Handbuch der Mediterranistik: Systematische Mittelmeerforschung und disziplinäre Zugänge 9783770557431, 3770557433

Während in anderen Ländern ein systematischer Zugang zum Mittelmeer als Region institutionell und in der Wissenschaftstr

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HANDBUCH DER MEDITERRANISTIK: Systematische Mittelmeerforschung und disziplinäre Zugänge
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
„Mediterran Denken“. Perspektiven der Mediterranistik
Afrikanistik
Ägyptologie
Alte Geschichte
Erziehungswissenschaft / Bildungsforschung
Ethnologie
Frühneuzeitliche Geschichte / Early Modern History
Geographie
Geologie
Germanistik
Islamwissenschaft und Arabistik
Italienische und französische Literaturwissenschaft
Judaistik / Jewish Studies
Klassische Archäologie
Klassische Philologie
Klimatologie
Kunstgeschichte
Medizin
Mittelalterliche Geschichte
Neueste Geschichte
Osmanistik
Ozeanographie
Philosophie
Politikwissenschaft
Religionswissenschaft
Römisches Recht
Sinologie und Japanistik
Südosteuropäische Geschichte
Theologie
Ur- und Frühgeschichte
Völkerrecht
Vorderasiatische Archäologie
Wirtschaftswissenschaften
Topographischer Index
Personenindex
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Handbuch der Mediterranistik: Systematische Mittelmeerforschung und disziplinäre Zugänge
 9783770557431, 3770557433

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HANDBUCH DER MEDITERRANISTIK

MITTELMEERSTUDIEN

Herausgegeben von

Mihran Dabag, Dieter Haller, Nikolas Jaspert und Achim Lichtenberger

BAND 8

Mihran Dabag, Dieter Haller, Nikolas Jaspert, Achim Lichtenberger (Hg.)

HANDBUCH DER MEDITERRANISTIK Systematische Mittelmeerforschung und disziplinäre Zugänge

Wilhelm Fink | Ferdinand Schöningh

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlags nicht zulässig. © 2015 Ferdinand Schöningh, Paderborn (Verlag Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn) Internet: www.fink.de | www.schoeningh.de Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler, München Printed in Germany Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Paderborn ISBN 978-3-7705-5743-1 (Fink) ISBN 978-3-506-76627-4 (Schöningh)

Inhaltsverzeichnis Vorwort ....................................................................................................................... 9 „Mediterran Denken“. Perspektiven der Mediterranistik ........................................ 11 Mihran DABAG / Dieter HALLER / Nikolas JASPERT / Achim LICHTENBERGER Afrikanistik ................................................................................................................ 23 Andreas ECKL / Axel FLEISCH Ägyptologie ................................................................................................................ 35 Manfred BIETAK Alte Geschichte .......................................................................................................... 47 Bernhard LINKE Erziehungswissenschaft / Bildungsforschung .......................................................... 57 Thilo KÖSSLER Ethnologie .................................................................................................................. 65 Dieter HALLER Frühneuzeitliche Geschichte / Early Modern History ............................................ 87 Cornel ZWIERLEIN Geographie ............................................................................................................... 107 Angela HOF / Thomas SCHMITT Geologie ................................................................................................................... 129 Mark KEITER Germanistik .............................................................................................................. 145 Dieter RICHTER Islamwissenschaft und Arabistik .............................................................................. 155 Stefan REICHMUTH Italienische und französische Literaturwissenschaft ............................................... 171 Gerald BERNHARD / Katharina KRASKE / David NELTING Judaistik / Jewish Studies .......................................................................................... 181 Alexandra CUFFEL

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INHALTSVERZEICHNIS

Klassische Archäologie ............................................................................................ 197 Achim LICHTENBERGER Klassische Philologie ................................................................................................. 215 Manuel BAUMBACH Klimatologie ............................................................................................................ 233 Jucundus JACOBEIT Kunstgeschichte ........................................................................................................ 253 Hannah BADER / Gerhard WOLF Medizin .................................................................................................................... 291 Klaus BERGDOLT Mittelalterliche Geschichte ..................................................................................... 303 Nikolas JASPERT / Sebastian KOLDITZ / Jenny OESTERLE Neueste Geschichte .................................................................................................. 325 Manuel BORUTTA / Fabian LEMMES Osmanistik ................................................................................................................ 353 Markus KOLLER Ozeanographie ......................................................................................................... 365 Robert HOFRICHTER / Janina GOETZ / Christoph PUM Philosophie .............................................................................................................. 395 Thomas RICKLIN Politikwissenschaft .................................................................................................. 403 Claus LEGGEWIE Religionswissenschaft ............................................................................................. 417 Christoph AUFFARTH Römisches Recht ...................................................................................................... 431 Fabian KLINCK Sinologie und Japanistik .......................................................................................... 435 Regine MATHIAS / Christine MOLL-MURATA

INHALTSVERZEICHNIS

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Südosteuropäische Geschichte ............................................................................... 447 Konrad CLEWING Theologie ................................................................................................................. 457 Beate EGO / Christian FREVEL / Katharina GRESCHAT / Josef RIST / Reinhard VON BENDEMANN Ur- und Frühgeschichte ........................................................................................... 481 Lorenz RAHMSTORF Völkerrecht .............................................................................................................. 493 Hans-Joachim HEINTZE Vorderasiatische Archäologie ................................................................................... 521 Marlies HEINZ Wirtschaftswissenschaften ...................................................................................... 533 Anja ZOROB Topographischer Index ............................................................................................ 555 Personenindex .......................................................................................................... 561

Vorwort Dieses Handbuch der Mediterranistik vereint sowohl Beiträge der von Mitgliedern des Zentrums für Mittelmeerstudien an der Ruhr-Universität Bochum im Wintersemester 2011/12 gestalteten transdisziplinären Ringvorlesung »Das Mittelmeer«, als auch Aufsätze von ausgewiesenen Mittelmeerexpertinnen und -experten anderer Universitäten. Ein zentrales Anliegen des Handbuchs, das als Leitfaden durch die mediterranistische Forschung in Vergangenheit und Gegenwart dienen soll, ist es, den Mittelmeerraum erstmals im deutschsprachigen Raum als systematischen Forschungsgegenstand in den Fokus unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen zu rücken und insbesondere die vielfältigen disziplinären Zugänge zum Mediterraneum und die Interessen an ihm herauszuarbeiten. Ein solches Unternehmen konnte nur gelingen dank vielfältiger Unterstützung. Zunächst einmal ist den Autorinnen und Autoren zu danken, die sich auf die Mitarbeit an einem solchen Handbuch eingelassen und für ihre jeweiligen Fächer eine systematisierende mediterranistische Perspektive eingenommen haben. Wir haben uns bemüht alle relevanten Disziplinen mit mediterranistischen Perspektiven zu berücksichtigen. Für einige Fächer wie etwa die Anglistik, die Hispanistik, die Musikwissenschaft, die Slavistik und die Soziologie waren Beiträge vorgesehen, doch konnten diese aus Gründen, die wir nicht beeinflussen konnten, leider nicht in den vorliegenden Sammelband aufgenommen werden. Es ist allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bochumer Zentrums für Mittelmeerstudien zu danken, die auf vielfältige Weise zum Gelingen des Handbuchs beigetragen haben, sei es durch Recherche, sei es durch Unterstützung der Vorlesungsreihe, sei es durch Mithilfe bei der Redaktion. Ihnen allen sei gedankt und es ist uns ein Anliegen, stellvertretend die Koordinatorin des ZMS Eleni Markakidou hervorzuheben. Um die Redaktion des Handbuchs haben sich zudem insbesondere Andreas Eckl und Bernd Lehnhoff verdient gemacht, ihnen sei ebenfalls herzlich gedankt. Diethard Sawicki vom Verlag Fink/Schöningh sei Dank für die effiziente Betreuung der Drucklegung. Das Zentrum für Mittelmeerstudien wird seit 2010 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Mittel des BMBF ermöglichten auch die Drucklegung dieses Handbuchs, wofür die Herausgeber dem Ministerium herzlich danken. Mit diesem Handbuch legen wir ein Ergebnis der Arbeit des Bochumer Zentrums vor und hoffen damit, einen systematischen Beitrag zur Etablierung von Mittelmeerstudien/Mediterranistik im deutschsprachigen Raum zu liefern. Bochum und Heidelberg, Dezember 2014

MIHRAN DABAG, DIETER HALLER, NIKOLAS JASPERT, UND ACHIM LICHTENBERGER

„Mediterran Denken“. Perspektiven der Mediterranistik „Mediterran Denken“ – so lautet die Leitidee, der das Zentrum für Mittelmeerstudien (ZMS) der Ruhr-Universität Bochum seit seiner Gründung im Jahre 2010 in seinen Arbeiten und Aktivitäten folgt. Anders jedoch als bei Albert Camus (Ohana, 2003), der mit diesem Schlagwort das radikal humane Moment bezeichnete, das nach seiner Auffassung Ethik und Lebensweise im Mittelmeerraum prägte, und anders als bei Franco Cassano (2011), dessen Mediterranes Denken bedeutet, die Welt vom Süden aus zu verstehen, möchten wir mit diesem Motto die Ausrichtung und die Programmatik des Bochumer Forschungszentrums auf einfache und prägnante Weise zum Ausdruck bringen: den Mittelmeerraum in seiner Vielgestaltigkeit und Vielschichtigkeit in das Blickfeld wissenschaftlichen Interesses zu nehmen, seine Konturen zu erfragen, Gemeinsamkeiten und Verbindungen der mediterranen Regionen, Kulturen und Gesellschaften in transdisziplinärer Weise und in Bezug auf verschiedene Zeithorizonte hin zu erforschen und herauszuarbeiten – aber Differentes eben auch als different auszuweisen, Friktionen nicht zu harmonisieren und Widersprüchliches nicht zwanghaft einem gesamtmediterranen Ansatz unterzuordnen. Unter diesen Vorzeichen steht auch das vorliegende Handbuch, das sich spezifischen Perspektiven, Formen und Strukturen des Denkens und Wissens über den Mittelmeerraum als physischer und imaginierter Größe zuwendet: den wissenschaftlichen Disziplinen in ihren Bezüglichkeiten zum Mediterraneum. Mit diesem Handbuch stellt das ZMS nun zum ersten Mal eine strukturierte Zusammenschau auf die Bedeutung, die der Mittelmeerraum in den einzelnen akademischen, vor allem universitären Disziplinen hat, zur Verfügung. Der Band fragt mithin nach einem als „mediterranistisch“ bezeichneten wissenschaftlichen Zugang, der den Mittelmeerraum zum Gegenstand und Ausgangspunkt selbstständiger Reflexion macht; und er fragt nach der Bedeutung mediterranistischer Ansätze in der Forschungsgeschichte und Forschungspraxis einzelner wissenschaftlicher Fachkulturen. Obgleich schon dies einen Wert mit eigenem Recht darstellen würde, soll mit dem Handbuch jedoch nicht allein eine vergleichende Schau in Form eines Kompendiums ermöglicht werden. Vielmehr soll es einem sehr viel weitergehenden Ziel dienen. Mit dem Handbuch wollen wir den Grundstein zu einer neuen Disziplin legen: Der transdisziplinären Mediterranistik. Bereits in der Vergangenheit wurden

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im deutschsprachigen Raum vereinzelt1 Mittelmeerstudien betrieben. Mediterranistische Studiengänge entstanden daraus jedoch kaum, zudem waren bzw. sind diese entweder weitgehend monodisziplinär konturiert2 oder faktisch auf einzelne Regionen des Mittelmeerraums konzentriert3. Auch außerhalb des deutschsprachigen Raumes sind trans- und multidisziplinäre Forschungsinitiativen zum Mittelmeerraum, die sich in Studiengängen abbilden, bis heute eher die Ausnahme.4 Das Handbuch beabsichtigt daher, die Möglichkeit zur Gestaltung transdisziplinärer Studiengänge zu eröffnen, in denen sich sowohl historische wie aktuelle, sowohl natur- wie sozial-, geistes- und kulturwissenschaftliche Zugangsweisen ergänzen. Die Aufgaben einer solch neuen, bislang kaum institutionell verankerten und übergreifenden Regionalwissenschaft sind vielfältig: – Sie vermittelt und generiert Wissen über die Spezifika, die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede der Kulturen und Gesellschaften dieser Region. – Durch die transdiziplinäre Ausrichtung ist eine in entsprechenden Studiengängen verankerte Mediterranistik dazu geeignet, Expertinnen und Experten auszubilden, die naturräumliche, historische, kulturelle und gesellschaftliche Aspekte miteinander verbinden und neues Wissen über den Raum zu schaffen vermögen. Aufgrund der langen Tradition von Forschungen im und über den Mittelmeerraum und wegen des entsprechend bereits vorhandenen Wissens über den Raum, kann dieser auch als Laboratorium für neue Fragestellungen und Forschungen dienen. – Als kosmopolitische Disziplin überwindet die Mediterranistik die durch die politische Trennlinie der EU-Außengrenze geleiteten nationalen und eurozentrischen Wahrnehmungs- und Denkweisen eines Hier und Dort5, 1

Zum Beispiel am stark geographisch ausgerichteten Arbeitskreis zur Erforschung der Mittelmeerländer in Passau oder an der zuvorderst auf den Bereich der älteren Kunstgeschichte fokussierten Forschungsstelle Interkulturelle Mittelmeerstudien – TransMediterraneanStudies in Bern. 2 So ist der Studiengang Mittelmeerstudien an der Friedrich-Schiller-Universität Jena romanistisch konturiert, der dazugehörige Master of Arts heißt Romanische Kulturen in der modernen Welt. 3 So etwa das Centrum für Geschichte und Kultur des östlichen Mittelmeerraums an der Universität Münster. 4 Vgl. exemplarisch den Diplomstudiengang Euro-Mediterranean Relations and Cooperation an dem Euro-Mediterranean University Institute of Malta, der u. a. von der Politologie, der Wirtschaftswisssenschaft, der Ethnologie und den Geschichtswissenschaften bespeist wird. Andere Studiengänge sind häufig regional und/oder disziplinär limitiert. So sind die auf den östlichen Mittelmeerraum fokussierten Middle East & Mediterranean Studies am Kings College/London bidisziplinär– im core programme historisch (The History of the Middle East & Mediterranean), in den Beiprogrammen politikwissenschaftlich – ausgerichtet. Einen deutlich auf den östlichen Mittelmeerraum beschränkten Fokus hat auch der althistorisch und archäologisch grundierte, aber zudem aus den Politikwissenschaften, den Internationale Beziehungen und Philologien (Arabisch, Türkisch, Griechisch, Hebräisch) bespeiste Studiengang des Departments of Mediterranean Studies, University of the Aegean, Rhodos. Auch das Mediterranean Studies Programme an der Radboud-University Nijmegen, Niederlande, war mediterran konturiert. Den institutionellen Rahmen dieses seit Mitte der 1970er Jahre entstandenen und 2015 wohl endgültig auslaufenden Forschungs- und Lehrprogramms stellt das Institute for Cultural and Social Anthropology. 5 Illich, 1997, S. 209; zitiert bei Pokorny, 1999, S. 57.

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indem die Region als Ganze in den Mittelpunkt gerückt sowie ihre historischen und aktuellen Verflechtungen in den Blick genommen werden. Ein solcher Perspektivenwechsel drückt sich nicht zuletzt in unserer Begrifflichkeit aus: Wer von nordmediterranen und südmediterranen Gesellschaften spricht anstatt von nordafrikanischen und südeuropäischen, der vollzieht auf der Ebene der Begrifflichkeiten bereits den wichtigen Schritt einer Re- beziehungsweise Neupositionierung, der nicht ohne Auswirkungen auf unseren Umgang mit dem Forschungsgegenstand bleibt. Nicht zuletzt kann eine solche Perspektive dazu beitragen, den auch von nichtstaatlichen Gruppierungen und Diasporen getragenen transnationalen Dynamiken mediterraner Wissensproduktion und mediterranen Wissenstransfers die ihnen gebührende Aufmerksamkeit zuteilwerden zu lassen und somit auch zu einer Dekonstruktion des weiterhin gültigen Modells nationalstaatlich konstituierter Wissenscontainer beizutragen. – Sie trägt dazu bei, einer Region, die für Deutschland politisch, demographisch, militärisch und ökonomisch von hoher Bedeutung ist, die notwendige wissenschaftliche Aufmerksamkeit zu verleihen. Denn während der politischen Relevanz des Mittelmeerraumes für einzelne Nationalstaaten – etwa für Frankreich – außerordentliche Bedeutung zugemessen wird und dies dort auch in der systematischen Erforschung dieser Region einen Niederschlag gefunden hat, ist das Bewusstsein für reziproke Verflechtungen beider Räume in Deutschland bislang gering. – Da dem Mittelmeerraum nicht allein in historischer Perspektive eine kaum zu überschätzende Bedeutung für europäische Identitäten zukommt, sondern ihm auch für die Zukunft Europas – in sicherheitspolitischer und demographischer Hinsicht, sowie mit Blick auf die Beziehungen zu Nordafrika und dem Nahen Osten – hohe Relevanz zugemessen werden dürfte, kann die Etablierung einer transdisziplinären Mediterranistik auch dazu beitragen, Europa selbst neu und anders zu denken. Als Grundbausteine für die Etablierung einer solchen Disziplin eignen sich die Beiträge des vorliegenden Handbuches, da sie auf drei Ebenen die Bestände akademischen Wissens über den Mittelmeerraum sichten: Zum einen nehmen sie eine Bestimmung der einzelnen Fächer vor und beleuchten die Relevanz des Mittelmeerraums für die jeweilige Disziplin. Zum zweiten erschließen sie die Forschungsgeschichte des Faches in Bezug auf den Mittelmeerraum und das Mediterrane. Drittens differenzieren sie gegenwärtige mediterranistische Forschungsfragen und Perspektiven (gegebenenfalls nach Teildisziplinen), stellen diese vor und vertiefen sie anhand von exemplarischen Fallbeispielen. Die einzelnen Beiträge präsentieren somit in konzentrierter Form die disziplinären Wissensbestände über den Mittelmeerraum. Bei der Zusammenschau der disziplinären Zugriffe auf das Mittelmeer müssen allerdings Differenzierungen berücksichtigt werden. So weisen die einzelnen Fachdisziplinen trotz enger internationaler und globaler Vernetzung weiterhin auch einen Bestand spezifisch nationaler Denktraditionen und Fragestellungen auf, die

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sich teils deutlich voneinander zu unterscheiden vermögen. In der deutschen, stark philosophisch geprägten Anthropologie beispielsweise hat die Frage nach dem Wesenskern von Phänomenen bis heute eine besondere Bedeutung, während sie in der englischsprachigen Tradition eine deutlich geringere Rolle spielt. Bezüglich des Mittelmeerraumes ist daher einerseits zu fragen, welche Denktraditionen in den jeweiligen Bestimmungen des Mittelmeerraumes wirksam sind und in welchen Ländern sich diese Denktraditionen auch wissenschaftlich abbilden; andererseits gilt es zu bestimmen, ob sich in den einzelnen nationalen Fachtraditionen Unterschiede im Zugriff auf die Region feststellen lassen, worin diese Unterschiede bestehen und worauf sie zurückzuführen sind. Viele wissenschaftliche Fächer, etwa die Rechtswissenschaft, setzen sich aus einzelnen Teildisziplinen zusammen, die mitunter unterschiedlichen Fragestellungen, Methoden oder Themenfeldern nachspüren. So spielen für die deutsche Strafrechtswissenschaft – im Gegensatz zu den Teildisziplinen der Rechtswissenschaft, die sich mit Fragen der Menschenrechte beschäftigen – unterschiedliche kulturelle Rechtsauffassungen für gewöhnlich eine untergeordnete Rolle. Die Autoren dieses Bandes wenden sich daher auch der Frage zu, ob sich hinsichtlich des Mittelmeerraums in ihren Fächern solche spezifischen Fragestellungen, Methoden oder Themenfelder einzelner Teildisziplinen differenzieren lassen. Ein erster systematisierender Blick auf die Rolle des Mittelmeerraums in den unterschiedlichen Disziplinen lässt zunächst unmittelbar drei Bedeutungsebenen hervortreten: 1) Viele Disziplinen – die klassische Philosophie, die Nautik, die Geographie, die Mathematik, die Naturwissenschaften oder die Medizin – haben ihren Ursprung im Mittelmeerraum, sie wurden in mediterranen Kulturen entwickelt oder geschärft, oder sie schreiben dem Mittelmeerraum eine solche fundierende Rolle zu. Denn weiterhin gilt das Mediterraneum nicht zuletzt deshalb als Wiege der westlichen Kultur, weil hier vielfältige Formen des Wissens entstanden sind, die das europäische Denken und seine Vorstellungswelten nachhaltig bestimmt haben. Mediterrane Erfahrungswelten und Kosmologien, wie etwa die des Hellenismus, des sephardischen Judentums und bestimmter Traditionen des Islam, grundieren dabei häufig Ontologie, Systematik und Methodologie dieser Disziplinen, ohne dass dies immer explizit herausgearbeitet würde. 2) Es lassen sich Einzelforschungen bestimmen, die im Mittelmeerraum durchgeführt werden und die man als research in the Mediterranean fassen kann.6. Dies gilt exemplarisch für die klassischen Altertumswissenschaften, die ihre Forschungen überwiegend auf den Mittelmeerraum konzentrieren, dabei aber nur selten den Mittelmeerraum im Ganzen als Faktor kulturhistorischer Erscheinungen in den Blick neh6

Zur Unterscheidung einer „history in the Mediterranean“ und einer „history of the Mediterranean“ vgl. Horden – Purcell 2000, S. 2–5.

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men. In einigen Disziplinen wird dabei zwar auf mehr oder weniger explizite Weise auf das Motiv des Mediterranen rekurriert; in anderen Disziplinen dagegen stellt „das Mediterrane“ nicht mehr als ein Hintergrundrauschen dar für die Erkenntnis von Einzelfällen. Dabei möchten die Herausgeber des Handbuchs bereits an dieser Stelle darauf hinweisen, dass uns die Mediterranistik nicht dazu verleiten darf, jeder Einzelforschung, die im Mittelmeerraum durchgeführt wird, gewaltsam einen mediterranen Bezug überzustülpen. Denn das überörtliche, transregionale Moment ist für das Verstehen und Erklären eines Einzelfalles nicht in jedem Fall von zentraler Relevanz. 3) Es können Zugänge bestimmt werden, die den Raum als Ganzes selbst in das Blickfeld nehmen und somit als research of the Mediterranean zu kennzeichnen sind. So pflegen einige Disziplinen eher systematische Betrachtungsweisen auf das Mediterrane, sie heben auf die Suche nach den Gemeinsamkeiten der unterschiedlichen Kulturen und Gesellschaften des Raumes ab und suchen nach Vergleichen, oder nehmen gerade deren Verschiedenartigkeit zum Ausgangspunkt. In solchen Studien spielt auch der mediterrane Naturraum eine hervorgehobene Rolle, Gemeinsamkeiten oder Unterschiede des Raumes werden als Faktoren kulturgeschichtlicher Prozesse und Phänomene begriffen. In diese Kategorie gehören auch die Zugänge historisch arbeitender Disziplinen, welche den Mittelmeerraum als eine „Geschichtsregion“ verstehen, also als einen Raum, der – in aller Regel aufgrund historischer Verflechtungen und verdichteter Interaktion – als Forschungsgegenstand definiert wird, ohne dabei seine Bezüge zu anderen Räumen zu übersehen, seine Entflechtungsprozesse zu negieren oder ihm gar etwas Wesenhaftes zuzuschreiben (Troebst, 2007). Stand zu Beginn der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Geschichtsregionen noch der Versuch, „Kulturräume“ dadurch zu bestimmen, dass man Artefakte, gesellschaftliche und geistige kulturelle Phänomene nach Ähnlichkeiten zuordnete, sind solche Systematisierungsversuche, zumal wenn sie weitgehend auf den Umgang mit materiellen Artefakten fokussiert sind, im Zeitalter des Konstruktivismus und der Diskursivität unter den Verdacht der Kulturalisierung und Essentalisierung geraten.7 In Folge dessen wird die Frage nach der Definition von Kulturräumen heute kaum mehr gestellt. Dennoch wirkt dieses Konzept nach, so dass insbesondere auch im Hinblick auf die Verortung der Mediterranistik in den Area Studies seine Genese kurz skizziert sei: Der Gedanke, Kulturen räumlich zu identifizieren, geht auf die Anthropogeographie Friedrich Ratzels (1844–1904) zurück.8 Einen maßgeblichen Schub erhielt dieses Konzept durch den Schiffsarzt und Gründer der Berliner Gesellschaft für 7 8

Vgl. etwa zuletzt im Hinblick auf den Mittelmeerraum: Herzfeld, 2005. Vgl. zu dem folgenden Überblick zur Genese der Raum- und Regionalwissenschaften ausführlich: Haller, 2008 und jetzt Rau, 2013.

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Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte (1869), Adolf Bastian (1826–1905). Bastian, der auch erster Direktor des Berliner Völkerkundemuseums gewesen ist, war ein rastloser Sammler, der schließlich der Unmengen der von ihm zusammengetragenen Artefakte kaum Herr wurde. Seine Theorie der Elementar- und Völkergedanken war dabei auch ein Versuch, Ordnung in seine Sammlung zu bringen. Nach Bastian werden die allen Kulturen eigenen Elementargedanken durch geographische Umstände und durch kulturelle und psychologische Austauschbeziehungen in distinkte Völkergedanken übergeleitet (Smith, 1929, S. 422). Die daraus entstehenden kulturell charakterisierbaren Gegenden bezeichnet Bastian als »Geographische Provinzen«. Von dieser Idee wurden die europäischen Versionen der Kulturkreislehre und die amerikanischen Cultural Area Studies nachhaltig beeinflusst. Raumbeziehungen wurde auch im Kontext des Kölner Diffusionismus, etwa bei den Museumsethnologen Bernhard Ankermann (1859–1843) und Fritz Graebner (1877–1934), eine zentrale Bedeutung zugesprochen. So ging Graebner von dem Grundgedanken aus, dass die menschliche Erfindungsgabe signifikant limitiert sei. Wenn nun in unterschiedlichen Kulturen Ähnlichkeiten auftreten würden, so lasse dies auf eine Diffusion schließen, also auf eine Übernahme von Elementen aus anderen Kulturen oder Regionen. Solche Kulturelemente würden dabei allerdings niemals allein diffundieren, sondern ihre Übertragung sei stets an die Diffusion eines ganzen Ensembles weiterer Elemente gekoppelt. Ein solches Ensemble miteinander gekoppelter Elemente bezeichnete Graebner als ›Kulturkomplex‹. Wenn dieser für »ein bestimmtes Gebiet charakteristisch und in der Hauptsache darauf beschränkt« (Graebner, 1911, S. 133) sei, so könne man mit Leo Frobenius (1873–1938), der diesen Begriff 1898 geprägt hatte, von einem ›Kulturkreis‹ sprechen. Es ist bedeutsam, dass sowohl Bastians als auch Grabeners Ordnungsversuche zum Teil auch in museumsdidaktischen Erwägungen, im »musealen Charakter der ersten Untersuchungen« (Baumann, 1934, S. 133), begründet liegen. Für Bastian stellte das Museum noch ein Instrument der humanistischen Bildung dar, um die Vielfalt des Menschenmöglichen durch kulturelle Artefakte zur Kenntnis zu bringen und dadurch einen Beitrag zum Verständnis des Universalmenschlichen zu leisten. Bei seinen Nachfolgern, den Diffusionisten, dienten Museen dagegen in erster Linie als Instrumente der Volksbildung und der Massenerziehung. Sie akzentuierten die Unterschiede zwischen den Kulturen und fixierten diese kartographisch (Baumann, 1934, S. 132; Penny, 2002). Solche Versuche, geographische Regionen zu identifizieren, die durch einen engen Austausch von Kulturgütern geprägt seien, haben die Perspektiven der deutschen Völkerkunde aber auch der materialorientierten archäologischen Wissenschaften lange dominiert. Prominentester Vertreter dieses völkerkundlichen Ansatzes war Leo Frobenius, der auf das kombinierte Auftreten bestimmter Kulturformen hingewiesen hatte. So identifizierte er für den afrikanischen Kontinent zwei verschiedene Kulturkreise: den äthiopischen und den hamitischen. Zur Bestimmung der Kulturkreise wurden drei Beziehungskriterien zugrunde gelegt: Form, Quantität und Adhäsion. Dabei wurde zuerst die regionale Verbreitung von For-

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men, etwa einer bestimmten Gefäßform, bestimmt. Nach der Bestimmung des Verbreitungsareals dieser Form, stand als zweiter Schritt die Suche danach an, ob auch andere spezifische Formen in diesem Areal häufig vorfindlich seien, etwa Werkzeuge, Anbaumethoden oder religiöse Überzeugungen. Der positive Befund eines kombinierten Auftretens jener Gefäßform, die Ausgangspunkt der Untersuchung gewesen war, mit mehreren anderen Kulturformen und damit die Erfüllung des Quantitätskriteriums, galt als Indiz für die begründete Vermutung einer Zugehörigkeit zum selben Kulturkreis. Für den Fall, dass in zwei verschiedenen, zunächst völlig unverbunden erscheinenden Regionen (etwa – als rein hypothetisches Beispiel – in Ostafrika und in Mitteleuropa) nun gleichermaßen Form- und Quantitätskriterien zu beobachten seien, gilt dies aus Perspektive der Diffusionisten als ein Beleg dafür, dass zwischen den beiden Regionen eine Übertragung von miteinander gekoppelten Kulturelemente stattgefunden haben müsse. Zur Rekonstruktion des Übertragungsprozesses und der Übertragungswege wurden nun die zwischen den beiden Regionen, zwischen denen ein Übertragungsprozess angenommen wurde, liegenden Gebiete in den Blick genommen (um im Beispiel Ostafrika/Mitteleuropa zu bleiben wären dies der Sudan, Ägypten und der Mittelmeerraum), um adhäsive Spuren der Übertragung zu identifizieren. Wenn solche Adhäsionen, also die Präsenz einzelner Formen, die auch in Ostafrika und in Mitteleuropa nachgewiesen wurden, festzustellen sind, so galt dies als Beleg eines gemeinsamen Kulturkreises (Haller, 2012, S. 51–52). Aufgrund des sowohl Bastian’schen Gedankens der »geographischen Provinzen« als auch Frobenius’ Konzeptes der »Kulturkreise« charakterisierenden, spekulativen und assoziativen Verfahrens, mittels dessen in der Form ähnliche Kulturgüter in eine geographischen Beziehung zueinander gesetzt wurden, sind diese Ansätze schon früh von Seiten der britischen Social Anthropology als unwissenschaftlich kritisiert worden. So formulierte Russell Gordon Smith (1892–1929): »For the former are quasi-mystical and based upon obsolete psychology; while the latter rest upon logical modes of classification which ignore cultural realities.« (Smith, 1929, S. 424). Deutlich wird hier, sich nicht zuletzt in Smiths Begriff der »cultural realities« kristallisierend, eine grundlegende, aus nationalen Wissenschaftstraditionen und praktiken abgeleitete Differenz hinsichtlich der Selbstverständnisse innerhalb einer Disziplin, in diesem Fall zwischen der deutschen und britischen Ethnologie. Während Erstere sich zuvorderst als eine kulturhistorische, den Geisteswissenschaften zugeordnete Disziplin verstand, begriff sich letztere als empirisches soziologisches Fach und zum Teil als Naturwissenschaft. Dieser Unterschied gründet, wie Dieter Haller gezeigt hat, nicht zuletzt auch „in den gesellschaftlichen Aufgaben, die dem Fach zugewiesen wurden: Nach dem Verlust der Kolonien im Ersten Weltkrieg erlosch die praktische Funktion des Faches in Deutschland, in Großbritannien hatte es dagegen praktische Nutzen für die Verwaltung überseeischer Gebiete.“ (Haller, 2008, S. 112). Der Sonderfall einer den gesamten Mittelmeerraum umschließenden Imperienbildung unter den Römern etwa wurden in den historisch arbeitenden Disziplinen implizit entweder als Ausdruck oder als Grundlage eines vermeintlich

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durch transepochale Gemeinsamkeiten geprägten Großraums erklärt, und koloniale beziehungsweise imperiale Interessen europäischer Mächte im Mediterraneum leisteten einer solchen Interpretation Vorschub9. Allerdings ist Vorsicht dabei geboten, den Area Studies und den sie tragenden Disziplinen pauschal zu unterstellen, die Idee von der Geschlossenheit von Kulturräumen zu pflegen. Der Vorwurf des Vertretens raumdeterministischer Positionen ist so alt wie die Area Studies selbst, häufig wurde er von den zeitgeschichtlichen Nachfolgern erhoben, um den Vorgängern ein allzu simples Bild von ihren Gegenständen und sich selbst innovative Gegenentwürfe zuzuweisen – tatsächlich wurden raumdeterministische Ansätze nur selten vertreten (Guyer, 2004). So blieb die systematische Betrachtung von Regionen in deutschen Forschungszusammenhängen bis in die Zeit des Nationalsozialismus deutlich durch eine kulturhistorische Perspektive bestimmt, die letztlich einem humboldt’schen Bildungsideal und Fragen der Museumsdidaktik verpflichtet war. Nach dem Zweiten Weltkrieg gewann dann der Aspekt der Nutzbarkeit einer Region bzw. ihrer Dienstbarmachung zunehmend große Bedeutung für die Herausbildung und Konturierung der Area Studies, die daher letztlich auch nicht von ihrem politischen, militärstrategischen, historischen und kulturellen Kontexten zu trennen sind, in die ihre Etablierung in den verschiedenen Wissenschaftsnationen fest eingebunden waren. Im US-amerikanischen Kontext wurden die Area-Studies bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts von der Indianerpolitik (Haller, 2008, S. 114) und später, nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, von der Blockbildung befördert und von dem zunehmend dringlichen Bedürfnis nach der Generierung von Wissen über Regionen, die als politisch besonders wichtig galten. Diese Entwicklung wurde bereits früh kritisiert: „The first and foremost danger is that area studies are being viewed as the chambermaid of politics. Area studies may be only a covering term for a more effective mapping of the world for the purpose of imperialistic penetration and ultimately of war. The growth of area studies may mean that science is to be bent to motives that are extra-scientific and even anti-scientific in character.“ (Cahnman, 1948, S. 234). Auch in Deutschland war beispielsweise die Gründung des SüdasienInstitutes an der Universität Heidelberg im Jahre 1961 mit dem Versuch einer Landesregierung verbunden, sich einen politisch und ökonomisch interessanten Raum auf systematische Weise zu erschließen. Für mediterranistische Forschungen ist es daher zum Einen bedeutsam, den Zusammenhang zwischen disziplinären und politischen Interessen im Mittelmeerraum oder gar einer Dienstbarmachung der Wissenschaften für außerwissenschaftliche Interessen herauszuarbeiten und nicht zuletzt auch kritisch zu reflektieren. Dabei gilt es zu berücksichtigen, welche Wissenschaftsnationen sich dem Mittelmeerraum als Ganzem systematisch zuwenden, und in welchen Ländern dies bisher eher unterblieben ist. Eines dürfte allerdings zweifellos sein und bedarf einer Erklärung: Das wissenschaftliche Interesse am mediterranen Raum ist zuvorderst europäisch und amerikanisch. Damit wird es von Staaten getragen, die ein starkes Interesse an der Ordnung dieser Region haben – 9

Vgl. die Beiträge von Linke, Jaspert, Kolditz u. Oesterle sowie Borutta u. Lemmes in diesem Band.

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und gegebenenfalls auch ein Interesse an der nachhaltigen Durchsetzung ihrer Ordnungsmodelle ebendort. Zum anderen ist es – wie Cahnman (1948, S. 234) formuliert – wichtig, die Gefahr zu umgehen, dass „such a theory, or body of concepts, is not in evidence“, indem man eine als Kulturregion abgesteckte geographische Extension auf kulturelle und soziale Gemeinsamkeiten und Unterschiede abklopft. Die Frage, ob vor allem Einzelphänomene in der Mittelmeerregion erforscht werden, oder ob auch die Region als Ganze von Bedeutung ist, lässt sich nicht nur für Wissenschaftsnationen, sondern auch für die einzelnen Fachdisziplinen stellen. So überlagerte oder verdrängte beispielsweise der Fokus auf Prozesse der Globalisierung, auf Fluidität, Hybridität und Bewegung in den Cultural Studies zuweilen die Bedeutung des Lokalen oder Regionalen. Die Beiträge dieses Handbuches geben daher nicht zuletzt auch Aufschluss darüber, ob sich die einzelnen Fächer lediglich peripher oder schwerpunktmäßig mit Erfahrungswelten und Phänomenen im Mittelmeerraum beschäftigen, oder ob ihre Forschung auf Teilgebiete dieser Region oder auf den Mittelmeerraum als Ganzes abzielt. Dabei berühren alle Beiträge allerdings einige gemeinsame Fragestellungen: Nach dem spatial turn in den Kultur- und Geisteswissenschaften und der in diesem Rahmen unternommenen, dringend notwendigen kritischen Reflektion über die methodischen Gefahren, außerwissenschaftlichen Implikationen und inhaltlichen Fallstricke einer raumdeterministischen Wissenschaft, rücken insbesondere nach der Jahrtausendwende wieder naturräumliche Gegebenheiten in den Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses. Für den Mittelmeerraum selbst haben Peregrine Horden und Nicholas Purcell, zuvor aber bereits Fernand Braudel und Andere die Rolle des Meeres, der Kleinräumigkeit seiner Küstenregionen und der Weite des Hinterlandes, etwa der Sahara, systematisch bearbeitet und neue Perspektiven geöffnet. Die Frage danach, in welcher Weise die Naturräumlichkeit des Mittelmeerraums von den jeweiligen Disziplinen reflektiert wird, ist daher von hoher Bedeutung für die Beiträge dieses Bandes. Dabei spielt nicht zuletzt die Tatsache eine Rolle, dass der Mittelmeerraum ganz wesentlich durch seine Maritimität geprägt ist. Deren konnektive, aber auch trennende Dimension (vgl. Jaspert u. Kolditz, 2013) – aufgrund naturräumlicher Gegebenheiten ebenso wie aufgrund menschlichen Wirkens – ist daher ein weiterer wiederholt thematisierter Forschungsgegenstand. Neben der Hinwendung zum Räumlichen als Kategorie stellt auch das temporale Moment eine notwendige Differenzierungskategorie für die Betrachtung von Fachdisziplinen dar. Es gab immer wieder Zeiten, in denen sich Wissenschaften verstärkt dem Raum als Ganzes zuwandten. Die französischen Saint-Simonisten des 19. Jh. und die mit ihnen verbundenen Disziplinen der Soziologie und Politikwissenschaften sind ein deutliches Beispiel dafür, dass die Zuwendung zum Raum als Gegenstand wissenschaftlicher Beschäftigung häufig in ganz konkreten Epochen und geleitet von politischen und anderen außenwirtschaftlichen Interessen – hier der französischen Expansion in Nordafrika – erfolgte. Die Beiträge dieses Bandes beschäftigen sich somit auch mit der Frage, welche Perioden sich bestimmen lassen,

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in denen der Mittelmeerraum verstärkt in den Fokus oder auch aus dem Blickfeld der einzelnen Wissenschaftsnationen und -disziplinen geriet. Auch unser eigenes Vorhaben und damit der Kontext, in dem der vorliegende Band steht, muss vor diesem Hintergrund kritisch reflektiert werden. Denn das gegenwärtige, auch bei Studierenden ausgeprägte Interesse an einer systematischen Beschäftigung mit dem Mittelmeerraum dürfte durch politische Initiativen beeinflusst sein, welche als „Barcelona-Prozess“ zusammengefasst werden und vorrangig eine engere Verflechtung nord- und südmediterraner Wirtschaften und eine politische Stabilisierung als volatil erachteter Staaten, mittelbar aber auch eine Intensivierung kulturellen Austauschs beabsichtigten. Die politischen und gesellschaftlichen Umbrüche in Nordafrika seit dem Jahre 2011 sind zweifellos auch auf die in diesem Zusammenhang von europäischer Seite gepflegte Vorstellung gemeinsamer Interessen und die Aussicht auf Zugehörigkeit nordmediterraner Anrainer zu einem sich verdichtenden Austauschraum zurückzuführen. Dieses Buch ist damit auch ein Ausdruck der zur Zeit des „Barcelona-Prozesses“ aufflammenden Aufbruchsstimmung, welche derzeit trotz – oder wegen – der so genannten „Arabellion“ und anderer Umbrüche im südmediterranen Raum einer gewissen Ernüchterung und Zurückhaltung gewichen ist. Es bleibt zu hoffen, dass die verlorene Dynamik zukünftig wieder an Fahrt aufnimmt. Dieses Handbuch mag hierzu einen kritisch reflektierenden, wissenschaftlichen Beitrag leisten. Schließlich ist auch das wissenschaftstheoretische Moment bedeutsam, um die unterschiedlichen disziplinären Zugänge zum Mittelmeerraum zu betrachten. Denn häufig werden allgemeine wissenschaftliche Kategorien ja erst in induktiver Weise durch die Beschäftigung mit ganz konkreten Sachverhalten und Befunden entwickelt, geschärft oder modifiziert. In der Ethnologie beispielsweise wurden Stratifikationsweisen des Kastensystems sowie der Kastenbegriff selbst im indischen Kontext entwickelt, von dort aus aber auf andere Kulturen übertragen, etwa auf bestimmte nordamerikanische Indianergruppen. Die Beiträge in diesem Sammelband gehen daher nicht nur der Frage nach, welche allgemeinen Kategorien, Betrachtungsweisen oder Grundannahmen der jeweiligen Fächer sich durch die Beschäftigung mit dem Mittelmeerraum entwickelt haben, sondern auch, ob und in welcher Hinsicht diese in andere regionale oder kulturelle Kontexte transportiert wurden.10 „Mediterran Denken!“ – Das vorliegende Handbuch für Mittelmeerforschung ist nicht nur jenen Leserinnen und Lesern dienlich, die sich einen Überblick über die Bezüglichkeiten zwischen einer Region und wissenschaftlichen Herangehensweisen verschaffen wollen. Es stellt auch eine Basis dar, die die Ausbildung einer neuen Regionaldisziplin – die Mediterranistik – ermöglicht. Die Herausgeber und Autoren wünschen sich, dass das Handbuch dazu beiträgt, den Mittelmeerraum als 10

ZMS im November 2014 die Konferenz „Die Wüste als Meer – die Sahara als Verbindungsraum zwischen Subsahara-Afrika und dem Mittelmeer“ in Marrakech/Marokko initiiert hat, in der u.a. der Frage nachgegangen wurde, inwieweit im maritimen Kontext entwickelte Raumkategorien sich auf Wüstenräume übertragen lassen. Vgl. Abulafia, 2005, S. 75f.; Horden, 2012.

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Denk- und Arbeitskategorie im Wissenschaftsbetrieb und darüber hinaus nachhaltig zu verankern.

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Bibliographie Abulafia, D., 2005: Mediterraneans. In: W. V. Harris u. a., Hrsg.: Rethinking the Mediterranean. Oxford u. a.: Oxford University Press, S. 64–93 Baumann, H., 1934: Die Afrikanischen Kulturkreise. Africa: Journal of the International African Institute, 7(2), S. 129–139. Braudel, F., 1979: Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Philipps II., I– III. Frankfurt: Suhrkamp. Cahnman, W. J., 1948: Outline of a Theory of Area Studies. Annals of the Association of American Geographers, 38(4), S. 233–243. Cassano, F., 2011: Das Mediterrane Denken –die Welt vom Süden aus verstehen – andere Perspektiven für die Zukunft. Lettre International, 93, S. 62–67. Graebner, F., 1911: Methode der Ethnologie, Heidelberg: C. Winter. Guyer, J., 2004: Anthropology in Area Studies. Annual Review of Anthropology, 33, S. 499– 523. Haller, D., 2008: Ethnologie/Sozialanthropologie. In: St. Günzel, Hrsg.: Raumwissenschaften. Berlin: Suhrkamp, S. 109–125. –, 2012: Die Suche nach dem Fremden. Geschichte der Ethnologie in der Bundesrepublik 1945–1990. Frankfurt a. M.: Campus Verlag. Herzfeld, M., 2005: Practical Mediterraneanism: Excuses for Everything, from Epistemology to Eating. In: W. V. Harris u. a., Hrsg.: Rethinking the Mediterranean, Oxford u. a.: Oxford University Press, S. 45–63. Horden, P., 2012: Situations Both Alike? Connectivity, the Mediterranean, the Sahara, In: J. McDougall u. J. Scheele, Hrsg.: Saharan Frontiers: space and mobility in northwest Africa. Bloomington, IN: Indiana University Press, S. 25–38 – u. Purcell, N., 2000: The Corrupting Sea. A Study of Mediterranean History. Oxford u. a.: Blackwell. Illich, I., 1997: Philosophische Ursprünge der grenzenlosen Zivilisation. In: E. U. von Weizäcker, Hrsg.: Grenzen-los? Jedes System braucht Grenzen – aber wie durchlässig müssen diese sein? Berlin: Birkhäuser [non vidi]. Jaspert, N. u. Kolditz S., 2013: Seeraub im Mittelmeerraum. Bemerkungen und Perspektiven. In: N. Jaspert u. S. Kolditz, Hrsg.: Seeraub im Mittelmeerraum. Piraterie, Korsarentum und maritime Gewalt von der Antike bis zur Neuzeit. Mittelmeerstudien, 3. München u. a.: Schöningh-Fink, S. 11–37. Ohana, D., 2003: Mediterranean humanism. Mediterranean Historical Review, 18(1), S. 9– 75. Penny, G., 2002: The Civic Uses of Science – Ethnology and Civil Society in Germany. Osiris, 17, S. 228–252. Rau, S., 2013: Räume: Konzepte, Wahrnehmungen, Nutzungen. Historische Einführungen 14, Frankfurt a. M. u .a: Campus Verlag. Smith, R. G., 1929: The Concept of the Culture-Area, Social Forces, 7(3), S. 421–432. Troebst, St., 2007: Vom ‚spatial turn‘ zum ‚regional turn‘? Geschichtsregionale Konzeptionen in den Kulturwissenschaften. In: M. Middell, Hrsg.: Dimensionen der Kultur- und Gesellschaftsgeschichte. Festschrift für Hannes Siegrist zum 60. Geburtstag. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, S. 143–159.

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Afrikanistik Definition des Fachs und Relevanz des Mittelmeerraums für das Fach Die Anfänge der Afrikanistik als akademische Disziplin in Deutschland reichen in das 19. Jh. zurück, strukturell im Hochschulbetrieb verankert ist sie seit dem frühen 20. Jh..1 Die Herausbildung der Afrikanistik in Deutschland als akademische Disziplin erfolgte vor dem Hintergrund der Errichtung deutscher „Schutzgebiete“ in Afrika und Übersee ab 1884 und war damit in ihren Anfängen Teil des kolonialpolitischen Programms des Deutschen Reiches. Erste Ansätze einer akademischen Afrikanistik entstanden infolge einer Erweiterung der Orientalistik gegen Ende des 19. Jh. durch die Einbeziehung afrikanischer Sprachen. Exponent dieser Entwicklung ist Hans Stumme, der in Leipzig Orientalistik studierte, sich dort 1895 u.a. für Semitische und Hamitische Sprachen habilitierte und zum zunächst außerordentlichen, 1909 zum ordentlichen Honorarprofessor mit Lehrauftrag „Neu-Arabistik und hamitische Sprachen Afrikas“ in Leipzig ernannt wurde.2 Stumme war einer der wenigen europäischen Experten auf dem Feld der Berberologie. Der Beginn der eigentlichen Afrikanistik ist eng mit dem Theologen Carl Meinhof und dem Missionar Diedrich Westermann verbunden, die als Quereinsteiger die ersten Professuren für Afrikanistik innehatten: Meinhof war ab 1905 Professor am Orientalischen Seminar in Berlin, ab 1909 Leiter des Seminars für Kolonialsprachen im Kolonialinstitut in Hamburg und wurde 1919 auf den Lehrstuhl für afrikanische Sprachen an der neu gegründeten Universität Hamburg berufen (Emeritierung 1935). Westermann wurde 1910 Nachfolger Meinhofs in Berlin. 1925 wurde er auf den dortigen Lehrstuhl für afrikanische Sprachen und Kulturen berufen, den er bis zu seiner Emeritierung 1950 innehatte. Die linguistischen, ethnologischen, religions- und rechtswissenschaftlichen sowie historischen Arbeiten und konzeptionellen Zugänge der beiden Gründerväter Meinhof und Westermann prägten die 1

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Die Geschichte der Afrikanistik bzw. der Afrikawissenschaften im deutschsprachigen Raum ist relativ gut dokumentiert (vgl. z.B. Brahm, 2011; Brauner, 1999; Dammann, 1999; 2000; Friedrich, 2002; Gerhard et al., 2008; Heyden, 1999; Krauth u. Wolz, 1998; Lukas, 1965; Meyer-Bahlburg u. Wolff, 1986; Pugach, 2012; Schicho, 1999; Stoecker, 2008). Die Darstellungen verfolgen dabei allerdings zumeist einen instituts- bzw. personenbezogenen Ansatz, während eine kritische Reflexion des Faches im Kontext einer akademischen Wissensproduktion weitgehend ausgespart bleibt. Deutlich wird dies z.B. am Umgang mit der von Meinhof 1912 maßgeblich mitentwickelten Hamitentheorie, die weit über die eigentliche Afrikanistik hinaus in kulturwissenschaftlichen Disziplinen rezipiert wurde und letztlich die Inferiorität afrikanischer Kulturen postulierte (vgl. hierzu Rohrbacher, 2002). Stummes Emeritierung erfolgte 1930. Ausführlich zu Stumme: Brauner, 1999, S. 5–68.

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deutschsprachige Afrikanistik nachhaltig. Während Meinhof die Afrikanistik in erster Linie im Sinne einer Sprachforschung in Afrika bzw. einer afrikanischen Linguistik in einem engeren Verständnis als Wissenschaft von den afrikanischen Sprachen und Literaturen v.a. südlich der Sahara betrachtete, entwickelte Westermann in seinen Studien zwischen den beiden Weltkriegen ein breiteres Verständnis der Disziplin. Er sah die Aufgabe der Afrikanistik in der Erforschung kultureller und sozialer afrikanischer Lebenswelten, für deren Erschließung afrikanische Sprachen in methodologischer Hinsicht zentral waren (Jungraithmayr u. Möhlig, 1983, S. 161f., 265–268).3 Mit Blick auf eine engere Afrikanistik wirken beide Zugänge bis heute fort. Der Fachverband Afrikanistik, der Wissenschaftler vereinigt, für deren Tätigkeit afrikanische Sprachen als Gegenstand und/oder Grundlage konstitutiv sind, definiert das Fach als „die Wissenschaft von den afrikanischen Sprachen in allen Erscheinungsformen und von ihren gesellschaftlichen, kulturellen und historischen Bedingungen und Gebrauchsweisen.“4 Dementsprechend widmet sich die Afrikanistik heute einem breiten Spektrum wissenschaftlicher Fragestellungen und ist als Disziplin aktuell im deutschsprachigen Raum an acht Universitäten (in Bayreuth, Berlin, Frankfurt a.M., Hamburg, Köln, Leipzig, Mainz und Wien) mit Lehrstühlen vertreten.5 Schwerpunktmäßig beschäftigen sich Afrikanisten mit sprachwissenschaftlichen Forschungen, daneben auch mit literatur-, kultur- und geschichtswissenschaftlichen Fragestellungen.6 Die Afrikanistik hat keine eigenständige Methode ausgebildet, sondern nimmt methodische Anleihen bei unterschiedlichen Disziplinen. Sofern man im Grundsatz davon ausgeht, dass sich Disziplinen über deren Methoden definieren, ist sie nicht als eigenständige akademische Disziplin zu sehen. Positiv ausgedrückt aber kann die Afrikanistik auch als ein inhärent interdisziplinäres Fach verstanden werden. Auf theoretischer und methodologischer Ebene teilt sie mit der Mediterranistik (und anderen area studies) die Herausforderung definieren zu müssen, was ein kulturhistorisch und sprachlich geprägtes Areal zum Untersuchungsgegenstand erhebt. Zwei wissenschaftshistorische Charakteristika der Afrikanistik beschränken die Relevanz des Mittelmeerraums für das Fach: ein (ursprünglich kolonialwissenschaftlicher) Fokus auf den subsaharanischen Raum und auf nicht verschriftete Sprachen. Neben dieser sprach-orientierten Afrikanistik kann man in Weiterentwicklung der Westermann’schen Konzeption in der zweiten Hälfte des 20. Jh. von einer brei3

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Als Nebenprodukt linguistischer Forschungen konnte dieser Aufgabe der Afrikanistik auch Meinhof beipflichten, wenn er 1942 schreibt: „… es gilt ja nicht nur die Sprachen zu erlernen, sondern mit ihrer Hilfe in das Wesen der Eingeborenenkultur, ihre Religion, ihre Kunst, ihre Poesie und vor allem ihr Recht einzudringen“ (zitiert nach Meyer-Bahlburg; Wolff, 1986, S. 11). http://www.uni-koeln.de/phil-fak/afrikanistik/fv/organisation/satzung/ (Abruf: 10.1.2013); vgl. auch Wolff, 2013. Als neunter Standort könnte Zürich gelten, wo innerhalb des Seminars für Allgemeine Sprachwissenschaft ein Schwerpunkt auf afrikanischen Sprachen liegt. Deutlich wird das z.B. anhand des Untertitels des Sammelbandes des 10. Afrikanistentages 1993, der „Beiträge zur Linguistik, Ethnologie, Geschichte, Philosophie und Literatur“ Afrikas in sich versammelt (vgl. Bearth, 1994).

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ter definierten Afrikanistik sprechen. In Leipzig wurde nach dem Zweiten Weltkrieg die Afrikanistik in die Afrikawissenschaften integriert, die zu einer multidisziplinären Regionalwissenschaft mit den drei Abteilungen Geschichte, Ökonomie sowie Afrikanische Sprachen und Literaturen ausgebaut wurden (vgl. Brahm u. Jones, 2011). Die Afrikawissenschaften in der DDR unterlagen aber auch hier einer regionalen Eingrenzung auf das subsaharanische Afrika (Van der Heyden, 1999, S. vii). Bestrebungen zur Bündelung der Afrikawissenschaften gab es auch in der BRD. Ein bereits 1962 publizierter Tagungsband dokumentierte Stand und Aufgaben der Deutschen Afrikawissenschaften und versammelte in sich 15 akademische Disziplinen, darunter auch die Afrikanistik (vgl. Abel, 1962). 1969 wurde die „Vereinigung von Afrikanisten in Deutschland (VAD)“ gegründet, die sich 2006 in „Vereinigung für Afrikawissenschaften in Deutschland“ umbenannte (vgl. Brahm, 2009). Die VAD setzt sich mit aktuellen afrikanischen Problemen und ihren historischen Bedingungen auseinander und umschließt alle auf Afrika bezogenen Kultur–,Geistes- und Sozialwissenschaften, weist also ein wesentlich breiteres Spektrum auf als die enger gefasste akademische Disziplin der Afrikanistik.

