tatsachen sorgfltig ermittelt und sich um Zeugen und Sachverstndige bemht haben (vgl. zu diesem Problem der „Zweischneidigkeit“ auch Rn. 475). Hinsichtlich der Grnde fr Strafaussetzung zur Bewhrung wird auch auf Rn. 1096 f. hingewiesen. 646

Bei vielen Beweisantrgen ist ungewiß, was die Beweisperson in der Hauptverhandlung tatschlich aussagen wird. Hieraus ergeben sich jedoch keine berufsrechtlichen Bedenken. Auch darf kein Beweisantrag mit der Begrndung zurckgewiesen werden, der Verteidiger halte den Erfolg selbst fr zweifelhaft. Wie die Erfahrung lehrt, ist es jedoch gefhrlich, erhebliche Tatsachen ins Ungewisse hinein zu behaupten. Werden sie nicht bewiesen, so kann der Eindruck entstehen, das Gericht solle aufgehalten werden, vielleicht sogar der Verdacht, die Wahrheit solle bewußt verschleiert werden. Einen solchen Eindruck wird der Verteidiger im Interesse des Klienten zu vermeiden trachten. Es ist strafrechtlich unter dem Gesichtspunkt der Strafvereitelung (Rn. 69) verboten, wider besseres Wissen angeblich entlastende Tatsachen oder Beweismittel dem Gericht als wahr zu unterbreiten (Rn. 43).

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Dagegen sind Zweifel des Verteidigers an der Valenz des Beweisantrages kein Hinderungsgrund. Man erlebt es immer wieder, daß einem der Klient Beweisbehauptungen und Beweismittel nahebringt, bei denen man aus mancherlei Grnden Bedenken hat, ob die Beweisperson tatschlich die in ihr Wissen gestellten Tatsachen besttigen oder ob sie dabei die Wahrheit sagen wird. Der Verteidiger ist hier nicht verpflichtet, Nachforschungen durchzufhren, bevor er den Beweisantrag stellt, sondern darf sich grundstzlich auf die Information seines Klienten verlassen566. Allerdings

566 BGH, StV 2003, 369; BGHSt. 21, 118, 125; OLG Dsseldorf, StraFo 1997, 333, 334; Meyer-Goßner, § 244 Rn. 20 m. N.

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sollte er diesem klar machen, daß ein fehlgegangener Entlastungsbeweisantrag erfahrungsgemß im besonderen Maße die richterliche berzeugung zum Nachteil des Angeklagten strkt; das gilt natrlich erst recht, wenn nach Auffassung des Gerichts der Entlastungszeuge nicht die Wahrheit sagt. Ob der Verteidiger berhaupt berechtigt wre, einen von seinem Klienten gewnschten Beweisantrag abzulehnen, erscheint mir rechtlich zweifelhaft567. Die Formulierung „der Angeklagte stellt den Beweisantrag ...“ drfte die ußerste Grenze der Distanzierung darstellen. Zumal gegen Ende der Beweisaufnahme werden manchmal nach Auffassung des Gerichts „Beweisantrge ins Blaue hinein“ gestellt (sog. Verzweiflungsantrge); derartige Antrge werden als Beweisermittlungsantrge behandelt, d. h. sie unterliegen nicht den strengen Regeln des § 244 Abs. 3 bis 5568. Der „unkontrollierte“ Beweisantrag ist auch aus einem anderen Grunde riskant. Oft weiß man nicht, ob ein zur Entlastung des Mandanten gestellter Beweisantrag nicht ins vllige Gegenteil umschlgt. So kann sich bei der Vernehmung eines vom Verteidiger benannten Zeugen herausstellen, daß dieser zwar gewisse entlastende Umstnde besttigt, jedoch in anderen, vielleicht wichtigeren Punkten den Mandanten belastet. Hier zeigt sich die eigentliche Bedeutung, die der außergerichtlichen Befragung von Zeugen und Sachverstndigen zukommt (Rn. 216).

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berdies ist es ratsam, den Mandanten auf die Kostenfolgen von Beweisantrgen aufmerksam zu machen. Die Gebhren fr Zeugen und Sachverstndige schlagen manchmal erheblich zu Buche, ganz zu schweigen von den Kosten und Verteidigergebhren, falls die Hauptverhandlung aufgrund eines Beweisantrags ausgesetzt werden muß (Rn. 698).

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Allerdings knnen unter Umstnden die Kosten eines erfolgreichen Beweisantrages auch bei Verurteilung der Staatskasse auferlegt werden (§ 465 Abs. 2). Besonderer Beachtung bedrfen die nur mittelbar erheblichen Umstnde, die Beweisanzeichen (Indizien). Beweisantrge der Verteidigung zielen in vielen Fllen darauf ab, den Beweiswert der Anklagetatsachen durch Indizien zu entkrften. Manchmal gengt es, aus der Kette der vom Staatsanwalt vorgebrachten Indizien ein Stck herauszubrechen. Keine Kette ist strker als ihr schwchstes Glied. Allerdings wehren sich die Gerichte gegen derartige Beweisantrge hufig mit dem Rechtsgrund der Bedeu-

567 Etwas anderes ist das vom Willen des Klienten unabhngige Antragsrecht des Verteidigers – vgl. dazu Meyer-Goßner, § 244 Rn. 30 m. N. 568 BGH, NStZ 1992, 397; StV 1993, 3; Meyer-Goßner, § 244 Rn. 20 m. N.; a. A. Gollwitzer, StV 1990, 420.

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tungslosigkeit der Beweistatsache, indem sie sich auf den Standpunkt stellen, daß auf der Grundlage des bisherigen Beweisergebnisses die Indiztatsache selbst im Fall ihres Erwiesenseins die Entscheidung nicht beeinflussen knne, weil sie nur mgliche, aber nicht zwingende Schlsse zulasse und die Richter die mgliche Schlußfolgerung nicht ziehen wollen569. Damit entsteht fr die Verteidigung eine gefhrliche Situation, weil die Entscheidung signalisiert, daß das Gericht sich seine berzeugung bereits (definitiv) gebildet hat und einfach „nichts mehr hren will“. In (selten) eindeutig gelagerten Fllen kann hier wohl nur noch ein Ablehnungsgesuch (Rn. 203) helfen. 651

Es handelt sich nicht mehr um einen Indizienbeweis, falls mit einem einwandfreien Alibibeweis die Aussage eines Zeugen widerlegt wird, der behauptet, den Mandanten am Tatort erkannt zu haben. Der Verteidiger muß aber bedenken, daß hier der Satz in dubio pro reo nicht gelten kann570. Wenn der Alibibeweis mit einem non liquet ausgeht, soll das Gericht nicht gehindert sein, von der Tterschaft des Angeklagten berzeugt zu sein. Allerdings darf es das Mißlingen des Alibibeweises nicht als Schuldindiz werten571.

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Gelegentlich kann der Verteidiger herausbekommen, ob das Gericht eine Tatsache als offenkundig, nmlich als allgemeinkundig oder gerichtskundig, ansehen will572. Denn nicht immer kommen die Instanzgerichte ihrer Verpflichtung nach, die Beteiligten schon whrend der Beweisaufnahme und nicht erst im Urteil darauf hinzuweisen, was sie als offenkundig behandeln wollen573; ggfs. muß der Verteidiger danach fragen. Dies muß der Verteidiger besonders bei Kollegialgerichten beachten. Die Praxis zeigt, daß Berufsrichter mit Laienbeisitzern ber die Offenkundigkeit nicht immer einer Meinung sind. Vor allem kennen die ehrenamtlichen Richter kaum einmal die bloß gerichtskundigen Umstnde, die den Berufsrichtern meist aus anderen Verfahren gelufig sind. Gleichwohl sollen solche Umstnde als gerichtsbekannt vorausgesetzt werden drfen574.

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Einem Beweisantrag kann auch die „Erwiesenheit“ eines Umstandes entgegenstehen (§ 244 Abs. 3). Im Verlauf einer Hauptverhandlung ist es oft nicht erkennbar, wie das Gericht die Beweise wrdigt, ob es z. B. einem Zeugen glaubt oder einem Sachverstndigen folgen wird. Nicht immer 569 570 571 572 573 574

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BGH, wistra 1993, 29; Meyer-Goßner, § 244 Rn. 56 m. zahlr. N. Vgl. die Nachweise bei Meyer-Goßner, § 261 Rn. 26. BGH, StV 1995, 510. Meyer-Goßner, § 244 Rn. 50. BGHSt. 6, 292. BGHSt. 34, 209, 210; Meyer-Goßner, § 244 Rn. 53.

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wird mit „offenen Karten gespielt“. So kann sich die Ansicht ndern, in der Beratung kann der einzelne Richter berstimmt werden. Ist der Verteidiger nicht ganz sicher, wie das Gericht das Beweisergebnis beurteilt, so sollte er einen Beweisantrag stellen. Man spricht hier auch von einem „affirmativen Beweisantrag“, mit dem ein dem Angeklagten gnstiges Beweisergebnis „festgeschrieben“ werden kann. Weicht das Gericht im Urteil davon ab, hat der Verteidiger fr die Revision eine wirksame Waffe in der Hand. Der „Beweiserhebungsanspruch“, den der Verteidiger mit dem Beweisantrag geltend macht, steht in untrennbarem Zusammenhang mit der richterlichen Aufklrungspflicht. Im allgemeinen ist eine Aufklrungsrge nur aussichtsreich, wenn der Verteidiger in der Tatsacheninstanz entsprechende Beweisantrge, Beweisanregungen oder wenigstens Beweisermittlungsantrge vorgebracht hat. Es ist einhellige Meinung, daß die Aufklrungsrge nicht dazu dienen darf, unterlassene Beweisantrge nachzuholen. Deshalb ist es richtiger, einen Beweisantrag zu stellen, mag er auch abgelehnt werden. Der Mandant wird zwar einen abgelehnten Beweisantrag als Mißerfolg ansehen, den er seinem Verteidiger „ankreidet“. Ggfs. ist der Mandant ber den Zweck der Maßnahme aufzuklren. Die Furcht, das Vertrauen des Mandanten zu erschttern, oder gar die Befrchtung, die Gunst des Richters zu verlieren (Rn. 192), drfen nicht dazu verleiten, einer unvollstndigen Beweiserhebung des Tatrichters schweigend zuzusehen.

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Dies gilt selbst dann, wenn ein Zeuge noch einmal ber dasselbe Beweisthema gehrt werden soll. Die Aufklrungspflicht kann das Gericht zwingen, den Zeugen nochmals zu vernehmen, obwohl ein solcher Antrag lediglich ein Beweisermittlungsantrag ist575 (Rn. 685). Anders ist es, wenn derselbe Zeuge nochmals, aber ber ein anderes Beweisthema vernommen werden soll.

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Die Aufklrungspflicht des Gerichts (Rn. 694) kann im brigen besonders dann verletzt sein, wenn bestimmte Fragen und Umstnde ungeprft bleiben, die der Verteidiger mangels eigenen Wissens nicht zum Gegenstand einer konkreten Beweisbehauptung (Rn. 667) machen kann. Das kann namentlich bezglich der Grnde fr Strafzumessung, Strafaussetzung zur Bewhrung oder fr Maßregeln und Auflagen der Fall sein (Rn. 645, 747 ff., 968). Der Verteidiger darf die Beweisfhrung aber auch nicht einseitig mit Blickrichtung auf eine etwaige Revision prfen. Der Beweisantrag besitzt 575 BGH, NJW 1960, 2156.

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vor allem unmittelbare praktische Bedeutung fr die Maßnahmen in der Tatsacheninstanz. Da das Gericht einen Beweisantrag mit einem begrndeten Beschluß ablehnen muß (§ 244 Abs. 6 mit § 34), erfhrt der Verteidiger die Ansicht des Richters und kann sich darauf einstellen. Das ist der Sinn des Begrndungszwangs576. Dadurch kann der Verteidiger das Gericht veranlassen, die Endentscheidung vorwegzunehmen oder sie wenigstens anzudeuten. Oft ergibt sich erst aus der Ablehnung eines Beweisantrages, wie das Gericht den Sachverhalt tatschlich und rechtlich beurteilt. 656

Besonders aufschlußreich ist die Wahrunterstellung. Sie ist statthaft bei beweiserheblichen entlastenden Tatsachen (§ 244 Abs. 3 S. 2). Hier muß sich der Verteidiger ber die gedankliche Grundlage klar sein: Die Wahrunterstellung vertauscht die beantragte Beweiserhebung mit dem erstrebten Resultat und steht einer Beweiserhebung in dem Sinne gleich, daß die unter Beweis gestellte Tatsache im Urteil als bewiesen zu behandeln ist577. Die Erfahrung zeigt, daß die Wahrunterstellung geeignet ist, fr den Mandanten ein gnstiges Beweisergebnis zu sichern. Es gibt Flle, in denen man zugleich mit dem (affirmativen) Beweisantrag bei Gericht die Wahrunterstellung (oder die Ablehnung als „bereits erwiesen“) ausdrcklich „anregen“ kann. Die Praxis lehrt aber auch, daß eine gewisse Skepsis angebracht ist. Denn die Wahrunterstellung birgt mancherlei Gefahren. Sarstedt578 bezeichnet sie geradezu als „Alarmzeichen“ fr den Verteidiger, das ihn zu schnellem Denken zwingt. Das Gericht darf nmlich eine Tatsache nur als bewiesen unterstellen, falls eine weitere Aufklrung nicht mglich ist579. Die Aufklrungspflicht geht der Wahrunterstellung vor. Zu beachten ist auch, daß die als erheblich unterstellte Tatsache im Urteil zum Nachteil des Angeklagten als unerheblich beurteilt werden kann, ohne daß zuvor auf diesen Meinungswandel hingewiesen wird580 (Rn. 658). Mit der als wahr unterstellten (Indiz-)Tatsache muß das Gericht sich im Urteil ggfs. auseinandersetzen581, aber nicht die Schlußfolgerung ziehen, die der Verteidiger mchte582.

576 577 578 579 580

Meyer-Goßner, § 244 Rn. 41a. Meyer-Goßner, § 244 Rn. 70. Sarstedt, DAR 1964, 312. BGH, StV 1996, 647, 648; Meyer-Goßner, § 244 Rn. 70. Meyer-Goßner, § 244 Rn. 70; allerdings ist ein Hinweis dann erforderlich, wenn es naheliegt, daß der Angeklagte wegen der Wahrunterstellung weitere Beweisantrge unterlßt: BGHSt. 30, 383, 385; OLG Hamm, NStZ 1983, 522. 581 BGHSt. 28, 310; StV 1984, 142; BayObLG, StV 2005, 14. 582 St. Rspr. vgl. nur BGH, StV 1986, 467; w. N. bei Meyer-Goßner, § 244 Rn. 71.

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Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 658

Behauptet der Verteidiger eine entlastende Tatsache und nennt er ein Beweismittel, so zeigt er dem Gericht den Weg, den Sachverhalt nher aufzuklren. Dies kann wie ein Bumerang wirken, z. B. wenn der vermeintliche Entlastungszeuge den Mandanten in Wahrheit belastet. Deshalb muß der Verteidiger vor dem Beweisantrag berlegen, ob das Gericht einen bestimmten Umstand nicht ohnehin als bereits widerlegt oder unwiderlegbar ansieht und aus diesem Grunde eine weitere Aufklrung nicht fr erforderlich hlt. Es kann indessen schwierig sein, die Meinung des Gerichts zu erforschen, ohne eine Beweiserhebung zu beantragen. Manchmal hilft es, wenn der Verteidiger einen Beweisantrag lediglich fr einen spteren Zeitpunkt ankndigt oder darber „laut nachdenkt“ und dadurch das Gericht zu einer ußerung „provoziert“. Fllt sie deutlich gnstig aus, so erbrigt sich der Beweisantrag. Umgekehrt muß der Verteidiger geschickt ausnutzen, daß die richterliche Aufklrungspflicht der Wahrunterstellung vorgeht. Das hat praktische Bedeutung vor allem bei Beweisantrgen, die sich gegen belastende Zeugenaussagen richten. Behauptet der Verteidiger Tatsachen, die gegen die Zuverlssigkeit eines Zeugen sprechen und nennt er hierfr Beweismittel, so ist es ein Erfolg, wenn das Gericht den Beweisantrag mit einer Wahrunterstellung ablehnt. Dann darf es dem angegriffenen Zeugen nicht gegen die Wahrunterstellung glauben583. Im Grunde genommen ist also die Wahrunterstellung nur zulssig, wenn eine dem Angeklagten gnstige Behauptung nicht widerlegt wird und auch nicht widerlegbar ist584. Die Wahrunterstellung ist nicht zulssig bei einem Beweisantrag gegen die Glaubwrdigkeit eines Mitangeklagten, auf dessen Aussage die Anklage beruht585.

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Jeder erfahrene Verteidiger weiß jedoch, daß die tgliche Praxis der Instanzgerichte hiervon aus guten Grnden abweicht. Viele Wahrunterstellungen mgen prozessual nicht ganz „lupenrein“ sein. Der Praktiker kommt schon aus konomischen berlegungen nicht ohne die Wahrunterstellung aus, die oft das Verfahren abkrzt. Es kann z. B. im Interesse des Mandanten sein, eine Hauptverhandlung nicht ins Uferlose auszudehnen, besonders wenn es nur um das Strafmaß geht. So kann der Verteidiger Leumundszeugen benennen, dabei die schriftlichen Zeugnisse vortragen, die als Urkundenbeweise unverwertbar sind und auf eine Wahrunterstellung hinarbeiten. Das Gericht ist zwar nicht verpflichtet, aus der unterstellten Tatsache (zumal einer Indiz-Tatsache) dieselben Folgerungen zu entnehmen wie der Verteidiger586. Es darf nur keine dem Angeklagten

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583 584 585 586

BGHSt. 28, 310, 311. Hierzu OLG Stuttgart, NJW 1967, 1627. BGH, StV 1996, 647. St. Rspr., BGH, StV 1986, 467.

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Rn. 659

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

nachteiligen Schlsse ziehen587. Oft erfhrt man aus der Wahrunterstellung, wohin „die Reise geht“. Diese Erkenntnis ist aber wegen der Mglichkeit der richterlichen Meinungsnderung mit Vorsicht aufzunehmen (Rn. 432). Damit kann die Wahrunterstellung in der Praxis zu einem nebelhaften „Orakel der Pythia“ werden, weil die Verteidigung ber die entscheidende Frage, die Erheblichkeit der unter Beweis gestellten Tatsachen, in Unsicherheit und Ungewißheit gebracht wird. Die Ablehnung eines Beweisantrages im Wege der Wahrunterstellung wird daher in jedem Fall Anlaß zu sorgfltiger Prfung sein mssen, ob weitere Beweisantrge am Platze sind. Bei dieser Entscheidung wird auch die berlegung eine Rolle spielen, daß in der Hauptverhandlung klar bewiesene Entlastungstatsachen psychologisch bei den Richtern echte und tiefere Eindrcke hervorrufen als „von des Gedankens Blsse angekrnkelte“, nur unterstellte Tatsachen. Außerdem ist ber eine in der Hauptverhandlung bewiesene Tatsache weniger Streit mglich als ber eine aus einem Antrag herausgelesene Folgerung. Schließlich knnen geladene Zeugen ergnzend befragt werden, was dem Angeklagten freilich auch zum Nachteilgereichen kann. Die Reaktion auf die Ablehnung eines Beweisantrages wegen Wahrunterstellung kann sich in der Praxis als eine der schwierigsten und folgenreichsten Entscheidungen erweisen, die der Verteidiger in der Hauptverhandlung zu treffen hat. Er wird sie nur aus dem Inbegriff seiner Kenntnis der Sache, dem Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme, seiner gesamten forensischen Erfahrung und letztlich mit einem gehrigen Schuß „Intuition“ treffen knnen. Als vorteilhaft wirkt die Wahrunterstellung insoweit, als sie faktisch zu einer gewissen Bindung des Gerichts fhrt. Will das Gericht an der Unterstellung nicht festhalten (ohne daß er die Beweistatsache als „unerheblich“ ansieht – Rn. 643), so ist es verpflichtet, hierauf hinzuweisen, notfalls noch nach der Urteilsberatung: sonst verletzt es die Aufklrungspflicht588. Ein solcher Hinweis ist von unschtzbarem Wert, zeigt er doch, daß der Richter nunmehr die unterstellte Tatsache als widerlegt ansehen will. Dann kann der Verteidiger erneut einen Beweisantrag stellen. Hinzu kommt, daß die nicht „widerrufene“ Wahrunterstellung in der Revisionsinstanz meist vorteilhaft ist. Sie wird nicht selten in den Urteilsgrnden fehlerhaft behandelt589. 659

Hlt der Verteidiger eine Beweiserhebung fr notwendig, so muß er den gnstigsten Zeitpunkt des Beweisantrages berlegen. Grundstzlich sollte der Antrag vor Schluß der Beweisaufnahme vorgebracht werden. Im all587 BGHSt. 1, 137; Lwe/Rosenberg/Gollwitzer[25], § 244 Rn. 242; Meyer-Goßner, § 244 Rn. 70; anders BGH, NJW 1976, 1950 m. abl. Anm. Tenckhoff. 588 BGH, NJW 1966, 989. 589 Dahs/Dahs, Rn. 339 ff.

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Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 660

gemeinen fragt der Vorsitzende gegen Ende der Beweisaufnahme, ob noch Antrge gestellt werden und fgt formelhaft hinzu, die Beweisaufnahme werde geschlossen. Der Verteidiger darf nicht zustimmend nicken, falls aus seiner Sicht beweiserhebliche und beweisbare Tatsachen offengeblieben sind. Der Schluß der Beweisaufnahme „im allseitigen Einverstndnis“ hindert ihn allerdings nicht, bis zur Urteilsverkndung weitere Beweisantrge anzubringen (Rn. 760)590. Es ist verboten, einen Beweisantrag als versptet zurckzuweisen (§ 246 Abs. 1)591. In der Regel sollte man es jedoch auf den letzten Zeitpunkt nicht ankommen lassen. Vielmehr gilt die Erfahrung: Jede Beweiserhebung ist so frhzeitig zu beantragen, wie es mit dem Verteidigungsplan vereinbar ist. Sonst kommt es zu vermeidbaren Auseinandersetzungen mit Gericht und Staatsanwalt, der unter Umstnden die Aussetzung der Hauptverhandlung beantragen kann, um Erkundigungen einzuziehen (§ 246 Abs. 2). Hufig stellt der Vorsitzende die Entscheidung ber einen Beweisantrag auf einen spteren Zeitpunkt der Hauptverhandlung zurck. Zur Zurckstellung der Entscheidung ist er im Rahmen der Prozeßleitung sicher befugt. Eine ungebhrliche Hinauszgerung braucht der Verteidiger aber nicht hinzunehmen. Er kann einen Gerichtsbeschluß verlangen und andeuten, aus welchem Grunde die Beweiserhebung zu diesem Zeitpunkt angebracht ist. Es ist zumindest eine sich ausbreitende Unsitte der Gerichte geworden, Beweisantrge – vor allem in umfangreichen Wirtschaftsstrafsachen – zunchst nur zu „sammeln“ und die Entscheidung darber bis zu einem ungewissen Zeitpunkt (hufig bis zum Abschluß der Beweisaufnahme) aufzuschieben. Damit kann die Verteidigungsstrategie in ihrer Wirksamkeit erheblich beeintrchtigt werden, z. B. weil der benannte Sachverstndige vor seiner Bestellung kein Fragerecht (§ 80 Abs. 2) hat. Seine Anwesenheit im Gerichtssaal wird aber zulssig sein. Es ist zu empfehlen, in derartigen Fllen ausdrcklich den Antrag zu stellen, ber den Beweisantrag zunchst zu entscheiden. Lehnt das Gericht (durch Beschluß) dies ohne zureichenden Grund ab, so kommt eine Revisionsrge nach § 238 Abs. 2, 338 Nr. 8 in Betracht. Freilich wird oft schwer zu begrnden sein, aus welchem Grunde das Urteil auf dem rechtsfehlerhaften Aufschub der Entscheidung ber den Beweisantrag beruht. Der Verteidiger wird bei sachlich nicht gerechtfertigter, jedoch hartnckiger Weigerung, ber seine Beweisantrge zu entscheiden, die Frage eines Ablehnungsgesuchs (Rn. 227) zu prfen haben, das – wie stets – allerdings nur das letzte Mittel darstellt.

590 BGH, NJW 1967, 2019. 591 BGH, NStZ 1981, 311.

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660

Rn. 661 661

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

Besondere Probleme bringt ein Hilfsbeweisantrag, der nur auf den ersten Blick als bequemer Ausweg erscheint. Der Verteidiger braucht zwar das Gericht nicht ins Beratungszimmer zu schicken; auch vermeidet er Auseinandersetzungen. Man darf sich jedoch durch diese vermeintlichen Vorteile nicht tuschen lassen. Der Hilfsbeweisantrag braucht nmlich erst mit der Urteilsberatung und der Urteilsverkndung erledigt zu werden592. Darin zeigen sich aber zugleich seine erheblichen Nachteile. Der Verteidiger erfhrt vor der Urteilsverkndung nicht, ob das Gericht seinen Antrag richtig verstanden hat und wie es das Beweisthema beurteilt. Er vergibt die Chance zu hren, ob das Gericht eine Tatsache bereits als erwiesen ansieht oder als wahr unterstellen will. Da der Hilfsantrag außer wegen Verschleppungsabsicht (Rn. 661) nicht vor dem Urteil beschieden werden muß, entfllt die Zwischenberatung des Gerichts, die dem Verteidiger meist Aufschluß gibt, wie die Entscheidung aussehen wird. Dieser Vorteil des Beweisantrags gegenber dem Hilfsantrag kann nicht hoch genug veranschlagt werden. Wegen der Bedeutung der Zwischenberatung ist auch darauf zu achten, daß ein Beweisantrag nicht „untergeht“, eine Gefahr, die besonders bei lngeren Hauptverhandlungen und einer Vielzahl von Beweisantrgen besteht. Sptestens vor Schluß der Beweisaufnahme ist an die noch nicht beschiedenen Beweisantrge zu erinnern. Dann hat das Gericht zu entscheiden, vorher darf es sich grundstzlich den Beschluß fr einen spteren Zeitpunkt vorbehalten. Im allgemeinen ist es zweckmßig, mit dem Beweisantrag die Bitte zu verbinden, sofort zu beraten, dies ggfs. zu begrnden sowie einen Gerichtsbeschluß darber zu beantragen. Ein Rechtsanspruch auf Bescheidung des Hilfsbeweisantrages vor der Urteilsverkndung besteht nicht593. Trotzdem kann man es natrlich versuchen! Je nach der Prozeßlage kann es richtig sein, auch einen Eventualbeweisantrag (Rn. 661) fr das Pldoyer aufzuheben (Rn. 743). Das ist aber ein zweischneidiges Verfahren. Das Gericht hat einerseits die Neigung, in der Beratung zu Ende und ber den Antrag „hinwegzukommen“. Dem wirkt der Verteidiger entgegen, wenn er vor dem Pldoyer einen echten Beweisantrag stellt. Andererseits kann dem Gericht der Fehler unterlaufen, den Eventualbeweisantrag im Urteil nicht zu bescheiden, was in der Revisionsinstanz zur Aufhebung des Urteils fhren kann (Rn. 943). Ebenso liegt es, wenn die Ablehnung des Antrags nur am Rande und unzulnglich begrndet ist. Der Hilfsantrag an Stelle eines Hauptantrages ist im brigen prozeßlogisch dann geboten, wenn in der Konzeption des Verteidigers und nach seinem Pldoyer das Beweisergebnis zum Freispruch zwingt. In 592 Meyer-Goßner, § 244 Rn. 44a. 593 BGH, NStZ 1991, 47; Meyer-Goßner, § 244 Rn. 44a m. N.

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Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 663

solchen Fllen kommt es auf weitere Beweiserhebung nicht an. Der Verteidiger stellt sich aber mit dem Hilfsantrag vorsorglich auf die Mglichkeit einer abweichenden Auffassung des Gerichts ein. Allerdings wird der Eventualbeweisantrag im Pldoyer in der Praxis in solchem Ausmaß strapaziert, daß er von manchen Gerichten schon dem Arsenal des Rechtsmißbrauchs durch die Verteidigung zugerechnet wird594. Wird der Beweisantrag frhzeitig gestellt, entfllt auch der Vorwurf der Verschleppungsabsicht (§ 244 Abs. 2). Hierzu muß der Verteidiger wissen, daß bloße Versptung des Antrags nicht ausreicht595. Es kommt vielmehr darauf an, daß der Antrag eindeutig ausschließlich in der Absicht vorgebracht wird, die Hauptverhandlung vertagen zu lassen596 oder z. B. den von der Verteidigung gewnschten „Deal“ zu erreichen597. Stellt der Verteidiger den Antrag, so muß die Verschleppungsabsicht in seiner Person festgestellt sein. Auf die Absicht des Mandanten kommt es dann nicht an598. Die Rechtsprechung ist hier immer noch recht „verteidigerfreundlich“599. Auf die Frage, „Warum kommt der Beweisantrag erst jetzt?“, ist der Verteidiger keine Antwort schuldig; mit der Begrndung „aus verteidigungstaktischen Grnden“ vergibt er sich allerdings auch nichts.

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Soll ein Hilfsbeweisantrag (Rn. 661) wegen Verschleppungsabsicht zurckgewiesen werden, so darf diese Entscheidung nicht wie sonst den Urteilsgrnden berlassen werden. Der Beschluß muß vielmehr vorher in der Verhandlung ergehen, damit der Verteidiger sich darauf einrichten kann600. Gelegentlich versucht der Mandant, durch nur scheinbar erhebliche Beweisantrge die Entscheidung aufzuschieben. Dazu darf sich der Verteidiger nicht hergeben. So wird er keinen Alibizeugen benennen, wenn er sicher weiß, daß dieser das Beweisthema nicht besttigen kann (Rn. 647). Freilich darf man auch nicht zu vorsichtig sein. Will der Verteidiger nach sorgsamer Prfung einen Beweisantrag stellen, so ist es unzulssig, ihm den Zeitpunkt vorschreiben zu wollen601. Das Gericht muß davon ausgehen, daß der Verteidiger einen Beweisantrag ohne Verschleppungsabsicht 594 Vgl. dazu Hassemer, ber den Mißbrauch von Rechten, FS Meyer-Goßner (2001), S. 127; Herdegen, Das Beweisantragsrecht – zum Rechtsmißbrauch, NStZ 2000, 1. 595 OLG Kln, StV 2002, 238. 596 BGH, StV 2003, 315; BGHSt. 21, 118; Meyer-Goßner, § 244 Rn. 67. 597 BGH, NStZ 2005, 45. 598 BGH, NJW 1964, 2118; Meyer-Goßner, § 244 Rn. 69. 599 bersicht bei Schweckendieck, NStZ 1991, 109. 600 BGH, NJW 1968, 1339. 601 BGHSt. 21, 118.

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663

Rn. 664

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

vorbringt602. Es obliegt allein der Verteidigung, den Zeitpunkt zu bestimmen. So kann es opportun sein, bereits zu Beginn der Hauptverhandlung einen Beweisantrag vorzutragen oder anzukndigen (Rn. 641). Auch vor der Hauptverhandlung gestellte und abgelehnte Beweisantrge werden zweckmßigerweise alsbald wiederholt. Oft stellt sich auch erst whrend der Beweisaufnahme heraus, daß ein neuer Beweisantrag unumgnglich ist, z. B. nach der Vernehmung von Zeugen und Sachverstndigen sowie der Beschlußfassung ber die Vereidigung von Beweispersonen. 664

In besonderen Fllen kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung des in der Sitzung amtierenden Staatsanwalts in Betracht kommen, z. B. wenn es um Vorgnge geht, die sich bei von diesem Staatsanwalt durchgefhrten Vernehmungen ereignet haben. Benennung und Vernehmung des Staatsanwalts als Zeuge sind zulssig. Whrend seiner Vernehmung kann er nicht als Staatsanwalt amtieren, sondern muß ersetzt werden, sonst ist die Revision nach § 338 Nr. 5 begrndet. Fraglich ist, ob der als Zeuge vernommene Staatsanwalt anschließend das Amt des Anklgers weiter ausben und insbesondere die Schlußantrge stellen und das Pldoyer halten kann. Der BGH603 hlt die weitere Anklagevertretung fr zulssig, meint aber, daß die Wrdigung der Aussage des Sitzungsvertreters und der Schlußantrag durch einen anderen Beamten erfolgen msse. Diese hchstrichterliche Auffassung mag von der Besorgnis getragen sein, daß anderenfalls die Benennung des Staatsanwalts als Zeuge ein allzu geflliges Mittel werden knnte, eine Hauptverhandlung „zum Platzen“ zu bringen. Je nach Lage des Falles (z. B. wiederholte Vernehmung, Gegenberstellung, einschlgige weitere Ermittlungen) werden sich indes gute Grnde gegen die weitere Anklagevertretung durch den Zeugen-Staatsanwalt vorbringen lassen, z. B. wenn es um kontrre Beweisergebnisse zu dem vom Staatsanwalt bekundeten Sachverhalt (z. B. Absprache-Vorgnge whrend der UHaft) geht604.

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Auch Beweisantrge auf Vernehmung eines erkennenden Richters als Zeuge kommen vor, z. B. wenn er als beauftragter Richter Untersuchungshandlungen vorgenommen hat oder sonst Sachdienliches bekunden kann. Hier kann der Beweisantrag zurckgewiesen werden, wenn der benannte Richter eine dienstliche Erklrung dahin abgibt, von dem in sein Wissen gestellten Sachverhalt keine Kenntnis zu haben605, oder sich nur zu Vor-

602 BGH, NJW 1964, 2118. 603 BGHSt. 14, 265, 267; 21, 98, 90; Bedenken erhebt BGH, NStZ 1989, 583; i. e. Schneider, NStZ 1994, 457. 604 BGH, Urt. v. 3. 2. 2005 – 5 StR 84/04 – (S. 6), unv. 605 BGH, NStZ 1994, 80, 81 f.

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Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 667

gngen ußern zu knnen, die er im Zusammenhang mit seiner amtlichen Ttigkeit in der verhandelten Sache (also nicht außerhalb des Prozesses) wahrgenommen hat606. Auch die Wurzel fr diese Rechtsprechung drfte in der Besorgnis der Verfahrenssabotage607 (Rn. 71 ff.) zu finden sein. Dies darf den Verteidiger allerdings nicht hindern, einen entsprechenden Beweisantrag zu stellen, wenn die Interessen der Verteidigung dies erfordern. Ein Beweisantrag, der die Aufklrung von Vorgngen in der Hauptverhandlung zum Ziel hat (z. B. die Klrung des Inhalts einer Zeugenaussage), ist unzulssig, weil er nicht die Sache betrifft608. Der Verteidiger muß die ordnungsgemße Protokollierung des Beweisantrags berwachen (Rn. 702). Nur die Niederschrift ber die Hauptverhandlung beweist, daß ein Beweisantrag gestellt ist (§ 274). Versumnisse in der Protokollierung lassen sich auch hier kaum einmal reparieren. Der Verteidiger kann durch die ußere Form des Beweisantrags dafr sorgen, daß Nachteile nicht entstehen. So ist es zweckmßig, alle Beteiligten auf den Beweisantrag aufmerksam zu machen, besonders den Protokollfhrer. Man fixiere den Antrag auch grundstzlich schriftlich, verwende die berschrift „Beweisantrag“, lese ihn vor und berreiche ihn mit der Bitte um Protokollierung. Die schriftliche Niederlegung des Antrags durch den Verteidiger ist zwar nicht vorgeschrieben, es reicht der mndliche Vortrag und dessen Protokollierung. Nach § 257a kann das Gericht aber die schriftliche Antragstellung verlangen. In jedem Falle verhindert die schriftliche Formulierung nebst bergabe an das Gericht Mißverstndnisse ber den Inhalt des Antrags (und ggfs. seiner Begrndung). Auch hebt sich der Antrag auf diese Weise vom sonstigen Prozeßgeschehen ab. Der Verteidiger kann die Wichtigkeit des Antrags noch unterstreichen, indem er um eine kurze Unterbrechung der Verhandlung bittet und ankndigt, er wolle einen Beweisantrag vorbereiten. Das ist ohnehin oft unerlßlich, um den Antrag in Ruhe abfassen zu knnen.

666

Dadurch erreicht der Verteidiger auch, daß er sich den Inhalt des Beweisantrages genau berlegen kann. Viele Beweisantrge sind allein deshalb erfolglos, weil sie falsch formuliert sind. Zu jedem ordnungsgemßen Beweisantrag gehren vor allem eine Behauptung und ein Beweismittel. Fehlt es an dem einen oder dem anderen, so handelt es sich allenfalls um einen Beweisermittlungsantrag, der letztlich nur ein Notbehelf ist (Rn. 685). Oft nicht korrekt ist die Beweisbehauptung. Unrichtig ist die Formulierung, der Zeuge X solle darber vernommen werden, ob er einen be606 BGH, NStZ 1998, 524 m. Anm. Bottke. 607 Vgl. BGH, StV 2003, 315. 608 BGHR, § 244 Unzulssigkeit 4, 7, 9, 10.

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Rn. 668

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

stimmten Vorgang beobachtet hat. Richtig heißt es: Der Zeuge soll darber vernommen werden, daß er den Vorgang gesehen hat. Der Verteidiger muß jede Formulierung vermeiden, die wie eine Frage aussehen knnte. Auch muß sich eine Behauptung auf Tatsachen erstrecken. Das ist besonders wichtig beim Sachverstndigenbeweis. So reicht es nicht aus, die Anhrung eines Sachverstndigen darber zu beantragen, daß der Mandant schuldunfhig sei. Das ist keine Tatsache, sondern eine aus medizinischen und juristischen Elementen zusammengesetzte Bewertung. In diesem Falle muß daher behauptet werden, an welcher Krankheit der Mandant leidet, die den Schluß auf die Schuldunfhigkeit zulßt. Es kann aber auch so sein, daß unter dem Wertungsbegriff (Schuldunfhigkeit) bestimmte Tatsachen des Falles gemeint sind. Das Gericht wird dem Verteidiger ggfs. zur Klarstellung Gelegenheit geben mssen. Die Beweisbehauptung kann sich auch auf negative Tatsachen beziehen, z. B. daß sich am Tatgegenstand keine Spuren befinden, die auf eine Tterschaft des Angeklagten hindeuten609. 668

Bei jedem Beweisantrag muß der Verteidiger darauf achten, daß die beantragte Beweiserhebung nicht gegen Beweisverbote verstßt oder sonst unzulssig ist (§ 244 Abs. 3), beispielsweise ein Verlesungsverbot nach §§ 251 ff. entgegensteht (Rn. 624 ff.).

669

Bei Angabe der Beweismittel ist daran zu denken, daß zu jeder Tatsachenbehauptung das Beweismittel gehrt, mit dem sie nachgewiesen werden soll. Werden mehrere Behauptungen in einem Beweisantrag aufgestellt, so empfiehlt es sich, das Beweismittel sofort hinter jede Behauptung zu setzen. Dann kann es keine Mißverstndnisse geben.

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Als unerreichbar wird ein Beweismittel angesehen, wenn das Gericht sich erfolglos um seine Heranziehung bemht hat und keine begrndete Aussicht besteht, daß es in absehbarer Zeit beigebracht werden kann610. Dabei mssen Bedeutung des Beweismittels und Beschleunigungsgebot gegeneinander abgewogen werden611. Daß die Ladung mit dem Vermerk „unbekannt verzogen“ zurckkommt, reicht allein nicht aus, ebensowenig der Umstand, daß der Zeuge im Ausland wohnt612; insoweit ist allerdings § 244 Abs. 5 S. 2 zu beachten613.

609 BGH, StV 2000, 280. 610 BGH, NJW 1979, 1788. 611 BGH, NStZ 1993, 50 m. N.; zu den Fallgruppen vgl. die Rechtsprechungsbersicht bei ter Veen, StV 1985, 295. 612 Vgl. i. e. Meyer-Goßner, § 244 Rn. 63. 613 Vgl. i. e. Meyer-Goßner, § 244 Rn. 63.

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Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 673

Die Erreichbarkeit des polizeilichen Gewhrsmannes („V-Mannes“), dessen Identitt die Behrden geheimhalten, ist ein Sonderproblem. Hier muß das Gericht mit Nachdruck versuchen, Namen und Anschrift des Zeugen zu erhalten, die nur im Ausnahmefall verweigert werden drfen614 (Rn. 567). In manchen Fllen kann sich auch eine kurze Begrndung des Beweisantrages als zweckmßig erweisen. Mit ihr kann der Bezug zu anderen Ergebnissen der Beweisaufnahme oder richterlichen Hinweisen oder sonstigen ußerungen des Gerichts zur Sache hergestellt. Diese Anknpfung an andere Prozeßtatsachen macht es in der Revision leichter, die Relevanz des Beweisantrages zum Ergebnis der Hauptverhandlung und zum Urteil nachzuweisen. Eine solche Begrndung, die auch als „Obersatz“ zum Beweisantrag formuliert werden kann, ist auch geeignet, frhere Ergebnisse der Beweisaufnahme in gewissem Sinne „festzuschreiben“ (Rn. 621). Das gilt ebenfalls dann, wenn das Gericht dieser besonderen Art von prozessualen „Anknpfungstatsachen“ bei seiner Entscheidung ber den Beweisantrag nicht widerspricht.

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Wegen Ungeeignetheit des Beweismittels darf die Beweiserhebung schon nach dem Gesetzeswortlaut nur verweigert werden, wenn das Beweismittel vllig ungeeignet ist615. Das wird nur sehr selten der Fall sein. Deshalb ist zu prfen, ob die Begrndung, das Beweismittel sei unbrauchbar, nicht in Wahrheit eine verbotene vorweggenommene Beweiswrdigung verdeckt616, beispielsweise wenn das Gericht die Vernehmung eines Zeugen ablehnt, weil er „ohnehin“ unglaubhaft sei, weil er sich nach so langer Zeit nicht mehr erinnern werde617 oder weil er schon im Vorverfahren die Behauptung nicht besttigt habe. Rechtsfehlerhaft ist auch die Ablehnung mit der Begrndung, das (z. B. technische) Beweismittel erbringe nur einen Beweis zu 90%, nicht aber zu 100%. ber den Wert eines Beweismittels lßt sich erst urteilen, wenn der Beweis erhoben ist. Deshalb darf das Gericht auch nicht aus der bisherigen Beweisaufnahme schließen, ein beantragtes Beweismittel sei ungeeignet. Ggfs. muß unverzglich ein neuer Beweisantrag vorgebracht werden.

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Es kommt vor, daß das Gericht an Stelle des benannten Beweismittels zur Aufklrung der Beweistatsache ein anderes Beweismittel benutzt. Die

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614 615 616 617

Nher bei Meyer-Goßner, § 244 Rn. 66. BGHSt. 14, 339; Meyer-Goßner, § 244 Rn. 58. Vgl. die bei Meyer-Goßner, § 244 Rn. 46 angefhrten Beispiele. Vgl. aber BGH, NStZ 2000, 156; BGH, NStZ 2004, 215 fr die Fallgestaltung, daß Zeugen fr einen lange zurckliegenden, fr sie unbedeutenden, alltglichen Vorgang benannt werden.

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Rn. 674

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

„Austauschbarkeit von Beweismitteln“ ist grundstzlich nicht statthaft, insbesondere darf nicht ein Zeuge durch einen anderen Zeugen ersetzt werden. Allein in Ausnahmefllen wird sie zugelassen, beispielsweise die Ersetzung einer amtlichen Auskunft durch eine Zeugenvernehmung618 oder die Augenscheinseinnahme eines Stadtplans anstelle der Vernehmung eines Polizeibeamten619. 674

Bei der Zeugenbenennung sind mglichst Vorname, Name und ladungsfhige Anschrift anzugeben. Dies ist zwar nicht unbedingt erforderlich620, es braucht nicht einmal der Name des Zeugen angegeben zu werden, wenn nur seine Person feststeht. Es wird z. B. als ausreichend angesehen, den Polizeibeamten zu benennen, der den Mandanten vorlufig festgenommen hat. Das Gericht ist verpflichtet, den Zeugen zu ermitteln621. Freilich sollte der Verteidiger dazu beitragen, das Verfahren zu frdern, indem er einen Zeugen mglichst genau bezeichnet, zumindest indem er mitteilt, wie er zu ermitteln ist.

675

Schwierigkeiten gibt es oft bei der Benennung von Sachverstndigen. Der Verteidiger braucht keinen bestimmten Sachverstndigen anzugeben622, wenn dies im allgemeinen auch zweckmßig ist. Das eigentliche Problem liegt jedoch darin, daß die Gerichte dem von der Verteidigung beantragten Sachverstndigen oft skeptisch gegenberstehen und nach Ablehnungsgrnden suchen (§ 244 Abs. 4). Hufig ist die Ablehnung mit der Begrndung, das Gericht habe gengend eigene Sachkunde. Damit darf sich der Verteidiger nicht zufrieden geben. Ein Fachmann ist zwar grundstzlich nur hinzuzuziehen, falls er mehr Fachkunde besitzt als der Richter (Rn. 609). Hierber kann man sehr verschiedener Meinung sein. Der Verteidiger, der einen Sachverstndigen gehrt haben will, bezweifelt notwendigerweise die Sachkunde des Richters. Deshalb kann es angebracht sein, den Beweisantrag ausfhrlicher zu begrnden, um Auseinandersetzungen auszuweichen. Der Verteidiger kann darauf verweisen, warum der benannte Sachverstndige besondere Erfahrung auf seinem Gebiet besitzt.

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Indessen sollte der Verteidiger die Sachkunde des Richters nicht in jedem Falle bezweifeln, sonst werden die Prozesse mehr oder weniger von Sachverstndigen entschieden (Rn. 609). Der Verteidiger darf jedoch keinesfalls 618 BGH, NJW 1969, 1219; Hanack, Zur Austauschbarkeit von Beweismitteln im Strafprozeß, JR 1970, 561; Schulz, StV 1983, 341. 619 BGHSt. 27, 135. 620 BGH, GA 1968, 19; OLG Saarbrcken, VRS 1975, 45. 621 Nachw. bei Meyer-Goßner, § 244 Rn. 21. 622 OLG Celle, MDR 1969, 950 (Nr. 83).

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Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 677

auf die Benennung eines Sachverstndigen verzichten, wenn er nach gewissenhafter Prfung berzeugt ist, daß die Sachkunde des Richters nicht ausreicht623. In diesem Falle muß er auch Auseinandersetzungen auf sich nehmen. Er kann sich darauf sttzen, daß die Revisionsgerichte dem Tatrichter enge Grenzen setzen, wenn es um die Beurteilung von Fachfragen geht. Beruft sich der Richter auf eigenes Sachverstndnis, dann ist der Beweisantrag manchmal das einzige Mittel, die Chancen fr die Revision zu wahren. Auch kann der Beweisantrag erforderlich sein, um noch in der Hauptverhandlung zu erfahren, worauf das Gericht die eigene Sachkunde sttzt. Sie muß zwar im Urteil im einzelnen begrndet werden, dann kann es aber zu spt sein. In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, daß beim Kollegialgericht die Sachkenntnis nur eines Richters gengen soll624. Besonders sorgfltig ist ein Beweisantrag zu begrnden, der darauf zielt, einen Obergutachter vernehmen zu lassen625. Das Gericht wird sich hufig scheuen, einen weiteren Gutachter anzuhren, und folgt lieber „seinem“ gerichtlich bestellten Sachverstndigen. Hlt der Verteidiger das bisher erstattete Gutachten nicht fr ausreichend, so darf er nicht nachgeben, sondern muß im einzelnen darlegen, warum nach seiner Meinung die behauptete Tatsache durch das „Erstgutachten“ noch nicht widerlegt ist (§ 244 Abs. 4 S. 2). In geeigneten Fllen ist darber hinaus vorzutragen, aus welchen Grnden die Sachkunde des angehrten Sachverstndigen zweifelhaft ist, inwieweit dieser von unrichtigen tatschlichen Voraussetzungen ausgegangen ist, warum sein Gutachten Widersprche enthlt oder weshalb der genannte Obergutachter ber bessere Forschungsmittel verfgt. Dazu kann der Verteidiger ausfhren, daß die Rechtsprechung der Revisionsgerichte in schwierigen Beweisfragen verlangt, ein weiteres Gutachten einzuholen626. Die Praxis beachtet diesen Grundsatz nicht immer ausreichend, wobei manchmal auch fiskalische Grnde mitwirken mgen. Allerdings ist der Verteidiger in einer schwierigen Situation. Das Gericht kann im Urteil auf eine unanfechtbare Tatsachenfeststellung ausweichen und im einzelnen darlegen, warum es dem angehrten Sachverstndigen folgt. Daher ist es ratsam, schon whrend der Vernehmung des gerichtlich bestellten Sachverstndigen die Mglichkeit eines weiteren Gutachtens nicht aus dem Auge zu lassen. So kann es notwendig sein, den Erstgutachter zu fragen, worauf seine Sachkunde beruht (Rn. 614). 623 Dhring, Fachliche Kenntnisse des Richters und ihre Verwertung im Prozeß, JR 1968, 641; Lifschtz, Das Sonder-Fachwissen des Richters, NJW 1969, 305. 624 BGH, NStZ 1983, 325; BGHSt. 12, 18. 625 Lwe/Rosenberg/Gollwitzer[25], § 244 Rn. 306 ff.; Jessnitzer, StV 1982, 177. 626 BGHSt. 23, 8, 12; BGHSt. 23, 176, 187; Meyer-Goßner, § 244 Rn. 77.

463

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Rn. 678

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

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Hat der Verteidiger Zweifel, ob das Gericht einem fr den Mandanten gnstigen Gutachten folgen will, so kommt auch hier ein „affirmativer Beweisantrag“ in Betracht. Der Verteidiger kann beantragen, fr den Fall, daß das Gericht zu der Auffassung kommen sollte, der Sachverstndige sei von unrichtigen tatschlichen Voraussetzungen ausgegangen, sein Gutachten enthalte Widersprche oder seine Sachkunde reiche nicht aus, einen Sachverstndigen ber dieselben Beweisfragen zu vernehmen. Das Gericht muß ber diesen Eventualbeweisantrag zwar erst im Urteil entscheiden, wird um ihn aber nur dann „herumkommen“, wenn es sich nunmehr auf die eigene Sachkunde beruft, die es durch das (angeblich nicht berzeugende) Gutachten erworben haben will – ein revisionsrechtlich zweifelhaftes Unterfangen.

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Das ist besonders wichtig bei medizinischen Beweisthemen. Vor allem kann nicht jeder „Gerichtsarzt“ smtliche Fcher beherrschen (Rn. 225, 615). Daher darf sich der Verteidiger nicht ohne weiteres damit zufriedengeben, daß z. B. der chirurgische Gutachter Fragen der Schuldunfhigkeit, des pathologischen Rausches oder des Borderline-Syndroms beurteilt. Auch sonst hat der Verteidiger daraus zu achten, daß der „richtige“ Fachmann gehrt wird, beispielsweise der Psychologe statt des Psychiaters oder umgekehrt, wenn Kinderaussagen zu beurteilen sind (Rn. 607 f.). berhaupt muß sich der Verteidiger eingehend um das Fachgebiet des Sachverstndigen kmmern. Sonst kann er z. B. nicht begrnden, warum die Sachkunde des Erstgutachters nicht ausreicht (Rn. 224). Dabei kann der Verteidiger Beispielsflle vortragen, in denen sich falsche Gutachten des einzigen Sachverstndigen unheilvoll fr den Angeklagten ausgewirkt haben. Geschickt ausgewhlte Beispiele vermgen vor allem ehrenamtliche Richter eher zu berzeugen als noch so glnzende theoretische Ausfhrungen ber den Unwert eines Gutachtens. Praktische Beispiele lassen sich oft auch fr die Fehlbeurteilung technischer Fragen vorbringen. Die Fortschritte der Technik haben zu einer weitgehenden Spezialisierung der Fachleute gefhrt. Der Verteidiger muß die Grenzen der einzelnen Fachgebiete kennen und sie dem Gericht deutlich machen. Zu diesem Zweck hat sich der Verteidiger notfalls zu erkundigen, welcher Fachmann die zur Beurteilung des Beweisthemas erforderlichen Kenntnisse besitzt. Ggfs. kann man sich an die Hochschulen und Fachschulen sowie die Berufsverbnde wenden, auch an Handels- und Handwerkskammern.

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Kann der Verteidiger den Urkundenbeweis nicht fhren, indem er die Urkunde vorlegt, so muß er deren Herbeischaffung beantragen. Befindet sich die Urkunde in mehr oder weniger umfangreichen Akten, dann reicht der allgemeine Antrag auf Aktenbeiziehung meist nicht aus. Das ist allenfalls 464

Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 682

ein Beweisermittlungsantrag (Rn. 685). Die Aktenteile sind vielmehr mglichst genau zu bezeichnen627. Im brigen knnen Urkunden ungeachtet der Neufassung des § 249 nach wie vor durch Bekanntgabe ihres wesentlichen Inhalts statt durch Verlesung in die Verhandlung eingefhrt werden628. Der Verteidiger kann aber die wrtliche Verlesung durch einen entsprechenden Antrag erzwingen; ggfs. ist ein Antrag auf auszugsweise Verlesung vorzuziehen, insbesondere bei umfangreichen Schriftstcken. Beim Augenscheinbeweis (Rn. 634) ist anzugeben, was zu sehen sein wird. Es gengt nicht, einen Ortstermin zur allgemeinen Aufklrung des Tatgeschehens zu beantragen. Das wre lediglich eine Beweisanregung, die das Gericht nicht wie einen Beweisantrag zu bescheiden braucht (Rn. 685).

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Dies hat der Verteidiger besonders in Verkehrsstrafsachen zu bercksichtigen629. Er wird beispielsweise beantragen mssen, den Augenschein dafr anzuordnen, daß ein bestimmter Zeuge von seinem Platz aus den Unfall nicht beobachten konnte. Damit allein ist freilich noch nicht sicher, daß sich der Richter an Ort und Stelle begibt. Es ist Sache seines pflichtgemßen Ermessens, ob er den Augenschein durchfhrt (§ 244 Abs. 5). Das richterliche Ermessen wird durch die Aufklrungspflicht begrenzt. Manche Gerichte machen davon weitgehend Gebrauch; andere verweigern den Ortstermin grundstzlich. Der Augenschein darf jedenfalls nicht abgelehnt werden, wenn er dazu dienen soll, eine Zeugenaussage zu entkrften630. Auch eine Ablehnung lediglich mit dem Gesetzeswortlaut ist fehlerhaft631. Andererseits soll der Augenschein ber die Sichtverhltnisse an der Unfallstelle dadurch ersetzt werden knnen, daß das Gericht einen Polizeibeamten als Zeugen vernimmt, der die Sichtverhltnisse berprft hat632. Um den Augenschein sachgerecht beantragen zu knnen, sollte sich der Verteidiger den Tatort mglichst vorher ansehen (Rn. 313) und etwa vorhandene Skizzen und Lichtbilder auf ihre Richtigkeit und Genauigkeit prfen. Noch so gute und maßstabgerechte Zeichnungen vermgen den persnlichen Eindruck kaum zu ersetzen. Da Ortsbesichtigun-

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627 628 629 630

BGH, StV 1996, 247; BGH, NStZ 1982, 296; BGHSt. 30, 131. BGH, NStZ 1981, 231. BGHSt. 6, 129. OLG Bremen, DAR 1963, 170; OLG Kln, NJW 1966, 606; OLG Koblenz, VRS 1975, 40. 631 SK/StPO-Schlchter, § 244 Rn. 160; Sarstedt, DAR 1964, 314; a. A. OLG Hamm, VRS 7, 374; OLG Oldenburg, NDsRpfl 52, 151; Meyer-Goßner, § 244 Rn. 78. 632 OLG Hamm, VRS 1968, 61.

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Rn. 683

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

gen den Terminplan des Gerichts meist durcheinanderbringen, werden sie leicht mit der Begrndung abgelehnt, die in den Akten befindliche Skizze reiche aus633. Mit eigener Ortskenntnis kann der Verteidiger das Gericht eher von der Notwendigkeit der Augenscheinseinnahme berzeugen. 683

Man muß auch damit rechnen, daß der Augenschein abgelehnt wird, weil der Richter die rtlichkeit selbst kennt. Hier ist zu prfen, worauf diese Kenntnis beruht. Privates Wissen des Richters darf den Augenschein nicht ersetzen. Das kme einer „informatorischen Ortsbesichtigung“ gleich, die unverwertbar ist634. Die Ortskenntnis des Gerichts kann allenfalls ausreichen, wenn es sich um offenkundige Tatsachen handelt (Rn. 652), etwa um die allgemeinen Verkehrsverhltnisse an einer bestimmten Kreuzung635.

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Sollen mit der Augenscheinseinnahme Experimente oder die Rekonstruktion des Tatgeschehens verbunden werden, so ist ein ausdrcklicher Antrag zweckmßig. Das Gericht kann zwar auch hierber nach seinem pflichtgemßen Ermessen entscheiden, weil es sich lediglich um eine Beweisanregung handelt636. Dabei kann aber die Aufklrungspflicht verletzt werden. Bei Kollegialgerichten sollte man stets darauf drngen, daß nicht nur der Vorsitzende oder der Berichterstatter den Tatort besichtigt. Das ist zwar zulssig; das Protokoll ist in der Hauptverhandlung zu verlesen637. Meist ist es jedoch unerlßlich, daß das ganze Gericht die rtlichkeiten kennenlernt.

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Bleiben trotz sorgsamer Prfung aller Voraussetzungen eines Beweisantrags Zweifel, ob das Gericht „mitmacht“, so darf der Verteidiger nicht ohne weiteres aufgeben. Er muß immer bedenken: In jedem nicht ordnungsgemßen Beweisantrag kann ein Beweisermittlungsantrag638, eine Beweisanregung, stecken, die das Gericht kraft seiner Aufklrungspflicht zwingt, der Sache nachzugehen639. Der Beweisermittlungsantrag braucht zwar nicht wie ein Beweisantrag durch einen begrndeten Beschluß abgelehnt zu werden640. Vielleicht geht aber das Gericht darauf ein. Mglicherweise unterluft bei der Ablehnung ein Fehler, etwa wenn die Beweisanregung als unzulssig verworfen wird. Manchmal sieht das Revisionsgericht den Antrag doch als ordnungsgemßen Beweisantrag an. Mindestens er633 634 635 636 637 638 639 640

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OLG Dsseldorf, VRS 1966, 456. BGHSt. 3, 188. Koch, Tatort und Augenschein in Verkehrsstrafsachen, DAR 1961, 275. BGH, NJW 1961, 1486. Meyer-Goßner, § 225 Rn. 2 f. Zur Abgrenzung BGH, GA 1981, 228. BGH, NStZ 1990, 602; BGH, NJW 1968, 1293. Meyer-Goßner, § 244 Rn. 27.

Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 688

leichtert aber der Beweisermittlungsantrag fr den Fall einer Revision die Aufklrungsrge. Um diese Chancen zu wahren, sollte der Verteidiger den Antrag auch dann schriftlich vorbereiten und wie einen Beweisantrag in die Hauptverhandlung einfhren, wenn er von vornherein erkennt, das Gericht wird den Antrag ablehnen oder ihn als bloße Beweisanregung auffassen. Praktische Bedeutung hat dieses Vorgehen immer dann, wenn man die Beweisbehauptung nicht genau aufstellen oder ein Beweismittel nicht oder nicht bestimmt genug nennen kann. Auch hier gilt die Erfahrung: Handeln ist richtiger als Schweigen!

bb) Beweisantrge des Staatsanwalts Der Staatsanwalt braucht in der Hauptverhandlung nur selten Beweisantrge zu stellen, weil er seine Beweismittel in der Anklage benannt hat und sie in aller Regel vom Gericht geladen bzw. herbeigeschafft sind (§ 245 Abs. 1 S. 1). Die Staatsanwaltschaft kann Beweispersonen auch formlos zur Hauptverhandlung laden und ihre Vernehmung beantragen, wobei die Gerichte ihren in der Praxis seltenen Beweisantrgen eher positiv gegenberstehen.

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Fr die Verteidigung besonders problematisch sind Ermittlungen des Staatsanwalts whrend der Hauptverhandlung zur Vorbereitung von Beweisantrgen. Dies ist (leider) zulssig, obwohl damit das Verfahren jedenfalls teilweise der Herrschaft des Gerichts entzogen wird. Da der Verteidiger von Zeugenvernehmungen oder anderen Beweiserhebungen durch die Staatsanwaltschaft in aller Regel nichts erfhrt, hat er auch keine Mglichkeit, daran teilzunehmen. Oft prsentiert die Staatsanwaltschaft zugleich mit dem Beweisantrag das Protokoll, das sie ber die vorgngige Vernehmung des Zeugen bereits angefertigt hat. Dem Gericht bleibt dann wenig anderes brig, als dem Beweisantrag stattzugeben und das Protokoll in der Hauptverhandlung „nachzuvollziehen“. Man kann zweifeln, ob ein solches Vorgehen mit den Grundstzen der Fairneß im Verfahren in Einklang steht. Der Verteidiger muß in solchen Fllen sehr kritisch und hartnckig das Zustandekommen der Aussage des Zeugen oder des sonstigen Beweisergebnisses prfen; in diesem Zusammenhang wird es auch nicht selten angezeigt sein, den Staatsanwalt als Zeugen zu benennen, um die Entstehungsgeschichte des Beweisergebnisses zu klren (Rn. 664).

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Der Verteidiger kann sich dagegen wenden, falls ihm das Beweismittel nicht so rechtzeitig genannt ist, um noch Erkundigungen einzuziehen (§ 246 Abs. 2). In diesem Falle muß er Aussetzung der Verhandlung, jedenfalls aber die Verschiebung der Beweiserhebung beantragen. Dann wird die Vernehmung der Beweisperson wenigstens hinausgeschoben und auf

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Rn. 689

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

diese Weise das berraschungsmoment ausgeschaltet. Fehlt dem Beweisantrag eine Voraussetzung, muß der Verteidiger widersprechen, um eine ungnstige Entwicklung der Beweisaufnahme schon im Ansatz zu verhindern. Meist ist es zweckmßig, den Widerspruch zu begrnden, der auch zu einem „Pldoyer im kleinen“ ausgestaltet werden kann. Das Gericht wird dadurch veranlaßt, sich mit den Argumenten der Verteidigung auseinanderzusetzen. Manchmal bedeutet dies eine Vorwegnahme der Entscheidung (Rn. 655). 689

Sorgfltige berlegung ist auch geboten, wenn der Staatsanwalt einen Beweisantrag stellt, der sich auf Entlastungstatsachen erstreckt. Man ist leicht geneigt, hierin eine gnstige Entwicklung der Beweisaufnahme zu sehen und sich dem Beweisantrag sofort anzuschließen. Diese Entscheidung wird in vielen Fllen richtig sein. Jedoch hat der Verteidiger zu prfen, ob die vom Staatsanwalt beantragte Beweiserhebung wirklich geeignet ist, die Beurteilung der Schuld- und Straffrage gnstig zu beeinflussen. Das ist, wie die Erfahrung zeigt, nicht immer der Fall. Die Situation kann hnlich schwierig sein wie in den Fllen, in denen der Staatsanwalt den Mandanten ber angeblich entlastende Umstnde befragt (Rn. 532). Weiß der Verteidiger z. B., daß der vom Staatsanwalt fr die Entlastung benannte Zeuge in Wahrheit den Mandanten belasten wird, so darf er die Dinge nicht einfach laufen lassen. Auch andere Grnde knnen dafr sprechen, die beantragte entlastende Beweiserhebung mglichst zu verhindern. So kann der Mandant daran interessiert sein, einen bestimmten Tatsachenkomplex nicht zu vertiefen, etwa um Angehrige zu schonen oder andere Tatsachen nicht aufzudecken. Besonders problematisch sind die Flle, in denen der Staatsanwalt ber einen Beweisantrag die verminderte Schuldfhigkeit oder die Schuldunfhigkeit des Angeklagten nachweisen will. Der gewissenhafte Verteidiger hat die Frage schon vorweg geprft und mit dem Mandanten die Vorteile, insbesondere aber auch die Nachteile besprochen, die eine Berufung auf die §§ 20, 21 StGB mit sich bringt. Hufig wiegt ein Freispruch oder eine mildere Bestrafung aus §§ 20, 21 StGB die Nachteile nicht auf, die der Mandant in seinem beruflichen, familiren und gesellschaftlichen Ansehen befrchten muß. Auch ist es durchaus nicht immer angebracht, den Auftraggeber einer eingehenden nervenfachrztlichen Untersuchung auszusetzen, von der der Verteidiger nicht weiß, wie sie ausgeht. Hat sich der Verteidiger aus guten Grnden entschlossen, die Schuldfhigkeit des Mandanten zu errtern, so muß er ggfs. dem staatsanwaltschaftlichen Beweisantrag widersprechen. Das ist auch sonst ntig, falls der entlastende Beweisantrag des Staatsanwalts mit dem Verteidigungsplan nicht bereinstimmt. Es ist aller468

Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 690

dings meist ratsam, die Bedenken in vorsichtiger Form anzumelden, sonst bekommen Gericht und Staatsanwalt den Eindruck, der Mandant wolle etwas verbergen. So wird sich der Verteidiger nur selten ausdrcklich gegen einen Beweisantrag des Staatsanwalts wehren knnen, mit dem ein Entlastungszeuge benannt wird. Gelegentlich hilft die Erklrung, man halte die vom Staatsanwalt behauptete Entlastungstatsache fr offenkundig oder sehe sie als bereits erwiesen an. Das Gericht wird dann den staatsanwaltschaftlichen Beweisantrag auf diese Einwendungen hin besonders prfen. l) Prsente Beweismittel Dahs/Dahs, Revision, Rn. 353 ff.; Detter, Der von der Verteidigung geladene Sachverstndige (Probleme des § 245 Abs. 2 StPO), FS Salger (1995), S. 231; Fezer, Zu den Voraussetzungen des StPO § 245 Abs. 1, JR 1992, 36; Khler, Das prsente Beweismittel nach dem Strafverfahrensnderungsgesetz 1979, NJW 1979, 348; Khler, Zur Beweisaufnahme ber prsente Beweismittel im Strafverfahren, StV 1992, 4; Marx, Die Verwertung prsenter Beweismittel nach neuem Recht, NJW 1981, 1415; Mller, Egon/Fleck, Der arme Angeklagte und § 245, ZRP 1969, 174; Sarstedt/Hamm, Die Revision in Strafsachen, 6. Aufl., 1998, S. 339 ff.

Die durch § 245 a. F. der Verteidigung erffnete Mglichkeit, Beweismittel ohne Beweisantrag und auch gegen den Willen des Gerichts in die Hauptverhandlung einzufhren, stellte fr die Verteidigung eine sehr wirksame Waffe dar, mit deren Hilfe eine einseitige oder unvollstndige Beweisfhrung bekmpft werden konnte (vgl. Rn. 549 ff. d. 5. Aufl.). Diese Verteidigungsmglichkeit ist durch die heutige Fassung des § 245 so sehr eingeschrnkt worden, daß sie ihre Bedeutung fr die Praxis weitgehend verloren hat. Heute besteht keine Verpflichtung des Gerichts mehr, die Beweisaufnahme von Amts wegen auf die prsenten Beweismittel zu erstrecken, sondern die Beweiserhebung erfolgt nur, wenn ein entsprechender Beweisantrag gestellt und diesem stattgegeben wird (§ 245 Abs. 2 S. 1). Dem Gericht sind indes fr die Ablehnung eines Beweisantrages engere Grenzen als in § 244 Abs. 3–5 gezogen. Die Ablehnung darf nur erfolgen, wenn die Erhebung des Beweises unzulssig ist, die zu beweisenden Tatsachen offenkundig oder schon erwiesen sind, das Beweismittel vllig ungeeignet oder der Antrag zum Zwecke der Prozeßverschleppung gestellt ist. Darber hinaus darf der Beweisantrag abgelehnt werden, wenn zwischen der Beweistatsache „und dem Gegenstand der Urteilsfindung kein Zusammenhang besteht“, d. h. der Antrag darf nicht schon dann abgelehnt werden, wenn die zu beweisende Tatsache fr die Entscheidung ohne Bedeutung ist (§ 244 Abs. 3), sondern erst dann, wenn objektiv und fr jeden erkennbar es an der Sachbezogenheit mangelt. Trotz bestehenden Zusammenhanges mit der zu treffenden Sachentscheidung kann die 469

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Rn. 691

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

Beweiserhebung aber auch dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsache einen lediglich mglichen, aber nicht zwingenden Schluß auf eine unmittelbar erhebliche Tatsache zulassen und das Gericht diesen Schluß selbst dann nicht ziehen wrde, wenn die Beweistatsache erwiesen wre641. Auch die Zurckweisung von Antrgen auf Benutzung prsenter Beweismittel bedarf der Begrndung, aus der der Verteidiger oft wertvolle Fingerzeige entnehmen kann. Ein beraus wichtiges verfahrensrechtliches Instrument ist dem Verteidiger jedoch trotz nderung des § 245 verblieben, nmlich die Ladung eines (weiteren) Sachverstndigen. Zwar muß er auch insoweit einen Beweisantrag stellen, jedoch wird das Gericht diesem in der Regel stattgeben mssen, weil die Ablehnungsgrnde der eigenen Sachkunde oder der Erwiesenheit des Gegenteils der behaupteten Tatsache nicht gelten (§ 245 Abs. 2 S. 3). Nach vollstndiger Vernehmung der Beweisperson empfiehlt sich der Antrag, dem Zeugen oder dem Sachverstndigen die gesetzliche Entschdigung aus der Staatskasse zu gewhren (§ 220 Abs. 3). Dadurch kann man unmittelbar erfahren, ob das Gericht die Selbstladung als sachdienlich ansieht. Der Verteidiger kann dann seine weiteren Maßnahmen auf die ußerung des Gerichts abstellen. Allerdings provoziert man eine gefhrliche Vorabentscheidung, ehe die Verteidigung beendet und pldiert ist. 691

Andere Beweismittel als Zeugen und Sachverstndige sind herbeigeschafft, wenn sie dem Gericht bereits vorliegen oder in der Verhandlung vorgelegt werden642. Das ist in der Praxis wichtig fr Urkunden, besonders Vernehmungsprotokolle, und Akten sowie Skizzen und Fotos. Vielfach wird bersehen, daß das Gericht zur Vernehmung der vom Angeklagten gestellten Zeugen nur verpflichtet ist, wenn diese ordnungsgemß „prsentiert“ werden643. § 245 Abs. 1 entbindet den Verteidiger deshalb nicht von der Pflicht, eine Beweisperson im Wege der Selbstladung (§§ 220, 38) ordnungsgemß zur Hauptverhandlung zu laden644. Außerdem muß er den frmlichen Beweisantrag stellen645, was auch fr bereits bei den Akten befindliche Urkunden, Skizzen, Fotos etc. gilt646.

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Will der Verteidiger aus den Akten oder Beiakten Schriftstcke verlesen haben, so sind sie mit ihrer Fundstelle mglichst genau zu bezeichnen, 641 642 643 644 645

St. Rspr., vgl. nur BGH bei Kusch, NStZ-RR 1998, 260; BGH, NStZ 1994, 24. Meyer-Goßner, § 245 Rn. 4 f. Burhoff, StV 1997, 432. BGH, NStZ 1981, 401. Burhoff, StV 1997, 432; Beck'sches Formularbuch/Michalke, 4. Aufl., 2002, S. 459 ff. 646 BGHSt. 37, 168, 172; BGHSt. 18, 374.

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Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 694

sonst gelten sie nur als Beweisermittlungsantrge (Rn. 655), die nur der Aufklrungspflicht des Gerichts unterliegen647. Den Antrag, ein herbeigeschafftes Beweismittel zu gebrauchen, sollte der Verteidiger in pointierter Weise stellen, um die Beteiligten aufmerksam zu machen, besonders den Protokollfhrer (Rn. 666). Es kommt darauf an, daß das Hauptverhandlungsprotokoll das Erscheinen der geladenen Beweisperson, Vorlage anderer Beweismittel und den Beweisantrag ganz frmlich ausweist. Besondere Zurckhaltung ist geboten, falls auf die Benutzung prsenter Beweismittel verzichtet werden soll (§ 245 Abs. 1 S. 2). Hier kommen leicht vermeidbare Fehler vor. Man muß sich vor Augen halten, daß jeder Prozeßbeteiligte beantragen kann, ein herbeigeschafftes Beweismittel zu verwenden. Manchmal bietet der Verzicht allerdings Vorteile. Ist das Beweisergebnis gnstig, kann das Verfahren im Interesse des Mandanten abgekrzt werden. Steht z. B. nach der Vernehmung der angeblichen Belastungszeugen fest, daß der Vorwurf nicht nachgewiesen ist, so kann der Verteidiger im Wege einer Erklrung (Rn. 520) anregen, die Beweisaufnahme abzubrechen. In seiner Wirkung entspricht dieses Verfahren dem aus dem englischen Strafprozeß bekannten „no case to answer“, nmlich der Erklrung, die Verteidigung sehe sich nicht veranlaßt, der Beweisfhrung des Vertreters der Anklage mit eigenen Beweismitteln und Beweisantrgen entgegenzutreten. So kann der Verteidiger jedoch nur vorgehen, wenn er ganz sicher ist, daß das Gericht das Beweisergebnis ebenso beurteilt. Das lßt sich nicht immer feststellen. Daher ist es ratsam, den Verzicht zunchst nur anzukndigen und die ußerung des Gerichts und des Staatsanwalts zu „provozieren“.

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Hierbei ist zu beachten, daß die Beweisaufnahme fortzusetzen ist, wenn die Aufklrungspflicht das Gericht dazu zwingt648. Wie bei der Wahrunterstellung (Rn. 656) geht die richterliche Aufklrungspflicht vor, und zwar selbst dann, wenn Staatsanwalt und Verteidiger keine Beweise mehr erhoben haben wollen649. Daraus folgt fr den Verteidiger: Regt das Gericht an, auf vorhandene und akzeptierte Beweismittel zu verzichten, so hlt es eine weitere Aufklrung nicht fr geboten. Das bedeutet nicht selten, daß es die Sache im Sinne der Anklage als spruchreif ansieht. Dann ist es selbstverstndlich falsch, auf ein herbeigeschafftes Beweismittel zu verzichten; die Verzichtserklrung mssen sowohl der Angeklagte wie auch der Verteidiger abgeben (§ 245 Abs. 1 S. 2). Gerade wenn sich das Gericht schon eine Meinung gebildet hat, ist es notwendig, die Beweisaufnahme

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647 BGH, NStZ-RR 1998, 276 m. N.; BGH, NStZ 1997, 562. 648 Meyer-Goßner, § 245 Rn. 14. 649 Lwe/Rosenberg/Gollwitzer[25], § 245 Rn. 43.

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Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

fortzusetzen und zu versuchen, die richterliche berzeugung noch zu beeinflussen. Der vorsichtige Verteidiger erklrt dann ausdrcklich, daß er auf die Verwendung des bereitstehenden Beweismittels nicht verzichtet. Bloßes Schweigen auf die richterliche Anregung kann gefhrlich sein. Es wird die Ansicht vertreten, man knne unter bestimmten Umstnden auf eine weitere Beweisaufnahme auch stillschweigend verzichten. Aus diesem Grunde ist es auch geboten, vor Schluß der Beweisaufnahme zu prfen, ob die vorhandenen Beweismittel vollstndig ausgeschpft sind. Der Verteidiger darf sich nicht durch die Feststellung berraschen lassen, die Beweisaufnahme werde geschlossen. Er ist dadurch zwar nicht gehindert, noch frmliche Beweisantrge vorzubringen (Rn. 659), jedoch werden die Beweispersonen am Schluß der Beweisaufnahme entlassen und sind meist nicht mehr anwesend. m) nderung der Anklage Gillmeister, Die Hinweispflicht des Tatrichters, StraFo 1997, 8; Hnlein/Moos, Zu Reichweite und revisionsrechtlicher Problematik der Hinweispflicht nach § 265 I StPO, NStZ 1990, 481; Knig, Zur Hinweispflicht des Gerichts in der Beweisaufnahme, StV 1998, 113; Kpper, Die Hinweispflicht nach § 265 StPO bei verschiedenen Begehungsformen desselben Strafgesetzes, NStZ 1986, 249; Michel, Richterliche Hinweis- und Protokollierungspflicht, MDR 1996, 773; Michel, Aus der Praxis – Die richterliche Hinweispflicht, JuS 1991, 850; Niemller, Die Hinweispflicht des Strafrichters bei Abweichungen vom Tatbild der Anklage, 1988; Schlothauer, Gerichtliche Hinweispflichten in der Hauptverhandlung, StV 1986, 213, 216; Eb. Schmidt, Vernderung fr die Verurteilung wesentlicher tatschlicher Gesichtspunkte, JR 1964, 188.

aa) Rechtliche und sachliche Gesichtspunkte 695

In vielen Hauptverhandlungen stellt sich heraus, daß die rechtlichen und tatschlichen Grundlagen der Verhandlung, wie sie Anklageschrift und Erffnungsbeschluß vorbestimmt haben, nicht mehr zutreffen. Das „Prozeßthema“ wird gendert oder ergnzt. Die Erfahrung lehrt, daß der Vorsitzende zwar den Angeklagten auf die Vernderung des rechtlichen Gesichtspunktes hinzuweisen pflegt (§ 265) und dieser Hinweis auch mehr oder weniger genau ins Protokoll kommt. Jedoch werden aus der Belehrung nicht immer die richtigen Folgerungen gezogen. Der Verteidiger hat solche Hinweise genau zu prfen. Denn § 265 soll eine berrumpelung des Angeklagten verhindern. Deshalb gengt es nicht, den Hinweis lediglich zur Kenntnis zu nehmen. Er ist auf seine Stichhaltigkeit und Vollstndigkeit zu untersuchen; es sind die notwendigen Maßnahmen einzuleiten. Sonst bleibt der Hinweis trotz Protokollierung eine leere Formel, die lediglich bezweckt, das Urteil „revisionssicher“ zu machen. 472

Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 698

Wie der Verteidiger zu reagieren hat, hngt vom Inhalt der Belehrung ab. Manchmal wird der Hinweis nur recht allgemein formuliert, obwohl die Rechtsprechung eindeutige und erschpfende Aufklrung des Angeklagten fordert650. Ist der Hinweis unklar, so sollte sich der Verteidiger nicht scheuen, um nhere Erluterung zu bitten. Sonst knnen seine Maßnahmen fehlgehen. Er muß zu erfahren suchen, ob das Gericht einen unverndert gebliebenen Sachverhalt rechtlich anders beurteilen (§ 265 Abs. 1) oder ob es der Entscheidung neu hervorgetretene Umstnde zugrunde legen will (§ 265 Abs. 2 und 4). Dieser Unterschied ist bedeutsam, weil nicht in jedem Falle ein unabdingbarer Anspruch auf Aussetzung besteht (Rn. 698). Beabsichtigt das Gericht, die bisherige rechtliche Beurteilung zu ersetzen oder zu ergnzen, so braucht das nicht stets zum Nachteil des Mandanten zu sein. Der rechtliche Gesichtspunkt wird auch verndert, wenn ein milderes Strafgesetz in Betracht kommt, etwa Versuch statt Vollendung, Fahrlssigkeit statt Vorsatz, Beihilfe statt Tterschaft651, Mittterschaft statt Alleintterschaft652. Anders ist es, wenn sich der im Erffnungsbeschluß angenommene Sachverhalt ndert. Hier muß der Verteidiger gewissenhaft prfen, ob er sich auf den neuen Sachverhalt einlassen oder Aussetzung der Verhandlung beantragen soll (Rn. 698).

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Von Verteidigern hufig bersehen wird der Anspruch auf Aussetzung der Hauptverhandlung wegen vernderter Sachlage (§ 265 Abs. 4). Er ist begrndet, wenn in der zugelassenen Anklage nicht erwhnte Tatsachen oder genderte Tatsachen mit Entscheidungsrelevanz vom Gericht in die Beweisaufnahme und Verhandlung einbezogen werden653. Insoweit kann die Vernderung des Tatzeitpunktes, Tatortes, eine Variante der Tathandlung, evtl. auch ein Verteidigerwechsel654 o. . gengen. Im Zweifel sollte der Antrag gestellt werden, wenn die Verteidigung auf dem neuen oder genderten Gesichtspunkt nicht vllig vorbereitet ist. Entsprechendes gilt auch fr Vernderungen der Verfahrenslage, z. B. durch nachgeschobene Beweismittel usw.655.

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Ist die Aussetzung der Hauptverhandlung geboten, so muß der Verteidiger wissen, in welchen Fllen er sie durchsetzen kann. Hierbei ist die Erfahrung zu bercksichtigen, daß begreiflicherweise oft gegen den Aussetzungsantrag Front gemacht wird. Das Verfahren wird verzgert und ver-

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650 651 652 653 654 655

BGHSt. 18, 56; Meyer-Goßner, § 265 Rn. 31. Meyer-Goßner, § 265 Rn. 8 ff.; Lwe/Rosenberg/Gollwitzer[25], § 265 Rn. 20 ff. BGHSt. 11, 81; BGH, NStZ 1992, 292; Meyer-Goßner, § 265 Rn. 14 m. N. BGH, StV 1992, 452; Meyer-Goßner, § 265 Rn. 41. BGH, StV 2000, 183; BGH, NJW 1965, 2164 f. Zu den Einzelheiten Meyer-Goßner, § 265 Rn. 42 ff.

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Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

teuert. Man soll diese Bedenken nicht gering veranschlagen. Jedoch geht das Recht des Mandanten auf ein faires Verfahren vor. Deshalb muß der Verteidiger auf die Aussetzung der Verhandlung dringen, wenn anders der Mandant Nachteile befrchten muß. Die Aussetzung muß gewhrt werden, falls aufgrund neuer Tatsachen ein schwereres Strafgesetz angewendet werden kann, die Strafbarkeit mglicherweise erhht ist oder eine Sicherungsmaßregel in Betracht kommt (§ 265 Abs. 2). Weiter muß die neue Tatsache bestritten werden. Schließlich darf man die Behauptung nicht vergessen, die Verteidigung sei auf die neue Sachlage nicht gengend vorbereitet. Obwohl diese Behauptung nicht nachprfbar ist656, darf der Verteidiger sie nicht leichtfertig aufstellen. Insbesondere ist es bedenklich, die Aussetzung ausschließlich zu dem Zwecke zu beantragen, die Entscheidung zu verzgern. Das Gericht merkt die Absicht und ist verstimmt. Auch entstehen vermeidbare Kosten, die der Mandant zu tragen hat, falls er verurteilt wird. Der Verteidiger muß daher das Fr und Wider sorgfltig abwgen. Er muß auch bedenken, daß das Gericht statt einer Aussetzung die Unterbrechung der Hauptverhandlung beschließen kann (§ 229). 699

Wie die Erfahrung lehrt, haben Aussetzungsantrge manchmal einen unerwarteten Erfolg. Das Gericht ist zu einer Vorentscheidung ber die vernderte rechtliche oder tatschliche Situation gezwungen. Auch wenn es nicht an die Rechtsauffassung des Antragstellers gebunden ist657, wird vielfach nach einem Weg gesucht, aus praktischen Grnden die Entscheidung und eine mgliche Aussetzung zu umgehen. Dazu rechnen die Einstellung wegen Geringfgigkeit, das Ausscheiden von unwesentlichen Punkten (Rn. 322 ff., 516) und vielleicht eine Verfahrensabsprache (Rn. 177 ff., 496 ff.). In anderen Fllen wird das Gericht geneigt sein, aufgetauchte Gesichtspunkte nicht weiter zu verfolgen und bei demselben Gegenstand des Verfahrens zu bleiben, ehe es das Verfahren aussetzt. Diese Praxis muß sich der Verteidiger zunutze machen und in Zweifelsfllen die Aussetzung beantragen, falls die neue Sachlage den Auftraggeber belasten wrde. bb) Nachtragsanklage

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Erhebt der Staatsanwalt in der Hauptverhandlung eine Nachtragsanklage, so kommt es auf die Zustimmung des Angeklagten an (§ 266). Fehlt die Zustimmung, so darf das Gericht die neu angeklagte Tat nicht in das

656 Meyer-Goßner, § 265 Rn. 36. 657 Meyer-Goßner, § 265 Rn. 36.

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Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 702

Verfahren einbeziehen658. In erster Linie hat der Verteidiger zu prfen, ob sich der Mandant auf die neue Anklage sofort verteidigen kann. Das wird hufig nicht mglich sein, z. B. wenn dem Angeklagten eine Tat vorgeworfen wird, die dem Verteidiger unbekannt ist. Im allgemeinen ist es in diesem Falle nicht richtig, sich auf eine Erweiterung der Anklage einzulassen. Mindestens muß der Verteidiger um eine Unterbrechung bitten, damit er die neue Situation mit dem Mandanten besprechen kann. Gibt der Mandant die jetzt erst angeklagte Tat zu, so liegt es meist in seinem Interesse, daß hierber sofort mitentschieden wird. Sonst muß er mit einer neuen Anklage rechnen. Ist dem Verteidiger bekannt, daß bei Polizei oder Staatsanwaltschaft noch weitere Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten laufen, so ist es unter Umstnden sogar geboten, auf sie hinzuweisen. Rumt der Mandant die neuen Taten ein, dann ist es in der Regel nicht sinnvoll, die neue Anklage abzuwarten. Dem gestndigen Angeklagten wird im allgemeinen daran gelegen sein, in einer einzigen Hauptverhandlung „reinen Tisch zu machen“. In diesem Zusammenhang darf der Verteidiger nicht außer acht lassen, daß in vielen Fllen nach Erhebung einer Nachtragsanklage die neue Beschuldigung als unwesentlich ausgeschieden werden kann (§§ 154, 154a). Das lßt sich z. B. erreichen, wenn der Mandant die Tat zwar zugibt, aber etwa offen bleibt, ob er Mittter oder Gehilfe ist. Dann bevorzugen manche Richter aus praktischen Grnden eine Einstellung. Zu beachten ist jedoch, daß es zur Wiedereinbeziehung einer zunchst ausgeschiedenen Gesetzesverletzung nach § 154 Abs. 5 eines frmlichen Gerichtsbeschlusses bedarf. Bei § 154a gengt der Hinweis nach § 265, wenn kein Zweifel daran bestehen kann, daß die Beschrnkung der Strafverfolgung weggefallen ist659.

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n) Die Sitzungsniederschrift und Tonbandprotokoll Im vorausgegangenen Text ist wiederholt auf die Bedeutung der Protokollierung der Verfahrensvorgnge hingewiesen worden. Sie bietet dem Verteidiger wichtige Mglichkeiten. Er muß deshalb die einschlgigen Vorschriften der §§ 271–274 sicher beherrschen. Nicht nur die „wesentlichen Frmlichkeiten“ sind zu beurkunden, sondern in Hauptverhandlungen vor dem Strafrichter und dem Schffengericht grundstzlich auch die „wesentlichen Ergebnisse der Vernehmungen“ (§ 273 Abs. 2), desgleichen die 658 Meyer-Goßner, § 266 Rn. 14 mit dem Hinweis, daß es sich bei der Zustimmung nach der wohl h. M. nicht um eine Verfahrensvoraussetzung handelt; BGH, NStZ-RR 1999, 303. 659 BGH, NStZ 1994, 495; i. . Meyer-Goßner, § 154a Rn. 24.

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Rn. 703

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

Verlesung von Urkunden, die gestellten Antrge und die Entscheidungen. Der Verteidiger hat weitgehende Befugnis, die Protokollierung zu erzwingen. Das gilt besonders bezglich der gestellten Antrge, der Beanstandungen (Rn. 533 ff.) und der Vereidigung der Zeugen und Sachverstndigen, wobei die Grnde fr die Vereidigung im Protokoll nicht notifiziert werden mssen (§ 59 Abs. 1 S. 2 n. F.). Wenn der Verteidiger hier seine Mglichkeiten nicht schnell und sicher erkennt und durchzusetzen versteht, knnen seine Verteidigungsrechte durch Verwirkung rettungslos untergehen. Im einzelnen ist im Abschnitt „Verwirkung von Verteidigungsrechten“ besonders behandelt, wie der Verteidiger durch richtige Protokollierung solche Rechtsverluste vermeiden kann (Rn. 803 ff.) und welche Grenzen ihm dabei durch Opportunittsfragen gezogen sind (Rn. 807 ff.). Auf diese Darstellung wird hier Bezug genommen. 703

Besonders in Umfangverfahren besteht beim Verteidiger ein besonderes Interesse daran, schon whrend der noch andauernden Hauptverhandlung Einsicht in das Protokoll bzw. Fotokopien der Niederschrift zu erhalten. Ein solcher Anspruch wird aber von der Rechtsprechung verneint, weil das Protokoll der gesamten Hauptverhandlung eine Einheit bilde und erst mit Fertigstellung und Unterzeichnung Bestandteil der Akten werde660. Auch ohne Rechtsanspruch ist die Einsichtnahme aber bei gutem Verhltnis zum Vorsitzenden („favor iudicis“) zu erreichen.

704

Das Tonbandprotokoll in der Hauptverhandlung wirft besondere Probleme auf. Martin, Rechtsprechungsbersicht, Aushndigung von Tonbandprotokollen an Schffen kein Verstoß gegen Mndlichkeitsgrundsatz, JuS 1997, 948; Marxen, Tonaufnahmen whrend der Hauptverhandlung fr Zwecke der Verteidigung, NJW 1977, 2188; Molketin, Ist es zulssig, die Aussagen von Zeugen in der Hauptverhandlung ohne deren Einwilligung auf Tonband aufzunehmen?, NStZ 1993, 145.

Die zur Zeit gebruchliche Sitzungsniederschrift hat viele Mngel. Tonbnder und andere Ton- und Bildtrger spielen im Strafprozeß eine immer grßere Rolle. Gleichwohl haben die Bestrebungen noch nicht zum Ziele gefhrt, an Stelle des schriftlichen Protokolls – das praktisch keine Inhaltsangaben zur Sache enthlt – einen Tontrger zu gebrauchen. Jedoch wird die Tonaufnahme in besonders gelagerten Verfahren umfassend oder teilweise neben dem schriftlichen Protokoll als Gedchtnissttze verwendet. Zulssig ist dies nur, falls der jeweils Sprechende zustimmt661. Im 660 BGH, NStZ 1993, 141 (kein Anspruch auf Teilprotokoll); BGH, NJW 1981, 411 m. N. 661 BGHSt. 19, 193; a. A., Meyer-Goßner, § 169 GVG Rn. 13.

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Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 705

allgemeinen wird sich der Verteidiger einer gerichtlichen Aufnahme nicht verschließen, wenn er sie auch fr eigene Zwecke nutzen kann. So ist es unbedenklich, daß er die Aufnahme anlßlich der Akteneinsicht ganz oder teilweise reproduziert. Hierbei sind die Grenzen der Akteneinsicht zu beachten (Rn. 274). Darber hinaus kann der Verteidiger um die Erlaubnis bitten, bestimmte Teile der Verhandlung fr seinen Gebrauch auf Band zu nehmen oder nehmen zulassen. Dies ist z. B. in großen Sachen zweckmßig, um Beweisantrge und Pldoyer vorzubereiten662. Sollte das Gericht die Erlaubnis nicht erteilen, kann der Verteidiger sich auf den Standpunkt stellen, daß er ihrer wenigstens insoweit nicht bedarf, als die jeweils Sprechenden zustimmen. Im brigen kann es sich um Probleme der Gter- und Pflichtenabwgung handeln. Nicht erlaubt ist die Verbreitung des Tonprotokolls an Dritte, etwa dessen Weitergabe an die Presse. Selbstverstndlich ist dem Verteidiger die heimliche Aufnahme im Gerichtssaal untersagt. Sie ist ggfs. strafbar (§ 201 StGB). o) Zwischenberatungen Besondere Bedeutung knnen in jedem Stadium der Hauptverhandlung bis zu den Pldoyers Zwischenberatungen des Gerichts gewinnen. Die Tatsache an sich und das anschließende Verhalten des Gerichts knnen dem Verteidiger wertvolle Aufschlsse geben. Manchmal fhren sie zu ußerungen des Vorsitzenden ber die Prozeßlage. Sie knnen dann Veranlassung geben, erneut eine Richtungsnderung der Verteidigung durch eine Schuldigerklrung zu erwgen, um sich deren große Vorteile fr den Strafausspruch zu sichern (im einzelnen Rn. 484). Die Zwischenberatungen bergen aber auch erhebliche Gefahren in sich, weil naturgemß bei den Richtern eine gewisse psychologische Bindung an die Ergebnisse dieser Beratungen eintritt. Es ist nicht zu verkennen und verstndlich, daß ihre Bereitschaft abnimmt, die vorlufig gewonnenen Erkenntnisse wieder in Frage zu stellen. Der BGH hat Zwischenberatungen indes ausdrcklich fr zulssig erklrt663. Ob die Grenze aber nicht berschritten ist, wenn z. B. das Gericht in einer Umfangstrafsache (mehrmonatige Hauptverhandlung, ber 50 Zeugen, eine Vielzahl von Urkunden) nach einem mehrstndigen Pldoyer der Verteidigung nach nur einer Stunde Beratung das Urteil verkndet, erscheint hchst fraglich664.

662 Meyer-Goßner, § 169 GVG Rn. 12. 663 BGHSt. 17, 337; BGHSt. 37, 141. 664 Zulssig nach BGH, Urt. v. 31. 3. 1976 – 3 StR 487/75 – unv.

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Rn. 706 706

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

Nicht selten erlebt man bei Berufungsgerichten (Rn. 877 ff.) die Praxis, daß die Beweisaufnahme zu irgendeinem Zeitpunkt fr eine „Pause“ unterbrochen wird, nach deren Ablauf der Vorsitzende berraschend das Ergebnis einer „Zwischenberatung“ verkndet, verbunden mit der mehr oder weniger nachdrcklichen Empfehlung, die Berufung zurckzunehmen oder zu beschrnken. Der Verteidiger fhlt sich berfahren, weil er keine Gelegenheit zu einem Zwischenpldoyer vor der Zwischenberatung gehabt hat. Dieser mißlichen Situation kann man dadurch vorbeugen, daß man bei Verkndung der Pause fragt, ob das Gericht eine Zwischenberatung beabsichtige und fr diesen Fall eine vorherige Stellungnahme ankndigt. Der Verteidiger kann auch von sich aus eine Sitzungspause erbitten, um sich mit dem Mandanten zu besprechen (Rn. 557). Das kann allerdings gefhrlich sein, wenn das Gericht daraus auf Bedenken der Verteidigung schließt, wozu insbesondere die ehrenamtlichen Richter neigen (Rn. 191). p) Das Pldoyer des Verteidigers Den nachstehenden Ausfhrungen liegt die Abhandlung „Das Pldoyer des Strafverteidigers“665 zugrunde, aus der das Handbuch entwickelt ist. „Tritt frisch auf, tu's Maul auf, hr bald auf!“ (Luther)

Wagner: „Der Vortrag macht des Redners Glck.“ Faust: „Such er den redlichen Gewinn, sei er kein schellenlauter Tor, es trgt Verstand und rechter Sinn mit wenig Kunst sich selber vor.“ (Goethe, Faust 1. Teil, Nacht)

Alsberg, Die Philosophie der Verteidigung, 1930; Calamandrei, Lob der Richter, 1956: Dahs sen., Das Pldoyer des Strafverteidigers, AnwBl. 1959, 1; Dahs sen., Das Pldoyer des Staatsanwalts, DRiZ 1960, 106; Dstner, Schlußvortrag und letztes Wort im Strafverfahren, Recht und Politik 1982, 180; Gast, Juristische Rhetorik, 3. Aufl., 1997; Haft, Juristische Rhetorik, 6. Aufl., 1999; Malek, Verteidigung in der Hauptverhandlung, 2. Aufl., 1997, Rn. 443 ff.; Miller, Der Jurist, ein Kommunikationsberuf oder – Rhetorik fr Juristen, JA 1997, 731; Reuß, Das Pldoyer des Anwalts, JR 1965, 162; Schneider, MDR 1997, 625; Solbach, Anklageschrift, Einstellungsverfgung, Derzernat und Pldoyer, 9. Aufl., 1993; Wchter/v. Roiper, Rechtsrhetorik contra juristische Folgenprognose!, JuS 1987, 335. (Weitere Literatur vgl. Vorauflage.)

665 Dahs sen., AnwBl. 1959, 1 ff.

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Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 709

Das Pldoyer des Verteidigers ist sein großer Auftritt. Nach dessen Wirkung wird er meist beurteilt. Hier tritt er forensisch groß in Erscheinung und lenkt Auge und Ohr der Prozeßbeteiligten und der ffentlichkeit auf sich hin. Fr die Dauer seines Pldoyers beherrscht er den Gerichtssaal. Es ist seine Stunde. Hierauf beruht es, daß der Verteidiger im Pldoyer der Strafsache wie sonst selten Gelegenheit hat, sich auszuzeichnen oder durchzufallen. Das Pldoyer wird besonders in den Augen des Mandanten als die Hauptphase der Verteidigungsleistung angesehen. Der Ruf von Anwlten als Strafverteidiger beruht oft auf ihren Pldoyers. In der Justizgeschichte haben solche vielfach historische Bedeutung gewonnen. In großen Prozeßverfahren gibt die Presse das Pldoyer des Verteidigers oft inhaltlich wieder; sie unterstreicht die brillante Eloquenz einer forensischen Rede oder verurteilt einen Versager. Diese Rolle des Pldoyers macht es notwendig, seine wirkliche Funktion in der Verhandlung besonders fr das schicksalsentscheidende Urteil zu ergrnden, sich die Mglichkeiten seiner Gestaltung zu berlegen und die Kunst des Pldierens zu erkennen und zu erlernen.

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Dazu gibt es auch reiche Literatur ber die Redekunst und die Philosophie der Verteidigung. Auch sind manche berhmte forensische Reden literarisch gewrdigt worden, deren Lektre Gewinn bringt. Es kann nur dringend geraten werden, sich mit diesen Werken zu befassen, um Anregung und Belehrung auch fr das „Alltagspldoyer“ zu bekommen.

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Bei der Frage nach der hchstmglichen Wirkung des Pldoyers stellt sich alsbald die Grundfrage, auf wen die Wirkung des Pldoyers abgestellt ist oder abgestellt sein sollte. Es ist eine Eigenart der forensischen Rede, daß die Zuhrer nicht einen mehr oder weniger homogenen Kreis bilden. Als Adressaten kommen vielmehr verschiedene Personen oder Personengruppen in Betracht. Es sind dies die Berufsrichter und die Laienrichter des erkennenden Gerichts, die Vertreter der Staatsanwaltschaft, der eigene Auftraggeber sowie die im Sitzungssaal anwesenden Zuschauer und die durch die Medien anwesende ffentlichkeit. Diese verschiedenen Gruppen nehmen das Pldoyer des Verteidigers ganz unterschiedlich auf, entsprechend ihren divergierenden Standorten und Funktionen. Sie sind anderseits in einer besonderen Beziehung in der gleichen Situation. Im allgemeinen betrifft sonst eine Rede Stoffe, die Zuhrern erstmalig durch die Rede nahegebracht werden; in diesem Falle ist im allgemeinen mit ungetrbter Aufnahmebereitschaft zu rechnen. Oder der Stoff ist dem Zuhrer schon aus anderen Reden oder aus Lektre und Studium bekannt: Dann ist der Zuhrer in einer bestimmten Weise vorbereitet. Die forensische Rede bietet demgegenber eine Situation, in der sich nach durchgefhrter Hauptverhandlung Meinungsauffassungen der Richter erst zu bilden beginnen oder mitten im Bildungsprozeß begriffen sind. Das Verhandlungs-

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Rn. 710

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

ergebnis tritt erstmalig frisch in Erscheinung und wird Gegenstand rednerischer Errterung durch Staatsanwalt und Verteidiger. Diese besondere Situation kann Erleichterung und Erschwerung fr den Verteidiger bedeuten, wenn das Gericht sich aufgrund des Verhandlungsergebnisses bereits eine feste berzeugung gebildet hat und nur mit innerem Widerstreben gegenteilige Argumente oder auch konforme Begrndungen entgegennimmt. Von einem Richter stammt das Wort, daß nach Beendigung der Beweisaufnahme die Richter sich am besten die Ohren mit Wachs verschließen sollten, weil sie von da an nur noch verwirrt werden knnten. 710

Hauptadressat des Pldoyers ist das Gericht. Ihm obliegt die Entscheidung der Sache. Die Wirkung des Pldoyers auf das Gericht kann nicht behandelt werden ohne eine Betrachtung der voraufgehenden Prozeßstadien. Das Pldoyer kann auch nicht ohne Zusammenhang mit den ußeren und inneren Vorbereitungen des Verteidigers gesehen werden. Die in der Vorbereitung der Hauptverhandlung durchgefhrten Besprechungen mit Gericht und Staatsanwaltschaft bringen in der Regel wichtigen Aufschluß ber die Grundeinstellung der Betreffenden zur Sache und zur Person des Angeklagten (Rn. 178, 431, 462). Hierbei und auch in der Hauptverhandlung lernt man durch die Erfahrung zwei verschiedene Grundtypen der Richter kennen. Die eine Gruppe von Richtern hlt es fr richtig, ihre Einstellung zur Sache vor dem Urteil durch nichts erkennbar zu machen, sie wirken verschlossen oder verhangen, manchmal wie eine Wand. Andere Richter, meist von lebhaftem Temperament, sparen nicht mit ußerungen der Zustimmung ebenso wie des Unmuts. Sie neigen auch zu voreiligen ußerungen und unterscheiden sich untereinander wieder in bezug auf die Bereitwilligkeit, die vorschnell geußerte Auffassung zu korrigieren oder daran festzuhalten. Wichtig ist, daß der Verteidiger nach Mglichkeit diese psychologischen Voraussetzungen fr die Wirkung seines Vortrages vor der Hauptverhandlung zu ergrnden trachtet. Wichtig zu erfahren ist auch die sachliche und persnliche Harmonie der Mitglieder des Gerichts. Sind Anzeichen fr einen Zwist vorhanden oder hat die Erfahrung fter den Austrag sachlicher Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Kammer ergeben, so wird der Verteidiger ganz anders auf den Vorsitzenden in der Sitzung reagieren als im umgekehrten Falle. Je nach dem Charakter des Verhandlungsgegenstandes kann auch die weltanschauliche und moralische Einstellung des Gerichts eine Rolle spielen. Das allgemeine Verhltnis der Kammer zur Staatsanwaltschaft und besonders zu deren Sitzungsvertreter kann fr den Erfolg der Verteidigung wichtig sein.

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Zur Vorbereitung des Pldoyers gehrt fast in jedem Falle eine schriftliche Fixierung des Pldoyers. Hierzu ist eine Pause nach Beendigung der Be480

Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 714

weisaufnahme der an sich gegebene Zeitpunkt. Vor Stegreifreden und Improvisationen ist grundstzlich zu warnen. Jedenfalls bei grßeren Sachen bedarf das Pldoyer sogar schon whrend der Hauptverhandlung einer schriftlichen Vorbereitung (Rn. 442 ff.). Die Fertigstellung eines Textes, der mehr oder weniger abgelesen wird, ist verfehlt. (Th. Vischer: „Eine Rede ist keine Schreibe“.) Richtiger ist eine straffe gedankliche Disposition und deren Niederschrift nach Stichworten, die zu Papier gebracht als Blickfang whrend des mndlichen Vortrages wirken und diesen in die richtige Bahn lenken. Es ist selbstverstndlich, daß diese Vorbereitung nur einen relativen Wert hat, weil sie je nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung unbrauchbar werden kann oder umgestaltet werden muß. Der Verteidiger darf dann nicht an seinem Vorentwurf „kleben“, sondern muß seine elastisch gestaltete Disposition geschickt der neuen Lage anpassen. Die Frage, ob zu Beginn des Pldoyers das Gericht angeredet werden soll („Hohes Gericht“, „Meine Damen und Herren Richter“), ob insbesondere die Schffen besonders anzusprechen sind, lßt sich nicht einheitlich beantworten. Es kommt auf die Situation, auf die Sache und die Gewandtheit und Ausdrucksfhigkeit des Verteidigers an.

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Sparsam gebrauchte Gesten vermgen die Wirkung eines Vortrages zu untersttzen. In Gestikulieren drfen sie aber niemals ausarten. Zu schnelles und zu lautes Sprechen ist von bel. Der Verteidiger soll nicht bestechen, sondern berzeugen. Deshalb muß er so langsam und betont sprechen, daß der Zuhrer mhelos folgen kann und die Eindrcke sich setzen knnen.

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Gegen Tonstrke wehrt sich der Richter. Sie hat als solche keine berzeugungskraft. Die ruhige Sprechweise, die lebendige Auswertung der Tatsachen nach ihrem inneren Gewicht und bezwingende Logik dagegen ziehen den Richter in ihren Bann. Im Vortrag selbst sind Ausflle gegen Gericht und Staatsanwaltschaft zu vermeiden. Unter dem Gesichtspunkt der Mißachtung und Beleidigung des Gerichts knnen sie zu berufsrechtlicher Ahndung fhren (Rn. 186 ff.). Manche Verteidiger werden ein Opfer ihres Temperaments, das sie zu Entgleisungen verfhrt. Die damit unvermeidbar ausgelsten Auseinandersetzungen machen das Pldoyer unter Umstnden ganz zunichte. Diese Wirkung ist im Interesse des Ansehens des Gerichts und des Anwaltsstandes unerfreulich. Fr den Mandanten wirkt die Bloßstellung seines Verteidigers peinlich und zerstrt sein Vertrauen. Das entscheidende Kriterium fr das Maß von Wirkung und Erfolg des Pldoyers fr die Entscheidung des Gerichts ist das Verhltnis von Form 481

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Rn. 715

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

und Gehalt des Vortrages. Rhetorische Effekte sind fr die richterliche Sachentscheidung in der Regel bedeutungslos. Leidenschaftliches Pathos wirkt vielfach unecht; jedenfalls erscheint es den Richtern meist berflssig. Ein rhetorisch brillantes Pldoyer, das Aufmerksamkeit und Bewunderung des Publikums und der ffentlichkeit erweckt, lst bei auf schlichte Sachlichkeit eingestellten Richtern oft keinen Erfolg aus. Sie werden sogar mißtrauisch gegen die bezwingende Eloquenz der Rede, deren Eindrcken sie nicht unterliegen wollen um der Gerechtigkeit willen. Es ist daher zweifelhaft, ob das Feuer einer hinreißenden forensischen Rede nicht ein Danaergeschenk fr den Mandanten ist. „Danaergeschenk“ auch in einem zweiten Sinne. Die Rolle der Rhetorik bei den Griechen kann heute nicht mehr gespielt werden. Dialektik um ihrer selbst willen, wie sie bei ihnen gelehrt und gepflegt wurde, ist entartete Kunst. Es wird der Sache immer schaden, wenn bei einem Redner hinter tnenden Phrasen sich inhaltlich Leere verbirgt, wenn er stndig mit einem Zitatenschatz zu glnzen sucht und mit banalen Fllwrtern rhetorische Taschenspielerstcke betreibt. 715

Mit ganz anderer Wirkung setzt sich die inhaltliche Gediegenheit eines Sachvortrages durch. Wenn in folgerichtigem Aufbau erschpfende und verstndige Ausfhrungen zum Sachverhalt und zur Rechtslage dem Gericht in geflliger Form unterbreitet werden, kann der Verteidiger der vollen Aufmerksamkeit und Wirkung seines Vortrages gewiß sein. Auch ein Richter, der an sich zur Verurteilung geneigt ist, setzt sich aus seiner Verantwortung heraus mit sachlichen Argumenten auseinander und wird daher seine Meinung sorgfltig berprfen, auch weil sein Urteil in der Regel einer Rechtsmittelkontrolle unterliegt. Anderseits wird der zum Freispruch neigende Richter seine Auffassung gern bestrken lassen durch sachlich gewichtige Ausfhrungen. Damit ist nicht gesagt, daß die Form fr die Wirkung eines Pldoyers nichts bedeutet. Auch die kstlichste Speise widert an, wenn sie unsauber serviert wird, und das kostbarste Geschirr macht eine verdorbene Speise nicht genießbar. So vermag auch die Form der forensischen Rede fr sich allein nichts, wenn ihr Gehalt enttuscht; umgekehrt bedarf der gediegene Gehalt der zwar schlichten, aber formvollendeten Wiedergabe. Die Rede kann damit zum sthetischen Genuß gesteigert werden.

716

Die Mahnung zur Vermeidung pathetischer Tiraden darf anderseits nicht zu der Meinung fhren, der Verteidiger tue gut daran, in jedem Fall in monotoner Gleichmßigkeit und flauem Stil leidenschaftslose Vorlesungen zu halten. Wenn das Pldoyer nicht leblos und eindruckslos bleiben soll, bedarf es der Wrze durch eine gewinnende Sprache und des Einsatzes von Temperament und Leidenschaft da, wo eine bestimmte Seite 482

Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 716

der Sache einen solchen Einsatz verlangt. Der Beruf des Verteidigers erfordert im Gegensatz zur statischen Funktion der richterlichen Ttigkeit ein dynamisches Wirken. Es gibt Flle, die die ganze Leidenschaft des Verteidigers erfordern und auch erwarten lassen. Eine unberechtigte Anklage, ein falsches Urteil oder ein verfehltes Argument knnen Emprung oder Zorn herausfordern, den auszudrcken dem Verteidiger dann nicht schlecht ansteht. Es ist nur sorgsam zu bedenken, daß leider manche Verteidiger ihre Leidenschaft in fast allen ihren Strafsachen strapazieren und damit bei Gericht ihre Glaubwrdigkeit verwirken. Wir Anwlte mssen uns sagen lassen, daß viele Verteidiger ihr prozessual gesichertes Recht, ohne Unterbrechung reden zu drfen, nicht meistern oder es gar mißbrauchen. Daraus resultiert die vielfach zu beobachtende Geringschtzung der Verteidiger und ihrer Pldoyers durch die Gerichte. So entstehen Bilder im Gerichtssaal, die belustigend wren, wenn nicht der Ernst der Sache entgegenstnde. Calamandrei schildert im „Lob der Richter“ den vor dem Richtertisch gestikulierenden und mit lauter Stimme tnenden Verteidiger, dem das Gericht nicht mehr zuhrt. Niemandem, der hinzukommt, wrde es in den Sinn kommen, daß Zuhrer dieses lauten Redners ausgerechnet jene gelangweilten und zerstreuten Herren sein knnten, die, den Kopf zwischen den Hnden, droben auf der Richterbank sitzen. Der Nichteingeweihte msse den Eindruck gewinnen, daß jener in die Robe gehllte, gestikulierende Redner nur zu seinem eigenen Vergngen rede oder sich abzureagieren versuche, so wie man etwa singt oder Morgengymnastik treibt. Mit dem Ende dieser Prozedur aber gebe es ein allgemeines Aufwachen, und alle wenden sich wieder ernsthafter Arbeit zu. Es sind dies natrlich bertreibungen. Sie kommen aber doch der Wahrheit gelegentlich nahe. Mindestens empfinden manche Richter nach angestrengter Verhandlung den bergang zu den Pldoyers als den Beginn eines geistigen Urlaubs, in dem sie sich erholen drfen. Das kommt von dem Mißbrauch des Wortes und der Gefhle. Der Verteidiger darf nicht dem Irrtum verfallen, die gebotene Achtung vor der Wrde des Gerichts bedeute zugleich die Verpflichtung zum Zurckweichen in der Sache oder zum Hinnehmen von Ungehrigkeiten. Wenn Richter dem Vortrag des Verteidigers ostentativ ihre Aufmerksamkeit verweigern, stndig in den Akten lesen, sich unterhalten oder gar die Augen schließen, dann ist es mit der Wrde des Anwaltsstandes und dem Anspruch des Verteidigers auf Achtung nicht vereinbar, wenn der Anwalt ein solches Verhalten hinnimmt666. Der Verteidiger wird sich Respekt verschaffen, wenn er in gewandter Form „volle Aufmerksamkeit des Gerichts erbittet“ oder ntigenfalls seinen Vortrag unterbricht, bis man ihm 666 Glosse „Der Prsident las in den Akten“, NJW 1958, 1767.

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Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

auch ußerlich Aufmerksamkeit schenkt. Es ist aber schlecht, wenn der Verteidiger in seinem an sich berechtigten Zorn die Haltung verliert und durch Ironie oder Grobheit ausfllig wird. Er muß Herr auch einer solchen Situation bleiben. 717

Ein besonderes Kapitel ist die lange Dauer des Pldoyers. Sie kann tdlich sein. Je besser eine Sache steht, um so krzer kann die Antragsbegrndung sein. Es liegt der Schluß nahe, daß eine Sache um so schlechter steht, je lnger ein Pldoyer ist. Dieser Meinung setzt sich der Verteidiger aus, wenn sein Pldoyer sich ber Gebhr hinzieht. Er soll darauf achten, Wiederholungen zu vermeiden und Nebenschliches nicht auszuwalzen. Die Kurzfassung erfordert oft Mut und Selbstvertrauen. Dafr verfehlt sie ihre Wirkung selten. Demgegenber gibt es Verteidiger, die in endlosen Perioden stundenlange Reden halten. Sie betreffen in weiten Strecken Dinge, die nicht zur Sache gehren, Fragen, ber die gar kein Streit mehr besteht oder sind nur Wiederholungen bereits vorgebrachter Argumente mit anderen – hufig schlechteren – Worten. Fehlende Gedanken werden durch hohle Worte ersetzt (Fontane: „Nichts rckt von der Stelle, alles macht sich selbst Konkurrenz“). Whrend lange Vortrge ermden, hrt man einfach dargebotenen Argumenten gerne zu667. Man kann sie ohne Mhe rekonstruieren, und sie wirken in der Beratung mehr nach, als es komplizierte und langatmige Ausfhrungen ermglichen.

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Das Geheimnis des Langweilens eines Redners ist sein „Allessagen“. Unertrglich ist z. B. die endlose Wiedergabe von Literatur und Rechtsprechung und deren Vorlesen. Die freie Rede erfordert die Fhigkeit der Konzentration auf ein Zehntel dessen, was man zu sagen weiß und sagen knnte. Hierher gehrt auch die hufige Frage der Richter, „Wie lange die Herren Verteidiger zu pldieren gedenken“. Sie ist oft ein Anzeichen fr die Besorgnis der Richter, bermdet zu werden. Unglcklich sind Einleitungen, die nach ihrem Gegenstand schon eine lange Dauer des Vortrages erwarten lassen. Ein franzsischer Schriftsteller gibt den Beginn einer Verhandlung wie folgt wieder: Avocat: „Avant la naissance du monde ...“ Juge: „Ah, passons au deluge!“. Und ein chinesisches Sprichwort lautet: „Wer viel schießt, ist noch kein Schtze. Wer viel spricht, ist noch kein Redner.“

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Der Verteidiger stellt anderseits oft mit Enttuschung fest, daß seine Ausfhrungen nicht beachtet oder nicht verstanden worden sind. Das kann ihn zu Wiederholungen (mglichst mit besseren Worten) und nachdrcklichen Unterstreichungen im nchsten Fall veranlassen. Auch hier heißt es, das richtige Maß zu finden. Dehnt ein Gericht die Verhandlung ber 667 S. die treffende Glosse „Die langen Pldoyers“, NJW 1958, 1333.

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Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 721

Gebhr oder sogar zu Mitternachtssitzungen aus, ist die Wirkung des Pldoyers von vornherein so stark in Frage gestellt, daß der Verteidiger berhaupt nur ausnahmsweise dazu bereit sein sollte. Kommt es gleichwohl dazu, so muß der Situation Rechnung getragen werden. Eine starke Beschrnkung im Umfang des Vortrags ist geboten, auch wenn die Krzungen einen harten Entschluß erfordern. Unbeschwert durch berlegungen solcher Art sind die „Fensterredner“. Sie reden fr die Straße. Sie kmpfen fr publicity und wenden sich auch ußerlich mehr der Pressebank als dem Gericht zu. Die Wirkung solcher Pldoyers auf das Gericht ist abstoßend. Die zu strenger Sachlichkeit neigenden Richter verschließen sich gegenber solcher Medien-Anbiederung. Den Schaden hat der Klient zu tragen. Es kommt auch vor, daß der Verteidiger im Pldoyer durch bersteigerungen bis zur Lcherlichkeit ausartet oder doch erheblich anstßt.

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Was nun den sachlichen Gehalt des Pldoyers als solchen anbelangt, so muß die spezielle Struktur des deutschen Strafprozesses beachtet werden. Hiernach hat der Vorsitzende whrend der Hauptverhandlung die Funktion des ermittelnden Richters und in der Beratung die Funktion des urteilenden Richters. Beide Aufgaben gehen in ganz verschiedene Richtungen. Zeitlich zwischen dem Wirksamwerden der beiden verschiedenen Funktionen steht das Pldoyer des Staatsanwalts und des Verteidigers. Der Verteidiger darf die Augen nicht davor verschließen, daß er in einer natrlichen Gegnerschaft zum Gericht insofern steht, als der Richter gegen den von ihm vertretenen Angeklagten die ermittelnde Funktion ausbt. Der den Angeklagten pflichtgemß schtzende Verteidiger wird aus der Lage heraus von selbst mit dem funktionell bedingten Mißtrauen des Richters gegen sich rechnen mssen. Der Gegensatz tritt besonders da zutage, wo der Verteidiger fr seinen Mandanten die strenge Beachtung rechtsstaatlicher Grundstze und prozessualer Beweisregeln in Fllen verlangt, in denen das Gericht der berzeugung von einer materiellen Schuld zuneigt. Gerichte verkennen oft, daß der Verteidiger mehr noch als jedes andere Organ der Rechtspflege ein (wenn auch einseitiges) Gesetzeswchteramt ausbt und berall da einer Verurteilung entgegentreten muß, wo die letzte Voraussetzung dazu fehlt. Der Verteidiger muß aber in solchen Fllen im Rahmen bleiben. Er sollte sich gerade in Fllen zweifelhafter Tatschuld seines Mandanten hten, die Verteidigung als seine „innere berzeugung“ lauthals herauszuposaunen. Er soll es auch nicht so machen, wie nach einer Anekdote der ltere Anwalt seinem Referendar empfohlen hat: „An dieser Stelle, Herr Kollege, mssen Sie Ihre Stimme besonders erheben und auf das Pult schlagen, denn hier sind unsere Argumente schlecht.“

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Rn. 722 722

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

Fr die Wirkung eines Pldoyers mitentscheidend ist sein Aufbau. Das Pldoyer des Staatsanwalts pflegt nach einem bestimmten System, hnlich wie die Urteilsverkndung, aufgebaut zu sein. Es beginnt mit der Feststellung des Sachverhalts und der Beweiswrdigung, es folgen die rechtliche Wrdigung und dann die Ausfhrungen zum Strafmaß. Erst hierbei wird auch zur Persnlichkeit des Angeklagten etwas gesagt. Der Aufbau nach einem solchen Schema wirkt trocken und in seiner Gleichmßigkeit manchmal de. Gleichwohl kann der Verteidiger in geeigneten Sachen mit einer ausgesprochen „schulmßig-gutachtlich“ aufgezogenen Prfung des Anklagevorwurfs, im Ausnahmefall sogar einmal in Urteilsform, besonders „ankommen“. Im allgemeinen sollte er aber versuchen, nicht dem Beispiel des Anklagevertreters zu folgen, sondern mit seinem Pldoyer zu kontrastieren, d. h. nicht nur die zur Anklage stehende Tat als solche zu wrdigen, sondern von vornherein den vor dem Richter stehenden Menschen als Persnlichkeit zu wrdigen und ihn dem Gericht menschlich nahezubringen. Die Gerichtsverhandlung ber eine konkrete Handlung dieses Menschen ist im allgemeinen nicht mehr als eine Momentaufnahme im Gesamtablauf seines Lebens. Der Verteidiger muß danach trachten, den manchmal starren und nur auf den „Fall“ gerichteten Blick der Richter hinzulenken auf eine Wertung des ganzen Menschen, dem das Urteil gilt. „Wer einen Angeklagten verteidigen will, der erlebe die Not des Angeklagten und handele aus seiner Lage heraus“ (Naumann). Manche Verteidiger verstehen es, ihre Zuhrer sogleich zu fesseln, indem sie den Fall von einem bestimmten tatbestandlichen Einzelgeschehen her aufrollen. Das entspricht der dem Verteidiger zu empfehlenden induktiven Methode. In dem Verfahren gegen einen hochverdienten Beamten wegen des Vorwurfs einer pflichtwidrigen Geschenkannahme begann der Verteidiger das Pldoyer mit der Schilderung, wie der Nachtpfrtner des Amtsgebudes Tag fr Tag einen Mann um die Mitternachtszeit das Gebude verlassen sah. Es war der Angeklagte, der als einziger des Amtes nach 16stndiger Arbeit erst um diese Zeit seinen Dienst beendete und diese Gewohnheit seit vielen Jahren nicht ein einziges Mal durch einen Urlaub unterbrochen hatte. Von hier aus zeichnete der Verteidiger dann ein Bild von den ungewhnlichen Charaktereigenschaften und Leistungen dieses Mannes und schlug seine Zuhrer ganz in seinen Bann. Die „Tat“ erschien am Schluß des Pldoyers als eine Winzigkeit in einem sonst vorbildlichen Beamtenleben.

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Der Verteidiger sollte stets darauf bedacht sein, durch einen zndenden Anfang sich sofort die Aufmerksamkeit des Gerichts zu erzwingen. Das gelingt nicht, wenn etwas berflssiges oder Langweiliges gesagt wird. 486

Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 724

Andererseits darf man die Zuhrer auch nicht frappieren durch etwas, auf das sie nicht vorbereitet sind. Auf jeden Fall gilt das Goethewort, daß man mit dem ganzen Zuknpfen nicht zustande kommt, wenn man das erste Knopfloch verfehlt. Zweifelhaft ist auch die Wirkung einer der captatio benevolentiae der Rmer nachgebildeten Eloge, die man dem Gericht wegen seiner „vorbildlichen Verhandlungsfhrung“ glaubt machen zu sollen. Angebracht wird dagegen besonders in großen Sachen immer ein Hinweis darauf sein, auf welche Teile sich das Pldoyer erstreckt und wieviel Zeit es ungefhr in Anspruch nehmen wird. Andererseits sollte man sich davor hten, diese Vorbemerkung zu weit auszudehnen und insbesondere nicht vortragen, was man alles nicht sagen wird. Der weitere Aufbau des Pldoyers in der Hauptsache sollte sich danach richten, in klarer Folgerichtigkeit jedes (wesentliche) Argument oder Indiz der Anklage hervorzuholen und zu zerbrechen, so daß diese schließlich strzen muß, weil die verbleibenden Sttzpunkte nicht mehr ausreichen. Dieses alles ist vorzutragen in vlliger geistiger Beherrschung des Stoffes und des sprachlichen Ausdrucks. Besonders das Laienpublikum stellt immer wieder die Frage an den Verteidiger, ob er denn wirklich von seinem Mandanten selbst „berzeugt“ sei, oder wie es mglich sein knne, gegen seine eigene berzeugung einen Menschen zu verteidigen. Diese Frage ist gerade auch fr das Pldoyer von wesentlicher Bedeutung. Sie beantwortet sich von selbst von der Grundlage des Strafverfahrens und dem Wesen der Verteidigung her. Prozessual ist das private oder berufliche Wissen des Verteidigers von der Schuld des Mandanten bedeutungslos. Das Urteil hat nur zu beruhen auf dem Ergebnis der Hauptverhandlung, insbesondere dem erhobenen Beweis. Das innere Wissen und Gewissen des Verteidigers wird nicht Gegenstand der Hauptverhandlung. Sein berzeugtsein oder Nichtberzeugtsein von der Schuld seines Mandanten ist ebenfalls rechtsunerheblich. Darauf hat sich also auch das Pldoyer nicht zu beziehen. Es folgt dies auch aus den Grundstzen, die Rechtsprechung und Berufsrecht zum Problem der „Verteidigung des schuldigen Angeklagten“ entwickelt haben, das im einzelnen an anderer Stelle behandelt ist (Rn. 73 ff.). Fr das Pldoyer kommt es dabei darauf an, ob ein Verteidiger prozessual und berufsrechtlich befugt ist, die Freisprechung des Angeklagten wenigstens „mangels Beweises“ zu beantragen, wenn er seine Schuld durch sein glaubwrdiges Gestndnis oder aus anderen Quellen positiv kennt oder wenigstens von seiner Schuld fest berzeugt ist. Die Frage wird heute eindeutig bejaht. Dagegen sollte der Verteidiger nicht auf Freispruch „wegen erwiesener Unschuld“ pldieren668. 668 Vgl. BGH bei Dallinger, MDR 1957, 267.

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Rn. 725

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

Trotz dieser grundstzlichen Befugnis muß sich der Verteidiger aber vorstellen, wie sich ein Pldoyer ausnimmt, in dem er sich mit mehr oder weniger Emphase auf seine „berzeugung“ von der Schuldlosigkeit des Angeklagten oder von bestimmten Prozeßumstnden beruft. Es ist dies eine hufig beobachtete Erscheinung. Das Pathos feiert dabei Triumphe. Der Verteidiger sollte das in der Regel unterlassen. Solche aufgebauschten Passagen einer mit großer Lautstrke vorgetragenen Verteidigungsrede erwecken leicht den peinlichen Verdacht, daß hier allzu leicht und allzu oft die eigene „berzeugung“ strapaziert wird. 725

Dabei darf man sich nicht vor der Einsicht verschließen, daß die Richter bei solchen Pldoyers sehr hufig in der Vorstellung befangen sind, daß der Verteidiger – mglicherweise eines besonders wohlhabenden Angeklagten – fr seine Verteidigung ein hohes Honorar erhlt. Stellt sich der Richter dazu vor, daß auch der Verteidiger – wie mglicherweise das Gericht – von der Schuld seines Mandanten entweder berzeugt ist oder diese als mglich in Kauf nimmt, dann kann es ihm so erscheinen, als ob dieser sich fr Geld verkauft. Seine teure Rede wird ihm dann wohl recht billig vorkommen (Rn. 1201). Aber wie soll man es richtig machen? Ein schlappes und farbloses Pldoyer ist in jedem Falle eine schwere Enttuschung fr den Mandanten. Es kommt auch bei Gericht schlecht an. Es wird in Fllen, in denen die Schuld des Angeklagten zweifelhaft ist, das Richtige sein, ein gesundes Mittelmaß zu halten. Alle bertreibungen mssen ausgeschaltet werden, aber die Entlastungsmomente sind mit Nachdruck zu behandeln. Es kann dabei unter Umstnden sehr viel eindrucksvoller und erfolgreicher sein, wenn der Verteidiger sich selbst objektiviert, auch die belastenden Momente nicht ignoriert, sondern sachlich behandelt. Es ntzt dem Angeklagten auch, wenn der Verteidiger selbst gar solche Bedenken erweckt und errtert, die bisher in der Hauptverhandlung und auch im Pldoyer des Staatsanwalts gar nicht gesehen worden sind. Die sich darin offenbarende Objektivitt des Verteidigers nimmt fr ihn ein. Sie schadet dem Angeklagten auch mindestens dann nicht, wenn ohnehin damit zu rechnen ist, daß dem Gericht in der Beratung die Bedenken mit Wahrscheinlichkeit kommen mssen.

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Takt und Fingerspitzengefhl ist vom Verteidiger zu erwarten, wenn in der Hauptverhandlung eine Absprache (Rn. 496) getroffen worden ist und somit Schuldspruch und Strafausspruch – in einer gewissen Spannweite – ziemlich sicher sind. Wenn diese Absprache in der Hauptversammlung – rechtswidrig – nicht offengelegt ist, mag es fr manchen Verteidiger eine Versuchung bedeuten, durch ein fulminantes Pldoyer die ffentlichkeit davon zu berzeugen, wie er das Gericht beeindrucken und berzeugen 488

Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 728

konnte. Die intellektuelle Unredlichkeit ist groß, der Verteidiger degradiert sich zum Schmieren-Schauspieler und verliert die Achtung des Gerichts und der Staatsanwaltschaft. In der Regel sollte eine derartige Absprache kurz mit dem Bemerken erwhnt werden, daß sich aufgrund der gefhrten Rechtsgesprche nhere Errterungen zu diesem und jenem Punkt erbrigen, whrend zum Strafausspruch und ggfs. zur Strafaussetzung zur Bewhrung durchaus im notwendigen Umfang przise pldiert werden kann, um in der offenen Spanne des Strafrahmens fr den Klienten die gnstigste Stufe zu erreichen. Nchternheit und der Absprachesituation angemessene Formulierungen sind hier dringend geboten; alles andere ist abstoßendes Schattenboxen. In Fllen dringenden Verdachts ist die vorbehaltlose Errterung aller belastenden Indizien durch den Verteidiger hufig die beste Mglichkeit, um „die letzten Zweifel“ der Richter zu wecken oder zu bestrken, die zum Freispruch fhren knnen. Ein solcher objektiver Sachvortrag wirkt auch in den Augen eines vernnftigen Angeklagten und der Verhandlungsteilnehmer nicht schlapp und wirkungslos. Viele Angeklagte haben ein feines Gespr fr die Wirkung reiner Sachlichkeit auf das Gericht. Sie beobachten dessen wohlwollendes Interesse und das damit sichtbar werdende Ansehen des Verteidigers. Sie bemerken besonders beifllig die Notizen des Richters zum Pldoyer des Verteidigers.

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Eine schwierige Aufgabe ist allerdings das Pldoyer in Fllen berfhrter Angeklagter, die trotz Bestreitens nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme mit Sicherheit verurteilt werden. Hier knnen schwere Konflikte und Vertrauenskrisen entstehen, die bis zur Niederlegung des Mandats fhren knnen (Rn. 161 ff.). Der Verteidiger wird sich unter Umstnden damit durchsetzen mssen, gegen den die Freisprechung begehrenden Angeklagten sich in seinen Antrgen auf eine milde Strafe zu beschrnken. Es ist eine Wohltat der Strafprozeßordnung, daß sie dem Verteidiger keinen bestimmten Antrag abfordert. In solchen Fllen also, in denen ihm weder Antrag auf Freisprechung noch der Antrag auf milde Bestrafung nach der Situation mglich erscheint, kann er sich auf die Darlegung der entlastenden oder zweifelerweckenden Umstnde des Falles beschrnken. Jedenfalls wrde ihn die Untersttzung des aussichtslosen Leugnens unglaubwrdig machen. Seine Objektivitt hingegen sichert ihm fr die Strafzumessung eine gute Chance. Anderseits macht die Unterlassung seines Antrages natrlich jedem im Gerichtssaal deutlich, daß der Verteidiger seinen Mandanten fr schuldig hlt.

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Nicht selten kann man aber einen Mittelweg gehen, der diese harte Konsequenz vermeidet, jedenfalls mildert. Nachdem der Verteidiger die Grnde dargelegt hat, die „aus der Sicht des Angeklagten“ gegen dessen ber489

Rn. 729

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

fhrung sprechen, kann er etwa wie folgt fortfahren: „Wenn das Gericht diesen Bedenken folgt, muß es den Angeklagten freisprechen, was hiermit beantragt wird.“ Daran schließen sich quasi „aus der Sicht des Verteidigers“ die Ausfhrungen zur Strafzumessung an. 729

In ein hnliches Dilemma gert der Verteidiger, wenn er zwar den Freispruch fr geboten hlt, das Gericht sich aber durch eine Zwischenentscheidung schon festgelegt hat. Wenn z. B. ein gestndiger Mrder zu verteidigen ist, der nur bei Schuldunfhigkeit freizusprechen wre, dann knnen Pldoyer und Antrag des Verteidigers sinnlos erscheinen, falls der gerichtliche Sachverstndige die Schuldfhigkeit bejaht und deshalb das Gericht einen Beweisantrag des Verteidigers auf Vernehmung eines weiteren Sachverstndigen abgelehnt hat. Soll in diesem Falle der Verteidiger (zwecklos) pldieren oder soll er das Pldoyer demonstrativ ablehnen? Ich halte den Verteidiger fr verpflichtet, in einem solchen Falle wenigstens mit dem Antrag auf Freispruch konsequent seinen Standpunkt (Unerwiesenheit der Schuldfhigkeit) weiter zu vertreten; ggfs. kann hilfsweise zur Frage der besonderen Schwere der Schuld (§ 57a StGB) Stellung genommen werden. Das muß fr den Wahlverteidiger wie fr den Pflichtverteidiger gelten. Es ist auch unerheblich, daß der Klient auf das Pldoyer des Verteidigers verzichtet hat669.

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Der Verteidiger muß stndig darauf achten, wie seine Rede bei den einzelnen Richtern „ankommt“. Auch aus beherrschten Gesichtern lßt sich vieles ablesen. Man hat als Redner ein sicheres Empfinden dafr, ob man dabei ist, berzeugend zu wirken, oder ob die Worte nicht ziehen. Man muß in stndiger Reaktionsbereitschaft diese Anzeichen aufnehmen und verarbeiten und auf die weitere Gestaltung der Worte und Gedanken einwirken lassen, wenn man nicht im leeren Raum tnen will. Es gibt allerdings auch Richter, deren Haltung whrend des Pldoyers leicht irrefhren kann. Sie hren mit großer Aufmerksamkeit den Verteidiger an und machen lebhaft ihre Notizen. Das verfhrt zu dem Schluß, daß sie dem Verteidiger innerlich folgen und seine Meinung teilen. Es kann aber ganz anders sein: Sie lehnen seine Thesen ab, aber sie sind neugierig zu hren, wie er sie begrnden will, und machen sich Notizen ber die Argumente ihrer Widerlegung. Es kann umgekehrt ein Richter einen Verteidiger unterbrechen und ihm aufgeben, sich nicht in die Weite zu verlieren und zum Schluß zu kommen. Das kann durchaus daher kommen, daß der Richter den Antrgen des Verteidigers folgen will. 669 Unterlßt der Verteidiger den Schlußvortrag, obwohl er ihm mglich wre, so erwchst daraus kein Revisionsgrund, BGH bei Pfeiffer, NStZ 1981, 95.

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Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 732

Es gibt noch viele psychologische Erfahrungen aus der Beobachtung der Urteilsttigkeit der Richter, die nicht alle behandelt werden knnen. Sie liegen auch bei den einzelnen Personen ganz verschieden. Sie betreffen zum Beispiel die Frage, ob der Sache des Angeklagten gedient ist mit Ausfhrungen ber die „Dunkelziffer“ der nicht zur Ahndung kommenden Straftaten. Das kann man bei einem Verfahren wegen Steuerhinterziehung mit dem lauten Ausruf tun, wie viele Tausende von Fllen nicht festgestellt oder verfolgt werden. In einem Verfahren wegen Wirtschaftsvergehen, Umweltvergehen, Bestechung oder Steuerhinterziehung geschieht oft dasselbe unter Vorlage statistischer Unterlagen ber die „Dunkelziffern“. Damit legt der Verteidiger dem Gericht um des Mißverhltnisses zur Dunkelziffer willen nahe, den Angeklagten nicht als Prgelknaben fr andere anzusehen und ihn deshalb billig davonkommen zu lassen. In den Urteilen der Richter hingegen wird der Hinweis auf die Dunkelziffer oft zur Begrndung einer besonders nachdrcklichen Strafe verwendet, weil gerade die geringe Zahl der Aburteilungen eine besondere Abschreckung der Tter erfordert. Auf einen so eingestellten Richter kann die Entschuldigung mit der Dunkelziffer ebenso wirken, wie es auf einen Priester in der Beichte wirken knnte, wenn der Missetter sich zu seiner Entschuldigung auf die historisch bewiesenen Snden der Ppste berufen wrde.

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Im Zusammenhang mit dem Grundsatz in dubio pro reo findet man hufig Ausfhrungen von Verteidigern ber Justizirrtmer. Auch hier wird im Richter etwas angerhrt, was dem Erfolg der Verteidigung nicht entgegenkommt. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint es zweifelhaft, ob man ein Pldoyer mit den Worten beginnen sollte: „Die Geschichte der Justiz ist die Geschichte der Irrtmer.“ Ein bekannter Verteidiger fhrte einmal in einem brillanten Pldoyer aus, daß bei Anerkennung der Rechtsansicht des Staatsanwalts zu den Zehntausenden von Opfern des Straßenverkehrs weitere Zehntausend „auf dem Altar der Justiz“ geopfert wrden. Der rhetorische Effekt der Formulierung ist unbestreitbar. Ob aber die Richter nicht durch so zugespitzte Argumente unangenehm berhrt werden und der Sache des Mandanten damit geschadet wird, ist eine andere Frage. Es gengt im allgemeinen, wenn sich der Verteidiger mit dem Sachverhalt und der Beweisfhrung befaßt. Die Geschichte der Justizirrtmer braucht er nicht zu bemhen. Es wirkt berzeugender, nchtern zu errtern, warum eine behauptete Entlastungstatsache nicht nachgewiesen ist oder aus welchen Grnden der Beweiswert einer Zeugenaussage oder eines Sachverstndigengutachtens zweifelhaft ist. Handelt es sich um eine Reihe von belastenden Umstnden, insbesondere eine Indizienkette, so empfiehlt es sich, jede einzelne Tatsache und ihren Nachweis getrennt zu beleuchten. Auf diesem Wege kann man unmerklich am

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Rn. 733

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

besten der Gefahr entgegenwirken, daß sich die richterliche berzeugungsbildung statt an der vielleicht großen Zahl der Belastungsmomente an dem Gewicht des einzelnen Umstandes orientiert. Auch auf diese Gefahr sollte man indessen das Gericht grundstzlich nicht in pointierter oder gar belehrender Form hinweisen. Das wird den Richter eher verstimmen als ihn berzeugen. Problematisch ist auch der Appell an die Richtertugenden. Auch die Bitte um Gnade fr Recht ist gefhrlich, weil sie auf ein dem Recht nicht voll entsprechendes Urteil hinzuwirken scheint. 733

Manche Verteidiger, die sich mit der Psychologie der Richter befassen, halten es fr richtig, ihre Gedanken hierzu zu analysieren und in einer psychologischen Betrachtung vorzutragen. Das ist ein Fehler, weil kein Richter sich gern in der Rolle psychologischer Objektbetrachtung sehen will.

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Ein recht schwieriger Komplex ist die Behandlung von Rechtsfragen im Pldoyer. Zwar gilt der Satz „iura novit curia“. Voll berzeugt davon ist in der Regel aber nur das Gericht selbst. Der Verteidiger fhlt sich daher zu Rechtsausfhrungen veranlaßt. Diese sind erfahrungsgemß hufig mangelhaft. Man kann allgemein sagen, daß die daraus resultierende Einstellung der Gerichte gegenber Rechtsausfhrungen der Verteidigung skeptisch ist. Es ist psychologisch grob fehlerhaft, wenn der Verteidiger bei den Errterungen der Rechtslage einen dozierenden Ton annimmt. Gegen Rechtsbelehrungen des Verteidigers strubt sich der Richter. Man sollte es im allgemeinen auch vermeiden, die berlassung von Entscheidungen oder Literatur dem Gericht anzubieten. Das akzeptiert der Richter, besonders vor der ffentlichkeit, hchst ungern. Entscheidungen und Literatur sollte man auch nicht ablesen und dann wie ein Kommentator erlutern, sondern sich auf eine knappe Inhaltsangabe beschrnken. Das Gericht will Rechtsfehler im Urteil vermeiden und wird schon deshalb jedem Hinweis von sich aus nachgehen. Es ist psychologisch berhaupt viel wichtiger, durch bloße Andeutungen und Entscheidungshinweise die rechtlichen berlegungen des Gerichts zu beeinflussen und in eine dem Angeklagten gnstige Richtung zu bringen. Der Richter wird dann viel lieber von sich aus zu der erstrebten Beurteilung gelangen und diese mit Befriedigung verknden, als eine ihm von der Verteidigung vorgetragene Rechtsauffassung restlos zu akzeptieren. In dieser Erkenntnis kommt es gelegentlich allerdings auch zu Auswchsen. Es gibt Verteidiger, die es unternehmen, sogar eine falsche Rechtsauffassung zustimmend zu diskutieren, weil diese einer dem Angeklagten gnstigen Rechtsauffassung geistig benachbart ist. Der die Rechtsausfhrung des Verteidigers kritisch prfende Richter kann dann leicht zur Ablehnung 492

Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 736

der falschen Rechtsauffassung gefhrt, zugleich aber auf die dem Angeklagten gnstige Rechtsauffassung unmerklich hingelenkt werden. Es sind die Flle, in denen der Richter nach dem Urteil dem Verteidiger mit leichtem Triumph sagen mag: „Wir haben zwar Ihren Mandanten freigesprochen, aber nicht mit Ihrer rechtlichen Begrndung. Diese war ganz falsch.“ Man sieht, daß Verteidiger, die sich mit der Psychologie des Pldoyers befassen, dabei auch zum Mittel des geistigen Tiefstapelns greifen knnen, was an Bedenklichkeit der geistigen Hochstapelei nicht viel nachsteht. Eine schwierige Lage ergibt sich, wenn der Staatsanwalt die Freisprechung beantragt hat, whrend der Verteidiger selbst wesentliche Belastungspunkte nicht fr ausgerumt hlt. Soll er diese Bedenken bergehen und sich dem Antrag des Staatsanwalts anschließen? Dann luft er Gefahr, daß im Falle einer Verurteilung des Angeklagten die Hauptaufgabe seines Pldoyers nicht behandelt worden ist. Das bringt ihm in der Regel schwere Vorwrfe seines Mandanten ein. Es kommt beispielsweise vor, daß in einer Sache wegen Trunkenheit am Steuer der Staatsanwalt die Freisprechung des Angeklagten wegen Schuldunfhigkeit gemß § 20 StGB beantragt, ohne an die Strafbarkeit des Vollrausches gemß § 323a StGB zu denken. Wenn der Verteidiger bei einem so groben Versehen zu der Unterlassung des Staatsanwalts schweigt, um den Freispruch nicht zu gefhrden, so wirkt das wie eine Spekulation auf die Unachtsamkeit des Gerichts. Bringt er § 323a StGB von sich aus zur Sprache und trgt insoweit seine Verteidigungsargumente vor, so wird ihm von seinem Mandanten, wenn dieser trotzdem aus § 323a StGB verurteilt wird, vorgeworfen, das habe der Verteidiger allein verschuldet, weil er das Gericht erst auf den richtigen Gedanken gebracht habe. Der Verteidiger muß die ironische Bemerkung einstecken, „sein Mandant sei auf das Pldoyer seines Verteidigers“ verurteilt worden.

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Bei Antrgen des Staatsanwalts auf Freispruch kann es auch angngig sein, das Dilemma des Verteidigers zu Beginn des Pldoyers offen anzusprechen und dem Gericht vorzuschlagen, das Pldoyer zunchst unter bernahme der Argumente des Staatsanwalts auf ein Mindestmaß zu beschrnken. Dabei kann der Verteidiger sich die Zusage des Vorsitzenden erbitten, daß im Falle auftretender Bedenken gegen den Freispruch whrend der Beratung die Verhandlung wieder erffnet und zu ausfhrlicher Verteidigung erneut Gelegenheit gegeben werde. Kompliziert ist die Situation, wenn das Gericht bekanntermaßen zu einer Rechtsfrage stndig eine dem Mandanten ungnstige Auffassung vertritt. Wendet sich der Verteidiger gegen diese stndige Rechtsprechung, so redet er gleichsam „gegen eine Wand“. Trotzdem darf er sich nicht unterkrie493

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Rn. 737

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

gen lassen. Es kann ihm gelingen, das Gericht umzustimmen und damit „der Wahrheit eine Gasse zu hauen“. Der Erfolg kann allerdings zum Pyrrhussieg werden, wenn die hhere Instanz das erstrittene Urteil aufhebt und alle Kosten dem Verurteilten aufbrdet. Dieser wird von seiner Mrtyrerrolle wenig begeistert sein. berhaupt haben Klienten meist keine Neigung, als Vehikel fr die Fortentwicklung des Rechts und der hchstrichterlichen Rechtsprechung zu dienen. 737

Es ist auch so, daß im Falle einer Verurteilung die den Angeklagten belastenden Feststellungen im Urteil mit um so grßerer Genauigkeit und Unangreifbarkeit revisionssicher gestaltet werden, je mehr die Rechtslage in dezidierter Weise behandelt worden ist. Die Erfahrung lehrt, daß erschpfende Rechtsausfhrungen selten zum Freispruch aus rechtlichen Grnden fhren, sehr hufig aber zur Ausschaltung der Rechtsmittelchance durch revisionssichere Tatsachenfeststellungen. Der Verteidiger tut daher gut daran, jede Sache in rechtlicher Hinsicht zwar intensiv vorzubereiten, den sparsamen Einsatz seiner Denkergebnisse im Pldoyer aber mit grßter Vorsicht zu berlegen. Bei der Errterung von Rechtsfragen gilt die auch sonst zutreffende Erfahrung, daß der Richter um so eher fr eine Auffassung gewonnen wird, je mehr er der Ansicht ist, sie selbst entdeckt oder erarbeitet zu haben. Deshalb ist es oft geschickter, Argumente in zurckhaltender Weise anzubringen und ihre Entfaltung dem eigenen Ausdenken des Richters zu berlassen, als sie ihm in aufdringlicher Weise aufzuzwingen. Man kann brigens auch oft hren, wie Anwlte ihr Pldoyer auf eine bestimmte juristische Theorie oder eine konkrete hchstrichterliche Entscheidung abstellen. Sie zumen dann den ganzen Vortrag entsprechend auf und pressen den Sachverhalt so, daß er in das Korsett hineinpaßt. Das ist das schlimmste, was einem Juristen passieren kann, wenn dabei der Sachverhalt vergewaltigt wird. Ex facto oritur ius.

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Die Wirkung des Pldoyers auf die berzeugungsbildung des Richters ist eine schwer zu beurteilende Frage. Die Erfahrung zeigt, daß die hauptschlichen Mglichkeiten der Verteidigung nicht im Pldoyer, sondern in der Vorbereitung des Mandanten, der Mitwirkung bei der Beweisaufnahme und in Beweisantrgen liegen. Der Verteidiger sollte sich nie vorstellen, daß Unterlassungen in diesem Bereich durch Ausfhrungen im Pldoyer ausgeglichen werden knnten. Die Meinung der Richter ist nach Abschluß des Beweisaufnahme schon weitgehend gebildet oder vorbereitet. Um so schwieriger ist die Aufgabe, die vorhandenen Zweifel richtig zu erkennen, ihr Gewicht zutreffend zu wrdigen und mit treffenden Argumenten die berzeugungsbildung des Gerichts zu beeinflussen. Vor berschtzung der jetzt noch bestehenden Mglichkeiten kann nicht dringend genug gewarnt werden. 494

Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 740

Von Interesse ist eine Betrachtung, nach welchen Gesichtspunkten die Gerichte einen Verteidiger im allgemeinen einschtzen. Sie haben meistens eine ganz andere Einstellung als das allgemeine Publikum. Die Eigenschaften, nach denen viele Mandanten ihre Verteidiger beurteilen und aussuchen, sind bei Gericht wenig geschtzt. Umgekehrt finden die bei Gericht gern erlebten und geachteten Eigenschaften vielfach im Publikum keinen Eingang. Die Richter lieben den sachlich eingestellten, maßvollen und ruhigen Verteidiger. Manches Publikum dagegen feiert den laut tnenden Anwalt, der vor nichts zurckschreckt und mglicherweise im Zusammenstoß mit Staatsanwalt und Gericht Triumphe sieht. Die Richter mißachten den geistigen Jongleur und die hintergrndigen Schliche des Advokaten. Manche Klientel findet gerade darin den richtigen Mann und findigen Kopf, der ihnen aus ihrer Misere heraushelfen wird. Hierher gehrt auch die Meinung manchen Publikums, der durch besondere Autoritt ausgezeichnete, der Staranwalt oder der „berhmte“ Anwalt habe in besonderem Maße das Ohr des Gerichts. In Wahrheit schirmt gerade gegen einen solchen Verteidiger das Gericht sich hufig ab, um nicht geblendet zu werden. Dies ist eine hnliche Erscheinung wie die oft beobachtete Reaktion der Gerichte auf vorgelegte Rechtsgutachten von juristischen Sachverstndigen. Hier entspricht die innere Auflehnung gegen die geistige Bevormundung der allgemeinen Erfahrung. Solche Verteidiger knnen dem Mandanten oft im doppelten Sinne „teuer zu stehen kommen“.

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Es entspricht im brigen einem natrlichen Gefhl des Menschen und besonders eines Richters, den Schwachen gegen den Starken zu schtzen. Ein schlecht oder gar nicht verteidigter Angeklagter kann unter Umstnden im Vorteil sein gegenber einem anderen wohlhabenden Angeklagten, der einen berhmten und besonders geschickten Verteidiger oder gar mehrere Verteidiger hat, gegen deren bermacht das Gericht einen Ausgleich sucht. Die vorgeschilderten Umstnde und Erfahrungen wirken sich bei den ehrenamtlichen Richtern teilweise wesentlich anders als bei den Berufsrichtern aus. Das muß der Verteidiger wohl beachten und erforderlichenfalls beiden Gruppen „etwas bringen“ (Rn. 191). Bei allen Mahnungen zu strenger Sachlichkeit und Fallbezogenheit darf andererseits nicht bersehen werden, daß von dem Richter Verstndnis erwartet werden kann fr die Funktion des Pldoyers des Verteidigers gegenber dem Angeklagten. Es ist klar, daß der Angeklagte von seinem Verteidiger manches Vorbringen erwartet, das fr das Gericht von geringerem Interesse ist. Diese Schwierigkeit fr den Verteidiger wird der Richter immer zu wrdigen wissen und bis zu einem gewissen Grade an den 495

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Rn. 741

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

Ausfhrungen keinen Anstoß nehmen. Hier kommt es auf die richtige Grenzziehung an. Der Verteidiger muß sich auch entscheiden, ob er dem Richter ein bequemer Verteidiger sein will oder ob er als unbequemer Verteidiger seine Aufgabe nicht besser und richtiger sieht. Der gute Richter wird den sachlich unbequemen Verteidiger immer respektieren, wenn seine Verantwortung damit geschrft wird (Rn. 192 f.). 741

Whrend des Pldoyers knnen Schwierigkeiten entstehen durch bestimmte Verhaltensweisen des Gerichts. So ist es z. B. die Frage, ob der Richter den Verteidiger in seinem Pldoyer unterbrechen darf. Die Unterbrechung ist dann ungehrig, wenn sie nur dem Zweck dienen soll, dem Verteidiger zu widersprechen oder ihn zurechtzuweisen. Wenn das geschieht, wird der Anwalt in der Regel so reagieren mssen, daß er von da ab ungestrt sprechen kann (Rn. 525). Geschieht die Unterbrechung aber ohne Spitze gegen den Anwalt und in der offenbaren Absicht, den Verteidiger zu weiteren Gedanken und Ausfhrungen anzuregen, so ist darin nichts zu beanstanden. Unterbrechungen knnen sogar befruchtend wirken, und es ist nicht einmal ausgeschlossen, daß auf gewisse Strecken hin das Pldoyer zu einem Rechtsgesprch mit den Richtern wird.

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Ob der Verteidiger seine Antrge am Anfang oder am Ende oder an beiden Stellen seines Pldoyers bringen soll, ist von Fall zu Fall zu entscheiden und vielfach der durch das Pldoyer selbst erzeugten oder zu erzeugenden Atmosphre anzupassen. Wenn der Verteidiger den Freispruch beantragt, sollte er – im Hinblick auf seinen Mandanten – zugleich beantragen, daß außer den eigentlichen Kosten des Verfahrens auch die notwendigen Auslagen einschließlich der Kosten der Verteidigung der Staatskasse auferlegt werden. Das ist heute bei Freispruch die gesetzliche Rechtsfolge, nachdem die Differenzierung im Freispruch „wegen erwiesener Unschuld“ oder „mangels Beweises“ weggefallen ist. Deshalb sollte er im allgemeinen keinen Freispruch wegen erwiesener Unschuld fordern. Damit provoziert er u. U. gegenteilige Feststellungen im Urteil (die den Mandanten schwer belasten knnen).

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Hilfsbeweisantrge whrend des Pldoyers sind zweischneidig. Sie haben den Nachteil, daß sie außer bei Prozeßverschleppung (Rn. 662) erst mit dem Urteil beschieden werden, so daß der Verteidiger zu spt erfhrt, was das Gericht von seiner Beweisbehauptung hlt, und sich nicht danach richten kann. Es sind auch andere Gesichtspunkte zu beachten (Rn. 661). Oft sind auch Eventualbeweisantrge die Brcke zu aussichtsreicher Revision, weil die zum Urteil entschlossenen Richter sich durch den Antrag gestrt und vielleicht sogar verrgert fhlen und aus dieser Stimmung 496

Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 744

heraus sich unvorsichtig auf dem allzu glatten Parkett des Beweisantragsrechts bewegen (Rn. 943). Gelegentliche Ermahnungen des Vorsitzenden an den Verteidiger vor Schluß der Beweisaufnahme, sich keine Beweisantrge fr das Pldoyer „aufzubewahren“, sind unangebracht und zurckzuweisen. Wenn der Verteidiger die Sache fr freispruchreif hlt, hat er primr den Freispruch zu fordern. Weitere Beweiserhebungen knnen dann fr ihn nur eventualiter in Betracht kommen fr den Fall, daß das Gericht seine Meinung nicht teilt. Das Pldoyer des Verteidigers hat im Hinblick auf den Staatsanwalt eine besondere Funktion (Rn. 4, 176). Die Staatsanwaltschaft ist zwar zur Objektivitt verpflichtet, ihren Strafantrgen merkt man das aber nicht immer an. Die Zahl der gerichtlichen Freisprche ist wesentlich grßer als die Zahl entsprechender Antrge der Staatsanwaltschaft. Die Argumente im Pldoyer des Staatsanwalts sind demgemß oft recht angreifbar. Hier verlangt die Situation vom Verteidiger einen kompromißlosen Einsatz. Die Aufdeckung der Fehler und Mngel der Anklage ist das Recht des Angeklagten, das der Verteidiger zu verwirklichen hat. Die Staatsanwaltschaft hat mit der Erhebung der Anklage eine große Verantwortung gegenber dem Angeklagten bernommen. Die damit verbundene Beeintrchtigung seines Ansehens bedeutet die Versetzung in einen sozialen Status zweiter Ordnung, zudem das Durchstehenmssen einer schweren Prozedur und große seelische Belastung. Erweist sich die Anklage nach der begrndeten Auffassung der Verteidigung als untragbar und hlt der Staatsanwalt trotzdem an ihr fest, dann verlangt die Gerechtigkeit einen entschiedenen Einsatz, eine scharfe Widerlegung und Anprangerung ihrer Schwchen. Bei aller Wahrung der ußeren Form kann es in der Sache hier keine zurckhaltende Reserve geben. Hier wre ein hfliches Recht berhaupt kein Recht. Eine Besonderheit ergibt sich oft in den Fllen, in denen der Staatsanwalt als Sitzungsvertreter außer seinen Handakten von der Sache selber nichts kennt. Die fehlende Aktenkenntnis des Staatsanwalts gewhrt dem Verteidiger manche berlegenheit. Es ist seine Pflicht, daraus seine Verteidigung zu strken. Die Rcksichtnahme auf den sich dann in einer schwierigen Situation befindenden Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft darf ihn nicht veranlassen, zum Schaden seines Mandanten die Mngel eines Systems ungenutzt zu lassen, die in der Entsendung eines sachlich nicht orientierten Sitzungsstaatsanwalts in die Sitzung an Stelle des Auftretens des Dezernenten bestehen. Die Staatsgewalt muß die Folgen eines solchen Organisationsmangels tragen, und der Verteidiger darf der Rcksichtnahme auf die fehlende Aktenkenntnis des Sitzungsvertreters nicht den Vorzug vor der rckhaltlosen Verteidigung des Angeklagten geben. 497

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Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

Dabei hat das fortiter in re, suaviter in modo zu gelten. Bei aller sachlichen Kompromißlosigkeit sind in der Form Hflichkeit und Takt geboten (Rn. 119, 186). In der eleganten Kombination der beiden Funktionen des Pldoyers offenbart sich der forensische Meister. 745

Das Recht der Erwiderung auf nochmalige Ausfhrungen des Staatsanwalts, wie es im erstinstanzlichen Verfahren dem Staatsanwalt in § 258 Abs. 2 ausdrcklich eingerumt ist, hat der Verteidiger nach der Strafprozeßordnung nicht. Gleichwohl kann er auf weitere Ausfhrungen des Staatsanwalts noch einmal das Wort ergreifen aufgrund des Rechts des Angeklagten auf das letzte Wort. Die Frage, ob Gegenerwiderungen berhaupt zweckmßig sind, ist im brigen eine bedeutsame Frage der Opportunitt im Einzelfall. Nach einem erschpfenden Pldoyer etwa in einer Verhandlung ber die Berufung des Angeklagten wird man nicht immer auf die Ausfhrungen des Staatsanwalts antworten. Erwidert man jedoch, so darf man keinesfalls in Wiederholungen verfallen. Sie ermden und schwchen die Wirkung ab. Dagegen kann es sehr wirksam sein, wenn man aus dem Gegenvortrag des Staatsanwalts einige wesentliche Punkte herausgreifen und mit handgreiflichen Argumenten und Gegenfragen widerlegen kann. Ergibt sich die Mglichkeit, ein solches „letztes Wort“ noch in schlagfertiger Formulierung zu pointieren, so kann dies ein wirkungsvoller Abschluß sein (Rn. 880). Oft genug kommt es auch vor, daß der Staatsanwalt seinen Antrag auf Bestrafung oder Freispruch verbrmt mit moralisierenden ußerungen ber den Angeklagten, die fr den Zweck des Verfahrens und die Begrndung der Entscheidung nicht geboten sind. Das geschieht besonders dann, wenn die Anklage in der Hauptsache zusammengebrochen ist und der Staatsanwalt nicht mehr viel zu „verkaufen“ hat. Dann spielt er sich gern als praeceptor Germaniae auf. Das steht ihm ebensowenig wie dem Richter zu. Man muß bedenken, daß ein Angeklagter um der Ordnung im Gerichtssaal und um der Wrde des Gerichts willen sich gegen Beleidigungen nicht wehren kann. Hier erwartet aber der Angeklagte mit Recht von seinem Verteidiger das rckhaltlose Eintreten und den scharfen Widerspruch gegen Unsachlichkeit und Krnkung. Es kommt auch vor, daß der Staatsanwalt im Pldoyer berraschend Vorstrafen des Angeklagten bekanntgegeben hat und auswerten will, die der Vorsitzende (bewußt) nicht in die Verhandlung eingefhrt hat. Dann darf und muß der Verteidiger den Staatsanwalt unterbrechen, wenn es nicht schon der Vorsitzende tut (Rn. 550).

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Es lohnt sich eine spezielle Betrachtung des Pldoyers in der Auswirkung auf den Mandanten. Sie ergibt ganz andere Aspekte als in Richtung auf 498

Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

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das Gericht und den Staatsanwalt. Den Verteidiger sieht der Angeklagte unter den Prozeßbeteiligten als seinen einzigen Freund an. Von ihm erwartet er alles. Er sieht, daß der Verteidiger als rechtskundiger Anwalt die ihm fremde Sprache des Gerichts versteht und daß er dort Ohr und Mund hat. Darin ruht ein Teil des Vertrauens des rechtsunkundigen Angeklagten. Er registriert genau das Interesse des Gerichts am Vortrag seines Verteidigers. Er sieht ebenso dessen Gleichgltigkeit und Unaufmerksamkeit. Auch danach beurteilt er den Wert des Pldoyers, whrend er andererseits nichts ungesagt sein lassen mchte, was ihm wichtig erscheint. Er kann verlangen, daß der Verteidiger nichts unterlßt, was mit Fug und Recht fr ihn vorgebracht werden kann. Er erwartet eine Darlegung seines Werdegangs, seiner Charaktereigenschaften, seiner Lebensfhrung und -weise und bringt Leumundszeugen und -atteste, die ihn in ein gutes Licht stellen sollen. Seinem Verlangen muß der Verteidiger billigerweise nachkommen. Dabei ist allerdings zu warnen vor der Unsitte, whrend des Pldoyers Leumundszeugnisse zu verlesen, die nicht Gegenstand der Beweisaufnahme oder eines Beweisantrages gewesen sind. Leumundszeugen sind zu vernehmen. Man kann auch ein schriftliches Leumundszeugnis zum Gegenstand eines Eventualbeweisantrages im Pldoyer machen und es so auf legale Weise in die Hauptverhandlung einfhren (Rn. 633). Im Pldoyer aber darf ein Verteidiger nicht regellos mit solchen Zeugnissen operieren. Dagegen mag es dem Verteidiger unter Umstnden erlaubt sein, etwas nicht streng zur Sache Gehrendes vorzutragen, wenn es die Person oder die Tat des Angeklagten in eine besondere Beleuchtung bringen kann. Dabei hat er stndig abzuwgen zwischen den Anforderungen, die das Gericht in bezug auf die Zucht seiner Rede und die Beschrnkung des Stoffes an ihn stellt. Der Verteidiger hat auch andererseits zu bercksichtigen, daß im Falle eines Mißerfolges der Verurteilte mit Vorliebe die Schuld dem Verteidiger zuschiebt, um vor seinen Angehrigen und der ffentlichkeit ein Alibi zu haben. Mißerfolge bei Strafverteidigungen fhren sehr oft zu heftigen Vorwrfen. Sie bringen auch Mandatskndigungen mit sich und den bergang auf „bessere“ Verteidiger. In diesen Bereichen spielen sich die typischen Schwierigkeiten und Kmpfe ab, zu denen es zwischen Mandant und Verteidiger kommen kann. Sehr oft verlangt der Auftraggeber von „seinem“ Anwalt, den er sich „nimmt“, daß dieser als Gegenleistung fr sein Honorar sich kritiklos seine Gedankengnge, Argumente und Antrge zu eigen macht. Dem darf der Verteidiger nicht folgen (Rn. 153). Fast in jeder Strafsache taucht das kaum zu bewltigende Problem auf, wie die Frage der Schuld und die des Strafmaßes in einem einheitlichen 499

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Rn. 748

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

Pldoyer behandelt werden sollen. Der deutsche Strafprozeß kennt keine Zweiteilung des Verfahrens nach Art des anglo-amerikanischen Rechts. Entscheidung ber Schuld und Straffrage erfolgt vielmehr in einem einheitlichen Spruch. Diese Verfahrensordnung bringt fr die Verteidigung fast unlsbare Schwierigkeiten mit sich. Ein Verteidiger, der seinen Antrag auf Freisprechung mit beredten Worten eingehend begrndet hat, verliert seine Glaubwrdigkeit, wenn er anschließend fr den Fall der Verurteilung mildernde Umstnde erbittet oder berhaupt Ausfhrungen zur Strafbemessung macht. Die Wirkung seines Hauptvortrages macht er damit selbst zunichte. Mancher Verteidiger hlt ein solches Pldoyer fr „unter seiner Wrde“ (vgl. im brigen zu diesem Dilemma Rn. 475, 645). Der Mandant fhlt die Paradoxie einer solchen Kombination. Er merkt deutlich seinen Kreditverlust bei allen Prozeßbeteiligten. Unterlßt aber der Verteidiger andererseits die Stellungnahme zum Strafmaß und der Angeklagte wird zu einer harten Strafe verurteilt, dann ist der Vorwurf des Verurteilten verstndlich, daß vielfltige Milderungsgrnde nicht bercksichtigt sind. Aus diesem Dilemma gibt es fr den Verteidiger kaum einen Ausweg. Es knnte nicht entstehen, wenn Schuld und Straffrage verfahrensmßig getrennt wren (Schuldinterlokut). Solange die Prozeßordnung in ihrer jetzigen Gestaltung gilt, muß der Verteidiger von Fall zu Fall die Schwierigkeiten zu meistern suchen. Das kann in der Weise geschehen, daß man das Strafmaß vorab behandelt im unmittelbaren Anschluß an den Strafantrag des Staatsanwalts, der mit der Begrndung des Strafmaßes sein Pldoyer geschlossen hat. Man kann – je nach der Situation eventuell auch als spontane Reaktion auf einen hohen Strafantrag – sofort daran anknpfen und ausfhren, daß der Staatsanwalt von seinem Standpunkt einer Schuld des Angeklagten aus gesehen zu einem solchen Strafantrag nicht habe kommen drfen. In diesem (immer auf die Ausfhrungen des Staatsanwalts abgestellten) Vortrag knnen die Milderungsgrnde gut zur Geltung kommen. Daran anschließend kann gesagt werden, daß es zwar ein Anliegen der Verteidigung gewesen sei, die Mngel in diesem Teil der staatsanwaltschaftlichen Ausfhrungen deutlich zu machen, daß eine Entscheidung ber die damit aufgeworfenen Fragen sich aber deswegen erbrige, weil der Angeklagte einer Schuld nicht berfhrt sei. Die anschließende Begrndung steht dann nicht im inneren Widerspruch zu den in der Einleitung gemachten Strafzumessungsbemerkungen. Diese Lsung hat natrlich den Nachteil jedes Kompromisses. Sie ist aber ertrglicher als das umgekehrte Verfahren. 748

Die Bedeutung der errterten Schwierigkeiten ist besonders augenfllig in den Fllen, in denen fr den Richter die Wahl zwischen Freiheitsstrafe und Geldstrafe oder eine Strafaussetzung zur Bewhrung in Betracht kommt (vgl. hierzu auch besonders Rn. 645, 1095 f.). Hier liegt in der 500

Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 749

Regel das Hauptinteresse des Angeklagten, der zwar in erster Linie freigesprochen werden will, fr den Fall einer Verurteilung aber wenigstens eine Freiheitsstrafe vermeiden oder doch deren Aussetzung zur Bewhrung erreichen will. Der Verteidiger kann es dann einfach nicht verantworten, die vielfltigen Umstnde, die fr den Ausfall der Strafe entscheidend sein knnen, unerrtert zu lassen. Gerade hier verbaut er sich aber jede Wirkung seines Antrags auf Freisprechung des Angeklagten, wenn er diesen zunchst gestellt und eingehend begrndet hat, um ihn dann durch die Eventualausfhrungen zur Strafbemessung zu entwerten. Er kann aber z. B. auch hier mit der Rge beginnen, der Staatsanwalt habe kraft seiner Verpflichtung, alle fr und gegen den Angeklagten sprechenden Umstnde zu behandeln, es von seinem Standpunkt einer Schuld des Angeklagten aus keinesfalls unterlassen drfen, wenigstens Strafaussetzung zu beantragen. Er kann ausfhren, daß es ein schnes Beispiel der Objektivitt der Staatsanwaltschaft sein wrde, wenn sie dabei die fr § 56 StGB wesentlichen Umstnde wie folgt bercksichtigt htte. Von hier aus findet sich dann der bergang zu den Hauptausfhrungen, ohne daß zwischen den beiden Teilen ein unertrglicher Widerspruch klafft. Die neueste Rechtsprechung des BGH zum Strafzumessungsrecht wird von Detter laufend in der NStZ dargestellt, vgl. NStZ 2004, 486; NStZ 2004, 134. Steht fest, daß der Angeklagte bestraft wird, so hat sich der Verteidiger auch mit den brigen Umstnden der Strafzumessung zu beschftigen670. Das ist oft schwieriger, als den Antrag auf Freisprechung zu begrnden. Anknpfungspunkt ist der Antrag des Staatsanwalts. Meist ist es zweckmßig, nach einigen allgemeinen Bemerkungen zum Strafantrag des Staatsanwalts die Persnlichkeit des Mandanten zu wrdigen (Rn. 538) und auf die Frage hinzulenken, welche Strafe der Mandant fr die Tat „verdient“ hat, mit anderen Worten, welche Strafe schuldangemessen ist. Vornehmste Pflicht des Verteidigers ist es, smtliche Milderungsgrnde ins Feld zu fhren. Das sollte man sachlich und nchtern tun, um den peinlichen Eindruck zu vermeiden, das Pldoyer werde nur mit Blick auf den Mandanten, seine Angehrigen oder die ffentlichkeit gehalten. Der Verteidiger hat nicht zu „Trnen zu rhren“, er hat an das menschliche Verstndnis der Richter zu appellieren. Mit bertreibungen darf er sie nicht gegen den Mandanten einnehmen. Denn die Strafzumessung ist im wesentlichen eine Ermessensfrage des Tatrichters. Dieser ist aber gehalten, die im Gesetz einzeln aufgezhlten Zumessungsgrnde sorgfltig zu 670 Dazu u. a. Detter, Versumnisse bei der Strafzumessungsverteidigung, StraFo 1997, 193; G. Schfer, Praxis der Strafzumessung, 3. Aufl., 2001 (NJW-Schriftenreihe, Bd. 51).

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Rn. 750

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

prfen – wenn auch nicht katalogmßig im Urteil abzuhandeln671. Auch hat er sich mit dem Problem der Schuld und der Strafzwecke auseinanderzusetzen. Dem Verteidiger ist durch die Reform des Strafrechts ein weites Feld seines Wirkens erffnet. Der grundstzliche Vorrang der Geldstrafe vor der Freiheitsstrafe, die Kriterien der Geldstrafenbemessung, die Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59 StGB), die Verpnung der kurzfristigen Freiheitsstrafe und die Ausdehnung der Strafaussetzung zur Bewhrung bieten dem Verteidiger außerordentliche Erfolgsmglichkeiten. Die kriminalpolitischen Fortschritte der Rechtsentwicklung eines auf die Resozialisierung des Tters ausgerichteten Strafrechts haben gerade im Bereich der Strafbemessung ihren grßten Wirkungsraum (Rn. 645 f., 749). 750

Charakter und Persnlichkeit des Mandanten spielen fr die Strafzumessung die entscheidende Rolle und mssen deshalb ausfhrlich behandelt werden. Der Verteidiger darf keinen Umstand auslassen, der fr den Mandanten spricht. Das ist wichtiger, als mit theoretischen berlegungen ber Sinn und Zweck der Strafe im allgemeinen zu dozieren, wenn er auch ber den Stand der Zumessungslehre und die kriminalpolitischen Erkenntnisse unterrichtet sein muß. Vor ihrem Hintergrund muß er seine Verteidigung aufbauen und die ihm am ehesten bekannten Umstnde und Beweise einfhren (Rn. 645 f.). Insbesondere kann eine gut begrndete Prognose des Verteidigers ber das zuknftige Verhalten seines Mandanten eine gnstige Beurteilung durch das Gericht veranlassen. Milde Beurteilung lßt sich auch erreichen im Falle eines gestndigen oder unbestraften Angeklagten, desgleichen, wenn die Tat als solche nicht schwer wiegt. Hingegen muß der Verteidiger dem Versuch des Staatsanwalts energisch entgegentreten, der bestreitende Tter sei besonders hart zu bestrafen. Wer der berzeugung ist, zu Unrecht beschuldigt zu werden, kann weder Einsicht zeigen noch Reue heucheln: Sonst durchlchert er von vornherein sein Verteidigungsvorbringen. Hufig wird auch das Verbot der Doppelverwertung von Strafzumessungstatsachen nicht beachtet, das im Gesetz ausdrcklich verankert ist (§ 46 Abs. 3 StGB). Deshalb hat der Verteidiger die Ausfhrungen des Staatsanwalts zum Strafmaß genau zu analysieren und die Umstnde herauszuarbeiten, die der Staatsanwalt sowohl fr die Feststellung des gesetzlichen Tatbestandes als auch zur Rechtfertigung des Strafantrags herangezogen hat (Rn. 969).

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Die Ausfhrungen zur Strafzumessung (Rn. 747 ff.) gelten sinngemß auch fr die Anordnung von Maßnahmen der Besserung und Sicherung sowie fr Auflagen und Bußen bei der Strafaussetzung. 671 St. Rspr., vgl. nur BGH, StV 1993, 72.

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Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 754

Die Funktion des Humors im Pldoyer ist der ernsten Natur der Sache entsprechend begrenzt. Es ist schn, daß er nicht immer zu fehlen braucht und in richtiger Form im richtigen Augenblick Situationen und Gemter auflockert und damit der Sache dienstbar gemacht werden kann. Von Reiners stammt das Wort, daß es kein Stck Prosa gibt, die Grabrede abgerechnet, das nicht durch ein wenig Heiterkeit gewinnen wrde.

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Dagegen ist es schon bedenklicher, das Mittel der Ironie oder des Sarkasmus in der Bekmpfung eines Gegners oder einer gegnerischen Auffassung einzusetzen. Beide knnen gefhrlich verletzen und daher ungehrig sein. Dagegen ist die Schlagfertigkeit des dazu Befhigten ein glnzendes Kampfmittel in der sachlichen Auseinandersetzung. Die Abgrenzung der liebenswrdigen Ironie oder der Schlagfertigkeit zum beißenden Sarkasmus ist nicht immer leicht zu finden und wird im Eifer des Gefechts oft verfehlt. Einige Erfahrungen mgen dies nher beleuchten. Den Ausfhrungen eines Staatsanwalts, er habe den Vortrag des Verteidigers „nicht verstanden“, wird der Verteidiger schwerlich entgegnen drfen, „fr diese bedauerliche Tatsache fhle er sich nicht verantwortlich“. Dagegen kann es gut angehen, daß auf eine Frage des Richters, ob die Verteidigung unzulssig beschrnkt worden sei (§ 338), der Anwalt erwidert, die Verteidigung sei „nicht beschrnkt“. Es ist schon etwas khner, auf die ußerung eines Prozeßbeteiligten „So etwas geht oft schneller, als man denkt“ mit den Worten zu replizieren: „Das kommt darauf an, wie schnell man denkt.“ Damit habe ich mir den Mund schon betrchtlich verbrannt. Seibert672 zitiert aus einem Pldoyer von Munkel, das nach schrfster Vernehmung der Angeklagten, der der Vorsitzende Lge und Verstocktheit heftig vorgeworfen hatte, gehalten wurde: „Meine Herren Geschworenen, wenn sie miterlebt haben, wie die Angeklagte bei den wohlwollenden, freundlichen Worten des Herrn Vorsitzenden in verzweifelte Trnen ausgebrochen und in ratlose Verwirrung geraten ist, und wenn sie diese, ich mchte sagen vterliche Art, mit einer Unglcklichen zu sprechen, mit dem Ton vergleichen, in welchem wohl der von vornherein von ihrer Schuld berzeugte Polizeibeamte mit ihr geredet haben mag, so werden sie diesem sogenannten Gestndnis einen entscheidenden Wert nicht beimessen knnen!“ Dieses ironisierende Argument soll durchschlagend gewesen sein.

753

Eine schne Tugend hat im Pldoyer des Verteidigers besondere Gelegenheit zur Bewhrung. Es ist die Ritterlichkeit im Kampfe, wenn ein unterlegener Gegner als Staatsanwalt oder als Nebenklger oder als Verteidiger zu bekmpfen ist. Der Verteidiger soll immer bedenken, daß er ein ander-

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672 JR 1951, 337.

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Rn. 755

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

mal in der gleichen Lage sein kann und daß zudem einem jeden Fehler unterlaufen knnen. Keiner ist zu jeder Stunde des Tages klug. Das nutzt ein fairer Verteidiger nicht mehr aus, als die Sache es verlangt. Der Prozeßverlauf macht oft genug den sicheren Erfolg des Verteidigers im voraus sichtbar. Gerade dann gilt das Gebot der Zurckhaltung gegenber dem mutmaßlich Unterliegenden. Ist anderseits der Mißerfolg unvermeidlich, gilt in gleicher Weise das Gebot, mit Anstand verlieren zu knnen. 755

Wenn mehrere Verteidiger sich in eine Aufgabe teilen, bedarf es sorgsamer berlegung zur Abstimmung des Pldoyers. Wiederholungen anzuhren, ist fr das Gericht unzumutbar. Trennung in Tatfrage und Rechtsfrage ist vielfach mglich, aber nicht immer zweckmßig. Allgemeingltige Regeln kann man nicht aufstellen. Guter Zusammenbau mehrerer Pldoyers, mglicherweise von Verteidigern verschiedenen Temperaments und sonstiger Prgung, kann sehr eindrucksvollgestaltet werden. Mehrere Verteidiger bewhren sich insbesondere dann, wenn bei rumlicher Verschiedenheit von Verhandlungsort und Wohnsitz des Angeklagten sowohl sein erprobter Vertrauensanwalt wie der mit den rtlichen Gegebenheiten vertraute Anwalt des Gerichtsortes auftreten (Rn. 123, 150).

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Wie soll man den Schluß des Pldoyers gestalten? Die Entscheidung hngt sehr davon ab, wie der Schlußvortrag „ankommt“. Das merkt der aufmerksame Verteidiger und er sprt, welches Klima er geschaffen hat. Dahinein muß das Schlußwort passen. Das Schlußwort kann ein Rckblick, eine Zusammenfassung oder auch ein Ausblick sein. Es darf auch anders als der Hauptteil in eine emotionelle Passage ausmnden. Es kann eine allgemeine Betrachtung sein oder ein Aufruf an die Verantwortung des Gerichts. Irgendwie soll es eine Summierung der wirksamsten Elemente des Vortrages in ußerster Konzentration sein. Eine Anknpfung an die Einleitungsworte wird vielfach mglich und dann recht wirkungsvoll sein. Der Verteidiger wird besonders beim Schlußwort auch unter der Vorstellung von dessen Wirkung nach außen stehen. Angeklagte und Zuhrer zeigen sich oft genug vom Schlußwort beeindruckt. Beifall und – nicht immer erwnschtes – Hndeschtteln sind manchmal der sichtbare Ausdruck der nach außen erzielten Wirkung. ber diesen ußerlichkeiten sollte der Verteidiger aber nie vergessen, daß es in Wahrheit um etwas ganz anderes geht. Es ist das Schicksal des Menschen, der sich ihm anvertraut und fr den er Verantwortung bernommen hat. Diesem Menschen dient letztlich nicht der schellenlaute Beifall, sondern nur der redliche Gewinn. Nur im Theater mißt sich der Erfolg am Beifall der Menge. Am wirksamsten wird fr den Richter stets dasjenige Pldoyer sein, das ihm als Ausdruck der berzeugung eines ehrlichen Menschen erscheint (Mamroth). 504

Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 758

q) Vor und nach der Urteilsverkndung Hamm, ffentliche Urteilsberatung, NJW 1992, 3147; Malek, Verteidigung in der Hauptverhandlung, 3. Aufl., 1999; G. Michel, Beratung, Abstimmung und Beratungsgeheimnis, DRiZ 1992, 263; Rieß, ber den Rechtsmittelverzicht im Strafverfahren, Koll. f. Gollwitzer, 2004, S. 191; G. Schfer, Die Praxis des Strafverfahrens, 6. Aufl., 2001, S. 435 ff.; Scheffler, Bescheidung eines Hilfsbeweisantrags erst in den Urteilsgrnden, auch wenn der Antragsteller beantragt hatte, die Entscheidung noch vor der Urteilsverkndung bekanntzugeben?, NStZ 1991, 348; Scheffler, Beweisantrge kurz vor oder whrend der Verkndung des Strafurteils, MDR 1993, 3; Schlothauer, Kann der Verteidiger die Bescheidung eines im Pldoyer gestellten Hilfsbeweisantrages vor der Urteilsverkndung erzwingen?, StV 1991, 350; Seibert, Zur Berichtigung des Urteilsspruchs in Strafsachen, NJW 1964, 239.

Auch die Prozeßhandlungen nach den Schlußvortrgen erfordern volle Aufmerksamkeit des Verteidigers. Es geht nicht an, dem Verfahren jetzt nur noch mit mehr oder weniger großem Interesse zuzuhren. Das macht nicht nur beim Gericht und in der ffentlichkeit einen schlechten Eindruck, es verstßt auch gegen die Pflicht des Verteidigers, dem Mandanten bis zum Ende der Hauptverhandlung beizustehen.

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Besonders darf sich der Verteidiger beim „letzten Wort“ des Angeklagten (§ 258 Abs. 2 u. 3) nicht darauf verlassen, der Mandant werde es schon richtig machen. Form und Inhalt des Schlußwortes sind stets genau zu berlegen und mit dem Mandanten zu errtern. Der Eindruck, den der Mandant hinterlßt, kann fr das Urteil ausschlaggebend sein. Deshalb eben ist der Mandant auch schon bei der Vorbereitung der Hauptverhandlung zum letzten Wort entsprechend zu belehren (Rn. 494). Viele Betroffene meinen, das Schlußwort sei ihre einzige Gelegenheit, ausfhrlich reden zu drfen, jetzt knnten sie nun endlich alles sagen, was den strafrechtlichen Vorwurf und das Verfahren betrifft. Andere Angeklagte hingegen sind froh, die Hauptverhandlung hinter sich zu haben, und enthalten sich jeder ußerung. Fr das rechte Maß beim Schlußwort lassen sich allgemeine Regeln nicht aufstellen. Und doch muß sich der Verteidiger bemhen, fr jeden einzelnen Fall das richtige Maß zu finden und mit dem Auftraggeber vorher festzulegen. Das letzte Wort des Angeklagten, sein Benehmen, seine Stimme, der Ausdruck seines Gesichts gehen gleichsam in das Beratungszimmer mit. Nicht nur ehrenamtliche Richter beginnen ihre berlegungen und ihre berzeugungsbildung mit ihrer Beobachtung, wie sich der Angeklagte beim letzten Wort benommen hat. Das muß der Verteidiger vor allem nach lngeren Hauptverhandlungen in Betracht ziehen. Was vor Stunden oder gar Tagen und Wochen in der Hauptverhandlung geschehen ist, haftet begreiflicherweise nicht mehr so gut im Gedchtnis der Beteiligten wie das eben erlebte Verhalten des Angeklagten am Ende der Verhandlung. Wie der Angeklagte die abschlie-

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Rn. 759

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

ßenden Erklrungen abgeben soll, hngt vom Ergebnis der Hauptverhandlung und von der Persnlichkeit des Mandanten ab. Steht die Schuld fest, so ist es wenig sinnvoll, wenn der Angeklagte im Schlußwort seine Schuld leugnet und etwa, wie man das hufig erlebt, Belastungszeugen angreift und sich dadurch eine Strafmilderung verbaut, auf die der Verteidiger pldiert hat. Genauso mißlich ist es, wenn der Auftraggeber um milde Beurteilung bittet, falls der Verteidiger Freispruch beantragt hat, weil die Schuld nicht nachgewiesen ist. Nicht jeder Angeklagte ist indessen bereit, dem Rat des Verteidigers zu folgen. Wenn der Verteidiger jedoch dem Mandanten die Nachteile eines ungeschickten Verhaltens verdeutlicht, so wird er sich im allgemeinen der Empfehlung fgen. Das gilt auch fr die Art, wie der Angeklagte sein Schlußwort abgibt. Von langatmigen, weitausholenden Reden sollte der Verteidiger abraten. Je prgnanter und krzer ein Schlußwort ist, desto nachhaltiger wirkt es auf die Berufs- und Laienrichter. Auch ist der Vorsitzende befugt, Abschweifungen und unntige Wiederholungen zu untersagen673. Freilich darf die Redezeit nicht begrenzt werden674, auch ist es unzulssig, von vornherein die Verlesung eines Manuskriptes zu verbieten675. Darauf kann es aber der Verteidiger nicht ankommen lassen. Erfahrungsgemß ist es besser, dem Mandanten zu raten, das Schlußwort auf die unbedingt notwendigen Ausfhrungen zu beschrnken. Darin zeigt sich auch hier der Meister. Der formelhafte und deshalb neutrale Satz: „Ich schließe mich den Ausfhrungen meines Verteidigers an“, ist oft geschickter als lange, meist auch noch in sich widerspruchsvolle Erklrungen. Prozeßverstße des Gerichts im Zusammenhang des letzten Wortes kommen verhltnismßig hufig vor. Sie begrnden oft die Revision (Rn. 948). 759

Die Erteilung des letzten Wortes wird praktisch noch besonders bedeutsam, wenn das Gericht nach der Urteilsberatung die Verhandlung wieder erffnet. Die Wiedererffnung versetzt das Verfahren in den Stand vor den Schlußvortrgen. Die Pldoyers und das bisherige Schlußwort des Angeklagten verlieren rechtlich ihre Bedeutung. Insbesondere muß der Angeklagte erneut befragt werden, ob er noch etwas vorbringen wolle. Er ist befugt, zu smtlichen Vorwrfen der Anklage noch einmal oder erst jetzt Stellung zu nehmen, selbst wenn das Gericht nur wegen eines Teiles wieder in die Verhandlung eingetreten ist, etwa um das Verfahren wegen einer Randfrage einzustellen. Wird der Mandant nicht noch einmal auf

673 BGH, MDR 1964, 72. 674 Meyer-Goßner, § 258 Rn. 25. 675 Meyer-Goßner, § 258 Rn. 12.

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Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 760

sein Recht zum letzten Wort hingewiesen, so begrndet diese Unterlassung die Revision676. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, daß der Verteidiger auf den Protokollzwang achtet und sich im Falle der Revision davon berzeugt, was die Niederschrift ber das letzte Wort ausweist (Rn. 948). Im brigen ist zu bercksichtigen, daß der Wiedereintritt in die Verhandlung große praktische Vorteile bietet. So kann der Verteidiger nunmehr etwa vergessene oder zunchst bewußt zurckgestellte Ausfhrungen (z. B. zum Strafmaß, Rn. 749 f.) und Antrge nachholen. Sie knnen sich auf alle Verfahrensgegenstnde beziehen, auch wenn das Gericht die Verhandlung nur wegen eines Teilbereichs wieder erffnet. Gelegentlich versucht das Gericht, die Neuverhandlung auf bestimmte Teile zu beschrnken. Statthaft ist dieses Verfahren nur im Einverstndnis aller Beteiligten677. Der Verteidiger wird nicht zustimmen, wenn er die Gelegenheit benutzen will, zu anderen Verfahrensgegenstnden noch etwas vorzutragen. Dazu muß er den Grund der Wiedererffnung prfen. Er erfhrt mindestens einen Teil, wenn nicht das gesamte Beratungsergebnis. Besonders aufschlußreich ist es, falls das Gericht die Entscheidung ber einen Beweisantrag oder Hilfsbeweisantrag vor der Urteilsverkndung bekanntgibt, den der Verteidiger im Pldoyer gestellt hatte (Rn. 743), wozu es (trotz entsprechenden Antrages) nicht verpflichtet ist678. Wird der Antrag abgelehnt, kann es notwendig sein, sofort einen neuen Antrag vorzubringen. Ebenso muß der Verteidiger unverzglich die Konsequenzen ziehen, falls ein Zeuge nunmehr doch vereidigt werden soll, den das Gericht in der Verhandlung unvereidigt gelassen hatte (Rn. 586 f.). Ein solcher Beschluß kann nur bedeuten, das Gericht halte die Aussage fr ausschlaggebend (§ 59 Abs. 1) und wolle dem Zeugen glauben. Handelt es sich um eine belastende Aussage, dann ist es erforderlich, alle Umstnde notfalls im Wege eines Beweisantrages vorzubringen, die gegen die Glaubwrdigkeit des Zeugen sprechen. Hufig geschieht es, daß der Vorsitzende nach der Beratung darauf hinweist, das Gericht werde mglicherweise einen anderen rechtlichen Gesichtspunkt zugrunde legen (Rn. 695). Erfahrungsgemß kann man davon ausgehen, daß sich das Gericht in der angedeuteten Richtung schon schlssig geworden, das Urteil also bereits abschließend beraten ist. Ist die nderung fr den Mandanten nachteilig, so ist unter Umstnden Aussetzung der Verhandlung zu beantragen (Rn. 698).

676 BGHSt. 20, 273, 275; BGHSt. 13, 53, 59; i. e. Dahs/Dahs, Rn. 365, 371. 677 BGHSt. 20, 273. 678 BGHSt. 40, 287, 289; BGHSt. 32, 10, 13.

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Rn. 761

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

761

Der Verteidiger sollte in solchen wie auch in anderen, geeigneten Fllen erwgen, whrend der – mglicherweise mehrtgigen – Beratung des Gerichts einen Schriftsatz einzureichen. Das ist nicht unzulssig. Durch dieses „schriftliche Nachpldoyer“ kann man manchmal wirkungsvoll auf die Beratung Einfluß nehmen. Die schriftliche Eingabe eignet sich besonders fr die Darlegung von Rechtsfragen.

762

Schwierig ist die Situation, wenn das Gericht nach der Beratung der Staatsanwaltschaft eine Beschrnkung des Verfahrensstoffes nach §§ 154, 154a nahelegt. Auch das ist ein gewichtiges Indiz fr die vorgesehene Verurteilung. Trotzdem wird ein – rechtlich ohnehin unbeachtlicher – Widerspruch gegen die Einstellung dem Interesse des Klienten nicht dienen. Der Verteidiger wird aber Veranlassung nehmen, weitere Antrge und Ausfhrungen in Erwgung zu ziehen, um die drohende Verurteilung doch noch abzuwenden.

763

In den Fllen der Wiedererffnung der Verhandlung muß der Verteidiger feststellen, ob die erneute Urteilsberatung ordnungsgemß stattfindet. Man erlebt es immer wieder, daß das in der Beratung bereits beschlossene Urteil nach Errterung des wiederverhandelten Gegenstandes kurzerhand verkndet wird. Dieses Verfahren darf der Verteidiger nicht unbesehen hinnehmen. Jede neu erffnete Verhandlung erfordert eine neue Beratung. Es ist fehlsam und begrndet die Revision, wenn sich der Vorsitzende im Gerichtssaal lediglich mit den Berufsrichtern verstndigt, ohne die Laienrichter zu befragen679. Der Verteidiger kann zwar die geflsterte Nachberatung im Gerichtssaal nicht verhindern. Es kommt aber darauf an, daß sie fr alle Beteiligten als solche erkennbar ist und alle Mitglieder des Gerichts daran teilnehmen. Wird die abgekrzte Verstndigung so laut gefhrt, daß der Verteidiger sie versteht, so ist es unter Umstnden mglich und geboten, sich zu Wort zu melden. Jetzt besteht die letzte Chance, durch Abgabe einer Erklrung (Rn. 520) eine sich anbahnende ungnstige Entscheidung vielleicht noch zu verhindern. Mindestens kann der Verteidiger mit einer geschickten Erklrung zu erreichen suchen, daß das Gericht noch einmal ins Beratungszimmer geht. Das ist im Hinblick auf die ehrenamtlichen Richter wichtig. Erfahrungsgemß wagen sie es nach wiedererffneter Verhandlung von sich aus nicht, auf erneuter „Klausurberatung“ zu bestehen.

764

Auch die Urteilsverkndung (§ 268) wirft manchmal Probleme auf. Das beginnt schon bei der Frage der Anwesenheit des Verteidigers. In den Fllen der notwendigen Verteidigung (§ 140 Abs. 1 und 2) ist er auch als 679 BGHSt. 19, 56; Dahs/Dahs, Rn. 366.

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Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 766

Wahlverteidiger zur Anwesenheit verpflichtet. Sonst schafft er einen Revisionsgrund, falls das Gericht versehentlich in seiner Abwesenheit das Urteil verkndet hat. Andernfalls kann es zur Bestellung eines anderen Verteidigers oder zu einer Aussetzung kommen (§ 145). Damit sind stets Nachteile fr den Mandanten und den Verteidiger verbunden, der mit berufsrechtlicher Ahndung rechnen muß und mit den durch die Aussetzung verbundenen Kosten belegt werden kann, wenn er schuldhaft fernbleibt (§ 145 Abs. 4: Rn. 195). Aber auch fr den „nicht notwendigen“ Verteidiger ist es ein nobile officium, bei der Urteilsverkndung anwesend zu sein. Es ist eine Unsitte und Mißachtung des Gerichts, sich nach dem Pldoyer kurzerhand zu entfernen. Der Richter wird das unentschuldigte Fehlen des Verteidigers immer dahin auffassen, daß sein Urteil den Verteidiger nicht interessiere. Außerdem kommt sich der Mandant verlassen vor. Nun gibt es Terminkollisionen, die auch der sorgfltig planende Anwalt nicht vermeiden kann, nicht zuletzt diejenigen, die auf eine unerwartete Verzgerung der Hauptverhandlung oder auf eine Verschiebung der Verkndung des Urteils bis elf Tage nach Schluß der Verhandlung (§ 268 Abs. 3) zurckzufhren sind. In diesen Fllen ist es notwendig, den Vorsitzenden auf die Terminschwierigkeiten hinzuweisen und zu bitten, die Verkndung so festzulegen, daß der Verteidiger teilnehmen kann. Versagt dieser Weg, so kann sich der Verteidiger durch einen Kollegen vertreten lassen, ggfs. auch durch einen Referendar mit einem Vorbereitungsdienst von einem Jahr und drei Monaten (§ 139). Im Falle seiner Abwesenheit begibt sich der Verteidiger einer Reihe von praktisch wichtigen Mglichkeiten. So entgeht ihm die mndliche Urteilsbegrndung. Wie die Erfahrung lehrt, ist es angebracht, whrend der Begrndung die Hauptgesichtspunkte zu notieren. Maßgebend sind zwar die schriftlichen Urteilsgrnde, man kann aber die schriftlichen Notizen fr die berlegung verwenden, ob auf Rechtsmittel verzichtet werden soll, und vor allem fr die erste Beratung des Mandanten ber die Einlegung von Rechtsmitteln. Dazu ist es erforderlich, den Mandanten ber den Vorrang der schriftlichen Urteilsgrnde zu belehren. Der Verteidiger gert sonst in Mißkredit, weil er zu sehr auf die nicht maßgebliche mndliche Urteilsbegrndung abgestellt hat.

765

Nur wenn der Verteidiger anwesend ist, kann er in bestimmten Ausnahmefllen die Urteilsverkndung unterbrechen. Als Beispiel seien genannt: Der Vorsitzende verkndet im Tenor eine Freiheitsstrafe und fhrt dazu in der Begrndung aus, Geldstrafe sei vom Gesetz nicht vorgesehen. Das Gericht hat dabei nicht gemerkt, daß in einem der folgenden Paragraphen die Geldstrafe ausnahmsweise zugelassen ist. Die Beratung ging also von

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Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

falschen Voraussetzungen aus. Oder das Gericht verurteilt im Tenor wegen Trunkenheit am Steuer, die mndliche Begrndung ergibt, daß es nur wegen der einschlgigen Ordnungswidrigkeit verurteilen wollte. Hier ist der Tenor versehentlich unrichtig. Es gibt auch Flle, in denen sich whrend der Urteilsberatung herausstellt, daß noch Beweisantrge zu stellen sind, etwa wenn der Verteidiger jetzt erst wichtige Informationen erhlt. Da ein Beweisantrag nicht als versptet zurckgewiesen werden darf (§ 246), muß das Gericht auch nach der Urteilsberatung den Verteidiger zu Wort kommen lassen680. Allerdings soll die Verteidigung zwischen der Verkndung der Urteilsformel und der Urteilsgrnde nicht mehr das Recht zu Beweisantrgen haben, was jedoch den Tatrichter vor Abschluß der Urteilsverkndung nicht hindert, noch darauf einzugehen681. Es ist klar, daß der Verteidiger die bereits begonnene Verkndung unterbrechen wird. Man muß sich vor Augen halten, daß die Unterbrechung im letzten Augenblick ein falsches Urteil verhindern und dem Mandanten eine zweite Instanz ersparen kann. Dazu muß der Verteidiger wissen, daß die Urteilsverkndung erst mit der vollstndigen Bekanntgabe der Grnde endet. Bis dahin kann die Urteilsformel noch gendert werden682. Auch kann das Gericht bis zu diesem Zeitpunkt erneut beraten und noch einmal in die Verhandlung eintreten683. Daher muß der Verteidiger vor Abschluß der mndlichen Begrndung um die Unterbrechung bitten und den Grund erlutern. Danach ist eine nachtrgliche Berichtigung des Urteils nicht statthaft. 767

Der letzte und wohl wichtigste Grund, warum der Verteidiger am Ende der Hauptverhandlung den Mandanten nicht allein lassen darf, ist die Gewohnheit vieler Vorsitzender, nach der Rechtsmittelbelehrung entgegen Nr. 142 Abs. 2 RiStBV einen Rechtsmittelverzicht (§ 302) zu errtern oder dem Angeklagten gar nahezulegen. Diese immer noch praktizierte bung ist eine „Verfahrensmethode, die mit dem Sinn der Belehrung schlecht in Einklang zu bringen ist und den Verdacht aufkommen lßt, das Gericht wolle sich durch die Anerkennung des Urteils dessen schriftliche Absetzung erleichtern. In der Tat hrt der Verteidiger von Mandanten, die einen Rechtsmittelverzicht abgegeben haben, immer wieder, sie fhlten sich berrumpelt. Daran ndert sich auch nichts, wenn dem Angeklagten ein Merkblatt ber die Rechtsmittel ausgehndigt wird (Nr. 142 Abs. 1 RiStBV)684. In diesem

680 681 682 683 684

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BGHSt. 25, 333. BGH, StV 1985, 398; Meyer-Goßner, § 268 Rn. 15; Dahs/Dahs, Rn. 371. BGHSt. 25, 333, 336; Meyer-Goßner, § 268 Rn. 8 f. BGHSt. 25, 333, 335. Die Gerichtspraxis ist in der Befolgung der Anweisung in Nr. 142 Abs. 1 RiStBV sehr unterschiedlich.

Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 767

Moment kann der Betroffene das Merkblatt ebensowenig in Ruhe lesen, wie er das Fr und Wider des Rechtsmittelverzichts zu berschauen vermag685. Es wird immer wieder bersehen, daß der Angeklagte unter dem Eindruck der Verhandlung und des Urteils zu leicht resigniert. Er befindet sich in einer Situation, in der er zu klarer berlegung nicht fhig ist. Jetzt braucht er den anwaltlichen Beistand am ntigsten. Der Verteidiger kann bereilte Verzichtserklrungen verhindern. Er weiß, daß es kaum einmal gelingt, einen Rechtsmittelverzicht mit Erfolg rckgngig zu machen. Die Rechtsprechung hlt daran fest, der Strafprozeß erfordere im ffentlichen Interesse den zweifelsfreien Bestand von Prozeßhandlungen. Dagegen kann der Verteidiger nicht ohne weiteres auf eine entsprechende Anwendung des § 136a im Falle einer Tuschung oder Drohung oder eines anderen Willensmangels verweisen. Sie wird jedenfalls vom BGH abgelehnt686. Lediglich in seltenen Ausnahmefllen wird der Verzicht als unwirksam anerkannt. So wenn der Verteidiger durch Verschulden des Gerichts wegen fehlender Ladung nicht anwesend ist687, wenn der Rechtsmittelverzicht unter Ausschaltung des anwesenden Verteidigers zustande kommt688 oder wenn die Rechtsmittelbelehrung falsch war689. Fr den Fall der Verfahrensabsprache hat der Große Senat fr Strafsachen des BGH entschieden, daß der Rechtsmittelverzicht u. a. nur dann wirksam ist, wenn der Angeklagte zuvor nach § 35a S. 1 sowie darber belehrt worden ist, daß er ungeachtet der Absprache in seiner Entscheidung ber einen Rechtsmittelverzicht frei ist690. Der Verteidiger muß nach alledem darauf bestehen, daß der Mandant das Urteil nicht anerkennt, ohne vorher mit ihm gesprochen zu haben. Die Besprechung sollte tunlichst nicht im Gerichtssaal stattfinden. Manchmal kann man in der Beratungspause mit dem Auftraggeber vorweg errtern, unter welchen Voraussetzungen ein Rechtsmittelverzicht in Betracht kommt, z. B. wenn die Bestrafung feststeht und es nur um die Hhe der Strafe geht. Sonst ist das Urteil abzuwarten. Die Belehrung des Mandanten muß eingehend sein und die Vorteile und Nachteile des sofortigen Rechtsmittelverzichts sorgsam gegenberstellen. Zweckmßig ist der Verzicht, falls der Mandant Wert darauf legt, eine Freiheitsstrafe bald anzutreten, etwa whrend seines bevorstehenden Urlaubs. Angekn685 Dahs, FS Schmidt-Leichner (1977), S. 17. 686 St. Rspr., vgl. nur BGHSt. 48, 240; bei Pfeiffer/Miebach, NStZ 1987, 221; BGH, StV 1988, 372. 687 OLG Schleswig, NJW 1965, 312. 688 BGH, StV 1983, 268; BGHSt. 18, 257 = JZ 1964, 263 m. Anm. Stratenwerth; BGHSt. 19, 101. 689 Meyer-Goßner, § 302 Rn. 22 m. N. 690 BGH, Beschl. v. 3. 3. 2005 – GSSt 1/04, NJW 2005, 1440.

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Rn. 768

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

digt werden kann der Verzicht, wenn es bei einem trotz Bestrafung gnstigen Urteil darauf ankommt, den Rechtsmittelverzicht des Staatsanwalts zu erreichen. In diesem Falle ist ein kurzes Gesprch mit dem Staatsanwalt angebracht. Ist er nur Sitzungsvertreter oder fhlt er sich aus anderen Grnden nicht fr befugt, auf Rechtsmittel zu verzichten, so sollte auch der Verteidiger das Urteil nicht rechtskrftig werden lassen. Der „einseitige“ Rechtsmittelverzicht bringt vor allem dann Schwierigkeiten, wenn der Mandant darauf vertraut, die Staatsanwaltschaft werde kein Rechtsmittel einlegen. Ein solcher „Irrtum im Motiv“ wird als unbeachtlich angesehen; der Verzicht kann nicht mehr aus der Welt geschafft werden, auch wenn die Staatsanwaltschaft ihrerseits das Urteil angreift691. Im Grunde genommen zeigt die Erfahrung, daß man die Entscheidung ber den Rechtsmittelverzicht nicht ber's Knie brechen sollte. Im Zweifel ist es richtiger, die Rechtsmittelfrist zu ruhiger berlegung auszunutzen. Darin liegt brigens ihr gesetzgeberischer Zweck. Auf keinen Fall darf der Verteidiger den Mandanten zu einem unverzglichen Verzicht drngen. Damit setzt er das Vertrauen aufs Spiel. Der Mandant kann erwarten, daß sich auch der vielbeschftigte Verteidiger innerhalb der Rechtsmittelfrist gengend Zeit nimmt, die Rechtsmittelaussichten zu besprechen (Rn. 811 ff.). 768

Insbesondere im Zusammenhang mit einem Rechtsmittelverzicht muß der Verteidiger die nach dem Urteil verkndeten Entscheidungen sorgsam verfolgen und ggfs. unverzglich geeignete Antrge stellen. Das gilt besonders fr den Erlaß eines „posthumen“ Haftbefehls. Der Verteidiger sollte ihn genau und schnell prfen, ob die materiellen und formellen Voraussetzungen fr eine Haftbefehl berhaupt vorliegen (Rn. 339 ff.). Sonst ist energisch zu widersprechen. Hier erwartet der Mandant mit Recht vollen Einsatz des Verteidigers. Falls der Haftbefehl mit Verdunkelungsgefahr gerechtfertigt werden soll (Rn. 340), kann darauf verwiesen werden, daß nach Verkndung des Urteils Untersuchungshaft wegen Verdunkelungsgefahr nur ausnahmsweise in Frage kommt692, weil der Sachverhalt festgestellt und im allgemeinen nichts mehr zu verdunkeln ist. Es geschieht auch, daß der nachtrgliche Haftbefehl mit Fluchtverdacht wegen der Hhe der verhngten, aber noch nicht rechtskrftigen Strafe begrndet wird. Hiergegen muß der Verteidiger ankmpfen. Die Rechtsprechung ist nicht einheitlich (Rn. 339). Mit guten Grnden wird darauf hingewiesen, daß eine zu erwartende – oder (nicht rechtskrftig) ausge-

691 OLG Hamburg, NJW 1969, 1976. 692 Meyer-Goßner, § 112 Rn. 25 f. m. N.

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Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 771

sprochene hohe Strafe allein die Fluchtgefahr nicht zu rechtfertigen vermag693. Wird der Haftbefehl entgegen dem Antrag des Verteidigers erlassen, so ist in geeigneten Fllen unverzglich Haftverschonung (§ 116) zu beantragen (Rn. 355 ff.). Daran hat der Verteidiger auch zu denken, wenn die Fortdauer der Haft angeordnet werden soll (§ 268b). Hier ist es indessen meist erforderlich, in erster Linie Aufhebung des Haftbefehls zu erwirken, wenn dessen Voraussetzungen weggefallen sind (Rn. 333 ff.). Das gilt auch vor allem, wenn der Mandant freigesprochen ist, das Urteil aber noch nicht rechtskrftig wird. Mit seinen Antrgen muß der Verteidiger das Gericht zwingen, die Haftfragen eingehend zu beraten und nicht bloß schematisch zu entscheiden.

769

Wird der Haftbefehl aufgehoben, gibt es gelegentlich Schwierigkeiten bei der Entlassung aus der Haftanstalt. Der Angeklagte darf gegen seinen Willen nicht in die Anstalt zurckgebracht werden694. Andererseits empfiehlt sich eine ordnungsgemße Entlassung, schon damit der Mandant sein in der Haftanstalt verbliebenes Eigentum alsbald erhlt. Deshalb ist dem Auftraggeber im allgemeinen zu raten, sich nochmals freiwillig in die Vollzugsanstalt zu begeben und ihm zu diesem Zwecke die schriftliche Entlassungsanordnung des Richters (Nr. 17 UHaftVollzO) aushndigen zu lassen, falls der Mandant sich nicht von einem Beamten begleiten lassen will. In diesem Fall kann es auch angebracht sein, daß der Verteidiger den Mandanten zur Anstalt begleitet.

770

Falls nach Urteilsverkndung die vorlufige Entziehung der Fahrerlaubnis aufgehoben wird, hat der Verteidiger dafr zu sorgen, daß der Fhrerschein sofort ausgehndigt wird. r) Die „Nachsorge“ fr den Mandanten nach der Hauptverhandlung Mit dem mehr oder weniger gnstigen Abschluß der Hauptverhandlung ist die Arbeit des Verteidigers noch nicht beendet. Die Ergebnisse und Folgen des Verfahrens mssen dem Mandanten erklrt und mit ihm beraten werden. Darber hinaus muß der Verteidiger fr die Beseitigung negativer Relikte aus dem Verfahren sorgen und ggfs. die nchste Instanz vorbereiten. Es ist eine Erfahrung der Praxis, daß viele Mandanten in der sie besonders belastenden Situation der Urteilsverkndung den Urteilsausspruch, die Nebenentscheidungen, die Urteilsbegrndung und etwaige 693 OLG Frankfurt, NJW 1965, 1342; vgl. ferner Dahs, FS Dnnebier (1982), S. 227. 694 Merz, NJW 1961, 1852 gegen Kaiser, NJW 1967, 866.

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771

Rn. 772

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

Beschlsse nicht richtig und vollstndig erfassen und ihre Bedeutung nicht erkennen. Der Verteidiger wird daher in vielen Fllen gut daran tun, nach Abschluß der Hauptverhandlung dem Klienten die Entscheidungen des Gerichts in einer fr ihn verstndlichen Form zu verdeutlichen. 772

Fr den Mandanten von besonderer Bedeutung ist ein Beschluß ber die Strafaussetzung zur Bewhrung (§ 268a). Der Verteidiger sollte sich den Inhalt der Auflagen notieren. Oft bekommt sie der Mandant nicht genau mit. Erfahrungsgemß will er aber darber nach Schluß der Verhandlung zu allererst aufgeklrt werden. Das ist begreiflich, weil Art und Umfang der Auflagen in starkem Maße die Entschließung beeinflussen, ob ein Rechtsmittel eingelegt werden soll (Rn. 814). Hat das Gericht eine Geldstrafe verhngt, so ist die Frage eines Antrages auf Gewhrung von Ratenzahlungen (§ 42 StGB) zu erwgen. Dabei muß der Mandant ber die Voraussetzungen der Zahlungserleichterung, die Notwendigkeit eines Antrages und dessen Inhalt ebenso aufgeklrt werden, wie darber, daß dem Antrag zweckmßigerweise entsprechende Unterlagen ber Einknfte und Belastungen beigefgt werden.

773

Von besonderem Interesse fr den Mandanten ist auch die Frage nach der Eintragung im Bundeszentralregister, im polizeilichen Fhrungszeugnis, die Tilgungsfrist und die Mglichkeiten evtl. vorzeitiger Tilgung. Dabei ist daran zu denken, daß bei Erstverurteilungen Geldstrafen von nicht mehr als 90 Tagesstzen und Freiheitsstrafen von nicht mehr als drei Monaten nicht in das polizeiliche Fhrungszeugnis aufgenommen werden (§ 32 Abs. 2 Nr. 5 BZRG) und der Verurteilte sich insoweit auch als unbestraft bezeichnen darf (§ 53 Abs. 1 BZRG; Ausnahme: § 53 Abs. 2 BZRG). Die Erkenntnis, daß der Makel der Bestrafung weitgehend „geheim“ bleibt und er sich nicht als „vorbestraft“ bezeichnen muß, hat schon manchem die Last der Verurteilung erleichtert. Dagegen wird man die Hoffnungen auf eine vorzeitige Tilgung der Bestrafung im Zentralregister (§§ 49, 45, 46 BZRG) vielfach dmpfen mssen, weil von dieser Ausnahmeregelung in der Praxis nur selten Gebrauch gemacht wird.

774

Weiterhin ist zu beachten, daß in vielen Fllen fr die Justizbehrden Mitteilungspflichten bezglich der ergangenen Urteile bestehen, z. B. bei Angeklagten, die im ffentlichen Dienst stehen, Rechtsanwlten, Angehrigen bestimmter Berufe des Wirtschaftslebens, Angehrigen der Heilberufe, Studenten u. a. Die Einzelheiten sind in der Anordnung ber Mitteilungen in Strafsachen (MiStra) vom 29. 4. 1998695 geregelt. Jeder Vertei695 BAnz Nr. 99a, 128; abgedr. bei Meyer-Goßner, A 16.

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Der Verteidiger in der Hauptverhandlung

Rn. 777

diger sollte ber diese Materie informiert sein. Mit rechtzeitigen eigenen Aktionen bei den Stellen, die ohnehin von der Verurteilung unterrichtet werden, kann man manches abfangen. In Bußgeldsachen wnscht der Mandant Ausknfte ber die Eintragung in das Verkehrszentralregister. Bei Verurteilungen wegen Ordnungswidrigkeiten und Straftaten im Straßenverkehr spielt darber hinaus die Frage nach den „Strafpunkten“ eine große Rolle696. Ist gegen den Mandanten ein Fahrverbot (§ 44 StGB) verhngt worden, so muß er darber belehrt werden, daß er mit Rechtskraft des Urteils zwar einerseits nicht mehr im Besitz einer gltigen Fahrerlaubnis ist und somit kein Kraftfahrzeug mehr fhren darf, aber andererseits die im Urteil festgesetzte Verbotsfrist erst dann beginnt, wenn der Fhrerschein auf der Geschftsstelle des Gerichts hinterlegt ist.

775

Ist gegen den Mandanten auf Entziehung der Fahrerlaubnis erkannt worden, so muß ihm erlutert werden, daß die Sperrfrist (§ 69a StGB) erst mit Rechtskraft des Urteils in Lauf gesetzt wird. Wird hier das Rechtsmittel der Berufung in Erwgung gezogen, so darf der Hinweis nicht fehlen, daß die bis zur Berufungshauptverhandlung verstreichende Zeit grundstzlich nicht auf die Sperrfrist „angerechnet“ wird, wenn die Berufung erfolglos bleibt697. Der Mandant riskiert also mit einem Rechtsmittel eine faktische Verlngerung der Sperrfrist. Diese Gefahr muß er vor der Entscheidung ber die Einlegung der Berufung kennen. In diesem Zusammenhang ist auch an die Mglichkeit der vorzeitigen Aufhebung der Sperrfrist (§ 69a Abs. 7 StGB) zu denken. Eine solche kann evtl. durch die erfolgreiche Teilnahme an einem Nachschulungskurs fr Ersttter bei Alkoholdelikten im Straßenverkehr u. . (Rn. 412) erreicht werden.

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Ist das Urteil (relativ) gnstig ausgefallen, so muß der Verteidiger nach Ablauf der Rechtsmittelfrist Nachforschungen darber anstellen, ob die Staatsanwaltschaft oder die Nebenklage Berufung oder Revision eingelegt haben. Eine Mitteilung ber die Einlegung eines solchen Rechtsmittels von Amts wegen ist im Gesetz nicht vorgesehen: Der Rechtsmittelgegner muß erst dann unterrichtet werden, wenn das Rechtsmittel begrndet wird (§ 317). Es ist aber nicht angngig, den Mandanten ber Wochen oder Monate in der Ungewißheit zu lassen, ob das gegen ihn ergangene Urteil Rechtskraft erlangt hat. Fr den Verteidiger ist es oft mhevoll, eine zuverlssige Auskunft ber die Rechtskraft des Urteils oder ein Rechtsmittel

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696 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zu § 15b der Straßenverkehrs-ZulassungsOrdnung (Mehrfachtter-Punktsystem). 697 Vgl. Trndle/Fischer, § 69a StGB, Rn. 23 m. N.

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Rn. 778

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

zu erhalten, weil die Akten auf der Geschftsstelle nicht greifbar sind: Er muß diese Mhe aber im Interesse seines Klienten auf sich nehmen. Ist das Urteil rechtskrftig geworden, empfiehlt sich ein Antrag auf Erteilung einer Urteilsausfertigung. Zwar bestehen entsprechende Verwaltungsanordnungen, wonach das Urteil dem Betroffenen bersandt werden soll, jedoch werden sie in der Praxis nicht immer eingehalten. In der Regel wird das Informationsbedrfnis des Mandanten nach Abschluß der Hauptverhandlung zunchst durch ein mndliches Gesprch mit dem Verteidiger befriedigt werden knnen. Dieser sollte jedoch Verlauf und Ergebnis der Hauptverhandlung sowie die im Anschlußgesprch gegebenen Belehrungen und Hinweise zweckmßig in einem eingehenden Brief an den Mandanten festhalten. Nur durch eine solche Dokumentation ist sichergestellt, daß den Klienten die gegebenen Erklrungen und Hinweise auch dann noch prsent sind, wenn sie – mglicherweise erst Monate nach der Hauptverhandlung – aktuell werden. 778

Die dem Verteidiger obliegende Nachsorge hat auch bei Freispruch des Mandanten ihre Bedeutung. So ist bei spektakulren Verfahren, die das Interesse der Medien gefunden haben, geboten zu prfen, ob berhaupt und zutreffend ber den Freispruch des Mandanten und die Begrndung berichtet wird. Es kommt nicht selten vor, daß insoweit Interventionen erforderlich sind. Haben die Medien mit Tendenz gegen den Angeklagten berichtet, so ist zuweilen das Bestreben erkennbar, aus der Begrndung des Urteils noch einen „Nachschlag“ gegen den Mandanten herauszuholen, wobei auffallend hufig „Mißverstndnisse“ der richterlichen Urteilsbegrndung auftreten. Hat der Verteidiger Anlaß zu Befrchtungen in dieser Richtung, kann es geboten sein, daß er nach Abschluß der Hauptverhandlung Kontakt mit den anwesenden Medienvertretern aufnimmt und bei ihnen zum richtigen Verstndnis der Urteilsgrnde und ihrer Schwerpunkte beitrgt. Auch kommt in Betracht, daß der Verteidiger eine Erklrung durch die Pressestelle des Gerichts anstrebt, notfalls ber den Klienten oder selbst eine Presseerklrung abgibt. Dabei sollte er vermeiden, sich als „Sieger“ im Verfahren unangemessen herauszustellen. Der Verteidiger wird weiterhin prfen mssen, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Lschung oder Sperrung (Vermerk ber den rechtskrftigen Freispruch) in polizeilichen Dateien zu erreichen ist (§§ 489 ff.), zumindest nach Ablauf einer gewissen Zeit (§ 489 Abs. 4). Dieses Unterfangen ist schwierig und oft nicht erfolgreich, weil die gesetzlichen Voraussetzungen sehr eng sind (§ 489 Abs. 2, 7). Sind erkennungsdienstliche Maßnahmen gegen den Mandanten durchgefhrt worden, muß der Verteidiger nach dem Urteil die Aussichten eines 516

Verwirkung von Verteidigungsrechten

Rn. 779

Antrages auf Entfernung aus den polizeilichen Sammlungen und Vernichtung prfen (Rn. 402)698. Weiterhin ist ggfs. ein Antrag auf Herausgabe beschlagnahmter Gegenstnde zu stellen (Rn. 394) und schließlich ist der Anspruch auf Entschdigung fr Strafverfolgungsmaßnahmen zu erwgen und ggfs. geltend zu machen (Rn. 366 ff., 372). 3. Verwirkung von Verteidigungsrechten Basdorf, Formelle und informelle Prklusion im Strafverfahren, StV 1997, 488; Burhoff, Verteidigerfehler in der Tatsachen- und Revisionsinstanz, StV 1997, 432; Dahs, Zur Ausweitung des Widerspruchserfordernisses, StraFo 1998, 253; Dahs/ Dahs, Rn. 376 ff.; Ebert, Pflicht zur Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO auch gegenber Anordnungen des Strafrichters?, NStZ 1997, 565; Fezer, StV 1997, 57, Anm. zu BGH, StV 1996, 360; Fuhrmann, Verwirkung des Rgerechts bei nicht beanstandeten Verfahrensverletzungen des Vorsitzenden (§ 238 Abs. 2), NJW 1963, 1230; Grner, ber den Mißbrauch von Mitwirkungsrechten und die Mitwirkungspflichten des Verteidigers im Strafprozeß, 2000; Hamm, Staatliche Hilfe bei der Suche nach Verteidigern – Verteidigerhilfe zur Begrndung von Verwertungsverboten, NJW 1996, 2185, 2186; Kindhuser, Rgeprklusion durch Schweigen im Strafverfahren, NStZ 1987, 529; Maul/Eschelbach, Zur „Widerspruchslsung“ von Beweisverwertungsproblemen in der Rechtsprechung, StraFo 1996, 66; MeyerGoßner/Appl, Die Ausweitung des Widerspruchserfordernisses, StraFo 1998, 258; W. Schmid, Die Verwirkung von Verfahrensrgen im Strafprozeß, 1967; W. Schmid, Zur Heilung gerichtlicher Verfahrensfehler durch den Instanzrichter, JZ 1969, 757; Ventzke, Anm. zu BGH, StV 1999, 189 – StV 1999, 190; Widmaier, Mitwirkungspflicht des Verteidigers in der Hauptverhandlung und Rgeverlust, NStZ 1992, 519.

a) Rge von Prozeßverstßen Unter dieser berschrift werden Vorgnge aus der Hauptverhandlung und aus vorherigen Verfahrensabschnitten zusammengefaßt, die durch Unkenntnis, Erfahrungsmangel und Unaufmerksamkeit der Verteidigung hufig zum Verderben gereichen. An sich hat die bisherige Darstellung schon allenthalben gezeigt, welche Fallstricke und Fußangeln im Verfahren die Verteidigung bedrohen. Die Strafprozeßordnung gilt zwar als Magna Charta libertatum des Angeklagten. Die mit ihr zur Verfgung gestellten Mittel der Verteidigung wollen aber erkannt und genutzt sein. Nur der Verteidiger, der mit ihr umzugehen weiß und aufpaßt, ist erfolgreich. Vigilantibus iura sunt scripta. Die besonders in der Hauptverhandlung verpaßten Gelegenheiten sind Legion. Mit Recht hat Sarstedt wiederholt darauf hingewiesen, wie wenig angebracht die Versuche der Ver698 Meyer-Goßner, § 81b Rn. 18, 23.

517

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Rn. 780

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

teidiger sind, in der Revisionsverhandlung Fehler wieder auszubgeln, die in der Hauptverhandlung vor dem Tatrichter gemacht worden sind. Verteidiger, die dort ihren Auftritt verpassen, finden wenig Gehr, wenn sie mit der Revision den Richtern vorwerfen, „offensichtliche“ Verfahrensverstße begangen, „sich aufdrngende“ Beweise nicht erhoben oder sonst grobe Fehler gemacht zu haben. Ihnen wird mit Recht entgegengehalten, warum sie bei derartig offenkundigen Verfahrensfehlern selbst geschwiegen und damit ihr Recht vertan haben. Sptere Aufklrungsrgen mit der Behauptung, dem Gericht habe sich die Notwendigkeit weiterer Beweiserhebung aufdrngen mssen, begegnen dem Vorbehalt, warum bei solcher Offensichtlichkeit der Verteidiger den entsprechenden Beweisantrag nicht gestellt habe. Freilich kann darauf entgegnet werden, daß § 244 Abs. 2 vom Gericht eine umfassende Aufklrung des Sachverhalts fordert, whrend der Verteidiger seine Schutzaufgabe schon dann als erfllt ansehen kann, wenn nach seiner objektivierten Beurteilung die Grenze des „non liquet“ erreicht ist. Aber selbst wenn eine unterlassene Aufklrung allen beteiligten Rechtspflegeorganen gemeinsam zur Last fllt, sollte dies nicht allein der Angeklagte entgelten mssen. Hufig gehen Verfahrensrechte dem Verteidiger auch dadurch verloren, daß er nicht fr Protokollierung des Prozeßvorganges gesorgt oder die Fhrung des Freibeweises auf andere Weise sichergestellt hat (Rn. 803, 806). 780

Zur Materie gehren aber auch die umgekehrten Flle, in denen die Verteidiger infolge scharfer Wachsamkeit zwar Verfahrensfehler bemerkt, aber nicht ausgewertet haben. Das geschieht oft genug mit der ausgesprochenen Absicht, den vorgekommenen Fehler fr Revisionszwecke zu konservieren. Dieses Verschweigen fhrt zu der Frage, ob der sich so verhaltende Verteidiger damit nicht das Rgerecht verwirkt hat. Das kommt besonders oft vor, wenn Verteidiger Frage- oder Erklrungsrechte nicht ausben699 oder Beschluß- und Beweisantrge unterlassen.

781

Der Abschnitt „Verwirkung von Verteidigungsrechten“ betrifft hiernach ersichtlich wesentliche Teile der Materie, die unter C III 1. „Vorbereitung der Hauptverhandlung“ und C III 2 „Der Verteidiger in der Hauptverhandlung“ (Rn. 495 ff.) behandelt ist. Insoweit handelt es sich hier um eine wiederholende Zusammenfassung unter dem besonderen Gesichtspunkt des Rechtsverlustes durch Verwirkung. Der Abschnitt ist andererseits ein Vorgriff auf das Kapitel „Der Verteidiger im Revisionsverfahren“ (Rn. 881 ff.), weil im Revisionsverfahren die in der Vorinstanz begangenen Verfahrensfehler sowohl des Gerichts wie der Verteidigung beurteilt werden. 699 BGHSt. 38, 214.

518

Verwirkung von Verteidigungsrechten

Rn. 784

b) Verlust des Rgerechts Zu den Verteidigungsrechten, die der Verteidiger durch sein Versagen verlieren kann, zhlt in erster Linie die Beanstandung von Prozeßverstßen in der Hauptverhandlung. Die Verwirkung von Verfahrensrgen kann hier in dreifacher Weise passieren:

782

aa) Verlust des Rgerechts durch Rgeverzicht Dieser Fall ist der hufigste. Der Verzicht kann vor der Prozeßhandlung erklrt werden. Wenn das geschehen ist, kommt ein rgbarer Verfahrensfehler berhaupt nicht zur Entstehung. Er kann auch nach der Prozeßhandlung erklrt werden. In diesem Fall wird der Verfahrensverstoß geheilt. Solche Verzichte knnen fr die Verteidiger sehr gefhrlich sein. Allerdings gilt dies nur fr verzichtbare Prozeßvorschriften, z. B. Einhaltung der Ladungsfrist (§ 217 Abs. 3), Nachtragsklage (§ 266 Abs. 1), Urkundenverlesung (§ 251 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 3), Einverstndnis mit Rcknahme eines Rechtsmittels (§ 303), andere Fristen u. a. Die Verwirkung prozessualer Mglichkeiten der Verteidigung betrifft auch das Erklrungsrecht (§ 257), insbesondere den Widerspruch bei Verwertungsverboten (Rn. 523), unterlassene Beweisantrge und anderes. Bei den unverzichtbaren Prozeßvorschriften freilich kann die Erklrung des Verteidigers nicht viel schaden (z. B. mangelnde Prozeßvoraussetzung, ffentlichkeit des Verfahrens, stndige Anwesenheit des Angeklagten, Vereidigungsverbot fr Zeugen [§ 60], 3-Wochen-Frist [§ 229] u. a.). Die nicht verwirkte Rge kann aber auch nachtrglich dadurch untergehen, daß sie in der Revisionsbegrndung nicht rechtzeitig und formgerecht erhoben wird (§ 344 Abs. 2 S. 2; Rn. 901).

783

Anderseits muß der Verteidiger beachten, daß ein Verzicht nicht immer ausdrcklich erklrt oder gar protokolliert sein muß. Er kann auch stillschweigend erklrt werden und damit den Rechtsverlust als Folge mangelnder Wachsamkeit des Verteidigers herbeifhren. Das gilt insbesondere auch fr den nachtrglichen Verzicht. Hier liegt der Hauptbereich der Rgeverwirkung durch Versagen des Verteidigers. Im schnellen Ablauf der Hauptverhandlung, besonders unter einem zgig verhandelnden Vorsitzenden, wird die Prozeßordnung in der Praxis oft genug geschunden. Die dazu schweigenden Verteidiger werden berrollt. Ob allerdings im Einzelfall ein Stillschweigen des Verteidigers tatschlich als ein konkludent erklrter Rgeverzicht auszulegen ist, kann eine schwierige Tatoder Rechtsfrage sein (ber grobe Verteidigungsfehler als Revisionsgrund z. B. Rn. 785, 932).

784

519

Rn. 785

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

bb) Unterlassene Anrufung des Gerichts 785

Die Anrufung des Gerichts steht dem Verteidiger zu, wenn er Verfahrensfehler des Vorsitzenden beanstanden will. Hier ist nicht nur schnelle Reaktion, sondern oft auch entschlossene Angriffsbereitschaft geboten. Im Gesetz wird der Verteidiger allerdings vergeblich eine Vorschrift suchen, die dem Prozeßverstoß des Vorsitzenden zur Heilung dadurch verhilft, daß ein Antrag auf Gerichtsbeschluß (nach §§ 238 Abs. 2, 240 Abs. 2; Rn. 534 ff.) unterbleibt. Das gilt z. B. in der Praxis vornehmlich bei Maßnahmen der Verfahrensleitung (Rn. 533) und der Vereidigung von Zeugen700. Der Vorsitzende entscheidet darber regelmßig allein ohne Befragung seiner Beisitzer. Das gilt als gesetzmßig, obwohl die Entscheidung ber die Beeidigung nach dem Gesetz dem Gericht obliegt. Wenn aber die Anrufung des Gerichts durch den Verteidiger versumt wird und kein Mitglied des Gerichts widerspricht, gilt die Anordnung des Vorsitzenden als Gerichtsbeschluß. Dieses Verfahren gefhrdet die Prozeßlage des Angeklagten betrchtlich. Es geht dabei auch um das Verhltnis zu § 338 Nr. 8, der die Beschrnkung der Verteidigung nur im Falle eines Gerichtsbeschlusses als Revisionsgrund gelten lßt (Rn. 938).

786

Diese Vorschrift soll indessen nur Flle betreffen, die zugleich die Verletzung einer speziellen Vorschrift zum Schutze des Angeklagten darstellen701. Hiernach knnen mindestens Verstße gegen zwingende Verfahrensvorschriften immer gergt werden, z. B. die versptete Absetzung eines Urteils (§ 338 Nr. 7). Es bleiben aber gengend Flle eines mglichen Rgeverlustes durch Nichterwirkung eines Gerichtsbeschlusses (Rn. 938).

787

Einen Gerichtsbeschluß kann der Verteidiger insbesondere verlangen, wenn es sich um sein Fragerecht handelt. Wenn er durch den Vorsitzenden darin eingeschrnkt wird oder sonst Streit ber die Ausbung von Fragerechten und ußerungsrechten entsteht, kann und sollte der Verteidiger sich nicht scheuen, immer wieder das Gericht zur Beschlußfassung anzurufen (Rn. 534; §§ 240, 242) und fr die Protokollierung der Entscheidungen zu sorgen (Rn. 803 ff.). Er erffnet damit zugleich den Tatsachen den sonst verschlossenen Zugang zum Revisionsgericht. So konnte in einem Falle702 der Verteidiger ber den Weg der Verfahrensrgen den Sachverhalt weitgehend zur Verhandlung in der Revisionsinstanz bringen, nachdem er in der Hauptverhandlung zahlreiche Fragen gestellt und nach Ablehnung durch den Vorsitzenden jeweils Gerichtsbeschlsse herbeigefhrt hatte. 700 Das gilt auch fr § 59 n. F. BGH, StV 2005, 200 m. Anm. Schlothauer. 701 BGHSt. 30, 131, 137; BGH, NStZ 1981, 361; Meyer-Goßner, § 338 Rn. 59. 702 BGHSt. 2, 284.

520

Verwirkung von Verteidigungsrechten

Rn. 791

Generell gilt die Empfehlung, bei Meinungsverschiedenheiten ber Prozeßvorgnge einen Gerichtsbeschluß herbeizufhren. Damit geht nichts verloren, jedoch kann sehr viel gewonnen werden.

788

cc) berholung durch Prozeßablauf, Prklusionen Außer den vorgenannten Fllen bewirkt auch der bloße Fortgang des Verfahrens, daß manche Verfahrensverstße von selbst auf der Strecke bleiben, wenn der Verteidiger nicht rechtzeitig aktiv wird. Prototyp solcher Flle sind die Prklusionsvorschriften, die einen Rechtsverlust generell herbeifhren, ohne daß es der Annahme eines Rgeverzichts berhaupt bedarf. Sie betreffen die Besetzungs- und Unzustndigkeitsrge (Rn. 456 und Rn. 457) sowie die Richterablehnung (Rn. 460).

789

In diesen Bereich gehrt auch die Ausweitung des Widerspruchserfordernisses, das der BGH fr die Geltendmachung von Verwertungsverboten, z. B. wegen Verstßen gegen §§ 136 Abs. 1 S. 2, 163a Abs. 4 S. 2, 168c Abs. 5 statuiert hat703. Danach muß der Widerspruch gegen die Verwertung des rechtswidrigen Ermittlungs- bzw. Beweisergebnisses sptestens zu dem durch § 257 bestimmten Zeitpunkt erfolgen704. Der Verteidiger muß den Widerspruch nicht nur klar und eindeutig auf bestimmte Beweismittel bzw. Beweisergebnisse anbringen, sondern auch dafr Sorge tragen, daß er als wesentliche Frmlichkeit des Verfahrens nach § 273 protokolliert wird. Die schriftliche Geltendmachung des Widerspruchs mit Begrndung ist zu empfehlen. Verpaßt der Verteidiger den Zeitpunkt des § 257, bezogen auf die Erhebung des nach seiner Auffassung nicht verwertbaren Beweises, etwa um zunchst weitere Beweisschritte abzuwarten, so ist eine hufig verfahrensentscheidende Chance unwiederbringlich dahin.

790

Auch der Beginn der Hauptverhandlung kann zur berholung von Rechtsfehlern fhren, die im Vorbereitungsstadium vorgekommen sind. Diese knnen die Hauptverhandlung verhngnisvoll beeinflussen (z. B. bei Ladungsverstßen, Entscheidungen ber Bestellung eines Verteidigers, Akteneinsicht, Benennung der Gerichtspersonen – § 24 –, Unterlassung von Beweishandlungen, besonders nach Beweisantrgen und Fehlern bei Beweiserhebungen). Ob diese Fehler noch in die Hauptverhandlung hineinwirken und das Urteil beeinflussen und damit auch die Revision begrnden knnen, muß der Verteidiger von Fall zu Fall berwachen. Vor der

791

703 BGHSt. 42, 15; BGHSt. 39, 349; BGHSt. 38, 214. 704 Vgl. dazu Dahs, StraFo 1998, 253; Meyer-Goßner/Appl, StraFo 1998, 258, jeweils m. zahlr. N. sowie das vor Rn. 523 angef. Schrifttum.

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Rn. 792

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

Hauptverhandlung abgelehnte Beweisantrge muß der Verteidiger nach stndiger Rechtsprechung in der Hauptverhandlung wiederholen (Rn. 468, 519). Er darf sich auch nicht darauf verlassen, daß das Gericht auf bislang bergangene Antrge in der Hauptverhandlung von sich aus zurckkommt. Das muß er selbst tun, andernfalls er sein Recht verwirkt. 792

Eine klassische berholung des Prozeßverstoßes stellt auch der bergang des Verfahrens in die nchste Instanz dar. So hat es keinen Sinn, mit der Revision gegen ein Strafkammerurteil zweiter Instanz Prozeßfehler des Amtsrichters in erster Instanz (etwa Verletzung der ffentlichkeitsvorschriften oder die unzulssige Vereidigung eines Zeugen) zu rgen. Denn die Hauptverhandlung ist ja – wenn sie ohne Einschrnkung durchgefhrt worden ist – in der Berufungsinstanz in toto erneuert worden.

793

Auch der Anspruch auf Aussetzung der Hauptverhandlung nach § 265 Abs. 3 und 4 (Rn. 697 f.) geht unwiederbringlich verloren, wenn kein entsprechender Antrag gestellt und kein Gerichtsbeschluß herbeigefhrt worden ist. Die Rge der unzulssigen Beschrnkung der Verteidigung (§ 338 Nr. 8 i. V. m. § 265 Abs. 3 oder 4) ist dann ohne Grundlage705. dd) Verpaßte Gelegenheiten

794

Gewisse spezielle Waffen der Verteidigung mssen im richtigen Augenblick eingesetzt werden. So kann der Verteidiger die Aussetzung in den dafr vorgesehenen Fllen (Rn. 442, 451, 688, 698, 700, 760) praktisch erzwingen oder sich bei Ablehnung damit einen Revisionsgrund sichern, z. B. bei versagter oder verspteter Gewhrung der Akteneinsicht, ungengender Zeit zur Vorbereitung oder bei Terminkollisionen in Fllen, in denen er sich nicht anders durchsetzen kann. Sonst ist die Gelegenheit unwiderbringlich dahin.

795

Auch – jedenfalls in den Fllen der notwendigen Verteidigung – hat er ein weiteres wirksames Mittel in der Hand, indem er die Niederlegung der Verteidigung androhen oder erklren kann (Rn. 161 ff.). Damit bringt er jede Hauptverhandlung zu Ende.

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Wenn eine Verhandlung so turbulent wird, daß der Vorsitzende ihn nicht mehr zu Wort kommen lßt oder er die Protokollierung seiner Antrge und Proteste nicht mehr zu erzwingen vermag, kann er durch Verlassen des Sitzungssaales die Hauptverhandlung sprengen. Das kann z. B. bei prozeßwidriger Beschneidung des letzten Wortes als letzter Ausweg not-

705 Dazu BGH, NStZ 1998, 530.

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Verwirkung von Verteidigungsrechten

Rn. 799

wendig werden. Diese Maßnahme ist aber nur als ultima ratio zulssig, wenn sie eine Reaktion auf eine rechtswidrige oder in ihrer Zulssigkeit rechtlich umstrittene Maßnahme ist, durch die der Vorsitzende in die Rechte des Angeklagten oder der Verteidigung massiv eingreift. Die schuldhafte Verkennung der Rechtslage geht dabei zu Lasten des Verteidigers706, was bei Auferlegung der Kosten der Verhandlung nach § 145 Abs. 4 u. U. sehr teuer werden kann. Niederlegung der Verteidigung oder Ausbleiben in der Hauptverhandlung knnen auch unvermeidbar werden, wenn ein Vorsitzender sich Terminschwierigkeiten eines Verteidigers einsichtslos verschließt, der ohne Verschulden in eine unlsbare Terminkollision geraten ist und dies in angemessener Form rechtzeitig vorgetragen hat (Rn. 505).

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Eine Fundgrube fr exemplarische Beispiele des Rgeverlustes durch Fehler des Verteidigers ist nach wie vor das einschlgige Werk von W. Schmid; im brigen muß auf die Kommentarliteratur verwiesen werden707.

798

ee) Arglistiges Verhalten Der Rgeverlust durch arglistiges Verhalten708 betrifft einen Bereich, in dem der Verteidiger ganz besonders angesprochen ist. Innerhalb der extremen Meinungen knnen hier einige Grundstze als unbestritten gelten. Bei verzichtbaren Verfahrensmngeln ist man im Ergebnis darber einig, daß die Rge verwirkt ist, wenn der Beschwerdefhrer (Verteidiger) den Mangel selbst herbeifhrt, verdeckt oder vorstzlich nicht unverzglich beanstandet hat. Bei unverzichtbaren Verfahrensvorschriften bestehen erhebliche Meinungsverschiedenheiten, denen der Verteidiger im Einzelfall nachgehen muß. Der Bundesgerichtshof lehnt bisher (wie das Reichsgericht) den Verlust des Rgerechts als Folge illoyalen Prozeßverhaltens ab709; indes deutet sich in neuerer Zeit eine „Aufweichung“ dieser Rechtsprechung an710. Oberlandesgerichte (letzte Instanz in Amtsgerichtssachen!) haben in der Vergangenheit gelegentlich einen Rgeverlust bei arglistiger Aktivitt angenommen711. Auch der BGH hat schon frher zu 706 707 708 709

Vgl. BGH, StV 1981, 133; KG, JR 1981, 86; OLG Koblenz, NStZ 1982, 43. Vgl. i. . Meyer-Goßner, Einleitung Rn. 111 u. § 337 Rn. 47. Zur Arglist des Verteidigers BRAK-Schriftenreihe, Bd. 8, These 37 (S. 67). BGHSt. 24, 280, 283; BGHSt. 22, 83; BGHSt. 15, 306; Schlchter, GS Meyer (1990), S. 457. 710 BGH, StV 2001, 101 m. Anm. Ventzke; NStZ 2002, 270 (Rn. 11) m. Anm. Fezer = StV 2002, 525 m. Anm. Ventzke. 711 Vgl. Dahs/Dahs, Rz. 384 m. N.; Weber, GA 1975, 302 f.

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799

Rn. 800

Der Verteidiger im Hauptverfahren des 1. Rechtszuges

einer Revisionsrge doppelsinnig ausgefhrt, der Senat „gehe nicht davon aus“, daß mehrere Rechtsanwlte es in der Hauptverhandlung (bewußt) unterlassen htten, die trunkenheitsbedingte Verhandlungsunfhigkeit des Angeklagten hervorzuheben, um dies erst in der Revisionsinstanz „nachzuholen“712. In der Tendenz drfte die Rechtsprechung dazu neigen, mehr als frher gravierende Illoyalitten von Verteidigern zu sanktionieren. 800

Bei den verzichtbaren Verfahrensmngeln geht die Rge insbesondere dann verloren, wenn der Verteidiger in der Vorfreude auf knftige Urteilsvernichtung den Verfahrensfehler ohne Beanstandung geschehen und bestehen lßt. Ein solcher Verteidiger will der Justiz ein „Schnippchen schlagen“. Manche Verteidiger tragen sogar in der Revisionsbegrndung mit ebensoviel Dummheit wie Stolz ihre Notizen aus der Hauptverhandlung vor, mit denen sie den von ihnen bemerkten, aber absichtlich nicht gergten Verfahrensverstoß besonders festgehalten haben (z. B. das Fehlen des notwendigen Einverstndnisses zur Verlesung einer Urkunde). Anderseits hat der Verteidiger nicht die Aufgabe einer Verfahrenskontrolle des Gerichts, so daß bloße Unaufmerksamkeit des Verteidigers seine sptere Rge nicht ausschließt.

801

Arglist kann auch eine Rolle spielen bei einem – allerdings nur selten in Betracht kommenden – Gentlemen-Agreement zwischen Verteidiger und Gericht (Staatsanwaltschaft). Der Verteidiger erklrt ausdrcklich oder stillschweigend dem Vorsitzenden, der den Verfahrensfehler kennt und ihn ohne weiteres noch vermeiden oder heilen knnte, ihn nicht rgen zu wollen (z. B. wenn ein Ausschluß des Angeklagten [§ 247] oder der ffentlichkeit [§§ 171a ff. GVG] „zu lange“ gedauert hat713 oder wenn contra legem polizeiliche Vernehmungsprotokolle oder sogar nicht verlesene Schriftstcke verwertet werden sollen). Hier verlßt sich das Gericht auf das Agreement und auf den Verteidiger als Ehrenmann. Erhebt der Verteidiger treuwidrig die Verfahrensrge, so mag er damit prozessualen Erfolg haben, durch sein doppelzngig-arglistiges Verhalten hat er sich aber grndlich disqualifiziert. Solche Vorgnge finden auf geheimnisvollen Wegen „in Justizkreisen“ weiteste Verbreitung.

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In allen hier behandelten Fllen des treuwidrigen Verhaltens hat der Verteidiger die Mglichkeit eines „moralischen Alibis“. Er knnte die Verteidigung niederlegen und seinen Nachfolger ber den arglistig gesicherten Verfahrensfehler instruieren, der ihn dann „guten Gewissens“ geltend zu

712 BGH, Urt. v. 10. 7. 1973 – 5 StR 189/73 – unv. 713 Dahs/Dahs, Rn. 186.

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Rn. 804

machen htte. Eine solche Umgehung des Konfliktes macht aber den fatalen Eindruck eines perfiden Winkelzuges und kann als solcher ebenfalls standeswidrig sein. Andererseits kann ein materiell ungerechtes Urteil vielleicht nur auf solche Weise angreifbar sein. Der Verteidiger kann sich dann verpflichtet fhlen, den unschuldig verurteilten Mandanten ber den einzigen Weg der Rettung aufzuklren, den dieser dann durch Wechsel des Verteidigers beschreiten wird – ein schwerer Entschluß (Rn. 920)!

c) Ratschlge fr prozeßgerechtes Verhalten aa) Fixierung der Prozeßvorgnge Detter, Die Beweiskraft des Protokolls und die Wahrheitspflicht der Verfahrensbeteiligten, StraFo 2004, 329; Fezer, Anm. zu BGH, NStZ 2002, 270, 272.

Die grßte Wachsamkeit gegenber Prozeßverstßen ntzt nichts, wenn der Verteidiger sie spter nicht beweisen kann. Davon ist ggfs. der Erfolg der Revisionsinstanz abhngig. Er muß sich deshalb die Beweise sichern. Das zuverlssigste Beweismittel ist das Sitzungsprotokoll. Daneben ist der sog. Freibeweis (Rn. 915) zulssig. Das Sitzungsprotokoll hat absolute Beweiskraft nur fr die vorgeschriebenen Frmlichkeiten der Hauptverhandlung (§ 274). Diese mssen von Amts wegen in das Protokoll aufgenommen werden. Das bestimmt § 273 in seinem Absatz 1. Viel mehr dient den Zwecken der Verteidigung der Absatz 3. Hiernach hat der Vorsitzende, wenn es auf die „Feststellung eines Vorgangs in der Hauptverhandlung ankommt“, (von Amts wegen oder) auf Antrag die vollstndige Niederschreibung und Verlesung anzuordnen. Auch die Einwendungen des Verteidigers sind zu protokollieren. Gegen Entscheidungen des Vorsitzenden kann der Verteidiger einen Gerichtsbeschluß herbeifhren.

803

Auf die außerordentliche Bedeutung der Protokollvorschriften ist schon unter Rn. 702 ff. „Sitzungsniederschrift und Tonbandprotokoll“ hingewiesen. Auf diese Darstellung wird hier Bezug genommen. Auch soweit das Protokoll keine absolute Beweiskraft besitzt, wird es zum Beweis von Vorgngen in der Hauptverhandlung im allgemeinen gengen. Das betrifft Verstße, Belehrungen, Hinweise, Vereidigung oder Nichtvereidigung, Beanstandungen, Widersprche, Beweisantrge, Beschrnkungen im Schlußwort, Zusammenstße zwischen Prozeßbeteiligten, ußerungen eines befangenen Richters, Ohnmachtsanflle des Angeklagten und anderes. Der Verteidiger kann bei Widerstand des Vorsitzenden das Gericht immer wieder zur Beschlußfassung in das Beratungszimmer 525

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Rn. 805

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„schicken“, bis er sich durchsetzt. Damit kommt die Verhandlungsfhrung jedenfalls teilweise unter die Kontrolle und Lenkung des Verteidigers. 805

Der Verteidiger muß auch die Vorschrift des § 183 GVG zu nutzen wissen. Hiernach mssen in der Hauptverhandlung begangene strafbare Handlungen protokolliert werden. Dafr kommen Falschaussage, (versuchte) Ntigung und auch Beleidigungen in Betracht.

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Setzt der Verteidiger die Protokollierung trotz seines Einsatzes auch durch Gerichtsbeschluß nicht durch, ist er in der Revisionsinstanz auf den Freibeweis angewiesen (Rn. 915). Das bedeutet die Feststellung von Prozeßvorgngen nach freier richterlicher berzeugung der Revisionsrichter, die auf alle denkbaren Erkenntnisquellen gesttzt sein kann, insbesondere auf die dienstlichen ußerungen der Prozeßbeteiligten, auch des Verteidigers714. Diese Prozeßsituation fhrt zu der recht kritischen Frage, ob bei Ablehnung der Protokollierung der beanstandeten Vorkommnisse durch den Vorsitzenden der Verteidiger durch eine Erklrung oder im Pldoyer einen Appell insbesondere an die richterlichen Beisitzer und den Staatsanwalt richten sollte, die Geschehnisse im Gedchtnis oder durch eine Notiz festzuhalten, damit der sptere Beweis fr die Revisionsinstanz gesichert werde. Ein solches Vorgehen ist dem Verteidiger ggfs. durchaus zu empfehlen. Der Einsatz des Verteidigers ist hier besonders wichtig, weil in diesem Bereich Verfahrensfehler nur bercksichtigt werden, wenn sie voll bewiesen sind. Ein non-liquet macht die Rge unwirksam715. Hier ist wichtig zu wissen, daß die Mittel des Freibeweises gegenber der absoluten Beweiskraft des Sitzungsprotokolls gemß § 273 keine Bedeutung haben. Weder kann der Verteidiger gegen die positive und negative Beweiskraft des Protokolls einen Gegenbeweis antreten (außer dem Nachweis der Flschung), noch knnen etwa die dienstlichen ußerungen der Richter das Sitzungsprotokoll hinsichtlich der wesentlichen Frmlichkeiten entkrften. Weist z. B. das Protokoll nicht die ffentlichkeit der Hauptverhandlung aus, so ntzen die glaubwrdigsten Gegenerklrungen der Prozeßbeteiligten nichts. Das wird auch von Richtern und Staatsanwlten immer wieder verkannt, wie die Erfahrungen der Revisionsinstanz ausweisen.

714 Dahs/Dahs, Rn. 492. 715 BGHSt. 21, 4, 10; Schmid, GA 1962, 353.

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Rn. 808

bb) Opportunittsfragen Bei aller Notwendigkeit, keine Gelegenheit zu verpassen und sich die Beweise zu sichern, muß der Verteidiger natrlich auch berlegen, inwieweit forsches Vorgehen opportun ist. Allzu „scharfe“ oder stndig den Konflikt suchende Verteidiger knnen zum Schrecken der Gerichte werden und ihren Mandanten durch ihre selbst herbeigefhrte Unbeliebtheit schaden. Wo Verstimmungen des Gerichts ohne Nachteil fr die Sache vermeidbar sind, sollte man sich zurckhalten, auch wenn Fehler gemacht werden. Ein durch den Prozeßsport des Verteidigers verrgertes Gericht ist fr die Sache des Mandanten nicht vorteilhaft. Der favor judicis (Rn. 192) wird verspielt. Da ist z. B. der – vorgekommene – Fall, daß ein Verteidiger gleich zu Beginn der Vernehmung des Angeklagten auf den Vorhalt des Vorsitzenden: „Bei der Polizei haben Sie aber etwas anderes gesagt“, mit der provokanten Frage eingreift: „Herr Vorsitzender, woher wissen Sie das?“. Soweit er damit in sachlicher Weise darauf hinweisen will, daß der Angeklagte die Richtigkeit des polizeilichen Protokolls bestreiten will, mag die ußerung angehen. Wenn er damit aber dem Vorsitzenden nur abstrakt vorhalten will, das Protokoll sei niemals ein Beweis fr eine tatschliche Aussage, zieht er sich mit Recht den Unwillen des Gerichts zu. Dies alles gilt natrlich erst recht in Fllen der sog. „Chaos“- oder „Konfliktverteidigung“, die sich zum Ziel setzt, das Gericht „sturmreif zu schießen“ (Rn. 36, 71, 198, 444, 695)716.

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Nicht anders ist es bei Verteidigern, die bei jeder Gelegenheit mit dem Schlachtruf „prozessualer Protest!“ in die Verhandlung einfallen, wie es manche tun. Die Richter ziehen sich vor solchen Verteidigern zurck. Man geht nicht gern mit ihnen um. Lieber umgeht man sie. Man umgeht auch ihre Argumente und weicht auf leichteres Gelnde aus – meist nicht zum Nutzen der Verteidigung. Der Verteidiger bringt sich damit um die vielen Vorteile reibungsfreier Zusammenarbeit, besonders auch um die vertraulichen Aus- und Absprachen vor und whrend der Hauptverhandlung, in denen manche Richter sehr aus sich herausgehen. Sie geben ihre Ansicht ber die Sache vorher bekannt, errtern Fragen der Strafzumessung und -aussetzung, sogar ihre Meinung ber Freispruch oder Teilfreispruch und anderes. Damit wird hufig die Chance einer Absprache zugunsten des Mandanten erffnet (Rn. 496). Das ist fr die Verteidigung viel wichtiger als prozessuale Luftgefechte. Besonders in berufungsfhigen Sachen sollte man sich mit dem Gericht wegen prozessualer Fehler nicht „anlegen“. Sie sind fr die zweite Instanz ohnehin bedeutungslos.

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716 Dazu Dahs, FS Odersky (1996), S. 317 ff.

527

Rn. 809 809

Der Verteidiger im Rechtsmittelverfahren

Besonders nach lngerer Dienstzeit beinahe „gotthnlich“ sich fhlenden Amtsrichteroriginalen sollte man ihre „eigene Prozeßordnung“ nicht abgewhnen wollen („Das machen wir hier immer so“). Man erreicht vielmehr, wenn man sich anpaßt und mit ihnen gemeinsam „kleine Brtchen backt“. So mußte es schließlich aufgegeben werden, gegen die Gewohnheit eines drflichen Amtsrichters zu opponieren, der jede Hauptverhandlung groteskerweise mit der Aufforderung an den Staatsanwalt begann, den Schlußbericht der Polizei vorzulesen, um die „Beteiligten in den Prozeßstoff einzufhren“ (!). Der Richter war trotz allem nicht der schlechteste. Die vorstehenden Erwgungen und Erfahrungen sind die gleichen, die den Verteidiger auch bestimmen sollten, im Bereich des materiellen Rechts, besonders im Pldoyer, die Richter der unteren Instanz nicht mit Rechtsausfhrungen zuzudecken (Rn. 734).

IV. Der Verteidiger im Rechtsmittelverfahren 1. Allgemeines Funck, Welches Rechtsmittel ist gegen die Ablehnung des Antrages der Staatsanwaltschaft auf Widerruf einer Strafaussetzung gegeben?, NStZ 1995, 568; Grnwald, Die Teilrechtskraft im Strafverfahren, 1964; Hartwig, Sprungrevision bei Nichtannahme der Berufung, NStZ 1997, 111; Kaiser, Die Beschwer als Voraussetzung strafprozessualer Rechtsmittel, 1993; Meyer-Goßner, Der fehlende Nachweis der Ermchtigung zur Beschrnkung eines Rechtsmittels, MDR 1979, 809; Meyer-Goßner, Annahmeberufung und Sprungrevision, NStZ 1998, 19; Rieß, Zur Auslegung des § 303 StPO, JR 1986, 441; Rieß, ber den Rechtsmittelverzicht im Strafverfahren, Koll. f. Gollwitzer, 2004, S. 191; Rottleuthner, Entlastung durch Entformalisierung, 1997; Schmidt, R., Die Grenzen der Bindungswirkung eines Rechtsmittelverzichts, JuS 1967, 158; Schnarr, Der bevollmchtigte Pflichtverteidiger und sein Stellvertreter, NStZ 1996, 214; Wankel, Rechtsmittel- und Rechtsbehelfsbeschrnkung in der StPO, JA 1998, 65.

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Die Beratung ber Rechtsmittel spielt in der Praxis naturgemß eine große Rolle. Ist eine ungnstige Entscheidung ergangen, so will der Auftraggeber wissen, was der Verteidiger von der Anfechtung hlt. Er will hren, welches Rechtsmittel in Betracht kommt und ob es Aussicht auf Erfolg bietet. Vor dieser Aufgabe steht nicht nur der Verteidiger, der den Mandanten bereits vertreten hat, sondern auch der Verteidiger, der erst fr die nchste Instanz hinzugezogen wird. Letzterer sieht sich in einer mißlichen Lage, falls er die bisherigen Verteidigungsmaßnahmen kritisch beurteilen muß, beispielsweise der Revisionsanwalt, der Fehler des Instanzanwalts feststellt. Kritik an Kollegen ist immer eine undankbare Sache. 528

Allgemeines

Rn. 812

Gewissenhafte Prfung ist notwendig. Man muß sich in die Lage des Kollegen versetzen, der die Maßnahme in einem bestimmten Verfahrensstand getroffen hat, die sich nachtrglich als falsch erweist. Ergibt die Nachprfung, daß dem bisher ttigen Verteidiger ein prozeßentscheidender Fehler unterlaufen ist, dann ist es das gute Recht des Mandanten, hierber aufgeklrt zu werden. Sonst entsteht der Eindruck, man wolle den Kollegen schtzen. Der jetzt befragte Verteidiger verliert jedes Vertrauen, wenn er unrichtige Maßnahmen zu rechtfertigen sucht. Auch luft er Gefahr, selbst die Verteidigung in falscher Richtung aufzubauen, wenn er den Fehler nicht aufdeckt. a) Aussichten des Rechtsmittels Der Auftraggeber will in erster Linie erfahren, ob das Rechtsmittel aussichtsreich ist. Dabei interessiert ihn nicht so sehr der juristische Weg, auf dem der Verteidiger das Ergebnis findet, sondern das Ergebnis selbst. Diese Einstellung ist verstndlich, sie darf jedoch den Verteidiger nicht abhalten, die Erfolgsaussichten sorgfltig zu prfen. Fr die erste vorlufige Beratung kann der Verteidiger die Notizen aus der mndlichen Urteilsbegrndung verwenden. Er muß sich dann allerdings die genaue Prfung anhand der schriftlichen Urteilsgrnde vorbehalten. Das ist auch aus einem anderen Grunde zweckmßig. Die vorsorgliche Einlegung eines Rechtsmittels (Rn. 829) erweckt beim Mandanten leicht den Eindruck, der Verteidiger halte die Sache auf jeden Fall fr aussichtsreich. Ergibt die Nachprfung das Gegenteil, so fehlt es vielen Mandanten an der Einsicht, das Rechtsmittel zurckzunehmen (Rn. 833). Der Vorbehalt, der mglichst dem Mandanten auch schriftlich mitgeteilt werden sollte, vereinfacht die sptere abschließende Beratung ber die Durchfhrung des Rechtsmittels.