Forschungsgeschichte in Bezug auf Mittelmeerforschung Ungeachtet der erwähnten Einschränkungen wurden innerhalb der Afrikanistik auch Forschungsfragen verfolgt, die den Mittelmeerraum betreffen. Zumeist geschieht dies eher in der Weise, dass dieser Raum den geographischen Hintergrund für die untersuchten Kulturen und Sprachen darstellt; nur selten in bedeutungsvollerer Weise, also in dem Sinne, dass eine dezidierte Vorstellung des Mittelmeers als heuristisches Konzept eingesetzt würde. Dies gilt sowohl für sprachliche Forschungen (v.a. zum Berberischen), als auch für kulturhistorische Untersuchungen. In beiden spielt die Beziehung zum Mittelmeerraum eine bedeutende Rolle, wird aber bestenfalls sporadisch berücksichtigt. Sprachbezogene afrikanistische Forschungen, die auch im Kontext einer Mittelmeerforschung relevant sind, liegen vor allem für das Berberische vor, daneben aber auch – mit deutlichen Einschränkungen – für europäische Sprachen, die auf dem afrikanischen Kontinent eigene Varietäten ausgebildet haben, und für das Arabische. Klassisches und modernes Standardarabisch werden trotz ihrer Bedeutung für den afrikanischen Kontinent in der Afrikanistik nicht behandelt. Dasselbe gilt typischerweise für nordafrikanische lokale Varietäten des Arabischen wie z.B. Marokkanisch-Arabisch (Darija). In den Forschungsrahmen der Afrikanistik hingegen fallen Varietäten des saharanischen und subsaharanischen Raums (Mauretanien, Sudan) einschließlich arabischer Pidgin- und Kreolsprachen wie z.B. JubaArabisch im Südsudan. Vermehrt Berücksichtigung finden in der Afrikanistik kontaktsprachliche Phänomene, die es erforderlich machen, europäische Sprachen einzubeziehen. Jugendsprachen, neue Kontaktvarietäten vor allem in städtischen Räumen, aber durchaus auch ältere (z.B. handelsbedingte) Kontaktsprachen sind wichtige afrikanistische Untersuchungsfelder, und zwar unabhängig davon, ob sie

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auf europäischen oder (ursprünglich) afrikanischen Sprachen basieren. Hier ergeben sich methodologische und thematische Überschneidungen mit den Arbeitsfeldern der Romanistik und anderer auf den Mittelmeerraum ausgerichteten Philologien und Sprachwissenschaften. Viele der nordafrikanischen Küstenbewohner sind berbersprachig. Beim Berberischen handelt es sich um eine Reihe von verwandten sprachlichen Varietäten. Viele ihrer Sprecher verwenden hierfür den Begriff Tamazight (im weiten Sinne) und bezeichnen das weitläufige, allerdings stark fragmentierte Kulturareal, das durch die Verwendung unterschiedlicher Berbervarietäten gekennzeichnet ist, als Tamazra. Forschungen zu Sprache, Geschichte und Kultur dieser Gemeinschaften stehen einerseits in einer orientalistischen Tradition (es handelt sich um vorwiegend islamische Gemeinschaften; Arabisch ist eine wichtige Kontakt- und Metasprache). Andererseits hat die Untersuchung des Berberischen durchaus einen festen Platz in der deutschsprachigen Afrikanistik, denn sprachvergleichende Arbeit erfordert die Einbeziehung auch anderer afrikanischer Sprachfamilien (z.B. Kuschitisch, Tschadisch). Die frankophone Berberologie setzt in Verbindung mit kolonialem Expansionismus im 19. Jh. ein und findet in Stumme einen Vertreter, der diese Tradition im deutschsprachigen Raum verankert. Das Berberische verfügt über eine eigene Schrifttradition. Kontinuierlich tradiert worden ist diese von in der Sahara siedelnden Tuareg bis in die Gegenwart in Form des Tifinagh. Felsgravuren und Inschriften größeren Alters sind von den Kanarischen Inseln bis in die Zentralsahara belegt. Im Norden stellen Gebäuderuinen aus punischer und römischer Zeit mit teilweise mehrsprachigen Inschriften einen Schlüssel zum Verständnis dieser älteren Varianten der libysch-berberischen Schrift dar. Bezüglich ihrer Entstehung bestehen unterschiedliche Hypothesen. Auf Grund der hohen Anzahl an Belegen in der Nähe punischer Machtzentren wurde die Entlehnung der Schrift mit dem Einfluss Karthagos in Verbindung gebracht (vgl. Pichler, 2007, S. 15). Pichler hingegen geht davon aus, dass die Entlehnung zwar von den Phöniziern ausgeht, also im Zusammenhang stand mit den Kommunikationswegen über das Mittelmeer. Allerdings argumentiert er plausibel, dass die Entlehnung der Idee des Schreibens (nicht aber des Schriftsystems selbst!) früheren Datums sein muss als die Gründung Karthagos (Pichler, 2007, S. 24–33).7 Dass es zwischen Phöniziern und berbersprachigen Gruppen intensiven Sprach- und Kulturkontakt gab, steht in jedem Fall außer Frage, wie lexikalisches Lehngut aus dem Phönizischen zeigt. Neben der Angliederung der Tamazra, also des berbersprachigen Raums, an einen Kulturkreis, dessen integrative Wirkung vor allem dem Meer als Verkehrsraum geschuldet ist, birgt die intensive Auseinandersetzung mit dem Berberischen ein Potenzial, das für die Mittelmeerforschung bisher nicht ausreichend berücksichtigt 7

Daneben bestehen grundlegend andere Hypothesen einer vollständig unabhängigen Innovation des Schreibens im Bereich der Zentralsahara; vgl. z.B. Chaker; Hachi, 2000. Es besteht derzeit kein Konsens in dieser Frage, ihre Relevanz für die Kulturgeschichte des Mittelmeerraums ist aber erheblich.

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wurde. Während der Fokus mit Blick auf die Antike in Nordafrika auf transmediterrane Beziehungen gelenkt wird, zeigt die Berbersprachgeschichte eine intensive Vernetzung des nordafrikanischen Raums in Zeiten, als die ökologischen Voraussetzungen hier noch deutlich günstiger waren (vgl. Múrcia Sànchez, 2011). Zum Verständnis der älteren Kolonialisierung Nordafrikas durch Phönizier, Griechen und Römer ist dies ein wichtiges Korrektiv. Die resiliente Besiedlung derjenigen Räume, die aus der Sicht der mittelmeerischen Eindringlinge als unwegbar, wüstenartig galten, liefert einen Schlüssel zum Verständnis historischer Kontinuitäten, die sich sonst nicht einfach erschließen lassen: Diese reichen von den libyschen Stämmen als ägyptische Gegenspieler seit altersher, zu den Garamanten und anderen Gruppen, die außerhalb der unmittelbar römisch kontrollierten Einflusssphäre lebten, und schließlich bis zu den Gruppen, die die politischen Formationen der Almoraviden- und Almohadenreiche hervorbrachten – beide verbinden in alAndalus den berberisch geprägten nordafrikanischen Kontinent über das Mittelmeer hinweg mit Europa. Neben der sprachwissenschaftlichen Forschung spielte die Beschäftigung mit afrikanischer verschriftlichter und oraler Literatur von Anfang an eine wichtige Rolle innerhalb der Afrikanistik.8 Carl Meinhof hatte 1911 einen Band zur Dichtung der Afrikaner veröffentlicht, 1917 in der bei Diederichs verlegten Schriftenreihe „Die Märchen der Weltliteratur“ einen umfangreichen Band Afrikanische Märchen herausgegeben und 1931 eine Studie zu libyschen Inschriften veröffentlicht. Expliziten Bezug zum Mittelmeerraum hatten die Arbeiten des bereits erwähnten Orientalisten und Afrikanisten Hans Stumme. Neben seinen sprachwissenschaftlichen Forschungen zu arabischen und berberischen Dialekten beschäftigte sich Stumme vor allem mit Dichtung und Literatur des nördlichen Afrika, die in einer Reihe von in Leipzig bei Hinrichs verlegten Monographien dokumentiert sind, so etwa in Tunisische Märchen und Gedichte (1893), in Tripolitanisch-tunisische Beduinenlieder (1894), in Dichtkunst und Gedichte der Schluh (1895), in Märchen der Schluh von Tázerwalt (1895), in Märchen und Gedichte aus der Stadt Tripolis in Nordafrika (1898), und in Märchen der Berbern von Tamazratt in Südtunesien (1900). Stummes über Nordafrika hinausgehendes Interesse am Mittelmeerraum zeigt sich auch in seinen 1904 publizierten Maltesische(n) Studien. Eine Sammlung prosaischer und poetischer Texte in maltesischer Sprache, in Maltesische Märchen, Gedichte und Rätsel (1904) und in Maltesische Volkslieder (1909).9 Wie für Meinhof und seine linguistisch orientierten Nachfolger war auch für Stumme die Beschäftigung mit afrikanischer Dichtkunst in erster Linie bedeutsam für die Sprachdoku8

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Für einen Überblick auf Entwicklung der Afrika-Literaturwissenschaft als Teildisziplin der Afrikanistik bis hin zu einer als eigenständig betrachteten Disziplin vgl. die Beiträge in Veit-Wild, 2003. Einen Einblick in die oralliterarische afrikanistische Erzählforschung geben Jungraithmayr u. Möhlig, 1998. Zum Schriftenverzeichnis von Hans Stumme vgl. Brauner, 1999, S. 103–111.

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mentation und als Quelle für sprachwissenschaftliche Forschungen, bei denen literaturwissenschaftliche Fragestellungen allenfalls am Rande behandelt wurden.10

Gegenwärtige mediterranistische Forschungsfragen und Perspektiven Das Orchideenfach Afrikanistik hat sich im Zuge der Umstrukturierungen der Hochschullandschaft gegenüber anderen Fächern geöffnet. Eine Kooperation mit anderen Disziplinen gewinnt für den akademischen Fortbestand zunehmend an Bedeutung. Ausdruck hiervon ist die Etablierung einer Reihe transdisziplinärer Studiengänge unter Beteiligung der Afrikanistik, so z.B. der in Köln zusammen mit der Ägyptologie eingerichtete Studiengang „Afrikanische Sprachen und Kulturen“, der Nebenfach-Studiengang „Afrika-Studien“ in Hamburg, an dem sich die Afrikanistik zusammen mit der Geographie und Wirtschaftsgeographie, der Mittleren und Neueren Geschichte, der Politischen Wissenschaft, der Ethnologie und Archäologie beteiligt, der interdisziplinäre Schwerpunkt „Afrikanologie“ in Bayreuth, an dem Teilgebiete der Naturwissenschaften, der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften sowie der Sprach–, Literatur- und Kulturwissenschaften beteiligt sind, und nicht zuletzt an der Humboldt-Universität zu Berlin, wo am Institut für Asienund Afrikawissenschaften die Bereiche „Geschichte Afrikas“, „Afrikalinguistik und afrikanische Sprachen“ sowie „Afrikanische Literaturen und Kulturen“ mit je einem Lehrstuhl vertreten und am Masterstudiengang „Afrikawissenschaften“, am Bachelorstudiengang „Regionalstudien Asien/Afrika“ sowie am Masterstudiengang „Global Studies“ beteiligt sind. In Folge dieser fächerübergreifenden Kooperationen rückt gegenwärtig auch der Mittelmeerraum zumindest tendenziell stärker in den Blickwinkel der Afrikanistik, während in der Vergangenheit der nördliche Teil des Kontinents als Region kulturwissenschaftlicher und historischer Forschungen in erster Linie von Ägyptologen, Arabisten und Orientalisten untersucht wurde. Insgesamt ist der Mittelmeerraum für die Afrikanistik weniger aus forschungsgeschichtlicher Betrachtung von Relevanz, sondern vor allem aufgrund seines Potenzials mit Blick auf wichtige Forschungsperspektiven. Für eine ‚mediterrane‘ Afrikanistik bietet sich hier sowohl in sprachwissenschaftlicher als auch in kulturhistorischer Hinsicht die Möglichkeit, nicht nur Nordafrika als Teil des Mittelmeergebietes verstärkt zum Forschungsgegenstand zu machen, sondern darüber hinaus vor allem auch die Herausforderung, die vielfachen Beziehungen und Wechselwirkungen des Mittelmeerraums in den afrikanischen Kontinent hinein zu thematisieren. Denn die Zugrundelegung eines mediterranen Raumes als heuristisches Konzept wirft die Frage auf, wie sich dieser 10

„Wenn man sieht, dass Völkerschaften ihre Sprache aufzugeben beginnen, so ist es angebracht, ja es wird zur Pflicht, letztere grammatikalisch und lexikalisch zu fixieren und von den geschriebenen und ungeschriebenen Überlieferungen in Prosa und Poesie dasjenige zu bewahren helfen, was zu bewahren ist“, so Stumme in der Einleitung zu Dichtkunst und Gedichte der Schluh (1895, S. 1f., hier zitiert nach Brauner, 1999, S. 25).

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Raum von anderen Räumen abgrenzt, aber auch wie er mit ihnen in Verbindung steht. Das subsaharanische Afrika war keineswegs so isoliert von dem alten Kulturareal des Mittelmeerraums wie es kolonialer Imperialismus und europäisches Entdeckergebaren im 19. Jh. glauben lassen. Seit dem Mittelalter führten wichtige Routen muslimischer Pilger aus Westafrika über Ägypten nach Mekka, und aus dem Gebiet des äthiopischen Hochlands verliefen christliche Pilgerrouten nach Palästina. Seit dem 15. Jh. entstehen entlang der marokkanischen Küste (sowohl am Mittelmeer als auch am Atlantik) portugiesische und spanische Stützpunkte. Kultur, Sprache und politische Interessen europäischer Mittelmeeranrainer setzten sich auf den afrikanischen Kontinent hin fort. Trotz des in territorialer Hinsicht und wirtschaftlichem Umfang möglicherweise vernachlässigenswerten Ausmaßes stellt dies eine einfache Zonierung des afrikanischen Kontinents – subsaharanisch, Wüste, dann der arabisch-berberische Norden, bis an eine weitere natürliche Grenze, das Mittelmeer – in Frage. Die portugiesische Erkundung der afrikanischen Küste stand in engem Zusammenhang damit, dass der Zugang zum Mittelmeer Konflikte mit einflussreichen Akteuren bedeutet hätte und faktisch verwehrt war. Indirekt hat somit die wirtschaftliche, politische und militärische Situation des Mittelmeerraumes einen nicht geringen Anteil an den ersten Kontakten zwischen Portugiesen und den Bewohnern des subsaharanischen Afrika. Dieser direkte Kontakt (indirekter Kontakt per Karawanenhandel fand bereits vorher statt) hatte unterschiedliche Auswirkungen. Portugal exportierte ein aus dem Mittelmeerraum bekanntes Modell des Küstennahhandels nach Westafrika, wo es den Transportweg über das Meer organisierte und somit am afrikanischen Handel teilhatte. Afrikanische Künstler und Kunsthandwerker verstanden es, sehr schnell europäische ästhetische Erwartungen aufzugreifen. Schon im 15. Jh. entstanden in Westafrika Salzgefäße aus Elfenbein und anderen Materialien, die sich stilistisch dem portugiesischen Manuelismus zuordnen lassen (Bassani u. Fagg, 1988). Im Kongokönigreich, unweit dessen, was Jahrhunderte später Joseph Conrad als das Herz der Finsternis bezeichnen sollte, loteten lokale Machthaber wirtschaftliche, aber auch ideelle Möglichkeiten aus, die der Kontakt zu den Europäern mit sich brachte. Bereits um das Jahr 1500 reisten Gesandtschaften nach Europa, und ein Sohn des kongolesischen Königs Afonso I., Dom Henrique, studiert in Rom Theologie. Mit der Kultur des Mittelmeerraums bestens vertraut wird er dort 1518 zum Bischof ernannt (der Titulardiözese Utica, im Gebiet des heutigen Tunesiens, das unter muslimischer Kontrolle stand), und kehrt als solcher nach Mbanza Kongo (=São Salvador do Congo) zurück (Thornton, 1984, S. 155). Solche frühen Beispiele für mediterran-afrikanischen Kulturkontakt wurden in den kommenden Jahrhunderten allerdings durch den Sklavenhandel weitgehend überlagert, und erst sehr viel später, ab der Zeit des europäischen Kolonialimperialismus am Übergang vom 19. zum 20. Jh., gab es einen erneuten Impetus. Mittelmeerische Kultur wird durch europäische Kolonialisten und Siedler nach Afrika getragen. Im europäisch-afrikanischen Kolonialgefüge spielen unterschiedliche Dis-

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kurse, die auf zivilisatorische Zielsetzungen und teleologische Entwicklungsbegriffe setzen, eine wichtige Rolle im politischen Ringen zwischen den europäischen Mächten. Mittelmeeranrainerstaaten (inkl. Portugal), die Expansionsbestrebungen auf Afrika richteten, gestalteten Kolonialvorstellungen und Siedlermythen, die bisher in der Afrikanistik wenig diskutiert wurden, aber große historische Bedeutung haben. Diese bezieht sich nicht ausschließlich auf die politischen Aspekte, sondern findet ihren Widerhall in kulturellen und sprachlichen Ausdrucksformen in Afrika: Lusotropikalismus oder eine lusofon-afrikanische Kulturgemeinschaft, der französische Spagat, der Nordalgerien zum französischen Mutterland erklärt und das Mittelmeer gleichsam vereinnahmt, der Export mediterran geprägter Lebensart, Literatur, Kunststile, Essgewohnheiten oder Architektur in die ehemaligen Kolonialgebiete oder Protektorate z.B. in Eritrea, Mosambik, oder Äquatorialguinea durch die selbst mediterran geprägten Kolonialmächte wie Portugal, Spanien oder Italien repräsentieren eine wenig erforschte mediterran-afrikanische Kulturgeschichte. In diesem Sinne ist das Mittelmeer immer schon mehr gewesen als nur der nördliche Saum Afrikas. Im Kontext gegenwärtiger Migrationen aus afrikanischen Regionen südlich der Sahara an und über das Mittelmeer nach Europa gewinnt dieses trennende Meer erneut an Bedeutung. Zunehmend werden dabei in afrikanistischer Forschung auch Fragen nach afrikanischen Diasporagemeinschaften aufgegriffen. Denn die Träger von Kulturen und Sprachen sind Menschen, und wenn diese wandern, wandern auch deren Kulturen und Sprachen. Spätestens mit dem massiven Anstieg von Migrationen seit Mitte des 20. Jh. ist afrikanistische Forschung daher nicht notwendigerweise nur auf den afrikanischen Kontinent bezogen, sondern im Prinzip überall dort von Relevanz, wo sich Afrikaner aufhalten. In gegenwärtigen kulturhistorischen Forschungsfragen wird dieser Tatsache zunehmend Rechnung getragen wie etwa im Rahmen der afrikanistischen Geschichtswissenschaft. Im deutschen Sprachraum gibt es gegenwärtig fünf Professuren, die durch institutionelle Verankerung oder Benennung des Lehrstuhls explizit auf die Geschichte Afrikas zugeschnitten sind.11 Nur die Forschungsinteressen von Brigitte Reinwald im Fachgebiet Afrikanische Geschichte der Universität Hannover weisen einen deutlichen Bezug zum Mittelmeerraum auf. Ausgehend von regionalwissenschaftlichen Fragestellungen wird afrikanische Geschichte in Hannover im Kontext globaler Interaktionen und Verflechtungen Afrikas und mit Blick auf afrikanische Diasporen untersucht (vgl. Reinwald u. Marfaing, 2001). Einen Schwerpunkt bildet hierbei die französisch-afrikanische Beziehungsgeschichte wie sie etwa im Einsatz afrikanischer Soldaten in den beiden Weltkriegen zum Ausdruck kommt (vgl. Reinwald u. Höpp, 2000; Reinwald, 2005). 11

Es sind dies Adam Jones (Universität Leipzig, Institut für Afrikanistik, Professur für Geschichte und Kultur in Afrika), Achim von Oppen (Universität Bayreuth, Professur für Geschichte Afrikas), Brigitte Reinwald (Universität Hannover, Historisches Seminar, Fachgebiet Afrikanische Geschichte), Andreas Eckert (Seminar für Afrika-Wissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin, Professur für Geschichte Afrikas), Kirsten Rüther (Universität Wien, Institut für Afrikawissenschaften, Professur für Geschichte und Gesellschaft Afrikas).

AFRIKANISTIK

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Eine weitere Quelle kulturhistorischer Forschungen ist die afrikanistische Literaturwissenschaft. Gegenwärtig gibt es einen 1997 eingerichteten Lehrstuhl für „Literaturen in afrikanischen Sprachen“ in Bayreuth (Said Khamis) sowie einen 1994 etablierten Lehrstuhl für „Literaturen und Kulturen“ am Seminar für Afrikawissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin (Flora Veit-Wild, seit 2011 Susanne Gehrmann). Während sich Bayreuth ausschließlich Literaturen in afrikanischen Sprachen zuwendet und keinen Bezug zum Mittelmeerraum aufweist, wird die Literatur Afrikas in Berlin im Kontext weiterer Literatur- und Kulturwissenschaften verortet. Entsprechend werden dort auch afrikanische Literaturen in den ehemaligen Kolonialsprachen in die Afrikanistik integriert. Gegenstand der Berliner Forschungen sind Geschichte und Gegenwart von Literatur, mündlichperformativer Erzählkunst, Theater und Film in (Nord-)Afrika, aber auch in der afrikanischen Diaspora (vgl. Gehrmann u. Riesz, 2004; Gehrmann u. Gilzmer, 2008). Mit Repräsentationen von Afrika und Afrikanern in der populären Kultur und mit der Geschichte der afrikanischen Diaspora in Deutschland beschäftigt sich auch die Afrikanistin Marianne Bechhaus-Gerst (vgl. z.B. Bechhaus-Gerst, 2003; 2004; 2006). Eine Erweiterung dieser Forschungsperspektive auf den Mittelmeerraum würde Afrikaner im Mittelmeerraum sowohl in historischen, wie auch in gegenwartsbezogenen Forschungsfragen in den Mittelpunkt rücken. Außerhalb Deutschlands bestehen ansatzweise Forschungsnetzwerke, die sich mit Fragen afromediterraner Kulturkontakte und Migrationen befassen. So beteiligen sich z.B. spanische, portugiesische und finnische Wissenschaftler unter Leitung von Y. Aixelà Cabré (CSIC-IMF, Barcelona) an dem Projekt „Gestaltung kultureller Vielfalt und soziopolitische Auswirkungen transnationaler Migrationen in zwei spanischen Ex-Kolonien: Äquatorial Guinea und Marokko“, in das auch die Afrikanistik (A. Fleisch, Helsinki) eingebunden ist. Es kann als Beispiel dafür dienen, wie sich die Afrikanistik verstärkt an den gesellschaftlich und politisch besonders relevanten Forschungen zur legalen und klandestinen Migration von Afrikanern beteiligt, in deren Rahmen subsaharanische Emigranten in Nordafrika und in Israel ebenso thematisiert werden können wie Flucht- und Wanderungsbewegungen in den nördlichen Mittelmeerraum. Vermehrt gehen Studien zu afrikanischen Diasporen im Mittelmeerraum in Anlehnung an das Konzept des Black Atlantic auch der Frage nach einem Black Mediterranean nach. Nennenswert in diesem Zusammenhang ist auch das Bestreben, den Mittelmeerraum (und davon ausgehend letztlich die Ursprünge westlich-europäischer Kultur insgesamt) zum Ableger afrikanischer Kulturgeschichte zu erklären. In dieser Sichtweise zieht sich eine Linie vom alten Ägypten, dessen schwarzafrikanische Wurzeln bereits bei Vertretern der Négritude wie Aimé Césaire und Léopold Senghor hervorgehoben werden, zur griechischen Antike (vgl. Bernal, 1987). So umstritten diese Thesen sein mögen, so sind sie doch konstitutiv für eine erstarkende, selbstbewusste Aneignung des Mittelmeers durch afrikanische und afroamerikanische Intellektuelle, aber auch durch heutige Bewohner des Mittelmeerraums mit familiärem, kulturellem und sprachlichem Hintergrund in Afrika.

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AFRIKANISTIK

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Ägyptologie Der mediterrane Bezug Ägyptens ist in allen Zeiten seiner Geschichte ebenso wie in seiner späten Vorgeschichte von besonderer Bedeutung (siehe z.B. Eiwanger, 1984, S. 59–63; Faltings, 1998; Hartung, 2001; van den Brink u. Levy, 2002). Neben Phasen der Nilotisierung gab es immer wieder Phasen mit interkontinentalen Verbindungen, wobei aus klimatischen und wirtschaftlichen Gründen Libyen und vor allem die Levante die Bezugsregionen waren. Bedingt durch Dürrezeiten suchten periodisch Nomaden Zugang zum Niltal, um ein Überleben mit ihren Herden zu ermöglichen. Damit kamen sie im historischen Ägypten immer wieder in Konflikt mit dem ägyptischen Königtum, das solche unkontrollierten Zuwanderungen zu hindern und ihnen sogar zeitweilig durch Entvölkerung von Grenzregionen zu begegnen suchte (Gundlach, 1994). Andererseits war Ägypten durch seinen steigenden Bedarf an Rohstoffen von seinen Nachbarländern abhängig. Man führte seit chalkolithischer Zeit Öle und Wein aus der Levante ein. Es ist zu vermuten, dass auf diese Weise auch Architekturkonzepte des Vorderen Orients Eingang in die werdende ägyptische Monumentalarchitektur gefunden haben. Man benötigte für den wachsenden Bedarf an herrschaftlichen und sakralen Bauten konifere Hölzer und für die Mumifizierung der Toten Pech aus dem Libanon. Für den Schiffsbau war man nicht nur auf das Holz, sondern auch auf die Erfahrung und Handfertigkeit der Schiffsbauer und schließlich auch der Seefahrer der syrischen Küste angewiesen, die man in großer Anzahl importierte, wie die Reliefs in den Totentempeln der Könige Sahure und Unas, beide aus der 5. Dynastie (ca. 2515–2360 v. Chr.), deutlich zeigen (Bietak, 1988, S. 35–40). Seinen Kupferbedarf deckte Ägypten nicht nur aus dem Rotmeerbereich, sondern auch aus der Araba. Ab der 13. Dynastie (ab ca. 1800 v. Chr.) wurde Zypern der Kupferlieferant Ägyptens. Der Bezug von Zinn war zu allen Zeiten schwierig und ein Problem. Für den wachsenden Pharaonenstaat gab es zu allen Zeiten Bedarf an Menschen, die man für Schwerarbeiten, aber auch für spezialisierte Berufe wie Textil-, Metallverarbeitung, Weinbau und für das Militär einsetzte (Helck, 1971, S. 352–369; Schneider, 2003, S. 201–290). Bereits seit dem Alten Reich gab es neben nubischen Kontingenten auch Libyer und Asiaten im ägyptischen Heer. Für Minenexpeditionen verwendete man gerne kanaanäische Spezialisten, die sich im Umgang mit Eselkarawanen, in der Bewältigung von Wüstenregionen und in Minenarbeiten als besonders tüchtig erwiesen (Seyfried, 1981). Diesen gelang auch in den Minen des Sinai in der Zeit der späten 12. Dynastie (2. Hälfte des 19. Jh. v. Chr.) die Erfindung der alphabetischen Schrift, die sich erst Jahrhunderte später als bahnbrechende Entdeckung und wichtiges Instrument der Region der Levante, der Ägäis und

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Abb. 1: Karte Ägyptens und des östlichen Mittelmeerraumes (nach Eiwanger, 1987).

schließlich des gesamten mediterranen Raums und der orientalischen Welt erweisen sollte.1 Was Landverbindungen anbelangt, war die westliche Wüste Ägyptens über Wadi Natrun und über den spärlichen Vegetationsgürtel entlang der Mittelmeerküste zu allen Zeiten die wichtigste Einzugsstraße für Viehzüchternomaden. Im Osten blieb die via maris entlang der levantinischen Küste und des nördlichen Sinai der Verkehrsweg der Nomaden nach Ägypten (Abb. 1). Das Pharaonenland versuchte, diese Verkehrsstraßen durch immer dichter werdende Serien von Festungen abzuriegeln und unter Kontrolle zu bringen, doch gelang es ihnen nicht, die 1

Gardiner, 1961; Goldwasser, 2010, S. 36–50, 74; 2012. Anderer Meinung ist Hamilton, 2006.

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geheimen Schlupflöcher durch die langenvon Grenzen zu schließen, sodass nicht Abb. 2: Plan des tuthmosidischen Palastes Peru-nefer bei Tell el-Dab’a (nach unbeBietak 2010, Abb. 6 u. 28).

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trächtliche Anteile von Genen der ägyptischen Bevölkerung aus Vorderasien, Libyen und im Süden aus Nubien stammten und die Kultur der Grenzregionen mitbestimmten (Bosch u. a., 1997; Kemp, 2006, S. 49–55). Die Beziehungen zu den Stadtkulturen Syriens wurden jedoch auf dem Weg über die Schifffahrt gepflegt. Im Austausch der Eliteschichten dieser Stadtstaaten und Ägyptens war das Land am Nil nicht nur der gebende sondern auch der nehmende Teil. Das Akkadische als Diplomatensprache und politische Fernverbindungen über Briefkorrespondenz wurde von der Fremddynastie der Hyksos, die aus dem syrischen Raum stammten, um etwa 1640 v. Chr. in Ägypten eingeführt, das damit in das Netzwerk internationaler Politik und Diplomatie eingebunden wurde. Mit Prestigegeschenken wie Kalzitgefäßen mit kostbaren Ölen suchte Ägypten ab dem Mittleren Reich und der Zweiten Zwischenzeit ausländische Beziehungen mit Fürstenhöfen im gesamten ostmediterranen Raum zu beeinflussen (Feldman, 2006). Besondere Empfänger waren Byblos, Kumidi, Qatna, Ebla, Ugarit, aber es ist auch auf die besonders kostbaren Gefäße des Hyksos Khayan (ca. 1600–1580 v. Chr.) in Knossos, Hattussas (Boghazköy), und auf einen Basaltlöwen desselben aus Baghdad (vermutlich aus Babylon) hinzuweisen (Labib, 1936, S. 31–34; von Beckerath, 1964, S. 130f., 271f.). Über das Mittelmeer hatte Ägypten bereits frühzeitig Beziehungen zur Ägäis, besonders mit Kreta aufgenommen (Warren, 1995). Wie der Export ägyptischer frühdynastischer und späterer Gefäße aus kostbarem Stein nach Kreta zustande kam, ist noch nicht genau erforscht, doch kann es als gesichert gelten, dass ab der Zeit des Mittleren Reiches (ca. 1996–1815 v. Chr.)2 kostbare minoische Stoffe mit kunstvoll gewebten Mustern, Öle und andere Kostbarkeiten nach Ägypten exportiert wurden. Umgekehrt gelangte ägyptisches religiöses Gedankengut wie umgewandelte Darstellungen der ägyptischen Nilpferdgöttin Taweret, nunmehr mit einem Schildkrötenrücken ausgestattet, als Diener-Genien der minoischen Götter in die Ägäis; die Sphinx fand als ein weiterer Genius Aufnahme in die Apliken der Keramik. Die Fayence Technologie wurde vermutlich von Ägypten aus in die ägäische Welt übertragen. In spätminoischer Zeit erreichten die Beziehungen zwischen Ägypten und der minoischen Thalassokratie ihren Höhepunkt. Minoische Emissäre tauchen in Wandmalereien ägyptischer Elitegräber in Theben West in der Zeit der Hatschepsut, des Tuthmosis’ III. und Amenophis’ II., beladen mit erlesenen Gütern der Ägäis, auf.3 Minoische Schiffe legen im Flottenstützpunkt Peru-nefer im östlichen Nildelta an und werden dort laut British Museum Papyrus 10056 in den Docks betreut (Glanville, 1931; 1932). Die Paläste Tuthmosis’ III. an diesem Platz (Abb. 2) wurden von minoischen Künstlern mit Malereien und Stuckreliefs ausgeschmückt (Abb. 3). Emblematische Greife, Stierspringerszenen und der Halbrosettenfries – ein Emblem des Palastes von Knossos – weisen auf höfische Beziehungen dieser zwei Zivilisationen in dieser Zeit hin (Bietak, Marinatos u. Palyvou, 2007). Es wird für möglich gehalten, dass diese Beziehungen gepflegt wurden, um die ägypti2 3

Jahreszahlen erfolgen zumeist nach Schneider, 2008; 2010. Zuletzt Duhoux, 2003; Panagiotopoulos, 2006.

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Abb. 3: Minoische Fresken aus dem tuthmosidischen Palast von Peru-nefer (Graphik: Maria Antonia Negrete Martinez nach Bietak, Marinatos u. Palyvou 2006)

sche Flotte als Instrument für die Kriegsführung der Tuthmosiden in der Levante auszubauen. In der späten Regierungszeit Tuthmosis’ III. lösten die Mykener die Minoer als Handelspartner ab. Topographische Inschriften auf Statuen-Basen im Totentempel Amenophis’ III. in Theben beweisen die intime Regionalkenntnis der Ägypter über die Ägäis im 14. Jh. v. Chr. (Edel, 1966; Edel u. Görg, 2005). Die Beziehungen Ägyptens mit der Levante und Kleinasien erreichten in der Zeit des Neuen Reiches (ca. 1551–1086 v. Chr.) einen absoluten Höhepunkt. Der Austausch von Prestigegütern von Hof zu Hof, politische Heiraten, die vor allem aus der Zeit Amenophis’ III., Echnatons bis Ramses II. besondere Bedeutung erlangten, führten zu einer immer größer werdenden Hofhaltung. Briefe, meist in der akkadischen Diplomatensprache dieser Zeit geschrieben, geben uns unmittelbaren Einblick in das politische Geschehen und die diplomatischen Gepflogenheiten dieser Epoche wie aus den auswärtigen Korrespondenzablagen in Amarna (1348–1331 v. Chr.; siehe Moran, 1992) und Boghazköy (ca. 1270–1224 v. Chr.; siehe Edel, 1994) hervorgeht. Ende der späten Bronzezeit, etwa nach 1200 v. Chr., ereignete sich im gesamten Mittelmeerraum ein Umbruch, wie er bisher in der Geschichte dieser Region nicht beobachtet wurde (z.B. Ward u. Sharp Joukowsky, 1992; Yasur-Landau, 2010). Das Hethiterreich, die mykenischen Paläste, Ugarit und andere bedeutende Staaten der Levante gingen zugrunde. Zypern wurde in dieser Zeit in seinen Grundfesten erschüttert. Auffallende kulturelle Transformationsprozesse sind auch in Mittel- und Westeuropa, der iberischen Halbinsel und der Apenninen-Halbinsel erkennbar. Wodurch dieses Ereignis ausgelöst wurde, ist weitgehend unerforscht. Es scheint eine Art Kettenreaktion gewesen zu sein. In der Levante mehrt sich jedoch anhand von Pollenprofilen der Nachweis einer Trockenperiode, die als Auslöser für Migrationen namhaft gemacht werden kann. Vermutlich gab es aber auch andere Gründe für dieses Phänomen. Der Niedergang des Neuen Reiches zur Zeit der 20. Dynastie (ca.1198–1086 v. Chr.) leitete wieder einmal eine politische Transformation des Landes am Nil ein. Die Ursachen waren mannigfaltig: der Verlust der ausländischen Provinzen in Kanaan und Nubien. Letzteres war die Goldquelle Ägyptens, das nunmehr nichts mehr Wesentliches aus dem Ausland eintauschen konnte. Misswirtschaft und Kor-

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Abb. 4: Das erstmalige Auftreten und die Zeitspannen mittel und spätzyprischer Keramik in der Stratigraphie der wichtigsten Grabungsplätze in Ägypten und der Levante (nach Bietak 2013b, Abb. 8.3)

ruption taten ihr Übriges. Seevölker waren noch unter Merenptah (ca. 1224–1212 v. Chr.) und Ramses III. (ca. 1195–1164 v. Chr.) in ihrem Bemühen abgewehrt worden, in Ägypten auf dem Landweg und über die Nilmündungen einzufallen (Stadelmann, 1968). Es handelt sich dabei wohl um verdrängte Populationen aus dem Umkreis der Ägäis und anderer Teile des Mittelmeerraumes, die sich mit Schiffen absetzten, um neue Lebensbereiche zu finden. Sie machten sich bereits ab Amenophis III. (ca. 1386–1348 v. Chr.) als Seeräuber und Söldner bemerkbar. Schließlich gründeten sie entlang der levantinischen Mittelmeerküste Königreiche und Fürstentümer, von denen das Philisterreich – die Pentapolis – das bedeutendste war (Dothan, 1982; Oren, 2000; Stager, 1995). Die politische Landschaft in der Levante änderte sich grundlegend (Finkelstein u. Na’aman, 1994; Killebrew, 2005). Aus den Provinzen, die einst von den Ägyptern und den Hethitern im Norden beherrscht wurden, rückten Phönikier und später Aramäer nach Süden. Einzelne kanaanäische Stadtstaaten konnten sich kulturell jedoch bis weit ins 1. Jt. v. Chr. halten. Protoisraeliten besiedelten Galiläa, das judäische Bergland und die Negeb. Ab dem 10. Jh. v. Chr. bildeten sie ein vereinigtes Königreich, das jedoch bereits im gleichen Jh. in zwei Teilreiche zerfiel. Bald danach wurde diese politische Unruhezeit vom ägyptischen König Scheschonq I. zu einem Einfall und einer Plünderungsaktion gegen Juda genutzt.4 Was den Seevölkern nicht gelang, war schließlich den Libyern beschieden. Sie unterwanderten ab König Merenptah (ca. 1224–1212 v. Chr.) das Delta, setzten sich auch in anderen Regionen Ägyptens wie das Fayum und die Thebais fest und bildeten gemäß ihrer Stammesorganisationen Fürstentümer, die zur Segmentierung Ägyptens führten (Kitchen, 1996; Leahy, 1990; Broekman, Demarée u. Kaper, 2009). Sie übernahmen schließlich in der Dritten Zwischenzeit die Herrschaft über 4

Zuletzt: Finkelstein, 2002; Wilson, 2005.

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das gesamte Land. Die Beziehungen zur Ägäis wurden völlig unterbrochen, rissen jedoch zur Levante nicht völlig ab, wie aus der Wenamun-Erzählung und aus spärlichen ägyptischen Importen in der Hafenstadt Dor zu erkennen ist. Ca. 722–664 v. Chr. kam Ägypten in die Abhängigkeit der 25. Dynastie, die aus dem napatanischen Königreich im Sudan hervorging und sehr innovative Impulse in der Geisteswelt, insbesondere in der Kunst Ägyptens, auslöste. Ihre politische Bedeutung wurde jedoch bald durch die Eroberung Ägyptens durch die Assyrer 676 und 671 v. Chr. beendet, denen es gelang, eine kurzzeitige Dominanz über die Levante und Ägypten zu errichten. Unterdessen blühte in der Ägäis eine neue Hochkultur mit dem archaischen Griechenland auf, das im Wettstreit mit den phönikischen/punischen Stadtstaaten fast den gesamten mediterranen Bereich kolonisierte und Grundlagen einer bedeutenden kulturellen Koiné schuf. Mit der 26. Dynastie (664–525 v. Chr.) aus Sais im Delta hatte Ägypten ein erstarktes Königtum, das wieder in der Politik des Nahen Ostens eine bedeutendere Rolle spielen konnte. Das Land am Nil wurde eine Attraktion für das Griechentum, das mit Söldnern, Seefahrern und als Handelsmacht mehr und mehr in Ägypten Fuß fassen konnte und schließlich eine Hellenisierung, besonders des nördlichen Teils des Landes, herbeiführte. Als maritimes Zentrum der Hellenen wurde die Hafenstadt Naukratis am westlichsten Deltaarm eingerichtet. Herodot (ca. 490/480–424 v. Chr.) vermittelte mit seinen Historien (Buch II–III) über Ägypten zur Zeit der ersten Perserherrschaft (525–404 v. Chr.) einen lebendigen Eindruck, der jedoch eher auf Hörensagen als auf eigener Anschauung beruhte. Das Hellenentum und die Fremdherrschaft der Perser riefen bald nationalistische Strömungen in Ägypten hervor, doch waren die Ägypter in ihren Freiheitsbestrebungen gegen die Perser zur Zeit der 28.–30. Dynastie gerade auf die Griechen angewiesen. Schließlich war es der Makedonier Alexander, der 332 v. Chr. Ägypten vor der Fremdherrschaft der Perser befreite. Ägypten wurde jedoch damit unter der folgenden Diadochen-Dynastie der Ptolemäer endgültig seiner kulturellen und politischen Eigenständigkeit beraubt, die es nur mehr im sakralen und funerären Bereich – zäh in der Tradition verharrend – aufrecht erhalten konnte (Hölbl, 1994). In der Römerzeit war der gesamte Mittelmeerraum das erste und einzige Mal in der Geschichte in einen Verband einer weitgehend kulturellen und politischen Einheit eingebunden. Ägypten war ein Teil dieser Koiné, bewahrte jedoch bis zur Christianisierung im religiösen Bereich sowie im Totenkult seine Eigenständigkeit, auch wenn man sonst ein völlig mediterranes Gepräge zeigte.

Eine einheitliche Chronologie im ostmediterranen Raum für die Geschichtsforschung Die Österreichische Akademie der Wissenschaften hat 1999–2011 beim Fonds zur Förderung wissenschaftlicher Forschung ein internationales Forschungsprojekt durchgeführt, das die Synchronisierung der Hochkulturen im ostmediterranen

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Raum im zweiten Jahrtausend v. Chr. zum Gegenstand hatte.5 Dieses Forschungsprogramm läuft eingebunden in eine internationale Forschungsgruppe weiter. Es ergaben sich dabei zwei Hauptstrategien. Zunächst erfolgte eine Überprüfung und Revision der ägyptischen Chronologie, die auf einem Netzwerk von Königslisten und Herrschernamen und Denkmälern, Genealogien, Synchronismen sowie auf Sothis- und Monddaten beruht.6 Eine Übertragung dieser historischen Chronologie auf die Levante, Zypern und die Ägäis sowie ein Brückenschlag zur mesopotamischen Chronologie7 erfolgte schließlich durch Erfassung der Exporte ägyptischer Artefakte in diese Regionen und durch Importe aus der Levante, Zypern und der Ägäis nach Ägypten. Der Transfer der historischen ägyptischen Chronologie auf archäologische Fundzusammenhänge gelang mit Hilfe von Fundmaterial in den inschriftlich datierten Residenznekropolen, der Kombination von damit vernetztem Artefaktmaterial und der Stratigraphie archäologischer Fundplätze, wobei Tell el-Dab‘a, die ehemalige Hauptstadt der Hyksos mit einer langen Feinstratigraphie eine besondere Rolle spielt. Schließlich wurde noch ein intensiver Vergleich der Stratigraphien der wichtigsten Siedlungshügel (Tells) vom Nordosten Ägyptens ausgehend entlang der Küste des Mittelmeeres von der südlichen Levante bis zum Südosten Anatoliens anhand des ersten Auftretens und der Lebensspannen der Leitartefakte hergestellt, wobei vor allem die chronologische Stellung der mittelund spätzyprischen Keramik wichtig ist, die im gesamten ostmediterranen Bereich auftritt (Abb. 4).8 Dieser Prozess zeigt bereits sehr überzeugende Resultate, ist jedoch noch nicht abgeschlossen. Geisteswissenschaftlichen wurden naturwissenschaftliche Untersuchungen gegenübergestellt, vor allem die Radiokarbonmessungen von kurzlebigen Pflanzen aus archäologischen Kontexten.9 Material aus ariden Kontexten, die archäologisch gut datiert werden konnten, zeigten nach Anwendung einer Bayesischen Statistik mit integriertem historischen Datenmaterial Ergebnisse, die harmonisch zu der historisch-ägyptologischen Chronologie passen. Radiokarbondaten der Hyksoszeit und des frühen Neuen Reiches aus dem Delta und der Ägäis liegen jedoch um bis zu 120 Jahre über den Ergebnissen der historisch/archäologischen Chronologie. Die Ursache dieses Phänomens ist noch nicht geklärt, doch scheint es auf Grund der historisch-archäologischen Chronologie ausgeschlossen zu sein, die Thera-Eruption ins späte 17. Jh. v. Chr. anzusetzen. Eine Datierung knapp vor 1500 v. Chr. ist auf Grund der Verbreitung spätzyprischer Keramik, die bis Thera reicht, sowie auf Grund ägyptischer Steingefäße in Schachtgräbern auszuschließen.10 Ebenso findet Bimsstein aus Thera erst ab der Thutmosidenzeit und der späten Bronzezeit in der Levante knapp vor 1500 v. Chr. Eingang in archäologische Schichten. Davor waren 5 6 7 8 9 10

Ergebnisse in der Reihe: Contributions to the Chronology in the Eastern Mediterranean I-XXXII, hg.v. Manfred Bietak und Hermann Hunger, Wien, 2000–2013. Vgl. o. Anm. 2 und Müller, 2006. Allgemein: Pruzsinszky, 2009; speziell: Bietak, 2013a, S. 81–84, 91–93. Bietak, 2013a, Fig. 8.3; Bietak, Kopetzky, Stager u. Voss, 2008. Zuletzt: Shortland u. Bronk Ramsey, 2013; Kutschera u. a., 2012. Vgl. o. Anm. 7.

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nur Bimse älterer Vulkane im Umlauf.11 Die Erklärung einer verzögerten Verbreitung in Werkstätten ist nicht glaubwürdig, da große Bimsmengen aus Thera an die damaligen Küsten Ägyptens geschwemmt wurden und sich durch hohe Qualität auszeichnen. Die Datierungsdiskrepanz von Thera ist daher trotz immer wiederkehrender Verlautbarungen nach wie vor ungeklärt.

11

Zuletzt: Sterba u. a., 2009.

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Alte Geschichte Die Bedeutung der griechischen und römischen Kulturen für die europäische Kulturtradition Die Alte Geschichte konzentriert sich in ihrer historischen Analyse auf die Kulturen des antiken Mittelmeerraumes in der Zeit zwischen ca. 1000 v. Chr. und ca. 600 n. Chr. Da die Geschichtswissenschaft – in Abgrenzung u. a. zur Ur- und Frühgeschichte – sich auf Kulturen fokussiert, die schriftliche Selbstzeugnisse hinterlassen haben, kam es in der althistorischen Forschung zu einer klaren Priorität zugunsten der griechischen und der römischen Kultur. Durch die breite Überlieferung literarischer Texte und das Überleben vieler materieller Zeugnisse, wie z.B. Kunst- und Bauwerke, entfalteten diese beiden antiken mediterranen Kulturen einen erheblichen Einfluss auf die europäische Kulturtradition. Dass die Scharnierepoche zwischen Mittelalter und Neuzeit als ‚Renaissance‘, als ‚Wiedergeburt‘ (= der Antike), bezeichnet wurde, ist ein vielsagender Beleg dafür. Die griechische Kultur setzte im Bereich der Kunst, Philosophie, aber auch des Theaters wesentliche Maßstäbe, an denen die zeitgenössischen Tendenzen und Leistungen lange Zeit gemessen wurden. Vor allem aber in der politischen Organisation und deren theoretischer Reflexion blieben die innovativen Entwicklungen im antiken Griechenland von wegweisender Kraft. Die Ausbildung der welthistorisch ersten Demokratie im klassischen Athen des 5. Jh. v. Chr. ließ diese Epoche zum Referenzpunkt späterer Entwicklungen werden. Emphatisch spricht der deutsche Althistoriker Christian Meier (1980) von der ‚Entstehung des Politischen‘ bei den Griechen. Die Römer waren zwar auch im literarischen und philosophischen Bereich von nicht geringer Bedeutung, wie man z. B. an der Rezeption Ciceros im politischen Denken der frühen Neuzeit sehen kann.1 Die Wirkung Roms entfaltete sich jedoch noch wesentlich intensiver durch die imperiale Dominanz im Mittelmeerraum. Das römische Imperium war welthistorisch die einzige Macht, die jemals das ganze Mittelmeer beherrschte und dies nicht nur kurzfristig, sondern über Jahrhunderte.2 Spätestens seit dem 2. Jh. v. Chr. bis zum 5. Jh. n. Chr. war der mediterrane Raum durch die imperialen Macht- und Geltungsansprüche römischer Herrschaftsformen geprägt. Seit dem Beginn der Kaiserzeit um Christi Geburt zeigen sich deutli1

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Gute Beispiele dafür sind Macchiavelli, 1977; Montesquieu, 1980; s.a. die amerikanische Verfassungsdiskussion nach der Loslösung von Großbritannien: Hamilton, Madison u. Jay, 1993; aktuell dazu s. Niggemann u. Ruffing, 2011. Gute Übersichten zu dieser Entwicklung geben Bringmann, 2002 und Christ, 2010, sowie die Bände 7–12 der Cambridge Ancient History.

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che Tendenzen, dass durch stetige Konversionsprozesse die mediterrane Welt in vielen Lebensbereichen zu einer römischen Welt wird. Die Machtentfaltung Roms führte schließlich dazu, dass dieser gemeinsame Kulturraum auch extramediterrane Räume wie Britannien, das heutige Österreich und Rumänien und Teile des heutigen Deutschland umfasste. Das Mittelmeer und seine kulturelle Prägung vollzog gewissermaßen eine Binnenwanderung, die dazu führte, dass sie zum Bestandteil der Kulturtradition von Räumen wurde, die eigentlich nicht der mediterranen Welt angehörten. Diese enorme prägende Wirkung und die Faszination des imperialen Erfolges ließen das römische Reich zu einem historischen Sehnsuchtsort in der europäischen Kultur werden, der die Einheit und die klare Ordnung der menschlichen Lebenswelt in einem Gemeinwesen verkörperte (Schulze, 2004, S. 20–22; Schaeder, 1957). Die Memorierung des römischen Reiches löste sich also für lange Zeit im Mittelalter und in der frühen Neuzeit aus seinem historischen Kontext und wurde zu einem Symbol für eine verlorengegangene ideale Lebenswelt. Im Zuge der Aufklärung und der zunehmenden legitimatorischen Defizite der absoluten Monarchien erfolgte im Laufe des 18. Jh. die Entwicklung einer Staatstheorie komplexer moderner Gemeinwesen, für die Rom und seine gesellschaftliche Ordnung, vor allem zur Zeit der Republik, ein entscheidender Referenzpunkt blieb (Shalev, 2009). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Wirkung der antiken mediterranen Kulturen nicht so sehr auf der räumlichen Kontinuität, sondern auf einer kulturellen Kontinuitätsbehauptung beruhte. Durch diese blieb der antike mediterrane Raum in der kollektiven Identitätssicherung der europäischen Regionalkulturen quasi als ‚enträumlichter Erinnerungsort‘ präsent, auch wenn diese weit vom Mittelmeer entfernt waren.3 Im Zuge der Nationalstaatsbildung im 19. Jh. geriet diese Identitätskonstruktion aber zunehmend in die Kritik: Der Bezug zur Geschichte des eigenen Raumes über die Epochen hinweg gerade in Abgrenzung zur mediterranen Kultur Roms wurde entscheidend. Dies galt sowohl für die Germanen – mit der prägnanten Leitfigur ‚Hermann der Cherusker‘– im Rahmen der völkischen Bewegung in Deutschland (Schulze, 2004; Puschner, 2012), wie auch durch die Betonung der gallischen Kultur in Frankreich, welche die französischen Autoren Goscinny und Uderzo im 20. Jahrhundert meisterlich in ihren Geschichten von Asterix dem Gallier selbstironisch thematisiert haben. Die althistorische Forschung reagierte auf diese Abnahme des direkten Bezuges auf die antiken Kulturen des Mittelmeerraumes mit dem Postulat einer besonderen Modernität, die diese Kulturen unter allen anderen frühen Kulturen ausgezeichnet habe und diese deshalb besonders geeignet für eine vergleichende Forschung mit Gegenwartsbezug mache.4 Allerdings haben spätere Forschungen diesen Bezug eher zweifelhaft erscheinen lassen (vgl. Finley, 1975). 3 4

Zur Bedeutung der Erinnerungsorte: Nora, 1993; zur Antike s. Hölkeskamp u. Stein-Hölkeskamp, 2010. Diesen Standpunkt vertrat besonders einflussreich Eduard Meyer in der sog. Bücher-MeyerKontroverse (s. Schneider, 1990).

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Die Bedeutung der Antike, aber auch das Spannungsfeld zwischen nationaler Identität und mediterranen Kulturen der Antike blieb jedoch bestehen.

Die Alte Geschichte und die Erforschung des Mittelmeerraumes Die Konzentration auf die Griechen und Römer als entscheidende Träger der kulturrelevanten Tradition Europas in der Antike führte in der Alten Geschichte dazu, dass der Mittelmeerraum nicht als Ganzes zeitübergreifend erforscht wurde, sondern sich die Intensität der Forschung zu den einzelnen mediterranen Regionen an der Präsenz der griechischen und römischen Kultur zu einem bestimmten Zeitpunkt orientierte. Man könnte also in der älteren Forschung von einer kulturzentrierten Konstruktion des Mediterranen in der Alten Geschichte sprechen, die sich von der Frühzeit bis zur Spätantike hält und bewirkt, dass es Dehnungs- und Kontraktionseffekte bei der räumlichen Reichweite der Untersuchungen gab. Dies gilt sowohl für die griechische wie für die römische Geschichte. Nachdem die griechische Kultur im 10. und 9. Jh. v. Chr. sich im Wesentlichen auf die griechischen Kerngebiete konzentriert hatte, erfuhr sie durch die Koloniegründungen der Griechen im westlichen Mittelmeer (Unteritalien, Sizilien, Südfrankreich und Teile der spanischen Küste) und im Bereich des Schwarzen Meeres seit dem 8. Jh. v. Chr. eine erhebliche räumliche Ausdehnung. Im 4. Jh. v. Chr. führte die Eroberung des Perserreiches durch den Makedonenkönig Alexander III. zu einer Ausdehnung des griechischen Einflusses über die ganze Region des östlichen Mittelmeeres bis nach Zentralasien hinein; eine Entwicklung, die in der Alten Geschichte unter dem Begriff des Hellenismus gefasst wird. Beide räumlichen Ausdehnungen und Verschiebungen im Mittelmeerraum wurden von der althistorischen Forschung nachvollzogen.5 Eine ähnliche Mitwanderung der Forschungsschwerpunkte in der Alten Geschichte ergab sich im Falle Roms. Mit der imperialen Ausdehnung kommen auch die Regionen in den Blickpunkt, die von der Expansion betroffen waren. Dies sind seit dem 4. Jh. v. Chr. die Völker Italiens, seit dem 3. Jh. v. Chr. das westliche Mittelmeer und seit dem 2. Jh. v. Chr. das östliche Mittelmeer.6 Ausdruck dieser privilegierenden Konzentration auf die Griechen und Römer war die Tatsache, dass andere Kulturen in diesem Raum als ‚Randkulturen‘ bezeichnet wurden (von Barloewen, 1961). Diese einseitige Konzentration auf die Kulturkontakte der Griechen und Römer im Rahmen der Forschung ist allerdings auch dadurch bedingt, dass die indigenen Völker im westlichen Mittelmeerraum kaum schriftliche Zeugnisse hinterlassen haben, die einen von der griechischrömischen Literatur unabhängigen Blick auf ihre Geschichte und gesellschaftliche Entwicklung zuließen. 5 6

Aktuelle Forschung zur Kolonisation s. Bernstein, 2004; zum Hellenismus s. Gehrke, 2008. Zum Forschungsstand in den einzelnen Epochen der römischen Expansion s. Cornell, 1995; Eckstein, 2008; Gruen, 1984.

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Im östlichen Mittelmeer gibt es zwar deutlich mehr Schriftzeugnisse, die jedoch nur selten ein klares Bild historischer Abläufe aus der Sicht dieser Kulturen ermöglichen. Zudem wurde für die Erforschung der Hochkulturen im östlichen Mittelmeer prägend, dass es seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert zu einer fachlichen Differenzierung zwischen Alter Geschichte und Altorientalistik kam, die schlicht dadurch bedingt war, dass die Entzifferung der vielfältigen Sprachen des Alten Orients die fachlichen Anforderungen so stark erhöhten, dass eine gemeinsame Forschungskultur kaum mehr möglich war.7 Der daraus resultierende Trennungsprozess bei der Erforschung des Mittelmeerraumes wurde für die Alte Geschichte noch dadurch begünstigt, dass es nach dem Zusammenbruch des orientalischen Staatensystems um 1200 v. Chr. für längere Zeit zu einer Abschwächung der Kulturkontakte nach Griechenland und in das westliche Mittelmeer kam. Diese Entwicklung führte dazu, dass auch für die späteren Phasen die Intensität der kulturellen Interaktion in der Forschung lange Zeit unterschätzt wurde. Die pejorative Sicht auf die orientalischen Kulturen und das persische Reich, die nach den Perserkriegen in Teilen der athenischen Klassik zu finden ist, haben die Begründung dieser Ausblendung der nicht griechisch-römischen Kulturen des östlichen Mittelmeerraumes erleichtert. Die Eroberung des Perserreiches, das zuvor das östliche Mittelmeer beherrscht hatte, durch den Makedonen Alexander ab 334 v. Chr. war ein Wendepunkt, der auch in der älteren Forschung zu einer neuen Sicht auf das Mittelmeer geführt hat. Die Etablierung griechisch dominierter Staaten in der Nachfolge des Alexanderreiches weckte das Interesse der Forschung an den Regionen in Kleinasien und dem Nahen Osten. Da sich im Westen parallel zur Ausdehnung der griechischen Kultur im Hellenismus der allmähliche Aufstieg Roms zur dominanten Macht vollzog, dehnte sich das Forschungsinteresse auf den gesamten Mittelmeerraum aus. Mit der Überwindung des ‚orientalischen Außenpostens‘ Karthago im westlichen Mittelmeer am Ende des 3. Jh. v. Chr. kam es aus dieser traditionellen Forschungsperspektive zur Vereinheitlichung des Mittelmeeres unter griechisch-römischer Kulturdominanz. Transmediterrane Austauschprozesse wurden von dieser Epoche an primär unter dem Aspekt der Interaktion zwischen griechischem und römischem Kulturbereich gesehen und dabei vor allem unter dem Gesichtspunkt des Einflusses der hellenistischen Welt auf die römische Gesellschaft. In den vergangenen Jahrzehnten hat die Forschung jedoch ganz neue Perspektiven erarbeitet. So wurde klar erwiesen, wie eng die Verknüpfung auch in der Zeit von 1000 bis 500 v. Chr. blieb. Ein wichtiges Beispiel dafür liefert der starke orientalische Einfluss auf die frühgriechische Literatur und das politische Denken der Zeit (West, 1988; Burkert, 1983; 1984). Aber auch für das frühe Rom wurden derartige Austauschprozesse plausibel gemacht.8 Das ursprünglich postulierte Zivilisationsgefälle zwischen dem dekadenten Orient und der aufstrebenden, modernen und 7 8

Einer der letzten ‚Universalgelehrten‘ in diesem Bereich war Eduard Meyer, der eine Geschichte des Altertums verfasste, die beide Kulturbereiche umfasste: Meyer, 2000. Ein Beispiel hierfür bildet die wichtige Studie von Hendrik Vernsel zum möglichen Einfluss der babylonischen Rituale auf die Etablierung des Triumphzuges in Rom: Versnel, 1970.