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Zu den Rechtsmittelaussichten gehrt die Frage nach der Beschwer. Sie ist manchmal nicht einfach zu beantworten und gerade in den Zweifelsfllen dem Mandanten kaum verstndlich zu machen. Welcher Betroffene versteht z. B., daß der Satz in den Urteilsgrnden: „Der Angeklagte ist ein notorischer Alkoholiker“ fr sich allein noch nicht die Befugnis erffnet, energisch gegen das Urteil vorzugehen. Denn die Belastung durch die Entscheidungsgrnde reicht ebensowenig aus wie der alleinige Zweck des Rechtsmittels, den Angeklagten zu rehabilitieren717. Besonders deutlich wird die Problematik beim Freispruch wegen Schuldunfhigkeit. Da der Angeklagte freigesprochen ist, soll er das Urteil mangels Beschwer nicht anfechten drfen, selbst wenn das Gericht offenlßt, ob berhaupt eine tatbestandsmßige und rechtswidrige Handlung zu beja-

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717 BGHSt. 7, 153; Meyer-Goßner, Vor § 296 Rn. 11.

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Rn. 813

Der Verteidiger im Rechtsmittelverfahren

hen ist718. Der Konflikt fr die Verteidigung ist offensichtlich: Der aus § 20 StGB erreichte Freispruch kann ein Pyrrhussieg sein, der das gesellschaftliche und berufliche Ansehen, evtl. auch die berufliche Laufbahn (z. B. Beamte, „verkammerte“ Freiberufler) des Mandanten vernichtet und ihn in Wahrheit mehr „beschwert“ als eine vielleicht nur geringe Strafe. Deshalb muß der Verteidiger sehr sorgfltig abwgen, ob sich der Mandant auf Schuldunfhigkeit berufen soll (Rn. 657 i. d. M.). Dabei ist auch zu bedenken, daß der Freispruch wegen Schuldunfhigkeit im Strafregister einzutragen ist (§ 11 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Nr. 4 BZRG) und nicht getilgt wird, weil es sich nicht um eine Verurteilung handelt (§ 45 Abs. 1 BZRG; Rn. 1129 ff.). Zu praktischen Schwierigkeiten fhren auch die Flle, in denen das Gericht das Verfahren wegen eines Prozeßhindernisses einstellt, statt freizusprechen. Die Einstellung ist weniger als ein Freispruch, der mglicherweise in der nchsten Instanz durchgesetzt werden kann. Hierzu muß der Verteidiger wissen, daß die Rechtsprechung die Anfechtung nur dann fr zulssig hlt, wenn das Verfahrenshindernis, wegen dessen eingestellt wird, noch behebbar ist719. 813

Schließlich ist zu prfen, ob die Beschwer nicht weggefallen und deshalb das Rechtsmittel gegenstandslos geworden ist. Hierzu kommt es vor allem, wenn sich das Verfahren weiter entwickelt hat. So soll die Beschwerde gegen einen Beschlagnahmebeschluß grundstzlich unstatthaft sein, wenn inzwischen ein besttigender Beschluß nach § 98 Abs. 2 ergangen ist720. Man spricht dann von der „prozessualen berholung“ der angefochtenen Entscheidung durch eine neue Verfahrenslage (Rn. 789). Allerdings wird in analoger Anwendung des § 98 Abs. 2 S. 2 der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der erledigten Zwangsmaßnahmen, z. B. Durchsuchung oder Freiheitsentziehung, dann zugelassen, wenn es sich um tiefgreifende Grundrechtseingriffe handelt721. b) Zweckmßigkeit des Rechtsmittels

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Der Mandant bersieht meist nicht, daß ein an sich aussichtsreiches Rechtsmittel mehr schaden als ntzen kann. Als Beispiele seien genannt: Die Revision mßte wegen eines Verfahrensfehlers durchgreifen; in der 718 BGHSt. 16, 374; Dahs/Dahs, Rn. 32. 719 BayOLGSt. 89, 33 = JR 1985, 477 m. Anm. Ghler; OLG Stuttgart, NJW 1965, 1417; Meyer-Goßner, Vor § 296 Rn. 14. 720 BGH, NStZ 2000, 154; Meyer-Goßner, Vor § 296 Rn. 17. 721 BVerfGE 96, 27; BVerfG, NJW 1998, 2131; BVerfG, StV 1999, 295; BGHSt. 37, 79; w. N. bei Meyer-Goßner, Vor § 296 Rn. 18a.

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Allgemeines

Rn. 816

Sache selbst ist aber damit zu rechnen, daß der Mandant nach der Zurckverweisung wieder verurteilt wird (Rn. 891). Oder eine Berufung ist nur mit der Begrndung aussichtsreich, der Angeklagte sei schuldunfhig. Das Rechtsmittel mag zwar zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung fhren, es kann aber die Existenz des Mandanten gefhrden (Rn. 812). Meist erweist es sich in solchen Fllen als richtiger, das Urteil nicht anzufechten. Natrlich kommt es stets auf den Einzelfall an. So wird der Auftraggeber eher bereit sein, das Urteil rechtskrftig werden zu lassen, wenn ihm Strafaussetzung zur Bewhrung bewilligt ist. Dabei darf der Verteidiger nicht bersehen, daß der Bewhrungsbeschluß selbstndig mit einfacher Beschwerde anfechtbar ist, falls eine Auflage gesetzwidrig ist (§ 305a; Rn. 844). Eine bestehende Untersuchungshaft braucht den Verteidiger im allgemeinen nicht zu beeinflussen, weil diese nach § 51 StGB grundstzlich auch bei Erfolglosigkeit des Rechtsmittels auf die Strafe angerechnet wird (Rn. 365). Auch der Zusammenhang mit einem Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist zu bercksichtigen. Rechtsmittel des Angeklagten knnen dazu fhren, daß der Staatsanwalt ebenfalls die nchste Instanz anruft. Das ist besonders gefhrlich, weil bei Berufung und Revision dann das Verbot der reformatio in peius entfllt. Daher ist der Zeitpunkt der Rechtsmitteleinlegung genau abzuwgen, damit mglichst das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft nicht provoziert wird (Rn. 838). Außerdem muß der Mandant in diesem Zusammenhang wissen: Wenn der Staatsanwalt nicht in die nchste Instanz geht, darf keine hrtere Strafe verhngt werden. Viele Mandanten greifen diesen Hinweis dankbar auf und entscheiden sich spontan fr das Rechtsmittel. Der Verteidiger muß jedoch weiter darber aufklren, daß zwar die Strafe nicht verschrft, daß aber der Schuldspruch zum Nachteil des Angeklagten gendert werden kann. Beispiele: Vergehen statt Ordnungswidrigkeit und damit Eintragung in das Zentralregister (Rn. 1121 ff.); zustzliche Verurteilung wegen Unfallflucht bei Tateinheit mit der Gefahr eines Verlustes des Versicherungsschutzes bei Verkehrsdelikten; zustzliche Verurteilung wegen fahrlssiger Ttung mit der Folge einer Schadensersatzpflicht (vgl. hierzu auch Rn. 892).

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Der Verteidiger sollte den Mandanten nicht zu einer bestimmten Entscheidung drngen. Erweist sie sich spter als falsch, z. B. bei Erfolglosigkeit des Rechtsmittels, so hat der Mandant meist vergessen, daß er auf die Bedenken aufmerksam gemacht worden ist (Rn. 892). Er lastet den Mißerfolg ausschließlich seinem Verteidiger an. Der Konflikt ist nicht weniger groß, falls der Verteidiger pflichtgemß von einem Rechtsmittel abrt, obwohl der Mandant darauf besteht. In diesen Fllen sollte man die Empfehlung nicht scheuen, einen zweiten Verteidiger, z. B. einen in Revisi-

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Rn. 817

Der Verteidiger im Rechtsmittelverfahren

onssachen erfahrenen Kollegen, hinzuzuziehen (Rn. 888), oder das Mandat niederzulegen. Die schriftliche Fixierung der Beratung und Entscheidung ber das Rechtsmittel ist dringend zu empfehlen („... nach Abwgung aller dieser Argumente haben Sie den Entschluß gefaßt, das Rechtsmittel [nicht] durchzufhren“). Keinesfalls darf der Verteidiger etwa aus Verrgerung ber die „schiefgegangene“ erste Instanz dazu raten, das Rechtsmittelverfahren um jeden Preis anzustrengen und durchzufhren. Hiermit sind auch die Flle gemeint, in denen der „Preis“ wrtlich zu nehmen ist, nmlich die Rechtsmittel, die so offenbar aussichtslos sind, daß sich der Verdacht aufdrngt, sie wrden nur der (Rechtsschutz-)Gebhren oder des Honorars wegen durchgefhrt. 817

In Probleme kann der Verteidiger geraten, wenn ihm angesonnen wird, ein Rechtsmittel wegen des damit verbundenen Zeitgewinns durchzufhren. Weiß der Verteidiger, daß der Mandant nur das Ziel anstrebt, sich auf eine gewisse Zeit der Strafverfolgung oder Strafvollstreckung zu entziehen (Rn. 64), so kann er in den Bereich der Strafvereitelung geraten. Diese Gefahr kommt sogar dann in Betracht, wenn das Rechtsmittel nur eingelegt wird, um den bergang von Untersuchungshaft in Strafhaft hinauszuschieben, weil die prozessuale Form zu einem Zweck benutzt wird, der außerhalb der Verteidigung liegt. Anders sieht es etwa aus, wenn der Aufschub erreicht werden soll, damit der Mandant bei einer bevorstehenden Wahl noch von seinem Wahlrecht Gebrauch machen kann, wofr ein Strafaufschub in der Regel nicht erreichbar sein wird. Auch sonst gibt es objektiv anzuerkennende Umstnde, wie z. B. die Abwicklung beruflicher Aufgaben oder eine bevorstehende Amnestie, die es rechtfertigen, den Zeitfaktor Rechtsmittel zu mobilisieren. Wenn eine dem Verurteilten gnstige Gesetzesnderung oder eine Amnestie bevorsteht, wird im allgemeinen der Verteidiger das verfahrensverzgernde Rechtsmittel verantworten knnen722. Das gleiche gilt, wenn mit der Rechtskraft besonders einschneidende Folgen einzutreten drohen, z. B. bei Beamten, die kraft Gesetzes alle erworbenen Rechte verlieren, oder im Falle einer bevorstehenden Prfung, zu der Vorbestrafte nicht zugelassen werden.

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Die Durchfhrung des Rechtsmittelverfahrens hngt weiter davon ab, ob noch andere Mglichkeiten bestehen, die nachteiligen Folgen einer Entscheidung zu vermindern. Darber ist der Mandant aufzuklren, damit er sich sachgerecht entschließen kann. Hierzu gehren der Strafaufschub (§§ 455, 456), die nachtrgliche Gesamtstrafenbildung (§ 460), die bedingte Entlassung aus der Strafhaft (§§ 57 bis 58 StGB mit § 454), die 722 Vgl. hierzu Dahs, Zur Vorauswirkung von Rechtsreformen, ZRP 1970, 3.

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Allgemeines

Rn. 821

Ratenzahlung bei Geldstrafen (§ 42 StGB), die vorzeitige Aufhebung der Fahrerlaubnisentziehung (§ 69a Abs. 7 StGB) und der Gnadenerweis (Rn. 1129). Bereits bei der Rechtsmittelberatung ist ein Teil der Aufgaben vorwegzunehmen, die dem Verteidiger im Vollstreckungsverfahren bertragen werden (Rn. 1111 ff.). c) Rechtsmittelverzicht Will der Mandant von einem Rechtsmittel absehen, so ist es unter Umstnden geboten, ausdrcklich darauf zu verzichten (§ 302). Das kann vor und nach Ablauf der Rechtsmittelfrist zweckmßig sein, etwa bei einem gnstigen Urteil, um den Staatsanwalt zu veranlassen, ebenfalls auf Rechtsmittel zu verzichten, oder bei Verhngung eines Fahrverbots, um den Fhrerschein sofort hinterlegen zu knnen.

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d) Einlegung des Rechtsmittels Die genaue und richtige Bezeichnung eines Rechtsmittels sollte selbstverstndlich sein. Ein Irrtum ist zwar unschdlich (§ 300), die Falschbezeichnung fhrt aber zu vermeidbaren Auseinandersetzungen ber die Zulssigkeit des Rechtsmittels.

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Vor allem hat der Verteidiger die Rechtsmittelfrist fr sofortige Beschwerde (§ 311), Berufung (§ 314) und Revision (§ 341) einzuhalten. Es ist dringend zu empfehlen, sofort nach Verkndung einer dem Mandanten ungnstigen Entscheidung die Rechtsmittelfrist im Fristenkalender selbst zu notieren oder durch zuverlssige Mitarbeiter eintragen zu lassen. Das ist auch erforderlich, falls an Stelle der Verkndung die Entscheidung schriftlich bekanntzumachen ist, z. B. das in Abwesenheit des Angeklagten verkndete Urteil (§ 232 Abs. 4) und die nicht verkndeten Beschlsse, die mit der sofortigen Beschwerde anzufechten sind. Die Bekanntmachung erfolgt durch Zustellung (§ 35 Abs. 2 S. 1), und zwar einschließlich der Rechtsmittelbelehrung (§ 35a; Rn. 767). Sie hat entweder an den Verteidiger zu geschehen, wenn sich eine Vollmacht bei den Akten befindet, oder an den Mandanten. Derjenige, dem nicht frmlich zugestellt wird, erhlt eine Abschrift (§ 145a). Maßgebend ist nicht der Zugang der Abschrift, sondern die Zustellung723. Es kommt auf die zuerst bewirkte Zustellung an, wenn es sich um eine Doppelzustellung an denselben Empfnger handelt (§ 37 Abs. 2)724. Erfolgt die Zustellung an mehrere Empfangsberechtigte, z. B. Angeklagten und Verteidiger, so ist der Zeit-

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723 Meyer-Goßner, § 145a Rn. 14. 724 BGH, NJW 1978, 60.

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Rn. 822

Der Verteidiger im Rechtsmittelverfahren

punkt der letzten Zustellung maßgebend (§ 37 Abs. 2). Im brigen richten sich die Frmlichkeiten der Zustellung nach den Vorschriften der ZPO (§ 37 Abs. 1). 822

Man darf nicht darauf abstellen, bei Fristversumnis Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erreichen (Rn. 1074 ff.). Dieser Weg ist schon wegen eines mglichen Mitverschuldens des Klienten unsicher725 (Rn. 1076). Außerdem wird der Mandant den Fehler immer belnehmen, zumal Zweifel ber die fristgerechte Einlegung des Rechtsmittels zu seinen Lasten gehen. Es soll nicht der Grundsatz gelten „in dubio pro reo“, sondern im Zweifel zugunsten der Rechtskraft726. Da es sich in jedem Falle um die kurze Frist von einer Woche handelt, ist genaue Fristkontrolle notwendig. Hierzu ist es unerlßlich, die Fristberechnung zu beherrschen (§ 43). Das gilt besonders, wenn das Rechtsmittel erst im letzten Augenblick eingelegt werden soll.

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Der Verteidiger wird die Rechtsmittelfrist ausnutzen, falls durch sofortige Anfechtung das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft veranlaßt wrde (Rn. 815). In diesen Fllen ist es am besten, wenn die Rechtsmittelschrift spt am Tage des Fristablaufs bei Gericht eingeht. Der ortsansssige Verteidiger kann den Schriftsatz durch Boten im letzten Moment berbringen oder gar bis Mitternacht in den Nachtbriefkasten der zustndigen Justizverwaltung stecken lassen. Der auswrtige Verteidiger muß vorsichtiger sein und postalische Verzgerungen einkalkulieren. Auch die bersendung durch Kurierdienst727 kann sich verzgern. Notfalls ist ein ortsansssiger Kollege telefonisch mit der Rechtsmitteleinlegung zu beauftragen. Probleme knnen entstehen, wenn die Rechtsmittelschrift falsch adressiert ist. Hier wird die Auffassung vertreten, daß ein unrichtig adressiertes Schriftstck nicht schon mit seiner Einreichung bei einer gemeinsamen Justiz-Einlaufstelle zugeht, sondern erst wenn die Einlaufstelle das Schriftstck an die unzustndige Stelle weiterleitet728.

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Im brigen sind die Mglichkeiten der modernen Nachrichtenbermittlung auszunutzen. Dabei ist aber zu beachten, daß Telegramme heute nur noch wie normale Briefe zugestellt werden und daher keinen Zeitvorteil bieten729. 725 BGHSt. 25, 89, 92; krit. Dahs, AnwBl. 1973, 331. 726 Meyer-Goßner, § 261 Rn. 35 m. N. 727 Insoweit reicht der Nachweis der fristwahrenden Einlieferung bei normalem Betriebsablauf aus – BVerfG, AnwBl. 2000, 126. 728 BGH, NJW 1983, 129; BayObLG, JR 1976, 26 m. Anm. Kper; Meyer-Goßner, Vor § 42 Rn. 17 m. N. 729 Meyer-Goßner, Einl. Rn. 139 m. N.

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Allgemeines

Rn. 829

Vorzugswrdig und in der Praxis gebruchlicher ist die Einlegung des Rechtsmittels durch Telefax oder Telebrief. Sie ist allgemein als zulssig anerkannt730, wenn das Original handschriftlich unterschrieben ist731; dieses muß aber nicht vorgelegt werden732. Der rechtzeitige Eingang wird durch das Absendeprotokoll bewiesen733. Fehler (z. B. Papiermangel) am Empfangsgert sollen nicht zu Lasten des Absenders gehen734. Rckfrage bei Gericht ist in jedem Falle zu empfehlen.

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Unter Umstnden hilft auch die Einschaltung eines Fernschreibers. Dann kommt es darauf an, daß der Fernschreibtext mit der Rechtsmitteleinlegung rechtzeitig der Justizempfangsstelle vorliegt, und zwar entweder durch deren eigene Fernschreibanlage oder durch postalische bermittlung des Textes. Hat der Verteidiger keine Mglichkeit, einen Fernschreiber zu benutzen, so kann er die Post telegraphisch beauftragen, das Telegramm mit der Rechtsmitteleinlegung dem Gericht durch Fernschreiber durchzugeben735.

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Schließlich ist auch die Rechtsmitteleinlegung per Computerfax zulssig. Entscheidend ist dabei, daß das bei Gericht eingehende Schriftstck nach seinem Inhalt als Rechtsmittel erkennbar ist, wobei es auf die Unterschriftslosigkeit nicht ankommt, wenn der Absender hinreichend zuverlssig zu erkennen ist736. Eine hchstrichterliche Rechtsprechung zur Einlegung von Rechtsmitteln durch e-mail ist bisher nicht ersichtlich. Sie knnte zwar als Fortentwicklung der bermittlungstechnik in Betracht kommen, aber der Verteidiger sollte diese Form besser nicht riskieren.

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Dagegen ist die telefonische Einlegung eines Rechtsmittels unzulssig737.

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Diese Schwierigkeiten vermeidet der Verteidiger, wenn er das Rechtsmittel alsbald einlegt. Dabei kann er auf eine Postlaufzeit von einem Tag (außerhalb des Wochenendes) in aller Regel vertrauen738. Der sichere Weg empfiehlt sich vor allem bei der sog. vorsorglichen Rechtsmitteleinle-

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730 BVerfG, NJW 1996, 2857; BAG, NJW 1987, 341; OLG Dsseldorf, NJW 1995, 671, 2177. 731 OLG Hamburg, NJW 1989, 3167; BGH, wistra 1989, 313. 732 OLG Frankfurt, NStZ-RR 2001, 375. 733 Wobei allerdings der „OK-Vermerk“ im Sendebericht allein nicht gengen soll; OLG Dsseldorf, VRS 1989, 214; OLG Dsseldorf, NJW 1995, 2303; MeyerGoßner, Einl. Rn. 139a. 734 BVerfG, NJW 1996, 2857. 735 BGHSt. 31, 7; OLG Mnchen, StraFo 2003, 429. 736 GmS-OGB, NJW 2000, 2340; OLG Mnchen, StraFo 2003, 429. 737 BGHSt. 30, 64; BGH, NJW 1981, 1627; anders fr Einspruch im OWi-Verfahren BGHSt. 29, 173; vgl. i. . KK-Kuckein, § 341 Rn. 12 m. N. 738 BGH, GA 1994, 75; Meyer-Goßner, § 44 Rn. 16 m. N.

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Rn. 830

Der Verteidiger im Rechtsmittelverfahren

gung. Sogenannt deshalb, weil in der Rechtsmittelschrift dieser oder ein hnlicher Ausdruck zu vermeiden ist, denn die Rechtsmitteleinlegung ist bedingungsfeindlich739. Das Wort „vorsorglich“ kann Zweifel hervorrufen und das Rechtsmittel unzulssig machen. Deshalb darf in einer staatsanwaltschaftlichen Rechtsmittelschrift nicht zum Ausdruck kommen, das Rechtsmittel werde nur vorsorglich eingelegt (Nr. 148 Abs. 2 RiStBV). Der Sache nach erweist sich die vorsorgliche Rechtsmitteleinlegung oft als notwendig, um die schriftlichen Grnde der Entscheidung abzuwarten (Rn. 765, 767) und danach die Rechtsmittelaussichten whrend der Begrndungsfrist sorgfltig zu prfen. Meist ist hierzu auch noch Akteneinsicht erforderlich, z. B. fr die Revisionsbegrndung zur berprfung des Hauptverhandlungsprotokolls (Rn. 910 f.). In diesen Fllen kann die endgltige Entschließung regelmßig nicht innerhalb der Wochenfrist getroffen werden. Dazu ist insbesondere der Verteidiger nicht in der Lage, der erst fr das Rechtsmittelverfahren beauftragt wird. 830

Freilich drfen die Nachteile nicht vergessen werden, die mit der vorsorglichen, besonders der unverzglichen Rechtsmitteleinlegung verbunden sein knnen. Sie kann das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft erst hervorrufen. Die Rechtskraft wird notwendigerweise hinausgeschoben. Zwar wird die nach der Urteilsverkndung erlittene Untersuchungshaft angerechnet740, jedoch sind die Kosten einer nur vorsorglichen Anfechtung zu bedenken. Wird das Rechtsmittel spter zurckgenommen, so hat der Mandant auf jeden Fall die Kosten zu tragen (§ 473 Abs. 1). Hier wie berall ist zu beachten, daß ein Verschulden des Verteidigers sich nicht zum Nachteil des Mandanten auswirkt, wenn ihn kein Mitverschulden trifft (§ 44: Rn. 1074, 1076). e) Zurcknahme des Rechtsmittels

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Zur Rechtsmittelrcknahme bedarf der Verteidiger einer ausdrcklichen Ermchtigung (§ 302 Abs. 2). Sie ist im allgemeinen in der Verteidigervollmacht enthalten, in der sie auch im voraus wirksam erteilt werden kann741. Die Vorlage einer schriftlichen Vollmacht ist nicht notwendig, jedoch stets zweckmßig. Nr. 152 Abs. 1 RiStBV schreibt dem Staatsanwalt vor, den Nachweis der Ermchtigung zu prfen und das Ergebnis aktenkundig zu machen. Freilich kann der Mandant den Verteidiger auch mndlich wirksam zur Rcknahme eines Rechtsmittels ermchtigen. In 739 BGHSt. 5, 183, Meyer-Goßner, Einl. Rn. 118 u. Vor § 296 Rn. 5. 740 BGH, StV 1989, 152. 741 OLG Neustadt, NJW 1963, 263 m. Anm. Pusinelli, NJW 1963, 551 u. Anm. Schaper, NJW 1963, 1120.

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Allgemeines

Rn. 834

diesem Falle gengt unter Umstnden die Erklrung des Verteidigers gegenber dem Gericht, er sei zur Rcknahme ermchtigt742. Fatal kann die Situation fr den Verteidiger werden, wenn der Mandant die Ermchtigung zur Rcknahme widerruft. Das ist gegenber dem Verteidiger und gegenber dem Gericht zulssig. Hier kommt es auf den Zugang des Widerrufs an. Erfahren Verteidiger oder Gericht vor Eingang der Rechtsmittelrcknahme von dem Widerruf, so gilt das Rechtsmittel nicht als zurckgenommen743. Da der Mandant die Ermchtigung dem Verteidiger gegenber auch mndlich oder fernmndlich wirksam widerrufen kann744, ist es erforderlich, hierber unverzglich eine Aktennotiz anzufertigen. Ebenso unverzglich ist das Gericht ber den Sachverhalt mndlich, fernmndlich, per Telefax oder Schriftsatz zu unterrichten und soweit mglich der Schriftsatz mit der Rechtsmittelrcknahme anzuhalten oder „zurckzurufen“. Das kann im Einzelfall schwierig sein. Der Verteidiger muß aber sofort handeln, denn Unklarheiten gehen zu Lasten des Mandanten745. Ist nicht festzustellen, ob die Befugnis zur Rechtsmittelrcknahme vor deren Eingang bei Gericht widerrufen worden ist, so bleibt es bei der Rcknahme746. Dasselbe gilt fr den vom Verteidiger erklrten Rechtsmittelverzicht, falls das Rechtsmittel des Angeklagten vor dem Verzicht bei dem Gericht eingeht. Die Ermchtigung zum Verzicht ist dadurch widerrufen; der Verzicht wird gegenstandslos747.

832

Wie bei der Beratung ber die Anfechtung einer Entscheidung (Rn. 814 ff.) ist der Mandant umfassend ber die Zweckmßigkeit der Rcknahme aufzuklren, eine oft nicht lsbare Aufgabe. Insbesondere muß auch ggfs. wiederholt auf die strafrechtlichen und außerstrafrechtlichen Folgen des Urteils hingewiesen werden, z. B. beamtenrechtliche, berufsrechtliche, gewerberechtliche und versorgungsrechtliche Konsequenzen (Rn. 14, 179, 1070). Bei vielen Mandanten ruft das einmal eingelegte Rechtsmittel den psychologisch verstndlichen Effekt hervor, nun solle die Sache auch durchgepaukt werden. Bei der Beratung ist der Mandant auf die Vorteile hinzuweisen, die mit der Rechtsmittelrcknahme verbunden sind und den Vorteilen des Rechtsmittelverzichts entsprechen (§ 302: Rn. 767, 819).

833

Auch ist gerade in Zweifelsfllen der Zeitpunkt der Rechtsmittelrcknahme genau zu berlegen. Mit der Rcknahme einer Berufung und einer

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742 743 744 745 746 747

BGHSt. 36, 259 f.; BGH, NStZ 2001, 104; Meyer-Goßner, § 302 Rn. 33. Meyer-Goßner, § 302 Rn. 35. BGHSt. 10, 245. BGH bei Kusch, NStZ 1997, 28. BGH bei Kusch, NStZ 1997, 28. BGH bei Kusch, NStZ 1997, 28.

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Rn. 835

Der Verteidiger im Rechtsmittelverfahren

Revision kann man bis zum Beginn der mndlichen Verhandlung warten, das heißt bis zum frmlichen Aufruf der Sache (§ 303 mit §§ 324, 351 und 243 Abs. 1 S. 1). Will der Verteidiger diese Mglichkeit offenhalten, so darf er die Kostenfolgen nicht bersehen. Die etwa zur Berufungsverhandlung geladenen Zeugen und Sachverstndigen kosten den Mandanten Geld, wenn die Berufung erst im letzten Moment zurckgenommen wird. Insbesondere darf der Verteidiger nicht den Eindruck aufkommen lassen, er habe die Rechtsmittelrcknahme aus Honorargrnden hinausgeschoben. Das ist die eine Seite. Anderseits kann man hufig erst kurz vor dem Aufruf zur Rechtsmittelverhandlung mit dem Vorsitzenden und dem Staatsanwalt sprechen. Manchmal erfhrt man die Ansicht des Gerichts sogar erst im Gerichtssaal, also nach Aufruf der Sache. Etwa durch die richterliche Frage, ob denn das Rechtsmittel durchgefhrt oder nicht wenigstens auf bestimmte Punkte beschrnkt werden solle (Rn. 862 ff.). Dieser in Anwesenheit aller Prozeßbeteiligten gestellten Frage muß der Verteidiger mit Ruhe begegnen. Sie ist zwar geeignet, ihn zu desavouieren, falls der Vorsitzende das Fr und Wider des Rechtsmittels nicht sachlich gegeneinander abwgt, sondern in mehr oder minder aggressiver Form auf die Rcknahme drngt (was nicht sogleich ein Ablehnungsgesuch rechtfertigen soll). In diesen Fllen bewhrt es sich, sachlich, aber bestimmt zu antworten, die Frage sei geprft, das Verfahren solle durchgefhrt werden. Sind die Aussichten gering, so kann der Verteidiger sich nochmals mit dem Mandanten besprechen, der nun unter dem Eindruck der richterlichen Meinungsußerung vielleicht bereit ist, das Rechtsmittel zurckzunehmen. Allerdings entsteht dann leicht der Verdacht, der Verteidiger selbst halte von dem Rechtsmittel nichts, er wolle versuchen, den Mandanten zur Rcknahme zu bewegen. Eine nochmalige Besprechung mit dem Mandanten ist daher meist nicht angebracht. Verteidiger und Mandant sollten sich bereits vorher ber die Durchfhrung des Rechtsmittels endgltig schlssig geworden sein. Ggfs. kann man die Frage auch in einem offenen Rechtsgesprch errtern und eine Zwischenberatung des Gerichts erbitten. Nach Beginn der Verhandlung ist außerdem die Zustimmung des Staatsanwalts zur Rechtsmittelrcknahme erforderlich (§ 303). Im allgemeinen wird sie zwar zu erlangen sein. Um die eigene Entschließungsfreiheit zu wahren, sollte man sich jedoch mglichst von der Zustimmung unabhngig machen. 835

Die Rechtsmittelrcknahme kann auch im Verlaufe einer Rechtsmittelverhandlung notwendig werden, etwa bei ungnstigem Ausfall der Beweisaufnahme in der Berufungsverhandlung. Statthaft ist die Rcknahme noch bis zum Beginn der Urteilsverkndung748. Dann muß der Verteidiger mit 748 Meyer-Goßner, § 302 Rn. 6.

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Allgemeines

Rn. 837

dem Staatsanwalt wegen der Zustimmung (§ 303) sprechen. Die Zustimmung ist auch erforderlich, wenn die Berufungsverhandlung ber die Fristen des § 229 hinaus unterbrochen749 oder das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache aus der Revisionsinstanz zurckverwiesen worden ist750. Viele Klienten scheuen die Rcknahme eines Rechtsmittels aus der Befrchtung heraus, man werde darin ein Schuldeingestndnis sehen. Hier kann der Verteidiger manchmal mit einer mndlichen oder schriftlichen Erklrung helfen, in der etwas ber die Motive der Rcknahme gesagt wird, z. B. wenn der Angeklagte den Belastungen des weiteren Verfahrens gesundheitlich nicht gewachsen ist. Unter Umstnden reicht auch der Hinweis, die Rcknahme des Rechtsmittels bedeute kein Schuldeingestndnis, sondern erfolge aus Grnden, die außerhalb des Verfahrens liegen. Zwar haben solche Erklrungen prozessual keine Bedeutung; sie erleichtern aber dem Mandanten die Entscheidung, weil er das Gesicht wahren kann. Darber hinaus sind sie auch nicht ohne Nutzen, wenn die Akten von anderen Gerichten, z. B. in Disziplinar- oder Berufsgerichtsverfahren, beigezogen werden.

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f) Beiderseitige Rechtsmittel Haben Staatsanwaltschaft und Verteidigung eine Entscheidung angefochten, so muß der Verteidiger mit der „einseitigen“ Rcknahme (Rn. 831 ff.) und Beschrnkung (Rn. 862 ff.) des Rechtsmittels vorsichtig sein. Auch ohne eigenes Rechtsmittel kann zwar unter Umstnden in der nchsten Instanz eine dem Mandanten gnstigere Entscheidung erreicht werden. Jedes Rechtsmittel des Staatsanwalts bewirkt, daß die Entscheidung auch zugunsten des Angeklagten abgendert werden kann (§ 301). Der Verteidiger jedoch, der sich darauf verlßt, macht sich von den Entschließungen der Staatsanwaltschaft abhngig. Nimmt sie z. B. ihr Rechtsmittel zurck, kann der Verteidiger ohne eigenes Rechtsmittel nichts mehr ausrichten. Genauso verhlt es sich, falls die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel beschrnkt, etwa ausdrcklich erklrt, sie strebe mit einer Berufung lediglich eine hrtere Strafe an. Dann kann der Angeklagte, der nicht selbst ein Rechtsmittel eingelegt hat, nicht freigesprochen werden. Es kann lediglich eine mildere Strafe herauskommen751. Dabei ist auch an den Fall zu denken, daß der Verteidiger Berufung, die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt hat (§ 335 Abs. 3; Rn. 859). Solange der Verteidiger die Berufung als das weitergehende Rechtsmittel aufrechterhlt, ist die Revision der 749 BGHSt. 23, 277. 750 BayObLG, NJW 1973, 2308; Meyer-Goßner, § 303 Rn. 2. 751 Meyer-Goßner, § 301 Rn. 1.

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Der Verteidiger im Rechtsmittelverfahren

Staatsanwaltschaft als Berufung zu behandeln. Auf diese Weise kann man der Staatsanwaltschaft praktisch die zweite Tatsacheninstanz aufzwingen. In aller Regel ist daher die Zurcknahme oder die Beschrnkung des Rechtsmittels nicht ratsam, solange die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel aufrechterhlt. 838

Nun kann aber der Mandant stark daran interessiert sein, es bei dem ursprnglich angefochtenen Urteil zu belassen. Hierzu gibt es einen praktischen Weg, beide Rechtsmittel aus der Welt zu schaffen. Zu diesem Zwecke ist es notwendig, mit dem Sachbearbeiter oder notfalls dem Abteilungsvorstand der Staatsanwaltschaft zu sprechen um festzustellen, ob sie von der Durchfhrung ihres Rechtsmittels absieht und mit beiderseitiger Rcknahme der Rechtsmittel einverstanden ist. Es kommt immer wieder vor, daß auch Staatsanwlte unter dem Eindruck des Urteils zunchst einmal ein Rechtsmittel einlegen und das schriftliche Urteil abwarten (Rn. 765). Sie fhlen sich dann hufig nicht in der Lage, ihr Rechtsmittel zurckzunehmen, solange die Verteidigung an ihrem Rechtsmittel festhlt. Hufig erwarten sie auch, daß der Verteidiger sie anspricht, um zu praktischen Lsungen zu kommen. Bevor der Verteidiger mit dem Staatsanwalt spricht, muß er die Aussichten des staatsanwaltschaftlichen Rechtsmittels geprft haben, und zwar in hnlicher Weise, wie dies fr das eigene Rechtsmittel erforderlich ist. Findet man „schwache“ Stellen, so ist das eine Waffe, die, geschickt eingesetzt, den Staatsanwalt dazu bringen kann, sein Rechtsmittel zurckzunehmen. In geeigneten Fllen kann der Verteidiger auch darauf verweisen, daß die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel zur Nachprfung des Strafmaßes nur durchfhren soll, wenn die verhngte Strafe in einem offenbaren Mißverhltnis zur Tat steht (Nr. 147 Abs. 1 RiStBV). Daran anknpfend kann der Verteidiger vorschlagen, beide Rechtsmittel zurckzunehmen, und sich gewissermaßen mit dem Staatsanwalt „vergleichen“. Es kommt gar nicht selten vor, daß die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel nur wegen des Rechtsmittels der Verteidigung durchfhrt und sich erst in oder nach der Hauptverhandlung des Rechtsmittelverfahrens herausstellt, daß der Staatsanwalt in die beiderseitige Rcknahme eingewilligt htte. Dann ist es meist zu spt. Solche Mißverstndnisse kann der Verteidiger vermeiden, indem er rechtzeitig mit dem Staatsanwalt spricht. Das setzt freilich gegenseitiges Vertrauen voraus. Beide Gesprchspartner mssen sich unbedingt darauf verlassen knnen, daß die Vertraulichkeit gewahrt ist und jeder sein Wort einhlt. Will der Verteidiger zunchst nur „vorfhlen“ und anschließend erst mit dem Mandanten die Rcknahme besprechen, so muß er sich dem Staatsanwalt gegenber die endgltige Entschließung vorbehalten. berhaupt ist es wichtig, die Rcknahme des eigenen Rechtsmittels nicht von vornherein als sicher hinzustellen. Man wrde 540

Der Verteidiger im Beschwerdeverfahren

Rn. 840

damit den Mandanten festlegen und die eigene Position schwchen, falls die Staatsanwaltschaft nicht zur Rcknahme des Rechtsmittels zu bewegen ist. Daraus folgt weiter: Solange die Staatsanwaltschaft sich noch nicht entschieden hat, darf der Verteidiger sein Rechtsmittel nicht zurcknehmen. Auch wird man sich beiderseits nicht in jedem Falle auf bloße mndliche Zusagen verlassen wollen. Auch hier bietet sich eine praktische Lsung an: Der Verteidiger bermittelt dem Staatsanwalt seine schriftliche Rcknahmeerklrung gewissermaßen zu treuen Hnden mit der Ermchtigung, sie an das Gericht weiterzuleiten, sofern gleichzeitig die Staatsanwaltschaft zurcknimmt. g) Rechtsmittel des Staatsanwalts zugunsten des Angeklagten Aus Rechtsmitteln der Staatsanwaltschaft zugunsten des Mandanten (§ 296 Abs. 2) knnen Konflikte entstehen, die der Staatsanwalt gar nicht zu erkennen vermag. Hat z. B. der Verteidiger dem Auftraggeber geraten, aus Grnden der Zweckmßigkeit von einem Rechtsmittel abzusehen (Rn. 814 ff.), so fhrt die staatsanwaltschaftliche Anfechtung vielleicht gerade zu dem Ergebnis, das vermieden werden sollte. Der Mandant muß sich einer erneuten ffentlichen Verhandlung seiner Sache unterziehen. Er muß Zeit und Kosten einsetzen, die er gerade nicht mehr riskieren kann oder will.

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In solchen Fllen wird eine Verstndigung mit dem Staatsanwalt nicht schwierig sein. Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft zugunsten des Angeklagten sind im brigen verkmmerte Mauerblmchen. 2. Der Verteidiger im Beschwerdeverfahren Gollwitzer, Zur Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluß, in Abwesenheit des Angeklagten zu verhandeln, JR 1994, 342; Hamm, Beck'sches Formularbuch, 4. Aufl., 2002, S. 484 ff.; Letzgus, Beschwerde gegen Nichtzulassung der Nebenklage bei fahrlssiger Krperverletzung, NStZ 1989, 352; Plhn, Zur Zulssigkeit und Begrndetheit einer Beschwerde gegen die Anberaumung eines Hauptverhandlungstermins gegen den Willen des Verteidigers, StV 1991, 152.

a) Arten und Zulssigkeit der Beschwerde Die einfache Beschwerde (§ 304) ist statthaft gegen alle richterlichen Beschlsse im ersten Rechtszug und im Berufungsverfahren sowie gegen Verfgungen des Vorsitzenden, des Amtsrichters und des beauftragten oder ersuchten Richters. Ausgeschlossen ist die Beschwerde gegen Beschlsse und Verfgungen des Bundesgerichtshofes und der Oberlandesgerichte mit Ausnahme bestimmter wichtiger Beschlsse in Verfahren, in 541

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Der Verteidiger im Rechtsmittelverfahren

denen die Oberlandesgerichte als erste Instanz zustndig sind (§ 304 Abs. 4). Außerdem ist sie versagt gegen Entscheidungen, die bestimmte Verfahrensvorgnge betreffen752. So ist die Beschwerde nicht statthaft gegen Beschlsse, die das Verfahren wegen Geringfgigkeit einstellen (§ 153 Abs. 2, § 153a Abs. 2). Auch den Erffnungsbeschluß kann der Angeklagte nicht anfechten (§ 210). Zu den Ausschlußtatbestnden gehrt auch die fehlende Beschwer (Rn. 812). Praktisch spielt sie im Bereich der Beschwerde ihre Hauptrolle. Die Beschwerde ist unzulssig oder wird gegenstandslos, wenn das Verfahren fortgeschritten und ber die Beschwerdesituation hinweggegangen ist, also im Fall der prozessualen berholung (Rn. 813). 841

Die fr die Praxis wichtigste Ausnahme enthlt § 305 S. 1, nmlich den Ausschluß der Beschwerde gegen Entscheidungen des erkennenden Richters. Es erleichtert das Verstndnis, wenn man sich den Zweck der Vorschrift vor Augen hlt: Jede Entscheidung, die bei der Urteilsfindung ohnehin noch einmal berprft werden muß, soll der selbstndigen Anfechtung entzogen sein, z. B. die Beschlsse zur Beweisaufnahme753. Daraus erklrt sich auch, daß – Ausnahme von der Ausnahme – gegen Haft-, Beschlagnahme- und hnliche Entscheidungen Beschwerde gegeben ist, selbst wenn sie das erkennende Gericht erlßt (§ 305 S. 2). Denn diese Entscheidungen werden nicht berprft, falls das Urteil angefochten wird754. Es geht hier um die Frage des sachlichen Zusammenhangs mit der Urteilsfindung. Es sind also die Entscheidungen nicht beschwerdefhig, die das Urteil vorbereiten. Zu einigen in der Praxis hufigen Fllen gibt es dazu einhellige Auffassungen, zu anderen Fllen ist vieles streitig. Der Verteidiger sollte mglichst feststellen, welche Ansicht das zustndige Oberlandesgericht und bei Beschwerden gegen amtsrichterliche Entscheidungen das zustndige Landgericht vertritt. Manchmal wird allein aus diesem Grunde eine Besprechung mit dem Beschwerderichter unerlßlich sein, um nutzlose Beschwerden zu vermeiden. Meist halten sich die Gerichte an ihre sog. feste Rechtsprechung, die gar nicht so selten schon derjenigen im Nachbarbezirk widerspricht. Auch deshalb knnen hier nur einige Beschwerdetatbestnde genannt werden.

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Die Beschwerde ist statthaft gegen die Ablehnung der Verteidigerbestellung755 (Rn. 146 ff.) oder einer Terminverlegung756. Besonders geregelt ist 752 753 754 755

Zusammenstellung bei Meyer-Goßner, § 304 Rn. 5. Meyer-Goßner, § 305 Rn. 1 u. 3. Meyer-Goßner, § 305 Rn. 6. OLG Dsseldorf, StV 2001, 609; OLG Kln, NStZ 1999, 248 m. Anm. Wasserburg; Meyer-Goßner, § 141 Rn. 10. 756 OLG Frankfurt, StV 2001, 157; a. A. OLG Hamm, StV 1990, 56.

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Der Verteidiger im Beschwerdeverfahren

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die Anfechtung im Falle der Richterablehnung (Rn. 205 ff.). Entscheidungen ber die Sachverstndigenablehnung sind mit der einfachen Beschwerde anfechtbar, sofern sie außerhalb der Hauptverhandlung ergehen, sonst nur gemeinsam mit dem Urteil757 (Rn. 227 ff.). Auch die Verweigerung der Akteneinsicht durch den Richter kann mit der Beschwerde angefochten werden, wenn sie vor der Hauptverhandlung geschieht758 (Rn. 264). An diesen Beispielen wird ein Grundsatz deutlich, der leicht bersehen wird: Der Beginn der Hauptverhandlung schneidet das Beschwerderecht in vielen Fllen ab. Die Zweispurigkeit der Anfechtung soll mglichst vermieden werden. Hiervon macht die Rechtsprechung allerdings wichtige Ausnahmen. So kann der Aussetzungsbeschluß des erkennenden Richters nach fast einhelliger Ansicht mit der einfachen Beschwerde angefochten werden759. Unabhngig vom Beginn der Hauptverhandlung ist die Beschwerde in Haft- und Unterbringungssachen (Rn. 353, 375) statthaft. In diesen Fllen ist auch allein die weitere Beschwerde zulssig, die sonst versagt ist (§ 310). Praktisch bedeutsam ist die Anfechtung richterlicher Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnungen (Rn. 381, 385) und die vorlufige Entziehung der Fahrerlaubnis (Rn. 407). Unterschiedlich beantwortet wird, ob gegen die Zulassung einer Nebenklage Beschwerde gegeben ist (Rn. 1057 ff.). Heute wird die Beschwerdeberechtigung des Staatsanwalts und des Angeklagten allgemein bejaht760. Schwierigkeiten bietet die Anfechtung von Beschlssen, die eine beantragte Protokollberichtigung ablehnen. Sie steht in engem Zusammenhang mit der Protokollrge, die fr sich allein die Revision nicht zu rechtfertigen vermag (Rn. 913). Der Verteidiger muß hierzu beachten: Grundstzlich kann Beschwerde eingelegt werden, falls das Gericht die Berichtigung ablehnt761. Jedoch ist eine inhaltliche nderung des Protokolls mit der Beschwerde kaum erreichbar. Das Beschwerdegericht kann nmlich nicht an Stelle der Urkundspersonen (Vorsitzender und Protokollfhrer) darber befinden, ob ein nicht beurkundeter Vorgang stattgefunden oder ein protokollierter Vorgang nicht oder nicht in der aufgenommenen Weise geschehen ist. Es wird immer wieder verkannt, daß die Beschwerde nur aussichtsreich ist, falls die Berichtigung rechtsirrtmlich abgelehnt wird.

757 Meyer-Goßner, § 74 Rn. 20; OLG Celle, NJW 1967, 2274; OLG Zweibrcken, MDR 1967, 678; OLG Dsseldorf, NJW 1967, 692. 758 OLG Hamm, NJW 1968, 169; Meyer-Goßner, § 147 Rn. 41. 759 KG, JR 1966, 230 m. Anm. Kleinknecht; OLG Frankfurt, NJW 1966, 992. 760 KG, JR 1995, 259; OLG Dsseldorf, NStZ 1997, 204; Meyer-Goßner, § 396 Rn. 19. 761 Meyer-Goßner, § 271 Rn. 28 ff.

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Rn. 844

Der Verteidiger im Rechtsmittelverfahren

Beispiel: Der Vorsitzende lehnt die Berichtigung ab, ohne den Protokollfhrer zu hren762; er ist der Meinung, der behauptete Vorgang sei nicht protokollpflichtig gewesen763. Der Verteidiger darf sich daher nicht auf das Beschwerdeverfahren verlassen. Er muß den Berichtigungsantrag schon so sorgfltig und berzeugend begrnden, daß Richter und Protokollfhrer den Fehler einsehen. Das ist freilich leichter gesagt als getan. Es ist eine schwierige Aufgabe, die Urkundspersonen von der Unrichtigkeit ihrer Niederschrift zu berzeugen, sei es, daß sie sich an den Vorgang nicht mehr erinnern, sei es, daß sie nicht willens sind, einen Fehler freimtig einzurumen. 844

Durch besondere Vorschrift ist die einfache Beschwerde gegen einen Auflagenbeschluß anlßlich der Strafaussetzung zur Bewhrung zugelassen, allerdings beschrnkt darauf, daß eine Auflage gesetzwidrig ist oder in die Lebensfhrung des Betroffenen einschneidend und unzumutbar eingreift (§ 305a). Praktische Bedeutung hat diese Beschwerde fr den Fall, daß das Urteil, welches die Strafaussetzung bewilligt, nicht angegriffen werden soll oder bereits rechtskrftig geworden ist. Wird das Urteil angefochten, so kann man die fristfreie Beschwerde bis nach der Entscheidung der Rechtsmittelinstanz zurckstellen. Allerdings kann die gleichzeitige Einlegung der Revision gegen das Urteil und der Beschwerde gegen die Auflagen zweckmßig sein. Bei zulssiger Revision hat das Revisionsgericht auch ber die Beschwerde zu befinden (§ 305 a Abs. 2). Der Verteidiger erreicht dadurch, daß die Gesamtentscheidung in einer Hand liegt und das Verfahren beschleunigt wird.

845

Bei der fristgebundenen sofortigen Beschwerde (§ 311) muß der Verteidiger daran denken, daß sie nur in Betracht kommt, wenn das Gesetz sie ausdrcklich zulßt. Das ist ohne Schwierigkeiten im Einzelfall festzustellen. b) Zweckmßigkeit der Beschwerde

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Bevor eine zulssige und aussichtsreiche Beschwerde eingelegt wird, ist der Mandant ber die Zweckmßigkeit des Rechtsmittels zu beraten. Selbst eine erfolgreiche Beschwerde kann Nachteile mit sich bringen. Im Vordergrund steht der Zeitverlust. Die Beschwerde luft in vielen Fllen neben dem eigentlichen Verfahren her, etwa die Haftbeschwerde (Rn. 353) und die Beschlagnahmebeschwerde neben dem Ermittlungsverfahren oder 762 OLG Dsseldorf, NStZ 1998, 477. 763 Meyer-Goßner, § 271 Rn. 29; KG, JR 1960, 28 m. Anm. Dnnebier; OLG Schleswig, NJW 1959, 162.

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Der Verteidiger im Beschwerdeverfahren

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dem Hauptverfahren. Die Beschwerde verzgert in aller Regel den Fortgang der Sache. Der Verteidiger hat sorgfltig abzuwgen, ob dem Mandanten nicht besser in anderer Weise gedient wird. So ist es mglich, Gericht und Staatsanwaltschaft gegenber zu erklren, die Entscheidung werde nicht angefochten, solange das Verfahren zgig vorangehe. Natrlich versagt dieser Weg, wenn nur die fristgebundene sofortige Beschwerde gegeben ist. In allen Fllen ist die berlegung geboten, ob nicht an Stelle der frmlichen Beschwerde lediglich eine Gegenvorstellung (Rn. 1094) erhoben wird. Sie ist stets statthaft und kommt vor allem in Betracht, wenn eine Beschwerde unzulssig ist (Rn. 840 f.). Sie zwingt das Gericht zur berprfung seiner Entscheidung. Das Verfahren wird nicht so stark verzgert, weil die Akten nicht dem Beschwerdegericht vorgelegt werden mssen.

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Darber hinaus muß der Verteidiger bedenken, daß die Beschwerde im allgemeinen keine Hemmungsfunktion besitzt. Der Vollzug der angefochtenen Entscheidung wird durch die Beschwerde grundstzlich nicht gehindert (§ 307 Abs. 1). So kann eine Durchsuchungsanordnung trotz Beschwerde ausgefhrt werden. Nur ausnahmsweise bestimmt das Gesetz die aufschiebende Wirkung der Beschwerde, z. B. bei Unterbringungsbeschlssen (§ 81 Abs. 4; Rn. 396 f.). Daher ist in jedem Falle zu prfen, ob durch die Beschwerdeeinlegung der Vollzug der Entscheidung kraft Gesetzes gehemmt ist. Verneinendenfalls muß der Verteidiger berlegen, ob der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zu stellen ist (§ 307 Abs. 2), der hufig vergessen wird. Rcksprachen mit dem Gericht sind hier meist notwendig. Dabei knnen auch die Aussichten der Beschwerde errtert werden.

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In vielen Fllen erweist es sich als Nachteil, daß die Beschwerdeentscheidung ohne mndliche Verhandlung ergeht (§ 309 Abs. 1). Man kann das Fr und Wider mit dem Beschwerdegegner nicht vor dem Gericht in Rede und Gegenrede errtern. Es fehlt das mndliche Rechtsgesprch, das in der Regel besser geeignet ist, die richtige Entscheidung zu finden als der bloße Austausch von Schriftstzen. Der Verteidiger kann versuchen, eine mndliche Verhandlung zu erreichen, die dem Beschwerdegericht nicht verboten ist. Mindestens kann er sein Vorbringen mndlich erlutern.

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c) Einlegung der Beschwerde, Abhilfeverfahren, rechtliches Gehr In aller Regel wird der Verteidiger die Beschwerde bei dem Gericht einlegen, dessen Entscheidung er anficht (judex a quo; § 306). Sie kann auch bei dem Beschwerdegericht erhoben werden. Das hat aber meistens Nachteile und kommt im allgemeinen nur in Betracht, wenn die Aussetzung 545

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Der Verteidiger im Rechtsmittelverfahren

der Vollziehung beantragt werden soll (§ 307 Abs. 2; Rn. 848). Erfahrungsgemß ist der Richter, dessen Entscheidung angegriffen wird, nur selten bereit, den Vollzug auszusetzen, whrend sich das Beschwerdegericht durch eine eigene „Vorentscheidung“ nicht gebunden zu fhlen braucht. 851

Auch in diesem Zusammenhang ist an die Verzgerung zu denken, die eintritt, wenn die Beschwerde direkt bei der Beschwerdeinstanz eingeht. Das Beschwerdegericht muß erst die Akten anfordern oder gibt die Beschwerde zunchst berhaupt an die Vorinstanz, damit dort das „Abhilfeverfahren“ durchgefhrt wird. Hierzu muß der Verteidiger wissen: Bei der einfachen Beschwerde hat der Erstrichter abzuhelfen, falls er sie fr zulssig und begrndet hlt (§ 306 Abs. 2). Die Erfahrung lehrt, daß diese Verfahren nicht sehr hufig erfolgreich sind. Das wird begreiflich, wenn man bedenkt, daß der Richter seine eigene Entscheidung widerrufen soll. Diese psychologische Situation muß der Verteidiger bercksichtigen. In manchen Fllen kann er sie berwinden, indem er die Beschwerde mit neuen Tatsachen und Argumenten eingehend begrndet und sie mit dem Richter errtert. berhaupt ist die persnliche Fhlungnahme oft angebracht.

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In vielen Fllen wird der Beschwerdefhrer Interesse daran haben, daß das Beschwerdegericht kurzfristig mit der Sache befaßt wird, sei es, um die Aussetzung der Vollziehung (§ 307 Abs. 2) zu erreichen oder eine schnelle Sachentscheidung herbeizufhren, um durch Zeitverzgerung drohende Nachteile zu vermeiden. Beschwerden haben aber in vielen Fllen eigentmlicherweise den Hang, beim Abhilferichter „liegenzubleiben“. Aus diesem Grunde empfiehlt sich in solchen Fllen der Hinweis auf § 306 Abs. 2 2. Hs., wonach die Beschwerde bei Nichtabhilfe „sofort, sptestens vor Ablauf von drei Tagen“ dem Beschwerdegericht vorzulegen ist. Diese Frist scheint in der Praxis der Amtsgerichte weitgehend unbekannt zu sein. Der Verteidiger sollte sie daher unter Kontrolle nehmen und ihre Einhaltung, z. B. durch regelmßige Nachfragen und Mahnungen, durchzusetzen wissen. Es gibt allerdings umfangreiche und schwierige Sachen, in denen man sich durchaus Chancen ausrechnen kann, im Abhilfeverfahren einen Erfolg oder Teilerfolg zu erzielen, wobei die gebotene intensive Befassung mit der Materie innerhalb der gesetzlichen Frist nicht zu leisten ist. Um den Richter davon abzuhalten, statt in die Tiefe der Sache einzusteigen, kurzerhand „der Beschwerde wird nicht abgeholfen“ zu verfgen, kann es sich empfehlen, ausdrcklich auf die Einhaltung der Frist zu verzichten mit dem Hinweis, dadurch solle dem anordnenden Gericht die gebotene intensive berprfung der Sache ermglicht werden.

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In jedem Beschwerdeverfahren hat der Verteidiger besonders auf den Grundsatz des rechtlichen Gehrs zu achten. Er ist verletzt, wenn das 546

Der Verteidiger im Beschwerdeverfahren

Rn. 855

Beschwerdegericht die angefochtene Entscheidung zum Nachteil des Beschwerdegegners ndert, ohne daß er Gelegenheit zur Gegenerklrung hatte (§ 308 Abs. 1). Dies gilt nicht in den praktisch wichtigen Fllen der Untersuchungshaft und anderer Zwangsmaßnahmen, wenn die vorherige Anhrung den Zweck der Anordnung gefhrden wrde (§ 33 Abs. 4 S. 1). Abgesehen von diesen Fllen umfaßt der Grundsatz die Pflicht des Gerichts, eine angemessene Frist zur ußerung zu gewhren. Fr die Praxis folgt hieraus: Kann der Verteidiger die Beschwerde nicht unverzglich begrnden, so muß er die Zubilligung einer Frist fr die Beschwerdebegrndung beantragen. Zweckmßig wird es in jedem Falle sein, darzulegen, warum die Frist bentigt wird. Unter Umstnden ist der Antrag mit der Bitte um Akteneinsicht zu verbinden (Rn. 255). Das Gericht ist gehalten, auch ohne besonderen Antrag eine angemessene Zeit mit der Entscheidung zu warten764. Bei Verletzung des rechtlichen Gehrs durch das Beschwerdegericht gilt § 311a. Bei der sofortigen Beschwerde und der Beschwerde gegen Ordnungsstrafbeschlsse ist außerdem die Beschwerdefrist von einer Woche (§ 311 Abs. 2) einzuhalten. Dabei muß der Verteidiger daran denken, daß beschwerdefhige Beschlsse oft nicht verkndet werden, sondern durch Zustellung bekanntzumachen sind (§ 35 Abs. 2 S. 1). Fr den Fristbeginn kommt es auf die frmliche Zustellung an (Rn. 821). Das ist bei der Fristenkontrolle zu beachten. Auch hier darf sich der Verteidiger nicht auf die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verlassen (Rn. 1074 ff.). Bei Versumung der Beschwerdefrist bewhrt es sich, vorweg zu prfen, ob die Rechtsmittelbelehrung erforderlich und bejahendenfalls richtig erteilt ist (§ 35a). Im Falle der Bekanntmachung durch Zustellung muß die Belehrung schriftlich beigefgt werden765. Fehlt die Belehrung oder ist sie mangelhaft, so ist dies allein Grund zur Wiedereinsetzung766.

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d) Beschwerdeschrift Wie die Beschwerdeschrift sachlich richtig und zweckmßig abzufassen ist, hngt von den Besonderheiten des Einzelfalles ab. Allgemeine Vorschriften fehlen. Der Verteidiger sollte sich aber stets den Eindruck vor Augen halten, den die Beschwerdebegrndung nach Form und Inhalt auf den Richter macht. Sie sollte einen klaren Antrag enthalten und zur Begrndung in straffer Form das Wesentliche bringen und das Unwesentliche allenfalls streifen. Vor allem muß sie aus sich selbst heraus verstnd764 BVerfGE 24, 23, 25; Meyer-Goßner, § 306 Rn. 5. 765 OLG Hamm, NJW 1954, 812. 766 Meyer-Goßner, § 35a Rn. 13 f.

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Rn. 856

Der Verteidiger im Rechtsmittelverfahren

lich und schlssig sein. Es kommt nicht gut an, wenn der Adressat gentigt ist, stndig in Akten und Beiakten zu blttern, um die Beschwerdebegrndung nachzuvollziehen. 3. Der Verteidiger im Berufungsverfahren Beck'sches Formularbuch/Michalke, 4. Aufl., 2002, S. 492 ff.; Ebert, Annahmeberufung nach Freispruch auf Antrag der Staatsanwaltschaft (§ 313 I 2 StPO), JR 1998, 265; Feuerhelm, Die Annahmeberufung im Strafprozeß, StV 1997, 99; Fezer, Zum Verstndnis der sog. Annahmeberufung, NStZ 1995, 265; Grossmann, Die Annahmeberufung (§ 313 StPO), 1996; Hartwig, Sprungrevision bei Nichtannahme der Berufung, NStZ 1997, 111; Meyer-Goßner, Annahmeberufung und Sprungrevision, NStZ 1998, 19; H. Schfer, Das Berufungsverfahren in Jugendsachen, NStZ 1998, 530; Tolksdorf, Zur Annahmeberufung nach § 313 StPO, FS Salger (1995), S. 393 ff.

a) Zulssigkeit, Aussichten und Zweckmßigkeit der Berufung 856

Der Berufungsrechtszug erffnet eine zweite Tatsacheninstanz, sofern das Rechtsmittel zulssig und ordnungsgemß eingelegt ist. Das Berufungsgericht hat das angegriffene Urteil auf richtige Tatsachenfeststellung und auf richtige Rechtsanwendung zu prfen. Was dazu in erster Instanz versumt worden ist, kann in der Berufungsinstanz nachgeholt werden.

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Hierzu muß der Verteidiger die Bestimmungen ber die Zulssigkeit der Berufung kennen. Der Verteidiger muß wissen, daß er Urteile des Schffengerichts und des Amtsrichters uneingeschrnkt nur anfechten kann, wenn mindestens eine Geldstrafe von mehr als 15 Tagesstzen verhngt oder – bei Freispruch – beantragt worden ist (§ 313). In Fllen geringeren Gewichts ist die Annahme der Berufung (Rn. 868) erforderlich. Der Verteidiger sollte also darlegen, daß die Berufung nicht „offensichtlich unbegrndet“ ist (§ 313 Abs. 2). Insoweit kann vor allem auf neue Tatsachen und Beweismittel verwiesen oder die angefochtene Entscheidung als lkkenhaft oder in der Beweiswrdigung falsch angegriffen werden. Die vorgeschaltete Annahmeentscheidung fhrt in der Praxis dazu, daß die in § 317 an sich nur fakultativ („kann“) vorgesehene Begrndung des Rechtsmittels (Rn. 869) zu einem „Muß“ werden kann. Dabei sollte auch die Wochenfrist im Auge behalten werden, weil man nicht voraussehen kann, wie schnell das Berufungsgericht ber die Annahme entscheidet; ggfs. ist eine angemessene Frist zu beantragen.

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Neben der Berufung ist an die Mglichkeit der Sprungrevision zu denken, die zulssig ist gegen alle mit der Berufung anfechtbaren Urteile (§ 335 Abs. 1). Sie wird nur in den Fllen in Betracht kommen, in denen es wirklich einmal nur um Rechtsfragen geht, z. B. gnstigere Tatsachenfeststel548

Der Verteidiger im Berufungsverfahren

Rn. 860

lungen nach Lage der Sache nicht zu erwarten sind. Zu dem rechtlich schwierigen Verhltnis zwischen Annahmeberufung und Sprungrevision ist in jedem Falle die eingehende Prfung von Rechtsprechung und Schrifttum erforderlich767. Manchmal ist es schwierig, schon bei Anfechtung eines Urteils zu entscheiden, welches Rechtsmittel den besseren Erfolg verspricht. Das hngt im wesentlichen von den schriftlichen Urteilsgrnden ab, die innerhalb der Rechtsmittelfrist noch nicht vorzuliegen pflegen. Der sichere Weg ist hier die Berufung768. Dabei ist es unrichtig, das Rechtsmittel ausdrcklich als Revision zu bezeichnen, weil dann der bergang zur Berufung als unzulssig angesehen werden kann769. Die Falschbezeichnung schadet lediglich dann nichts, wenn der Verteidiger Berufung einlegt, obwohl nur Revision zulssig ist (§ 300; Rn. 820). In diesen Fllen ist die Revision fristgemß zu begrnden (Rn. 901 ff.). Man kann sich die Wahl des Rechtsmittels zunchst auch durch unbestimmte Anfechtung des Urteils innerhalb der Frist offenlassen. Dann muß die Wahl zwischen Berufung und Revision innerhalb der Begrndungsfrist fr die Revision erklrt werden770. Schließlich darf der Verteidiger nicht bersehen, daß er innerhalb der Begrndungsfrist auch den bergang auf das andere Rechtsmittel wirksam erklren kann, z. B. von der zunchst eingelegten Berufung auf die Revision und in der Regel auch umgekehrt771. Maßstab im Einzelfall bleibt stets die Frage, ob auf die zweite Tatsacheninstanz verzichtet werden kann.

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Das ist auch der entscheidende Gesichtspunkt fr den Fall, daß bei beiderseitigen Rechtsmitteln der eine Beteiligte Revision, der andere Berufung eingelegt hat (§ 335 Abs. 3). Hierzu rechnet die verschiedenartige Anfechtung eines Urteils durch mehrere Mitangeklagte. Der Verteidiger muß beachten: Die Berufung ist das umfassendere Rechtsmittel und hat deshalb Vorrang. Die Revision des anderen Beteiligten ist als Berufung zu behandeln, solange die Berufung noch anhngig ist772. Außer ber die Zulssigkeit ist der Mandant ber die Aussichten der Berufung zu beraten (Rn. 811 ff.). Der Verteidiger hat die Erfolgsaussichten sorgsam zu prfen und mit dem Auftraggeber zu errtern. Maßgebend ist nicht der Wunsch des Mandanten, die Berufung auf jeden Fall durch-

767 768 769 770 771 772

Vgl. nur OLG Karlsruhe, NStZ 1995, 562; Meyer-Goßner, NStZ 1998, 19. Eb. Schmidt, Berufung oder Revision im Strafprozeß?, NJW 1960, 1651. BGH, NJW 1960, 494 m. Anm. Mayer, NJW 1960, 733. Meyer-Goßner, § 335 Rn. 9. BGHSt. 33, 183, 188; Meyer-Goßner, § 335 Rn. 10 ff. Meyer-Goßner, § 335 Rn. 17 m. N.

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Der Verteidiger im Rechtsmittelverfahren

zufhren (Rn. 816), sondern die selbstverantwortliche, gewissenhafte Abwgung des Verteidigers. Man erleichtert sich die Prfung der Erfolgsaussichten, wenn man das Urteil nach bestimmten Gesichtspunkten analysiert. Es ist zu berlegen, ob in der Berufungsinstanz eine dem Mandanten gnstigere Beweiswrdigung zu erreichen ist, ob eine andere rechtliche Beurteilung in Betracht kommt und ob neue, dem Amtsgericht noch nicht bekannte oder nicht aufgeklrte Tatsachen zu einem besseren Ergebnis fhren knnen. War der Hauptverhandlung erster Instanz ein Strafbefehl vorausgegangen, lehrt die Erfahrung, daß manche Richter an „ihrem“ Strafbefehl „kleben“ und deshalb den Argumenten der Verteidigung nicht zugnglich sind. Die Berufung fhrt in solchen Fllen nicht selten zu einem vllig anderen Ergebnis. Einen wichtigen Gesichtspunkt darf der Verteidiger in geeigneten Fllen nicht außer acht lassen: Die Berufung kann auch lediglich zu dem Zwekke geboten sein, die Einstellung wegen Geringfgigkeit zu erlangen (§§ 153, 153a; Rn. 322 ff., 427). Hat z. B. das Amtsgericht die Einstellung abgelehnt oder der in erster Instanz amtierende Staatsanwalt der Einstellung nicht zugestimmt, so ist es oft nicht ausgeschlossen, daß das Berufungsgericht eine andere Auffassung vertritt. In solchen Fllen ist es notwendig, mit Gericht und Staatsanwalt zu sprechen (Rn. 838). Dabei muß man allerdings in Rechnung stellen, daß die Bereitschaft der Staatsanwaltschaft zur Erteilung der Zustimmung vor allem bei vorangegangener Ablehnung durch die Verteidigung in der Berufungsinstanz im allgemeinen sehr gering ist – es sei denn, es sind erhebliche neue Aspekte hervorgetreten. Gut ist es, wenn der Verteidiger dabei das Gericht als „Bundesgenossen“ gewinnen kann. 861

Bei der Beratung ist der Mandant auch ber die Zweckmßigkeit der Berufung zu belehren (Rn. 814 ff.). Vorteile und Nachteile sind gegeneinander abzuwgen. Dabei darf die Hemmung der Rechtskraft nicht bersehen werden (§§ 316, 343). Die Einlegung der Berufung verhindert die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe. Der Mandant darf also auch nicht zum Strafantritt geladen werden. Ganz allgemein kann der Verteidiger davon ausgehen, daß die Situation fr seinen Mandanten in der Berufungsinstanz hufig gnstiger ist als im ersten Rechtszug. Das betrifft auch die Strafzumessung, die oft niedriger ausfllt (Berufung als „Rabattinstanz“). In der Sache selbst ist mit einer grndlicheren Aufklrung zu rechnen. Jedenfalls sollte es so sein.

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Rn. 864

b) Beschrnkung der Berufung Eckels, Zur Beschrnkung der Berufung auf das Strafmaß, NJW 1960, 1942; Hettinger, Ist eine horizontale Berufungsbeschrnkung auf das Strafmaß mglich und kann auch StGB § 21 ihr Gegenstand sein?, JZ 1987, 386; Milzer, Die Beschrnkbarkeit der Berufungshauptverhandlung in Strafsachen, NStZ 1993, 69; Schorn, Teilanfechtung und Teilrechtskraft bei der Berufung, JR 1963, 50; Wankel, Rechtsmittel- und Rechtsbehelfsbeschrnkung in der StPO, JA 1998, 65.

Die Beschrnkung der Berufung (§ 318) hngt im wesentlichen von Zweckmßigkeitsberlegungen ab. Da das Berufungsgericht das Urteil nur nachprft, soweit es angefochten ist (§ 327), sind mit der Beschrnkung des Rechtsmittels gewisse Nachteile und Risiken aufzufangen, die mit der Rechtsmitteleinlegung verbunden sind. Wird z. B. die Berufung von vornherein auf einen bestimmten Tatsachenkomplex begrenzt, so werden dadurch die Kosten der Beweisaufnahme fr andere Bereiche gespart. Auch die Situation der Berufungsstrafkammern, die oft berlastet sind, darf der Verteidiger nicht unbercksichtigt lassen. Man versetze sich in die Lage des Berufungsgerichts, das ber eine gegen den Schuldspruch vllig aussichtslose Berufung zu entscheiden hat. Wird das Rechtsmittel auf das Strafmaß beschrnkt, so wird das Gericht eher bereit sein, den Strafausspruch des angefochtenen Urteils zu korrigieren. Die Erfahrung macht man vor allem, wenn der Vorsitzende vor oder bei Beginn der Berufungsverhandlung anregt, die Beschrnkung zu erklren (Rn. 834). Daraus folgt, daß es in der Regel richtig ist, zunchst unbeschrnkt Berufung einzulegen und sie vor Beginn der Hauptverhandlung zu begrenzen773. Allerdings hat dies zur Folge, daß auch bei erfolgreicher Berufung ein Teil der Kosten dem Mandanten auferlegt wird.

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Der Verteidiger darf jedoch nicht bersehen, daß die Beschrnkung der Berufung auch eine Reihe von Gefahren birgt. Sie hngen mit den Folgen der Teilrechtskraft, die Rechtsprechung und Literatur zunehmend beschftigen, zusammen. Ein Dickicht, ein komplexes Thema, bei dem je nach der Gestaltung des Einzelfalls die Problematik stndig wechselt. Es ist im Rahmen des Handbuchs nicht angebracht, die weitschichtigen Einzelheiten fr alle denkbaren oder praktisch hufig vorkommenden Flle zu errtern. Hier muß der Verteidiger sich jeweils durch berprfung des Schrifttums und der Rechtsprechung orientieren.

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In jedem Falle nimmt der Verteidiger – jedenfalls in „streitigen“ Fllen – mit der Beschrnkung der Berufung eine Verantwortung auf sich, die er

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773 Bruns, Korrekturen am Strafmaß durch das Berufungsgericht, DRiZ 1966, 370 ff.

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kaum einmal sicher berschauen kann. Unerlßlich ist dabei auch die Prfung, welche Tatsachenfeststellungen durch die Beschrnkung rechtskrftig werden und ob diese etwa dem angestrebten Ziel des Rechtsmittels entgegenstehen werden. Aus diesem Grunde lassen sich viele Verteidiger auf eine Beschrnkung des Rechtsmittels berhaupt nicht oder nur selten ein. Mindestens muß man sich den Zeitpunkt der Beschrnkung sorgfltig berlegen. Sie sofort bei der Rechtsmitteleinlegung zu erklren, ist im allgemeinen nicht ratsam, weil man die schriftliche Begrndung der angefochtenen Entscheidung noch nicht kennt. Auch nach Eingang der schriftlichen Begrndung ist es fr die Beschrnkung oft noch zu frh, vor allem, wenn in der Berufungsinstanz ber neues Tatsachenmaterial zu verhandeln sein wird (Rn. 860). Der Verteidiger darf nicht bersehen, daß die Anfechtung auch noch in der Berufungsverhandlung eingeschrnkt werden kann, nach deren Beginn indessen nur mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft (§ 303; Rn. 834 a. E.). Die Beschrnkung wird im brigen oft durch das Berufungsgericht veranlaßt. Dadurch erhlt der Verteidiger wertvolle Fingerzeige, wie das Berufungsgericht die Sache voraussichtlich beurteilen wird. Bei Rcksprache mit dem Vorsitzenden kann der Verteidiger die Absicht andeuten, das Rechtsmittel zu beschrnken. Bei vertrauensvoller Zusammenarbeit und behutsamer, auf die Persnlichkeit des Richters abgestellter Gesprchsfhrung wird der Richter seine Ansicht ußern. Auf diese Weise kann der Verteidiger das Risiko der Rechtsmittelbeschrnkung zwar vermindern, aber nie ganz ausschließen. Die letzte Verantwortung muß er selbst tragen.

c) Einlegung der Berufung, Berufungsfrist 865

Fr die Einlegung der Berufung ist auf die Erfahrungen zu verweisen, die fr alle Rechtsmittel gelten (Rn. 820 ff.). Die Berufungsfrist von einer Woche beginnt meist mit der Verkndung des Urteils, in Fllen der Abwesenheit des Mandanten bei der Urteilsverkndung jedoch mit der Zustellung einschließlich der Rechtsmittelbelehrung (§ 314; Rn. 821). Allerdings gibt es eine Besonderheit, die der Verteidiger nicht bersehen darf. Bei Ausbleiben des Mandanten in der Hauptverhandlung des ersten Rechtszuges (§ 232; Rn. 477) kann gegen das Urteil innerhalb der Wochenfrist seit Zustellung sowohl Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt werden, falls deren Voraussetzungen zu bejahen sind (§ 235; Rn. 1074 ff.), als auch Berufung eingelegt werden (§ 315). Hier hat der Verteidiger ein Wahlrecht, das mit der Versumung der Frist fr das eine oder andere Rechtsmittel erlischt. Der sichere Weg ergibt sich daher von selbst: Der vorsichtige Verteidiger wird innerhalb der Frist um Wiedereinsetzung bitten und gleichzeitig Berufung einlegen. Das Gericht entschei552

Der Verteidiger im Berufungsverfahren

Rn. 868

det dann erst ber die Wiedereinsetzung, anschließend ber die Berufung774. Bei rechtzeitig eingelegter Berufung geht es vor allem um die Aktenvorlage an das Berufungsgericht (§§ 320, 321). Hat der Mandant ein Interesse an Beschleunigung, z. B. weil er verhaftet oder ihm der Fhrerschein weggenommen ist, so darf der Verteidiger die Sache nicht einfach laufen lassen. Die „bersendungspraxis“ der Gerichte und Staatsanwaltschaften beweist, daß der Verteidiger Zeitverluste verhindern kann, wenn er rechtzeitig nachfaßt. So ist vielen Verteidigern, Richtern und Staatsanwlten nicht gelufig, daß die Staatsanwaltschaft die Akten binnen einer Woche nach Eingang dem Vorsitzenden des Berufungsgerichts zu bergeben hat (§ 321).

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Hlt das Berufungsgericht die Berufung fr unzulssig, so erlßt es einen Verwerfungsbeschluß, der mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar ist (§ 322). Hier muß der Verteidiger die beanstandeten formellen Voraussetzungen der Berufung genau prfen (Rn. 857).

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d) Annahmeberufung Der Gesetzgeber hat durch das Rechtspflegeentlastungsgesetz von 1993 fr Flle geringeren Gewichts die Zulssigkeit der Berufung daran geknpft, daß das Rechtsmittel angenommen wird (§ 313). In diesen Fllen sollte der Verteidiger stets eine Berufungsbegrndung (Rn. 869 ff.) einreichen und darlegen, aufgrund welcher (neuen) Beweismittel und/oder Erwgungen das Rechtsmittel nicht offensichtlich unzulssig ist (§ 313 Abs. 2). Wird die Berufung nicht begrndet, so riskiert der Verteidiger eine schnelle Verwerfung. Nur in Ausnahmefllen wird er sich darauf verlassen knnen, daß das Berufungsgericht die Schwche des erstinstanzlichen Urteils mit Sicherheit erkennen und entsprechend entscheiden wird. Ein Rechtsmittel gegen die Annahmeentscheidung ist nicht gegeben (§ 322a S. 1). Ob trotz Verwerfung der Berufung als unzulssig die Revision zulssig ist (§ 335 Abs. 1), ist umstritten, wird von der berwiegenden Auffassung – jedenfalls in der Rspr. – aber wohl bejaht775. Der bergang zur Revision ist zulssig, wenn die Berufung angenommen und die Frist des § 345 Abs. 1 noch nicht abgelaufen ist.

774 Meyer-Goßner, § 315 Rn. 2. 775 Zu allen Einzelheiten Meyer-Goßner, § 335 R. 21 m. N.; Meyer-Goßner, NStZ 1998, 19.

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Der Verteidiger im Rechtsmittelverfahren

e) Schriftliche Berufungsrechtfertigung und Vorbereitung der Berufungsverhandlung 869

Allgemein gehen Erfahrungen und Meinungen zur schriftlichen Berufungsbegrndung weit auseinander. Im Gegensatz zur Revision schreibt das Gesetz eine Begrndung der Berufung zwingend nicht vor (§ 317). Viele Verteidiger haben daraus die bung entwickelt, jedenfalls außerhalb der Annahmeberufung keine Berufung schriftlich zu begrnden, sondern alle Anfechtungspunkte erst in der Verhandlung vorzubringen. Im Ergebnis kann diese Verfahrensweise zwar gerechtfertigt sein, jedoch drfen die Gefahren einer Beschrnkung der Beweisaufnahme nach § 325 Abs. 2 nicht bersehen werden. Der Verteidiger sollte mindestens vorsorglich dem Gericht vortragen, aus welchen Grnden eine vollstndige Erneuerung der Beweisaufnahme geboten ist. Im brigen sind wie stets Vorzge und Nachteile einer schriftlichen Begrndung im Einzelfall gegeneinander abzuwgen. Der Verteidiger muß auch berlegen, daß das Gericht bei der Vorbereitung der Hauptverhandlung gern wissen mchte, worauf der Verteidiger hinaus will. In geeigneten Fllen sollte dieser daher die allgemeine Richtung des Rechtsmittels und hauptschliche Angriffspunkte aufzeigen. Im brigen kommt es auf das angefochtene Urteil und das Ziel der Berufung an. Soll z. B. die Beweiswrdigung angegriffen werden, ist eine schriftliche Begrndung eigentlich nicht angebracht, kann aber durch § 323 Abs. 2 praktisch „erzwungen“ werden, wenn das Gericht die Beweispersonen nicht mehr laden will. Die Verlesung von Aussagen allein kann eine anderweitige Entscheidung kaum einmal bewirken Denn das Berufungsgericht muß von den Beweispersonen einen persnlichen Eindruck haben. Den Beweiswert einer Zeugenaussage etwa kann das Berufungsgericht erst beurteilen, wenn es den Zeugen selbst erlebt.

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Strebt die Verteidigung in der Berufungsinstanz eine Einstellung nach § 153a oder § 153 an (Rn. 322 ff.), so kann es geboten sein, in einer entsprechenden Berufungsbegrndung dem Gericht einerseits vor Augen zu fhren, wie umfangreich und schwierig sich das Berufungsverfahren gestalten wird und andererseits Argumente einzuflechten, die dem Berufungsgericht signalisieren, die Verteidigung wrde sich auch mit einer Einstellung des Verfahrens anstelle des erstrebten Freispruchs „zufriedengeben“.

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Anstelle der schriftlichen Berufungsrechtfertigung gibt es auch wirkungsvollere Maßnahmen, die erfahrungsgemß nicht genug ausgenutzt werden. Sie sind bei der Vorbereitung der Berufungsverhandlung zu berlegen, fr die im brigen dieselben Gesichtspunkte wie fr die Hauptverhandlung erster Instanz zu beachten sind (Rn. 442 ff.). So kann der Vertei554

Der Verteidiger im Berufungsverfahren

Rn. 871

diger „Beweisantrge“ stellen (§ 323 Abs. 1 mit § 219). Sie knnen sich auf dieselben Tatsachen und Beweismittelbeziehen wie im ersten Rechtszug; es knnen aber auch neue Beweismittel vorgebracht werden (§ 323 Abs. 3). Der Verteidiger hat abzuwgen, ob die Vorwegnahme von Beweisantrgen zweckmßig ist. Dafr gelten dieselben Erfahrungen, wie sie ab Rn. 467 fr die Beweisantrge vor der erstinstanzlichen Hauptverhandlung beschrieben sind. Hierbei drfen indessen die Besonderheiten des Berufungsverfahrens nicht außer acht gelassen werden. Der Vorsitzende des Berufungsgerichts kann die Ladung der Beweispersonen erster Instanz nur unterlassen, wenn ihre wiederholte Vernehmung zur Aufklrung nicht erforderlich erscheint (§ 323 Abs. 2) oder nach § 325 verfahren werden soll. Ob dies ein Zeichen fr den Erfolg der Berufung ist, wird sich nur schwer abschtzen lassen. Der Verteidiger muß sich daher vergewissern, ob und welche Beweispersonen zur Berufungsverhandlung von Amts wegen geladen sind. Insoweit braucht er keinen Beweisantrag vorwegzunehmen. Außerdem hat der Vorsitzende des Berufungsgerichts bei Auswahl der zu ladenden Personen auf die Benennung in der Berufungsrechtfertigung Rcksicht zu nehmen (§ 323 Abs. 4). Diese Vorschrift fhrt zu einer Schwierigkeit: Bezieht sich der Verteidiger schriftlich nur auf bestimmte Zeugen und Sachverstndige, kann es vorkommen, daß die anderen nicht geladen werden. In der Regel ist es deshalb untunlich, das Vorbringen nur auf bestimmte Beweismittel zu sttzen. Mglicherweise reichen sie fr die Berufungsverhandlung nicht aus. Auch ist nicht auszuschließen, daß anstelle der nicht geladenen Personen die Niederschriften der Vorinstanz ber deren Vernehmung verlesen werden, ein stets problematisches Verfahren (§ 325; Rn. 878). Der Verteidiger vermeidet diese Nachteile, indem er nicht nur einzelne Personen fr bestimmte Anfechtungspunkte benennt, sondern allgemein beantragt, die Zeugen und Sachverstndigen zur Berufungsverhandlung zu laden, deren Erklrungen zur Entlastung des Mandanten dienen knnen.

f) Der Verteidiger in der Berufungsverhandlung Beck'sches Formularbuch/Michalke, 4. Aufl., 2002, S. 492; Feuerhelm, Die Annahmeberufung im Strafprozeß, StV 1997, 99; Hartwig, Sprungrevision bei Nichtannahme der Berufung, NStZ 1997, 111; Hegmann, Die Belehrung des Angeklagten gem. § 243 IV 1 StPO in der Berufungsverhandlung, NJW 1975, 915; Hegmann, Zur Auslegung des § 329 StPO, NJW 1977, 1275; Kaiser, Zur Wartepflicht des Gerichts bei Unpnktlichkeit von Beteiligten in Straf- und Bußgeldsachen, NJW 1977, 1955; Meyer-Goßner, Annahmeberufung und Sprungrevision, NStZ 1998, 19; Milzer, Die Beschrnkbarkeit der Berufungshauptverhandlung in Strafsachen, NStZ 1993, 69; Rieß, Unentschuldigtes Ausbleiben des Angeklagten, Privatklgers oder Nebenklgers in der Berufungshauptverhandlung, NStZ 2000, 120; Schroeder, Revision der Staatsanwaltschaft bei Verwerfung der Berufung des nichterschienenen Angeklag-

555

Rn. 872

Der Verteidiger im Rechtsmittelverfahren

ten, NJW 1973, 308; Sieg, Nicht-Erscheinen des Angeklagten im Berufungsverfahren als Verwerfungsgrund, NJW 1978, 1845.

872

Die Berufungsverhandlung richtet sich i. e. nach den Vorschriften des ersten Rechtszuges (§ 324). Daher gelten gesetzliche Grundlagen, Erfahrungen und praktische Hinweise, wie sie fr die Hauptverhandlung des ersten Rechtszuges errtert sind (Rn. 439 ff.). Es sind jedoch einige Besonderheiten zu bercksichtigen. So ist die Folge des Ausbleibens des Angeklagten in der Berufungsverhandlung abweichend geregelt (§ 329). Fehlt der Angeklagte ohne ausreichende Entschuldigung, kann seine Berufung durch Urteil verworfen werden, sofern nicht die Anwesenheit des Verteidigers ausreicht, etwa wenn der Mandant vom Erscheinen in der Verhandlung entbunden ist (§ 233; Rn. 476). Was als entschuldigtes oder unentschuldigtes Ausbleiben anzusehen ist, hngt vom Einzelfall ab und ist an Hand der umfangreichen Rechtsprechung festzustellen776. Allgemein kann der Verteidiger darauf verweisen, daß die Gerichte großzgig zu verfahren haben. Auch gilt der Grundsatz in dubio pro reo777. ber die Folgen des Fehlens ist der Mandant bei Vorbereitung der Berufungsverhandlung vom Verteidiger zu belehren. Unter Umstnden kann es notwendig sein, dem Mandanten „Hilfestellung“ beim Auffinden des Gerichtsgebudes und des Sitzungssaals zu leisten (Rn. 482).

873

Fehlt der Mandant bei Beginn der Verhandlung trotzdem, so darf der Verteidiger nicht sofort aufgeben. Die Berufung darf nur verworfen werden, wenn der Angeklagte ordnungsgemß geladen und in der Ladung auf die Folgen seines Ausbleibens hingewiesen ist (§ 323 Abs. 1). Daher muß der Verteidiger die Formalien der Ladung prfen (Rn. 451). Auf die Einhaltung der Ladungsfrist kommt es dabei allerdings nicht an, eine versptete Ladung kann aber das Fehlen entschuldigen778. Auch muß der Verteidiger darauf aufmerksam machen, daß die Berufung nicht auf die Minute genau verworfen werden darf. Das Gericht ist verpflichtet, kurzfristig zu warten: in der Praxis hat sich eine Frist von mindestens 15 Minuten eingebrgert. Die Berufung darf außerdem nicht verworfen werden, wenn dem Verfahren ein Prozeßhindernis entgegensteht; die Frage ist aber i. e. streitig779.

874

Der Verteidiger kann die Interessen des ausbleibenden Mandanten nur wahren, wenn er selbst pnktlich anwesend ist (Rn. 454) oder bei unab776 777 778 779

556

Dazu Meyer-Goßner, § 329 Rn. 18 ff. OLG Hamm, NStZ-RR 1997, 240; Meyer-Goßner, § 329 Rn. 21 f. BayObLG, NJW 1967, 457. Vgl. i. e. die Nachweise bei Meyer-Goßner, § 329 Rn. 8, der die Auffassung vertritt, die Verwerfung sei nur ausgeschlossen, wenn das Prozeßhindernis erst in der Berufungsinstanz entstanden ist.

Der Verteidiger im Berufungsverfahren

Rn. 876

wendbarer Verhinderung einen Vertreter bestellt, notfalls auch Vertagung beantragt (Rn. 454). Es geht zu Lasten des Verteidigers, wenn es zur Verwerfung der Berufung kommt, die er bei Anwesenheit htte verhindern knnen. Außerdem ist daran zu denken, daß gegen ein Verwerfungsurteil Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 329 Abs. 3: Rn. 1074 ff.) und Revision (Rn. 856) zulssig sind780. ber eine Berufung der Staatsanwaltschaft kann auch ohne den ordnungsgemß geladenen und nicht anwesenden Angeklagten verhandelt oder seine Vorfhrung oder Verhaftung angeordnet werden (§ 329 Abs. 2 und 4), und zwar auch, wenn beiderseits Rechtsmittel eingelegt sind781. In diesen Fllen sieht sich der Verteidiger hufig in einer schwierigen Situation. Vorfhrung oder Verhaftung treffen den Mandanten hart. Sie sind jedoch das geringere bel, falls seine Anwesenheit in der Hauptverhandlung unerlßlich ist. Der Verteidiger wird beispielsweise die Aussetzung der Verhandlung in den Fllen beantragen, in denen es darauf ankommt, dem Berufungsgericht einen persnlichen Eindruck von dem Mandanten zu vermitteln, etwa wenn sich die Berufung gegen einen Freispruch aus subjektiven Grnden oder gegen ein zu mildes Strafmaß richtet. In diesem Fall kann sich der Verteidiger auch darauf berufen, die Aufklrungspflicht erfordere die Anwesenheit des Angeklagten782.

875

Eine weitere Besonderheit des Berufungsverfahrens ist der Bericht, der vor der Vernehmung des Angeklagten und vor der Beweisaufnahme in Abwesenheit der Zeugen zu halten ist (§ 324). Er umschließt die Verlesung des angefochtenen Urteils. Die Verlesung langer Urteile macht manchmal den Eindruck einer notwendigen Pflichtbung. Der Verteidiger sollte jedoch nicht vergessen, daß er daraus auch Vorteile entnehmen kann, wenn er genau aufmerkt. Das Gericht kann von der Verlesung der Urteilsgrnde absehen, soweit sie fr die Berufung ohne Bedeutung sind. Dann weiß der Verteidiger, daß es die weggelassenen Teile fr unerheblich hlt. Darauf kann er seine Maßnahmen abstellen, etwa indem er die vollstndige Verlesung beantragt, falls in den nicht vorgetragenen Teilen des Urteils fr den Mandanten gnstige Tatsachen enthalten sind. Solche Tatsachen sind dann whrend der Vernehmung des Mandanten und der Beweisaufnahme betont herauszuarbeiten und zum Gegenstand der Berufungsverhandlung zu machen. Andererseits kann es im Interesse der Verteidigung liegen, daß bestimmte Teile des Urteils nicht verlesen werden, um die Schffen nicht negativ zu beeinflussen, z. B. Vorstrafen, Beweiswrdigung, Straf-

876

780 S. dazu Meyer-Goßner, § 329 Rn. 40 ff.; KK-Ruß, § 329 Rn. 22. 781 BayObLG, NJW 1956, 838; KK-Ruß, § 329 Rn. 18 m. N. 782 BGH, NJW 1962, 2020.

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Rn. 877

Der Verteidiger im Rechtsmittelverfahren

zumessung u. a. In derartigen Fllen sollte man rechtzeitig mit dem Gericht und der Staatsanwaltschaft Kontakt aufnehmen, um einen Verzicht auf die Verlesung (§ 324 Abs. 1 S. 2) herbeizufhren. Manchmal erreicht man auch einen vlligen Verzicht auf die Verlesung, was besonders bei sehr negativ gefrbten Urteilsgrnden anzustreben ist. Immer muß im Auge behalten werden, daß die Urteilsverlesung wie auch der sonstige Bericht kein Teil der Beweisaufnahme sind. Daraus folgt, daß auch andere Teile der Akten verlesen werden knnen, selbst wenn sie nicht als Urkunden verwertet werden drfen783. Auch die Berufungsbegrndung der Staatsanwaltschaft soll vorgelesen werden knnen784. Daß dadurch insbesondere die ehrenamtlichen Richter beeinflußt werden, liegt auf der Hand. So erfahren sie aus dem Urteil, warum das erstinstanzliche Gericht den Angeklagten fr schuldig hlt, obwohl darber noch nicht rechtskrftig entschieden ist. Auch die im angefochtenen Urteil festgestellten Vorstrafen werden durch die Verlesung frher bekanntgegeben, als in der Hauptverhandlung erster Instanz. Aus diesen Grnden muß der Verteidiger die Reaktion der Richter, besonders der ehrenamtlichen Richter, beobachten: Er muß auch feststellen, ob sie nicht unzulssigerweise eine Abschrift des Urteils oder anderer Aktenteile erhalten haben. Dann hat er einzugreifen. Er kann den oder die betroffenen Schffen ablehnen (Rn. 201). 877

Zu Beginn der Hauptverhandlung sollte der Verteidiger erwgen, ob er den Prozeßbeteiligten die allgemeine Richtung der Berufung bekanntgeben will, wenn dies schriftlich noch nicht geschehen ist (Rn. 869). Jedenfalls muß er auf eine entsprechende Frage des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft vorbereitet sein.

878

Das Verfahren der Hauptverhandlung weicht in mancher Beziehung von den Regeln der ersten Instanz erheblich ab. Das kommt besonders fr die Verlesung von Schriftstcken in Betracht. Schweigt der Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung, so kann seine Einlassung durch Verlesung des erstinstanzlichen Urteils als Beweismittel festgestellt und verwertet werden785. Entgegen § 250 (Rn. 624) braucht nicht jede Beweisperson noch einmal vernommen zu werden, die in erster Instanz bereits ausgesagt hat. Das Vernehmungsprotokoll darf vielmehr in der Berufungsverhandlung grundstzlich verlesen werden, und zwar ber die Voraussetzungen hinaus, unter denen Vernehmungsniederschriften in erster Instanz verlesen werden knnen (§ 325). Die Aufklrungspflicht (§ 244 Abs. 2) bleibt unbe783 Meyer-Goßner, § 324 Rn. 4. 784 OLG Kln, NJW 1961, 1127; Meyer-Goßner, § 324 Rn. 4. 785 OLG Hamm, NJW 1974, 1880.

558

Der Verteidiger im Berufungsverfahren

Rn. 879

rhrt. Der Berufungsrichter darf nicht nur frhere richterliche und sonstige Protokolle unter den Voraussetzungen des § 251 (Rn. 625 ff.) und beim Vorhalt unter den Voraussetzungen des § 253 (Rn. 629) im Wege des Urkundenbeweises verwerten, sondern auch alle anderen Schriftstcke. Hiervon wiederum gibt es Ausnahmen, deren Einhaltung der Verteidiger zu berwachen hat. Die Aussage eines Zeugen, der erst in der Hauptverhandlung des ersten Rechtszuges sein Zeugnis verweigert hat (§ 252; Rn. 569), darf nicht verlesen werden, desgleichen nicht Urkunden, die unter das Verbot des § 252 fallen (Rn. 630)786. Im brigen hat es der Verteidiger in der Hand, wie weit die Verlesung von Protokollen aus der Vorinstanz an Stelle der persnlichen Vernehmung tritt. Die Verlesung ist untersagt, wenn die Beweisperson wiederholt vorgeladen ist und Staatsanwaltschaft und Verteidigung der Verlesung nicht zustimmen. Hierbei bedeutet wiederholte Vorladung nicht, daß die Zustellung der Ladung nachgewiesen sein muß. Es gengt Abgang der Ladung787. Der Verteidiger wird nicht zustimmen, wenn es auf den persnlichen Eindruck ankommt, den der Zeuge oder Sachverstndige auf das Berufungsgericht macht. Darber hinaus kann der Verteidiger die Vernehmung anstelle der Protokollverlesung dadurch erzwingen, daß er rechtzeitig vor der Berufungsverhandlung die Ladung der Beweisperson beantragt788 (Rn. 871). Kommt es trotz seines Widerspruchs zu einer Protokollverlesung, so ist es geboten, die mndliche Vernehmung der Beweisperson frmlich zu beantragen, am besten nach Form und Inhalt wie bei einem Beweisantrag (Rn. 641 ff.). Dann ist das Gericht aufgrund der Aufklrungspflicht unter Umstnden gehalten, dem Antrag stattzugeben789. Der Schlußvortrag des Verteidigers weist je nach der Verfahrenslage gegenber der ersten Instanz (Rn. 675 ff.) Besonderheiten auf. Vertritt der Verteidiger die Berufung, so pldiert er zuerst; sonst der Staatsanwalt, dem auch das „erste Wort“ gebhrt, falls beiderseits Berufung eingelegt ist (§ 326). Inhaltlich ist das Pldoyer auf den Zweck des Berufungsverfahrens abzustellen, der durch den Umfang der Anfechtung vorgegeben ist. Hat der Verteidiger z. B. die Berufung begrenzt (Rn. 862), so muß er sich in seinen Ausfhrungen auf den angefochtenen Teil beschrnken, selbstverstndlich unter Verwertung des Ergebnisses der Berufungsverhandlung. Im brigen hat er sich mit dem angegriffenen Urteil auseinanderzusetzen. Das schließt notwendigerweise eine „Urteilsschelte“ ein. Sie muß im Ton sachlich und korrekt sein, obwohl falsche Urteile der Vorinstanz 786 787 788 789

Meyer-Goßner, § 325 Rn. 2. OLG Celle, NJW 1961, 1490. OLG Hamm, MDR 1981, 870; OLG Zweibrcken, MDR 1981, 869. Meyer-Goßner, § 325 Rn. 12.

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879

Rn. 880

Der Verteidiger im Rechtsmittelverfahren

manchmal eine herbe Kritik herausfordern. Der Verteidiger darf aber weder im Ton noch im Inhalt entgleisen (Rn. 187). Freilich muß er Fehler der Vorinstanz auch beim Namen nennen; sonst gelingt es nicht, das Berufungsgericht zu berzeugen. Falsche Rcksichtnahme schadet dem Mandanten. 880

Von besonderer Bedeutung ist das Recht des Verteidigers zu Erwiderungen auf die Gegenußerungen der Staatsanwaltschaft zu seinem Pldoyer (Rn. 745). Da der Verteidiger bei einer Berufung des Angeklagten zuerst pldiert hat, stellt die Gegenausfhrung der Staatsanwaltschaft praktisch in dieser Hauptverhandlung den erstmaligen Vortrag der Anklage dar, der einen starken Eindruck hinterlassen und das Pldoyer des Verteidigers in den Hintergrund drngen kann. Dieser muß sich der oft prozeßentscheidenden Wirkung des „letzten Wortes“ bemchtigen (§ 326), wobei er przise und durchschlagend zu formulieren und zusammenzufassen, langatmige Wiederholungen aber zu vermeiden hat. Wenn ihm das gelingt, kann er ein durch das Pldoyer des Staatsanwalts schwankend gewordenes Gericht wieder auf seine Seite bringen.

4. Der Verteidiger im Revisionsverfahren Amelunxen, Die Revision der Staatsanwaltschaft, 1980; Basdorf, Formelle und informelle Prklusion im Strafverfahren, StV 1997, 488; Blaese/Wielop, Die Frmlichkeiten der Revision in Strafsachen, 3. Aufl., 1991; Brtzler, Die Fertigstellung des Protokolls ber die Hauptverhandlung, MDR 1972, 185; Burhoff, Verteidigerfehler in der Tatsachen- und Revisionsinstanz, StV 1997, 432; Dahs sen., Die Verantwortung des Verteidigers in der Revisionsinstanz, AnwBl. 1963, 62; Dahs/ Dahs, Die Revision im Strafprozeß, NJW-Schriften Bd. 16, 6. Aufl., 2001; Dahs, Verfassungsrechtliche Gewhrleistung umfassender Verteidigung im Revisionsverfahren, NJW 1978, 140; Dahs, Die Urteilsrge, ein Irrweg, NJW 1978, 1551; Dahs, Bestehenbleibende Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO) – und ihre Probleme in „Aktuelle Probleme der Strafrechtspflege“, Symposium fr E. W. Hanack, 1990; Dahs, „Reformeifer“ – Zur Rechtsmittelreform in Strafsachen, NJW 2000, 1620; Fezer, Die erweiterte Revision – Legitimierung der Rechtswirklichkeit, 1974; Haddenhorst, Die Einwirkung der Verfahrensrge auf die tatschlichen Feststellungen im Strafverfahren, 1971; Kruse, Die „offensichtlich“ unbegrndete Revision in Strafverfahren, 1980; Langer, Zu den Zielen der Revision in Strafsachen, FS MeyerGoßner (2001), S. 497; Miebach, Die Zulssigkeit von Verfahrensrgen in der Rechtsprechung des BGH, NStZ-RR 1998, 1; Nack, Aufhebungspraxis der Strafsenate des BGH, NStZ 1997; Rieß, Gedanken zum gegenwrtigen Zustand und zur Zukunft der Revision in Strafsachen, FS Hanack (1999), S. 397; 153; Sarstedt/ Hamm, Die Revision in Strafsachen, 6. Aufl., 1998; G. Schfer, Praxis der Strafzumessung, 3. Aufl., 2001; Schmid, Zur Heilung gerichtlicher Verfahrensfehler durch den Instanzrichter, JZ 1969, 757; Schmid, Der Revisionsrichter als Tatrichter, ZStW 85 (1973), 360; Schubath, Die Erstreckung der Revision auf den Nichtrevidenten gem. § 357 im Falle der Verjhrung der Strafverfolgung, JR 1972, 240;

560

Der Verteidiger im Revisionsverfahren

Rn. 883

Wahl, Prfung der Verletzung des rechtlichen Gehrs durch das Revisionsgericht, NJW-Sonderheft fr G. Schfer, 2002, 73; Willms, Sachrge und erweiterte Revision, JR 1975, 52; Wolf, Rechtliches Gehr im Revisionsstrafverfahren, JR 1965, 87.

An die Spitze dieses Abschnitts gehren die allgemeinen Ausfhrungen, die sich bereinstimmend auf alle Rechtsmittel beziehen (C IV 1, Rn. 810 ff.). Sie werden hier nur durch die Darstellung der revisionsrechtlichen Besonderheiten ergnzt.

881

Dabei wird die Darstellung der Verteidigung in der Revision im Handbuch auf die wichtigsten Elemente dieses Rechtsmittels und grundlegende Hinweise fr die Bearbeitung beschrnkt. Im brigen wird wegen der Komplexitt und Schwierigkeit dieses Verfahrensabschnittes vor allem auf folgende Einzeldarstellungen verwiesen: Blaese/Wielop, Die Frmlichkeiten der Revision in Strafsachen, 3. Aufl., 1991; Dahs/Dahs, Die Revision im Strafprozeß, 6. Aufl., 2001; Sarstedt/Hamm, Die Revision in Strafsachen, 6. Aufl., 1998; Beck'sches Formularbuch/Hamm, 4. Aufl., 2002, S. 512 ff. Dort finden sich auch Hinweise auf Literatur zu Einzelfragen. a) Das Revisionsrecht – eine „Geheimwissenschaft“? Die Revision ist in ihrem Wesen nicht nur dem Laien unzugnglich, sondern auch dem mit der Materie nicht stndig befaßten Juristen weniger vertraut und oft von geradezu erschreckender Fremdheit. Das liegt in ihrem fr das allgemeine Rechtsbewußtsein schwer faßbaren Charakter, in der ihre Eigenart bestimmenden schwierigen Abgrenzung von Tat- und Rechtsfragen und in der Kompliziertheit ihrer Rechtsfolgewirkungen. Hinzu kommt die Natur der Revision, zwar einerseits der gerechten Entscheidung des Einzelfalles, andererseits aber – und vielleicht sogar hauptschlich – der Einheit der Rechtsprechung und damit der Rechtssicherheit zu dienen. Die Revision wird daher auch als „ein hchst unbefriedigendes, selbst fr den berdurchschnittlichen und folgerichtig denkenden Juristen schwer verstndliches, wenig sinnvolles Rechtsgebilde“ bezeichnet790.

882

Diese Eigenheiten der Revision wiegen um so schwerer fr die Verantwortung des Revisionsfhrers, als die Revision gegen die Urteile gerade in Kapitalsachen (Strafkammer- und OLG-Urteile) das einzige Rechtsmittel darstellt und nur auf diesem Weg das Tor fr eine neue Tatsachenverhandlung vor einem anderen Gericht (§ 354 Abs. 2) aufgestoßen werden kann. Dazu kommt, daß selbst ein in Strafsachen vielfach ttiger Anwalt nur einen kleinen Teil seiner Tagesarbeit auf Revisionen verwendet. Viele

883

790 Schweling, MDR 1967, 441.

561

Rn. 884

Der Verteidiger im Rechtsmittelverfahren

Verteidiger kommen gar nicht oder vielleicht einmal jhrlich zum Revisionsgericht. Dort begegnen sie Richtern und Staatsanwlten, die ausschließlich oft jahrelang nur mit dem Revisionsrecht zu tun haben. Sie begegnen auch der erschreckenden Perspektive, daß etwa 90% der von Angeklagtenseite eingelegten Revisionen durch Verwerfung des Rechtsmittels ohne Hauptverhandlung als „offensichtlich unbegrndet“ nach § 349 Abs. 2 im schriftlichen Verfahren erledigt werden. 884

Erfahrene Revisionsrichter erteilen denn auch den Verteidigern der Revisionsinstanz hufig geradezu „vernichtende Zensuren“. Was hier den Anwlten ins Stammbuch geschrieben wird, ist ein trbes Kapitel. Ihr Ansehen ist durch zahlreiche Fehlleistungen in diesem Bereich stark angeschlagen. Schriftliche und mndliche Revisionsbegrndungen werden von den Revisionsgerichten zum Teil einfach nicht ernst genommen, weil sie der Sache nicht nur nicht dienen, sondern ihr sogar so schaden, daß manche Angeklagte nur durch Gutwilligkeit und Verantwortungsbewußtsein eines erfahrenen Revisionsrichters gegen die Fehler der Verteidiger abgeschirmt werden knnen. Das sind bittere Wahrheiten. Mangels einer speziellen Ausbildung im Revisionsrecht ist der Verteidiger seiner schweren Aufgabe nur auf Grund lngerer praktischer Erfahrung gewachsen. Er muß sich auch durch genaue Unterrichtung ber die Judikatur der Revisionsgerichte und durch eingehendes Studium der reichhaltigen Literatur auf jeden Fall grndlichst vorbereiten. Dafr braucht selbst der erfahrene Revisionsrichter in komplexen Sachen einige Tage. Kein Anwalt sollte sich eine krzere Arbeitszeit leisten.

885

Es gengt aber nicht, erst aus Anlaß der einzelnen Sache sich mit der Materie zu befassen. Niemand sollte eine Revision bernehmen, der nicht auf Grund allgemeinen Studiums des Revisionsrechts die Materie schon kennt. Auch im Handbuch knnen Einzelfragen nicht behandelt werden791. Der Verteidiger muß sich der stndigen Gefahr bewußt sein, mit seiner Revision an ihrer rechtlichen Kompliziertheit oder an ihrer unerbittlichen Formstrenge zu scheitern. b) Vorbereitung der Revision

886

Diese Gefahren erfordern besonders sorgfltige berlegungen und Vorbereitungen, die schon vor dem Stadium der Revisionseinlegung einsetzen mssen. Schon whrend der Hauptverhandlung erster oder zweiter In791 Insoweit muß auf die eingangs genannten Einzeldarstellungen von Dahs/ Dahs und Sarstedt/Hamm sowie auf die Standardkommentare verwiesen werden.

562

Der Verteidiger im Revisionsverfahren

Rn. 887

stanz muß der Verteidiger die knftige Revision stndig im Auge haben, wie in den Abschnitten ber den Verteidiger vor und in der Hauptverhandlung (Rn. 456 ff., 506 ff.) ausfhrlich dargelegt wurde. Es empfiehlt sich, alle fr eine Revision auch nur entfernt in Betracht kommenden Vorgnge (z. B. Antrge und Beschlsse) und Gedanken sofort festzuhalten und in Verhandlungspausen zusammenzustellen. Dabei ist allerdings die Gefahr des Rgeverlustes durch Verwirkung sorgfltig zu beachten (Rn. 782 ff.). Fr notwendige Protokollierung und fr Sicherung der Freibeweise ist zu sorgen. Aus den Pldoyers sind die Rechtsausfhrungen festzuhalten und zu berdenken. Fr die mndliche Urteilsbegrndung (Rn. 765) gilt dasselbe. Die Zeit bis zum Eingang der schriftlichen Urteilsgrnde muß der Verteidiger nutzen. Er kann versuchen, das Sitzungsprotokoll schon jetzt zu erhalten (worauf kein Anspruch besteht) und es durchprfen. Die Bearbeitung der materiellen Rechtsfragen kann eingeleitet werden. Mit diesen Mitteln gewinnt der Verteidiger Zeit fr die demnchstige Ausarbeitung der Revisionsbegrndung, fr die ihm jedenfalls fr die Antrge und Verfahrensrgen nur eine knappe Frist zur Verfgung steht. Eine praktische, bedeutsame Frage der Vorbereitung ist die Verbindung zu anderen Verteidigern. Alle Verteidiger derselben Sache sind an dem Aufspren von Revisionsgrnden in gleicher Weise interessiert. Was der eine nicht findet, fllt vielleicht einem anderen auf. Der Gedankenaustausch kommt daher dem Revisionserfolg insgesamt zugute. Der Verteidiger muß aber wissen, daß die Verfahrensrgen nur zugunsten des Angeklagten wirken, dessen Verteidiger sie selbst erhoben und begrndet hat (Rn. 901 ff., 927). Es ist mehr als peinlich fr den Verteidiger und fr seinen Mandanten geradezu katastrophal, wenn seine Revision verworfen wird, whrend in derselben Hauptverhandlung die Revision eines aufmerksameren Mitverteidigers bei sonst gleicher Prozeßlage zu vollem Erfolg fhrt. Das liegt daran, daß die Aufhebung des Urteils aus verfahrensrechtlichen Grnden sich nicht auf die Mitangeklagten erstreckt (§ 357). Es darf allerdings noch viel weniger vorkommen, daß ein Verteidiger sich einfach auf die Revision seines Kollegen „bezieht“, oder gar, daß ein Verteidiger „fr alle Kollegen“ die Prozeßrgen vorbringt (Rn. 927). Solche Revisionen verfallen rettungslos der Verwerfung. Man mag diese irreparablen Katastrophen zwar als Konsequenz einer unsinnigen Formenstrenge verdammen, die das Schicksal der Menschen an seidenen Fden aufhngt. Das noch geltende Gesetz zwingt aber den Revisionsrichter dazu, auch wenn er sich seelisch noch so belastet fhlt, die an sich berechtige Revision eines Angeklagten an dem Versagen seines Verteidigers scheitern zu lassen. 563

887

Rn. 888

Der Verteidiger im Rechtsmittelverfahren

888

Es sind nicht die schlechtesten Verteidiger, die deshalb aus ihrer Verantwortung heraus ihren Mandanten einen Anwaltswechsel oder die Zuziehung eines im Revisionsrecht erfahrenen Kollegen vorschlagen. Dies sollte aber mglichst frhzeitig geschehen, jedenfalls bald nach der Urteilsverkndung. Denn gerade die Vorbereitungsmaßnahmen und die Rechtsvorprfungen bedrfen der sachkundigen Steuerung. Im brigen ist auch der neue Verteidiger ungleich besser zur Nachprfung der materiellen Rechtslage imstande, weil er unbefangen von den tatschlichen Feststellungen des Urteils ausgehen kann, whrend dem ersten Verteidiger oft durch die berzeugung von deren Unrichtigkeit der Blick auf die allein maßgeblichen Rechtsfragen verstellt ist (Rn. 954 ff.).

889

Der Pflichtverteidiger erster Instanz muß beachten, daß seine Bestellung sich zwar auf die Revisionsinstanz, aber nicht auf deren Hauptverhandlung erstreckt (Rn. 148)792. Er kann auch nicht ohne weiteres damit rechnen, daß das Revisionsgericht ihn dafr bestellt. Wenn der Angeklagte nicht auf freiem Fuße ist und auch nicht vorgefhrt wird, muß ihm auf Antrag ein Pflichtverteidiger gestellt werden (§ 350 Abs. 3). Die Bestellung zum Pflichtverteidiger kann insoweit allerdings auch stillschweigend erfolgen793. Der Verteidiger muß es sich berlegen, ob er seine Beiordnung beantragen will. Er ldt sich damit die ganze Verantwortung auf, ohne ihr vielleicht gewachsen zu sein. Das Gericht ist im brigen nicht gehalten, dem Antrag zu entsprechen und zieht vielleicht die Beiordnung eines ortsansssigen Anwalts vor. Auch sonst ist ein Antrag auf Beiordnung fr die Hauptverhandlung geboten, wenn es sich um einen schwerwiegenden und schwierigen Fall handelt: nach der Rechtsprechung des BVerfG wird solchen Antrgen durchweg stattgegeben werden mssen794. c) Zulssigkeit, Aussichten und Zweckmßigkeit der Revision

890

Hierzu gelten in erster Linie die allgemeinen Ausfhrungen ber den Verteidiger im Rechtsmittelverfahren (Rn. 811 ff.), die hier nicht wiederholt werden. Hinsichtlich der Abgrenzung der Revision zur Berufung kommen außerdem die Bemerkungen zur Zulssigkeit der Berufung (Rn. 857 ff.) in Betracht. Der folgende Abschnitt behandelt nur die daran anknpfenden Besonderheiten der Revision. Hiernach sind hinsichtlich der Zulssigkeit der Revision keine weiteren Hinweise geboten, um so mehr, als das Gesetz im allgemeinen klare Auskunft gibt (§§ 333, 335). 792 BGHSt. 19, 258; Meyer-Goßner, § 140 Rn. 8 u. 9. 793 Zu den Voraussetzungen BGH, NStZ 1997, 299. 794 BVerfG, NJW 1978, 151; dazu Dahs, NJW 1978, 140.

564

Der Verteidiger im Revisionsverfahren

Rn. 891

Die Prfung der Aussichten des Rechtsmittels ist bei der Revision besonders schwierig und verantwortungsvoll. Der Verteidiger muß unterscheiden zwischen der unmittelbaren und der mittelbaren Folge der Revision. Bei der verwirrenden Flle der prozessualen Gegebenheiten lßt sich nur sehr schwer beurteilen, ob ein Urteil wegen eines gergten Verfahrensfehlers aufgehoben werden wird. Man sollte deshalb nicht wegen mangelnder Aussicht eine Prozeßrge versumen, sofern sie einigermaßen begrndbar ist. Sie kann jederzeit zurckgenommen werden. Auch die materielle Rge kann selbst dann zur Aufhebung fhren, wenn man zunchst keinen durchschlagenden Rechtsfehler erkennt. Ob der Verteidiger in einem solchen Falle die allgemeine Sachrge auch bei Fehlen einer konkreten Vorstellung einer Erfolgsaussicht ohne nhere Begrndung erheben soll oder darf, mindestens wenn der Mandant dies verlangt, ist eine besonders zu behandelnde Frage (Rn. 886). Viel wichtiger kann aber in diesen Fllen die Frage nach dem weiteren Schicksal der Sache sein. Manche „todsicheren“ Revisionen fhren zwar zur Zurckverweisung und Neuverhandlung, aber dann zu dem sachlich gleichen Urteilsergebnis. In diesen Fllen ist der Revisionserfolg ein Pyrrhussieg. Der Verteidiger muß diese letzte Auswirkung im Auge haben, wenn er die Aussichten verantwortlich prfen will. „Quidquid agis, prudenter agas et respice finem.“ Die damit dem Verteidiger abverlangte Prognose ist allerdings recht schwierig und brdet ihm manchmal schwere Verantwortung auf. Das gilt besonders fr den Fall, daß der Verteidiger die tatschlichen Feststellungen des Urteils und auch die materiell-rechtliche Beurteilung fr richtig hlt, aber mit einer formalen Prozeßrge das Urteil zu Fall bringen kann. Die Mglichkeit liegt nahe, daß die neue Tatsachenverhandlung dem Mandanten dieselbe Verurteilung und sonst nichts als weitere Prozeßlasten und -kosten einbringt. Auch kann den Verteidiger sein Gewissen mit der Frage plagen, ob er gegen ein fr sachlich richtig gehaltenes Urteil berhaupt angehen darf. Anderseits weiß man nie, wie ein Verfahren laufen wird. Beweismittel knnen sich abgeschwcht haben, Zeugen knnen ihre Einstellung gendert haben, neue Beweismittel oder -ergebnisse knnen Gewicht bekommen haben, der Zeitablauf u. a. knnen den Strafausspruch beeinflussen und – last not least – der Verteidiger kann die Sache falsch beurteilt haben. Nimmt man hinzu, daß das so eingeschrnkte Rechtsmittel der Revision keinen anderen Ausweg bietet, um zu einer zweiten Tatsachenverhandlung zu gelangen, wird der Verteidiger im allgemeinen jede gesetzliche Mglichkeit ntzen mssen, um die Verurteilung seines Mandanten zunchst einmal zu beseitigen. Dabei kann er von der beruhigenden Gewißheit ausgehen, daß nach der Zurckverweisung ein anderes, unbefangenes Gericht zur Entscheidung berufen ist (§ 354 Abs. 2).

565

891

Rn. 892 892

Der Verteidiger im Rechtsmittelverfahren

Im brigen gelten hinsichtlich der Zweckmßigkeit der Revision die allgemeinen Grundstze (Rn. 814 ff.). Bei bestehenden Zweifeln wird es in fast allen Fllen der Verteidigung eines nicht gestndigen Mandanten geboten sein, die Revision wenigstens vorsorglich einzulegen. Die endgltige Entscheidung mag bis zum Eingang der schriftlichen Urteilsgrnde aufgeschoben werden. Wenn der Verteidiger trotz aller Gegenerwgungen die Durchfhrung der Revision nicht verantworten will, muß er sich auch gegenber seinem Mandanten durchzusetzen wissen (Rn. 153). Allerdings sollte er nur im ußersten Falle die Verteidigung niederlegen. Er muß auch jeweils besonders prfen, ob nicht dem Tatrichter eine materiellrechtlich fehlerhafte Beurteilung des festgestellten Sachverhalts zugunsten des Angeklagten unterlaufen ist, die das Revisionsgericht unter Umstnden ohne Zurckverweisung korrigieren kann, was fr den Angeklagten schlimme Folgen haben kann. Das Verbot der Schlechterstellung wird dabei nicht verletzt. Darauf ist schon oben (Rn. 815) hingewiesen. Als weiteres Beispiel fr die Revisionsinstanz diene der Fall, daß das Revisionsgericht in einer zunchst nur festgestellten strafbaren Gebhrenberhebung (§ 352 StGB) etwa eines Beamten die Elemente einer Unterschlagung erkennt und der Beamte mit der entsprechenden Verurteilung seines Amtes endgltig verlustig geht, was bei Unterlassung der Revision nicht geschehen wre. d) Einlegung der Revision Blaese/Wielop, Die Frmlichkeiten der Revision in Strafsachen, 3. Aufl., 1991; Dahs/Dahs, Revision, Rn. 301; Dahs, Die Begrndung der Revision zu Protokoll (§ 345 II StPO) – ein Fossil, NStZ 1982, 345; Sarstedt/Hamm, Die Revision in Strafsachen, Rn. 108 ff.; Schmid, W., Die Revisionsbegrndung zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschftsstelle, Rpfleger 1962, 301; vgl. auch das vor Rn. 856 angefhrte Schrifttum.

893

Die Frist zur Einlegung der Revision betrgt eine Woche. Sie beginnt grundstzlich mit der Verkndung des Urteils, ausnahmsweise mit seiner Zustellung (§ 341 Abs. 1 und 2). Bei Versumung der Frist gilt § 346. Hiernach verwirft der judex a quo die Revision als unzulssig. Dagegen kann dann gemß § 346 Abs. 2 binnen einer Woche nach Zustellung des Beschlusses auf Entscheidung des Revisionsgerichtes angetragen werden. In diesem Verfahren wird geprft, ob die Frist wirklich versumt ist. Daneben kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach den allgemeinen Vorschriften beantragt werden, wenn der Beschwerdefhrer ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist verhindert war (§ 44; Rn. 1074 ff.).

894

Zur Form der Revisionseinlegung bestimmt § 341, daß sie rechtswirksam schriftlich oder zu Protokoll der Geschftsstelle des iudex a quo erklrt 566

Der Verteidiger im Revisionsverfahren

Rn. 895

werden kann. Sie knnte schon in der Hauptverhandlung sogleich nach der Urteilsverkndung zu Protokoll gegeben werden. Das sollte der Verteidiger aber unterlassen. Er mßte damit rechnen, an die Geschftsstelle verwiesen zu werden, weil die Wrde des Gerichts in Frage steht795. Es ist schon ungehrig, berhaupt die Absicht der Revisionseinlegung lautstark zu erklren. Dagegen kann eine sachliche Information hierzu unbedenklich sein. Am einfachsten und sichersten ist die Einlegung der Revision in schriftlicher Form. Sie kann durch den Verurteilten ohne Mitwirkung eines Verteidigers oder eines Rechtsanwalts erfolgen. Adressat ist nur das Gericht, nicht die Staatsanwaltschaft, was fter bersehen wird, als man annehmen sollte. Im brigen gelten die allgemeinen Grundstze der Rechtsmitteleinlegung (Rn. 820 ff.). Viele Verteidiger verbinden mit der Einlegung der Revision schon die Revisionsantrge und eine formelle Kurzbegrndung wie etwa: „Es wird die Verletzung formellen und materiellen Rechts gergt.“ Das ist teils fehlerhaft, teils gefhrlich, weil damit fr den Fall einer Versumung der Revisionsbegrndungsfrist der Weg der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 44; Rn. 1074 ff.) verbaut wird. Eine Wiedereinsetzung kommt nur in Betracht, wenn die Frist absolut versumt ist. Zur Nachholung einzelner Rgen wird in aller Regel keine Wiedereinsetzung bewilligt (Rn. 907). Der Verlust der Wiedereinsetzung trifft den Verteidiger auch dann, wenn er bei der Einlegung der Revision nur die Sachrge vorsorglich erhoben und damit die Revision „begrndet“ hatte796. Die damit sichtbar werdende Verantwortung des Verteidigers ist fr die Strenge des Revisionsrechts und die Gefhrlichkeit dieser Materie besonders charakteristisch. Bei alldem ist andererseits zu beachten, daß ein Verschulden des Verteidigers auch in diesem Bereich fr den Angeklagten nicht als eigenes Verschulden im Sinne des § 44 zu gelten hat (Rn. 14, 902, 1076), wenn ihm nicht ein Mitverschulden zur Last fllt797. e) Begrndung der Revision (Allgemeines) Beck'sches Formularbuch/Hamm, 4. Aufl., 2002, S. 512 ff.; Blaese/Wielop, Die Frmlichkeiten der Revision in Strafsachen, 3. Aufl., 1991; Burhoff, Verteidigerfehler in der Tatsachen- und Revisionsinstanz, StV 1997, 432; Dahs, berspan-

795 So Nr. 142 Abs. 2 RiStBV. 796 U. a. OLG Oldenburg, NJW 1968, 64; Sarstedt, JR 1960, 146; Willms, NJW 1965, 2334. 797 BVerfG, NJW 1994, 1856; BGH, NJW 1994, 3112; NStZ 1997, 560; MeyerGoßner, § 44 Rn. 18.

567

895

Rn. 896

Der Verteidiger im Rechtsmittelverfahren

nung der Anforderungen an den Sachvortrag aus der Sicht des Revisionsfhrers, in: Grundprobleme des Revisionsverfahrens, 1991, S. 85; Dahs, Die Revisionsbegrndung – Puzzle oder Glcksspiel?, StraFo 1995, 41; Dahs/Dahs, Revision, 6. Aufl., 2001, Rn. 86 ff.; Gollwitzer, Anforderungen an den Tatsachenvortrag einer Revisionsbegrndung, JR 1996, 474; Gollwitzer, Zur Frage, ob das Revisionsgericht nur auf eine Verfahrensrge zu prfen hat, ob durch das Berufungsgericht die Vorschrift StPO § 328 Abs. 2 verletzt wurde, JR 1997, 432; Gribbohm, Das Scheitern der Revision nach § 344 StPO, NStZ 1983, 97; Herdegen, Die Beruhensfrage im strafprozessualen Revisionsrecht, NStZ 1990, 513; Maatz, Mitwirkungspflicht der Verteidigers in der Hauptverhandlung und Rgeverlust, NStZ 1992, 513; Maul, Der notwendige Umfang des Tatsachenvortrags aus der Sicht des Revisionsrichters, in Grundprobleme des Revisionsverfahrens, 1991, S. 71; Park, Die Erwiderung der Verteidigung auf einen Revisionsverwerfungsantrag gem. § 349 Abs. 2 StPO, StV 1997, 550; Sarstedt/Hamm, Die Revision in Strafsachen, 6. Aufl., 1998, Rn. 161 ff.; Schrder, Das Wortlautprotokoll als revisionsrechtlicher Nachweis eines Widerspruchs zwischen tatrichterlichem Strafurteil und dem Inbegriff der mndlichen Verhandlung, 1996; Schulze, Iudex non calculat? Zur Berechnung der Revisionsbegrndungsfristen nach §§ 345 Abs. 1 S. 1, 43 Abs. 1 StPO, JR 1996, 51; Seibert, Zur Verantwortung des Verteidigers im Revisionsverfahren, AnwBl. 1955, 225; Ventzke, Zur Rechtzeitigkeit der Revisionsbegrndung in Strafsachen und zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei versumter Begrndungsfrist, StV 1997, 227; Ventzke, Zu den formellen Anforderungen an die Revisionsrge, dem Angeklagten sei nicht das letzte Wort gewhrt worden, StV 1995, 177; Widmaier, Gemeinsame Revisionsbegrndung mehrerer Mitangeklagter bei gleichlautenden Verfahrensrgen, NStZ 1998, 99; Willms, Vorsorgliche Begrndung der Revision?, NJW 1965, 2334. S. auch die Rechtsprechungs-Berichte von Sander, zuletzt NStZ-RR 2004, 1.

896

Hier handelt es sich um den schwierigsten Teil des Revisionsverfahrens. Die dabei begangenen Fehler sind weitgehend irreparabel. Sie stellen das grßte Kontingent der fehlerhaften Revisionen dar. Die Materie ist speziell und so verzwickt, daß nach den ußerungen der Revisionsgerichte selbst allgemein tchtige und namhafte Anwlte versagen. Das liegt in erster Linie an der außerordentlichen Strenge der Formvorschriften und ihrer Auslegung in der Rechtsprechung. aa) Mindesterfordernisse

897

Die Revision kann wirksam nur darauf gesttzt werden, daß eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist (§ 337). Aussichtslos sind daher Revisionen, die lediglich Angriffe auf tatschliche Feststellungen enthalten. Deren Nachprfung ist dem Revisionsgericht nicht gestattet. Es ist vielmehr daran gebunden. Darin liegt das Wesen der Revision beschlossen. Wohl die meisten Revisionen verstoßen gegen dieses Prinzip und werden deshalb verworfen.

568

Der Verteidiger im Revisionsverfahren

Rn. 900

Als Rechtsnorm in diesem Sinne kommen Verfahrensvorschriften und materiell-rechtliche Rechtsstze in Betracht. Aus der Revisionsbegrndung muß deshalb hervorgehen, ob die Revision auf Verfahrensfehler oder Verletzung materiellen Rechts gesttzt wird (§ 344 Abs. 2). Im erstgenannten Fall mssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden, whrend im anderen Fall die „allgemeine Sachrge“ ohne nhere Begrndung gengt.

898

bb) Revisionsantrge Sie gehren mit in die fristgebundene Revisionsbegrndungsschrift. Sie bestimmen die Prfungspflicht des Revisionsgerichts. Allerdings ist eine besondere Form nicht vorgeschrieben. Es gengt, daß der Umfang der Anfechtung des Urteils zu erkennen ist. Dennoch sollte der Verteidiger einen artikulierten Antrag formulieren. In der Praxis haben sich vielfach widersinnige und gedankenlose Formeln eingebrgert. Der Antrag „freizusprechen“ kann fehlerhaft sein, wenn nur ein die sachliche Entscheidung nicht betreffender Verfahrensfehler gergt wird (z. B. Verletzung des ffentlichkeitsgrundsatzes). Hier kann das Revisionsgericht nur aufheben. Der Antrag auf Freisprechung ist berdies niemals erforderlich und fr die Entscheidung des Revisionsgerichts bedeutungslos. Selbst der Antrag auf Zurckverweisung, der meist als Eventualantrag erscheint, ist fr das Revisionsgericht eine Floskel. Der Antrag hat sich richtigerweise nur auf die Aufhebung des Urteils zu richten. Es mag allerdings nachgesehen werden, wenn im Hinblick auf den Mandanten weitergehende Antrge gestellt werden, sofern sie nicht rechtlich unsinnig sind.

899

Hufig werden die Antrge auch in einer unlogischen Reihenfolge gestellt, die nicht dem Interesse des Mandanten entspricht, indem in erster Linie Aufhebung und Zurckverweisung und nur hilfsweise Freisprechung beantragt wird. Zwar ist eine Reihenfolge nicht vorgeschrieben. Die falsche Einordnung kann aber besonders wegen der Konkurrenz der Revisionsrgen sinnwidrig sein. Die Verfahrensrge bedarf keiner Errterung, wenn die Sachrge durchgreift. Fr den Fall einer erstrebten Zurckverweisung kann es ratsam sein zu beantragen, die Sache an ein anderes Gericht desselben Landes zu verweisen (§ 354 Abs. 2), wenn die Ortsatmosphre der ersten Verhandlung einen Klimawechsel wnschenswert macht. Geeigneten falls entspricht der Bundesgerichtshof solchen Anregungen, z. B. in einer aufsehenerregenden Sache, die Presse und ffentlichkeit erheblich beschftigt hat798. Dazu sollte man in der Revisionsbegrndung etwas vortragen.

900

798 Seibert, Das andere Gericht (§ 354 Abs. 2 StPO), NJW 1968, 1316.

569

Rn. 901

Der Verteidiger im Rechtsmittelverfahren

Hufig wird von Anwlten, die berwiegend in Zivilsachen arbeiten, die Form gewhlt: „Ich werde beantragen ...“ Das ist im Strafprozeß unrichtig, weil der Antrag einen essentiellen Bestandteil der schriftlichen Revisionsbegrndung gemß § 344 darstellt und nicht Ankndigung einer erst in der mndlichen Verhandlung wirksam werdenden Prozeßhandlung ist. cc) Frist und Form 901

Die Frist zur Rechtfertigung der Revision betrgt einen Monat. Sie beginnt im Regelfall mit der wirksamen Zustellung des angefochtenen (vollstndigen) Urteils (vgl. § 345 Abs. 1)799. Maßgebend ist bei Zustellung an mehrere Empfangsberechtigte auch hier die letzte Zustellung (§ 37 Abs. 2). Bei mehreren Verteidigern soll die Zustellung an einen gengen800. Wenn das Gericht gegen die versumte Einlegungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewhrt, beginnt die Frist mit der Zustellung des entsprechenden Beschlusses, falls dem Revisionsfhrer in der Zwischenzeit das Urteil zugestellt worden ist801. Der Verteidiger muß beachten, daß die Rechtfertigungsschrift vor Ablauf der Frist bei Gericht eingegangen sein muß. Es empfiehlt sich die bersendung als Einschreiben und ggfs. per Kurier, Fernschreiben, Telefax oder Computerfax802. Der Verteidiger sollte mglichst auch zwei Abschriften des Schriftsatzes beifgen, die fr die Staatsanwaltschaft und den Generalstaatsanwalt bestimmt sind.

902

Eine Verlngerung der Revisionsbegrndungsfrist gibt es im Strafprozeß nicht – im Gegensatz zu allen anderen Verfahrensordnungen803. Das kann den Verteidiger hinsichtlich der fristgebundenen Prozeßrgen in verteufelte Situationen bringen. Die Frist von einem Monat reicht in umfangreichen Sachen fr eine verantwortliche Prfung und Bearbeitung einfach nicht aus. In der Praxis ist es auch nur in Ausnahmefllen mglich, daß ein Verteidiger fr die Bearbeitung einer Revisionsbegrndung von seinen sonstigen beruflichen Aufgaben „freigestellt“ wird. Die bewußte Versumung der Revisionsbegrndungsfrist mit anschließendem Gesuch um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Verschuldens des Verteidigers, das nach der Rechtsprechung fr den Angeklagten als unabwendbarer Zufall gilt, ist kein Ausweg aus dem Fristdilemma. Die Rechtspre799 800 801 802 803

570

Zu den Einzelheiten Meyer-Goßner, § 345 Rn. 4 ff. BGHSt. 34, 371; bei Miebach, NStZ 1989, 16. RGSt. 76, 280; OLG Celle, NJW 1956, 760. Blaese/Wielop, Rn. 253; Meyer-Goßner, Einl. Rn. 139 ff. § 554 Abs. 2 S. 2 ZPO, § 139 Abs. 3 S. 3 VwGO, § 120 Abs. 2 S. 3 FGO, § 164 Abs. 2 S. 2 SGG.

Der Verteidiger im Revisionsverfahren

Rn. 902

chung steht nmlich auf dem Standpunkt, daß in solchen Fllen in der Regel ein Mitverschulden des Angeklagten vorliegt, das der Wiedereinsetzung entgegensteht804. Wenn diese Rechtsprechung angesichts der Gegebenheiten der Praxis auch problematisch sein mag805, so muß der Verteidiger sich doch darauf einstellen. Ist er bereits in der Tatsacheninstanz ttig gewesen, so kann die Begrndung wenigstens eines Teils der Verfahrensrgen langfristig vorbereitet werden (Rn. 506 ff., 886). Allerdings braucht ihm das in großen Sachen abschnitts- oder tageweise gefertigte Protokoll nicht schon whrend der Dauer der Hauptverhandlung berlassen zu werden806 (Rn. 703). Ersatzweise sind aber Notizen und Vermerke ber mutmaßliche oder erkannte Verfahrensfehler whrend der Hauptverhandlung hilfreich, aufgrund deren einzelne Rgen schon vor Beginn der Begrndungsfrist im Entwurf ausgearbeitet werden knnen. Die tatschlichen Feststellungen zu den meisten absoluten Revisionsgrnden des § 338 knnen außerhalb des Hauptverhandlungsprotokolls getroffen werden, z. B. hinsichtlich der kraft Gesetzes ausgeschlossenen Richter (§ 338 Ziff. 2), oft auch hinsichtlich der Rge der Verletzung des ffentlichkeitsgrundsatzes (§ 338 Nr. 6). Die Vorarbeiten fr die Besetzungsrge (§ 338 Nr. 1) und i. w. auch fr die Rge der Unzustndigkeit des Gerichts (§ 338 Nr. 4) mssen wegen der Rgeprklusion ohnehin schon vor bzw. whrend der Hauptverhandlung geleistet sein (Rn. 456 ff., 511 f.). Auch die Vorgnge um einen Beschluß i. S. des § 338 Nr. 8 muß der Verteidiger bereits in der Hauptverhandlung durch Notizen festgehalten haben. Auseinandersetzungen zwischen Verteidigung und Gericht ber verfahrensrechtliche Fragen z. B. im Zusammenhang mit der Verhandlungsleitung (§ 238 Abs. 2), dem Fragerecht (§§ 240, 241) und dem Beweisantragsrecht (§§ 244, 245) mssen dem Verteidiger aus der Verteidigung in der Tatsacheninstanz in jedem Falle so gelufig sein, daß ihm das Hauptverhandlungsprotokoll dazu in der Sache nichts Neues bringt (Rn. 495 ff., 886). Damit ist er auch hier in der Lage, die Verfahrensrgen bereits vor Einsicht in das Hauptverhandlungsprotokoll, die ihm gem. Nr. 160 RiStBV erst bei Beginn der Revisionsbegrndungsfrist gewhrt werden muß, im Entwurf auszuarbeiten. Dem sog. „Revisionsverteidiger“, d. h. dem erst fr die Revisionsinstanz beauftragten Verteidiger stehen die aufgezeigten Mglichkeiten zur vorbereitenden Bearbeitung nur zum Teil zur Verfgung, weil er keine eigenen Erkenntnisse ber den Verlauf der Hauptverhandlung der Vorinstanz hat.

804 BGHSt. 25, 89; OLG Frankfurt, GA 1980, 427; vgl. auch OLG Mnchen, AnwBl. 1973, 215. 805 Dahs, Die Wiedereinsetzung im Strafprozeß in der Krise, AnwBl. 1973, 631. 806 BGH, NJW 1981, 411 m. N.

571

Rn. 903

Der Verteidiger im Rechtsmittelverfahren

Er ist daher auf die Erteilung von Informationen durch den in der Tatsacheninstanz ttigen Verteidiger angewiesen. Diese notwendige Kooperation ist nicht immer leicht zu erreichen, weil die zustzliche oder anderweitige Beauftragung eines Verteidigers fr die Revision bei dem vorher ttigen Kollegen manchmal Verstimmung auslst807. 903

Weniger schlimm ist der Fristdruck hinsichtlich der allgemeinen Sachrge. Es gengt fr die Wahrung der Frist, daß die Anfechtung wegen Verletzung des sachlichen Rechts „erklrt“ wird (§ 344 Abs. 2). Ein weiterer Begrndungszwang besteht nicht. Die Erhebung der Sachrge in dieser allgemeinen Form – in Verbindung mit dem Revisionsantrag – zwingt vielmehr das Revisionsgericht, nunmehr von Amts wegen das Urteil auf sachlichrechtliche Fehler zu berprfen (vgl. hierber im einzelnen Rn. 951 ff.). Das bedeutet, daß auch nach Ablauf der Revisionsbegrndungsfrist Schriftstze „nachgeschoben“ werden knnen, die sich auf die materiell-rechtliche Seite des Urteils beziehen. Sogar in der Hauptverhandlung knnen materiell-rechtliche Ausfhrungen nachgeholt werden. Hiernach begeht der unter Zeitdruck stehende Verteidiger einen erheblichen Fehler, wenn er sich in der knappen Begrndungsfrist mit der subtilen Ausarbeitung von Schriftstzen zur materiell-rechtlichen Lage beschftigt, statt zunchst sich der fristgebundenen Begrndung der Prozeßrgen zuzuwenden. Selbst wenn nach Ablauf der Begrndungsfrist die Akten zum Generalstaatsanwalt des Oberlandesgericht oder zur Bundesanwaltschaft beim Bundesgerichtshof gelangt sind, knnen die Schriftstze noch nachgereicht werden. Sie werden auch vom Revisionsgericht noch bis zur Hauptverhandlung entgegengenommen. In diesen Fllen tut der Verteidiger allerdings gut daran, sich telefonisch besttigen zu lassen, daß die Schriftstze auch wirklich eingegangen und vorgelegt worden sind, was immerhin durch Versehen versumt sein knnte. Der Verteidiger sollte allerdings diese Mglichkeit der Nachreichung nicht allzu weit ausdehnen. Es muß ihm vielmehr daran gelegen sein, schon die Meinungsbildung der Staatsanwaltschaft zu beeinflussen, ehe diese sich ohne sein Zutun gebildet und in einem Votum niedergeschlagen hat. Daher empfiehlt es sich, durch Rckfrage bei der Geschftsstelle der Tatsacheninstanz festzustellen, wann die Akten abgegeben worden sind. Da die Staatsanwaltschaften beim Revisionsgericht vielfach recht zgig arbeiten, muß der Verteidiger die ergnzende Revisionsbegrndung dann schnellstens vorlegen, ehe vielleicht ein Antrag nach § 349 Abs. 2 gestellt wird.

807 Allerdings wird neuerdings vom BGH fr bestimmte Fallstrukturen eine Erkundigungspflicht des fr die Revision beauftragten Verteidigers bejaht – BGH, NStZ 2005, 283, 284.

572

Der Verteidiger im Revisionsverfahren

Rn. 906

Fr die Revisionsrechtfertigung ist die Form der Erklrung zu Protokoll der Geschftsstelle des judex a quo oder einer vom Verteidiger unterzeichneten Schrift vorgeschrieben. Auch die schriftliche Rechtfertigung eines nicht zum Verteidiger bestellten Rechtsanwalts gengt (§ 345 Abs. 2).

904

Da der Angeklagte selbst die Revision nicht wirksam begrnden kann, wird mit Recht gefordert, daß der Verteidiger nicht nur seine Unterschrift leistet, sondern fr den Schriftsatz erkennbar die Verantwortung bernimmt808. Unzulssig ist daher die Revision, wenn der Verteidiger einen Schriftsatz seines Mandanten unterzeichnet809 oder auch nur auf diesen Bezug nimmt, etwa durch Formeln wie: „Nach Auffassung des Angeklagten ...“ oder „Auf Wunsch meines Mandanten trage ich noch vor ...“ oder „Zu meiner Deckung ...“ oder auch nur „Der Angeklagte lßt vorbringen ...“. An solchen Formulierungen scheitern zahlreiche Revisionen.

905

Wenn der Verteidiger sich außerstande sieht, eine Revision selbst zu begrnden, weil sie ihm aussichtslos erscheint, oder wenn er berhaupt die Revision nicht weiter durchfhren will, muß er den Mandanten an die Geschftsstelle verweisen, wo dieser die Begrndung zu Protokoll geben kann (§ 345 Abs. 2 1. Alt.)810. Daneben hat er zu erwgen, einen Revisionsantrag zu stellen und die allgemeine Sachrge ohne Begrndung im einzelnen zu erheben oder die erhobene Sachrge jedenfalls bestehen zu lassen. Damit sichert er dem Mandanten, der sich zu Unrecht verurteilt fhlt, die gerichtliche Nachprfung von Amts wegen. Allerdings hat der Verteidiger seinen Entschluß in Einklang zu bringen mit seinen berufsrechtlichen Pflichten als Organ der Rechtspflege, die ihm ein nur Verzgerungszwecken dienendes Prozeßverhalten verbieten knnen. Die Erfahrung hat andererseits hufig gelehrt, daß Revisionsgerichte Rechtsfehler im Urteil entdeckt haben, die dem Verteidiger verborgen geblieben waren. Das mahnt zur Vorsicht. In keinem Falle wird es ihm als Mißachtung des Gerichts angerechnet, wenn er die im einzelnen nicht begrndete Rge vorsorglich aufrechterhlt. Die Folgen einer Versptung oder einer ußeren Formwidrigkeit der Revisionsrechtfertigung regelt § 346 Abs. 1. Hiernach verwirft der iudex a quo

808 Dazu BVerfGE 64, 152; BGH, NStZ 1997, 45; Meyer-Goßner, § 345 Rn. 16 m. N. 809 BGH, NStZ 1984, 563; BGH, NJW 1974, 655 m. Anm. Meyer, JR 1974, 478; OLG Kln, NJW 1975, 890. 810 Zur Bedenklichkeit dieses Verfahrens Dahs, Anm. zu OLG Hamm, NStZ 1982, 345.

573

906

Rn. 907

Der Verteidiger im Rechtsmittelverfahren

die Revision als unzulssig. Hiergegen hilft wie bei der Einlegung (Rn. 893) der Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 346 Abs. 2) oder die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 44). 907

Ein Sonderproblem ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung einzelner Revisionsrgen. Zu denken ist hier an den Fall, daß nur die allgemeine Sachrge fristgemß erhoben worden ist und nachtrglich die Voraussetzungen fr eine Verfahrensrge festgestellt werden oder umgekehrt, oder der Verteidiger einen weiteren Verfahrensfehler nach Fristablauf entdeckt. Die Rechtsprechung hat eine solche partielle Wiedereinsetzung grundstzlich abgelehnt811. Ausnahmen werden aber „bei besonderen Verfahrenslagen“ anerkannt812, z. B. bei Nichtgewhrung der (notwendigen) Einsicht in die Verfahrensakten, insbesondere in das Hauptverhandlungsprotokoll813, verzgerlicher Postbefrderung814, schwerer Erkrankung des Verteidigers815. Keine Wiedereinsetzung ist gewhrt worden, wenn der Verteidiger die Mglichkeit hatte, das Sitzungsprotokoll auf der Geschftsstelle des Gerichts am Ort der Praxis einzusehen816, fr die Rechtfertigung einer Rge, daß die Einsicht in das Protokoll nicht erforderlich war (fehlerhafte Ablehnung eines Hilfsbeweisantrages)817 oder ein Mitverschulden des Mandanten vorlag818. Der Verteidiger sollte in jedem Einzelfall die Grnde der Versumung genau prfen und in dubio den Antrag auf Wiedereinsetzung stellen. dd) Das „Aufspren“ der Revisionsgrnde

908

Wegen der Knappheit der Begrndungszeit muß der Verteidiger bei seiner Arbeit planmßig vorgehen. In großen Sachen liegen ihm ein Urteil von Hunderten von Seiten und Sitzungsprotokolle großen Umfanges vor, die nur schwer zu bersehen sind. Der Verteidiger muß zuerst die Verfahrensverstße aufzuspren suchen. Normalerweise mßte diese der Verteidiger in der Tatsacheninstanz selbst bemerkt und fr die Revision vorgemerkt haben. 811 Vgl. dazu i. e. Dahs/Dahs, Rn. 522. 812 Vgl. die bei Dahs/Dahs, Rn. 522 aufgefhrten Flle; zum Versehen der Kanzlei BGH, NStZ 1997, 46. 813 BGH, NStZ 1997, 45. 814 BGH, NStZ 1981, 110. 815 BGH, Beschl. v. 25. 5. 1965 – 3 StR 5/65 – unv. 816 Wobei an seine Bemhungen, die Akteneinsicht zu erreichen, hohe Anforderungen gestellt werden – BGH, StV 2005, 9. 817 OLG Hamm, JMBl. NRW 1981, 167. 818 BGHSt. 25, 89, 92; OLG Frankfurt, GA 1980, 427; i. . Meyer-Goßner, § 44 Rn. 18 m. N.

574

Der Verteidiger im Revisionsverfahren

Rn. 911

Vorab kommen die schon von Amts wegen zu beachtenden Prozeßverstße (Prozeßvoraussetzungen, Verfahrenshindernisse) in Betracht, die sich aus den Akten ergeben knnen (Rn. 921). Beispiele: Ist die Strafverfolgung durch Verjhrung ausgeschlossen (§§ 78 ff. StGB)? Ist ein erforderlicher Strafantrag – rechtswirksam – gestellt (§§ 77 ff. StGB)?

909

Ergiebigste Quelle weiterer Rgen ist neben den Akten das Sitzungsprotokoll. Infolge des absoluten Charakters der positiven und negativen Beweiskraft des Protokolls (§ 274; Rn. 702, 803 f.) lassen sich Verfahrensfehler damit unwiderlegbar beweisen, selbst wenn sie tatschlich nicht vorgekommen sein sollten, vorausgesetzt, daß sie die wesentlichen Frmlichkeiten des Verfahrens betreffen. Ob die Rechtsprechung die Rigiditt dieses Prinzips auch in Zukunft aufrechterhalten wird, erscheint angesichts entsprechender negativer Tendenzen in neuerer Zeit zweifelhaft819. Der Verteidiger wird die jeweils entstehende Problematik sorgfltig prfen mssen.

910

Nach der Erfahrung empfiehlt es sich, das Protokoll in erster Linie in folgenden Beziehungen zu berprfen, weil insoweit die meisten Fehler vorzukommen pflegen820:

911

– Haben nach dem Protokoll dieselben Richter an der Hauptverhandlung an allen Verhandlungstagen mitgewirkt, die im Urteilskopf benannt sind und das Urteil unterschrieben haben? (Hier kommen Widersprche besonders dann vor, wenn das Protokoll vor der Sitzung schon vorbereitet war.) – Ist der Anklagesatz richtig verlesen worden (§ 243 Abs. 3)? – Hat das Gericht seiner Pflicht zur Belehrung des Angeklagten ber das Schweigerecht gengt (§ 243 Abs. 4 S. 1)821? – Waren alle Personen anwesend, deren Anwesenheit in der Hauptverhandlung vorgeschrieben ist (§ 338 Nr. 5)? Darauf ist besonders in den Fllen der notwendigen Verteidigung zu achten. – Ist bei allen Zeugen und Sachverstndigen eine Entscheidung ber die Vereidigung erfolgt, oder ist gegen ein Eideshindernis (§ 60) vereidigt worden? – Sind die Zeugen ber ihr Zeugnisverweigerungsrecht belehrt worden? Sind sie auch ber das Recht zur Verweigerung des Eides belehrt worden (§ 61)? 819 Vgl. nur BGH, NStZ 2005, 281 m. N.; BGH, NStZ 2005, 283; BGH, StV 2005, 256 m. Anm. Park. 820 Vgl. hierzu auch die „Checkliste“ von Hamm in Beck'sches Formularbuch, S. 517 ff. 821 BGHSt. 25, 325.

575

Rn. 912

Der Verteidiger im Rechtsmittelverfahren

– Sind laut Protokoll uneidliche Aussagen im Urteil als eidlich gewertet worden? – Sind die im Urteil als Beweismittel verwerteten Urkunden ordnungsmßig verlesen oder in sonst zulssiger Weise in die Hauptverhandlung eingefhrt worden (Rn. 621)? – Sind die Vorschriften ber die ffentlichkeit in der Hauptverhandlung (z. B. § 247!) und bei der Urteilsverkndung richtig angewendet worden (Rn. 514, 933 ff.)? – Ist dem Angeklagten das letzte Wort richtig (evtl. auch wiederholt) gewhrt worden (Rn. 758)? – Ist der Angeklagte auf Vernderungen des rechtlichen Gesichtspunktes oder tatschlicher Umstnde (§ 265) hingewiesen worden (Rn. 695 ff.)? Das Protokoll hilft dem Verteidiger beim Aufspren von Revisionsgrnden auch hinsichtlich solcher Vorgnge, auf die sich die absolute Beweiskraft nicht erstreckt, die also nicht die „wesentlichen Frmlichkeiten“ der Hauptverhandlung betreffen, z. B. daß dem Angeklagten die Benutzung von Notizen oder das Mitschreiben untersagt worden ist. Hier bewhrt es sich, wenn der Verteidiger in der Hauptverhandlung durch entsprechende Protokollierungsantrge fr Beweissicherung gesorgt hat, um sein Rgerecht nicht zu verwirken (Rn. 803 ff.). Anhand des Hauptverhandlungsprotokolls und der Verfahrensakten ist auch festzustellen, ob die schriftlichen Urteilsgrnde innerhalb der Frist des § 275 zu den Akten gebracht worden sind. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift ist ein absoluter Revisionsgrund (§ 338 Ziff. 7; Rn. 936). 912

Die fehlerhafte Besetzung des Gerichts muß wegen der Rgeprklusion (wenn sie eingreift822) schon frher, sptestens zu Beginn der Hauptverhandlung gergt worden sein (Rn. 457 ff. u. Rn. 511). Antrge und Rgen der Verteidigung mssen sich ebenso wie die diesbezglichen Entscheidungen des Gerichts aus dem Hauptverhandlungsprotokoll ergeben. Alle in der Tatsacheninstanz vorgetragenen Verfahrenstatsachen einschließlich der Auszge aus dem Geschftsverteilungsplan sind vollstndig in die Revisionsbegrndung aufzunehmen (§ 344 Abs. 2). Außerdem wird sich der Verteidiger mit der Frage auseinandersetzen mssen, ob die Heranziehung des „falschen“ Richters objektiv-willkrlich war823. Die Richterbank ist aber auch dann nicht ordnungsgemß besetzt, wenn ein Berufs- oder Laienrichter aus physischen oder psychischen Grnden

822 Dahs/Dahs, Rn. 122. 823 Dahs/Dahs, Rn. 126.

576

Der Verteidiger im Revisionsverfahren

Rn. 914

der Hauptverhandlung nicht folgen konnte, z. B. aus Krankheitsgrnden oder weil er durch eine sachfremde Ttigkeit („Aktenlesen“) abgelenkt war: Auch der berhmte „schlafende Schffe“ gehrt hierher. Diese Tatsachen mssen auf andere Weise als durch das Protokoll bewiesen werden (Freibeweis). ee) Die unbeachtliche „Protokollrge“ und die Protokollberichtigung Busch, Die Zustndigkeit zur Berichtigung des Hauptverhandlungsprotokolls, JZ 1964, 746; Dahs/Dahs, Revision, 6. Aufl., 2001, Rn. 471, 489, 491; Detter, Die Beweiskraft des Protokolls und die Wahrheitspflicht der Verfahrensbeteiligten, StraFo 2004, 329; Kohlhaas, Zur Beweiskraft des Sitzungsprotokolls nach § 274 StPO, NJW 1974, 23; Park, Die Beweiskraft des Protokolls und die Wahrheitspflicht der Verfahrensbeteiligten, StraFo 2003, 335; Ranft, Hauptverhandlungsprotokoll und Verfahrensrge im Strafprozeß, JuS 1994, 867; Sarstedt/Hamm, Die Revision in Strafsachen, 6. Aufl., 1998, Rn. 238 ff., Rn. 238 ff.

Bei der Prfung des Hauptverhandlungsprotokolls kommt es nicht selten vor, daß dieses hinsichtlich der Frmlichkeiten des Verfahrens einen Fehler beweiskrftig ergibt (§ 274), der tatschlich nicht vorgekommen ist, z. B. wenn die tatschliche Belehrung eines Zeugen ber das Zeugnisverweigerungsrecht versehentlich nicht protokolliert worden ist. Es kann dann die Beweiskraft des Protokolls im Grundsatz nicht, auch nicht durch Freibeweis, etwa dienstliche ußerung der Gerichtsperson, entkrftet werden (Rn. 806). Die Rge schlgt aber nur durch, wenn der Verteidiger den Fehler als in der Hauptverhandlung tatschlich vorgekommen eindeutig behauptet. Wenn er nur auf das Protokoll „Bezug nimmt“, bleibt sein Vorbringen „als bloße Protokollrge“ unbeachtlich. Denn er behauptet dann in Wirklichkeit nicht, daß der Fehler in der Hauptverhandlung tatschlich vorgekommen ist, also der Zeuge flschlich vereidigt worden ist, sondern nur, daß dies im Protokoll so stehe. Auf dem Protokoll aber kann das Urteil nicht „beruhen“ (§ 337). Der Verteidiger hat das Protokoll allenfalls als Beweismittel anzugeben. Gefhrlich wre schon die Formulierung: „ausweislich des Protokolls ist der Zeuge ber sein Weigerungsrecht nicht belehrt worden824. Richtig ist die Rge: „Der Zeuge ist in der Hauptverhandlung gesetzwidrig ber sein Zeugnisverweigerungsrecht nicht belehrt worden (§ 52 Abs. 3). Zum Beweis wird auf das Hauptverhandlungsprotokoll vom ... Bezug genommen.“ Die Nichtprotokollierung ist zwar als solche kein Revisionsgrund, sondern immer nur die – durch die Nichtprotokollierung bewiesene – Tatsache der Nichtbelehrung.

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Der Verteidiger kommt nun allerdings, falls er um die seiner Revision dienliche Unrichtigkeit des Protokolls weiß, in Konflikt mit seiner all-

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824 Anderes Beispiel (nach altem Recht): BGH, GA 1968, 373.

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gemeinen Wahrheitspflicht, wenn er sich den Fehler zunutze machen will. Hier handelt es sich um das Problem der sog. „unwahren Verfahrensrge“ (Rn. 917 ff.). 915

Ein hufiger Fehler ist die Begrndung einer Rge, das Protokoll gebe bestimmte Vorgnge der Hauptverhandlung nicht zutreffend wieder oder das Protokoll sei nicht unterschrieben oder unvollstndig. Alles das sind unzulssige Protokollrgen. Wenn das Protokoll einen tatschlich vorgekommenen Verfahrensfehler nicht ausweist, knnte der Verteidiger daran denken, im Wege des Freibeweises, insbesondere durch dienstliche ußerungen der Prozeßbeteiligten, den richtigen Hergang unter Beweis zu stellen, z. B. wenn der Vorsitzende dem Angeklagten das letzte Wort prozeßordnungswidrig versagt hat. Den Versuch kann sich der Verteidiger aber sparen. Er scheitert an der Unwiderlegbarkeit des Protokolls, das die Erteilung des letzten Wortes ausweist (§ 274).

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Ein Versuch der Protokollberichtigung hat kaum bessere Aussicht (Rn. 843). Anderseits kann eine vom Verteidiger richtig erhobene und nach dem Protokollinhalt begrndete Prozeßrge nicht daran scheitern, daß das Gericht nachtrglich das (falsche) Protokoll richtigstellt, um der Rge den Boden zu entziehen825, was heute allerdings nicht mehr uneingeschrnkt gilt826. ff) Die „unwahre Verfahrensrge“ Cppers, Gesetzlicher Zwang zur Lge?, NJW 1950, 930 und 1951, 259; Dahs sen., Die unwahre Verfahrensrge, AnwBl. 1951, 90; Dahs/Dahs, Revision, 6. Aufl., 2001, Rn. 490 ff.; Dahs, Die Wahrheitspflicht des Strafverteidigers, StraFo 2000, 185; Dallinger, Gesetzlicher Zwang zur Lge?, NJW 1951, 256; Detter, Die Beweiskraft des Protokolls und die Wahrheitspflicht der Verfahrensbeteiligten, StraFo 2004, 329; Kalsbach, Standesrechtliche Grenzen der sog. unwahren Prozeßrge, AnwBl. 1951, 110; Park, Die Beweiskraft des Protokolls und die Wahrheitspflicht der Verfahrensbeteiligten, StraFo 2004, 335; Sarstedt/Hamm, Die Revision in Strafsachen, 6. Aufl., 1998, Rn. 292 f.; Schneidewin, Verfahrensrge und Sitzungsprotokoll, MDR 1951, 193; Tepperwien, Die unwahre Verfahrensrge – unzeitgemßer Sieg der Form?, FS Meyer-Goßner (2001), S. 595.

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Unter dieser Bezeichnung wird eine Verteidigung verstanden, die unter Ausnutzung der Beweiskraft des Verhandlungsprotokolls mit objektiv „falschen“ Angaben operiert. Wenn beispielsweise das Protokoll infolge eines Irrtums ber die Zulassung der ffentlichkeit zur Hauptverhandlung nichts aussagt oder sogar ihren Ausschluß positiv verzeichnet, so ist 825 BGHSt. 2, 125; BGHSt. 10, 145. 826 Vgl. BGH, NStZ 2002, 270 m. Anm. Fezer = StV 2002, 526 m. Anm. Ventzke.

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dies als Prozeßtatsache absolut bewiesen, weil es sich um eine „wesentliche Frmlichkeit des Verfahrens“ handelt (§ 274). Auf die Revision muß – wenn auch die brigen Voraussetzungen vorliegen – das Urteil wegen des absoluten Revisionsgrundes des § 338 Nr. 6 aufgehoben werden. Es kommt dabei nicht darauf an, daß das Protokoll tatschlich falsch ist. Jeder Gegenbeweis ist ausgeschlossen. Es ntzt deshalb auch nichts, daß die Prozeßbeteiligten (Richter, Staatsanwalt, Protokollfhrer) glaubhafte Erklrungen darber abgeben, daß tatschlich die Verhandlung in Gegenwart zahlreichen Publikums ffentlich gefhrt worden ist827. Was hiernach fr die ffentlichkeit gilt, betrifft in gleicher Weise die anderen wesentlichen Frmlichkeiten des Verfahrens, deren Verletzung einen absoluten oder wenigstens einen relativen Revisionsgrund darstellen kann, etwa die Besetzung des Gerichts, die Anwesenheit der Prozeßbeteiligten und anderes. So eindeutig diese prozessuale Rechtslage ist, so zweideutig ist das Wahrheitsproblem fr den Verteidiger. Schon bei der Einlegung und Begrndung der Revision steht er vor der Frage, ob er wider besseres Wissen den Verfahrensfehler behaupten und die Unrichtigkeit des Protokolls ausntzen darf. Handelt er damit nicht seiner beruflichen Wahrheitspflicht zuwider? (Rn. 43). Macht er sich einer „Lge“ schuldig? Oder ist als Wahrheit anzusehen, was das Protokoll als prozessualen Tatbestand „unverrckbar feststellt“ oder „schafft“, oder ist das die Wahrheit, was der Verteidiger persnlich erlebt hat? Nach heute herrschender Auffassung braucht der Verteidiger sich nicht zu scheuen, von dem durch das Protokoll „geschaffenen“ unverrckbaren Tatbestand als „Wahrheit“ auszugehen. Zwar hat man versucht, diese Befugnis auf den Fall begrenzen, daß der Verteidiger von der materiellen Unrichtigkeit des Urteils berzeugt ist und nur auf dem Umweg ber die Verfahrensrge zum Ziele kommen kann828. Das halte ich aber fr eine nicht folgerichtige Einschrnkung. Ein dem prozessualen Recht nicht entsprechendes Urteil ist ebenso „Unrecht“ wie ein materiell unrichtiges Urteil. Ebenso wie es deshalb dem Verteidiger nicht verwehrt ist, in jedem Falle begrndete Prozeßrgen geltend zu machen, muß ihm auch die prozeßgerechte Auswertung des Protokolls, unabhngig von seiner – vielleicht falschen – Meinung ber die Schuld seines Mandanten, mglich sein. Nach meiner Auffassung hat der Gesetzgeber in diesem eingeschrnkten Bereich des Revisionsrechts nicht einen absoluten, sondern prozessualen Wahrheitsbegriff gemeint: Der obligatorisch hohe Formalisierungsgrad be827 Dazu aber Dahs/Dahs, Rn. 198. 828 Kalsbach, AnwBl. 1951, 110.

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stimmter Verfahrensvorgnge von herausgehobener prozessualer Bedeutung wird durch die §§ 273, 274 StPO fr das Revisionsverfahren besonders ausgestaltet und damit durch eine gesetzliche Dokumentation realisiert. Im Revisionsverfahren ist demzufolge Realitt = Wahrheit nur das, was in dem in Betracht kommenden verfahrensrechtlichen Bereich den Vorschriften der genannten Bestimmungen entspricht. Denn die rechtliche Existenz dieser Verfahrensvorgnge ist nach Lage des Gesetzes nun einmal von ihrer Dokumentation abhngig. Obwohl natrlich auch Verfahrensvorgnge tatschliche Ereignisse sind, wird ihnen im Zuschnitt auf dieses besondere Rechtsmittel eine virtuelle, rechtliche Existenz bergestlpt. Damit entschrft sich das Wahrheitsproblem fr den Verteidiger. Die Wahrheit des Revisionsverfahrens ist eine Rechts-Wahrheit; sie existiert nur in der vorgeschriebenen Rechtsformalisierung. Ist diese defizitr, so fehlt es auch an der Rechts-Existenz des Verfahrensvorganges – auf die es im Revisionsverfahren allein ankommt829. 919

Da jede Prozeßrge fr das Revisionsgericht nur beachtlich ist, wenn der gergte Verfahrensfehler positiv behauptet wird (Rn. 937), knnte der Verteidiger seiner Konfliktsituation nicht durch halbweiche Formulierungen ausweichen. Erhebt er die („unwahre“) Rge nur in der Form, daß „ausweislich des Protokolls“ die ffentlichkeit ausgeschlossen gewesen sei, wird die Rge als bloße „Protokollrge“ verworfen830. Als kaum berwindbar habe ich den Konflikt in einem Fall empfunden, in dem das Protokoll die Anwesenheit des Staatsanwalts bei einem Ortstermin nicht auswies. Ich hatte allerdings dort selbst ein Gesprch mit ihm gefhrt. Es war klar, daß es sich um einen Irrtum des Protokollfhrers handelte, den der Vorsitzende des Schwurgerichts bei der Prfung und Unterzeichnung des Protokolls nicht bemerkt hatte. Ich glaubte, mich dem Konflikt dadurch entziehen zu knnen, daß ein Kollege aus der Soziett sich als zustzlicher Verteidiger bestellte und diese Rge erhob. Spter erfuhr ich, daß nur dieser taktische Winkelzug und nicht die Erhebung der „unwahren“ Rge beim Schwurgericht kritisches Erstaunen ausgelst hatte.

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Peinlicher knnen solche Flle fr den Verteidiger in der Revisionsverhandlung werden. Wie steht er da, wenn die prozessual zwar kraftlosen, inhaltlich aber unbezweifelbaren dienstlichen ußerungen verlesen werden, welche z. B. die berfllung des Sitzungssaales durch das Publikum in Gegenwart des Verteidigers klar ergeben und die Frage einer revisionsrechtlich berwindbaren Lcke des Protokolls errtert wird831? Was wrde 829 Krit. Detter, StraFo 2004, 329. 830 BGH, GA 1968, 373. 831 Vgl. dazu BGH, JR 2000, 251 m. Anm. Rieß.

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er antworten knnen, wenn ein Revisionsrichter taktlos genug sein knnte, ihn nach der „wirklichen Wahrheit“ etwa mit den Worten zu fragen: „Herr Verteidiger, glauben Sie das eigentlich selbst?“ – So hat der BGH eine Rge wegen Rechtsmißbrauchs als unzulssig angesehen wegen widersprchlichen Verhaltens des Beschwerdefhrers in der Hauptverhandlung und in der Revision832. – Der Verteidiger mag deshalb durchaus erwgen, in solchen Fllen die Begrndung und Vertretung der gesamten Revision vorher an einen anderen Verteidiger abzugeben, um jedem Konflikt zu entgehen. Dieser andere Verteidiger kann dann vielleicht im Zustand der „Unberhrtheit“ gehalten werden. Mindestens kann er sich auf Vorhalt auf seine Abwesenheit in der tatrichterlichen Verhandlung zurckziehen. f) Revisionsgrnde Dahs/Dahs, Revision, 6. Aufl., 2001, Rn. 86 ff.; Sarstedt, Strafverfahren, DRiZ 1960, 349; Sarstedt, Beweisregeln im Strafprozeß, Berliner FS Ernst E. Hirsch (1968), S. 171 ff.; Sarstedt/Hamm, Die Revision in Strafsachen, 6. Aufl., 1998, Rn. 207 ff.; Schmidt-Leichner, Zum sachlichen Inhalt der Revisionsbegrndung in Strafsachen, NJW 1963, 994; Volk, Prozeßvoraussetzungen im Strafrecht, 1978. Vgl. auch das vor Rn. 896 angefhrte Schrifttum.

aa) Verfahrensvoraussetzungen und -hindernisse Ihre Bedeutung fr die Revisionsaufgabe der Verteidigung ergibt sich vornehmlich aus ihrer selbstttigen Auswirkung auf die Entscheidung des Revisionsgerichts. Da es sich um von Amts wegen zu beachtende Umstnde handelt, bedarf es einer Prozeßrge nicht. Es ist daher in diesem Bereich unschdlich, wenn der Verteidiger den Mangel versptet oder nicht formgerecht geltend macht oder ihn gar nicht bemerkt. Das Revisionsgericht muß das Verfahren durch Einstellung von Amts wegen beenden. Es empfiehlt sich natrlich trotzdem auch fr den Verteidiger, diesen Prozeßumstnden nachzugehen. Es kann sich dabei ein so eklatanter Tatbestand ergeben, daß die Einstellung des Verfahrens außer Frage steht und somit weitere Begrndungen sich erbrigen. Bei der Prfung sollten von den Prozeßvoraussetzungen besonders beachtet werden: die Anklage, der Erffnungs- und Zulassungsbeschluß, die Zustndigkeit, der Strafantrag. Von den Verfahrenshindernissen kommen

832 BGH, StV 2001, 101 m. Anm. Ventzke.

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besonders in Betracht: Verjhrung, Immunitt, Straffreiheit, Rechtskraft und Teilrechtskraft sowie anderweitige Rechtshngigkeit. Vorsicht ist geboten, wenn Prozeßvoraussetzungen fehlen, die noch nachgeholt werden knnen (z. B. Fehlen der Anklage oder des Erffnungsbeschlusses). Hier kann es klger sein, keine – wenn auch noch so gut begrndete – Revision durchzufhren, weil sie im Ergebnis zu einer schwereren Verurteilung des Angeklagten fhren kann. Das ist ausnahmsweise dann mglich, wenn das Revisionsgericht das Verfahren wegen Fehlens der Prozeßvoraussetzungen einstellt und dann ein neues Verfahren in Gang kommt. Fr das Prozeßhindernis der Verhandlungsunfhigkeit des Angeklagten ist das Revisionsgericht allerdings in aller Regel auf den Sachvortrag der Verteidigung und den Freibeweis angewiesen. Das gilt nicht selten auch fr die anderweitige Rechtshngigkeit und die res iudicata.

bb) Prozeßrgen Amelung, Die Verwertbarkeit rechtswidrig gewonnener Beweismittel zugunsten des Angeklagten und deren Grenzen, StraFo 1999, 181; Baldus, Versumte Gelegenheiten; zur Auslegung des § 338 Nr. 8 und des § 267 Abs. 1 Satz 2 StPO, Ehrengabe fr Bruno Heusinger (1968), S. 373 ff.; Beck'sches Formularbuch/Hamm, 4. Aufl., 2002, S. 517 ff.; Blomeyer, Die Revisibilitt von Verfahrensfehlern im Strafprozeß, JR 1971, 142; Bockemhl, Zur Unwirksamkeit der Schffenwahl wegen zu kurz aufgelegter Vorschlagslisten, StV 1998, 10; Boergen, Bindung an die Entscheidung ber die Besetzungsrge nach § 222b StPO und Aussetzung, MDR 1980, 619; Dahs/Dahs, Revision, 6. Aufl., 2001, Rn. 108 ff.; Dahs, Die Relativierung absoluter Revisionsgrnde, GA 1976, 353; Dahs, Neue Aspekte zu § 344 II StPO, FS Salger (1994), S. 217 ff.; Dahs, Die Revisionsbegrndung – Puzzle oder Glcksspiel?, StraFo 1995, 41; Foth, Tatgericht, Revisionsgericht – wer wrdigt die Beweise?, DRiZ 1997, 201; Frommel, Zur Revisibilitt von Verfahrensfehlern bei Ausschluß der ffentlichkeit im Strafverfahren, StV 1990, 10; Gnther, Judex dormiens, MDR 1990, 875; Hahn, Die Fristversumung der Urteilsniederschrift als absoluter Revisionsgrund, ZRP 1976, 63; Herdegen, Die Beruhensfrage im strafprozessualen Revisionsrecht, NStZ 1990, 513; Julius, Zur revisionsrechtlichen berprfung der Terminsbestimmung im Strafverfahren, StV 1990, 56; Katholnigg, Fehler bei der Schffenwahl, JR 1990, 82; Kindhuser, Zu den Konsequenzen einer Verletzung der Geschftsverteilung im Strafprozeß aus revisionsrechtlicher Sicht, JZ 1993, 478; Langkeit, BGH – Beschrnkung der ffentlichkeit durch das Hausrecht des Betriebsinhabers, WiB 1994, 701; Maatz, Die Fortsetzung der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten, DRiZ 1991, 200; Miebach, Die Zulssigkeit von Verfahrensrgen in der Rechtsprechung des BGH, NStZ-RR 1998, 1; Pahlmann, § 338 Nr. 7 StPO ein absoluter Revisionsgrund, NJW 1979, 98; Park, Der ffentlichkeitsausschluß und die Begrndungsanforderungen des § 174 I 3 GVG, NJW 1996, 2213; Ranft, Verfahrensffentlichkeit und „Medienffentlichkeit“ im Strafprozeß, Jura 1995, 573; Rieß, Ausschluß der Besetzungsrge (§ 338 Nr. 1 StPO) bei irriger, aber vertretbarer Rechtsanwendung, GA 1976, 133; Rieß, Zur Zustndigkeit der allgemeinen und besonderen Strafkammern, NJW 1979,

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1536; Rieß, Die Besetzungsrgeprklusion (§§ 222a, 222b StPO) auf dem Prfstand der Rechtsprechung, JR 1981, 89; Rudolphi, Die Revisibilitt von Verfahrensmngeln im Strafprozeß, MDR 1970, 93; Sarstedt/Hamm, Die Revision in Strafsachen, 6. Aufl., 1998, Rn. 222 ff.; G. Schfer, Gedanken zu Beweiskraft des tatrichterlichen Verhandlungsprotokolls unter besonderer Bercksichtigung der Rechtsprechung des BGH, FS 50 Jahre BGH, II (2000), S. 707; W. Schmid, Die Verwirkung von Verfahrensrgen im Strafprozeß, 1967; Schneiders, Verletzung der ffentlichkeit durch Bitte an einen Zuhrer, den Sitzungssaal zu verlassen?, StV 1990, 91; Sieg, Zum Begriff des erkennenden Richters im Sinne des § 28 II 2 StPO, StV 1990, 283; Stein, § 338 Nr. 7 StPO und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, NJW 1980, 1086; Stein, Zulssigkeit eines Verhandelns ber den Ausschluß der ffentlichkeit in Abwesenheit des Angeklagten, StV 1995, 251; Thym, Augenschein und ffentlichkeit, NStZ 1981, 293; Wagner, Vorverlegung der Besetzungsrge nach § 222a StPO und die Folgen, JR 1980, 50; Wessels, Die Aufklrungsrge im Strafprozeß, JuS 1969, 1; Widmaier, Wohin entwickeln sich die absoluten Revisionsgrnde?, Aktuelle Probleme der Strafrechtspflege, 1991, S. 77; Widmaier, berholende Kausalitt bei Verfahrensrgen, FS Hanack (1999), S. 387; Willms, Wesen und Grenzen des Freibeweises, Ehrengabe fr Bruno Heusinger (1968), S. 393 ff. Vgl. auch das vor Rn. 810 angefhrte Schrifttum sowie die Berichte von Becker, Aus der Rechtsprechung des BGH zum Strafverfahrensrecht, zuletzt NStZ 2005, 65.

Fr die Wirksamkeit von Prozeßrgen sind strenge Anforderungen zu beachten. Unendlich oft wird verkannt, daß es eine „allgemeine Prozeßrge“ – analog der allgemeinen Sachrge (Rn. 951 ff.) – nicht gibt. Es ist daher unsinnig, bei der Revisionseinlegung oder in der Begrndungsschrift „vorsorglich“ zu erklren: „Es wird die Verletzung formellen Rechts gergt.“ Die Floskel ist darber hinaus auch noch gefhrlich, weil sie die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließen kann. Auch die Aufzhlung der angeblich verletzten Gesetzesbestimmungen ist eine bloße Fleißarbeit. Ihre Vollstndigkeit ntzt nicht, ihre Fehlerhaftigkeit schadet nicht. Iura novit curia.

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Worauf es dem Gericht ankommt, sind die (positiven und negativen) Tatsachen, die den Prozeßfehler ausmachen und bis zum Urteil „erhalten“ geblieben sind. Sie mssen ganz genau angegeben werden, anders die Revision verworfen wird (§ 344 Abs. 2 S. 2). Die „tatsachenfeindliche“ Revisionsinstanz ffnet hier also im Bereich der Prozeßrge dem Angreifer das Feld der Tatsachen und Tatsachenbeweise, allerdings nur der Prozeßtatsachen (etwa eines Hinweises nach § 265), nicht der materiellen Falltatsachen (etwa einer Ttungshandlung). Das Revisionsgericht will genau wissen, was sich in der Hauptverhandlung ereignet bzw. nicht ereignet hat und wie es bewiesen werden soll. Der Verteidiger darf dabei nicht in zaghaften Formulierungen steckenbleiben. Nur wenn er den Verfahrensfehler bestimmt behauptet und darlegt, daß dieser bis zum Urteil fortgewirkt hat, wird seine Rge geprft. Stellt er ihn bloß als mglich

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oder wahrscheinlich hin, oder bittet er sogar nur um Prfung, ob ein Fehler, etwa bei der Ablehnung eines Beweisantrages, vorgekommen sei, ist seine Rge aussichtslos. Selbst wenn der Verteidiger sich des Prozeßherganges selbst nicht mehr genau erinnert, darf er nicht ngstlich sein, sofern nur das Protokoll den Verfahrensfehler ausweist (Rn. 913, 917 ff.). Die Begrndung muß auch im einzelnen ganz konkret sein. Wenn z. B. die fehlerhafte Behandlung eines Beweisantrages gergt wird, muß gesagt werden, ob der Antrag berhaupt nicht beschieden, ob eine Ablehnung ohne Angabe von Grnden erfolgt oder in welchem Punkte die Begrndung rechts- oder tatsachenwidrig sein soll. Bekmpft man die Zurckweisung eines Ablehnungsgesuches, so mssen alle Tatsachen angegeben und bewiesen werden, aus denen die Befangenheit des Abgelehnten gefolgert werden soll. 924

Außerdem ist vorzutragen, daß eine Heilung des Verfahrensfehlers nicht stattgefunden hat, z. B. durch Wiederholung des beanstandeten Verfahrensvorganges. In anderen Fllen kann der Rechtsfehler durch Verzicht der Verfahrensbeteiligten gegenstandslos geworden sein. Grundstzlich verlangt das Revisionsgericht im Rahmen des § 344 Abs. 2 S. 2 auch den vollstndigen Vortrag darber, wie sich die Hauptverhandlung nach dem gergten Rechtsfehler in dieser Hinsicht weiterentwickelt hat. Der Verteidiger muß deshalb auch alle einschlgigen Negativtatsachen in die Revisionsbegrndung aufnehmen, damit das Revisionsgericht ohne weitere Prfung erkennen kann, daß es bei dem gergten Rechtsfehler geblieben ist und der Rechtsfehler also bis zum Urteil fortbestanden hat833.

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Aus diesen Beispielen ergibt sich zugleich, daß nicht nur das angefochtene Urteil der Revision unterliegt, sondern auch die der Urteilsfllung vorangegangenen Entscheidungen, die nicht selbstndig mit der Beschwerde anfechtbar waren (§ 338 Nr. 3 und § 305; Rn. 841). Dazu gehren allerdings Entscheidungen aus dem Ermittlungsverfahren nicht, es sei denn, daß ihre Fehlerhaftigkeit (ausnahmsweise) noch bis zum Urteil weitergewirkt hat.

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Fr den Verteidiger besonders bedeutungsvoll ist die Revisionskontrolle der Entscheidungen des Tatrichters zur Bestellung, Auswahl und Mitwirkung eines Pflichtverteidigers. Zu diesen Fragen gibt es eine umfangreiche und differenzierende Rechtsprechung, auf die wegen aller Einzelheiten verwiesen werden muß (Rn. 146 ff.).

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Ein sehr hufiger Fehler in Revisionsbegrndungen ist die unzulssige Bezugnahme. Die Prozeßrge muß mit der vollstndigen Begrndung in der 833 Dazu i. e. Dahs, FS Salger (1995), S. 217 ff.

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Begrndungsschrift selbst enthalten sein. Eine Verweisung auf andere Schriftstcke ist unzulssig, insbesondere auf bestimmte Stellen der Akten, auf das Sitzungsprotokoll, auf schriftliche Beweisantrge oder sonstige Urkunden und Schriftstze, erst recht auf solche von Mitverteidigern. Alles, was aus diesem Material verwertet werden soll, muß der Verteidiger in die Begrndung als solche aufnehmen, andernfalls es nicht beachtet wird. Er darf also nicht vorbringen: „Der Verteidiger hat den aus der Anlage zum Sitzungsprotokoll Bl. 100 ersichtlichen Beweisantrag gestellt; die Strafkammer hat ihn mit der im Sitzungsprotokoll niedergelegten Begrndung abgelehnt.“ Es muß vielmehr mindestens heißen: „Der Verteidiger hat in der Hauptverhandlung vom ... den Beweisantrag gestellt, den Zeugen X darber zu vernehmen, daß er mit dem Angeklagten zur Tatzeit im Ausland gewesen ist; die Strafkammer hat den Beweisantrag am ... durch Beschluß abgelehnt mit der Begrndung, daß sie vom Gegenteil der behaupteten Tatsachen berzeugt sei (Rn. 913). Darin liegt eine gesetzwidrige vorweggenommene Beweiswrdigung. Der Zeuge ist auch in der weiteren Hauptverhandlung nicht vernommen worden. Auf seine Vernehmung ist auch nicht verzichtet worden.“ (1) Absolute Revisionsgrnde Sie sind im § 338 Nr. 1 bis 7 erschpfend aufgezhlt. Nr. 8 (Beschrnkung der Verteidigung) gehrt nur scheinbar dazu, weil es sich dort um einen „wesentlichen Punkt“ handeln muß, was nicht von vornherein feststehen kann, sondern eben nur dann der Fall ist, wenn das Urteil auf dem Punkt „beruht“ (Rn. 938).

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Die Rge der nicht vorschriftsmßigen Besetzung des Gerichts (Nr. 1) muß, soweit gesetzliche Rgeprklusion greift, bereits in der Tatsacheninstanz in revisionsrechtlicher Form vollstndig und umfassend erhoben worden sein (Rn. 457, 511, 912). In der Revisionsinstanz kann die Begrndung der Rge weder ganz noch teilweise durch einen abweichenden Sachvortrag „ersetzt“ werden, noch knnen auch nur einzelne Prozeßtatsachen „nachgeschoben“ oder „ergnzt“ werden. Dagegen muß sich der Verteidiger bei der Bearbeitung der Revision mit der Frage befassen, ob die Gesetzesprklusion berhaupt Platz greift oder etwa Ausschlußgrnde nach § 338 Nr. 1a bis d vorliegen. Kernpunkt seiner Prfung ist im brigen die Frage, ob die Besetzungsrge vom Gericht mit rechtlich einwandfreier Begrndung zurckgewiesen worden ist. Insoweit hat er ggfs. die Ergebnisse des Freibeweises und die Begrndung des Gerichtsbeschlusses sorgfltig zu berprfen und sich mit der Rechtsmeinung des Tatgerichts kritisch auseinanderzusetzen. Insgesamt ist die Bedeutung der Besetzungsrge erheblich zurckgegangen, zumal der Revisionsverteidiger in-

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soweit auf die kompetente und professionelle Arbeit des Instanzverteidigers angewiesen ist. Auch haben die Gerichte, auch angesichts vereinfachter gesetzlicher Regelungen834, viel dazugelernt. In vielen Revisionsschriften geistert als beliebter Revisionsgrund der „schlafende Schffe“. Nach der reichlichen Judikatur besteht der Grund nur, wenn der Richter „whrend eines nicht unerheblichen Zeitraums geschlafen hat“ und er „wesentlichen“ Verhandlungsvorgngen nicht gefolgt ist835. Wie soll aber das Revisionsgericht das feststellen? Eine Beweisaufnahme darber und die Rge entfallen hufig deshalb, weil der Verteidiger den „nicht unerheblichen Zeitraum“ bestimmt behaupten und darlegen muß, daß und welche wesentlichen Verfahrensvorgnge der Schffe (oder Berufsrichter) nicht mitbekommen hat. Zudem mßte der Verteidiger damit zugeben, keine Unterbrechung der Hauptverhandlung beantragt zu haben. Eine diesbezgliche anwaltliche Versicherung wird vom Revisionsgericht bei der Wrdigung der Freibeweise in aller Regel unter Hinweis auf die entgegenstehenden dienstlichen Erklrungen von Richtern und Staatsanwalt berwunden. Damit wird die Frage, ob der Verteidiger durch sein Schweigen die Rge wegen Arglist verwirkt hat (Rn. 800), elegant umgangen. brigens ist auch Blindheit eines Richters nicht ohne weiteres Revisionsgrund836. Dagegen kann die „Dreierbesetzung“ der Strafkammer ebenso unzulssig sein wie die „Zweierbesetzung“837. 930

Zur unbegrndeten Zurckweisung einer Richterablehnung (§ 338 Nr. 3) ist zu beachten, daß das Gericht nicht nur die Rechtmßigkeit der Entscheidung, sondern auch das Ermessen des Tatrichters kontrolliert. Allerdings darf es dabei nur die in der Vorinstanz rechtzeitig vorgebrachten Grnde und Tatsachen bercksichtigen. Nachgeschobenes Vorbringen ist unbeachtlich. Manche begrndete Rge ist daran gescheitert, daß die Prfung nach Beschwerdegrundstzen durch das Revisionsgericht zwar die Begrndung des angegriffenen Gerichtsbeschlusses als fehlerhaft erweist, das Gesuch jedoch aus anderen Erwgungen als unbegrndet erkennt.

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Die Abwesenheit einer Person, deren Anwesenheit im Gesetz vorgeschrieben ist (§ 338 Nr. 5; Rn. 764), ist ein wichtiger Revisionsgrund. Er betrifft vor allem die Flle der notwendigen Verteidigung (Rn. 505). Abwesenheit in unwesentlichen Teilen der Hauptverhandlung ist unschdlich. 834 Vgl. nur BVerfG, StV 2005, 1; BGH, StV 2005, 2; BGH, StV 1999, 526 (zur „Zweierbesetzung“). 835 Nachw. bei Dahs/Dahs, Rn. 155 f. 836 BGHSt. 4, 191 u. NJW 1954, 932; Dahs/Dahs, Rn. 153. 837 BGH, StV 2005, 204.

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Der Verteidiger im Revisionsverfahren

Rn. 933

Die Verkndung der Urteilsformel, nicht dagegen der Urteilsgrnde, ist ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung838. Untaugliche Verteidigung kann nur ganz ausnahmsweise Revisionsgrund sein (Rn. 29). Bei konkretem und fr das Gericht erkennbarem Interessenwiderstreit in der Person des Verteidigers i. S. des § 146 ist der Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 gegeben839. Die Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungssaal nach § 247 ist aber anfllig fr revisionsrechtlich relevante Fehler840, in noch strkerem Maße die Beurlaubung nach § 231c. Die Verhandlungsunfhigkeit (Rn. 508) steht der Abwesenheit gleich. Sie ist nachtrglich allerdings schwer zu beweisen, besonders wenn sie nicht geltend gemacht worden ist und das Gericht sie nicht selbst festgestellt hat. Der Verteidiger kann auch hier an der Verwirkung seiner Rge scheitern, wenn er es verpaßt hat, eine Unterbrechung zu beantragen und einen Gerichtsbeschluß herbeizufhren (§§ 238 Abs. 2, 338 Nr. 8), notfalls den Sitzungssaal zu verlassen (Rn. 796). Zur anwaltlichen Versicherung, sein Klient sei wegen Trunkenheit nicht verhandlungsfhig gewesen, hat der BGH einmal bemerkt: Der Senat erachtet es fr ausgeschlossen, daß der Verteidiger das Gericht darauf nicht hingewiesen htte. Sic!

932

Wegen Verletzung der Vorschriften ber die ffentlichkeit des Verfahrens (§§ 169 GVG, 338 Nr. 6; Rn. 514 a. E.) wird in zahlreichen Fllen gergt, daß bestimmte Personen trotz Ausschlusses der ffentlichkeit anwesend gewesen sind. Das ist eine grndliche Verkennung des Gesetzes. Es soll nur zur Vermeidung einer „Geheimjustiz“ die ffentlichkeit des Verfahrens sichern, nicht deren Ausschluß. Nur die Abwesenheit der ffentlichkeit oder eines Teils derselben kann deshalb ein Verfahrensverstoß sein. Der Verteidiger kann auch im Hauptverhandlungsprotokoll kontrollieren, ob bei der Urteilsverkndung die vorher ausgeschlossene ffentlichkeit wiederhergestellt war. Revisionstrchtig ist hufig die zeitweilige Ausschließung der ffentlichkeit durch Gerichtsbeschluß. Hier knnen viele Fehler unterlaufen841. In der neueren Rechtsprechung des BGH gibt es indes eine Tendenz, bloßen Verfahrensfehlern bei eindeutig richtiger Entscheidung ebenso den Erfolg zu versagen wie842 der Beweiskraft des Protokolls, wenn es der allgemeinen Lebenserfahrung widerspricht843.

933

838 BGHSt. 15, 263; 16, 178; BGH bei Dallinger, MDR 1956, 11; OLG Hamm, MDR 1970, 525. 839 BGH, StV 1981, 117. 840 Vgl. OLG Hamm, StV 2005, 8 und die Darstellung bei Dahs/Dahs, Rn. 186. 841 Dahs/Dahs, Rn. 200 ff. 842 BGH, JR 2000, 251 m. Anm. Rieß. 843 BGH, NStZ 2002, 270 m. Anm. Fezer = StV 2002, 525 m. Anm. Kberer.

587

Rn. 934

Der Verteidiger im Rechtsmittelverfahren

934

Zufllige Beeintrchtigungen der ffentlichkeit sind nach h. M. unbeachtlich. Nur wenn sie auf einer Anordnung des Gerichts beruhen oder jedenfalls dem Gericht (Vorsitzenden) vorzuwerfen sind, begrnden sie die Revision. Es hat deshalb z. B. keinen Sinn, sich ber den Justizwachtmeister ins Fustchen zu lachen, der aus Versehen die Saaltr nicht aufschließt. Der zwingende Revisionsgrund zwingt in diesem Fall nicht844.

935

Zu der Vorschrift ber die ffentlichkeit der Hauptverhandlung gehrt auch der S. 2 des § 169 GVG bezglich der Film-, Fernseh- und Rundfunkaufnahmen whrend der Hauptverhandlung einschließlich der Urteilsverkndung. Sie sind grundstzlich unzulssig (Rn. 109, 514). Verstße gegen dieses Verbot begrnden regelmßig die Revision, auch wenn der prozessuale Fehler sich erst whrend der Urteilsverkndung ereignet. Dabei handelt es sich um einen absoluten Revisionsgrund im Sinne des § 338 Nr. 6. Das Verbot des § 169 S. 2 GVG gilt brigens nicht fr Verhandlungspausen in Abwesenheit des Angeklagten845 (Rn. 109).

936

Die letzten von den absoluten Revisionsgrnden sind das Fehlen der Entscheidungsgrnde und die versptete Urteilsbegrndung (§ 338 Nr. 7)846. Der erstere Fall kommt in der Praxis hufiger vor als man annimmt847, insbesondere bei Tod, Abordnung, Ausscheiden aus dem Justizdienst848 des Strafrichters, Schffengerichtsvorsitzenden und Vorsitzenden der kleinen Strafkammer oder Erkrankung bzw. Verhinderung des Berichterstatters im Kollegialgericht849. Das Fehlen der richterlichen Unterschrift fllt ebenfalls unter § 338 Nr. 7. Unzulnglichkeit der Entscheidungsgrnde steht ihrem Fehlen nicht gleich (Rn. 950); anders kann es sein beim Fehlen wesentlicher Teile. Hier wird der Verteidiger sich aber oft mit der allgemeinen Sachrge helfen knnen (Rn. 956). Fr die rechtzeitige Urteilsbegrndung ist in erster Linie der Eingangsvermerk der Geschftsstelle maßgebend (§ 275 Abs. 1 S. 5), es sei denn, es kann auf andere Weise nachgewiesen werden, daß das fertig bearbeitete und vollstndige Urteil rechtzeitig zu den Akten gebracht worden ist850. Die Revision ist auch begrndet, wenn das Urteil nicht innerhalb der Frist von allen Berufsrichtern unterschrieben oder aber im Falle der Verhinderung kein Vermerk 844 BGH, NStZ 1995, 143. 845 BGHSt. 23, 123. 846 Hahn, Die Fristversumung der Urteilsniederschrift als absoluter Revisionsgrund, ZRP 1976, 63. 847 Vgl. z. B. OLG Kln, MDR 1969, 864 ; OLG Schleswig, angefhrt bei Ernesti u. Jrgensen, SchlHA 1969, 147, 154; OLG Zweibrcken, NJW 1970, 959. 848 BayObLG, OLGRspr. § 275, S. 5. 849 Z. B. BGH, StV 1999, 526. 850 Meyer-Goßner, § 338 Rn. 55.

588

Der Verteidiger im Revisionsverfahren

Rn. 938

nach § 275 Abs. 2 S. 2 angebracht worden ist851. In der Anerkennung unvorhersehbarer und unabwendbarer Umstnde fr die Fristberschreitung ist die Rechtsprechung sehr zurckhaltend und prft auch die Dauer der Verhinderung sehr kritisch852, die brigens gesondert gergt werden kann. (2) Relative Revisionsgrnde Hierher gehren solche Prozeßverstße, von denen im Einzelfall festgestellt wird, daß das Urteil auf ihnen „beruht“ (§ 337). Wenn dies nicht der Fall ist, kann der Angeklagte durch den Fehler nicht beschwert sein. Der Nachweis des Beruhens braucht indessen in der Regel nicht gefhrt zu werden. Es gengt, daß das Urteil auf dem Verstoß beruhen kann, d. h., daß das Gegenteil nicht mit Sicherheit feststeht. Denn das Revisionsgericht kann von sich aus nicht ermitteln und erhebt darber auch keinen (Frei-)Beweis, wie der Tatrichter bei Vermeidung des Verstoßes entschieden haben wrde. Wenn z. B. das letzte Wort nicht gewhrt oder ein notwendiger rechtlicher Hinweis unterblieben ist, wird in der Regel davon ausgegangen, daß der Verstoß das Urteil beeinflußt haben kann. Allerdings kann auf einem bloßen Protokollfehler das Urteil niemals beruhen (Rn. 913). Absolut unheilbare Mngel aus frheren Verfahrensstadien knnen unter bestimmen Voraussetzungen im Urteil fortwirken, z. B. Verstße gegen §§ 136, 136a und die Beweisverbote der §§ 52, 252853.

937

Die Revisionsgerichte verfahren bei der Prfung des „Beruhens“ im allgemeinen großzgig. So wird z. B. bei Beschrnkung des letzten Wortes des Angeklagten die Revision so gut wie immer erfolgreich sein (Rn. 948). Im Katalog der absoluten Revisionsgrnde des § 338 wird ein Fall behandelt, der tatschlich nur als relativer Revisionsgrund anzuerkennen ist. Es ist dies die Beschrnkung der Verteidigung in „einem wesentlichen Punkt“ (§ 338 Nr. 8)854. Ob der Fehler „wesentlich“ war, kann nur im Zusammenhang des ganzen Urteils geprft werden. Damit verliert der Revisionsgrund seinen absoluten Charakter und wird relativiert. Die Vorschrift ist so zu verstehen, daß die „Unzulssigkeit“ der Beschrnkung sich aus einem bestimmten Verfahrensverstoß ergeben muß. Deshalb muß man die konkret verletzte andere Rechtsnorm ermitteln und angeben. Man kommt also z. B. nicht gegen den Gerichtsbeschluß an, der 851 BGH, NJW 1976, 431. 852 Dahs/Dahs, Rn. 211 f. 853 BGHSt. 38, 214 = NStZ 1992, 294 m. Anm. Roxin, JZ 1992, 923; BGH bei Pfeiffer, NStZ 1981, 298. 854 Dazu Dahs/Dahs, Rn. 213.

589

938

Rn. 939

Der Verteidiger im Rechtsmittelverfahren

durch eine an sich zulssige Abtrennung des Verfahrens den Mitangeklagten zu einem gefhrlichen Belastungszeugen macht. Ausnahmsweise kann die Rge aber auch begrndet sein, wenn im Einzelfall gegen keine konkrete, dem Schutz des Betroffenen dienende Verfahrensnorm, jedoch gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 6 MRK/Art. 20 Abs. 3 GG) verstoßen wurde, z. B. durch eine sachwidrige Sitzordnung, die eine „Flsterverstndigung“ zwischen Verteidiger und Klienten nicht gewhrleistet, oder weil die ußeren Gegebenheiten im Sitzungssaal es nicht erlauben, die in der Verhandlung bentigten Unterlagen prsent zu halten u. a.855. Ausnahmsweise ist auch der stillschweigenden Ablehnung oder bergehung eines Antrags die Bedeutung eines Beschlusses im Sinne des § 338 Nr. 8 zuzusprechen856. Nach allen Erfahrungen verlockt die Verteidiger der Ausdruck „Beschrnkung der Verteidigung“ in besonderem Maße zu Revisionsangriffen. In der Mehrzahl scheitern sie. Es wird bersehen, daß die Beschrnkung der Verteidigung durch einen Beschluß in der Hauptverhandlung erfolgt sein muß (vgl. die Ausfhrungen Rn. 785 f.). Das hufige Lamento, man sei unterbrochen, zurechtgewiesen, mit Fragen zurckgewiesen, gegen Angriffe nicht in Schutz genommen, von der Presse diffamiert oder gar bedroht worden, geht ins Leere. Selbst schwerste Sachleitungsfehler des Vorsitzenden knnen ohne Gerichtsbeschluß nicht gergt werden (§ 238 Abs. 2; Rn. 534). Ebenso haben Benachteiligungen außerhalb der Hauptverhandlung hier keinen Platz. 939

Als Revisionsgrund kann die unterlassene oder falsche Belehrung des Beschuldigten ber seine Rechte gemß § 136 in Frage kommen. Die Rechtsprechung folgert daraus im allgemeinen kein Beweisverwertungsverbot, es sei denn, daß ein Fall des § 136a angenommen wird (Rn. 248). Dagegen kann die unterlassene oder falsche Belehrung des Angeklagten in der Hauptverhandlung (§ 243 Abs. 4 S. 1) einen Revisionsgrund darstellen857. Unterlassene Belehrung sowie Fehler bei der Vereidigung von Zeugen werden hufig gergt. Wichtig ist, daß ber die Vereidigung eine Entscheidung getroffen und protokolliert werden muß858. Jede Rge in diesem Bereich bedarf besonders genauer Kenntnis des Gesetzes und der Judikatur. Im Handbuch ist die Rechtslage besonders unter den Rn. 563 ff., 586 dargestellt, worauf hier verwiesen wird. Das gilt auch fr die Vernehmung von Verhrbeamten und Gestndniszeugen. Bezglich des § 55 muß der

855 856 857 858

590

Dahs/Dahs, Rn. 213. BGH – 4 StR 22/68 – bei Dallinger, MDR 1969, 195. BGHSt. 38, 214, 372; BGHSt. 25, 325; ausf. Meyer-Goßner, § 136 Rn. 20 ff. BGH, StraFo 2005, 244.

Der Verteidiger im Revisionsverfahren

Rn. 942

Verteidiger wissen, daß der Bundesgerichtshof an seiner Auffassung festhlt, daß die Bestimmung nur den Schutz des Zeugen, nicht des Angeklagten bezweckt („Rechtskreistheorie“)859. Unterlassene Belehrung soll deshalb hier kein Revisionsgrund sein. Dagegen kann gergt werden, daß die Belehrung ber das Zeugnisverweigerungsrecht der Angehrigen nach § 52 zwar erfolgt, die besondere Belehrung ber die Vereidigung aber unterblieben sei (§ 63). Die gesetzwidrige Vereidigung eines Zeugen wird oft zur Aufhebung des Urteils fhren mssen, weil das „Beruhen“ des Urteils auf dem Eid nicht auszuschließen sein wird. Dies soll allerdings nicht gelten, wenn das Gericht seinen Fehler bemerkt und die Beteiligten in der Hauptverhandlung darauf hingewiesen hat, daß es die Aussage als uneidliche werten wird860. Ohne solchen Hinweis ist der Rechtsfehler gegeben, auch wenn das Gericht die Aussage im Urteil als uneidlich gewertet hat.

940

Viele Rgen betreffen den Teilnehmer der Tat (§ 60 Nr. 2). Er darf in keinem Fall vereidigt werden. Ob aber ein Zeuge Teilnehmer im strafrechtlichen Sinne ist, kann eine der Revision zugngliche Rechtsfrage sein. Bei Angehrigen (§ 61) muß der Verteidiger die abschließende Aufzhlung in § 52 Abs. 1 beachten.

941

Ein weites Feld der Mglichkeiten fr Erfolg und Mißerfolg der Revision bietet die „Aufklrungsrge“861. Sie ist deshalb so beliebt und auch wichtig, weil sie den einzigen Weg in die Falltatsachen darstellt. Ihre Grundlage hat die Rge in der in § 244 Abs. 2 begrndeten Aufklrungspflicht des Gerichts. Diese ist zwar eine tragende Grundlage unseres Verfahrensrechts. Sie bedeutet aber nicht, daß das Gericht fr alle Aufklrungslkken verantwortlich ist, die andere Prozeßbeteiligte verschuldet haben. Besonders mssen die Verteidiger, die einen Beweisantrag versumt haben, mit einem Scheitern der Aufklrungsrge rechnen. Nach stndiger Rechtsprechung ist die Aufklrungspflicht nur dann verletzt, wenn die Umstnde das Gericht zum Gebrauch weiterer Beweismittel „drngen“862. Solche Umstnde knnen sich z. B. aus den Akten ergeben (Urkunden)863, aus

942

859 Vgl. Lwe/Rosenberg/Dahs[25], § 55 Rn. 28, 1. 860 BGHSt. 4, 130. 861 Vgl. besonders Wessels, Die Aufklrungsrge im Strafprozeß, JuS 1969, 1; ferner Dahs/Dahs, Rn. 314 ff., 478 ff. 862 BGHR, § 344 Abs. 2 S. 2 Aufklrungsrge 3, 4; BGH bei Pfeiffer, NStZ 1981, 96 m. N. 863 Insoweit brauchen in der Revisionsbegrndung fr die behaupteten Tatsachen keine Fundstellen, z. B. in den Akten, angegeben werden – BGH, StraFo 2003, 384.

591

Rn. 943

Der Verteidiger im Rechtsmittelverfahren

einem Beweisermittlungsantrag, den das Gericht als Beweisanregung zu behandeln hat (Rn. 685), aus sachlichen Anregungen etwa zu Gegenberstellungen, Experimenten und anderem. Es kann sich auch aus den Umstnden die Notwendigkeit einer Ortsbesichtigung oder der Zuziehung eines Sachverstndigen und dergleichen ergeben. Der Verteidiger muß nun einerseits erkennen, daß die Aufklrungsrge ihm einzigartige Mglichkeiten bietet, den Sachverhalt in der Revisionsinstanz zu behandeln und Tatsachen einzufhren, insbesondere auch auf die der Revision sonst verschlossenen Akten zurckzugreifen (es gibt keine Prozeßrge der „Aktenwidrigkeit“), daß dies anderseits nur bei vollstndiger Beherrschung der Materie gelingen kann. Der Verteidiger muß genau darlegen, welche Umstnde das Gericht htte aufklren, auf welchem Wege die Aufklrung htte erfolgen, welche Umstnde das Gericht zur Aufklrung htten drngen mssen und was bei der Aufklrung bewiesen worden wre. Allgemeine Redensarten helfen dabei nichts. Auch daß bestimmte Fragen an einen vernommenen Zeugen unterblieben sind, reicht nach feststehender Rechtsprechung grundstzlich nicht aus, sofern der Zeuge berhaupt gehrt worden ist864. Warum hat auch der Verteidiger die dem Angeklagten gnstigen Fragen nicht selbst gestellt und sich ber § 238 Abs. 2 (§ 241) die Revision gesichert, wenn die Frage sich angeblich so „aufdrngte“?! (Rn. 779). Die Aufklrungsrge wegen Nichtvernehmung eines oder eines weiteren Sachverstndigen (Rn. 675, 677) besonders bei Kinderaussagen bedarf besonders sorgfltiger Begrndung aufgrund der einschlgigen Rechtsprechung. 943

Die meisten Erfolge bringt die Rge wegen Ablehnung eines Beweisantrags (Rn. 654). Das erklrt sich aus der Neigung mancher Richter, Beweisantrge als eine Straktion des Verteidigers gegen eine schon gebildete oder in der Bildung begriffene berzeugung des Gerichts zu empfinden. Sie sind ihnen meist lstig. Ihre Beratung kommt auch unter Zeitdruck oft zu kurz: Auch will das Gericht verstndlicherweise Vertagungen mglichst vermeiden. Dadurch passiert manche Panne. Besonders Eventualbeweisantrge (Rn. 661) knnen manche Revisionsgrnde auslsen865. Entweder ist vergessen, sie im Urteil berhaupt zu bescheiden, oder ihre Begrndung ist in der dem Urteil gewidmeten Beratung unzulnglich ausgefallen. Manche Vorsitzende schtzen sich gegen diese Gefahren und damit zugleich gegen die darauf abzielende „List“ des Verteidigers, indem sie auch ber den nur hilfsweise gestellten Beweisantrag vorab gesondert 864 Dahs/Dahs, Rn. 314, 478 ff. 865 Sarstedt/Hamm, Rn. 602 ff.

592

Der Verteidiger im Revisionsverfahren

Rn. 947

beraten. Die sachliche Begrndung dieser vielfach mglichen Rge sollte der Verteidiger im brigen nie ohne Benutzung des Alsberg/Nse/Meyer (Der Beweisantrag) unternehmen. Besondere Probleme bietet der Beweisantrag zu „negativen Tatsachen“866. Sehr schwierig sind fr die Revision die Fragen des Urkundenbeweises (Rn. 620), der mittelbaren „Zeugen vom Hrensagen“ und die Abgrenzung zum „Vorhalt“ der Urkunden (Rn. 629). Es muß auch hier auf die anderweitigen Ausfhrungen im Handbuch und in der „Revision im Strafprozeß“867 Bezug genommen werden. Aus ihnen ergibt sich, daß in diesem Bereich durchaus Begrndungsfehler vorkommen.

944

Es kommt sogar vor, daß Gerichte sich weigern, Antrge berhaupt entgegenzunehmen und darber zu entscheiden. Das ist sowohl bei Versptung von Beweisantrgen (§ 246) wie auch bei angeblichem Mißbrauch des Antragsrechts unzulssig und fhrt – wenn ein Gerichtsbeschluß erwirkt worden ist – zur Aufhebung des Urteils nach § 338 Nr. 8868.

945

Auch die Anordnung, der Angeklagte drfe wegen Rechtsmißbrauchs Beweisantrge knftig nur noch durch seinen Verteidiger stellen lassen, ist nur in extremen Ausnahmefllen zulssig869. Zu den Irrwegen, auf denen manche Revisionen an die Nachprfung der Tatsachen ber eine Prozeßrge heranzukommen suchen, gehrt die Anfhrung des § 261. In Wirklichkeit schrnkt dieser die freie Beweiswrdigung des Tatrichters in keiner Weise ein. Es betrifft nur die Flle, in denen im Urteil Beweise verwertet worden sind, die in der Hauptverhandlung nicht (in zulssiger Weise) erhoben wurden, z. B. Lichtbilder, die nicht in Augenschein genommen worden sind, Aussagen von Zeugen, die weder gehrt noch deren Bekundungen in sonst zulssiger Weise in die Hauptverhandlung eingefhrt worden sind870.

946

Nicht selten bersieht der Tatrichter, auf die Vernderung des rechtlichen Gesichtspunktes (§ 265) hinzuweisen (Rn. 695 ff.)871. Der Verteidiger, der aus dem Studium von Urteil und Protokoll diese Entdeckung nach Hause nimmt, muß sich aber auf berraschungen gefaßt machen. Er kann vom Revisionsgericht pltzlich gefragt werden, wie er denn bei ordnungsmßi-

947

866 867 868 869 870 871

Dazu Thr. OLG, StV 2005, 11 m. N. Dort Rn. 330. BGH, NStZ 1981, 311; BGH, JR 1980, 218. BayObLG, StV 2005, 12; BGHSt. 38, 111, 113. I. e. Sarstedt/Hamm, Rn. 819 ff. Dazu u. a. Michel, Richterliche Hinweis- und Protokollierungspflicht, MDR 1996, 773.

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Rn. 948

Der Verteidiger im Rechtsmittelverfahren

gem Hinweis nach § 265 die Verteidigung im einzelnen umgestellt haben wrde. Wenn er keine Antwort weiß (vielleicht, weil es eine solche gar nicht gibt), erweist sich die „todsichere Rge“ als eine hohle Nuß, weil auf dem festgestellten Verfahrensfehler das Urteil nicht „beruht“. Auch sonst kann das Revisionsgericht feststellen, daß der Angeklagte sich nicht anders htte verteidigen knnen. 948

Die Vorschriften ber das „letzte Wort“ des Angeklagten (Rn. 758) werden von den Revisionsgerichten streng gehandhabt. Der Verteidiger sollte insoweit das Hauptverhandlungsprotokoll besonders sorgfltig prfen. Wenn das letzte Wort nicht erteilt, unzulssigerweise entzogen oder beschrnkt worden ist, wird das Revisionsgericht davon ausgehen, daß das Urteil auf dem Fehler beruhen „kann“ (Rn. 937). Das gilt insbesondere auch nach Wiedereintritt in die Verhandlung, falls das letzte Wort nicht erneut erteilt worden ist872.

949

Als besonders beliebte „Prozeßrge“ wird auch die Verletzung der Denkgesetze oder Erfahrungsstze verwendet. Hier irrt der Verteidiger insofern, als diese Beanstandung keinen Verstoß gegen das Verfahren betrifft. Sie gehrt vielmehr in den Bereich der allgemeinen Sachrge, wo sie eine wichtige Rolle spielt. Sie ist daher auch nicht form- und fristgebunden (Rn. 903). Diese Rge ist zwar sehr beliebt, frdert aber hufiger zutage, daß nicht das Gericht, sondern der Verteidiger die (revisionsrechtlichen) Denkgesetze nicht beherrscht.

950

Auch eine ungengende Begrndung des Urteils wird hufig mit der Prozeßrge als Verstoß gegen § 267 beanstandet. Darauf sollte sich der Verteidiger aber niemals beschrnken. Unzulngliche Urteilsgrnde sind – fr sich allein genommen – selten ein Revisionsgrund, weil die Entscheidung nicht auf der Urteilsniederschrift beruhen kann, die erst nach der Hauptverhandlung fertiggestellt wird. Auch die Angabe der indiziellen Tatsachen (§ 267 Abs. 1 Satz 2) ist nur durch eine Soll-Vorschrift geboten, die als solche nicht fr revisibel angesehen wird. Unvollstndigkeit der Entscheidungsgrnde ist auch kein Aufhebungsgrund nach § 338 Nr. 7, weil der Fall des vollstndigen „Fehlens“ von Grnden (Rn. 936) nicht vorliegt873. Dagegen begrnden die Lckenhaftigkeit und Widersprchlichkeit und auch andere wesentliche Begrndungsmngel hufig die allgemeine Sachrge (Rn. 956).

872 BGH, StV 1981, 221; BGHSt. 20, 273; Dahs/Dahs, Rn. 365. 873 Meyer-Goßner, § 267 Rn. 42; RGSt. 43, 297; OLG Kln, JR 1970, 468 m. zusammenfassender Anm. Kleinknecht.

594

Der Verteidiger im Revisionsverfahren

Rn. 952

cc) Sachrge Beck'sches Formularbuch/Hamm, 4. Aufl., 2002, S. 565 ff.; Blunck, Beweiswrdigung und rechtliche Wrdigung im Strafurteil, MDR 1970, 470; Bruns, Zum „Toleranzbereich“ bei der revisionsgerichtlichen Kontrolle des Strafmaßes, FS Henkel (1974), S. 273; Dahs/Dahs, Revision, Rn. 386 ff.; Doller, Der schweigende Angeklagte und das Revisionsgericht, MDR 1974, 979 ff.; Fezer, Die erweiterte Revision, 1974 m. Bespr. von Hanack, JR 1975, 583 f.; Frisch, Revisionsrechtliche Probleme der Strafzumessung, 1971; Geerds, Revision beim Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungsstze, FS K. Peters (1974), S. 267; Hamm, Der strafprozessuale Beweis der Kausalitt und seine revisionsrechtliche berprfung, StV 1997, 159; Hamm, Zur Revisibilitt der Beweiswrdigung in Fllen von „Aussage gegen Aussage“, StraFo 2000, 253; Hanack, Maßstbe und Grenzen richterlicher berzeugungsbildung im Strafprozeß, JuS 1977, 727; Herdegen, Zur richterlichen Sachverhaltsmaßnahme im Strafprozeß und den dagegen mglichen Rechtsmitteln, JZ 1998, 54; Jhnke, ber die Befugnis des Revisionsgerichts zur Nachprfung der tatrichterlichen Beweiswrdigung, FS Hanack (1999), S. 335; Maier, Stefan, Aussage gegen Aussage und freie Beweiswrdigung, NStZ 2005, 246; Meyer-Goßner, Hinweise zur Abfassung des Strafurteils aus zivilrechtlicher Sicht, NStZ 1988, 529; Peters, Schuldspruch durch das Revisionsgericht bei Freispruch in der Tatsacheninstanz, FS Ulrich Stock (1966), S. 197 ff.; Rieß, Zur Revisibilitt der freien tatrichterlichen berzeugung, GA 1978, 257; Sarstedt/Hamm, Die Revision in Strafsachen, 6. Aufl., 1998, Rn. 1178 ff.; Sax, Zur Anwendbarkeit des Satzes „in dubio pro reo“ im strafprozessualen Bereich, FS Ulrich Stock (1966), S. 143 ff.; G. Schfer, Freie Beweiswrdigung und revisionsrechtliche Kontrolle, StV 1995, 147; G. Schfer, Praxis der Strafzumessung, 3. Aufl., 2001; Schmid, Der Revisionsrichter als Tatrichter, ZStW 85 (1973), 360; Schmitt, Die richterliche Beweiswrdigung im Strafprozeß, 1992; Schweling, Die Revisibilitt der Erfahrung, ZStW 1971, 453; Schwinge, Grundlagen des Revisionsrechts, 1960; Stree, In dubio pro reo, 1962; Volk, Kausalitt im Strafrecht, NStZ 1996, 105; Wagner, Die Beweiswrdigungspflicht im tatrichterlichen Urteil im Falle der Verurteilung, ZStW 106 (1994), 259; Warda, Dogmatische Grundlagen des richterlichen Ermessens in Strafsachen, 1962; Willms, Sachrge und erweiterte Revision, JR 1975, 52. Vgl. auch das vor Rn. 810 angefhrte Schrifttum sowie die regelmßigen Darstellungen von Detter zum Strafzumessungs- und Maßregelrecht, zuletzt NStZ 2005, 143.

Sie betrifft die Verletzung materiellen Rechts durch seine falsche Anwendung auf den vom Tatrichter festgestellten Sachverhalt (§ 337 Abs. 2). Zu ihrer formalen Wirksamkeit gehrt, wie unter Rn. 903 dargestellt, ihre Erhebung in allgemeiner Form („Es wird die Verletzung materiellen Rechts gergt“) binnen der gesetzlichen Frist. Die Begrndung im einzelnen kann bis zum Urteil nachgeschoben werden.

951

Sie muß aber erkennen lassen, daß sie auch wirklich den festgestellten Sachverhalt betrifft. Wenn der Verteidiger nur die Urteilsfeststellungen als falsch angreift und seine rechtlichen Schlußfolgerungen nur auf die von ihm als richtig angenommenen Tatsachen bezieht, dann ist diese

952

595

Rn. 953

Der Verteidiger im Rechtsmittelverfahren

Begrndung so mißraten, daß seine Revision unter Umstnden berhaupt nicht als zulssige Sachrge angesehen werden knnte, weil sie gar nicht den Sachverhalt des Urteils betreffe (§ 344 Abs. 2). Das ist vorgekommen874. Wer sich dagegen schtzen will, sollte die vorsorgliche Formulierung verwenden: „Es wird die Verletzung materiellen Rechts gergt. Zur Ergnzung dieser Rge wird vorgebracht ...“ oder „Die Sachrge wird in einem gesonderten Schriftsatz nher ausgefhrt werden.“ Sonst riskiert der Verteidiger, daß seine „Sachrge“ durch nicht nher erluterten Beschluß als unzulssig verworfen wird (§ 349 Abs. 1)875. 953

Erweist sich die Sachrge als zulssig, so kommt es darauf an, ob bei der Anwendung materiellen Rechtsfehler unterlaufen sind. Der klassische Kernbereich betrifft die angewendeten Strafbestimmungen auf den festgestellten Sachverhalt (Subsumtion). Hier knnen die verschiedensten Irrtmer vorkommen. Vorab ist aber nachzuprfen, ob die Feststellung der Tatsachen im angefochtenen Urteil wirklich als solche hingenommen werden muß oder ber die allgemeine Sachrge beanstandet werden kann. Die Bindung des Revisionsgerichts an die Urteilsfeststellungen bedeutet zwar an sich die Hoffnungslosigkeit jedes Versuchs, diese zu korrigieren, mgen sie auch nach Ansicht des Verteidigers noch so falsch sein. Der absolut zwingende Nachweis eines Rechtsfehlers bleibt fr die Revision erfolglos, wenn der Tatrichter den unterstellten Sachverhalt so nicht festgestellt hat. Den Verteidiger kostet es manchmal strkste berwindung bis zur Selbstverleugnung, von „Feststellungen“ ausgehen zu mssen, deren notorische Unrichtigkeit er aus der Hauptverhandlung genau kennt, etwa gnzlich mißratene Beweiswrdigungen, z. B. den angeblichen Inhalt der Aussage oder die Glaubwrdigkeit eines Zeugen nicht angreifen zu drfen oder das bergehen von nachgewiesenen Fallumstnden widerspruchslos hinnehmen zu mssen. Manchmal kann man sich wirklich nicht des Eindrucks erwehren, die Entscheidungsgrnde seien auf den Urteilstenor etwas gewaltsam „zugeschnitzt“ worden, wobei die Ergebnisse der Hauptverhandlung auf der Strecke geblieben sind. Dem Verteidiger wird aber in der Revision gewissermaßen zugemutet, einen Fall zu verteidigen, der sich in Wirklichkeit gar nicht ereignet hat. Daß ihm solche Umstellung nicht gelingt, ist psychologisch ebenso verstndlich wie revisionsrechtlich vernichtend.

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Wer sich von seinen Tatsachenvorstellungen nicht lsen kann, verstellt sich damit den Blick auf die Rechtsfehler des Urteils, auf die es allein ankommt. Daher kann auch ein Verteidiger, der in der Tatsacheninstanz 874 RGSt. 67, 198; RGSt. 40, 99. 875 BGHR, § 344 II S. 1, Revisionsbegrndung 2.

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Der Verteidiger im Revisionsverfahren

Rn. 956

nicht ttig war und deshalb nur die Urteilsfeststellungen kennt, die Sachrge meist vorurteilsloser und deshalb besser beurteilen und begrnden (Rn. 888). Er befindet sich dabei in der gleichen Lage wie der Revisionsrichter, der ebenfalls in der Hauptverhandlung nicht anwesend war und dem auch der Blick in die Akten grundstzlich verwehrt ist, weshalb er alles unterlassen und geistig ausstreichen muß, was die Revision zum Tatschlichen vorbringt. Die von daher stammende Kritik an den Revisionsbegrndungen der Verteidiger ist jedoch in mancher Beziehung einseitig und nicht gerecht. Der Verteidiger hat die paradoxe Aufgabe, seinem sich unschuldig fhlenden oder gebenden Mandanten klarzumachen, daß es seinem Vorteil und dem Ziele des Freispruchs dienen soll, alles im Urteil ihm zur Last Gelegte – mag es auch vllig falsch sein – nicht nur widerspruchslos hinzunehmen, sondern darauf geradezu aufzubauen. Dieser soll also begreifen, daß nur darber verhandelt wird, ob es sich um einen Diebstahl oder eine Unterschlagung, einen Treubruch oder einen Mißbrauch (§ 266 StGB) handelt, daß er in dieser Instanz aber nicht dagegen aufbegehren darf, berhaupt etwas getan zu haben. Was die vielgerhmte Strafprozeßordnung hier dem Stillhaltevermgen des Angeklagten einerseits und der berzeugungskraft und geistigen Zucht des Verteidigers anderseits abverlangt, ist nach den Erfahrungen der Verteidiger eine betrchtliche Zumutung, die sogar zur Zerstrung der Vertrauensbasis fhren kann.

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Hier wird nun immer wieder die Frage laut, ob denn nicht das Revisionsgericht letzten Endes doch die gerechte Entscheidung anstrebe und deshalb auch an die Tatsachenfeststellungen herankme, wenn es nur wolle. Hierzu wird Nheres in dem Abschnitt i) berichtet werden. Hier sollen zunchst die Wege gewiesen werden, die (ausnahmsweise) zur Ausschaltung der Bindung des Revisionsgerichts fhren knnen. Das ist insbesondere dann mglich, wenn die mitgeteilten Tatsachen fr die Feststellung des Straftatbestandes nicht ausreichen. Insoweit ist der Mindestinhalt der Urteilsbegrndung in § 267 vorgeschrieben. Diese Bestimmung ist nach ihrem Wortlaut recht eng. Insbesondere ist die Angabe der Beweismittel dort nicht vorgeschrieben, und bei Indizienbeweis ist die Angabe der indiziellen Tatsachen und deren Wrdigung nur als „Soll-Vorschrift“ vorgesehen. Eine derartig krgliche Urteilsbegrndung wre hiernach mit einer verfahrensrechtlichen Rge nicht zu bekmpfen (Rn. 950). Die Rechtsprechung hat hier aber im Rahmen der allgemeinen Sachrge weitere Erfordernisse entwickelt. Die Tatrichter pflegen von sich aus ihr Urteil ber § 267 hinaus eingehend und mit einer umfassenden Beweiswrdigung zu begrnden. Dazu erklrt der Bundesgerichtshof: „Gibt der Tatrichter die fr seine berzeugungsbildung verwerteten Beweisanzei597

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Rn. 957

Der Verteidiger im Rechtsmittelverfahren

chen in den Urteilsgrnden an, so muß er sie im Urteil lckenlos (!) zusammenfgen und unter allen (!) fr ihre Beurteilung maßgeblichen Gesichtspunkten wrdigen“876. Geschieht das nicht, so kann das Revisionsgericht auf die Sachrge das Urteil aufheben. Erst recht geschieht dies, wenn nur der Wortlaut des Strafgesetzes oder blutleere Wendungen formelhafter Art gebracht werden, die fr die dem Revisionsgericht obliegende Nachprfung der rechtlichen Subsumtion nicht ausreichen. Hat z. B. der wegen Diebstahls Angeklagte eine auf einer Hauswiese liegende Sache an sich genommen, bedarf es konkreter Darlegungen, aus welchen Umstnden sich ein Gewahrsam des Hausbesitzers ergeben soll und wieso diese dem Tter bewußt gewesen sind. Fehlt es hier an der erforderlichen Genauigkeit, muß das Urteil wegen der Lckenhaftigkeit seiner Feststellungen aufgehoben werden. Auch die fehlende Wiedergabe der Einlassung des Angeklagten und ihre Wrdigung im Urteil kann ein sachlich-rechtlicher Mangel sein, weil das Revisionsgericht nicht nachprfen kann, ob dem Schuldvorwurf (Fahrlssigkeit) eine rechtlich einwandfreie Beurteilung zugrunde liegt877. 957

Das kommt besonders oft hinsichtlich der inneren Tatseite vor, die von dem Urteilsverfasser leicht vernachlssigt wird. So muß bei Diebstahl das Urteil ausdrcklich feststellen, daß der Tter den fremden Gewahrsam erkannt hat. Eine solche Feststellung braucht allerdings meist nicht nher begrndet zu werden, um bindend zu sein. Wenn aber der Tatrichter das Wissen des Tters um die tatschlichen Verhltnisse errtert, kann seine Schlußfolgerung angreifbar werden, so besonders im Falle der typischen Wendung „Hiernach mußte der Angeklagte ohne weiteres erkennen ...“. Diese Folgerung gengt nicht fr die Feststellung des Vorsatzes. Denn sie paßt auch auf die bloße Fahrlssigkeit. Dieser hufige Fehler ermglicht meist die Aufhebung des Urteils. Wird ein Organisationsverschulden allein damit begrndet, es sei ein fachlich ungeeigneter Mitarbeiter eingesetzt worden, so ist die Fahrlssigkeit nicht einwandfrei dargetan, wenn Feststellungen darber fehlen, daß die mangelnde Eignung bekannt war.

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Hier sind auch Widersprche des Urteils zu nennen, soweit sie die Eindeutigkeit der Tatsachenfeststellung aufheben. Wenn im vorgenannten Beispiel im ersten Teil des Urteils ein fremder Gewahrsam festgestellt ist, wrde es einen damit unvereinbaren Widerspruch darstellen, wenn bei der Strafzumessung dem Tter zugute gehalten wird, daß er als Ortsunkundiger die Hauswiese fr freiliegend angesehen und deshalb den Ge876 St. Rspr., vgl. nur BGHSt. 12, 312. 877 BGH, StV 1989, 69; OLG Dsseldorf, NStZ 1985, 323.

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Rn. 961

wahrsam nicht zuverlssig habe erkennen knnen. Ein solches Urteil knnte keinen Bestand haben. Oft lßt sich auch dartun, daß im Urteil mancherlei naheliegende Mglichkeiten nicht errtert sind878. Wenn ein Revisionsgericht an das Urteil herankommen will, leitet es daraus gern ab, die Lcke knne auf eine fehlerhafte Rechtsauffassung zurckgehen. Ein Tter, der eine fremde Sache gegen den Willen des Eigentmers an sich genommen hat, ist wegen Diebstahls bestraft worden, wobei der Tatrichter im Urteil die Absicht der rechtswidrigen Zueignung festgestellt hat. Im Urteil ist nicht errtert, ob der Tter nicht vielleicht darauf abgezielt haben knnte, den Bestohlenen auf einige Zeit wegen des Verlustes der Sache in Unruhe zu versetzen, um ihn dann spter durch Rckgabe der Sache von dieser Unruhe zu befreien. Damit knnte die „Absicht“ der rechtswidrigen Zueignung im Sinne des § 242 StGB und damit die Verurteilung entfallen. Wenn das Gericht allerdings nicht „will“, kann es ebenso die Begrndung finden, die „Absicht“ sei als eine innere Tatsache fr das Gericht bindend festgestellt.

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Die Tatsachenfeststellungen brauchen auch dann nicht hingenommen zu werden, wenn sie auf Verstßen gegen die Denkgesetze oder gegen Erfahrungsstze beruhen. Sie ermglichen die Aufhebung des Urteils, weil Denkgesetze als Rechtsnormen anzusehen sind879 oder weil ihre Verletzung mindestens bedeutet, daß die der Verurteilung zugrunde liegende Strafrechtsnorm nicht richtig, weil denkgesetzlich nicht richtig „angewendet“ worden ist (§ 337 Abs. 2)880.

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Hier ergibt sich die Mglichkeit, sogar an die Beweiswrdigung des Gerichts heranzukommen, die sonst dem Revisionsrichter verschlossen ist. Aber dabei muß man sehr sorgfltig zu Werke gehen. Ein beachtlicher Denkfehler liegt nur vor, wenn die Gesetze der Logik eindeutig verletzt sind. Wenn z. B. in einem Urteil eine Einzelstrafe von einem Jahr und 5 Monaten verhngt und diese bei spterer Zusammenrechnung mit 1,5 Jahren angenommen wird, so liegt der rechnerische Denkfehler klar zutage, insofern der Verfasser irrtmlich in das dekadische System hineingeraten ist. Ebenso wre es denkgesetzlich falsch, einen Angeklagten A nur aufgrund der Aussage des Mitangeklagten B mit der Begrndung zu verurteilen, der Aussage des sich damit entlastenden Mitangeklagten B sei im allgemeinen wenig zu glauben, im gegebenen Falle msse die Aussage

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878 Z. B. BGH bei Pfeiffer/Miebach, NStZ 1984, 212. 879 BGHSt. 6, 72; Dahs/Dahs, Rn. 405. 880 Sarstedt/Hamm, Rn. 890.

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Der Verteidiger im Rechtsmittelverfahren

aber wahr sein, weil B die Tat „nicht allein“ durchgefhrt haben knne. Das ist unlogisch. Deshalb kann hier die Beweiswrdigung zu Fall gebracht werden. 962

Es ist begreiflich, daß in diesem Bereich die große Verlockung zu tatschlichen Ausfhrungen liegt. Deshalb kommt auch die „Verletzung der Denkgesetze“ in den Revisionen am hufigsten vor, so als ob nur die Verteidiger, nicht aber die Richter, logisch zu denken vermchten. Das liegt aber meist an den Denkfehlern der Revisionen. Dort werden Schlußfolgerungen aus Tatsachen hufig als „unlogisch“ oder „widersprchlich“ nur deshalb bezeichnet, weil der Revisionsfhrer aus den Tatsachen andere Schlsse zieht als der Tatrichter. Das ist aber ganz unerheblich, solange die Schlußfolgerungen denkgesetzlich nicht unmglich sind. Daß andere Folgerungen nher gelegen htten, kann meist schwer berzeugen. Ebenso ist es nicht widersinnig, einem Zeugen in einem Punkte zu glauben und in einem anderen Punkt ihm den Glauben zu versagen. Der Tatrichter kann auch fnf Sachverstndigengutachten verwerfen und einem anderen oder sogar keinem einzigen folgen. Er kann auch auf einem frheren Gestndnis aufbauen, obwohl fr den erfolgten Widerruf die besten Grnde vorgebracht worden sind. Es ist eben falsch, Feststellungen deshalb als Denkverstße anzusehen, weil sie „nicht zwingend“ sind oder sehr fern liegen mgen. Sie drfen nur nicht denkgesetzlich „unmglich“ sein.

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Das Aufspren von wirklichen Urteilsfehlern dieses Charakters kann sich zu einer Art von Denksport entwickeln. Nur darf es auch hier nicht zu einem „Glasperlenspiel“ kommen, weil sonst der Boden vernnftiger Urteilsauslegung verlassen und nur noch dialektisch operiert wrde. Wenn nichts Reales dahinter ist, wird das Revisionsgericht eine solche Gedankenspielerei nicht mitmachen und in aller Regel „aus dem Zusammenhang der Urteilsgrnde“, die Zurckweisung zu begrnden wissen.

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Einer hnlichen Beurteilung unterliegt die Revision wegen Verletzung von Erfahrungsstzen881. Auch hier knnen nur Unmglichkeiten, nicht bloße Unwahrscheinlichkeiten beanstandet werden. Wenn z. B. in einem Urteil festgestellt wird, daß eine Mutter ihre drei Kinder gettet und anschließend eine Tanzveranstaltung besucht habe, so ntzt es nichts, daß solches der „Lebenserfahrung“ widerspricht. Auch die unwahrscheinlichsten Dinge kommen tatschlich vor. Umgekehrt stellt manches Urteil „Erfahrungsstze“ auf, die es gar nicht gibt. So kann ein Angeklagter nicht mit dem alleinigen Argument berfhrt werden, nach der Lebenser881 Dahs/Dahs, Rn. 421.

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fahrung habe jeder Autofahrer auf der Heimfahrt eine hhere Geschwindigkeit als auf der Hinfahrt. Zwar kann der Tatrichter solche Erfahrungsstze mitverwerten, aber er darf sie nicht als zwingend behandeln. Zu den zwingenden Erfahrungsstzen gehren anderseits die naturgesetzlichen und allgemein anerkannte wissenschaftlichen Erkenntnisse, sofern sie einwandfrei gesichert sind, was der Verteidiger im einzelnen Fall nachprfen muß. Hier kann das Revisionsgericht auch „aus eigener Wissenschaft“ urteilen, wenn es sich die erforderlichen Kenntnisse seinerseits verschafft hat. Gynkologische Lehrbcher auf dem Tisch des Revisionsgerichts knnen deshalb durchaus dazugehren. Auch kann der Senat selbst Sachverstndige hren.

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Die Rge der Verletzung des Rechtssatzes in dubio pro reo gehrt zwar zum Standardinhalt vieler Revisionsbegrndungen, wird aber sehr oft verkannt. Die Rge ist nur dann begrndet, wenn der Tatrichter noch Zweifelgehabt und trotzdem verurteilt hat. Nur wenn er noch andere Mglichkeiten gesehen und diese dann beiseite geschoben hat, liegt ein Verfahrensfehler vor. Es spielt dagegen im allgemeinen keine Rolle, ob der Tatrichter anderen, vielleicht nher liegenden Mglichkeiten den Vorrang htte geben mssen. Das wird meist verkannt. Ob der Tatrichter tatschlich noch Zweifelgehabt hat, lßt sich aus den auch hier allein maßgebenden Entscheidungsgrnden oft nur schwer nachweisen. Es gengt deshalb, wenn die Urteilsgrnde die Mglichkeit des tatrichterlichen Zweifels nicht vllig ausschließen.

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Zweifel knnen sich auch dann ergeben, wenn der Tatrichter sich „mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit“ begngt hat, wie es meist bei Indizienbeweisen der Fall ist (Rn. 7). Der Begriff stammt aus der Judikatur882. Eine bloße Wahrscheinlichkeit begrndet fr sich allein die erforderliche Gewißheit nicht. Aber der Richter kann in sich den Denkund berzeugungsprozeß vollziehen, die aus dem Sachverhalt entnommene hochgradige Wahrscheinlichkeit zu seiner vollen Gewißheit zu verdichten. Wenn z. B. die tdliche Wirkung eines Giftes in 999 von 1000 Fllen wissenschaftlich erwiesen ist, dann kann der Richter unter Umstnden in sich die berzeugung bilden, daß die Kausalitt in allen 1000 Fllen und damit auch im zu entscheidenden Fall gegeben ist. Darin ist er frei. Wenn er diesen Schritt aber nicht vollzieht und sich mit der Wahrscheinlichkeit von 999 : 1 begngt, dann verstßt er gegen den Grundsatz des in dubio pro reo, weil er bewußt in Kauf nimmt, einen mglicherweise Unschuldigen zu verurteilen.

882 RGSt. 61, 202; dazu bedeutungsvoll BGHSt. 10, 208.

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Rn. 967

Der Verteidiger im Rechtsmittelverfahren

Ein Rechtsverstoß ist auch die Auswertung eines bloßen Verdachts zu Lasten des Angeklagten, z. B. die Verurteilung wegen Diebstahls mit der Begrndung, dem Angeklagten sei die Tat auch zuzutrauen, weil gegen ihn ein anderes Ermittlungsverfahren anhngig gewesen und nur mangels Beweises eingestellt worden sei. 967

Der Grundsatz „in dubio pro reo“ gilt zum Teil auch bei Verfahrensvoraussetzungen und -hindernissen883. Insbesondere muß eingestellt werden, wenn eine Verjhrung zwar nicht erwiesen, aber auch nicht auszuschließen ist884.

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Revisionen gegen die Strafzumessung (Rn. 747 ff.) sind relativ hufig erfolgreich. Die These, die Strafzumessung sei primr die Domne des Tatrichters, in dessen Ermessen das Revisionsgericht nicht eingreifen drfe, gilt heute nicht mehr uneingeschrnkt. Zwar braucht der Tatrichter im Urteil die Strafzumessungskriterien des § 46 Abs. 1 und 2 StGB nicht katalogmßig einzeln abzuhandeln, jedoch darf er sich aufdrngende Milderungsgrnde nicht unerrtert lassen oder wertneutrale Aspekte, z. B. das Leugnen des Angeklagten oder dessen nach Lage der Sache vertretbares Verteidigungsverhalten885, nicht strafschrfend bewerten; insbesondere darf gegen das Verbot der Doppelbewertung des § 46 Abs. 3 StGB nicht verstoßen werden. Daß der Angeklagte disziplinar- oder berufsrechtliche Konsequenzen zu erwarten hat, wird hufig bersehen. Auch wird der Griff des Tatrichters „in die falsche Oktave“ des Strafrahmens zur Aufhebung fhren, wenn sie nicht sehr stichhaltig begrndet ist. Wegen der Einzelheiten der im Strafausspruch vorkommenden Rechtsfehler wird auf das umfassende Werk von Gerhard Schfer (Praxis der Strafzumessung, 3. Aufl., 2001, Heft 51 der Schriftenreihe NJW), die in der NStZ verffentlichten aktuellen Rechtsprechungsberichte von Detter (zuletzt NStZ 2005, 143) sowie auf die „Revision im Strafprozeß“ (dort Rn. 437 ff.) verwiesen. Die Ausfhrungen zur Strafbemessung gelten sinngemß natrlich auch fr die Maßnahmen der Besserung und Sicherung sowie fr Auflagen und Bußen bei der Strafaussetzung zur Bewhrung886.

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Als besondere Strafzumessungsfehler kommen im brigen fr die Revision im einzelnen in Betracht die berschreitung des Strafrahmens, die Nichtbercksichtigung der Strafermßigung bei Versuch oder unent-

883 884 885 886

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Meyer-Goßner, § 261 Rn. 34. BGHSt. 18, 274. BGH, StV 1999, 536 m. N. Dahs/Dahs, Rn. 449.

Der Verteidiger im Revisionsverfahren

Rn. 971

schuldbarem Verbotsirrtum und besonders hufig die unzulssige Verwendung gesetzlicher Tatbestandsmerkmale zur Strafschrfung (§ 46 Abs. 3 StGB). Hierfr diene als Beispiel der Hinweis im Urteil, der wegen einer Straftat aus § 174a StGB verurteilte Anstaltsarzt habe die Abhngigkeit seiner Patienten ausgentzt. Dieses Moment durfte das Gericht nicht strafschrfend verwerten, weil es zum gesetzlichen Tatbestand gehrt. Die Begrndung wre allerdings nicht zu beanstanden, wenn dem Tter eine besonders raffinierte oder gemeine Art der Ausnutzung angelastet wird. Auch das Prozeßverhalten des Angeklagten darf grundstzlich nicht strafschrfend gewertet werden: Eine Ausnahme gilt, wenn es auf Rechtsfeindlichkeit oder Gefhrlichkeit des Tters schließen lßt887. Es sollen hier zwei praktische Hinweise nicht unterbleiben: Der Verteidiger braucht nicht zu befrchten, daß eine Revision gegen den Schuldspruch unglaubwrdig wird, wenn er hilfsweise gegen die Strafzumessung Stellung nimmt. Das kann in der Hauptverhandlung unterer Gerichte in der Tat ein Problem werden (Rn. 747). Der Revisionsrichter aber lßt sich dadurch nicht beirren. Andererseits empfiehlt es sich umgekehrt, auch wenn der Mandant mit einer Strafermßigung zufrieden wre, vorsorglich den Schuldspruch mit zu rgen. Manchmal ergibt sich erst bei der Prfung des Strafmaßes der im Schuldspruch steckende Fehler. Dann ist aber die unterlassene Rge nicht mehr nachzuholen.

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dd) Hufung und Konkurrenz von Revisionsrgen Nicht die Masse der erhobenen Rgen verbrgt den Erfolg. Auch hier geht Qualitt vor Quantitt. Es gibt Revisionen, mit denen eine unendliche Flle von Rgen erhoben wird, beinahe jede Vereidigung oder Nichtvereidigung eines Zeugen angegriffen wird, in denen alle Verlesungen von Urkunden und Ablehnungen von Antrgen gergt, wo Beschrnkung der Verteidigung, Verletzung aller mglichen anderen Bestimmungen behauptet und dazu noch pauschal ein ganzer Katalog von angeblich verletzten Bestimmungen ohne substantiierte Begrndung aufgefhrt werden. Zur Komplettierung solcher Schriftstze gehrt blicherweise der summarische Vorwurf der Verletzung der Denkgesetze und Erfahrungsstze sowie des Grundsatzes in dubio pro reo. Offensichtlich meint man, die vorsorgliche Begrndung werde wohl auch die wirklichen Rechtsfehler mit umfassen und knne jedenfalls nichts schaden. Nicht einmal das letztere ist richtig. Denn dem Richter, der mit so viel Makulatur eingedeckt wird, verschttet man den Zugang zum Kern der Sache. Den muß der Verteidiger selbst herausarbeiten und dann seinen Angriff treffsicher starten. 887 BGH, StV 1981, 122.

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Rn. 972

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Es gibt Verteidiger, die das vorzglich knnen. Sie haben einen untrglichen Instinkt fr die schwachen Stellen eines Urteils. Sie erlegen es gewissermaßen mit einem Blattschuß. Andere hingegen beschießen das Urteil wie mit Schrot. Die Krner gehen in die Breite und schon deshalb zum großen Teil daneben. Im brigen prallen sie meist ab oder schlagen nicht durch. 972

Die Konkurrenz von Revisionsrgen bringt fr den Verteidiger keine Schwierigkeiten, da der Vorrang des weitestreichenden Revisionsgrundes anerkannt ist888. Das Revisionsgericht kann danach ein Prozeßhindernis oder eine durchgreifende Verfahrensrge dahinstehen lassen, wenn der Angeklagte freizusprechen ist. Greifen mehrere Rgen durch, so hat diejenige Entscheidung den Vorzug, die das Verfahren der Enderledigung am nchsten bringt. Demzufolge bedrfen Verfahrensverstße auch dann keiner Prfung, wenn zwar kein Freispruch, aber eine Zurckverweisung aus materiellrechtlichen Grnden erfolgen kann. Denn sie hilft dem Angeklagten und dem Tatrichter weiter als die Aufhebung aus nur formalen Grnden, auch wenn diese mit sachlich-rechtlichen Hinweisen fr die neue Entscheidung verbunden sind, die den Tatrichter rechtlich nicht binden (§ 358 Abs. 1). Eine rechtliche Verpflichtung des Revisionsgerichts, in jedem Falle ber den weitestgehenden Antrag zu entscheiden, besteht aber nicht. Der Verteidiger hat also Anlaß, diesen Gesichtspunkt besonders hervorzuheben. g) Verfahren bis zur Hauptverhandlung Dahs, Verfassungsrechtliche Gewhrleistung umfassender Verteidigung im Revisionsverfahren, NJW 1978, 140; Dahs, Disziplinierung des Tatrichters durch Beschlsse nach § 349 II StPO?, NStZ 1981, 205; Dahs, „Schriftliches Verfahren“ statt „offensichtlich unbegrndet“, NStZ 2001, 298; Dahs/Dahs, Rn. 506 ff.; Frstenau, Offensichtlich unbegrndet? Mißbrauch des § 349 Abs. 2 StPO, StraFo 2004, 38; Hamm, Verfahrensspaltung bei gegenlufigen Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft, StV 2000, 637; Park, Die Erwiderung der Verteidigung auf einen Revisionsverwerfungsantrag gem. § 349 Abs. 1 StPO, StV 1997, 550; Sarstedt/Hamm, Rn. 1229 ff.; R. Schmitt, Knnen die Beschlsse aus §§ 346, 349 zurckgenommen werden?, JZ 1961, 15; Widmaier, Der bestellte Verwerfungsantrag, NStZ 2001, 57; Widmaier, Bindungsumfang der teilaufhebenden Revisionsentscheidung, StraFo 2004, 366; Winkler, Bindungsumfang der teilaufhebenden Revisionsentscheidung, StraFo 2004, 369.

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Nachdem der Verteidiger seine Revisionsbegrndung abgegeben hat, kann er zunchst den weiteren Verfahrensgang abwarten. Ergnzungen der Sachrge sollte er allerdings baldmglichst nachreichen (Rn. 903). 888 BGHSt. 13, 268 (273); BGHSt. 17, 253; Meyer-Goßner, § 352 Rn. 9 ff.; Dahs/ Dahs, Rn. 574 m. w. N.

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Der Verteidiger im Revisionsverfahren

Rn. 974

Die Staatsanwaltschaft stellt, falls Verfahrensrgen das erforderlich machen, eine Gegenerklrung zu (§ 347). Deren Fassung gibt allerdings manchen Verteidigern Rtsel auf. Sie suchen dort vergeblich eine Stellungnahme zur Sache. Die Staatsanwaltschaft soll davon nmlich grundstzlich absehen (§ 162 Abs. 1 RiStBV). Dafr stellt sie entsprechend § 162 Abs. 2 RiStBV zu den verfahrensrechtlichen Rgen alle Tatsachen unter Wiedergabe der Urkundeninhalte zusammen. Das soll der Erleichterung der bersicht besonders der Staatsanwaltschaft beim Revisionsgericht dienen. Dem Verteidiger bringt sie damit nichts Neues. Er hat gut gearbeitet, wenn die Gegenerklrung sich auf den Satz beschrnkt, die Revision habe die Verfahrenstatsachen vollstndig und zutreffend vorgetragen. Vor der Hauptverhandlung erfhrt der Verteidiger von der Sache an sich nur dann etwas, wenn die Revisionsstaatsanwaltschaft die Verwerfung der Revision durch Beschluß nach § 349 Abs. 2 beantragt. Dazu kann der Verteidiger sich innerhalb von zwei Wochen ußern. Diese Frist kann an sich nicht verlngert werden889. Der Verteidiger kann sich aber praktisch eine solche Verlngerung verschaffen, indem er sich trotz Fristablauf ußert, ehe der Senat entschieden hat. Er riskiert aber, daß nach Ablauf der Frist die Entscheidung bereits getroffen worden ist. Er kann auch Staatsanwalt und Senat bitten, seine Stellungnahme abzuwarten, sollte dann aber eine bestimmte – kurze – Frist nennen – und sie einhalten! In der Regel wird einem gut begrndeten Verlngerungsantrag stillschweigend stattgegeben. Durch eine berzeugende Erwiderung und Auseinandersetzung mit den Argumenten des Verwerfungsantrages und pointierte Darstellung der Rechtsprobleme des Falles gelingt es in manchen Fllen dem Verteidiger, eine Hauptverhandlung durchzusetzen. In vielen anderen Fllen wird er statt dessen aber in Verlegenheit kommen knnen, wenn das Revisionsgericht seine angeblich begrndete Revision einstimmig als „offensichtlich unbegrndet“ verwirft. Wie soll er das dem durch das ihm rtselhafte Revisionsverfahren ohnehin schockierten Mandanten (Rn. 955) klarmachen? Der Senat kann ihm mit einer Begrndung wenig helfen. Wie sollte er auch im einzelnen das begrnden knnen und mssen, was er einstimmig fr „offensichtlich unbegrndet“ ansieht? Der Bundesgerichtshof ist allerdings inzwischen zu neutraleren Formulierungen bergegangen, z. B. daß die „Revision einstimmig verworfen wird, weil die Nachprfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben habe. Fr diese Schonung des Verteidigers gebhrt ihm Dank. berzeugter wre der Dank, wenn die Revisionsgerichte die Begriffe „offensichtlich“ und „einstimmig“ allgemein restriktiver interpretieren wrden. 889 BGH, DRiZ 1990, 455.

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Rn. 975

Der Verteidiger im Rechtsmittelverfahren

Als Konzession in dieser Richtung mag die neuere Rechtsprechung des BGH angesehen werden, wonach es fr § 349 Abs. 2 ausreicht, daß der Senat einhellig die Auffassung vertritt, daß die von der Revision aufgeworfenen Rechtsfragen zweifelsfrei zu beantworten sind und auch die Durchfhrung der Hauptverhandlung keine einschlgigen neuen Erkenntnisse erwarten lßt890. Der Antrag auf Verwerfung der Revision durch Beschluß muß fr den Verteidiger stets Anlaß sein, nochmals voll in die Sache „einzusteigen“. Manchmal gelingt es, neue Argumente zu finden, mindestens kann man sich mit den Erwgungen der Generalstaatsanwaltschaft bzw. Bundesanwaltschaft auseinandersetzen. Hat diese in ihrem Antrag unverffentlichte Rechtsprechung zitiert, sind die Entscheidungen ber elektronische Datenbanken bei den Gerichten anzufordern; in der Regel sind sie kurzfristig erreichbar. Selbstverstndlich ist jede Art von Polemik fehl am Platze, auch wenn man den Antrag nach § 349 Abs. 3 fr noch so verfehlt hlt; dagegen kann ein Hinweis angebracht sein, daß bisher noch nicht entschiedene Rechtsfragen zur Beurteilung anstehen oder aus anderen Grnden die Entscheidung durch Beschluß der Sache nicht gerecht wird. Allein der Umfang des Verfahrens oder der Revisionsbegrndung soll der Beschlußverwerfung allerdings nicht entgegenstehen. Daß im brigen das Revisionsgericht eine Revision auch (ohne Offensichtlichkeit) einstimmig fr begrndet erachten kann, ergibt sich aus § 349 Abs. 4. Es kommt durchaus vor, daß entgegen einem Antrag nach § 349 Abs. 2 das Urteil durch Beschluß aufgehoben wird. 975

In der Zeit vor der Hauptverhandlung kann der Verteidiger noch manches erwgen und einiges Ntzliche tun. Vor allem muß er entscheiden, ob er an der Hauptverhandlung teilnehmen will. Der Mandant will wissen, ob er erscheinen soll. Beides ist zunchst auch eine Kostenfrage. Davon abgesehen sollte der Verteidiger, wenn er nicht nur vorsorglich die allgemeine Sachrge erhoben hat, sondern sachlich hinter seiner Revision steht, im Termin auftreten. Zwar ist seine Mitwirkung hier (ebenso wie fr den Angeklagten) nicht vorgeschrieben. Er wird nicht einmal geladen, sondern von dem Termin nur „benachrichtigt“ (zuweilen allerdings mit dem Zusatz, daß die Anwesenheit eines Verteidigers geboten sei). Der Verteidiger sollte aber in der Regel von sich mehr halten, als die Strafprozeßordnung es offensichtlich tut und sich nicht in der Rolle eines bloßen Statisten fhlen. Zwar prft das Revisionsgericht alle Revisionsgrnde von Amts wegen, und der nur auf objektive Rechtsfindung bedachte Staatsanwalt wirkt dazu mit. Aber der Verteidiger kann je nach der Entwicklung der Verhandlung 890 BGH, StV 2005, 3 m. Anm. v. Dllen u. Meyer-Mews.

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Rn. 977

viel zum Erfolg beitragen, insbesondere kann die mndliche Stellungnahme der Staatsanwaltschaft, die sich durchweg nicht vorher schriftlich zu ußern pflegt, eine Erwiderung herausfordern. Entsprechendes gilt erst recht, wenn die Staatsanwaltschaft selbst eine Revision durchfhrt. Die Ansicht, der Verteidiger sei berflssig, wrde im brigen voraussetzen, daß das Urteil vor der Hauptverhandlung regelmßig feststehe und durch Verhandlung oder Pldoyer nicht beeinflußt werde. Das ist aber keineswegs der Fall. Im brigen wrde auch in aller Regel der Mandant kein Verstndnis fr seinen Verteidiger haben, der selbst von seiner Verteidigung so wenig hlt, daß er gar nicht erst zur Verhandlung fhrt. Man darf es dann allerdings auch nicht so machen, wie ich es bei einem Verteidiger erlebt habe, der in Karlsruhe dem erstaunten Senat erklrte, er komme nur auf Wunsch seines Mandanten, er werde kein einziges Wort sagen. Soll der Mandant an der Verhandlung teilnehmen? Das ist eine Kardinalfrage der Beratung des Verteidigers vor der Revisionsverhandlung. Von wenigen Ausnahmen abgesehen sollte man abraten. Soweit er zuhrt, versteht der Mandant von dem „Rechtsstreit“ der Revisionsverhandlung so gut wie nichts. Soweit er selbst spricht, redet er wahrscheinlich rechtlichen Unsinn – im gnstigsten Falle. Er kann sich dazu auch noch „hineinreden“. Entscheidend aber ist die Befangenheit des Verteidigers, wenn der Mandant anwesend ist. Sie wurzelt in der Tatsachenfeindlichkeit der Revision. Hlt sich der Verteidiger daran gebunden, dann unterstellt er in der Verhandlung „festgestellte“ Handlungen des Angeklagten, die dieser gar nicht begangen hat. Helle Emprung des Mandanten ist die begreifliche Folge. Sie ußert sich auch dann schon, wenn der Verteidiger tatschliches Vorbringen und Beweismittel „versumt“, die der Mandant mit Recht als den eigentlichen Kern seines Falles ansieht. Wenn die Revision dann verworfen wird, kommt der unglckliche Mandant sich wie der Zuschauer eines Theaterstckes vor, der von der Auffhrung nichts verstanden hat. Schuld hat in seinen Augen die falsche Regie seines Verteidigers. Diese Vorstellungen knnen den Verteidiger dazu verleiten, dem Mandanten zuliebe revisionswidrig zu verteidigen. Die „exceptio clientis adsentis“ schtzt ihn dabei nicht vor der Ungnade der strengen Revisionsrichter. Dies alles ist genug Grund, den Mandanten zu Hause zu lassen.

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Nach Bestimmung des Termins kann unter Umstnden der Verteidiger Gelegenheit finden, in ein Gesprch mit der Staatsanwaltschaft bei dem Revisionsgericht zu kommen. Ein Anlaß dazu kann sich ergeben, wenn er sich nach dem Eingang eines ergnzenden Schriftsatzes erkundigt oder wenn er wegen einer Terminskollision oder aus einem anderen Grund die Terminswahrnehmung noch berlegen muß. Besonders wenn der Verteidiger den zustndigen Staatsanwalt oder Bundesanwalt kennt und dort

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Vertrauen genießt, wird ihm eine zurckhaltende Frage nach dem Prozeßstandpunkt der Staatsanwaltschaft nicht verbelt. Die Staatsanwaltschaft bei dem Revisionsgericht fhlt sich, fern jedem Zweckdenken, unter allen Umstnden nur dem Recht verpflichtet. Sie kann sich durchaus bereit zeigen, ihre Rechtsauffassung und sogar die beabsichtigten Antrge dem Verteidiger zu offenbaren. Die Bereitschaft zur Auskunft bei der Bundesanwaltschaft ist verschieden je nach dem Charakter der Sache oder auch der Person des Bundesanwalts. Wenn der Verteidiger bis zur Hauptverhandlung eine solche Verbindung nicht gefunden hat, bietet sich ihm noch eine gleichartige Chance am Verhandlungstag um 5 Minuten vor 9 Uhr. Wenn er sich dem im Sitzungssaal erscheinenden Staatsanwalt vorstellt, lassen sich in einem kurzen Gesprch die „Fronten“ manchmal rasch so abstecken, daß die Verhandlung im allseitigen Interesse abgekrzt oder aber auf die kritischen Punkte konzentriert werden kann. 978

Das Wissen um solche praktischen Details der Prozeßplanung ist fr den Verteidiger vielleicht ebenso wichtig wie eine komplizierte Rechtsvorbereitung. Dazu gehrt auch die Verhandlungsplanung mit den Verteidigern in anderen Sachen. Der Bundesgerichtshof terminiert meist alle Sachen auf 9 Uhr und folgt in der Reihenfolge nach Mglichkeit den Wnschen der Verteidiger, sofern die Sitzungsvertretung der Bundesanwaltschaft nicht beeintrchtigt wird. Man muß darber orientiert und berhaupt in der besonderen Atmosphre des Bundesgerichtshofes etwas zu Hause sein, um die gegebenen Mglichkeiten richtig wahrnehmen zu knnen. h) Der Verteidiger in der Hauptverhandlung Dahs sen., Die Verantwortung des Verteidigers in der Revisionsinstanz, AnwBl. 1963, 64; Dahs/Dahs, Revision, Rn. 560 ff.; Hanack, Die Verteidigung vor dem Revisionsgericht, FS Dnnebier (1982), S. 301; Nack, Aufhebungspraxis der Strafsenate des BGH, NStZ 1997, 153; Sarstedt/Hamm, Rn. 1269 ff.; Seibert, Verteidigerauftreten vor dem Revisionsgericht, AnwBl. 1956, 21.

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Ihr Ablauf unterscheidet sich grundlegend von der Hauptverhandlung unterer Instanzen. Die Verhandlung beginnt mit dem Vortrag des Berichterstatters, den auch der Vorsitzende bernehmen kann. In der Regel wird dabei auch das angefochtene Urteil verlesen oder vorgetragen. Beim BGH ist es die Regel, daß der Urteilsinhalt nicht errtert wird, weil das Urteil (und die Revisionsbegrndung) allen Mitgliedern des Senats vorliegt. Der Verteidiger hat danach hinzunehmen, daß jedes Mitglied des Senats das Urteil genau kennt und die Verlesung ganzer Passagen durch den Beschwerdefhrer unerwnscht ist. Damit sind Zitate einzelner Urteilsstellen nicht ausgeschlossen, wenn sie zum Verstndnis der Rechtsdiskussion erforderlich sind. In seinem Vortrag trgt der Berichterstatter auch 608

Der Verteidiger im Revisionsverfahren

Rn. 982

die Prozeßrgen der Revision mit den wesentlichen Unterlagen vor. Die materiell-rechtliche Begrndung der Revision dagegen berlßt der Berichterstatter dem Revisionsfhrer, dem sogleich nach dem Berichterstatter das Wort erteilt wird. Vielfach wird auf Anregung des Vorsitzenden die Verhandlung zunchst auf bestimmte Teile oder Punkte beschrnkt. Das ist hufig ein gutes Zeichen. Das geschieht nmlich bei Konkurrenz von Revisionsrgen (Rn. 972) zugunsten derjenigen, die vorrangig ist, entweder weil sie am weitesten – etwa bis zum sofortigen Freispruch – durchgreifen kann oder weil sie mit großer Wahrscheinlichkeit begrndet ist und eine weitere Verhandlung berflssig machen kann. Der Verteidiger kann in geeigneten Fllen auch selbst ein „Rechtsgesprch“ darber anregen. Dagegen ist es eine revisionsrechtliche Todsnde, wenn auf den Hinweis des Vorsitzenden, man mge sich auf die Sachrge beschrnken, der Verteidiger erwidert, er habe die Verfahrensrgen besonders ausgearbeitet und wolle sie deshalb auch vortragen.