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europäischen Antike im griechisch-römischen Kulturbereich war nicht länger als forschungsleitende Annahme tauglich. Dies zeigt sich eindrücklich am Beispiel der phönizischen Gründung Karthago im heutigen Tunesien. Früher wurde diese Stadt – den römischen Vorwürfen in den Quellen folgend – oft als reine Handelsmetropole dargestellt, die von orientalischen ‚Pfeffersäcken‘ bewohnt wurde und damit im klaren Kontrast zum agrarisch geprägten Rom stand. Nicht selten schwang dabei auch eine klare Wertung über das moralische Niveau der Bewohner Karthagos mit. Aktuelle Arbeiten haben hier das Bild grundlegend revidiert und erwiesen, dass Karthago eine ganz normale Stadtrepublik war, deren orientalische Ursprünge sich in keiner Weise zu einer künstlichen Abgrenzung zu den griechischrömischen Stadtstaaten eignen (Ameling, 1993). Auch dies ist ein weiterer Beleg dafür, dass die aktuelle Forschung bemüht ist, die Rom- und Griechenlandzentrierung ihrer Interpretation aufzugeben und möglichst eine multiperspektivische Sicht auf alle Kulturen im antiken Mittelmeerraum einzunehmen. Vor dem Hintergrund dieser methodischen Neuausrichtung ist es zunächst verwunderlich, wieso die enorme Wirkung, die Fernand Braudels Buch zu den gemeinsamen Strukturen der Mittelmeerwelt entfaltete, in der althistorischen Diskussion erst mit deutlicher Verzögerung zum Tragen kam. Ein wesentlicher Grund dafür dürfte in der Tatsache liegen, dass die neuen Ansätze, denen Braudel als Vertreter der ‚Nouvelle Histoire‘ in Frankreich verpflichtet war, auf die Antike nur mit Schwierigkeiten zu übertragen waren.9 Die von Lucien Febvre und Marc Bloch begründete Forschungsrichtung, die nach ihrem Hauptpublikationsorgan auch ‚École des Annales‘ genannt wurde, setzte der früher dominierenden Ereignisgeschichte ein Modell entgegen, das mit Hilfe der Auswertung einer Vielzahl von Daten und Aspekten des Alltags eine tiefere Ebene der menschlichen Lebenswelt rekonstruieren wollte. Jenseits der unsteten Ereignisebene sollten fundamentale Strukturen menschlicher Lebenswelten erschlossen werden, die viel längerfristiger die Entwicklung menschlicher Gesellschaften bestimmten. Das Buch von Braudel war der große Wurf, der die vielfältigen methodischen Stränge der Theorie in einer historischen Analyse zusammenführte und exemplarisch umsetzte. In dieser Hinsicht bildete es unzweifelhaft einen entscheidenden Höhepunkt dieser Forschungsrichtung. Auf die Antike war diese Methode aber nur beschränkt anwendbar, da die antiken Quellen in den meisten Fällen nicht die nötige Breite an Daten über die Lebensverhältnisse bereitstellten, um diese neuen Formen der Mentalitäts- und Sozialgeschichte umzusetzen. So entstanden in der althistorischen Forschung Arbeiten aus dem Umfeld dieser Strömung, die durch individuelle Lösungen dieses Problems durch Autoren wie Vidal-Naquet (1989), Jean-Pierre Vernant (1974; 2004) und Paul Veyne (1994) geprägt sind. Trotz aller Schwierigkeiten aufgrund der Quellenbasis gab es aber auch in der Alten Geschichte Untersuchungen und Unternehmungen, die eine breitere Sicht auf die Kulturlandschaft des antiken Mittelmeeres etablieren wollten, um die klas9

vgl. dazu Coutau-Bégarie, 1989; Erbe, 1979.

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sischen Kulturen differenzierter in den Kontext einzubetten.10 Besonders intensiv waren die Bände der französischen Reihe ‚La nouvelle clio‘ bestrebt, dieses Ziel zu erreichen. So ist es programmatisch, dass viele der monographischen Beiträge den übergeordneten Bezug zum Mittelmeer demonstrativ im Titel tragen. Dies gilt für das Buch von Claude Baurain über Griechenland (Baurain, 1997) wie auch für die schon zu Klassikern gewordenen Beiträge von Jacques Heurgon (1980) und Claude Nicolet.11 Heute wird dieser Ansatz vielfältiger verfolgt. Nicht ohne Grund hat mit Nicholas Purcell ein Althistoriker zusammen mit Peregrine Horden, einem Mediävisten, die heute grundlegende Neuinterpretation der kulturellen Zusammenhänge im Mittelmeerraum geschrieben (Horden u. Purcell, 2000). Dass dies keinesfalls ein Einzelfall ist, zeigen umfangreiche Forschungsprojekte und Publikationsreihen, die die kulturellen und gesellschaftlichen Interaktionen zwischen den Teilen der Mittelmeerwelt und ihren angrenzenden Regionen untersuchen. Exemplarisch sei an dieser Stelle nur auf die wichtige, von Josef Wiesehöfer in Zusammenarbeit mit Pierre Briant, Amelie Kuhrt, Fergus Millar und Robert Rollinger herausgegebene Reihe ‚Orient und Occident‘ verwiesen.12 Auch die Tatsache, dass das antike Persien zunehmend das Interesse der Althistoriker auf sich zieht, zeugt von dem Bestreben, eine Gesamtsicht auf die Konstellation des antiken Mittelmeerraumes zu gewinnen, die nicht mehr von einer monokulturellen Konzentration geprägt ist (vgl. z.B. Wiesehöfer, 1994). Angesichts dieser Überwindung alter Einseitigkeiten in der Forschung melden sich allerdings auch gewichtige Stimmen zu Wort, die vor einer allzu starken Vereinheitlichung des Mittelmeeres als Kulturraum warnen. Sie fürchten, dass es durch eine Überbetonung der kulturellen Vernetzungen und Interaktionen zu einer künstlichen Homogenisierung des Mittelmeerraumes kommen könne, die der historischen Wirklichkeit nicht gerecht werde (vgl. Timpe, 2004). Zum einen war der mediterrane Kulturraum in der Antike sehr heterogen strukturiert: Stammesstaatliche Strukturen im westlichen Teil koexistierten über Jahrhunderte mit einer langen Tradition differenzierter Staatlichkeit im östlichen Teil, die über weite Strecken zur Ausbildung imperialer Großreiche geführt hat. In der geographischen Mitte, vor allem in Italien, Nordafrika und Griechenland, kam unabhängigen Stadtstaaten eine große Bedeutung für das soziale Leben zu. Angesichts dieser Vielschichtigkeit bleibt die Bedeutung der spezifisch mediterranen Dimension der antiken Kulturen im Fokus einer intensiven Diskussion.

10 11

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Vgl. z.B. die thematisch sehr weit gefassten und komparatistisch angelegten Sammelbände Chaniotis, 2011 und Knust u. Várhelyi, 2011. Nicolet, 1979; 1978 gab als eines der ersten Werke einen wirklichen Überblick über die mediterrane Welt zur Zeit der römischen Eroberung. Aber auch außerhalb dieser Projekte und Reihen gibt es interessante Einzelstudien, wie z.B. die Arbeiten von Sommer, 2000; 2006.

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Relevanz mediterranistischer Fragestellungen für die Alte Geschichte: Beispiele und Perspektiven Die Brüche und Spannungen können in der Forschung wahrscheinlich auch deshalb nicht so leicht überwunden werden, weil schon die antiken Kulturen selbst ihr Verhältnis zur mediterranen Dimension ihrer Lebenswelt in einer vielschichtigen Art reflektierten. Betrachtet man zum Beispiel in Griechenland und Rom den Bereich der identitätsstiftenden Selbstthematisierungen der eigenen Herkunft, so stößt man bei beiden Kulturen auf große mythologische Erzählungen von umfassender mediterraner Dimension. Im griechischen Kulturbereich stehen die homerischen Epen am Anfang der literarischen Tradition, die schon in der Antike eine enorme Wirkung entfalteten. Das zuerst entstandene Epos, die Ilias, beschäftigt sich mit einem zeitlich eng begrenzten Ausschnitt aus der zehnjährigen Belagerung der Stadt Troja durch ein gesamtgriechisches Heer. Das zweite Epos, die Odyssee, beschreibt die Rückkehr des Helden Odysseus in seine Heimat Ithaka, nachdem er vor Troja als siegreicher Anführer eines heimatlichen Kontingentes gekämpft hatte.13 Durch göttlichen Widerstand, der sich aus der Zerstörung der heiligen Stätte in Troja ergab, gestaltet sich diese Rückfahrt jedoch extrem kompliziert und langwierig. In einer zehnjährigen Irrfahrt durchkreuzt der Held fast das ganze Mittelmeer und besteht an vielen Stellen gefährliche Abenteuer. Trotz dieses gesamtmediterranen Handlungsplots, der die Hörer bzw. Leser in viele fremde Welten des mediterranen Kosmos führt, ist der regionale Zielpunkt, die Rückkehr nach Ithaka, immer präsent. Alle Kreuzungen und Wendungen der Geschichte lassen keinen Zweifel aufkommen, dass der Held schließlich in seine Heimat zurückkehren muss, damit die Geschichte einen sinnvollen Abschluss finden kann. Dazu werden die Ereignisse in der Heimat immer wieder mit eingeblendet und intensiv geschildert. Höhepunkt der Erzählung ist schließlich der Kampf des zurückgekehrten Odysseus in Ithaka um die Wiedergewinnung seines ihm gebührenden Platzes. Mit erstaunlichen Analogien, aber auch bemerkenswerten Differenzen erfolgte die Einbettung der Gründung der Stadt Rom in die mythischen Vergangenheitsentwürfe der späteren Weltmacht. Die in der späten Republik sehr populäre Deutung der Ursprünge Roms setzte bei der Zerstörung der Stadt Troja durch die Griechen an.14 Der mit den Trojanern verbündete Held Aeneas wird aufgrund seines vorbildlichen Verhaltens zum Ausgang einer neuen Gründung fernab der Heimat. Er rettet die heiligen Kultobjekte und als guter Sohn auch seinen Vater aus der untergegangenen Stadt. Schon früh wird ihm von den Göttern offenbart, dass sein Ziel im fernen Italien liege. Dennoch ist sein Weg dorthin von Irrfahrten im Mittelmeerraum und Versuchungen der vorzeitigen Sesshaftwerdung durchzogen. In Italien angekommen wird er nicht direkt Rom gründen, sondern erst in Alba Longa eine neue Dynastie etablieren. Die eigentlichen Ahnen Roms, Romulus und Remus, werden durch Erzählungen über Streit und Kindesaussetzung von dieser 13 14

Zur Odyssee und der Irrfahrt des Helden im Mittelmeer s. Hall, 2008; Wolf, 2009. Zu Aeneas und dem Epos ‚Aeneis‘ des römischen Dichters Vergil s. Suerbaum, 1999; Ross, 2007.

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Dynastie abgesetzt, so dass die originäre und von keinem Vorläufer direkt ableitbare Besonderheit des römischen Gemeinwesens unstrittig bleibt. Odyssee und Aeneis bieten als große Meistererzählungen der Antike im mediterranen Kontext aufschlussreiche Aspekte. Das Meer, die Weite und die Potentialität von Chancen und Risiken, die sich aus der maritimen Lage ergeben, werden ausführlich thematisiert. Doch bleibt bei beiden identitätsstiftenden Erzählungen die regionale Verwurzelung als klare Zielgröße erkennbar. Bei Odysseus ist es die Rückkehr als gesellschaftlicher Heilungsprozess der durch die Abwesenheit entstandenen Streitigkeiten, bei Aeneas ist es der von vornherein festgelegte ‚Fluchtpunkt‘ für die Neugründung eines zukünftig florierenden Gemeinwesens. Die mediterrane Mobilität wird in beiden Fälle zwar ausführlich thematisiert, muss aber zur Erfüllung des Kernziels in eine regionale Fixiertheit übergehen. Gerade diese Komplexität der Einbettung von Identitätskonstruktionen in das maritime Umfeld wird unter einer mediterranistischen Frageperspektive besonders deutlich, da sie die Spannung zwischen Regionalzentrierung und peripherer Mobilität pointiert herauszuarbeiten hilft. Die mediterrane Weite besaß für die Menschen offensichtlich eine höchst ambivalente Ausstrahlung: Den Chancen der Wohlstandsmehrung und des Neuanfangs wurde in klarer Form die feste regionale Verwurzelung entgegen gesetzt, der am Ende die eindeutige Priorität eingeräumt wurde. In der Aufzeigung dieses vielschichtigen Verhältnisses der antiken Völker zu dem sie umgebenden Meer liegen die großen Möglichkeiten eines mediterranistischen Forschungsansatzes für die Alte Geschichte. Dieser kann sich eben nicht auf die banale Aussage beschränken, dass Griechenland und besonders Rom im Mittelmeerraum liegen und deshalb sich ihre Geschichte notwendigerweise in diesem Raum entfaltet. Vielmehr geht es darum, Spannungsfelder zwischen regionaler Verankerung und maritimen Optionen deutlich werden zu lassen. Dabei ist darauf zu achten, dass nicht zu statische Lösungen angeboten werden, sondern die Dynamiken situativer Konstellationen im Blickfeld bleiben. Vor diesem Fragehintergrund entstehen weitere innovative Forschungsperspektiven. Ein Beispiel dafür wäre das Problem, warum sich im antiken Mittelmeer keine dominante Seemacht entwickelt hat. Die Frage von vornherein zu verwerfen, erscheint nicht angebracht, da das klassische Athen sehr wohl transmediterrane Dimensionen maritimer Kriegsführung bewiesen hat. Die großen Flottenexpeditionen nach Ägypten (460 bis 454 v. Chr.) und Sizilien (415 bis 413 v. Chr.) haben eindrücklich bewiesen, dass eine weitläufige maritime Strategie auch unter antiken Bedingungen möglich war. Ob das Scheitern dieser großräumigen Strategie schon deren Unmöglichkeit belegt, sollte jedoch von der Forschung überdacht werden. Im Laufe der antiken Geschichte wird eine ausgeprägte Landmacht, Rom, das ganze Mittelmeer über Jahrhunderte beherrschen. Auch diese Landmacht hatte im 3. Jahrhundert v. Chr. unter Beweis gestellt, dass sie fähig war, in kurzer Zeit riesige Flottenverbände aufzustellen und im Krieg erfolgreich gegen die große Rivalin Karthago einzusetzen (vgl. Linke, 2013). Dieses erstaunliche Phänomen der ‚eruptiven Seemacht‘ ist ein weiterer Beleg dafür, dass die mediterranistischen Forschungsperspektiven für die Alte Geschichte noch lange nicht abgeschlossen sind, sondern ihre anregende Wirkung sich erst zu entfalten beginnt.

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Erziehungswissenschaft / Bildungsforschung Definition des Faches und Relevanz des Mittelmeerraums für das Fach Pädagogisch interessierte Wissenschaftler haben in den vergangenen zweihundert Jahren intensiv darüber diskutiert, ob die Erziehungswissenschaft eine eigenständige Wissenschaftsdisziplin darstellt und welches ihre Forschungsgegenstände sind. Seit 1945 hat sich im Rahmen des Prestigegewinns der Sozialwissenschaften und neuer Anforderungen von Öffentlichkeit und Politik die Ausrichtung des Faches deutlich von philosophischen und geisteswissenschaftlichen Ansätzen hin zu sozialwissenschaftlichen Methoden und Konzepten verschoben. Die gegenwärtige Forschung definiert Erziehungswissenschaft in einem allgemeinen Sinn als Wissenschaft, die sich mit Erziehungs- und Bildungsprozessen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen beschäftigt und die Transformation von Lebensproblemen in Lernprobleme in Gesellschaften reflektiert und bearbeitet. Als Folge dieses Wandels hat das Interesse an Bildungsentwicklungen in anderen Ländern deutlich zugenommen. Während sich viele Teilbereiche der Erziehungswissenschaft als allgemeine und exakte Wissenschaften verstehen und Bildung, Erziehung und Lernen als kulturunabhängige Konzepte behandeln, beschäftigen sich vor allem die vergleichende und historische Bildungsforschung auch mit der Erforschung und dem Vergleich unterschiedlicher geographischer Regionen. Bildungsforschung lässt sich dabei definieren als Beschäftigung mit den Voraussetzungen, Möglichkeiten, Rahmenbedingungen und Effekten von Bildungsprozessen in einem weiteren institutionellen, gesellschaftlichen, internationalen und historischen Kontext1. Die Forschung hat sich in den vergangenen Jahrzehnten auch mit den Ländern des Mittelmeerraums beschäftigt, ohne dass allerdings bisher – von Ausnahmen abgesehen – die Region als Einheit oder Problemkontext identifiziert worden wäre.2 Die einschlägigen Enzyklopädien, Handbücher und Sammelwerke teilen den Mittelmeerraum – ohne diese Entscheidung zu reflektieren – in einen europäischen und einen arabisch-vorderasiatischen Teil. Die Staaten im Süden und Südosten Europas wie Italien, Spanien und Griechenland werden in den Nachschlagewerken zumeist einzeln behandelt und in Gesamtdarstellungen zur Bildungsentwicklung und -struktur in Europa besprochen.3 Demgegenüber bilden die arabischen Staaten 1

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Siehe Kraft, 2012, S. 348–50; Reuter, 2012, S. 166–168; Frost u. a., 2008, S. xi–xiv; Tenorth, 2004, S. 341–382. Vgl. nur Sandfuchs u. a., 2012; Horn u. a., 2012; Mertens u. a., 2009; Moon u. a., 2000; Husén; Postlethwaite, 1991. Angesichts der Fülle an Forschungsliteratur wird jeweils nur in symptomatischer Absicht auf einzelne Titel verwiesen. Siehe z.B. Hagemann u. a., 2011; Kaelble, 2002, S. 249–268.

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in der Regel einen gesonderten Untersuchungsgegenstand. Die Türkei und Israel nehmen eine uneindeutige Zwischenstellung ein. Ihre Bildungsentwicklung wird teils als eigenständige Größe behandelt, teils zusammen mit derjenigen der arabischen Länder erörtert.4 Der folgende Überblick unternimmt vor dem Hintergrund dieser heterogenen Forschungslage den Versuch eines knappen historischen Abrisses der Entwicklung der auf den Mittelmeerraum konzentrierten Bildungsforschung und erörtert einige Themen, die eine vergleichende Forschungsperspektive auf die Länder des Mittelmeerraums ermöglichen.

Forschungsgeschichte des Faches in Bezug auf Mittelmeerforschung Der Mittelmeerraum lag in der Phase der Etablierung der Erziehungswissenschaft als eigenständige Disziplin im Windschatten des Forschungsinteresses. Die frühen Wissenschaftler waren entweder als ausgebildete Philosophen oder Theologen an allgemeinen, kultur- und ortsunabhängigen Bestimmungen von Bildung, Bildsamkeit, Unterricht und Erziehung interessiert oder suchten als praktische Reformer nach Verbesserungen des Bildungssystems, von Schule und Unterricht im nationalstaatlichen Rahmen (Tenorth, 2008). Sie nahmen internationale Entwicklungen sehr genau wahr, interessierten sich jedoch hauptsächlich für Reformkonzepte, wie sie in den pädagogischen Zentren der fortgeschrittenen Industriestaaten erprobt wurden.5 Nur selten rückten Pädagogen und pädagogische Institutionen der Mittelmeerländer in den Blickpunkt des Interesses. Maria Montessori und ihre Arbeit in Italien bilden hier eine gewisse Ausnahme. Allerdings wurde Montessori nicht primär als Repräsentantin einer italienischen oder mediterranen Pädagogik verstanden, sondern als Teil einer transnationalen Gruppe von Bildungsreformern wahrgenommen (Böhm, 2010; Waldschmidt, 2010). Auch die Erziehungswissenschaftler in den Ländern des Mittelmeerraums, die sich im frühen 20. Jahrhundert im Zuge des Auf- und Ausbaus nationaler Bildungssysteme allmählich als eigenständige Gruppe herausbildeten, orientierten sich in ihrer Mehrheit an den prestigeträchtigen pädagogischen Modelleinrichtungen in Nordwesteuropa und den USA. Ihr Ziel war es, die dort entwickelten Konzepte in ihren Ländern zu popularisieren, sie an die landesspezifischen Gegebenheiten anzupassen und in die pädagogische Praxis zu überführen. Obwohl sie oftmals durchaus ein regionales Sonderbewusstsein als südeuropäische oder arabische Reformer entwickelten, sahen sie sich doch kaum als Repräsentanten eines umfassenden mediterranen Kulturraums. Ein Interesse an Bildungsentwicklungen in entfernteren Gebieten des Mittelmeerraums ist kaum festzustellen.6 Einzelne Versuche im Umkreis rechts-autoritärer und faschistischer Bewegungen in der Mitte des 20. Jahrhunderts, eine anthropologisch-kulturelle Andersartigkeit von Kindern und Bildung in einzelnen Ländern und Regionen des Mittelmeerraums wissenschaftlich 4 5 6

Als erster Überblick: Benhamida, 1990, S. 291–317. Oelkers, 2003, S. 7–31. Als Beispiel: Depaepe, 1993. Siehe nur: Viñao Frago, 2004; Sedra, 2011.

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zu belegen, fanden nur kurzzeitig Resonanz und wurden spätestens nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wieder aufgegeben (Wolff, 1980, S. 3–26; Álvarez de Cánovas, 1941). Nach 1945 lässt sich in der internationalen Bildungsforschung ein neues, entwicklungspolitisch motiviertes Interesse am Mittelmeerraum feststellen. Über die Analyse des Bildungssystems und der Bildungspolitik einzelner Länder und Regionen sollten wirtschaftliche Entwicklungspotentiale abgeschätzt und mobilisiert werden. Häufig gaben internationale Organisationen Untersuchungen in Auftrag, um eine fundierte Grundlage für bildungspolitische Eingriffe zu gewinnen.7 Die Studien erforschten die Umsetzung von Bildungsreformen durch einzelne Regime und versuchten, die Ursachen für Erfolge und Misserfolge der Reformen zu bestimmen. Sie wollten das Zusammenspiel von Bildung und sozio-ökonomischer Entwicklung besser verstehen und dadurch Leitlinien für zukünftiges bildungspolitisches Handeln gewinnen. Zielperspektive dieser wichtigen Forschungsrichtung bildete bis in die 1980er Jahre eine erfolgreiche liberal-kapitalistische und kulturelle Modernisierung der Mittelmeerländer. Die Etablierung eines modernen Bildungssystems nach US-amerikanischem oder nordwesteuropäischen Vorbildern wurde als zentrale Voraussetzung für eine dynamische Wirtschaftsentwicklung und die Errichtung einer liberalen Gesellschaftsordnung gesehen.8 Seit den 1970er Jahren lässt sich auch innerhalb der historischen Bildungsforschung ein neues Interesse an komparativer Forschung erkennen, in deren Rahmen auch die Mittelmeerländer Beachtung gefunden haben. Die Forschung untersuchte die Verbreitung pädagogischer Theorien, Institutionen und Praktiken über nationalstaatliche Grenzen hinweg. Bildungshistoriker – vornehmlich der mediterranen Länder selbst – fragten, wie pädagogische Modelle und Institutionen in der Region rezipiert und angeeignet wurden. Während die frühe Forschung in einem modernisierungstheoretischen Rahmen vor allem die allmähliche und konfliktreiche Durchsetzung „moderner“ Pädagogik verfolgte, betont die neuere Forschung mehr die Amalgamierung von Bildungstraditionen und neuem importierten Wissen.9 Erst seit dem Ende des Kalten Kriegs existieren institutionelle Anstrengungen, den Mittelmeerraum innerhalb der vergleichenden und historischen Bildungsforschung zu einem eigenständigen Untersuchungsfeld zu machen. Eine wichtige Initiative stellte die Gründung der Zeitschrift Mediterranean Journal of Educational Studies an der Universität Malta im Jahr 1996 dar. In den letzten Jahren hat das Fachjournal versucht, sich als Plattform für Studien zu Bildungsthemen im Mittelmeerraum zu etablieren und Forschungen zur Region anzustoßen. Die Zeitschrift will in kritischer Perspektive Defizite der Bildungssysteme und der Bildungsentwicklung in den Ländern des Mittelmeerraums aufdecken, die Effekte staatlicher und religiöser Einflussnahme auf Pädagogen und Bildungsinstitutionen untersuchen und die Auswirkungen der vielfältigen wirtschaftlichen und politischen Abhängigkeiten von den Ländern des „Nordens“ im Bildungsbereich disku7 8 9

Als frühes Beispiel: Matthews; Akrawi, 1949. Siehe nur: Horowitz, 1974; Hyde, 1978; Allman, 1979; Williamson, 1987. Epstein, 1991, S. 918–923. Siehe als jüngere Beispiele nur: Albisetti, 2009, S. 159–169; Caruso, 2010.

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tieren (Sultana, 1996, S. i-xi). Im einzelnen publiziert die Zeitschrift zumeist länderspezifische Studien. Vergleichende beziehungsweise transnationale Aufsätze sind selten. Unter dem Einfluss der postkolonialen Forschung hat sich ein Teil der bildungshistorischen Forschung in den vergangenen zwei Jahrzehnten schließlich verstärkt mit Bildung und Erziehung in den mediterranen Kolonialgesellschaften des 19. und 20. Jahrhunderts beschäftigt. Insbesondere die unterschiedlichen Bildungswege der Nachkommen der europäischen Siedler und der muslimischen Bevölkerung sowie der Identitätsbildung in den Schulen haben die Forschung beschäftigt. So wurden etwa die Versuche der französischen Kolonialmacht in Algerien analysiert, mithilfe von Lehrbüchern den muslimischen Jugendlichen ein „französisches“ Selbstverständnis zu vermitteln (Gosnell, 2002, bes. Kap. 2). Weiterhin ist das Thema der Mädchen- und Frauenbildung zu einem wichtigen Fokus der Bildungsforschung der Mittelmeerländer geworden, wobei insbesondere die Auswirkungen religiöser Traditionen auf die Bildungschancen und die Bildungskarrieren von Frauen erörtert worden sind (Christina u. a., 2007, S. 320–323).

Gegenwärtige mediterranistische Forschungsfragen und Perspektiven Obwohl das Konzept des mediterranen Raums bisher kaum Eingang in die Erziehungswissenschaft gefunden hat, lassen sich in der Forschung doch gemeinsame Problemlagen identifizieren, die die Bildungsentwicklung und die Bildungsdebatten vieler, wenn nicht aller Staaten der Region prägten und prägen. Eine erste Gemeinsamkeit ist die bis weit in die Gegenwart reichende Wahrnehmung eines Entwicklungsrückstandes des Bildungswesens gegenüber den führenden Industrieländern (Christina u. a., 2007, S. 320–323). Im 19. und 20. Jahrhundert kennzeichneten mangelnde finanzielle Ressourcen und eine damit einhergehende vergleichsweise schwache Ausgestaltung des Bildungssystems die Mittelmeerländer. Zwar existierten im mediterranen Raum prestigeträchtige Bildungseinrichtungen wie die AlAzhar Universität in Ägypten und wichtige religiöse Bildungstraditionen, doch gerieten diese authochtonen Traditionen und Institutionen seit dem 19. Jahrhundert durch das Vorbild und den Einfluss von Bildungskonzeptionen und Bildungssystemen der nordwesteuropäischen und nordamerikanischen Staaten unter Druck. Die Schwäche zentralstaatlicher Bildungsverwaltung und Bildungseinrichtungen ging einher mit einer großen Bedeutung privater, oftmals religiöser Bildungsanbieter. Zudem spielten ausländische Einrichtungen wie etwa amerikanische, deutsche und französische Schulen und Universitäten, an denen vielerorts die sozialen Eliten ihre Kinder unterrichten ließen, eine größere Rolle. Schließlich sahen sich die Länder vielfach mit einer Abwanderung von Studenten an prestigeträchtige Universitäten im Ausland konfrontiert. In der Folge bestimmten die Auseinandersetzungen zwischen Befürwortern einer raschen Aneignung „westlicher“ Bildungskonzepte und Methoden und den Fürsprechern einer Bewahrung und Erneuerung von als eigen wahrgenommnen Traditionen die Bildungsdebatten, die immer auch Fragen gesellschaftlicher Ord-

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nung und nationaler Identität verhandelten. In vielen Ländern lassen sich Versuche einer forcierten Westernisierung und Säkularisierung des Bildungswesens feststellen, so etwa in der Türkei seit Mitte der 1920er Jahre, im Spanien der frühen 1930er Jahre und in Ägypten seit den 1950er Jahren.10 Die kritische Auseinandersetzung mit „westlicher“ Bildungskultur war sicherlich in den südeuropäischen Ländern eine andere als in den islamisch geprägten Ländern des östlichen Mittelmeers, und in den Gebieten, die lange Jahrzehnte integrale Teile der europäischen Kolonialreiche gewesen waren, verliefen die Debatten wiederum anders. Doch stellte sich überall die Frage nach „Rückständigkeit“ und „westlicher Moderne“. Vor diesem Hintergrund stellten Debatten und Versuche einer aufholenden Modernisierung des Bildungswesens – oftmals unter autoritären Vorzeichen – eine Gemeinsamkeit der mediterranen Staaten dar. Der Bedeutungsverlust des dominanten modernisierungstheoretischen Paradigma eröffnet der neueren Forschung die Chance, diese Debatten stärker als bisher zu historisieren und ihren Auswirkungen für die Bildungssysteme, Sozialisation und Gesellschaft nachzuspüren. Eine weitere Besonderheit des mediterranen Raums besteht in der herausgehobenen Bedeutung religiöser Bildung und Bildungsinstitutionen in vielen Mittelmeerstaaten. Die Verfechter von religiöser und säkularer Bildung kämpften im 19. und 20. Jahrhundert in der Region in besonders ausgeprägter Weise um Einfluss auf Staat und Gesellschaft. Zwar drückten die Konflikte zwischen religiöser und säkularer Bildung der Bildungsgeschichte auch sehr vieler nicht-mediterraner Länder ihren Stempel auf, doch konnten die Religionsgemeinschaften ihren Einfluss auf das Bildungsdenken und das Bildungssystem im mediterranen Raum weit länger bewahren als in Nordwest-, Mittel- und Osteuropa. Die relative Schwäche staatlicher Bildungseinrichtungen war hierbei ein wichtiger Faktor. Der Katholizismus einerseits, der Islam andererseits – in Israel schließlich das Judentum – besaßen in Bildungsfragen zumeist eine Bedeutung, die ihren Einfluss in den ehemals führenden Industrienationen deutlich übertraf.11 Die hier kurz skizzierten Perspektiven einer vergleichenden Geschichte und Soziologie von Bildung und Erziehung im Mittelmeerraum bedürfen einer weiteren Erörterung, Vertiefung und auch Differenzierung durch die Forschung. Es erscheint keineswegs ausgemacht, dass sich der Mittelmeerraum als geographischer Fokus erziehungswissenschaftlicher Forschung gegenüber konkurrierenden räumlichen Gliederungsschemata durchsetzen kann und wird. Doch weisen die genannten Themenfelder darauf hin, dass sich eine eingehendere Beschäftigung mit dem mediterranen Raum auch aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive lohnt.

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Siehe nur: Üngör, 2011 (Kap. 4: Culture and Education in the Eastern Provinces), S. 170–217; Kössler, 2013; Cochran, 1986. Starrett, 1998; Boyd, 1997; Wolff, 1980, sowie die Länderbeiträge in: Davis, 2013.

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Ethnologie Definition des Faches und Relevanz des Mittelmeerraums für das Fach Wenn wir die fachgeschichtlichen Wurzeln der Mittelmeerethnologie freilegen und ihre Verästelungen über die Zeitläufte hinweg nachzeichnen wollen, bedarf es einer Klärung, welche Disziplin – oder welche Disziplinen – wir als Ethnologie bezeichnen. Das Fach hat unterschiedliche nationale Traditionslinien und ist, je nach Land, mit unterschiedlichen Disziplinen verbunden. Es bietet sich daher an, von einer nationalen Tradition auszugehen und von dieser aus dann die Bezüge zu anderen Traditionen herzustellen. In diesem Teil beginnen wir mit der deutschen Ethnologie. Diese ist heute eine Wissenschaft, die sich aus verschiedenen disziplinären Traditionen unterschiedlicher nationaler Provenienz speist. Die alte deutsche Völkerkunde fließt ebenso in sie ein wie etwa die amerikanische Cultural Anthropology, britische Social Anthropology und die Ethnologie Frankreichs. Bei all ihrer Verschiedenheit ist diesen Disziplinen die Beschäftigung mit dem Menschen als kulturell geprägtem und kulturprägendem Wesen gemeinsam. Die Hauptmethode, mit der man sich diesem nähert, ist der langanhaltende Aufenthalt im Forschungsfeld und hierbei vor allem die teilnehmende Beobachtung. Gerd Spittler (2001) hat vier Säulen dieser Methode identifiziert: die Anwesenheit vor Ort, die Forschungsdauer von mindestens einem Jahreslauf, die Kenntnis der lokalen Sprache und die Teilnahme an so vielen Aspekten des Alltagslebens wie möglich. Der heutige Fokus auf die Feldforschung und die Gegenwart lässt häufig vergessen, dass das Fach auch über eine kulturhistorische Zugangsweise verfügt – diese wird national und international allerdings seit den 1980er Jahren kaum mehr gepflegt, sie fristet gegenwärtig vielmehr ein Mauerblümchendasein. Heute trägt die deutschsprachige Ethnologie häufig andere Bezeichnungen. So ist es modisch geworden, sie als Kultur- oder als Sozialanthropologie zu bezeichnen. Dies ist wohl eher als Tribut an die angelsächsischen Schwesterdisziplinen zu verstehen, die heute die internationalen Leitdisziplinen darstellen und zu denen man Anschluss gefunden hat, als an den mit dem deutschen Anthropologiebegriff transportierten Sinn: denn tatsächlich fragt die Ethnologie weniger nach dem Wesen des Menschen als vielmehr nach den Eigensinnigkeiten einzelner Kulturen und Ethnien. Sie ist damit in der Praxis eher eine idiographische als eine nomothetische Disziplin. Die akribische und detaillierte Erforschung lokaler Kulturen steht somit im Vordergrund des Interesses, und dieses Interesse entfaltet sich in ganz konkreten Räumen.

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Naturvölker, schriftlose Kulturen, Kolonialvölker, primitive Völker, tribale Gesellschaften - wenn man die Bezeichnungen Revue passieren lässt, mit denen in der Fachgeschichte jene Kulturen beschrieben werden, denen man sich mit Vorliebe zuwandte, dann wird schnell ersichtlich, welche Gegenstände lange außen vor geblieben sind: Schriftkulturen, sogenannte Hochkulturen, Staaten und europäische Gesellschaften. Der Mittelmeerraum ist damit eine Region, die herkömmlicherweise lange aus dem Blickfeld des Faches fiel. Dies schließt zwar nicht aus, dass sich auch schon früh einzelne Forscher der Region zuwandten, wie wir in dem Teil über die Forschungsgeschichte der Ethnologie sehen werden. Generell lässt sich aber sagen, dass sich erst mit der sogenannten Krise der Ethnologie in den 1950er und 1960er Jahren – also mit der Entkolonialisierung – eine eigene Subdisziplin Mediterranean Anthropology herausbildete (Herzfeld, 1984): Zum einen war es vielerorts schwieriger geworden, weiterhin in den unabhängig gewordenen Exkolonien zu forschen, zum anderen lösten sich auch dort die traditionellen Gegenstände – tribale und bäuerliche Ethnien – zwar nicht auf, sie wurden jedoch auf vielfältigste Weise transformiert und in die neuen Nationalstaaten einbezogen. Der Mittelmeerraum bot hier eine geeignete Forschungsalternative für viele nord- und zentraleuropäische wie für die US-amerikanischen Ethnologen; er war sowohl zugänglich als auch gerade noch fremd genug, um sich ihm zu widmen. Um die neue Subdisziplin innerhalb des Faches zu etablieren, wurden nicht nur Einzelforschungen im Mittelmeerraum (Anthropology in the Mediterranean) durchgeführt, schon von Anfang an beschäftigte man sich auch in systematischer Weise mit Fragen nach dem Raum als Ganzem (Anthropology of the Mediterranean). In der Beschäftigung mit dem Mittelmeerraum lösten sich immer wieder jene Phasen, die nach Gemeinsamkeiten suchten, mit jenen Phasen ab, die das Gemeinsame in Abrede stellten. Gegenwärtig wird der Mittelmeerraum nicht mehr als Forschungsobjekt, sondern als heuristisches Forschungsfeld verstanden. Dies kann sich durch die politischen Ereignisse wie die Arabellion und die Eurokrise, die momentan die Mittelmeerwelt erschüttern, aber wieder ändern.

Forschungsgeschichte des Faches in Bezug auf Mittelmeerforschung Viele Länder verfügen über ethnologische Fachtraditionen, in denen Forschungen im Mittelmeerraum schon seit langer Zeit durchgeführt werden. Vor allem in Italien und Spanien gehen diese Traditionen zum Teil bis ins 19. Jahrhundert zurück, und es wurden – etwa von Ernesto De Martino (1959; 1961) über Süditalien oder von Julio Caro Baroja (1949) über das Baskenland – etliche herausragende Arbeiten verfasst. Der vorliegende Artikel widmet sich aber weniger ethnologischen Einzelfallstudien als vielmehr jenen Werken, die die Frage nach dem Mediterranen stellen, die eine Anthropology of the Mediterranean problematisieren und die eventuell sogar den Mittelmeerraum als Ganzes in der Einzelforschung mit berücksichti-

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gen.1 In dieser Hinsicht ist es angebracht, insbesondere auf die kolonialen, imperialen und internationalen Diskurse dominierender Wissensproduzenten abzustellen: auf die angelsächsischen Nationen, Frankreich, Österreich-Ungarn und Deutschland. Es gibt aber noch einen zweiten Grund, der die Behandlung distinkter nationaler Ethnologietraditionen gerade bezüglich des Mittelmeerraumes rechtfertigt (Driessen, 2001): in der Regel herrscht Unkenntnis und Distanz zwischen den einzelnen Mittelmeerethnologien: so nehmen angelsächsische Forscher die Arbeiten ihrer in Französisch oder Deutsch schreibenden Kollegen kaum wahr2, die französischen Forscher ignorieren die englischen und deutschen Texte weitgehend. Kleinere ethnologische Wissenschaftsnationen wie Deutschland oder die Niederlande dagegen orientieren sich stark an angelsächsischen Texten. Forschungen von Ethnologen aus mediterranen Ländern selbst werden wiederum nicht nur aufgrund der Tatsache, dass sie häufig an ein nationales Publikum gerichtet sind und daher in ihrer Muttersprache publiziert werden, vom internationalen Mainstream kaum wahrgenommen; bedeutend ist dabei auch der Umstand, dass das Fach seine Identität maßgeblich daraus speist, fremde Völker und Kulturen zu untersuchen – algerische Forschungen über Algerien stehen damit immer unter dem Verdacht mangelnder Objektivität.3 Beginnen wir mit der dominierenden Wissenschaftskultur, die sich auf ethnologische Weise dem Mittelmeerraum zuwendet: der Angelsächsischen.

A. Angelsächsische Ethnologien Auch wenn es gute Gründe dafür gibt, die amerikanische von der britischen Forschungstradition zu unterscheiden – erstere versteht sich eher als Kultur–, letztere eher als Sozialwissenschaft – so bietet es sich doch an, beide Traditionen zusammen zu diskutieren: amerikanische Forschungen beziehen sich stark auf britische und vice versa. 1

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Die Ursache für den ethnologischen Blick nach innen ist gerade in den jungen Disziplinen Griechenlands und Nordafrikas in der Suche nach einer Position innerhalb der akademischen Landschaft des jeweilige Landes zu suchen, so sie mit Folklorestudien und der Geschichtsforschung um einen anerkannten – und zu finanzierenden – Platz kämpfen. Ein spannendes und erfolgreiches Beispiel, in dem das Mediterrane zum Identitätsfokus wird, stellt die akademische Landschaft in Malta dar. Hier beziehe ich mich auf einen Ansatz von Mark-Anthony Falzon, den dieser in seinem Vorschlag für den Vortrag Mediterraneanism and the academy in Malta im Rahmen der Jahrestagung 2013 des Zentrums für Mittelmeerstudien (Bochum) folgendermaßen skizziert: Mit der Gründung des Mediterranean Institute an der University of Malta (1990) findet ein generelle Hinwendung zum Mediterraneanismus innerhalb der Maltesischen Universität statt. Das Institut spielt eine bedeutende Rolle für die Positionierung Maltas in der internationalen akademischen Landschaft und Malta wird selbst die Rolle eines Zentrums zugewiesen. Die Ethnologie stellt innerhalb des Institutes allerdings nur einen Bestandteil des Lehr- und Forschungsbehufes dar. Gilmores Forschungsüberblick über die Mittelmeerethnologie verarbeitet ausschließlich auf Englisch geschriebene Texte (Gilmore, 1982). Die Debatte um native anthropology wurde v.a. in den 1990er Jahren geführt (vgl. Haller, 2001).

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Vor allem für die britischen Social Anthropologists trat mit der Entkolonialisierung weiter Teile Afrikas und Asiens die bereits angesprochene Krise der Ethnologie ein. Der Mittelmeerraum wurde damit zu einem Zwischenraum zwischen Eigenem und Fremdem, in dem sich noch klassische Dorfstudien durchführen ließen. Bereits die ersten britischen Forscher der 1950er Jahre führten nicht nur Forschungen im Mittelmeerraum durch, sie thematisierten vor dem Hintergrund der im Kalten Krieg entstehenden Regionalstudien (Area Studies) bereits die Frage nach dem Mediterranen. Es wurden verschiedene Versuche unternommen, um die angelsächsische Mittelmeerethnologie zu periodisieren.4

Phase I Eine erste Phase erstreckt sich vom 19. Jh. mit Maine und Frazer (Silverman, 2001, S. 66) bis in die 1950er Jahre hinein. Erwähnenswert ist hier v.a., dass die frühen Ethnologen des Mittelmeerraumes keine Feldforscher waren und sich auch nicht mit gegenwärtigen Kulturen auseinandersetzten. Vielmehr griffen sie auf mediterrane Befunde zurück, um etwa kulturhistorische Fragestellungen zu verfolgen oder um allgemein-anthropologische Systeme mit mediterranem Material zu untermauern. Insbesondere Sir James Frazers kulturhistorische Arbeit The Golden Bough (1890) ist hier von Bedeutung, in dem er griechische und römische Religionsmythen mit ethnologischen Forschungen verband. Am Beispiel der heiligen Kultstätte Nemi arbeitet Frazer die Funktion des Priesterkönigs als einem Ausdruck des universalen Mythos des Gottkönigs, der sterben muss, um Fruchtbarkeit zu gewährleisten, heraus.

Phase II Die zweite Phase beginnt in den 1950er Jahren mit der Feldforschung des britischen Social Anthropologists Julian Pitt-Rivers über die spanische Kleinstadt Grazalema (Pitt-Rivers, 1961). Damit war er der erste angelsächsische Feldforscher, der den klassischen Gegenstandsbereich der Ethnologie – die kolonialen und überseeischen Kulturen – um ein mediterranes Feld erweiterte. Diese Forschung legte den einen Grundstein für weitere angelsächsische Forschungen im Mittelmeerraum. Eine Tagung auf Burg Wartenstein 1959 bündelte zum ersten Mal ethnologischmediterranistische Kompetenz – unter den Teilnehmern befanden sich Forscher aus den USA und Großbritannien, aber auch aus Frankreich, Spanien, Italien, Libyen und Griechenland (Silverman, 2001). John Peristiany und Julian Pitt-Rivers (1992) kombinierten strukturfunktionalistische mit mentalitätshistorischen Ansätzen, wobei besonders u. a. Wertegefüge 4

Vgl. Gilmore, 1982; Driessen, 2001; Silverman, 2001; Dir, 2005. Ich schließe mich i.d.F. der Gliederung weitgehend Y. Dir (2005) an.

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der untersuchten, zumeist bäuerlichen Gemeinschaften diskutiert wurden. Man versuchte auf einer Reihe von Symposia – etwa 1961, 1963 und 1966 in Athen – die ethnologische Diskussion auf die Verbindung von ländlichen Gemeinschaften mit dem Staat hin zu führen. Insbesondere Befunde über den ‚Ehre und Schande‘Komplex, wonach sich die Ehre des Mannes und der Familie aus dem Wohlverhalten der weiblichen Verwandten und aus der Fähigkeit, dieses erfolgreich zu kontrollieren, ergibt, wurden dort als Konstituente einer gemeinsamen Mittelmeerkultur erkannt. Erst in der Retrospektive werden diese Veranstaltungen auf das Thema von Ehre und Schande verengt – was darauf hindeutet, dass es wie so häufig im Wissenschaftsbetrieb die Nachfolger sind, die die Arbeiten der Vorgänger reduzieren, um sich mit eigenen Befunden von ihnen absetzen zu können. Ehre und Schande waren aber die einzigen thematischen Gemeinsamkeiten, die die Forscher identifizierten; zumeist spielten auf den Symposia eher kulturelle Varietäten eine Rolle, (pan)mediterranen Erscheinungsformen wurde ansonsten nicht nachgespürt. (Silverman, 2001, S. 46f.) In den USA war Eric Wolf von der University of Michigan einer der ersten etablierten Mittelmeerethnologen. Wolf wandte sich 1961 in einem Seminar über „Peasant Society and Culture“ erstmals einem Vergleich zwischen den Kulturen des nördlichen und des südlichen Ufers zu. Aus diesem Seminar erwuchsen eine Reihe weiterer Aktivitäten, etwa 1963 eine Konferenz in Ann Arbor zur Thematik „Village and its setting in the Mediterranean Area“. Daraus entstand in den frühen 1960er Jahren die Michigan Mediterranean Study Group, die 15 Forscher in verschiedene Regionen entsandte. In diesem Rahmen wurde 1966 auch die erste Mittelmeerkonferenz in Aix-en-Provence durchgeführt, um die verschiedenen Mittelmeerethnologen zusammenzubringen – aus dieser Gruppe waren Historiker und „native ethnographers“ aus den Anrainerstaaten ausgeschlossen (Silverman, 2001, S. 50ff.). In diesem Umfeld begannen einige angelsächsische Ethnologen langsam, sich als Mediterranisten zu verstehen, während andere sich nach wie vor eher als Islamoder Europaspezialisten verstanden. In dieser Phase wurden bedeutsame Fragen über den Zuschnitt der Regionalforschung gestellt. Warum etwa sollte ein Spanienforscher sein Material mit der Türkei oder Ägypten vergleichen anstatt mit Mexiko oder Argentinien? War es tatsächlich sinnvoll, so unterschiedliche Regionen wie die christliche Nordküste und den muslimischen Nahen Osten zusammen zu denken?

Phase III Ende der 1960er Jahre gerieten sowohl diese Ansätze als auch die Befunde selbst fachintern in die Kritik. Ganz im Zeichen der Zeit, beeinflusst von marxistischen und antikolonialen Perspektiven, rückte man von der Frage nach gemeinsamen Kulturmustern ab und stellte gesellschaftspolitische Themen in den Mittelpunkt der ethnologischen Analyse. Zum einen wandte man sich Klassenfragen wie dem Vorherrschen patronaler und klientelärer Beziehungen in der Administration oder

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den sozialen Konflikten zwischen Landbesitzern und Tagelöhnern zu. Zum anderen wurde nun nicht mehr nur auf dem Lande geforscht, man wandte sich verstärkt den urbanen Zentren zu (Kenny u. Kertzer, 1983), etwa in den proletarischen Vierteln Neapels (Belmonte, 1979), Athens (Hirschon, 1989), Barcelonas (McDonough, 1987) und Sevillas (Press, 1979). Vor diesem Hintergrund wurde die ‚Ethnologie der Werte‘ im Sinne Pitt-Rivers‘ und Peristianys als Mediterranismus gebrandmarkt, als eine idealistische Verirrung, die im Wesentlichen auf den Aussagen kleinbürgerlicher Informanten beruht. John Davis Buch The People of the Mediterranean (1977) trug maßgeblich dazu bei, die Frage nach dem Mediterranen des Mittelmeerraumes neu zu stellen. Davis (1977) und Boissevain (1979) legten damit die Grundlagen für die Entstehung der Unterdisziplin Mediterranean anthropology. Dabei stand zu Beginn die Frage nach der Definition der Region im Vordergrund. Diese erfolgte im Sinne des Faches nicht über geographische oder ökologische Merkmale, sondern über kulturelle. Demgemäß zeichnete sich der Mittelmeerraum aus durch eine starke städtische Prägung und ein hohes urbanes Ethos, durch eine Verachtung der ländlichen Lebensweise; durch politische Instabilität und schwache Staatlichkeit; durch Klientelismus und Patronage; eine rigide Geschlechtertrennung; eine starke Betonung kleiner familiärer Einheiten; einem Ehre-undSchande-Komplex, der sowohl die Sexualität als auch die persönliche Reputation betrifft; einen ausgeprägten Parochialismus; starke Konflikte zwischen benachbarten Dörfern; lokale Heiligenkulte, die an die territoriale Einheit gebunden sind; Muster der institutionellen negativen Bezeichnung (nicknaming); einer weiten Verbreitung des Glaubens an den bösen Blick. Neben der Suche nach solchen Gemeinsamkeiten gab es auch Ethnologen, die den Mittelmeerraum hinsichtlich seiner Lage im globalisierten Weltsystem, insbesondere der Zentren des Nordens, analysierten. Es kristallisieren sich somit bis zu den 1980er Jahren eine Reihe von Themen heraus, die auf mediterrane Gemeinsamkeiten abgeklopft werden: der Blick gilt nun der sozialen Stratifikation, historischen Forschungsansätzen, dem sozialen Atomismus, Konflikt und Familie, Ehre und sozialem Status, Klientelismus und Patronage, der Geschlechterdichotomie und der Magie des Bösen Blickes.

Phase IV Mit der Postmoderne wird die solchermaßen kulturell definierte Einheit des Mittelmeerraumes wieder hinterfragt und in seine Einzelteile zergliedert. Die Einheit des Mittelmeerraumes wird als ein Produkt kollektiver Vorstellungen demaskiert. Angestoßen durch die Forschungen des amerikanischen Ethnologen Michael Herzfeld (1984; 1989) wurde die noch in Phase III erarbeitete kulturelle Einheit selbst in Zweifel gezogen und der Mittelmeerraum im Nachklang zu Edward Saids Orientalism als bloße Konstruktion fremder Perspektiven (Mediterraneanism) entblößt.

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In die Kritik kam insbesondere die anthropologischen Grundannahme, die etwa Pitt-Rivers Arbeit unterliegt, dergemäß das Mediterrane auf gemeinsamen Kulturmustern basiere; dies lasse sich aber nicht beweisen. Desweiteren wurde die vermeintliche Rückgewandtheit vieler Studien kritisiert; noch immer wendeten sich Ethnologen auf der Suche nach Authentizität zumeist ländlichen Gemeinschaften zu, Städte und die Industriewelt, der Nationalstaat und die transmediterranen Verknüpfungen spielten dagegen selten eine Rolle. Dies trete insbesondere in der mediterranen Geschlechterforschung zutage: Akademiker aus Nordeuropa und den USA berauschten sich am Genderantagonismus und am Machismo mediterraner Gesellschaften, dieselben Ausprägungen in den eigenen Gesellschaften dagegen würden sie nicht thematisieren. Eine der Hauptkritiken an der alten Mittelmeerethnologie stammt von Ethnologen aus den Mittelmeerländern selbst (vgl. Esteva-Fabregat, 1979; Llobera, 1986; Pina-Cabral, 1989; Fogu, 2010, S. 2). Sie bestand im Anglozentrismus der internationalen Mittelmeerdebatte: im Diskurs der angelsächsischen Publikationen zur Region flössen insbesondere die Forschungen von US-Amerikanern, Briten und einigen anderen Nordeuropäern ein – die ethnologischen Forschungen der Mittelmeerländer selbst werden nicht wahrgenommen oder als folkloristisch und distanzlos gebrandmarkt. Perspektiven von Ethnologen aus den Mittelmeerländern wie Jacques Berque, Ernesto De Martino, Germaine Tillion, André-Georges Haudricourt, Charles Parain, Claudio Esteva Fabregat oder Julio Caro Baroja werden gar nicht anerkannt – ebensowenig wie die Forschungen deutscher Ethnologen (Adam u. Trimborn, 1958, S. 225, 226). Die Mediterranean Anthropology, so die verkürzte Version der Kritik, sei ein Produkt angelsächsischer Ethnologen. Daher fehlten den meisten Arbeiten auch jene Perspektiven, die in der angelsächsischen Ethnologie generell kaum berücksichtigt würden: die historische Tiefe, der Fokus auf materielle Kultur, Technologie, Nahrung, Magie und Heilpraktiken. In den 1990er Jahren, so der niederländische Ethnologe Henk Driessen (2001, S. 626), zerfasert das Konzept des Mediterranen innerhalb der Ethnologie. Für eine Weile sah es so aus, als würde der Mittelmeerraum als Kategorie gänzlich aus der Ethnologie verschwinden und/oder den alten Großkategorien Europa oder Naher Osten untergeordnet (Driessen, 2001, S. 626).

Phase V Die Publikation von Horden und Purcells Corrupting Sea (2000) wird in der Mittelmeerethnologie wie eine Befreiung aus dem Diskursdschungel der 1980er und 1990er Jahre empfunden. Insbesondere die Verknüpfung von Geographie, Topographie und Materialität mit Fragen der Gesellung und der Symbolisierung verlieh der Debatte neuen Schwung. Jenseits dieses Impulses ist in die Diskussion um das Mittelmeer als Kulturraum ein neuer Pragmatismus eingekehrt: im Einklang mit dem italienischen Ethnologen Dionigi Albera (1999) lässt sich feststellen, dass gegenwärtig der Mittelmeerraum als ein anthropologisches Laboratorium betrachtet wird – er stellt keinen Kulturraum dar, sondern ein Konzept heuristischer Be-

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quemlichkeiten, ein Studienfeld, aber kein Studienobjekt. Albera begegnet der Gefahr der Essentialisierung, die jeder Forschung und also auch der Area-Forschung innewohnt, dadurch, dass er die Beziehung zwischen Raum und Kultur kritisch reflektiert. Er steht damit in der Tradition der Reflexivität, die durch die WritingCulture-Debatte und durch Fardon (Fardon, 1990) angestoßen wurde; er bezeichnet seinen Ansatz als kritischen Essentialismus. Man kann sich Hauschild et. al. anschließen, die formulieren, dass der Mittelmeerraum heute wieder auftaucht als „concept of a patchwork, as a fragmented unity, as well as a coherent ‚laboratory‘ for anthropological comparison“ (Hauschild, Kottmann u. Zillinger, 2007, S. 312). Damit ist man allerdings nicht weit von Pitt-Rivers entfernt, der Ende der 1950er Jahre in seinem Antrag an die Wenner-Gren-Stiftung auf Förderung des o.a. Treffens auf Burg Wartenstein schrieb, dass die Fassung der Mediterranée als einem Kulturraum nur aus ihrem Nutzen für den ethnologischen Vergleich heraus gerechtfertigt ist (Silverman, 2001, S. 46).