980

Das Pldoyer stellt den Verteidiger vor eine schwierige Aufgabe. Es geht nicht nur um die allgemeinen Fragen des Pldoyers, die unter Rn. 707 ff. im einzelnen behandelt sind. Das Pldoyer vor dem Revisionsgericht hat wesentliche Besonderheiten. Im prozessualen Teil darf der Verteidiger zu den Tatsachen nichts vortragen, was nicht schon in der schriftlichen Revisionsbegrndung form- und fristgerecht vorgebracht war. In materiellrechtlicher Hinsicht kann es hnlich sein, wenn die schriftliche Begrndung erschpfend war. Der Verteidiger kann daher das lhmende Gefhl haben zu langweilen. In Wahrheit hren ihm jedenfalls die mit der Sache noch nicht vllig vertrauten Richter gespannt zu. Aber auch in einer vorberatenen Sache ist der Senat noch nicht endgltig festgelegt und bereit, sich berzeugen zu lassen, was durchaus noch in der Hauptverhandlung gelingen kann. Das gilt besonders fr die Flle, in denen der Senat nicht einhelliger Meinung ist. Schwer hat es der Verteidiger allerdings in einer Verhandlung, die der Vorsitzende mit der Bekanntgabe der „vorlufigen Meinung“ des Senats beginnt. Ist diese der Verteidigung nicht gnstig, bßt wohl jeder Verteidiger den frischen Mut und den Schwung ein, mit dem er auftreten wollte. Er gert leicht in eine hoffnungslose Stimmung. Beim Bundesgerichtshof bin ich allerdings solcher Unsitte noch nicht begegnet. Dagegen belebt es den Verteidiger ganz außerordentlich, wenn der Vorsitzende zum Ausdruck bringt, daß die Meinungen im Senat geteilt sind.

981

Das Pldoyer muß kurz und przise sein. Gegen Pldoyers von mehr als 20 Minuten sind die Revisionsrichter mißtrauisch. Man bedenke dazu,

982

609

Rn. 983

Der Verteidiger im Rechtsmittelverfahren

daß der Sachverhalt fr das Gericht feststeht und die Rechtsmaterie von den erfahrenen Revisionsrichtern absolut beherrscht wird. Die Funktion des Pldoyers liegt hier eigentlich darin, den schwachen Punkt des Verfahrens oder des Urteils plastisch herauszuarbeiten und in mglichst freier Rede berzeugend darzustellen. Damit kann er noch nicht entschlossene, aber auch schon „festgelegte“ Richter auf seine Seite bringen. Aus der Erfahrung ist ber – seltene – Flle zu berichten, in denen ein Verteidiger durch sein treffsicheres Pldoyer so mitten ins Schwarze getroffen hat, daß der ganze Senat seine schon gefaßte Meinung aufgegeben und der Revision stattgegeben hat. 983

Wer sich so Gehr verschafft, wird auch durch Zwischenfragen oder -bemerkungen zu einem „Rechtsgesprch“ kommen knnen. Solche Unterbrechungen des Verteidigers sind daher durchaus als positive Anzeichen fr ihn und seine Sache zu begrßen. Besonders wesentlich kann das Pldoyer werden als Erwiderung auf den Vortrag des Staatsanwalts als Revisionsgegner oder Revisionsfhrer. Hier kann die Verhandlung durch neue Argumente unversehens belebt werden. Der Verteidiger muß wendig und beschlagen genug sein, um schnell reagieren zu knnen.

984

Die Revisionsverhandlung verliert etwas von ihrem Schrecken durch das Wissen um die Einstellung des Gerichts zum Verteidiger. Die Richter erkennen an, daß die Verteidiger nicht wie sie selbst das Revisionsrecht beherrschen knnen. Sie sind meist verstndnisvoll und wohlwollend, solange sie ernstes Bemhen und Verantwortungssinn erkennen.

985

Das knnen sie freilich nicht, wenn der Verteidiger grobe Fehler macht, etwa indem er Tatfeststellungen angreift. Hierzu ist besonders auf die Ausfhrungen zur allgemeinen Sachrge zu verweisen, die fr die Hauptverhandlung in besonderem Maße gelten. Es wird immer wieder versucht, dem Revisionsgericht einen anderen als den im Urteil festgestellten Sachverhalt aufzudrngen, oder die Tatsachen werden verbogen und unterdrckt. Das ist die falsche Schußrichtung. Der Verteidiger geht gegen das Urteil an, statt davon auszugehen. Mit der falschen Etikette eines Verstoßes gegen die Denkgesetze („Der Sachverhalt ist doch unlogisch“) oder mit hnlichen Marken versehen sollen die falschen Argumente durch die Sperre gebracht werden. Oft kommt auch der Revisionsfhrer unter schwachem Lcheln mit der Erklrung, man drfe hier zwar „eigentlich“ keine Tatsachen behandeln, aber „in diesem krassen Falle“ msse man dafr doch Verstndnis haben. Wer es nicht fertigbringt, solches zu vermeiden und seine dem Urteil nicht entsprechenden Tatsachenvorstellungen ganz und gar aus dem Pldoyer zu verbannen, findet kein Gehr und keine Gnade. 610

Der Verteidiger im Revisionsverfahren

Rn. 987

i) Praktische Erfahrungen und Ratschlge Revisionsgericht und Staatsanwalt schpfen ihre rechtliche Beurteilung auch aus Quellen, die dem Verteidiger zum Teil unbekannt sind. Das sind die noch nicht verffentlichten Entscheidungen, die kurz vor der Hauptverhandlung ber die einschlgige Rechtsfrage von demselben oder einem anderen Senat erlassen worden sind. Das ist fr den Verteidiger ein Handicap, wenn er davon nichts weiß. Schon seine schriftliche Revisionsbegrndung kann aus diesem Grunde teilweise oder gar vollstndig ins Leere gegangen sein. Aber auch eine bis zu diesem Zeitpunkt noch offene Rechtsfrage kann bis zur Hauptverhandlung eine causa finita geworden sein. Der Verteidiger muß versuchen, sich gegen solche bsen berraschungen zu schtzen. Dies kann am besten durch eine telefonische Rckfrage bei dem Dezernenten der Revisionsstaatsanwaltschaft geschehen oder auch beim Berichterstatter des Senats. Im brigen kann nur empfohlen werden, die juristischen Datenbanken abzufragen oder die Presseerklrungen des BGH im Internet. Daneben sind natrlich die juristischen Zeitschriften ebenso zu verfolgen wie aktuelle RechtsprechungsReports. Daß man auch im brigen die einschlgige Judikatur beherrschen sollte, ist im Handbuch wiederholt hervorgehoben.

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Zum Abschluß ist ber die Erfahrungen in einer entscheidenden Grundfrage der revisionsgerichtlichen Praxis zu berichten. Sie betrifft das Dilemma des Revisionsrichters, der sich in seiner Bindung an die Tatsachenfeststellungen zu einer Verwerfung der Revision gedrngt sieht, aber das ungute Gefhl oder gar die subjektive berzeugung eines in der Sache falschen Urteils in sich sprt. Die Diskrepanz zwischen dem frist- und formgebundenen Rechtsmittel und der materiellen Gerechtigkeit im Einzelfall bringt den Revisionsrichter in Konflikt.

987

Die immer wieder gestellte Frage, ob ein Revisionsrichter, der durch die glserne Form hindurch der Sache auf den Grund schaut, nicht Mittel und Wege zur Aufhebung eines ungerechten Urteils suchen und zu finden wissen werde, glaube ich aus der Erfahrung bejahen zu mssen. Ebenso wird aber auch ber manche nicht ganz unbegrndete Revisionsrge hinweg zu kommen sein, wenn damit ein im Ergebnis zweifelsfrei richtiges Urteil gehalten werden soll. So kann z. B. eine Beweiswrdigung als dem Revisionsgericht verschlossen behandelt, aber manchmal „bei gutem Willen“ auch als auf einem Denkverstoß beruhender Rechtsfehler angesehen werden (Rn. 959, 963). Das als Erfahrung niederzuschreiben, ist nicht ganz ohne Bedenken. Es knnte den Verteidiger dazu verleiten, nun also doch auf die Tatsachen einzugehen oder gar das Dilemma beim Namen zu nennen und an das Gewissen der Richter zu appellieren, sich ber die strengen Bindungen des Gesetzes hinwegzusetzen. Das wre aber kein 611

Rn. 988

Der Verteidiger im Rechtsmittelverfahren

psychologisches Meisterstck. Allenfalls eine Hinlenkung auf gewisse Bedenklichkeiten kann angehen, ohne daß der Senat daran Anstoß nimmt. Im brigen aber muß der Verteidiger es der Beratung des Senats und seiner Verantwortung berlassen, wie er eine sich aufdrngende Gewißheit von der materiellen Ungerechtigkeit des Urteils mit der Strenge des Revisionsverfahrens in Einklang bringt. Eine Ausnahme kann man sich vielleicht in ganz extremen Fllen erlauben, wenn man es geschickt macht. Wenn man z. B. am Schluß eines revisionsgerechten Pldoyers zur Verteidigung eines aufgrund eines Schriftgutachtens verurteilten „Denunzianten“ so schnell, daß es keiner mehr beanstanden kann, als neue Tatsache glaubhaft anbringt, daß nach der Verhaftung des Angeklagten die denunzierenden Briefe weiterhin angekommen sind und der wirkliche Tter inzwischen festgenommen ist, so wird das in jedem Richter ungefhr so nachwirken mssen, wie der angeblich Ermordete, der als „lebende Tatsache“ zur Entlastung des unschuldigen Angeklagten im Revisionsgericht erscheint. Er wird die Revision nur ungern verwerfen. Manchmal kann es ntzlich sein, im Pldoyer knapp anzudeuten, worauf eine neue Tatsachenverhandlung abzielen werde. Damit wirkt der Verteidiger der Deutung entgegen, er treibe ohne materiales Verteidigungsziel nur ein geistreiches Gedankenspiel. j) Die Revision der Staatsanwaltschaft Amelung, Die Verwertbarkeit rechtswidrig gewonnener Beweismittel zugunsten des Angeklagten und deren Grenzen, StraFo 1999, 181; Amelunxen, Die Revision der Staatsanwaltschaft, 1980; Heghmanns, Das Arbeitsgebiet des Staatsanwalts, 3. Aufl., 2003, S. 510 ff.; Nack, Aufhebungspraxis der Strafsenate des BGH, NStZ 1997, 153; Rieß, Statistische Beitrge zur Wirklichkeit des Strafverfahrens, FS Sarstedt (1981), S. 253.

988

Revisionen der Staatsanwaltschaft sind zwar relativ selten891, fr den Verteidiger aber besonders alarmierend892. Das bezieht sich nicht auf die Revisionen, die zunchst zur Fristwahrung erfolgen, nach Prfung der schriftlichen Urteilsgrnde aber hufig zurckgenommen werden. Von diesen Rechtsmitteln erfahren Verteidiger und Mandant von Amts wegen nichts (§ 347). Hat man sich die Kenntnis trotzdem verschafft (Rn. 777), ist es sinnlos, einen Antrag auf (kostenpflichtige) Verwerfung der Revision der Staatsanwaltschaft zu stellen und diesen evtl. noch mit einigen

891 Nur in etwa 5% der Revisionsverfahren beim BGH ist die StA Beschwerdefhrerin, vgl. Nack, NStZ 1997, 153, 155. 892 50% bis 60% der Revisionen der StA sind erfolgreich, Nack, NStZ 1997, 153, 155.

612

Allgemeines

Rn. 990

nichtssagenden Floskeln zu begrnden. Der Verteidiger, der so handelt, setzt sich dem Verdacht der versuchten Kostenschneiderei aus, da seine Schreibbung ohne jede verfahrensrechtliche Bedeutung ist. Die Staatsanwaltschaft soll ihre Revisionsbegrndung nicht auf die allgemeine Sachrge beschrnken und das Rechtsmittel nur durchfhren, wenn es aussichtsreich ist (Nr. 147 Abs. 1, 156 Abs. 2 RiStBV). Diese Entscheidung wird in aller Regel der Sachbearbeiter nicht allein treffen. Eine Erwiderung auf die Ausfhrungen der StA wird durchweg angezeigt sein, weil dadurch der das Rechtsmittel prfende Generalstaatsanwalt evtl. veranlaßt werden kann, die Revision doch noch zurckzunehmen. In Revisionen an den BGH legt er seine Stellungnahme im sog. „Randbericht“ an die Bundesanwaltschaft nieder, den man ggfs. ausdrcklich zur Einsichtnahme anfordern sollte.

989

Die Revisionsstaatsanwaltschaft ist an die Rechtsauffassung der das Rechtsmittel betreibenden Anklagebehrde nicht gebunden: es kommt nicht ganz selten vor, daß sie die Revision „nicht vertritt“. Damit darf sich der Verteidiger aber nicht beruhigen, sondern muß in der Hauptverhandlung in jeder Hinsicht prsent sein; oft erfhrt er berhaupt erst jetzt die Ansicht der Staatsanwaltschaft bei dem Revisionsgericht. Als Pflichtverteidiger muß er rechtzeitig die Beiordnung fr die Revisionshauptverhandlung beantragen, die in der Regel erfolgen muß893.

990

Revisionen der Staatsanwaltschaft werden oft dann durchgefhrt, wenn neuartige oder kontroverse Rechtsfragen zur Entscheidung stehen. Die qualifizierte Mitwirkung des Verteidigers an einer solchen Verhandlung erfordert erhebliche Vorbereitungen und Anstrengungen, um die Materie in der Rechtsdiskussion vllig zu beherrschen. Daß bei gelegentlich auch vorkommenden „Kopfsachen“ Form und Inhalt der Verteidigung absolut sachlich bleiben mssen, sollte keines Hinweises bedrfen.

V. Der Verteidiger im Wiederaufnahmeverfahren 1. Allgemeines Arzt, Ausschließung und Ablehnung des Richters im Wiederaufnahmeverfahren, NJW 1971, 1112; Beck'sches Formularbuch/Lohberger, 4. Aufl., 2002, S. 617 ff.; Dahs sen., Wechsel des Staatsanwaltes im Wiederaufnahmeverfahren, DRiZ 1971, 83; Denkschrift der Bundesrechtsanwaltskammer zur Reform des Rechtsmittel-

893 BVerfGE 46, 202; dazu Dahs, NJW 1978, 140; OLG Oldenburg, AnwBl. 1981, 119.

613

Rn. 991

Der Verteidiger im Wiederaufnahmeverfahren

rechts und der Wiederaufnahme des Verfahrens, 1971; Dippel, Zur Reform des Rechts der Wiederaufnahme des Verfahrens im Strafprozeß, GA 1972, 97; Dnnebier, Die Berechtigten zum Wiederaufnahmeantrag, FG Peters (1984), S. 333; Essen, Reform des Wiederaufnahmerechts – berfllig oder berflssig?, Kriminalistik 1996, 764; Gssel, ber fehlerhafte Rechtsanwendung und den Tatsachenbegriff im Wiederaufnahmeverfahren, NStZ 1993, 565; Gnther, Verbot der antizipierten Beweiswrdigung im strafprozessualen Wiederaufnahmeverfahren?, MDR 1974, 93; Hanack, Zur Reform des Rechts der Wiederaufnahme des Verfahrens im Strafprozeß, JZ 1973, 393; Hirschberg, Das Fehlurteil im Strafprozeß, 1960; Joerden, Zur Frage des Beibringens neuer Tatsachen und neuer Beweismittel im Wiederaufnahmeverfahren, JZ 1994, 582; Kleinknecht, Das Fehlurteil im Strafprozeß, GA 1961, 47; Marxen/Tiemann, Die Wiederaufnahme in Strafsachen, 1993; Marxen, Die Korrektur des Rechtsfolgenausspruchs im Wege der Wiederaufnahme, StV 1992, 543; Marxen, Zur Wiederaufnahme eines Strafverfahrens bei einem Freispruch, der auf der Ntigung eines Zeugen beruht, JZ 1997, 630; Peters, Untersuchungen zum Fehlurteil im Strafprozeß, 1967; Peters, Beitrge zur Wiederaufnahme (Errterung einzelner Zulssigkeitsprobleme), FS Kern (1968), S. 335; Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß. Eine Untersuchung der Wiederaufnahmeverfahren in der BRD, Bd. 1, 1970; Peters, Die Reform des Wiederaufnahmerechts, in: Probleme der Strafprozeßreform, 1975, S. 107; Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß, Bd. 2, 1972; Bd. 3, 1974; Schneborn, Verfassungsrechtliche Aspekte des strafprozessualen Wiederaufnahmeverfahrens, MDR 1975, 441; Schorn, Bemerkungen zum Wiederaufnahmegrund des § 359 Nr. 5, MDR 1965, 869; Schnemann, Das strafprozessuale Wiederaufnahmeverfahren propter nova und der Grundsatz „in dubio pro reo“, ZStW 84, (1972), 870; Stern, Zur Verteidigung des Verurteilten in der Wiederaufnahme, NStZ 1993, 409; Stoffers, Nochmals – Zur Notwendigkeit einer Reform der Wiederaufnahme des Strafverfahrens, ZRP 1998, 173; Strate, Der Verteidiger in der Wiederaufnahme, StV 1999, 228; Tiemann, Die erweiterte Darlegungslast im strafrechtlichen Wiederaufnahmeverfahren, 1992; Wasserburg, Die Wiederaufnahme des Strafverfahrens, 1983; Wasserburg, Zur Notwendigkeit einer Reform der Wiederaufnahme des Strafverfahrens, ZRP 1997, 412; Weber-Klatt, Die Wiederaufnahme von Verfahren zu Ungunsten des Angeklagten, 1997.

991

Die Wiederaufnahme eines rechtskrftig abgeschlossenen Strafverfahrens (§§ 359 ff.), allgemein als „außerordentlicher Rechtsbehelf“ bezeichnet, bewegt immer wieder Literatur und Rechtsprechung. Ihre Probleme werden vorwiegend unter den Stichwrtern „Beseitigung von Justizirrtmern“ und „Fehlurteile im Strafprozeß“ behandelt. Presse, Rundfunk und Fernsehen haben dafr gesorgt, daß einige Wiederaufnahmeverfahren ber die Beteiligten und die Fachwelt hinaus allgemein bekannt und, so muß man hinzufgen, berchtigt geworden sind. Die Flle Rohrbach, Brhne, Hetzel, Lettenbauer und Weimar um nur wenige zu nennen, sind bekannt. Daran mag es liegen, daß Mandanten hufig fragen, ob nicht auch in ihrem Falle die Wiederaufnahme erreicht werden knne. Auch ist die Wiederaufnahme naturgemß fr die Verfahren besonders wichtig, in denen die zweite Tatsacheninstanz fehlt. Hier bietet sie oft die einzige Chance, die Sachverhaltsfeststellung des frheren Urteils zu kor614

Allgemeines

Rn. 994

rigieren. Dies ist ihr Zweck, darin zeigt sich ihr Charakter, den viele Verteidiger nicht gengend beachten. Die Wiederaufnahme zielt ausschließlich darauf ab, rechtskrftige Entscheidungen zu beseitigen, die auf fehlerhafter Beweisgrundlage beruhen. Deshalb ist jeder Wiederaufnahmeantrag aussichtslos, der sich gegen eine unrichtige rechtliche Beurteilung im frheren Verfahren wendet. Auch die bloß unrichtige Beweiswrdigung reicht nicht aus, z. B. nicht die Behauptung, das Gericht habe einen Zeugen falsch verstanden und deshalb seine Bekundung falsch beurteilt. Denn damit wird nicht die Unvollstndigkeit der Beweisfhrung angegriffen, sondern die Beweiswrdigung. Anders ist es, wenn das Gericht – aus welchen Grnden auch immer – von relevanten Tatsachen oder Beweismitteln in der Hauptverhandlung keinen Gebrauch gemacht hat oder errterte Tatsachen unter Verstoß gegen § 261 der Entscheidung nicht zugrunde gelegt hat894.

992

Eine Ausnahme gilt fr die Wiederaufnahme nach § 79 BVerfGG gegen Urteile, die auf verfassungswidrigen Normen beruhen. Fr die Aufhebung rechtsstaatswidriger Urteile von Gerichten der ehemaligen DDR gelten die Vorschriften des Rehabilitierungsgesetzes vom 29. 10. 1992895.

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Die Praxis beweist vor allem, daß selbst formell und materiell richtig begrndete Wiederaufnahmegesuche keinen Erfolg haben. Dies hat mehrere Grnde. Einer davon ist die starre und umstndliche gesetzliche Regelung, ein dornenreicher Pfad. Denn die Wiederaufnahme steht im Spannungsfeld zwischen Rechtskraft und materiell gerechter Entscheidung des Einzelfalles. Die durchaus negativen Erfahrungen besttigen, daß Gerichte und Staatsanwaltschaften zu sehr auf den Bestand der Rechtskraft abstellen. Wenn berhaupt, wird die Wiederaufnahme in der Regel erst durch die hhere Instanz angeordnet. Immer wieder zeigt sich das Beharrungsvermgen der Justiz, die in der Aufhebung einer rechtskrftigen richterlichen Entscheidung eine capitis diminutio sieht. Viele Wiederaufnahmeantrge scheitern einfach deshalb, weil die Situation vllig verkannt wird. Es geht nicht darum, die Richter zu desavouieren, die die damalige Entscheidung gefllt haben. Sinn der Wiederaufnahme ist es allein, Urteile zu beseitigen, die durch unvollstndige Tatsachenfeststellungen zustande gekommen sind, gleichviel, worauf der Mangel beruht. Nicht nur praktische Erfahrungen, auch wissenschaftliche Forschungen beweisen, daß die Wiederaufnahme als Angriff auf den richterlichen Spruch mehr

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894 Str., zust. OLG Frankfurt, NJW 1978, 841; OLG Dsseldorf, NJW 1987, 2030; KK-Schmidt, § 359 Rn. 24; a. A. OLG Celle, NdsRpfl 1261, 231; Schlchter, Strafverfahren, Rn. 770, 2. 895 Meyer-Goßner, Anhang A 11.

615

Rn. 995

Der Verteidiger im Wiederaufnahmeverfahren

oder weniger deutlich bedauert wird896. Auf derselben Linie bewegt sich die Einstellung vieler Staatsanwaltschaften. Durchaus nicht „wiederaufnahmefreundlich“, schpfen sie, soweit zulssig, regelmßig die Beschwerdemglichkeiten gegen Wiederaufnahmeentscheidungen aus. Das Beschwerderecht der Staatsanwaltschaft und seine Handhabung kennzeichnen das Bestreben, rechtskrftige Entscheidungen zu konservieren. Allerdings darf man nicht verkennen, daß das Gebot der Gerechtigkeit und die Mglichkeit gegeneinander abzuwgen sind, daß sich ein Schuldiger der verdienten Strafe entzieht, weil die Mittel, mit denen er berfhrt werden konnte, inzwischen an Beweiskraft verloren haben. 995

Außer mit der grundstzlich ablehnenden Haltung der Justizbehrden muß der Verteidiger noch mit anderen Problemen fertig werden. Im Vordergrund steht hier das Verhltnis zur ffentlichkeit, wenn die Sache eine „cause clbre“ ist, die durch die Massenmedien landauf, landab Tagesgesprch geworden ist. Hlt die breite ffentlichkeit – genauer gesagt: diejenigen, die sich dafr ausgeben – ein rechtskrftiges Urteil fr falsch, so sieht sich der Verteidiger mit oder ohne sein Zutun im Brennpunkt der Ereignisse. Das Wiederaufnahmeverfahren wird dann zur besten Gelegenheit, sich in Szene zu setzen und Schlagzeilen zu machen, mit anderen Worten, das zu tun, was der Verteidiger nicht tun darf: In reißerischer Form um Praxis zu werben. Gerade im Wiederaufnahmeverfahren kann Zurckhaltung im Umgang mit den Medien besonders geboten sein. Andererseits kann die Verteidigung auch auf Ergebnisse von recherchierenden Medien angewiesen sein. Diese wollen dafr dann ihre „story“ vom Verteidiger. Es ist schwierig, hier den richtigen Weg zu gehen. Der Verteidiger darf keinesfalls den Eindruck aufkommen lassen, es gehe nicht um die Sache, sondern um seine Person. Solcher Verdacht drngt sich auf, wenn bekannt wird, daß der Verteidiger die Wiederaufnahme „gebhrenfrei“ betreibt, vielleicht sogar aus eigener Tasche die Aufwendungen bestreitet, die zur Beschaffung von Beweisunterlagen erforderlich sind. Allerdings ist nichts dagegen einzuwenden, einem mittellosen Mandanten in einem aussichtsreichen Wiederaufnahmeverfahren ohne Honorarvorschsse beizustehen. Es ist aber unzulssig, von vornherein auf Gebhren zu verzichten, das Verfahren selbst zu finanzieren und dies auch noch „laut“ werden zu lassen. Nur der nachtrgliche Verzicht kann ausnahmsweise statthaft sein (Rn. 1176).

996

Im brigen ist der Auftraggeber in geeigneten Fllen darauf hinzuweisen, daß ihm fr das Wiederaufnahmeverfahren und seine Vorbereitung ein Offizialverteidiger beigeordnet werden kann (§§ 364a u. b). Allerdings soll 896 Beispiel bei Peters, Fehlurteil, S. 7.

616

Beratung und Vorbereitung

Rn. 998

es dafr auf die „hinreichende Erfolgsaussicht“ des Gesuchs ankommen (§ 364b Abs. 1 Nr. 2). Eine Bestellung zum Pflichtverteidiger im frheren Verfahren erstreckt sich von selbst auf das Wiederaufnahmeverfahren (Rn. 150 a. E.)897. 2. Beratung und Vorbereitung Bevor der Verteidiger einen Wiederaufnahmeantrag einreicht, muß er sich ber den Verfahrensgang klar sein. Zunchst hat er die Zulassung des Antrags durchzusetzen (§ 366 f.). Hlt das Gericht den Antrag fr unzulssig, so wird er verworfen (§ 368). Sonst werden, soweit erforderlich, im zweiten Abschnitt die Beweise erhoben und damit die Begrndetheit geprft (§ 369). Sind die Beweise nicht stichhaltig, wird der Antrag ebenfalls verworfen (§ 370 Abs. 1). Andernfalls ordnet das Gericht die Wiederaufnahme und die Erneuerung der Hauptverhandlung an, abgesehen von den seltenen Ausnahmen, in denen ohne neue Hauptverhandlung entschieden wird (§ 371). Man sieht, es hat seine Schwierigkeiten, ein Wiederaufnahmeverfahren in allen drei Abschnitten zum Erfolg zu fhren.

997

Diese Schwierigkeiten spiegeln sich auch in der Beratung des Mandanten wider. Wie bei den Rechtsmitteln (Rn. 783, 786) darf der Verteidiger den Auftraggeber ber die Problematik nicht im unklaren lassen. Auch hier ist es richtig, den Mandanten nicht zu einer bestimmten Entscheidung zu drngen. Letzten Endes muß er selbst darber befinden, ob das Wiederaufnahmeverfahren ausgetragen werden soll. Zu diesem Zweck ist er vollstndig aufzuklren, insbesondere ber die Fußangeln, die am Wege der Wiederaufnahme liegen. Pflichtwidrig ist es, beim Mandanten und dessen Angehrigen falsche Hoffnungen zu erwecken, ihnen z. B. nicht zu sagen, daß die Zulassung des Antrags (§ 368 Abs. 2 und § 369 Abs. 1) noch lange nicht die Begrndetheit der Wiederaufnahme und die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung sichert. Hufig wird der Mandant das komplizierte Verfahren nicht verstehen und argumentieren, er sei unschuldig, also msse ihm der Verteidiger auch helfen knnen. Es ist ein kaum lsbares Problem, solche Trugschlsse beiseite zu rumen. Mandanten, die sich unschuldig verurteilt fhlen, sind Vernunftsgrnden selten zugnglich. Daher ist es oft auch schwierig, die Zweckmßigkeit der Wiederaufnahme zu errtern. Hierzu gehren die Kosten, die bei Zeugenvernehmungen und Sachverstndigengutachten im wahrsten Sinne des Wortes „ins Geld gehen“ knnen. Auch eigene Nachforschungen des Verteidigers (Rn. 1000) knnen erhebliche Aufwendungen notwendig machen. Eine Frage der Zweckmßigkeit ist es auch, ob der Verteidiger einen Wieder-

998

897 Meyer-Goßner, § 364a Rn. 2.

617

Rn. 999

Der Verteidiger im Wiederaufnahmeverfahren

aufnahmeantrag mit der neu festgestellten Schuldunfhigkeit des Mandanten begrndet. Das kann nicht nur zur Vernichtung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Existenz fhren (Rn. 689), sondern auch zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt, selbst wenn sie frher nicht angeordnet war (§ 373 Abs. 2 S. 2). Besonders nachteilig kann es sein, daß sich der Mandant in der neuen Hauptverhandlung noch einmal der ffentlichkeit stellen muß. Der Verteidiger muß den Mandanten von vornherein darauf hinweisen, daß die erneute ffentliche Errterung seines Falles in mehr oder weniger spektakulrer Verhandlung in der Regel nicht zu vermeiden ist. 999

Schon frhzeitig muß sich der Verteidiger mit der Frage der Vollstreckung befassen, die durch den Wiederaufnahmeantrag nicht gehemmt wird (§ 360 Abs. 1). Oft befindet sich der Mandant in Strafhaft. Oft beauftragt er den Verteidiger erst, wenn er zum Strafantritt geladen ist. In diesem Falle trgt der Verteidiger eine besondere Verantwortung. Einer Verzgerungstaktik des Mandanten darf er keinen Vorschub leisten. Er kommt in den Bereich der Strafvereitelung (Rn. 63, 1110), wenn er aussichtslose Wiederaufnahmeantrge nur einreicht, um die Vollstreckung hinauszuschieben. Es ist aber auch eine allgemeine Erfahrung, daß Antrge auf Strafaufschub oder Vollstreckungsunterbrechung (§ 360 Abs. 2) erst dann durchdringen, wenn das Gericht vom Erfolg der Wiederaufnahme praktisch schon berzeugt ist. Deshalb hat der Verteidiger whrend aller Abschnitte des Verfahrens zu prfen, ob Vollstreckungsantrge in Betracht kommen. Sptestens gegen Ende der Probation (Rn. 1017) wird sich die Ansicht des Gerichts so weit gefestigt haben, daß die Aussichten fr eine Vollstreckungsverschonung zu bersehen sind. In Zweifelsfllen gibt es noch einen anderen Weg, dem Mandanten die Freiheitsentziehung wenigstens zu erleichtern. Der Verteidiger kann beantragen, den Verurteilten aus der Strafhaft in die Untersuchungshaft zu berfhren. Ordnet das Gericht die Wiederaufnahme an (§ 370 Abs. 2), so muß unverzglich die Entlassung des verhafteten Mandanten beantragt werden, falls dies nicht von Amts wegen geschieht. Die Anordnung beseitigt die Rechtskraft, die Strafe darf nicht mehr vollstreckt werden. 3. Eigene „Ermittlungen“ des Verteidigers

1000

Zur erfolgreichen Durchsetzung der Wiederaufnahme sind eigene „Ermittlungen“ (Rn. 307 ff.) meistens unerlßlich. Sonst kann der Verteidiger weder die Zulssigkeit (Rn. 1001) noch die Begrndetheit (Rn. 1017) beurteilen und bewegt sich in allen Abschnitten der Wiederaufnahme auf schwankendem Boden. Um die Beweisgrundlage des anzugreifenden Ur618

Eigene „Ermittlungen“ des Verteidigers

Rn. 1000

teils zu erschttern, ist Stein fr Stein wie ein Mosaik zusammenzutragen. Dazu sind Findigkeit und Initiative erforderlich, der freilich Schranken gesetzt sind. Dem Verteidiger stehen die Machtmittel nicht zur Verfgung, wie sie Staatsanwalt und Polizei nutzen knnen. Auch scheitern die besten Bemhungen oft am Kostenproblem. Der Verteidiger, der auf eigene Faust – persnlich oder mit Hilfe von Rechercheuren (Rn. 309) – nachforscht, sieht sich einer weiteren Schwierigkeit gegenber. Seine Maßnahmen werden von Gericht und Staatsanwaltschaft mit Mißtrauen beobachtet, die eine Art „Aufklrungsmonopol“ beanspruchen. Dabei werden zwei Gesichtspunkte verkannt. Im Wiederaufnahmeverfahren hat der Antragsteller die Tatsachen und Beweismittel beizubringen898. Schon deshalb ist der Verteidiger befugt, selbst den Dingen nachzugehen. In vielen Fllen fhrt die eigene Nachprfung auch dazu, daß der Verteidiger von einem Wiederaufnahmeantrag abrt. So muß der gewissenhafte Verteidiger es ablehnen, fr eine an sich erhebliche neue Tatsache einen Zeugen zu benennen, von dem feststeht, daß er die Behauptung nicht besttigen kann. Berchtigt sind die „neuen“ Alibizeugen, die nach Jahr und Tag bekunden sollen, der Mandant sei zur Tatzeit gar nicht am Tatort gewesen. Der Verteidiger darf sich nicht auf die Angaben des Mandanten und der Angehrigen verlassen, er muß sich mglichst selbst berzeugen. Im brigen ist das gesamte Material zu durchforsten. Dazu gehrt nicht nur das Studium der Akten und Beiakten. Auch Verffentlichungen ber den Prozeß enthalten oft Hinweise und Spuren, um eine unzulngliche Sachaufklrung aufzudecken. Nicht zuletzt sind andere Verfahren bedeutsam, die denselben Sachverhalt betreffen, so Schadenersatzprozesse, Disziplinar- und Berufsgerichtsverfahren. Es kommt vor, daß in diesen Verfahren Feststellungen getroffen worden sind, die mit dem Strafurteil nicht bereinstimmen899. Diese Erfahrung besttigt z. B. folgender Fall900: Ein Beamter war wegen sexueller Handlungen mit Kindern verurteilt worden. Im anschließenden Disziplinarverfahren wurde er freigesprochen, weil die erst in diesem Verfahren vorgenommene Ortsbesichtigung ergab, daß der von den Kindern angegebene Tatort mglicherweise gar nicht existierte. Im Rahmen seiner Erhebungen hat der Verteidiger auch das Recht und gegebenenfalls die Pflicht zur außergerichtlichen Befragung von Zeugen (Rn. 216) und Sachverstndigen (Rn. 221). Daß diese Befragung gerade fr das Wiederaufnahmeverfahren von entscheidender Bedeutung sein kann, liegt auf der Hand. Hierbei sind selbstverstndlich die Grenzen der außer898 Meyer-Goßner, § 359 Rn. 21 ff. 899 Peters, Fehlurteil, S. 19. 900 OLG Frankfurt, NJW 1966, 2423.

619

Rn. 1001

Der Verteidiger im Wiederaufnahmeverfahren

gerichtlichen Befragung einzuhalten. Insbesondere ist der Verdacht zu vermeiden, die Beweisperson solle in bestimmter Richtung beeinflußt werden. Unzulssig ist es auch, einen Wiederaufnahmeantrag auf die eidesstattliche Versicherung eines Zeugen zu sttzen901. Wichtig ist auch hier, alle Hilfspersonen des Verteidigers in den Bereich des § 53a einzubeziehen (Rn. 309). 4. Der Verteidiger in den Abschnitten des Verfahrens a) Zulassungsverfahren 1001

Nicht jedes „Fehlurteil“ ist mit einem Wiederaufnahmegesuch angreifbar. Die einzelnen Wiederaufnahmegrnde sind in § 359 aufgefhrt, soweit sie zugunsten des Verurteilten in Betracht kommen. Jeder Wiederaufnahmeantrag muß allgemeine und spezielle Zulssigkeitsvoraussetzungen erfllen, wobei die Vollstreckung der angegriffenen Entscheidung und der Tod des Verurteilten nicht entgegenstehen (§ 361). Zu den allgemeinen Voraussetzungen gehrt, daß eine rechtskrftige Entscheidung vorliegt. Bereits hier beginnen die Probleme. So muß der Verteidiger wissen, daß angefochten werden knnen rechtskrftige Urteile (§ 359), rechtskrftige Strafbefehle (§ 373a) und rechtskrftige Bußgeldbescheide (§ 85 OWiG).

1002

Gnstiger ist die Situation fr die Verteidigung bei Teilrechtskraft des frheren Urteils, die nach berwiegender Ansicht fr die Wiederaufnahme ausreicht902. Der Verteidiger sieht sich hier hnlichen Fragen gegenber wie bei der Teilanfechtung von Urteilen (Rn. 863). So ist es zulssig, die Wiederaufnahme nur gegen die Verurteilung wegen einer von mehreren selbstndigen Taten zu beantragen903. Fhrt sie zum Erfolg, dann sind die Bestrafung wegen der Einzeltat und die Gesamtstrafe aufzuheben, die in der neuen Hauptverhandlung neu festzusetzen ist904. Anders liegt es, wenn nur das Urteil ber eine Einzelstrafe rechtskrftig, ber die Gesamtstrafe aber noch nicht entschieden ist. In diesem Fall soll die Wiederaufnahme nicht vor Rechtskraft der Gesamtstrafe statthaft sein905. Am hufigsten steht der Verteidiger vor der Frage, ob der rechtskrftige Schuldspruch angegriffen werden kann, ohne daß der Strafausspruch rechtskrftig ist. Das wird allgemein verneint906. 901 902 903 904 905 906

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BGHSt. 17, 303 = NJW 1962, 1520. Meyer-Goßner, Vor § 359 Rn. 4. Meyer-Goßner, Vor § 359 Rn. 4. BGHSt. 14, 85. Str., vgl. Meyer-Goßner, Vor § 359 Rn. 4 m. N. Meyer-Goßner, Vor § 359 Rn. 4 m. N.

Der Verteidiger in den Abschnitten des Verfahrens

Rn. 1006

Gegenber einer rechtskrftigen Gesamtentscheidung kann es umgekehrt ntzlich sein, lediglich den Strafausspruch anzufechten. Allerdings darf damit nicht nur die Strafzumessung innerhalb desselben Strafgesetzes gemeint sein. Ein solcher Antrag wre unzulssig (§ 363 Abs. 1). Dies gilt auch, wenn lediglich eine Strafmilderung wegen verminderter Schuldfhigkeit erreicht werden soll (§ 363 Abs. 2), eine gesetzliche Regelung, die verfassungsrechtlich gebilligt ist907. Statthaft ist die Wiederaufnahme gegen den Strafausspruch jedoch, sofern ihm ein „anderes“ Strafgesetz zugrunde gelegt werden soll (z. B. § 49 Abs. 2 StGB)908.

1003

Schließlich ist daran zu denken, daß auch rechtskrftige Beschlsse der Wiederaufnahme unterliegen knnen. Streitig ist dabei vor allem, ob gegen die Einstellung wegen Geringfgigkeit (§§ 153, 153a) und fr Privatklagesachen (§ 383 Abs. 2) Wiederaufnahme zulssig ist909. Ausnahmsweise wird man sie gegen rechtskrftige Verwerfungsbeschlsse, die anstelle eines Urteils ergehen, etwa der Berufung (§§ 322, 329) oder der Revision (§§ 346, 349) zuzulassen haben910.

1004

Aus der gebotenen Anwendung der allgemeinen Rechtsmittelvorschriften ergibt sich, daß die Staatsanwaltschaft die Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten betreiben kann (§ 296 Abs. 2), und zwar auch gegen dessen ausdrcklichen Willen911. Hier sieht sich der Verteidiger denselben Problemen gegenber, wie sie staatsanwaltschaftliche Rechtsmittel zugunsten des Mandanten mit sich bringen (Rn. 839).

1005

Zu den allgemeinen Zulssigkeitsvoraussetzungen einer Wiederaufnahme zhlen weiter Form und Inhalt des Wiederaufnahmeantrages. Darauf hat der Verteidiger besondere Sorgfalt zu verwenden, wenn der Antrag Erfolg haben soll. Da eine mndliche Verhandlung nicht stattfindet (§ 367 Abs. 2), mssen die schriftlichen Darlegungen berzeugen.

1006

Zu jedem Wiederaufnahmeantrag gehren der gesetzliche Wiederaufnahmegrund und die Beweismittel (§ 366). Sonst wird der Antrag als unzulssig verworfen (§ 368). Dabei ist zu bercksichtigen, daß sich das Gericht nur mit den vorgebrachten Wiederaufnahmegrnden befassen darf912. Deshalb muß der Verteidiger, will er sichergehen, alle Wiederaufnahmegrn-

907 908 909 910

BVerfG, NJW 1956, 1026. Meyer-Goßner, § 363 Rn. 6. Zum Streitstand Meyer-Goßner, Vor § 359 Rn. 7 m. N. Vgl. z. B. BGH bei Pfeiffer/Miebach, NStZ 1985, 496; OLG Braunschweig, NJW 1950, 36. 911 Meyer-Goßner, § 365 Rn. 2. 912 Meyer-Goßner, § 366 Rn. 1.

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Rn. 1007

Der Verteidiger im Wiederaufnahmeverfahren

de sogleich vorbringen. Eine Beschrnkung der Wiederaufnahme kommt daher nicht in Betracht, zumal neue Wiederaufnahmegrnde nicht im Beschwerdeverfahren nachgeschoben werden knnen (Rn. 1023). Praktisch ist der Wiederaufnahmeantrag wie eine Revision zu rechtfertigen (Rn. 922 ff.)913. Es sind also darzulegen die rechtskrftige Entscheidung, die angefochten wird, der gesetzliche Wiederaufnahmegrund, dieser unter Umstnden unter Anfhrung der neuen Tatsachen und Beweismittel und deren Erheblichkeit (Rn. 1013). Der Wiederaufnahmeantrag darf auch nicht auf andere Schriftstcke Bezug nehmen914. Er muß in sich geschlossen und verstndlich sein915. 1007

Endlich ist die gerichtliche Zustndigkeit fr den Wiederaufnahmeantrag zu beachten. ber das Gesuch entscheidet ein anderes Gericht mit gleicher sachlicher Zustndigkeit wie das Gericht, gegen dessen Entscheidung sich der Wiederaufnahmeantrag richtet (§§ 367 Abs. 1, 140a Abs. 1 S. 1 GVG). Bei einem Antrag gegen ein Berufungsurteil ist eine Strafkammer eines anderen Landgerichts zustndig (§ 140a Abs. 1 GVG); hufig gilt eine Konzentrationsmaxime (§ 140a Abs. 2 GVG). Fr die Wiederaufnahme gegen Revisionsurteile ist nicht das Revisionsgericht zustndig, sondern die Vorinstanz, also ein anderes Landgericht oder Amtsgericht als das, gegen dessen nach Revision rechtskrftig gewordene Entscheidung sich die Wiederaufnahme richtet (§ 140a Abs. 1 S. 2 GVG).

1008

Die Richter, die an der angegriffenen Entscheidung beteiligt waren, sind im gesamten Wiederaufnahmeverfahren kraft Gesetzes (§ 23 Abs. 2) ausgeschlossen.

1009

Bei den speziellen Zulssigkeitsvoraussetzungen lehrt die Erfahrung, daß viele Verteidiger den Zusammenhang zwischen § 359 und § 364 verkennen, soweit die Wiederaufnahme auf strafbare Handlungen gesttzt werden soll, also auf Urkundenflschung oder Aussagedelikte (§ 359 Nr. 1 u. 2). Der Schuldige muß rechtskrftig verurteilt sein oder das Verfahren aus anderen Grnden als fehlendem Beweis nicht durchgefhrt werden knnen (§ 364). Außerdem muß die strafbare Handlung das damalige Urteil urschlich beeinflußt haben (§ 370 Abs. 1). All dies ist jedoch unerheblich, und hier liegt der Fehler vieler Wiederaufnahmeantrge, falls die Wiederaufnahme mit neuen Tatsachen oder Beweismitteln begrndet wird (§ 359 Nr. 5). Soll z. B. mit einem „neuen“ Zeugen bewiesen werden, daß ein anderer Zeuge frher die Unwahrheit gesagt hat oder aus bestimmten

913 Meyer-Goßner, § 366 Rn. 4. 914 Meyer-Goßner, § 366 Rn. 1. 915 OLG Hamburg, StraFo 2003, 430; OLG Stuttgart, NJW 1965, 1239.

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Der Verteidiger in den Abschnitten des Verfahrens

Rn. 1011

Grnden unglaubwrdig ist, so braucht der damalige Zeuge nicht wegen eines Aussagedeliktes bestraft zu sein (§ 364 1etzter Satz). Materielle Rechtsfehler sind kein Grund fr eine Wiederaufnahme des Verfahrens916. Außerdem muß der Verteidiger beachten, daß die Wiederaufnahme zu Ungunsten des Angeklagten propter nova nur statthaft ist, wenn er gerichtlich oder außergerichtlich ein glaubwrdiges Gestndnis der strafbaren Handlung abgegeben hat (§ 362 Nr. 4).

1010

Neue Tatsachen und Beweismittel. Wie die Erfahrung beweist, liegen die Probleme der Praxis in § 359 Nr. 5, dem Kernstck der Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten. Sie sind am besten zu meistern, wenn man von der gesetzlichen Grundlinie ausgeht und im Einzelfall die reichhaltige, nicht immer einheitliche Rechtsprechung vor allem der Oberlandesgerichte nachschlgt. Die Wiederaufnahme ist zulssig, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel vorhanden sind, die allein oder mit den vorher erhobenen Beweisen zum Freispruch oder zur Anwendung eines milderen Strafgesetzes oder zu einer wesentlich anderen Entscheidung ber eine Maßregel der Sicherung und Besserung geeignet sind. Es ist zweckmßig, den hier inhaltlich wiedergegebenen Gesetzestext aufzulsen und sich vor Augen zu halten: Die Wiederaufnahme dient in ihren engen Grenzen dazu, die Beweisfhrung des frheren Verfahrens zu berprfen. Zu diesem Zweck enthlt § 359 Nr. 5 eine Generalklausel, die auch dann zum Zuge kommt, wenn die anderen Wiederaufnahmegrnde zugunsten des Verurteilten nicht durchgreifen. Keiner der Wiederaufnahmegrnde schließt den anderen aus. Deshalb hat der Verteidiger in jedem Fall zu prfen, ob neue Tatsachen oder Beweismittel vorliegen. Neu sind Tatsachen oder Beweismittel, wenn sie dem Gericht unbekannt waren, dessen Entscheidung angegriffen werden soll, und deshalb bei der Urteilsfindung nicht verwertet worden sind. Die Neuheit der Tatsachen muß unzweifelhaft feststehen; der Grundsatz „in dubio pro reo“ gilt im Wiederaufnahmeverfahren nicht. Der Verteidiger hat sich darauf einzustellen, daß bei aktenkundigen Tatsachen in der Regel vermutet wird, daß sie dem Gericht bekannt waren917. Auch hier sieht sich der Verteidiger einer stark „konservierenden“ Rechtsprechung gegenber. So sollen Umstnde nicht „neu“ sein, die in dem frheren Verfahren bloß aktenkundig waren, jedoch nicht zum Gegenstand der Verhandlung gemacht worden sind918.

1011

916 BGHSt. 39, 75, 79; Meyer-Goßner, § 359 Rn. 25. 917 OLG Frankfurt, NJW 1978, 890; Meyer-Goßner, § 368 Rn. 5. 918 Str.; bej. OLG Hamm, GA 1957, 90; vern. OLG Frankfurt, NJW 1978, 840; Meyer-Goßner, § 368 Rn. 5; Marxem/Tiemann, S. 129.

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Rn. 1012

Der Verteidiger im Wiederaufnahmeverfahren

Diese Auffassung ist schwer akzeptabel919, zumindest sollte eine Klrung durch Freibeweis mglich sein. Im brigen schadet es nichts, daß der Mandant die Tatsachen und Beweismittel gekannt, sie aber damals nicht vorgebracht hat. Hierbei ist zu bercksichtigen, daß „fr frher behauptete Tatsachen neue Beweismittel und fr neue Tatsachen frhere Beweismittel“ ausreichen. Im allgemeinen lßt sich leicht feststellen, ob Umstnde in diesem Sinne „neu“ sind, z. B. der damals nicht erreichbare oder unbekannte Zeuge. Schwieriger ist es hufiger, solche „nova“ berhaupt aufzufinden. Der Mandant kann sie in vielen Fllen nicht beibringen. Er ist in seinen Nachforschungen vor allem behindert, wenn er sich in Haft befindet. Dann braucht er die Hilfe des Verteidigers, der auch eigene „Ermittlungen“ anzustellen hat (Rn. 1000, 1011). 1012

Die Wiederholung eines abgelehnten Wiederaufnahmeantrages ist nicht ausgeschlossen. Der Verteidiger muß aber beachten, daß einmal vorgebrachte und zurckgewiesene Wiederaufnahmegrnde nicht noch einmal geltend gemacht werden knnen920.

1013

Das ist schon deshalb notwendig, weil die Erheblichkeit der neuen Tatsachen oder Beweismittel darzutun ist. Der Verteidiger muß eine Schlssigkeitsprfung vornehmen und sich dabei auf den Standpunkt des frher erkennenden Gerichts stellen. Erheblich sind neue Tatsachen und Beweismittel nur, wenn sie zum Freispruch des Mandanten, zur Einstellung des Verfahrens, zur Anwendung eines milderen Strafgesetzes oder zu einer wesentlich anderen Entscheidung ber Maßnahmen der Sicherung und Besserung fhren knnen. Der Verteidiger muß fragen: Wie htte das Gericht entschieden, wenn es die jetzt vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel gekannt htte? Das Problem wird noch komplizierter, wenn die neuen Tatsachen oder Beweismittel nicht fr sich allein, sondern nur in Verbindung mit den frher erhobenen Beweisen zu einer gnstigeren Entscheidung fhren sollen. Hier hilft nur eine genaue Analyse des damaligen Urteils, in das die neuen Tatsachen oder Beweismittel eingefgt werden mssen, manchmal eine Art „Puzzlespiel“, besonders wenn die Wiederaufnahme auf mehrere neue Umstnde gesttzt wird. Der Verteidiger darf sich nicht darauf verlassen, das Gericht werde schon helfen und großzgig verfahren. Auch insoweit gilt im Zulassungsverfahren nicht der Grundsatz in dubio pro reo921. Das wird von vielen Verteidigern bersehen. Sie verkennen den Unterschied zu den anderen Abschnitten der Wiederaufnahme. In der Probation mssen die aufgestellten Behauptungen 919 Meyer, JZ 1968, 7. 920 Meyer-Goßner, § 372 Rn. 9; BayObLG, GA 1955, 310. 921 Meyer-Goßner, § 368 Rn. 10; OLG Braunschweig, NJW 1959, 1984 (str.).

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Der Verteidiger in den Abschnitten des Verfahrens

Rn. 1014

„gengende Besttigung“ finden (§ 370). Erst in der neuen Hauptverhandlung findet der Grundsatz „im Zweifel fr den Angeklagten“ wieder Anwendung (Rn. 1017). Das bedeutet praktisch, daß die gengende Besttigung der Behauptung dann anzunehmen ist, wenn mit einem Freispruch fr den Angeklagten unter Bercksichtigung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ gerechnet werden kann922. Auch diese Regelung erhellt, daß die Rechtskraft ber die materielle Gerechtigkeit gestellt wird. Nur so ist es zu verstehen, daß schon im Zulassungsverfahren ber die bloße Schlssigkeitsprfung hinaus gefragt wird, ob das Vorbringen des Antragstellers wahr sei, zumindest wahr sein knne923. Meint das Gericht, ein behaupteter Umstand knne gar nicht bewiesen werden, bleibt die Wiederaufnahme bereits im Zulassungsverfahren stecken. Deshalb muß der Verteidiger in einigen praktisch wichtigen Fllen nhere Angaben darber vortragen, wie der Wiederaufnahmegrund bewiesen werden wird. So ist bei frher vernommenen Zeugen zu prfen, ob ihre abweichende neue Sachdarstellung lediglich auf anderweitiger Erinnerung beruht oder den ausdrcklichen Widerruf der frheren Aussage enthlt. Die Behauptung, der Zeuge erinnere sich nunmehr anders, macht die Wiederaufnahme nicht zulssig. Das Gericht pflegt der frheren, dem Geschehenen nheren Bekundung mehr zu glauben. Beim Widerruf einer Zeugenaussage muß der Verteidiger, will er sichergehen, darlegen, warum und unter welchen Umstnden der Zeuge seine Aussage widerrufen hat924. Ein Hauptfall der Wiederaufnahme ist der Angriff auf den Sachverstndigenbeweis, genauer gesagt: der Angriff auf die falsche Beweisgrundlage des frheren Urteils, die durch unrichtige Gutachten hervorgerufen ist. Allseits bekannte Verfahren machen immer wieder deutlich, welche Fehlerquellen der Sachverstndigenbeweis enthlt. Daß ein Sachverstndiger lediglich an Hand von Lichtbildern die Todesursache feststellt, ohne die Leiche je gesehen zu haben, ist nur ein Beispiel fr viele Flle, in denen der Gutachterbeweis zu objektiv falschen Ergebnissen fhren kann. Dabei ist es ußerst schwierig, solche Fehler im Wiederaufnahmeverfahren aus der Welt zu schaffen. Die Rechtsprechung ist eng und klammert sich allzusehr an die frheren Gutachten925. Andere Sachverstndige mit besseren Erkenntnisquellen helfen der Verteidigung allein nichts. Man soll darlegen, daß der neue Sachverstndige bei grndlicher Untersuchung zu einem fr den Mandanten gnstigeren Ergebnis gekommen wre926. Mit 922 923 924 925 926

OLG Kln, NJW 1968, 2119. OLG Celle, GA 1967, 284; W. Schmidt, NJW 1958, 1332. BGH, NJW 1977, 59; Schl. Holst. OLG, StraFo 2003, 385. OLG Hamburg, GA 1967, 250. I. e. Meyer-Goßner, § 359 Rn. 34 f.; OLG Bremen, NJW 1964, 2218.

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1014

Rn. 1015

Der Verteidiger im Wiederaufnahmeverfahren

anderen Worten: Selbst festgestellte hhere Qualitt und berlegene Forschungsmittel des Sachverstndigen geben fr sich betrachtet keinen Wiederaufnahmegrund. Der Verteidiger hat diese Meinung zu bekmpfen927. Er kann zahlreiche Beispiele aufzhlen, in denen unrichtige Gutachten zu Fehlurteilen gefhrt haben. Zu diesem Zweck hat er sich eingehend mit dem frheren Sachverstndigen, dem Gutachten und dem Fachgebiet zu beschftigen (Rn. 224). 1015

Auch die Augenscheinseinnahme allein ist nicht ohne weiteres ein fr die Wiederaufnahme geeignetes Beweismittel. Man muß schon sehr genau erlutern, warum z. B. die Tatortbesichtigung neue Tatsachen zutage frdern soll928. Gelingen wird dies meist nur in Verbindung mit anderen Umstnden und Beweismitteln.

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Besonders schwierig ist die Frage zu lsen, ob der Widerruf eines Gestndnisses als Wiederaufnahmegrund anerkannt wird. Die Grenzen werden sehr eng gezogen. Die Rechtsprechung befrchtet, es werde sonst mißbruchlichen Wiederaufnahmeantrgen Tr und Tor geffnet. Deshalb fordert man, der Antragsteller msse darlegen, weshalb er seinerzeit ein Gestndnis abgelegt und was ihn jetzt zum Widerruf veranlaßt habe929. Hierzu muß der Verteidiger feststellen, welche Erklrung wahr ist, das frhere Gestndnis oder der jetzige Widerruf. Der Verteidiger darf sich nicht dazu hergeben, daß der Mandant die Wiederaufnahme mit dem Widerruf eines wahren Gestndnisses zu erschleichen sucht (Rn. 492), was nicht so selten vorkommt. Zur Begrndung ist dann auch eine falsche Beratung durch den frheren Verteidiger wohlfeil. War das Gestndnis hingegen wirklich falsch, so muß der Verteidiger dagegen ankmpfen, daß das Gericht nach dem Grundsatz vorgeht: „Wer einmal lgt, dem glaubt man nicht.“ Es wird immer bersehen, daß unrichtige Gestndnisse sehr verschiedene Grnde haben knnen, z. B. die Angst vor der Untersuchungshaft oder die Hoffnung, bald wieder auf freiem Fuß zu sein (Rn. 336). berdies besttigen wissenschaftliche Untersuchungen, daß allein der „allgemeine Verfahrensdruck“ zu unrichtigen Gestndnissen fhren kann930. Besondere Probleme ergeben sich, wenn der Verurteilte behauptet, er habe ein falsches Gestndnis abgelegt, um gemß einer von seinem Verteidiger mit dem Gericht getroffenen Absprache (Rn. 496) eine gnstige Bestrafung zu erreichen. In solchen Fllen sieht sich der Vertei927 Kurioser Fall: LG Karlsruhe, NStZ 2003, 108 m. krit. Anm. Murmann, NStZ 2003, 618. 928 OLG Frankfurt, NJW 1966, 2423. 929 Vgl. i. e. Meyer-Goßner, § 359 Rn. 47; BGH, NJW 1977, 59 = JR 1977, 21 m. Anm. Peters; OLG Kln, NStZ 1991, 96 m. N. 930 Peters, Fehlurteil, S. 14, 18.

626

Der Verteidiger in den Abschnitten des Verfahrens

Rn. 1018

diger einer mehrfach gesteigerten Darlegungslast931 und Skepsis des Gerichts gegenber. Er steht hufig auch vor der unangenehmen Situation, Vorwrfe gegen den an der Absprache beteiligten Kollegen erheben zu sollen, der angeblich den Klienten unter Druck gesetzt oder falsch informiert haben soll. Man sollte sich solchen Mandaten mit großer Zurckhaltung nhern. b) Probationsverfahren Die Aufgaben des Verteidigers whrend der „Probation“, die in Form einer Beweisaufnahme stattfindet (§ 369), hngen von den einzelnen Wiederaufnahmegrnden und Beweismitteln ab. Einfach liegen die Flle, in denen die Wiederaufnahme durch Urkunden bewiesen werden soll, etwa Aufhebung eines zivilgerichtlichen Urteils, Urkundenflschung, Aussagedelikte und strafbare Amtspflichtverletzungen von Richtern. Dann kann man auf die Strafakten Bezug nehmen, die im allgemeinen sowohl die Zulssigkeit als auch die Begrndetheit der Wiederaufnahme beweisen (Rn. 1009). Wie bei der Zulassung der Wiederaufnahme bieten die Verfahren die grßten Schwierigkeiten, in denen der Antrag auf neue Tatsachen oder Beweismittel gesttzt wird (§ 359 Nr. 5: Rn. 1011). Meist handelt es sich um die Vernehmung von Zeugen (Rn. 560 ff.) und Sachverstndigen (Rn. 609 ff.). Der Verteidiger hat die Beweispersonen tunlichst selbst vorher außergerichtlich zu befragen (Rn. 1000). Dabei ist das Ziel der Probation im Auge zu behalten. Die im Antrag aufgestellten Behauptungen mssen „gengende Besttigung“ finden (§ 370 Abs. 1). Darunter ist zu verstehen, daß der Wiederaufnahmegrund wahrscheinlich bewiesen wird932. Oder anders ausgedrckt: Es reicht aus, wenn die tatschlichen Feststellungen des angegriffenen Urteils erschttert werden. Voller Beweis ist in der Probation nicht erforderlich933. Etwaige Zweifel sind in der neuen Hauptverhandlung zu klren, wo wieder der Grundsatz in dubio pro reo gilt934. Dies bedeutet, daß es zur Begrndetheit gengt, daß nach den Ermittlungen mit gengender Sicherheit zu erwarten ist, daß der Angeklagte – unter Anwendung des Grundsatzes in dubio pro reo – in der Hauptverhandlung freigesprochen wird (vgl. die andere Lage im Zulassungsverfahren: Rn. 1013).

1017

Am besten ist es natrlich, wenn schon im Probationsverfahren der volle Beweis gelingt. Dann ist ausnahmsweise ein abgekrztes Verfahren ohne neue Hauptverhandlung zu erreichen (§ 371 Abs. 2). Bei Zeugenverneh-

1018

931 932 933 934

Meyer-Goßner, § 359 Rn. 46 ff. Meyer-Goßner, § 370 Rn. 4. BVerfG, NStZ 1990, 499. OLG Bremen, NJW 1957, 1730.

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Rn. 1019

Der Verteidiger im Wiederaufnahmeverfahren

mungen im Probationsverfahren scheitert der Beweis oft am Zeitablauf. Ein Zeuge, der sich nach langen Jahren nur noch schwach an bestimmte Vorgnge erinnert, ist kein gutes Beweismittel. Dies schlgt meist zum Nachteil des Mandanten aus. Handelt es sich um einen neuen, bisher nicht vernommenen Zeugen, so kann der Verteidiger mit ihm die Wiederaufnahme evtl. durchsetzen. War der Zeuge frher bereits gehrt und hatte er damals eine genauere Erinnerung, so wird das Gericht darauf abstellen, daß die Wiederaufnahme die Rechtskraft nicht aushhlen drfe, bloß weil der Zeuge sich nun an nichts mehr erinnere. Im Zweifel wird fr die Rechtskraft entschieden935. 1019

Aus dieser Erfahrung ergibt sich, wie wichtig das Anwesenheitsrecht des Verteidigers im Probationsverfahren ist (§ 369 Abs. 3). Praktisch bedeutet es seine Pflicht zur Anwesenheit. Es ist kaum ein Fall denkbar, in dem der Verteidiger der Beweisaufnahme guten Gewissens fernbleiben kann. Das Recht zur Anwesenheit bedeutet das Recht zur Mitwirkung, insbesondere durch Erklrungen (Rn. 520 ff.), Fragen (Rn. 524 ff.), Vorhalte und Antrge. Der Verteidiger befindet sich im Vorteil, wenn er schon eigene Ermittlungen angestellt und die Beweispersonen vorher befragt hat (Rn. 969). Auch kann das Beweisergebnis nur richtig beurteilen, wer die Beweiserhebung miterlebt hat. Man darf auch nicht vergessen, daß die Staatsanwaltschaft Umstnde und Beweismittel einfhren kann, die gegen die Wiederaufnahme sprechen. Ihnen muß der Verteidiger seine besondere Aufmerksamkeit widmen. Unter Umstnden hat er die Vereidigung von Zeugen und Sachverstndigen zu beantragen, die das Gesetz in das Ermessen des Gerichts stellt (§ 369 Abs. 2).

1020

Ein besonderes Problem ist die Anwesenheit des Mandanten whrend der Beweisaufnahme, die grundstzlich zweckmßig ist, wenn nicht sogar geboten. Sie darf ihm nicht versagt werden (§ 369 Abs. 3). Schwierigkeiten, die sich bei Untersuchungshaft des Mandanten oder sonst ergeben knnen, muß der Verteidiger zu berwinden suchen.

1021

Am Ende der Probation steht die wichtige Schlußanhrung (§ 369 Abs. 4). Ihre Bedeutung wird nicht immer erkannt, ihre Vorteile werden nicht tatkrftig ausgenutzt. In der Schlußerklrung kann und muß der Verteidiger umfassend Stellung nehmen und eventuell beantragen, die Beweisaufnahme zu ergnzen936. Dazu muß er sich eine ausreichende Erklrungsfrist geben lassen, die sich nach dem Umfang der Sache richtet. Auch ist vor Abgabe der Erklrung Akteneinsicht zu nehmen. Sonst kann der Verteidi-

935 Meyer-Goßner, § 370 Rn. 4 a. E. 936 Meyer-Goßner, § 369 Rn. 13.

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Der Verteidiger in den Abschnitten des Verfahrens

Rn. 1023

ger die Mglichkeiten der Schlußanhrung nicht sachgerecht ausschpfen.

c) Erneuerung der Hauptverhandlung Fr den dritten Abschnitt der Wiederaufnahme muß der Verteidiger wissen, daß nicht in jedem Falle eine neue Hauptverhandlung stattzufinden hat. Sie kann beim abgekrzten Verfahren entfallen, so, wenn der Verurteilte verstorben ist (§ 371 Abs. 1). In anderen Fllen kann das Gericht sofort freisprechen, wenn dazu bereits im Probationsverfahren gengende Beweise beigebracht sind (§ 371 Abs. 2). Freilich hngt dieses vereinfachte Verfahren bei Offizialdelikten von der Zustimmung der Staatsanwaltschaft ab und scheitert hieran auch meist. Daher muß der Verteidiger mit einer erneuten Hauptverhandlung rechnen (§ 373). Dabei ist zu bercksichtigen, daß eine vllig neue Hauptverhandlung stattfindet. Das hat Vorzge und Nachteile. Bei einer Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten gilt der Grundsatz in dubio pro reo und das Verbot der reformatio in peius. Die frhere Entscheidung darf nach Art und Hhe der Strafe nicht zum Nachteil des Verurteilten gendert werden, abgesehen von einer Unterbringung (§ 373 Abs. 2). Diese darf auch dann angeordnet werden, wenn sie im damaligen Urteil nicht vorgesehen war. Die Gefahr, daß belastende Umstnde erst in der neuen Hauptverhandlung zu einem Mißerfolg der Wiederaufnahme fhren, ist allerdings nicht groß. Denn die Einwendungen der Staatsanwaltschaft gegen die Wiederaufnahme werden schon im Probationsverfahren geprft (Rn. 1017 ff.). Setzt sich das Gericht darber hinweg und ordnet die Wiederaufnahme an, so fllt damit eine Vorentscheidung zugunsten des Mandanten. Das Gericht wird hiervon nur selten abweichen.

1022

5. Rechtsmittel Die Erfahrung zeigt, daß oft erst die hhere Instanz die Wiederaufnahme anordnet. Hier ist mehr Verstndnis fr die Belange des Mandanten zu erwarten. Deshalb wird der Verteidiger meist raten mssen, sofortige Beschwerde (§ 372) einzulegen, falls der Wiederaufnahmeantrag als unzulssig oder als unbegrndet verworfen wird. Außer den Regeln fr das Beschwerdeverfahren (Rn. 840 ff.) sind einige Besonderheiten zu beachten. Die sofortige Beschwerde ist nur statthaft, wenn das Gericht des ersten Rechtszuges die ablehnende Wiederaufnahmeentscheidung getroffen hat. Sonst ist fr den Antragsteller ein Rechtsmittel ausgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft darf den Beschluß nicht anfechten, mit dem die Wiederaufnahme und die Erneuerung der Hauptverhandlung angeordnet wer629

1023

Rn. 1024

Beteiligung des Verletzten

den (§ 372 S. 2). Der Verteidiger muß auch bercksichtigen, daß er in der Beschwerde keine Grnde nachschieben darf. So jedenfalls die herrschende Ansicht937. Was nicht sptestens in der Schlußerklrung vorgebracht ist, kann im Beschwerdeverfahren nicht mehr nachgeholt werden. 6. Entschdigung 1024

Dem im erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahren freigesprochenen Angeklagten stehen Entschdigungsansprche nach dem Gesetz ber die Entschdigung fr Strafverfolgungsmaßnahmen (§ 1 StrEG) zu (Rn. 366).

VI. Beteiligung des Verletzten Der durch die Straftat Verletzte/Geschdigte kann in verschiedener Rechtsstellung am Strafprozeß beteiligt sein, so als „Opfer“ nach §§ 406 d ff., als Nebenklger (§§ 395 ff.), Privatklger (§§ 374 ff.), Adhsionsklger (§§ 403 ff.) oder (außerhalb der §§ 406 d ff.) als „einfacher“ Zeuge, ggfs. mit anwaltlichem Rechtsbeistand (Rn. 1150 ff.)938. Der Verteidiger hat alle Veranlassung, dem Geschdigten, gleichgltig welche formalisierte Verfahrensposition dieser einnimmt, besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Er kann nmlich fr die richtige Verteidigungsstrategie ggfs. wichtiger werden als Staatsanwaltschaft und Gericht. Dies deshalb, weil der Verletzte nach den Erfahrungen der Praxis hufig in besonderem Maße nicht nur das Ohr, sondern auch das Mitgefhl von Richtern hat, weshalb seine Einflußmglichkeiten auf die Entscheidung nicht unterschtzt werden drfen. Der Verteidiger kann schon vor Beginn des Verfahrens, insbesondere auch whrend des Ermittlungsverfahrens, Veranlassung nehmen, mit dem Geschdigten/Verletzten in Verbindung zu treten, um entweder ein Strafverfahren zu vermeiden oder es nach seiner Einleitung mglichst bald und in gnstiger Form fr seinen Mandanten zu Ende zu bringen. Auf diese Mglichkeiten bezieht sich das besondere Kapitel „Verteidiger und Geschdigter“ (Rn. 168 ff.). 1. Privatklage Beck'sches Formularbuch/Gillmeister, 4. Aufl., 2002, S. 1061 ff.; Bohlander, Zu den Anforderungen an die Privatklageschrift nach § 381 StPO, NStZ 1994, 420; Drwanger/Dempewolf, Handbuch des Privatklagerechts, 3. Aufl., 1971; Feiber, Beschlagnahme im Privatklageverfahren, NJW 1964, 709; Husmann, Die Beleidi937 BGHR, Neue Tatsache, 6; w. N. bei Meyer-Goßner, § 372 Rn. 7. 938 Dazu Lwe/Rosenberg/Dahs[25], Vor § 48 Rn. 10.

630

Privatklage

Rn. 1026

gung und die Kontrolle des ffentlichen Interesses an der Strafverfolgung, MDR 1988, 727; Krehl, Die Einstellung des Privatklageverfahrens wegen geringer Schuld (§ 383 Abs. 2 StPO), NJW 1988, 3254; Krpil, Gerichtliche berprfung des von der Staatsanwaltschaft bejahten ffentlichen und besonderen ffentlichen Interesses, DRiZ 1986, 19; Meynert, Sofortige Beschwerde des Privatbeklagten gegen Einstellung wegen Geringfgigkeit, MDR 1973, 7; Molketin/Jakobs, Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Privatklageverfahren, AnwBl. 1981, 483; Nierwetberg, Die Feststellung hinreichenden Tatverdachts bei der Erffnung insbesondere des Privatklagehauptverfahrens, NStZ 1989, 212; Reichert, Der Diebstahl geringwertiger Sachen als Privatklagedelikt, ZRP 1997, 492; Thomas, Der Auslagenvorschuß des Privatklgers, AnwBl. 1979, 128.

Das Recht der Privatklage ist in wenigen Bestimmungen der Strafprozeßordnung (§§ 374 bis 394) bersichtlich zusammengefaßt. Sie bieten keine wesentlichen Schwierigkeiten in der Rechtsanwendung und sind allenthalten in den Kommentaren, Lehrbchern und Monographien unter Auswertung des reichlichen Schrifttums und der Rechtsprechung erschpfend behandelt. Die nachstehenden Ausfhrungen sind daher keine Gesamtdarstellung der Materie, sondern betreffen in erster Linie die besonderen Funktionen des -Verteidigers und des anwaltlichen Vertreters des Privatklgers. Sie beschrnken sich auf praktische Hinweise aus der forensischen Erfahrung und behandeln damit mehr Opportunittsfragen als Rechtsfragen.

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a) Prozeßverhtung Der Hauptleitsatz fr die anwaltliche Ttigkeit sollte nicht darauf ausgerichtet sein, wie Privatklageverfahren zu fhren, sondern wie sie zu verhindern sind. Ist der Prozeß im Gange, sollte es weniger darum gehen, ihn zu „gewinnen“, sondern ihn gut zu beenden. Die Empfehlung dieser auf Erhaltung oder Wiederherstellung des Rechtsfriedens abgestellten Tendenz rechtfertigt sich durch die Natur der Sache und durch die praktischen Erfahrungen. Den weitaus grßten Anteil an Privatklagefllen haben Beleidigung, ble Nachrede, Verleumdung sowie leichtere Krperverletzung und Hausfriedensbruch. Sie betreffen berwiegend Alltagsgeschehen aus kleinlichem Bereich. Eigensucht, Gehssigkeit, Neid und Geschwtzigkeit sind der Nhrboden. Gefhlsaufwallungen, Empfindlichkeit und Prozeßsucht stehen Pate. In aller Regel hat die Allgemeinheit an der strafrechtlichen Ahndung solcher Vorgnge kein Interesse. Die Betroffenen selbst haben oft ihren klaren Blick verloren und sehen nicht mehr, was sie sich selbst mit dem gerichtlichen Verfahren antun. Der Anwalt muß in der Beratung solcher Mandanten in ruhiger Gelassenheit zu Werke gehen und sollte zunchst eine außergerichtliche Erledigung anstreben. Er muß dem Klienten das ihm noch unbekannte Bild des Prozesses 631

1026

Rn. 1027

Beteiligung des Verletzten

darstellen: eine Prozeßdauer von nicht selten mehr als einem Jahr, die geringe Auswirkung des dann ergehenden Urteils, das ganz unverhltnismßige Kostenrisiko, die Ungewißheit des Beweisergebnisses und die ganze Unzulnglichkeit des staatlichen Ehrenschutzes. b) Gtliche Regelung 1027

Zwischen Anwalt und Mandant wird nach diesen Verfahrenshinweisen bedchtig geprft werden mssen, ob die Privatklage wirklich am Platz ist oder ob es sich fr den Privatbeklagten „lohnt“, das Verfahren und seinen Rechtsstandpunkt bis zur Rechtskraft „durchzuziehen“. Die dargestellten und unter Umstnden folgenschweren Mngel des Privatklageverfahrens wurzeln tief im materiellen Beleidigungsrecht. Sie hngen primr mit dem Institut des Wahrheitsbeweises zusammen. Wer als Privatklger in einem Verfahren wegen bler Nachrede oder Verleumdung auftritt, muß beachten, daß der Angeklagte diesen Beweis in jedem Stadium des Verfahrens antreten kann. Hat der Angeklagte beispielsweise seine zur Verhandlung stehende ußerung zu rechtfertigen, dem Privatklger seien „Kinderschndungen“ zuzutrauen, er ntige seine Angestellten zu sexuellen Handlungen und er fhre auch sonst einen „sexbestimmten Lebenswandel“, so sieht sich der damit beleidigte und emprt auf Bestrafung des Gegners drngende Privatklger pltzlich einer verblffenden Situation gegenber. Er muß es ber sich ergehen lassen, daß sein Widersacher in ffentlicher Verhandlung als der Anklger auftritt, sein ganzes Privatleben ausbreitet, zahlreiche weitere ehrenrhrige Behauptungen in konkreter Form aufstellt und dafr ein Heer von Zeugen gegen ihn aufmarschieren lßt. Dieser findet sich so unversehens in die Rolle eines Angeklagten versetzt. Seine intimsten Dinge kommen ins Rampenlicht. Andere Personen werden hineingezogen und bloßgestellt. Selbst wenn er sich zu guter Letzt reinwaschen kann, bleibt vieles hngen. Wer kann berhaupt eine solche ffentliche Wsche vertragen?!

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Ein noch grßeres Handicap ist die fr den Privatklger verheerende Auswirkung des § 193 StGB, ggfs. in Verbindung mit Art. 5 GG, vor allem, wenn Publikationsorgane beteiligt sind. Gelingt nmlich dem Angeklagten der Wahrheitsbeweis nicht, so wird er trotzdem freigesprochen, wenn er in Wahrnehmung berechtigter Interessen und nicht leichtfertig gehandelt hat. Zwar ist der Privatklger dann durch die Urteilsgrnde rehabilitiert. Nach außen wirkt aber nur der Tenor: Freispruch und alle Kosten zu Lasten des Privatklgers. Das ist nicht einmal ein Pyrrhussieg, sondern eine komplette Blamage. Das kommt im wesentlichen daher, daß es im 632

Privatklage

Rn. 1030

Strafprozeß ein objektives Feststellungsverfahren noch nicht gibt. Solange dieses Verfahren fehlt, muß der Beleidigte seinen Entschluß zur Klage sorgfltig berlegen. Unrecht kann auch in umgekehrter Weise geschehen. Ein Angeklagter, der den vollen Wahrheitsbeweis fr seine schwerwiegenden Behauptungen erbracht hat, kann sich pltzlich um seinen Erfolg betrogen sehen. Wenn er im obigen Beispiel tateinheitlich eine Formalbeleidigung durch eine Wortentgleisung wie etwa durch den Ausdruck „Sexferkel“ begangen hat, wird er dafr bestraft. Damit hat er sich um den sonst voll verdienten Freispruch gebracht und muß alle Kosten tragen. Solche dem Laien unverstndlichen Ergebnisse mssen den Anwalt zu vorsichtiger Beratung veranlassen. Oft genug will auch der Beleidiger den anderen geradezu zur Privatklage provozieren, um ihn dann in der ffentlichkeit „fertigzumachen“. Man muß jetzt die begreifliche Erregung des Klienten zu zgeln und ihn zu kaltbltiger Abschtzung des Prozeßherganges zu fhren suchen, ehe es zu spt ist. Manchmal werden auch grobe Verleumdungen in einen Text hineinpraktiziert, der zwar den Tatsachen entspricht, aber in diesem Bereich den Gegner stark kompromittiert. Man denke z. B. an einen Brief, der einerseits die (falsche) Behauptung enthlt, der Privatklger habe mit Frau X ein außereheliches Verhltnis, andererseits aber die (richtige) Kennzeichnung des Privatklgers ausdrckt, dieser fhre berhaupt einen unmoralischen Lebenswandel. Der Privatklger mag dann vielleicht eine Bestrafung wegen der unwahren ußerungen bezglich der Frau X erzielen: Im brigen aber kann er der total Blamierte sein. Hier muß bedacht werden, daß die gerichtliche Verhandlung ber den strafbaren Teil zwangslufig auch den anderen Teil mit erfassen kann. Er knnte allerdings den Strafantrag ausdrcklich auf einzelne Teile des beleidigenden Schreibens beschrnken. Das kann aber sehr peinlich wirken, weil damit das brige eingesteckt wrde. Die Beratung in solchem Dilemma ist vielfach eine ußerst schwierige Aufgabe.

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Dies alles gilt im besonderen Maße, wenn die Beleidigung durch Medien, insbesondere Presseerzeugnisse, Rundschreiben, Flugbltter usw. begangen worden ist und im denkbar weitesten Sinne dem sog. „ffentlichen Meinungskampf“ zugeordnet werden kann. Der Individualrechtsschutz in diesem Bereich ist durch die hchstrichterliche Rechtsprechung939 auf einen geradezu klglichen Restbestand reduziert worden. Dies liegt vor allem an der Ausdehnung des durch Art. 5 GG geschtzten Informationsinteresses der ffentlichkeit940. Die Problematik kann wegen ihrer Viel-

1030

939 BGHSt. 30, 182, 185. 940 Deutlich Trndle/Fischer, § 193 Rn. 17 ff.

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Rn. 1031

Beteiligung des Verletzten

schichtigkeit hier nicht ausgebreitet werden, jedoch ist sorgfltigste Prfung und ußerste Zurckhaltung anzuraten, ehe man einen Mandanten in das Fegefeuer eines solchen Prozesses laufen lßt (Rn. 1027 f.). 1031

Der durch die Privatklage erstrebte Ehrenschutz leidet insbesondere auch Not durch die psychologischen Auswirkungen der Prozeßdauer. In einer schnellebigen Zeit vergißt die Umwelt auch aufsehenerregende und pikante Vorgnge sehr rasch, das Interesse der ffentlichkeit klingt ab, auch die erhitzten Gemter der Beteiligten verlieren an Temperatur. Zum Schluß streiten sie vielfach gar nicht mehr um ihre Ehre, sondern nur noch ber Prozeßkosten und das Prozeßprestige. Die echte „Wiederherstellung der Ehre“ durch Richterspruch ist ohnehin meist eine Illusion. Selbst der ffentliche Widerruf hilft dem Betroffenen vielfach nichts, da er erst nach Rechtskraft verwirklicht wird. Er bringt nur die lngst vergessene Affre wieder in die Zeitungen und in den Mund der Leute.

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Der Mandant muß auch auf die Mglichkeit einer Widerklage (§ 388) hingewiesen werden, die ihm bse berraschungen bringen kann. Das kann ihm auch in den Fllen der §§ 199, 233 StGB passieren. Hier knnen nachgewiesene Straftaten fr straffrei erklrt werden, wenn sie wechselseitig begangen sind.

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Dazu muß man die allgemein zu beobachtende Einstellung der Privatklagerichter – die nicht immer die allerbesten sind – beachten, die sich nicht bermßig beeilen, sondern in langem Schriftsatzwechsel mit weitrumigen Fristen den Prozeß auf kleiner Flamme halten, bis es zu einem Vergleich oder zur Rcknahme der Privatklage kommt. Die Strafen sind im brigen in der Regel zu niedrig bemessen und befriedigen das Shnebedrfnis nicht. Oft wird auch gerade der Zeitablauf im Verfahren, den das Gericht selbst zu vertreten hat, paraxoderweise fr die niedrige Bemessung der Strafe oder gar fr die Einstellung des Verfahrens wegen Geringfgigkeit herangezogen. Insgesamt erweist sich der gerichtliche Ehrenschutz als unzulnglich. Materielle Rechtsordnung und prozessuales Verfahren versagen in vielen Fllen.

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Wenn man diese Umstnde einem Mandanten erklrt und ihn vor Durchfhrung des Privatklageverfahrens warnen will, muß man eine ablehnende Haltung und sogar ein Befremden seines Klienten in Rechnung stellen. Er meint allzuleicht, der Anwalt habe zu ihm oder zu seiner Sache kein Vertrauen, er sei zu weich oder berhaupt unfhig. In seiner emotional orientierten Einstellung zu seinem Widerpart verliert er leicht das Ver634

Privatklage

Rn. 1036

trauen zu seinem Anwalt, und das Mandat gert in die Krise. Ich habe in dieser Situation mir gelegentlich in der Weise geholfen, daß ich einen vollstndigen Entwurf der Privatklage ausgearbeitet und dem Mandanten vorgelegt habe. Wenn eine solche Arbeit erschpfend und gut formuliert, zudem hieb- und stichfest erscheint, kann man damit bei dem prozeßwtigen Mandanten, der sich nun ganz verstanden fhlt, geradezu Begeisterung hervorrufen. Er sieht sich schon als Sieger, und der Anwalt hat sein vorbehaltloses Vertrauen gewonnen. Das ist dann der Augenblick, den Klienten durch den Rat zu schockieren, die Klageschrift in den Papierkorb zu werfen. Dazu muß man ihm all die ihm fremden Prozeßumstnde auseinanderlegen, ihm die Molesten und Tcken des Verfahrens und die Fragwrdigkeit des Ergebnisses demonstrieren. Dann wird der Mandant meist nachdenklich und fr den Rat des erfahrenen Anwalts aufgeschlossen. So kann es zum Verzicht auf die Klage und sogar zu echter Dankesußerung fr die sachgemße Beratung kommen. Auch die Tendenz des Gesetzgebers ist erkennbar darauf ausgerichtet, die Privatklageverfahren zu erschweren oder sie in eine nicht streitige Form der Erledigung abzubiegen. Deshalb ist zunchst fr die meisten Flle der Gebhrenvorschuß (§ 379 a), u. U. Sicherheitsleistung fr Prozeßkosten (§ 379) und der Shneversuch vorgeschrieben (§ 380). Die Vorschriften mssen sorgfltig beachtet werden. Dazu gehren besonders auch die landesrechtlichen Bestimmungen und Anordnungen der Justizverwaltungen, die nicht ganz bereinstimmend ausgefallen sind941. Fr den Shneversuch sind Vergleichsbehrden, Schiedsstellen oder der Schiedsmann zustndig, deren Ttigkeit ebenfalls von einem Gebhrenvorschuß abhngig sein kann (§ 380 Abs. 2). Im Shneverfahren ist die Vertretung durch Anwlte im allgemeinen zulssig. Oft fragt der Mandant, ob seine eigene Anwesenheit im Shnetermin vorgeschrieben oder opportun ist. Der Privatklger muß in jedem Fall erscheinen. Dem Beklagten dagegen steht die Wahrnehmung des Termins frei. Sein Verteidiger sollte sie ihm aber empfehlen, wenn der Fall dazu geeignet ist.

1035

Das Shneattest muß mit der Klage eingereicht werden, sonst ist die Privatklage unzulssig. Die Nachreichung ist nur mglich, wenn der Shneversuch vor der Privatklage durchgefhrt war942. Die Befreiung vom Shneversuch ist nach § 380 Abs. 4 und nach den einschlgigen landesgesetzlichen Bestimmungen ausnahmsweise mglich, wenn die Parteien in verschiedenen Gerichtsbezirken oder auch in weiter entfernten Orten wohnen.

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941 Vgl. i. e. Meyer-Goßner, § 380 Rn. 3, 16. 942 Meyer-Goßner, § 380 Anm. 9.

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Rn. 1037

Beteiligung des Verletzten

Ist eine Privatklage mangels Shneversuchs zurckgewiesen, kann sie bei Nachholung des Shneversuchs erneut behandelt werden943. 1037

Der Verteidiger steht hufig vor der Frage, ob er den Schiedsmann als Zeugen fr Vorgnge im Shnetermin benennen soll. Verweigert der aufsichtsfhrende Amtsrichter die Aussagegenehmigung, so ist die Zulssigkeit der Verwaltungsgerichtsklage zu prfen944. Freilich wird der Verteidiger bedenken: Die Entscheidung in einem langwierigen Aufsichtsverfahren oder Verwaltungsprozeß wird in aller Regel so spt ergehen, daß sie fr das Privatklageverfahren bedeutungslos geworden ist.

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Zu den verfahrensrechtlichen Hrden gehrt auch die gerichtliche Anforderung eines Gebhrenvorschusses (§ 379a), vor dessen Eingang keine richterliche Handlung erfolgt. Wird die Gebhr nicht innerhalb der gesetzten – oft sehr kurzen – Frist gezahlt, weist das Gericht die Privatklage als unzulssig zurck. Hier hilft ggfs. der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Rn. 1074 ff.).

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Der auf Befriedung der Parteien abzielenden Tendenz des Privatklagerechts dient auch die in § 383 Abs. 2 vorgesehene Einstellung des Verfahrens. Sie bietet dem Verteidiger des Beschuldigten eine beachtliche Mglichkeit, dem an sich schuldigen Mandanten eine Bestrafung zu ersparen. Einzige Voraussetzung dazu ist die Geringfgigkeit der Schuld. Auf die Folgen der Tat kommt es ebensowenig an wie auf ein ffentliches Interesse an der Strafverfolgung. In letzterem liegt der Unterschied zur Einstellung nach § 153. Entsprechend dieser Bestimmung bedarf es nach § 383 nicht der Zustimmung der Prozeßbeteiligten. Die Einstellung nach § 383 Abs. 2 S. 1, die immer, auch in der Hauptverhandlung, durch Beschluß erfolgt, ist entgegen der Regelung in § 153 mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar (§ 383 Abs. 2 S. 2). Die Einstellung ist auch noch in der Berufungsinstanz mglich. Allerdings soll dem Beschuldigten die Beschwerde nicht zustehen, weil er nicht als beschwert gilt945. In der Praxis gibt es oft den Fall, daß der Beschuldigte selbst mit der Einstellung nicht einverstanden ist und eine vllige Rehabilitierung durch Freispruch anstrebt, weil die Einstellung die Annahme seiner (geringen) Schuld wie bei § 153 voraussetzt (Rn. 323). Der Richter kann sich darber hinwegsetzen. Manchmal liegt dies auch durchaus im Interesse des Beschuldigten, wo943 Meyer-Goßner, § 380 Rn. 12 m. N.; anders u. a. LG Bonn, NJW 1964, 417 und MDR 1966, 606 m. abl. Anm. Dahs. 944 Bejahend BVerwG, NJW 1964, 1088. 945 Vgl. Meyer-Goßner, § 383 Rn. 22. ber die Beschwerdebefugnis bezglich der Kosten- und Auslagenentscheidung vgl. § 464 Abs. 3; Meyer-Goßner, § 464 Rn. 22; § 153 Rn. 34.

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Privatklage

Rn. 1041

rber sich Richter und Verteidiger verstndigen knnen. Ein solches Agreement wird der Mandant nachtrglich billigen knnen, wenn er eine Schuld nicht zugegeben und damit sein Gesicht nicht verloren hat. Die Richter machen von der Einstellung im brigen reichlich Gebrauch, besonders bei wechselseitigen Beleidigungen. Die Kosten des Verfahrens kann das Gericht nach § 471 Abs. 3 S. 2 einschließlich der notwendigen Auslagen und damit der Anwaltskosten einer der Parteien auferlegen oder nach pflichtgemßem Ermessen verteilen.

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Auch Vergleiche sind im Privatklageverfahren jederzeit mglich. Der Vergleich als solcher ist allerdings in der Strafprozeßordnung nicht geregelt. Er beendet daher das Verfahren auch nicht von selbst, mag er sogar gerichtlich protokolliert sein. Prozessual erledigt wird die Sache erst durch die dem Vergleich entsprechende Rcknahme der Privatklage (§ 391) oder durch Rcknahme des Strafantrags. Daraus entstehen in der Praxis betrchtliche Schwierigkeiten. Wer einen Antrag zurcknimmt, erscheint nach außen als der Schuldige. Auch trifft ihn nach §§ 470 und 471 grundstzlich die ganze Kostenlast (Rn. 1040). Diese Umstnde verzerren das Bild der Wirklichkeit, wenn der Privatbeklagte, der der allein oder vorwiegend Schuldige ist, eine Ehrenerklrung abgegeben und die Wiedergutmachung oder sogar eine Bußzahlung oder dergleichen bernommen hat. In solchen Fllen sind Privatklger oft nicht zu bewegen, die Klage „zurckzunehmen“. Der Anwalt muß dann mit Geschick zu operieren wissen, er muß im Vergleich die Verpflichtung des Beschuldigten festlegen, alle oder ggfs. einen Teil der Kosten zu bernehmen. Diese Vereinbarung respektiert das Gericht bei Antragsdelikten im Rahmen des § 470, indem diese Kosten dem Beschuldigten auferlegt werden. Handelt es sich nicht um ein Antragsdelikt oder kann der Antrag nicht zurckgenommen werden, ist eine bernahme der Kosten durch den Beschuldigten gesetzlich nicht vorgesehen. Wird hier die Privatklage zurckgenommen und demgemß das Verfahren eingestellt, wrden die Kosten nach § 471 Abs. 2 dem Privatklger zur Last fallen. Die Gleichheit der Rechtslage bewirkt aber hier wohl die entsprechende Anwendbarkeit des fr Antragsdelikte geltenden § 470 S. 2 auch auf diese Flle946. Hiernach wren auch hier dem Beschuldigten entsprechend der getroffenen Vereinbarung die Kosten zur Last zu legen. Ob das Gericht im Einzelfall dieser Ansicht folgen wird, kann indessen zweifelhaft sein. Der Anwalt sollte es durch ein Richtergesprch klren. In jedem Fall empfiehlt es sich, nicht nur die Privatklage, sondern auch den Strafantrag zurckzunehmen, um den Weg fr die vereinbarte Kostenregelung auch im Gerichtsbeschluß mit Sicherheit freizumachen.

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946 Meyer-Goßner, § 471 Rn. 4.

637

Rn. 1042

Beteiligung des Verletzten

1042

Wenn eine Erledigung durch Rcknahme des Strafantrages nicht in Betracht kommt und der Richter bei Rcknahme der Privatklage sich einer entsprechenden Anwendung des § 470 Satz 2 verschließt, muß er den Privatklger in die Kosten des Verfahrens verurteilen. Damit bekommt das Protokoll ber die durch Vergleich abgeschlossene Verhandlung einen paradoxen Inhalt. Dort sind zwar das Schuldbekenntnis des Beschuldigten, seine Ehrenerklrung und die Kostenbernahme festgelegt, zugleich ist aber die hierzu im Widerspruch stehende Kostenentscheidung protokolliert: „Die Kosten der zurckgenommenen Privatklage trgt der Privatklger.“ Es gibt einen Ausweg aus diesem Dilemma, an dem sonst schon mancher Vergleich gescheitert ist: Man bewegt den Richter dazu, die Ehrenerklrung des Beschuldigten, seine Shneleistungen und auch die bernahme der Kosten in einer getrennten Niederschrift zu protokollieren. In eine zweite Niederschrift wird dann die Rcknahme und die den Privatklger benachteiligende Kostenentscheidung aufgenommen. Der durch die erste Beurkundung rehabilitierte Privatklger kann dieses Schriftstck berall verwenden, ohne durch das zweite Protokoll belastet zu erscheinen.

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Vergleiche sind auch noch in der Berufungs- und Revisionsinstanz mglich. Sie fhren auch hier zur Einstellung des Verfahrens nach Rcknahme der Privatklage (§ 391). Eine Rcknahme des Strafantrags allerdings ist nach Rechtskraft eines auf Strafe lautenden Urteils nicht mehr mglich (§ 77d StGB). Im brigen kommt auch hier die Einstellung wegen Geringfgigkeit (§ 383 Abs. 2) wie in erster Instanz in Betracht

1044

Wie der Anwalt des Privatklgers hat auch der Verteidiger des Beschuldigten mit diesem seine Schwierigkeiten, wenn er sich um eine friedliche Erledigung bemht. Der Beschuldigte kmpft in der Regel mit großer Verbissenheit und ist gtlichem Zureden selten zugnglich. Den meisten Menschen fehlt in dieser Situation auch die Fhigkeit, einen eigenen Fehler zu erkennen. Noch hufiger vermißt man die menschliche Grße, ihn einzugestehen und sich zu entschuldigen. Der Verteidiger kann hier viel zur Befriedung tun. Praktisch spielt dabei die Kunst der Formulierung von Ehrenerklrungen eine große Rolle. Sie mssen so beschaffen sein, daß mglichst beide Parteien ihr Gesicht behalten. Deshalb scheitert manche Einigung an der starren Forderung, der Gegner msse eine ußerung „zurcknehmen“ oder dies sogar „mit dem Ausdruck des Bedauerns“ tun. Dagegen wird die Erklrung: „Ich halte die ußerung nicht aufrecht“ eher hingenommen. Sie kann durch den Zusatz erlutert werden „Ich habe mich inzwischen davon berzeugt ...“. Erprobter Text einer Ehrenerklrung in entsprechenden Fllen ist auch z. B. die Formulierung: Der Beschuldigte erklrt, daß er gegen den Privatklger keine ehrenrhri638

Privatklage

Rn. 1046

gen Vorwrfe erhebe, insbesondere nicht behaupte, daß dieser zu Frau X außereheliche Beziehungen unterhalten habe oder noch unterhielte. Bei hoffnungslos zerstrittenen Parteien kann man manchmal einen verblffenden Erfolg mit dem Formulierungsvorschlag erzielen: „Der dem Streit der Parteien zugrunde liegende Sachverhalt (die ußerung) ist nicht mehr aktuell. Die Parteien sind daher an einer Fortsetzung des Privatklageverfahrens nicht interessiert.“ Aufgrund einer solchen Erklrung kann dann die Privatklage zurckgenommen oder das Gericht zur Einstellung nach § 383 Abs. 2 veranlaßt werden. Dabei ist die Kostenfrage mit der ntigen Behutsamkeit zu regeln. Besonders schwierig sind die Verhandlungen mit einem anwaltlichen Gegner, wenn dieser die Rcknahme eines Strafantrags seines Mandanten von der Zahlung seiner eigenen Kosten in Hhe eines die gesetzlichen Gebhren bersteigenden Honorars abhngig macht. Der die Verurteilung befrchtende Verteidiger und sein Mandant sind dazu hufig geneigt, obwohl der gegnerische Anwalt im Falle eines Urteils – jedenfalls vom Verurteilten – nur die gesetzlichen Gebhren erhalten wrde. Sie stehen aber in dieser Situation unter offensichtlichem Druck. Dessen unangemessene Ausntzung kann einerseits fr den potentiellen Prozeßsieger sehr bedenklich sein. Den Verteidiger andererseits kann zu große Nachgiebigkeit ins Zwielicht bringen, besonders wenn er fr sich selbst ein erhebliches Honorar in Ansatz bringen und dafr im Honorar des Gegners einen Maßstab finden will (Rn. 1191). Manchmal glaubt ein Privatklger, nicht auf den ffentlichen Widerruf des Beschuldigten verzichten zu knnen. Dieser kann in manchen Fllen auch wirklich geboten sein. In anderen ist er aber entbehrlich oder sogar schdlich, weil die Sache damit wieder aufgerhrt wird und bswillige Leute zu hmischen ußerungen hinter der vorgehaltenen Hand veranlaßt werden.

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c) Streitiges Verfahren Die Erledigung einer Privatklage auf einem der hier aufgezeigten Wege gtlicher Regelung ist in manchen Fllen nicht mglich. Das kann auf der Streitlust oder Unvernunft der Parteien beruhen. Es kann aber auch an dem Gewicht der Sache liegen. Dabei ist beispielsweise an ehrenrhrige Tatsachenbehauptungen von erheblicher Bedeutung zu denken (§§ 186, 187 StGB), die ohne Klarstellung des Sachverhalts nicht aus der Welt zu schaffen sind und deshalb auch nicht durch einen „faulen Vergleich“ berspielt werden sollten. Die Rehabilitierung des angegriffenen Mandanten zwingt hier seinen Berater zur Klage. 639

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Rn. 1047

Beteiligung des Verletzten

Die Staatsanwaltschaft bernimmt die Strafverfolgung auch in solchen Fllen nur, wenn sie ein ffentliches Interesse daran bejaht (§ 376). Das ist der Fall, wenn der Rechtsfrieden ber den Lebenskreis des Verletzten hinaus gestrt ist und der Allgemeinheit die Strafverfolgung ein Anliegen ist, besonders wegen der Stellung des Verletzten im ffentlichen Leben (Nr. 86 Abs. 2 RiStBV). Ist dies nicht der Fall und hilft insoweit auch eine Dienstaufsichtsbeschwerde nicht weiter, so muß der Privatklageweg beschritten werden. 1047

Der beauftragte Anwalt muß mit den Besonderheiten des Privatklageverfahrens vertraut sein, wenn er sich nicht berraschungen aussetzen will. Es kommen in diesem Verfahren mancherlei Fehler vor. Dazu muß der Vertreter des Privatklgers (und des Nebenklgers) wissen, daß sein Verschulden seinem Mandanten zugerechnet wird. Es gilt nicht als unverschuldet im Sinne des § 44 (Rn. 1077), anders bei Verschulden des Verteidigers eines Beschuldigten (Rn. 14)947.

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Der in den meisten Fllen erforderliche Strafantrag ist an eine Frist von 3 Monaten gebunden, wobei der Tag der Kenntnisnahme nicht mitgerechnet wird (Rn. 421). Der Antrag muß also an demjenigen Tage eingehen, der in der Bezifferung dem ersten Tag der Dreimonatsfrist entspricht (z. B. Kenntnisnahme: 27. Januar – Ablauf: 27. April). Der Antrag kann mit der Privatklage verbunden bei dem Amtsgericht gestellt werden. Auch die Einreichung der Privatklage als solche gengt, weil sie den Strafantrag mit zum Inhalt hat. Praktisch kann man sich fr die Privatklage eine beliebig lngere Frist dadurch verschaffen, daß man den Strafantrag fristgerecht bei der Staatsanwaltschaft stellt. Mag diese dann die Strafverfolgung mangels ffentlichen Interesses auch ablehnen, die Antragsfrist ist jedenfalls gewahrt. Derselbe Effekt ist auch zu erzielen, indem der isolierte Strafantrag rechtzeitig bei dem Amtsgericht eingereicht wird, das fr die Privatklage zustndig ist. Sonst zu beachtende berufsrechtliche Bedenken gegen die Stellung eines Strafantrags durch Anwlte (Rn. l6) bestehen schon deshalb nicht, weil der Privatklger in der Rolle des Staatsanwalts Strafverfolgung betreibt. Der Verteidiger des Beschuldigten muß beachten, daß bei wechselseitiger Beleidigung der Strafantrag gegen den Privatklger auch nach Fristablauf bis zur Beendigung des letzten Wortes im ersten Rechtszug noch gestellt werden kann (§ 77c StGB). Der Anwalt des Privatklgers muß darauf achten, daß er mit der Klage zugleich eine Anzeige im Sinne des § 164 StGB erstattet. Er ist zwar nicht wie der Staatsanwalt zur Objektivitt, als Organ der Rechtspflege (Rn. 11 ff.) aber wohl der Wahrheit verpflichtet. Er kann daher u. U. in den 947 Meyer-Goßner, § 44 Rn. 19.

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Privatklage

Rn. 1053

Gefahrenbereich einer strafbaren Handlung durch falsche Verdchtigung oder Beleidigung (§§ 164, 185, 186 StGB) geraten. Der Anwalt des Privatklgers hat auch auf die ordnungsmßige Zahlung angeforderter Gebhrenvorschsse (§ 379 a) zu achten, wenn dem Privatklger nicht Prozeßkostenhilfe bewilligt ist. Fr den Beschuldigten kommt Prozeßkostenhilfe nach Maßgabe des § 379 in Betracht. Mit einer Beiordnung wird im brigen der Anwalt nur in Ausnahmefllen rechnen drfen.

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Im Verfahren hat der Privatklger die Stellung des Staatsanwalts schon bei der Tatsachenermittlung. Ihm obliegt die Feststellung des Sachverhalts und die Sammlung der Beweise. Soweit ihm die Mittel hierzu nicht zur Verfgung stehen, wie etwa eine Durchsuchung oder Beschlagnahme, kann er sich der Hilfe des Gerichts bedienen. Auch kann die Staatsanwaltschaft Ermittlungen vornehmen, etwa zur Feststellung eines anonymen Briefschreibers, wenn der Privatklger sonst nicht weiterkommt. Eine solche Mitwirkung der Staatsanwaltschaft bedeutet noch nicht die bernahme der Strafverfolgung im Sinne des § 376.

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In der Hauptverhandlung muß der Verteidiger beachten, daß zwar grundstzlich die Vorschriften fr das allgemeine Strafverfahren maßgebend sind (§ 384 Abs. 1). Die Anwesenheit der Parteien in der Hauptverhandlung ist gesetzlich aber nicht vorgeschrieben. Diese knnen sich vielmehr durch einen Anwalt vertreten lassen (§§ 378 und 387). Allerdings wird das persnliche Erscheinen vielfach angeordnet.

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Eine wesentliche Besonderheit des Verfahrens betrifft den Umfang der Beweisaufnahme. Es gilt zwar auch hier der Grundsatz der allgemeinen Aufklrungspflicht (§§ 384 Abs. 3, 244 Abs. 2). Das Gericht handelt aber in diesem Rahmen hier nach seinem Ermessen. Es ist bei der Beweiserhebung und bei der Entscheidung ber Beweisantrge weder an die Grenzen des § 244 Abs. 3 noch an § 245 gebunden. Es kann also eine Beweiserhebung auch mit der Begrndung unterlassen, daß der Sachverhalt mit gengender Sicherheit festgestellt sei und die berzeugung des Gerichts bereits feststehe948. Diese Einschrnkungen sind fr die Verteidigung sehr bedeutungsvoll und ntigen zu sorgfltiger Verhandlungsplanung.

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Bisweilen stßt man auf die eigenartige Auffassung, wegen der dem Richter eingerumten Freiheit in der Beweisaufnahme knne er den Privat-

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948 OLG Kln, JMBl. NRW 1955, 131; Meyer-Goßner, § 384 Rn. 2.

641

Rn. 1054

Beteiligung des Verletzten

klger auch als Zeugen vernehmen. Das ist unrichtig949. Das Gericht ist aber nicht gehindert, den freiwillig oder auf Anordnung (§ 387 Abs. 3) erschienenen Privatklger zu hren und in einer Beweiswrdigung seinen Angaben zu folgen. Der Privatklger erweist sich hier in der Doppelfunktion als Anklger und Beweisperson. 1054

Der Verteidiger und sein Gegner mssen beachten, daß in dem prozessual zweitrangigen Privatklageverfahren materielles Beleidigungsrecht schwierigster Art zur Verhandlung stehen kann. Die Abgrenzung der einfachen Beleidigung von den Tatbestnden der §§ 186, 187 StGB ist oft recht schwer. Sie ist anderseits von grßter Bedeutung, besonders auch wegen des Wirkungsbereichs der §§ 192–193 StGB (z. B. Wahrnehmung berechtigter Interessen). Diese Bestimmung birgt eine erhebliche Flle von Problemen. Es liegt nicht im Rahmen des Handbuchs, diese Materie im einzelnen auszubreiten. Wer damit im Einzelfall zu tun hat, muß sich mit den Ergebnissen einer kaum noch bersehbaren Flle von Rechtsprechung und Schrifttum vertraut machen. In bedeutenderen Fllen wird bei der Beratung eines Privatklgers auch die Konkurrenz der Privatklage zu anderen rechtlichen Mitteln des Ehrenschutzes zu beachten sein. Insbesondere kommen die zivilrechtlichen Unterlassungs-, Widerrufs- und Schadensersatzklagen in Betracht. Oft werden eine einstweilige Verfgung und der Anspruch auf eine Gegendarstellung nach den Pressegesetzen anstelle oder neben einer Privatklage wirksame(-re) Abwehrmittel sein (Rn. 103, 105).

1055

Die bereits angesprochenen (Rn. 1030) Beleidigungen durch die Presse und andere Medien sind ein besonders schwieriges Kapitel. Fr den Verteidiger ist es ebenso beruhigend wie fr den durch die Presse Angegriffenen beunruhigend, daß Verurteilungen von Presseangehrigen selten zustande kommen. Das liegt vor allem an dem weiten Bereich der verfassungsrechtlich geschtzten Pressefreiheit (Art. 5 GG) und der in der Rechtsprechung allgemein anerkannten Berechtigung der Presse zur Wahrnehmung der ffentlichen Informations-Interessen (§ 193 StGB). So wie im Strafverfahren der Verteidiger fr seinen Mandanten gegen Presseberichte selten etwas Wirksames unternehmen (Rn. 101 ff.) kann, so hat auch jeder andere Betroffene fast nur stumpfe Waffen zur Verfgung. Wer mit solchen Fllen zu tun hat, wird es sich aus der Erfahrung mehr als einmal zu berlegen haben, ob er sich mit der Presse „anlegen“ will. Die letzten Dinge knnen dann leicht schlimmer werden als die ersten. Allerdings findet die Presse bei Gericht keinen Schutz, wenn sie wider besseres Wissen oder leichtfertig falsche, ehrenrhrige Informationen der Wahrheit 949 BayObLG, NJW 1961, 2318.

642

Privatklage

Rn. 1056

zuwider bringt. Nur bei sorgfltiger Beachtung ihrer Informationspflichten geht sie straffrei aus950. Immer muß der Anwalt aber bedenken, daß die Presse gewaltige Mittel zur Fhrung des Wahrheitsbeweises in Gang setzt und durch gesteuerte Berichterstattung den Beteiligten noch mehr ins Zwielicht bringen kann. In manchen Fllen knnte der Privatklger vielleicht das „ffentliche Interesse“ fr sich beanspruchen und die Staatsanwaltschaft zur bernahme der Strafverfolgung veranlassen. Das hat natrlich seine Vorteile, fhrt aber zur Zustndigkeit des Erscheinungsortes gemß § 7 Abs. 2. Der Verletzte kann damit die fr die Privatklage gegebene Zustndigkeit des Verbreitungsortes, die in der Regel auch an seinem eigenen Wohnsitz begrndet ist verlieren, weil die Staatsanwaltschaften die Ermittlungen hufig an die Behrde des Erscheinungsortes abgeben. Damit kann ein wesentlicher Prozeßvorteil entfallen. Ein heikles Kapitel sind die politischen Beleidigungsprozesse. Sie sind schon deshalb unerfreulich, weil das Gericht kein politisches Forum zu sein hat. Politische Gegnerschaften. sollten im politischen Raum ausgetragen werden. Die manchmal krampfhafte Verkleidung des politischen Zwistes als strafbare Beleidigung ist unerfreulich. Justifizierung der Politik ist ebenso unerwnscht wie Politisierung der Justiz. Verleumdungsprozesse im politischen Bereich bringen auch nach allen Erfahrungen – schon seit der Weimarer Zeit – im Ergebnis wenig ein. Sie fhren meist zu einer Verzerrung des Sachverhaltes und zur Vergiftung der politischen ffentlichkeit. Die Annahme, auf dem Prozeßwege zur Wiederherstellung des Rechtsfriedens oder auch nur zu berzeugenden und allseits anerkannten Tatsachenfeststellungen zu kommen, ist in der Regel eine Illusion. Daran ndert auch die wohlgemeinte Bestimmung des § 187a StGB nicht viel, die den Politikern einen besonderen Ehrenschutz gewhrleisten soll. Ist eine Privatklage gegen einen Abgeordneten des Deutschen Bundestages beabsichtigt, mssen die Bestimmungen ber die Immunitt beachtet werden. Vor der Einleitung des Verfahrens muß deren Aufhebung durch eine besondere Genehmigung des Parlaments herbeigefhrt werden. Diese hat der Anwalt des Privatklgers sich selbst zu beschaffen (Nr. 192 Abs. 4 RiStBV). Handelt es sich um einen Landtagsabgeordneten, so gelten dieselben Vorschriften (§ 152a; Rn. 243).

950 Vgl. dazu Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, Handbuch des ußerungsrechts, 5. Aufl., 2003.

643

1056

Rn. 1057

Beteiligung des Verletzten

2. Nebenklage Beck'sches Formularbuch/Gillmeister, 4. Aufl., 2002, S. 1075 ff.; Beulke, Die Neuregelung der Nebenklage, DAR 1988, 114; Fabricius, Die Stellung des Nebenklagevertreters, NStZ 1994, 257; Franze, Die Nebenklage im verbundenen Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende/Erwachsende, StV 1996, 289; Gollwitzer, Die Stellung des Nebenklgers in der Hauptverhandlung, FS K. Schfer (1980), S. 65; Kaster, Prozeßkostenhilfe fr Verletzte und andere Berechtigte im Strafverfahren, MDR 1994, 1073; Kurth, Rechtsprechung zur Beteiligung des Verletzten am Verfahren, NStZ 1997, 1; Letzgus, Beschwerde gegen Nichtzulassung des Nebenklage bei fahrlssiger Krperverletzung, NStZ 1989, 352; Meyer-Goßner, Die Rechtsstellung des Verletzten im Strafprozeß, ZRP 1984, 228; Rieß, Strafantrag und Nebenklage, NStZ 1989, 102; Rieß, Die Rechtsstellung des Verletzten im Strafverfahren, Gutachten z. 55. DJT (1984) (Bd. I Teil C); Schaal/Eisenberg, Rechte und Befugnisse von Verletzten im Strafverfahren gegen Jugendliche, NStZ 1988, 49; Schck, Die Rechtsstellung des Verletzten im Strafverfahren, NStZ 1984, 395; Schwab, Prozeßkostenhilfe und Nebenklage, MDR 1983, 810.

1057

Die Verfolgung der in § 374 genannten Privatklagedelikte bernimmt anstelle der Verletzten die Staatsanwaltschaft, wenn ein ffentliches Interesse vorliegt (§ 376). Die zur Privatklage Berechtigten, zu denen bei Getteten auch Angehrige zu rechnen sind (§ 395 Abs. 2 Nr. 1), knnen sich dem Offizialverfahren als Nebenklger anschließen (§ 396). Diese Befugnis steht auch dem Verletzten zu, der durch Antrag gemß § 172 bei dem Oberlandesgericht die Anklage erzwungen hat (Rn. 328 f.). bernimmt die Staatsanwaltschaft das Verfahren nach erhobener Privatklage (§ 377 Abs. 2), wird der Privatklger zum Nebenklger. Der Nebenklger hat dieselben Rechte wie der Privatklger (§ 397 Abs. 1). Fr den Verletzten und seinen Anwalt ist das Institut der Nebenklage ußerst bedeutsam. Sie machen sich damit von der Staatsanwaltschaft unabhngig. Der Rechtsanwalt kann dem Geschdigten dabei die beruhigende Gewißheit vermitteln, daß dieser auch im Falle des Freispruchs des Angeklagten dessen Kosten ebensowenig wie Gerichtskosten zu zahlen hat.

1058

Praktisch bedeutsam ist die Befugnis des Verletzten und seines Anwalts, erst in der Hauptverhandlung seine Anschließung zu Protokoll zu erklren. Die Anschlußerklrung hat in jedem Fall konstitutive Wirkung. Der Zulassungsbeschluß des Gerichts hat nur deklarative Bedeutung951. (ber die Anfechtung des Zulassungsbeschlusses vgl. Rn. 842.) Hufig sucht der Verletzte den Anwalt erst auf, nachdem der Angeklagte in der Hauptverhandlung, in der der Verletzte nur als Zeuge gehrt wurde, freigesprochen worden ist. Der Anwalt muß wissen, daß er sich in diesem Verfahrens951 OLG Celle, NJW 1961, 378; Meyer-Goßner, § 396, Rn. 13.

644

Nebenklage

Rn. 1061

stadium bestellen, den Anschluß als Nebenklger erklren und zugleich das zulssige Rechtsmittel einlegen kann. Der Vertreter des Nebenklgers tut gut daran, mit der Staatsanwaltschaft Fhlung zu halten. Fehler und Versumnisse der Staatsanwaltschaft, die er als Vertreter eines Angeklagten zu rgen hat, muß er jetzt vermeiden helfen. So sollte er zur Verhtung unbegrndeter Einstellung des Verfahrens oder eines Freispruchs rechtzeitig fr Ausschpfung aller Beweise sorgen. Der Gewohnheit der Polizei, sich mit schriftlichen Erklrungen der Beschuldigten und Zeugen zu begngen und diesen sogar eine solche Art der Aussage nahezulegen, muß er besonders in Unfallprozessen entgegenwirken. Allzu hufig sind die schriftlichen Erklrungen hchst unzulngliche Produkte juristisch ungewandter Personen, die mehr Verwirrung als Aufklrung bringen.

1059

In der Hauptverhandlung kann der Nebenklger sich durch seinen Anwalt vertreten lassen. Anderseits hat er ein Anwesenheitsrecht, das der Anwalt ggfs. durchzusetzen hat. Dieses Recht wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß sein Mandant zugleich Zeuge ist und als solcher den Sitzungssaal zunchst verlassen mßte. Die Rechtsprechung billigt seiner Eigenschaft als Nebenklger den Vorrang zu952. Die Gerichte haben ihn indessen bis zu seiner Zeugenvernehmung lieber nicht im Saal. Sie bewirken dies am leichtesten, indem sie den Nebenklger einfach mit hinausschicken, wenn dieser oder sein Vertreter nicht widersprechen. Der Widerspruch muß sofort erklrt werden, andernfalls ist die Gelegenheit verpaßt. Die Verfahrensrge ist damit verwirkt. Ein Rechtsmittel kann darauf nicht gesttzt werden (Rn. 782). Neben dieser Rechtsfrage stehen insbesondere Fragen der Opportunitt. Das Bestreben des Gerichts, die Verhandlung zunchst in Abwesenheit des Nebenklgers zu beginnen, hat an sich einen guten Grund. Seine Zeugenaussage ist von grßerem Wert, wenn er die voraufgegangene Beweisaufnahme nicht gehrt hat. Mancher Vorsitzende geht deshalb einen Kompromiß ein: Vernehmung des Angeklagten in Abwesenheit des Nebenklgers, dann dessen Vernehmung als erster Zeuge. Im allgemeinen sollte man diesem Vorschlag zustimmen, weil damit die Aussage des Mandanten in ihrem Beweiswert gestrkt wird.

1060

Ebenso wie der Nebenklger als Zeuge nicht ausgeschlossen ist, kann er in demselben Strafverfahren auch Angeklagter sein. In einem Unfallprozeß z. B. kann dieselbe Person als Angeklagter fr die Verletzung eines anderen verantwortlich gemacht werden und zugleich selbst Nebenklger sein hinsichtlich der Verletzungen, die ihm ein Mitangeklagter zugefgt hat953. Mit

1061

952 BGH, MDR 1952, 532. 953 BGH, NJW 1978, 330.

645

Rn. 1062

Beteiligung des Verletzten

dem Staatsanwalt kann der Vertreter des Nebenklgers in geeigneten Fllen eine Art von Arbeitsteilung vereinbaren. Der Staatsanwalt, besonders ein mit der Sache nicht vertrauter „Sitzungsstaatsanwalt“, ist in komplizierten Fllen, etwa auf zahlreiche Beiakten zurckgehenden Sachen, durchaus bereit, dem Anwalt des Nebenklgers whrend der Beweisaufnahme und im Pldoyer den Vorrang zu lassen und sich auf den Strafantrag (Strafmaß) zu beschrnken. Das wrde auch der allgemeinen Usance entsprechen, als anwaltlicher Vertreter des Nebenklgers oder Privatklgers zum Strafmaß nicht zu pldieren. In eine eigenartige Situation gert man als Vertreter des Nebenklgers, wenn der Staatsanwalt den Freispruch des Angeklagten beantragt oder nicht geneigt ist, gegen einen Freispruch ein Rechtsmittel einzulegen. Hier muß der Vertreter des Nebenklgers, wenn er die Verurteilung des Angeklagten anstrebt, nach seiner eigenen Verantwortung handeln und sich von einer falschen Einstellung des Staatsanwalts nicht beirren lassen. Oft hilft es auch, whrend der Rechtsmittelfrist mit dem Staatsanwalt oder/und mit dem Abteilungsvorsteher zu verhandeln und sie fr die Einlegung des Rechtsmittels zu gewinnen. Fr das Vertrauen des Mandanten zu dem Erfolg des Rechtsmittels und auch fr die Kostenfrage ist das sehr bedeutsam. 1062

In besonders folgenschweren Unfallsachen mit evtl. betrchtlichem Schuldgewicht – oder auch bei „drohendem“ Mitverschulden des Verletzten, erliegen manche Kollegen der Versuchung, richtig „auf die Pauke zu hauen“ und den Staatsanwalt an „Schrfe“ weit zu bertreffen. Das ist nicht nur ein Versuch billiger Effekthascherei, sondern es wird auch vllig verkannt, welche Tragik es fr den Angeklagten bedeutet, durch einen Augenblick der Nachlssigkeit Dritte schwer und dauernd geschdigt zu haben. Der Anwalt sollte lieber daran denken, daß er am nchsten Tag vor demselben Richter mglicherweise die Gegenposition zu vertreten hat. Nicht zu Unrecht kritisieren Staatsanwlte, daß der zum Anklger mutierende Verteidiger oft den Maßstab verliere, den er von ihnen stets einfordere. 3. Vertretung des Verletzten nach Opferschutzgesetz Schfer, H., Die Einsicht in Strafakten durch den Verletzten, wistra 1988, 216; Vogel, Rechte des Verletzten im Strafverfahren, wistra 1996, 219. Vgl. i. . das vor Rn. 168 angefhrte Schrifttum.

1063

Außer dem Verletzten, der nebenklageberechtigt ist (Rn. 1057), kann sich auch der Verletzte954, der kein Recht zur Nebenklage hat, am Strafverfahren aktiv beteiligen. Diese Mglichkeit ist durch das Opferschutzgesetz 954 Zum Begriff Meyer-Goßner, § 172 Rn. 9 ff.

646

Vertretung des Verletzten nach Opferschutzgesetz

Rn. 1063

von 1986 geschaffen worden und in den §§ 406d–406h geregelt. Der nebenklageberechtigte Verletzte, der einen Anschluß als Nebenklger nicht erklrt hat, kann sich in der Hauptverhandlung durch einen Rechtsanwalt nach nherer Maßgabe des § 406g vertreten lassen. Anderen Verletzten ist durch die §§ 406d, e, f ebenfalls in gewissem Umfang ein status activus eingerumt. Allerdings bedrfen sie zur Ausbung der Rechte ebenfalls des anwaltlichen Beistandes. Hier wird in der Praxis oft der Strafverteidiger angesprochen, weil man von ihm die Kompetenz und Professionalitt erwartet, die erforderlich sind, um die Rechte des Verletzten insbesondere bei seiner Vernehmung als Zeuge wahrzunehmen (Rn. 1150 ff.). Jedem Strafverteidiger ist zu empfehlen, solche Mandate wahrzunehmen. Es kann fr ihn nur ntzlich sein, jedenfalls gelegentlich auch „die andere Seite“ zu sehen, d. h. den Strafprozeß aus der Interessenlage des Opfers heraus zu fhren, weil er damit der bei manchem Nur-Verteidiger zu beobachtenden verhrteten Einseitigkeit vorbeugt. Die wichtigsten Rechte des Verletztenanwalts sind die Akteneinsicht (§ 406e) (problematisch im Ermittlungsverfahren, dazu Rn. 171), das Anwesenheitsrecht in der Hauptverhandlung bei Vernehmung seines Klienten, das Fragerecht955, das Beanstandungsrecht (§§ 238 Abs. 2, 242) und das Recht, den Ausschluß der ffentlichkeit nach § 171b GVG zu beantragen. Im brigen gelten die zum Zeugenbeistand gegebenen Hinweise (Rn. 1150 ff.) entsprechend. Der Mandant ist auf den Prozeßgegenstand, den Verhandlungsgang sowie die zu erwartenden Fragen und Vorhalte vorzubereiten, ohne daß er auf bestimmte Verhaltensweisen „dressiert“ wird. Akteneinsicht vor der Verhandlung ist unerlßlich (vgl. dazu aber Rn. 1153). Whrend seiner Vernehmung muß der Verletzte jederzeit das sichere Gefhl haben, daß sein anwaltlicher Beistand die Rechtmßigkeit und Angemessenheit der Befragung berwacht und zu seinem Schutze eingreift, wenn die gerichtliche Frsorgepflicht nicht ausreicht oder nicht aktiviert wird. Einen Rechtsanspruch auf Anwesenheit vor und nach der Vernehmung des Verletzten soll er zwar nicht haben956, indes wird es mglich sein, sich Kenntnisse ber den Verfahrensablauf durch die Entsendung dritter Personen als Zuhrer zu verschaffen. Man wird aber angesichts der Mglichkeit entsprechender Fragen sorgfltig berlegen mssen, ob durch die Benutzung dieses „Umweges“ der Beweiswert der Aussage des Verletzten beeintrchtigt werden kann. Ggfs. kann es ausreichen, daß der Rechtsanwalt die Erkenntnisse ber den bisherigen Verhandlungsgang an den Mandanten (mit dessen Zustimmung) nicht berichtet, sie aber fr seine Beratung nutzbar macht. 955 Nach Maßgabe BGH, NStZ 2005, 222 m. Anm. Ventzke, NStZ 2005, 396. 956 Meyer-Goßner, § 406f Rn. 3.

647

Rn. 1064

Beteiligung des Verletzten

Ein Beweisantragsrecht besteht nach Lage des Gesetzes nicht. Dies schließt freilich nicht aus, daß der Verletztenanwalt eine Beweisanregung schriftstzlich oder mndlich vortrgt, wenn er bei Durchsicht der Akten Ermittlungslcken feststellt, die sich zum Nachteil des Klienten auswirken knnen. Ein Recht zum Schlußvortrag wird nicht anerkannt. 4. Adhsionsverfahren Amelunxen, Die Entschdigung des durch die Straftat Verletzten, ZStW 86 (1974), S. 457; Beck'sches Formularbuch/Gillmeister, 4. Aufl., 2002, S. 1088 ff.; Kckerbauer, Die Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprche im Strafverfahren – der Adhsionsprozeß, NStZ 1994, 305; Rieß, Die Rechtsstellung des Verletzten im Strafverfahren, Gutachten zum 55. DJT (1984) (Bd. 1 Teil C); Rssner/Klaus, Fr eine opferbezogenen Anwendung des Adhsionsverfahrens, NJ 1996, 288; Schnfeldt, Durchsetzung von Schadenersatzforderungen im Adhsionsverfahren, NJ 1992, 448.

1064

Der durch eine Straftat Geschdigte kann seinen Ersatzanspruch im Strafprozeß geltend machen. Das hierzu vorgesehene Adhsionsverfahren wird – trotz der Verbesserungen im Opferrechtsreformgesetz v. 24. 6. 2004 – ußerst selten praktiziert. Es wird deshalb im Handbuch nicht nher behandelt. Die Bestimmungen der §§ 403 bis 406 c und die gngigen Erluterungsbcher geben im Einzelfall den notwendigen Aufschluß. Die Zweckmßigkeit des Verfahrens wird meines Erachtens allgemein unterschtzt. Es bietet dem Geschdigten durchaus Mglichkeiten, durch Mitwirkung im Strafverfahren die berfhrung und Verurteilung eines Tters herbeizufhren und in zivilrechtlich einfach gelagerten Fllen Schadensersatz zu erhalten. Da das Strafurteil praktisch prjudiziell auf das Zivilverfahren einwirkt, kann mithin die Beteiligung des Verletzten entscheidende Bedeutung gewinnen. Das gilt beispielsweise fr Diebsthle und Betrgereien grßeren Umfanges und fr Brandstiftungen, besonders wenn eine Versicherungsgesellschaft eigene Beweiserhebungen durchgefhrt hat und ebenso wie der Verletzte selbst an der Aufklrung im Strafverfahren besonders interessiert ist. Welche Rechte der Adhsionsklger in der Hauptverhandlung hat, ist praktisch ungeklrt. Man sollte versuchen, das Frage- und Beweisantragsrecht durchzusetzen, wofr gute Grnde der Sachlogik angefhrt werden knnen: das Recht zum Schlußvortrag drfte unstreitig sein. Im brigen muß man versuchen, ber den Staatsanwalt an der Beweisaufnahme mitzuwirken.

648

Strafbefehlsverfahren

Rn. 1066

VII. Strafbefehlsverfahren Brachert/Staechelin, Die Reichweite der im Strafbefehlsverfahren erfolgten Pflichtverteidigerbestellung, StV 1995, 547; Meyer, Der Entschdigungsausspruch im Strafbefehlsverfahren, MDR 1992, 219; Otting, Ungentztes Beschleunigungspotential des Strafbefehls, ZRP 1994, 488; Remmele, Nachtrgliche Gesamtstrafenbildung beim Strafbefehl, NJW 1974, 486; Rieß, Zweifelsfragen zum neuen Strafbefehlsverfahren, JR 1988, 133; Schellenberg, Zur Verhngung von Freiheitsstrafen im Strafbefehlsverfahren, NStZ 1994, 570; Schellenberg, Der Strafbefehl nach § 408a StPO in der Praxis, NStZ 1994, 370.

Mit Recht hat man das Strafbefehlsverfahren ein „Kind der Praxis“ genannt Das trifft in einem doppelten Sinne zu. Es ist zugleich aus dem praktischen Bedrfnis entstanden, der großen Masse kleinerer Delikte in einem summarischen Prozeß Herr zu werden, wie es dem eminent praktischen Anliegen besonders auch der Verteidiger dient, durch sachgemßes Zusammenwirken von Staatsanwaltschaft und Gericht geeignete Flle geruschlos zu einer angemessenen Erledigung zu bringen (Rn. 179, 496). Damit ist dem Interesse der Justiz ebenso wie des Beschuldigten hervorragend gedient.