B. Frankreich5 Das schon frühe disziplinäre Interesse am Mittelmeerraum wurde in Frankreich durch unterschiedliche Faktoren begünstigt. Die Lage Frankreichs als einem Mittelmeeranrainer mit politischen Interessen im Mittelmeerraum führte dazu, dass die Region schon lange Gegenstand von Historikern und Geographen, auch der Militärs und Sozialwissenschaftler war. Für diese letzte Gruppe ist besonders die politische und sozialreformerische Bewegung der Saint-Simonisten im 19. Jahrhundert – benannt nach seinem Begründer, dem Philosophen, Präsoziologen und Präsozialisten Henri de Saint-Simon – bedeutsam. Die Saint-Simonisten waren der Aufklärung verbunden und glaubten, den Weltfrieden durch die universale Verbreitung europäischer Wissenschaft und Technik sichern zu können. Da im Mittelmeerraum Orient und Okzident, Islam und Christentum aufeinandertreffen, kann der Weltfrieden nur durch eine Mittelmeerkonföderation gesichert werden. Die Allianz beginnt mit der Anerkennung des Anderen als anders. Dies formuliert jedenfalls der Saint-Simonist Michel Chevalier (1832) in der Zeitschrift Le Globe, wo er auch vom Mittelmeer als „Ehebett von Orient und Okzident“ spricht. Der Saint-Simonist Gustave Eichthal, Generalsekretär der Société Ethnologique de Paris, schließt sich in Algerien dem Sozialreformer Ismayl Urbain an. In ihren Lettres sur la race noire et la race blanche (Eichthal u. Urbain, 1839) befürworten sie die Vermischung beider Bevölkerungsgruppen. Durch diesen Beitrag stößt Eichthal die Entstehung neuer Disziplinen wie der Ethnologie und der Anthropologie mit an.6 Letztendlich waren auch die Saint-Simonisten der Überzeugung von der französischen Überlegenheit verpflichtet, auch ihr wohlwollender Kolonialismus führte 5 6

In diesem Teil folge ich weitgehend Bromberger, 2001. http://lire.ish-lyon.cnrs.fr/ESS/eichthal.html#orient [letzter Zugriff 20.01.2013]

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zur Ausbeutung und Unterdrückung. „Frankreich“, so Lepenies, „bleibt das Ursprungsland großer Mittelmeerprojekte. In ihnen werden Verengungen des europäischen Blicks auf das Mittelmeer sichtbar, die bis in die jüngste Gegenwart hinein auch die Politik bestimmt haben“ (Lepenies, 2011). Der Suez Kanal – sein Erbauer De Lesseps betrachtet sich als Erbe der Saint-Simonisten (Fabre, 2007, S. 357) – wie auch die Gründung noch heute bedeutsamer französischer Unternehmen sind auf den Saint-Simonismus zurückzuführen. Es wäre eine eigene Arbeit wert, in den Entwürfen des Soziologen Émile Durkheim und seines Neffen, des Ethnologen Marcel Mauss, mediterranistischen Gedanken nachzuspüren. Denn beide stehen in der Tradition der Saint-Simonisten. Mauss jedenfalls führte seine einzige – nur wenige Tage dauernde – Forschungsreise nach Marokko im Jahre 1929 durch und hinterlässt darüber ein kurzes, aber dichtes Manuskript, das er am 21. Mai 1930 im Institut Francais d’Anthropologie vorträgt. Darin beschäftigt er sich mit Stammesstrukturen und Riten, sowie mit den Unterschieden zwischen Arabern, Berbern und Schwarzen.7 Schon vor Mauss’ eigener Reise publiziert sein Schüler René Maunier (1927) eine Studie über das Taoussa-System der Kabylen, ein System des Tausches, der Verschuldung und des Wettbewerbs. Er ist vermutlich auch der erste französische Ethnologe, der einen vergleichenden Blick wagt, denn er findet ähnliche Tauschsysteme in Ägypten und in der Provence und nannte diese „un grand fait mediterranéen“ (Horden u. Purcell, 2000, S. 486). Mauss’ Schülerin Germaine Tillion (1907–2008) führt auf Anraten des Lehrers ab 1934 bis weit ins hohe Alter hinein Forschungen in Algerien durch, etwa zum Stammesleben halbnomadischer Berber, zur Situation der Algerier durch den Bürgerkrieg oder zur Rolle der Frau im Mittelmeerraum (Tillion, 1957). Neben diesen frühen genuin ethnologischen Arbeiten spielten bei der Erforschung des Mittelmeerraumes auch Humangeographen, Humanisten und Kulturpsychologen eine große Rolle, da sie die heutige französische Mittelmeerethnologie nachhaltig beeinflussten (Bromberger, 2001). Diese sollen hier aber nur erwähnt werden, sie finden in diesem Handbuch Niederschlag in einem eigenen Kapitel von Andreas Eckl und Axel Fleisch. Das Mittelmeer als Gegenstand der französischen Humangeographen beginnt im späten 19 Jh. mit dem Kapitel La Mediterranée in Elisée Reclus’ Buch Nouvelle géographie universelle (Bromberger, 2001). 1936 veröffentlicht Charles Parain sein Werk La Méditerranée, les hommes et les travaux. In den 1930er Jahren initiierte Marc Bloch ein vergleichendes Forschungsprojekt zu Bauerngesellschaften in Europa und dem Nahen Osten (Le paysan et la terre), aber aufgrund des Zweiten Weltkrieges wurde das Projekt 1939 eingestellt. Einige Forschungsergebnisse wur7

Er ist allerdings nicht der erste französische Ethnologe im Mittelmeerraum; so weist Mauss selbst in der Einleitung zu seinem Forschungsbericht darauf hin, dass es weder an fähigen Personen noch an Material fehle, um eine ständige ethnographische Dienststelle und ein ethnographisches Museum Marokkos einzurichten. Siehe: Mauss, 1930; 1980 (Bericht am Institut français d’anthropologie von einer 1929 unternommenen Reise).

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den dennoch publiziert, so Jacques Weulersses wichtige Studie Les paysans de Syrie du Proche-Orient, die 1946 erschien (Albera u. Blok, 2001). Fernand Braudels La Méditerranée et le monde méditerranéen à l’époque de Philippe II im Jahre 1949 kommt eine zentrale Bedeutung für die französische Mittelmeerforschung zu, das Werk findet in den Geschichtswissenschaften dieses Handbuches eine gesonderte Würdigung. Die französischen Humanisten der Zwischenkriegszeit (Bromberger, 2001; Ohana, 2003; Fabre, 2002) entwarfen in den 1930er und 1940er Jahren Gegenbilder zu den gewalttätigen Erfahrungen des Kolonialismus, des italienischen Faschismus und des Zweiten Weltkrieges. Der Schriftsteller Albert Camus etwa verteidigt das multiethnische (Camus nennt es das „mediterrane“) Mittelmeer gegen das lateinisch geprägte Mittelmeer Mussolinis. Dabei greift er auf den Topos des Mittelmeeres als eines Raumes der multikulturellen Koexistenz und der Toleranz zurück, insbesondere auf das Kalifat von Córdoba und das Königreich Sizilien Friedrichs II. Die französischen Kulturpsychologen der 1930er bis 1960er Jahre schließlich (Bromberger, 2001), etwa der Archäologe und Ethnograph Fernand Benoit, gehen von der Existenz eines gemeinsamen mediterranen psychischen Substrates aus, das es zwar ebenfalls im Norden gebe, dort aber zumeist von den Prozessen der Rationalisierung und der Modernisierung überdeckt werde. Wie die französische Ethnologie als Ganzes, so wurden auch diese spezifisch mediterranen Ansätze von der internationalen Fachgemeinschaft lange weitgehend ignoriert. Arbeiten mit einer vergleichenden Perspektive und einem zirkummediterranean Fokus wie diejenigen von Parain oder Haudricourt hatten keinen Einfluss auf die internationale Mittelmeerdebatte. In den 1970er Jahren kam es durch die Gründung einer Arbeitsgruppe im Musée de l’Homme unter Roger Bastide zu ersten Ansätzen, die mediterranistischen Arbeiten französischer Ethnologen zu bündeln. Weitere ethnomediterranistische Aktivitäten entfalteten sich – mit starken historischen Akzenten – im Umfeld von Germaine Tillion. Erst in den 1980er Jahren organisierte sich an der Université Aix-en-Provence im Umfeld von Christian Bromberger und Georges Ravis-Giordani ein mediterranistisches Forscherteam. In der Folge eines Colloque International über „L’anthropologie et la Méditerranée: unité, diversité, perspectives“ im Jahre 1997, das vom l’Institut d’Ethnologie Méditerranéenne et Comparative in Aix-enProvence organsiert wurde, etablierte sich ein noch heute bedeutendes Netzwerk von Mittelmeerethnologen.

C. Österreich-Ungarn8 In der Ethnologie der Donaumonarchie spielte die ethnographische Beschäftigung mit den einzelnen Volksgruppen des Reiches eine bedeutende wissenschaftliche 8

In diesem Teil folge ich weitgehend Johler, 1999.

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und politische Rolle. Die wissenschaftliche Erfassung, Bestimmung und Präsentation der einzelnen ethnischen Gruppen waren hierbei von zentraler Bedeutung. Das nach dem Thronfolger Rudolf sogenannte Kronprinzenwerk etwa erfasste Völker und Regionen in einer 24-bändigen landeskundliche Enzyklopädie. Die Monarchie definierte sich als Macht auf dem Balkan und als Übergangsraum zum Orient. Vor diesem Hintergrund müssen die Habsburger Orientpolitik, die Beziehungen zum Osmanischen Reich und zum Adriaraum verstanden werden. Aus dieser Sicht galt es zu klären, was „Balkan“ und „Orient“ bedeuteten und wo diese begannen. Hier spielt der mediterrane Teil des Reiches, Dalmatien, als Übergangsraum zum Orient, wo Ost/West, Süd/Nord, Vergangenheit/Zukunft sich treffen, eine wichtige Rolle. Dalmatien verkörpert gewissermaßen den Schnittpunkt zwischen Habsburg, Orient, Byzanz, Venedig und den balkanischen Kulturen. Durch diese Schnittlage galt Dalmatien als Kontaktpunkt der Zivilisationen, die dort stark miteinander kontrastierten. Trotz dieser Lage zwischen den großen Kulturräumen wurden Dalmatien und Istrien ein archaischer Charakter zugeschrieben. So vermutete etwa Michael Haberlandt, der Gründer des Wiener Völkerkundemuseums, gerade dort könne man reichhaltige Forschungsergebnisse alter Geschichten und archaischen Materials erwarten.9 Neben der ethnographischen und folkloristischen Befassung mit ethnischen Eigenheiten, so wie sie im Kronprinzenwerk beispielhaft zum Ausdruck kommt, spielten biologische Fragen, etwa Vorstellungen über die Existenz einer „mediterranen Rasse“10 im wissenschaftlichen Diskurs der Doppelmonarchie eine untergeordnete Rolle. Ethnographische Fragen dominierten, und aus politischer Sicht galt es, diese in – um im dalmatischen Beispiel zu bleiben – mediterrane Schlüsselsymbole (z.B. dalmatische Textil- und Trachtenkunst) zu überführen, die dann wiederum als handwerkliche Produkte zur Mehrung des wirtschaftlichen Reichtums der Region und des Reiches beizutragen vermögen. Als Vorläufer der Mittelmeerforschung im Allgemeinen und der Mittelmeerethnologe im speziellen wird heute auch der Erzherzog Ludwig Salvator aus der toskanischen Nebenlinie der Habsburger wieder entdeckt. Ludwig Salvator war ein vom Mittelmeer begeisterter landes- und naturkundlicher Forscher, der mit seiner Yacht Nixe zahlreiche Reisen durch alle Gewässer des Mittelmeerraumes durchführte. Der Mittelmeerraum stellte für ihn eine Einheit dar, die es zu erfassen galt. Sein Wissensdurst steht damit ihn der Tradition Alexanders von Humboldt. Neben der Erfassung von naturkundlichem Material erhob er auch zahlreiches ethnographisches Material, etwa durch die Teilnahme an lokalen Festlichkeiten und die systematischen Befragungen „einfacher“ Leute. Ludwig Salvator schrieb umfangreiche Monographien etwa über die Balearen, die Liparischen Inseln und die griechische Inselwelt. Da diese Bücher aber nur in kleiner Auflage gedruckt und nur in privaten Rahmen verteilt wurden, blieb ihr Einfluss lange gering. 9 10

Haberlandt, 1911, zit. in Johler, 1999. Baskar, 1995 sowie Haberlandt, 1920, beide zit. in Johler, 1999.

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D. Deutschland Die deutsche Völkerkunde beschäftigte sich erst relativ spät systematisch mit dem Mittelmeerraum. Dies liegt in unterschiedlichen politischen wie ideengeschichtlichen Ursachen begründet. Deutschland verfolgte im Wilhelminischen Zeitalter mit der Osmanischen Partnerschaft und dem Panthersprung nach Marokko durchaus koloniale Interessen in der Region; nach dem Ersten Weltkrieg aber wurden keine bedeutenden politischen Interessen im Mittelmeerraum verfolgt. Im Zweiten Weltkrieg war die Region v.a. von militärstrategischer Bedeutung, insbesondere durch die Allianz mit Italien, das Unternehmen Felix (Eroberung des britischen Stützpunktes Gibraltar) und der Operation Dora (Sabotage der britischen Nachschubwege in der Sahara und im Sudan).11 In der Zeit des Kalten Krieges spielte die Bundesrepublik am Mittelmeer hauptsächlich durch den Tourismus eine wichtige Rolle. Ethnologische Forschungen wurden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft in den unabhängig gewordenen ehemaligen Kolonien Afrikas und Asiens, sowie in Amerika gefördert, nicht aber im Mittelmeerraum. Nach dem Ende der Blockkonfrontation arrangierte man sich mit Frankreich: während man seine eigene Einflusssphäre im Osten sah, überließ man Frankreich den Mittelmeerraum und den Süden. Geistesgeschichtlich zeichnete sich die deutsche Völkerkunde bis in die 1960er Jahre weitgehend als kulturhistorisch oder kulturmorphologisch geprägt aus. Im Zentrum der Disziplin standen schriftlose Kulturen in Übersee, deren Vergangenheit es in die Geschichte hereinzuholen galt. Die Schwesterdisziplin der Volkskunde dagegen kümmerte sich um Deutschland. Europa und der Mittelmeerraum waren somit – insbesondere aufgrund der reichen Schriftkultur – disziplinär weitgehend unbehaust. Die Auffassung, dass man sich mit Europa und dem Mittelmeerraum nicht zu beschäftigen brauche12, wurde in programmatischen Verlautbarungen (Dittmer, 1954; Adam u. Trimborn, 1958; Tischner, 1959; Freudenfeld, 1960) zum Aufgabenbereich der Völkerkunde zwar abgelehnt – in der wissenschaftlichen Praxis der Forschung und der Lehre jedoch wurde ihr zugestimmt. Neben dieser generellen Ablehnung der Befassung mit dem Mittelmeerraum durch das Fach führten vereinzelt Ethnologen Forschungen in der Region durch: Martin Heydrich, immerhin einer der fünf Ordinarien bei Kriegsende, vertrat im Einklag mit der nationalsozialistischen Ideologie „den Standpunkt, dass auch bodenständige europäische Kulturen Heimatrecht in den Völkerkunde-Museen und in der ethnologischen Forschung haben“ sollten. In der Forschungspraxis führten deutsche und österreichische Völkerkundler und Ethnologen seit längerem Forschungen im Mittelmeerraum durch: Martin Heydrich im Baskenland, Dalmatien, Italien und Nordafrika, Wilhelm Bierhenke in Spanien, Helmut Fuchs in Lampedusa und Pantelleria, Hermann Jungraithmayr in Korsika, Herbert 11 12

Hier wurden u. a. Ethnologen eingesetzt, die sich bereits vor dem Kriege wie Hans Rhotert als Kenner der libyschen Wüste erwiesen hatten. Nowotny, 1961, S. 60, zit. in Jettmar, 1964, S. 269; Mühlmann, 1954.

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Melichar und Walter Pöldinger in Sardinien. Nach dem Krieg arbeitete Georg Eckert in Mazedonien (Eckert, 1950) und Sardinien (Eckert, 1957), G. A. Martin Mueller in Menorca (Mueller, 1956), Wilhelm Giese in Italien (Giese, 1967). In den 1960ern forschte Helmut Petri in Korsika und Griechenland, Ulla Johansen arbeitete in der Türkei. Johansens Mentor Wilhelm Emil Mühlmann erkannte bereits zu Beginn der 1960er Jahre nicht nur, dass Europa ein Feld für die ethnologische Gegenwartsforschung darstellt13, sein Heidelberger Sizilien-Arbeitskreis führte auch in der Praxis Feldforschungen vor Ort durch. In Rom besuchte die Forschungsgruppe den italienischen Ethnologen Ernesto de Martino, dessen Assistentin Clara Gallini sich Mühlmann als seine Nachfolgerin in Heidelberg gewünscht hatte. In Sizilien beabsichtigte man, v.a. Fragen der Assimilation zu untersuchen. Mühlmann wählte Sizilien, weil er an den Migranten in Deutschland interessiert gewesen war. Andalusien und Griechenland schienen ihm zu groß, Sizilien hatte gerade das richtige Ausmaß. Das zentrale Ergebnis der Forschung war, dass man das simple ökonomische Push-and-Pull-Modell, nach dem damals die Arbeitsmigration interpretiert wurde, ergänzen konnte: Neben den ökonomischen Ursachen waren es v.a. soziale Gründe – insbesondere die soziale Kontrolle –, die die Sizilianer zur Emigration führten. An diesem Arbeitskreis nahmen eine Reihe von Forschern teil, die auch später ethnologisch oder soziologisch mit Europa verbunden blieben: Roberto Llaryora (Soziologie), Christian Giordano (Ethnologie) und Emil Zimmermann (Psychiatrie). Für Letzteren stellte die Sizilienforschung eine Möglichkeit dar, die Krankheitsbilder der Migranten in Deutschland in ihrer Herkunftsregion zu untersuchen. Mit der Krise der Feldforschung, die im Zuge der Entkolonialisierung entstand, und dem offensichtlichen Schwinden der klassischen Gegenstände des Faches – der schriftlosen Völker oder der Naturvölker – beschäftigten sich angelsächsische Ethnologen seit den 1950er Jahren zunehmend mit Europa und vorerst insbesondere mit dem Mittelmeerraum (vgl. Haller, 2004, S. 29ff.). Als deutsche Ethnologen dieser Entwicklung in den 1980er Jahren folgten, ging es international längst nicht mehr nur darum, im Mittelmeerraum ethnologisch (in the Mediterranean) zu forschen, sondern bereits die Frage nach dem Mittelmeerraum als Kulturraum (of the Mediterranean) nachzudenken. Dieser systematischen Fragestellung wandte sich auch die jüngere Generation deutscher Mittelmeerethnologen seit etwa 1980 zu. Mit dem Hallenser Ethnologen Thomas Hauschild wurde 1986 (in Tübingen) ein expliziter Mittelmeerethnologe im Fach erstmals auf eine Professur berufen. Danach folgte nur noch Waltraud Kokot in Hamburg. Die anderen mediterran ausgewiesenen Ethnologieprofessorinnen und –professoren wie etwa Dorle Dracklé in Bremen, Werner Schiffauer in Frankfurt/Oder und der Autor selbst in Bochum arbeiten nicht in genuinen Fachinstituten. 13

Interview Zimmermann 15.02.2011: http://www.germananthropology.com/cms/media/uploads/4e53c3529aa15/interview_4e8f1756e95 ca.pdf [letzter Zugriff 20.01.2013].

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Es steht zu vermuten, dass die gut 20-jährige Lücke in der Beschäftigung mit Europa den gesellschaftlichen Entwicklungen geschuldet ist: Deutschland und die westeuropäischen Gesellschaften erlebten in dieser Zeit nicht nur eine ungekannte Modernisierung, sondern auch eine soziale Angleichung der Lebensverhältnisse durch die Wohlstandsgesellschaften. Traditionelle Welten, denen sich Volks- und Völkerkunde bislang zuwandten, wurden zunehmend von der Moderne überlagert (Bausinger, 1961). Gleichzeitig lässt sich diese Zeit als soziologisches Jahrzwanzig bezeichnen, in der auch in der Ethnologie zunehmend problemorientierte Forschung durchgeführt wurde. Europa war aber schon das Betätigungsfeld der problemorientierten Forschung der Soziologie. Mit dem gleichzeitigen Abschwung der kulturhistorischen Forschung in der Ethnologie rückten Europa und der Mittelmeerraum ins Blickfeld deutscher Ethnologen. Hauschilds Bedeutung für die deutschsprachige Mittelmeerethnologie ist nicht zu unterschätzen. Zusammen mit Heide Nixdorff (Hauschild u. Nixdorff, 1982) organisierte er eine Tagung, die den Dialog zwischen Völkerkunde und Volkskunde suchte und Europa – dem der Mittelmeerraum damals noch untergeordnet war – als Forschungsfeld innerhalb der deutschen Ethnologie konstituierte. Ein Jahrzehnt später, 1993 in Sankt Augustin, organisierte er zusammen mit Werner Schiffauer und Waltraud Kokot den ersten Kongress für Europäische Ethnologie. Dort erwies sich bereits, dass die überwiegende Mehrzahl der Tagungsteilnehmer im Mittelmeerraum arbeitete. Dadurch führte er meist junge, am Mittelmeer interessierte Forscher zusammen, die mittlerweile zum Teil ethnologische Lehrstühle bekleiden (Gisela Welz, Dorle Dracklé, Dieter Haller). In Tübingen und Halle bildete er mit Martin Zillinger (Zillinger, 2012), Sina Kottmann (Kottmann, 2010), Michaela Schäuble14, Barbara Peveling (Peveling, 2011) und Jamina Dir (Dir, 2005) eine erste und zweite Generation von Ethnologen aus, die sich durch Qualifikationsarbeiten sowohl als Anthropologists in the Mediterranean als auch als Anthropologists of the Mediterranean ausgewiesen haben. Etliche Vertreter dieser neuen Generation sind auch dem Bochumer Zentrum für Mittelmeerstudien verbunden, in das der Autor seit 2009 eine ethnologische Konturierung mit eingebracht hat.

Gegenwärtige mediterranistische Forschungsfragen und Perspektiven In der Gegenwart werden mehr ethnologische Feldforschungen im Mittelmeerraum durchgeführt als jemals zuvor. Dabei werden – um nur ein paar Beispiele der jüngsten Forschung aus dem deutschsprachigen Raum zu nennen15 – so unterschiedliche Themen wie die Konstruktion sozialer Körper jüdischer Gemeinschaften 14 15

Michaela Schäuble, i.V. Narrating Victimhood: Gender, Religion, and the Making of Place in PostWar Croatia (contracted with Berghahn Books). Vortragstitel des Workshops Körperbilder und Bildkörper: Rituelle Ökologien und sakrale Landschaften im Mittelmeerraum auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde 2011 in Wien.

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im Mittelmeerraum (B. Peveling), Ritualpraktiken im Mevlevi-Sufismus (R. Canlı), Begegnungen mit Djinn im östlichen Mittelmeerraum (G. Fartacek), der Prophetengeburtstag in Marokko im “arabischen Frühling“ (M. Zillinger; M. Amjahid), Koptisch-orthodoxe Rituale im Umgang mit den Folgen von Terror (C. Weisskoeppl), Landschaftsgebundene Marienverehrung in Dalmatien (M. Schäuble), die Ajvatovica Pilgerreise (E. Delalić) und Katholische Identität in Nordalbanien (A. Hemming) bearbeitet. Solche nicht auf den deutschen Kontext beschränkte Vielfalt ist sicherlich der Expansion der akademischen Ethnologien ganz generell, insbesondere aber auch der wachsenden Ethnologien in den Mittelmeerländern selbst geschuldet. Darüber hinaus publizieren heute auch spanische, griechische und italienische Ethnologen zunehmend in anglophonen Medien und werden dadurch international mehr wahrgenommen. Neben der Zunahme an ethnographischen Einzelstudien, die sich häufig auf die Nischenmetapher von Horden und Purcell (2000) beziehen (Hauschild, Kottmann u. Zillinger, 2007), wendet man sich in der Gegenwart übergreifenden Fragestellungen nach dem Mediterranen oder der Anthropology of the Mediterranean wieder weniger zu. Es scheint eine Pendelbewegung zu geben zwischen dem Interesse am Einzelfall und den Fragen nach dem Ganzen. In der Folge werden drei neuere Ansätze vorgestellt, die den Mittelmeerraum in der Gegenwart als etwas über den Einzelfall Hinausgehendes fassen.

A. Rückkehr zur Ethnographie und zur induktiven Theoriebildung Der erste Ansatz wird von John Borneman vertreten, der stellvertretend für jene Ethnologen angeführt wird, die zwar gegenwärtig im Mittelmeerraum arbeiten, sich aber der Klassifizierung als Mediterranean Anthropologists versagen, da sie sich zum Einen als Einzelfallspezialisten und zum Anderen als Ethnologen ohne Bindestrich verstehen. Anstatt sich vorgegebenen Bezeichnungen wie „mediterranean“ anzuschließen, plädiert Borneman für die Entwicklung von Theorien aus dem dichten empirischen Material heraus. Sein Ansatz ist damit eine Bekräftigung der alten Stärken des Faches als Ganzes, die nach seiner Auffassung – auf der Suche nach dem Anschluss an bestehende Theorien – mittlerweile allzu schnell vernachlässigt werden.16 Bornemans Forschung über Väter und Söhne in Syrien (Borneman, 2007) sowie über die Arabellion (Borneman, 2011; 2012) hinterfragt die postmoderne Diskurshegemonie innerhalb der Ethnologie über den Nahen Osten und den Mittelmeerraum kritisch: gerade die Forschungen der letzten 20 Jahre über die arabischen Anrainerstaaten fokussierten zu sehr auf die Beziehung zu den ehemaligen Kolonialstaaten bzw. auf die Folgen des Kolonialismus. Häufig werden Phänomene aus 16

Diese Auffassung führte zur der Reihe Being There (University of California Press), die Borneman seit 2009 zusammen mit Abdellah Hammoudi herausgibt.

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dem arabischen Raum – insbesondere Geschlechterbeziehungen – ausschließlich in ihrer Bezüglichkeit zum (post)kolonialen Regime interpretiert. Gerade die syrische Revolution zeige aber, dass dieser akademische Reflex den Blick verenge beziehungsweise in die Irre leite. Denn den syrischen Revolutionären gehe es nicht um postkoloniale Fragen, sondern um eine rein innersyrische Angelegenheit. Die meisten Syrer wünschen sich ähnliche Freiheiten, wie sie im Westen herrschen, sowie Rechtssicherheit. Zwar streben einige Islamisten unter den Revolutionären ein Kalifat an, aber auch dies ist kein postkolonialer Anspruch. Oder deutlicher: die Revolution richtet sich nicht gegen die ehemalige Kolonialmacht Frankreich, die neoimperialen USA oder die Schutzmacht Russland, sondern gegen die syrische Ordnung Assads. Borneman versucht dadurch auf Scheuklappen der heutigen Ethnologie hinzuweisen, die der Begegnung und dem intermediären Raum (Borneman, 2011) nur noch selten Platz lasse, sondern sich im theoretischen Diskursdschungel17 verstricke, ohne der ersten Pflicht des Ethnologen nachzukommen: der dichten Ethnographie durch akribische Dokumentation. An der Erfüllung dieser Pflicht gebricht es seiner Meinung nach nicht nur der Ethnologie des Nahen Ostens und der Mittelmeerethnologie, sondern dem Fach als Ganzes. Somit plädiert Borneman für eine Stärkung der akribischen, dichten und komplexen Ethnographie, aus der heraus theoretische Einsichten zu entstehen vermögen.

B. Das Mittelmeer als soziale Konstruktion der Mediterranen selbst Mein eigener Ansatz zur Erforschung des Mediterranen stellt wiederum Akteure in den Mittelpunkt. Der Mittelmeerraum als Forschungsobjekt ist nicht nur eine Projektionsfläche von Wissenschaftlern des Nordens, so wie das Said (1978) und Herzfeld (1984; 1989) formuliert haben. Die wichtige Fokussierung auf Kulturräume als einer Konstruktion (westlicher) Wissenschaftler […] vermag zwar den Zusammenhang zwischen Wissen und Macht zu enthüllen; den Blick darauf, dass die Projektion von Begehren oder Abscheu auf geographischen Räume eine anthropologische Konstante zu sein scheint, kann dadurch aber leicht verstellt werden: Schließlich ‚erträumen’ sich nicht nur abendländische Gelehrte fremde Räume, das machen auch die lokalen Experten und unsere klassischen Informanten, die ›einfachen‹ Menschen, denen wir uns forschend zuwenden. (Haller, 2008, S. 118)

So verfügen die Bewohner des Mittelmeerraumes selbst über Vorstellungen über diesen Raum, beziehungsweise Vorstellungen davon, was mediterran ist (Haller, 2004; Herzfeld, 2005). Diese Vorstellungen werden in bestimmten Formen – sei es 17

Borneman beklagt beim Mainstream der Ethnologie das, was Duerr drei Jahrzehnte zuvor über die Soziologie beklagt hat: „Diese Wissenschaftler betreten ein blühendes Land und verlassen eine Wüste – alles verdorrt unter ihren Händen, in denen sie nur noch vertrocknete, tote Stengel halten“ (Duerr, 1985, S. 121).

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solchen der Rede, der Körpersprache, der Artefakte, der Kunst, der Literatur, des Filmes, des Städtebaues, des Tourismus und der Politik – ausgedrückt. Dabei handelt es sich nicht nur um akademische, sondern vor allem um alltagskulturelle Ausdrucksformen. Diese nationalen und indigenen Mittelmeervorstellungen müssen in die internationale Mittelmeerethnologie hereingeholt werden. Die Leitfrage, der ich etwa in meinem Feldforschungsprojekt zum Hafen von Tanger (2013/2014) nachging, ist somit die Frage danach, wo das Motiv des Mediterranen im Mittelmeerraum wirksam wird. Analog zu Ulrich Becks Ausdifferenzierung der Globalisierung in die drei Begrifflichkeiten der Globalität, des Globalismus und der Globalisierung (Beck, 1997) spreche ich von Mediterranität (also jenen Phänomenen, die als mediterran bezeichnet werden). Diesem Aspekt wandte sich die Ethnologie der Vergangenheit häufig zu (z.B. über das Ehre-und-Schande-Syndrom und über den Klientelismus). Erstaunlich ist, dass das Meer selbst und seine kulturelle, technologische und politische Bewältigung und Aneignung durch die Anrainerkulturen kaum thematisiert wurde. So spielen Fischerei- und Hafenkulturen in der Mittelmeerethnologie kaum eine Rolle, ebenso wenig die Kultur von Matrosen und Hafenarbeitern oder der Einfluss des Umbaus und der Verlagerung von Häfen (etwa durch Gentrifizierung der Stadthäfen und Auslagerung der Wirtschaftshäfen) aus den Städten selbst. Dass dabei in der Gegenwart bestimmte Phänomene (insbesondere Kleidung, Nahrung und Wohngestaltung) zu privilegierten Trägern der Mediterranität geworden sind, hängt vermutlich mit deren Kommodifizierbarkeit zusammen und fügt sich nahtlos in die im neoliberalen Zeitalter angestrebte Transzendenz des Nationalen (Fogu, 2010). Mediterranismus (also jene politischen, sozialen oder auch künstlerischen Bewegungen, die auf den Mittelmeerraum als einer ideologischen Ressource zurückgreifen). Hier geht es zum einen um lokale und regionale Ideologeme, die eine Differenz der Küstenregionen gegenüber den nationalen Zentren behaupten (wie Tanger vs. Rabat, Alexandria vs. Kairo, Izmir vs. Ankara, Barcelona vs. Madrid). Auch in Gibraltar wirkt der Mittelmeerraum für lokale Akteure als identitätsstiftend, um ethnische und religiöse Partikularismen zu überdecken und eine kosmopolitische Ordnung jenseits des Britischen und des Spanischen zu imaginieren (Haller, 2004). Zum anderen geht es um die soziale und kulturelle Lebenswelt von Ideologien wie dem Phönizianismus im Libanon (Kaufman, 2001), dem Pharaonismus in Ägypten (Hussein, 1938) und der musikalischen Bewegung Yam Tikhniot in Israel (Nocke, 2006), die das Mediterrane als Ressource gegen andere Ideologien (etwa den Panarabismus, den Islamismus oder den Zionismus) bemühen. Mediterranisierung (also jene sozialen, politischen, ökonomischen und alltagskulturellen Prozesse, die sich Phänomene aneignen, die dann als mediterran bezeichnet werden). Hier ist an so unterschiedliche Phänomene wie an die Fördertöpfe der Barcelona Prozesses oder der Union pour la Mediterranée (die Projekten der transmediterranen Kooperation zur Verfügung stehen), an das Eindringen mediterraner Kräuter, Öle und Teigwaren in die globalen Küchenkulturen, an den Städtebau in Französisch-Algerien (Nouschi, 1986; McKay, 2000) und an die Formen des Gartenbaus, der Wohngestaltung und der Innenarchitektur in Nordeuropa, die

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auf mediterrane Motive zurückgreifen, zu denken. Analog dazu gilt es auch, Prozesse der Entmediterranisierung in den Blick zu nehmen, wie sie etwa in der (architektonischen) Arabisierung mediterraner Städte (etwa in Tanger und anderswo) zum Ausdruck kommen.

C. Kultureller Materialismus Ein neuerer Ansatz, der die materielle Wende in den Ethnowissenschaften genauso aufnimmt wie die Nischentheorie von Horden und Purcell, wird von Thomas Hauschild (2008) vertreten. Hauschild verbindet in seiner Arbeit auf geglückte Weise die Kulturhistorie mit der Feldforschung. Für ihn ist der Mittelmeerraum durch geologisch-topographische Gegebenheiten gekennzeichnet; z.B. die Erdplatten und die Vulkane, die den Raum zu einem besonders stark von Erdbeben gekennzeichneten Gebiet machen. In mediterranen Kulturen wurden nun Praktiken entwickelt, die mit dieser basalen Bedrohung umzugehen versuchen, etwa durch die Ausbildung bestimmter magischer Praktiken, Heilrituale und Vorstellungen vom Religiösen. In der Moderne wurden diese Praktiken überdeckt, allerdings können die Menschen heute in der modernisierten Welt dann wieder auf sie zurückgreifen, wenn die modernen Sicherheiten zusammenbrechen – im mediterranen und ganz besonders im süditalienischen Fall (dem Forschungsfokus von Hauschild) handelt es sich um das ganz wörtliche Zusammenbrechen von Bausubstanz, von Häusern und von Infrastruktur bei Erdbeben, die in nahezu jeder Generation erlebt werden. Hauschild bezeichnet diese „alten“ Praktiken als Reserven. Mit dieser Alternative bietet Hauschild eine radikal andere Perspektive zu den in der Ethnologie vorherrschenden Akteurs- und Performanztheorien, wie auch zu den Ethnologien, die in den 1980er und 90er Jahren dominieren. „Diese materielle oder topographische Wende macht sich an geographischen Basistatsachen [wie den Erdbeben], materieller Kultur und Ökonomie fest, insbesondere an den Tauschverhältnissen und sozialen Netzwerken, die sich“ – in konkreten Regionen – „hinter kulturellen Produktionen abzeichnen“ (Hauschild, 2008, S. 220). Letztendlich geht es Hauschild darum, kulturelle Bestände als Reserven zu betrachten, die den lokalen Akteuren zur Verfügung stehen. Diese Reserven – etwa bestimmte soziale Netzwerke – sind sinnlich erfahrbar und besitzen für die Akteure oftmals eine eigene Realität, die sie eben nicht als konstruiert, sondern als unumgehbar wahrnehmen.

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CORNEL ZWIERLEIN

Early Modern History

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The emergence of a distinct sub-period of Modern History, Early Modern History, and the emergence of a distinct thematic field of research, Mediterranean History, both took place in the Western academic world during the 1940s. There are important precursors to both developments, but they could only become recognizable as ‘precursors’ from the perspective of the later epistemological and institutional shift. The emergence of Mediterranean History, that is conceiving a History of the Mediterranean as a whole, not just researching events and phenomena that happen to be in that region (to use a distinction by Horden; Purcell), is inextricably connected with the name of Fernand Braudel (1902–1985). The genesis of Early Modern History is not linked similarly to one or a few prominent scholars, but was a major trend carried on by a whole generation of researchers who specialized in very different thematic fields. Nevertheless, by that coincidence and to a certain extent also reciprocal enhancement, the nowadays broad field of ‘Mediterranean Studies’ had its overall point of departure in that 1940/50s blossoming of Early Modern Mediterranean History. Mediterranean Studies is institutionalized today in many centers around the globe and now covers all disciplines including human geography, paleontology, environmental and sociological studies and all periods of history from the beginnings of civilization until today. It is currently in contact or even merging with a renewal of maritime history, of a general history of maritime regions, and with Atlantic and Pacific History. But its roots remain in the specific European contexts of the 1940s. We will first give an account of the emergence of this field, its forerunners and its development up to the 1980s. Then our attention will turn to the major trends in current research in Mediterranean Studies today.

The Braudelian Moment The Braudelian legacy for early modern Mediterranean history is so vast that perhaps some researchers find it difficult, even today, to emancipate themselves from its shadow. Even the most recent scholarship still aims to give new contours to a

* Thanks go to the European Commission and Henkel foundation who financed the stay as senior fellow at Harvard University (Marie Curie/m4human) for the work on ´Imperial Unknowns. The French and the British Empires in the Mediterranean, 1650-1750´. This contribution is part of that book project. English editing by Dr Stephen Walsh.

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historiography defined in Braudelian terms.1 Braudel, as the principal figure of the so-called ‘Annales school’, has himself become an object of historiography and biographies (Gemelli, 1990; Rojas, 1999; Brunhes, 2001; Lemoine, 2005; 2010). This means that it is unnecessary here to broadly discuss the genesis of La Méditerranée et le monde méditerranéen à l’époque de Philippe II, Braudel’s 1949 work which many have claimed is the most important historical book of the twentieth century. It will suffice to mention some elements and to point to others which hold promise for future research, especially for Mediterranean Studies in a German context. For many years, Braudel taught secondary school in Algeria (1923–1932). As the French secondary education and university systems were largely merged, he worked in that position towards a PhD thesis which he planned to submit to the Sorbonne with Lucien Febvre under the title La politique méditerranéene de Philippe II. By this he obviously intended to echo his maître’s own thesis of 1911 (Philippe II et la Franche-Comté). But over the years and, after a great deal of archival work in Spain, France, Italy and elsewhere, his conception had changed, and it remained unfinished at the outbreak of World War II.2 Taken prisoner, artillery lieutenant Braudel was held in POW camps in Mainz and Lübeck. According to the testimonies of Braudel and Febvre, it was here that he worked on the book steadily, writing and reworking the structure several times. From the camps he sent chapters and larger sections written down in school exercise books to Febvre in Paris, who, in his letters back, continuously encouraged his élève and colleague. After the war, Braudel finished the work in Paris, defended it as a thèse in 1947, and it was printed in 1949. Today, most of those notebooks are not extant; and only some citations from the Braudel/Febvre correspondence of 1941 to 1944 were revealed by his widow Paule Braudel during a Budapest conference in 1996. One of the original 1944 notebooks was edited in 1997 by Maurice Aymard. This contains no chapters of the Méditerranée but instead three conferences on the theory of geo-history which Braudel held for the prisoners in his camp. It is noteworthy that Braudel had access to the Mainz university library. That La Méditerranée had largely been written in the context of German wartime imprisonment has been known for decades; it helps form the heroic myth surrounding the book. Until now, however, the epistemic consequences of that local context have still not been completely clarified – perhaps at least partially due to a certain hagiographic impulse. The camp environment could lend itself to a psycho-historical interpretation of Braudel’s known disdain for the history of events (histoire événementielle): according to a note of his, he wanted to transcend the quotidian everyday news of military success and defeats (as reported by German media and clandestine British radio and newspapers) in the camps via his history writing ; the history of the longue durée had a certain compensatory function (Lemoine, 2010, 39). But more important would be to expand the usual genealogy of Braudel’s innovative conception of the space and time relation1

2

Nearly all current publications on Mediterranean history cannot escape referring in some way to Braudel: Miller, 2013. (Braudel is by far the most cited author); Dakhlia and Kaiser, eds., 2013; Garner and Middell, 2012; Marino, 2002; Piterberg, 2010; Fusaro, Heywood and Omri, 2010. Braudel would not be supportable today as a PhD student of a German third-party funded center of Mediterranean studies. But there are also not many Braudels.

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ship in history beyond the always-mentioned influences from Carl Ritter to Friedrich Ratzel, then from Vidal de la Blache, François Simiand to Lucien Febvre: Nearly every article and book on Braudel’s thought ends up at this invisible demarcation line around 1920. In this, research follows Braudel’s own indication in the final chapter “Géohistoire et déterminisme” of the first book of the first 1949 edition of La Méditerranée, a chapter that has even been omitted thereafter. But in Lübeck and Mainz, the “germaniste Braudel” (Lemoine, 2010, 42) relied heavily on German literature on the Mediterranean (the Mainz library surely possessed more German books than those in other languages), a fact still visible in all the footnotes of Braudel’s work (Lutz, 1982; Troebst, 2003; Meiering, 2000; Ben-Artzi, 2004). He also formed his theoretical approach of geohistory as a further development of (German) geopolitics, and, more precisely, with his concept of the “sea”, he deliberately tied it strongly to the concept of maritime space proposed by the highly problematical leading figure of Nazi geopolitical thought, Karl Haushofer (Murphy, 1992). Braudel cited Haushofer frequently and affirmatively during the conferences in the prisoner camp with the sentence “L’espace est plus important que le temps”. Braudel’s enthusiasm for “big history”, which earned him some skeptical reactions mostly by Anglo-American researchers who detected a sound of hubris in it (Bailyn, 1999; Kellner, 1979, p. 89) seems to have been in a strange elective affinity with Haushofer’s ideas (Braudel, 1999, pp. 23–114, 59, 68, 85, 88, 106; Geoffrey, 2010, p. 37). One may reduce that to a generally shared Zeitgeist in Europe of the time or to a necessary concession to the imprisonment context, but still, all that would be worth closer scrutiny,3 just as one has discussed the complex question of semantic and conceptual continuity or discontinuity in academic historiography for decades in Germany after the watershed of 1945 (Oberkrome, 1993; Algazi, 1996; Miller, 2002). In the context of a German Handbuch zur Mittelmeerforschung like this, it is in any case worth noting that Braudel was not a creator ex nihilo of a Mediterranean history in general. Indeed, the allegedly very new era of German Mediterranean research today is not only importing a historiographical trend from France and abroad, but, in a complex spiraling way, it is reviving a subject of research and an epistemic framework that had ceased, with good reason, in Germany itself in 1945 and experienced a completely different rebirth afterwards in France. The Braudelian moment of Mediterranean historiography has, thus, strong roots in the European experience of the global catastrophe of World War II and Nazi Germany. The major innovative impulse of the book lay in its triptych structure and its strong will to do away with forms of historiography which were characterized as a history only of men, their fates and deeds, human actions and events, the histoire évenementielle. The first book of the work, entitled “La part du milieu” (“The part of the environment/milieu”), concerned something like human geography or, as one would say today, an environmental history of the Mediterranean. The second book contained social, economic and cultural history; the third book contained – 3

The influence of German geography and historiography, so visible in the footnotes of Braudel’s major work, is very much neglected by many of his biographers.

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albeit Braudel’s above mentioned general devaluation of that kind of historical narrative – political history, confined to the second half of the 16th century. For a long time the second book had the greatest impact, because it represented the general paradigm shift of early modern history towards social and structural history, demonstrating how such a history might look alongside all theoretical discussion. The three-volume enterprise altogether contributed to a new holistic view: Braudel distinguished three levels or strata of history corresponding to each volume, first mentioned in an April 1944 letter to Febvre: the “Histoire immobile (cadre géographique), histoire profonde (celle des événements d’ensemble), histoire événementielle” (Lemoine, 2010, p. 40). Later in the book he also used the terms “geographical time” for the first part of geohistory, “social time” for the second of the longer social and economic dynamics and structures, and “individual time” for the final part, which addressed human events in all their haste and volatility. In Braudel’s metaphorical language, this history of events was like the waves atop the more profound and slow movements of the ocean below them. The Sea itself was transformed into an “historical person”, into the object of historical investigation (Braudel, 1990, pp. 11–19). This remains an important approach to this day, as it forced historians to perceive their history in dialogue even with the natural sciences (geologists, geographers, today: environmental studies) as well as with the social sciences, the latter only achieving status as institutionalized disciplines in Western universities during the 1920s/30s, when Braudel started to conceive his work. A comparison of the editions of La Méditerranée shows how Braudel understood how to build a whole think tank and school of researchers around his book; individual scholars and the Laboratoire de Cartographie of the famous VIth division of the École Pratique des Hautes Études, which later became the Écoles des Hautes Études en Sciences Sociales, contributed to the new editions of 1966/76/79, especially by adding a numerous important graphs and maps which marked a further step in giving a new and uncommon profile to such a momentous work.4 Braudel created a many-headed interdisciplinary ‘big science’ project around La Méditerranée, long before, at least in France, the era of third-party funded project research had really started. At roughly the same time, Early Modern history developed as an academic sub-period and was institutionalized in Western academia.5 The group of the French Annales was one of the major leading theoretical voices for all periods and thematic disciplines of history during that process (Raphael, 1994); but with the exception of Marc Bloch, its most important members (Febvre, Braudel, Le Roy Ladurie) all concentrated on the period which was then called ‘Early Modern’/Histoire moderne/Frühe Neuzeit. The movement profited, in France and also in other major countries (albeit differently), from the establishment of new universities and the enlargement of existing ones. Many new and enlarged history departments were filled with adherents, to one degree or another, to this new historiographic movement, and the intellectual challenge of the 4 5

For Braudel and the VIth section cf. Gemelli, 1990. For the German realities cf. Eichhorn, 2006.

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Braudelian enterprise led to many imitations and followers in other countries.6 That is why, still today, Mediterranean history is deeply and inextinguishably rooted in Early Modern historiography. One cannot reduce Early Modern Mediterranean History to a genealogy of Braudel’s followers. There were many other important historiographical branches, such as, European histories of the Ottoman Empire, which also contributed to the establishment of Mediterranean history.7 But for the sake of clarity, let us restrict the narrative until about 1980. We can identify a first generation of post-war researchers in economic history, most of whom Braudel was in close contact with and whose work he cited, sometimes even referring to their still unpublished book manuscripts, in the second edition of La Méditerranée: Henri Lapeyre, who wrote a seminal study of a prominent sixteenth century Spanish merchant family, the Ruiz, on the basis of the rare surviving documentation of a complete early modern company (or rather: merchant family) archive (Lapeyre, 1955). Pierre Sardella contributed a short but important analysis of the information flow of a mercantile ‘postal’ system to Venice around 1500, relying on the famous Sanuto ‘diaries’ or notebooks. This formed the basis for later diachronic comparative studies, and one might identify in it the nucleus of what would later become known as ‘communication history’ (Sardella, 1948).8 At that time, Federigo Melis began to explore the Datini archives in Prato which concerned an earlier period (around 1400) than Braudel’s sixteenth century, but even if his approach was more classical and even positivist, the incredibly precise information about the early functioning of the Mediterranean merchant communication system which Melis (and his students) were able to extract from that archive has greatly stimulated research in later periods as well; one can recognize in many of sixteenth century forms and techniques of merchant communication the diffusion and further development of earlier fourteenth and fifteenth century Italian practices (Melis, 1962). Götz von Pölnitz and Hermann Kellenbenz contributed important studies on the Augsburg Fugger and the northern Hansa merchants’ connections to the Mediterranean (Kellenbenz, 1954; 1958; von Pölnitz, 1942; 1958– 1986). Ruggiero Romano collaborated with Braudel directly (Ruggiero; Braudel, 1951), as did Frank Spooner (1956), Jean Delumeau’s (1959) multifaceted study on 16th-century Rome which contained important parts of economic history (Delaumeau, 1959), Aldo de Maddalena with his many works on the economy and the finances of sixteenth and seventeenth century Milan, Alberto Tenenti with his works on insurance business and slave ransoming in Venice (Tenenti, 1959), Felipe Ruiz Martin,9 Maurice Aymard, who would become later an editor of Braudel’s unpublished texts, with his scholarship on the Venetian grain trade (Aymard, 1966). Carlo Cipolla with his important contributions to European economic and demographic history, and Pierre Chaunu, who first explored the connection between Mediterranean and Atlantic history with his monumental study on Seville. 6 7 8 9

For reception in Poland, Italy, the US cf. Gemelli, 1990; Marino, 2004; Pasamar, 2004. This complex will be covered more extensively by the contribution of Markus Koller and Stefan Reichmuth in this volume. For an overview how that field developed, cf. Zwierlein, 2010. For him and the other ‘Braudelianos españoles’ cf. Pasamar, 2004.

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Other prominent figures here include Carlo Livi, Domenico Sella, Ugo Tucci, Robert Mantran, and Brian Pullan. But it might also be important to note the limits of the Méditerranée’s reception in the first years and even decades after its publication. If one peruses many of the books written by that first generation, most of them received Braudel’s contribution as merely an improvement of methods and of archival study in pure economic history. Only a few of those scholars named above were interested in the ‘theory’ or the ‘total history’ approach, and even fewer, in those early years, published texts similar to Braudel’s more general reflections embedded into the Méditerranée or his later famous methodical essays.10 Delumeau and Chaunu are exceptions – but they belong to the same cultural tradition of history writing. An astonishing fact is that for nearly two decades the Anglo-American academic world reacted to Braudel with disinterest and misunderstanding. The first really critical reviews by Garrett Mattingly and Bernard Bailyn are famous (Bailyn, 1951; Mattingly, 1950). More importantly, a group of adherents to Braudelian/ Mediterranean scholarship did not form in the Anglo-American world. It was not until 1971 that la Méditerranée was finally translated into English, and only two years later the New York State University founded a “Fernand Braudel Center”. Now, at the same time that Hexter wrote his acerbic article, in which he ridiculed the ‘imperial’ outreach of Braudel and the Annales as a Rabelaisian enterprise, finishing the text with an ‘Amen’, and when Kellner like Hayden White avant la lettre identified the narrative genre of La Méditerranée as an Menippean Satire (Hexter, 1999, p. 42) Peter Burke already hailed the work as being “commonly regarded as the most remarkable historical work to have been written this century” (Burke, 1980, p. 111) and Samuel Kinser imagined Braudel as the most likely candidate for the Nobel Prize, if that prize “were given to historians” (Kinser, 1999): With its English translation, finally, the Anglo-American World had recognized Braudel and now started to quickly establish their own tradition of Mediterranean History.

Recent trends in Research If one looks today at the current trends of Mediterranean research, some continuities with, and major differences from, the early Braudelian thought become visible. The backbone of early Mediterranean history circles was an expansive economic history, understanding itself as total history. Since then one may identify some major challenges to that tradition. Chronologically, the first significant one came from Ottoman historians (see below, 1). Currently there are two major fields where research is on its way to develop new paths: On the one hand the general historiographic trend in recent decades of turning from largely quantitative approaches towards (or back to) more qualitative cultural history has had a strong impact on Mediterranean history. On varying levels of research a major overarching topic of Mediterranean history has consequently become cross- and intercultural 10

One may cite Tenenti, 1973 – but that is a publication belonging rather to the next phase of reception, even if published by one of the very early correspondents of Braudel.

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contact and debate about its proper modeling. This is a discussion which makes use of the lessons learned from Ottoman historians (1), but is led also and even in majority by many non-Ottomanist scholars (see below 2). On the other hand, many researchers are trying to find a new way of writing maritime and ‘Sea’ history where the Mediterranean would serve as an important example (if not still as the model type); here, one aim is to integrate the approaches of environmental history into more general scholarship (3). (1) In 1978 the Ottoman historian Andrew Hess sharply challenged Braudel’s vision of the Mediterranean, doing research on the Ibero-African frontier in the Western Mediterranean, and arguing that during the 16th century, after the Spanish Reconquista, “the separation of the Mediterranean world into different, welldefined cultural spheres” was the result of the succession of events up to and beyond the battle of Lepanto in 1571 (Hess, 1978, p. 3). This result is much debated today, but the method or the practical approach by which Hess succeeded in gaining it was important: a thorough use of the Ottoman state’s archival sources concerning its Mediterranean politics. Braudel and his followers had used a huge amount of archival sources, but only from Western/Southern European archives. Only one year later, in 1979, Edward Said’s famous Orientalism started the reknowned post-colonial methodological debate. Although Mediterranean History was not immediately affected by it, both books published in the wider context of the contemporary confrontation between ‘Islamic fundamentalism’ and ‘the West’ (Iran 1979) focused debate on the issue of the Western/Non-Western encounter in cultural and also historical studies. A major reaction was first in Early Modern Ottoman History itself, to make more thorough use of Ottoman archival sources, because until the 1970s many Ottoman historians themselves had mostly relied upon largely European sources without many methodological scruples (Faroqhi, 1999, p. 110). Currently, the results of that new generation of Ottoman History are read in the broader field of general Mediterranean History. For example, at that time it became more common to use the registers of the religious waqf foundations in all the Eastern Mediterranean and Northern African cities as sources, greatly enhancing our knowledge of many details of Ottoman social history (such as wealth, property use, family ties and networks), albeit largely only of the reigning Turk urban elites there, not of the other inhabitants. While for those cities, the archival situation is otherwise less rich then for the Central provinces of the Ottoman Empire (Hoexter, 1998; 1998; Shuval, 1998; 2000; Missoum, 2003; Cherif-Sefadj, 2008; Saidouni, 1995; 2001, Grangaud, 2002). Early Modern Mediterranean History has, by these means, much profited from the manifold progress in Ottoman History, adding a perspective gained from Istanbul, Crete, Cairo and other important Ottoman archive holdings which Braudel and his early followers rarely had. Methodologically, following and deepening Said, there was a general quest to “provincialize Europe” (Chakrabarty, 2000), to move the general perspective on history from its euro-centric standpoint. This was taken up in Early Modern history, for example by Daniel Goffman who proposed regarding “the Far West (western Europe) from the viewpoint of the Near West (the Ottoman Empire). [...] If we imagine Istanbul rather than Paris at the middle of the world, Ottoman rela-

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tions with the rest of Europe assume a startling character.” (Goffman, 2002, p. 6) Some important and already influential works on the Mediterranean have been written starting from that point. Above all, they have contributed to our knowledge of the complexity of micro-commercial interactions on Crete (wine, oil, ship-building), and how the Cretan economy changed with the departure of the Venetians and consequent Ottomans arrival.11 Their general aim was mostly to show how wrong the opposition is of “[...] Christian-Muslim or OrientalOccidental polarizations [...] for explaining the evolution and articulation of political and economic policy among the contender states in the Levantine world” (Dursteler, 2006, p. 85). (2) A similar renewal of the main methodological preoccupation in Mediterranean Studies of how to conceive the Early Modern encounter and exchange in the Mediterranean is due to long-distant effects of the 9/11 experience after 2001: While Andrew Hess’ 1978 monograph had been specialized discussion of the Mediterranean now became a broad and general debate, e.g. with Samuel Huntington’s clash of civilization thesis which found its echo in Mediterranean history. Interestingly, the reaction has been largely, albeit in many different shadings, a renewal and deepening, if not of the Braudelian approach of total history, then of his general emphasis on the fact that although all ethnic and religious communities in the region were sharing the Sea in a manner that was surely often conflictual, nevertheless the Sea remained as a common space of communication and interaction. Braudel’s work becomes now a “magnificent” book which could be opposed to Bernhard Lewis’ writings, the “mentor” of Samuel Huntington, whose work was based on the underlying “assumption that there are two fixed and opposed forces at work in the history of the Mediterranean world: on the one hand, western civilization which he envisages as a Judeo-Christian bloc; and on the other, and quite distinct, a hostile Islamic world hell-bent on the conquest and conversion of the West” (Dalrymple, 2005, p. xi). The famous phrase of “the clash of civilizations” by Lewis was taken up then as the strongly selling title of Huntington’s major book on Foreign Affairs in the aftermath of 9/11. It seems to be a very important task of historical research to take a moderating role here, adding reflexivity to a heated political debate. But one might still ask if Braudel is the best reference for this. His chapters on “Civilizations” in the Mediterranean can seem, after so many years of work on cultural transfers, entangled and connected history, hybridity and negotiations in a postcolonial ‘third space’, a little bit outdated, still conceiving of ‘cultures’ in a quite ontological manner.12 Anyway, within research itself, it is questionable whether one might write as late as 2005 of a view not oriented on civilizational clash as a very 11

12

Brummet, 1994, p. 179: “Alliances were formed across communal lines and were motivated by attempts to preserve the traditional balances of power.”; cf. Eldhem, 1999; Greene, 2000; McKee, 2000. Cf. the quasi ontological status of the “three great Mediterranean civilizations”, Latinity, Islam, Greeks and his reflexions about the “cicatrice between Orient and Occident” (Braudel, 1949, II, pp. 483–580, esp. 500s.). Cf. for the links and also the differences between current methodological debates and Braudel’s view rooted in pre-War discussions of culture and civilization: Zwierlein, 2009.

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new “radical reappraisal of the relationship between ‘East’ and ‘West’” (Birchwood and Dimmock, 2005, pp. 1–9). More important than the uttering of such general positions which sometimes come close to ethical and political statements is the advance of research on specific subjects and sources. Scholarship has even made important steps forward in the very core field of the older Braudelian economic history, for example, the history of the insurance principle which spread from its Mediterranean maritime origins to many other fields during Early Modern times (overview in Zwierlein, 2011). The older Braudelian school had concentrated only on the sixteenth and the beginning of the seventeenth centuries, subscribing to the master’s general judgment that after the watershed of the 1580/90s, a long economic, cultural and political decline of the Mediterranean took place, losing ground to the growing dominance of Atlantic commerce. While there is no dispute about the importance of the growth of Atlantic economy, recent research has changed our view of that relationship, especially due to work on the much neglected field of north/south interaction between the Scandinavian countries, England, the Netherlands, German cities and the Mediterranean. Here, research often shows that even during the eighteenth century (and beyond), Mediterranean trade was of great importance (Müller, 2004; Östlund, 2010; Ressel, 2012). Even the field of political history has made a great deal of progress, both through micropolitical analyses of consular correspondence (Windler, 2002), and a renewal of imperial history, as around 1700 it was still not clear for contemporary British and French political authorities where the future of their empires would lie: only across the Atlantic, in India or still in the Mediterranean? This question is worth more research, especially from a comparative approach that considers the competition between the different Mediterranean Empires (Stein, 2011; Matar, 2005; Colley, 2004; Fusaro, Heywood and Omri, 2010). For many years now, scholarship has featured thorough research on the mediators, men and women “in-between” the two or more worlds of the Mediterranean, the cultural brokers (Schaffer, Roberts, Raj and Delbourgo, 2009). It is true that most 1970s and 1980s historiography was characterized by a general blindness toward cultural issues. And even the new contributions in Ottoman History cited above still concentrated on commerce and politics rather than culture. In general, historians were and are interested in the interactions within the very different religious and ethnic groups inhabiting the southern Mediterranean coasts.13 Islands like Malta have, like Crete before, recently interested researchers as places of especially dense cultural interaction (Brogini, 2006; Brogini and Ghazali 2010; Fusaro, Heywood and Omri, 2010). One has also recognized the great importance of the Jews in the Mediterranean who, by their strong networks, not only connected e.g. Livorno to other Mediterranean ports, but also to the Baltic and even to the colonial ports in India (Trivellato, 2009). Here, research is progressing constantly. We may note that, perhaps after a certain moment of timid self-reflection, historians of the Mediterranean still continue to work on inter- and cross-cultural interaction even without recourse to Ottoman, Arab, Berber, Coptic, or Greek language 13

Some recent collective volumes are Heyberger and Verdeil., 2009; Dakhlia and Kaiser, 2013; Valensi, 2012.