1065

Ein Strafbefehl kommt nur fr Vergehen in Betracht, wenn Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr (bei Strafaussetzung zur Bewhrung), Geldstrafe, Verwarnung mit Strafvorbehalt und bestimmte Maßnahmen, u. a. Fahrverbot sowie Entziehung der Fahrerlaubnis bis zu zwei Jahren in Frage kommen. Im erstgenannten Fall muß der Beschuldigte einen Verteidiger haben (§ 407 Abs. 2). Zur Ausschpfung der gebotenen Mglichkeiten muß der Verteidiger das Wesen dieses besonderen Verfahrens genau erfassen. Der Strafbefehl ist kein Urteil. Weder geht ihm eine Hauptverhandlung voraus, noch beruht er berhaupt auf einer richterlichen Beweiserhebung. Die richterliche berzeugung von der Schuld des Betroffenen beruht oft auf unzulnglicher Grundlage, weil der Richter seiner Entscheidung nur den von Staatsanwalt und Polizei zusammengebrachten Akteninhalt zugrunde legen kann. Wenn hiernach Schuld- und Rechtsfrage gengend beurteilt werden knnen, wird der Richter den Strafbefehl erlassen. Das Wagnis solchen Verfahrens wird andererseits ausgeglichen durch die gesetzlich geforderte bereinstimmung des Strafbefehls mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft (§ 408 Abs. 3), die dafr wiederum an den Strafbefehl gebunden ist, ohne Einspruch einlegen zu knnen. Der Strafbefehl ist hiernach nichts anderes als ein „Angebot“ an den Beschuldigten, sich durch Unterlassung des ihm zustehenden Einspruchs dem Verdikt zu unterwerfen. Lehnt der Beschuldigte eine solche Selbstunterwerfung ab, fhrt er mit dem Einspruch eine Hauptverhandlung herbei, fr die der Strafbefehl nicht mehr Bedeutung hat als die Zulassung der Anklage im normalen Strafverfahren. 649

1066

Rn. 1067

Strafbefehlsverfahren

1067

Es liegt auf der Hand, daß die Eigenart dieses Verfahrens dem Verteidiger außergewhnliche Mglichkeiten bietet, ihn allerdings auch mit besonders weittragenden Beratungsaufgaben belastet. Diese setzen zeitlich schon vor der Einleitung des Strafbefehlsverfahrens ein. Hat der Verteidiger eine Erledigung der Sache durch Strafbefehl ins Auge gefaßt, muß er mit dem Staatsanwalt Fhlung aufnehmen, ohne dessen Antrag kein Strafbefehl erlassen werden kann. Anderseits wird die Staatsanwaltschaft in der Regel keinen Strafbefehl beantragen, wenn sie mit einem Einspruch rechnen muß. Der Staatsanwalt wird auch oft zgern, von sich aus den Verteidiger zu befragen, weil er mit Recht erwarten kann, daß der Verteidiger an ihn herantritt. Das ist fr diesen unter Umstnden ein schwerer Gang. Wenn nmlich der Mandant seine Schuld energisch bestreitet, kommt der Verteidiger bei seinem Gesprch mit dem Staatsanwalt in einen inneren Widerspruch. Er kann sich mit dem Hinweis helfen, daß er die Sache im einzelnen noch nicht genau bersehe und deshalb von der Information seines bestreitenden Mandanten ausgehen msse, aber fragen wolle, ob die Staatsanwaltschaft ihrerseits eine Anklage erwge und fr diesen Fall auch an einen Strafbefehl denke. Damit vergibt der Verteidiger sich nichts und kann jetzt einiges erfahren. Der Staatsanwalt geht manchmal hnliche Wege, indem er, um sich nicht festzulegen, jede offizielle Stellungnahme vorlufig ablehnt, aber als „ganz persnliche Meinung“ durchblicken lßt, daß der Strafbefehl nicht ausgeschlossen erscheine. Sind so die Positionen beiderseits aufgebaut, kann in ihrem Schutz das – gewissermaßen hypothetische – Gesprch jetzt oder in einer weiteren Besprechung auf das etwaige Strafmaß und Nebenfolgen bezogen werden. Solche unverbindlichen Gesprche sind unschtzbar und ein eindrucksvolles Beispiel fr die Bedeutung und Notwendigkeit vertraulicher Besprechungen mit Richter und Staatsanwalt (Rn. 178). Sie knnen zu einem kompletten „Aushandeln“ des Strafbefehls fhren. Ist das gelungen, wird man im allgemeinen damit rechnen knnen, daß der Amtsrichter sich anschließt und den Strafbefehl nach Antrag erlßt, der mangels Einspruchs dann die Sache ohne Hauptverhandlung zu Ende bringt. Der Staatsanwalt pflegt in kritischen Fllen den Amtsrichter ber die Absprache zu unterrichten. Auch der Verteidiger kann dieserhalb den Amtsrichter aufsuchen und ihm die Unterlassung des Einspruchs zusichern. Es kommt vor, daß Staatsanwalt und Verteidiger gemeinsam den Amtsrichter aufsuchen, um seine Bedenken zu zerstreuen.

1068

Hier setzen nun die Zweifel ein, die die Rechtsstaatlichkeit solcher Unterwerfung betreffen und Staatsanwalt und Verteidiger in eine verteufelte Lage bringen knnen. Denn der Beschuldigte kann nicht nur von der Frage seiner Schuld oder Nichtschuld ausgehen, sondern muß Vor- und Nachteile des Verfahrens abwgen. Wenn der Beschuldigte sich nicht unter650

Strafbefehlsverfahren

Rn. 1069

wirft, weil er einen Freispruch erstrebt, muß er unter Umstnden ein langes Verfahren durch mehrere Instanzen in Rechnung stellen. Die seelische Belastung eines rufmrderischen Strafprozesses, die Publizitt der Verhandlung und Entscheidung und alle sonstigen Nachteile werden durch einen spteren Freispruch vielfach nicht aufgewogen. Der Klient kann moralisch und wirtschaftlich ruiniert sein. Der Verteidiger wird zudem auch in den seltensten Fllen eine zuverlssige Freisprechungsprognose berhaupt stellen knnen. Der Mandant gert so in die „Verlockung“, mit dem Strafbefehl in einem Schlage die Sache loszuwerden. Manchmal ist ihm fr den Fall solcher geruschlosen Erledigung die Erhaltung seiner beruflichen Position oder der Aufbau einer neuen Existenz zugesichert – eine Chance, die bei Durchfhrung des kompromittierenden Strafprozesses entfllt. Dazu kann der Verteidiger gelegentlich noch die Zusicherung der Staatsanwaltschaft erreichen, einer vorzeitigen Tilgung der Strafe im Bundeszentralregister zuzustimmen (Rn. 1121 ff., 1124). Die Entscheidung darber hat allerdings der Generalbundesanwalt zu treffen. Das dargelegte Dilemma des Beschuldigten und der Verteidigung ist manchmal recht fatal. Aber auch der Staatsanwalt ist dabei nicht zu beneiden. Offensichtlich befindet sich der um sein Recht kmpfende Beschuldigte in einer Rolle, die der Lage eines Gentigten verzweifelt hnlich sieht. Ihre Ausntzung bedrckt den Staatsanwalt ebenso wie den Verteidiger. Aber beide wissen, daß dem Betroffenen letztlich doch ein guter Dienst erwiesen werden soll und mssen aus dieser berzeugung heraus ihr Verhalten zu vertreten wissen. Bei der Alternative Anklage oder Strafbefehl spielt es auch eine Rolle, wie der Staatsanwalt innerlich zu der Sache steht (Rn. 179). Es kann aus mancherlei Grnden sein, daß er am Strafbefehl interessiert ist, etwa wegen berlastung der Staatsanwaltschaft und des Gerichts mit Hauptverhandlungen. Es kann aber auch mit einem Staatsanwalt zu rechnen sein, der aus Grnden seines persnlichen Berufsprestiges an einer ffentlichen Verhandlung interessiert ist. Umgekehrt berichten Staatsanwlte gelegentlich aus ihren Erfahrungen, daß Verteidiger im Streben nach Publicity oder gar aus Honorargrnden zu einer Hauptverhandlung tendieren und damit das wirkliche Interesse ihrer Klienten nicht mehr wahrnehmen. Sie meinen sogar, daß man deshalb solche Verhandlungen eigentlich nur mit wirtschaftlich unabhngigen Anwlten richtig fhren knne. Handelt es sich nicht um kritische Flle der hier errterten Art, sondern um einfachere Tatbestnde, sollte der Verteidiger immer die Erledigung durch Strafbefehl im Auge behalten und rechtzeitig bei der Staatsanwaltschaft vorstellig werden. Sonst kann es passieren, daß der Staatsanwalt, der mit einem Bestreiten des Beschuldigten oder sonstigen Komplikatio651

1069

Rn. 1070

Strafbefehlsverfahren

nen rechnet, die Anklage erhebt, um die Sache zur Hauptverhandlung zu bringen (s. Nr. 175 Abs. 3 RiStBV). Der Verteidiger hat dann die Gelegenheit verpaßt, durch rechtzeitige Fhlungnahme mit dem Staatsanwalt eine Erledigung durch Strafbefehl zu vereinbaren. Allerdings besteht an sich auch nach Erffnung des Hauptverfahrens noch die Mglichkeit, ber § 408a die Sache in das Strafbefehlsverfahren zu bringen. Das wird aber nur in Ausnahmefllen zu erreichen sein (Nr. 175a RiStBV). 1070

Bei der Beratung des Mandanten muß der Verteidiger auch bedenken, daß der Strafrichter nach § 420 Abs. 4 den Umfang der Beweisaufnahme bestimmt, allerdings in den Grenzen der Amtsaufklrungspflicht nach § 244 Abs. 2. Dadurch kann eine tatkrftige Gestaltung der Hauptverhandlung durch Beweisantrge der Verteidigung sehr eingeschrnkt werden. Auf der anderen Seite muß dem Mandanten aber klar gemacht werden, daß auch der im geruschlos-schriftlichen Verfahren ergangene Strafbefehl in jeder Hinsicht die Wirkung eines rechtskrftigen Urteils hat, z. B. Bewhrungsauflagen bei Freiheitsstrafe, Eintragung im Bundeszentralregister (ggfs. mit echtem Vorstrafencharakter), disziplinarrechtliche oder berufsrechtliche Folgen957, evtl. auch zivilrechtliche oder arbeitsrechtliche Konsequenzen usw. Der Realittssinn mancher Klienten fr die negativen Folgen der Bestrafung ist wegen des vergleichsweise „soften“ Verfahrensablaufs erfahrungsgemß gemindert.

1071

Der Verteidiger kann auch dem Beschuldigten empfehlen, nach Ablauf der Einspruchsfrist dem Gericht eine Erklrung zuzuleiten, mit der die strafbare Handlung (evtl. unter Darlegung der Grnde) bestritten wird und fr die Unterwerfung ausschließlich der Opportunitt zugeordnete Erwgungen dargelegt werden, z. B. die gesundheitlichen oder beruflichen Folgen einer (lang andauernden) Hauptverhandlung, die Vermeidung von Schaden fr Familie oder Arbeitgeber (Unternehmen, Behrde) durch die (Medien-) ffentlichkeit der Verhandlung. Es kann auch eine lapidare Erklrung des Inhalts in Betracht kommen, daß von einem Einspruch „aus Grnden, die außerhalb des Verfahrens liegen“, abgesehen werde, worin irgendeine Art von „Schuldanerkenntnis“ nicht zu sehen sei, oder daß der vertretene Rechtsstandpunkt aufrechterhalten bleibe. Von einer Erklrung dieser Art kann er auch gegenber anderen – etwa seinem Arbeitgeber oder bei Bewerbungen – spter Gebrauch machen. Auch die Staatsanwaltschaft kann an einer Erledigung durch Strafbefehl sogar in großen Sachen interessiert sein. Gerade in solchen Fllen sieht die Staatsanwaltschaft eine Prozeßdauer von Jahren voraus (Rn. 63, 131). Man kann sie mit dem Argument beeinflussen, daß dem allgemeinen 957 Dazu wichtig OLG Nrnberg, StraFo 1997, 186 m. krit. Anm. Barton.

652

Strafbefehlsverfahren

Rn. 1072

Interesse der Justiz die schnelle Erledigung dienlicher sei als eine hhere Bestrafung nach langer Zeit. Wenn es nun zur „streitigen“ Durchfhrung eines Strafbefehlsverfahrens kommt, hat der Verteidiger einige Besonderheiten zu beachten. Er muß wissen und kann darauf hinwirken, daß der Richter den Strafbefehl ablehnen oder Termin zur Hauptverhandlung bestimmen kann, wenn er Bedenken bekommt (§ 408 Abs. 3). Ist der Strafbefehl erlassen, hat der Verteidiger nochmals Gelegenheit zur Prfung, ob die Unterwerfung nicht doch besser ist als die Durchfhrung des Verfahrens. Er muß dabei berlegen, daß die Staatsanwaltschaft gegen den Strafbefehl kein Einspruchsrecht hat und damit der Verteidiger das Verfahren allein in der Hand hat. Wird der Einspruch eingelegt, sind Staatsanwaltschaft und Gericht wieder frei. In der Hauptverhandlung vor dem Strafrichter bestimmt dieser den Umfang der Beweisaufnahme (§§ 411 Abs. 2 S. 2, 420)958. Bei der Strafzumessung ist das Gericht an seinen Strafbefehl nicht gebunden, da das Verbot der Schlechterstellung (Rn. 815) hier nicht gilt – ein auch fr die Beratung des Mandanten eminent wichtiger Punkt. Auch kann die Staatsanwaltschaft die Anklage bis zum Beginn der Verhandlung zur Sache in der Hauptverhandlung zurcknehmen, um sie unter anderen Vorzeichen (bei der Strafkammer) in wesentlich gefhrlicherer Weise zu erheben. Nach diesem Zeitpunkt bedarf sie der Zustimmung des Angeklagten. In gleicher Weise ist die Rcknahme des Einspruchs des Angeklagten nach Beginn der Hauptverhandlung nur noch mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft zulssig (§ 411 Abs. 3, § 303 S. 1), nach Beginn der Verkndung des erstinstanzlichen Urteils ist sie nicht mehr mglich. Zur Rcknahme kommt es besonders in den Fllen, in denen der Verteidiger nach Akteneinsicht oder (teilweise) durchgefhrter Beweisaufnahme dem Mandanten raten muß, das Verfahren wegen Aussichtslosigkeit nicht durchzufhren. Der Einspruch dient dann lediglich dem Zweck, die Erfolgsaussichten anhand der Akten zu prfen oder die Validitt der Beweismittel „anzutesten“. In der Hauptverhandlung kann sich der Mandant durch den Verteidiger vertreten lassen (§ 411 Abs. 2). Ist das persnliche Erscheinen des Angeklagten angeordnet (§ 236), kann bei ordnungsgemßer Vertretung der Einspruch nicht verworfen, wohlaber in Abwesenheit des Angeklagten verhandelt werden959. Der bergang zum Strafbefehl im auf einer Anklageschrift beruhenden Strafprozeß in der Hauptverhandlung ist zwar nach § 408a zulssig, jedoch an einen Antrag der Staatsanwaltschaft gebunden, ber den der Richter

958 Zu den Einzelheiten Meyer-Goßner, § 420 Rn. 9 f. 959 OLG Hamburg, NJW 1968, 1687; zust. Kper, NJW 1969, 493.

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Allgemeine Rechtsbehelfe im Verfahren

durch unanfechtbaren Beschluß entscheidet. Zu einer solchen Entwicklung wird es aber nur dann kommen, wenn sich die Sache in der Beweisaufnahme wesentlich anders darstellt als in der Anklage oder das Verfahren sich aus anderen Grnden „festfhrt“ (Rn. 326, 496 ff.). 1073

Der Strafbefehl steht nach § 410 Abs. 3 „einem rechtskrftigen Urteil gleich“. Das bedeutet, daß er nach Eintritt der formellen Rechtskraft vollstreckt werden kann und die Strafe im Bundeszentralregister eingetragen wird. Dagegen kann dieselbe Tat unter einem neuen rechtlichen Gesichtspunkt in einem anderen Verfahren nicht nochmals verfolgt werden, auch wenn sich nach dem Strafbefehl neue Tatsachen ergeben (z. B. Tod nach Krperverletzung). Damit bleibt nur die Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten und zuungunsten des Verurteilten brig (§ 373a).

VIII. Allgemeine Rechtsbehelfe im Verfahren In diesem Kapitelwerden in allgemeiner Form bestimmte Rechtsbehelfe errtert, deren sich der Verteidiger bei verschiedenen Anlssen zu bedienen hat. Im Handbuch sind diese Flle im einzelnen jeweils unter Hinweis auf die hier folgende allgemeine Darstellung der Rechtsbehelfe angegeben. 1. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Asper, Zur Zustndigkeit fr die Entscheidung ber eine Wiedereinsetzungsantrag nach Versumen der Beschwerdefrist von StPO § 172 Abs. 1, NStZ 1991, 146; Dahs, Die Wiedereinsetzung im Strafprozeß in der Krise, AnwBl. 1973, 331; Dittmar, Das Verschulden des Angeklagten und des Verteidigers bei der Wiedereinsetzung im Strafprozeß, MDR 1975, 270; Michalke, Beck'sches Formularbuch, 3. Aufl., 1998, S. 536 ff.; Saenger, Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Strafverfahren, JuS 1991, 842; G. Schfer, Die Praxis des Strafverfahrens, 6. Aufl., 2001, 70 ff.; Schmid, Wiedereinsetzung nach § 44 StPO bei Verschulden eines Dritten, der nicht Rechtsanwalt ist, NJW 1976, 941; Schmidt, H. W., Verschulden des Vertreters des Privat-Nebenklgers und des Antragstellers nach § 172 Abs. 2, 3 StPO als unabwendbarer Zufall?, MDR 1963, 638; Sieg, Zum Verschulden einer Sumnis bei zu niedrig eingeplanter Zeitreserve fr die Anfahrt zu Gericht, StV 1994, 113; Ventzke, Zur Rechtzeitigkeit der Revisionsbegrndung in Strafsachen und zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei versumter Begrndungsfrist, StV 1997, 227; Wendisch, Zu strafprozessualen Fragen, insbesondere der Wiedereinsetzung, der Rechtzeitigkeit der Revisionsbegrndung und der Unterschrift beim Erffnungsbeschluß, JR 1992, 350.

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Selbst der gewissenhafteste Verteidiger ist gegen Fristversumnisse nicht geschtzt. Eigene Unachtsamkeit und Fehler des Personals knnen unan654

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

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genehme Situationen herbeifhren. Das Vertrauensverhltnis zum Mandanten wird gestrt. Er erleidet Nachteile, die hufig nicht wiedergutzumachen sind. Daß eventuell Regreßansprche auf den Verteidiger zukommen und daß sein Ruf leidet, darf ebenfalls nicht bersehen werden. Aus diesen Grnden ist genaue Fristenkontrolle unerlßlich (Rn. 791). Hat sie versagt oder wird der Verteidiger erst nach Versumung einer Frist beauftragt, so muß unverzglich gehandelt werden. Der „Nothelfer“, die Wiedereinsetzung, ist nicht nur an die kurze Wochenfrist gebunden (§ 45). Oft bleibt dem Verteidiger nicht einmal diese knappe Spanne Zeit, weil der Mandant erst in letzter Minute erscheint und die Wiedereinsetzungsfrist bereits luft. Der Verteidiger erleichtert sich die Aufgabe, wenn er ein gewisses Schema zugrundelegt. Je nach Arbeitsstil und Broorganisation wird er es erproben und abwandeln. In der Regel sind folgende Fragen zu lsen: Ist gegen die versumte Frist Wiedereinsetzung berhaupt zulssig? Was ist der Grund der Versumnis? Reicht er nach Gesetz und Rechtsprechung zur Wiedereinsetzung aus? Wie ist der Grund glaubhaft zu machen? Und schließlich sind Frist und Form des Wiedereinsetzungsgesuches einzuhalten und die versumte Prozeßhandlung nachzuholen. In dieser Reihenfolge sollen hier die praktischen Probleme der Wiedereinsetzung behandelt werden. Der Verteidiger wird im Zweifelsfall auch stets die Rechtsprechung prfen mssen. Hauptanwendungsfall ist die Versumnis einer gesetzlichen Frist, insbesondere der Rechtsmittelfristen einschließlich der Revisionsbegrndungsfrist und der Einspruchsfrist gegen Strafbefehle und Bußgeldbescheide. Auch gegen die Versumung der Hauptverhandlung kann unter Umstnden mit Erfolg Wiedereinsetzung beantragt werden (§§ 235, 329 Abs. 3). Außerdem muß der Verteidiger wissen, daß absolute Ausschlußfristen der Wiedereinsetzung nicht unterliegen, so nicht die Fristen fr Strafantrag, Verjhrung960 und Verfassungsbeschwerde. Schließlich kann auch gegen die Frist zur Anbringung des Antrages nach §§ 44, 45 die Wiedereinsetzung gewhrt werden. Die Frage nach dem Grund der Fristversumnis betrifft zunchst den Sachverhalt. Der Verteidiger hat festzustellen, warum die Frist nicht eingehalten worden ist. Im eigenen Bereich sind die Handakten und der Fristenkalender zu prfen, dazu der Zeitpunkt der Aktenvorlage, der Bearbeitung und des Abgangs des die Frist wahrenden Schriftstcks sowie dessen Eingang beim zustndigen Gericht. Schwieriger wird es, wenn der Verteidiger bisher in der Sache nicht vertreten hat. Wie die Erfahrung 960 Meyer-Goßner, Vor § 42 Rn. 5.

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Allgemeine Rechtsbehelfe im Verfahren

beweist, sind die Angaben der Mandanten nicht immer zuverlssig. Vor allem knnen sie den Zustellungstag oft nicht genau mitteilen. Dann muß sich der Verteidiger an das Gericht wenden, notfalls telefonisch. Ggfs. ist mit dem Kollegen Verbindung aufzunehmen, der bisher ttig war. Kennt man den Grund der Fristversumnis, so ist zu prfen, ob er zur Wiedereinsetzung ausreicht oder, wie das Gesetz sagt, die Frist ohne Verschulden nicht eingehalten werden konnte (§ 44). Hierzu gibt es eine reichhaltige Rechtsprechung. Die Chance der Verteidigung liegt oft auch darin, einen zweifelsfreien Wiedereinsetzungsgrund aufzuspren, an den bisher keiner der Beteiligten gedacht hat. Am besten beginnt man mit der Rechtsmittelbelehrung. Fehlt sie, obwohl vorgeschrieben, so ist die Wiedereinsetzung kraft Gesetzes zu gewhren (§ 44 S. 2). Bei unrichtiger oder unvollstndiger Belehrung wird die Wiedereinsetzung im allgemeinen ebenfalls bewilligt961. Auch anderes amtliches Verschulden erffnet die Wiedereinsetzung, z. B. Fehler der Post bei der Zustellung962 ebenso Fristversumnisse, die auf einer Verzgerung der Briefbefrderung durch die Post beruhen963. Wichtig ist es sodann, den Fristbeginn zu ermitteln, vor allem bei nicht verkndeten Entscheidungen und bei Urteilszustellungen, die Begrndungsfristen in Lauf zu setzen. Hierzu muß der Verteidiger beachten, daß frmliche Zustellung notwendig ist (Rn. 821) sowie Unterrichtung des „anderen Beteiligten“, dem nicht zugestellt wird (§ 145a Abs. 3). Wird z. B. der Verteidiger von der Zustellung eines Urteils an den Mandanten nicht benachrichtigt, so ist die Wiedereinsetzung zu gewhren964. 1076

Ferner hat der Verteidiger zu prfen, ob ein (Mit-)Verschulden des Mandanten die Wiedereinsetzung ausschließt965. Das typische und leider hufige Beispiel ist der Betroffene, der sich um nichts kmmert und zu spt einen Anwalt aufsucht. Er wird sich nicht darauf berufen knnen, er habe die ihm nach Lage des Falles gerechterweise zuzumutende Sorgfalt angewandt966. In solchen Fllen ist Vorsicht am Platze. Der Verteidiger hat einerseits tatkrftig zu helfen, wenn die Fristversumnis wirklich unver-

961 962 963 964

Meyer-Goßner, § 44 Rn. 23. Meyer-Goßner, § 44 Rn. 16. BVerfGE 62, 334; Meyer-Goßner, § 44 Rn. 16. Meyer-Goßner, § 44 Rn. 17; a. A. OLG Dsseldorf, NStZ 1996, 320; OLG Frankfurt, NJW 1982, 1297 nur unter der Voraussetzung, daß Angeklagter seinen Verteidiger mit der Einlegung eines Rechtsmittels in jedem Fall beauftragt hatte; ansonsten soll den Angeklagten eine eigene Pflicht zur Fristberwachung treffen. 965 BGHSt. 25, 89, 93; BGHSt. 14, 306, 308; BGH, NStZ 1997, 560. 966 Lwe/Rosenberg/Wendisch[25], § 44 Rn. 20 ff.

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Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

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schuldet ist. Anderseits darf er sich fr faule Ausreden nicht vorspannen lassen. Besonders hufig werden Fristen whrend der Urlaubszeit versumt. In der Regelgehen Fristversumnisse, die whrend der Urlaubszeit auftreten, nicht zu Lasten des Betroffenen967. Dies gilt auch bei verzgerlicher Postbefrderung968. Anders als im Zivilprozeß steht freilich Verschulden des Verteidigers der Wiedereinsetzung nicht entgegen. Jedenfalls kann es dem Angeklagten nicht angelastet werden969, whrend andere Betroffene teilweise schlechter gestellt werden, z. B. Privatklger und Nebenklger970 (Rn. 1024 ff.), jedoch nicht im Bußgeldverfahren, in dem der Beschuldigte fr Verschulden des Verteidigers nicht einzustehen hat971. Ein Verschulden des Verteidigers schließt die Wiedereinsetzung dann aus, wenn zugleich auch den Mandanten ein Verschulden an der Versumung der Frist trifft972.

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Im Kostenverfahren973 soll dagegen das Verschulden des Verteidigers und seines Personals zu Lasten des Mandanten gehen, anders im Verfahren nach dem StrEG974 (Rn. 367). Der nchste Schritt des Verteidigers betrifft die Glaubhaftmachung des Wiedereinsetzungsgrundes (§ 45 Abs. 2). Sie ist einfach, wenn sich der Grund aus Urkunden ergibt, z. B. aus Zustellungsnachweisen oder aus einem Hauptverhandlungsprotokoll, das nichts ber die Rechtsmittelbelehrung enthlt. Hierzu ist allerdings Akteneinsicht erforderlich, damit die Aktenstellen in dem Gesuch genau bezeichnet werden knnen. Im brigen muß der Verteidiger auf die einzelnen Wiedereinsetzungsgrnde abstellen. Geeignet zur Glaubhaftmachung sind z. B. dienstliche ußerungen der beteiligten Richter oder Beamten, auf die man sich berufen kann, ohne sie mit dem Gesuch vorlegen zu mssen. Ebenso gengt eine Erklrung des Verteidigers ohne eidesstattliche Versicherung, wenn und soweit es sich um eigene Unterlassungen oder eigene Wahrnehmungen handelt. Es ist selbstverstndlich, daß man sich hierbei grßter Objektivitt zu befleißigen hat, obwohl es in der menschlichen Natur liegt, eigene Fehler zu verdecken. Der Verteidiger untersteht dem Gebot der Wahrheit und dem Verbot der Lge (Rn. 43). Nur wegen dieser Berufspflichten wird 967 BVerfG, NJW 1993, 847; BVerfGE 34, 154; Lwe/Rosenberg/Wendisch[25], § 44 Rn. 31. 968 BGH, GA 1994, 75; BGH, AnwBl. 1982, 108. 969 BGHSt. 14, 308, 332; BVerfG, NJW 1994, 1856. 970 Meyer-Goßner, § 44 Rn. 19; Lwe/Rosenberg/Wendisch[25], § 44 Rn. 55–61. 971 Vgl. BVerfG, NJW 1994, 1856; Ghler, § 52 OWiG Rn. 13. 972 BGH, NStZ 1995, 352; BGHSt. 25, 89. 973 BGHSt. 26, 126. 974 Meyer-Goßner, § 10 StrEG Rn. 5.

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Allgemeine Rechtsbehelfe im Verfahren

seine einfache Erklrung als ausreichend anerkannt. Ob die Richtigkeit der Angaben anwaltlich versichert werden muß975, erscheint mindestens fraglich. Man kann verlangen, daß der Erklrung eines Rechtsanwalts geglaubt wird, wie ja auch dienstliche ußerungen von Richtern und Staatsanwlten solche Klauseln nicht zu enthalten pflegen. Eine Erklrung des Verteidigers gengt auch, wenn der Mandant infolge Urlaubs whrend der allgemeinen Ferienzeit die Frist versumt hat976. In anderen Fllen kommt nur die eidesstattliche Versicherung dritter Personen, evtl. auch des Mandanten in Betracht, das hufigste Mittel der Glaubhaftmachung. Meist wird der Verteidiger die Erklrung selbst formulieren. Dagegen bestehen keine grundstzlichen Bedenken. Jedoch muß sehr gewissenhaft vorgegangen werden, damit nicht der Verdacht aufkommt, der Verteidiger habe an einer falschen eidesstattlichen Versicherung mitgewirkt. Man darf dem Erklrenden nichts in den Mund legen. Der Sachverhalt ist genau wiederzugeben. Das ist vor allem zu beherzigen, wenn eidesstattliche Versicherungen des eigenen Personals vorgelegt werden. Gerichte und Staatsanwaltschaften nehmen solche Angaben besonders unter die Lupe. Allzuleicht schleichen sich „Frbungen“ ein, weil jeder Beteiligte bemht ist, seine Fehler wiedergutzumachen. Im brigen muß sich der Verteidiger vergewissern, ob das zustndige Gericht die eidesstattliche Versicherung des Betroffenen als Antragsteller zulßt, eine fast einhellig verneinte Frage977. Mglichst sollten Erklrungen Dritter beigebracht werden. Die Frage des (Mit-)Verschuldens des Mandanten muß im Wiedereinsetzungsgesuch auch dann behandelt werden, wenn das primre Verschulden an der Versumung der Frist an anderer Stelle liegt. 1079

Der Verteidiger muß schließlich die Wochenfrist fr die Wiedereinsetzung einhalten, die mit der Beseitigung des Hindernisses zu laufen beginnt (§ 45). Hierbei wird oft bersehen, daß es nicht darauf ankommt, wann der Verteidiger von der Fristversumnis erfhrt. Maßgebend ist, wann der Mandant Kenntnis erhlt978. Die Zeitpunkte knnen voneinander abweichen. Der vorsichtige Verteidiger wird deshalb die Wiedereinsetzung beantragen, sobald er die Fristversumnis feststellt. Man darf auch nicht vergessen, daß Wiedereinsetzung gegen die Versumung der Wiedereinsetzungsfrist statthaft ist, wenn die Voraussetzungen vorliegen979. 975 976 977 978 979

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So OLG Kln, NJW 1964, 1038. BVerfG, NJW 1974, 1902. Vgl. die Darstellung bei Meyer-Goßner, § 45 Rn. 9. Meyer-Goßner, § 45 Rn. 3; BayObLG, NJW 1957, 192. Meyer-Goßner, § 45 Rn. 3; OLG Dsseldorf, NJW 1982, 60.

Anrufung des Oberlandesgerichts nach §§ 23 ff. EGGVG

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Form und Inhalt des Wiedereinsetzungsantrags richten sich nach dem Einzelfall (zur Zustndigkeit § 46 Abs. 1). Zweckmßigerweise wird das Gesuch so aufgebaut, daß vorweg beantragt wird, Wiedereinsetzung gegen die bestimmt zu bezeichnende versumte Frist oder Prozeßhandlung zu gewhren. Dann folgt am besten die Nachholung der versumten Prozeßhandlung (§ 45 Abs. 2), was sonst leicht vergessen wird. Bedarf die Prozeßhandlung nherer Ausfhrungen, etwa die Revisionsbegrndung, so ist es meist richtig, sie in einen getrennten, jedoch gleichzeitig einzureichenden Schriftsatz aufzunehmen und im Wiedereinsetzungsgesuch darauf zu verweisen. Danach sind die Versumnisgrnde auseinanderzusetzen und ihre Glaubhaftmachung darzutun. Auf beigefgte Urkunden kann Bezug genommen werden, z. B. auf eidesstattliche Versicherungen. Der sachliche Inhalt des Gesuchs wird vom Einzelfall bestimmt980. Es gilt die Erfahrung: Je genauer der Verteidiger den Sachverhalt darstellt und belegt, desto eher ist mit der Wiedereinsetzung zu rechnen.

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Zum Sonderproblem der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zum Nachholen einzelner Verfahrensrgen im Revisionsverfahren vgl. Rn. 895, 907.

Wie die Praxis beweist, wird hufig bersehen, Vollstreckungsaufschub zu beantragen (§ 47 Abs. 2). Da das Wiedereinsetzungsgesuch die Vollstreckung nicht hemmt, muß der Verteidiger alles tun, um Nachteile fr den Mandanten zu vermeiden. 2. Anrufung des Oberlandesgerichts nach §§ 23 ff. EGGVG Beck'sches Formularbuch/Michalke/Hamm, 4. Aufl., 2002 , S. 608 ff.; Bungert, Aus der Rechtsprechung zum Strafvollzugsgesetz, NStZ 1994, 376; Heinrich, Die gerichtliche Nachprfbarkeit von Entscheidungen der Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit der Anklageerhebung, NStZ 1996, 110; Mehle/Hiebl, Zum Rechtsmittel gegen die Verweigerung der Akteneinsicht des Verteidigers und zum Umfang der von StPO § 147 Abs. 3 erfaßten Vernehmungsprotokolle, StV 1995, 571; Sommermeyer, Zur Kontrolle erledigter Anordnungen im Strafverfahren, JR 1991, 517; Sowada, Zur Abgrenzung der Zustndigkeiten von Haftanstalt und Haftrichter bei Maßnahmen zur Ausgestaltung der Untersuchungshaft, NStZ 1994, 376; Strubel u. Sprenger, Die gerichtliche Nachprfung staatsanwaltschaftlicher Verfgungen, NJW 1972, 1734; Wasmuth, Bemerkungen zum Rechtsschutz bei Klagen gegen Pressemitteilungen von Ermittlungsbehrden, NJW 1988, 1705; Welp, Zur Anfechtbarkeit der Versagung von Akteneinsicht im Ermittlungsverfahren nach EGGVG § 23, StV 1989, 194.

Nach aller Erfahrung wissen viele Verteidiger die Mglichkeiten nicht auszunutzen, die in diesem besonderen Rechtsbehelf stecken. Das Verfahren ist an abgelegener Stelle geregelt und vielleicht deshalb weitgehend 980 Muster bei Michalke, Beck'sches Formularbuch, S. 584 ff.

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Allgemeine Rechtsbehelfe im Verfahren

unbekannt. Der Rechtsbehelf hat fr den Bereich der Strafrechtspflege grßere Bedeutung als gemeinhin angenommen wird. Praktisch kann die Verteidigung in fast jedem Abschnitt eines Strafverfahrens vor der Frage stehen, ob ein Antrag nach §§ 23 ff. EGGVG, fr den der Strafsenat des Oberlandesgerichts zustndig ist, zulssig oder angebracht ist. Allerdings ist dieser Rechtsbehelf auch keine „Allzweckwaffe“. 1082

Zunchst muß sich der Verteidiger ber die Zulssigkeit des Antrags klar sein, insbesondere darber, daß es sich um den Rechtsschutz nur gegen Justizverwaltungsakte handelt. Was darunter im Rahmen der Strafrechtspflege zu verstehen ist, wird nicht einheitlich beantwortet. Sicher scheiden Rechtsprechungakte aus, desgleichen smtliche richterlichen Maßnahmen im Erffnungs- und Hauptverfahren. Der Antrag wird aber nicht fr zulssig gehalten gegenber der Ermittlungsttigkeit der Staatsanwaltschaft981 (Rn. 207), wohl aber gegen einen Vorfhrungsbefehl der Staatsanwaltschaft, der zur Vollstreckung eines Beschlusses nach § 81a StGB dient982, nicht jedoch bei Ablehnung der Ersetzung eines Staatsanwalts wegen Besorgnis der Befangenheit983 (Rn. 207). Auch gegen polizeiliche Maßnahmen innerhalb eines Ermittlungsverfahrens (Rn. 173) lassen die Strafsenate den Antrag nicht ohne weiteres zu, desgleichen nicht bei Einstellungsverfgungen der Staatsanwaltschaft984 (Rn. 328 f.) und Bejahung des ffentlichen Interesses985 (Rn. 423). Nicht zugelassen wird der Antrag gegen die Zurckweisung eines Zeugenbeistandes (Rn. 1150 ff.)986, gegen Beschrnkungen bei Verteidigerbesuchen bei Untersuchungsgefangenen; hier gilt stets § 119 Abs. 6 StPO987. Umstritten ist die Zulssigkeit eines Antrages auf Gewhrung der von der Staatsanwaltschaft nach § 147 Abs. 2, 5 verweigerten Einsicht in die Ermittlungsakten (Rn. 264)988. Selbst in Auslieferungssachen989 und in Gnadensachen990 (Rn. 1138) wird der besondere Rechtsbehelf versagt. Die Ablehnung der Gewhrung der Akteneinsicht an Dritte991 richtet sich heute nach § 478 Abs. 3. 981 BVerfG, NJW 1985, 1019; OLG Karlsruhe, NJW 1965, 1545. 982 BayVerfGH, NJW 1969, 229; ebenso Genzel, NJW 1969, 1562. 983 Str., OLG Frankfurt, NStZ-RR 1999, 81; OLG Hamm, NJW 1969, 808; MeyerGoßner, § 23 EGGVG Rn. 15. 984 OLG Hamm, NStZ 1983, 38. 985 BGHSt. 16, 225. 986 OLG Hamburg, NStZ 1984, 566. 987 KG, GA 1977, 148. 988 Meyer-Goßner, § 147 Rn. 39 m. N. 989 OLG Hamburg, GA 1985, 325; OLG Stuttgart, StV 1990, 123. 990 Vgl. i. e. Meyer-Goßner, § 23 EGGVG Rn. 17. 991 Meyer-Goßner, § 23 EGGVG Rn. 15.

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Anrufung des Oberlandesgerichts nach §§ 23 ff. EGGVG

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berwiegend zugelassen wird der Antrag vor allem gegen die Verweigerung der Einsicht in Spurenaktent992 sowie fr die Akteneinsicht außerhalb eines bestimmten Strafverfahrens993 (Rn. 269), z. B. fr Versicherungsgesellschaften994 (Rn. 282), nach Abschluß des Verfahrens995, etwa zur Vorbereitung eines Wiederaufnahmeantrages996. Bedeutung kann der Antrag an den Strafsenat auch gewinnen im Rahmen der Untersuchungshaft, soweit nicht § 119 Abs. 6 S. 1 eingreift997 (Rn. 358 ff., 364). Der Strafsenat kann nicht angerufen werden, wenn andere Rechtsbehelfe, auch solche des Zivilrechtswegs, gegeben sind. Es gilt der Grundsatz der Subsidiaritt (§ 23 Abs. 3 EGGVG). Endlich hat der Verteidiger daran zu denken, daß in vielen Fllen das sog. Vorschaltverfahren durchgefhrt werden muß, ehe der Antrag an das OLG gestellt wird (§ 24 Abs. 2 EGGVG); dazu gehren nicht die Dienstaufsichtsbeschwerde (Rn. 1086) und die Gegenvorstellung (Rn. 1094), ebenso die Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen in Gnadensachen, soweit sie berhaupt als Justizverwaltungsakte angesehen werden998 (Rn. 1082). Da aber auch hier noch manche Frage ungeklrt ist, wird der vorsichtige Verteidiger beide Wege gehen, nmlich den vorgeschriebenen frmlichen Rechtsbehelf einlegen und den Antrag an das Oberlandesgericht einreichen. Er kommt sonst leicht mit der Frist von einem Monat in Schwierigkeiten, die fr den Antrag nach § 23 EGGVG einzuhalten ist (§ 26 Abs. 1 EGGVG). Sie beginnt mit der Zustellung oder Bekanntgabe des Justizverwaltungsaktes zu laufen. Hlt der zustndige Strafsenat das Vorschaltverfahren nicht fr notwendig, so kann er die Frist als versumt betrachten. Allerdings ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand denkbar, die fr dieses Verfahren besonders geregelt ist (§ 26 Abs. 3 EGGVG), aber z. B. bei unterbliebener Rechtsmittelbelehrung nicht berall gewhrt wird999.

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Bevor der Verteidiger gerichtliche Entscheidung beantragt, muß er den Umfang der Nachprfung kennen. Der Strafsenat hat nicht nur die Rechtsfragen, sondern auch die tatschlichen Feststellungen der angefochtenen Entscheidung zu prfen, ein Grundsatz, der oft bersehen wird, weil die Strafsenate, abgesehen von den Staatsschutzsachen, sonst nur Revisionsge-

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992 993 994 995 996 997 998 999

BVerfGE 63, 45. KG, NStZ 1993, 403. OLG Karlsruhe, AnwBl. 1962, 224. OLG Bremen, NJW 1964, 2175; OLG Bamberg, JVBl. 1965, 142. OLG Bremen, NJW 1964, 123. Vgl. i. e. Meyer-Goßner, § 23 EGGVG Rn. 18. Zweifelhaft, vgl. Meyer-Goßner, § 23 EGGVG Rn. 17. Bejahend OLG Hamburg, JVBl. 1962, 18; verneinend OLG Dsseldorf, NJW 1965, 24.

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Allgemeine Rechtsbehelfe im Verfahren

richte sind. Im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG sind sie auch Tatsacheninstanz1000. Aus diesem Grunde ist es z. B. nicht ausgeschlossen und sogar geboten, mit dem Gesuch Beweisantrge zu verknpfen. In welcher Weise freilich der Senat Beweise erhebt, soll nach § 29 Abs. 2 EGGVG i. V. m. § 308 Abs. 2 seinem pflichtgemßen Ermessen obliegen1001. 1085

Aufbau und Inhalt des Gesuches hngen vom Einzelfall ab1002. Es empfiehlt sich, vorweg die Zulssigkeit des Antrags darzulegen, die meist problematisch sein wird (Rn. 1082). Wie bei allen schriftlichen Verfahren kommt es darauf an, das Gericht durch bersichtlichen Aufbau und klare Sachdarstellung zu berzeugen (Rn. 855). 3. Dienstaufsichtsbeschwerde Meyer-Goßner, Vor § 296 Rn. 22; Lwe/Rosenberg/Hanack[25], Vor § 296 Rn. 88 f.

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So unbekannt das Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG (Rn. 1081 ff.) zu sein scheint, so bekannt ist die Dienstaufsichtsbeschwerde. Von manchen Verteidigern wird sie als „Allheilmittel“ in jeder Verfahrenslage angesehen, von anderen hingegen berhaupt nicht eingesetzt. Die Erfahrung lehrt, daß der richtige Weg in der Mitte zu finden ist. Es muß davor gewarnt werden, diesen besonderen Rechtsbehelf ber die Maßen zu strapazieren. Ein altes Juristenwort nennt die Dienstaufsichtsbeschwerden formlos, fristlos, fruchtlos (Die drei „f“). Das liegt am Beharrungsvermgen der Justiz, dem man auch sonst fter begegnet. Der Verteidiger sollte auch davon absehen, mit allzu hufigen Dienstaufsichtsbeschwerden Anstoß zu erregen. Das schadet dem Mandanten im Einzelfall und verbaut außerdem dem Verteidiger meist die Gelegenheit zu vertraulichen Gesprchen, einem wichtigen Mittel zur sachgerechten Fhrung der Verteidigung (Rn. 178). Vorsichtig und geschickt benutzt hingegen bietet die Dienstaufsichtsbeschwerde gute Mglichkeiten.

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Außer der eigentlichen Dienstaufsichtsbeschwerde gibt es praktisch auch noch andere Mglichkeiten der Beschwerdefhrung. In einem Strafkammerfall hatte der Vorsitzende seine Voreingenommenheit gegen den Angeklagten in der Hauptverhandlung in deutlichster Form zu erkennen gegeben und zugleich auch die Prozeßordnung vielfach verletzt. Der Verteidiger hatte zu Beginn eines neuen Verhandlungstages ums Wort gebeten und in aller Offenheit und ffentlichkeit das Verhalten des Vorsitzenden 1000 BGHSt. 24, 290; BVerfG, NJW 1967, 923. 1001 Meyer-Goßner, § 308 Rn. 6. 1002 Muster bei Beck'sches Formularbuch/Michalke/Hamm, 4. Aufl., 2002, S. 608 ff.

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Dienstaufsichtsbeschwerde

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in den einzelnen Punkten beanstandet und um eine nderung der Verhandlungsfhrung ersucht. Von da an verlief die Verhandlung ordnungsmßig. In einem anderen Falle hat der Verteidiger den Prsidenten des Landgerichts ber die unertrgliche Verhandlungsfhrung des Vorsitzenden unterrichtet und ihn gebeten, an der Hauptverhandlung als Zuhrer teilzunehmen. Das geschah und fhrte zu einer Aussprache zwischen allen Beteiligten und zu einer vollstndigen Entschrfung des weiteren Verfahrens. Die beiden Flle zeigen, daß man auf Wegen, die in der Prozeßordnung nicht beschrieben sind, unter Umstnden sehr viel weiter kommen kann als durch die Anwendung besonders vorgesehener Rechtsbehelfe. Richterliche Anordnungen unterliegen der Dienstaufsichtsbeschwerde, wenn sie den Verteidiger herabsetzen (Rn. 197). Unter Umstnden ist es geboten, diesen Rechtsbehelf einzusetzen neben oder statt der Richterablehnung (Rn. 198 ff.) oder der Strafanzeige (Rn. 209). Gegen den sachlichen Inhalt des richterlichen Dienstgeschftes ist die Dienstaufsichtsbeschwerde nicht statthaft, wohl aber gegen dessen ußerliche Erledigung (§ 26 Abs. 2 DRiG).

1088

Es darf dem Verteidiger nicht unterlaufen, eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Sachentscheidung und deren Begrndung als solche anzubringen. Die Unabhngigkeit der Richter bedeutet die absolute Sicherung gegen Maßnahmen der Justizverwaltung im Wege der Dienstaufsicht, die sich auf die Sachentscheidung als solche beziehen. Sie knnen nur im Rechtsmittelverfahren angefochten werden. Daran scheitern zahlreiche Dienstaufsichtsbeschwerden von Prozeßbeteiligten. Dem Verteidiger sollte kein solcher Mißgriff passieren, auch wenn er die richterliche Sachentscheidung als ganz unrichtig und unverantwortlich ansieht. Die hauptschliche Bedeutung der Dienstaufsichtsbeschwerde liegt bei den staatsanwaltschaftlichen Anordnungen. Hier kann sich der Rechtsbehelf wegen der Weisungsgebundenheit (§ 146 GVG) sowohl gegen den sachlichen Inhalt als auch die ußerliche Erledigung des Dienstgeschftes richten. Die einzelnen Flle der Dienstaufsichtsbeschwerde sind im Handbuch jeweils an den zustndigen Stellen genannt. Der Verteidiger muß jede nachteilige Maßnahme des Staatsanwalts daraufhin prfen, ob ein besonderer Rechtsbehelf ntig ist oder nur eine Dienstaufsichtsbeschwerde in Betracht kommt. Das ist insbesondere auch dort der Fall, wo die Anrufung des Oberlandesgerichts nach §§ 23 ff. EGGVG nicht zulssig ist (Rn. 1082).

1089

Oft wird bersehen, daß die Dienstaufsichtsbeschwerde auch gegen polizeiliche Maßnahmen eingelegt werden kann. Der Verteidiger braucht

1090

663

Rn. 1091

Allgemeine Rechtsbehelfe im Verfahren

nicht zu warten, bis die Polizei die Akten an die Staatsanwaltschaft abgegeben hat. Schon vorher kann er Beschwerde einlegen. Darber entscheidet die Staatsanwaltschaft, sofern die Polizeibeamten als Ermittlungspersonen ttig geworden sind, sonst der polizeiliche Dienstvorgesetzte1003. So kann dieser Rechtsbehelf geboten sein bei unwrdiger Behandlung des Beschuldigten, unzulssigem Druck o. . Vielfach ist er ein wirksames Mittel, um die Polizei zur gesetzmßigen Ausbung ihrer Befugnisse anzuhalten, auch wenn der Rechtsbehelf in der Sache selbst erfolglos bleibt. 1091

Eine besondere Rolle spielt die Dienstaufsichtsbeschwerde beim Vollzug der Untersuchungshaft. Maßnahmen der Anstaltsleitung, die das erlaubte Maß des Freiheitsentzugs betreffen, unterstehen der Dienstaufsicht des Richters (UVollzO Nr. 75 Abs. 1), sonst der vorgesetzten Vollzugsbehrde (UVollzO Nr. 75, Abs. 2; Rn. 306, 333). Auch in Vollstreckungssachen kann die Dienstaufsichtsbeschwerde notwendig sein, um Maßnahmen der Vollstreckungsbehrden anzugreifen. Sie ist dann neben oder statt der Anrufung des Gerichts sowie neben der Beschwerde zulssig (§ 108 StVollzG).

1092

Der praktische Erfolg der Dienstaufsichtsbeschwerde hngt wesentlich davon ab, an welche Stelle sie adressiert wird. So ist zu berlegen, ob man die Beschwerde unmittelbar bei der Behrde einreicht, die darber zu entscheiden hat, und dem „Betroffenen“ lediglich eine Abschrift zuleitet. Dieses Verfahren wird im allgemeinen zweckmßig sein, wenn polizeiliche Maßnahmen beanstandet werden (Rn. 1090). Die beim Staatsanwalt direkt eingelegte Beschwerde wirkt hier oft Wunder. Mindestens zwingt sie den Staatsanwalt, die polizeiliche Anordnung zu prfen und seine Befugnisse als „Herr des Ermittlungsverfahrens“ geltend zu machen. Ehe der Verteidiger eine Dienstaufsichtsbeschwerde einlegt, sollte er jeweils berlegen, ob nicht mit dem Betroffenen sachlich ber die zu rgende Pflichtverletzung zu reden ist. Dies hngt natrlich vom Gesprchspartner ab. Oft kann man aber so erreichen, daß der „Fall“ aus der Welt geschafft wird.

1093

Auf den Inhalt einer Dienstaufsichtsbeschwerde hat der Verteidiger besondere Sorgfalt zu verwenden. Bei diesem heiklen Rechtsbehelf ist es dringend erforderlich, nchtern zu formulieren. Untertreibungen in der Form sind besser als berspitzungen. Man muß davon ausgehen, daß auf Dienstaufsichtsbeschwerden empfindlich reagiert wird und deshalb jedes Fehlgreifen im Ausdruck dem Verteidiger angekreidet wird, auch wenn die Beanstandung sachlich noch so berechtigt ist. Wird der Verteidiger 1003 Meyer-Goßner, § 152 GVG Rn. 8; § 163 Rn. 50.

664

Gegenvorstellung

Rn. 1094

durch die zu rgende Maßnahme nicht selbst betroffen, dann gibt es einen praktischen Weg, den Schwierigkeiten auszuweichen: Man kann es dem Mandanten berlassen, die Dienstaufsichtsbeschwerde im eigenen Namen einzulegen. Es bestehen keine Bedenken, eine solche Beschwerde fr den Auftraggeber aufzusetzen. Freilich ist dann der Verteidiger fr den sachlichen Inhalt und die sachliche Formulierung verantwortlich. 4. Gegenvorstellung Hohmann, Die Gegenvorstellung – „Stiefkind“ der Strafverteidigung, JR 1991, 10; Meyer-Goßner, 47. Aufl., Vor § 296 Rn. 23; Lorenz, Zur Frage des Widerrufs rechtskrftiger Beschlsse im Strafprozeß, DRiZ 1966, 375; Lwe/Rosenberg/Gollwitzer, vor § 296, 8–10; Matt, Die Gegenvorstellung im Strafverfahren, MDR 1992, 820; Werner, Strafprozessuale Gegenvorstellung und Rechtsmittelsystem, NJW 1991, 19; Woesner, Die Gegenvorstellung im Strafverfahren, NJW 1960, 2129.

Als „Stiefkind unter den Rechtsbehelfen“ wird die Gegenvorstellung oft bezeichnet. Auch vielen Verteidigern ist sie nicht sehr vertraut. Da dieser Rechtsbehelf gesetzlich kaum geregelt ist – eine Ausnahme bildet § 33a –, werden seine Mglichkeiten oft nicht erkannt oder nicht richtig ausgenutzt. Meist fehlt schon die berlegung, ob nicht anstelle der frmlichen Beschwerde (Rn. 840 ff.) oder der ohnehin problematischen Dienstaufsichtsbeschwerde (Rn. 1096 ff.) eine Gegenvorstellung besser zum Ziele fhrt. Vorweg muß sich der Verteidiger ber die Zulssigkeit der Gegenvorstellung klar sein1004. Sie ist nicht in jedem Falle statthaft. Es ist zu beachten: Richterliche Entscheidungen knnen mit diesem Rechtsbehelf nur angefochten werden, wenn das Gericht sie ndern darf. Damit sind Urteile der Gegenvorstellung ebenso entzogen wie Beschlsse, die noch mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar sind. Die Gegenvorstellung kommt danach hauptschlich fr rechtskrftige Beschlsse und Verfgungen in Betracht, insbesondere diejenigen des Bundesgerichtshofs und der Oberlandesgerichte (§ 304 Abs. 4). berhaupt muß der Verteidiger wissen, daß das Institut der Gegenvorstellung im wesentlichen aus der Frage entwickelt worden ist, ob und unter welchen Voraussetzungen rechtskrftige Entscheidungen berhaupt noch berprft werden knnen. Letzten Endes beruht der Rechtsbehelf auf den Grundstzen des rechtlichen Gehrs und des Petitionsrechts und findet darin zugleich seine Grenze1005. Dieser Ansicht folgend hat der Gesetzgeber fr einige praktisch wichtige Flle die Nachholung des rechtlichen Gehrs von Amts wegen oder auf Antrag,

1004 Meyer-Goßner, Vor § 296 Rn. 23. 1005 OLG Hamburg, NJW 1965, 212.

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1094

Rn. 1094

Allgemeine Rechtsbehelfe im Verfahren

eben die Gegenvorstellung, angeordnet, freilich immer unter der Voraussetzung, daß zum Nachteil des Betroffenen Tatsachen oder Beweisergebnisse verwertet sind, zu denen er nicht gehrt worden ist (§ 33a i. V. m. § 47; § 311 Abs. 3 S. 2; § 311a, 356a i. V. m. § 47). In jedem dieser Flle hat der Verteidiger die tatschliche Grundlage der Entscheidung zu analysieren. Er muß im einzelnen darlegen, welche nachteiligen Umstnde ohne Anhrung zum Nachteil seines Mandanten verwendet sind und wieso er noch beschwert ist (§ 33a). Hat der Antrag Erfolg, wird das Verfahren nach § 35a nach § 356a durch Beschluß in den Stand vor Erlaß der Entscheidung zurckversetzt. Diese „Rechtswohltat“ geht aber ins Leere, wenn faktische berholung eingetreten, z. B. die Akteneinsicht an den „Verletzten“ nach § 406e ohne Anhrung bereits gewhrt ist. Die Gegenvorstellung kann gegenber der Beschwerde vorteilhaft sein, weil sie nicht zur Vorlegung an das Beschwerdegericht zwingt, falls der Richter nicht anderweitig befinden will. Dabei sind der persnliche Kontakt und das Vertrauen, das der Verteidiger genießt, von ausschlaggebender Bedeutung. Nicht selten eignet sich eine sachlich vorgetragene Gegenvorstellung auch zur Anbahnung einer Verfahrensabsprache (Rn. 177 ff., 496 ff.).

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D. Vierter Hauptteil Der Verteidiger im Verfahren der Strafaussetzung zur Bewhrung, der Strafvollstreckung, der Straftilgung und im Gnadenverfahren

I. Verteidiger und Resozialisierung Beck'sches Formularbuch/Lesting/Kammeier, 4. Aufl., 2002, 775 ff.; Volckart, Die Verteidigung in der Strafvollstreckung und im Vollzug, 2. Aufl., 1998.

Mit der Rechtskraft des Urteils findet die Ttigkeit des Verteidigers meist ihr Ende, es sei denn, daß er alsbald oder spter mit einem Wiederaufnahmeverfahren befaßt ist. Das ist nicht gnstig, weil mit der Vollstreckung besonders einer Freiheitsstrafe fr den Verurteilten tief einschneidende Vernderungen einsetzen, die ihm fr sein spteres Leben zu schwerem Schaden, aber auch zum Nutzen gereichen knnen. Hier kann der Verteidiger sehr viel Gutes tun. Dem Strafvollzug ist in erster Linie die Aufgabe gestellt, die Wiedereingliederung des Verurteilten in die Gesellschaft (Resozialisierung) nach Verbßung der Strafe vorzubereiten. Der Verteidiger kennt aus dem Verfahren und seinen unter Schweigepflicht anvertrauten Ergebnissen wie kaum ein anderer die ußeren und inneren Umstnde der Strafflligkeit seines Mandanten und dessen Eigenschaften. Sein Rat, seine Erfahrung und sein Interesse sind wirksame Mittel, den Verurteilten wieder aufzurichten und ihm Hilfestellungen zu geben. Dazu kann auch der Einsatz zur Vermittlung einer Arbeitsstelle oder eines Berufs beim offenen Vollzug oder nach der Entlassung gehren. Die Gesellschaft verschließt sich trotz aller gutgemeinten Aufklrung und Ermahnungen den „Vorbestraften“, von denen sie Unheil wittert. Registereintrag und Fhrungszeugnis verbauen auch den Gutgesinnten und Hilfswrdigen den Weg zur Rckkehr in ein „normales“ Leben unter rechtstreuen Mitbrgern. Sie wenden sich von ihnen ab. Wenn aber der Verteidiger sich fr ihn einsetzt, die Umstnde der Verurteilung klarlegt und sich fr den Bestraften sogar gewissermaßen „verbrgt“, wird manches Vorurteil abgebaut und mancher Arbeitgeber bewogen werden knnen, dem Verurteilten eine Chance zu geben. Dabei ist darauf hinzuwirken, daß seine Verurteilung unter seinen Arbeitskollegen nicht bekannt wird. Besonders auch im Zusammenwirken mit den verschiedenen Organisationen der Bewhrungshilfe, Entlassenenfrsorge und Sozialarbeit kann manches geschehen, wie auch bei der Entscheidung ber eine Aussetzung des Strafrestes (Rn. 1104) und ein Gnadengesuch das Votum eines vertrauenswrdigen 667

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Rn. 1096

Strafaussetzung zur Bewhrung, Strafvollstreckung und -tilgung

Anwalts Bedeutung haben wird. Die Befassung mit diesen Aufgaben ist sehr viel gewichtiger als die Kenntnis und Sicherung der rechtlichen Mglichkeiten, die allerdings dabei nicht vernachlssigt werden drfen.

II. Strafaussetzung zur Bewhrung und Aussetzung des Strafrestes 1. Allgemeines; Voraussetzungen der Strafaussetzung Adams/Gerhardt, Die Bercksichtigung der Behandlungsbedrftigkeit von Drogenabhngigen im Rahmen des Ermittlungs-, Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahrens, NStZ 1981, 241; Detter, Versumnisse in der Strafzumessungsverteidigung, StraFo 1997, 193; Maiwald, Die Verteidigung der Rechtsordnung – Analyse eines Begriffs, GA 1983, 49; Moltekin, Zu den Voraussetzungen der Versagung einer Strafaussetzung trotz positiver Verhaltensprognose zur Verteidigung der Rechtsordnung, NStZ 1991, 284; Mller-Dietz, Probleme der Sozialprognose, NJW 1973, 1065; Schreiber, Besondere Umstnde in der Tat und in der Persnlichkeit des Verurteilten, FS Schaffstein (1975), S. 275 ff.; Terhorst, Bewhrungsprognosen und der Grundsatz „in dubio pro reo“, MDR 1978, 973.

1096

Die Strafaussetzung zur Bewhrung ist fr den Mandanten des Verteidigers eine der wichtigsten Fragen und nimmt in der Beratung einen breiten Raum ein. Wer mit einer Freiheitsstrafe rechnet, will alsbald wissen, wie die Aussichten fr eine Bewhrung sind. Danach richten sich vielfach seine Dispositionen, besonders familirer und beruflicher Art. In der Hauptverhandlung hat der Verteidiger schnell und sicher die Umstnde herauszuarbeiten, die fr eine Strafaussetzung sprechen. Das erkennende Gericht hat zwar von Amts wegen ber die Aussetzung zu befinden (§ 260 Abs. 4 S. 4) und den Angeklagten in geeigneten Fllen zu befragen, ob er zur Wiedergutmachung bereit ist, Zusagen fr seine knftige Lebensfhrung machen oder sich mit Heilbehandlung, Entziehungskur oder Aufenthalt in einem Heim bzw. einer Anstalt einverstanden erklren will (§ 265 a). Auch mssen die Urteilsgrnde Auskunft geben, warum die Strafaussetzung bewilligt oder nicht bewilligt worden ist (§ 267 Abs. 3 S. 4). Der Verteidiger darf sich jedoch nicht darauf verlassen, das Gericht werde schon alle gnstigen Umstnde herausfinden und bercksichtigen. Er muß tatkrftig an der Aufklrung in dieser Richtung mitwirken. Indessen sieht man sich oft einem schwer lsbaren Dilemma gegenber. Besteht eine Chance auf Freispruch, so kann es falsch sein, whrend der Vernehmung des Mandanten und durch Beweisantrge die Strafaussetzung allzu sehr in den Vordergrund zu stellen und im Pldoyer pointiert zu errtern. Leicht entsteht der Eindruck, der Verteidiger rechne mit einer Verurteilung des Mandanten zu einer Freiheitsstrafe. Es gibt aber Mglichkeiten, 668

Strafaussetzung zur Bewhrung und Aussetzung des Strafrestes

Rn. 1098

wenigstens im Pldoyer dieses Verteidigungsproblem zu lsen (Rn. 26, 645, 747 ff.). In geeigneten Fllen kann man Strafmaß und Strafaussetzung zur Bewhrung im Anschluß an die staatsanwaltschaftlichen Ausfhrungen behandeln, dann aber betonen, daß es hierauf nicht ankomme, weil der Mandant freizusprechen sei (Rn. 747). Auf jeden Fall muß der Verteidiger die Voraussetzungen der Strafaussetzung sicher beherrschen. Die Einzelheiten sind dem § 56 StGB und der einschlgigen Kommentarliteratur – insbesondere auch dem Werk von G. Schfer, Praxis der Strafzumessung, 3. Aufl., 2001 – sowie den Rechtsprechungsberichten von Detter, zuletzt in NStZ 2005, 143, zu entnehmen. Unter besonderen Umstnden kann das Gericht auch eine Freiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren (§ 56 Abs. 2 StGB) zur Bewhrung aussetzen. Dafr verlangt die Rechtsprechung heute nicht mehr eine „besondere Konfliktlage“, sondern Umstnde, die von besonderem Gewicht sind1. Die besonderen Umstnde mssen dabei um so gewichtiger sein, je nher die Strafe an der Zweijahresgrenze liegt2. Jedoch knnen auch Umstnde, die einzeln lediglich durchschnittliche Milderungsgrnde wren, durch ihr Zusammentreffen dieses besondere Gewicht erlangen. Die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wird lediglich dann nicht ausgesetzt, wenn die „Verteidigung der Rechtsordnung“, sie gebietet (§ 56 Abs. 3 StGB)3. Außerdem kann die Strafaussetzung nicht auf einen Teil der Strafe beschrnkt und durch Anrechnung der Untersuchungshaft nicht ausgeschlossen werden (§ 56 Abs. 4 StGB).

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Außer der „Verteidigung der Rechtsordnung“ muß der Verteidiger der Zukunftsprognose seine Aufmerksamkeit widmen und dem Gericht begreiflich machen, daß der Mandant schon durch das Verfahren und die Verurteilung gewarnt sei und sich nunmehr an die Gesetze halten werde (§ 56 StGB). Persnlichkeit und Vorleben des Tters, gnstige Einflsse in Familie und Beruf sowie das Verhalten nach der Tat, insbesondere die Wiedergutmachung des angerichteten Schadens und nderung der Lebensverhltnisse mgen als Stichworte gengen. Ein besonderes Kapitel ist das Verhalten des Mandanten im Verfahren, insbesondere die Art und Weise, in der er seine Verteidigung gefhrt hat. Das Gericht wird es als positiv werten, wenn entweder ein Gestndnis abgelegt worden ist, oder aber der tatschliche Sachverhalt eingerumt worden ist, etwa mit der Folge, daß Geschdigten – insbesondere geschdigten Kindern und Jugendlichen – eine Vernehmung in der Hauptverhandlung erspart werden konnte. Vor allem in

1098

1 Vgl. nur BGH, wistra 1994, 193; BGH, wistra 1993, 297. 2 BGH, NStZ 1987, 21; BGH, wistra 1985, 147. 3 Vgl. dazu BGH, NJW 1990, 194 f.

669

Rn. 1098

Strafaussetzung zur Bewhrung, Strafvollstreckung und -tilgung

mndlichen Urteilsbegrndungen hrt man gelegentlich die Wendung, der Angeklagte habe sich „angemessen verteidigt“. Soweit damit ein „prozessuales Wohlverhalten“ aus der Sicht des Gerichts gemeint ist, ist dies verfehlt – wenn man auch als Verteidiger kaum Widerspruch erheben wird. Selbstverstndlich darf es nicht zu Lasten des Angeklagten gewertet werden, daß er nicht gestndig gewesen ist, den Sachverhalt bestritten hat, Zeugenaussagen und andere Beweismittel angegriffen und bis zuletzt hartnckig seine Unschuld beteuert hat. Dabei hat die Rechtspflege es auch hinzunehmen, daß als Konsequenz einer bestreitenden Verteidigung Zeugen angegriffen und ihre Aussagen als unrichtig bezeichnet worden sind. Die Grenze soll dort liegen, wo der Angeklagte durch sein Prozeßverhalten eine „rechtsfeindliche Gesinnung“ offenbart hat4. Mit dieser Beschreibung der Rechtslage ist aber nicht alles gesagt, was der Verteidiger bei der Beratung seines Klienten ber sein Prozeßverhalten whrend des Verfahrens und insbesondere ber die Art und Weise seiner Verteidigung in der Hauptverhandlung zu sagen hat. Es muß ihm klar gemacht werden, daß sein Verhalten gerade die Entscheidung ber die Strafaussetzung zur Bewhrung unmerklich und revisionsrechtlich ungreifbar beeinflussen kann. Es ist eine allgemeine Erfahrung, daß sich aggressive oder sonst „renitente“ Angeklagte die Strafaussetzung nicht selten verscherzen. Man wird darber im Urteil nichts lesen, insbesondere wird das Gericht die Versagung nicht auf Einsichtslosigkeit whrend der Verhandlung5 sttzen. Es ist aber nicht zu verhindern, daß solche und hnliche Umstnde die richterliche berzeugungsbildung, wenn auch unausgesprochen, beeinflussen. Dies sollte gerade in der letztlich nach dem Ermessen des Gerichts zu entscheidenden Frage der Strafaussetzung zur Bewhrung vermieden werden. 2. Bewhrungszeit und Bewhrungsauflagen Bringewat, Die mndliche Anhrung gem. § 454 I Satz 3 StPO – eine mndliche Verhandlung eigener Art?, NStZ 1996, 17; Bringewat, Bewhrungshilfe und Strafverteidigung – ein Rollenkonflikt?, MDR 1988, 617; Nix, Anfechtbarkeit von Bewhrungsauflagen des Berufungsgerichts im Jugendstrafverfahren, NStZ 1993, 401; Schch, Bewhrungshilfe und Fhrungsaufsicht in der Strafrechtspflege, NStZ 1992, 364; Schrader, Die Verlngerung der Bewhrungszeit (zum Verstndnis des § 56f Abs. 2 StGB), MDR 1990, 391; Vollmering, Zur Anrechnung eines nach StGB § 56 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 an die Staatskasse als Bewhrungsauflage gezahlten Geldbetrages auf die Strafe bei einem nachtrglichen Widerruf der Strafaussetzung, NStZ 1997, 130.

4 G. Schfer, Strafzumessung, 3. Aufl., Rn. 387 ff. m. N. 5 Dazu BGH, StV 1990, 149: Soweit der Tter weder Reue noch Schuldeinsicht erkennen lßt, darf das Verhalten dann nicht zur Prognose herangezogen werden, wenn ein anderes Verhalten die Verteidigungsposition gefhrden wrde.

670

Strafaussetzung zur Bewhrung und Aussetzung des Strafrestes

Rn. 1101

ber Bewhrungszeit und Bewhrungsauflagen ist durch gesonderten Beschluß zu entscheiden, der mit dem Urteil zu verknden (§ 268a Abs. 1) und mit der einfachen Beschwerde anzufechten ist, falls die Anordnungen gesetzwidrig sind (§ 305a; Rn. 844). An die Verkndung des Beschlusses schließt sich die richterliche Belehrung an (§ 268a Abs. 3).

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Beschluß und Belehrung werden hufig unter dem Eindruck des Urteils nicht richtig verstanden. Der Verteidiger sollte sich deshalb den wesentlichen Inhalt notieren, damit er eine Grundlage fr die erste Beratung des Mandanten hat. Von Art und Umfang der Bewhrungsauflagen wird es z. B. oft abhngen, ob das Urteil angefochten wird (Rn. 814). Im brigen ist zu beachten, daß die Bewhrungszeit erst mit der Rechtskraft des Urteils zum Strafausspruch zu laufen beginnt (§ 56a Abs. 2 S. 1 StGB). Der Mandant muß auch erfahren, daß die Bewhrungszeit sowohl verkrzt als auch verlngert werden kann. Endlich ist er ber den Zweck der Bewhrungszeit zu belehren, die, falls erfolgreich berstanden, zum Straferlaß fhrt. Der Mandant ist jedoch darauf hinzuweisen, daß auch der Straferlaß wegen einer whrend der Bewhrungszeit begangenen vorstzlichen Straftat unter bestimmten, in § 56f StGB abschließend aufgefhrten Voraussetzungen widerrufen werden kann. Besondere Aufmerksamkeit muß der Verteidiger den Bewhrungsauflagen und -weisungen (§§ 56b bis d StGB) widmen. Von Auflagen und Weisungen ist in der Regel abzusehen, wenn der Verurteilte entsprechende Zusagen macht, deren Erfllung zu erwarten ist. Auflagen drfen nur der Genugtuung fr das begangene Unrecht dienen (Wiedergutmachung des Schadens, Geldzahlung zugunsten einer gemeinntzigen Einrichtung oder der Staatskasse, gemeinntzige Leistungen). Nach wie vor ist darauf zu achten, daß keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden (§ 56b Abs. 1 S. 2 StGB). Geldbußen z. B., die in so krassem Mißverhltnis zur wirtschaftlichen Situation des Verurteilten stehen, daß sie rechtsmißbruchlich erscheinen6, drfen nicht hingenommen werden, zumal sie auch zugunsten der Staatskasse angeordnet werden knnen. Hier besteht immer die Gefahr, daß sie in Wahrheit zur Strafe neben der ausgesetzten Freiheitsstrafe werden.

1100

Weisungen whrend der Bewhrungszeit (im einzelnen § 56c StGB) sind nur statthaft, wenn der Verurteilte ihrer bedarf, um keine Straftaten mehr zu begehen. Unzumutbare Eingriffe in die Lebensfhrung sind unzulssig, ebenso Anordnungen, die gegen die Grundrechte verstoßen, z. B. die Weisung, einer bestimmten Religionsgemeinschaft beizutreten oder aus ihr auszutreten oder an einen Auslnder, nach Aussetzung des Strafrestes das

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6 OLG Dsseldorf, NStZ 1993, 136.

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Rn. 1102

Strafaussetzung zur Bewhrung, Strafvollstreckung und -tilgung

Land zu verlassen u. .7. Heilbehandlung, Entziehungskur und Heim- oder Anstaltsaufenthalt setzen die Einwilligung des Verurteilten voraus (§ 56c Abs. 3 StGB). Der schrfste Eingriff in die Lebensfhrung ist die Aufsicht und Leitung durch einen Bewhrungshelfer (im einzelnen § 56d StGB). Viele, vor allem jngere Verurteilte, brauchen in der Bewhrungszeit Aufsicht und Anleitung. Deshalb darf sich der Verteidiger nicht grundstzlich gegen die Bewhrungshilfe stellen. Gegebenenfalls wird er sogar auf den Mandanten einwirken, sich der erzieherischen Aufsicht zu unterwerfen. Es kann dem Mandanten auch sehr viel helfen, wenn der Verteidiger selbst mit dem Bewhrungshelfer Verbindung aufnimmt oder mit der Gerichtshilfe (§§ 160 Abs. 3 Satz 2, 463d) zusammenarbeitet. 1102

Verfahrensrechtlich sind die §§ 453–453c StPO zu beachten, die fr smtliche Nachtragsentscheidungen ber die Strafaussetzung zur Bewhrung gelten, auch fr deren Widerruf (Rn. 1103). Wichtig ist die gerichtliche Zustndigkeit der Strafvollstreckungskammern (§§ 78a GVG), mit der der Verteidiger vertraut sein muß: An und fr sich ist das Gericht des ersten Rechtszuges zustndig (§§ 56e StGB, 453), das die Entscheidungen mit Bindungswirkung an das Amtsgericht abgeben kann, in dessen Bezirk der Verurteilte seinen Wohnsitz oder doch seinen gewhnlichen Aufenthalt hat (§ 462a Abs. 2). Wird gegen den Verurteilten eine Freiheitsstrafe vollstreckt (Rn. 1109 ff.), geht die Zustndigkeit auf die Vollstreckungskammer ber (§ 462a Abs. 1 S. 1). Diese Spruchkrper sind fr den Verurteilten von hoher Bedeutung; sie entscheiden unabhngig von den erkennenden Gerichten. Was diese in den Urteilsgrnden, insbesondere zum Strafausspruch an Vorstellungen oder „Empfehlungen“ zum Ausdruck gebracht haben, bindet sie nicht – ist nach praktischer Erfahrung sogar eher schdlich. Auch Absprachen, die (fehlerhaft) Modalitten des Freiheitsentzuges oder einer „Halbstrafenverbßung“ (§ 57 Abs. 2 StGB) zum Gegenstand haben, sind ohne Bedeutung (Rn. 497). 3. Widerruf der Strafaussetzung Blumenstein, Widerruf einer Strafaussetzung wegen neuer Straftat, die noch nicht rechtskrftig abgeurteilt ist?, NStZ 1992, 132; Budde, Zulssiger Bewhrungswiderruf wegen erneuter Straftat vor Beginn der Bewhrungszeit?, StV 1991, 23; Lembert, Die Beachtung des Grundsatzes der Verhltnismßigkeit bei der Entscheidung ber einen Bewhrungswiderruf, NJW 2001, 3528; Ostendorf, Bewhrungswiderruf bei eingestandenen, aber nicht rechtskrftig abgeurteilten neuen Straftaten, StV 1992, 288; Peglau, Unschuldsvermutung (Art. 6 II MRK) und Widerruf der Strafaussetzung zur Bewhrung wegen noch nicht abgeurteilter (neuer) Straftaten, JA 2001, 244; Veen, Darf eine Strafaussetzung zur Bewhrung trotz gnstiger 7 Trndle/Fischer, § 56c Rn. 2.

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Strafaussetzung zur Bewhrung und Aussetzung des Strafrestes

Rn. 1104

Sozialprognose aus generalprventiven Grnden widerrufen werden?, NStZ 1995, 437; Wattenberg, Bercksichtigung eines mglichen Bewhrungswiderrufs zur Begrndung von Fluchtgefahr, StV 1996, 384.

Der Widerruf der Strafaussetzung (§ 56f StGB) ist gerechtfertigt, wenn der Verurteilte durch die Begehung einer Straftat innerhalb der Bewhrungszeit zeigt, daß sich die Erwartungen nicht erfllt haben, die mit der Aussetzung verbunden waren. Im brigen kommen nur grbliche oder beharrliche Verstße gegen Auflagen oder Weisungen sowie die beharrliche Entziehung der Aufsicht des Bewhrungshelfers in Betracht. Auch ist zu bercksichtigen, daß die Aussetzung nicht widerrufen werden darf, wenn die Verlngerung der Bewhrungszeit und die Erteilung weiterer Auflagen oder Weisungen bzw. die Beiordnung eines Bewhrungshelfers ausreichen (§ 56f Abs. 2 StGB).

1103

4. Aussetzung des Strafrestes Bock/Schneider, Die Bedeutung des Leugnens einer Straftat in Verfahren nach § 57 StGB, NStZ 2003, 337; Doller, Reststrafaussetzung bei mehreren Strafen, ZRP 1978, 55; Frank, Aussetzung der Ersatzfreiheitsstrafe nach § 57 StGB?, NJW 1978, 141; Kintzi, Zum Problem der Strafaussetzung im Falle der Schuldschwereklausel des StGB § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, JR 1993, 386; Lemke, Gegenvorstellungen gegen rechtskrftige, die Strafaussetzung widerrufende Beschlsse, ZRP 1978, 281; Meurer, Strafaussetzung durch Strafzumessung bei lebenslanger Freiheitsstrafe, JR 1992, 441; Meynert, Die bedingte Entlassung und ihr Widerruf, MDR 1974, 807; MllerDietz, Probleme der Sozialprognose, NJW 1973, 1065; Neubacher, Die Einholung eines Sachverstndigengutachtens bei der Entscheidung ber die Aussetzung eines Strafrestes, NStZ 2001, 449; Nldeke, Zur gerichtlichen Prfung der Entlassungsreife von Amts wegen im Rahmen des § 26 Abs. 1 StGB, MDR 1972, 479; Plhn, Zur Relevanz der Einwilligung des Verurteilten gemß StGB § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, StV 1996, 221; Scheffler, Von zeitiger lebenslanger und lebenslanger zeitiger Freiheitsstrafe, JR 1996, 485; Schwenn, Pflichtverteidiger im Vollstreckungsverfahren?, StrafV 1981, 203; Terhorst, Die Aussetzung eines Strafrestes zur Bewhrung, MDR 1973, 627; Terhorst, berprfung eines Strafaussetzungsbeschlusses durch das Revisionsgericht, JR 1994, 41; Treptow, Die Berechnung der Fristen des § 57 StGB bei mehreren nacheinander zu verbßenden Freiheitsstrafen, MDR 1976, 99.

Der Strafaussetzung verwandt ist die Aussetzung des Strafrestes (§ 57 StGB). Es handelt sich um eine vorzeitige Entlassung aus zeitig bestimmter Strafhaft, wenn 2/3 der Strafe einschließlich angerechneter Untersuchungshaft, mindestens aber zwei Monate verbßt sind, der Verurteilte der Entlassung zustimmt und eine gnstige Zukunftsprognose gestellt werden kann. Liegen diese Voraussetzungen vor, so muß das Gericht den Strafrest aussetzen8. Nach § 57 Abs. 2 StGB kann das Gericht ferner nach 8 OLG Zweibrcken, MDR 1974, 329.

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1104

Rn. 1104

Strafaussetzung zur Bewhrung, Strafvollstreckung und -tilgung

– Verbßung der Hlfte einer zeitigen Freiheitsstrafe den Strafrest aussetzen, wenn der Verurteilte mindestens ein Jahr Freiheitsstrafe verbßt hat, besondere Umstnde in der Tat und in der Persnlichkeit des Verurteilten vorliegen und die sonstigen Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 StGB erfllt sind. Hierbei handelt es sich um eine Ermessensentscheidung des Gerichts9, die Ausnahmecharakter hat. Aus der Regelung des § 57 StGB ergeben sich hnliche Fragen wie bei der Strafaussetzung zur Bewhrung, auf die das Gesetz z. B. fr Bewhrungszeit, Bewhrungsauflagen und Bewhrungshilfen ausdrcklich verweist. Vor allem muß der Verteidiger mit den unterschiedlichen Voraussetzungen der Abs. 1 und 2 des § 57 StGB vertraut sein. Bei § 57 Abs. 2 StGB sollen außer der gnstigen Zukunftsprognose auch Umstnde der Schuldschwere und der Verteidigung der Rechtsordnung bzw. generalprventive Momente bedeutsam sein10, whrend es nach § 57 Abs. 1 StGB nur darauf ankommt, daß die Erprobung verantwortet werden kann, ob der Verurteilte außerhalb des Strafvollzuges keine Straftat mehr begehen wird (§ 57 Abs. 1 Nr. 2 StGB). Es handelt sich deshalb um eine ausschließlich spezialprventiv orientierte Prognose11. Hierfr soll die Chance des Erfolges, dessen Eintritt nicht einmal wahrscheinlich zu sein braucht, ausreichen12. Bei der Frage der Aussetzung des Strafrestes wird nach wie vor das „Wohlverhalten des Verurteilten“ im Strafvollzug eine entscheidende Rolle spielen. Deshalb hat der Verteidiger den Mandanten auf die Voraussetzungen der Aussetzung der Reststrafe hinzuweisen und ihm klarzumachen, daß er mit einer Vergnstigung nur rechnen knne, wenn sein Verhalten keinen Anlaß zu Tadel gibt. Praktisch ist nmlich fr die Entscheidung ber die bedingte Entlassung die Beurteilung der Strafvollzugsbehrde13 maßgebend, die anzuhren ist (§ 454 Abs. 1). Die Grnde fr eine ungnstige Stellungnahme muß der Verteidiger genau untersuchen. Gelegentlich stellt man Fehlbeurteilungen fest, die auf unsachlichen ußerungen untergeordneter Vollzugsbediensteter beruhen. Nicht selten wird auch bersehen, nachteilige Stellungnahmen, die der Entscheidung zugrunde gelegt werden sollen, dem Betroffenen vorher mitzuteilen. Dann (und in anderen Fllen) ist daran zu denken, daß gegen die Ablehnung der bedingten Entlassung sofortige Beschwerde (§ 311) eingelegt werden kann (§ 454 Abs. 3).

9 10 11 12

Trndle/Fischer, § 57 StGB Rn. 13. ff. BGH, NStZ 1998, 495; OLG Mnchen, NStZ 1987, 74. BVerfG, StV 1993, 597; NJW 1994, 378; OLG Hamm, StV 1988, 348. BGH, JR 1970, 347 m. Anm. Meyer; OLG Karlsruhe, StV 1993, 260; OLG Dsseldorf, NStZ 1988, 272; a. M. OLG Kln, MDR 1970, 861. 13 Terhorst, MDR 1973, 627; vgl. auch OLG Bremen, JR 1974, 265.

674

Strafvollstreckung

Rn. 1107

III. Strafvollstreckung 1. Allgemeine Grundlagen Beck'sches Formularbuch/Lohberger/Kuhn, 4. Aufl., 2002, S. 713 ff.; Bhm, Strafvollzug, 3. Aufl., 2003; Bhm, Anmerkung, Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe bei Altfllen, JR 1995, 302; Callies/Mller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, 10. Aufl., 2005; Funck, Zur Tatsachengrundlage von Entscheidungen zur Strafvollstreckung und zur eigenen Sachentscheidung der Beschwerdegerichte in Strafvollstreckungssachen, NStZ 1997, 150; Hauf, Strafvollzug, 1994; Kaiser/Schch, Strafvollzug, 5. Aufl., 2003; Leiß/Weingartner, Strafvollstreckung, 7. Aufl., 2004; Loos, Bercksichtigung vollstreckter Strafe bei Gesamtstrafenbildung, NStZ 1983, 260; Mitsch, Der Weg des Straftters in den Strafvollzug, Jura 1994, 449; Mller/Dietz, Aufgaben und Mglichkeiten der Verteidigung im Strafvollzug, StV 1982, 83; Pohlmann/ Jabel/Wolf, Strafvollstreckungsordnung, 8. Aufl., 2001; Volckart, Die Verteidigung in der Strafvollstreckung und im Vollzug, 3. Aufl., 2001. S. auch die bersichten der Rechtsprechung zum Strafvollzugsrecht von Matzke in NStZ, zuletzt 2004, 609.

Der Verteidiger hat in vielfltiger Weise mit den Problemen der Strafvollstreckung zu tun. Entweder nimmt der verurteilte Mandant den Verteidiger auch ber die Rechtskraft hinaus weiter in Anspruch oder es handelt sich um „neue“ Auftraggeber. Jede Ttigkeit whrend der Strafvollstrekkung setzt genaue Kenntnis der gesetzlichen Regelung voraus, die in verschiedenen Gesetzen und Verwaltungsanordnungen niedergelegt ist. Die Grundregelung findet sich in den §§ 449 ff. Zu ihrer Ausfhrung sind heranzuziehen die Strafvollstreckungsordnung (StVollstrO) vom 1. 4. 2001, die Justizbeitreibungsordnung (JBeitrO) vom 11. 3. 1937 nebst der Einforderungs- und Beitreibungsanordnung (FBAO) vom 1. 4. 2001 sowie das Strafvollzugsgesetz vom 16. 3. 197614. Fr die Rechtslage hinsichtlich der Untersuchungshaft-Vollzugsordnung (UVollzO) wird auf Rn. 334 verwiesen. Bei einigen der genannten Bestimmungen handelt es sich um Verwaltungsanordnungen, die den Richter nicht binden. Im Einzelfall wird der Verteidiger daher besonders unter dem Stichwort „Menschenwrde und Verhltnismßigkeit im Strafvollzug“ prfen mssen, ob die einzelne Vollzugsmaßnahme und die zugrundeliegende spezielle Bestimmung der Verwaltungsanordnung dem Grundgesetz entsprechen.

1105

berhaupt ist zu beachten, daß die Strafvollstreckung eine Angelegenheit der Justizverwaltung ist. Vollstreckungsbehrde ist grundstzlich die Staatsanwaltschaft (§ 451 Abs. 1).

1106

Der im Rahmen der Strafvollstreckung erforderliche gerichtliche Rechtsschutz wird hauptschlich durch die Strafvollstreckungskammern ge-

1107

14 Auszug bei Meyer-Goßner, Anhang 10.

675

Rn. 1108

Strafaussetzung zur Bewhrung, Strafvollstreckung und -tilgung

whrt. Ihre rtliche Zustndigkeit richtet sich regelmßig nach dem Ort der Strafanstalt, in die der Verurteilte zu dem Zeitpunkt, in dem das Gericht mit der Sache befaßt wird, aufgenommen ist (§ 462a Abs. 1). Diese Zustndigkeit bleibt also auch dann bestehen, wenn der Verurteilte in eine andere Strafanstalt verlegt wird. Fr nachtrgliche Entscheidungen nach § 462a Abs. 1 S. 2 bleibt diejenige Strafvollstreckungskammer zustndig, der auch schon die Zustndigkeit nach Abs. 1 S. 1 zugefallen war15. Die Einzelheiten sind freilich streitig16. Die sachliche Zustndigkeit der Strafvollstreckungskammer ist in § 462a eingehend geregelt. Der Verteidiger muß mit dieser Regelung vertraut sein. Das Gericht des ersten Rechtszuges ist danach nur noch in wenigen Fllen zustndig, so etwa bei der nachtrglichen Gesamtstrafenbildung, der Verwarnung mit Strafvorbehalt und in Fllen, in denen das Oberlandesgericht im ersten Rechtszuge entschieden hat (vgl. i. e. § 462a). In allen brigen Fllen nachtrglicher gerichtlicher Entscheidungen ist die Strafvollstreckungskammer zustndig. Gegen Entscheidungen der Vollstreckungsbehrden nach § 450a Abs. 3 S. 1, §§ 458–461 kann die Strafvollstreckungskammer angerufen werden (§§ 462, 462a). Gegen deren Entscheidung ist die sofortige Beschwerde statthaft (§ 462 Abs. 3). Die Strafvollstreckungskammer kann jedoch einzelne Entscheidungen nach §§ 462, 458 Abs. 1 mit bindender Wirkung an das Gericht des ersten Rechtszuges abgeben (§ 462a Abs. 1 S. 3). 1108

Die Tatsache, daß die Strafvollstreckung der Justizverwaltung zuzuordnen ist, bringt fr den Verteidiger noch eine andere Schwierigkeit. Justizverwaltungsakte unterliegen dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung an das Oberlandesgericht nach §§ 23 ff. EGGVG (Rn. 1081 ff.), sofern nicht ein anderer Rechtsweg gegeben ist (§ 23 Abs. 3 EGGVG). Als „anderer Rechtsweg“ gilt auch das Verfahren nach §§ 458 bis 461, 462, 462a sowie das Verfahren nach den §§ 108 ff. StVollzG. Dagegen ist der Strafsenat des Oberlandesgerichts bei der Ablehnung einer Strafunterbrechung17 oder in den Fllen des § 23 Abs. 1 S. 2 EGGVG18 anzurufen (Rn. 1116). Der Verteidiger muß also jeweils die Zustndigkeit prfen, damit er nicht zum falschen Rechtsbehelf greift. In allen Fllen ist die Dienstaufsichtsbeschwerde statthaft (§ 108 Abs. 3 StVollzG; Rn. 1091).

15 16 17 18

BGH, NJW 1975, 1791, 1847. Vgl. Meyer-Goßner, § 462a Rn. 12 ff. BGHSt. 19, 148; BGH, NStZ 1991, 205. Meyer-Goßner, § 23 EGGVG Rn. 16.

676

Strafvollstreckung

Rn. 1109

Hinsichtlich der Einzelfragen des Strafvollzuges muß im brigen auf das einschlgige Schrifttum und die Rechtsprechungsbersichten von Matzke in NStZ, zuletzt 2004, 609 verwiesen werden. 2. Vollzug von Freiheitsstrafen Gatzweiler, Haftunfhigkeit – Chancen u. Versagen von Strafverteidigung u. Strafvollzug, StV 1996, 293; Groß, Zum Absehen von d. Strafvollstreckung gg. Auslndern nach § 456a StPO, StV 1987, 36; Mller-Dietz, Grundrechtsbeschrnkungen im Strafvollzug, JuS 1976, 88 ff.; Nldeke/Weichbrodt, Hungerstreik und Zwangsernhrung, NStZ 1981, 281; Peters, Seelsorge und Strafvollzug, JR 1975, 402. Vgl. i. . das vor Rn. 1129 angef. Schrifttum sowie die Rechtsprechungsbersichten von Matzke, zuletzt NStZ 2004, 609.

a) Allgemeines Die Aufgabe des Verteidigers bei der Vollstreckung von Freiheitsstrafen und freiheitsentziehenden Maßregeln fhrt in die schwierige Problematik des Strafvollzuges. Gesetzliche Grundlage in der vom BVerfG geforderten Form19 ist das Strafvollzugsgesetz vom 16. 3. 197620. Der Verteidiger tut gut daran, sich sowohl mit dem Strafvollzugsgesetz als auch mit der einschlgigen Judikatur des BVerfG vertraut zu machen21. Die Problematik des heutiges Strafvollzuges hngt nicht nur mit den alltglichen praktischen Fragen des Vollzuges zusammen, etwa dem Alter und der berbelegung der Justizvollzugsanstalten. Die Erfahrung der Verteidiger besttigt das Wort von Eb. Schmidt: Fr die Gerechtigkeit staatlichen Strafens ist nicht nur der Richterspruch, sondern in weit grßerem Maße das entscheidend, was der Verurteilte in der Strafanstalt erlebt. In den vertraulichen Besprechungen mit dem Verteidiger schildern die Hftlinge ihre Erlebnisse, oft in eruptiver und aufbegehrender Form, ebensooft verzweifelt und resignierend. Besonders derjenige, der erstmals eine Freiheitsstrafe verbßt, ist anfllig gegenber den Schwchen des Strafvollzuges, empfindlich auch gegenber vielleicht nur scheinbar ungerechten und gesetzwidrigen Anordnungen der Vollzugsbeamten und kann sich nur schwer an das Zusammensein mit Gefangenen ganz unterschiedlichen Alters, Charakters, Vorlebens und Bildungsstandes gewhnen. Es gehrt zu den vornehmsten Aufgaben des Verteidigers, ber diese Schwierigkeiten hinwegzuhelfen und dadurch seinen Teil zur Resozialisierung nach der Strafver-

19 BVerfGE 33, 1. 20 Auszug als Anhang 10 bei Meyer-Goßner. 21 BVerfGE 45, 187.

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1109

Rn. 1110

Strafaussetzung zur Bewhrung, Strafvollstreckung und -tilgung

bßung beizutragen. Dieser Beistand hat das praktische Ziel, dem Mandanten vor Augen zu halten, wie sich seine Zukunft gestalten kann. So kommt eine Aussetzung des Strafrestes nur bei Wohlverhalten in Frage (Rn. 1104). Auch sonstige Vergnstigungen hngen weitgehend davon ab, daß sich der Verurteilte in das Leben der Anstalt und in die „Gemeinschaft der Gefangenen“ einfgt, eine eigenartige und fr den einzelnen oft gefhrliche Schicksalsgemeinschaft. 1110

Von grßter Wichtigkeit ist der persnliche Einsatz des Verteidigers durch Besprechungen mit dem Verurteilten, mit dem Leiter der Vollzugsanstalt, gegebenenfalls mit Sozialarbeitern, dem Anstaltspfarrer und mit den Angehrigen oder Freunden des Mandanten. Er kann dadurch ber dessen Charakter vieles erfahren, aber auch vieles erklren, er kann seine Fhigkeiten und Neigungen auszuwerten suchen durch passende Beschftigung in der Vollzugsanstalt und in der Vorbereitung auf einen Beruf seiner Zukunft in der Freiheit, insbesondere durch Suche nach einer Wohnung. Damit strkt er die Zuversicht und wirkt der Verbitterung des Verurteilten entgegen, der sich nicht mehr hilflos im rechtsleeren Raum zu fhlen braucht. Freilich sieht sich der Verteidiger, der Auftrge in Strafvollzugssachen bernimmt, auch einem bestimmten Typ des Hftlings gegenber, dem „Ganoven“, dem der „Knast“ nicht fremd, dafr aber alle Schlichen vertraut sind, die die Strafhaft erlaubt oder unerlaubt erleichtern. Die Erfahrungen mit dieser Art von Gefangenen sind unerschpflich. Sie reichen von der relativ harmlosen Bitte, die Verbindung mit Angehrigen ber das zulssige Maß hinaus herzustellen, bis zu abenteuerlichsten Honorarversprechungen, falls der Verteidiger den Hftling aus der Strafhaft „herauspauke“. Besonders hufig wird das Ansinnen gestellt, offenbar aussichtslose Wiederaufnahmeantrge (Rn. 991 ff.) einzureichen. Auch die Behauptung von Rechtsverkrzungen oder krperlicher Mißhandlung in der Anstalt nimmt in dem Maße zu, in dem solche Flle in der ffentlichkeit errtert werden. Fr den Verteidiger ist es sehr oft schwierig zu erkennen, welches Anliegen sachlich gerechtfertigt ist und den Einsatz des Verteidigers erfordert. Dazu braucht man Fingerspitzengefhl, Erfahrung und Verstndnis fr die psychische Situation des Gefangenen. Im allgemeinen sind jedenfalls Vorsicht und gesunde Skepsis am Platze, vor allem bei „gefngniserfahrenen“ Hftlingen. Strafvereitelung in der Form der Vollstreckungsvereitelung (§ 258 Abs. 2 StGB) liegt nicht fern. Hierfr gengt die nur zeitweilige Entziehung aus der Strafverbßung, etwa durch einen Antrag auf Strafunterbrechung oder ein Gnadengesuch, die auf erfundene Tatsachen gesttzt werden22. Auch berufsrechtliche Verfehlungen im Zu-

22 Trndle/Fischer, § 258 StGB, Rn. 15.

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Strafvollstreckung

Rn. 1113

sammenhang mit dem Strafvollzug sind hufiger, als man annehmen sollte. Hier spielt der mndliche und schriftliche Verkehr mit dem Gefangenen eine Rolle (§ 148). Insoweit ist auf die Regeln und Erfahrungen zu verweisen, die den Verkehr mit dem Untersuchungsgefangenen betreffen (Rn. 358 ff.). Sie gelten auch fr den Strafgefangenen. Dabei ist auf das „Briefgeheimnis“ zwischen Verteidiger und Mandant besonders einzugehen. Es darf grundstzlich nicht eingeschrnkt werden, wie sich aus den §§ 23, 26, 29 StVollzG ergibt. b) Einzelne Antrge Im einzelnen kann die Ttigkeit des Verteidigers vor oder whrend des Vollzugs einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel ganz verschieden gestaltet sein. Einwendungen gegen die Zulssigkeit der Vollstreckung berhaupt, Auslegung eines Strafurteils, Berechnung der Strafzeit, Absehen von der Vollstreckung bei Auslieferung sowie Aufschub und Aussetzung eines Berufsverbots sollen hier nur erwhnt werden. Sie kommen nicht so hufig vor. Auf einige andere Maßnahmen ist jedoch einzugehen.

1111

Dazu rechnet die nachtrgliche Gesamtstrafenbildung, falls das erkennende Gericht verschiedene rechtskrftige Strafen nicht zusammengezogen hat (§ 460). Vielfach ist es zweckmßig, daß der Verurteilte den Antrag stellt und sich nicht darauf verlßt, daß die Vollstreckungsbehrde ttig wird. Denn die nachtrgliche Gesamtstrafe kann nur gebildet werden, solange die erste Strafe noch nicht verbßt oder verjhrt ist. In diesem Zusammenhang muß sich der Verteidiger mit der Frage befassen, ob rechtskrftige Einzelstrafen berhaupt vollstreckt werden drfen, obwohl die Gesamtstrafe noch nicht rechtskrftig ist, z. B. bei nur teilweiser Anfechtung eines Urteils ber mehrere Straftaten23.

1112

Der Strafaufschub zhlt zu den Antrgen, mit denen der Verteidiger am meisten zu tun hat. Nach § 455 kommt er in Betracht bei Geisteskrankheiten und anderen mit naher Lebensgefahr verbundenen Erkrankungen sowie bei sonstiger Vollzugsuntauglichkeit. Er kann auch darauf beruhen, daß in der vorgesehenen Anstalt die notwendige rztliche Behandlung des Verurteilten nicht sichergestellt werden kann24. In all diesen Fllen wird der Verteidiger zweckmßigerweise mit dem Antrag ein rztliches Attest vorlegen. Ggfs. ist darauf hinzuweisen, daß der Mandant bereit ist, sich einer amtsrztlichen Untersuchung zu unterziehen.

1113

23 Meyer-Goßner, § 449 Rn. 11; Trndle/Fischer, § 54 StGB Rn. 3 ff. 24 BGHSt. 19, 150; OLG Karlsruhe, NStZ 1991, 53.

679

Rn. 1114

Strafaussetzung zur Bewhrung, Strafvollstreckung und -tilgung

1114

Daneben steht der vorbergehende Strafaufschub bis zu vier Monaten, wenn durch die sofortige Vollstreckung dem Verurteilten oder seiner Familie erhebliche Nachteile außerhalb des Strafzwecks erwachsen (§ 456). Diese Mglichkeit besteht brigens auch fr Geldstrafen. In der Praxis spielt sich die Sache meist so ab, daß der Verurteilte die Ladung zum Strafantritt (§ 27 StVollStrO) erhlt und nunmehr einen Verteidiger mit der Bitte aufsucht, den Strafaufschub zu erwirken. Die vorgebrachten Grnde mssen genau geprft werden. Sie knnen familirer Art sein, z. B. schwere Erkrankungen in der Familie oder bevorstehende Niederkunft der Ehefrau. Oft handelt es sich um berufliche Grnde, etwa um den Wunsch, die Strafe whrend der Urlaubszeit zu verbßen, damit die Stelle nicht verlorengeht. Immer ist zu beachten, daß nur erhebliche Nachteile außerhalb des Strafzwecks den Aufschub rechtfertigen. Mit dem Gesuch wird meist der Antrag verbunden werden mssen, den Strafantritt hinauszuschieben (§ 458 Abs. 3). In der Regel kommt die Ladung zum Strafantritt kurzfristig. Dem Verurteilten soll nur etwa eine Woche bleiben, um seine Angelegenheiten zu ordnen (§ 27 StVollStrO). Vergißt der Verteidiger diesen Antrag, so kann es passieren, daß Vollstreckungshaftbefehl ergeht und vollzogen wird (§ 457, § 33 StVollStrO).

1115

Dem Strafaufschub hnlich ist die Strafunterbrechung, der Strafausstand whrend des Vollzugs einer Freiheitsstrafe gemß §§ 45, 46 StVollStrO. Sie setzt Vollzugsuntauglichkeit im Sinne einer geistigen oder krperlichen Erkrankung voraus und bedarf der frmlichen Anordnung. ber die Strafunterbrechung hinaus geht die Aussetzung des Strafrestes nach §§ 57 StGB, 454, die der Strafaussetzung zur Bewhrung gleichkommt und deshalb dort behandelt ist (Rn. 1104). Dasselbe gilt fr nachtrgliche Entscheidungen ber die Strafaussetzung nach §§ 453–453c (Rn. 1102).

1116

Besonders hufig wird der Verteidiger mit der Prfung einzelner Vollzugsmaßnahmen im Rahmen des Strafvollzugsgesetzes befaßt. Bei der Anfechtbarkeit solcher Maßnahmen ist zu unterscheiden: Das Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG ist gegeben, soweit die Maßnahmen im Vollzug der Jugendstrafe, des Jugendarrestes und der Untersuchungshaft sowie derjenigen Freiheitsstrafen und Maßregeln der Besserung und Sicherung, die außerhalb des Justizvollzuges vollzogen werden, getroffen worden sind (§ 23 Abs. 1 S. 2 EGGVG). Im brigen richtet sich die Anfechtbarkeit allein nach den §§ 108 ff. StVollzG (§ 23 Abs. 3 EGGVG). Der Gefangene hat zunchst das Recht der Beschwerde beim Anstaltsleiter (§ 108 Abs. 1 StVollzG). Danach kann gegen Maßnahmen zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiete des Strafvollzuges gerichtliche Ent680

Strafvollstreckung

Rn. 1117

scheidung beantragt werden (§ 109 StVollzG), fr die die Strafvollstrekkungskammer (§ 110 StVollzG) zustndig ist25. Das Verfahren hnelt hier dem verwaltungsgerichtlichen Klageverfahren. Gegen die gerichtliche Entscheidung ist die Rechtsbeschwerde an den Strafsenat des OLG zulssig, wenn es geboten ist, die Nachprfung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermglichen (§§ 116 ff. StVollzG). Fr die Rechtsbeschwerde gelten subsidir die Vorschriften der Strafprozeßordnung ber die Beschwerde (§ 116 Abs. 4 StVollzG), wobei allerdings darauf hingewiesen werden muß, daß sich die Zulssigkeit, die Form und Frist sowie die Begrndung der Rechtsbeschwerde nach revisionsrechtlichen Grundstzen richtet (§§ 116 Abs. 2, 118 StVollzG). Die Entscheidung des Strafsenats, die durch Beschluß ergeht, ist endgltig (§ 119 Abs. 5 StVollzG). Der Strafgefangene genießt damit weitgehenden Rechtsschutz, der freilich nicht berstrapaziert werden sollte. Fr den Verteidiger stellt sich in jedem Falle die Zweckmßigkeitsfrage. Dem Mandanten ist klarzumachen, daß auch ein erfolgreiches Verfahren zu Nachteilen whrend der Strafhaft fhren kann, ganz zu schweigen von einem erfolglosen Antrag. Es ist sogar nicht auszuschließen, daß der Hftling, der einen Angriff auf Vollzugsmaßnahmen wagt, in Zukunft streng behandelt wird, wenn auch im Rahmen der Zulssigkeit. Ebensooft ist aber auch die Anfechtung eben aus diesem Grunde notwendig, um eine korrekte Behandlung wenigstens fr die Zukunft durchzusetzen, mag auch der vorliegende Antrag zurckgewiesen werden. Aus der umfangreichen Rechtsprechung, die noch heute von Bedeutung sein kann, seien als Beispiele fr anfechtbare Vollzugsmaßnahmen genannt: Arbeitspflicht und -belohnung, Besuchs- und Schriftverkehr26, Glaubens-, Meinungs- und Informationsfreiheit, Gemeinschafts- oder Einzelhaft, Eheschließung whrend der Strafhaft, Grenzen des Waffengebrauchs27 sowie der wichtige Bereich der Hausstrafen, besonders auch fr das Entweichen aus der Anstalt28. Der Verteidiger ist gut beraten, sich mit den z. T. diffizilen Einzelfragen in diesem Bereich gut vertraut zu machen. 3. Vollstreckung von Vermgensstrafen Im allgemeinen wird der Verteidiger mit diesem Vollstreckungsverfahren weniger beschftigt. Gleichwohl sollte er die gesetzlichen Grundlagen 25 Das Landesrecht kann die Vorschaltung eines Verwaltungsvorverfahrens anordnen (§ 109 Abs. 3 StVollzG). 26 KG, NJW 1971, 476 m. Anm. Schmidt-Leichner. 27 BayVerfGH, NJW 1968, 1227. 28 OLG Celle, NJW 1969, 673.

681

1117

Rn. 1118

Strafaussetzung zur Bewhrung, Strafvollstreckung und -tilgung

kennen. Die eine oder andere Frage ist doch gelegentlich zu beantworten. Die Vollstreckung einer Vermgensstrafe, insbesondere einer Geldstrafe, richtet sich grundstzlich nach den Vorschriften der §§ 459 ff. Bei Geldstrafen gilt subsidir die Justizbeitreibungsordnung. Fr Geldstrafen sollte der Verteidiger an die Mglichkeit eines Strafaufschubs bis zu vier Monaten denken (§ 456; Rn. 1114). Meist wird es aber zweckmßiger sein, Ratenzahlungen nach § 42 StGB zu beantragen, die nicht auf vier Monate beschrnkt zu sein brauchen. Dazu mssen die wirtschaftlichen Verhltnisse des Mandanten offengelegt und bewiesen werden. Es empfiehlt sich, bestimmte angemessene monatliche Raten anzubieten und mglichst die erste Rate gleichzeitig zu berweisen. Das macht das Ratenzahlungsversprechen glaubwrdiger. Unter den Voraussetzungen des § 459d kann das Gericht von der Vollstreckung der Geldstrafe absehen, wenn diese die Resozialisierung eines zu Freiheitsstrafe Verurteilten erschweren wrde. 1118

Im brigen ist der Mandant darber zu belehren, daß anstelle einer uneinbringlichen Geldstrafe die Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckt werden kann (§ 43 StGB, § 50 StVollStrO), und zwar auf Anordnung der Vollstreckungsbehrde (§ 459e). Hierzu muß der Verteidiger wissen, daß die Ersatzfreiheitsstrafe nicht vollstreckt wird, wenn die Vollstreckung fr den Verurteilten eine unbillige Hrte wre (§ 459f); auf die Verschuldensfrage kommt es dabei nicht an. Zustndig fr die gerichtliche Entscheidung ist das Gericht des ersten Rechtszuges (§§ 462a Abs. 2, 462). Außerdem kann die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe jederzeit durch Zahlung der Geldstrafe abgewendet werden (§ 459e Abs. 4). In diesem Zusammenhang darf die Mglichkeit nicht bersehen werden, die Geldstrafe aus einer etwa geleisteten Sicherheit zu entnehmen, praktisch also zu verrechnen. Dies gilt besonders, wenn die Strafvollstreckung gegenber Personen sichergestellt worden ist, die in der Bundesrepublik weder Wohnsitz noch Aufenthalt haben (§§ 127a, 132)29. Wichtig ist, daß eine Bezahlung der Geldstrafe durch Dritte nicht den Tatbestand der Strafvereitelung erfllt30. 4. Vollstreckung von Maßregeln der Besserung und Sicherung Kammeier, Maßregelvollzugsrecht, 1995; Kruis, Die Vollstreckung freiheitsentziehender Maßregeln und die Verhltnismßigkeit, StV 1998, 94. Vgl. auch die Rechtsprechungsbersichten von Detter, zuletzt NStZ 2004, 134, 486. 29 Dnnebier, Sicherstellung der Strafvollstreckung durch Sicherheitsleistung, NJW 1968, 1752. 30 So BGHSt. 37, 226.

682

Straftilgung

Rn. 1120

Die „Maßregelvollstreckung“ richtet sich grundstzlich nach den sonstigen Vollstreckungsvorschriften (§ 463, § 53 StVollStrO).

1119

Praktisch wichtig ist die Vollstreckung der Maßregeln im Straßenverkehrsrecht. Dazu gehrt die Beschlagnahme des Fhrerscheins im Falle eines Fahrverbots (§ 463b). Hierfr wird brigens ein Vollstreckungsaufschub abgelehnt31. Noch bedeutsamer ist die vorzeitige Aufhebung der Sperre fr die Fahrerlaubnisentziehung (§ 69a Abs. 7 StGB). Dabei ist die Mindestsperrfrist von drei Monaten bzw. einem Jahr zu beachten. Der Antrag auf Aufhebung kann jedoch vorher gestellt werden, damit der Mandant keine Zeit verliert. Im allgemeinen wird eine „Vorfrist“ von einem Monat fr angemessen gehalten. Die Sperre darf nur vorzeitig aufgehoben werden, wenn Grund zu der Annahme besteht, daß der Kraftfahrer jetzt nicht mehr ungeeignet erscheint, ein Fahrzeug zu fhren. Diese Voraussetzung zwingt den Verteidiger, Grnde vorzutragen, die nach dem Urteil eingetreten sein mssen, beispielsweise die auf Grund der Strafverbßung gewonnene Einsicht in verkehrsgerechtes Verhalten oder die erfolgreiche Teilnahme an einem Nachschulungskurs o. .32 (Rn. 412). Vielfach luft es darauf hinaus, den Richter von inneren Tatsachen zu berzeugen, eben der inneren Wandlung des Tters. In manchen Fllen kann es daher geboten sein, den Richter zu bitten, den Mandanten vorzuladen, um einen persnlichen Eindruck zu gewinnen. Es ist auch passiert, daß ein Mandant ohne Einvernehmen mit dem Verteidiger in seiner Verzweiflung den Richter aufgesucht und durch seinen persnlichen Eindruck eine solche Stimmungsverbesserung bewirkt hat, daß die Sperre wieder aufgehoben wurde. Zu beachten ist jedoch, daß letztlich die Verwaltungsbehrde ber die Wiedererteilung der rechtskrftig entzogenen Fahrerlaubnis entscheidet. Ein Nachschulungskurs als Grund fr die Neuerteilung wird aber nicht allgemein anerkannt. Es empfiehlt sich daher, bei den zustndigen Behrden nachzufragen, bevor der Mandant viel Geld fr einen „berflssigen“ Nachschulungskurs ausgibt.

1120

IV. Straftilgung Creifelds, Straftilgung und Verwertungsverbot, GA 1974, 129; Dreher, Zur Sperrwirkung des § 49 BZRG fr ein spteres Strafverfahren, JZ 1972, 618; Gtz, Das Bundeszentralregister, Kommentar, 4. Aufl., 2003; Gtz, Das Verwertungsverbot des Bundeszentralregistergesetzes, JZ 1973, 496; Hase, Bundeszentralregisterge-

31 Meyer-Goßner, § 456 Rn. 2. 32 OLG Dsseldorf, GA 1984, 232; Hentschel, NJW 1996, 628, 638; vgl. auch die bei Trndle/Fischer, § 69a Rn. 16 angef. Rspr.

683

Rn. 1121

Strafaussetzung zur Bewhrung, Strafvollstreckung und -tilgung

setz, Kommentar, 2003; Pfeiffer, Die unbeschrnkte Auskunft aus dem Bundeszentralregister und das Fhrungszeugnis, NStZ 2000, 402; Rebmann/Uhlig, Bundeszentralregistergesetz, 1985, S. 258 ff.; Schwarz, Das Verwertungsverbot des § 49 Bundeszentralregistergesetz in der Verwaltungspraxis, NJW 1974, 209; Stahnke, BZR – Aufgaben und Dienstleistungen, Jur-PC 1996, 16; Tremml, Die Rechtswirkungen der Straftilgung; Das Verwertungsverbot des § 49 BZRG, 1975.

1121

Probleme der Straftilgung kommen auf den Verteidiger unter verschiedenen Aspekten zu. So will der Mandant wissen, ob eine Strafe offenbart werden msse, oder ob eine Verurteilung im Strafregister eingetragen werde und bejahendenfalls, wie lange sie vermerkt bleibt. Antwort auf diese und hnliche Fragen findet der Verteidiger im Gesetz ber das Zentralregister und das Erziehungsregister (Bundeszentralregistergesetz – BZRG)33 sowie im Gewerbezentralregister34, das besonders fr Unternehmer und Handwerker Bedeutung hat. Das Bundeszentralregister wird vom Generalbundesanwalt in Bonn (frher Berlin) gefhrt (§§ 1, 2 BZRG). Es hat die Rechtsstellung des Betroffenen erheblich verbessert und zwar besonders durch die Verkrzung der Tilgungsfristen und die Beschrnkung der Ausknfte aus dem Register.

1122

Der Inhalt des Zentralregisters ergibt sich aus § 3 BZRG. Danach werden eingetragen: strafgerichtliche Verurteilungen (§§ 4–8 BZRG), Vermerke ber Schuldunfhigkeit (§ 11 BZRG), bestimmte Entscheidungen von Verwaltungsbehrden (§ 10 BZRG) sowie nachtrgliche Entscheidungen, die namentlich Strafvollstreckung und Straferlaß betreffen knnen (§§ 12–19 BZRG). Die strafgerichtlichen Verurteilungen umfassen alle Entscheidungen, durch die wegen einer rechtswidrigen Tat auf Strafe erkannt, eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, jemand mit Strafvorbehalt verwarnt oder die Schuld eines Jugendlichen oder Heranwachsenden festgestellt worden ist. Das Zentralregister deckt damit den gesamten Bereich eines strafrechtlich relevanten Sachverhalts ab. Zur Sicherung des Informationsflusses sind Gerichte und Behrden verpflichtet, eintragungspflichtige Tatsachen mitzuteilen (§ 20 BZRG).

1123

Um das Register nutzbar zu machen, gibt es die Auskunft aus dem Zentralregister (§§ 30 ff. BZRG). Danach wird Personen ber 14 Jahren auf Antrag ein Zeugnis ber den sie betreffenden Inhalt des Zentralregisters erteilt (Fhrungszeugnis). Ebenso erhalten Behrden ber eine bestimmte Person ein Fhrungszeugnis, soweit sie es zur Erledigung ihrer hoheitlichen Aufgaben bentigen und eine Aufforderung an den Betroffenen zur Vorlage des Fhrungszeugnisses nicht sachgemß ist oder erfolglos bleibt 33 Anhang 7 bei Meyer-Goßner. 34 Rebmann/Uhlig, S. 365 ff.

684

Straftilgung

Rn. 1125

(§ 31 BZRG). Jeder Verteidiger weiß, wie wichtig es fr den Mandanten sein kann, wenn das Fhrungszeugnis seine „reine Weste“ beweist, wie nachteilig aber auch, wenn es eine „Latte von Vorstrafen“ mit allen Einzelheiten offenbart. Selbst die Eintragung einer einzigen Strafe entscheidet oft das Schicksal der neuen Sache. Im beruflichen Leben ist es darber hinaus von berragender Bedeutung, ob eine Strafe zu nennen oder verschwiegen werden kann. Weniger belastende Verurteilungen werden berhaupt nicht in das Fhrungszeugnis aufgenommen (§ 32 Abs. 2 BZRG). Hierher gehren z. B. auch Geldstrafen von nicht mehr als neunzig Tagesstzen sowie Freiheitsstrafen von nicht mehr als drei Monaten, wenn im Register keine weitere Strafe eingetragen ist. Ebenso fallen hierunter die Verwarnung mit Strafvorbehalt sowie bestimmte geringfgige Verurteilungen nach Jugendstrafrecht. Die Einzelheiten sind dem § 32 BZRG zu entnehmen. Diese Aspekte sind insbesondere bei der Beratung ber die Durchfhrung von Rechtsmittelverfahren wichtig. Nicht selten geht es dem Mandanten nmlich i. w. darum, sein Fhrungszeugnis „sauber“ zu halten. Zu beachten ist aber, daß in ein Fhrungszeugnis fr Behrden (§ 31 BZRG) weitergehende Eintragungen erfolgen (§ 32 Abs. 3, 4 BZRG). Nach Ablauf einer Frist von drei bis fnf Jahren werden auch andere Verurteilungen nicht mehr in das Fhrungszeugnis aufgenommen (§§ 33, 34 BZRG). Die Frist beginnt mit dem Tag des ersten Urteils bzw. mit dem Tag der Unterzeichnung des Strafbefehls durch den Richter (§§ 5 Abs. 1 Nr. 4, 36 BZRG). Trotz der beschrnkten Aufnahme von Verurteilungen in das Fhrungszeugnis drfen bestimmten Behrden, namentlich Gerichten und Staatsanwaltschaften, Eintragungen fr Zwecke der Rechtspflege bekannt gegeben werden (sog. unbeschrnkte Auskunft aus dem Zentralregister, § 41 BZRG).

1124

Eine fr die Wiedereingliederung des Verurteilten in das Berufsleben sehr bedeutsame Mglichkeit erffnet § 39 Abs. 1 S. 1 BZRG. Danach kann der Generalbundesanwalt anordnen, daß die Aufnahme einer an sich eintragungspflichtigen Strafe in ein Fhrungszeugnis unterbleibt. Auf diesem Wege kann es gelingen, auch bei einer gewichtigeren Verurteilung dem Mandanten wenigstens einmal ein Fhrungszeugnis zu verschaffen, das er ohne Bedenken bei einer Bewerbung vorlegen kann. Die Vorschrift des § 39 Abs. 1 S. 1 BZRG wird in der Praxis aber als Ausnahmevorschrift verstanden und selten angewendet. Eine sorgfltige und erschpfende Begrndung des Antrages ist daher erforderlich, wobei der Verteidiger besonders zu der Frage Stellung nehmen muß, ob das „ffentliche Interesse“ der begehrten Anordnung entgegensteht (§ 39 Abs. 1 S. 2 BZRG). Die Tilgung von Eintragungen ber Verurteilungen (§ 4 BZRG, vgl. Rn. 1122) erfolgt nach Ablauf einer Frist von fnf, zehn oder fnfzehn 685

1125

Rn. 1126

Strafaussetzung zur Bewhrung, Strafvollstreckung und -tilgung

Jahren. Dabei richtet sich die Tilgungsfrist nach der Schwere der Verurteilung (§§ 45, 46 BZRG). Allerdings wird eine zu tilgende Eintragung erst ein Jahr nach Eintritt der Tilgungsreife gelscht, doch darf whrend dieser Zeit ber die Eintragung keine Auskunft mehr erteilt werden (§ 45 Abs. 2 BZRG). Bei Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe, Anordnung der Sicherungsverwahrung oder der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist die Tilgung ausgeschlossen (§ 45 Abs. 3 BZRG). Der Verteidiger muß wissen, daß eine vorzeitige Tilgung auf Antrag oder von Amts wegen mglich ist, falls die Vollstreckung erledigt ist und das ffentliche Interesse der Anordnung nicht entgegensteht (§ 49 BZRG). Zustndig fr die Anordnung ist der Generalbundesanwalt, gegen dessen ablehnende Entscheidung die Beschwerde gegeben ist. Hilft der Generalbundesanwalt der Beschwerde nicht ab, entscheidet der Bundesminister der Justiz (§ 49 Abs. 3 BZRG). Der Verteidiger wird diese vorzeitige Tilgung dann beantragen, wenn eine Strafe den Mandanten hindert, z. B. auszuwandern oder eine berufliche Position zu finden, die seiner Vorbildung entspricht. 1126

Die Rechtswirkungen der Tilgung und Tilgungsreife bestehen im Verwertungsverbot des § 51 BZRG35, und in der eingeschrnkten Offenbarungspflicht bei Verurteilungen des § 53 BZRG. Ist nmlich eine Verurteilung nicht in das Fhrungszeugnis aufzunehmen oder zu tilgen, darf sich der Verurteilte als unbestraft bezeichnen und braucht den der Verurteilung zugrunde liegenden Sachverhalt nicht zu offenbaren36. Das ist besonders wichtig, wenn er in einem laufenden Verfahren nach Vorstrafen gefragt wird. Der Verurteilte ist aber auch als unbestraft zu behandeln, denn im Falle der Tilgung oder der Tilgungsreife drfen die Tat und die Verurteilung dem Betroffenen im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwertet werden (§ 51 BZRG). Dies bedeutet primr, daß getilgte oder tilgungsreife Vorstrafen in einem neuen Strafverfahren nicht strafschrfend bercksichtigt werden drfen37. Im brigen besteht, jedenfalls nach der Rechtsprechung, eine eindeutige Tendenz zur restriktiven Handhabung des § 51 BZRG. Danach gilt das Verwertungsverbot in einer Reihe von Fllen nicht, die der Verteidiger kennen muß: So wird § 51 BZRG nicht auf Bußgeldentscheidungen angewendet, die nicht in das Verkehrszentralregister einzutragen sind38, d. s. die Verurteilungen zu Bußgeldern aufgrund anderer Gesetze. Ebensowenig gilt die 35 Zur Verfassungsmßigkeit dieser Regelung vgl. BVerfGE 36, 174. 36 Eine Ausnahme gilt beim unbeschrnkten Auskunftsrecht von Behrden, falls der Verurteilte hierber belehrt worden ist (§ 53 Abs. 2 BZRG). 37 BGH, StV 1985, 322; BGHSt. 24, 378. 38 BayObLG, NJW 1973, 1091.

686

Straftilgung

Rn. 1128

Vorschrift bei Verfahren, die durch Einstellung beendet worden sind39. Ferner drfen auch der Sachverhalt bzw. einzelne Feststellungen von frheren freisprechenden Erkenntnissen ohne weiteres verwertet und vorgehalten werden40. Schließlich steht § 51 Abs. 1 BZRG einer indiziellen Verwertung der getilgten oder tilgungsreifen Verurteilung fr den Schuldspruch nicht entgegen, wenn die Nichtverwertbarkeit die Rechtsstellung Dritter schmlern knnte, z. B. dann, wenn die neue Tat als (zivilrechtlich) unerlaubte Handlung Ansprche Dritter begrndet (§ 51 Abs. 1 BZRG). Die Bedeutung des § 51 BZRG leidet letztlich auch darunter, daß § 52 BZRG in bestimmten, dort nher bezeichneten Fllen Ausnahmen vom Verwertungsverbot zulßt. Der Verteidiger wird stets darauf zu achten haben, daß die gesetzlichen Grenzen des Verwertungsverbots eingehalten werden, damit das neue Gesetz dem Verurteilten nicht „Steine statt Brot“ gibt. In Bundeszentralregistersachen ist als Rechtsbehelf der Antrag auf gerichtliche Entscheidung an den Strafsenat des OLG gegeben (§§ 23 ff. EGGVG, Rn. 1082), jedoch erst nach Erschpfung des Rechtsweges41.

1127

Das Verkehrszentralregister, das in den §§ 28–30 StVG, 59–64 Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV geregelt ist, wird beim Kraftfahrt-Bundesamt in Flensburg gefhrt (sog. „Verkehrssnderkartei“). Es bezieht sich auf Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, die im Zusammenhang mit der Teilnahme am Straßenverkehr begangen worden sind. Eingetragen werden (§ 28 StVG) z. B. Gerichtsurteile, die auf eine Strafe oder auf Maßnahmen erkennen oder einen Schuldspruch enthalten, Entscheidungen der Gerichte ber die vorlufige Entziehung der Fahrerlaubnis sowie rechtskrftige Entscheidungen von Gerichten oder Verwaltungsbehrden wegen bestimmter Ordnungswidrigkeiten, wenn gegen den Betroffenen ein Fahrverbot oder eine Geldbuße von mindestens 40,– Euro festgesetzt ist. Nicht eingetragen werden dagegen Einstellungen des Verfahrens nach § 47 OWiG, §§ 153, 153a.

1128

Die Tilgung erfolgt nach Ablauf bestimmter Fristen (§§ 29 StVG, 63 FeV), die bei Ordnungswidrigkeiten nicht mehr als zwei Jahre betragen drfen, sofern keine weiteren Eintragungen ber den Betroffenen im Register enthalten sind (§ 29 Abs. 2 Nr. 1 StVG). Die Auskunft aus dem Register ist nach § 30 StVG beschrnkt. Sie darf nur fr Zwecke der Strafverfolgung, fr Verwaltungsmaßnahmen sowie

39 BGH, NJW 1973, 289. 40 OLG Karlsruhe, NJW 1973, 292. 41 Meyer-Goßner, § 23 EGGVG Rn. 12 (Anh. A 2).

687

Rn. 1129

Strafaussetzung zur Bewhrung, Strafvollstreckung und -tilgung

zur Vorbereitung von Entscheidungen ber eine Erlaubnis im Straßenoder Luftverkehr erteilt werden (§ 30 Abs. 1 Nr. 1–3 StVG)42.

V. Gnadenverfahren Beck'sches Formularbuch/Lohberger/Kuhn, 4. Aufl., 2002, S. 744 ff.; Dahs, Vorauswirkungen von Rechtsreformen, ZRP 1970, 3; Eisenberg, Zur gerichtlichen berprfung eines Widerrufs der gnadenweise gewhrten Aussetzung einer lebenslangen Freiheitsstrafe, NStZ 1993, 54; Gotthold, Die gerichtliche Kontrolle von Gnadenentscheidungen, NJW 1968, 1223; Knauth, Das verfassungsrechtliche Willkrverbot im Gnadenverfahren, StV 1981, 353; Lwe/Rosenberg/Bttcher, vor § 12 GVG Rn. 10 ff.; Mller-Dietz, Recht und Gnade, DRiZ 1987, 474; Rping, Die Gnade im Rechtsstaat, FS Schaffstein (1975), S. 31 ff.; Schtzler, Gnade vor Recht, NJW 1975, 1249; Schtzler, Handbuch des Gnadenrechts, 2. Aufl., 1992 Schneider, Anmerkungen zum Begnadigungsrecht, MDR 1991, 101; Volckart, Zur Verrechtlichung der Gnade in Strafvollstreckung und Vollzug, NStZ 1982, 496.

1129

Das Gnadenrecht ist eine vielseitige Materie, die der Verteidiger nur selten vollbeherrscht. Das liegt vornehmlich an der Zersplitterung der maßgebenden Bestimmungen, der Zustndigkeit und der Rechtsmittel. Die Strafprozeßordnung bestimmt in § 452 die Zustndigkeit des Bundes fr die Urteile des Bundesgerichtshofes und der Lnder in allen anderen Fllen. Man muß die fr das betreffende Land geltende Gnadenordnung und sonstige Bestimmungen in Landesgesetzen, Verordnungen und allgemeinen Verfgungen zur Hand haben, wen man in einer Gnadensache ttig wird. Sie knnen hier nicht alle aufgezhlt werden (fr Nordrhein-Westfalen: Gnadenordnung vom 26. 11. 1975, zuletzt gendert am 9. 7. 1982 [GVBl. NW S. 514])43. Die landesrechtlichen Bestimmungen sind zusammengestellt im Schnfelder44. Diese Bestimmungen gehen so in das Detail, daß hier auf eine ausfhrliche Darstellung verzichtet werden kann. Dagegen sind aus praktischer Erfahrung gewonnene Erkenntnisse und Hinweise fr zweckmßiges Vorgehen des Verteidigers wohl am Platze.