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sources. Even a book on the “Trans-Imperial Subjects between Venice and Istanbul” which wants to precisely stress the importance of the non-Venetian extraterritorial Levantine (Greek, Jewish, Turkic, etc.) roots of many inhabitants of Venice is, in terms of archives, based exclusively on Venetian sources (Rothman, 2012). And all who know the sources would certainly agree that – with some hermeneutical prudence – there is not necessarily a contradictio in adjecto in that approach. However historians such as Nabil Matar have started to investigate Arabic travel writing of journeys to Europe, just to reverse the dominant of European travel accounts on the Ottoman and North African shores (Matar, 2003). Even if the quantity of similar sources still seems to be restricted, research has profited greatly from that work.14 Somewhere between cultural, economic and political history lies the ever-growing field on the corsairs, and the Christian captives taken by the Barbary Corsairs. Since Salvatore Bono’s pioneering book, scholars have delineated the processes and the institutions of ransoming for many cities, regions and nations (Bono, 1964; Fisher, 1957; Bonaffini, 1983; Fonteney, 1991; Friedman, 1983; Bennassar, 2006; Kaiser, 2008; Weiss, 2011; Ressel, 2012). Davis provoked debate in his most recent English summary of the subject. His work is eager to depict the extent of the North African slave-taking industry. But it tends to rely too much on the contemporary Europeans’ perspective and their vision of the corsairs as barbarian pirates while certainly, Christians also took Muslim slaves in Europe (Davis, 2003). Captivity studies have established a dense interdisciplinary collaboration, mostly with literary studies where ‘captivity narratives’ became a subject of their own in many national literature studies (Vitkus, 2001; Parker, 2004; Duprat, 2008; Ruhe, 1993; Davis, 2009). A tendency perhaps the most distant from Braudelian economic history beginnings is a new interest in the broader context of cultural transmission and translation by early Oriental studies and language specialists. Merchants, consuls, ambassadors and even scientific travelers often did not speak the language of the Levantine world and had to rely on translators (dragomen). The establishment of English academic Oriental language studies is connected intrinsically with the positions of the English church chaplains to the factories of the Levantine Company (Hamilton, Boogert and Westerweel, 2005; Russell, 1994; Toomer, 1996). In France, consular and ambassadorial networks were closely linked with Oriental language specialists as well. In the late seventeenth and early eighteenth centuries, the French government, following and surpassing the Venetian model of the “giovani di lingua”, financed a school for 12 boys (“enfants de langue”) in Constantinople to train future administrative personal of the Levantine consulates (Hitzel, 1997). The best of them were charged from the 1720s with producing a steady flow of translations from Arabic and Ottoman manuscripts that scholars are only beginning to analyze. Intellectual history has also started to integrate ‘armchair’ intellectuals who had never traveled to the non-European parts of 14

Perhaps one might get a little bit further with those sources in applying genre and text pattern analysis to them. One asks for example to what degree a travel account like that of Ahmad bin Qasim was acquainted with the text tradition of philosophical colloquies, which would lead to the question of how much ‘fiction’ or at least typological framing is in those sources (cf. Matar, 2003, pp. 8– 14).

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the Mediterranean but who were in close correspondence with those regions and who acted, nevertheless, as the ‘founding fathers’ of Oriental studies in Europe (Miller, 2000). In its turn, Mediterranean history has contributed here, adding its acquired special knowledge about consular, economic and inquisitional archive sources which traditionally had been studied solely for purposes of economic and political history. Half ironically, Peter Miller has identified his all-time hero Peiresc as the first real historian of the Mediterranean, as his natural history approach to the region first showed “that consciousness of the Sea as a physical and human unit” in a proto-Braudelian sense. Different from all ancient and from many modern historians, some of those early modern intellectuals like Peiresc, Marsigli, Tournefort, and Thomas Shaw combined natural and human history and made the Mediterranean and its regions a subject of their own (Miller, 2006). The question of whether this precedes Braudel aside, the study of those early modern ways to a deeper understanding of the Mediterranean natures and cultures merit further research. (3) On a third level, Mediterranean Studies are being developed further with respect to a new, more holistic perspective on ‘Sea History’, often also inspired by environmental history. Specialists of Ancient and Medieval History, Peregrine Horden and Nicholas Purcell, have re-opened that field with their Corrupting Sea (2000). Among other more general methodological concerns they have noted that few historians had followed up the first part of the Braudelian enterprise, his human geography (or geohistory) of the Mediterranean. They point to the work of Grove and Rackham (2001), who recently re-imported the standard description terms in geography for Mediterranean regions which obey certain climatic specificities which are present in about six regions in the world today, of which ‘the’ Mediterranean is one (Horden and Purcell, 2006, p. 731). Horden and Purcell judged that attempts brought “the relationship between humankind and the environment” back to the center of the discussion (Horden and Purcell, 2006, p. 731; McNeill, 1992). But they themselves favor a more subtle and micro-ecological approach which would allow one to study, in each given Mediterranean sub-region, the risk regimes, the logic of production, the topographical fragmentation and the internal connectivity (to use their terminology). In a given time, a certain city, lagoon or a larger sub-region in the Mediterranean may have had special ecological conditions and commercial relationships with other regions closer or further away which would be its factor of connectivity. Historians have also produced monographs on Mediterranean environmental history (Hughes, 2005). Environmental History has also gained ground in Ottoman History and related parts of the Mediterranean History fields.15 But both environmental history in general and its Mediterranean offspring always have to tackle some general methodological problems. As Geoffrey Parker puts it in a different context: “We must not paint bull’s-eyes around bullet holes and argue that since climatic aberrations seem to be the only 15

Cf. Mikhail, A., 2011: Nature and Empire in Ottoman Egypt. An Environmental History, Cambridge: Cambridge University Press, pp. 15–23 for a view on historiographic development and the relationship between Ottoman/Mediterranean History.

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factor capable of causing simultaneous upheavals around the globe, therefore those aberrations ‘must’ have caused the upheavals.” (Parker, 2008, p. 1073) The construction of historical narratives where environmental conditions ‘cause’ social structures and events in human history must always be handled with great care because the risk of determinism is always as high as it had been in earlier times of German geopolitical and Braudelian geo-historical thought (White, 2011; Behringer, Lehmann and Pfister, 2005; Zwierlein, 2013). But the current mainstream of Mediterranean research is far away from too hastily considering new ways of including a macro-historical perspective; it often still points to micro-history as an answer to all problems, and in this way still opposes Ginzburg to Braudel, as in the 1970s (Heywood, 2010). So, to balance the healthy plurality of approaches, Horden and Purcell’s return to new ways of macro-structural history, even if on a ‘micro-ecological’ level, is important. They also added to that revival of a history of human/environment interaction the observation that the specificity of Mediterranean sum of micro-ecologies has been equally reflected in Mediterranean self-perception since Plato. According to them, “the definition of the Mediterranean as a region was not [...] part of the master narrative of the aggressive elites of premodern empires” but belonged to the self-perception of the inhabitants themselves (Horden and Purcell, 2000, p. 736). Stated as such, this is surely true, and Horden and Purcell may feel confirmed in their main purpose by that short analysis of Mediterranean self-descriptions. But probably by looking quickly for those Mediterranean self-descriptions they indicated a field ripe for further research in itself. Here, this approach inspired by environmental history converges with the tendencies evoked at the end of the last point (2), where we showed how a new interest in early modern conceptions of the Mediterranean has developed, for example, in descriptions combining natural and human history: These are external and not self-descriptions, but the tools to understand them and even the connectivity of the self and the other on this level (to abuse the term of Horden and Purcell for something very different) still merit methodological reflection beyond the post-colonial Saidian approaches which were conceived for modern colonial regimes and not for the early and pre-modern eras. Finally, an emerging field which seems to incorporate the macro-historical approach close to environmental history is new forms of maritime history, histories of the sea(s) and the Ocean. For several years, one has become used to transferring the idea of research on ‘maritime regions’, of which the Mediterranean is only the prototype, to other ‘Seas’, distinguishing in this way between such ‘Seas’ and the Oceans with their respective Atlantic History (Armitage, 2002). It is perhaps not the task of this chapter to handle those non-European ‘Mediterraneans’, because they are not necessarily confined to early modern history (Wong, 2001; Sutherland, 2003; Abulafia, 2005; Schottenhammer, 2008). But in those fields of research the question of how to conceive maritime and terrestrial empires, how ‘the Sea’ and Ocean are to be defined and how those concepts can help to frame (not only early modern) Mediterranean history are currently being discussed with great vigor and attention (Miller, 2013).

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Conclusion The emergence of Early Modern History as a chronological sub-category and of Mediterranean History as a distinct field happened at the same time after the Second World War. Today, both fields go their own way, but still one core if not still the core of Mediterranean History remains located in research on early modern realities. Today, in a globalized world, a repartition of history as a discipline and as an academic institution according to areas seems sometimes to be in competition with the ‘old European’ humanist repartition according to eras (‘Ancient’, ‘Medieval’, ‘Modern’). And so, the youngest of those chronological sub-fields, early modern history might give away to other denominations. But still, there are also observations which suggest developments in the opposite direction. Even the most recent post-post-colonial discussions about the plurality of modernities and the necessity of decentering perspectives do not question the richness of European history and its importance for the shaping of the contemporary globalized world; and in European history the early modern perspective definitely has a proper and even necessary rooting between Renaissance and Revolution.16 Today, if we consider the institutionalization process of centers on Mediterranean history and the funding of many research projects, one may assume that France has learned to sell and re-sell the Braudelian moment. In the complex process of evaluation and selection of major networks and centers of research during the French government’s Initiative d’excellence by which some 6 billion Euro were invested into academic research, Mediterranean History gained the biggest part of all the humanities with two big centers in Aix-en-Provence and in Paris. The results of this initiative demonstrate the post-Braudelian Mediterranean History, in which so many of the current academics were trained, provided a final basis of common positive understanding among a great many researchers in the humanities. Likewise on the European level of humanities research funding, the Selection Panel of History Projects SH6 (once headed by Jacques Revel, one of Braudel’s successors as director of the EHESS) long possessed a membership that favorably viewed projects combining a microhistorical approach with Early Modern Mediterranean History. Other centers of Mediterranean history, or of maritime history with strong Mediterranean elements, are distributed around the globe, often organized by or with strong input from Early Modernists. Here, a current trend follows the above-mentioned epistemic developments in research: not only do the typical Mediterranean coastal regions host such institutions, but more and more northern countries are also becoming interested in centers exploring e.g. north/south connections. Taking this broad view it is easy to confidently predict that Mediterranean History will remain a strong backbone of Early Modern History – not only as part of its roots, but also as part of its vivid future.

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Cf. for a more subtle argumentation Zwierlein, 2012.

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Geographie Definition des Faches und Relevanz des Mittelmeerraums für das Fach Geographie befasst sich mit der Erdoberfläche, mit Menschen sowie mit den materiellen und geistigen Umwelten der Menschen. In der Geographie geht es, allgemein ausgedrückt, um die Welt, in der wir leben. Eine Besonderheit und Stärke der Geographie liegt in der Verbindung natur- und gesellschaftswissenschaftlicher Perspektiven und Methoden. Die naturwissenschaftliche ‚Physische Geographie‘ untersucht die Struktur und Dynamik unserer physischen Umwelt. Die gesellschaftswissenschaftlich ausgerichtete ‚Humangeographie‘ befasst sich mit der Struktur und Dynamik von Kulturen, Gesellschaften, Ökonomien und der Raumbezogenheit des menschlichen Handelns (Deutsche Gesellschaft für Geographie, 2012).

In dieser Definition des Faches durch die Dachorganisation der geographischen Verbände und Gesellschaften in Deutschland klingen der Methodenpluralismus und die Binnendifferenzierung im „Multi-Paradigmen-Fach“ an, das für sich in Anspruch nimmt, drängende globale Fragen umfassender und multiperspektivischer untersuchen zu können, als es natur- und gesellschaftswissenschaftliche oder technikzentrierte Wissenschaftsdisziplinen alleine vermögen. Darüber hinaus wird deutlich, dass Geographie nicht als reine Wissenschaft durch ihr Erkenntnisinteresse oder ihren Gegenstand beschrieben wird, sondern dezidiert der Charakter einer anwendungsbezogenen Wissenschaft hervorgehoben wird (Dürr u. Zepp, 2012). Das aktuelle Selbstverständnis positioniert die Geographie als Brückenfach an der Schnittstelle von Natur- und Gesellschaftswissenschaft. Humangeographie und Physische Geographie werden durch die Gesellschaft-Umwelt-Forschung als dritte Säule ergänzt. Integrativen Fragestellungen bzw. interdisziplinärer Forschung wird eine Schlüsselrolle für die Aufrechterhaltung einer lebendigen Verbindung zwischen den Teildisziplinen des Faches zugeschrieben (Gebhardt u. a., 2011), wenngleich erkenntnistheoretische Unterschiede die beiden Hauptarbeitsrichtungen weitgehend trennen (Egner u. von Elverfeldt, 2009). Was ist aus Sicht der Geographie das Verbindende oder gar Paradigmatische des Mittelmeerraumes? Begreift man die erdräumlichen, abiotischen Konstellationen und den Raum-Zeit-Zusammenhang von der Formengestaltung der Erdoberfläche und dem Klima als Umweltbedingungen im Raum, so ist das Netzwerk mannigfaltiger Mikro-Regionen im Mittelmeerraum bei aller Wirkung räumlicher Unterschiede durch folgende Umweltbedingungen gekennzeichnet: Die Lage im alpidischen Faltensystem bedingt eine enge Kammerung und kleinräumig wechselnde horizontale und vertikale Landschaftsprägung. Kompakte gebirgige Halbin-

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seln durchsetzt mit Ebenen bilden mit dem mittelländischen Meer einen eng verzahnten Meer-Landkomplex. Aus dieser Verzahnung resultiert ein funktionales Gesamtsystem mit vielfältigen Wechselwirkungen der marinen und terrestrischen Ökosysteme (Rother, 1993). Ein gemeinsames Klima, die Einheitlichkeit des Gewässerregimes, der Böden und Vegetation kennzeichnen den biogeographischen Mittelmeerraum, dessen äußere Grenze bioklimatisch-agrarkulturell durch das Vorkommen des Ölbaums markiert ist (Abb. 1).

Abb. 1: Verbreitungsgrenze des Ölbaums (Olea europaea) als biogeographische Grenze des Mittelmeerraumes. Verändert nach Richter, 1989.

Die Biodiversität des Mittelmeerraumes [biologische Vielfalt auf drei Ebenen: Genetische Variabilität, Artenreichtum und Vielfalt an Lebensgemeinschaften und Ökosystemen im Raum (Hofrichter, 2002)] war die genetische Grundlage vieler Kulturpflanzen und einer der ersten Agrargesellschaften der Erde. Früheste Domestikationen von Pflanzen und Tieren sind für den Mittelmeerraum belegt. Darin begründet sich das hohe Alter der Siedlungslandschaft im Mittelmeerraum, die Stellung als eigenständiger Agrarraum, die Entstehung agrarwirtschaftlicher Technologien in Vorderasien und ihre Verbreitung im westlichen Mittelmeergebiet (Einsatz von Zugtieren, Terrassierung und Bewässerungssysteme). Die frühe Intensivierung der Agrarwirtschaft schuf die materielle Basis für Stadtkulturen und Zentren hoher Bevölkerungsdichte, die Keimzellen von Fernhandel und –in der Gesamtregion – von geteilten Kulturen des Handelns und Reisens wurden (Atkins u. a., 1998). Entscheidend für die Konnektivität der Mikro-Regionen im Mittelmeerraum ist der Mensch als Umweltakteur mit weitreichenden störenden Einflüssen auf die Ökosysteme. Ökologische Probleme im Zusammenhang mit der Nutzung und dem Einsatz von Ressourcen wurden bereits in der Antike thematisiert und prägen die geographische Perspektive auf den Mittelmeerraum, die Gegenstand dieses Beitrages ist. Aus räumlicher Perspektive gesehen verdichten sich Gesellschaft-Umweltprobleme

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und globale Prozesse im Mittelmeerraum, der sich besonders für Forschungsansätze eignet, die das Materielle zurück in die Sozial- und Kulturwissenschaften bringen. Bodendegradation (der Verlust oder die Einschränkung der Regelungs-, Produktions- und Lebensraumfunktionen) und Bodenerosion im Zusammenhang mit intensivierter landwirtschaftlicher Nutzung und auch Bevölkerungsdruck wurde bereits von Aristoteles beschrieben und später geoarchäologisch nachgewiesen.1 Auch aktuelle Themen geographischer Forschung rekurrieren auf soziale und narrative Phänomene und Konstruktionen mit physisch-realer Materialität; im Mittelmeerraum sind das in erster Linie Naturgefahren, Landdegradation, Desertifikation, Urbanisierung, Tourismus, Klimawandel, Biodiversitätsverlust und Wasserknappheit. Damit ist geographische Forschung zu diesen Themen jedoch nicht genuin der Physischen Geographie oder Humangeographie zuzurechnen, sondern im aktuellen Selbstverständnis des Faches der eigenständigen Gesellschaft-UmweltForschung als dritter Säule der Geographie (Gebhardt u. a., 2011). Mehr vielleicht noch als die beiden anderen fachdisziplinären Säulen korrespondiert die geographische Gesellschaft-Umwelt-Forschung mit Fragestellungen verwandter Fächer wie Anthropologie/Ethnologie, Archäologie, Geschichte, Sozialwissenschaften und Soziologie.

Von der Länderkunde zur geographischen Gesellschaft-Umwelt-Forschung – die Entwicklung deutschsprachiger geographischer Mittelmeerforschung Die geographische Mittelmeerforschung hat aus den eingangs erwähnten Gründen eine weit zurückreichende Tradition. Unter dem Einfluss von Ferdinand Freiherr von Richthofen, der in der Geographie in der zweiten Hälfte des 19. Jh. die Periode der Betrachtung der Erdoberfläche und der sie formenden Prozesse einleitete, gewann zunächst die Physische Geographie ihre herausragende Bedeutung. Ein besonders bevorzugtes Thema, das bis zum Zweiten Weltkrieg zunehmende Wichtigkeit erlangte, war die Vergletscherung der mediterranen Gebirge und ihr glazialmorphologischer Formenschatz. Gleichzeitig entwickelte sich aber auch die länderkundliche Erforschung des Raumes. Theobald Fischer, einer der Begründer der modernen Geographie, hat auf seinen Reisen, die ihn nicht nur in europäische Mittelmeerländer, sondern auch in afrikanische Anrainerländer führte, als Erster das Mittelmeergebiet als große geographische Einheit erkannt. Von ihm stammt auch die erste moderne „Länderkunde der südeuropäischen Halbinseln“ (1893), die bezeichnenderweise aber zu 75% physisch-geographische Aspekte thematisiert. Gleiches gilt für die umfangreichen Studien von Alfred Philippson, die unter dem Titel „Das Mittelmeergebiet, seine geographische und kulturelle Eigenart“ erschienen (Philippson, 1904). Bedingt durch den noch immer überragenden Einfluss von Richthofens, aber auch durch die Tat1

Aristoteles, zitiert nach Atkins u. a., 1998, S. 47ff.

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sache, dass die Humangeographie und ihr Methodenspektrum noch in den Anfängen ihrer Entwicklung begriffen waren, sind auch hierin nur 20% der Ausführungen nicht-physisch-geographischen Phänomenen vorbehalten. Dies änderte sich im Verlauf der 1920er Jahre rasch. 1929 veröffentlichte Otto Maull eine Länderkunde von Südeuropa, die die ganze Bandbreite der damaligen Forschung widerspiegelt (Maull, 1929). In ihr werden Natur- und Kulturlandschaft, d.h. physischgeographische und humangeographische Aspekte erstmals gleichwertig behandelt. Nach 1945 veränderte sich die deutsche Geographie als Wissenschaft im Zuge der Weiter- und Auseinanderentwicklung von Physischer Geographie und Humangeographie zunehmend und mit ihr auch die geographische Mittelmeerforschung. Die Erforschung des Mittelmeerraumes gewinnt in dieser Zeit an Bedeutung. Im Vordergrund stehen jetzt einerseits humangeographische (Zahn, 1973) und andererseits physisch-geographische Fallstudien (Brückner, 1980). Im Gegensatz zur Phase vor dem zweiten Weltkrieg konzentrierte sich die Forschung aber nun besonders auf den kulturgeographischen Sektor: Agrar-, Siedlungs- und Fremdenverkehrsgeographie (Mayer, 1976). In der Physischen Geographie gilt das vorrangige wissenschaftliche Interesse im Mittelmeerraum jetzt nicht mehr der Glazialmorphologie, sondern der Küstenmorphologie. Die zunehmende Spezialisierung der beiden Fachgebiete führte bis in die 1960er Jahre zu einer (unausgesprochenen) inhaltlichen Trennung. Der frühere Geomorphologe und spätere Wirtschaftsgeograph und Impulsgeber der Humangeographie Alfred Rühl prophezeite diese Entwicklung früh, als er 1933 schrieb: „Der Zerfall der geographischen Gesamtwissenschaft ist nicht mehr aufzuhalten, überall kracht es in ihrem Gebäude und keine Stützen werden das Zusammenbrechen hindern können“ (Rühl, 1933, S. 32). Alfred Rühl, der sich 1909 noch mit „Geomorphologischen Studien in Catalonien“ habilitierte, verschaffte sich 1928 großen wissenschaftlichen Respekt mit seiner Studie über den „Wirtschaftsgeist in Spanien“ (Rühl, 1928). Was sich bereits zwischen den Weltkriegen abzeichnete, fand seine Vollendung beim Kieler Geographentag (1969), der vor allem in der Humangeographie weitreichende Umwälzungen angestoßen hat. Das Theoriegebäude des länderkundlichen Schemas und des Landschaftskonzeptes, das bis dahin das Fach dominierte, wurde radikal demontiert und dekonstruiert. Während die Physische Geographie den die Teildisziplin seit den 1920er Jahren beherrschenden szientistischanalytischen Fragestellungen weitgehend verhaftet blieb, hat in der Humangeographie eine „nachholende Theoriebildung“ (Dürr u. Zepp, 2012, S. 192). begonnen, durch die Theorien und methodische Innovationen vor allem aus den Sozialwissenschaften aufgegriffen und für Fragestellungen mit räumlicher Perspektive nutzbar gemacht werden. Im 20. Jh. hat sich also der Fokus der Geographie von der Landschaft als irdischem Totalzusammenhang seit Ende der 1960er Jahre zunächst zur raumwissenschaftlichen Analyse und Suche nach Gesetzmäßigkeiten des Raumes verschoben, um anschließend Forschungsfragen und -ansätze in den beiden Teildisziplinen weiter auszudifferenzieren. Ab den 1970er Jahren wurde beispielsweise die Physische Geographie durch prozessorientierte, quantitativ-empirische Arbeiten auf immer

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größeren Maßstabsebenen dominiert. Mit dieser Schwerpunktsetzung auf der lokalen Maßstabsebene zugunsten eines detailreichen quantitativen Prozessverständnisses wurde eine Verringerung des regionalen Raum- und Anwendungsbezuges der Erkenntnisgewinne in Kauf genommen. Trotz dieser Entwicklungen ist der integrative länderkundliche Ansatz in der Geographie nie wirklich oder vollständig aufgegeben worden. Aktuelle Länderkunden analysieren einzelne Mittelmeeranrainerstaaten oder auch den gesamten Mittelmeerraum gegenwartsbezogen und problemorientiert (Breuer, 2008; Hütteroth u. Höhfeld, 2002; Ibrahim u. Ibrahim, 2006; Rother u. Tichy, 2008; Wagner, 2011). Die seit den 1990er Jahren gestiegene Aufmerksamkeit für Umweltproblematiken hat in der Geographie den Diskurs über integrative Perspektiven und Problemlösungskompetenzen des Faches wiederbelebt. Umweltprobleme, allen voran der Globale Wandel, sind eine besondere und fortwährende Chance, die spezielle Eignung der Geographie zur Gesellschaft-Umwelt-Forschung herauszustellen. Die vor diesem Hintergrund praktizierte Schnittstellenforschung kombiniert Konzepte, Theorien und Methoden aus beiden Teildisziplinen. Kritische Stimmen bemängeln zwar die fehlende Entwicklung und Anwendung gemeinsamer Hintergrundtheorien und sehen Gesellschaft-Umwelt-Forschung mehr als dritte, eigenständige Säule des Faches denn als integratives Feld (Wardenga u. Weichhart, 2011). Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass diese moderne Säule gleichzeitig sowohl eine mittlerweile eigenständige Fachrichtung als auch Teilmenge der Physischen Geographie und der Humangeographie ist. Ihre Entstehung korrigiert als logische Konsequenz die beim Kieler Geographentag vorangetriebene Aufspaltung des Faches in zwei vermeintlich unabhängige Teildisziplinen. In der GesellschaftUmwelt-Forschung lebt die seit Alexander von Humboldt und Ferdinand von Richthofen dem Fach Geographie innewohnende ureigene Qualität des vernetzten raumbezogenen Denkens wieder auf. Gerade in der Mittelmeerforschung zeigt sich die Integrationsfähigkeit der geographischen Gesellschaft-Umwelt-Forschung. Moderne physisch-geographische Forschungsprojekte im Mittelmeerraum haben oftmals deutliche humangeographische Bezüge (Meurer, 1993), wie auch im weiteren Verlauf des Beitrages ersichtlich wird.

Gegenwärtige mediterranistische Forschungsfragen und Perspektiven geographischer Gesellschaft-Umwelt-Forschung Zur Verdeutlichung, in welcher Weise sich die Geographie vom Fokus auf das Substanzkonzept des Raumes als Container löst, ohne jedoch die physisch-materielle Realität menschlichen Handelns und von Gesellschaft-Umweltbeziehungen außer Acht zu lassen, und damit Gesellschaft-Natur-Interaktionen in einer räumlichen Perspektive betrachtet, wird hier zunächst auf geographische Ansätze der Gesellschaft-Umwelt-Forschung eingegangen. Die notwendigerweise komprimierte Darstellung gegenwärtiger Theoriediskurse in der Geographie dient dazu, die An-

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schlussfähigkeit geographischer Forschungsarbeiten an Nachbardisziplinen deutlich zu machen und aufzuzeigen, dass es sehr unterschiedliche Zugänge zur geographischen mediterranistischen Gesellschaft-Umwelt-Forschung gibt, was sich in der Vielfalt theoretischer, konzeptioneller und empirischer Bezüge und Zugänge widerspiegelt, die die besprochenen Arbeiten mehr oder weniger stark beinhalten. Es wird dabei deutlich, dass der Schwerpunkt auf der Beschäftigung mit Gegebenheiten-Phänomenen im Mittelmeerraum liegt, wenngleich die Zuschreibung der Gültigkeit bestimmter Umweltproblematiken oft den Naturraum gleichsetzt mit dem Mittelmeerraum, also aus Sicht der (klassischen) Geographie auch auf den Mittelmeerraum an sich abzielt. Im Anschluss an die knappe Darstellung geographischer Theoriediskurse werden die beschriebenen Ansätze anhand der Forschungsfragen und Perspektiven in den Themenfeldern Wasser und Tourismus im Mittelmeerraum vertieft und anhand eines Fallbeispiels wird eine klare und empirisch realisierbare Forschungsperspektive auf Gesellschaft-Umwelt-Interaktionen im Mittelmeerraum dargestellt.

Theoretische Begründungen und Konzeptionen geographischer GesellschaftUmwelt-Forschung Als übergeordneter Theorierahmen für die Konzeption der Gesellschaft-UmweltInteraktionen oder des Verhältnisses von Gesellschaft und Umwelt werden in der Geographie systemtheoretische Ansätze (Egner, 2006; Lippuner, 2010), Hybridmodelle (Lippuner, 2009) und sozialökologische Interaktionsmodelle (FischerKowalski u. Erb, 2006) diskutiert. Am folgenden, notwendigerweise komprimierten Aufriss des geographieinternen Diskurses über geeignete metatheoretische Strukturen und Konstrukte für integrative geographische Forschungen zum Verhältnis von Gesellschaft und Umwelt wird deutlich, warum Gesellschaft-UmweltForschung mehr als dritte, eigenständige Säule denn als integratives Feld innerhalb der Geographie gesehen wird (Wardenga u. Weichhart, 2011). Systemtheoretische Ansätze gehen zum einen der Frage nach, wie in den verschiedenen gesellschaftlichen Subsystemen (Wissenschaft, Politik usw.) über Umweltsachverhalte debattiert wird und untersuchen zum anderen, auf welchen Wegen das soziale System Gesellschaft überhaupt von seiner Umwelt erfährt. Welches Verhältnis besteht zwischen Gesellschaftssystem und der operativ unzugänglichen Umwelt, wenn wechselseitige Abhängigkeiten und korrelative Verläufe nur als Koevolutionen unabhängiger Systeme aufgefasst werden, die nicht durch Umweltdeterminanten hervorgerufen werden können (Lippuner, 2010)? Ein wichtiger theoretischer Bezugspunkt für die Verwendung von Hybridmodellen in der Geographie ist die Akteur-Netzwerk-Theorie Bruno Latours. Hybridmodelle betrachten Überschneidungsbereiche, in denen materielle Objekte und menschliche Akteure als Wirkgrößen fungieren und trennen physisch-materielle Umwelt und Gesellschaft nicht (Lippuner, 2009). Die Materialität sozialer Prakti-

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ken und heterogene Vernetzungen von materiellen Dingen und menschlichen Individuen im alltäglichen Geographie-Machen sind vor allem in angelsächsischen humangeographischen Arbeiten theoretisch begründet (Whatmore, 2002) und in empirischen Studien operationalisiert worden. Exemplarisch sei hier auf die Betrachtung der kulturell und materiell hybridisierten Ideologie und Praxis zentralstaatlicher Wasserbewirtschaftung in Spanien (Swyngedouw, 1999) und auf eine Betrachtung der heterogenen Vernetzungen und Interaktionen von Pflanzen und Menschen als Akteure in privaten Gärten (Hitchings, 2003) verwiesen. Die Hybridmodelle aus den Sozialwissenschaften, so wird aus der Eigenlogik einer fachlichen Nähe der Humangeographie zu diesen Nachbardisziplinen argumentiert, hätten zwar in der Geographie einige Aufmerksamkeit auf sich gezogen, seien aber mit dem Problem behaftet, dass ihre Anwendung nur auf Kosten sozialwissenschaftlicher Prämissen und Sehschärfe zu haben sei (Lippuner, 2010). Stärker als Theorieangebote, die auf den Überschneidungsbereich von Gesellschaft und Raum oder Umwelt fokussieren, werden deshalb differenztheoretische Konzeptionen diskursiv verhandelt. Luhmanns Theorie sozialer Systeme und Weiterentwicklungen dieser Theorie werden einer Betrachtung der Inwertsetzung für die Geographie unterzogen (Lippuner, 2010) und die Möglichkeiten der Integration der Physischen Geographie und der Humangeographie auf systemtheoretischer Basis werden erörtert (Egner, 2006; Egner u. von Elverfeldt, 2009). Geographische Arbeiten, die eine derartige Integration natur- und sozialwissenschaftlicher Perspektiven leisten, sind jedoch äußerst rar, von Ausnahmen wie der Verwendung der Systemtheorie für die Diskussion ökologischer Problemstellungen (Egner, 2007) einmal abgesehen. Sinn und Zweck solcher Ansätze werden für empirische Arbeiten sogar zurückgewiesen, weil die Ausblendung der Materialität im Konzept der strukturellen Kopplung von Gesellschaft und Umwelt die Analyse von Wechselwirkungen verunmögliche. Statt der Verwendung einer systemtheoretischen Metatheorie wird auf eine ontologische, epistemologische und methodische Offenheit beider Teildisziplinen als notwendige Voraussetzung einer Integration mittels Fragestellungen, Theorie, Methode oder Forschungspraxis hingewiesen (Kersting, 2009). In der Zwischenzeit hat die internationale Forschung im Feld der „Land Change Science“ (Turner u. a., 2007) beachtliche konzeptionell-theoretische und forschungspraktische Fortschritte erzielt, indem nicht nur gewinnbringend mit dem Konzept der Landschaft weiter gearbeitet, sondern viel von der angesprochenen Offenheit bereits praktiziert wird. Dieser interdisziplinäre Forschungsansatz versteht Landnutzungs- und Landbedeckungsänderungen als gekoppelte MenschUmwelt-Systeme, wobei Kopplung so verstanden wird, dass diese Veränderungen sowohl Resultat als auch erklärende Variable für biophysische und soziale Prozesse sind. Ausgehend von Untersuchungen zum Verständnis dieser gekoppelten Mensch-Umwelt-Systeme befasst sich „Land Change Science“ mit Theorien, Konzepten und Verwendungszusammenhängen in Bezug auf Umweltprobleme und gesellschaftliche Probleme, inklusive der Überschneidung zwischen beiden Bereichen.

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Dieser Zugang im Überschneidungsbereich sozioökonomischer Umweltforschung, Landnutzungsforschung und „Global Change Research“ korrespondiert mit dem sozialökologischen Theorienansatz aus der Forschergruppe um die Soziologin Marina Fischer-Kowalski, der im Folgenden näher betrachtet werden soll, weil er eng mit den theoretischen Begründungen und methodischen Ansätzen einer empirischen Land Change Science korrespondiert und für die geographische GesellschaftUmwelt-Forschung im Mittelmeerraum fruchtbar gemacht werden kann. Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass es Hybridmodelle zum Verständnis der Interaktionen zwischen sozialen und naturalen Systemen brauche, weil die Systemtheorie nicht erkläre, wie soziale Systeme naturale Systeme real beeinflussen können. Deshalb wird eine eigenständige konzeptionelle Struktur und Terminologie für eine transdisziplinäre Perspektive auf Gesellschaft-Umwelt-Interaktionen vorgestellt, aus der heraus Beiträge zu Nachhaltigkeitsfragen erarbeitet werden (Fischer-Kowalski u. Erb, 2006). Die sozialökologische Position akzeptiert die allgemeine Systemtheorie als metatheoretische Struktur, nimmt aber gleichzeitig eine realistische ontologische Grundhaltung ein und betrachtet sowohl naturale als auch kulturale Phänomene als prinzipiell eigenständig und der Erkenntnis zugänglich. Durchaus pragmatisch wird dabei die epistemologische Entscheidung getroffen, verschiedene Wissenschaftstraditionen und deren elaborierte Methoden authentisch und ohne große Revisionen in den Dienst neuer interdisziplinärer Aufgaben zu stellen. Der sozialökologische Ansatz wird durch ein Gesellschaft-NaturInteraktionsmodell verdeutlicht, in welchem zwischen der materiellen Welt und der menschlichen Gesellschaft ein Überschneidungsbereich konzeptionalisiert wird, der hybride Systeme und Prozesse enthält, die die grundlegenden biophysischen Strukturen von sozialen Systemen darstellen (vgl. Fischer-Kowalski u. Erb, 2006, S. 41ff.). Das eine hybride System ist die Population, ein Konzept, welches das Gesellschaftsverständnis der Sozialwissenschaften um die physisch-materielle Körperlichkeit des Menschen erweitert. Die Population ist zur Kommunikation in der Lage und reproduziert sich materiell und kulturell. Dabei steht die Population durch ständigen energetisch-materiellen Austausch in einem metabolischen Zusammenhang mit verschiedenen natürlichen Systemen und beeinflusst diese in bestimmter Weise, ist also in der Lage, materielle Realitäten raum-zeitlich zu verändern. Zentraler prozessualer und hybrider Mechanismus im Interaktionsmodell Gesellschaft-Natur ist die gesellschaftliche Kolonisierung von Natur, Ökosystemen und natürlichen Prozessen durch spezifische Formen der Aneignung, Arbeit und Technik. Das Konzept der Kolonisierung schlägt einen expliziten Bogen zur natürlichen Umwelt, denn die Transformation von Landschaft wird hierdurch nicht einfach als metabolisches Folgeproblem, sondern als Produkt gesellschaftlicher Intervention in natürliche Systeme verstanden. Der Kolonisierungsprozess führt zu einem strukturellen Umbau der physisch-materiellen Welt, wodurch Artefakte wie Siedlungen, Infrastruktur und Landnutzungsmuster entstehen. Hier ergibt sich Kompatibilität und Anschlussfähigkeit der sozialökologischen Position zu handlungstheoretischen Ansätzen, die insbesondere von Benno Werlen für die Sozialgeographie erschlossen wurden (Werlen, 1987). Trotz der geographisch anmutenden

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Feststellung – „Metabolismus und Kolonisierung sind an räumlich differenzierte naturale Systeme gebunden“ (Fischer-Kowalski u. Erb, 2006, 49) – besteht die Herausforderung des sozialökologischen Ansatzes für die Geographie darin, dass die konkrete räumliche Verbindung zwischen Sozialem und Naturalem unter variierenden Maßstabsbezügen und Skalenebenen konstruiert werden muss und nicht durch räumliche Anordnungsmuster, zum Beispiel einer Landschaft, einfach vorgegeben ist. Im folgenden Abschnitt wird dieser Aspekt insofern verdeutlicht, als gezeigt wird, dass geographische Arbeiten den sozialökologischen Ansatz und weitere konzeptuelle Zugänge rezipieren, aber stärker auf das Territorium und seine Nutzung, problemorientierte Zugänge oder auch Problemstellungen auf verschiedenen Maßstabsebenen fokussieren.

Wasser als Ressource und Tourismus als globales Phänomen im Blickpunkt geographischer Gesellschaft-Umwelt-Forschung im Mittelmeerraum Im Überschneidungsbereich Gesellschaft-Umwelt im Mittelmeerraum eignen sich die Ressource Wasser und das Phänomen Tourismus sehr gut zur Verdeutlichung geographischer Forschungsfragen und Perspektiven der Gesellschaft-UmweltForschung. Die Ressource Wasser ist ein Hybrid par excellence, denn Wasser ist essentiell für die Prozesse des täglichen Lebens, also physisch-materiell, aber auch sozial und narrativ konzipiert, andererseits strukturiert die klimatisch bedingte und gesteuerte Notwendigkeit der Wasserbewirtschaftung das Soziale in räumlicher Hinsicht auf persistente Weise. Tourismus ist ein Phänomen, in dem sich die Wechselwirkungen zwischen Globalem und Lokalem per definitionem manifestieren. Globalisierung (Giddens, 1995) und Telekonnektivität2 beschreiben Abhängigkeiten und Wechselwirkungen zwischen weit auseinanderliegenden Gebieten durch die Verschneidung verschiedener räumlicher Maßstabsebenen. Das Globale beeinflusst oder steuert regionale und lokale Verhältnisse und je wirksamer dieser Mechanismus, desto mehr Widerstände entstehen auf lokaler und regionaler Ebene. Andererseits gewinnen orts- und regionalspezifische Ausstattungsvorteile durch Globalisierung an Bedeutung. In den folgenden Abschnitten werden diese Aspekte unter Rückgriff auf aktuelle Forschungsarbeiten vertieft.

Wasser und Gesellschaft-Umwelt-Interaktion im Mittelmeerraum Wasser ist eine Ressource, deren Rolle für die Befriedigung gesellschaftlicher Ansprüche in der Landwirtschaft, in der Tourismuswirtschaft und in ländlichen und 2

Vgl. Seto u. a., 2012. Der ursprünglich in der Klimatologie für Fernkopplungen im Klimasystem (z.B. in Form von Anomalien oder der Abhängigkeiten der Wetterentwicklung zwischen weit auseinanderliegenden Gebieten) verwendete Begriff wird im internationalen Forschungsfeld Land Change Science auf (fern-) gekoppelte Mensch-Umwelt-Systeme angewandt, um zunehmend globale Verflechtungen, in der Ferne verursachte Landnutzungsänderungen und damit verbundene Flüsse von Stoffen, Energie, Wirtschaftsgütern und Dienstleistungen zu konzeptionalisieren.

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städtischen Siedlungen so elementar ist, dass sich viele Forschungsarbeiten mit dem Themenfeld Wasser im Mittelmeerraum beschäftigen. Das wichtigste Klimaelement zur Kennzeichnung des mediterranen Klimas ist der Niederschlagsgang, der durch eine sommerliche Trockenperiode gekennzeichnet ist. Dadurch ergibt sich für die Gesellschaft die Notwendigkeit der Wasserbewirtschaftung zur Aneignung pflanzlicher Primärproduktion und zur eigenen Versorgung. Die Bewässerung von Nutzpflanzen aus Grundwasserreservoirs, Oberflächengewässern oder Stauseen sowie Wassertransport zur Versorgung städtischer Zentren sind seit der Antike Charakteristika der mediterranen Wasserbewirtschaftung. Überschwemmungsereignisse und anhaltende Trockenperioden stellen graduelle, wenn auch nicht prinzipielle Hintergrundmotive für Konflikte um Wasser dar, die sich durch regionale Disparitäten von Wasserverfügbarkeit bzw. Wasserbedarf sowohl äußern als auch erklären lassen (Breuer, 2008). Entsprechend der bereits aufgezeigten Theorieansätze aktueller geographischer Gesellschaft-Umwelt-Forschung seien im Folgenden einige Arbeiten schlaglichtartig skizziert, bevor dann vertiefend auf ein Fallbeispiel mit Bezug zum sozialökologischen Ansatz eingegangen wird. Das Zusammenspiel einer technikgläubigen Ideologie zentralstaatlicher Wasserbewirtschaftung, wirtschaftlicher Erneuerung und nationaler Identitätsstiftung in Spanien betrachtet Erik Swyngedouw aus einer dezidiert politisch-ökologischen Perspektive und stellt die Hybridität der spanischen Wasserlandschaft als Cokonstruktion in sozialen, technischen und politischen Verflechtungszusammenhängen und Überschneidungsbereichen dar (Swyngedouw, 1999). Eine Studie über die Wasserkrise von 2002 auf Sizilien ist ein weiteres Beispiel der empirischen Inwertsetzung eines Hybridmodells von Gesellschaft, Umwelt und Materialität, jedoch aus einer handlungstheoretischen und politökonomischen Perspektive mit dem Hauptaugenmerk auf die Durchsetzungsfähigkeit der Ziele bestimmter Akteure im Zusammenspiel von Klientelismus, Macht und den allokativen Ressourcen und Zugriffsmöglichkeiten auf Wasserversorgung, Wasserressourcen, Wasserverbrauch und Wassermanagement auf dieser Mittelmeerinsel (Gigliolo u. Swyngedouw, 2008). Mit einem ähnlichen Ansatz unterziehen Parés u. a. die Entstehung einer ‚grünen‘ Stadtlandschaft mit ‚atlantischen‘ Ziergärten, deren Design der Gartengestaltung in warm-gemäßigt humiden Klimaten entspricht, einer Analyse im Hinblick auf die Sinnsetzungen und Motive, die seitens der Privathaushalte entlang von Einkommensgradienten und differenziert nach Wohnort im Metropolraum Barcelona mit der Gartengestaltung verbunden sind (Parés u. a., 2012). Diese handlungs- und akteursorientierte Betrachtung wird in einen politökonomischen Zusammenhang gestellt, der vor dem Hintergrund der Trinkwasserknappheit in Barcelona während der Dürreperiode im Jahr 2008 die räumlichen Muster und Disparitäten in Bezug auf private Grünflächen als Elemente kapitalistischer Herrschaftsverhältnisse interpretiert. „Atlantische“ Ziergärten und insbesondere bewässerte Rasenflächen werden als Artefakte interpretiert, in denen Hervorbringungsakte und die zunehmende Kapitalakkumulation im Immobiliensektor physisch-materiell repräsentiert sind. Die Autoren untersuchen dabei das Kolonisierungsregime weniger intensiv, sondern stellen den symbolischen Wert und die

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Funktion der Artefakte als Verweise auf sozialen und ökonomischen Status der Akteure in den Vordergrund. Davon ausgehend beleuchten die Autoren dann die metabolische Perspektive dieser Entwicklung in Bezug auf räumlich differenzierten Wasserverbrauch, räumlich differenzierte Wasserknappheit und potenzielle Auswirkungen auf Wasserpreis und territoriale Sozialgerechtigkeit im Stadtraum. Frühere Arbeiten dieser Forschergruppe haben sich bereits intensiv mit urbanem Wasserverbrauch und dessen Zusammenhang mit Landnutzungsmustern im Metropolraum Barcelona beschäftigt. Dabei konnte dargestellt werden, dass die räumliche Verbreitung eines zunehmend suburbanen Lifestyles in dem einst kompakten mediterranen Stadtgefüge Barcelonas sich physisch-materiell in der Anzahl und Dichte privater Swimmingpools (Vidal u. a., 2010) und bewässerter Ziergärten entlang sozioökonomischer Gradienten niederschlägt (Domene u. a., 2005) und sich der kausale Zusammenhang zwischen diesen Artefakten, dem Wasserverbrauch und den Haushaltseinkommen statistisch belastbar nachweisen lässt (Domene u. Saurí, 2006). Wie im übernächsten Abschnitt dargestellt, ist die Ausbreitung eines suburbanen Stadtgefüges ein wesentliches Merkmal der Transformation mediterraner Küstengebiete und die Ähnlichkeit des Kolonisierungsregimes korrespondiert mit vergleichbaren Umweltproblemen, wie sie für den urbanen Wasserverbrauch in Barcelona beschrieben werden. Hintergrund ist die Tatsache, dass die bereits dicht bebauten Mittelmeerküsten seit den 1990er Jahren europaweit am stärksten von Versiegelung betroffen sind (EEA = European Environment Agency, 2006), für Spanien wird diese Entwicklung als Zement-Tsunami bezeichnet, gemeint ist der Bauboom, der hunderttausende Wohnungen an die Küste spülte (Gaja, 2008). Treibende Kraft war und ist eine multinationale Tourismus- und Immobilienwirtschaft, deren zentrales Investitionskriterium nicht mehr der Gebrauchswert, sondern der Marktwert von Immobilien ist. In physisch-baulicher Dimension schlägt sich dies in Spanien durch ein Anwachsen des Gesamtwohnungsbestands um 21,6% zwischen 1981 und 2001 nieder, wodurch das Dreifache des EU-Durchschnitts für neue Wohnungen je 1000 Einwohner erreicht wurde (Hasse, 2009). Ein signifikanter Anstieg der Zweitwohnungen belegt, dass sich urbane und touristische Flächennutzungen besonders in den spanischen Küstengebieten zunehmend verzahnen (Breuer, 2008), was eine sozialökologische Betrachtung des Verhältnisses von Metabolismus, Kolonisierung und Raum nahe legt.

Tourismus als globales Phänomen im Mittelmeerraum Die Geographie beschäftigt sich mit raumbezogenen Dimensionen von Freizeit und Tourismus. Der Mittelmeerraum ist die älteste Fremdenverkehrsregion der Erde, die bereits Anfang der 1990er Jahre die größte geschlossene Tourismusregion darstellte und mit 230 Mio. Touristen jährlich die größte Urlaubsdestination der Welt bleibt (Pons u. a., 2009). Für touristisches Angebot und touristische Nachfrage ist die lokale physisch-materielle Ausstattung eines Raumes eine wichtige Grundlage. Viele geographische Studien verfolgen daher strukturalistische Ansätze

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und die Entwicklung raumzeitlicher Erklärungssysteme, die Angebot und Nachfrage und Tourismusräume in den Mittelpunkt stellen. Inzwischen rücken jedoch nicht mehr Orte und Räume ins Zentrum der Betrachtung, sondern geographische Arbeiten untersuchen vermehrt handlungstheoretisch begründet und aus kulturwissenschaftlicher Perspektive die Aufladung von Orten und Räumen mit Symbolen oder ihre Authentizität im Kontext touristischer Kommodifizierung, oder beschäftigen sich mit der Thematisierung und Inszenierung urban-touristischer Landschaften (Hopfinger, 2011). Am Beispiel des Mittelmeerraums als touristische Destination lassen sich die unterschiedlichen derzeit vorherrschenden Perspektiven geographischer mediterranistischer Forschungsfragen aufzeigen. Buswell baut seine früheren Arbeiten über Tourismus auf den Balearischen Inseln in einer Monographie über Tourismus und die Insel Mallorca zu einer überwiegend strukturalistischen Zusammenschau aus, weist dabei aber auch überzeugend nach, worin das translokale Erfolgsmodell dieser Tourismusinsel besteht und warum es überall im Mittelmeerraum in Form von Destinationen kopiert wurde und wird (Buswell, 2011). Buswell greift zum einen auf die Distanzrelation als wichtige Erklärung für den Stellenwert Mallorcas im Tourismusmarkt zurück, zum anderen leitet er das historisch gewachsene Image eines insularen mediterranen Mikrokosmos her, das er als Vorläufer der massentouristischen Attraktivität sieht. Letztere hat unter den Begriffen „Balearisches Modell“ oder „Balearisierung“ Eingang in unzählige geographische und vor allem auch schulgeographische Texte gefunden. Lässt sich doch in Form eines Syndromansatzes die Belastung und Zerstörung der Natur für Erholungszwecke am Beispiel Mallorcas ebenso gut zeigen (Schmitt, 1994) wie eine Reihe weiterer Umweltprobleme, die aus den räumlichen Nutzungsansprüchen des Tourismus auf Mallorca erwachsen (Breuer, 1992). Darüber hinaus gilt Mallorca als idealtypisch für die Produktion einer massentouristischen Destination. Das „Balearische Modell“ ist die fordistische Kommodifizierung von Tourismus durch eine Verknüpfung billiger Transportmittel, gut ausgestatteter günstiger Hotels im Eigentum lokaler Hoteliers mit Strandverfügbarkeit, Sicherheit und vertrauter sozialer Umgebung in einem Produkt, das durch eine enge arbeitsteilige Kooperation zwischen lokalen Hoteliers und vorwiegend britischen und deutschen Reisekonzernen entwickelt wurde (Buswell, 2011). Alle Beiträge im Sammelband von Pons u. a. (2009) können als Beispiele für Themen und Inhalte gelten, die infolge des kulturwissenschaftlichen Trends in der Geographie verstärkt in das Blickfeld kommen. Bei aller Unterschiedlichkeit in Bezug auf Region und Erkenntnisinteresse beschäftigen sich alle Beiträge mit der Verschränkung der Materialität räumlicher Begebenheiten mit der Zeichenhaftigkeit, dem Auf- und Ausführungscharakter und den wirklichkeitskonstituierenden Aspekten sozialer und geographischer Praktiken im Kontext des Tourismus im Mittelmeerraum. Die touristische Inszenierung Marokkos unter orientalistischen Vorzeichen und durch Wiederbelebung kolonialzeitlicher Reisemotive wird ebenso untersucht (Minca u. Borghi, 2009) wie das Zusammenspiel von Tourismus und Literaturverfilmung in der Coproduktion des touristischen Images der griechischen

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Insel Kefalonia, das sich konkret in touristischen Praktiken an unterschiedlichen Stränden widerspiegelt (Crang u. Travlou, 2009). Das klassische touristische Strandhotel und der Hotelswimmingpool sind als konkrete Orte der Bezugsraum für die Betrachtung sozialer und gesellschaftlicher Interaktionen, die methodisch unter anderem durch teilnehmende Beobachtung und Interviews umgesetzt wird mit dem Ziel, die Struktur subjektiver touristischer Wahrnehmungen und Handlungszusammenhänge aufzudecken (Pons u. a., 2009). Wenngleich mehr oder weniger alle diese Beiträge den in der angelsächsischen Humangeographie verbreiteten theoretischen Zugang über Hybridmodelle und die Neubetonung der materiellen Welt deutlich widerspiegeln, trifft dies auf den Beitrag der englischen Soziologin Karen O’Reilly (2009) besonders zu. O’Reilly beschäftigt sich mit britischen Residenzialtouristen, deren freizeitfunktionale Zweitwohnsitze nicht unwesentlich zum Flächenbedarf für die anhaltende urbantouristische Erschließung der spanischen Mittelmeerküsten und deren noch verbliebenen räumlichen Ressourcen beitragen:„The Costa del Sol, I would argue, has been created for and by travel, tourism and now residential tourism more than any other tourist space“ (O'Reilly, 2009, S. 134). Die Autorin relativiert den Erkenntnisgewinn bei bloßer Fokussierung auf die Zeichenhaftigkeit des Tourismus unter Vernachlässigung seiner materiellen Grundlagen inklusive der Ausbildung und stetigen Aktualisierung physisch-materieller Objekte im Zuge residenzialtouristischer Erschließung und Nutzung der Mittelmeerküsten: „Costa del Sol residential tourism is both co-created and co-creating. … I have reiterated it here in acknowledgement of the material (as opposed to merely ideal) factors in residential tourism“ (O'Reilly, 2009, S. 135). Interessant an der Argumentation dieses Beitrags ist die Tatsache, dass die Akteure in erster Linie aus sozialwissenschaftlicher Perspektive betrachtet werden, aber ihre Fähigkeit auf raum-zeitliche Realitäten zu reagieren und diese zu verändern explizit thematisiert und anerkannt wird. Wie im folgenden Abschnitt zu zeigen sein wird, ist dies ein Beispiel für die Verknüpfung unterschiedlicher Theorieansätze, um sich empirisch einem Phänomen zu nähern, das sich nicht durch eine Erklärung des Sozialen aus Sozialem fassen lässt. Indem sie Residenzialtourismus als kultural, sozial und physisch-materiell hybridisiertes Phänomen auffasst, knüpft O'Reilly an Traditionslinien geographischer Konzeptionen von Gesellschaft-Umweltinteraktion an, die vor allem in der deutschsprachigen Humangeographie kritisch im Sinne einer „nachholenden Theoriebildung“ (Dürr u. Zepp, 2012, S. 192) und anschließenden kulturtheoretischen Wende verlassen worden sind (Lippuner, 2009).

Geographische Gesellschaft-Umwelt-Forschung am Fallbeispiel der Analyse des urban-touristischen Wasserverbrauchs auf Mallorca Bezogen auf den Mittelmeerraum ist die anhaltende Transformation der Küsten durch urban-touristische Erschließung ein Anlass, die konkrete räumliche Verbindung zwischen Sozialem und Naturalem zu untersuchen. Unter dem Blickwinkel

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einer nachhaltigen, d.h. umweltgerechten und sozialverträglichen Wirtschaftsweise wird im Folgenden der Paradigmenwechsel vom Massen- zum Qualitätstourismus, der unter dem Banner des nachhaltigen Tourismus vollzogen wird, unter einer metabolischen Perspektive mit Fokus auf den Wasserverbrauch untersucht und als sozialökologische Transformation verstanden, die mit ganz spezifischen Artefakten und einer Steigerung der energetischen und materiellen Aufwendungen Pro-Kopf verbunden ist. Die durch urban-touristische Erschließung hervorgebrachten materiellen Artefakte (Siedlungen, Infrastruktur) entstehen im Überschneidungsbereich zwischen Gesellschaft und physisch-materieller Welt. Solche immobilen materiellen Artefakte haben große Bedeutung für die erdräumliche Strukturierung der sozialen Interaktionsmuster konkreter Gesellschaftsprozesse, denn „sie strukturieren die physisch-materielle Welt und deren erdräumliche Dimension in sozialer Hinsicht und die soziale Welt in erdräumlicher Hinsicht auf persistente Weise“ (Werlen, 1987, S. 182). Die auf diese Artefakte bezogenen Flüsse können Gegenstand eines klaren und empirisch zu realisierenden Forschungsprogramms sein, das zu Problemlösungen im Themenfeld des nachhaltigen urban-touristischen Wasserverbrauchs beizutragen vermag. Die Baleareninsel Mallorca bereisen im langjährigen Mittel über 8 Mio. Touristen. Mallorca hat einen Anteil von 68,5% an touristischen Übernachtungsplätzen auf den Balearen insgesamt und eine Fremdenverkehrsintensität von 5907 Übernachtungen je 100 Einwohner (2011).3 Mallorca gilt seit den 1960er Jahren als paradigmatische massentouristische Destination im Mittelmeerraum und als Inbegriff einer Ferieninsel, die nahezu vollständig vom Tourismus abhängt (Mayer, 1976). Dieser Erfolg der mallorquinischen Tourismuswirtschaft wurde in den ersten Jahrzehnten durch einen nahezu unkontrollierten Ausbau der touristischen Infrastruktur erkauft, der in der spanischen Fachliteratur unter dem Schlagwort „balearización“ (Picornell, 1986) traurige Berühmtheit erlangt hat. Bedingt durch sinkende Touristenzahlen und einen Sturz in der Wirtschaftsbilanz begann Ende der 1980er Jahre ein politischer Umdenkungsprozess, der zu strikteren Planungsgesetzen für den weiteren touristischen Ausbau und mit der Entwicklung des Qualitätstourismus zu einer bedeutenden Innovation führte. Unter den Leitmotiven „Naturschutz“ und „Qualitätstourismus“ wird seither die Etablierung qualitativ hochwertiger und vor allem teurer Formen des Tourismus vorangetrieben. Der mallorquinische Qualitätstourismus gliedert sich in vier Segmente: Nautischer Tourismus, Golftourismus, Agrotourismus und Residenzialtourismus (Schmitt, 2000). Die Dokumentation der Auswirkungen des dadurch ausgelösten dritten Tourismusbooms in Form ausgewählter Umweltindikatoren machte deutlich, dass der Residenzialtourismus für den urban-touristischen Flächenbedarf und die Entwicklung des Wasserverbrauchs weitaus bedeutsamer ist als andere Formen des Qualitätstourismus (Schmitt u. Blázquez, 2003). Andere Studien haben ebenfalls auf den potenziellen Zusammenhang zwischen urban-touristischen Landnutzungsänderungen und steigendem Wasserverbrauch 3

Eigene Berechnungen nach Agència de Turisme de les Illes Balears, 2011.

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Abb. 2: Vergleich des tatsächlichen monatlichen Wasserverbrauchs mit dem Verbrauchsniveau, das sich aus Berechnungen auf Grundlage der Geodatenbasis mit offiziellen Angaben der Gemeindeverwaltung ergibt (100% und 200% Linie). Die sechs Untersuchungsgebiete repräsentieren die gesamte Bandbreite urban-touristischer Siedlungsstrukturtypen im Mittelmeerraum.

verwiesen (Essex u. a., 2004), die Größenordnung des Einflusses des Qualitätstourismus konnte jedoch nicht beziffert werden. Als Hypothese wurde daraufhin formuliert, dass Artefakte, die im Zusammenhang mit Qualitätstourismus geschaffen werden, mit einer höheren metabolischen Rate pro Kopf verbunden sind als im massentouristischen Modell. Die hier eingenommene metabolische Perspektive zielt dezidiert darauf ab, bestimmte Komponenten eines sozial-ökologischen Systems zu erfassen, die als Artefakte im Sinne einer strukturellen Veränderung der räumlichen Dingwelt die Inszenierung einer bestimmten urban-touristischen

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Landschaft ermöglichen und die Aufladung dieser urban-touristischen Landschaft mit Symbolen und Authentizität befördern.4 Artefakte lassen sich in aufeinander bezogene Bestände und Flüsse differenzieren. Unter Beständen werden hier Ziergärten und Swimmingpools in urban-touristischen Gebieten gefasst und die zu ihrer Erhaltung benötigten und notwendigen Flüsse in Form von Wasserverbrauch untersucht. Der methodische Ansatz ist eine empirisch-quantitative Beobachtung dieser Kolonisierung und des Metabolismus. Die Analyse der von den Akteuren ausgehenden Steuerungswirkungen, Sinnsetzungen und Handlungsmotive sind Inhalte einer Reihe vorliegender Arbeiten überwiegend aus dem australo-angloamerikanischen Kontext5 und werden hier reflektiert, aber nicht empirisch untersucht. Ziel ist es, den Wasserverbrauch residenzialtouristisch genutzter Gebiete flächenbezogen und pro Kopf zu berechnen und mit Werten für andere urbantouristische Siedlungsstrukturtypen vergleichbar zu machen. Im Regelfall liegen Wasserverbrauchsdaten im Mittelmeerraum nur in einer Form vor, die keine Differenzierung zwischen privatem Verbrauch und touristischem Verbrauch im Siedlungsbereich ermöglicht (Eurostat, 2009). Auch auf Mallorca verschleiern amtliche Daten und Statistiken die Größenordnung des touristischen Wasserverbrauchs. Insbesondere der Beitrag des Residenzialtourismus entzieht sich der öffentlichen Statistik. Durch Recherche von monatlich aufgelösten Wasserverbrauchsdaten vor Ort und Schaffung einer Datenbasis mit grundstücksscharfer Landnutzungskartierung im urban-touristischen Siedlungsbereich in Kombination mit einer Datenbank zu Bevölkerungs- und Touristenzahlen bzw. Betten in touristischen Unterkünften und den jeweiligen Auslastungsfaktoren auf monatlicher Basis wurde der Wasserverbrauch pro Kopf und Tag bestimmt (Hof u. Schmitt, 2011). Der Residenzialtourismus ist mit einem weitaus höheren Pro-Kopf-Wasserverbrauch verbunden als der bislang negativ bewertete Massentourismus. Alleine die Bewässerung privater Ziergärten kann bis zu 70 Prozent des privaten Verbrauchs ausmachen, verfügt das Grundstück über einen Swimmingpool, verursacht dies weitere 22 Liter Wasserverbrauch pro Kopf und Tag. Ein Vergleich des tatsächlichen monatlichen Wasserverbrauchs über die ganze Bandbreite urban-touristischer Siedlungsstrukturtypen zeigt unter anderem die Diskrepanzen zu den offiziellen Angaben der Gemeindeverwaltung, die den Pro-Kopf Wasserverbrauch in massentouristischen Gebieten systematisch überschätzt und den in qualitätstouristischen Gebieten systematisch unterschätzt (Abb. 2). Die ausgeprägte Saisonalität des Wasserverbrauchs deutet auf den sich verschärfenden Druck auf die Ressource in den Sommermonaten hin. Angesichts der sich abzeichnenden und prognostizierten Klimaveränderungen im Mittelmeerraum stellt sich damit auch die Frage nach der Sensitivität des Wasserverbrauchs gegenüber Schwankungen der Lufttemperatur und 4 5

Inszenierung im Sinne einer räumlichen Ausprägung verursacht durch soziales, ökonomisches und politisches Handeln menschlicher Akteure. Cook u. a., 2012 geben einen umfassenden Überblick über den Stand der Forschung zu sozialökologischen Kolonisierungsregimes in Haus- und Ziergärten im Siedlungsbereich.

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des Niederschlags. Durch Analysen von Klimadaten und Wasserverbrauchsdaten pro Kopf konnte gezeigt werden, dass auf Mallorca ein statistisch signifikant positiver Zusammenhang besteht zwischen Pro-Kopf-Wasserverbrauch und dem Prozentanteil von Ziergärten an urban-touristischen Grundstücken. Der Zusammenhang zwischen Grundstücksgröße, dem Pro-Kopf-Wasserverbrauch und dem Anteil an Swimmingpools ist eindeutig positiv. Die klimatisch gesteuerte Variabilität des Pro-Kopf-Wasserverbrauchs hängt stärker vom Temperaturverlauf als von der Niederschlagsmenge ab und auch dieses Forschungsergebnis ist konsistent mit den Resultaten von Untersuchungen in vergleichbaren Klimaten und Landnutzungskontexten (Hof, 2011). Die erzielte räumliche und zeitliche Konkretisierung des Wasserverbrauchs, der bisher nur als aggregierter Umweltindikatorwert für administrativ definierte Einheiten Mallorcas vorlag, leistet die Transformation eines aggregierten Umweltindikators in für Nachhaltigkeitsanalysen und Monitoring sinnvolle naturräumliche und sozioökonomische Raumbezüge. Die Aufschlüsselung der Wasserverbrauchsmuster in Abhängigkeit von der durch Massentourismus (Schmitt, 1999) und residenzialtouristische Erschließung6 hervorgebrachten Artefakte quantifiziert zunächst die materiellen Stoffflüsse, die bislang nicht erforscht waren. Auf dieser Grundlage ergeben sich weitere Forschungsfragen, die hier nur in aller Kürze skizziert werden können. Ein Aspekt ist die territoriale Sozialgerechtigkeit, denn vor dem Hintergrund sozioökonomisch und landnutzungsabhängig differenzierter und klimasensitiver Wasserverbrauchsmuster muss die Praxis der exzessiven Wasserbewirtschaftung der Grundwasserreservoirs, des insularen Wasserhandels und die zunehmende Abhängigkeit von Meerwasserentsalzungsanlagen kritisch gesehen werden. Diskutiert wird in diesem Zusammenhang die Kapitalakkumulation im Immobiliensektor, in deren Folge gestiegene Ansprüche an den Wasserverbrauch und damit die Wasserverfügbarkeit für urban-touristische Flächennutzungen entstehen. Diese Entwicklung verschärft nicht nur die bereits bestehende Konkurrenz um die Ressource Wasser zwischen den Siedlungen und den Wirtschaftszweigen Tourismus und Landwirtschaft, sondern befeuert eine Privatisierung der Wasserbewirtschaftung (Hof u. Blázquez, 2012; Hof u. a., 2014). Weitere laufende Forschungsarbeiten untersuchen den Energieverbrauch und die KohlendioxidEmissionen, die mit der Substituierung der Wasserversorgung aus Grundwasserreservoirs, Oberflächengewässern und Stauseen durch Meerwasserentsalzungsanlagen einhergehen. Ein weiterer Aspekt ist die Adaption an Klimaveränderungen, die einen erhöhten urban-touristischen Wasserbedarf zeitigen könnten, wie bereits vorangehend geschildert. Hier ist für den gesellschaftlichen Abstimmungsbedarf zu quantifizieren, wie sich die Kolonisierungsleistungen, die sich in bewässerten Grünflächen und Swimmingpools ausdrücken, auf die Wasser- und Energiebedarfe und damit die CO2-Bilanz auswirken und es gilt dem gegenüber zu stellen die Erfassung und Bewertung der Ökosystemdienstleistungen, die durch Grünflächen 6

Hof u. Schmitt, 2008 stellen den raum-zeitlichen Prozess im Zuge des dritten Tourismusbooms seit den 1990er Jahren mit einem Fokus auf Residenzialtourismus dar.

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und Swimmingpools realisiert werden: ästhetische Qualität, Erholungswert und der mikroklimatische Abkühlungseffekt, der nachgewiesenermaßen von diesen Artefakten ausgeht (Gober, 2010).

Fazit Geographische Gesellschaft-Umwelt-Forschung im Mittelmeerraum stellt konzeptuelle Grundlagen, Methoden und Forschungspraxis in den Dienst neuer interdisziplinärer Forschungsfragen. Gegenstand der Betrachtung sind Veränderungen gekoppelter Mensch-Umwelt-Systeme, die sowohl Resultat als auch erklärende Variable für biophysische und soziale Prozesse sind. Dieser Ansatz löst sich gleichermaßen vom Raumdeterminismus wie vom reinen Fokus auf soziale oder naturale Systeme, Prozesse und Phänomene und knüpft an die ureigene Qualität des vernetzten raumbezogenen Denkens als Kern der Geographie an. Die Transformation von Landschaft wird als Produkt gesellschaftlicher Interventionen in natürliche Systeme verstanden, die metabolische Folgeprobleme verursacht, deren Untersuchung nicht nur zum Verständnis der Beeinflussung naturaler Systeme durch soziale Systeme beiträgt, sondern gegenwartsbezogen und problemorientiert Erkenntnisgewinne zu Fragen nachhaltiger Gesellschaft-Umwelt-Interaktion liefert.

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Geologie Gewidmet Manfred Schliestedt (1952–2013)

Definition des Faches und Relevanz des Mittelmeerraums für das Fach Es gibt wenige Regionen auf unserem Planeten, in denen die Naturgewalten aus dem Inneren der Erde so präsent sind wie im Mittelmeerraum. Seien es aktive Vulkane, Erdbeben oder die Kraft des Meeres – immer wieder wird den Menschen dort vor Augen geführt, dass unsere Erde ein dynamischer Planet in ständigem Wandel ist – oft unmerklich langsam, doch gelegentlich mit großer Wucht und tragischen Folgen für die Bevölkerung. Es ist kein Wunder, dass in Ermangelung natürlicher Erklärungen so viele geologische Phänomene Einzug in die regionale Mythologie hielten – man denke nur an die Vulkane des Mittelmeers und ihre Bedeutung für griechische und römische Unterweltmythen. Der Mittelmeerraum ist ein Schauplatz, wo Geologie faszinierend und schrecklich zugleich sein kann. Heute hat die Menschheit einen Wissenstand erreicht, der es unnötig macht, zum Beispiel einen Vulkanausbruch dem Zorn eines beliebigen Gottes zuzuschreiben. Dass wir die geologischen Naturgewalten als natürliche Folge der Prozesse im Inneren unseres Planeten verstehen, ändert jedoch nichts an der Ehrfurcht, die wir für sie empfinden. Das Gegenteil ist der Fall. Je genauer wir verstehen, wie unser Planet funktioniert, desto größer ist die Faszination, aber auch die Verantwortung, dieses Wissen zum Schutz der dort lebenden Menschen anzuwenden.

Eine kurze geologische Geschichte des Mittelmeers Die Geschichte des Mittelmeers ist im wahrsten Sinne des Wortes bewegt – nicht nur in historischer Zeit, sondern bereits seit vielen hundert Millionen Jahren. Das Mittelmeer, wie wir es heute kennen, ist nur der kleine Rest eines ehemals riesigen Ozeanbeckens. Dieser Ozean wird Tethys genannt und trennte viele Millionen Jahre lang den südlichen Großkontinent Gondwana (Afrika, Antarctica, Australien, Südamerika) vom Nordkontinent Laurasia (Europa, Asien, Nordamerika). Im Laufe der Jahrmillionen bewegte sich die Afrikanische Platte nach Norden und der Tethys-Ozean schloss sich mehr und mehr (Abb. 1). Dabei wurden immer wieder kleinere Kontinentfragmente an den Rand der Eurasischen Platte angeschweißt

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Abb. 1: Paläogeographische Rekonstruktionen des Mittelmeerraums. (a) Späte Triaszeit: Alle Landmassen sind zum Superkontinent Pangäa vereint. Der Tethys-Ozean ist ein riesiges, sich nach Osten weitendes Meeresbecken, umschlossen von Laurasia im Norden und Gondwana im Süden. (b) Mittlere Jurazeit: Pangäa beginnt zu zerbrechen und westlich des Bildausschnitts öffnet sich der Atlantische Ozean. Ein globaler Meeresspiegelhochstand überflutet weite Teile der heutigen Kontinente. (c) Kreide/Tertiär-Grenze: Durch extrem warmes Klima (die Erde war vollkommen eisfrei) liegt der Meeresspiegel sogar noch höher als in der Jurazeit. Die Öffnung des Atlantik schreitet weiter fort, während Afrika sich auf Europa zubewegt. Eingeklemmt zwischen Afrika und Europa ist unter anderem die Adriatische Platte, auf der z.B. Italien liegt. Durch den Druck der beiden Großplatten schieben sich zahlreiche Kontinentfragmente übereinander und die Alpen beginnen, sich zu formen – ebenso wie die Pyrenäen. (d) Spätes Miozän: Die Schließung des Tethys-Ozeans ist abgeschlossen. Reste des Paläo-Tethys liegen im Untergrund zum Beispiel unter dem Schwarzen Meer und dem Kaspischen Meer. Der Alpine Gebirgszug erstreckt sich vom heutigen Frankreich bis in die Balkan-Region und nach Kleinasien. Kurze Zeit später, etwa 6 Millionen Jahre vor heute, wird der Wasseraustausch zwischen Mittelmeer und Atlantik unterbrochen und das Mittelmeer trocknet phasenweise beinahe vollständig aus – das sogenannte Messinian Event. Rekonstruktionen von Ron Blakey (http://jan.ucc.nau.edu/rcb7/ index.html).

und Sedimente aus dem Tethys-Ozean herausgehoben. Dieser ehemalige Meeresboden bildet heute den geologischen Untergrund des gesamten Mittelmeerraums – und, übereinander geschoben, einen Großteil der Alpengipfel. Resultat der Kollisionen im Zuge der schrittweisen Schließung des Tethys-Ozeans ist ein hochkomplexer geologischer Bau. Da die Relativbewegungen zwischen Afrika und Eurasien weitergehen, ist der gesamte Mittelmeerraum auch heute noch geologisch hochaktiv. Zahlreiche Erdbeben und Vulkane sind eindrucksvolle Auswirkungen dieser bis heute anhaltenden Prozesse.

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Was sind Geowissenschaften? Unter dem Begriff Geowissenschaften ist ein breit gefächertes Spektrum unterschiedlichster Disziplinen vereinigt. Sie befassen sich im Wesentlichen mit der Entwicklung der festen Erde, der Atmosphäre, Hydrosphäre und Biosphäre. Die Geologie erforscht die Geschichte des Planeten, die Entwicklung kontinentaler und ozeanischer Erdkruste, sowie die Entstehung von Gebirgen. Vulkanismus und Erdbeben sind ebenfalls Gegenstand geologischer Forschung. Unterdisziplinen wie Strukturgeologie (Deformationsprozesse in Gesteinen), Geochemie, Petrologie (Gesteinszusammensetzungen und ihre Bedeutung für deren Entstehung) und Geochronologie (Datierung von Gesteinsbildungs- oder Metamorphoseprozessen) liefern hierbei wichtige Daten. Als Brückenschlag zu den Biowissenschaften befasst sich die Paläontologie mit der Evolution, Anatomie und dem Verhalten ausgestorbener Lebewesen in der Erdgeschichte. In Forschungsbereichen wie der Entwicklung des Menschen sind die Grenzen zur Anthropologie und Archäologie fließend. Die Paläoökologie als Spezialdisziplin untersucht fossile Lebensräume. Die Geophysik erlaubt mit ihren verschiedenen Methoden (Seismik, Messung des Magnet- oder Schwerefelds) einen tieferen Blick in die Erde als es z.B. Bohrungen können. Geophysikalische Verfahren sind unsere Hauptquelle für Informationen über die tiefe Erdkruste, den Erdmantel und den Erdkern. Geophysikalische Methoden kommen ebenfalls in der Archäologie zum Einsatz, um z.B. Mauerwerk im Boden aufzuspüren. Weitere Überschneidungen ergeben sich mit der Klimatologie und Atmosphärenforschung, sowie der Physischen Geographie. Diese Themenschwerpunkte – wie zum Beispiel die Herausforderungen des Klimawandels – werden an anderer Stelle in diesem Band im Detail behandelt. Die Tatsache, dass innerhalb der Geowissenschaften Methoden aus der Physik, Chemie, Fernerkundung, Mathematik, Informatik und Biologie zum Einsatz kommen, machen sie zur vielleicht vielseitigsten unter den Naturwissenschaften. In der Tat führte nur ein ausgesprochen interdisziplinäres Vorgehen zu dem tiefen Verständnis des Systems Erde, wie wir es heute besitzen (Manduca u. Kastens, 2012).

Forschungsgeschichte des Faches in Bezug auf Mittelmeerforschung Der Mittelmeerraum ist seit vielen Jahrtausenden besiedelt. So ist es nicht verwunderlich, dass, seitdem Menschen systematisch ihre Umwelt beobachteten, erdwissenschaftliche Phänomene Gegenstand von Überlegungen seitens der Naturphilosophen waren. Die folgende Auflistung gibt einen Überblick ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Zu groß ist die Zahl derer, die sich durch die Epochen hindurch mit Fragen der Erdgeschichte beschäftigt haben.

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Antikes Griechenland und Rom Die Geschichte der geowissenschaftlichen Forschungen begann spätestens im klassischen Altertum. Schon sehr früh wurde von griechischen Philosophen festgestellt, dass unsere Erde veränderlich ist. Diese Erkenntnisse gewannen sie natürlich in ihrer unmittelbaren Umgebung – im Mittelmeerraum. Sie versuchten, natürliche Erklärungen für ihre Beobachtungen zu finden. Typisch für ihr Streben war, ein konsistentes Weltbild ohne übernatürliche Ursachen zu entwerfen. Einer der ersten, der sich über Geologie und Paläontologie Gedanken machte, war schon um 600 v. Chr. Xenophanes von Kolophon. Er beobachtete auf küstenfernen Bergen fossile Schalen von Muscheln im Gestein und schloss daraus, dass sich in der Vergangenheit mehrfach Meereseinbrüche ereignet haben müssen (Berry, 1968), eine Vorstellung, die übrigens von Aristoteles wieder teilweise verworfen wurde, als er die Entstehung von Fossilien auf die schöpferische Tätigkeit eines höheren Wesens zurückführte. Doch auch für Aristoteles war unbestritten, dass sich die Verteilung von Land und Meer im Laufe der Zeit veränderte. Quasi-evolutionäre Ideen – das heißt Entstehung von Lebewesen durch natürliche Selektion – finden sich bei Empedokles im 5. Jahrhundert vor Christus.1 Für die griechischen Philosophen war ebenfalls klar, dass die Welt ein sehr hohes Alter haben musste; einige sahen in ihr sogar einen ewigen Kreislauf ohne Anfang und Ende (siehe Bonatti, 2012). Auch römische Gelehrte wie Plinius der Jüngere betrieben geologische Studien. In seinen Schriften über den Vesuvausbruch 79 n. Chr. ist überliefert, dass Forscherdrang zu geologischen Prozessen auch im alten Rom verbreitet war. Schließlich wurde eben dieser Forscherdrang seinem Onkel Plinius dem Älteren zum Verhängnis – er kam ums Leben, als er den Ausbruch aus der Nähe studieren wollte. Die Bezeichnung „Plinianische Eruption“ für den hochexplosiven Vulkanismus des Vesuv ist noch heute fester Bestandteil der geologischen Terminologie und gründet sich auf die detaillierten Beschreibungen dieser beiden Gelehrten. Viele grundlegende geologische Ideen wie Meeresspiegelschwankungen oder Hypothesen, die bereits Aspekte von Darwins Evolutionstheorie anklingen ließen, wurden also bereits im Altertum entwickelt – und das Weltbild der alten Gelehrten war durchaus ein dynamisches. Mit der Verbreitung des Christentums wurde dieses Wissen allerdings in den Hintergrund gedrängt und durch biblische Dogmen (junge Erde, statische Welt, Schöpfung statt Evolution, geozentrisches Weltbild) ersetzt. Erst im 18. Jahrhundert begann die Geologie, sich systematisch als empirische Wissenschaft zu formen und emanzipierte sich nach und nach gegen die Widerstände der vorherrschenden christlich-biblisch geprägten Gelehrtenkreise. 1

Insbesondere ist hier die Idee des „survival of the fittest“ zu nennen, die Empedokles in einer heute bizarr anmutenden Hypothese beschrieb. Er malte sich aus, Tiere und Menschen seien aus einzeln umherirrenden, der Erde entsprossenen Körperteilen zusammengewachsen. Kombinationen, die lebensfähig waren, überlebten und „unsinnige“ Mischwesen gingen zugrunde (für Details siehe Junker u. Hoßfeld, 2009). Dies ist natürlich keine Evolutionstheorie im engeren Sinne, ähnelt aber erstaunlich dem Kernprozess der Darwinschen Theorie über die Selektion zufällig entstandener Eigenschaften. Darwins Geniestreich war, nicht in „Einzelwesen“ zu denken, sondern in Populationen.

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Frühe Neuzeit Beispielhaft für die Gedankenwelt dieser Epoche sei hier der Däne Niels Stensen (1638–1686) erwähnt, auch bekannt unter seinem latinisierten Namen Nicolas Steno und einer der bedeutendsten Väter der modernen Geologie. Er führte während seiner Zeit in Florenz eine Reihe von Untersuchungen durch, die auch nach heutigen wissenschaftlichen Maßstäben als hervorragend gelten. Durch Vergleiche versteinerter Haifischzähne mit rezenten Exemplaren erkannte er Fossilien – im Widerspruch zur aristotelischen Lehre – als Reste einstmals lebender Tiere. Vielleicht noch wichtiger für die moderne Geologie waren die Erkenntnisse, die Steno bei der Untersuchung der toskanischen Gesteine gewann (Bierbaum u. Faller, 1979). Er entwickelte das Stratigraphische Grundgesetz. Es besagt, dass ältere Gesteine unten liegen und von jüngeren Gesteinen bedeckt sind. Aus heutiger Sicht eine Selbstverständlichkeit, legte diese Erkenntnis damals den Grundstein für die moderne Sedimentologie.2 Das stratigraphische Grundgesetz darf heute in keiner geologischen Einführungsvorlesung fehlen. Aus Sicht der Geologie ist es bedauerlich, dass Stensen kurze Zeit später die Naturwissenschaften zugunsten einer klerikalen Karriere an den Nagel hängte, die ihn letztendlich zum Weihbischof von Münster aufsteigen ließ (siehe Bierbaum u. Faller, 1979). Zeitlebens strenggläubig, galt für Stensen die biblische Zeitskala – seine Geologie spielte sich also in Zeiträumen von wenigen tausend Jahren ab und war vom Sintflut-Dogma geprägt. Die Erkenntnis, dass geologische Prozesse über Millionen von Jahren ablaufen, blieb damit späteren Wissenschaftlergenerationen vorbehalten, insbesondere dem Schotten James Hutton (1726–1797).

Aufklärung Im ausgehenden 18. Jahrhundert stand die Geologie unter dem Zeichen des Streits zwischen Neptunismus und Plutonismus bzw. Vulkanismus. Kernpunkt dieser Debatte war die Entstehung der Gesteine: sind sie allesamt als Sedimente im Meer gebildet (Neptunismus) oder durch Magma, bzw. Vulkane entstanden (Plutonismus). Die Vulkane Italiens boten sich für europäische Gelehrte selbstverständlich an, um vor der eigenen Haustür nach Hinweisen zur Lösung dieses Streits zu suchen. Johann Wolfgang von Goethe, der als Universalgelehrter sehr an Geologie interessiert und eher Neptunist war, begab sich selbst in große Gefahr. In den Jahren 1786 bis 1788 reiste er durch Italien – unter anderem, um aktive Vulkane aus nächster Nähe zu studieren. Spektakulärer Höhepunkt der goetheschen Forschungsaktivitäten waren die mehrfachen Besteigungen des Vesuv während eines schwächeren 2

Stensen war ebenfalls bekannt für die Methode, aktive geologische Prozesse zu beobachten und daraus Rückschlüsse auf die erdgeschichtliche Vergangenheit zu ziehen. Er kann somit als neuzeitlicher Vorreiter des Aktualismusprinzips gelten, das erst in den 1830er Jahren von Charles Lyell mit „The present is the key to the past“ treffend auf den Punkt gebracht wurde.

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Ausbruchs im März 1787. Dabei gelangte er sogar bis an den gerade aktiven Kraterrand.

Abb. 2: Vergleich verschiedener explosiver Vulkanausbrüche nach ihrer geförderten Lavamenge. Um die Dimensionen zu verdeutlichen, sind zum Vergleich der Burj Khalifa, das zur Zeit höchste Gebäude der Welt, und die Cheops-Pyramide dargestellt. Die Volumenangaben sind in "Dense Rock Equivalent" (DRE), d.h. nach Abzug aller Blasen im Lavagestein und Hohlräumen zwischen einzelnen Körnern (z.B. in lockeren Aschelagen). Es werden nur ungefähre Angaben gemacht, da Schätzungen des jeweils geförderten Volumens schwierig sind und von Studie zu Studie etwas variieren können. Der tödliche Ausbruch des Vesuv im Jahre 79 liegt in etwa derselben Größenordnung wie der des Pinatubo 1991. Ungleich heftiger war die Minoische Eruption von Thera. Sie gehört zu den stärksten Vulkaneruptionen seit Beginn menschlicher Geschichtsschreibung. Zum Vergleich ist der Ausbruch des Tambora (Indonesien) im Jahre 1815 angegeben – er gilt als der stärkste von Menschen gründlich dokumentierte Vulkanausbruch. Sein Asche- und Gasausstoß führte zum berüchtigten "Jahr ohne Sommer" 1816, dem in Nordamerika und Europa Hunderttausende Menschen zu Opfer fielen. Das Ausmaß des calderaformenden Ausbruchs der Phlegräische Felder vor etwa 40.000 Jahren liegt mit geschätzten 180–280 km3 geförderten Gesteins in etwa derselben Größenordnung.

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Jüngere Forschungsgeschichte The reader will find disparity in the depth of knowledge and the coverage of different areas and processes. He may be disappointed that the jig-saw puzzle is not yet fully solved, but he may in return come to appreciate how many of the pieces are turning out to have the same pattern on them, and he may catch occasional glimpses of parts of the picture. Aus dem Vorwort von „The geological evolution of the Eastern Mediterranean“ (Dixon u. Robertson, 1984)

Nachdem sich im 19. Jahrhundert unter Geologen die grundlegende Idee durchgesetzt hatte, dass die Erde ein Alter von mindestens vielen hundert Millionen Jahren haben muss, konnten viele vorher gemachte Beobachtungen neu bewertet werden. Das Weltbild der Geologen blieb allerdings noch lange Zeit ein statisches. Erst die in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts aufkommende Theorie der Plattentektonik3 war eine wissenschaftliche Revolution und lieferte auch im Mittelmeerraum das Werkzeug, seine hunderte Millionen Jahre lange Geschichte zu entschlüsseln. Die Region wurde nach und nach als das komplex verschachtelte Produkt wiederholter Plattenkollisionen erkannt und deren Verlauf rekonstruiert. Heute rückt man den Gesteinen des Mittelmeerraums mit immer ausgefeilteren Methoden zu Leibe: Geochronologie, um das Alter einzelner Krustenfragmente und ihre Deformationsgeschichte zu erforschen, Petrologie, um anhand von Mineralgleichgewichten die Druck- und Temperaturgeschichte der Gesteine zu verstehen, Paläomagnetik, um die Rotation von Krustenblöcken zu rekonstruieren und Seismik, um Einblick in tiefe Teile der Kruste und des darunterliegenden Erdmantels zu gewinnen.

Hephaistos, Poseidon und die Plattentektonik: Geologie, Geschichte und Kultur Der Einfluss geologischer Ereignisse auf die Kulturen und die Geschichte des Mittelmeerraums ist massiv. Man denke nur an den Ausbruch des Vesuv im Jahre 79 n. Chr. (s.o., Abschnitt „Antikes Griechenland und Rom“) oder an die weitaus größere Katastrophe vor etwa 3600 Jahren, als einer der stärksten Vulkanausbrüche seit Menschengedenken die Insel Thera in der Ägäis zerriss. Die Eruption förderte explosionsartig über 60 Kubikkilometer Gestein und hatte damit eine etwa 20-mal stärkere Wucht als der Vesuv-Ausbruch (Sigurdsson u. a., 2006; Abb. 2). Diese „Minoische Eruption“ und ihre Begleiterscheinungen (Ascheregen, Erdbeben, Tsunamis und Klimaverschlechterung) wurden immer wieder diskutiert als einer der maßgeblichen Auslöser für den Untergang der Minoischen Kultur auf Kreta und den Kykladen. Die Zahl der Menschen, die im Laufe der Jahrtausende im Mit3

Eine ihrer Vorläuferhypothesen, Alfred Wegeners Kontinentaldrift, konnte sich nicht durchsetzen, weil er keinen plausiblen Mechanismus zu ihrer Erklärung vorweisen konnte.

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telmeerraum durch Vulkanausbrüche, Erdbeben und Tsunamis ums Leben kamen, geht in die Millionen. Noch weiter zurück liegt ein weiteres Ereignis, das möglicherweise Vorbild für babylonische und biblische Sintflutmythen gewesen ist – die Flutung des Schwarzen Meeres durch den Bosporus vor über 9000 Jahren. Die Vehemenz und das tatsächliche Ausmaß dieser Flut werden unter Geowissenschaftlern intensiv diskutiert (z.B. Mudie u. a., 2007; Yanko-Hombach u. a., 2007; Dolukhanov u. a., 2009; Giosan u. a., 2009; Thom, 2010), die bisherigen Erkenntnisse eröffnen aber bereits jetzt völlig neue Perspektiven für Historiker, Archäologen und Religionswissenschaftler. Nicht nur plötzliche, katastrophale Ereignisse wie Beben, Fluten oder Vulkanausbrüche prägten das Leben der Mittelmeervölker im Laufe ihrer Geschichte. Immer wieder mussten Häfen und Tempelanlagen verlegt bzw. aufgegeben werden, weil sie über die Jahrhunderte langsam im Meer versanken oder sich gar das Land hob und Häfen verlandeten. Ursache hierfür ist das komplexe Zusammenspiel von Meeresspiegelschwankungen mit lokalen Hebungen und Senkungen einzelner Krustenblöcke, ausgelöst durch die intensive tektonische Aktivität in der Region. Der versunkene antike Hafen von Alexandria im Nildelta ist nur ein spektakuläres Beispiel für dieses Problem; überall in der Ägäis ist zu beobachten, dass über die Jahrtausende Gebäude im Wasser verschwanden (Baika, 2008). Dieser Prozess dauert bis heute an, wird also die Menschen noch weiter beschäftigen.

Gegenwärtige mediterranistische Forschungsfragen und Perspektiven Die Arbeit der Geowissenschaftler im Mittelmeerraum ist so vielschichtig, dass es den Rahmen dieses Überblicks sprengen würde, detailliert auf jedes einzelne Forschungsgebiet einzugehen. Das folgende Kapitel kann daher nur einen groben Abriss über die unterschiedlichen Aspekte geologischer Forschung in der Region liefern. Es dient vornehmlich dazu, einen Überblick zu verschaffen und die starke Vernetzung der Disziplinen untereinander zu zeigen. Konkret gesellschaftsrelevante Forschung ist undenkbar ohne ein umfassendes Verständnis der beteiligten natürlichen Prozesse. Aus Sicht der Geowissenschaften heißt dies: Ohne solide Datenbasis, insbesondere ohne einen Blick in die tiefe geologische Vergangenheit der Region, wären Aussagen etwa zum Erdbebenrisiko oder zur Abschätzung der Gefahren durch Vulkanismus nichts weiter als ein – mitunter gefährliches – Ratespiel. Heute wirken Grundlagen- und angewandte Forschung zusammen und es entsteht ein ganzheitliches Bild des Mittelmeerraums, seiner geologischen Geschichte und seiner möglichen Zukunft.

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Abb. 3: Plattentektonische Situation in der heutigen Ägäis. Vereinfacht nach McKenzie (1970) und Walcott u. White (1998). Lage der Hellenischen Subduktionszone aus Le Pichon u. Angelier (1979). Entlang von großen Seitenverschiebungen wird die Anatolische Mikroplatte nach Westen bewegt. Dabei entstehen immer wieder schwere Erdbeben, von denen Millionenstädte wie Athen und Istanbul betroffen sein können. Durch Subduktion (Versenkung ozeanischer Erdkruste in den Erdmantel) südlich von Kreta entstehen Zugspannungen, die in der Ägäis die Kruste auseinanderzerrt und ausdünnt.

Grundlegende Forschungen zu Plattentektonik und der Evolution von Gebirgen: das Beispiel der Ägäis Durch die lange Geschichte des Tethys-Ozeans, die überall in den Gesteinen des Mittelmeerraums und der Alpen überliefert ist, bieten sich zahllose Möglichkeiten für Geologen, die Vergangenheit der Region zu entschlüsseln. Die Palette reicht vom Vergleich unterschiedlicher Fossilgemeinschaften und deren Evolution in ehemals weit voneinander entfernten Regionen bis hin zum Studium alter und junger Gebirgszüge. Der östliche Mittelmeerraum, insbesondere die Ägäis, ist in diesem Zusammenhang hochinteressant: Die Anatolische Mikroplatte bewegt sich nach Westen und „zerfließt“ in der Ägäis gewissermaßen, wodurch ein Teil der ehemals stark verdickten griechischen Erdkruste auseinandergezerrt wird (Abb. 3). Diese Bewegungen (einige Zentimeter pro Jahr) lassen sich mit hochempfindlichen GPS-Langzeitmessungen sogar direkt nachvollziehen (z.B. Hollenstein u. a., 2008; Reilinger u. a., 2010). Dieser Prozess sorgt dafür, dass ehemals tief liegende Zonen des jungen Alpidischen Gebirges an der Oberfläche aufgeschlossen sind. Dies ermöglicht das Studium von Gesteinen, die in bis zu 50 km Tiefe unter extremem Druck und großer Hitze verändert (metamorphisiert) wurden (siehe z.B. Jolivet u. Brun, 2010). Den Geologen bietet sich so die Gelegenheit, der Dynamik des Werdens und Vergehens von Gebirgen im wahrsten Sinne des Wortes „auf den Grund zu gehen“.

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Paläontologie Der heutige Mittelmeerraum ist seit langer Zeit Schauplatz der Evolution. Von der spektakulären Trilobitenfauna aus dem Devon Marokkos4 über eine fast lückenlose Überlieferung der Lebensgeschichte im Ur-Ozean Tethys bis hin zu Wirbeltierfossilien aus der jüngsten Erdgeschichte birgt die Region eine Fülle an paläontologischen Kostbarkeiten. Zwei Beispiele aus der jüngeren Erdgeschichte verdeutlichen dies: Eine der berühmten Fossilfundstellen der Region ist Monte Bolca in Norditalien. Hier wurde eine artenreiche, hervorragend erhaltene Fischfauna gefunden, die Einblicke in die Biologie von Riff-Lebensgemeinschaften vor etwa 50 Millionen Jahren bietet. Durch Vergleiche mit heutigen Riffen lässt sich so die Evolution kompletter Lebensräume durch die Zeit rekonstruieren (Bellwood, 1996). Auch festländische Lebensgemeinschaften sind im Mittelmeerraum überliefert. Eine Lagerstätte, deren große Bedeutung erst vor sehr kurzer Zeit erkannt wurde, liegt in Nordost-Spanien, etwa 80 km nördlich von Barcelona: das Maar von Camp dels Ninots (Gomez de Soler u. a., 2012).5 In den Sedimenten eines ehemaligen Kratersees – ähnlich den heutigen Maaren in der Eifel – wurden dort beinahe vollständig erhaltene Wirbeltierskelette gefunden. Unter den Funden waren große Tiere wie Nashorn und Tapir, aber auch gut erhaltene filigrane Skelette von Fröschen und Fischen. Die Fossilien wurden auf das späte Pliozän datiert (etwa 3,2 Millionen Jahre vor heute), also kurz vor Beginn der Eiszeit in Europa. Dieser Zeitabschnitt ist interessant, weil durch Vergleiche mit eiszeitlichen Faunen herausgearbeitet werden kann, wie die europäische Tierwelt auf das kälter werdende Klima reagierte. Paläontologie ist längst keine verstaubte Kategorisierungswissenschaft mehr. Heutzutage werden Fossilfundstellen umfassend sedimentologisch und paläobotanisch untersucht, um die Umwelt, in der die Tiere lebten, möglichst genau zu beschreiben. Die Rekonstruktion vergangener Ökosysteme, unter welchen Bedingungen sie entstanden und wie sie auf Veränderungen von Umweltbedingungen reagierten, ist ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis heutiger Klimaänderungen und ihrer möglichen Auswirkungen.

Risikomanagement: Vulkanismus und Erdbeben Der aktuelle Fall von italienischen Geologen, die Ende 2012 wegen angeblich falscher Erdbebenvorhersagen verklagt und verurteilt wurden (siehe Wyss, 2013), zeigt in eindrucksvoller und bestürzender Weise, wieviel Brisanz in dieser Thematik im Mittelmeerraum steckt. 4

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Trilobiten („Dreilappkrebse“) sind eine Klasse meeresbewohnender Arthropoden. Sie tauchten erstmals im Kambrium vor über 500 Millionen Jahren auf und waren durch das gesamte Erdaltertum hindurch sehr häufig. Sie starben am Ende des Perms vor etwa 250 Millionen Jahren aus. Der Name der Lokalität stammt aus dem Katalanischen und bedeutet „Feld der Puppen“ – benannt nach den unregelmäßigen Opalknollen, die dort im Boden vorkommen. Sie sehen gelegentlich wie kleine menschenähnliche Figürchen aus.

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Abb. 4: Erdbeben mit einer Momentmagnitude von 6 und höher der letzten 1000 Jahre, nach Grünthal u. Wahlström (2012). Prominente Störungszonen, bzw. Grenzen zwischen tektonischen Platten sind vermerkt.

Die Erdbebengefahr im Mittelmeerraum ist schon seit langer Zeit ein Schwerpunktthema der Forschung (siehe z.B. Purcaru u. Berckhemer, 1985). Die einschlägigen Risikogebiete Italien, Griechenland und Türkei stechen allein schon durch die Auswertung früherer Erdbeben heraus (Abb. 4). Auch wenn Erdbeben bis heute noch nicht genau vorhergesagt werden können, ist es extrem wichtig, die bekannten Verwerfungszonen wie zum Beispiel die Nordanatolische Störung (siehe auch Abb. 3) gründlich zu beobachten (Hergert u. Heidbach, 2010). Gleichzeitig müssen durch geologische Kartierungen aktive Störungszonen ausfindig gemacht werden, die bisher noch nicht durch Seismizität aufgefallen sind, wo sich aber potentiell Spannungen aufbauen könnten. Diese Daten können dann direkt in Erdbeben- und Tsunami-Evakuierungspläne6, sowie in die Konzeption von Frühwarnsystemen einfließen. Expeditionen des deutschen Forschungsschiffes Meteor, zum Beispiel ins westliche Mittelmeer 2007 und unter anderem in die Adria 2012, tragen wesentlich dazu bei, die plattentektonischen Prozesse in der Region besser zu verstehen. Sie dienen damit ebenfalls der Risikobewertung (z.B. Kopp u. a., 2012) – eine Frage, die nicht nur Versicherungen interessiert, sondern von großem gesellschaftlichen Interesse ist. Der Stromboli ist, wenn man so etwas überhaupt sagen kann, ein vergleichsweise „zahmer“ Vulkan. Die Gefährlichkeit des Ätna und vor allem des Vesuv hingegen sind aus der Historie hinreichend bekannt, und eine sehr gründliche Beobachtung dieser Vulkane ist essentiell. Insbesondere machen sich hier die verschiedenen Geoinformatik-Disziplinen verdient: Digitale Höhenmodelle, verbunden mit 6

Im Mittelmeer besteht durchaus das Potential für extreme Tsunamis, die lokal dutzende Meter Höhe erreichen können. Mehrere davon wurden in der Vergangenheit nachgewiesen, zum Beispiel ausgelöst durch die Minoische Eruption von Thera (s.o.) oder nach einem gewaltigen Erdrutsch am Ätna vor 8000 Jahren (Pareschi u. a., 2006).

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Abb. 5: Die Bucht von Neapel mit dem Vesuv und den Phlegräischen Feldern. Der Rand der riesigen Caldera, die bei dem katastrophalen Ausbruch vor 40.000 Jahren entstand, ist weiß gestrichelt (Lage nach Tonarini u. a., 2009). Die Magmakammer unterhalb Neapels ist sehr aktiv; so hob und senkte sich der Boden in den Phlegräischen Feldern während der letzten 30 Jahre mehrfach um bis zu 1,5 m. Ein schwerer Ausbruch in den Phlegräischen Feldern gilt allerdings zur Zeit als sehr unwahrscheinlich.

Computersimulation von möglichen Lavaströmen und Glutlawinen liefern wichtige Daten für die Ausweisung von Risikogebieten, damit Evakuierungspläne so effizient wie möglich gestaltet werden können (z.B. Esposti Ongaro u. a., 2008). In diesem Zusammenhang darf ein weniger offensichtlicher, dennoch potentiell verheerender Gefahrenherd nicht unerwähnt bleiben. Unweit des Vesuv, direkt westlich von Neapel, liegen die Phlegräischen Felder (Abb. 5). Dieses Areal, eher als Touristenattraktion bekannt, ist eine riesige Caldera (Todesco u. Berrino, 2005). Jüngste Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass ihr stärkster Ausbruch vor etwa 40.000 Jahren das Ausmaß des schwersten Ausbruchs seit Menschengedenken (Tambora 1815, siehe auch Abb. 2) deutlich übersteigt.7 Es wird diskutiert, dass die klimatischen Folgen dieser Katastrophe die Neandertalerpopulation stark unter Druck setzten und es Homo sapiens erheblich erleichtert wurde, sich in Europa durchzusetzen (Costa u. a., 2012). Das letzte Wort in dieser Diskussion ist noch nicht gesprochen, dennoch macht sie deutlich, welchen Einfluss geologische Ereignisse potentiell auf die Gattung Homo in der Region haben können. Ein erneuter Ausbruch dieser Größenordnung gilt zur Zeit als sehr unwahrscheinlich, allerdings wäre es fatal, die Aktivität der Phlegräischen Felder nicht genauestens zu beobach7

In den Medien werden die Phlegräischen Felder immer wieder publikumswirksam als „Supervulkan“ bezeichnet. So verheerend ein Ausbruch dieser Größenordnung für Europa wäre, muss dennoch klargestellt werden, dass dieser Begriff traditionell eher Eruptionen der Stärke 8 auf dem Vulkanexplosivitätsindex (VEI) vorbehalten bleibt. Diese glücklicherweise extrem seltenen Ereignisse sind mit einem Fördervolumen von über 1000 km3 eine ganze Größenordnung stärker und haben im Allgemeinen langanhaltende und schwerwiegende globale Folgen.

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ten. Gegenwärtig läuft in den Phlegräischen Feldern ein internationales Bohrprojekt (das Campi Flegrei Caldera Deep Drilling Project, kurz CFDDP), unter anderem mit Beteiligung des Geoforschungszentrum (GFZ) Potsdam und der Universität Göttingen. Es hat zum Ziel, in bis zu 3 km Tiefe möglichst direkt die Temperatur, die Spannung im Gestein, sowie die Zusammensetzung vulkanischer Gase und Fluide zu messen.8 Es ist existentiell wichtig, die Mechanismen zu verstehen, welche zu unterschiedlich vehementen Ausbrüchen führen – und insbesondere deren Warnzeichen rechtzeitig zu entschlüsseln. Aus diesem Grund werden die Vulkane Italiens pausenlos von Geowissenschaftlern überwacht: Landhebungen, Zusammensetzung vulkanischer Gase, Veränderungen des lokalen Schwerefelds, Erdbebenschwärme – alle diese Parameter können auf ein erhöhtes Risiko bevorstehender Ausbrüche hindeuten.

Synthese: Relevanz des Mittelmeerraums für geowissenschaftliche Forschungen We have reached a critical juncture in the history of mankind: It is no longer possible for us to live on Earth without attending to the impacts of our actions on it and its impact on us. The geosciences provide an important way of thinking about Earth, as well as critical tools for understanding these problems. (Manduca u. Mogk, 2006)

Die Mittelmeerregion bietet Geowissenschaftlern aller Disziplinen hervorragende Bedingungen auf kleinstem Raum: ein sich immer noch hebendes Hochgebirge, ozeanische Kruste, sowie ständige vulkanische und seismische Aktivität. Die weitestgehend gut ausgebaute Infrastruktur sorgt dafür, dass geologisch interessante Regionen ohne besonderen Aufwand zu erreichen sind. Somit bietet der Mittelmeerraum europäischen Geowissenschaftlern ein hochkomplexes Arbeitsgebiet direkt vor der eigenen Haustür, in dem praktisch alle grundlegenden Prozesse studiert werden können, die an der Entwicklung unseres Planeten beteiligt sind. Die Forschungsmöglichkeiten sind hervorragend und der Erkenntnisgewinn wegen der wechselvollen und komplexen Geschichte der Region ist gewaltig. Den Geowissenschaften fällt aber auch große Verantwortung zu, wenn es darum geht, die gewonnenen Erkenntnisse in konkrete und maßvolle Entscheidungen umzumünzen. Denn der Mittelmeerraum ist nicht nur geologisch hochinteressant, sondern birgt leider auch große Gefahren: Millionenstädte wie Neapel, Athen oder Istanbul sind von gewaltigen Naturkatastrophen bedroht. Bei der Beurteilung des Gefahrenpotentials müssen sich die Geowissenschaften bemühen, nach bestem Wissen und Gewissen die Datenlage zu interpretieren. Punktgenaue Vorhersagen von Vulkanausbrüchen oder Erdbeben sind schwierig bis unmöglich – dieser Tatsache sind sich die Geologen bewusst. Wissenschaftler und politische Entscheidungsträger der 8

Der Fortschritt der laufenden Forschungsarbeiten kann auf http://www-icdp.icdp-online.org unter "Projects" nachgelesen werden.

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Anrainerstaaten stecken hier gleichermaßen in einem schwierigen Dilemma: Zu große Leichtsinnigkeit und Verharmlosung der Gefahr setzen das Leben von zahllosen Menschen aufs Spiel. Vorschnell ausgesprochene Katastrophenwarnungen hingegen können Panik auslösen. Häufiger falscher Alarm senkt darüber hinaus das Vertrauen der Bevölkerung in die Wissenschaft und Behörden. Der Kampf gegen derart unberechenbare Naturgewalten wird vom Menschen in absehbarer Zeit nicht gewonnen werden, aber es kann eine Menge geleistet werden, um potentiellen Schaden an Mensch und Infrastruktur stark zu begrenzen. Fest steht, dass jeder Cent, der in prozessorientierte Forschung und Monitoring von Georisiko-Regionen investiert wird, auf lange Sicht nicht nur die ureigene wissenschaftliche Neugier des Menschen befriedigt, sondern auch einen Sicherheitsgewinn für die Bevölkerung bedeutet.

GEOLOGIE

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Germanistik Die deutsche Literatur hat keine besondere Affinität zum Meer. Entstanden auf der Basis des Mittelhochdeutschen, also einer südwestdeutsch-schwäbischen Variante des Deutschen, spiegelt sie in ihrer Genese im wesentlichen die Welterfahrung von Binnenländern – anders als die großen Literaturen der Meeranrainerstaaten im Westen und Süden Europas. Zwar dringen im Mittelalter über Stoffe der nordischen Sagenwelt marine Abenteuer-Motive in die erzählende Literatur, vor allem in die Heldenepik ein („Kudrun“, „Nibelungenlied“), aber dieses Meer bleibt ein nebulöser Abenteuerort. Im späten Mittelalter stiftet dann zwar die Hanse intensive „reale“ Begegnungen mit dem Meer, vor allem der Ostsee, literarisch bleiben sie jedoch ohne Bedeutung. Im Zeitalter der Entdeckungen verlieren die deutschsprachigen Länder den Anschluß an die großen, durch die Eroberung der Weltmeere bestimmten historischen Entwicklungen. Während die portugiesische, die italienische, später die englische, französische und amerikanische Literatur mit großen Epen, Romanen und Erzählungen über das Meer glänzen, bleibt die deutschsprachige Literatur weitgehend meerfern. Aus neuerer Zeit sind im Grunde nur zwei Autoren zu nennen, deren erzählendes Werk immer wieder die großen marinen Abenteuer-Themen (Seefahrt, Schiffbruch, Piraterie) umkreist: Friedrich Gerstäcker (1816–1872) und B. Traven [d.i. Ret Marut] (ca.1882–1969) – beides Autoren, die Deutschland schon früh verlassen haben. Man wird fragen, was in diesem Panorama ausgerechnet das Mittelmeer zu suchen habe. Tatsächlich fügt sich auch dessen deutsche Erinnerungsgeschichte hier ein. Am besten wird man sie verstehen, wenn man sich die geographischen Verhältnisse vergegenwärtigt. Für die Bewohner Mitteleuropas war das Mittelmeer ein fernes Meer, versperrt durch die gewaltige Barriere der Alpenkette, die zu überwinden jahrhundertelang mit Mühen und Gefahren verbunden war. Es war das Meer auf der anderen Seite, im „Drüben“, im Jenseits des Eigenen, und wer es erreichen wollte, mußte sich auf einen langen und beschwerlichen Weg machen, mußte Grenzen der Sprachen, der Staaten und des Klimas überschreiten. Es war wie alles Ferne damit zugleich auch verlockendes Ziel, gelegen unter einem klimatisch begünstigten Himmelsstrich, der – von der Völkerwanderung in der Spätantike bis zur normannischen Besetzung Unteritaliens im 11. Jahrhundert – immer wieder landfremde Eroberer anlockte. Die europäische Geschichte ist seit dem Mittelalter um eine geographische Nord-Süd-Achse zentriert, und das Mittelmeer ist Teil jenes fernen, verlockenden Südens, der immer wieder Ziel nördlichen Begehrens wurde. Dass bis heute mit diesem Meer oft nicht so sehr ein realer als ein idealer Raum gemeint, beschrieben und erträumt wurde, ist daher fast mit Notwendigkeit Teil seiner Wahrnehmung.

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Peregrinatio Eine frühe Erfahrung des Mittelmeers als Meer der Passage verbindet sich für die nördlichen Völker mit der peregrinatio in terram sanctam. Die mervart („Meerfahrt“) führte Pilger und Kreuzfahrer ins Heilige Land, über mer varn, über mer das kriuze nemen lauteten die Formeln für die Fahrt zum Heiligen Grab, das mer war dabei synomym mit dem Mittelmeer. Mit der Gattung des „Kreuzliedes“ entstand um 1200 eine lyrische Form, die zu eben dieser Fahrt ermuntern wollte oder sie kritisch reflektierte. Schöne, reiche und herrliche Länder habe er auf seiner Fahrt gesehen, heißt es etwa in Walthers von der Vogelweide „Palästinalied“, erst jetzt, auf dieser Reise ins Heilige Land, sei dem Sänger der Sinn des Lebens klar geworden: Nu alrest lebe ich mir werde (von der Vogelweide, 1967, S. 8.). Bei den wenigsten dieser „Kreuzlieder“ dürften biographische Erfahrungen der Dichter im Hintergrund gestanden haben, auch das Meer selber spielt darin so gut wie keine Rolle. Anders verhält es sich beim Lied eines Minnesängers, der unter dem Namen „Tannhäuser“ bekannt wurde und vielleicht am Kreuzzug Kaiser Friedrichs II. (1228/29) teilgenommen hat. Sein kritisches „Kreuzlied“ Wol ime der nu beizen sol/ Ze Pülle ûf dem gevilde („Wohl dem, der jetzt auf Apuliens Gefilden zur Beizjagd gehen darf…“) (Siebert, 1934, S. 119–21) ist das früheste deutsche Gedicht, das eine solche „Meerfahrt“ anschaulich und vermutlich aus biographischer Erfahrung beschreibt (sozusagen das erste „Mittelmeer-Opus“ der deutschen Literatur), und es schildert drastisch die Unannehmlichkeiten einer derartigen Reise: einen nächtlichen Schiffbruch bei Kreta, einen sechstägigen Sturm, eine Flaute, den Gestank an Bord, das schlechte Essen, den schimmeligen Wein. Ich swebe ûf dem sê („Ich schaukle auf dem Meer“): Das ist für den binnenländischen Dichter alles andere als eine angenehme Erfahrung. Auch der Tiroler Abenteurer Oswald von Wolkenstein berichtet in einem Lied (um 1416) von seinen schlechten Erfahrungen zur See, von Stürmen, hohem Wellengang und einem Schiffbruch im Schwarzen Meer, bei dem er sich nur an ein Faß geklammert retten konnte (von Wolkenstein, 1979). Das Meer (nicht nur das Mittelmeer) bleibt lange Zeit ein Ort des Schreckens (Corbin, 1990, S. 13ff.). Auch nach der Epoche der Kreuzzüge sind es vor allem Pilger, die sich den Gefahren einer mediterranen „Meerfahrt“ ins Heilige Land aussetzen. Die Reise führte in der Regel von Venedig die dalmatinische Küste entlang über Korfu, Kreta, Rhodos und Zypern nach Jaffa und dauerte vier bis sechs Wochen. Sofern man nach den heiligen Stätten in Palästina auch noch das Katharinenkloster und den „Mosesberg“ auf dem Sinai besuchte, nahm man die Rückreise über Kairo und Alexandria. Mehr noch als in Palästina kamen die Pilger hier in Kontakt mit der ihnen fremden muslimischen Welt, konnten – wie etwa Felix Fabri oder Bernhard von Breydenbach in ihren Berichten (1483) (von Breydenbach, 2010, S. 587ff.; Schröder, 2009) – nicht nur Sklavenmärkte oder die Sitten des Ramadan beobachten, sondern auch staunen angesichts zivilisatorischer Standards, die denjenigen im Abendland weit überlegen waren (Bäder, öffentliche Küchen, Straßenbeleuchtungen, Wasserleitungen). Hier funktionierte das Mittelmeer noch immer als „Mittlermeer“ interkultureller Begegnung.