1130

Als Auftraggeber in Gnadensachen treten Menschen verschiedenster Typen an den Verteidiger heran. Oft sind es Verzweifelte, die nach rechtskrftiger Verurteilung nach dem Gnadengesuch wie ein Ertrinkender nach dem rettenden Strohhalm greifen. Hufig sind es auch labile Personen ohne Reue und Einsicht, die mit der Aufforderung zum Strafantritt zum Anwalt kommen, als ob er das Zauberwort beherrsche, das sie vor dem

42 Zu allen Einzelheiten vgl. Rebmann/Uhlig, Rn. 4 ff. 43 GVBl. NJ 1976, 16 ff. (Nr. 321). 44 Anhang zu § 452 StPO.

688

Gnadenverfahren

Rn. 1131

Zugriff des Staates schtzen knne. In diesem Stadium sind Gnadengesuche meistens so gut wie aussichtslos. Die Mandanten knnen oder wollen nicht verstehen, daß der schwere Einbruch in ihr Berufs- und Privatleben der Natur und dem Zweck der Strafe gemß ist und als solcher zur Begnadigung nicht ausreichen kann. Auch die schwerwiegenden Auswirkungen auf die unschuldige Familie liegen in der Natur der Sache und sind vom Strafzweck im allgemeinen gedeckt. Nur wenn darber hinausgehende Umstnde gegeben sind, die außerhalb der normalen Auswirkungen einer Strafvollstreckung liegen, kann ein Erfolg erwartet werden. Dabei ist sorgfltig abzuwgen, welche Maßnahmen einzuleiten sind. Es kann beantragt werden, von Strafvollstreckung ganz abzusehen, einen Strafausstand zu gewhren oder auch Strafunterbrechung zu bewilligen. Die Strafaussetzung zur Bewhrung (§ 56 StGB), die Aussetzung des Strafrestes (§ 57 StGB) und die Anordnung, daß die Vollstreckung der Geldstrafe ganz oder zum Teil unterbleibt (§§ 459d ff.), stellen keine Gnadenentscheidungen dar: Solche knnen aber vorliegen, wenn die Anwendung der genannten Maßnahmen ber die gesetzliche Regelung hinaus geboten erscheint. Im einzelnen geben ber diese Mglichkeiten die genannten Bestimmungen Aufschluß. Sie zeigen auch die verschiedenen Zustndigkeiten an, ber die der Verteidiger sich zu orientieren hat (Staatsanwaltschaft, Generalstaatsanwalt, Amtsgericht, Gnadenbeauftragter beim Landgericht und andere). Zwar werden an falscher Stelle eingereichte Antrge zustndigkeitsgemß weitergegeben. Der Verteidiger sollte aber im Auge behalten, mit der zustndigen Stelle ggfs. auch Verbindung in einem persnlichen Gesprch zu finden. Ein solches kann fr Entschluß und Zeitpunkt zum Gnadengesuch ebenso ntzlich sein wie whrend des Verfahrens. Jede Gnadenstelle hat eine gewisse Gnadenpraxis, die eine gleichmßige Behandlung gleichartiger Flle sicherstellen soll. Der Verteidiger verbaut sich selbst den Weg zum Erfolg, wenn er sich damit nicht vertraut macht und sein Vorgehen entsprechend plant. Das betrifft auch die ungeschriebenen Richtlinien der einzelnen Justizministerien, die einen „scharfen“ oder „weichen“ Kurs steuern knnen. Ein Besuch bei der zustndigen Gnadenstelle vor Einreichung des Gesuchs zur Erkundigung der allgemeinen Behrdenpraxis und Vorbesprechung der konkreten Sache ist nicht selten berraschend ertragreich. Das gilt insbesondere dann, wenn das Gnadengesuch in einem anderen Bundesland einzureichen ist, dessen Gnadenpraxis dem Verteidiger nicht bekannt ist. Die sonst eher „in der Stille“ agierenden Beamten der Gnadenstellen schtzen die persnliche Vorsprache des Verteidigers und ein angemessenes Gesprch erfahrungsgemß sehr. Die Wahl des Zeitpunktes fr das Gnadengesuch ist eine der wichtigsten Aufgaben. Man sollte ihn so fixieren, daß unter Einrechnung der Verfah689

1131

Rn. 1132

Strafaussetzung zur Bewhrung, Strafvollstreckung und -tilgung

rensdauer die Entscheidung zeitlich mit dem Beginn der Begnadigung zusammenfallen knnte. In manchen Fllen, besonders bei lngerer Strafverbßung, kann es auch richtig sein, ein Gnadengesuch zu einem an sich verfrhten Zeitpunkt einzureichen, um damit die Prfung der Gnadenumstnde einzuleiten und nach einer ersten Ablehnung alsbald zum richtigen Zeitpunkt das Gesuch zu wiederholen. Keinesfalls aber sollte der Verteidiger die Gnadenbehrde mit Antrgen „bombardieren“, wie es hufig geschieht. 1132

Oft drngt der Mandant auch auf persnliche Frsprache an hherer Stelle, etwa im Justizministerium oder bei dem Behrdenchef, weil er sich von dem Prestige seines Verteidigers einen besonderen Erfolg verspricht. Man wird auch hufig gefragt, ob dritte Personen, etwa politische Freunde oder hochgestellte Persnlichkeiten des ffentlichen Lebens auf hchster Ebene eingeschaltet werden sollten (sog. „politische Schiene“). Man kann vor solchen Versuchen nur dringend warnen. Sie bewirken bei einer der Legalitt und der Unparteilichkeit verpflichteten Justiz in aller Regel nur eine verstrkte Abschirmung gegen unsachliche Beeinflussung. Anders kann es auf der unteren Ebene sein. Der Verteidiger kann viel zu einem Gnadenerweis beitragen, wenn er auch die vor der Entscheidung zu hrenden Stellen, insbesondere auch den Vorstand der Vollzugsanstalt persnlich aufsucht. Auch kann es ntzlich sein, wenn Angehrige, etwa die Ehefrau, bei der Gnadenstelle persnlich vorsprechen, weil unmittelbar wirkende Eindrcke vermittelt werden und das Mitgefhl des Sachbearbeiters angesprochen wird. Das ist durchaus legitim, insofern es nicht um einen auf feste Normen gegrndeten Rechtsspruch, sondern um eine Ermessensentscheidung im Bereich der Gnade geht, wo sich Liebe und Recht begegnen sollen (Mitteis). Unter Umstnden sollte der Verteidiger dem Mandanten oder den Angehrigen sogar raten, das Gnadengesuch selbst einzureichen und mit eigenen schlichten Worten zu begrnden, besonders wenn dabei auch Grnde der Bedrckung oder Armut geltend gemacht werden sollen. Der spontane Notschrei des Betroffenen kann in einem solchen Falle wesentlich berzeugender wirken als die berlegte Formulierung eines wortgewandten Anwalts, die vielleicht als bloße Routineleistung eines dafr honorierten Verteidigers unterbewertet wird.

1133

Die Begrndung des Gnadengesuchs wird meist aus den besonderen Umstnden des einzelnen Falles abzuleiten sein. Vielfach enthalten die Urteilsgrnde schon wertvolle Hinweise. Es kommt vor, daß das Gericht selbst in der Urteilsbegrndung die Begnadigung angeregt hat. Im einzelnen kommt alles in Betracht, was auch fr die Strafzumessung und die Strafaussetzung zur Bewhrung bedeutungsvoll ist (Rn. 748 f. und 1097 ff.). Ganz falsch ist der immer wieder anzutreffende Versuch, die 690

Gnadenverfahren

Rn. 1135

sachliche Richtigkeit des rechtskrftigen Urteils anzugreifen. Das sollte einem Verteidiger nicht passieren. Die Gnadeninstanz muß in der Regel von dem Urteil ausgehen, statt dagegen anzugehen. Wichtig ist es, neben den Belastungen der Strafvollstreckung fr den Betroffenen und Dritte auch darzustellen, was der Antragsteller bei Begnadigung fr sich und andere, z. B. die Familie, Geschdigte, tun kann und wird (Rn. 1136). Gelegentlich kann allerdings auch die Aufgabe einer bestimmten beruflichen Ttigkeit (z. B. durch Verzicht auf Zulassung, Approbation u. a.) die Aussichten des Gesuchs frdern. Nur in Sonderfllen kommt der Gnadenerweis auch zur Korrektur von Fehlurteilen in Betracht. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Schuldspruch mit schwerwiegenden und fr die Gnadenstelle nachvollziehbaren Argumenten zu erschttern ist, ohne daß ein gesetzlicher Grund zur Wiederaufnahme dargetan werden kann. Urteile sind auch manchmal hinsichtlich des Strafmaßes ein offensichtlicher Fehlgriff, sei es im Vergleich mit anderen Entscheidungen oder wegen ungerechter berbewertung der Generalprvention.

1134

Wieder anders liegt es, wenn ein ungerechtes Gesetz zur Verurteilung gefhrt hat, das der allgemeinen Rechtsauffassung nicht oder nicht mehr entspricht, oder inzwischen sogar aufgehoben ist45. Man spricht dann von einem korrigierenden Gnadenerweis. Das war beispielsweise der Fall bei Verurteilung wegen einfacher homosexueller Handlungen oder anderer Sexualdelikte, deren Strafbarkeit nach den bereits vorliegenden Gesetzentwrfen zur Strafrechtsreform entfallen sollte. Bis dahin konnte die Korrektur der auf dem noch geltenden Gesetz beruhenden ungerechten Urteile nur auf dem Gnadenwege erfolgen. Auch bei Trunkenheit am Steuer ist in großem Umfange im Wege der Gnadenentscheidung Strafaussetzung zur Bewhrung nach rechtskrftiger Verurteilung bewilligt worden, nachdem ein Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofes die Strafaussetzung fr Ersttter zur Regel gemacht hatte (Rn. 1097)46. In manchen Fllen ist auch die Begnadigung zu erreichen, weil der Verurteilte durch die Tatfolgen selbst schwerstens betroffen ist, diese Umstnde zur Zeit des Urteils jedoch noch nicht eingetreten oder bekannt waren und somit nicht bercksichtigt werden konnten (§ 60 StGB). Hier ist zu denken an gesundheitliche Sptschden des Tters oder naher Angehriger aus einem schuldhaft verursachten Verkehrsunfall, Verlust der beruflichen Stellung, durch Schadensersatzleistung, z. B. einen nachtrglichen

45 Vgl. hierzu auch Dahs, ZRP 1970, 3. 46 BGH, NJW 1968, 1787.

691

1135

Rn. 1136

Strafaussetzung zur Bewhrung, Strafvollstreckung und -tilgung

Tter-Opfer-Ausgleich gemß § 46a StGB, eingetretene wirtschaftliche Notsituation u. . 1136

Wirksame Untersttzung des Gnadengesuchs bedeutet in jedem Falle die Wiedergutmachung des Schadens, der durch die Straftat angerichtet ist. Sie stellt einen echten Beitrag zur eigentlichen „Shne“ dar, die der Tter in sich selbst zu vollziehen hat. Den Nachweis der Shneleistung sollte der Verteidiger sich sehr angelegen sein lassen. Er kann unter Umstnden auch eine Erklrung des Geschdigten herbeifhren, der sich mglicherweise fr eine Begnadigung des Tters einsetzt. Der Verteidiger muß sich auch um Leumundszeugnisse und Befrwortungen angesehener Personen (Brgermeister, Pfarrer und andere) bemhen und auf jede Weise das Bild des Auftraggebers vervollstndigen, um damit Lcken in der Persnlichkeitsdiagnose im gerichtlichen Urteil zu schließen.

1137

In der Praxis entstehen die grßten Schwierigkeiten aus der zeitlichen Koinzidenz des Gnadengesuchs und der Strafvollstreckung. Diese wird durch das Gnadengesuch grundstzlich nicht gehemmt. Sie kann aber eingestellt werden, wenn das Gnadengesuch Aussicht auf Erfolg verspricht. Damit kann aber nicht ohne weiteres gerechnet werden. Ist ein frheres Gesuch schon einmal abgewiesen worden, versprechen nur neue, schwerwiegende Grnde Aussicht auf eine Einstellung der Vollstreckung. Wenn Aufforderung zum Strafantritt und Gnadengesuch gleichzeitig laufen, ist die Situation sehr ungemtlich. Der Verteidiger kann dem Mandanten nicht raten, die Aufforderung zum Strafantritt zu ignorieren, solange ihm keine Einstellung der Vollstreckung zugesichert ist.

1138

Der Verteidiger muß endlich ber die Anfechtbarkeit von Gnadenentscheidungen Bescheid wissen. Statthaft ist die Beschwerde an die obere Gnadenbehrde, soweit sie von der jeweils maßgeblichen Gnadenordnung vorgesehen ist. Das BVerfG47 lehnt eine richterliche Nachprfung ab. Der Widerruf eines Gnadenaktes ist dagegen auch vom BVerfG48 fr justiziabel (§§ 23 ff. EGGVG)49 erklrt worden.

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Bei Begnadigung wird die Strafe im Zentralregister nicht getilgt (§ 14 BZRG). Eine Tilgung im Wege der Gnade ist jedoch mglich.

47 BVerfGE 25, 352 ff.; NJW 2001, 3771; Einzelheiten bei Meyer-Goßner, § 23 EGGVG Rn. 17. 48 BVerfGE 30, 108 ff. 49 Meyer-Goßner, § 23 EGGVG Rn. 17.

692

E. Fnfter Hauptteil Der Verteidiger in besonderen Funktionen

I. Der Verteidiger als Unternehmensberater und Firmenvertreter Der anwaltliche Strafverteidiger wird seit Jahren zunehmend von Wirtschaftsunternehmen als Berater und Vertreter gesucht. Die ihm in diesem Bereich bertragenen Aufgaben betreffen nicht nur das klassische Wirtschaftsstrafrecht, sondern auch die strafrechtlich eher „jungen“ Gebiete des Bilanz-, Brsen- und Wertpapierhandelsstrafrechts – nicht weniger aber auch z. B. das Umweltstrafrecht. Diese Ausweitung des Mandatsspektrums hngt gewiß damit zusammen, daß das Wirtschaftsstrafrecht im weitesten Sinne, d. h. einschließlich des Korruptionsrechts eine immer grßere Bedeutung in der Praxis der Staatsanwaltschaften und Gerichte und folgerichtig auch der Strafverteidiger gewonnen hat. Das Aufgabengebiet ist breit, vielschichtig, juristisch oft schwierig, mithin fr den Strafverteidiger sehr interessant – nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht.

1140

1. Unternehmensberatung Unter diesem Begriff wird gemeinhin eine betriebswirtschaftlich-kaufmnnische Beratungshilfe verstanden, die bei Umstrukturierungen oder Krisen, nicht zuletzt aber auch als Hilfe bei der allgemeinen Unternehmensfhrung in Anspruch genommen wird. Der spezifisch strafrechtliche Beratungsbedarf wird durch hnliche oder andere Umstnde ausgelst: So kann in einem Unternehmen – mit oder ohne besonderen „Anstoß“ – das Bedrfnis gesehen werden, strafrechtliche Verantwortlichkeiten in der Hierarchie zu definieren, sie auf die konkreten Verhltnisse im Unternehmen zu bertragen und Empfehlungen zu geben, die einen allgemeinen oder auch nur speziellen Schutz, z. B. der Leitungsebene gegen strafrechtliche Verantwortlichkeiten fr Fehlentwicklungen, Unglcksflle u. a., bieten knnen. Insoweit wird der beratende Strafrechtler oft zunchst um ein Gutachten zum Ist-Zustand gebeten, in dem er dann z. B. feststellt, daß ein gravierender Organisationsmangel im Vorstand der AG bereits darin liegt, daß dasselbe Vorstandsmitglied zugleich fr die Produktion und den Umweltschutz verantwortlich ist. Der Interessenkonflikt liegt hier auf der Hand! In der Regel betrifft das Thema der Beratung jedoch die Frage, ob die Organisations-, Auswahl-, Leitungs-, Instruktions- und Kontrollpflichten entsprechend den rechtlichen Anforderungen (§ 130 OWiG) geregelt sind 693

1141

Rn. 1142

Der Verteidiger in besonderen Funktionen

und funktionieren. Erfahrungsgemß entdeckt man in diesem Bereich nicht selten einen Unterschied zwischen der „papierenen“ und „gelebten“ Organisation, d. h. die geforderten organisatorischen Anweisungen sind zwar getroffen, die Delegation von Aufgaben in der Vertikale der Hierarchie ist erfolgt – nur wird in der Praxis alles anders gemacht. Ebenso stßt man zuweilen auf eine an sich einwandfreie Organisationsstruktur, jedoch fehlt es an regelmßigen Kontrollen, ob die Verantwortlichen ihre Aufgaben erfllen, an einer sauberen Dokumentation durchgefhrter Kontrollen und ihrer Ergebnisse sowie an der Berichterstattung „nach oben“ bis zur Unternehmensleitung. Die an den Strafverteidiger gerichtete Frage geht nicht selten dahin, wie man es erreichen knne, daß – was auch immer im Unternehmen passiert –, jedenfalls „die Leitungsebene rausgehalten wird“. Die fr die Mandantschaft oft wenig zufriedenstellende Antwort kann hier nur dahin gehen, daß die Letztverantwortung der Firmenleitung rechtlich nicht abgenommen werden kann, jedoch durch eine Reihe von Maßnahmen der genannten Art erreicht werden kann, daß faktisch die Gefahr strafrechtlicher Verstrickung „nach oben“ erheblich ausgednnt wird. Dazu gehrt allerdings auch der Hinweis, daß Ermittlungsbehrden in der Praxis zur sog. top-down-Methode neigen, d. h. ihre Untersuchungen gerne auf der Leitungsebene beginnen. Bei der Beratung von Wirtschaftsunternehmen ist oft nicht geringe berzeugungsarbeit zu leisten, wenn z. B. Aufsichtsbehrden des Umweltbereichs oder technischer Bereiche bisher entweder ignoriert oder nur als Hindernis fr unternehmerisches Handeln betrachtet worden sind. Die Bedeutung dieser Behrden, nicht nur soweit sie als Ermittlungsbehrden fr die Staatsanwaltschaft in Betracht kommen, muß ebenso deutlich werden wie die Empfehlung, diese ggfs. prventiv-beratend zu befragen, um damit Vorkehrungen fr eine im Falle des Falles in Betracht kommende strafrechtliche oder bußgeldrechtliche berprfung zu schaffen. Es ist nicht immer leicht, Unternehmen davon zu berzeugen, daß ein gutes Verhltnis zu den Ordnungs- und Aufsichtsbehrden, z. B. StUA, StAfA, EBA, insbesondere auch der Gewerbeaufsicht, besser ist als eine noch so gute Strafverteidigung, wenn erst einmal ein Unglcksfall oder umweltbelastender Unfall o. . geschehen ist. 1142

Zur Beratungsaufgabe des strafrechtlich beratenden Anwalts kann es dann auch gehren, alle in der „Verantwortungskette“ stehenden Personen ber die rechtlichen Konsequenzen der Organisations- und Verantwortungsstruktur zu unterrichten, ihnen die sie jeweils persnlich treffenden Pflichten vor Augen zu fhren und – last but not least – auf mgliche strafrechtliche Sanktionen bei Pflichtverstßen oder Unterlassungen hinzuweisen. Dazu gehren auch die Belehrung ber Eintragungen in das Gewerbezentralregister (§ 149 GewO) und das Verdikt der Unzulssigkeit mit ihren gewerberechtlichen Konsequenzen (vgl. § 149 Abs. 2 GewO). 694

Der Verteidiger als Unternehmensberater und Firmenvertreter

Rn. 1144

Ein anderer Bereich der strafrechtlichen Beratung kann darin bestehen, daß ein Wirtschaftsunternehmen eine Aufklrung darber wnscht, welche strafrechtlichen Risiken in seinem speziellen Wirtschafts- und Handlungsbereich berhaupt in Betracht kommen, in die man ohne strafrechtlichen dolus aus Unkenntnis „hineinschlittern“ knnte. Das Spektrum reicht hier von § 266 StGB mit seinen kaum noch bersehbaren und fr Kaufleute nicht mehr verstndlichen Verfeinerungen und Verstelungen, z. B. wenn ein Bankinstitut einen Großkunden auch durch eine Absatzschwche, die zu einer nicht immer ausreichenden Kreditsicherung fhrt, „durchfinanziert“ bis wieder fester Boden erreicht ist. Es ist nicht auszuschließen, daß Strafverfolgungsbehrden in so strukturierten Fllen die Meinung vertreten, daß auf dem Wege der Durchfinanzierung zu einem bestimmten Zeitpunkt mangels ausreichender Kreditsicherheiten eine Untreue (i. S. einer Vermgensgefhrdung zum Nachteil des Kreditinstituts) begangen worden sei. Sponsoring kann in bezug auf das Vermgen der juristischen Person oder Korruptionsdelikte bedenklich sein. Der Geldwschetatbestand des § 261 StGB und die ihn flankierenden zahlreichen Vorschriften knnen ebenfalls leicht zu strafrechtlicher Verstrikkung fhren, ebenso ein allzu sorgloser Umgang mit den Vorschriften des Brsen- und Wertpapierhandelsgesetzes, z. B. der unverzglichen Publikation besonderer Ereignisse (sog. ad-hoc-Mitteilungen, u. a. nach § 21 WpHG). Daneben bietet das Recht der Ordnungswidrigkeiten ein weites Bettigungsfeld, in dem der beratende Strafverteidiger den Kaufmann und Unternehmer vor Fehltritten bewahren kann.

1143

Als weitere Gruppe sind die Flle von Einzelberatungen verschiedenster Art zu nennen. So wird z. B. der Strafverteidiger nicht selten gefragt, ob es rechtsbedenklich sei, die Geldstrafe oder die Geldauflage nach § 153a StPO fr einen Mitarbeiter zu bezahlen, oder ob man damit in die Nhe von Strafvereitelung und Begnstigung gerate. Daß die Erstattung von Geldauflagen im Rahmen einer Verfahrenserledigung nach § 153a bei einem betrieblich veranlaßten Fehlverhalten unbedenklich ist, ist heute herrschende Auffassung1. Hier ist auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 19912 hilfreich, in der mit jeder wnschenswerten Deutlichkeit ausgesprochen ist, daß weder die Zustimmung zur Einstellung noch die Leistung der Geldauflage die fortbestehende Unschuldsvermutung tangiert, somit die Frage eines Verschuldens vllig of-

1144

1 BGHSt. 37, 226; Trndle/Fischer, § 258 Rn. 16 m. N. (fr Geldstrafe); vgl. auch Spatscheck/Ehnert, bernahme von Geldsanktionen und Verteidigerhonorar, StraFo 2005, 265; Poller, Untreue durch bernahme von Geldsanktionen, Verfahrenskosten und Verteidigerhonoraren, StraFo 2005, 274. 2 BGH, MDR 1991, 891.

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Rn. 1145

Der Verteidiger in besonderen Funktionen

fen bleibt und deshalb auch eine solche Einstellung dem Betroffenen in keinem rechtlich geordneten Verfahren jemals entgegengehalten werden darf. Auch die Bezahlung einer Geldstrafe durch Dritte – nicht nur durch den Arbeitgeber im Rahmen seiner (fortwirkenden) Frsorgepflicht ist an sich strafrechtlich unbedenklich3. Allerdings muß zugleich die Prfung anheim gegeben werden, welche Personen bzw. Gremien des Unternehmens dafr ihre Zustimmung geben mssen, z. B. der Aufsichtsrat. Zugleich muß geprft werden, ob es sich bei dem in Rede stehenden Delikt um ein solches zum (wirtschaftlichen) Nachteil des Unternehmens gehandelt hat. Dann knnte nmlich die Bezahlung der Geldstrafe dem Unternehmensinteresse zuwiderlaufen und ihrerseits in den Bereich des § 266 StGB fallen. Entsprechende berlegungen gelten brigens auch fr die Bezahlung der Gerichtskosten und der Verteidigerkosten. Ganz allgemein ist dem Verteidiger zu empfehlen, seine Ratschlge an Unternehmen auf jeden Fall schriftlich festzuhalten, am besten in einer Korrespondenz oder gutachtlichen ußerung, mindestens aber in einem ausfhrlichen Aktenvermerk, damit er fr den Fall eines Personalwechsels im Unternehmen, eines Unternehmensverkaufs oder sonst grundlegend genderter Verhltnisse eine einwandfreie Dokumentation zur Verfgung hat. Hier wie auch sonst sollte der Verteidiger dem Element des Selbstschutzes einen durchaus hohen Stellenwert einrumen. 2. Vertretung in Strafsachen oder Bußgeldverfahren Minoggio, Firmenverteidigung, 2005.

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Ein anderes Arbeitsgebiet ist die Beratung und Vertretung in anhngigen Strafsachen oder Bußgeldverfahren. Mit den Mglichkeiten des Krisenmanagements in Ermittlungsverfahren befaßt sich das Handbuch eingehend unter C I. 1. an vielen Stellen (Rn. 229 ff., 232, 239), auf die hier verwiesen werden muß. Besonderheiten im Unternehmensbereich ergeben sich aus §§ 130, 30 OWiG. Die Bedeutung dieser Vorschriften wird zum einen durch die §§ 130 Abs. 3 und 30 Abs. 2 i. V. m. § 17 Abs. 4 OWiG deutlich, wonach eine Geldbuße von bis zu 1 Mio. Euro oder auch darber (weit) hinaus nach § 17 Abs. 4 OWiG verhngt werden kann. Hier liegt die Besonderheit vor, daß neben der Geldbuße gegen die Leitungsperson des Unternehmens, insbesondere seine Organe dieses selbst – wenn es sich um eine juristische Person handelt – eine selbstndige Geldbuße nach § 30 OWiG festgesetzt werden kann. Diese nicht allgemein bekannte Mglichkeit trifft manches Unternehmen vllig unvorbereitet, jagt ihm einen gehrigen Schrecken ein und lst ein starkes Bedrfnis nach effek3 BGHSt. 37, 226 m. N.

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Der Verteidiger als Unternehmensberater und Firmenvertreter

Rn. 1147

tiver Strafverteidigung aus. Dazu muß der Verteidiger wissen, daß § 146 StPO der gleichzeitigen Verteidigung eines Organs und der juristischen Person nicht entgegensteht4 – was ihn natrlich nicht davon entbindet, im Einzelfall die Frage einer Interessenkollision zwischen der Verteidigung des Organs und der Gesellschaft sorgfltig zu prfen. Die sog. Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG ist deshalb fr Wirtschaftsunternehmen so gefhrlich, weil sie zur Verurteilung des Organs – zivilrechtlich gesehen – streng akzessorisch ist, d. h. der Gesellschaft praktisch keine eigenen Verteidigungsmglichkeiten zur Verfgung stehen, die von der Verteidigung des Organs unabhngig sind. berdies kann die Geldbuße gegen das Unternehmen auch selbstndig nach § 30 Abs. 4 OWiG festgesetzt werden. Das bedeutet, daß das Unternehmen „auf Gedeih und Verderb“ von der effektiven Verteidigung seines Organs abhngig ist, weshalb diese besondere rechtliche Struktur es wiederum nahelegt, daß die Verteidigung des Organs und der Gesellschaft – wenn mglich – in einer Hand liegt oder jedenfalls koordiniert gefhrt wird. Wenn der Anwalt, der ausschließlich das Unternehmen i. S. d. § 30 OWiG vertritt, damit auch nicht im engeren begrifflichen Sinne „Verteidiger“ ist, sondern eben „Firmenvertreter“, so befindet er sich doch in der Position eines Quasi-Verteidigers mit der Folge, daß ihm das Recht auf unkontrollierten Verkehr (Korrespondenz) mit seiner Mandantin ebenso zusteht wie auch der einschlgige Schriftverkehr und smtliche Verteidigungsunterlagen beschlagnahmefrei sind i. S. des § 97 Abs. 1 i. V. m. § 148 StPO5. § 146 greift nicht ein.

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3. Das Unternehmen als Geschdigter Schließlich wird der Strafverteidiger von Wirtschaftsunternehmen auch nicht selten in Anspruch genommen, wenn sie sich durch eigene Mitarbeiter oder Dritte geschdigt fhlen. Ein solcher Auftrag bedingt zuweilen gewisse eigene Ermittlungshandlungen des Anwalts, um den aufgekommenen Verdacht nher zu prfen und ggfs. durch zustzliche sachliche Erkenntnisse zu verfestigen. In diesem Rahmen wird dann auch die Frage gestellt, ob Strafanzeige erstattet werden soll oder man die Sache „unternehmensintern“ erledigen knne. Soweit es sich um entstandene Vermgensnachteile handelt, kommt hier wieder § 266 ins Spiel, und der Verteidiger wird in dubio zur Strafanzeige raten mssen. Wenn ihm deren Ausarbeitung oder die berprfung eines entsprechenden Entwurfes z. B. der 4 BVerfGE 45, 272, 288; BGH, DRiZ 1977, 24; Meyer-Goßner, § 444 Rn. 12; KKOWiG-Rogall, § 30 Rn. 180; Ghler, OWiG, § 88 Rn. 14. 5 Das ergibt sich aus § 434 Abs. 2.

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Rn. 1148

Der Verteidiger in besonderen Funktionen

Rechtsabteilung aufgegeben wird, hat er darauf zu achten, daß alle Tatbestandsmerkmale des angezeigten Delikts durch Tatsachen, etwa vorhandene Unterlagen oder Benennung von Zeugen pp. belegt werden, was auch fr den subjektiven Tatbestand gilt. Jede Polemik ist zu vermeiden; sie wrde dem Anliegen des Unternehmens, die Staatsanwaltschaft zu einer ernsthaften Prfung der Sache zu veranlassen, nur schaden. Ob der Anwalt die Strafanzeige unter seinem Briefkopf erstattet oder dies dem Unternehmen berlßt und sich anschließend zu den Akten als „Geschdigtenvertreter“ legitimiert, ist eine im Einzelfall zu entscheidende Frage. Jedenfalls sollte er im Interesse der Mandantin dafr sorgen, daß er Kontakt mit den Ermittlungsbehrden halten und das Verfahren im Sinne der Mandantin frdern kann. Berufsrechtliche oder berufs-geschmackliche Bedenken gegen die bernahme oder Mitarbeit in einer solchen Strafanzeige-Sache sind aus heutiger Sicht wohl nicht mehr zu erheben. 1148

Daß die erfolgreiche Beratung und Vertretung von Wirtschaftsunternehmen fr den Strafverteidiger auch durchaus in der Regel zulssige Werbungseffekte und willkommene Honorareffekte hat, soll nicht verschwiegen werden. Allerdings spielen gerade bei Unternehmensmandaten auch die anderweitig (Rn. 155) errterten zweischneidigen Aspekte der „Ausschreibung“ des Mandats und der Unterbietung von Honoraren eine eher negative Rolle.

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Abschließend sei noch darauf hingewiesen, daß auch die Betreuung von Zeugen (vgl. Rn. 1150 ff.) und die Vertretung vor parlamentarischen Untersuchungsausschssen (dazu i. e. Rn. 1158 ff.) in Bezug auf Mitarbeiter des Unternehmens oder dieses selbst nicht selten in Betracht kommen und die Palette der „Sonderfunktionen“ des Strafverteidigers sinnfllig abrundet.

II. Der Verteidiger als Zeugenberater und anwaltlicher Zeugenbeistand Adler, Fr die Zurckverweisung eines anwaltlichen Zeugenbeistands wegen angeblicher Interessenkollision gibt es keine Rechtsgrundlage, StraFo 2002, 146; Caesar, Noch strkerer Schutz fr Zeugen und andere nicht beschuldigte Personen im Strafprozeß?, NJW 1998, 2313; Dahs, Zum Persnlichkeitsschutz des „Verletzten“ als Zeuge im Strafprozeß, NJW 1984, 1921; Dahs, Als Zeuge vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß, FS Rudolphi (2004), S. 597; Dahs, Der Zeuge – zu Tode geschtzt?, NJW 1998, 2332; Dahs/Langkeit, Das Schweigerecht des Beschuldigten und seine Auskunftsverweigerung als „verdchtiger Zeuge“, NStZ 1993, 213; Franke, Zeugenschutz versus Aufklrungspflicht – Aufklrung durch Zeugenschutz?, StraFo 2000, 295; Griesbaum, Der gefhrdete Zeuge, NStZ 1998, 433; Hamm, Kein Vereidigungsrecht von Untersuchungsausschssen, ZRP 2002, 11;

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Der Verteidiger als Zeugenberater und anwaltlicher Zeugenbeistand

Rn. 1150

Hammerstein, Der Anwalt als Beistand „gefhrdeter“ Zeugen, NStZ 1981, 125; Humborg, Die Rechte des Zeugen in der Hauptverhandlung, JR 1966, 448; Jung, Zeugenschutz, GA 1998, 313; Kaum, Der Beistand im Strafprozeßrecht, 1992; Meyer, Beiordnung eines Rechtsbeistandes fr einen Zeugen in analoger Anwendung des § 140 II StPO?, JurBro 1991, 331; Knig, Der Anwalt als Zeugenbeistand – Gegner oder Gehilfe der Verteidigung?, FS Rieß (2002), S. 243; Lammer, Zeugenschutz versus Aufklrungspflicht, FS Rieß (2002), S. 289; Lohberger, Zur Rechtsstellung des Zeugenbeistands, BRAK-Symposium v. 10. 10. 2003, S. 79 ff.; Lwe/ Rosenberg/Dahs[25], Vor § 48 Rn. 10 ff.; Ldeke, Der Zeugenbeistand, Frankfurt/ Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1995; Pasker, Zur Beiordnung eines Rechtsanwalts als Beistand fr einen Zeugen, NJW 1993, 201; Pld, Die Stellung des Zeugen in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestages, Berlin 2003; Rieß, Das neue Zeugenschutzgesetz, insbesondere Video-Aufzeichnungen von Aussagen im Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung, StraFo 1999, 1; Schlag, Die Rechte des Zeugenbeistands – insbesondere unter dem Blickwinkel von Akteneinsichts- und Anwesenheitsrecht, FS Egon Mller (2003), S. 23; Seitz, Das Zeugenschutzgesetz – ZSchG, JR 1998, 309; Sieg, Zeugnisverweigerungsrecht ber Inhalt eines Beratungsgesprchs mit Rechtsanwalt?, MDR 1992, 1027; Soin/Engelke, Das Gesetz zur Harmonisierung des Schutzes gefhrdeter Zeugen (Zeugenschutz-Harmonisierungsgesetz – ZSHG), NJW 2002, 470; Stange/Rilinger, § 68 b StPO: Akteneinsichtsrecht des Beistandes, ein noch immer ungeklrter Rechtszustand, StraFo 2002, 224; Thomas, Der Zeugenbeistand im Strafprozeß, NStZ 1982, 489; Thomas, Der Strafverteidiger in anderer Rolle: Nebenklage und Zeugenbeistand, FS Koch (1989), S. 277; Tondorf, Der aktive Zeugenbeistand – Ein Strenfried oder ein Stck aus dem Tollhaus, StV 1996, 511; Wagner, Zur Stellung des Rechtsbeistandes eines Zeugen im Ermittlungs- und Strafverfahren, DRiZ 1983, 21; Weigend, Empfehlen sich gesetzliche nderungen, um Zeugen und andere nicht beschuldigte Personen im Strafprozeß besser vor Nachteilen zu bewahren?, Gutachten C zum 62. DJT 1998; Wiefelsptz, Der Eid im Untersuchungsausschuß, ZRP 2002, 14; Zacharias, Der gefhrdete Zeuge im Strafverfahren, Berlin 1997; Ziegler, Der Verteidiger als Zeugenbeistand in Ziviloder arbeitsgerichtlichen Verfahren, StraFo 1999, 84.

Unter diesem Titel wird ein in der Praxis zunehmend bedeutsames Arbeitsgebiet behandelt, das zwar nicht Strafverteidigung im engeren Sinne ist, aber dem als Strafverteidiger ttigen Anwalt zugewachsen ist und optimal wohl auch nur von ihm bewltigt werden kann. Es ist ebenso reizvoll wie schwierig! Mit der Betreuung von Zeugen im Strafprozeß kann der Rechtsanwalt sowohl als mit der Sache noch nicht vertrauter Rechtsberater als auch im Verfahren bereits ttiger Verteidiger befaßt werden. Seine Ttigkeit kann sich auf eine interne, vorbereitende Beratung beschrnken oder auch den Beistand whrend der Vernehmung durch Ermittlungsbehrden oder Gerichte umfassen6. Er kann vom Mandanten (auf eigene Kosten) beauftragt 6 BVerfGE 38, 107 ff.; zum „Verdchtigen“ und zur „Auskunftsperson“ vgl. Rn. 237.

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Rn. 1151

Der Verteidiger in besonderen Funktionen

oder im Rahmen des § 68b7 oder fr den Verletzten nach §§ 406f und g (Rn. 1063) beigeordnet werden. Der Zeuge hat ein vollstndiges Schweigerecht ber alle Besprechungen mit seinem anwaltlichen Beistand vor oder whrend der Vernehmung8. 1151

Der in derselben Sache oder im Hinblick auf denselben Verfahrensgegenstand beauftragte Verteidiger muß zunchst die Frage einer Interessenkollision prfen, wenn er neben dem Beschuldigten auch einem Zeugen oder in derselben Sache mehreren Zeugen beistehen soll. Dies gilt besonders dann, wenn der Zeuge ber das Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 beraten werden will. Dabei ist vor allem zu klren, ob der Mandant etwa nur „formell“ Zeuge, in Wirklichkeit aber Beschuldigter in derselben Sache (§ 264) ist, dessen Verfahren lediglich getrennt gefhrt wird, oder (vorbergehend) abgetrennt ist. In derartigen Fllen kann die Zeugenvernehmung unzulssig sein (Rn. 564)9. Der Verteidiger muß bei solchen Konstellationen u. U. sogar das Verbot der Mehrfachverteidigung (§ 146) beachten, das einem Beistand in der Verhandlung entgegenstehen kann, whrend es ansonsten die Doppelrolle von Verteidiger und Zeugenbeistand nicht erfaßt10. Die Prfung, ob eine Interessenkollision mit dem bestehenden Verteidigungsmandat in Betracht kommt, kann nicht sorgfltig genug sein11. Der Verteidiger muß alle in Betracht kommenden Konstellationen zwischen dem verteidigten Mandanten und dem potentiellen Zeugen-Mandanten ausloten. Bei dieser „Aufklrungsarbeit“ werden ihm seine Erfahrung – und Phantasie – hilfreich sein. Er muß dem Zeugen alle nach Lage der Sache in Betracht kommenden Varianten mglicher Kollisionen vor Augen fhren und erklren. Im Zweifel ist der Verzicht auf das „Doppelmandat“ zu empfehlen. Tritt eine Interessenkollision erst bei der Vernehmung im Verfahren auf, so gert man dadurch nicht nur ins Zwielicht, handelt ggfs. berufsrechtlich bedenklich, sondern es mssen auch beide Mandate niedergelegt werden (§ 3 Abs. 4 BORA).

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Besteht die Gefahr einer Interessenkollision (Rn. 79 ff.) nicht, so ist umfassende sachliche Information und Vorbereitung des Zeugen geboten. Nicht nur Zeugen ohne juristische Vorbildung sind sich ber den Gang der Verhandlung, ihre Pflichten und Rechte als Zeuge, die praktische Durchfhrung der Befragung seitens des Gerichts und der Verfahrensbe-

7 Meyer-Goßner, § 68b Rn. 1. 8 OLG Dsseldorf, NStZ 1991, 504; LG Berlin, StV 1994, 533; LG Heilbronn, NStZ 2004, 100 m. Anm. S. Wagner. 9 BGH, JR 1969, 148 m. Anm. Gerlach. 10 Meyer-Goßner, Vor § 48 Rn. 11. 11 Zu den Einzelheiten Adler, StraFo 2002, 146.

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Der Verteidiger als Zeugenberater und anwaltlicher Zeugenbeistand

Rn. 1153

teiligten, die Kriterien zulssiger und unzulssiger Fragen und Vorhalte nicht im klaren. Persnliche Verbindungen zum Beschuldigten oder Geschdigten und/oder eigene Beziehungen zur Sache steigern erfahrungsgemß die Unsicherheit und erzeugen eine der Qualitt der Aussage hchst abtrgliche nervse und ngstliche Verfassung des Zeugen. Er muß daher nicht selten wie ein Beschuldigter – der er hufig auch leicht werden kann – intensiv auf seine Aufgabe vorbereitet und bei ihrer Ausfhrung betreut und untersttzt werden (Rn. 296). Der Zeuge will in der Regel nicht nur ber Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechte belehrt werden, sondern mchte auch eine Empfehlung fr zweckmßiges Verhalten bekommen. Dagegen bestehen keine Bedenken, solange nicht der Beistand den Zeugen bewußt zu einer Falschaussage veranlaßt. Dies gilt verschrft, wenn sogar unzulssige Mittel wie Tuschung, Drohung oder Ntigung eingesetzt werden. Es ist allerdings nicht recht ersichtlich, welches Motiv der Anwalt dafr haben sollte – es sei denn, er ließe sich in ein lgenhaftes Aussagekomplott einbinden. Etwas vllig anderes und unbedenklich sind dagegen Formulierungshilfen, die den Sachgehalt der Aussage nicht tangieren, den Zeugen aber davor bewahren, daß Passagen seiner Darstellung mißverstanden werden. Sachliche Grundlage jeder Zeugenberatung ist die Ermittlung des Sachverhalts, auf den sich die Vernehmung voraussichtlich erstrecken wird. Ist der Anwalt als Verteidiger im Verfahren ttig, wird er die Materie kennen: Sonst kann sie mit Hilfe des Zeugen oft erarbeitet werden. Ist dies nicht mglich oder erscheint das Erinnerungsbild der Mandanten berprfungs- oder ergnzungsbedrftig, so ist der Versuch zu erwgen, Einsicht in die Verfahrensakten oder Teile derselben, z. B. Protokolle ber frhere Vernehmungen des Zeugen zu erhalten. Allerdings ist ein Rechtsanspruch auf Akteneinsicht des Zeugenbeistandes nicht anerkannt12. Bei kooperativer Haltung der Beteiligten ist hier jedoch manches Arrangement im Interesse der Sache (und des Zeugen) denkbar, z. B. wenn die Aussagebereitschaft daran geknpft wird, daß dem Zeugen durch berlassung von Einzelvorgngen aus den Akten in Kopie oder mndliche Information eine angemessene Vorbereitung seiner Aussage ermglicht wird. Zuweilen kann auch Einsicht in Akten oder Unterlagen Dritter helfen, die nicht zu den Gerichtsakten gehren. Besondere Probleme kann die Beratung des „verdchtigen“ Zeugen mit sich bringen, der sich auf das Auskunftsverweigerungsrecht des § 55 berufen kann. Er muß wissen, daß dieses Recht, einzelne Fragen nicht zu beantworten, zu einem totalen 12 BVerfGE 38, 107, 116; a. A. Hammerstein, NStZ 1981, 127; auch ein Beschwerderecht soll er nicht haben, OLG Hamburg, StV 2002, 297; a. A. Adler, StraFo 2002, 146, 151 m. N.

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Rn. 1154

Der Verteidiger in besonderen Funktionen

Aussageverweigerungsrecht „erstarken“ kann, wenn nmlich der Zeuge so sehr in das zu verhandelnde Geschehen einbezogen ist, daß jede Aussage fr ihn gefhrlich werden knnte. Hier gibt es ganz eindeutige Flle, in denen die anwaltliche Empfehlung kein Problem ist: Andere dagegen knnen sehr schwierig liegen. Die Auskunftsverweigerung nach § 55 wirkt auf Richter, Staatsanwalt und ffentlichkeit oft sehr ungnstig und wird in der Presse negativ herausgestellt. Der Zeuge – zumal wenn er im ffentlichen Leben steht – kann ein Interesse daran haben, diesen Negativeffekt zu vermeiden, ohne sich andererseits fr sein eigenes Verfahren das Grab zu schaufeln. Daran kann die Beratung anknpfen: Der Zeuge sollte dem Gericht erklren, daß er keineswegs der vollstndigen Aussage ausweichen, diese aber zurckstellen wolle, bis er sich im eigenen Verfahren zu verantworten haben werde. Er sei dort ganz zu Unrecht beschuldigt und werde sich mit ausfhrlichen ußerungen zur Sache rechtfertigen. Damit entgeht der Zeuge in etwa der ffentlichen Mißdeutung seiner Auskunftsverweigerung. In anderen Fllen will der Mandant seine Aussage als unter Wahrheitspflicht stehender Zeuge gerade dazu benutzen, einen gegen ihn bestehenden Verdacht zu zerstreuen – ein gefhrliches Unterfangen. Hier sind Erfahrung, Knnen und Fingerspitzengefhl des anwaltlichen Beraters in hchstem Maße gefordert, ebenso wie sich ein guter Kontakt zu Staatsanwaltschaft und Gericht auszahlen kann. 1154

Dies setzt voraus, daß der anwaltliche Zeugenbeistand seine Beauftragung der vernehmenden Stelle anzeigt – was in der Regel ohnehin zweckmßig sein wird. Da er keinen Anspruch auf Benachrichtigung vom Termin hat, muß er die Information durch den Mandanten sicherstellen. Ob bei Verhinderung des Beistandes eine Terminverlegung geboten ist, ist umstritten13. In diesen Rahmen gehrt auch die Erwgung, dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft vor dem Termin die Zeugnis- oder Auskunftsverweigerung des Zeugen – ggfs. mit Begrndung – schriftlich anzukndigen – verbunden mit der Anfrage, ob der Zeuge gleichwohl erscheinen muß. Damit hat man nicht selten Erfolg, zumindest wird die „Prozedur“ im Termin verkrzt. Allerdings entbindet nur ausdrcklicher Verzicht von der Erscheinenspflicht.

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Whrend der Vernehmung hat der anwaltliche Rechtsbeistand (der nicht in Amtstracht auftritt14) des Zeugen vor allem darauf hinzuwirken, daß sein Mandant im Zusammenhang aussagen kann (§ 69 Abs. 1 S. 1), unzu-

13 I. e. Lwe/Rosenberg/Dahs[25], Vor § 48 Rn. 13; Adler, StraFo 2002, 156; Krehl, NStZ 1990, 193; abl. Burhoff, Handbuch Ermittlungsverfahren, Rn. 2068. 14 Meyer-Goßner, Vor § 48 Rn. 11; a. A. Wagner, DRiZ 1983, 22; Schlag, FS Egon Mller (2003), S. 35.

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Der Verteidiger vor parlamentarischen Untersuchungsausschssen

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lssige oder unntig bloßstellende Fragen blockiert werden (§§ 241 Abs. 2, 68a) und jederzeit – auch durch Unterbrechung der Vernehmung – Gelegenheit gegeben wird, die Frage des Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrechts entsprechend der wechselnden Verfahrenslage neu zu beraten. Außerdem kann er im gegebenen Falle auf eine Ausschließung der ffentlichkeit oder des Angeklagten zum Schutz des Zeugen hinwirken (§§ 172 Abs. 2, 174 GVG, § 247 StPO). Ein eigenes „Rederecht“ des anwaltlichen Zeugenbeistandes wird (bisher) nicht anerkannt15, jedoch ist mit geschickter Sachlichkeit auch hier manches erreichbar16, besonders wenn das Gericht die Alternative zahlreicher Beratungspausen fr Zeuge und Beistand vor Augen hat. Die Beiordnung eines anwaltlichen Beistandes von Amts wegen oder auf Antrag ist streitig17. Der Ausschluß des Anwalts als Zeugenbeistand ist unzulssig18; das gilt auch fr die Teilnahme an der ffentlichen Beweisaufnahme vor und nach Vernehmung seines Mandanten19. Der Zeuge wird oft ein Interesse daran haben, eine Kopie des Protokolls seiner Vernehmung, insbesondere vor der Ermittlungsbehrde, zu erhalten. Ein Rechtsanspruch darauf besteht nicht. Die Staatsanwaltschaft ist auch in der Regel zur Aushndigung nicht bereit. Ausnahmen kommen aber z. B. dann vor, wenn der aussage- oder auskunftsverweigerungsberechtigte Zeuge seine Aussage von der berlassung einer Durchschrift abhngig macht, z. B. bei fremdsprachigen Zeugen, oder wenn die Materie der Aussage so kompliziert ist, daß eine Nachkontrolle sachlich geboten ist, z. B. bei fachlichen Erklrungen u. .

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In entsprechend gelagerten Fllen sind mit dem Zeugen die Mglichkeiten des Gesetzes zur Harmonisierung des Schutzes gefhrdeter Zeugen (ZSHG) vom 11. 12. 2001 (BGBl. I, 3510) zu errtern und ggfs. zu aktivieren20.

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III. Der Verteidiger in Verfahren vor parlamentarischen Untersuchungsausschssen Dahs, Als Zeuge vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß, FS Rudolphi (2004), S. 597; Glauben/Brocker, Das Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschsse in Bund und Lndern, 2005; Hamm, Kein Vereidigungsrecht von Untersuchungsausschssen, ZRP 2002, 11; Pld, Die Stellung des Zeugen in 15 16 17 18 19 20

A. A. Thomas, NStZ 1992, 493; Knig, FS Rieß (2002), S. 254 f. Vgl. i. e. Lwe/Rosenberg/Dahs[25], Vor § 48 Rn. 10. Lwe/Rosenberg/Dahs, Vor § 48 Rn. 11 m. N. BVerfG, NStZ 2000, 434. OVG Berlin, NJW 2002, 213. Zu den Einzelheiten Soin/Engelke, NJW 2002, 470 ff.

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Der Verteidiger in besonderen Funktionen

einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestages, Berlin 2003; Wiefelsptz, Der Eid im Untersuchungsausschuß, ZRP 2002, 14; Wiefelsptz, Das Untersuchungsausschußgesetz des Bundes, ZParl 2002, 551. Vgl. auch das vor Rn. 1150 angefhrte Schrifttum.

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Die berschrift des Kapitels mag auf den ersten Blick paradox erscheinen, weil es in Verfahren vor parlamentarischen Untersuchungsausschssen eine „Verteidigung“ im eigentlichen Sinne nicht gibt. Das liegt an der eigenartigen Konstruktion der Gesetze des Bundes und der Lnder ber parlamentarische Untersuchungsausschsse21, die auch bei Skandalenqueten keinen „Betroffenen (= Beschuldigten)“ kennen, sondern alle vernommenen Personen „Zeugen“ bezeichnen, auch wenn jedermann klar ist, daß sich die Untersuchung gerade gegen diese Person(en) richtet. Dementsprechend knnen die betroffenen Zeugen sich auch nur eines anwaltlichen Zeugenbeistandes (Rn. 1150) versichern, wobei sie allerdings gut daran tun, einen ausgewiesenen Strafverteidiger zu beauftragen. Denn die Ttigkeit des Zeugenbeistandes ist bei dieser Rechtslage in der Sache sehr hufig nichts anderes als Verteidigung. Die besondere Schwierigkeit der anwaltlichen Aufgabe besteht hier darin, daß fr Verfahren vor Untersuchungsausschssen22 zwar einerseits (Art. 24 Abs. 2 S. 1 GG) die „sinngemße Anwendung der Vorschriften ber den Strafprozeß“ gilt, andererseits seine Mitglieder – nicht einmal der Vorsitzende – irgendeine juristische Qualifikation, geschweige denn die Befhigung zum Richteramt (§ 5 DRiG) haben mssen. Schlimmer noch ist es, daß die Abgeordneten ihre Aufgabe nicht in einer Art quasi-richterlicher Neutralitt, sondern bewußt als befangene Politiker mit parteipolitischer Interessenbindung und Zielsetzung erfllen sollen23. Wenn auch am Ende der Untersuchung kein formeller Ausspruch einer Sanktion steht, so kann dennoch der sog. (nicht beschwerdefhige) „Schlußbericht“ fr betroffene Personen, insbesondere wenn sie in der ffentlichkeit stehen, schwerwiegende Konsequenzen haben.

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Die Aufgabe des anwaltlichen (Verteidiger-)Beistands ist vor diesem Hintergrund hufig ungleich schwieriger als vor einer Staatsanwaltschaft oder einem Gericht. Da er als Zeugenbeistand kein Rederecht hat und ihm auch in aller Regel nicht gestattet wird, das Wort fr seinen Mandanten zu ergreifen24, beschrnkt sich seine Ttigkeit auf die Vorbereitung des Mandanten auf die Aussage, die beratende Begleitung whrend der Vernehmung und die „Nachbereitung“ der – wie blich – wrtlich protokol21 22 23 24

Vgl. dazu Kapitel E II. Rn. 1150 ff. Wiefelsptz, ZParl 2002, 559 m. N. Im folgenden wird jeweils von der Gesetzeslage nach dem PUAG ausgegangen. Dazu i. e. Lwe/Rosenberg/Dahs[25], Vor § 48 Rn. 10 ff.

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Rn. 1160

lierten25 Bekundungen. Soweit der Mandant „Betroffener“ des Untersuchungsgegenstandes ist, kann die Frage eines vollstndigen oder teilweisen Auskunftsverweigerungsrechts nach § 55 StPO eine herausragende Rolle spielen (Rn. 564). Da der Untersuchungsauftrag und der einschlgige Beweisbeschluß dem Zeugen mitgeteilt werden, ist (anders als im Strafverfahren) auch eine wesentlich bessere Vorbereitung des Zeugen auf die Sachfragen in der Vernehmung mglich – soweit eine solche ohne Akteneinsicht bewerkstelligt werden kann. Der Mandant muß auch wissen, daß er jederzeit die Vernehmung unterbrechen und sich mit seinem Beistand beraten kann, z. B. wenn ihm eine Frage oder ein Vorhalt unangemessen, sachfremd oder sonst unzulssig (Vorhalt aus dem Zusammenhang gerissener Bruchstcke einer Erklrung) erscheint. Die Beanstandung (§ 238) muß er dann allerdings selbst geltend machen – falls man nicht doch den anwaltlichen Zeugenbeistand zu Wort kommen lßt, z. B. um weitere Unterbrechungen der Verhandlung zu vermeiden. Besonders schwierig ist es erfahrungsgemß, den Mandanten auf die vllige parteipolitische Einseitigkeit (zuweilen sogar Gehssigkeit) von Fragen und Vorhalten einzustimmen und ihn zu berzeugen, darauf nicht „aus der Haut zu fahren“. Ein Vorteil fr den Zeugen kann es sein, daß nach § 26 PUAG des Bundes seine Vernehmung erst abgeschlossen ist, wenn er die schriftliche Niederschrift seiner Aussagen erhalten hat und seit Zustellung des Protokolls zwei Wochen verstrichen sind. Das bedeutet, daß bis zu diesem Zeitpunkt der Zeuge die Aussagen berichtigen kann, ohne Sanktionen befrchten zu mssen. Auch soweit in den entsprechenden Gesetzen der Lnder eine solche Vorschrift nicht existiert, bleibt aber hufig die Frage, ob der Zeuge definitiv entlassen und damit seine Vernehmung abgeschlossen ist, offen; dann kann der Verteidiger in der „Nachbearbeitung“ der Bekundungen des Mandanten Klar- oder Richtigstellungen veranlassen. Dies setzt allerdings voraus, daß er zumindest etwaige kritische Passagen der Vernehmung sorgfltig notiert hat oder durch eine dritte Person hat mitschreiben lassen – was ohnehin zu empfehlen ist. Niemand kann auch verhindern, daß falschen, herabsetzenden oder sonst unangemessenen Passagen im Schlußbericht des Untersuchungsausschusses eine schriftliche anwaltliche Erwiderung fr den betroffenen Zeugen entgegengesetzt wird. Zwar ist in der Regel nicht damit zu rechnen, daß diese Gegenerklrung als Anlage zum Schlußbericht genommen wird. Es besteht jedoch die Mglichkeit, die Gegenerklrung zumindest dem Prsidenten des Parlaments, den Vorsitzenden der Fraktionen oder auch allen Abgeordneten zukommen zu lassen, denen der Schlußbericht des Ausschusses zur Kenntnis gegeben wird. 25 § 11 Abs. 2 PUAG.

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Rn. 1161

Der Verteidiger in besonderen Funktionen

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Die Hauptaufgabe des anwaltlichen Rechtsbeistandes besteht allerdings in der sorgfltigsten Vorbereitung des Mandanten fr die Vernehmung, die nach Lage der Sache mglich ist, sowie darin, whrend der Vernehmung schon bei unglcklicher Wortwahl, mißverstndlichen Formulierungen oder auch erkennbaren Fehlern sofort einzugreifen und dafr Sorge zu tragen, daß eine unverzgliche Korrektur „zu doppeltem Protokoll“ (stenografisches und Tonband-Protokoll) erfolgt. Die Erfahrung zeigt nmlich, daß die „politische Gegenseite“ des Zeugen sich die Protokolle sehr genau ansieht und – wenn es politisch opportun erscheint – wegen tatschlicher oder scheinbarer Unrichtigkeiten Strafanzeige erstattet. Den Mandanten davor zu bewahren, ist die Hauptaufgabe seines Anwalts.

1162

Außer der Betreuung von Zeugen spielt auch die Beratung und Vertretung von Unternehmen der Privatwirtschaft eine wichtige Rolle, wenn diese vom Untersuchungsausschuß zur Vorlage von Geschftsunterlagen aufgefordert werden. Allerdings enthlt § 18 PUAG keine Vorlagepflicht fr Privatpersonen und private Wirtschaftsunternehmen. Aber auch soweit nach den allgemeinen Vorschriften (§§ 94, 95 StPO) Unterlagen angefordert werden, besteht insbesondere unter den Aspekten des Geschfts- und Betriebsgeheimnisses keineswegs ein uneingeschrnktes Zugriffsrecht von Untersuchungsausschssen auf Akten und Unterlagen von Nicht-Regierungsstellen.

1163

In allen Konfliktfllen sollte der Verteidiger sich nicht scheuen, es auf gerichtliche Entscheidungen (fr die bei Untersuchungsausschssen des Bundes der Ermittlungsrichter des BGH zustndig ist) ankommen zu lassen. Dies gilt z. B. dann, wenn eine der im Ausschuß vertretenen Parteien dahin erklrt, sie werde wegen der politischen Bedeutung der Dokumente diese auf jeden Fall in die ffentlichkeit bringen. Durch die Einschaltung des unabhngigen, neutralen Richters kann in das hufig leider sehr „parteiische“ Untersuchungsverfahren eine neutrale Rechtsinstanz „hineingezwungen“ werden, bei der die Rechte des Betroffenen allemal besser aufgehoben sind.

1164

Im Ergebnis erfordert die Beratung und Vertretung in parlamentarischen Untersuchungsverfahren hohe Kompetenz, extreme Sorgfalt und viel taktisches Geschick, um negative Folgen – gerade auch in der ffentlichen Berichterstattung – fr den Mandanten zu vermeiden oder zu neutralisieren. Sie ist damit eine hufig sehr schwierige „Verteidigung im Vorfeld“ gegen die Gefahr einer falschen Aussage sowie eine ber die Vernehmung weit hinausreichende Verteidigung der persnlichen und beruflichen Interessen des Mandanten gegen eine Institution, der man die Objektivitt und Neutralitt der strafrechtlichen Justizorgane oft nur wnschen kann! In diesem Umfeld mit Geschick und Erfolg zu agieren, ist fr den Vertei706

Der Verteidiger in eigener Sache

Rn. 1166

diger oft eine grßere Herausforderung als manche Verteidigung im „klassischen“ Strafprozeß.

IV. Der Verteidiger in eigener Sache Beulke, Die Strafbarkeit des Verteidigers, 1989; Beulke, Der Umfang und die Grenzen der erlaubten Strafverteidigerttigkeit, JR 1994, 116; Bottke, Zu den Grenzen zulssigen Verteidigerhandelns, JR 1984, 300; Krekeler, Strafrechtliche Grenzen der Verteidigung, NStZ 1989, 146; Klussmann, Das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers in eigener Sache, NJW 1973, 1965; Wnsch, Richterprivileg – Verteidigerprivileg, StV 1997, 45.

Die Berufsausbung und allgemeine Lebensfhrung des Rechtsanwalts muß den Anforderungen des § 43 BRAO entsprechen. Danach hat er sich „innerhalb und außerhalb seines Berufs der Achtung und des Vertrauens, welche seine Stellung erfordern, wrdig zu erweisen“. Damit ist ihm wie dem Richter das honeste vivere vorgeschrieben. Er muß sich stets seiner herausgehobenen Stellung in der Rechtspflege (Rn. 11) bewußt sein. Das wird auch in der ffentlichkeit so wahrgenommen. Besonders muß er sich davor hten, mit den Strafgesetzen in Konflikt zu kommen. Die Berufsaufgabe, andere gegen die Strafverfolgung zu schtzen, und die Verstrickung in ein eigenes Strafverfahren sind eine peinliche Assoziation. Es ist eine kaum ertrgliche Vorstellung, daß ein Rechtsanwalt sich als Beschuldigter oder Angeklagter vor denselben Justizorganen seines Wohnsitzes verantworten mßte, mit denen er sonst als gleichberechtigter Verfahrenspartner an der Rechtspflege mitwirkt. Noch viel peinlicher ist der Gedanke einer Strafvollstreckung, die ihn in der Vollzugsanstalt mit seinen verurteilten Klienten oft zweifelhaften Charakters zusammenfhrt.

1165

Dies gilt vor allem fr Delikte, die im Rahmen der Berufsausbung als Rechtsanwalt begangen werden: Unkorrektheiten im Umgang mit fremden Geldern (z. B. Treuhandgeldern fr Kaution oder Honorar – § 246 StGB) und Vermgensinteressen (z. B. aus der Staatskasse erstatteten Auslagen – § 266 StGB), in Gebhren- (§ 352 StGB) und Honorarangelegenheiten (§ 263, § 253 StGB); Schwatzhaftigkeit und Renommiersucht (§ 203 StGB), blinde „Raffgier“ nach Mandaten (§ 356, sogar § 331, bei Zuwendungen fr Informationen ber „mandatsgeeignete Festnahmen“ u. .), sowie Ehrverletzungsdelikte (§§ 185 ff. StGB). Auch Anstiftung und Teilnahme an Klienten-Straftaten mssen hier genannt werden.

1166

Jeden Vorgang, der ihn auch nur in die Nhe des Verdachts der Geldwsche bringen knnte, sollte er meiden „wie der Teufel das Weihwasser“. Dazu gehren nicht nur entsprechende Vorsichtsmaßnahmen bei Honora707

Rn. 1167

Der Verteidiger in besonderen Funktionen

ren, sondern auch organisatorische Vorkehrungen im Geschftsbetrieb der Kanzlei zur Einhaltung der einschlgigen Vorschriften (vgl. i. e. Rn. 1204). 1167

Die Warnungen betreffen auch steuerliche Verfehlungen des Verteidigers (Rn. 1217). Sie bringen ihn in die peinliche Lage, sich vor Staatsanwalt oder Gericht verantworten zu mssen. Dabei kann er nicht auf besondere Nachsicht der Justiz hoffen, die in Verfahren gegen Personen aus ihrem Bereich – wozu dann auch der Strafverteidiger gezhlt wird, in aller Regel sehr streng vorgeht. Das „o.R.-Bar-Honorar“, die „stille“ Zuzahlung zu den Pflichtverteidigergebhren oder die berweisung auf ein Auslandskonto des Verteidigers sind typische Beispiele, weshalb die Medien an Verfahren gegen Rechtsanwlte erfahrungsgemß ein gesteigertes Interesse entwickeln. Die Errterung seiner Einkommensverhltnisse, seiner Mandats- oder Lebensfhrung und seiner Honorarpraxis in ffentlicher Hauptverhandlung kann nur extrem unangenehm sein. Selbst wenn es nur zu einer Geldstrafe kommt, kann seine berufliche Reputation fr immer dahin sein – von dem folgenden berufsgerichtlichen Verfahren mit zustzlichen Sanktionen ganz abgesehen.

1168

Im Strafverfahren gegen einen Anwalt stehen diesem grundstzlich dieselben Rechte wie anderen Beschuldigten zu. Das gilt auch fr sein Schweigerecht. Auch wenn er nicht von der Schweigepflicht entbunden ist, wird ihm fr die eigene Verteidigung eine „Befugnis“ zur Offenbarung zugebilligt, die ihn vor dem Tatbestand des § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB schtzt26. Er bleibt aber seiner Wahrheitspflicht im Sinne eines Verbots der Lge unterworfen (Rn. 43). Gericht, Zeugen, Sachverstndige und in der Verhandlung anwesende ffentlichkeit mssen es als beraus peinlich und mit dem Ansehen des Standes als unvereinbar empfinden, daß ein Anwalt durch Beweismittel einer Unwahrheit berfhrt werden muß.

1169

Im brigen sollte jeder Anwalt, der in eine Strafsache verwickelt wird, nicht in eigener Sache auftreten. Er hat meist keine gengende Distanz zur Sache und macht deshalb keine gute Figur. Ein hilfsbereiter Kollege wird sich finden lassen und die Verteidigung viel objektiver und wirksamer fhren knnen. Ein Anwalt, der sich selbst verteidigt, hat einen Narren zum Klienten27. Ob der Verteidiger whrend der Dauer „seines“ Verfahrens die Strafpraxis ruhen oder durch einen Vertreter wahrnehmen lßt, ist eine Geschmacksfrage. Der Gefahr eines – u. U. ruinsen – vorlufigen Berufsverbots nach § 132a StPO i. V. m. § 70 StGB sollte besonders im Auge behalten werden. 26 BGHSt. 1, 366; Trndle/Fischer, § 203 Rn. 46 m. N. 27 Aus dem Englischen.

708

F. Sechster Hauptteil Die Honorierung des Strafverteidigers

Das Handbuch beschrnkt sich auf die Darstellung von Honorarvereinbarungen und die damit zusammenhngenden Probleme und Erfahrungen. Auf die Abhandlung der gesetzlichen Gebhren und ihre Erstattung wird im Hinblick auf das umfassende Werk von Madert, Rechtsanwaltsvergtung in Straf- und Bußgeldsachen, 5. Aufl., 2004 sowie die Kommentierung von Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert zum RVG, 16. Aufl., 2004 verzichtet, die beide u. a. das an die Stelle der BRAGO getretene Rechtsanwaltsvergtungsgesetz vom 5. 5. 2004 eingehend behandeln.

I. Ein heikles Kapitel 1. Das Honorar als Strukturelement des freien Berufs Beck'sches Formularbuch/Herrmann, 4. Aufl., 2002, S. 1115 ff.; Feuerich/Weyland, BRAO, Kommentar, 6. Aufl., 2003; Hartung/Rmermann, Praxiskommentar zum Rechtsanwaltsvergtungsgesetz, 2004; Krmer/Wilger, Wege zur optimalen Preisgestaltung fr Anwlte, AnwBl. 2005, 447; Madert, Rechtsanwaltsvergtung in Straf- und Bußgeldsachen, 5. Aufl., 2004, S. 3 ff.; Madert, Die Honorarvereinbarung des Rechtsanwalts, 2. Aufl., 2002; Scharf/Madert/Streck/Ahrend, Anwaltliche Honorargestaltungen, AnwBl. 1998, 434.

Von den an der Strafrechtspflege Beteiligten ist der Rechtsanwalt der einzige, der nicht im festen Gehalt des Staates steht. Das entspricht dem Wesen des freien Berufs. Insbesondere die Unabhngigkeit des Strafverteidigers und seine Schutzaufgabe (Rn. 3 ff.) erfordern die gnzliche Freiheit vom Staate (Rn. 15). Mit der Emanzipation des Anwaltsstandes und seiner Entwicklung zur freien Advokatur ist jede Form der Subordination aufgehoben. Der Durchbruch zur Berufsfreiheit bedeutet fr die Ttigkeitsvergtung des Anwalts zugleich die Form der Einzelhonorierung des Mandats durch den Auftraggeber. Sie ist ein Strukturelement des freien Berufs. Die Freiheit des Verteidigers wre nicht gewhrleistet, wenn er die Aufgaben des funktionalen Gegenspielers gegenber Staatsanwaltschaft und Gericht in direkter oder indirekter finanzieller Abhngigkeit vom Staat erfllen sollte. Die Pflicht zu strengster Einseitigkeit und kmpferischer Parteinahme in der Auseinandersetzung mit den Prozeßorganen als die berufsethische Grundlage der Strafverteidigung (Rn. 5) schließt jede Form der finanziellen Abhngigkeit aus. Dies gilt auch fr den Offizialverteidiger. Auch er steht nicht im Sold des Staates, wenn er auch fr die einzelne 709

1170

Rn. 1171

Die Honorierung des Strafverteidigers

Pflichtverteidigung gesetzlich bestimmte Gebhren aus der Staatskasse erhlt. Allerdings ist das eine – unvermeidbare – Regelung, die fr die innere Unabhngigkeit des Verteidigers gegenber dem Gericht gefhrlich werden kann. 1171

Der Verteidiger ist bei diesen Gegebenheiten darauf angewiesen, die Vergtung fr seine Ttigkeit von seinem Mandanten zu beziehen. Sie ist das Entgelt im Rahmen des brgerlich-rechtlichen Geschftsbesorgungsvertrages, der ihn mit dem Mandanten verbindet (Rn. 121). Das entspricht der Regelung in allen freien Berufen (Steuerberater, Wirtschaftsprfer, rzte, Architekten, Knstler und andere). Damit wird nun ein Element in das Verhltnis Verteidiger – Mandant hineingetragen, das nicht recht hineinpassen will und zu Belastungen und Konflikten fhren kann. Das liegt in dem Wesen des Honorars als einer geldlichen Gegenleistung fr geistige Arbeit und ideelle Leistung. Dieser Beziehung haftet aus der Natur der Sache heraus eine gewisse Peinlichkeit an. Zur Zeit der griechischen und rmischen Antike und whrend des europischen Mittelalters war schon der bloße Gedanke an eine materielle Entlohnung geistiger Leistung suspekt. So forderten manche Kultursysteme die Armut der Geistigen, was die eigentliche Unabhngigkeit bedeute und die Erkenntnis, „daß nur der Arme wahrhaft frei ist“1. Dies wird heute sicher nicht mehr so „eng“ gesehen.

1172

Gleichwohl ist die Geldseite des freien Berufes doch – gerade auch fr den Strafverteidiger – besonders in der ffentlichen Meinung problematisch. Die Strafverteidigung ist als Institution auf einer sehr hohen Stufe der Skala berufsethischer Zielsetzungen etabliert. Gerade daß der Verteidiger fr seine so idealen Zwecken zugeordnete Ttigkeit in klingender Mnze bezahlt wird, setzt ihn im Publikum zuweilen einer gewissen Skepsis aus. Sie steigert sich in dem Maße wie die Verteidigung einem suspekten Beschuldigten oder gar einem Verbrecher dient, der mit Hilfe des „gerissenen“ Verteidigers der Strafe entgehen will. Es drngt sich die Vorstellung auf, daß der Verteidiger um so einsatzbereiter und vielleicht sogar unbedenklicher die Verteidigung fhrt, je hher das Honorar ausfllt. Bedenklich fr die Tagesarbeit des Verteidigers ist auch die immer wieder anzutreffende Geringschtzung, mit viel Geld knne man sich den Verteidiger gewissermaßen „einkaufen“, man knne ihn sich „nehmen“. Das Berufsethos des Anwalts wird als eine Frage des Honorars verstanden, so als ob der Verteidiger als Gewerbe eine Art geistige Prostitution betreibe.

1 Feuchtwanger, Die freien Berufe, 1922, S. 66; Deneke, Die freien Berufe, 1956, S. 225.

710

Ein heikles Kapitel

Rn. 1174

Der Verteidiger hat solchen Auffassungen zwar mit Gelassenheit, aber entschieden entgegenzutreten. Das bewirkt er am sichersten durch peinlich korrektes Berufsverhalten und absolute Wahrung seiner Unabhngigkeit und Autoritt, besonders auch gegenber den Mandanten (Rn. 30, 153). Er muß anderseits bedenken, daß auch Richter und Staatsanwlte die Verteidiger im Lichte ihrer Honorierung betrachten, was sie auch bei ihnen suspekt machen kann, wenn der Verteidiger sich allzu geschftig oder lautstark in Szene setzt. Außerdem haben die Genannten auch meist keine Vorstellung davon, daß vom Honorar des Verteidigers ihm weniger als 20% verbleibt, wenn mehr als die Hlfte der Deckung seiner Unkosten dienen muß und von der anderen Hlfte bis zu 50% Steuern gezahlt werden, die der Erfllung der Staatszwecke dienen. In kleinen Sachen setzen infolge der sozialen Staffelung der Gebhrenordnung je nach Fallgestaltung und Aufwand die Anwlte sogar zu2. All dies bersehen die Genannten sehr hufig, whrend sie sich mit ihrer Familie im gesicherten Genuß ihrer Gehaltsund Pensionsbezge fhlen knnen. Darauf sollten sie bei passender Gelegenheit auch durch die Anwaltschaft deutlich hingewiesen werden. 2. Der Honorarverzicht Jeder Anwalt ist grundstzlich verpflichtet, seine Ttigkeit nur gegen Entgelt zu gewhren. Er muß mindestens die Gebhren fordern, die im Rechtsanwaltsvergtungsgesetz vorgeschrieben sind. So ist es in § 49b BRAO, § 21 BORA ausdrcklich bestimmt. Diese Regelung dient einmal einer gewissen Gleichmßigkeit in der Honorierung der Verteidigung, zum anderen ist sie das unentbehrliche Fundament der wirtschaftlichen Lebenssicherung der Rechtsanwlte. Die Bindung an die gesetzlichen Gebhren bedeutet, daß der Verteidiger den gesetzlichen Gebhrenrahmen nicht unterschreiten darf (zur Gebhrenteilung § 22 BORA). Aber er ist auch gehalten, ber die Mindestgebhren hinaus innerhalb des Rahmens diejenige Gebhr zu verlangen, die nach den Kriterien des RVG fr die betreffende Sache angemessen ist.

1173

Das ist besonders wichtig bei Auftrgen von Rechtsschutzversicherungen. Manche Gesellschaften bevorzugen bestimmte Rechtsanwlte, die sie ihren Versicherungsnehmern empfehlen. Sie erwarten oder vereinbaren mit diesen fr eine bestimmte Art von Mandanten oder alle Auftrge Gebhren in einem bestimmten Bereich. Manche Anwlte lassen sich darauf ein, um in der Menge der ihnen so zukommenden Mandate den Ausgleich zu finden und damit zugleich fr ihre Praxis zu werben. Das ist berufsrechtlich bedenklich (§ 49b BRAO) und auch eine fr die Unabhngigkeit

1174

2 Madert, Rn. 2.

711

Rn. 1175

Die Honorierung des Strafverteidigers

des Berufsstandes gefhrliche Entwicklung. Wenn hier die Bindungen nicht beachtet werden, muß mit einem verhngnisvollen Unterbieten wie im kaufmnnischen Wettbewerb gerechnet werden. Einbrche in dieses System mssen bei der wirtschaftlichen Not oder Schwche eines Großteils der Anwlte auf die Dauer zu katastrophalen Auswirkungen fhren. 1175

Sie sind auch als verbotene Werbung (§ 6 BORA) scharf zu verurteilen, wenn sie dem Mandanten vorher versprochen werden oder weitere Mandate derselben oder anderer Auftraggeber geworben werden sollen (Rn. 88). Ein solch krmerhaftes Verhalten ist des Anwalts nicht wrdig, besonders wenn er sich damit in den Ruf eines „billigen Jakob“ bringen will.

1176

Von der Gebhrenordnung nach unten abweichende Vergtungen sind hiernach unzulssig. (ber Abweichungen nach oben vgl. Rn. 1180.) In § 49b Abs. 1 gestattet die BRAO eine Ermßigung oder Streichung von Gebhren in Ausnahmefllen, etwa bei Bedrftigkeit eines Mandanten. Soweit dies erst nach Erledigung des Auftrages zulssig sein soll, erscheint die Vorschrift zu eng. Dem Anwalt sollte die Bettigung echter Caritas nicht in dieser Allgemeinheit untersagt werden. Die Abgrenzung zum Verbotenen ist allerdings hauchdnn. Kostenlose Verteidigung des Unbemittelten, besonders in Sensationsfllen, etwa fr das Wiederaufnahmeverfahren in einer Mordsache, macht Schlagzeilen. Die Publicity steht dabei hufiger Pate als die Humanitt.

1177

Gebhrenverzicht bei Verteidigung eines Kollegen in dessen eigener Sache ist zwar ein alter Brauch, der heute aber wohl nur noch unter einander persnlich verbundenen Kollegen oder bei kleinerer Hilfeleistung gebt wird. Die Gepflogenheit, den Verteidiger als Kollegen, wenn dieser kein Honorar berechnet, mit einer Dedikation zu erfreuen, ist fast ganz „aus der Mode gekommen“. In grßeren und auswrtigen Sachen ohne besondere persnliche Beziehung zwischen Verteidiger und betroffenem Kollegen kann ein Honorarverzicht nicht erwartet werden. Es ist eine andere Frage, ob in der Bemessung der Hhe eines Honorars dem „kollegialen Gesichtspunkt“ Raum gegeben wird. Nicht wenige Anwlte – besonders in Sozietten – lehnen auch dies ab.

1178

Auch Richter und Staatsanwlte kommen in die Lage, einen Anwalt als Verteidiger zu beauftragen, etwa in einer Verkehrssache oder in einem Disziplinarverfahren. Ihr Verhalten in der Honorarfrage ist von einer merkwrdigen Verschiedenheit. Manche sind von peinlichster Korrektheit in der exakten Zahlung wenigstens der gesetzlichen Gebhren. Andere erachten ihr Mandat offenbar als eine solche Ehre fr den Anwalt, daß sie nach den Kosten gar nicht erst fragen und den Dank sogar vergessen. Dem Verteidiger wird man wohl einen ihm nahegelegten Honorarver712

Vereinbarungshonorare

Rn. 1180

zicht in einem solchen Falle nicht verbeln, wenn er damit dem Mandanten nur eine Peinlichkeit ersparen will. Anbieten darf er ihn jedenfalls nicht, wenn er Mißdeutungen vermeiden will. Kein unzulssiger Honorarverzicht liegt vor, wenn der Verteidiger bei Mitwirkung eines anderen Verteidigers aufgrund eines ihm erteilten Auftrages einen Teil des Honorars oder der gesetzlichen Gebhren abgibt (§ 49b Abs. 3 S. 2, 3 BRAO, § 22 BORA). Diese Gebhrenteilung, die in Zivilsachen seit langem blich und zulssig ist, kommt besonders bei Vertretung im Verhandlungstermin vor (Rn. 455).

1179

II. Vereinbarungshonorare 1. Die gesetzliche Zulssigkeit Beck'sches Formularbuch/Herrmann, 4. Aufl., 2002, S. 1115 ff.; Feuerich/Weyland, BRAO, Kommentar, 6. Aufl., 2004; Gerold/Schmidt, Rechtsanwaltsvergtungsgesetz, 16. Aufl., 2004, § 4 Rn. 2 ff.; Henke, Honorarabrechnung nach Stundenstzen, AnwBl. 1999, 110; Herrmann, Zur Sorgfalt bei der Abfassung einer Honorarvereinbarung, AGS 2/99; Heyl, Die Honorarvereinbarung, AnwBl. 1965, 295; Jahn, Unternehmen prfen Anwaltshonorare strenger, AnwBl. 2004, 509; Knief, Das Preis-/ Leistungsverhltnis der anwaltlichen Dienstleistungen – eine Auseinandersetzung mit der Zeitgebhr, AnwBl. 1989, 258; Madert, Rechtsanwaltsvergtung in Strafund Bußgeldsachen, 5. Aufl., 2004, S. 3 ff.

a) Wahlverteidiger Die Vereinbarung eines die gesetzlichen Gebhren bersteigenden Honorars ist fr den Wahlverteidiger ohne besondere Voraussetzungen grundstzlich zulssig. Die Vereinbarung sollte schriftlich getroffen werden, auch wenn der Betrag innerhalb des gesetzlichen Gebhrenrahmens liegt (Rn. 1180). Denn dieser kann hher sein als die „gesetzliche Gebhr“, wenn man als solche nur einen bestimmten Betrag innerhalb des Rahmens ansehen will. Die Honorarvereinbarung darf nicht in der Vollmacht oder in einer Urkunde mit noch anderem Text enthalten sein3, sondern erfordert eine spezielle schriftliche Erklrung des Auftraggebers (§ 4 Abs. 1 S. 1 RVG). Die freiwillige und vorbehaltlose Zahlung heilt den Mangel der schriftlichen Form (§ 4 Abs. 1 S. 2 RVG). Ein unangemessen hohes Vereinbarungshonorar kann vom Gericht nach Einholung eines Gutachtens des

3 Zu den Modalitten der Honorarvereinbarung umfassend Beck'sches Formularbuch/Herrmann, S. 1121 ff.; Madert, Rechtsanwaltsvergtung in Straf- und Bußgeldsachen, S. 8 ff.

713

1180

Rn. 1181

Die Honorierung des Strafverteidigers

Vorstandes der Rechtsanwaltskammer herabgesetzt werden (§ 4 Abs. 4 RVG). 1181

Die Rechtsschutzversicherung (Rn. 1181) zahlt nach ihren Bedingungen dem Verteidiger grundstzlich nur die gesetzlichen Gebhren. Anderseits stellt sie dem Versicherungsnehmer die Auswahl des Verteidigers frei. Der Verteidiger ist weder durch Gesetz noch Vertrag gehindert, anstelle der gesetzlichen Gebhr ein Honorar zu vereinbaren, wenn auch die Versicherung das nicht gerne sieht und zu vermeiden trachtet. Die praktischen Erfahrungen beweisen indessen, daß die Versicherungen den betreffenden Anwalt knftig nicht mehr empfehlen und in ihrem Bereich auszuschalten suchen. Anders sieht es bei bestimmten Spezial-Rechtsschutzversicherungen aus, die hufig von Unternehmen fr die Angehrigen ihrer Leitungsebenen abgeschlossen werden. Sie bernehmen auch Vereinbarungshonorare, wobei die Modalitten je nach Vertragsinhalt unterschiedlich sind. Vielfach ist die Abrechnung auf dieser Basis unproblematisch. Der Verteidiger wird sich aber bei Honorargesprchen primr an seinen Mandanten halten und es diesem berlassen, intern die Honorarerstattung mit seiner Versicherung zu regeln. Im brigen sind aber auch die Erfahrungen mit direkten Verhandlungen zwischen Verteidiger und Manager-Rechtsschutzversicherungen nicht schlecht. b) Pflichtverteidiger

1182

Auch dem Pflichtverteidiger ist eine Honorarvereinbarung ebenso wie die Annahme zustzlicher Vergtungen erlaubt4. Das folgt schon daraus, daß er nicht wegen Armut des Mandanten, sondern wegen der gesetzlichen Notwendigkeit der Verteidigung beigeordnet wird (§ 140). Allerdings ist das Gebot der Anrechnung auf die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebhren zu beachten.

1183

Wenn ein Wahlverteidiger eine Honorarvereinbarung trifft, dieses Mandat beendet wird und er sich zum Pflichtverteidiger bestellen lßt, kann der Verteidiger einen entsprechenden Teil des Honorars fr die schon geleistete Arbeit beanspruchen (§ 628 BGB)5. Pflichtverteidigungen werden im brigen nur in seltenen Ausnahmefllen fr Honorarvereinbarungen geeignet sein, weil leistungsfhige Beschuldigte heute in aller Regel ein Wahlverteidigungsmandat erteilen. Natrlich ist der Verteidiger berechtigt, die finanziellen Mglichkeiten seines Klienten zu klren. Er muß 4 BGH, AnwBl. 1980, 465; i. e. Madert, Rn. 18. 5 So auch Herrmann, S. 1134 m. N.

714

Vereinbarungshonorare

Rn. 1184

sich nicht von einem wohlhabenden Beschuldigten als „billiger Jakob“ vorspannen lassen. Wie inquisitorisch die Befragung des Mandanten ber Einkommen, Vermgen, zahlungskrftige Angehrige u. a. gestaltet wird, ist primr eine Frage beruflichen Stils; es darf aber nicht der Eindruck erweckt werden, der Mandant sei gegenber dem staatlich beauftragten Rechtsanwalt zu irgendeiner Auskunft oder gar Vorlage von Unterlagen (Gehaltsbescheinigung, Steuerbescheid o. .) verpflichtet. Keinesfalls darf der Verteidiger in solchen Fllen seine Ttigkeit von der Zahlung eines Honorars abhngig machen (Rn. 1183) oder vom Abschluß einer Honorarvereinbarung6. Unzulssig wren auch Andeutungen des Verteidigers, mit den Staatsgebhren komme er nicht auf seine Kosten oder eine Honorarvereinbarung werde der Verteidigungsleistung sehr zugute kommen. Nur vllig freiwillige Angebote sind erlaubt. 2. Berufsrechtliche Grenzen a) Das Gebot der Angemessenheit Die Herabsetzung eines nicht angemessenen Vereinbarungshonorars ermglicht § 4 Abs. 4 RVG. Sie obliegt dem Gericht im zivilen Gebhrenprozeß des Verteidigers nach Einholung eines Gutachtens des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer (§ 4 Abs. 4 S. 2 RVG). Diese formale Vorschrift erfaßt nicht den inneren Problembereich der Honorarvereinbarung. Die wenigsten Flle werden nach dieser Bestimmung behandelt. Sie spielen sich in der Regel vielmehr in der Abgeschlossenheit des Sprechzimmers ab. Die mit einer Strafverfolgung berzogenen Menschen befinden sich oft in schwerer seelischer oder materieller Not. Sie sehen im Verteidiger ihre einzige Rettung. In ihrer Zwangslage sind sie vielfach bereit, jede Honorarforderung des Verteidigers zu bewilligen. Der anstndige Anwalt ntzt das nicht aus. Er bleibt in den angemessenen Grenzen. Nicht daß ein einmal anerkanntes oder sogar gezahltes Honorar so gut wie nie zu gerichtlicher Nachprfung kommt, ist maßgebend; der Verteidiger muß vielmehr auch vor dem Forum seines Gewissens bestehen knnen, indem er nach diesem moralischen Maßstab seinen Anspruch bestimmt. Er braucht anderseits allerdings nicht zu ignorieren, daß manche Klienten den Verteidiger auszuntzen trachten. Gerade bei wohlhabenden Mandanten stßt der Verteidiger viel fter auf krmerhafte oder schbige Gesinnung als bei einfachen Menschen. Solche Typen lsen keine Verpflichtung ein, wenn sie sich irgendwie davor drkken knnen. Kommen sie durch die Leistung des Verteidigers von der

6 BRAK-Schriftenreihe, Bd. 8, These 62 (S. 93).

715

1184

Rn. 1185

Die Honorierung des Strafverteidigers

Strafverfolgung frei, so wissen sie nichts mehr von ihrer großsprecherischen Zusage am Anfang, als sie noch „den Kopf in der Schlinge“ hatten. Dies alles bedeutet fr die Praxis den dringenden Rat, die Honorarvereinbarung rechtzeitig und formgerecht7, aber auch in wrdiger Weise und zu einem angemessenen Betrag zu treffen, falls eine berschreitung der gesetzlichen Gebhren am Platze erscheint, was allerdings hufig der Fall sein wird8. 1185

Es kommt vor, daß Verteidiger die Honorarvereinbarung ohne Grund aufschieben, bis das Mandat in voller Entwicklung ist oder sogar die Hauptverhandlung vor der Tr steht. Es besteht zwar kein Verbot, ist aber hochgradig unfair, den Mandanten in dieser Zwangslage zu einem Honorarversprechen zu drngen9. Diesem bleibt ja gar nichts anderes brig als die Zustimmung, wenn er nicht seinen Verteidiger im letzten Augenblick verlieren und damit alles aufs Spiel setzen will. Eine so zustande gebrachte Honorarvereinbarung kann ein unsittliches Rechtsgeschft oder sogar strafrechtlich relevant (§§ 253, 240) sein und zerstrt in jedem Falle das Vertrauen des Klienten.

1186

In Strafsachen, deren weitere Entwicklung sich im Ermittlungsverfahren nicht genau bersehen lßt, kann es zweckmßig sein, die Vereinbarung von Pauschalhonoraren jeweils fr bestimmte berschaubare Verfahrensabschnitte zu treffen, z. B. Ermittlungsverfahren bis zur Abschlußentscheidung der Staatsanwaltschaft, Haftverfahren, Beschwerdeverfahren, Zwischenverfahren, Hauptverfahren bis zum Beginn der Hauptverhandlung u. a. Die Dauer der Hauptverhandlung sowie die Zahl und Dauer der Verhandlungstage ist oft ungewiß; große Strafsachen werden sogar fr eine unbestimmte Zeitspanne terminiert, z. B. „ab 1.2. jeweils Dienstag und Donnerstag bis auf weiteres“. In solchen und anderen Fllen hat es sich bewhrt, das Honorar auf der Basis von Hauptverhandlungstagen zu bemessen. Dabei mssen die regelmßig erforderlichen Vor- und Nachbesprechungen und die sonstige Terminsvorbereitung durch den Verteidiger ebenfalls Bercksichtigung finden. Das Problem der unterschiedlichen Dauer der Verhandlung an den Sitzungstagen ist damit allerdings nicht gelst. Auch gehen die Erfahrungen der Praxis dahin, daß es bei der Vereinbarung eines Pauschalhonorars fr die gesamte Hauptverhandlung zu Meinungsverschiedenheiten kommt, wenn sich die Verhandlung berraschend verlngert oder verkrzt. Nur in den Fllen, in denen Verhand-

7 Dazu Beck'sches Formularbuch/Herrmann, S. 1122 ff.; Madert, Rn. 10 (hufige Fehler), Rn. 16 (Checkliste). 8 Treffend Madert, Rn. 2 ff. 9 Vgl. dazu EGH Hamm, BRAK-Mitt. 1981, 38.

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Vereinbarungshonorare

Rn. 1188

lungsdauer und Verteidigungsaufwand einigermaßen zuverlssig abzuschtzen sind, ist deshalb die Vereinbarung eines Gesamthonorars zu empfehlen. Seit einigen Jahren hat sich in der Praxis die dem angelschsischen Rechtskreis entstammende Honorarvereinbarung nach Aufwandszeiten mehr und mehr durchgesetzt. In solchen Fllen wird in der rechtlich gebotenen Form (§ 4 Abs. 1 S. 1 u. 2 RVG) vereinbart, daß die fr die Verteidigung aufgewendete Zeit nach einem feststehenden Honorarsatz abgerechnet wird, wobei sich fr die Bruchteile von Stunden verschiedene Modalitten entwickelt haben, z. B. die Abrechnung nach Minuten10, nach begonnener 1/10-Stunde (= 6 Minuten) oder nach angefangener Viertelstunde. Bei letzterer Modalitt ist es allerdings angemessen, „Kurzvorgnge“, z. B. kurze Telefonate sowie organisatorische Maßnahmen u. . von der Berechnung auszuschließen. Auch erscheint die Abrechnung von Arbeitszeiten des Sekretariats mindestens unangemessen. Die Bemessung des Stundenhonorars hngt von den in § 12 BRAGO genannten Kriterien, jedoch auch von der fachlichen Qualifikation des Verteidigers, seiner Reputation in der Rechtspflege, Erfahrung und Spezialkenntnissen ab. Damit ist ein weites Spektrum angemessener Stundenstze erffnet, wobei der fr die jeweilige Kanzlei maßgebende Unkostensatz pro Stunde besondere Bercksichtigung zu finden hat11. Eine Differenzierung des Aufwands kann z. B. in Betracht kommen, wenn Reisezeiten gesondert, d. h. zu einem geringeren Satz, vergtet werden sollen. Andererseits ist zu beachten, daß in der anwaltlichen Praxis gerade Reisezeiten fr Aktenstudium, Konzeption von Schriftstzen usw. oder einfach zum „Nachdenken“ ber die Verteidigung genutzt werden. Es spricht daher vieles dafr, einem einheitlichen Stundensatz fr Zeitaufwand den Vorzug zu geben.

1187

Werden anwaltliche oder andere juristische Mitarbeiter in die Bearbeitung einbezogen, so darf deren Zeitaufwand selbstverstndlich nicht „stillschweigend“ in die Abrechnung des Stundenhonorars des beauftragten Verteidigers einbezogen werden. Ist dieser Fall nicht schon in der Grundvereinbarung geregelt, so ist eine ergnzende Absprache geboten. Je korrekter der Verteidiger in solchen und anderen Honorarfragen vorgeht, desto eher wird er nach aller Erfahrung die Zustimmung des Mandanten gewinnen. Daran sollten auch wirklich oder scheinbar großzgige „Spr-

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10 Dazu BGH, AnwBl. 2005, 359. 11 So hat die RAK Kln schon vor Jahren fr eine grßere Soziett einen Betrag von 300,00 DM pro Stunde als Mindest-Unkostensatz in Ansatz gebracht; Madert hlt heute einen Stundensatz von weniger als 200,00 Euro fr „nicht mehr angemessen“ (Rn. 13).

717

Rn. 1189

Die Honorierung des Strafverteidigers

che“ des Klienten („So pingelig mssen wir das alles doch nicht regeln“) nichts ndern. Diese werden nmlich, vor allem wenn die Summe der Betrge steigt, allzu leicht „vergessen“. 1189

Indes ist nicht jedes Mandat in gleicher Weise fr eine Honorarvereinbarung auf Zeitbasis geeignet. Es gibt Flle, die ein Verteidiger aufgrund seines Spezialwissens und guter Beziehungen zu Justizbehrden mit einem zeitlich geringen Aufwand in einem frhen Verfahrensstadium zur Erledigung bringen kann, die in der Hand eines anderen Verteidigers zu einem monatelangen Prozedieren, evtl. bis zu einer Hauptverhandlung, gefhrt htten. Hier ist der Vereinbarung eines Pauschalhonorars der Vorzug zu geben. Das Problem liegt allerdings darin, den Gang der Sache einschließlich der Mglichkeit ihrer raschen Erledigung bei bernahme des Mandats oder kurz danach zuverlssig abzuschtzen. Anders ist es bei Ermittlungsverfahren, die absehbar eine lange Laufzeit haben und mit Sicherheit umfangreichen Beratungs- und Bearbeitungsbedarf erzeugen werden. Gerade wegen der Unbersichtlichkeit der Entwicklung solcher Verfahren – zumal wenn mehrere Beschuldigte mit mehreren Verteidigern beteiligt sind –, hat das zeitgebundene Aufwandshonorar hier seine besondere Berechtigung. Auch Streitigkeiten ber Pauschalhonorare pro Hauptverhandlungstag knnen vermieden werden, wenn auch insoweit nach Stunden abgerechnet wird. Nach den Erfahrungen der Praxis leuchtet dem Klienten eine Honorarvereinbarung auf einer derartigen Zeitbasis viel besser ein als die geheimnisvoll ermittelte Gesamtsumme eines Pauschalhonorars. Etwa vorhandenem Mißtrauen eines Klienten gegenber dem Zeitansatz des Verteidigers kann – wenn verlangt – dadurch begegnet werden, daß in einer Honoraraufstellung jede Einzelbearbeitung mit Datum, Dauer und Gegenstand der Bearbeitung in einer Kurzbezeichnung festgehalten werden, was von der „ffentlichen Hand“ immer, von Großunternehmen zunehmend gewnscht wird. Aber auch sonst kann eine interne Zeitliste (mit schematischer Kurzangabe zur jeweiligen anwaltlichen Ttigkeit, z. B. Besprechung mit ..., Aktenstudium, Diktat, Telefonat mit ... u. .) und ihre Aufbewahrung nur empfohlen werden. Sie vermeidet sptere Streitigkeiten! Daß hier die Ehrlichkeit und Seriositt des Verteidigers – wie auch sonst in Honorarfragen – besonders gefordert ist, versteht sich von selbst. Der Verteidiger wird je nach Mandat und Sachlage aber auch erwarten knnen, daß auf einen Einzelnachweis des Zeitaufwandes verzichtet wird, was in der Honorarvereinbarung zum Ausdruck kommen muß. Die Abrechnung sollte im brigen – abhngig vom Arbeitsanfall – entweder nach Verfahrensabschnitten, Monaten oder auch pro Quartal erfolgen.

1190

Die zu erstattenden Kosten und Auslagen des Verteidigers mssen ebenfalls in die Honorarvereinbarung aufgenommen werden und dafr – so718

Vereinbarungshonorare

Rn. 1193

weit mglich – dem Mandanten Belege zur Verfgung gestellt werden. Diese werden z. B. von Unternehmen hufig bentigt, um die Kosten als betrieblich verursachte Belastungen steuerlich in Ansatz bringen zu knnen. Freilich knnen solche Nachweise im Einzelfall zu Auseinandersetzungen mit dem Klienten fhren, z. B. die Hhe der Hotelkosten. Es soll Verteidiger geben, die angesichts solcher in ihrer Kanzlei nur „durchlaufenden“ Posten das Niveau der ansonsten privat von ihnen benutzten Hotels krftig berschreiten. Auch insoweit ist die innere Seriositt des Anwalts in besonderem Maße gefordert. Schließlich darf die „jeweils geltende“ Mehrwertsteuer (auch auf Kosten und Auslagen) als Bestandteil der Honorarvereinbarung nicht vergessen werden. Vielfach spielt bei der Bemessung des Honorars die Kollegialitt mehrerer Verteidiger eine Rolle. Die Klienten pflegen sich hufig ber die Honoraransprche ihrer Anwlte zu unterhalten. Es kann mißlich sein, wenn sich dabei erhebliche Abweichungen ergeben, mißlich fr denjenigen, der zu hoch gegriffen hat, noch mißlicher fr den, der zu bescheiden geblieben ist. Das fhrt zu dem Wunsch nach Solidaritt in Honorarabsprachen. Ihnen haftet grundstzlich nichts Bedenkliches an, wenn sie nicht als eine Art Preiskartell die Mandanten auf unangemessene Kosten treiben sollen. Anderseits kann der einzelne Verteidiger in Verlegenheit kommen, der fr seinen Fall, seinen Klienten und fr sich selbst eigene Maßstbe anwenden will. Die Kollegialitt verpflichtet ihn nicht zur Beteiligung an der Absprache. Der gewissen Peinlichkeit der Situation entgeht er am besten, indem sein Mandant ihn nicht von der Schweigepflicht entbindet und ihm damit die Preisgabe der Honorarvereinbarung nicht gestattet.

1191

Schwierig kann die Situation allerdings auch dann werden, wenn ein Verteidigungsmandat etwa durch einen in der Sache bereits beauftragten Kollegen oder die Rechtsabteilung eines Unternehmens bertragen wird mit der „Vorgabe“ eines bestimmten Stundenhonorars, das deutlich unterhalb des sonst bei dem angesprochenen Verteidiger blichen Satzes liegt. Lßt er sich darauf ein, wofr es viele Grnde geben kann, so muß er nicht nur damit rechnen, daß auch fr knftige Mandate aus dieser Quelle der reduzierte Stundensatz „festgeschrieben“ wird, sondern auch, daß Dritte – auf welchem Wege auch immer – davon Kenntnis erhalten. Die Geheimhaltung eines „Ausnahmesatzes“ ist kaum sicherzustellen, was der Verteidiger bedenken muß. Manchmal kann hier eine besondere Begrndung, z. B. langdauernde Mandatsbeziehung, aus der Klemme helfen.

1192

Der Verteidiger sollte entsprechend der allgemeinen „Mischkalkulation“ seiner Praxis sich auch in der Honorarfrage eine gewisse Flexibilitt er-

1193

719

Rn. 1194

Die Honorierung des Strafverteidigers

halten: Wird ihm glaubhaft gemacht, daß nur ein bestimmter Betrag zur Verfgung steht – was auch bei Behrden der Fall sein kann –, so muß er die Bedeutung des Mandats (und seiner Außenwirkung) gegen den finanziellen Aspekt klug abwgen. Daneben sollte es selbstverstndlich sein, daß auch Mandate aus rein sozialen Grnden zu „Unterpreisen“ gefhrt werden. b) ußere Form und Umstnde der Honorarvereinbarung Es wird auf das vor Rn. 1170 angefhrte Schrifttum verwiesen.

1194

ber die gesetzlichen Vorschriften zur Honorarvereinbarung hinaus ist aus den praktischen Erfahrungen vielerlei nutzbar zu machen. So ist die Verwendung eines vorgedruckten Honorarscheins12 eine problematische Sache. Sie wird oft als die Manifestation vorhandenen Mißtrauens gedeutet und als anstßig empfunden. Auch fr den Anwalt ist die durch den Honorarschein formalisierte Konnexitt zwischen Verteidigungsleistung und Bezahlung nichts Schnes. Vorzuziehen ist die Honorarvereinbarung im Rahmen des Schriftverkehrs. Die Besttigung des Mandats in Briefform oder durch Einverstndniserklrung und Unterzeichnung einer Abschrift des anwaltlichen Honorarbriefs gengt. Im brigen sollte man die auf Kosten bezgliche Korrespondenz von der allgemeinen Sachkorrespondenz auf jeden Fall trennen. Dies entspricht auch § 4 Abs. 1 RVG (besondere Urkunde). Es kann schockierend wirken, wenn der Mandant in einem Brief seines Verteidigers, in dem dieser sich im Rahmen seines qualifizierten Berufsauftrages in hochgespannten Ausdrucksformen ber Recht und Gerechtigkeit verbreitet, im nchsten Absatz pltzlich mit der berleitung zu Geldfragen konfrontiert wird. Wird die Honorarvereinbarung gleichwohl mittels vorgedruckten Honorarscheins praktiziert, so bewhrt es sich, daß dem Mandanten dieser Honorarschein nicht in der Anwaltskanzlei im Anschluß an die bertragung des Verteidigungsmandats zur Unterzeichnung vorgelegt wird, sondern mit der schriftlichen Mandatsbesttigung die Honorarvereinbarung (mit Doppel) bersandt wird mit der Bitte um Prfung, Unterzeichnung und alsbaldige Rcksendung. Damit wird dem Mandanten berlegungszeit eingerumt und der in der Praxis nicht seltene sptere Einwand abgeschnitten, er sei mit der Honorarvereinbarung „berfahren“ worden. Fr den Verteidiger ist es von Vorteil, daß die Honorarfrage relativ frhzeitig nach Besttigung des Mandats geregelt wird und er das Risiko vermeidet, das Mandat, evtl. sogar zu Unzeit, wegen nicht gezahlten Honorars niederlegen zu mssen. Es kann aber auch zweckmßig sein, damit zu warten, bis der Verteidiger erste 12 Dazu Madert, Rn. 8.

720

Vereinbarungshonorare

Rn. 1197

„Leistungen“ erbracht und dem Mandanten darber berichtet hat. Die große Mehrzahl der Klienten hat im brigen durchaus Verstndnis dafr, daß jede Arbeit ihren Lohn verdient. Schriftliche Honorarversprechen sollte der Verteidiger sich in jedem Falle nur in angemessener Form geben lassen. Mit der Hand geschriebene unansehnliche Zettel, wie sie manchmal in der Untersuchungshaft als Honorarvereinbarung von Klienten unterschrieben werden, wirken zumindest wenig sympathisch. Der Verteidiger muß es auch vermeiden, sich Honorarerklrungen gewissermaßen zwischen Tr und Angel erteilen zu lassen, etwa im dunklen Flur der Vollzugsanstalt oder des Gerichts. Er muß immer daran denken, daß der verpflichtende Charakter spter hufig bestritten wird und dann die Errterung solcher Umstnde ihn in peinliches Licht rcken kann. Das gilt vor allem, wenn der Verteidiger die Vorlage des Honorarscheins mit dem mindestens als „drohend“ empfundenen Hinweis begleitet, er werde nicht auftreten, falls die Unterschrift nicht erteilt werde. Dies kann Konsequenzen doppelter Art haben: Zum einen hat es strafrechtliche Verurteilungen wegen Ntigung gegeben, zum anderen ist eine berufsrechtliche Ahndung unter dem Gesichtspunkt der Niederlegung des Mandats zur Unzeit mglich13. Selbst wenn der Mandant gedrngt wird, freiwillig zu zahlen, ohne daß eine Honorarvereinbarung vorliegt, ist das Verfahren nicht ungefhrlich. Der Mandant kann sich dann auf § 4 Abs. 1 S. 3 RVG berufen, weil er nicht freiwillig, ggfs. mit Vorbehalt, geleistet hat.

1195

In selbstverschuldete Schwierigkeiten bei der Honorarberechnung bringt sich der Verteidiger, der durch weitgehende Lockerung der Distanz zum Klienten in Abhngigkeit geraten ist (ber die vielfachen Varianten vgl. Rn. 156 ff.). Durch allzu enge persnliche Beziehungen verbaut er sich selbst unter Umstnden den Weg zu einer angemessenen Honorierung. So ist es schon passiert, daß ein – zunchst sehr geschmeichelter – Anwalt einen charmanten Abend mit einer bezaubernden Klientin als ein schweres Handikap fr seinen Honoraranspruch erkennen mußte. Er hatte sich den Weg zur Liquidation selbst verbaut. Der Abend mit seiner „Teuersten“ hatte sich nicht ausgezahlt.

1196

Auf jeden Fall muß der Mandant darauf hingewiesen werden, daß der vereinbarte Betrag von der gesetzlichen Regelung abweicht14 und eine Erstattung, etwa durch die Staatskasse, nur in Hhe der gesetzlichen Gebhren in Betracht kommt. Hieraus etwa zu erwartenden Bedenken kann

1197

13 Vgl. dazu BRAK-Schriftenreihe, Bd. 8, These 8 (S. 31). 14 BRAK-Schriftenreihe, Bd. 8, These 61 (S. 91).

721

Rn. 1198

Die Honorierung des Strafverteidigers

der Verteidiger zutreffendenfalls mit dem Hinweis begegnen, daß in Fllen solcher Art und Bedeutung die Vereinbarung eines Honorars vielfach blich und auch hier angemessen sei. Ebenso kann es richtig sein, den Klienten ber die gesetzlichen Gebhren und ihre Unzulnglichkeit fr die Anwaltspraxis informieren15. Wenn der Verteidiger im Zweifel ber den angemessenen Honorarbetrag ist, z. B. weil er die finanziellen Verhltnisse des Mandanten oder – insbesondere – Bedeutung und Schwierigkeit der Sache nicht bersieht, wird er einen Fehlgriff nach oben wie nach unten vermeiden knnen, wenn er einen Rahmenvorschlag macht. Innerhalb desselben kann er je nach der Reaktion des Mandanten leichter zu einem beiderseits als angemessen empfundenen Betrag kommen. 1198

Zu Anfang eines Verfahrens lßt sich die Hhe des Gesamthonorars in der Regel noch nicht abschtzen, weil die Dauer des Mandats, der Prozeßverlauf und der Umfang der Bearbeitung nicht vorauszusehen sind. Hier wird hufig der Fehler begangen, nur einen „Honorarvorschuß“ oder sogar nur einen „Kostenvorschuß“ anzufordern. Der Verteidiger kann es erleben, daß nach demnchstiger Beendigung der Verteidigung, etwa durch eine Einstellung des Verfahrens, das Honorar bis auf einen kleinen gesetzlichen Gebhrenbetrag zurckgezahlt werden muß, weil keine Honorarvereinbarung getroffen wurde. Der vielleicht nach sehr mhsamer und erfolgreicher Ttigkeit um das gezahlte und um das großzgig angebotene weitere Honorar geprellte Verteidiger htte den Verlust vermieden, wenn er den Betrag vereinbart und als vorlufiges „Vereinbarungsteilhonorar“ oder als „Honorarteilbetrag“ entgegengenommen htte. In diesem Falle kann er auch mit der Weiterentwicklung der Sache jederzeit neue Honorarvereinbarungen vorschlagen, wenn es notwendig ist. Die Mandanten begrßen dieses Verfahren der Aufstckelung des Vereinbarungshonorars, weil damit die Kosten fr sie besser bersehbar bleiben. Es kann im brigen auch der Ausdruck „vorlufiges Honorar“ oder sogar nur „Vereinbarungshonorar“ verwendet werden, sofern im Begleitbrief klargestellt ist, daß je nach der Entwicklung der Sache mit einer weiteren Honorarvereinbarung zu rechnen ist, was der Mandant schriftlich besttigen mßte. Auch bei der Vereinbarung von Honoraren auf Zeitbasis (Rn. 1187) kommen Abschlagszahlungen in Betracht, die vom Verteidiger treuhnderisch verwaltet werden und aus denen er nach Erteilung der jeweiligen Abrechnung entsprechende Entnahmen ttigen darf – was ebenfalls der Vereinbarung bedarf. Diese Methode bewhrt sich besonders in Fllen, in denen mit einer evtl. Inhaftierung des Mandanten und ihren nicht untypischen

15 Beispiele bei Madert, Rn. 3.

722

Vereinbarungshonorare

Rn. 1201

Folgen fr seine Liquiditt gerechnet werden muß. Abschlagszahlungen sind schließlich empfehlenswert, wenn außenstehende Dritte fr das Honorar aufkommen sollen. In der Praxis begegnet man immer wieder merkwrdigen Usancen. Manche Verteidiger verwenden bei Beginn des Strafverfahrens einen Honorarschein, inhalts dessen der vereinbarte Honorarbetrag durch den Vorstand der Rechtsanwaltskammer festgesetzt (§ 4 Abs. 3 S. 1 RVG) oder erhht werden kann, wenn der Betrag nicht ausreichen sollte. Das ist sehr unpraktisch, weil die Honorarfrage primr im Bereich der persnlichen Vertrauensvereinbarung bleiben sollte, außerdem der Kammervorstand sehr schwer die Imponderabilien der Honorarbemessung werten kann. Vor allem aber wird der Mandant schockiert, weil er sich dem Standesorgan des Verteidigers ausgeliefert fhlt. Eine Vertrauensbeziehung kann sich so schwerlich aufbauen. Zu beachten ist noch, daß es bedenklich ist, ein nur mndlich vereinbartes Honorar anzufordern (evtl. mit Klagedrohung), wenn es wegen Nichtbeachtung der Formvorschrift an einer wirksamen Honorarvereinbarung fehlt und der Mandant ber die Formungltigkeit nicht unterrichtet ist.

1199

Honorarvereinbarungen mit Mandanten in der Haftanstalt sind ein besonderes Kapitel. Sie knnen ganz unbedenklich sein, z. B. wenn der Klient ungeachtet seiner Inhaftierung ber ausreichende finanzielle Mglichkeiten verfgt und das Honorar so bemessen ist, daß der Anschein einer Ausnutzung der bestehenden Drucksituation vermieden wird. Der in Haft befindliche Mandant fhlt sich nmlich oft unfrei in einem doppelten Sinn – auch gegenber der Honorarforderung seines Verteidigers. Spteren Einwendungen dieser Art sollte man vorbeugen. Das geht am besten, wenn die Kostenfrage mit dritten Personen (Rn. 1206) geregelt werden kann. Allerdings wird ein solcher oder ein anderer Weg nicht immer zur Verfgung stehen.

1200

c) Die Versuchung des Erfolgshonorars Arndt, Die quota litis als ein Prfstein des Anwaltsrechts, NJW 1961, 815; Beck'sches Formularbuch/Herrmann, 4. Aufl., 2002, S. 1130 f.; Feuerich/Weyland, BRAO, Kommentar, 6. Aufl., 2003, § 49b; Madert, Rechtsanwaltsvergtung in Straf- und Bußgeldsachen, 5. Aufl., 2004, Rn. 5 ff.

In der Bundesrechtsanwaltsordnung besteht ein gesetzliches Verbot des Erfolgshonorars. Nach § 49b Abs. 2 BRAO sind Erfolgshonorare (fr Rechtsanwlte, jedoch nicht fr Hochschullehrer – § 138 Abs. 1 StPO) unzulssig und entsprechende Vereinbarungen nach § 134 BGB nichtig. Im Strafverfahren bedeutet dies fr den Verteidiger das Verbot, innerhalb 723

1201

Rn. 1202

Die Honorierung des Strafverteidigers

oder außerhalb des gesetzlichen Rahmens dem gnstigen Ausgang des Verfahrens oder dem sonst erzielten Erfolg der Verteidigung Bedeutung fr die Hhe des Vereinbarungshonorars beizumessen16. Das ist zur Sicherung der Unabhngigkeit der Verteidiger (Rn. 30) so bestimmt. Daraus folgt, daß Erfolgshonorare nach Beendigung der Verteidigung unbedenklich, ihre Vereinbarung vor oder whrend der Verteidigungsttigkeit aber nicht zulssig sind. Insbesondere gilt das Verbot, wenn ein Erfolgshonorar fr den Fall des Freispruchs vereinbart wird. Der Verteidiger soll in der Verteidigung nicht durch die Vorstellung beeinflußt sein, am Freispruch seines Mandanten selbst zu verdienen, was ihn in manche Versuchung bringen knnte. 1202

So richtig diese Regelung im Prinzip erscheint, so sehr stßt sie in der Praxis an die Grenzen der Praktikabilitt. Viele Strafprozesse sind fr den Mandanten eine Existenzfrage. Verurteilung kann vllige Vernichtung seiner Mittel, Einstellung oder Freispruch aber Erhaltung und Gewinnung wirtschaftlichen Wohlstandes und Vermgens sein. Es sind dies die Flle, in denen die erfolgreiche Beendigung des Strafverfahrens berhaupt erst die finanziellen Voraussetzungen fr ein hheres Honorar schafft. berdies ist dem Mandanten eine frhzeitige Einstellung des Verfahrens sicher viel mehr wert als ein Freispruch nach langwierigem Verfahren. Daraus erwchst in der Praxis das Bedrfnis nach einer sich auch im Honorar niederschlagenden Anerkennung des Verteidigungserfolges. Der Verteidiger muß aber erkennen, daß die Abhngigkeit seines Honorars vom Erfolg auch – und gerade – hier die Unabhngigkeit seiner Verteidigung gefhrdet und eben deshalb zu Recht verboten ist. Das gilt auch fr eine Vereinbarung, wonach die fr den Fall des Freispruchs oder der Einstellung erwarteten Erstattungsbetrge (Rn. 1205) als zustzliches Honorar dem Verteidiger zukommen sollen. Eine nachtrgliche Vereinbarung dieses Inhalts ist aber zulssig. Selbstverstndlich bestehen auch keine Bedenken, nach Abschluß des Verfahrens im Hinblick auf den erzielten Erfolg ein Abschluß- oder Zusatzhonorar zu vereinbaren. Der Mandant muß aber wissen, daß er dazu nicht verpflichtet ist.

1203

In allen Fllen ist ein Markten um das Honorar zu vermeiden. Der Verteidiger kann das Problem dadurch entschrfen, daß er sich von dem Mandanten schriftlich oder mndlich besttigen lßt, daß bei gnstigem Ausgang des Verfahrens die Honorarfrage nochmals angesprochen werden soll. Das kann eine praktikable Lsung sein. Allerdings muß der Verteidiger erkennen, daß er damit keinen Anspruch auf das nachtrgliche Honorar gewinnt, sondern der Mandant bestenfalls eine gewisse moralische 16 BRAK-Schriftenreihe, Bd. 8, These 63 (S. 94).

724

Kostenzahlung und Kostensicherung

Rn. 1205

Bindung versprt. Das Verfahren funktioniert nur bei honorigen Mandanten, die zu ihrem Wort stehen. Es gibt auch solche.

III. Kostenzahlung und Kostensicherung 1. Aufgaben des Broleiters Den Geldverkehr sollte der Anwalt mglichst dem Bro berlassen, besonders wenn er eine dafr geeignete Kraft (z. B. Brovorsteher) zur Verfgung hat. Das betrifft sowohl die Fhrung des (elektronischen) Kassabuchs und der Bankkonten wie den Umgang mit Bargeld. Wenn er selbst damit befaßt wird, muß er sich absolut korrekt verhalten. Er ist fr ordnungsmßige Quittierung und Verbuchung verantwortlich. Man kann auch die schriftliche Kostenanforderungen ber das Bro gehen lassen, wenn man großen Wert darauf legt, die Verquickung der Sach- und Geldfragen zu vermeiden (Rn. 1194). Andererseits sollte der Verteidiger jedenfalls bei Honorarvereinbarungen durchaus zeigen, daß er selbst dahinter steht, gerade wenn zur Bemessung des Honorars auch seine berufliche Reputation beigetragen hat oder beitragen soll. In diesem Bereich ist manches eine Frage des Geschmacks. Der Verteidiger sollte es jedenfalls vermeiden, im Gerichtsflur oder gar im Gerichtssaal mit seinem Mandanten Geldgeschfte abzuwickeln oder sogar Barbetrge entgegenzunehmen. Allerdings ist es ihm schwerlich zuzumuten, ein Mandat wegen nicht fristgemßer Honorarzahlung niederzulegen, obwohl er voraussieht, daß der Mandant nach seiner Gewohnheit „im letzten Moment“ in bar zahlen wird. Auch die Entgegennahme von Sachwerten als Honorar kann anstßig sein, wenn sie auch nicht unzulssig ist. Zum Problem von Verteidigerhonorar und Geldwsche (§ 261 StGB) vgl. Rn. 1212.

1204

Wenn der Mandant nicht zahlungsfhig ist, kann eine Sicherung der Kostenforderung durch bereignung oder dgl. unumgnglich sein. Aber auch solche Geschfte stimmen nicht gut zum Ethos des Strafverteidigers und erfordern zudem mancherlei Vorsicht. Vor allen Dingen darf die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit des Mandanten nicht zu sehr beeintrchtigt werden. Auch der Anschein einer Ausnutzung der bedrngten Lage des Mandanten ist zu vermeiden – auch wenn ein „bser Anschein“ berufsrechtlich nicht sanktioniert ist.

1205

Eine Sicherung kann auch durch eine Geldempfangsvollmacht gegeben werden, die den Verteidiger ermchtigt, Zahlungen aus der Staatskasse (Kautionen, Erstattungsbetrge bei Freispruch) in Empfang zu nehmen. Der Verteidiger muß aber darauf achten, die Auszahlung an sich selbst besonders zu beantragen, damit die Staatskasse nicht versehentlich an 725

Rn. 1206

Die Honorierung des Strafverteidigers

den Mandanten auszahlt17. Anderseits wird der Verteidiger seine Aufmerksamkeit brauchen, wenn er in „faulen Mandaten“ (Rn. 135) ttig ist, insbesondere mit betrugsverdchtigen Klienten zu tun hat. Solche Leute begleichen mit Vorliebe ihre Kostenschuld durch (manchmal vordatierte) Schecks, die sie am Tage der Hauptverhandlung bergeben. Der Anwalt kommt dann in die peinliche Lage, entweder durch Ablehnung der Scheckzahlung verletzend zu wirken oder sich durch Annahme bertlpeln zu lassen. Wenn ein Verteidiger, der in einer Strafsache wegen Scheckbetrugs auftritt, allerdings selbst einen ungedeckten Scheck als Zahlung annimmt – wie es vorgekommen ist –, dem ist nicht mehr zu helfen. Insgesamt kann nur dringend empfohlen werden, die Honorarfrage rechtzeitig vor der Hauptverhandlung – notfalls auch unter Ankndigung der Mandatsniederlegung oder des Nichtauftretens in der Verhandlung – zu erledigen. brigens: Ein wegen Nichtzahlung niedergelegtes oder „suspendiertes“ Mandat kann ebenso schnell wieder aufgenommen werden! (Vgl. aber Rn. 1194.) 2. Zahlung durch Dritte 1206

Gegen ihre Annahme bestehen an sich keine Bedenken18. Sie wird – abgesehen von der Zahlung durch Haftpflichtgesellschaften und Rechtsschutzversicherungen – oft von Angehrigen oder Freunden, auch vom aktuellen oder frheren Arbeitgeber des Klienten bewirkt (Rn. 143), was auf der Basis der (nachwirkenden) Frsorgepflicht an sich unbedenklich ist. Allerdings darf gegenber dem Dritten ohne Zustimmung des Mandanten der Auftragsinhalt nicht offengelegt werden. Der Verteidiger muß dem Mandanten die Zahlung Dritter mitteilen und entsprechend gutschreiben oder als Zusatzhonorar vereinbaren. Besondere Vorsicht kann geboten sein, wenn der Dritte mit der Zahlung fr sich bestimmte Zwecke verfolgt, etwa wenn er selbst an der Sache beteiligt oder verdchtig ist und die Verteidigung in seinem Sinne steuern will (Rn. 31). Der Verteidiger darf sich auch nicht in einen Gewissenskonflikt drngen oder von sensationsschtigen Medien „einkassieren“ lassen (Rn. 144). Die bernahme des Honorars durch die Presse gegen die Verffentlichung der „story“ des Mandanten ist ein besonderes Problem. Die Entgegennahme der Zahlung einer Zeitung ist zwar nicht unzulssig, wenn die Verhandlungen und die Information durch den Klienten oder Dritte erfolgen. Der Verteidiger sollte jedoch an einer solchen Publikation nicht mitwir-

17 Was merkwrdig oft vorkommt. 18 BGHSt. 37, 726; Beck'sches Formularbuch/Herrmann, S. 1128; vgl. aber BRAKSchriftenreihe, Bd. 8, These 64 (S. 96).

726

Kostenzahlung und Kostensicherung

Rn. 1207

ken. Das gilt auch dann, wenn ihm fr den Abschluß des Vertrages mit der Zeitung oder Zeitschrift ein gesonderter zivilrechtlicher Auftrag erteilt wird. Das Interesse der Medien geht fast ausnahmslos dahin, das Schicksal des Beschuldigten unter Sensationsgesichtspunkten „auszuschlachten“. Je „reißerischer“ die story, desto hher der Preis! Dies ist fr eine sachgerechte, an den Interessen des Mandanten orientierte Verteidigung in aller Regel kontraproduktiv. Es ist vorgekommen, daß ein Verteidiger, der dem Gericht in der Hauptverhandlung sein Verhandlungskonzept darlegte, die Antwort erhielt: „Die Einlassung Ihres Mandanten und Ihre Verteidigungsargumentation haben wir schon der illustrierten Presse entnommen.“ Wnsche der Medien und das Honorarinteresse der Verteidiger mssen nahezu zwangslufig zu unlsbaren Konflikten mit seiner umfassenden Schutzaufgabe (Rn. 3 ff., 54) und dem Werbeverbot (Rn. 88 ff.) fhren. 3. Honorare aus dem „Milieu“ Eine pikante Besonderheit bescheren die Verteidigungen von Ganoven, besonders aus dem Milieu der Zuhlter und der fr sie „ttigen“ Frauen, der Einbrecher und ihrer Hehler, der Betubungsmittel- oder sonst organisierten Kriminalitt. Wie bereits an anderer Stelle ausgefhrt, ist schon die Annahme dieser Mandate eine Gewissensentscheidung oder wenigstens eine Geschmacksfrage. Das gilt insbesondere bezglich der Art und Weise, wie die Vertretung gefhrt wird (Rn. 129). Hier geht es nun aber auch noch um die Zwielichtigkeit des Verteidigerhonorars. Es ist manchmal ganz offenkundig, daß das Honorar des Verteidigers unmittelbar aus dem Erls von Straftaten (auch außerhalb des § 261 StGB) oder der „fleißigen Arbeit“ der zu ihrem Freund stehenden Frau stammt. Richter, Staatsanwalt und ffentlichkeit rmpfen leicht die Nase (pecunia olet) und stellen bei sich peinliche Betrachtungen darber an, wie nahe der Verteidiger nicht nur der Strafvereitelung, sondern auch der Hehlerei stehen kann. Wenn der betreffende Verteidiger auch noch stndig aus solchen Kreisen mandatiert wird, kann er in den Ruf eines komplizenhaft ttigen „Syndikatsanwalts der Verbrecherringe (heute: Organisierte Kriminalitt)“ kommen. Hier tun sich also Abgrnde auf, die der Verteidiger richtig sehen muß, wenn er die – auch solchen Beschuldigten selbstverstndlich zustehende – Verteidigung fhren will.

727

1207

Rn. 1208

Die Honorierung des Strafverteidigers

IV. Probleme der Niederlegung der Verteidigung aus Kostengrnden Die Niederlegung der Verteidigung aus allgemeinen Grnden ist in Abschnitt B II 3 (Rn. 167 ff.) behandelt. Der nachstehende Abschnitt betrifft das Problem nur im Zusammenhang mit der Kostenfrage.

1208

Der Wahlverteidiger kann nach § 9 RVG einen angemessenen Vorschuß auf seine Kosten oder sein Honorar verlangen. Er kann auch die Annahme und grundstzlich auch die Durchfhrung des Auftrages von der Erledigung seiner vollen Kostenforderung abhngig machen. Kommt der Mandant seiner Zahlungspflicht nicht nach, so kann der Verteidiger grundstzlich das Mandat kndigen und die Verteidigung niederlegen. Er darf das aber „nicht zur Unzeit“ tun, es sei denn, daß zwingende Grnde vorliegen19. Hier sind vielerlei Varianten denkbar. Wenn es sich nur noch um einen kleinen Kostenrest handelt, wird der Verteidiger nicht niederlegen drfen. Dasselbe gilt hufig, wenn der Mandant ohne Verschulden zahlungsschwach geworden ist, wenn die sptere Zahlung wahrscheinlich ist oder wenn Sicherheit geleistet wird. Auch die rechtzeitige Anforderung und Androhung der Niederlegung ist von Bedeutung. Besonders wichtig ist die Auswirkung der Niederlegung auf das Verfahren, z. B. wenn damit die Hauptverhandlung kurz vor ihrem Beginn oder whrend ihres Ablaufs gesprengt wird (Rn. 161 a. E.). Hier muß besonders beachtet werden, daß dem Verteidiger vom Gericht unter Umstnden nach § 145 Abs. 4 StPO die Kosten der Verhandlung auferlegt werden.

1209

Im Falle der Niederlegung muß der Wahlverteidiger damit rechnen, daß er vom Vorsitzenden zum Pflichtverteidiger bestellt wird. Das wird jeder Verteidiger berlegen mssen, wenn er – besonders in einer grßeren Sache – den Auftrag eines „vielversprechenden“ Mandanten annimmt, der auf diesem listigen Umweg zu „seinem“ Pflichtverteidiger auf Staatskosten kommen will (Rn. 148). Andererseits soll es Flle geben, in denen der Wahlverteidiger geradezu darauf „spekuliert“, nach Niederlegung des Mandats (aus Kostengrnden) zum Pflichtverteidiger bestellt zu werden, zumal wenn er schon lngere Zeit im Verfahren ttig ist und die Hauptverhandlung bevorsteht. Diese Rechnung geht aber keineswegs immer auf, wenn Anlaß zu der Annahme besteht, der Verteidiger und/oder sein Mandant versuchten auf diese Weise, die Auswahlmglichkeit des Vorsitzenden nach § 142 abzuschneiden und ihm einen bestimmten Pflichtverteidiger „aufzuzwingen“20. Wird 19 Dazu BRAK-Schriftenreihe, Bd. 8, These 8 (S. 31). 20 Zu den Einzelheiten vgl. Meyer-Goßner, § 142 Rn. 7.