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Reiseerfahrung und Sinnbild In der Neuzeit sind es die Institution der Grand Tour und der aus ihr sich entwickelnde Tourismus, welche die Begegnung mit der Mediterrannée in die deutsche Literatur hinein vermitteln. Während Franzosen und Engländer im Mittelmeer als Kolonialmächte auftreten, von Gibraltar über Nordafrika, Malta und Zypern bis in den Nahen Osten territoriale Präsenz zeigen, verwirklichen sich die deutschen Träume vom mediterranen Süden im Reisen. Italien stand dabei immer im Mittelpunkt, nicht wenige deutsche Reisende des 18. und 19. Jahrhunderts sind dort (und nicht etwa an Ost- oder Nordsee) zum ersten Mal in ihrem Leben dem Meer begegnet. „Mein Sehnen seit vielen Jahren ist in Erfüllung gegangen: ich habe das Meer gesehen“, schwärmt etwa Adalbert Stifter 1857 in Triest. „Ich kann Ihnen mit Worten nicht beschreiben, wie groß die Empfindung war, welche ich hatte. Alle Dinge, welche ich bisher von der Erde gesehen hatte, Alpen, Wälder, Ebenen, Gletscher etc. versinken zu Kleinlichkeiten gegenüber der Erhabenheit des Meeres“ (1929, S. 36). Das Meer, in früheren Jahrhunderten als „leere Landschaft“ außerhalb der Kategorien des Schönen, ist seit der 2. Hälfte des 18. Jahrhunders zum Gegenstand ästhetischer Bewunderung geworden, und es sind gerade die MeerErfahrungen der Italienreise, an denen sich diese Bewunderung immer wieder enzündet, wie zahlreiche Reiseberichte zeigen. Viele Besucher aus dem Norden haben es zum ersten Mal in Venedig gesehen, die Lagunenstadt sollte – von August von Platens „Sonetten aus Venedig“ (1825) bis zu Thomas Manns „Tod in Venedig“ (1911) – zu einer der berühmtesten mediterranen Schauplätze der deutschen Literatur werden (Maurer u. Maurer, 1982). Noch intensivere ästhetische MeerErfahrungen vermittelte über Generationen der Golf von Neapel – „das schönste Meer der Welt“ (Adolf Stahr, 1863) nicht zuletzt wegen der klassischen Erinnerungsorte an seinen Küsten, der Nähe des Vesuv und einem pulsierenden, oft freizügigen öffentlichen Leben in der großen Stadt (Richter, 2005, S. 73ff.). Wer von Neapel aus, bis ins 18. Jahrhundert letzte Etappe der Grand Tour, die viertägige strapaziöse Überfahrt nach Sizilien wagte, konnte mit dem Meer freilich ganz andere Erfahrungen machen. Goethe hat davon eindrucksvoll in der „Italienischen Reise“ berichtet: von seiner schweren Seekrankheit und einer Flaute, die bei der Rückreise beinahe zu einem Schiffbruch vor der Insel Capri geführt hätte (und später sein Gedicht „Meeresstille“ inspirieren sollte) (von Goethe, 1787). Überhaupt hat Goethe wie kein anderer deutscher Dichter seiner Zeit dem Mittelmeer seine Reverenz erwiesen. „Hat man sich nicht ringsum vom Meere umgeben gesehen, so hat man keinen Begriff von Welt und von seinem Verhältnis zur Welt“, lautet das Fazit seiner Sizilienreise. In der Szene „Felsbuchten des Ägäischen Meers“ im 2. Akt von „Faust II“ hat er dann das mythologisch bevölkerte (Mittel-)Meer zum Entstehungsort der Schönheit und des Lebens selber gemacht: „Vom Schönen, Wahren durchdrungen … / Alles ist aus dem Wasser entsprungen!!/ Alles wird durch das Wasser erhalten!/ Ozean gönn´ uns dein ewiges Walten.“ (vv. 8443f.). Das Meer der Ägäis und dessen „alten“ Gott Poseidon beschwört im gleichen Zeitraum Friedrich Hölderlin in seinem großen Hexameter-Hymnus „Der Archipelagus“ (1800): eine Klage über den Untergang Griechenlands, für dessen

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unzerstörbare geistige Fortexistenz dem Dichter gerade das Meer zum Sinnbild wird: „Aber du, unsterblich, wenn auch der Griechengesang schon/ Dich nicht feiert, wie sonst, aus deinen Wogen, o Meergott!/ Töne mir in die Seele noch oft…“ (Hölderlin, 1992, S. 263). Das Bild vom „ewigen“ Meer der Griechen sollte in der Folgezeit zu einem der wiederkehrenden mediterranen Topoi werden. In den literarischen Gattungen der Reisebeschreibung und des Reiseessays (die in der deutschen wie in keiner anderen europäischen Nationalliteratur präsent sind) artikuliert sich auch im 19. und 20. Jahrhundert die deutsche Sehnsucht nach dem Mittelmeer. Um die italienischen Schauplätze ging es dabei etwa in Ferdinand Gregorovius´ vielgelesenen „Wanderjahren in Italien“ (darin „Die Insel Capri, Idylle vom Mittelmeer“, 1856), in Victor Hehns „Italien. Ansichten und Streiflichter“ (1879) oder in Kasimir Edschmids fünfbändigem „Italien“-Werk (1935–1948). Erst später rückt Griechenland in den Blick; zu nennen sind hier Gerhart Hauptmanns „Griechischer Frühling“ (1908), Isolde Kurz´ „Wandertage in Hellas“ (1913) oder Erhart Kästners „Griechenland“-Bücher (1943ff.). Seltener sind Werke der erzählenden Literatur, in denen das Mittelmeer eine Rolle spielt – so etwa Wilhelm Waiblingers capreser „Märchen von der Blauen Grotte“ (1830) oder die in Sorrent entstandenen „Italienischen Novellen“ des Nobelpreisträgers Paul Heyse („L´Arrabbiata“, 1853). Dabei tritt dieses Meer in der Literatur des 20. Jahrhunderts zunehmend nicht nur als Handlungsort, sondern auch als Bedeutungsträger in Erscheinung. In Thomas Manns Novelle „Mario und der Zauberer“ (1930) ist der sommerlich bevölkerte Strand eines ligurischen Badeortes Schauplatz eines „geräuschvollen Unterhaltungsbetriebs“, auf dem der „nordischen Seele“ des Ich-Erzählers die mentalen Strukturen des Faschismus aufblitzen (Mann, 1987, S. 312 u. 321). In Bruno Franks Erzählung „Politische Novelle“ (1928) erscheint das Mittelmeer dem Protagonisten, einem deutschen Politiker, der von der europäischen Versöhnung träumt, als „leuchtende Wiege alles Rechten und Schönen, das uns noch tröstet“ (Frank, 1951, S. 17); am Ende findet er freilich im mediterranen Völkergemisch des Hafenviertels von Marseille einen gewaltsamen Tod. Bild einer imaginierten europäischen Einheit ist zwischen den Weltkriegen das Mittelmeer auch in Joseph Roths Reisebildern „Die weißen Städte“ (1925): Als „ein einziges Vatermeer“ feiert es der Dichter dort in seinem „Marseille“-Essay (Roth, 1990, S.201). Für Stefan Andres, der während der Zeit des Nationalsozialismus zwölf Jahre als Emigrant am Golf von Salerno lebte, ist das „göttliche Element“ des Meeres (Andres, 2009, S. 227) immer wieder Sinnbild des Ewigen und Unvergänglichen (Andres, 1948; 1949). Stark vom Mittelmeer inspiriert ist in der Nachkriegszeit das Werk von MarieLuise Kaschnitz, die viele Jahre in Italien zubrachte und in deren Texten sich oft Meerbilder und Todeserfahrungen spiegeln (Kaschnitz, 1981–89, IV, 287ff.; VI, 190ff.). Mediterran inspiriert ist auch die Prosa von Ingeborg Bachmann, die in den 1950er Jahren am Golf von Neapel lebte (Bachmann, 1961; 1972). In ihrem existentialistischen Hörspiel „Die Zikaden“ (1955) wird das Leben auf einer MittelmeerInsel (im Hintergrund steht Ischia) zum Sinnbild von Flucht, Verbannung und Isolation des Menschen in der Moderne.

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Im Massentourismus der Nachkriegszeit wurde das Mittelmeer auch zum Erfahrungsraum einer wachsenden Zahl deutscher Ferienreisender und damit gleichzeitig zum beliebten Sujet der Populärliteratur, des Schlagers (Moritz, 2014) und des Films. Den ersten Platz auf der Liste der beliebtesten Reiseländer nahm dabei bereits 1957 Italien ein (Noelle u. Neumann, 1947–1955, S. 48; 1958–1964, S. 40) – unbeschadet der Tatsache, dass während der Besetzung des Landes 1943–45 deutsche Truppen dort grauenvolle Massaker an der Zivilbevölkerung verübt und Hunderttausende von Italienern als Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt hatten. An den Massenstränden der Adria bildete sich auch – so der Tourismusforscher Till Manning – in den 1950er und 1960er Jahren jener neue Stil des „Strandurlaubs“ aus, der das Urlaubsverhalten auch andernorts und bis in die Gegenwart hinein prägen sollte (Manning, 2011, S. 255ff.). Insgesamt ist Badetourismus heute die häufigste Ferien-„Option“ für Besucher der Mittelmeerländer, was gravierende Veränderungen im marinen Landschaftsbild und in der Ökologie des Meeres zur Folge hatte.

Das Mittelmeer als geistiger Raum Aber das Mittelmeer erscheint in Deutschland nicht nur in biographischer oder literarischer Spiegelung einzelner südlicher Räume, sondern auch als Idee eines großen geistigen Raums: der Geburtsstätte der abendländischen Kultur. Es sind geoklimatische Überlegungen zum Zusammenhang von geographischen Gegebenheiten und historisch-kulturellen Entwicklungen, die, bereits in der Antike thematisiert und von Montesquieu in die europäische Debatte eingeführt, seit dem späten 18. Jahrhundert auch in Deutschland zum langwirkenden Paradigma kulturellen und sozialen Verstehens werden (Richter, 2010, S. 10 ff. u. 127 ff.). Die „mittlere“ Klimazone der nördlichen Halbkugel, mit dem Mittelmeergebiet gleichgesetzt, erschien dabei als der ideale Raum kultureller Entwicklung. Für Winckelmann konnten vollkommene Werke der Kunst nur unter dem „gleichgütigen Himmel“ Griechenlands und der Magna Graecia erblühen: „Je mehr die Natur sich dem griechischen Himmel nähert, desto schöner, erhabener und mächtiger ist dieselbe in Bildung der Menschenkinder“ (Winckelmann, 1993, S. 39). Herder verallgemeinert in seiner „Philosophie der Geschichte der Menschheit“ (1785) diese Idee: An den Ufern der „mittelländischen See“ sei notwendigerweise „alle Cultur Europas worden“ (Herder, 1785, S. 475). Hegel erweitert dann in den „Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte“ diesen Gedanken ins Universalhistorische: „Das Mittelmeer ist […] das Herz der Alten Welt, denn es ist das Bedingende und Belebende derselben. Ohne dasselbe ließe sich die Weltgeschichte nicht vorstellen, sie wäre wie das alte Rom oder Athen ohne das Forum, wo alles zusammenkam.“ (Hegel, 1928, S. 130). Mit der Idee der Geburt Europas aus dem „Becken des mittelländischen Meers“ (Herder, 1785, S. 475) war eine Konzeption entstanden, die dieses Meer als geistigkulturelle Einheit begriff (und Hegel hatte dabei auch den Islam mit eingeschlossen). Historisch gesehen sollte sich diese „abendländische“ Idee zwar als ideologisch

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anfällig erweisen: So spricht etwa Richard Wagner in seinem Essay „Kunst und Klima“ (1850) davon, dass „der wahre Mensch“ und mit ihm „die wahre Kunst“ nur „unter dem dürftigen Schatten des Ölbaumes“ geboren werden konnten (Wagner, o. J., S. 209), und die völkische Rassenlehre reklamierte das Mittelmeerbecken sogar als „germanisch“ (Günther, 1929; Rosenberg, 1935, S. 34ff. u. 54ff.). Dennoch bleibt die Idee vom Mittelmeer als Ursprungsraum der europäischen Zivilisationen in ihrem rationalen, auch geoklimatischen Kern, eine Leitidee zum Verständnis Europas (du Jourdain, 1993, S. 53ff .), der gerade in der aktuellen Krise auch neuer politischer Sinn zukommen kann: „Gerade heute müßte Europa auf das Kapital seiner Geschichte zurückgreifen können, um ein Ding wie Schulden angemessen zu sehen, im Licht der Schuldigkeit – und auch der Schuld“ (Muschg, 2013, S. 23).

Uraltes Wehn vom Meer Seit Ende des 19. Jahrhunderts wird, dank beschleunigter Verkehrsverbindungen und der aufkommenden „Vergnügungsfahrten zur See“ (Werbeprospekt Norddeutscher Lloyd Bremen 1913), dieses Meer auch empirisch zunehmend in seiner „Einheit“ wahrgenommen und publizistisch und literarisch thematisiert. 1909 veröffentlicht Baedeker seinen ersten „Mittelmeer“-Führer; dort und anderswo ist jetzt wie selbstverständlich von „Mittelmeerländern“, „Mittelmeerreisen“ oder „Mittelmeerfahrern“ die Rede. 1904 kommt Alfred Philippsons „Das Mittelmeergebiet“, zwei Jahre später „Mittelmeerbilder“ von Theobald Fischer heraus: geographische Arbeiten, welche die Mediterranée „als einen einheitlichen, wohl individualisierten Erdraum kennzeichnen“ möchten (Philippson, 1904; Fischer, 1906). 1910 erscheint dann das erste größere Werk der deutschen Dichtung, das explizit den Titel „Das Mittelmeer“ trägt: der erste Teil der lyrischen Trilogie „Das Nordlicht“ von Theodor Däubler, einem in Triest geborenen und durch zahlreiche Reisen mediterran sozialisierten Autor. Das Mediterrane findet Däubler in einer Idee der „Sonne“ und der Epiphanie des „Lichts“, das sich noch im fernen „Nordlicht“ spiegele. Eine der ersten literarischen Verarbeitungen einer „Mittelmeerfahrt“ folgt mit Emil Ludwigs „Am Mittelmeer“ (1923), dem Bericht einer Schiffsreise, die den Autor von Genua über Sizilien und Nordafrika bis zum „Saum von Asien“ führt, wo ihm, wie er schreibt, das Glück zuteil geworden sei, „mit Augen endlich den Schauplatz zu sehn, auf dem du seit der Kindheit dich bewegtest“ – nämlich das Troja Homers und Schliemanns (Ludwig, 1923, S. 123). Denn Mittelmeerreisen bleiben, auch wenn sie die Häfen Afrikas und Asiens berühren, Reisen an Erinnerungsorte der klassisch-humanistischen Bildung, stehen literarisch im Zeichen von Homer und Hölderlin. Ein Meer, „durch das nochmals Odysseus kommen kann, jeden Augenblick, ein altes griechisches Meer“ sieht Rilke bei seinem Aufenthalt auf Capri 1907, dichtet hier sein „Lied vom Meer“ („Uraltes Wehn vom Meer…“) (Rilke, 1930, S. 196; 1955, S. 193), und ganz ähnlich beschwört der Protagonist von Stefan Andres´ Roman „Die Sintflut“ (1949) an einer süditalienischen Küste die Faszination des Meeres: „Die Wellen, welche die Schiffe der Griechen, der Phönizi-

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er, der Römer in diesem Wasser hinterließen, kommen soeben an meinen Strand“ (1949, S. 203). Bilder einer solchen, archaischen Wahrnehmung der „Salzflut“ (Homer) prägen bis in die Nachkriegszeit hinein verbreitete deutsche Publikationen über die mediterranen Länder (Erhart Kästner, Gustav René Hocke, Peter Bamm, Eckart Peterich). Das Mare Mediterraneum ist auf diese Weise zum „Mnemotop“ (Jan Assmann) geworden, einer literarischen Erinnerungs- und Bildungslandschaft der Deutschen – mit anderen Worten: auf seine Weise auch zum Mare nostrum.

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Islamwissenschaft und Arabistik Für die in der deutschen akademischen Landschaft etablierte Disziplin der Islamwissenschaft bildet der südliche und östliche Mittelmeerraum einen wichtigen regionalen Teilbereich ihrer Forschung. Dies gilt für die Arbeit zu den ersten acht Jahrhunderten der islamischen Geschichte ebenso wie für den Zeitraum der Frühen Neuzeit (ca. 1450 – ca. 1850)1 und für die Moderne (seit 1850). Ihr Gegenstandsbereich, der die Geschichte der religiösen Lehre und Praxis und der religiösen Wissenschaften des Islam ebenso umfasst wie die Geschichte, Kultur- und Sozialgeschichte der Staaten und Gemeinschaften der Muslime, reicht freilich weit über den Mittelmeerraum hinaus. Dennoch gehören die südlich und östlich ans Mittelmeer angrenzenden Regionen zu den historischen Kernbereichen der Ausbreitung des Islam und der Etablierung früher muslimischer Staatlichkeit und Kultur, und sie fanden daher schon früh die Aufmerksamkeit der islamwissenschaftlichen Forschung. Ebenso bilden sie einen bedeutenden Teil des arabischen Sprachraumes mit seinen vielfältigen sprachlichen und literarischen Entwicklungen und liegen damit im geographischen Kernbereich der arabischen Sprach- und Literaturwissenschaft (Arabistik). Islamwissenschaft und Arabistik teilen sich die Erforschung der muslimischen Geschichte und Kultur des Mittelmeerraumes mit Osmanistik und Turkologie, mit denen es vielfältige Überschneidungen und Kooperationsbereiche gibt. Dasselbe gilt auch für Judaistik/Jüdische Studien und die Wissenschaft vom Christlichen Orient, ferner für die allgemeine Geschichte sowie die Kunst- und Kulturgeschichte des Mittelmeerraumes. Für die Gegenwart bewegt sie sich für die Mittelmeer-Region in der Nachbarschaft von Politik-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften sowie von Anthropologie und Kulturgeographie. Dies gilt insbesondere für mediterrane Länder wie Frankreich, Spanien und Italien, wo der interdisziplinäre Verbund der Mittelmeerstudien bisher stärker ausgeprägt erscheint als in Deutschland selbst. Insgesamt kann man den Eindruck gewinnen, dass der Mittelmeerraum in der Islamwissenschaft wie auch sonst in der Forschung der letzten Jahrzehnte seinen regionalen Sonderstatus eingebüßt hat und dass seine muslimischen Regionen insgesamt wieder mehr als Bestandteil der arabischen und muslimischen Welt wahrgenommen und behandelt werden. Wie sich die historische und auch die zeitgeschichtliche Forschung zu den muslimisch dominierten Regionen im Mittelmeer1

Dieser Ansatz folgt der Enzyklopädie der Neuzeit, die sich insofern von den meisten älteren Periodisierungen unterscheidet, als sie das revolutionäre Zeitalter von der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bis 1850 dezidiert als Teil der Frühen Neuzeit betrachtet; s. dazu Jaeger, 2005, Sp. VIII–XI; 2009, Sp. 162–165. Der Zeitraum von 1350 bis 1830 wird auch in der Geschichte des Mittelmeers von D. Abulafia behandelt (2011, Kap. 4: “The Fourth Mediterranean, 1350–1830”, S. 373–542).

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raum allmählich aus ihrer regionalen Bindung löste und schließlich auf die gesamte arabische und muslimische Welt ausgedehnt wurde, zeigt sich beispielhaft in Frankreich an dem wichtigen und repräsentativen Forschungsinstitut für mediterrane Studien in Aix-en-Provence.2 Dort entstand 1958 das Centre d‘Études NordAfricaines (CENA), als Forschungs- und Dokumentationszentrum für Politik, Gesellschaft, Wirschaft und Zeitgeschichte Nordafrikas, das ab 1964 die wichtige Dokumentation Annuaire d‘Afrique du Nord herausgab. 1969 wurden die verschiedenen interdisziplinären Mittelmeerstudien in Aix in einem neuen Zentrum, dem Institut des Recherches Méditerranéennes (IRM) zusammengefasst. Ihnen wurde 1970 auch ein neues Zentrum für mediterrane Studien der nordafrikanischen Länder angegliedert, dem Centre des recherches et d‘études sur les Sociétés Méditerranées (CRESM), das CENA ablöste. Die Ausweitung auf die NahostStudien erfolgte mit der Konstitutierung der Groupe de Recherche et d‘Études sur le Proche-Orient (GREPO) 1975, an die sich 1977 die Gründung eines Centre d’Études et de Recherches sur l’Orient Arabe Contemporain (CEROAC) anschloss. 1986 ging aus diesem Konglomerat von Einrichtungen der Nordafrika-, Mittelmeer- und Nahostforschung schließlich das Institut de Recherches et d’Études sur le Monde Arabe et Musulman (IREMAM) hervor, das bis heute besteht und das sich eine internationale Reputation für Studien zur arabischen und muslimischen Welt erworben hat. Die Mittelmeerstudien zu den muslimischen Regionen sind seit 1989 vollständig in diesem Verbund aufgegangen. Eine ähnliche Erweiterung und Umorientierung erfuhr auch die ebenfalls in Aix-en Provence herausgegebene repräsentative Fachzeitschrift Revue de l‘Occident musulman et de la Méditerranée (ROMM). Sie hatte 1966 die Nachfolge der in Algier in den vierziger Jahren begründeten Revue de la Méditerranée angetreten und entwickelte sich in den folgenden Jahren zu einer der wichtigsten Fachzeitschriften für die Geschichte, Gesellschaft und Literatur Nordafrikas. Gelegentlich wurden dabei auch für Nordafrika relevante Beiträge zu nahöstlichen Themen veröffentlicht. Seit dem 51. Heft (1989) erscheint die Zeitschrift unter dem Titel Revue du Monde Musulman et de la Méditerranée (RMMM),3 der die thematische Erweiterung festschreibt und darin auch der institutionellen Entwicklung des IREMAM folgt. Bereits seit 1985 werden die beiden Jahreshefte unter thematische Schwerpunkte gestellt, mit denen sie bis heute ein breites Spektrum aktueller und historischer Themen abdecken, in die auch die arabischen und türkischen Regionen des Mittelmeerraumes teils mit speziellen thematischen Heften, teils mit eigenen Beiträgen zu den jeweiligen Themen integriert werden. Diese Entwicklung mag hier als Beispiel einer Tendenz dienen, in der für die muslimischen Staaten und Gesellschaften des Mittelmeerraumes die regionalen zugunsten der überregionalen und allgemeinen thematischen Bezüge zurücktreten. Sie illustriert die Spannung zwischen Prozessen der Integration und Verflechtung einerseits und solchen 2

3

Siehe für das folgende den Überblick zur Geschichte des Institut de Recherches et d’Études sur le Monde Arabe et Musulman (IREMAM) in Aix-en-Provence unter http:// iremam.cnrs.fr/spip.php?rubrique100 (Letzter Zugriff: 4.1.14). Alle Hefte von ROMM (seit 1966) und RMMM (seit 1989, ab Bd. 51, Zählung fortlaufend) sind zugänglich unter http://remmm.revues.org/ (Letzter Zugriff: 4.1.14).

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der Desintegration und Entflechtung andererseits, die für den mediterranen Raum mit seinen vielfältigen, intern wie extern teilweise gegenläufigen historischen Bezügen und Entwicklungslinien insgesamt typisch zu sein scheint. Auch die islamwissenschaftlichen Forschungsperspektiven zur Mittelmeerregion lassen sich, soweit die Region als ganze dabei in den Blick kommt, meist einer der beiden Tendenzen zuordnen, wobei derzeit wie in der interdisziplinären Mittelmeerforschung insgesamt der Blick auf die Verflechtungszusammenhänge zu dominieren scheint. Dies wird auch in der “großen Erzählung” der Geschichte des Mittelmeeres von David Abulafia (2011, dt. 2013) deutlich, die in starkem Maße von Perspektiven der Verflechtungsgeschichte bestimmt ist. Ebenfalls als Beispiel für diese Perspektive kann der von Julia Clancy-Smith (2004) herausgegebene Sammelband North Africa, Islam and the Mediterranean World dienen, der die Bedeutung Nordafrikas im Schnittpunkt islamischer, mediterraner, atlantischer, afrikanischer und europäischer Geschichte hervorhebt (Clancy-Smith, 2004, S. 1–10). Für die Islamwissenschaft ist dies verbunden mit einer Konzentration auf die Expansion muslimischer und nicht-muslimischer Imperien innerhalb der Region, auf die Entwicklung formativer Grenz-Identitäten gegenüber dem iberischen Europa4, aber auch auf die Intensivierung der wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen der Muslime der Küstenregionen zur übrigen muslimischen und nichtmuslimischen Welt wie auch zum nördlichen Mittelmeerraum. Auf der anderen Seite stehen Prozesse von Entflechtung und Regionalisierung, verbunden mit einer wachsenden Autonomie regionaler Herrschafts- und Staatenbildung auch im islamischen Kontext, mit ihren politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Dimensionen. Die wechselseitig bestimmende Dynamik von Vernetzung und Lokalisierung, die mittlerweile zum Grundbestand der Globalisierungstheorie gehört,5 lässt sich auch für den muslimischen Mittelmeerraum in der Frühen Neuzeit nachweisen. Dass das osmanische Vordringen die südliche und östliche Mittelmeerwelt wieder verstärkt in den politischen und wirtschaftlichen Kontext des Nahen und Mittleren Ostens bis hin nach Zentral- und Südasien einband, ist häufiger bemerkt worden.6 Demgegenüber stand die gegenläufige, aber nur sehr begrenzt erfolgreiche Expansion Spaniens und Portugals im Mittelmeeraum, die ihrerseits das osmanische Vordringen nach Nordafrika intensivierte. Auch die Seekriege des späten 16. Jahrhunderts, mit der erfolglosen osmanischen Belagerung Maltas (1565), der Vertreibung der Venezianer aus Zypern (1570/71) sowie der Niederlage der Osmanen bei Lepanto (1571) stehen im Zusammenhang mit diesen maritimen Auseinandersetzungen, die nach einer langen Zeit des Waffenstillstands zwischen dem Osmanischen Reich und Spanien (seit 1578) um die Mitte dies 17. Jahrhunderts neu auflebten und mit der osmanischen Eroberung Kretas 1645–1669 ihren Abschluss fanden.7 Daneben lief der Kaperkrieg zwischen den nordafrikanischen Vasallenstaaten 4 5 6 7

Siehe hierzu bes. Bennison, 2001, S. 11–28. Siehe hierzu bereits Featherstone, 1990, S. 1–14. Siehe hierzu und zum folgenden Kaiser, 2008, Sp. 251f. Für die Etablierung einer Koexistenz christlicher und muslimischer Gruppen in Kreta nach der Eroberung: Green, 2000.

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des Osmanischen Reiches und den europäischen Seekräften, unter denen insbesondere die Malteser bei den Muslimen im Mittelmeer weithin gefürchtet waren. Verbunden mit dem Aufstieg Spaniens war das endgültige Ende muslimischer Herrschaft auf der iberischen Halbinsel (mit der Eroberung Granadas 1492). Die Vertreibung der verbliebenen krypto-muslimischen Bevölkerung der Morisken zu Beginn des 17. Jahrhunderts (1609–14), die sich mehrheitlich in Nordafrika und im Osmanischen Reich niederließ, stand bereits im Zeichen der Konsolidierung der spanischen und osmanischen Machtblöcke im Mittelmeerraum. Die vielfältige Rolle der moriskischen Emigranten als Korsaren, Militärs und Diplomaten in den Diensten der nordafrikanischen Staaten, aber auch ihre Bedeutung als Vermittler im Bereich von Wissenschaft und Technologie, sowie ihr Beitrag zur spanischen Literatur haben in den letzten Jahren verstärke Aufmerksamkeit auch der Islamwissenschaft gefunden.8 Der endgültige kulturelle Verlust des arabisch-islamischen Spanien schlug sich innerhalb der arabischen Literatur in einer dichterischen Andalusien-Nostalgie nieder, die auch die Renaissance der arabischen Literatur im 19. Jahrhundert begleitete und die bis in die Gegenwart hinein nachwirkt (Elger, 2002, S. 289–306). Zur gleichen Zeit, und das verdient hervorgehoben zu werden, intensivierte sich der kommerzielle Austausch der Europäer mit der Levante und mit Nordafrika (Kaiser, 2008, Sp. 254f.; Philipp, 2004, S. 401–418). Zum einen führte die osmanische Herrschaft im 16. Jahrhundert zu einem erneuerten Wachstum der Städte und der Landwirtschaft im Nahen Osten (İnalcık u. Quataert, 1994, S. 652ff.; Raymond, 1985, S. 54–66). Zum anderen stimulierte das amerikanische Silber den europäischen Levante- und Asienhandel (Lang, 2008, Sp. 856–860), da es den Ausgleich der Defizite im Handelsaustausch ermöglichte und den Export europäischer Silbermünzen beförderte. Hinzu kam der Austausch von Genussmitteln und Kulturpflanzen wie Kaffee, Tabak, Reis, Mais und später auch Kartoffeln. Insgesamt spielte der Handel mit den europäischen Mächten für das Osmanische Reich freilich bis zum Ende des 18. Jahrhunderts nur eine untergeordnete Rolle gegenüber demjenigen zwischen den muslimischen Regionen innerhalb und außerhalb des Reiches, und auch die Konkurrenzfähigkeit europäischer Produkte blieb bis dahin begrenzt (Kaiser, 2008, Sp. 255f). Die unterschiedlichen Formen erzwungener Migration im Mittelmeerraum, zu der neben der Vertreibung von Juden und Muslimen aus Spanien auch auf beiden Seiten die Versklavung von Kriegsgefangenen und der vielfältige Einsatz von Sklaven und Freigelassenen auf Galeeren sowie auch in Landwirtschaft, Bergbau und in verschiedenen Gewerben gehörte, trugen ebenfalls zur kulturellen Zirkulation wie zum wirtschaftlichen Austausch bei (Bono, 2009; Lucassen u. Lucassen, 2010, Sp. 83ff.; Kaiser, 2008, Sp. 257). Hierzu gehörte auch die Entwicklung der Lingua franca als Medium der Kommunikation zwischen den sozial oft sehr unterschied8

Hierzu für Tunis bereits de Epalza u. Petit, 1973, ferner Cardaillac, 1978; de Epalza, 1992, Harvey, 2005, Wiegers, 2010, S. 141–168, für die Rolle von Morisken und Renegaten in Marokko GarcíaArenal, 2009, S. 60–68 u. 97–110, für die kritische Edition und Übersetzung des Reiseberichtes eines bedeutenden moriskischen Gelehrten und Diplomaten, Wiegers, van Koningsveld, u. AlSamarrai, 1997.

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lich gestellten christlichen und muslimischen „Partnern“ in den verschiedenen Küstenregionen (Dakhlia, 2008). Neben den nach Nordafrika übergesiedelten Morisken spielten auch christliche Konvertiten zum Islam, die sog. „Renegaten“, als Korsaren, Militärs und Handelsvermittler häufig eine bedeutende Rolle im Austausch zwischen Europäern und Muslimen im Mittelmeerraum, die sich in vielen Reiseberichten, aber auch in Archivdokumenten, belegen lässt und die in den letzten Jahren zunehmende Aufmerksamkeit gefunden hat (Bennassar, 2006; Grivaud u. Popovic, 2011). Daneben lassen sich verschiedene soziokulturelle Entwicklungen in den muslimisch geprägten Regionen des Mittelmeerraumes als Ausdruck wachsender Verflechtung und Integration dieses Raumes im regionalen wie imperialen Kontext interpretieren. Hierzu gehört aus der Sicht der Islamwissenschaft in erster Linie eine beachtliche Konvergenz der religiösen und kommunalen Institutionen des städtischen Lebens, die sich insbesondere an die Konsolidierung und Ausweitung der urbanen Gesellschaft und Kultur im Osmanischen Reich anschloss.9 Die städtische Entwicklung erfuhr durch die Osmanen eine starke bauliche Förderung, die sich auf religiöse wie wohlfahrtsbezogene Einrichtungen wie Moscheen, Schulen, Krankenhäuser und Armenküchen erstreckte, aber auch Brunnen und Wasserreservoirs, Brücken und große Markthallen einschloss. Neben dem imperialen osmanischen Baustil entwickelte sich in verschiedenen arabischen Städten eine eigene Provinzarchitektur, wie etwa in Kairo, wo im frühen 18. Jahrhundert ein Provinzialstil entstand, in dem mamlukische und osmanische Form- und Dekorelemente miteinander verschmolzen. Auch einige Moscheebauten des 17. Jahrhunderts in Tunis weisen spezifische Verbindungen osmanischer und maghribinischer Stilelemente auf; im Falle der Moschee von Sīdī Muhriz (um 1699) war dabei sogar bereits ein französischer Architekt involviert (Sebag, 2000, S. 634). Das islamische Stiftungswesen10 wurde im Osmanischen Reich stark ausgeweitet; es diente zum Aufbau und Unterhalt der erwähnten lokalen religiösen und öffentlichen Einrichtungen, wurde aber auch zur Organisation der islamischen Pilgerfahrt und zum Unterhalt der der heiligen Stätten Mekka und Medina eingesetzt. Die Verwaltung der Stiftungen der Heiligen Stätten war in vielen Städten mit wichtigen Ämtern verbunden, die große kommunale Bedeutung besaßen.11 Zugleich entwickelte sich in den osmanischen Städten ein enges kommunales Zusammenspiel zentraler wie lokaler Institutionen, an dem Militär- und Finanzverwaltung, Gerichte, Schulen und Stiftungen ebenso beteiligt waren wie StadtviertelMoscheen, Handwerker- und Händlergilden. Dies ergab ein Geflecht korporativer bürokratischer und konsultativer Strukturen, das die osmanische urbane Gesellschaft insgesamt auf lange Zeit prägte. Seit dem späten 17. Jahrhundert, als die Steuerpacht zunehmend in die Hände einheimischer Würdenträger und Händler überging, gewannen die lokalen Eliten an Einfluss auf die regionale Politik. Neben 9 10 11

Für einen knappen Überblick Reichmuth, 2010b, Sp. 684–688, für die großen arabischen Städte im Osmanischen Reich allgemein Raymond, 1995, für Tripoli im heutigen Libyen Lafi, 2002. Hierzu Meier, 2010, Sp. 1009–1015; beispielhaft für Algier Hoexter, 1998. Siehe hierzu allgemein Faroqhi, 2000; Hoexter, 1998.

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den korporativ organisierten Propheten-Nachfahren (ar. sāda, ašrāf) (Reichmuth, 2010a, Sp. 668–672) spielten die lokalen Janitscharen-Garnisonen eine wichtige Rolle im kommunalen Leben wie in der städtischen Wirtschaft. In den städtischen Gilden waren nicht selten auch christliche und jüdische Mitglieder vertreten. Die Expansion des religiösen Schulwesens bei den Muslimen folgte in der frühen Neuzeit der allgemeinen städtischen Entwicklung des Mittelmeerraumes. Es absorbierte Studenten aus weiten, städtischen wie ländlichen Einzugsbereichen, was für die al-Azhar-Universität in Kairo vielleicht am deutlichsten wird und hier neben dem Nildelta und Oberägypten auch den Nahen Osten sowie Nordafrika und manche afrikanischen Gebiete südlich der Sahara einschloss (Jomier, 1960, S. 813–821; Heyworth-Dunne, 1939). Der osmanische Gelehrtenapparat, der Bildungseinrichtungen wie auch das Gerichtswesen des Reiches mit Personal versorgte, war stark bürokratisch organisiert und hierarchisch gestaffelt (Zilfi, 2006, S. 209–225; Klein, 2007). Die Absolventen der Schulen und Hochschulen in den arabischen Provinzen waren kaum in ihn einbezogen, verfügten aber über ihre eigenen regionalen Schul- und Moscheeämter, und die Osmanen berücksichtigten durchaus die verschiedenen regional vorherrschenden Rechtsschulen und Lehrtraditionen, insbesondere in den Heiligen Stätten, wo alle Rechtsschulen vertreten waren und über eigene Lehrstätten und Lehrerämter verfügten, die von religiösen Stiftungen alimentiert wurden. Der überregionale Austausch war in Mekka und Medina besonders stark, und der kosmopolitische Charakter der vorübergehend oder dauerhaft dort ansässigen Gelehrtenschaft ist für die osmanische Epoche kennzeichnend. Die arabische biographische Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts registriert eine beachtliche Zahl von Gelehrten und Studenten aus entfernten, weit auseinander liegenden Regionen, die in dieser Zeit in den Heiligen Stätten vertreten waren und von denen manche den Aufenthalt in den Heiligen Stätten dazu nutzten, um im Nahen Osten dauerhaft Fuß zu fassen.12 Eine bedeutende Rolle bei der kommunalen wie der überregionalen Integration muslimischer Gesellschaften im neuzeitlichen Mittelmeerraum spielten die SufiBruderschaften, die innerhalb wie außerhalb des Osmanischen Reiches weite Verbreitung gefunden hatten und deren Einfluss sich von den städtischen Zentren zunehmend auf ländliche und nomadische Gruppen ausdehnte.13 Einige der prominenten osmanischen Sufi-Bruderschaften waren aus dem turkmenischen Milieu Westirans und Anatoliens erwachsen. Von ihnen verbreiteten sich manche zusammen mit den osmanischen Militäreinheiten und der Präsenz türkischstämmiger Bevölkerungsgruppen auch im Nahen Osten und in Nordafrika. Daneben spielten die einheimischen Sufi-Bruderschaften in den arabischen Provinzen eine wichtige Rolle bei der Festigung der regionalen Identität. Im Sufismus des Osmanischen Reiches nahm Ägypten wegen der Fülle seiner Bruderschaften und seiner Heiligengräber eine zentrale Position ein (Geoffroy, 1995). In den Heiligen Stätten sowie in Damaskus, Bagdad und Tunis blühte ebenfalls der wechselseitige Austausch der 12 13

Zu Medina im 18. Jh. Reichmuth, 1998, S. 21–32. Chih u. Mayeur-Jaouen, 2010 (Bibl. S. 410–419); Geoffroy, 2005; Radtke, 1996, S. 326–364; Reichmuth, 2011, Sp. 111–115.

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Sufi-Gruppen. Auch Marokko war in diese transregionalen Beziehungen der SufiBruderschaften einbezogen. Hier wie in Nordafrika allgemein waren es Zweige und Zentren der Šāḏiliyya, die über weitreichende religiöse und kommerzielle Beziehungen nach Ägypten und zu den Heiligen Stätten, in den Sahara-Raum und nach Westafrika verfügten. Von den Sufi-Bruderschaften gingen wichtige soziale und intellektuelle Einflüsse aus; zugleich riefen sie z.T. erbitterte Gegnerschaft hervor.14 Trotz ihrer großen Bedeutung für die regionale und kommunale Identitätsbildung sind sie eher zu den transregional integrativen Faktoren der sozialen Entwicklung im neuzeitlichen Mittelmeerraum zu rechnen, der diesen ebenso wie die Pilgerfahrt mit den Kerngebieten des Osmanischen Reiches, mit den Heiligen Stätten und mit den muslimischen Regionen in Asien verband. Als Beispiel für den weitreichenden Einfluss des nordafrikanischen Sufismus auf das muslimische religiöse Leben der Neuzeit insgesamt kann eines der bis heute populärsten islamischen Gebetbücher dienen. Dies sind die „Wegzeichen zu den Guten Dingen“ (Dalāʾil al-ḫairāt), eine Sammlung von Segenssprüchen zum Lobe des Propheten, die von dem marokkanischen Sufi al-Jazūlī (gest. 1465) zusammengestellt wurde und die sich in der Folgezeit im Osmanischen Reich und weit darüber hinaus bis nach Südostasien verbreitete (Witkam, 2002). Für die gegenläufigen Tendenzen einer Entflechtung und Regionalisierung lassen sich seit dem 17. Jh. Entwicklungen hin zu quasi-autonomen Regimen in verschiedenen osmanischen Provinzen des Mittelmeerraumes aufzeigen. Im Libanon und in Palästina gingen diese von lokalen Führern tribaler Gemeinschaften aus. Zu nennen sind hier der drusische Emir Faḫr ad-Dīn (1572–1635), der sich ausgehend von einer lokalen Herrschaft im libanesischen Šūf-Gebirge teils mit osmanischer Unterstützung, teils gegen die osmanischen Gouverneure für einige Jahrzehnte einen Herrschaftsbereich sicherte, der große Teile der libanesischen Küste und des Berglandes sowie Gebiete im nördlichen Palästina umfasste. Dazu unterhielt er enge Beziehungen zum Herzogtum Toskana und hielt sich einige Jahre in Florenz auf. Schließlich wurde er von den Osmanen besiegt, gefangengenommen und hingerichtet (Salibi, 1965; Gorton, 2013). Im späten 18. Jahrhundert festigte Ẓāhir alʿUmar (ca. 1690–1775) (Cohen, 1973; Philipp, 2002a, S. 393; 2002b), ein lokaler Stammesführer im nördlichen Palästina seine eigene Herrschaft in Allianz mit lokalen Stammesgruppen und in enger Partnerschaft mit den ägyptischen Mamluken wie mit den französischen Handelsinteressen in der Region. Von seiner Hauptstadt Akko aus organisierte er eine exportorientierte Landwirtschaft, die ihm hohe Abgaben und profitable Beziehungen zu den europäischen Märkten einbrachte. Seine Herrschaft umfasste zeitweilig auch den südlichen Libanon. Die Osmanen betrachteten ihn wegen seiner Allianz mit dem aufständischen ägyptischen Mamluken ʿAlī Bey als Rebellen und besiegten ihn schließlich 1774. Hierbei kam er auf der Flucht um. In Ägypten, Tripolitanien und Tunesien waren es Führer von lokalen Armeeund Flotteneinheiten, denen es im Rahmen einer formell meist erhaltenen Loyalität gegenüber dem Reich gelang, ihren eigenen militärischen, politischen und wirt14

Siehe z.B. de Jong, u. Radtke, 1999.

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schaftlichen Handlungsspielraum zu erweitern und abzusichern. Meist verstärkten sie in diesem Zusammenhang auch ihre Beziehungen zu den unterschiedlichen lokalen Bevölkerungsgruppen. Die Herrschaft der Jani–tscharen- und Mamlukenhaushalte in Ägypten15 stellte wohl die machtvollste autonome Herrschaft im Osmanischen Reich des 17. und besonders des 18. Jahrhunderts dar, die unter dem georgischen Mamluken ʿAlī Bey 1770–71 sogar in eine offene Rebellion gegen die Osmanen und den Versuch eines Bündnisses mit Russland im osmanischrussischen Krieg mündete. Im Falle von Tripolitanien und Tunesien kann man hier seit dem 18. Jahrhundert von eigenen Dynastie-Bildungen sprechen, die besonders im Falle von Tunesien die spätere politische Entwicklung ihrer Region maßgeblich prägten (Mantran, 1978; Chérif, 2000; Larguèche, 2001a). Der Status der nordafrikanischen Provinzen in der Spannung zwischen Autonomie und Loyalität gegenüber dem Osmanischen Reich wird in der historiographischen Literatur bis heute unterschiedlich beurteilt, wobei proto-nationale Interpretationen der Provinzgeschichte lange Zeit vorherrschten, in letzter Zeit jedoch durch stärker osmanistische Perspektiven ergänzt wurden.16 Auch Marokko (Abun-Nasr, S. 206–247), das seine Unabhängigkeit gegenüber dem Osmanischen Reich immer zu wahren wusste, entwickelte unter der Herrschaft der scharifischen Dynastien der Sa‘diten (1511–ca. 1640) und der seit der Machtübernahme unter Mawlāy al-Rašīd 1664–1668 bis heute regierenden ʿAlawiten seine eigene Staatlichkeit im kontinuierlichen Spannungsfeld von monarchischem Hof, urbanen Zentren und berberischen wie arabischen regionalen Stammesgruppen. Die marokkanischen Sultane Aḥmad al-Manṣūr (1578–1603)17 und Mawlāy Ismāʿīl (1672–1727),18 von denen sich der erstere in starkem Maße auf Militäreinheiten von Morisken und Renegaten stützte und der zweitgenannte eine riesige Armee aus schwarzen Sklaventruppen aufbaute, waren in der Ausdehnung ihres zentralen Herrschafts- und Armeeapparates sicherlich am erfolgreichsten. Beide machten in ihrer Innen- wie Außenpolitik starken Gebrauch von ihrer religiösen Position als Prophetennachfahren, was sich bei Aḥmad al-Manṣūr mit einem universalen, endzeitlich gefärbten Machtanspruch verband. Gemeinsam war allen diesen mehr oder weniger unabhängigen Regionalstaaten eine eigenständige Wirtschaftspolitik gegenüber den Europäern, die sich auch an der wirtschaftlichen Entwicklung ihrer eigenen Herrschaftsgebiete ablesen lässt. Im Libanon wie auch in Ägypten und Tunesien kam es dabei zur Etablierung größerer europäischer Händlergemeinschaften in den Hafen- und Regierungsstädten,19 und die lokalen christlichen Gemeinschaften in Syrien und Ägypten profitierten ebenfalls erheblich von der Ausweitung des Handels mit dem christlichen Europa. Die geschilderten Regionalisierungsprozesse, die sich z.T. in einer lokalen Förderung und einem Ausbau des Schulwesens niederschlugen, hinterließen auch auf 15 16 17 18 19

Hierzu Hathaway, 1997; Raymond 1995; Crecelius 1998a, 1998b. Siehe hierzu den Überblick über die historiographischen Positionen in Mualla, 2004, XIII–XXIII. Zu ihm besonders García-Arenal, 2009. Siehe den analytischen Überblick über die verschiedenen Dimensionen seiner Herrschaft in AbunNasr, 1987, S. 230–237. Siehe für Tunis Larguèche, 2001b.

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kulturellem Gebiet ihre Spuren. Der Aufenthalt des libanesischen Emirs Faḫr adDīn in Florenz führte nach seiner Rückkehr zur Übernahme von Elementen der Renaissancearchitektur in seinem Herrschaftsgebiet. In seine Zeit (1610) fällt auch die erste Einführung einer Druckerpresse für christliche religiöse Schriften (in Syrisch-Aramäisch und Arabisch in syro-aramäischer Schrift!) im Libanon (Glass u. Roper, 2002, S. 177f.). In der Folgezeit verstärkten sich auch die missionarischen Initiativen der lateinischen Kirche im syro-libanesischen Raum, was zur Einrichtung einer unierten griechisch-katholischen Kirche führte (Heyberger, 2001). Bei Unierten wie auch bei Orthodoxen in Syrien und Libanon intensivierten sich die Kontakte zu ihren jeweiligen „Mutterkirchen“, aber auch die Bemühungen um den Aufbau einer eigenen arabischen Literatur, die in verschiedenen Genres im religiösen wie im literarischen Bereich seit dem späten 17. Jahrhundert einen bedeutenden Beitrag zur arabischen Literatur der osmanischen Epoche leistete. So wurde etwa der erste arabische Bericht über eine Reise nach Amerika von Ilyās al-Mauṣilī, einem unierten Kleriker aus Mossul, verfasst, der mehre Jahre (1675–1683) in Mittelund Südamerika zugebracht hatte.20 Die Erforschung der arabischen Literatur Syriens, Ägypten und Nordafrikas in der frühen Neuzeit steckt noch ziemlich in den Anfängen, und es ist daher nicht eindeutig klar, inwieweit die politische Regionalisierung auch mit literarischen Entwicklungen korreliert. Feststellbar ist auf jeden Fall ein gesteigertes Interesse an literarischen Ego-Dokumenten, das weit verbreitet war,21 ferner sehr rege und auch einflussreiche literarische Aktivitäten bei Führern und Angehörigen von SufiBruderschaften, von denen hier nur der Syrer Muṣṭafā al-Bakrī (gest. 1747) und alḤasan al-Yūsī (gest. 1701), ein marokkanischer Gelehrter und Literat berberischer Herkunft, genannt werden sollen (Elger, 2004; Berque, 1958; Honerkamp, 2009, S. 410–419). Ferner lässt sich eine Blüte epischer Helden- und Ritterromane feststellen, deren Stoffe etwa in Ägypten in die mamlukische Zeit zurückreichen, aber offenbar in dieser Periode ihre wesentliche Form erhielten. In manchen dieser Romane, wie etwa in der Sīrat Sayf b. Ḏī Yazan, ist der Bezug zu ägyptischen Örtlichkeiten in der Namengebung der Heroen sehr aufschlussreich, und die ganze Erzählung, an deren Ende die Überwindung und Beseitigung der Sperren steht, die den Nil am Durchfluss nach Norden hindern, kann dementsprechend als Ursprungsmythos Ägyptens gelesen werden (Paret, 1924; Guillaume, 1995, S. 105f.; Norris, 1989, S. 125–151). Auf die Blüte der Volksliteratur in Ägypten in dieser Epoche weist insbesondere Nelly Hanna hin (Hanna, 1998, S. 87–112). Die Wechselwirkung lokaler und transregionaler literarischer und politischer Diskurse und Entwicklungen des späten 18. Jahrhunderts spiegelt sich in Biographie und Netzwerk des sufischen Traditionsgelehrten, Lexikographen, Genealogen und Literaten Murtaḍā al-Zabīdī (1732–1791), den seine Karriere in seiner Jugend aus Indien in den Jemen und die Heiligen Stätten führte, ehe er sich in Kairo niederließ, wo er internationalen Ruhm erwarb und weitreichende gelehrte Beziehungen knüpfte, die er selbst im 20 21

Farah, 2003; Muhanna, 2009, S. 295–299; Ghobrial 2014; für die Beschreibung einer Russlandreise durch einen orthodoxen Kleriker aus Aleppo siehe Kilpatrick, 1997, S. 156–177. Hierzu z.B. Reichmuth u. Schwarz, 2008.

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umfangreichen, wenn auch unvollendeten autobiographischen Lexikon seiner Lehrer, Schüler, Freunde und Bekannten beschrieb (Reichmuth, 2009). Die Revolutionen, die in Europa und Amerika seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts so nachhaltige Veränderungen herbeiführten, blieben nicht ohne Auswirkungen für die muslimischen Regionen im Mittelmeerraum. Zu nennen ist hier in erster Linie die Besetzung Ägyptens durch Napoleon und die Franzosen (1798–1801),22 die auch mit einem fehlgeschlagenen Vorstoß nach Syrien verbunden war. An die Vertreibung der Franzosen durch ein osmanisch-britisches Bündnis schloss sich der Aufstieg des osmanisch-albanischen Offiziers Muḥammad ʿAlī (1805–1848) (Toledano, 1993, S. 423–431; Hunter, 1999 [1984]) an, der in Kooperation mit Briten und Franzosen den Versuch unternahm, die ägyptische Armee ebenso wie Verwaltung und Wirtschaft nach europäischem Vorbild zu modernisieren, der die Übersetzung französischer Rechts- und Wissenschaftstexte ins Arabische förderte und eine erste Delegation ägyptischer Studenten auf eine Bildungsreise nach Paris schickte.23 Die von ihm initiierte Intensivierung des Baumwollanbaus und die Monopolisierung des Binnen- und Außenhandels verschafften dem Staat erhebliche neue Einnahmequellen (Schölch, 1994, S. 367–387; Fahmy, 1997). Dies gab Ägypten eine Vormachtstellung innerhalb des Reiches im östlichen Mittelmeerraum, die sich auch in einer vorübergehenden Besetzung Syriens niederschlug und 1839 zu einem Sieg über die osmanische Reichsarmee bei Konya führte. Britischer Druck sorgte allerdings dafür, dass sich die ägyptische Armee wieder aus Anatolien und 1840 auch aus ganz Syrien zurückzog. Mit der britischen Durchsetzung der Freihandelspolitik im Osmanischen Reich (Vertrag von Balta Limanı 1838) und der damit verbundenen zollpolitischen Öffnung waren auch die ägyptischen Bemühungen um den Aufbau einer eigenen Industrie vorerst gescheitert. Die Bilanz der ägyptischen Reformen Muḥammad ʿAlīs und das Ausmaß seiner Modernisierungspolitik werden bis heute mit unterschiedlichen Positionen diskutiert. Dabei überwiegt derzeit die Ansicht, dass die fortbestehenden Bindungen an das Osmanische Reich und die damit verbundene kulturelle Kontinuität für Muḥammad ʿAlī und seine Nachfolger lange Zeit unterschätzt, der Grad der Europäisierung für diese Periode dagegen eher überschätzt wurde; eine Akzentverschiebung, wie sie auch schon für Tunesien festzustellen ist. Die entschiedene Öffnungspolitik gegenüber Europa gewann in Ägypten wie auch in der Regierung des Osmanischen Reiches selbst erst nach 1850 die Oberhand. In Nordafrika begann mit der französischen Besetzung Algeriens (1830) die europäische Kolonialherrschaft im südlichen Mittelmeer. Wenige Jahre später (1835) nahmen die Osmanen Tripolitanien wieder unter direkte Kontrolle und beendeten die Herrschaft der Qaramanlī-Dynastie. Die Herrscher Marokkos und Tunesiens suchten seit dieser Zeit, durch Armee- und Verwaltungsreformen ihre Unabhängigkeit zu sichern (Bennison, 2002; Brown, 1974; von Sivers, 1994, S. 537–544). Hier 22

23

Zur kritischen Diskussion um die historische Bewertung der napoleonischen Expedition, die vielfach als Zeitenwende für den Nahen Osten oder gar für die gesamte muslimische Welt gedeutet wird, Conermann, 2002, S. 79–154. Siehe dazu den Reisebericht von aṭ-Ṭahṭāwī, 1989.

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war Aḥmad Bey (1837–1855), der ḥusainidische Herrscher von Tunesien, in seiner Amtszeit am erfolgreichsten; er schaffte auch als erster muslimischer Herrscher 1846 die Sklaverei ab (Clarence-Smith, 2006, S. 100–102). In westlichen Algerien konnte sich der sufische Führer ʿAbd al-Qādir (gest. 1883 in Damaskus) längere Zeit neben der französischen Okkupation behaupten. Er etablierte ein islamisches Staatswesen unter den westalgerischen Stämmen, das für neun Jahre (1832–1841) Bestand hatte, ehe er nach langwierigen und wechselvollen Kämpfen gegen die expandierende französischen Besatzung 1847 zur Kapitulation gezwungen wurde und in französische Gefangenschaft geriet (Abun-Nasr, 1987). Seine Herrschaft, die aus einer sufischen Führungsposition hervorging, fügt sich in die Tendenz neuer sufischer Bewegungen seit dem späten 18. Jahrhundert in Nordafrika, zu denen auch die Tijāniyya (gegr. von Aḥmad at-Tijānī, gest. 1815) (Abun-Nasr, 2000) in Algerien, Marokko und Westafrika sowie die Sanūsiyya (gegr. von Muḥammad b. ʿAlī al-Sanūsī, gest. 1859) (Triaud, 1997) in Libyen gehörten. Letztere wurde später unter den Nachfolgern des Gründers in Libyen und in der Zentralsahara ebenfalls in die Kämpfe gegen die europäische Expansion verwickelt. An die Deutung dieser und anderer oft als „neo-sufisch“ bezeichneten Bewegungen knüpfte sich seit den neunziger Jahren eine Kontroverse um ihre unterschiedlichen Deutungen aus islamischer religiöser Tradition und aus soziopolitischen Perspektiven, die bis heute nicht abgeschlossen ist.24 Insgesamt lässt sich mithin feststellen, dass die europäische koloniale und wirtschaftliche Expansion im Mittelmeerraum auch die bereits lange zuvor in Gang gekommenen Regionalisierungsprozesse in den muslimischen Regionen im frühen 19. Jahrhundert weiter verstärkte. Doch auch in dieser Phase erhält sich das Wechselspiel zwischen räumlicher und kultureller Integration und Entflechtung, das die Stellung des muslimischen Mittelmeerraums zwischen Europa und der übrigen muslimischen Welt bis heute bestimmt. Nach wie vor bietet der Mittelmeerraum viele Forschungsperspektiven für Islamwissenschaft und Arabistik. Angefangen von religiösem Recht und Theologie, Mystik und Gebetsliteratur bis hin zu arabischer Dichtung und Prosa (insbesondere in Reiseberichten und Memoiren) bleiben die kulturellen und literarischen Beiträge Nordafrikas zur islamischen Wissens- und Bildungskultur in der Frühen Neuzeit sehr bedeutsam. Die sozio-politische und die kulturelle Dynamik im neuzeitlichen Nordafrika in ihren regionalen wie transregionalen Dimensionen stellen die islamwissenschaftliche und arabistische Forschung weiterhin vor große Aufgaben, und die arabische Literatur der Frühen Neuzeit innerhalb und außerhalb des Osmanischen Reiches findet erst allmählich größeres Interesse. Bei aller Schärfe der Abgrenzungs- und Expansionsstrategien bei vielen individuellen und kollektiven Akteuren sind Vielschichtigkeit und Dichte des kulturellen Austausches der Muslime mit den christlichen Staaten und Gesellschaften im Mittelmeerraum noch bei weitem nicht ausreichend erforscht. Ebenso erweisen sich die Präsenz und die Rolle von Andalusiern und von Nordafrikanern in den Regionen des Nahen Ostens bis hin nach Südasien in der Neuzeit allgemein als kaum aufgearbeitet. Der Mittel24

Für eine Zusammenfassung unterschiedlicher Positionen in Chih u. Mayeur-Jaouen, S. 14–17.

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meerraum bleibt eines der Kerngebiete der Islamwissenschaft für die Erforschung der geopolitischen wie religiös-kulturellen Integrations- und Abgrenzungsprozesse, in denen der Islam als identitätsbildender Faktor bis heute eine unübersehbare Rolle spielt.

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GERALD BERNHARD, KATHARINA KRASKE UND DAVID NELTING

Italienische und französische Literaturwissenschaft

Katharina Kraske und David Nelting: Definition des Faches und Relevanz des Mittelmeerraums für das Fach Nachdem der spatial turn in den 90er Jahren weite Teile der poststruktural inspirierten Literatur- und Kulturwissenschaften geprägt hat, widmet sich auch die deutschsprachige literaturwissenschaftliche Romanistik zunehmend dem Thema ‚Raum‘, wenngleich dies wesentlich weniger der Fall ist als in benachbarten Philologien wie der Germanistik oder Anglistik. Vernetzt sichtbare Initiativen sind eher selten; zu nennen ist hier u. a. eine seit 2002 an der LMU München etablierte Arbeitsgruppe „Raum – Körper – Medium“.1 Auch der Sektionsband Zum ‚spatial turn‘ in der Romanistik sowie die aus dem Italianistentag 2006 hervorgegangene Publikation Orientierungen im Raum zeigen das Interesse raumbezogener Forschung (Dolle u. Helfrich, 2009; Behrens u. Stillers, 2008). Das Interesse am Raumparadigma blieb allerdings eher allgemeiner Art, das Mittelmeer als spezifischer, geografischer und kultureller Raum wurde nur geringfügig von der deutschsprachigen romanistischen Forschung betrachtet. Gleichwohl sind im Bereich der französischen und italienischen Literaturwissenschaft einschlägige Forschungsbeiträge zum Mittelmeer zu beobachten. In diesen Beiträgen lassen sich zwei Hauptlinien der Analyse ausmachen: Zum einen wird auf der Darstellungsebene Mediterranes als Motiv oder Thema der Primärtexte untersucht, zum anderen können auf der Ebene der Darstellungsverfahren Mittelmeerdiskurse als texttopologische Strukturdispositive literarischer Texte in den Blick genommen werden. Den unterschiedlichen Forschungsinteressen gemeinsam ist die Tatsache, dass das Mittelmeer nicht als kultureller Makroraum von Belang ist, sondern dass unterschiedliche Ausschnitte untersucht werden, die zumeist den unterschiedlichen raumsemantischen Interessen der romanistischen Einzelphilologien entsprechen. 1

Siehe u. a. Dünne; Günzel, 2006 sowie den Forschungsüberblick zur Raumtheorie von Dünne: http://www.raumtheorie.lmu.de/Forschungsbericht4.pdf.