728

Niederlegung der Verteidigung aus Kostengrnden

Rn. 1211

durch die Bestellung eines anderen Verteidigers eine Absetzung des Hauptverhandlungstermins erforderlich, kann dies fr den frheren Wahlverteidiger sehr teuer werden (§ 145 Abs. 4). Wenn die Niederlegung erfolgt, knnen schwierige Verrechnungen notwendig werden. Dem Verteidiger gebhrt von dem gezahlten Honorar unter Umstnden nur ein bestimmter Teilbetrag, so daß er den Mehrbetrag zur Verfgung stellen muß (§ 628 BGB). Hat er zu wenig erhalten, wird er seine Unterlagen dem Mandanten oder seinem Nachfolger herausgeben mssen, wenn sonst schwerwiegende Nachteile fr die Sache eintreten wrden. Es kommt hier jedoch jeweils auf den Einzelfall an. Keinen Anspruch hat der Verteidiger darauf, daß sein Nachfolger seinen Gebhrenschutz bernimmt, unbedenklich ist jedoch die kollegiale Bitte, sich fr die Erledigung der Kosten einzusetzen. Allerdings wird sie von vielen Kollegen ignoriert, die offenbar ihrem eigenen Honorar uneingeschrnkte Prioritt einrumen. Bedenklich ist es, einen Mandanten an einer Honorarvereinbarung mit Androhung oder Ausfhrung der Niederlegung festzuhalten, wenn der Mandant inzwischen ohne Verschulden zahlungsschwcher geworden ist.

1210

Die Niederlegung muß in der fr den Mandanten schonendsten Form vollzogen werden. Bei Gericht und Staatsanwaltschaft darf nicht der Eindruck entstehen, daß der Verteidiger in der Sache selbst Bedenken bekommen hat, weiter mitzumachen, etwa weil er von der Schuld des Mandanten wisse oder berzeugt sei. Die Erklrung, daß die Niederlegung „aus Grnden, die nicht in der Sache selbst liegen“, erfolge, ist empfehlenswert. Sie wird in der Regel richtig verstanden. Hinsichtlich des Umfanges der Auslagenerstattung durch die Staatskasse muß der Mandant belehrt werden, daß nur die gesetzlichen Gebhren, nicht aber Vereinbarungshonorare erstattet werden (§ 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO). Es gibt Flle (vgl. Rn. 1044 – Privatklageverfahren), in denen der Prozeßgegner auch Vereinbarungshonorare zu erstatten hat, die ber den gesetzlichen Gebhrenrahmen hinausgehen. Das ist dann der Fall, wenn der unterliegende Gegner eine entsprechende Verpflichtung als Gegenleistung fr die Rcknahme des Strafantrags oder einer Privatklage oder die Zustimmung zu einer Einstellung des Verfahrens bernommen hat. Bei derartigen Kostenvereinbarungen mssen sich aber Anwalt und Mandant sehr davor hten, unter dem Druck des laufenden Verfahrens unangemessene Forderungen zu stellen oder sich damit einverstanden zu erklren (vgl. im einzelnen Rn. 1044, 1200).

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1211

Rn. 1212

Die Honorierung des Strafverteidigers

V. Verteidigerhonorar und Geldwsche Beulke, Gedanken zur Diskussion ber die Strafbarkeit des Verteidigers wegen Geldwsche, FS Rudolphi (2004), S. 391 ff.; Dahs/Krause/Widmaier, Strafbarkeit des Verteidigers wegen Geldwsche durch die Annahme des Honorars, NStZ 2004, 261; Fischer, Ersatzhehlerei als Beruf und rechtsstaatliche Verteidigung, NStZ 2004, 473 ff.; Grner/Wasserburg, Geldwsche durch Annahme des Verteidigerhonorars?, GA 2000, 430 ff.; Hamm, Geldwsche durch Annahme von Verteidigerhonorar?, NJW 2000, 636 ff.; Hassemer, Professionelle Adquanz, wistra 1995, 41 ff., 81 ff.; Matt, Verfassungsrechtliche Beschrnkungen der Strafverfolgung von Strafverteidigern, JR 2004, 321 ff.; Matt, Geldwsche durch Honorarannahme eines Strafverteidigers, GA 2002, S. 137 ff.; Mssig, Strafverteidiger als „Organ der Rechtspflege“ und die Strafbarkeit wegen Geldwsche, wistra 2005, 201 ff.; Wohlers, Geldwscherei durch die Annahme von Verteidigerhonoraren, SchwZStR 2002, 197 ff.; Wohlers, Strafverteidigung vor den Schranken der Strafgerichtsbarkeit, StV 2001, 420 ff.

1212

Was frher vielleicht mehr als eine Frage des Geschmacks, des Rufs oder der Mandatspolitik, jedenfalls als ureigenste Angelegenheit vom Strafverteidiger zu ver- und beantworten war – die Frage nach der Herkunft des Honorars –, hat seit der Etablierung des § 261 StGB fr den Strafverteidiger unmittelbar strafrechtliche Brisanz erhalten. Schlaglichtartig wurde dies (sptestens) durch das Urteil des BGH deutlich21, wonach der Geldwschestraftatbestand uneingeschrnkt auch auf Strafverteidiger Anwendung finde, ohne daß grundrechtliche Garantien des Art. 12 GG (fr den Strafverteidiger) einerseits und prozessuale Schutzinteressen (des Beschuldigten) andererseits berhaupt berhrt sein sollten. Die der Entscheidung folgende Diskussion hat erkennbar gemacht, daß mit § 261 StGB ein Straftatbestand geschaffen wurde, der in den Hnden mglicherweise mißlauniger Ermittlungsbehrden durchaus ein Instrument zur „Disziplinierung“ einer Wahlverteidigung darstellen knnte: Droht der Strafverteidiger wegen einer Honorarvereinbarung – einem an sich sozial- und rollenadquaten Verhalten – selbst in die Beschuldigtenrolle gedrngt zu werden, so ist damit das fr eine effektive Strafverteidigung notwendige Vertrauensverhltnis zwischen Verteidiger und Mandant unmittelbar betroffen und seine Basis unterminiert. – Das Bundesverfassungsgericht hat hier mit Entscheidungen aus den Jahren 2004 und 200522 einiges zurechtgerckt23. Nach heutigem Rechtszustand ist grundstzlich zu unterscheiden zwischen dem, was der Strafverteidiger schon aus Klugheitsgrnden unternimmt oder vermeidet, um auch weiterhin die Integritt seiner Person fr seine Mandanten gegenber den Ermittlungsbehrden in die Waagschale 21 BGHSt. 47, 68 ff. 22 BVerfG, wistra 2004, 217 ff. = NStZ 2004, 259 ff.; BVerfG, wistra 2005, 217. 23 Dazu Dahs/Krause/Widmaier, NStZ 2004, 261.

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Verteidigerhonorar und Geldwsche

Rn. 1214

werfen zu knnen, und dem, was er aus Grnden des strafrechtlichen Gesellschaftsschutzes an Eingriffen und Einwirkungen in das Mandatsverhltnis verpflichtet ist hinzunehmen. Nur von Letzterem soll hier die Rede sein. Nach dem Wortlaut der Strafvorschrift macht sich der Strafverteidiger wegen Geldwsche strafbar, wenn er Honorar aus Mitteln entgegennimmt, deren deliktische Herkunft er (notfalls) billigend vermutet hat, vermuten mußte bzw. leichtfertig nicht bedacht hat. Das mit den Gesetzeswortlaut begrndete Strafbarkeitsrisiko fr den Wahlverteidiger ist angesichts des mehrfach erweiterten Vortatenkatalogs des § 261 Abs. 1 StGB evident: Es sind die Kernbereiche forensisch relevanter Straftatvorwrfe und damit der Strafverteidigung, die als geldwscherelevante Vortaten zu bercksichtigen sind. Keineswegs beschrnkt sich das Spektrum auf sog. „Milieu-Straftaten“. Nach dem Gesetzeswortlaut macht sich auch derjenige strafbar, der fr seinen der Steuerhinterziehung verdchtigen Mandanten eine Absprache mit den Steuerbehrden herbeifhrte – nach den Unterlagen des Mandanten mochte die Grenze des § 370a AO erreicht sein –, wenn er bei der Honorarabrechnung leichtfertig nicht bedachte, daß die Summe der (mglicherweise deliktisch bedingten) Steuerschulden die mageren Aktiva des kleinen (Familien-)Unternehmens berstieg und deshalb sein aus Unternehmensmitteln beglichenes Honorar von „kontaminierten“ Quellen stammte (§ 261 Abs. 1 S. 3 StGB). Kurz: Angesichts der aufgezhlten Straftaten ließe sich kaum jemals sicher ausschließen, daß die Honorarmittel des Mandanten etwas mit der Vortat zu tun haben.

1213

Das Bundesverfassungsgericht hat hier eine deutliche Grenze gezogen: Der Straftatbestand kommt aus verfassungsrechtlichen Grnden nur in Betracht, wenn Strafverteidiger „im Zeitpunkt der Annahme ihres Honorars sichere Kenntnis von dessen Herkunft hatten“24. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht die Abgrenzung zwischen deliktischer und rollenadquater Honorarannahme (erst – und insoweit traditionellen Anstzen folgend25) auf der Ebene des subjektiven Tatbestands ansetzt; das Strafbarkeitsrisiko des Strafverteidigers bestimmt sich entscheidend nach objektiven Kriterien26: Honorarvereinbarung und -entgegennahme sind fr

1214

24 BGBl. I 2004, S. 715. 25 BGHSt. 46, 107, 112 ff.; BGHR, StGB § 27, Hilfeleisten 3, 20, 22, 24; bersicht bei Trndle/Fischer, § 27 Rn. 2b; MK-Joecks, § 27 Rn. 43 ff.; vgl. auch Kempf, in Brssow/Gatzweiler/Krekeler/Mehle (Hrsg.), Strafverteidigung in der Praxis I, 2. Aufl., 2000, S. 57; Hamm, NJW 2000, 636, 637 f.; vgl. auch Matt, GA 2002, 137, 145; Grner/Wasserburg, GA 2000, 430, 438 ff. 26 So schon Beulke, FS Rudolphi (2004), S. 391, 401 ff.; vgl. auch Mssig, wistra 2005, Heft 6.

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Rn. 1215

Die Honorierung des Strafverteidigers

sich sozial unauffllig bzw. sozialadquat und geben per se – auch bei Verdacht einer Katalogtat – noch keine Anhaltspunkte fr die (prozessuale und materielle) Zuschreibung einer qualifizierten Vorsatzform27. Insoweit kommt den Umstnden des Einzelfalles maßgebliche Bedeutung zu; etwa dann, wenn das Verhalten des Strafverteidigers ohne den Zusammenhang mit der Tatbestandsverwirklichung nicht mehr als sozial sinnvoll, d. h. als rollenadquat verstanden werden kann. So sind selbstverstndlich Handlungen erfaßt, die darauf abzielen, die tatschlichen Grundlagen, die Gegenstand des Verfahrens sind, zugunsten des Beschuldigten zu beeinflussen, wenn also der Verteidiger den bemakelten Gegenstand „verbirgt, dessen Herkunft verschleiert oder die Ermittlung der Herkunft, das Auffinden, den Verfall, die Einziehung oder Sicherstellung eines solchen Gegenstandes vereitelt oder gefhrdet“ (§ 261 Abs. 1 StGB). Eindeutig sind auch Flle, in denen Verteidigerhonorare der Umgehung des Geldwscheverbots dienen sollen, wenn der Geldtransfer etwa in der Absicht erfolgt, dem Mandanten Teile davon wirtschaftlich zuzufhren (sog. „kick-back“; z. B. die bertragung von Geschftsanteilen mit der Abrede, Gewinne daraus zu einem bestimmten Anteil zurckzufhren, hnliche „treuhnderische“ Abreden oder die Vereinbarung der Rckfhrung von Geldbetrgen)28. Widerlegt ist die Regelvermutung der Rollenadquanz auch bei drastisch inadquaten bzw. deliktischem Kontext, so wenn etwa hohe Bargeldbetrge (in „bankunblicher Stckelung“) unter konspirativen Umstnden als „Honorar“ bergeben werden, oder (kraß) im Fall der Hehlerei29. Dem Strafverteidiger ist daher dringend zu empfehlen, alle Honorarzahlungen zu quittieren, (hohe) Bargeldbetrge nicht entgegenzunehmen, insbesondere Honorare nicht unter konspirativen Umstnden entgegenzunehmen und Treuhandgelder nur bei klarer, vom Verteidigerauftrag umfaßten Zweckbindung zu akzeptieren (z. B. zum Zweck der Schadenswiedergutmachung). 1215

Umgekehrt ist der Strafverteidiger nicht zu (inquisitorischen) Nachforschungen ber die legalen oder illegalen Einnahmequellen des Mandanten verpflichtet. Die Honorarvereinbarung ist auch beim Vorwurf einer Katalogstraftat grundstzlich rollen- bzw. sozialadquat und darf nicht per se zum Anlaß von Ermittlungsmaßnahmen (gegen den Verteidiger) genommen werden30. Insbesondere ist der Strafverteidiger in einschlgigen Fllen

27 28 29 30

BVerfG, wistra 2004, 217, 225 f. HansOLG Hamburg, wistra 2000, 105, 113 ff. Vgl. Fischer, NStZ 2004, 473, 475. BVerfG, wistra 2004, 217, 225 f.; LG Berlin, NJW 2003, 2694 f.

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Verteidigerhonorar und Geldwsche

Rn. 1216

(Katalogtat) nicht verpflichtet – zur Vermeidung eigener Strafbarkeitsrisiken –, einen Beiordnungsantrag zu stellen. Unabhngig davon, daß der Vorwurf einer Katalogtat nicht zwingend die Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung (im Ermittlungsverfahren!) erfllt, drfte die Signalwirkung eines solchen Vorgehens fr den – vermeintlich – wohlhabenden Mandanten jede Verteidigungsstrategie konterkarieren. Heikel ist der Fall, daß der Strafverteidiger nachtrglich die deliktische Herkunft der Honorarmittel sicher erkennt, etwa, wenn sich das Ermittlungsverfahren unerwartet ausdehnt. Selbstverstndlich fhrt die nachtrgliche Kenntnis nicht zur Strafbarkeit. Sind allerdings fr die Zukunft unbelastete Honorarmittel nicht aufweisbar, so bleibt wohl nur die Niederlegung des Mandats: Auch hier wird die Signalwirkung eines Beiordnungsantrages jedenfalls in dieser Situation als Alternative ausscheiden. Soweit in einem (umfangreichen) Ermittlungsverfahren Vermgenswerte des Beschuldigten auf Veranlassung der Ermittlungsbehrden beschlagnahmt wurden (§§ 111b ff. StPO), kann der Strafverteidiger i. d. R. davon ausgehen, daß weitere Vermgenswerte nicht belastet sind. Im brigen ist auch auf die Mglichkeit einer Freigabe von beschlagnahmten Vermgenswerten zur Begleichung von Honorarforderungen zu verweisen; nach den Erfahrungen der Praxis wird dieses von den Ermittlungsbehrden hufig gebilligt. Fr den nicht ausschließbaren Fall, daß dem Mandanten offensichtlich – zunchst – nur belastete Mittel zur Verfgung stehen, muß eine eindeutige, nachvollziehbare Erklrung zur unbelasteten Herkunft der Honorarmittel vorliegen; anderenfalls – wenn eine Beiordnung nicht in Betracht kommt – bleibt nur die Ablehnung des Mandats. Auch die Honorarzahlung durch Dritte (Rn. 1206) bleibt grundstzlich unbedenklich. Ohne praktische Relevanz fr den Strafverteidiger ist die nach Geldwschegesetz (GwG) bestehende Anzeigepflicht bei sog. „Verdachtsfllen“ (Tatsachenfeststellungen im Rahmen beruflicher Ttigkeit, die auf Geldwsche oder die Finanzierung terroristischer Vereinigungen schließen lassen). Nach § 11 Abs. 3 S. 1 GwG besteht diese Pflicht nicht, wenn die Informationen „im Rahmen der Rechtsberatung oder der Prozeßvertretung“ erhalten worden waren; fr den Strafverteidiger drfte dies der Regelfall sein31.

31 Ebenso wie die Gegenausnahme, Instrumentalisierung des Mandats fr Zwekke der Geldwsche (§ 11 Abs. 3 S. 2 GwG), gleichfalls im Rahmen der Strafverteidigung keine Rolle spielen drfte: „Selten drften Tter der organisierten Kriminalitt den Weg ber Mandatierung und Honorierung des Strafverteidigers whlen, um ihre Verbrechensgewinne zu waschen“, BVerfG, wistra 2004, 217 (224).

733

1216

Rn. 1217

Die Honorierung des Strafverteidigers

VI. Steuersnden 1217

Die Vereinbarung und Zahlung von Kosten und Honoraren werfen auch noch verschiedene Fragen steuerlicher Natur auf. Vergehen gegen die Steuerpflicht werden vielfach als Kavaliersdelikt betrachtet. Mandanten und auch Anwlte behandeln die Vorgnge hufig mit bedenklicher Laxheit. Es liegt auf der Hand, daß eine strafrechtliche Verfehlung in jedem Falle fr einen Anwalt, der selbst beruflich als Strafverteidiger auftritt, eine mehr als peinliche Sache ist (Rn. 1165 ff.). Er sollte sich um besonders korrektes Verhalten bemhen. Dabei muß er sowohl die Steuerpflichten seiner Klienten wie auch seine eigenen Steuerpflichten beachten.

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Ein Hauptfall steuerlichen Mißverhaltens betrifft die Beteiligung an Steuerunehrlichkeiten des Mandanten. Dem Verteidiger wird oft zugemutet, das fr die Strafverteidigung gezahlte Honorar flschlich als Beratungs- oder Vertretungshonorar in zivilrechtlichen Angelegenheiten in Rechnung zu stellen, damit es fr den Mandanten absetzbar wird. Auch verlangt man von ihm, das Honorar fr die Verteidigung des einzelnen Mandanten nicht ihm, sondern dem ihm gehrenden Unternehmen anzulasten und dort in einer fr die Absetzung geeigneten Weise (z. B. als Beratungshonorar) anzufordern. Die Klientel gibt sich oft recht verstndnislos, wenn der Verteidiger solche bedenklichen Manipulationen ablehnt, die in der Regel als Beihilfe zum Steuerbetrug zu werten wren. Anders ist es, wenn das Strafverfahren auf ein „betriebliches Handeln“ des Mandanten zurckgeht, z. B. beim Vorwurf der fahrlssigen Gewsserverunreinigung, der fahrlssigen Krperverletzung bei Betriebsunfall, Bilanz- und Brsendelikten usw. Hier kommt die steuerrechtliche Bercksichtigung der Verteidigerkosten als betriebliche Aufwendung in Betracht32, so daß die Rechnung zwar an das Unternehmen gerichtet, der Gegenstand des Mandats dabei aber nicht verflscht werden darf.

1219

Wenn der Anwalt bezglich der eigenen Steuerpflicht sich inkorrekt verhlt oder gar Steuerhinterziehung begeht, so kann er in eine sehr schwierige Lage geraten. Seine Buchfhrung kann ggfs. verworfen und er damit der Schtzung des Finanzamtes ausgeliefert werden. Mangelnde Aufklrbarkeit geht zu seinen Lasten. Die Steuerbehrde kann bei Schtzung bis an die oberste Grenze des Mglichen gehen. Außerdem verliert der Anwalt sein Ansehen bei den Finanzbehrden, was besonders schlimm sein kann, wenn er etwa als Fachanwalt fr Steuerrecht oder sonst bei den Finanzmtern auftritt oder als Verteidiger in Steuerstrafsachen ttig wird.

32 BFHE 135, 449; FG Dsseldorf, AnwBl. 1989, 393.

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Steuersnden

Rn. 1219

Schlimmer noch wirkt der Verlust an Ansehen bei dem Klienten, wenn das Vergehen im Einvernehmen mit diesem vor sich geht. Solche Flle spielen sich meist in der Weise ab, daß Bargeldbetrge ohne Quittung und ohne Rechnung bergeben werden („OR-Sachen“). Manche Klienten legen es geradezu darauf an, ihrem Verteidiger auf diese Weise die Betrge aufzudrngen, weil sie ohnehin in aller Regel bei ihrer Einkommensteuer nicht absetzbar sind. Der Verteidiger gibt sich damit ganz in die Hand des Mandanten und bßt seine Autoritt ein. Bei spteren Differenzen kann er sich dem Druck und der Anzeigedrohung des treulos gewordenen Mandanten in unangenehmster Weise ausgeliefert sehen. Insbesondere auch bei der spteren Schlußabrechnung kann er es erleben, daß der Klient pltzlich die Anrechnung der ohne Quittung gezahlten Betrge oder sogar deren Rckzahlung verlangt. In diesem Zeitpunkt lassen sich das fortlaufend gefhrte Kassabuch und die Buchhaltung schon nicht mehr in Ordnung bringen, und das Bro nimmt von dem Mißverhalten des Chefs Kenntnis. Dieser setzt damit seine Autoritt auch gegenber seinen Angestellten in bedenklicher Weise aufs Spiel und muß im Falle von Arbeitsstreitigkeiten oder sonstigen Differenzen immer damit rechnen, mit seinen Steuersnden ffentlich konfrontiert zu werden. Es kann sogar passieren, daß der Klient Zahlungen behauptet, die er gar nicht geleistet hat, ohne daß der Anwalt dies infolge Fehlens von Unterlagen wirksam zurckweisen kann. Auch kommt es vor, daß der Klient die Kosten bei seiner Steuererklrung doch mit absetzt oder wenigstens als außergewhnliche Belastung anmeldet. Dann ist mit Kontrollmitteilungen zu rechnen, die bei der Buch- und Betriebsprfung des Finanzamtes den Anwalt bloßstellen. Besondere Vorsicht ist auch bei Zahlungen von Auslandsklienten am Platze, die Kosten und Honorare in Strafsachen auf ein Auslandskonto ihres Verteidigers berweisen wollen, was brigens auch von Inlandsklienten angeboten wird („Haben Sie ein Schweizer Konto – dann kann ich das Honorar aus Luxemburg berweisen“). Hier ist in der Regel eine steuerliche Kontrolle von Amts wegen nicht zu erwarten. Anderseits ist der Verteidiger ganz in der Hand seines Klienten, der durch die Zahlungsbelege jederzeit einen Steuerbetrug des Verteidigers aufdecken knnte. Diesen Mglichkeiten und Gefahren ist unter den Anwlten der Strafverteidiger besonders ausgesetzt, weil er es nicht immer mit vertrauenswrdiger, sondern auch mit strafflliger Klientel zu tun hat. Er muß sich davor hten, auf diese Ebene hinabzusteigen. Sehr viel besser ist ein ruhiges Steuergewissen!

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Stichwortverzeichnis (Die Zahlen verweisen auf die Randnummern.)

Abhngigkeit des Verteidigers 15 Abhilfeverfahren 468 Ablehnung von Beweisantrgen 468 Ablehnung des Mandats 30, 139 Ablehnung des Richters 198 ff. – Ablehnungsgrnde 545, 650 – ehrenamtliche Richter 198 ff., 201 – Fristen 205 – Revision bei Zurckverweisung 930 – Verfahren 205 f. – wegen Verletzung von Verfahrensabsprachen 204 – Zeitpunkt 205, 461 – Zweckmßigkeit 198 Ablehnung des Sachverstndigen 227 ff., 619, 842 Ablehnung des Staatsanwalts 207 f. Abschluß der Ermittlungen – der Polizei 293 – der Staatsanwaltschaft 248 Abschriften – aus zur Einsicht berlassenen Akten 271 – polizeilicher Vernehmungsprotokolle 293 Absehen von Strafe 325 Absprachen s. Verfahrensabsprachen – mit Gericht oder Staatsanwalt 179 – unter Verteidigern s. a. Mehrere Verteidiger 68 Abtrennung eines Verfahrens 595 Abwesenheit – des Angeklagten 476 ff., 558

– notwendiger Verfahrensbeteiligter als Revisionsgrund 931 Adhsionsverfahren 1064 nderung der Anklage 695 ff. rztliche Atteste 600 Agreement s. Verfahrensabsprachen Aktenauszug s. a. Akteneinsicht – Art und Umfang 272 f. – Aushndigung an Mandant 67, 275 ff. – Aushndigung an Mitverteidiger 270, 279 – Auswertung in anderen Verfahren 276 – fr Justizbehrden 285 – in Staatsschutzsachen 274 – fr Versicherungsgesellschaft 85, 282 Aktenbeiziehung 257, 680, 691 Akteneinsicht s. a. Aktenauszug 254 ff. – Abschriften 271 – Behandlung der Akten 184, 270 – Beiakten 256 – Datenspeicher 271 – Dritter 269, 278, 280 – elektronische Dateien 258 – Fotokopien 267, 271 – Gefhrdung des Untersuchungszwecks 261 ff. – vor der Hauptverhandlung 422, 463 – Mitteilung an den Verteidiger 261 – Ort 255, 266 – Rckgabe der Akten 270 – Spurenakten 257 – Umfang 257 ff. 737

Stichwortverzeichnis

– Untersuchungshaftverfahren 283, 338, 346, 350 – Verfahrensverzgerung 71 – des Verletzten 171, 330 – Verlust der Akten 285 – Vernehmungsprotokolle 265 – Versagung 261 ff. – versptete – 463 – „Verteidigerteam“ 135 – Verwertung 275 ff. – Videoaufzeichnungen 259 Akteninhalt 59 – Information Dritter 85, 278 – Information des Mandanten 275 – Information der Mitverteidiger 279 – Information der Presse 280 – fr Versicherung 282 – Verwertung 275 ff. Aktenvorlage an das Berufungsgericht 866 Aktenwidrigkeit 942 Alibibeweis 651, 1000 Amnestie 817 Amtshaftung s. Regreß Amtsrichteroriginale 196, 809 Amtstracht 502 Amtsverschwiegenheit 567 Anarchistischer Straftter 130 Anbiederung 182 Angehrige 689 Angeklagter s. a. Einlassung des Angeklagten – Einlassung 490 – persnliche und wirtschaftliche Verhltnisse 486 Anhrung, informatorische 287 Anklage 414 ff. – Statistik 1 Anklageschrift 417 Anknpfungsfragen 528, 585 Anknpfungstatsachen 311 Annahmeberufung 857 738

Anrechnung der Untersuchungshaft 365, 768, 814, 830 Anrempelei = Benehmen im Gericht 186 Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§§ 23 ff. EGGVG) 1081 ff., 1116 Anwalt des Vertrauens 147, 454 Anwaltswechsel 888 Anwesenheitsrechte des Verteidigers – in der Berufungsverhandlung 874 – bei Beschlagnahme 384 – bei Durchsicht aufgefundener Papiere 378 – bei Durchsicht beschlagnahmter Postsendungen 388 – bei Durchsuchung 377 – bei Gegenberstellungen 294 – in der Hauptverhandlung 505 – bei kommissarischer Vernehmung 479 – bei polizeilicher Vernehmung 292 – im Probationsverfahren 1019 – bei richterlichen Untersuchungshandlungen im Ermittlungsverfahren 252, 304 – bei richterlicher Vernehmung 302 ff. – bei staatsanwaltlicher Vernehmung 252, 295 – bei Urteilsverkndung 764 – bei Vernehmung von Mitbeschuldigten 304 Arroganz des Mandanten 153 Arzt s. a. Sachverstndiger – rztliche Berichte 401 – als sachverstndiger Zeuge 401 Assistent als Gutachter 617 Assistenz eines Referendars, Assessors 26 Aufenthaltsort des Mandanten 65

Stichwortverzeichnis

Auferlegung der Kosten zu Lasten des Verteidigers 195, 796 Aufhebung der Pflichtverteidigung 124, 164 Aufklrungsmonopol 1000 Aufklrungspflicht – Bedeutung 1, 655 ff. – Einzelflle 564, 574, 606, 684 – Revision 942 Aufklrungsrge 654, 685, 942 Auflagen – bei Einstellung wegen Geringfgigkeit 323 – bei Haftverschonung 355 – bei Strafaussetzung zur Bewhrung 748, 772, 844, 968, 1100 Auftreten des Verteidigers 495 ff. Augenscheinsbeweis 634 ff. – Beweisantrag 681 Augenscheinseinnahme des Tatund Unfallortes 312, 466 Ausbleiben – des Angeklagten 509, 865, 842 – des Verteidigers 797 Aushndigung – des Aktenauszuges an den Mandanten 275 – von Aktenauszgen an Sachverstndigen 278 – des beschlagnahmten Fhrerscheins 411 – von Originalakten an den Beschuldigten 277 Auskunft – aus dem Bundeszentralregister s. a. Bundeszentralregister 1123 f. – aus dem Verkehrszentralregister 1128 Auskunftsperson 287 Auskunftsverweigerung des Zeugen 563 f., 568 Auslagen 1150 Auslandsreise des Mandanten 61 Auslieferungsrecht 62

„Ausrichtung“ des Mandants 83 Aussagegenehmigung 567, 1037 Aussagekomplott 604 Aussagepsychologie 688 ff. – Aussageehrlichkeit 592 ff. – Aussagekonstanz 599 – Aussagerichtigkeit 598 – Aussagetchtigkeit 590 – bei Kindern und Jugendlichen 601 ff. Aussageverhalten 288, 480 ff., 485 Aussageverweigerung des Zeugen 568 ff. Ausscheidung nebenschlicher Punkte 699 Ausschließung – von Gerichtsberichterstattern 107 – der ffentlichkeit 514, 539, 549, 933 – des Richters 199 – des Staatsanwalts 207 Ausschließung des Verteidigers 37 ff. – Ausschließungstatbestnde 37 – Beschwerderecht 38 – Entscheidungszustndigkeit 38 – des Pflichtverteidigers 39 Außergerichtliche Befragung – von Sachverstndigen 221 – von Zeugen 216 f., 466, 636, 648 Aussetzung – der Berufungsverhandlung 875 – des Strafrestes 809, 1035 ff., 1104 ff., 1115 – der Vollziehung in Beschwerdeverfahren 648 – des Vollzugs des Haftbefehls 355 f. Aussetzung der Hauptverhandlung – wegen Abwesenheit des Angeklagten 510 – wegen Abwesenheit des Pflichtverteidigers 195 739

Stichwortverzeichnis

– Antrag auf – zur Rgeerhaltung 451 – wegen Beweisantrags 649, 659 – wegen mangelnder Vorbereitungsmglichkeit des Verteidigers 148, 442, 452, 463, 506, 515, 688, 698 – wegen vernderter Sach- oder Rechtslage 698 f., 70 – wegen Verfahrensfehler bei der Ladung 451, 506, 515 Austauschbarkeit von Beweismitteln 673 Auswahl des Sachverstndigen 607 Autoritt des Verteidigers 153, 160 f. Avantgardist 23

Basisverteidigung s. Sockelverteidigung Beanstandung des Verteidigers – wegen Beschrnkung des Fragerechts 527 ff. – Gerichtsbeschluß 534, 550 – Protokollierung 536, 550 – Rechtsgrundlage 533 ff. – der Sach- und Verhandlungsleitung 189, 194, 533 – unzulssiger Fragen an Zeugen 211, 572, 1153 – der Vernehmung des Angeklagten 543, 545 – der Vernehmung des Beschuldigten 189, 297, 543 – von Verlesungen 576, 630 – wegen Versagung des Erklrungsrechts 521 – von Vorhalten 533, 545, 547, 569, 630 Beauftragung durch die Presse 89, 143 Beeinflussung – von Mitangeklagten 464 – von Zeugen 217, 340 740

Befangenheit – des Richters s. a. Ablehnung des Richters 198 ff., 561 – des Sachverstndigen 227 Befrderung von Schriftstcken 361 Befragung – Bloßstellung 539 – dritter Personen durch den Sachverstndigen 612 – Fangfragen 529 – Fragenkatalog 531 – von Kindern und Jugendlichen 559, 584 – des Mandanten durch den Verteidiger 524 f., 553, 580 – des Mandanten durch den Verteidiger eines Mitangeklagten 555, 580 – von Mitangeklagten 532 – selbstgeladener Zeugen und Sachverstndiger 469 – Suggestivfragen 530 – unmittelbare Fragen des Mandanten 532 – Vernehmungstechnik 581 ff. – von Zeugen 560 ff., 574, 578 Befundtatsachen 612, 618 Behandlung des Zeugen 210 ff. Beiakten 256 Beihilfe zum Meineid 70, 214 Beisitzer 458, 912 Beistand 3, 13 Belastende Indizien 727 Belehrung des Beschuldigten – durch die Polizei 245, 286, 201, 401 – ber seine Rechte bei kommissarischer Vernehmung 476 – durch den Richter 488, 540 – durch den Verteidiger 286 f., 363, 393 Belehrung des Zeugen – ber Auskunftsverweigerungsrecht 563 ff., 1151 a. E.

Stichwortverzeichnis

– ber Wahrheitspflicht 572 – unterlassene – als Revisionsgrund 939 f. – zeugnisverweigerungsberechtigter Angehriger ber Beschlagnahmeverbot 392 – ber Zeugnisverweigerungsrecht 57, 563, 566, 580, 613, 1151 a. E. Beleidigungsprozesse 1027 f. Benehmen im Gerichtssaal 186, 495 f. Benennung – von Sachverstndigen 675 ff. – des Staatsanwalts als Zeuge 207 – von Zeugen 69, 674 Beratung – des Angeklagten vor der Hauptverhandlung 480 ff. – des Angeklagten nach der Hauptverhandlung 771 ff. – ber Aussageverweigerungsrecht 172, 480, 533, 563, 569, 1153 – des Beschuldigten vor der Vernehmung 286, 295 ff., 306 – ber Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels 810 ff., 860, 997 ff., 1110 – prventive – 232 ff., 385 – im Privatklageverfahren 1034, 1054 – von Zeugen 1151 ff. Beratungsfunktion des Verteidigers 17 ff. Beratungsmandat 80 Berichterstattung, sensationelle 513 Berichtigung des Urteils 766 „Berhmter“ Anwalt 739 Berufsgeheimnis 44, 565 Berufspflichten des Rechtsanwalts 41 ff., 55 ff., 90 – Achtung der anderen Prozeßbeteiligten 197 ff., 702 – Amtstracht 502

– außergerichtliche Befragung von Zeugen 216 – Belehrungspflicht bei Honorarvereinbarung 1197 – Kollegialitt 155, 167, 464, 519, 555, 810, 1191 – Lebensfhrung 1165 ff. – ffentliches Wirken 113 – Pflicht zur Sachlichkeit 119, 172, 177, 198, 495, 740, 1151 – Treuepflicht 34, 49, 79 ff., 138 – Unabhngigkeit 27 ff., 144, 153 ff., 175, 1172 – beim Verkehr mit Strafgefangenen 1110 – Verkehr mit Untersuchungs- und Strafgefangenen 358 ff., 1110 – Verschwiegenheitspflicht 44 ff. – Wahrheitspflicht 43, 49, 56, 73 ff., 95, 160, 184, 898 – Werbeverbot 88 ff. Berufsverbot 1169 Berufsvergehen (Einzelflle) – Aufbewahrung von belastendem Material 61, 392 – bei außergerichtlicher Befragung von Zeugen 217 – Betrug 1218 – Drohung mit Rechtsmitteln und Dienstaufsichtsbeschwerden 190 – Einforderung mndlich vereinbarter Honorare 1199 – Erfolgshonorar 1201 ff. – Gefhrdung des Zwecks der Untersuchungshaft 359 ff. – Hehlerei 1207 – heimliche Tonaufnahme 216, 636 – Honorarverzicht 1173 ff. – Kassiberbefrderung 300 ff. – leichtfertiges Ablehnungsgesuch 197 – Mandatsniederlegung zur Unzeit 161, 1208 741

Stichwortverzeichnis

– Parteiverrat 79 ff. – Prozeßverschleppung 63, 419, 460, 646, 817 – Reklame 95 f., 111, 1175 – Sicherheitsleistung fr Mandanten 356 – steuerliche Verfehlungen 1167, 1218 – Strafvereitelung s. dort 55 ff. – Strafvollzug 1110, 1185 – Unterschlagung 1165 – Verdunkelung des Sachverhalts 63, 201, 269, 275 – verletzendes Benehmen im Gerichtssaal 186 – Werben um Praxis 88 ff., 95, 139, 143, 175, 356, 362, 1081 Berufung 856 ff. – Annahme – 857 – Aussichten 860 – Berufungsfrist 865 – Berufungsverhandlung 842 ff. – Beschrnkung 862 ff. – Beweisantrge 871, 878 – Einlegung 865 – Einstellung des Verfahrens 860, 870 – Ladung von Beweispersonen 871, 878 – Schlußvortrag 879 f. – schriftliche Berufungsrechtfertigung 869 – der Staatsanwaltschaft 875 – Verlesung von Schriftstcken 876, 878 – Verwerfung 867, 872 – Vorbereitung der Berufungsverhandlung 871 – Zulssigkeit 857 ff. – Zweckmßigkeit 857, 861 – Zwischenberatung 705 f. Beschlagnahme 384 ff. – Rckgabe von Sachen 394 Beschlagnahmeverbote 389 f. 742

Beschrnkung – der Auskunft aus dem Bundeszentralregister 1123 ff. – der Berufung 862 ff. – des Fragerechts 526 – des Rechtsmittels 837, 862 ff., 1006 – der Revisionsverhandlung 980 – des Verfahrensstoffs 179, 426, 762 – der Verteidigung 785, 938 Beschuldigter 287 – flchtiger – 66 – Freiheitsrechte 332 – schriftliche Erklrung 56, 201 – unwahre Aussagen 56 Beschwer 812, 840 Beschwerde 840 ff., 1116 – Abhilfeverfahren 852 – weitere – 353 Beschwerdeschrift 855 Besetzung des Gerichts – Prfung 191, 457 ff. – Revision 912 ff. – Rge 458 Besichtigung von Tatorten 313 Besprechung – der Einlassung 480 – erste – mit dem Mandanten 56 – mit dem Mandanten vor der Hauptverhandlung 443 ff., 481 f. – mit dem Mandanten whrend der Hauptverhandlung 502, 556 – mit dem Richter im Erffnungsverfahren 431 – mit Richter oder Staatsanwalt zur Vorbereitung der Hauptverhandlung 462, 710 – vertrauliche – mit Richter oder Staatsanwalt 59, 178 – mit Zeugen 57, 216, 466, 1151 ff. Bestechungssachen 80 Bestellung – eines Vertreters s. Vertretung

Stichwortverzeichnis

Bestimmte Tatsachen fr Fluchtgefahr 317 Bestreiten des Angeklagten 365 Besuch – in der Haftanstalt 136, 337 – in der Wohnung des Mandanten 153 Betriebsgeheimnisse 234 Beurlaubung des Angeklagten 477, 509 Bewhrungsauflagen 751, 771, 814, 844, 1039 f. Bewhrungshelfer 1101, 1103 Beweisanregung 652 f., 656 f., 681, 684 f. Beweisantrge außerhalb der Hauptverhandlung – im Erffnungsverfahren 432, 439 – im polizeilichen Ermittlungsverfahren 292 – vorweggenommene Beweisantrge 467, 871 – Wiederholung abgelehnter – in der Hauptverhandlung 468, 519, 661, 791 – Zweifel an der Beweisbehauptung 55, 647 Beweisantrge des Staatsanwalts 686 ff. Beweisantrge des Verteidigers im Berufungsverfahren 871 Beweisantrge des Verteidigers in der Hauptverhandlung 641 ff., 55 – Ablehnung wegen Wahrunterstellung 656 ff. – affirmative Antrge 653, 678 – Ankndigung 657, 664 – Begrndung 671 – Form und Inhalt 666 – „ins Blaue“ 55, 647 – Kostenfolgen 649 – Rechtsmißbrauch 644 – Versptung 659, 662

– nach Wiedererffnung der Verhandlung 661, 760 – Wiederholung frherer Beweisantrge 468, 519, 661 – Zeitpunkt 659, 664, 694 – Zurckstellung der Entscheidung 660 – Zweckmßigkeit 651 ff., 671, 757 – Zweifel an der Beweisbehauptung 55, 647 Beweisbehauptung 667 Beweiserheblichkeit 650 ff. – Bedeutungslosigkeit aus tatschlichen Grnden 650 – Erwiesenheit von Tatsachen 653, 689 – Indizien 650 – Offenkundigkeit von Tatsachen 652, 683, 689 – privates Wissen des Gerichts 683 – Wahrunterstellung 653, 656 ff. Beweiserhebung – eigene – durch Verteidiger 307 f. – ber Strafzumessungstatsachen 645 – Unzulssigkeit 669 – Widerspruch gegen – 486 – ber Zusatztatsachen 612 Beweiserhebungsanspruch 654 Beweisermittlungsantrag 655, 680, 685 Beweisfhrung 4 – durch den Staatsanwalt 686 ff. – durch den Verteidiger 690 ff. Beweiskraft – des Protokolls 666, 803 ff., 910 f., 917 – von Urkunden 621 Beweismittel 69, 265, 646 f., 669 – prsente – 622, 690 ff. Beweisverbote s. a. Verwertungsverbote 523, 613, 668 743

Stichwortverzeichnis

– Umgehung 446 Beweiswert – von Sachverstndigengutachten 611 – von Zeugenaussagen 562, 572, 588 ff. Beweiswrdigung 7, 488, 670, 869, 946 Bildaufnahmen 89, 109 ff. Bindungswirkung der Urteilsfeststellungen 955 f. Bitte um Entschuldigung 170 Blankovollmacht 60 Blinder Richter 929 Bloßstellung – des Angeklagten 539 – des Zeugen 211 Blutprobe 398, 400 Boulevardpresse 96 Briefverkehr – mit Strafgefangenen 1110 – mit Untersuchungsgefangenen 335, 338, 363 Broleiter 1204 f. Bundeszentralregister 773, 1121 ff. – Auskunft 1123 – Fhrungszeugnis 1123 – Inhalt des Registers 1122 – Rechtsbehelf 1127 – Rechtswirkungen der Tilgung 1126 – Tilgung 773, 1139 – Tilgungsfristen 1125 – Verkehrszentralregister 774 – Verwertung 281 – ber Zeugen 281 Buße s. Geldbuße

captatio benevolentiae 723 cause clbre 600, 995 Chaosverteidigung s. Konfliktverteidigung 744

Dank fr dienstliche Handlungen 182 Darlehen des Mandanten 30 Dateien 258, 378, 746 Deal s. Verfahrensabsprachen 177 ff., 496 ff. Delegation der Verteidigung 26, 126, 455, 764, 874 Denksport 963 Dienstaufsichtsbeschwerde 190, 209, 798, 1058 ff., 1086 ff. Dienstliche ußerung 806, 915, 1060, 1078 Dieselbe Rechtssache s. a. Parteiverrat 82 Distanz vom Mandanten 10, 156, 1196 DNA-Analyse 405, s. a. Genetischer Fingerabdruck 639 – Massentest 405 Doppelakten 354, 357 Doppelfunktion – des Nebenklgers 1061 – des Privatklgers 1053 Doppelverteidigung 125 Doppelverwertung 750 Doppelzustellung 821 Dringender Tatverdacht 338 Druckwerke, periodische 387 Dunkelziffer 731 Durchsuchung 5, 377 ff. – Art und Weise 381 – Rechtmßigkeit 381 – Rechtsmittel 381 – richterliche berprfung 381 f. – Verfahrensverstße 380 – vorbeugende Maßnahmen 382 f. Durchsuchung von Verteidigern 258

EDV 447, 638 Ehrenamtliche Richter s. Laienrichter

Stichwortverzeichnis

Ehrenerklrung in Privatklagesachen 323, 516, 1044, 1124 Ehrenschutz 104 ff., 1027 ff., 1054 ff. Eidesstattliche Versicherung 218, 1078 Eigene Ermittlungen des Verteidigers 307 ff., 466, s. a. Ermittlungen Eigene Sachkunde des Gerichts 705 f. Eigenes Strafverfahren 1165 ff. Eigenmchtiges Fernbleiben des Angeklagten 509, 558 Einfache Beschwerde 840 Einfhlungsvermgen 642 Eingestndnis vorhandener Schuld 18, 243, 484, 557, 705 Einlassung des Angeklagten 480 ff., 537 – nderung 491 – Besprechung mit dem Verteidiger 485 ff., 493, 542 – Form und Inhalt 490 – in der Hauptverhandlung 485 ff. – letztes Wort 494, 758 f. – zur Person 486 – zur Sache 487, 490 – Schweigen 488 f., 540 – teilweise – 489 – Vorbereitung 490 – Widerruf eines Gestndnisses 492, 547, 631 – zeitweise – 489 Einschtzung des Verteidigers durch das Gericht 716 Einseitigkeit des Verteidigers 5 Einstellung des Gerichts 710, 984 Einstellung der Strafvollstreckung 1138 Einstellung des Verfahrens 317 f. – bei Absehen von Strafe oder Straffreierklrung 325 – bei nderung der Anklage 699

– Anfechtung 324, 328 f., 812 – auf Anregung der Strafverfolgungsorgane 570 – in der Berufungsinstanz 860 – Einverstndnis des Verletzten 170 – Erfllung von Auflagen 323 – im Ermittlungsverfahren 269, 317 – im Erffnungsverfahren 426 f. – bei geringfgigen Vermgensdelikten 323 – wegen Geringfgigkeit 322 ff. – in der Hauptverhandlung 516 f., 557 – bei Ladendiebstahl 323 – mangels hinreichenden Tatverdachts 317 ff. – bei Ntigung oder Erpressung 179, 327 – im Privatklageverfahren 1039, 1043 – Statistik 1 Einstweilige Unterbringung 375, 842 Einwendungen gegen das Verfahren 416 ff. – gegen Erffnung 416 ff. – Geltendmachung 429 ff. – Rechtsmittelinstanz 873, 921, 967 – Zeitpunkt des Vorbringens 416, 521 Eloquenz 707 Entbindung – vom Erscheinen in der Berufungsverhandlung 872 – vom Erscheinen in der Hauptverhandlung 476 – von der Schweigepflicht 567 Entfernung – des Angeklagten aus der Hauptverhandlung 523, 539, 550 – des Verteidigers aus dem Gerichtssaal 195 745

Stichwortverzeichnis

Entlassenenfrsorge 1095 Entlassung – aus der Haftanstalt 770 – vorzeitige – des Zeugen 587 Entlastende Umstnde – Beeidigung entlastender Aussagen 586 – Beweisantrag des Staatsanwalts 689 – Entbindung von der Schweigepflicht wegen Kenntnis – 567 – Ermittlung durch den Staatsanwalt 4, 249, 317 – Frage des Staatsanwalts 552 Entlastungsbeweisantrge 286 Entlastungsmaterial – Hinweis auf – 292, 633, 645, 648, 657 – Sicherstellung 261 – Zurckhaltung 249, 313 f., 352, 434 Entschdigung fr Strafverfolgungsmaßnahmen 326, 366 ff. – bei der Beschlagnahme 394 – bei Einstellung 326 – bei erfolgreichem Wiederaufnahmeverfahren 1024 – Ersatz der Verteidigungskosten 370 – Fristen 366 – mitwirkendes Verschulden 366 – Nachweis des Schadens 366 – Regreßrisiko 367 – Rechtsmittel 371 – Steuerpflicht 371 – Vergleich 368 – des Verletzten 169, 422 – bei vorlufiger Entziehung der Fahrerlaubnis 413 Entschuldigungserklrung 169 Entziehung – des Fragerechts 526 – des Mandats 163 746

Entziehung der Fahrerlaubnis – Anrechnung der Wegnahmezeit 408 – Aufhebung 441, 770, 818, 1120 – Beginn der Sperrfrist 410, 767, 776, 819 – Eintragung in das Verkehrszentralregister 774 – Nachschulung 412 – Prfungsrecht der Verkehrsbehrde 409 – Rechtsmittelverzicht bei – 767, 819 – vorlufige 406 ff., 842 Entziehungsanstalt 375, 967, 998 Erfahrungen – psychologische – 642, 799 – in Revisionssachen 884, 955 ff., 986 ff. Erfolgshonorar 1201 Erinnerungslcken 630 Erkennungsdienstliche Maßnahmen 402, 778 Erklrungen des Verteidigers – bei Beginn der Hauptverhandlung 507 – in der Hauptverhandlung 423, 520 f., 533, 586, 628, 693, 763 Erklrungsfrist 430 Erklrungsrecht – des Angeklagten 522 – des Verteidigers 297, 305, 507, 520 f., 533 Erleichterungen fr den Angeklagten 508 Ermchtigung zur Rechtsmittelrcknahme 831 Ermittlungen des Verteidigers – entlastende Umstnde 307 ff., 464, 466 – zur Vorbereitung der Wiederaufnahme 1000, 1011, 1019 Ermittlungsergebnisse 351 Ermittlungsrichter 253

Stichwortverzeichnis

Ermittlungsverfahren 229 ff. – Mitgestaltung 239 – urteilsprgende Bedeutung 230 Erneute Urteilsberatung 763 Erffnungsbeschluß 415, 417 Erffnungsrede des Verteidigers (opening statement) 507 Erffnungsverfahren 414 ff. Erotische Erlebnisse – des Verteidigers 159 – von Zeugen 604 Ersatz der Verteidigungskosten – durch Prozeßgegner 1042, 1044 – durch die Staatskasse 1183, 1211 Ersatzfreiheitsstrafe 1118 Erstattung der Kosten 1176 ff. – durch andere Prozeßbeteiligte 1042, 1044 – eines auswrtigen Verteidigers 1185 – Privatklage 1042, 1044 – der Verteidigung 975, 1211 Erste Besprechung mit dem Mandanten 56 Erwiesene Tatsachen 653 Eventualbeweisantrag s. Hilfsbeweisantrag Exploration – von Kindern 603 – von Zeugen 473

Fachgebiet des Sachverstndigen 224 ff., 607, 679 Fahndungsbuch 61 f. Fahrerlaubnis s. Entziehung Fahrverbot 408, 410, 743, 775 Faires Verfahren, Recht auf – 108, 128, 172, 203 Falschaussagen 244 Falschbezeichnung eines Rechtsmittels 820, 859 Falscher Verdacht 90 Falsches Gestndnis 336

Fangfragen 529, 546, 572 „Faule“ Mandate 135 favor judicis 192 ff., 703 Fehler in Wiederaufnahmeantrgen 1009 Fehlurteile 7, 991 „Fensterredner“ 720 Fernschreiber 826 Fernseh- und Bildaufnahmen im Gerichtssaal 89, 109 ff., 514, 783, 935 Finanzielle Mglichkeiten des Mandanten 84, 1184, 1193 Fingerspitzengefhl 131 ff., 142 fleet in being 140 Fluchtgefahr 339, 355, 768 „Flsterverstndigung“ 502, 938 Frmlichkeiten der Hauptverhandlung 803 Forensische Rede s. a. Pldoyer 709 Formalbeleidigung 1029 Formelle Kurzbegrndung 895 Formenstrenge 887 Formulierungshilfe 56, 1152, 1161 Fortdauer der Haft 769 Fotos – Aufnahmen im Gerichtssaal 109 ff., 462 – als prsentes Beweismittel 691 – des Verteidigers 88 f., 111 Fotokopien – von Beweisurkunden 266 – der zur Einsicht berlassenen Akten 301 Fragen s. a. Befragung – Beanstandung 559, 1159 – ungeeignete – 526 – unzulssige – 189, 529 f., 546, 552, 1155 Fragenkatalog 531 Fragerecht des Angeklagten 532 Fragerecht des Sachverstndigen 613 Fragerecht des Staatsanwalts 553 747

Stichwortverzeichnis

Fragerecht des Verteidigers 520 ff. – in der Hauptverhandlung 524 ff. – bei polizeilichen Vernehmungen 292 – bei richterlichen Vernehmungen im Ermittlungsverfahren 305 – bei staatsanwaltlichen Vernehmungen 296 Fragerecht des Verteidigers eines Mitangeklagten 555 Freibeweis – anwaltliche Versicherung 929 – Bedeutung 806, 915 – dienstliche ußerung 929 – als Mittel zur Feststellung von Verfahrensfehlern 630, 803, 810 – Sicherung des – 779, 806, 886 Freiheit der Verteidigung 108 Freispruch 729, 735, 812 Frist – fr Ablehnungsgesuch 205 – Berechnung der Rechtsmittelfrist 822 f. – Berufungsfrist 865 – fr Beschwerdebegrndung 853 – fr Revisionsbegrndung 901 ff. – Revisionsfristen 893, 903, 951 – Sperrfrist bei Entziehung der Fahrerlaubnis 410, 767, 776 – Verlngerung bei Akteneinsicht 196, 270 – Wiedereinsetzungsfrist 1074, 1079 Fristenkontrolle 822, 854, 1074 Frontstellung zum Richter 189 Fhrerschein – Beschlagnahme 1120 – Rckgabe 406, 411, 770 – Wegnahme 407, 410 Fhrungsanspruch des Verteidigers 153, 161, 337, 892 Fhrungszeugnis s. a. Bundeszentralregister 773, 1095, 1123 f. 748

Ganoven 129, 1207 Gedankenlose Formeln 998 Gefhrdung des Untersuchungszwecks 261 Gefngnismandate 91 Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung 564 Gegendarstellung 103 Gegenerklrung der Staatsanwaltschaft 973 Gegenberstellung von Zeugen s. a. Wahlgegenberstellung 294, 525, 579 Gegenvorstellung 103, 847, 1094 Geheimjustiz 933 Gehilfe des Gerichts 220, 609 Geldauflage, Bezahlung durch Dritte 1144 Geldbuße nach § 30 OWiG 1145 Geldempfangsvollmacht 1205 Geldstrafe, Bezahlung durch Dritte 1144 Geldverkehr 1204 Geldwsche 1212 ff. Gemeinschaftlicher Verteidiger s. a. mehrere Verteidiger 79 Genetischer Fingerabdruck s. a. DNA-Analyse 405, 639 Gentlemen-Agreement s. a. Verfahrensabsprachen – Arglist 801 – Einstellung wegen Geringfgigkeit 300 – Einstellung wegen Ntigung oder Erpressung 327 – zwecks Erledigung durch Strafbefehl 1067 – Fernbleiben des Angeklagten 509 – mit Gericht oder Staatsanwalt 179 – zwecks Haftentlassung 374 – Privatklageverfahren 1041 – zur Vermeidung von Rechtsmitteln 838

Stichwortverzeichnis

– zur Vermeidung der Rge von Verfahrensfehlern 801 Gerechte Entscheidung 882 Gerichtsarzt 225, 615 Gerichtsbeschluß zur Erhaltung des Rgerechts 536, 550, 785 ff., 938 Gerichtsbesetzung 457 ff., 511, 886, 912, 929 Gerichtshilfe 1101 Gerichtsreporter 89, 107 Gesamtstrafenbildung 818, 1112, 1120 Geschdigter 168 ff. Geschftsbesorgungsvertrag 121 Geschftsgeheimnisse 234 Geschftsrume 265 Geschftsverteilungsplan 912 – Aufstellung 458 Geschwtzigkeit 130 Geschenke – des Mandanten 30 – an Richter oder Staatsanwalt 182 Gesetze der Logik 961 Gesetzesnderung 817 Gesetzlichkeit des Verfahrens 3 Gesprch mit Richter oder Staatsanwalt, s. Besprechung 484 Gestndnis – Beweiswert 246, 336, 492 – falsches – 336, 492 – Hinwirken auf – 57, 492, 545, 553 – vor der Polizei 243 ff., 255, 286 – Vernehmung von Verhrspersonen ber frheres – 244, 492, 547, 575, 630 – Vorhalt eines frheren – 547, 631 – Widerruf 57, 336, 492, 631 – als Wiederaufnahmegrund 1010 Gestndniszeuge 575 Gewerbezentralregister 1121, 1141 Glaubwrdigkeit – Kinderaussagen 601 ff. – Zeugen 526, 589 ff.

Glaubwrdigkeitsgutachten in Sexualprozessen 606 Gnade(n) – -entscheidungen 1083, 1138 – -erweis 818 – -gesuch 1133 ff. – -praxis 1131 – -recht 1129 ff. – -verfahren 1130 ff. Graphologische Gutachten 224 Großverfahren 64 Grundstze des anwaltlichen Berufsrechts 35 Grundsatz der Verhltnismßigkeit – bei Beschlagnahme 387 – bei krperlicher Untersuchung 396, 399, 402 – bei Verhngung der Untersuchungshaft 344 Gruppeninteressen 593 Gter- und Pflichtenabwgung 566 Gutachten des Kammervorstands – bei Vereinbarungshonoraren 1180, 1184 Gutachter s. Sachverstndiger Gutachten ffentlicher Behrden 632 Gutglubigkeit 86

Haftbefehl 59 f., 338 ff., 768 – Aufhebung 357, 769 – gegen Auslnder im Ausland 339 – Aussetzung des Vollzugs 350, 769 – Entschdigung 366 – wegen Fluchtgefahr 339, 355, 768 – „posthumer“ – 768 – Rechtsbehelfe 346 ff. – Regreß bei unzulssigem – 372 – bei Ttungsdelikten 342 – vorbeugende Maßnahmen 374 Haftbeschwerde 353 ff., 344, 372 – nach Urteilsverkndung 768 749

Stichwortverzeichnis

– wegen Verdunkelungsgefahr 340, 768 Haftdauer 357 ff. Haftentlassung 770 Haftentschdigung fr Strafverfolgungsmaßnahmen s. a. Entschdigung 326 Haftgrnde 338 ff. Haftpflichtversicherung 84 Haftprfung 349 ff., 357 Haftpsychose 348 Haftrichter 288 Haftunfhigkeit 333, 339 Haftung des Verteidigers 165 ff. Haftverschonung 355, 764 Handakten des Verteidigers – Beschlagnahmefreiheit 47, 441 – Vorbereitung fr Hauptverhandlung 445 f. – Vorlage an Kammervorstand 53 Handy 503 Hauptverfahren 442 ff. Hauptverhandlung 442 ff., 495 – Auftreten des Verteidigers 186, 495, 502 – Aussetzung s. dort – Berufungsinstanz 872 ff. – Beweisantrge 519, 643 ff. – Erklrung des Verteidigers zu Beginn der – 507 – Ermittlungen der Staatsanwaltschaft 687 – Nachvollzug der Akten 196 – Pldoyer 707 ff. – Revisionsinstanz 441 ff. – „Tarnung“ 445 – Technische Vorbereitung 443 – Unterbrechung s. dort – Verfahrensabsprache 496 ff. – Vernehmung des Angeklagten 537 ff. – Vernehmung von Sachverstndigen 609 ff., 690 f. 750

– Vernehmung von Zeugen 561 ff., 648 – Vorbereitung 442 ff. Hauptverteidiger s. mehrere Verteidiger „Hausanwalt“ der Haftanstalt 91 Hausstrafen der Vollzugsanstalt 360, 1083 Hemmung der Rechtskraft durch Rechtsmittel 861 Hilfsbeweisantrag 678 – Bescheidung vor Urteilsverkndung 661 – auf Ladung des Zeugen bei Leumundszeugnis 633 – Nichtbeachtung als Revisionsgrund 943 – im Pldoyer 743, 760 – Problematik 661 – bzgl. Strafzumessungstatsachen 645 – nach Wiedererffnung der Verhandlung 760 – Zurckweisung wegen Verschleppungsabsicht 663 Hinweispflicht des Gerichts – Aussetzungsantrag 698 – wegen Vernderung des rechtlichen Gesichtspunktes 695 – wegen Vernderung der Verfahrenslage 697 – wegen vernderter Sachlage 697 Hinweisrecht des Verteidigers 296, 305 Hirnkammerluftfllung 398 Hflichkeitsfloskeln 182 Hflichkeitsformen 10 Honorar 1170 ff. – Absprachen 1191 – Anrechnung auf Gebhren aus der Staatskasse 1182 f. – Bemessung 1186 ff. – betriebliches Handeln 1218 – Erfolgshonorar 1201 ff.

Stichwortverzeichnis

– – – –

Ermßigung 1176 f. Flexibilitt 1193 und Geldwsche 1212 ff. Honorierung und freier Beruf 1170 – aus dem „Milieu“ 1207 – ffentliche Meinung 1172 – Sachwerte 1205 – Steuersnden 1217 ff. – bernahme durch die Presse 1206 – „Vorgabe“ 1192 – nach Zeitaufwand 1186 f. Honorarabsprachen mehrerer Verteidiger 1191 Honorarschein 1199 Honorarvereinbarung 1170 ff., 1199 – Angemessenheit 1184 ff. – Belehrung des Mandanten 1197 – Bemessung 1186 ff. – Erstattungsfhigkeit 1211 – Form und Umstnde 1180 ff., 1194 – Herabsetzung 1184 – juristische Mitarbeiter 1188 – Kosten und Auslagen 1190 – nachtrgliche – 1202 f. – Niederlegung des Mandats 1208 ff. – Pflichtverteidiger 1182 ff. – Rechtsschutzversicherung 1174, 1181 – Schriftform 1194 f. – Teilhonorar 1198 – bernahme durch die Presse 1206 – Vorschuß 1198 – Wahlverteidiger 1180 – Zahlung durch Dritte 1206 – Zeitbasis 1186 f. – Zeitpunkt 1194 – zustzliche – 1202 Honorarverzicht 1173 ff., 1177 Honorarvorschuß 1198 Humor 752

Immunitt 243, 1056 informationeller Schutzbereich des Verteidigungsmandats 309 Indiskretionen – des Mandanten 54 – der Polizei 174 – des Verteidigers 44 ff., 88, 90, 280 Indizienbeweis – Behandlung im Pldoyer 727 – Problematik 650 – Revision wegen unzureichendem – 966 in dubio pro reo – Bedeutung 644 – bzgl. Beruhens des Urteils auf Verfahrensfehler 937 – bzgl. Entschuldigung des Ausbleibens in Berufungshauptverhandlung 872 – im Pldoyer 732 – bei Verfahrensvoraussetzungen und -hindernissen 967 – Verletzung als Revisionsgrund 7, 966 – im Wiederaufnahmeverfahren 1013, 1017 Information des Mandanten – ber Akteninhalt 275 ff. – juristischer Mitarbeiter 278 f. – Probleme 59 – Recht und Pflicht 286 – des Sachverstndigen 278, 472 Informationen an die ffentlichkeit 92 ff., 490, 507 Informatorische Ortsbesichtigung 683 Interesse der ffentlichkeit an der Strafverfolgung 414 Interessenkollision 79 ff., 108, 138, 161, 1145, 1151 – latente – 83 Ironie 753 751

Stichwortverzeichnis

Juristische Mitarbeiter 278, 1188 Justizfrmigkeit 2 ff. Justizielles Unrecht 8 Justizirrtum 731 Justizmodernisierungsgesetz 23 Justizpressestelle 98 Justizverwaltungsakt 1082

Kammervorstand – Auskunft ber Berufsrecht 32, 86 – Berufsaufsicht 32, 37 – Gebhrenbestimmung durch – 1199 – Gebhrengutachten des – 1199 – Gutachten des – bei Vereinbarungshonorar 1184, 1199 – Pflicht zur Auskunft und Handaktenvorlage gegenber dem – 53 – Vermittlung bei Differenzen mit dem Gericht 209, 798 Kapitalsachen 883 Kavalierseid 74 Kinderaussagen 601 ff. Kinderzeugen 559, 563, 577, 603, 609 Klageerzwingung 328 ff. Klient s. Mandant Kniffe 15 Krperliche Untersuchung – des Beschuldigten 396 ff. – von Zeugen 404 Kollegialitt 126, 150, 464, 810, 1191 Kollusion 68 Kommissarische Vernehmung – des Angeklagten 476 – von Zeugen oder Sachverstndigen 478 Konfliktverteidigung 36, 71, 198, 444, 695, 807 Konkurrenz von Revisionsrgen 900, 971 ff., 980 752

Korrektur von Fehlurteilen 991, 1134 Korrektur des Strafmaßes – in der Berufungsinstanz 861 – durch Gnadenerweis 1134 Kosten – Ersatz von Verteidigungskosten 1197 – Nebenklage 1057 – Niederlegung der Verteidigung aus Kostengrnden 148, 162, 1193 f., 1208 f. – Privatklage 1017 ff. – vorsorgliches Rechtsmittel 830 – Zurcknahme des Rechtsmittels 834 Kostenanforderung 1204 Kostenerstattung s. Erstattung der Kosten Kostensicherung 1205 Kostenzahlung durch Dritte 1144, 1206 Krankenhaus, psychiatrisches 375, 396 ff., 442, 998 Kriminalpolitische Beurteilung des Tters 20, 749 Krisenmanagement 106, 232 Kritik an Kollegen 810 Kunst der Beweiserhebung 561, 581

Ladung – durch den Gerichtsvollzieher 470 – Frmlichkeiten 452 – zur richterlichen Vernehmung 253 – Rge von Mngeln 451, 506, 515, 873 – zum Strafantritt 861, 1114 – von Zeugen und Sachverstndigen durch den Verteidiger 470 ff., 690 – des Verteidigers 452 Ladungsfrist 451, 873

Stichwortverzeichnis

Laienrichter – Befangenheit 96, 201, 203, 510 – Behandlung im Pldoyer 712, 739 – Besetzungsfehler bei – als Revisionsgrund 459, 912 – Einstellung und berzeugungsbildung 191, 590, 679, 705, 844, 876 – Kenntnis der Anklageschrift 201, 510 – Nachforschungen ber Person der – 191, 450 – schlafender – 929 Laptop 447, 504 Lebensfhrung des Rechtsanwalts 1165 Lebenslauf des Angeklagten 538 Letztes Wort – in der Berufungsverhandlung 880 – Errterung bei Vorbereitung der Hauptverhandlung 494 – Form und Inhalt 758 – Revision wegen Beeintrchtigung 917, 937, 948 – Rgeverlust bei Beeintrchtigung 796 Leugnen des Angeklagten 491, 758 Leumundszeuge 633, 658, 746 Leumundszeugnis 633, 658, 746, 1136 Lichtbilder als Beweismittel 478, 634, 659, 682, 691 Lichtbildvorlagen 294

Mngel – in Anklageschrift und Erffnungsbeschluß 415, 417 – des Strafantrags 421 f., 967 Magna Charta 5, 779 Mandant 120 ff. – Anarchist 130 – Angehrige 127

– „fauler“ – 135 – und Fortentwicklung des Rechts 736 – „Knastologen“ 136 – politisch exponierte Persnlichkeiten 132 – Schwerverbrecher 128 – Sexualtter 128 – Terrorist 130 – Unterwelt 129, 1193, 1207 Mandant und Verteidiger 83 ff. – Autoritt 155, 160 f. – Distanz 10, 156, 1196 – Fhrungsanspruch 153, 161, 337, 892 – persnliche Beziehungen 30, 156 f., 159, 1196 – steuerliche Unkorrektheiten 30, 1217 ff. – Treuepflicht 34, 59 f., 79 – Umgang mit dem Mandanten 10, 30 f. – Unabhngigkeit 30, 79, 153 – ungeschriebene Regeln 36 – „Vereinnahmung“ 135 – Verhalten in Verhandlungspausen 158 – Vertrauenskrise 150, 1034 – Weisungen 30 Mandat 221 ff. – Auftrag durch dritte Personen 31, 143 ff., 1141, 1144 – „Ausschreibung“ 155 – „Bewerbung“ 155 – Entziehung 163 – „faule“ Mandate 135 – Gefngnismandate 91 – Geschftsbesorgungsvertrag 121, 1171 – informationeller Schutzbereich 309 – Interessenkollision 138, 1151 – Niederlegung 161 ff., 197, 763, 795 753

Stichwortverzeichnis

– Pflichtverteidigung 10 ff. – politischer Parteien 132 – „Seilschaft“ 135 – Soziett 138 – Unternehmen 1140 ff. – aus der Unterwelt 128 – „Vergabemethoden“ 155 – „Verteidigerteam“ 135 – Vollmacht 122, 126, 799, 831 – „Vorsingen“ 125 – Wahlverteidigung 121 ff. – Wirtschaftsstrafsachen 131 Mangelnder Shneversuch 1036 f. Massentest 405 Maßregeln der Besserung und Sicherung 645, 751, 968, 1119 f. Materielles Beleidigungsrecht 1027 Medien 88 ff., 143 f., 235, 476, 513 – Abwehrmaßnahmen 100 ff. – als Aufklrungsgehilfen 44 Mehrere Taten 442 Mehrere Verteidiger – Absprachen 68 – Aufteilung des Pldoyers 755 – Befragung durch Verteidiger eines Mitangeklagten 555 – gemeinsames Mandat 123 – Haupt- und Mitverteidiger 123, 149, 755, 1179 – Honorar 1179, 1191 – Interessenkollision 138 – Koordinierung 68, 456, 541, 555, 887 – Reihenfolge der Vernehmungen 441 – Revision 887 – „Seilschaft“ 135 – Vertretung durch Mitverteidiger 455 Mehrfachverteidigung 125, 252 Meineid 70, 214 Meinungsußerung 187 Menschenwrde 2, 210, 539, 1105 754

Merkblatt ber Rechtsmittel 824 Mienenspiel und Gestik eines Richters als Ablehnungsgrund 201 Mißachtung des Gerichts 713 Mißbrauch prozessualer Rechte 195 MiStra 774 Mitarbeiter des Verteidigers 60, 278, 1188 Mitschreiben der Hauptverhandlung 448 „Mitternachtssitzungen“ 719 Mitverschulden des Mandanten bei Fristversumung 14, 907 Mitverteidiger s. mehrere Verteidiger Mitwirkung des Verteidigers – bei Beweisaufnahme 495, 520 ff., 738 – bei Vernehmungen 286 ff., 293 ff., 302 ff. Mobilfunk, berwachung 395 Mobiltelefon 503 Moralisierende ußerungen 745 Mndliche Besprechung in der Haftanstalt 360 Mndliche Verhandlung ber Haftbefehl 345, 349 ff.

Nachholung – einzelner Revisionsrgen 907 – von Verfahrensvoraussetzungen 921 Nachpldoyer 761 „Nachschieben“ der Einlassung 488 Nachschulung 412, 1120 „Nachsorge“ 269, 320, 771 ff. Nachtbriefkasten 823 Nachtragsanklage 700 Nachvollziehung des Akteninhalts 196, 546, 576

Stichwortverzeichnis

Naturgesetzliche Erkenntnisse 965 Nebendelikte 518 Nebenklage 1057 ff. – Anschlußerklrung 1058 – Anwesenheitsrecht in der Hauptverhandlung 1060 – Bedeutung 1057 – nach Klageerzwingung 329 – Kostentragung 1057 – Nebenklger als Angeklagter 1061 – Opportunittsfragen 1060 – Rechtsmittel des Nebenklgers 1061 – Zusammenarbeit mit Staatsanwaltschaft 1059 Nichtauftreten im Termin 162, 1205 Nichtverffentlichte Entscheidungen 986 Niederlegung der Verteidigung 131 ff., 1208 ff. – Bestellung zum Pflichtverteidiger 164, 1209 – Form 161, 1210 – wegen Gefhrdung der Freiheit der Verteidigung 108 – im Gerichtssaal 186 – bei Interessenkollision 79 f., 138 – bei Konflikt zwischen Wahrheits- und Verschwiegenheitspflicht 76 – aus Kostengrnden 1208 ff. – durch Pflichtverteidiger 164 – des schuldigen Angeklagten 77 – zur Unzeit 149, 161, 186, 348, 1208 – als Verteidigerwaffe 186, 197, 795, 798 – wegen Vertrauenskrise 161, 348, 816 Niederlegungsanzeige 161

Niederschrift s. Protokoll Notwendige Verteidigung s. Pflichtverteidiger

Obergutachter 615, 677 Objektive Wahrheit 6 Observation 395 ffentlicher Widerruf 1045 ffentliches Interesse – an der Strafverfolgung 319, 415, 423, 1046 – an der Strafvollstreckung 1097 ffentliches Wirken des Verteidigers 113 ffentlichkeit 92 ff. – Ausschließung 514, 933 – Bedeutung im Strafverfahren 92, 995 – Bildaufnahmen, Rundfunk und Fernsehen 109 ff., 514, 783, 935 – elektronische – 92 – Informationen des Verteidigers an die – 97 ff., 107, 470, 507 rtlicher Anwalt 123, 149, 755 Offenbarungspflicht des Verteidigers 44, 53 Offenbarungsrecht des Verteidigers 53 Offenkundige Tatsachen 652, 683, 689 Offensichtlich unbegrndete Revision 974 Offizialdelikt 170, 179 Offizialverteidiger s. Pflichtverteidiger opening statement 507 Ordnungsstrafgewalt 29, 194 Ordnungswidrigkeit 1141, 1145 f. Organ der Rechtspflege 11 f., 29 f., 55, 183 Organhaftung 1141 ff., 1145 f. Organstellung des Verteidigers 11 ff., 520 755

Stichwortverzeichnis

Originalakten 277, 285 Ortstermin 479, 681 ff.

Parteigutachter 474 Parlamentarischer Untersuchungsausschuß 93, 1149, 1158 ff. Parteiverrat 79 ff. – Anwaltssozietten 83 – Ausrichtung des Mandats 83 – Begriff „dieselbe Rechtssache“ 82 – Bestechungssachen 80 – bser Anschein 87 – Gefhrdung der Rechtspflege 81 – gemeinschaftliche Verteidigung 79 – Gutglubigkeit 86 – Haftpflichtversicherung 84 – Mißverstndnisse 81 – zivilrechtlicher Schadensersatzprozeß 84 Persnliche Differenzen zwischen Richter und Verteidiger 202 Persnlicher Eindruck des Angeklagten 485 Persnlicher Verkehr – mit dem Mandanten 10, 30, 156, 159, 1184, 1196 – mit Richter und Staatsanwalt 182 f. Persnliches Wissen des Verteidigers 74 Persnlichkeitsdiagnose 484 Person der Richter 450 Personen der Zeitgeschichte 110 Personal des Anwalts 45 f., 1194, 1204 Pflichtverteidiger 39, 146 ff. – aufgentigter – 150 – Aufhebung der Pflichtverteidigung 149 f., 164 – Ausschließung 39 – Auswahl 147, 1209 – Bestellung 147 ff., 1195, 1209 756

– – – – –

Honorarvereinbarung 1182 f. Kooperation 150 in der Revisionsinstanz 889, 990 zur Verfahrenssicherung 150 bei Verhinderung des Wahlverteidigers 119, 131, 421 – des Vertrauens 147 – Vertretung 122, 151, 446 – Wiederaufnahmeverfahren 1022 – zustzlicher – 150 Pldoyer 76, 707 ff. – Adressaten 709 f. – Anfang 723 – Anrede 712 – Antrge 729, 735, 742, 745 – Aufbau 722 ff. – in der Berufungsinstanz 879 – Dauer 717 ff. – Erwiderung auf Staatsanwalt 745, 880 – Form und Gehalt 714 ff., 721 – Gesten 713 – Glaubwrdigkeit 716 – Hilfsbeweisantrge 743 – mehrere Verteidiger 755 – „Nachpldoyer“ 761 – persnliche berzeugung des Verteidigers 724 f. – Person des Angeklagten 750 – psychologische Betrachtungen 731, 733 – Rechtsfragen 734, 809 – in der Revisionsinstanz 981 ff. – Schluß 756 – schriftliche Fixierung 711 – Schuld und Strafmaß 747 ff. – schuldiger Angeklagter 728 – im Hinblick auf den Staatsanwalt 744 ff. – Strafaussetzung zur Bewhrung 748, 1035 – Strafzumessung 749 ff. – Tonstrke 713 – berfhrter Angeklagter 728

Stichwortverzeichnis

– Unterbrechung 741 – bei Verfahrensabsprache 726, 808 – Vorbereitung 710 ff. – Wirkung 717 ff., 739 f., 746 Plumpe Vertraulichkeiten des Mandanten 157 Politische Beleidigungsprozesse 1056 „Politische Schiene“ 153 Politisch exponierte Persnlichkeiten 132 Polizeibeamte – als Sachverstndige 228 – als Zeugen 591, 593 Polizeiliche Formulierungen 246 Polizeiliche Indiskretionen 174 Polizeiliche Protokolle 245 f., 293, 595, 599, 627, 631 Polizeilicher Gewhrsmann 640 Polizeiliches Ermittlungsverfahren 260 ff. Polizeiliche Vernehmungen 244 f., 264 ff. – Anwesenheit des Verteidigers 292 – Aussageverweigerung 286 ff. – Belehrungspflicht 173, 286 – schriftliche ußerungen 201, 625 – unzulssige Vernehmungsmittel 248 Polizeiliche Wegnahme des Fhrerscheins 407 Polizei und Verteidiger 172 ff. Polygraphentest 403 Postbefrderung 363, 829 Postbeschlagnahme 388 Postkontrolle 361 Prklusionsvorschriften 456 ff., 789 ff. Prsente Beweismittel 469 ff., 690 ff. – Ankndigung 431, 440, 669 – Bedeutung 690 – Ladung 470 ff.

– Parteigutachter 474 – Protokollierung 692 – Sachverstndige 471 ff. – Urkunden 622, 691 – Verzicht 693 Presse (Medien) 92 ff. – Angriffe gegen den Verteidiger 108 – als Aufklrungsgehilfin 45 – Beleidigung durch die Presse 1055 – „Stillhalteabkommen“ 102 Pressebeschlagnahme 387 Pressedelikte 104 Presseerklrungen 97 f., 174, 376 Presseermittlungen 94, 575, 600 Pressefeldzug 108 Pressekonferenz 98 Pressemandate 89 Presse und Verteidiger 95 ff., 1206 „pressure groups“ 94 Privatdetektiv 315 Private Freundschaften mit Richter und Staatsanwalt 182 Privates Gestndnis 74 Privates Wissen des Gerichts 683 f. Privatgutachten 474 Privatklage 1025 ff. – Beweisaufnahme 1052 – Effekthascherei 1062 – Ehrenerklrung 1044 – Hauptverhandlung 1051 – Kostenerstattung 1012, 1040, 1042 – Kostentragung 1041 f. – Kostenvereinbarungen 1041 – ffentlicher Meinungskampf 1030 – Prozeßdauer 1026, 1031 – Rcknahme 1041 – Stellung des Privatklgers 1050 – Strafantrag 1048 – Strafzumessung 1033 – streitiges Verfahren 1046 ff. 757

Stichwortverzeichnis

– Shneversuch 1035 ff. – Vergleich 1041 ff. – Widerklage 1032 Privatklagerichter 1033 Prominente Persnlichkeiten 415 Protokoll 702 ff. – Abschriften 293 – Beweiskraft 803 ff., 910 ff. – Blutentnahme 401 – Einsicht 265, 703 – Fixierung der Prozeßvorgnge 803 ff. – Fotokopie 703 – polizeiliches – 244 f., 271, 627 – richterliches – 626, 631 – Tonprotokoll 704 – berprfung auf Revisionsgrnde 886, 911, 947 f. – Verlesung 625, 684 Protokollberichtigung 843, 916 Protokollierung – Beweisantrge 666 – Erklrungen 702 – Frmlichkeiten der Hauptverhandlung 803 – Prsentieren von Beweismitteln 692 – Prozeßvorgnge 695, 702, 787, 804 – Sachverstndigengutachten 618 – zur Sicherung der Verfahrensrge 536, 803 – strafbare Handlungen 195, 805 – Verlesung von Urkunden 577 – Vorhalte 585 – wrtliche – 577 – Zeugenaussagen 573, 577 Protokollierung von Zeugenaussagen durch den Verteidiger 216 Protokollrge 913 ff., 937 Prozeßhindernisse s. Verfahrenshindernisse Prozeßprognose 21 Prozeßrge s. Verfahrensrge 758

Prozeßsabotage 71, 444, 551, 665 Prozeßsport 807 Prozeßsubjekt 2 Prozessuale Erklrungen des Verteidigers 550 Prozessualer Protest 808 Prozessuale berholung 789 ff., 813, 840 Prozeßverhalten der Angeklagten 969 Prozeßverhtung 158, 1026 Prozeßverschleppung 63, 131, 187, 419, 646, 622, Prozeßvoraussetzungen 416, 446, 515, 921, 967 Psychiatrie 607 Psychologische Betrachtungen 731, 733 Psychologischer Sachverstndiger 608 Pnktlichkeit 501, 874

„Rabattinstanz“ 861 Rumlichkeiten der Hauptverhandlung 449 – technische Hilfsmittel 447 Ratenzahlung 772, 1117 Ratschlge fr den Mandanten 480 ff. Reaktionsbereitschaft 730 Rechercheure 309 Recht – der Erwiderung 745 – zur freien Meinungsußerung 187 – zum Schweigen 492 Rechtliches Gehr 415, 853, 1094 – Nachholung 415 – Nichtgewhrung 200 Rechtsanwaltskammer – als Beratungsinstanz 33 Rechtsanwaltsvergtungsgesetz 1173, 1180

Stichwortverzeichnis

Rechtsauffassung, der Verteidigung gnstigste – 69, 435 Rechtsausfhrungen des Verteidigers 435, 446, 734, 736 f., 809 Rechtsbeschwerde 1116 Rechtsentwicklung 23 ff., 736, 749, 781 Rechtsfolgenzumessungstatsachen 539 Rechtsfrieden 1026 Rechtsgesprch 741, 849, 983 Rechtsgutachten 739 Rechtsmißbrauch 644 Rechtsmittel 810 ff. – Abwgung zwischen mehreren – 858 ff. – Aussichten 811 f. – beiderseitige – 823, 837, 859, 875 – Beschrnkung 834, 837, 862 ff. – Beschwer 812, 840 – Einlegung – Computerfax 827, 901 – E-Mail 827 – Fernschreiber 826, 901 – Kurierdienst 826, 901 – Telebrief 825 – Telefax 825, 901 – Telefon 828 – Telegramm 824, 901 – Falschbezeichnung 820, 859 – Frist 821, 854, 861, 865, 893 – Hinausschieben der Rechtskraft 830 – der Staatsanwaltschaft zugunsten des Angeklagten 330 a. E., 837, 839 – der Staatsanwaltschaft zuungunsten des Angeklagten 777, 988 ff. – unbestimmte Anfechtung des Urteils 859 – vorsorgliches – 811, 829 ff., 838 – Zeitpunkt 823 – Zurcknahme 811, 831 ff., 836

– Zusammenhang mit – der Staatsanwaltschaft 815, 823, 830, 834 ff. – Zweckmßigkeit 771 ff., 814 ff. Rechtsmittelbelehrung durch das Gericht 767, 821, 854 – Unterlassung als Wiedereinsetzungsgrund 1075 Rechtsmittelverzicht 767, 788, 819 Rechtsschutz gegen vollzogene Zwangsmaßnahmen 396, 402 Rechtsschutzversicherung 84, 145, 282, 1174, 1181 Rechtssicherheit 9, 882 Redaktionsgeheimnis 387 Redekunst 708, 714 Referendar – Assistenz bei Wahlverteidigung 26 – Pflichtverteidigung 151 – Vertretung durch – 26, 128, 455, 764, 1179 Reform des Straf- und Strafverfahrensrechts 23 reformatio in peius 815, 892, 1022 Regreß – Entziehung der Fahrerlaubnis 413 – Ermittlungsverfahren 317 – bei falscher Beratung 179, 767, 833, 1070 – Haftbefehl 372 – bei Presseerklrungen 373 – bei unmittelbarem Zwang 402 – Unterbringung 375 – bei unzulssiger Beschlagnahme s. a. Entschdigung 394 – Wegnahme des Fhrerscheins 413 Reihenfolge der Vernehmungen 578, 1060 Reklameverbot 95 ff., 111, 143, 362, 951, 964, 995 Rekonstruktion der Akten 285 759

Stichwortverzeichnis

Renommiersucht 44 Reservierung des Mandats 140 Resozialisierung 1034, 1109 f. Respektlosigkeit des Mandanten 153 Revision 881 f. – anwaltliche Versicherung 929 – Antrge 899 f. – Arglist 799 ff. – Aufspren der Revisionsgrnde 908 ff., 963 – Aussichten 891, 922 – Begrndung 896 ff., 956, 989 – Charakter 882 ff. – dienstliche ußerung 929 – Einlegung 893 ff. – Form 894, 904 f. – formelle Kurzbegrndung 895 – Formstrenge 885, 887, 896, 902 – Fristen 893, 901 ff., 951 – Gegenerklrung der Staatsanwaltschaft 973 – Hauptverhandlung 979 ff. – Heilung von Verfahrensfehlern 924 – Konkurrenz von Revisionsrgen 972, 980 – Nachholen von Rgen 907 – Negativtatsachen 924 – Pflichtverteidiger 889, 990 – Protokollberichtigung 843, 916 – „Protokollrge“ 913 – zu Protokoll der Geschftsstelle 905 – Prozeßrge s. Verfahrensrge – Rechtsmittelmißbrauch 920 – Rechtsmißbrauch 920 – Rechtsverletzung 897 – Revisionsgrnde, absolute 928 ff. – Rgeprklusion 456, 457 f., 511 ff., 912 – Sachrge 951 ff. – der Staatsanwaltschaft 989 ff. – Strafzumessung 968 ff. 760

– bergang zur Berufung 859 – Verfahren bis zur Hauptverhandlung 973 ff. – Verfahrenshindernisse 921, 967 – Verfahrensrge 922 ff. – „unwahre“ – 917 ff. – versptete Urteilsbegrndung als Revisionsgrund 936 – Verwerfung 867, 906, 974 – Vorbereitung 876, 886 ff., 908 – Zulssigkeit 858, 874 – Zurckverweisung 859, 868 – Zweckmßigkeit 892 Revisionsbegrndungsfrist 901 f. Revisionsgrnde 811 ff., 890, 921 ff., 937 ff., 951 ff. „Revisionssicherheit“ 737 Revisionsverhandlung 889, 979 ff. Rhetorik 708, 714 Richterausschluß s. a. Ablehnung 199 Richterliche Protokolle 626, 628, 631 Richterliche berzeugung 6 Richter als Zeuge 665 Richter und Verteidiger 176 ff. – Achtungsanspruch 177 – Beanstandung der Sach- und Verhandlungsleitung 189, 533 ff. – Drohung mit Rechtsmitteln 190 – favor judicis 192 – Fehlverhalten des Richters 196 ff. – Fehlverhalten des Verteidigers 194 f. – Funktionsteilung 176 – persnlicher Umgang 182 – Strafanzeige 209 – Unabhngigkeit 15, 29, 177, 194 – unzulssige Maßnahmen 190, 195, 197 – Urteilsschelte 187 – Verfahrensabsprache 179 – vertrauliche Besprechungen 54, 145, 178 ff., 197

Stichwortverzeichnis

– Vorwurf der Rechtsbeugung 188 – wirtschaftliche Beziehungen 183 Richtlinien fr die Ausbung des Anwaltsberufs 35 Richtung der Verteidigung 869, 877, 985 Richtungswechsel der Verteidigung 484, 557, 705 Ritterlichkeit 754 Robe 502 Rollentausch 595 Routinegutachten 632 Rcknahme – der Anklage 1072 – des Einspruchs 1072 – der Privatklage 1041 – des Rechtsmittels 780, 799 ff., 948 – des Strafantrags 136, 391, 1041 ff. Rgeprklusion s. Prklusionsvorschriften u. Rgeverlust Rgeverlust 456 f., 511, 799, 854, 886, 912, 929, 932, 942 Rgeverzicht 783 f. Rundfunk 92 ff., 109 ff., 113, 600 Rundfunkaufnahmen im Gerichtssaal 109 ff., 514, 935

Sachbeweis 308, 615, 639 ff. Sachkunde des Gerichts 609, 643, 675 Sachleitung 533 Sachliche Unzustndigkeit 425 Sachrge (Revision) 951 ff. – Beweiswrdigung 961 – Ergnzungen 903, 973 – Form 903 – in dubio pro reo 966 – innere Tatsachen 957 – Lckenhaftigkeit der Tatsachenfeststellungen 935, 950, 956 f. – Nichtbercksichtigung naheliegender Mglichkeiten 959

– Rechtsfehler 951 f., 954 – Strafaussetzung zur Bewhrung 970 – Strafzumessung 968 ff. – Subsumtionsfehler 953 – Verletzung von Erfahrungsstzen 964 f. – Verstoß gegen Denkgesetze 960 – Verwendung gesetzlicher Tatbestandsmerkmale zur Strafschrfung 969 – Widersprche des Urteils 958 Sachverstndigengutachten – Akteneinsicht 265, 278, 616 – Glaubwrdigkeit von Kinderaussagen 611 – berprfung 224 f., 614 ff. Sachverstndiger 219 ff., 606 ff. – Ablehnung 227 ff., 619 – Bestehen auf Anwesenheit 617 – Aufgabe 219, 609, 611 – Auseinandersetzung mit – 618 – außergerichtliche Hinzuziehung 221, 440, 473 – Auswahl 226, 607, 617 – Antrag auf Vereidigung 618 – Benennung 675 ff. – eigene Sachkunde des Gerichts 675, 676 – Erzwingung der Protokollierung wesentlicher Teile des Gutachtens 226, 618 – Gehilfe des Verteidigers 222, 308 ff., 473 – Haftung 223 – Informationserteilung 472 – kommissarische Vernehmung 478 – kriminaltechnischer – 615 – Leitung 610 – Notwendigkeit der Beweiserhebung ber Zusatztatsachen 612 – Polizeibeamter als – 228 761

Stichwortverzeichnis

– Prfung vor der Benennung 221, 466 – Reservierung 473 – Selbstladung 471 ff., 675 – in Staatsschutzsachen 228 – Stellung 219 ff., 579, 611 – berprfung der Sachkunde 224 f., 614, 617, 677 f. – Ungenauigkeiten 225 – Vernehmung gerichtlich geladener – 611 ff. – Vernehmung als Zeuge 228a, 612 f., 619 – Verwertbarkeit von Befundtatsachen 612 – Vorgabe von Anknpfungstatsachen 610 Sachverstndiger Zeuge 401, 573, 613 Sanatorium 375 Sarkasmus 753 Schadensersatzklage gegen die Presse 105, 1054 Schallplatten als Beweismittel 634 Schiedsmann 1035, 1037 Schlafender Schffe 929 Schlagfertigkeit 753 Schlagzeilen 600 Schlußbericht der Polizei 314 Schlußvortrag – des Staatsanwalts 549, 744 f., 983 – des Verteidigers 707 ff., 981 f. Schffe s. ehrenamtliche Richter Schriftform der Honorarvereinbarung 1180, 1194 ff. Schriftgutachten 224 f. Schriftliche ußerung – von Beweispersonen 627 – im Ermittlungsverfahren statt Vernehmung 292, 303, 306 Schriftliches Gutachten 617 Schriftsachverstndiger 473 Schuldiger Angeklagter 724 Schuldigerklrung 484, 705 762

Schuldinterlokut 484, 645, 747 Schuldunfhigkeit 49, 397, 689, 812, 814, 998 – Mandant 49 – „Schuß vor den Bug“ 186 Schutz – des Mandanten vor der Presse 101 ff. – des persnlichen Lebensbereiches 513 Schutzschrift 434 ff., 761 – Modulsystem 68 Schweigen des Beschuldigten bzw. Angeklagten 286 ff., 488 f., 540 f., 613 Schweigepflicht 44 ff. – des Anwalts 44, 46, 77, 162, 565 – Entbindung 389, 547, 567 – des Kanzleipersonals 46, 567 – Verletzung 566 – Widerruf der Entbindung 567 Schwerverbrecher 128 Selbstbelastung 564 Selbstladung durch den Verteidiger 469 ff., 690 ff. – Kosten 471 – Sachverstndige 472 – Verfahren 470 f. Selbstleseverfahren 621 Selbstunterwerfung 1066 Selbstverteidigung 3 „Sensationsmache“ 89 f. Sensationsprozesse 84, 600 Serienstraftaten 64 Sexualstraftter 134 Sicherheitsleistung 356, 1118 Sitzordnung 482, 502 Sitzungsniederschrift s. Protokoll Sitzungspause 158, 557, 705 Sitzungspolizeiliche Maßnahmen 194 Sitzungssaal 449, 840, 872 Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft 516, 744

Stichwortverzeichnis

Skizzen 478, 634, 682, 691 Sockelverteidigung 68, 237, 464 Sofortige Beschwerde 845, 854 – Ablehnung der Erffnung des Hauptverfahrens 414 – Aussetzung des Strafrestes 1104 – Entscheidungen der Strafvollstreckungskammer 1107 – Strafvollstreckung 1106 – Unterbringungsbeschluß 397 – Verwerfung der Berufung 867 – Widerruf der Strafaussetzung 1103 Sofortige Verlesung 569 Sozialarbeit 1095 Soziale Gerichtshilfe 1101 Soziett 83, 152 Sperrerklrung 567 „Spitzel“ 575 Sprechschein 360 Sprungrevision 858 Spurenakten 257 Staatsanwalt als Zeuge 664 Staatsanwaltschaft 4, 252, 988 ff. – Ermittlungen whrend der Hauptverhandlung 687 – Ermittlungsbehrden 4 – Ermittlungspersonen 4 Staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren 249 Staatsanwaltschaft und Verteidiger s. a. Richter und Verteidiger 176 ff. Staatsschutzsachen – Abhren des Fernsprechverkehrs 637 – Ablehnung von Sachverstndigen des Verfassungsschutzes 228 – Akteneinsicht 274 – anonyme Zeugen 575, 670 – Verteidigung von Terroristen 130 „Standesrecht“ 35

Staranwalt 89, 739 Steuerliche Verfehlungen – des Mandanten 1215 – des Verteidigers 1219 Story des Mandanten 99 Strafantrag 16 – „Abkaufen“ 169 – Antragsfrist 421, 1048 – Mngel 421 f. – Rcknahme 168, 422, 516, 1041 f. Strafanzeige gegen Polizeibeamte 173 – gegen Presse 104 – gegen Richter oder Staatsanwalt 209 – durch den Verteidiger 16 – gegen Zeugen 215, 566 Strafaufschub 818, 999, 1108, 1113 f., 1117 Strafaussetzung zur Bewhrung 1096 ff. – Behandlung im Pldoyer 748 – Belehrung 1099 – Bewhrungsauflagen 751, 772, 814, 844, 1100 – Bewhrungshelfer 1101 – Bewhrungszeit 1099, 1102 – Beweisantrge 645 – Ermessensentscheidung des Gerichts 1104 – Nachtragsentscheidungen 1102, 1115 – ffentliches Interesse an der Strafvollstreckung 1036 – Rechtsmittel 814, 844, 1099, 1102 f. – Voraussetzungen 1097 ff. – Widerruf 1103 – Zukunftsprognose 1098 Strafausspruch 18 – Beratung 19, 21 Strafbefehl 1065 ff. – Beratung 1070 763

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– beschrnkte Rechtskraftwirkung 387, 418, 1073 – Besprechung mit Staatsanwaltschaft 1067 – Opportunitt 1068 ff. – Rechtsstaatlichkeit 1068 – Verfahren 1072 Straferlaß 1099 Straffreierklrung 325 Strafprozeßvollmacht 122 Strafpunkte im Verkehrszentralregister 774 Strafrechtsreformen 23 ff. – Resozialisierung 1095 – Revision 968 – Strafzumessung 20, 475 Strafregister s. Bundeszentralregister 1115 Strafunterbrechung 12108, 1115, 1119 Strafvereitelung – Aufbewahrung von instrumenta et producta sceleris 61, 392 – Beeinflussung von Zeugen 217, 340, 1152 – Behauptung entlastender Umstnde wider besseres Wissen 69, 646 – Belehrung ber Auslieferungsrecht 61 – Belehrung ber Einlassung 56 f., 245 – Benennung falschaussagender Zeugen 70, 646 – Beweisantrge in Verschleppungsabsicht 664 – Formulierungshilfe bei schriftlichen ußerungen 201 – „Herausschmuggeln“ von Schriftstcken aus der JVA 63, 361 – Honorar 1207 – Rat, Gestndnis zu widerrufen 57, 492 764

– Rat, in der Hauptverhandlung nicht zu erscheinen 453 – Verbindung zu Mitangeklagten 464 – Verletzung der Wahrheitspflicht 43 – Verteidigerbesprechungen s. a. Sockelverteidigung (237) 68, 465 – bei Verwertung des Akteninhalts 153, 275 – Verzgerung des Verfahrens 63, 131, 419, 646 – Vollstreckungsvereitelung 1110 Strafverteidiger – „Besuchsverteidiger“ 337 – Glaubensbekenntnis 19 – Minimalstandard 36 – ffentlich-rechtliche Komponente 12 – steuerliche Verfehlungen 1167, 1219 – Strafbarkeit 43 – Strafverteidiger und ffentlichkeit/Medien 92 ff. – Verteidiger in eigener Sache 1165 ff. Strafvollstreckung 1105 ff. – Aussetzung des Strafrestes 818, 1104, 1109, 1115 – Ersatzfreiheitsstrafe 1118 – Freiheitsstrafen 1109 ff. – Gesamtstrafenbildung 818, 1112 – Ladung zum Strafantritt 861, 1114 – Maßregeln der Besserung und Sicherung 1119 f. – Ratenzahlung 818, 1117 – Rechtsgrundlagen 1105 – Rechtsmittel 1082, 1107 ff., 1116 – Vermgensstrafen 1117 – Verwaltungsanordnungen 1105 – Vollstreckungsaufschub 1080, 1120

Stichwortverzeichnis

– Vollstreckungsbehrde 1106 – bei Wiederaufnahme des Verfahrens 999 Strafvollstreckungskammern 1102, 1107 Strafvollzug 1105 f. – Freiheitsstrafen 1109 ff. – Rechtsmittel 1082, 1108, 1116 – Unzulnglichkeiten 1109 – Vollzugsmaßnahmen 1105, 1108, 1116 – Vollzugsuntauglichkeit 1113, 1115 – Wohlverhalten 1104, 1109 Strafvollzugsgesetz 1105, 1109, 1116 Strafzumessung – Anrechnung der Untersuchungshaft 365, 749, 767, 814, 830, 833, 969 – Aufgabe des Verteidigers 22 – Behandlung im Pldoyer 748 ff. – Berufung 861 – Beweiserhebung ber Tatsachen zur – 645, 747, 760 – Doppelverwertung von Tatsachen 750 – Revision 750, 968 – Strafbefehlsverfahren 1072 Streßsituation 483, 598 Shneattest 1036 Shneleistung 1136 Shneversuch 1035 Suggestivfragen 530, 546, 554, 692, 1081 Sympathien 32 Syndikatsanwalt 1207 Syndikusanwalt 141 f., 391

Tagebuchaufzeichnungen 623 Tter-Opfer-Ausgleich 18 Tagespresse 113 Tagessatzsystem 485

Tatfolgen 1135 Teilhonorar 1183, 1198, 1210 Teilnahme – an falscher Aussage 214 – des Mandanten an der Revisionsverhandlung 976 – des Verteidigers an Vernehmungen der Staatsanwaltschaft 296 f. Teilrechtskraft 863 „Teilschweigen“ 488 f. Telefax fr Rechtsmittel 825 Telefonverkehr 395 Telefonische Rechtsmitteleinlegung 828 Telegraphische Rechtsmitteleinlegung 824 Telegraphische Revisionsrechtfertigung 901 Terminkalender 506 Terminplan 431 Terminkollisionen 161, 431, 454 f., 501 Terminsnachricht 352, 975 Terminsnotizen 445 Terminverlegung 253 Terminvertreter 479 Terminwahrnehmung 478 Terrorist 130 Theoretische Mglichkeit 611 Therapeutische Befragung 608 Tilgung s. Bundeszentralregister Ttungsdelikte 342 Tonaufnahmen s. a. berwachung des Fernmeldeverkehrs 395 ff. – behrdliche – 637 – whrend der Hauptverhandlung 418, 702 – private – 636 – Verbot heimlicher – 216, 636 f. – Verwertbarkeit als Beweismittel 635 ff. Tonprotokoll 704 Tontrger 299, 635 ff., 704 Trennscheibe 41, 358 765

Stichwortverzeichnis

Trennung von Verfahren 595 Treuepflicht des Anwalts 34 ff., 79 ff., 138

berfhrter Angeklagter 728 f. bergang auf anderes Rechtsmittel 859 bergang zum Strafbefehl 1072 berholtes Gesetz s. a. Gesetzesnderung 74 berlassung der Akten in die Kanzlei 266 bernahme des Honorars – durch Dritte 143 ff., 1206 – durch die Presse 1206 berobjektivitt 318 berwachung des Fernmeldeverkehrs 395 berwachung des Verteidigers 29, 358 berzeugungsbildung des Richters 738 berzeugungskraft des Pldoyers 715 ff. Umfangstrafsachen s. a. Großverfahren 705 Umgang mit dem Mandanten 10, 30 Unabhngigkeit des Anwalts 31 ff., 153, 177, 194, 1172 – vom Kostentrger 31 Unabwendbarer Zufall 1075 Unbeholfenheit des Angeklagten 537 Unbequemer Verteidiger 178, 740 Unbestimmte Anfechtung des Urteils 859 Unbrauchbarmachung 384 Unerreichbare Beweismittel 669 Unfallflucht 57 Unfallskizze 478 Ungebhr vor Gericht 482 Ungeeignete Beweismittel 670 766

Ungeeignete Fragen 349, 526 Unkontrollierter Beweisantrag 648 Unmittelbarer Zwang 402 Unrichtige Adressierung eines Schriftstcks 823 Unschuldsvermutung 1 Unterbilanz des Ehrenschutzes 106, 1055 Unterbrechung der Hauptverhandlung – zur Besprechung mit dem Mandanten 517, 557 – zur Einholung der Zustimmung der Staatsanwaltschaft zur Einstellung 516 – mangels hinreichender Vorbereitungszeit 506 – mangels Verhandlungsfhigkeit des Angeklagten 420 – bei Nachtragsanklage 700 – bei Ungebhr des Verteidigers 195 Unterbrechung des Pldoyers 741 Unterbringung in einer Psychiatrie oder Entziehungsanstalt 375, 396 ff., 442, 998 Unterlassungsklage gegen die Presse 105, 105 ff. Untersuchung s. krperliche Untersuchung Untersuchungsausschuß, Parlamentarischer 2, 93, 158 ff. Untersuchungshaft 24, 61, 331 ff. – Anrechnung 365, 830 – Auslieferung 62 – Aussetzung des Haftbefehls 355 f. – Dauer der Haft ber 6 Monate 357 – Fortdauer 441, 769 – Haftgrnde 338 ff. – Problematik 306 ff. – Rechtsbehelfe 346 ff. – Restrisiko 62

Stichwortverzeichnis

– Verhaltensmaßregeln fr den Beschuldigten 331, 335 f. – Verkehr mit dem verhafteten Beschuldigten 335, 358 – Vorbeugung 374 ff. Untersuchungshaftvollzugsordnung 333, 334, 358 Untervollmacht 126, 151 Unwahre Verfahrensrge 917 ff. Unwahrheiten des Verteidigers 160 Unzulssige Fragen – Beanstandung 550 – des Richters 189, 529,543, 550 – des Staatsanwalts 552 – des Verteidigers 524 ff., 553 f. Unzustndigkeit des Gerichts 425 Urkundenbeweis 620 ff. – rztliche Atteste 632 – Bekanntgabe des wesentlichen Inhalts 680 – im Berufungsverfahren 878 – Beweisantrag 878 – Beweiskraft 620 – Beweisverbote 623 – Ersetzung der Verlesung 620 – Gutachten ffentlicher Behrden 632 – Leumundszeugnisse 633, 746 – Niederschriften ber frhere Vernehmungen 625 – durch prsente Beweismittel 622 – Selbstleseverfahren 621 – Unzulssigkeit 620, 624, 627 f., 631 – Verlesungszwang 680 – Verwertbarkeit nichtrichterlicher Protokolle 627, 629 ff. – Verwertbarkeit richterlicher Protokolle 626, 629, 631 – Verwertbarkeit von Urkunden 401, 620 ff., 623 ff. – Vorhalt von Urkunden 629 ff. – wrtliche Verlesung 680

Urteilsbegrndung, versptete – als Revisionsgrund 911, 936 Urteilsberatung 763 Urteilsberichtigung 766 Urteilsprgende Kraft des Vorverfahrens 230, 442 Urteilsschelte 187, 879 Urteilsverkndung – Anwesenheitspflicht des Verteidigers 764 – Bedeutung der mndlichen Urteilsbegrndung 765 – Rechtsmittelbelehrung 767 – Unterbrechung 766 – Verschiebung 764

Vernderung des rechtlichen Gesichtspunktes 695 ff. Verbindungsaufnahme mit – anderen Verteidigern 68, 464 f., 541, 555 – dem Ermittlungsrichter 251 – dem Gericht 462, 478, 496 ff. – dem Haftrichter 351 – der Polizei 2 – der Staatsanwaltschaft 252, 293, 322, 351, 462, 516 – Zeugen und Mitbeschuldigten 216 f., 340, 464 Verbot der Lge 15, 43 Verbotsirrtum bei Parteiverrat 86 Verbrauch der Strafklage 418 Verdchtiger 287 Verdeckte Verteidigung 241 Verdunklungsgefahr 340 ff., 355, 464 f., 768 Vereidigung – von Sachverstndigen 618 – unzulssige – als Revisionsgrund 939 – von Zeugen 478, 522, 586, 618, 939 767

Stichwortverzeichnis

Vereidigungsverbote 586 f. Verfahrensabsprache 10, 177 ff., 204, 300, 348, 431, 496 ff., 767, 801, 1016, 1094 Verfahrenssicherung 150 Vereinbarungshonorar 1484 f. Verfahrenshindernisse 416 ff., 515, 873, 921, 967 Verfahrensrge (Revision) 922 ff. – Ablehnung eines Beweisantrages 943 – Abwesenheit eines notwendigen Verfahrensbeteiligten 931 – Anforderungen 922 ff. – Aufklrungsrge 779, 942 – Belehrungen, fehlerhafte oder unterlassene 939 f. – Beruhen des Urteils auf dem Verfahrensverstoß 937 – Beschrnkung der Verteidigung 108, 559, 785 f., 928, 998 – Besetzung des Gerichts 929 – Beweiswrdigung, freie 946 – Bezugnahme, unzulssige 926 – Entscheidungen vor der Urteilsfllung 927 – Eventualbeweisantrag 943 – Fehlen der Entscheidungsgrnde 950 – Fernseh-, Film- und Rundfunkaufnahmen im Gerichtssaal 935 – genaue Angabe der Tatsachen 923 – letztes Wort 948, 758 – ffentlichkeit des Verfahrens 933 ff. – Protokollfehler 937 – Revisionsgrnde, absolute 928 ff. – Revisionsgrnde, relative 937 ff. – Richterablehnung 198 ff., 930 – Unvollstndigkeit der Entscheidungsgrnde 936, 950 – unwahre – 914, 917 ff. – Urkundenbeweis 944 768

– Vernderung des rechtlichen Gesichtspunktes 947 – Vereidigung, gesetzeswidrige 940 f. – Verhandlungsunfhigkeit 932 – versptete Absetzung des Urteils 936 – Wahrunterstellung 656 ff. Verfahrensverzgerung s. a. Konfliktverteidigung 71 Verfall 384 Verfolgungspflicht 1 Vergleich – bei Privatklage 1041 – mit der Staatsanwaltschaft bei Rechtsmitteln 838 Verhltnismßigkeitsgrundsatz s. a. Grundsatz der Verhltnismßigkeit 386 ff. Verhalten in Verhandlungspausen 158 Verhandlungsunfhigkeit – des Angeklagten 419 f., 508, 515, 921 – des Mandanten 50 – schuldhafte Herbeifhrung 420, 508, 510 Verhinderung – des Mandanten 453 – des Verteidigers s. Terminkollisionen Verhrspersonen 287, 569, 574, 576, 630 Verjhrung des Strafverfolgung 242, 424, 515 Verkehr – mit dem Strafgefangenen 1110 – mit dem Untersuchungsgefangenen 358 ff. Verkehrsstrafsachen – Augenscheinsbeweis 682 – Beschlagnahme des Fhrerscheins 1120 – Blutprobe 398, 400 f.

Stichwortverzeichnis

– Entbindung vom Erscheinen in der Hauptverhandlung 476 – Entziehung der Fahrerlaubnis 406 ff., 441, 770, 818, 842, 1120 – Fahrverbot 378 f., 743, 1085 – Maßregelvollstreckung 1128 – ffentliches Interesse an der Strafverfolgung 392 – Ortsbesichtigung 478, 681, 683 – Vernehmung des Polizeibeamten 630 – Verwertung von Lichtbildern und Skizzen 478, 634, 682, 691 – vorweggenommener Augenschein 478 Verkehrszentralregister s. a. Bundeszentralregister 774, 1128 Verlassen des Sitzungssaales 796 Verlesung von Niederschriften und sonstigen Schriftstcken – des angefochtenen Urteils 875 – zur Aufklrung von Widersprchen 630 – in der Berufungsverhandlung 878 – ber frhere Vernehmungen des Beschuldigten 244 – ber frhere Vernehmungen des Zeugen 564, 569, 585, 625 f. – ber kommissarische Vernehmungen 474 – polizeiliche Protokolle 627 – richterliche Protokolle 626 – zur Vorbereitung der Beweiserhebung 628, 633 – Zustimmung des Verteidigers 626 – zum Zwecke des Urkundenbeweises 621, 632, 660, 692 – zum Zwecke des Vorhalts 629 ff. Verlesungsverbote 540, 569, 576, 629 ff., 668 Verlbnis 563 Verlust des Rgerechts 782 ff. Vermgensstrafen 1117

Vernehmung des Angeklagten in der Hauptverhandlung 480 ff., 537 ff. Vernehmung des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren 244 ff., 286 ff., 302 Vernehmung von Sachverstndigen 609 ff. Vernehmung von Verhrspersonen 244, 488, 564, 569, 629 ff. Vernehmung von Zeugen 560 ff. – Amtsverschwiegenheit 567 – Auskunftsverweigerung des Zeugen 564 – Beweiswert von Zeugenaussagen 562, 572, 574, 579, 581, 588, 869 – Entbindung von der Schweigepflicht 567 – informatorische – 570 – jugendliche Zeugen 559 – zur Person 562 – Protokoll 1156, 1159 – Reihenfolge 578 – durch den Richter 562 ff. – zur Sache 572 ff. – Sperrerklrung 567 – Trennung von Bericht und Verhr 572 – Verlesung frherer Aussagen s. dort – durch den Verteidiger 581 f. – Verwertungsverbote s. dort – Verzicht 692 – Vorfeld der Vernehmung 570 – Vorhalte 572, 576, 585, 629 ff. – vorzeitige Entlassung von Zeugen 525, 587 – wiederholte – im Berufungsverfahren 878 – Zeugnisverweigerungsrechte 563 ff. Vernehmungsmethoden, Anknpfungsfragen 528, 585 – Fangfragen 529, 572 769

Stichwortverzeichnis

– Suggestivfragen 530, 546, 554, 572 – Unzulssigkeit polizeilicher – 245 ff. Vernehmungsprotokolle, Einsicht 265 – Vorhalte s. dort Vernehmungstechnik 247, 561, 581 f. Versumung – der Beschwerdefrist 854 – der Hauptverhandlung 865, 874, 1046, 1074 – der Rechtsmittelfrist 822, 861, 893, 1074 – der Revisionsbegrndungsfrist 890, 901, 907, 922 Verschleppungsabsicht s. a. Prozeßsabotage 662 Verschulden – amtliches – 1075 – des Mandanten 1076 – des Verteidigers 14, 830, 902, 1047 f. Verschwiegenheitspflicht 43 ff., 59 Versptetes Vorbringen 489 Versptung des Verteidigers 501 Verstandesreife 602 Vertagung der Hauptverhandlung 452, 506, 874 Verteidiger – Abhngigkeit 15 – Arglist 799 f. – Aufgaben im Ermittlungsverfahren 17 ff., 229 ff. – Ausschließung 37 ff. – „Ausschreibung“ von Mandanten 155 – Berufsauftrag 1 ff. – Berufungspflichten s. dort 38 ff. – Besprechungen 465 – Bindung an Berufsrecht 35 ff. – Denken in Verfahrensrisiken 322 – Delegation der Verteidigung 26 770

– Dienstleister 115 – eigene Ermittlungen 307 ff., 466, 980, 1000, 1011 – in eigener Sache 1165 ff. – Eigeninteressen 10 – Einflußnahme 23 – Einseitigkeit 5 – Fehler 14 – Firmenanwalt 125, 1140 ff. – als Firmenvertreter 1140 ff. – freier Beruf 11, 1170 – Haftung, zivilrechtliche 165 f. – Honorar 1170 ff. – Konfliktsituationen 55 ff. 72, 100, 181, 392, 919 – Kontrollfunktion 7 – Krisenmanagement 106, 232, 382 – Lebensfhrung 1165 ff. – Medien 31, 92 ff., 108, 143, 235, 1030, 1055 – als Marionette der Presse 143 – ffentlich-rechtliche Komponente 12 – Organ der Rechtspflege 11 ff., 55 – vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß – persnliche berzeugung 721, 724 – persnliches Wissen 74 – prventive Beratung 383 – Presseerklrung 98, 174 – Pressekonferenz 98 – proaktive Verteidigung 233 – Sachkunde 224 ff. – Schutzaufgabe 3 ff., 55 – Selbstverstndnis 114 ff. – Seriositt 12 – „Softy“ 193 – Strafanzeige 16 – Strafvereitelung 55 ff., 250 – Unabhngigkeit 11, 27 ff., 153, 177, 194, 1170 – als Unternehmensberater 1140 ff.

Stichwortverzeichnis

– Verhltnis zu den Verfahrensbeteiligten 119 ff. – Verschulden 14 – Verschwiegenheitspflicht 44 ff. – Widerstreit der Berufspflichten 41 ff. – als Zeuge 567 – als Zeugenbeistand 1158 Verteidigerbesprechungen 45, 68, 464, 541, 755, 887 Verteidiger in eigener Sache 1165 ff. Verteidiger, Staatsanwalt und Richter 119, 176 ff., 252 ff. Verteidiger und Geschdigter 168 ff., 1147 Verteidiger und Mandant 120 ff. Verteidiger und ffentlichkeit 92 ff., 995 Verteidiger und Polizei 172 ff., 251 Verteidiger und Presse 92 ff. Verteidiger und Richter 186 ff. Verteidiger und Sachverstndiger 219 ff. Verteidiger und Staatsanwalt 185 Verteidiger und Zeuge 210 ff. – außergerichtliche Anhrung 216 ff. Verteidigung 121 ff. – von Anarchisten und Terroristen 130 – im Auftrag Dritter 143 ff., 1144 – Delegation 26 – flankierende – 97 – Form der – 76 – informelle Programme 36 – juristischer Personen 240, 376 – Konflikte der – 42, 56 – legale Mittel 75 – und Medien 92 ff. – mehrerer Beschuldigter 79 f. – Nachsorge 269, 320, 330 – Niederlegung der – 38, 186 – ffentlich-rechtliche Komponente 12

– – – –

proaktive – 233 mit „pressure groups“ 94 mit Rechtsentwicklung 23 ff. im Hinblick auf die Revision 886 – des schuldigen Angeklagten 75, 724 – in Sexualstrafsachen 134 – Strafanzeige 16, 1147 – und Strafrechtsschutzversicherung 145, 1174 – und Strafvereitelung 55 ff. – verdeckte – 241 – Weisungen des Mandanten 13 – wider besseres Wissen 74 Verteidigung der Rechtsordnung 1036 ff. Verteidigung des schuldigen Angeklagten, 73 ff., 724 Verteidigungs- und Beratungsauftrag 60 Verteidigungsplan 68, 445, 507, 552, 585, 689 Verteidigungsstrategie 443, 660 Verteidigungs-Team 167 – „Leadership“ 167 – Gehilfen 167 – „Seilschaft“ 167 – Syndikusanwalt 141 f., 391 Verteidigungswaffen 794 ff. – Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung 794 – Antrag auf Protokollierung 536, 798 – Ausbleiben in der Hauptverhandlung 797 – Aussageverweigerung 541 – Beweisantrag, affirmativer 653 – Niederlegung der Verteidigung 159, 186, 197, 795, 797 – Prsentieren von Beweismitteln 690 – Verlassen des Sitzungssaales 195, 796, 932 771

Stichwortverzeichnis

Verteidigung und Strafvereitelung s. a. Strafvereitelung 55 ff. Vertrauenskrise 1034 Vertrauensverhltnis zwischen Mandant und Verteidiger 10, 17, 48, 484 f., 955 Vertrauliche Besprechung mit Richter oder Staatsanwalt 59, 178 Vertretung – durch anderen Anwalt 26, 455, 505 – von Kollegen 1177 – des Mandanten 1051, 1060, 1072 – der Presse 144 – durch Referendar 26, 126, 251, 455 – von Richtern und Staatsanwlten 1178 – im Verhandlungstermin 455 Vertretungsverbot 37 Verwertbarkeit – nichtrichterlicher Protokolle 627, 629 ff. – von Untersuchungsergebnissen 389 f., 399 ff. – von Vernehmungsergebnissen 544, 564, 566 f., 940 Verwertungsverbot 627 – bei beschlagnahmten Gegenstnden 389 f. – Protokoll ber frhere Vernehmung bei berechtigter Aussageverweigerung 569 – bei unterlassener Belehrung ber Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrecht 563 – Untersuchungsergebnisse 399 f., 404, 610 – Widerspruch gegen Verwertbarkeit 523 – Zusatztatsachen Verwirkung von Verteidigungsrechten 702 772

– Antrag auf Gerichtsbeschluß 785, 787, 803, 932 – arglistiges Verhalten 799 ff., 929 – Beschrnkung der Verteidigung 786 f., 938 – Fixierung der Prozeßvorgnge 692, 702, 779, 803 – „Konservierung“ von Verfahrensfehlern fr Revisionszwecke 417, 800 – Nichtanrufung des Gerichts 785, 942 – Nichtwiederholung bergangener Beweisantrge 779, 791 – Opportunittsfragen 536, 630, 807 – Prklusionsvorschriften 789 – Rgeverlust durch Unaufmerksamkeit 536, 779, 785, 800, 1060 – Rgeverzicht 783 f., 801 – berholung durch Prozeßablauf 789 ff., 937 – Unterlassen der Beanstandung 785, 800 – unverzichtbare Verfahrensmngel 799 f. – verpaßte Gelegenheiten 794 ff. – verzichtbare Verfahrensmngel 799 ff. Verzicht – auf Beweismittel 693 – auf Rechtsmittel 767, 819 Verzgerungstaktik 63, 419, 817 Videoaufzeichnung 259 V-Mann 575, 670 Vollmacht 122, 126, 831 Vollstreckung s. Strafvollstreckung Vollstreckungsbefehl 1114 Vollstreckungsvereitelung 1110 Vollzug s. Strafvollzug Vollzug der Untersuchungshaft 334 ff., 358 ff.

Stichwortverzeichnis

Vorbereitung des Verteidigers auf die Hauptverhandlung 442 ff. – Aufnahme der Verbindung mit Mitangeklagten 464 f. – Aussetzung zwecks – 442, 451 – Befragung eigener Beweispersonen 466 – Beratung des Mandanten 480 ff., 537, 758 – Besprechung mit Gericht und Staatsanwalt 431, 462, 476 – Feststellungen ber Person der Richter 450, 457, 460 – Mngel der Ladung 451 – Pflicht zur – 431, 442, 451, 581 – Plan fr die Hauptverhandlung 431, 443 ff. – technische Hilfsmittel 445 ff. – Terminkollisionen 431, 454 f. – Verhinderung des Mandanten 453 – vorbereitende Aufzeichnungen 445 ff. – Vorbereitung von Ablehnungsgesuchen 460 – vorweggenommene Beweisantrge 467 f. Voreingenommenheit 196 Vorfhrung 303, 420, 477, 875 Vorhalt gegenber Angeklagten 544 f., 631 – frheres Gestndnis 484, 492 – polizeiliche Protokolle 244 – Protokolle frherer Vernehmungen bei Zeugen 569 f., 629 ff. – seitens des Verteidigers 525, 585 – gegenber Zeugen 576 Vorlufige Entziehung der Fahrerlaubnis 406 ff. – Anrechnung auf Sperrfrist 408 f. – Aufhebung 770, 818 – Eintragung in die „Verkehrssnderkartei“ 1128 – Rechtsmittel 407, 842

– Rechtsmittelverzicht bei – 735, 788 – Rckgabe des Fhrerscheins 406, 411, 770 – Voraussetzungen 406 Vorrang des weitestreichenden Revisionsgrundes 972 Vorstrafen 539 Vortrag des Berichterstatters in der Revision 979 Vorweggenommene Beweiswrdigung 672 Vorwurf der Rechtsbeugung 188 Vorzeitige Entlassung des Zeugen 587

Waffengleichheit 481 Wahlgegenberstellung 294 Wahlverteidiger s. a. Mandat 121 ff. – Beschrnkung 124 – Bestellung 122 – Bestellung zum Pflichtverteidiger 164, 1182 f. – Honorarvereinbarung 1180 f. – mehrere Verteidiger 123 f. – Niederlegung der Verteidigung 161 ff., 1208 ff. – bertragung der Verteidigung auf Referendar 26, 126 – Untervollmacht 126 – Verbot der Doppelverteidigung 125 – Vertretung 455, 764, 1179 – Vollmacht 84, 86, 807 – Zurckweisung 124 Wahrheitsbeweis 1023 f. Wahrheitspflicht des Verteidigers 15, 43, 49, 56, 160, 646, 914, 918 Wahrnehmung – berechtigter Interessen 1028 – einer Person 624 Wahrscheinlichkeit in der Beweiswrdigung 7, 966 773

Stichwortverzeichnis

Wahrunterstellung von Tatsachen 633, 656 ff. Wechsel des Verteidigers 810, 816, 888 Wechselseitige Beleidigungen 1032, 1040, 1048 Wegfall der Beschwer 812 Weisungen des Mandanten 30 Werbung um Praxis 88 ff., 200, 995, 1153 white collar crimes 131, 1172 Widerruf – der Ermchtigung zur Rechtsmittelrcknahme 832 – eines Gestndnisses 57, 336, 492, 547, 631, 1016 – der Strafaussetzung 1103 – einer Zeugenaussage 1013 Widerrufsklage gegen Beleidiger 1054 – gegen Presse Widerspruchspflicht 523 Wiederaufnahme des Verfahrens 991 ff. – Alibizeugen 1000 – Angriff auf Sachverstndigenbeweis 1014 – Augenscheinseinnahme 1015 – außergerichtliche Befragung von Zeugen 1000, 1013, 1017, 1019 – Befragung von Sachverstndigen 1017 – Beratung des Mandanten 998, 1000, 1110 – beschrnkt auf den Strafausspruch 1003 – Beschrnkung 1006 – Beweismittel 992, 1000, 1009, 1011, 1015, 1017 – eigene Ermittlungen des Verteidigers 1000, 1013, 1015 – Erheblichkeit neuer Tatsachen und Beweismittel 1013 774

– Erneuerung der Hauptverhandlung 1022 – fehlerhafte Beweisgrundlage 994, 1014 – in dubio pro reo 1013, 1017 – neue Tatsachen 997, 1009, 1011, 1015, 1017 – Pflichtverteidigung 996 – Probationsverfahren 1017 ff. – bei rechtskrftigen Beschlssen 1004 – bei rechtskrftigem Schuldspruch 1002 – Rechtsmittel 1023 – reformatio in peius 1022 – Schlußanhrung 1021 – bei Teilrechtskraft 1002 – unrichtige Beweiswrdigung 1068 – Urkundenbeweis 1017 – Verteidigung von Beweispersonen 1019 – Verfahrengang 997 – verfassungswidrige Norm 894 – Vollstreckung 999 – Vorbereitung 999, 1082 – Widerruf eines Gestndnisses 1016 – Widerruf einer Zeugenaussage 1013 – Wiederaufnahmeantrag 1001 ff. – Wiederaufnahmegrnde 1001, 1006 – wiederholter Antrag 1012 – zugunsten des Verurteilten 1001, 1005, 1010 – Zulassungsverfahren 1001 ff. – Zustndigkeit 1007 – zuungunsten des Verurteilten 1010 Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand 1074 ff. – Form 1080 – Frist 1078

Stichwortverzeichnis

– Fristversumung 1051 – Glaubhaftmachung 1078 – Nachholung der versumten Prozeßhandlung 1080 – Nachholung einzelner Revisionsrgen 907 – unanwendbarer Zufall 1075 – Verschulden des Mandanten 1076 – Verschulden des Verteidigers 1077 – verzgerliche Postbefrderung 907 – Zulssigkeit 1074 Wiedererkennen einer Person s. a. Wahlgegenberstellung 591 Wiedererffnung der Verhandlung 759 ff. Wiedergutmachung des Schadens 1096, 1098, 1100, 1136 Wiederholte Vernehmung in der Berufungsinstanz 871 Wiederholte Vorladung 878 Wiederholungsgefahr 343 Wirtschaftsstrafsachen 64, 131, 341, 1172 Wissenschaftliche Erkenntnisse 905 Wunschvorstellungen 590 f.

Zahlungserleichterung s. Ratenzahlung Zeitgewinn 817 Zentralregister s. Bundeszentralregister Zeuge 210 ff., 525 ff. , 560 ff. – außergerichtliche Befragung 216 f. – Befragung durch den Verteidiger 210 ff., 581 ff., 589 ff., 1150 ff. – Benennung 469, 582, 674 – Beratung und Beistand 1050 ff.

– Entstehungsgeschichte der Aussage 603 – gefhrdeter Zeuge 575, 1153 – gesperrter Zeuge 567 – Gestndniszeuge 575 – vom Hrensagen 563, 569, 574, 591 – Kinder als – 559, 563, 603, 609 – krperliche Untersuchung 404 – kommissarische Vernehmung 478 – Mitangeklagter als – 594 – Nebenklger als – 596 – Polizeibeamter als – 596 – Richter als – 665 – sachverstndiger – 401, 612, 883 – Sachverstndiger als – 228a, 612 f., 619 – Selbstladung 690 – Staatsanwalt als – 664 – Tatverdchtiger als – 286, 594 – Verdchtiger als – 564, 1053 – Verhrspersonen als – 244, 466, 488, 492, 547, 564, 567 ff., 576, 578, 629 f. – Verletzter als – 596 – Vernehmung 561 ff. – und Verteidiger 210 ff. – Vorstrafen 212, 281 Zeugenbeistand 1082 ff. Zeugenverteidigung s. Verteidigung Zeugenvernehmung s. Vernehmung Zeugnisverweigerungsrecht 563 ff., 1153, 1155 – von Angehrigen 563 f. – der Presse 565 – gegenber Sachverstndigen 612 – der Trger von Berufsgeheimnissen 60, 565 – von Verlobten Zivilrechtliche Haftung des Verteidigers 165 ff. 775

Stichwortverzeichnis

Zufallsfunde 411 Zufallsprognose 18, 484, 1098 Zurcknahme s. Rcknahme Zurckverweisung – an anderes Gericht 900 – durch das Revisionsgericht 203 Zusammenarbeit mit der Polizei 173 Zusammenhngender Bericht der Einlassung 543 Zusatztatsachen 612 Zustndigkeitsprfung 456, 512 Zustndigkeitswahl durch den Verteidiger 425 Zustellung – von Beschlssen 854 – Doppelzustellung 821 – fehlerhafte – 1075 – des Urteils 821 Zwangsmaßnahmen – Kenntnis von bevorstehenden – 59 – Rechtsschutz 377, 981, 402

776

– bei Wahlgegenberstellung 294 „Zwangsverteidiger“ 150 Zweiteilung des Verfahrens 747 Zweite Tatsacheninstanz 856 Zweite Tatsachenverhandlung 891 Zwischenberatung 804 Zwischenpldoyer 521, 587, 688 Zwischenstreit ber Aussageverweigerung 568 Zwischenverfahren 414 ff. – Antrge 401, 482, 439 ff. – Einwendungen gegen die Erffnung 416 ff. – Erklrungsfrist 430 – Geltendmachung der Einwendungen 429 ff. – Gesprch mit dem Gericht 431 – Schutzschrift 434 ff. – Verteidigungschancen 414 f. – Vorlage von Gutachten 440