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So figuriert Mediterranes in der italianistischen Literaturwissenschaft vor allem unter den Vorzeichen regionaler Zuschnitte. Dabei werden durchaus partielle Topographien und Kulturräume betrachtet, die durch ihre kulturelle, geographische, historische usw. Kontur auch zentral für mediterranistische Verstehensprozesse sein können. So stehen nicht nur der Nordosten Italiens (Triest) als kulturelle Schnittstelle zum mitteleuropäischen Kulturraum (siehe hierzu u. a. Behrens, 2004 und Borsò u. Brohm, 2007) oder die Poebene (siehe Kuon, 2002) im Forschungsinteresse. Auch die größte Mittelmeerinsel Sizilien, die Peripherie und Zentrum zugleich bildet und eine transkulturelle Verbindung zwischen Europa und Afrika darstellt, ist von der Forschung solchermaßen ‚polykontextural‘ in den Blick genommen worden (siehe Reichardt, 2006; Wolfzettel, 1999). Genuin mediterrane Motive im weiten Sinn sind vor allem in der italienischen Lyrik auszumachen, u. a. als archaisierender Naturmythos bei Gabriele D’Annunzio, als Sprachreflexion bei Montale und in seiner Verbindung zu Afrika bei Giuseppe Ungaretti.2 In der französischsprachigen Literatur wurde die über das Mittelmeer hergestellte Verbindung zu Afrika zwar über Schriftsteller wie Albert Camus schon länger thematisiert, in den letzten Jahren aber durch die starke Beachtung französischsprachiger Literatur aus dem Maghreb, vor allem den Werken Tahar Ben Jellouns und Assia Djebars, wieder aktualisiert.3 Historisch wird das Mittelmeer durch die Italianistik auch als politischer Entwurf des mare nostrum und über die faschistische Propaganda der Abessinienkriege (1935–1936) betrachtet, wobei vor diesem Hintergrund auch Phänomene aktueller Migrationsliteratur in transnational mediterranen Zusammenhängen beleuchtet werden.4 Für die Französistik hat insbesondere die Beschäftigung mit dem Maghreb auch historische Implikate, die Themen wie den Algerienkrieg sowie Kolonialismus und Postkolonialismus mit sich führt. Es gilt jedoch, dass sich der Großteil der französischen Postkolonialismusforschung auf die Karibik und weniger auf das Mittelmeer konzentriert (vgl. u. a. Toro, 2009; Toro u. Bonn, 2009). Dass das Mittelmeer aber zunehmend auch als transkulturelles Raumkonstrukt systematisch in der literaturwissenschaftlichen Forschung fruchtbar gemacht wird, zeigt die am Institut für Romanistik der Universität Potsdam und dem Peter Szondi-Institut der FU Berlin angesiedelte interdisziplinäre Forschergruppe TransMed!5, die den Mittelmeerraum als transmediterranes Narrativ erarbeiten will, das politische und kulturelle Prozesse verknüpft. Weiterhin ist aus einer Sektion des Romanistentags 2007 der Sammelband Mittelmeerdiskurse in Literatur und Film hervorgegangen, der den umfangreichsten Beitrag der deutschsprachigen Romanistik zum Mittelmeer darstellt. In den darin enthaltenen Aufsätzen werden Kolonialismus und Postkolonialismus als theoretischer Rahmen, Transkulturalität und Dekonstruktivismus als methodische Zugänge, Alterität und Differenz als 2 3 4 5

Siehe u. a. Ott, 2003 und den Beitrag von Solte-Gresser in: Arend, Richter u. Solte-Gresser, 2010. Zu nennen sind v.a. Toro, 2009 und Toro u. Bonn, 2009. Siehe den Beitrag von Heydenreich, 2008 und Heydenreich; Bremer, 2012. www.uni-potsdam.de/philologie+rassismus/download/Transmed_Projektbeschreibung.pdf.

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zentrale Themen behandelt (Arend, Richter u. Sollte-Gresser, 2010). Darüber hinaus haben sich in den letzten Jahren auch einzelne Aufsätze dem Mittelmeer gewidmet, in denen der Bezug des Meeres zu Kolonisation, Massenimmigration und als Ort des Todes immer wieder aufgezeigt wird. Das Mittelmeer wird hier auf Sujetebene als Raum der Grenzziehung und zugleich der Verbindung und Einheit zwischen den Kulturen konstruiert. Konzeptuell wird das Mittelmeer darin über die philosophischen Konzepte der Heterotopie, Schwelle und contact zone, der Transkulturalität, des third space oder des clash of civilizations zu erfassen versucht.6 Auffallend ist, dass diese mediterranistisch relevanten Ansätze in erster Linie Texte des 20. und 21. Jh. untersuchen, auch wenn ein Thema wie der nordafrikanische Exotismus der französischen Literatur des 19. Jh. als ‚Orientalismus‘ durchaus mit einer gewissen Konstanz und mitunter auch schwerpunktweise (siehe Bernsen u. Neumann, 2006) beforscht wird. Für die Zukunft des Faches lässt sich unschwer prognostizieren, dass die zunehmende Popularität von Migrationsliteratur, exophoner und transnationaler Literatur mediterrane Transfermomente zunehmend in den Blick auch der deutschsprachigen Französistik und Italianistik rücken werden, auch wenn bislang eine im eigentlichen Sinn mediterranistische Heuristik erst in Ansätzen erkennbar ist. Methodisch von Belang für eine nachhaltige Fortüne des ‚Mediterrans‘ (Predrag Matvejević) als übergreifender transkultureller Raum ist zweifellos eine breitere Rezeption der mediterranistischen Historiographie, Soziologie und Kulturgeschichte (Fernand Braudel), die auch dem Bereich der älteren Literatur genuin mediterranistische Perspektiven zu eröffnen imstande sein sollte.

Gerald Bernhard: Forschungsgeschichte und Forschungsperspektiven des Faches in Bezug auf Mittelmeerforschung Die Beschäftigung mit dem Gegenstand der romanischen Sprachen hat eine Vorgeschichte, die letztlich bis ins, v.a. italienische, Mittelalter reicht und die mit dem Aufkommen des Humanismus einen sprach- und literaturwissenschaftlichen Aufschwung „ante litteram“ erlebt. Neben der Beschäftigung mit literarischen Texten in den verschiedenen mittelalterlichen Sprachräumen der Iberischen Halbinsel, der Galloromania und Italiens (das Rumänische ist als romanische Sprache zu dieser Zeit im Westen noch nicht bekannt) tritt v.a. die Gestalt von Dante Alighieri (1265–1321) in Erscheinung, als er in seinem Traktat De vulgari eloquentia [verfasst 6

Siehe hierzu z.B. Arend, 2007; 1998 sowie die Beiträge von Burtscher-Bechter, Mertz-Baumgartner und Mathis-Moser in: Burtscher-Bechter, Haider, Mertz-Baumgartner u. Rollinger, 2006.

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wohl zwischen 1303 und 1304, wieder entdeckt durch G.G. Trissino (1478–1550) im Jahre 1515], einen ersten Versuch unternimmt, die ihm bekannten Sprachen ‚typologisch‘ zu ordnen und die ihm bekannten italienischen Dialekte sprachgeographisch zu lokalisieren; die Begriffe lingua d’oïl für das Französische, lingua d’oc für das Okzitanische und lingua del sì, die bis heute gebräuchlich sind, gehen auf den großen Florentiner zurück. Neben Dante als Vorläufer der typologisch-didaktologischen Sprachwissenschaft ist Francesco Petrarca (1304–1374) als Textwissenschaftler „avant la lettre“ zu bezeichnen, da er sich als erster Gelehrter mit philologischen Methoden der Analyse von klassischen Texten widmet. Aber nicht nur auf der metasprachlichen, auf der philologischen Ebene, sondern auch auf der Objektebene ist das Mittelalter für die romanischen Sprachen eine prägende Periode, da in dieser Zeit ‚echte‘ mediterrane Sprachkontakte stattfinden, und zwar zwischen dem Arabischen und dem Spanischen, wo die Kontakte bis heute zahlreiche Spuren im Wortschatz hinterlassen haben, und dem Arabischen und dem Romanischen in Sizilien (9.–11. Jh.), wo sich ebenfalls bis heute zahlreiche Kontaktresultate erhalten haben. Hinzu tritt die zentrale Herrscherfigur Kaiser Friedrichs II. (1194–1250), der im Rahmen der Kreuzzugsideologie die arabische Kultur nicht nur in Italien, sondern auch in Mitteleuropa bekannt machte. In dieser Hinsicht ist das Mittelalter durchaus ein mittelmeerzentrierter Kulturzeitraum, ohne dass man in diesem Zusammenhang bereits von einer Wissenschaft sprechen könnte; diese formt sich erst im Laufe der frühen Neuzeit aus. Zum Zeitpunkt seiner Entstehung als selbstständiges Forschungsgebiet Anfang und Mitte des 19. Jh. besteht für das Fach Romanische Philologie noch kein direkter Bezug zu Kulturräumen, die man als umfassend mediterran bezeichnen könnte. Als „créateur et le maître de la philologie romane“ (Rohlfs, 1966, S. 11) bezeichnete der französische Philologe Gaston Paris im Jahre 1861 den ersten deutschen Romanisten im eigentlichen Sinne, nämlich Friedrich Diez (1794–1876). Mit Diez nehmen die historisch vergleichenden Forschungen zu den einzelnen romanischen Sprachen untereinander, beginnend mit dem Altprovenzalischen und dem Altfranzösischen, sowie die Beschäftigung mit der methodisch gefestigten Herkunft der romanischen Sprachen aus dem Lateinischen ihren Anfang. Freilich ist dieser Beginn der romanischen Philologie nicht ‚ex nihilo‘ zustande gekommen, sondern knüpft seinerseits an spätmittelalterliche und frühneuzeitliche philologische Traditionen an. Diese, v.a. humanistischen, Traditionen fußen auf der Auseinandersetzung im Rahmen des sogenannten Sprachenwettstreits des 16. Jh. (in Italien Questione della lingua), der die Wiederbelebung der klassischen Sprachen und die Übertragung der klassischen Gedanken in die romanischen Volkssprachen zum Inhalt hat. Da die romanische Philologie als genuin deutschsprachiges Fach verstanden werden kann, verwundert es nicht, dass der geographische und historische Schwerpunkt zunächst nicht zirkummediterran angelegt ist, sondern nur indirekt eine Verbindung zum gesamtmediterranen Raum aufweist, insofern die Romanistik die einzelnen Sprach- und Sprechkulturen des Imperium Romanum (als zirkummediterranen Herrschaftsraum) im Auge hat. Der Straßburger Romanist und Begründer der Zeitschrift für Romanische Philologie Gustav Gröber (1844–

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1911) verfasst bereits 1882 mit seinem Grundriss der Romanischen Philologie ein wegweisendes Kompendium zu den bis dahin geleisteten Forschungsarbeiten. Eine ‚strikte‘ Trennung zwischen Literatur- und Sprachwissenschaft ist darin noch nicht angelegt, da sich die sprachwissenschaftlichen Erkenntnisse zu den einzelnen romanischen Varietäten vorwiegend auf literarische Texte stützen. An die Seite der historisch vergleichenden Studien zu den romanischen Literatursprachen und ihren genealogischen Beziehungen zur Ausgangssprache (gesprochenes) Latein stellt sich noch im späten 19. und frühen 20. Jh. der Bereich der Dialektologie, insbesondere der Sprachgeographie, und daran anknüpfend auch die romanistische ‚Sonderentwicklung‘ der Forschungen zu „Wörter und Sachen“, die eng an den Grazer Romanisten Hugo Schuchardt (1842–1927) geknüpft sind. Mit der (spät-)romantischen Fokussierung einiger Teile der Sprachwissenschaft auf die nichtliterarische, volkstümliche Lebensweise als forschungswürdiges Objekt, beginnt allmählich die Aufspaltung der romanischen Philologie in Literaturwissenschaft einerseits und Sprachwissenschaft andererseits. Der ethnographisch orientierten Forschungsrichtung Hugo Schuchardts ist es zu verdanken, dass die Ende des 19. und Anfang des 20. Jh. erstarkende Sprachgeographie bzw. Dialektgeographie einerseits wertvolle Daten für die Ermittlung von sprachlichen Grenzen liefert und andererseits für den Zusammenhang zwischen ‚volkstümlichem‘ Wortschatz und, vorwiegend ländlichen, Lebensverhältnissen in Perspektiven eröffnet, die ihrerseits in einem weiteren mediterranen, seltener auch in einem mitteleuropäischen, Gesamtraum einzubetten sind. Die Sprachgeographie führt v.a. bis zur Mitte des 20. Jh. aber auch, mit moderneren theoretischen Ansätzen, weit darüber hinaus7 zu einer immensen kartierten Datensammlung, die ihrerseits für weitere dialektgeographische Untersuchungen in anderen Sprachräumen als dem romanischen wegweisend wird. Ein anderes Forschungsfeld, welches die Romanistik von Anfang an aufgrund der vorliegenden literarischen Varietät des Lateinischen, gegenüber anderen Sprachfamilien privilegiert, ist dasjenige der etymologischen Forschung: Sind ältere, ja, älteste Texte literarischer aber auch in sachlich-praktischer Ausprägung der Ausgangspunkt der ersten großen etymologischen Wörterbücher der Romanistik8, so kann nun die Dialektgeographie durch ihren Materialreichtum zu einer engmaschigen Dokumentation diatopischer (räumlicher) Varianten beitragen. An die Seite der traditionellen, 7

8

Die Pionierwerke der Sprachatlanten von Gilliéron u. Edmont (ALF) und von Jaberg und Jud (AIS) dienen bis heute als unverzichtbare Grundlage für dialektgeographische Studien. Nicht zuletzt werden durch die dort konservierten Daten auch dialekttypologisch orientierte und EDVgestützte Messungen ermöglicht (vgl. Goebl, 1982; 1984; 2006; Bauer, 2009). Zum Teil wirkt diese Disziplin auch auf die Entstehungszeiträume der romanischen Varietäten zurück, so bei Bartolis Areallinguistik (1943) oder in Rohlfs‘ Romanischer Sprachgeographie (1971). Nach der Romanischen Grammatik von Diez, 1836 erscheint 1911 das Romanische Etymologische Wörterbuch (RWE) von Meyer-Lübke, ein grundlegendes Werk, welches die Entwicklungen lateinischer Wörter in den damals erforschten romanischen Sprachen nachzeichnet: Als Lemmata figurieren nicht die modernen Wortformen, sondern die lateinischen Etyma. Diese Verfahrensweise wird auch in den monumentalen etymologischen Wörterbüchern von v. Wartburg (FEW) und Pfister (LEI) in detaillierter Weise genutzt.

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auf das literarische Latein (v.a. das klassische Latein) zentrierten etymologischen Forschungen, die sich v.a. an lautgesetzlichen Entwicklungen orientierten, tritt nun in verstärktem Maße die wichtige Rolle der semantischen Plausibilität und, damit verbunden, die Ermittlung von Wortschatzelementen, die nicht aus dem Lateinischen herleitbar sind. Die Rede ist von sogenannten Substraten und Superstraten, also Wörtern, die sich aus vorromanischen, ja oder gar vorindogermanischen Sprachen erhalten haben, und solchen, die im Laufe der Spätantike und des frühen Mittelalters aus nicht mehr erhaltenen, vorwiegend germanischen, Sprachen hinzugekommen sind. In diesem Zusammenhang tritt der Begriff des sogenannten mediterranen Substrats auf, der die Romanistik, allerdings für längst vergangene Zeiten, zum gesamten Mittelmeerraum hin öffnet.9 Im Zentrum der Forschungsarbeit liegen hierbei jedoch erklärtermaßen die romanischen Teilsprachräume. Die Ergebnisse der beiden Forschungsrichtungen, der Etymologie und der Sprachgeographie, liefern einen wertvollen Beitrag zur sprachwissenschaftlichen Arbeit des historischvergleichenden sowie des dialektologisch-soziolinguistischen Paradigmas, wobei v.a. letzteres bis in die heutige sprachwissenschaftliche Forschung hineinwirkt. Die Erkenntnisse dieser Forschungsrichtung sind bis heute Gegenstand der sprachwissenschaftlichen Ausbildung von Romanisten, und Begriffe wie Romania continua und Romania submersa oder auch Romania nova sind gängige historische Hintergrundbegriffe für gesamtromanisch interessierte Studierende. Die Sprachgeographie, also die Ermittlung von Epistrukturen des Sprechens, die auf räumlichen bzw. Oberflächenparametern abgebildet werden, lebt bis heute, und nicht nur in der Romanistik, weiter und öffnet sich durch methodische Neuerungen wie z.B. die Dialektometrie10 auch typologischen Aspekten der Sprachbetrachtung. Ein zirkummediterranes Atlasprojekt liegt, im allerdings nicht weiter verfolgten, Atlante linguistico mediterraneo von Mario Alinei vor. Die historisch orientierte Philologie ist, v.a. in Italien, in jüngster Zeit verstärkt mit der Erforschung des im frühen Mittelalter untergegangenen nordafrikanischen Lateins beschäftigt11; aus diesen Beschäftigungen ergeben sich durchaus neue Sichtweisen auf die Variabilität des gesprochenen Lateinischen in der Spätantike und dem frühen Mittelalter. Als teilromanistisches Forschungsgebiet kann man durchaus auch die Erforschung der Linguae francae betrachten, da diese westlichen Sprachen12 eine starke romanische, v.a. venezianische, provenzalische und katalanische, Komponente be9

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11 12

Hier tritt v.a. die Substratforschung von Hubschmid, 1916–1995 in den Vordergrund. Er versucht unterschiedliche Sprachschichten, z.B. kaukasisch-baskischer oder afrikanisch-iberischer Typen, zu ermitteln. Die Dialektometrie als numerisches Verfahren zur Ermittlung von Ähnlichkeiten und Distanzen zwischen allen Messpunkten eines Sprachareals geht auf den Autor des ALG, Séguy zurück. Goebl stellt die Ideen seit den 80er Jahren auf computergestützte tragfähige Grundlagen. Näheres in (Goebl, 1984; 2006). Hierzu zahlreiche erhellende Erkenntnisse, z.B. zur Entwicklung von [k] vor [e] und [i], bei Lorenzetti; Schirru, 2010. Franca bezieht sich hierbei auf die romanischen Nachfolgesprachen (v.a. Katalanisch, Provenzalisch und italienische Dialekte) des Lateinischen in der Westromania.

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inhalten. Alles in allem lässt sich für die Zeit zwischen ihrer Entstehung und ca. 1990 eine Relevanz der sprachwissenschaftlichen romanistischen Mittelmeerforschung darin erkennen, dass im Rückgriff auf sprachlich-kulturelle Bewirtschaftungen mediterraner Teilräume, die historisch gesehen einmal das Zentrum der mittelmeerischen Welt gewesen sind, detaillierte empirische wie theoretisch wirksame Arbeiten geleistet worden sind, die sich jedoch zumindest anfänglich mit dem Verhältnis zwischen Mitteleuropa und dem mediterranen Erbe in den Kulturen Gesamteuropas beschäftigen. Seit den 1980er, und verstärkt seit den 1990er Jahren, tritt das Mittelmeerbecken als neuerliche Kontaktregion in das Blickfeld auch sprachwissenschaftlicher Forschung. Hier beschäftigen sich, im Rahmen der Migrationsforschung, die National- und Einzelphilologien v.a. mit der sprachlichen Eingliederung von aus unterschiedlichen Sprachregionen Afrikas, aber auch aus Südost- und Osteuropa und Südamerika stammenden neuen Mitbewohnern.13 Bereits etwas früher setzt die sprachwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Mittelmeerraum als Emigrationsraum ein. Die Arbeitsmigration der 50er und 60er Jahre von Südeuropa und aus der Türkei und Nordafrika nach Mitteleuropa und Frankreich setzt neue Akzente im interkulturellen Austausch, wie er im süd- und ostmediterranen Beitrag zur Sprachlandschaft der genannten Großräume sichtbar wird. Im Rahmen der Diskussionen um eine mögliche gesamteuropäische Identität stellen sogenannte migrationslinguistische Forschungen (Krefeld, 2004) einen besonderen Schwerpunkt hinsichtlich der Präsenz von „Mittelmeersprachen“, beispielsweise in Deutschland, dar. Innerhalb der Romanistik bietet die Präsenz von Italienern, Spaniern oder Portugiesen, z.B. in Deutschland, eine neue Möglichkeit, den Beitrag von Mittelmeerkulturen zur Umbildung mitteleuropäischer Gewohnheiten, auch sprachlicher Natur, zu erforschen, auch wenn im 20. Jh. die „Römer“ nicht als Eroberer, sondern als mitarbeitende Europäer hier ansässig geworden sind.

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Vedovelli, 2011 zeichnet die Emigrationsgeschichte von Italienern und ihren Sprachvarietäten detailliert nach. Bernhard, 2008 bietet einen Überblick über neue Sprachrealitäten im Immigrationsland Italien als Teil moderner, das Mittelmeer überquerender Gesellschaftsentwicklungen seit den 1990er Jahren.

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Jewish Studies While Fernand Braudel (1902–1985), who, with his La Méditerranée et le Monde méditerranéen à l’époque de Philippe II, is often taken as the initiator of the notion of Mediterranean Studies, which later became a disciplinary field in its own right, his contemporary, Shlomo Dov Goitein (1900–1985) conceptualized his five volume A Mediterranean Society: The Jewish Communities of the Arab World as Portrayed in the Documents of the Cairo Geniza, as a study of a specifically Mediterranean culture. While aware of Braudel’s work, Goitein researched and wrote Mediterranean Society without consulting it until he was nearly finished with his own oeuvre, since Braudel’s chronological focus was considerably outside that of Goitein’s chosen period of concentration (Goitein, 1988). Regardless of when Goitein read Braudel’s two volume monograph, the two scholars knew of one another, and considered collaborating, although ultimately these plans came to naught (Astren, 2012). Yet, as Sarah Stroumsa has noted in her study of Moses Maimonides within a Mediterranean context, the work of both Braudel and Goitein together started a trend and created the framework for a series of studies dealing with the lands and cultures surrounding the Mediterranean Sea. According to her, this intensification of scholarly interest in the Mediterranean region began in the 1980’s and has continued to this day (Astren, 2012). Goitein’s massive monographic study, coupled with numerous articles, have highlighted the significance of the Cairo Geniza for understanding not only medieval Cairene Jews, but Jews, Muslims and Christians throughout the Mediterranean, Red Sea, and Indian Ocean.1 Less heralded, but equally important is the work of Eliyahu Ashtor (1914 – 1984), who began working on the Genizah before Goitein, but like Goitein, has made substantial contributions to both the history of Jews in the Islamic world and Islamic history, as well as being a major historian of Mediterranean trade and economy (Horowitz, 2012; Ashtor and Kedar, 1992; 1986; Ashtor, 1969; 1976; 1978; 1983; 1994; 2008). The scope of both of these authors’ works has had the twin effect of orienting the study of Mizraḥi (Middle Eastern), and to a lesser extent, Sephardi (Iberian) and Italian Jews within the larger field of Mediterranean Studies on the one hand, and of ensuring that Jewish history and the Cairo Geniza hold a key role in Mediterranean Studies as a whole, on the other. For example, books and articles dealing with aspects of medieval Mediterranean culture and trade which do not take Jews as their focus per se, still often draw from the Cairo Geniza or address the 1

Goitein originally intended to focus on the Indian Ocean, but felt it necessary to pause his efforts in this direction in order to obtain a better grounding in Mediterranean trade and culture. He was not able to finish his work on the Indian Ocean, although that is now being published posthumously.

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activities of Jews in the Mediterranean using other types of sources (e.g. Abulafia, 1987; 2000; 2011; Lev; Amar, 2008; Constable, 1996; 2003). Historians dealing specifically with trade in the pre-modern Mediterranean have also tended to turn their attention specifically to the role of Jews in it, and in more local Mediterranean economies (e.g. Pankrates, 2012; Jacoby, 1972; 1989; Orfali, 2002). More problematically, others who do not use the Geniza directly have drawn from Goitein’s Mediterranean Society, sometimes treating these volumes as if they themselves were the Geniza (Keddie, 2007, pp. 44–47; J. L. Goldberg, 2011). Studies focusing on the Mediterranean during ancient, early modern and modern eras also regularly include discussions of Jews and the land of Israel (e.g. Abulafia, 2011; Schwara, 2011; Ben Zaken, 2010, pp. 21–64, 78–102). The main journals focusing on the history and cultures of the Mediterranean likewise consistently publish articles on Jewish topics or which include Jews as an aspect of the article’s subject matter.2 In part the degree to which the study of Jews in the Mediterranean is integrated into the field of Mediterranean studies as a whole has to do with Goitein’s own breadth and training. While possessing a traditional Jewish education and upbringing, he began his academic career as an Islamicist, trained at Frankfurt, and expanded his interests and research to include ethnography and anthropology, as his research on the Jews of Yemen demonstrates (e.g. J. L. Goldberg, 2011; Wasserstrom, 2007). Thus, his research on the Cairo Geniza and the Jews of Egypt and surrounding lands was very much informed by his background in Islamic culture, prompting him to cast Jews within wider cultural contexts, first of the Islamic-ruled lands, and then of the Mediterranean as a whole. Much the same may be said of Ashtor who ultimately taught within the Islamic Studies program at Hebrew University (Horowitz, 2012). Goitein’s studies based on the Cairo Geniza have been cited as groundbreaking for understanding Islamic history, as they have for Jewish (Wasserstrom, 2007). Fred Astren has argued that in many ways Goitein’s “Mediterranean” was equivalent to Marshall Hodgeson’s “Islamicate world”, so that within the chronological focus of Goitein’s study, Jewish culture, trade practices and daily life in Muslim-ruled lands was inextricable from that of their Muslim neighbors (Astren, 2012). As a result, from its inception, Goitein’s research and, by 2

Volume 27(2) (2012) of the Mediterranean Historical Review was a special issue dedicated to Minorities in Colonial Settings: the Jews in Venice’s Hellenic Territories (15th-18th centuries), however, this journal regularly includes material on Jews in the Mediterranean in its other volumes. For example: Soyer, “It is not possible to be both a Jew and a Christian;” Hames “Jew among Christians and Muslims;” Veinstein, “Ottoman Jews;” Rother,”Spanish Attempt to Rescue Jews;” Arbel, “Shipping and Toleration;” Ran, ”Contribution of Jewish-German Immigrants.” In Mediterranean Studies: Grossmark, “Talmudic "itinerary;"” Ray, “Iberian Jewry between West and East;” Cuffel, “Henceforward All Generations;” Abulafia, “Jew on the Altar;” Birnbaum, “Jewish Patronage.” Journal of Mediterranean Studies: Volume 4/2 (1994) of the Journal of Medieval Studies is dedicated to aspects of Jewish culture in a Mediterranean context. Examples of articles dealing with Jewish topic outside this volume include: Moore, “Future Expectations of Young Jews and Arabs;” Zafrani, “Traditions poétiques et musicales juives; ” In Al-Masaq: Campopiano, “Islam, Jews, and Eastern Christianity;” Lamm, “Muslims and Jews in Exempla;” Shalev-Eyni, “Solomon, his demons and jongleurs;” Bresc, “Sicile médiévale;” Savage, “Ibadi-Jewish parallels.” These are exemplary not comprehensive lists.

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extension, the Cairo Geniza drew the interest of scholars beyond the field of Jewish studies alone. While the cultures and history of Jews may be included as a matter of course by scholars examining the thematic issues in the Mediterranean, especially those dealing with mercantile history, the picture is rather more mixed when examining the work by Judaicists themselves whose geographic focus is on one or more lands in the region. Broadly speaking, much of the scholarship, starting with Goitein’s own work, may be characterized according to Horden and Purcell’s division in their Corrupting Sea, as history in the Mediterranean, as opposed to being in any way a history of the Mediterranean (Astren, 2012; Horden and Purcell, 2000). In other words, the scholarly studies are often, in essence, local studies of lands or themes that co-incidentally fall within the Mediterranean region, but the idea of the Mediterranean as a whole or some issue which encompasses the entire area is not essential to the thesis or argument of the authors. The degree to which this overarching characterization holds varies depends on the region or topic under examination. Outside that dealing specifically with mercantile activity, research on Jews in Italy, has tended to be either local, focusing on a particular community in time and place, or it has dealt with Jews in the “Renaissance,” or has concentrated on remarkable individuals or works (Aron-Beller, 2011; Davis, 2010; Bonfil, 1994). Bonfil’s study, edition, and translation of the Chronicle of Aḥima’aẓ, may be, as Astren argues, an excellent example of research within Jewish studies which portrays Jews as very much part of an inter-connected Mediterranean, but it still falls within an overall trend to focus on single authors or works (Astren, 2012; Bonfil, 2009). Others seek to contextualize the Jews in Italian lands within specific movements, whether external to the Jewish community, such as Fascism, or the regional expression of a broader form of Jewish thought or culture, like Kabbalah (Idel, 2011; Sarfatti, 2007; Foa, 2011; Davis, 2010). The historiography of the Jews of the medieval Iberian Peninsula is a deep and rich one, too much so to elaborate upon in any detail here. However, within this field, the tendency has been to focus on interactions, cultural exchanges, and religious encounter between Jews and non-Jews within the Iberian Peninsula, rather than in a broader Mediterranean context.3 A few, while focusing primarily on Iberia, make excurses into other Mediterranean sources in an effort to place their sources into a more broadly Mediterranean context (Albarracín, 2001, pp. 201–209; Burns, 1996, pp. 78–99, 122–139). Comparisons and connections with the Maghreb, or with Southern France have been explored, and those scholars working on figures or specific issues relating to Jewish individuals who traveled between Iberia and the Maghreb have been more inclined to cast the culture and activities of these Jews in the light of a Mediterranean that allowed for the movement of ideas, peoples, religions, and goods (Nirenberg, 1998; Burns, 1996; Stroumsa, 2009; García-Arenal, 2007). Scholarship on the Sephardi diaspora, while recognizing that many of the lands in which Iberian Jews settled after the expulsion from Spain in 1492 and from 3

I will list but a tiny sample in comparison to the scholarship in this area: Patton, 2012; Ray, 2013a; 2013b; Sabate; Denjean, 2006; 2009; Brann, 2009; Decter, 2007; Nirenberg, 1998.

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Portugal in 1497 were part of the Mediterranean – specifically the lands throughout the Ottoman empire, and North Africa – much of that research has to do with the development and culture of individual Jewish communities, the creation of a specifically converso identity, or with the legal status of Jews, or again, with the inquisition’s pursuit of Conversos suspected of Judaizing (Soyer, 2011; Feitler, 2011; Melammed, 2004; Benbassa and Rodrigue, 2000; Segre, 1991). A few studies do however, attempt to place Jews of the Sephardi diaspora within the context of broader cultural and religious practices within the Mediterranean, or attempt to take a comparative view, especially in relation to the moriscos, however, even many of these compare individual cases, rather than attempting to study the Sephardim or Conversos in a broadly Mediterranean context (Ray, 2013). One notable exception to this overall tendency has been in the field of music history and musicology. Sephardi and Mizraḥi music is regularly cast as “Mediterranean” and placed in context with other music traditions found in the Mediterranean. Indeed, in this field, the musical traditions of Jewish communities originating outside the Mediterranean are also regularly studied within their new Mediterranean/Israeli milieu (e.g. Seroussi, 2007). The focus on the legal status of the Ottoman Sephardi diaspora (often in comparison to other religious minorities) extends to other Jewish communities within the Ottoman empire as well. Other predominate themes include institutional, economic, and political history and the development of nationalism (Campos, 2010; Saposnik, 2008; Benbassa and Rodrigue, 2000, pp. 11–17, 20, 26–64; David, 1999, pp. 7–8, 15–23, 26, 31–32, 62–88, 100–114, 116–117). Considerable scholarship has been done on the messianic pretender from the Ottoman Empire, Sabbatai Zevi, however, while he and his followers are sometimes examined as part of Ottoman history, or in relation to other Mediterranean regions, they are rarely considered in the context of Mediterranean studies.4 Scholarship on post-Ottoman TurkishJewish relations has focused for the most part on political relations between Turkey and Israel, the political situation of Jews in Turkey, or identity maintenance (Kanat, 2013; Eligür, 2012; Tür, 2012; Kushner, 2010; Oğuzlu, 2010; Brink-Danan, 2011; Bali, 2012; Baer, 2009). Sometimes these relations are placed in a wider Mediterranean context, but even then, the focus is on specific polities (Altunisik, 2011; Nachmani, 2005; 1987; 1988; Drakos, 2003). As with the scholarship on many other countries, Mediterranean or otherwise, and the Jews in the modern era, the Holocaust and Turkey’s awareness of it and willingness to oppose or collaborate with efforts to exterminate the Jews has also attracted scholarly attention. Again, this question is seen as a national issue or in the context of Turkey’s role in World War II, not as part of a broader Mediterranean phenomenon or question (Guttstadt, 2013; Namal, 2006; Friling, 2002). Jews in ancient and late antique Greece is a rich and variegated field, although the studies are more focused on Jewish involvement in “Hellenic” culture, rather 4

Of course this in part due to the fact that speculation about Sabbatai extended throughout Europe, and was not confined to Mediterranean lands. Tavim, 2007; García-Arenal, 2007; Beck-Busse, 1996.

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than on a specific geographic region.5 In recent years, after a long period of relatively minimal research apart from the efforts of a few select scholars, the study of Jews in Byzantium has become the subject of substantial new research (Newman, 2011; Gardette, 2007a and b; 2010; Bowman, 2010; 1985; Holo, 2009; Rotman, 2010; Maayan-Fanar, 2009; Jacoby, 2008b; Stemberger, 2006; Ta-Shma, 2002; Külzer, 1999; Olster, 1994; Revel-Neher, 1998; 1992; Avi-Yonah, 1962; Starr, 1939). Many of these studies place Jews either in the context of the entire Mediterranean, or at least, discuss Byzantine Jewish culture in relation with other Mediterranean lands (Gardette, 2010; Holo, 2009; Rotman, 2010; Jacoby, 2008b). This trend, already somewhat present even in older scholarship, may be linked in part to the tendency in Byzantine scholarship as a whole, to consider Byzantium in relationship with those lands which it influenced religiously and politically, or which were its political rivals. Another factor has been the examination of new sources in relation to Byzantine Jews, namely the Cairo Geniza, and the widening of the definition of “Byzantine Jewry” to include those who settled in the empire along with those who originated there, but traveled outside of it (Holo, 2009). The edited collection, Jews in Byzantium: Dialectics of Minority and Majority Cultures (Bonfil et al., 2012), represents a systematic effort to put Byzantine Jews “on the map” and to do so in a way that is both comparative and interdisciplinary. Research on Jews in modern Greece has tended to concentrate on local communities or on Jews in Greece during World War II (Shachar, 2013; Bowman, 2006; 2009; Molho, 2009; Mazower, 2001). They are not usually placed in any broader Mediterranean context. Some regions on or connected to the Mediterranean have been the subject of only sporadic and not especially thorough research, such as the Jews of Albania (Nallbani, 2011; Brazzo and Sarfatti, 2010; Puto, 1999). Similarly, Cilician Armenia or Jews’ roles in the connections between the Caucasus and the Mediterranean remains a topic deserving of deeper investigation (LaPorta, 2009; Shapira, 2007; Amit, 2002; Goitein, 1964; Neusner, 1964). Occasionally this is due to the paucity of sources or number of scholars with the sufficient linguistic skills to conduct such research. Of the two, the history of Albanian Jews has received more attention, however, in neither case have these been placed in the wider context of Mediterranean studies. While the overall tendency within Jewish studies has been to study Jewish communities in the Mediterranean rather that to approach Jewish cultures in these lands as part of the history of the Mediterranean as a whole, there are some noteworthy exceptions. Sarah Stroumsa’s study of Moses Maimonides, already mentioned, presents Maimonides as very much a product of the political and cultural interchanges in the Mediterranean regions, and of the relative freedom of movement afforded by the Mediterranean sea which made travel so much part of the intellectual as well as the economic life of those in the Muslim-dominated of the Mediterranean especially. Joshua Holo’s study of Jews and Byzantine trade is an explicit effort to place Byzantine Jews within the context of Mediterranean eco5

Levine, 2011; Rajak, 2001; Kraemer, 1998; Feldman, 1996. This is but a tiny sampling of the scholarship in this area.

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nomic history while at the same time, providing some basic social history of Byzantine Jews, again within a Mediterranean, not just a specifically Byzantine environment. The overall approach to Jews in Byzantium: Dialectics of Minority and Majority Cultures, was very much cast in dialogue with concepts familiar to Mediterraneanists, such as the longue durée, although the reach of this volume extends beyond merely placing Byzantine Jews in their wider Mediterranean context. Rather it is an initial foray into all aspects of Jewish Byzantine culture, and so includes both more localized studies in addition to more comparative ones. On a smaller scale, David Biale’s first volume of Cultures of the Jews, subtitled Mediterranean Origins, (2006) takes a similar approach, although its goal is to demonstrate the development and diversity of Jewish communities in the early Mediterranean. A recent study which directly addresses the degree to which some of the paradigms that have been formulated in the study of Mediterranean cultures may be applied to Jewish ones in the region is Seth Schwartz’s Were Jews a Mediterranean Society? In this study he examines the degree to which older anthropological characterizations of Mediterranean societies’ dependence on concepts of shame, honor, and reciprocity may be applied to Jews in the Roman empire, while keeping in mind critiques of such structuralistic, and seemingly deterministic approaches to Mediterranean culture.6 Ultimately he finds in favor of Jewish adoption of wider “Mediterranean” values of reciprocity, exchange, patronage and honor, although these ideals were sometimes at odds with earlier ones expressed in the Torah, a tension which sometimes came to the fore in later Jewish sources. Schwartz’s monograph may be understood as a kind of test case, a model for considering Jewish societies in the Mediterranean as participants in an overarching Mediterranean culture. These works represent initial efforts to conjoin the study of Jews in the Mediterranean with new directions within Mediterranean studies as a whole, namely to study Jews as a people very much of the Mediterranean, linked with one another and with non-Jewish communities sharing the same sea, many of the same environmental challenges, and possessing common habits of thought, customs, and expectations as the other peoples connected to the Mediterranean. In many ways, to study the manners in which Jews in the Mediterranean interacted with and participated in the same cultural behaviors and attitudes as the non-Jewish populations among whom they dwelt, is merely to continue in a current trend within Jewish studies as a whole, namely to consider Jews in their wider (non-Jewish) milieu. To do so on a “Mediterranean” as opposed to merely local scale, is a question of degree more than methodological difference. Yet it is a geographic and cultural breadth few have endeavored to encompass to this point. Or rather, those inclined to do so become, simply, Mediterraneanists. Ironically, because Judaicists and Jewish sources have been at the heart of Mediterranean Studies from its inception, any cross-cultural study of some aspect of the Mediterranean region is expected to include Jewish sources, along with those of other socio-religious groups, so that the question becomes, what would make such a study a product of “Jewish studies” as 6

Schwartz, 2010, pp. 21–44. For earlier ethnographic, and anthropological characterizations of the Mediterranean and its criticism see: Davis, 1977; Peristiany, 1966.

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opposed to or along with “Mediterranean Studies”? Presumably the background of the scholar writing the study would affect the texture, emphasis, and categorization of such works, yet it is difficult to imagine how Olivia Remie Constable’s Trade and Traders in Muslim Spain (1996) or Jessica Goldberg’s Trade and Trade Institutions in the Medieval Mediterranean (J. L. Goldberg, 2012) would differ if either author considered herself a Judaicist. Nevertheless, there is a notable lack of scholarship that engages questions of environment, religious or other cultural/intellectual exchanges in the Mediterranean that draw deeply from Jewish as well as non-Jewish sources.7 As indicated earlier discussions of struggles over modern environmental resources regularly include Israel, however, these studies are, for the most part, focused on national and political interests rather than cultural ones. The relative dearth of more culturally and environmentally oriented Judeo-panMediterranean research is not a trait exclusive to Judaica in the Mediterranean, but rather is part of the overall desiderata for Mediterranean Studies listed by Horden and Purcell. In their appeal they emphasized the need for a de-emphasis on trade in favor of attention to local cultural, religious, and environmental circumstances while simultaneously examining geographically specific phenomena in their broader Mediterranean contexts and meanings (Horden and Purcell, 2000, pp. 2–3, 12– 15, 18–25, 35–122). The numerous, detailed studies of individual Jewish communities in the Mediterranean, however, present excellent stepping stones for new research which combines this research on particular Mediterranean Jewish communities with an investigation of the “Mediterraneanness” of these communities as a whole. Such research would necessitate deeper studies in, for example, the commonalities, between Italian Jews and Egyptian Muslims, i.e. between religiously and geographically disparate communities. It would also push Judaicists to explore as yet little examined topics such as environmental attitudes and practices. As with non-Jewish Mediterranean communities, however, scholars should not forget that Mediterranean Jews were often profoundly connected with their coreligionists outside this region. What makes the Mediterranean, and, according to David Abulafia, other similar geographic regions, such as the Sahara Desert or the Indian Ocean, special, is the opportunity they provide for creating networks. However, those areas along the borders of such regions are also connected to their “hinterlands” (Abulafia, 2005, pp. 64–94). Thus, future studies of Jews in the Mediterranean need to remain mindful of the interplay of Jewish networks both within and beyond the Mediterranean, and networks across confessional lines, also in both directions. Doing so will complicate any attempt to situate some Jewish communities’ “Mediterraneanness”, but will remain essential for a nuanced understanding of Jews as part of a Mediterranean culture or cultures, if they may be said to exist.

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Meri, 2003 may be cited as an example that moves away from this tendency, nevertheless, he remains very geographically focused, and deals only with the interactions between Muslims and Jews.

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ACHIM LICHTENBERGER

Klassische Archäologie* Definition des Faches und Relevanz des Mittelmeerraums für das Fach Klassische Archäologie wird als Archäologie der griechischen und römischen Kulturen verstanden.1 Geographisch umfasst sie den gesamten Mittelmeerraum und die benachbarten Regionen und Kulturen. Zeitlich erstreckt sich das Interesse der Klassischen Archäologie von der Ägäischen Bronzezeit im 2. Jahrtausend v. Chr. bis in die Spätantike im 4./5. Jh. n. Chr. Neben der Klassischen Archäologie gibt es weitere Archäologien, die von ihr unterschieden werden, sich aber zum Teil mit ihr überschneiden und ebenfalls den Mittelmeerraum im Blick haben. Zu nennen sind die Ur- und Frühgeschichte (Prähistorie), die Vorderasiatische Archäologie, die Ägyptologie, die Biblische Archäologie, die Christliche Archäologie, die Provinzialrömische Archäologie, die Islamische Archäologie und die Mittelalterarchäologie. Zudem gibt es noch Archäologien, die sich schwerpunktmäßig mit außereuropäischen Kulturen beschäftigen, sowie hochspezialisierte Teildisziplinen wie die Bauforschung, die Archäometrie oder die Unterwasserarchäologie. Die Ur- und Frühgeschichte, die sich mit Europa, aber auch den angrenzenden Gebieten in Afrika und Asien beschäftigt, nimmt selbstverständlich auch die prähistorischen Kulturen des Mittelmeerraums in den Blick, und die Vorderasiatische Archäologie, die Ägyptologie und die Biblische Archäologie betrachten Kulturräume, die zumindest an das Mittelmeer angrenzen. Der Mittelmeerraum ist somit an und für sich ein von allen Seiten und in allen Epochen archäologisch gut bedachtes Gebiet. Wirklich im Zentrum des archäologischen Faches steht der Mittelmeerraum allerdings nur für die Klassische Archäologie. Die Klassische Archäologie beschäftigt sich umfassend mit der gesamten materiellen Kultur der klassischen Antike. In demselben räumlichen und zeitlichen Rahmen gibt es weitere Disziplinen, welche auf das engste mit der Klassischen Archäologie verzahnt sind. Zu nennen sind die textorientierten Fächer Klassische Philologie und die Alte Geschichte sowie die Spezialdisziplinen Numismatik (Münzkunde), Epigraphik (Inschriftenkunde) und Papyrologie (Papyruskunde). Im 19. Jahrhundert bildeten diese Disziplinen zusammen die „Klassische Altertumswissenschaft“, welche weiterhin im angelsächsischen Raum unter dem Oberbegriff „Clas* Dank für Hinweise ergeht an Jan-Marc Henke, Anne Riedel und Stefan Riedel (alle Zentrum für Mittelmeerstudien, Bochum). 1 Zur Definition und Geschichte des Faches vgl. im folgenden Bianchi Bandinelli, 1978; Sichtermann, 1996; Altekamp, Hofter u. Krumme, 2001; Hölscher, 2002.

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sics“ fortbesteht. Eine zunehmende Spezialisierung hat jedoch zu der heute vorhandenen Ausdifferenzierung geführt. Für ein umfassendes Verständnis der materiellen Kultur der klassischen Antike werden heute zumeist alle Zeugnisse der Klassischen Altertumswissenschaft einbezogen und insbesondere die umfangreichen Textzeugnisse sind ein Charakteristikum der Klassischen Archäologie, welches sie von der weitgehend schriftlosen Urund Frühgeschichte unterscheidet. Obwohl sich die Klassische Archäologie ihrem Anspruch nach mit der gesamten materiellen Kultur der Antike beschäftigt, gibt es doch traditionell im Fach ein Ungleichgewicht, welches Zeugnissen der materiellen Kultur der Eliten zuneigt und sich der sogenannten Hochkultur widmet. Dies erklärt sich unter anderem daraus, dass sich die Klassische Archäologie seit dem 18. Jahrhundert als eine Kunstgeschichte der Antike entwickelte, weshalb auch in ihrem Methodenspektrum bildwissenschaftliche Ansätze eine wichtige Rolle spielen. Die Kulturen der griechischen und römischen Welt stehen im Zentrum des Fachs Klassische Archäologie. Sie sind Kulturen des Mittelmeerraums. Dementsprechend besitzt der Mittelmeerraum höchste Relevanz für die Klassische Archäologie. Forschung der Klassischen Archäologie findet fast ausschließlich im Mittelmeerraum statt bzw. in Bereichen, die auf den Mittelmeerraum rückbezogen sind. Allerdings muss betont werden, dass die Klassische Archäologie zwar Archäologie im Mittelmeerraum betreibt, aber nicht Archäologie des Mittelmeerraums.2 Das heißt, der Mittelmeerraum an sich steht nicht als eigenständige Analysekategorie im Zentrum des Faches.

Forschungsgeschichte des Faches in Bezug auf Mittelmeerforschung Im Folgenden wird erläutert, weshalb ein mediterranistischer Ansatz in der deutschsprachigen Klassischen Archäologie bis auf wenige Ausnahmen nicht ausgebildet wurde, obwohl doch gerade der Mittelmeerraum das Kerngebiet der Klassischen Archäologie ist. Dazu ist es nötig, auf die Forschungsgeschichte der Klassischen Archäologie einzugehen und zunächst darauf hinzuweisen, dass das Imperium Romanum die einzige politische Einheit der Weltgeschichte gewesen ist, die zum Zeitpunkt ihrer größten Ausdehnung im 2. Jh. n. Chr. alle Küsten und Inseln des Mittelmeers politisch beherrscht hat. Für Griechen und Römer war das Mittelmeer der zentrale räumliche Horizont und griechisch-römisches Formengut findet sich an allen Küsten des antiken Mittelmeerraums. Allerdings genügte weder den Griechen, die auch das Schwarze Meer besiedelten und mit Alexander dem Großen bis zum Hindukusch vorstießen, noch dem Römischen Reich, das am Rhein und am Tigris Provinzen einrichtete, allein der Mittelmeerraum. Das Mittelmeer war keine absolute und prägende Größe, eine mediterrane Geopolitik gab es – wie Dieter Timpe (2004) 2

Zu der Unterscheidung einer „history of“ und einer „history in“ vgl. Horden u. Purcell, 2000, S. 2– 5.

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herausgestellt hat – nicht. Dies ist ein erstes Hindernis, weshalb für die Klassische Altertumswissenschaft der Mittelmeerraum nicht als umfassende Analysekategorie geeignet ist. Das bedeutet jedoch nicht, dass man sich nicht mit ihm als Gesamtsystem beschäftigen kann, denn die Archäologie untersucht mit Erfolg auch kleinräumigere geographische Einheiten, wie etwa Siedlungskammern (Gehrke, 2000), und in Folge des „spatial turns“3 bringen raumwissenschaftliche Fragen, welche die Klassische Archäologie schon immer beschäftigt haben, durchaus weitere Erkenntnisfortschritte. Von solchen komplexen bzw. äußerst spezialisierten Fragestellungen war man in den Anfängen des Faches natürlich weit entfernt. Wenn man möchte, können mediterrane Handelsreisende wie der Kaufmann Kyriacus von Ancona (14./15. Jh.) als frühe Pioniere der Klassischen Archäologie gelten. Immerhin bezeugen seine zahlreichen Zeichnungen und Abschriften antiker Monumente und Inschriften einen Wandel in den bisher ausschließlich auf antike Textüberlieferungen fokussierten Interessen hin zu den materiellen Hinterlassenschaften vergangener Kulturen.4 Als Gründervater der Klassischen Archäologie gilt allerdings Johann Joachim Winckelmann (1717–1768), der die Beschäftigung mit Monumenten der Antike auf ein kunst- und kulturwissenschaftliches Erkenntnisinteresse ausrichtete und wirkmächtige ästhetische Kategorien zu Grunde legte. Die höchste Wertschätzung brachte er den Werken der Griechen entgegen. Ähnlich wie Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) bereiste Winckelmann jedoch niemals Griechenland, sondern er fand die Kunstwerke der Griechen in Italien, in Rom und Neapel. Sein Hauptinteresse galt der griechischen Skulptur. Dies war möglich, weil ein Gutteil der großplastischen Kunstwerke der griechischen Klassik nicht in griechischen Originalen auf uns gekommen ist, sondern als römische Kopien. Der Klassizismus Winckelmanns war also gräkozentrisch, wobei Italien gewissermaßen als Hilfsgerüst diente, um griechische Originale zu rekonstruieren. Die Klassische Archäologie hat also an einem bestimmten Ort im Mittelmeerraum ihren Ausgang genommen, nämlich in Rom und mit Blick auf Griechenland. Im Folgenden wird am Beispiel der Geschichte des Deutschen Archäologischen Instituts ein forschungsgeschichtlicher Exkurs vorgenommen, da an dieser Institution deutlich wird, wie sich die Interessen der deutschsprachigen Archäologie geographisch entwickelten und erweiterten.

Das Deutsche Archäologische Institut (DAI) Das DAI ist die wichtigste außeruniversitäre Institution der (Klassischen) Archäologie.5 Es ist heute dem Auswärtigen Amt unterstellt, hat seine Zentrale in Berlin 3 4 5

Zum „spatial turn“ in den Kulturwissenschaften vgl. den Überblick bei Bachmann-Medick, 2006, S. 284–328. Zu Kyriacus von Ancona vgl. Geyer, 2003. Zur Geschichte des DAI vgl. mit umfassender weiterführender Literatur Kyrieleis, 1999. Die Geschichte des DAI wird derzeit umfassend in einem eigenen Forschungscluster des DAI aufgearbeitet. In den kommenden Jahren sind zahlreiche forschungsgeschichtliche Synthesen zu erwarten.

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und unterhält zahlreiche Auslandsabteilungen. Die direkte Unterstellung des DAI als Bundesanstalt im Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts unterstreicht die enge Verbindung von Archäologie und Politik: Archäologie wird als auswärtige Kulturarbeit bzw. als Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland verstanden. Vor diesem Hintergrund soll nachgezeichnet werden, wie ausgehend von Rom das DAI im Mittelmeerraum immer weiter Fuß gefasst hat. Keimzelle des DAI war das Istituto di corrispondenza archeologica, welches 1829 in Rom gegründet wurde. Hier fand sich seit den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts eine internationale Gruppe von Künstlern, Wissenschaftlern und Diplomaten zusammen. Ziel war es, Informationen über die neusten archäologischen Entdeckungen zu bündeln und vorhandenes Wissen systematisch zu strukturieren. Der Deutsche Eduard Gerhard (1795–1867) war eine treibende Kraft hinter diesen Bestrebungen, doch waren Vertreter vieler Nationen beteiligt. Mit der Berufung Gerhards nach Berlin an die königlichen Museen bekam das Istituto eine stärker deutsche Ausrichtung und 1836 wurde auf dem Kapitol in Rom auf dem Gelände der Preußischen Gesandtschaft ein eigenständiges Institutsgebäude errichtet. Nach dem Revolutionsjahr 1848 war die Zentraldirektion des Instituts nur noch mit Deutschen besetzt und ab 1859 erhielt das Institut sein Budget vom Preußischen Kultusministerium. 1871 wurde es eine Preußische Staatsanstalt und 1874 hat man es in das Kaiserlich-Deutsche Archäologische Institut umbenannt und ein neues großes Gebäude auf dem Kapitol errichtet. Das römische Institut wurde aus einer privaten internationalen Initiative immer stärker eine nationale, die von Preußen und dem Kaiserreich vereinnahmt wurde. Seit dieser Zeit ist das DAI dem Auswärtigen Amt unterstellt. Allerdings darf man diese Entwicklung nicht allzu geradlinig und zielgerichtet sehen, denn – wie Helmut Kyrieleis betont – die zeitgenössischen nationalstaatlichen Entwicklungen in Europa verurteilten die Einrichtung eines gesamteuropäischen Forschungsinstituts zum Scheitern (Kyrieleis, 1999, 751). Stattdessen wurden zahlreiche nationale Institute gegründet. Im Jahr 1874, dem Jahr, in dem das Institut in Kaiserlich-Deutsches Archäologisches Institut umbenannt wurde, erfolgte zugleich die Gründung eines weiteren Instituts, namentlich der Abteilung Athen. Damit fand eine erste Expansion statt und mit Rom bestand nun in Athen eine zweite Auslandsabteilung. Dies war konsequent, denn auf diese Weise waren die beiden Zentren der Klassischen Antike abgedeckt. Anders als bei dem römischen Institut wurden von Athen aus sogleich eigene Ausgrabungen in Griechenland durchgeführt. Rom sollte dies erst nach dem 2. Weltkrieg unternehmen. Auch auf dem Gebiet der heutigen Türkei begannen Ende des 19. Jh.s Grabungsaktivitäten, die zunächst von den Berliner Museen aus betrieben wurden (vgl. dazu Panteleon, 2011). In der Folgezeit kam es zu einer Ausweitung der deutschen Auslandsinstitute im Mittelmeerraum. Dabei wurden einerseits durch die Gründung der Institute in Kairo 1929 (älteres Vorgängerinstitut von 1907), Bagdad 1955, Teheran 1961, Sanaa 1978 und Damaskus 1980 andere Archäologien (die Vorderasiatische Archäologie und die Ägyptologie) mit Auslandsvertretungen integriert. Bei diesen Gründungen

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dürften auch geopolitische Ansprüche Deutschlands eine Rolle gespielt haben.6 Andererseits kam es durch die Etablierung von Instituten in Istanbul 1929 (bereits auf die älteren Aktivitäten der Berliner Museen aufbauend), Madrid 1943 und Lissabon 1971 (bis 1999 und dann wieder ab 2009) aber auch zu einer Ausweitung des geographischen Rahmens der Klassischen Archäologie. Somit betrieben bald um das ganze Mittelmeer Auslandsinstitute des DAI archäologische Forschungen. Als geographische Ausnahme erhielt lediglich der Maghreb kein eigenes Institut. Die dortigen Forschungen werden bis heute von Rom und Madrid aus betreut. 2006 wurde auch die Biblische Archäologie in den Schoß des DAI aufgenommen. In diesem Jahr schlossen die beiden Deutschen Evangelischen Institute für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes in Jerusalem und Amman (bestehend seit 1900, bzw. 1982) enge Kooperationen mit dem DAI. Innerhalb Deutschlands wurden außerdem weitere Kommissionen gegründet, so die Römisch-Germanische Kommission (RGK) bereits 1902 (Provinzialrömische Archäologie und Ur- und Frühgeschichte), die Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik 1967 (auf eine Einrichtung von 1951 zurückgehend), die Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen (KAAK) 1979 (Forschungsschwerpunkte in Marokko, Guatemala, Sri Lanka, Nepal und Vietnam) und die Eurasien Abteilung 1995 (z.T. aus ehemaligen DDR-Institutionen). Letztere hat 2009 eine Außenstelle in Peking eröffnet. Schon 2007 war von der KAAK eine Forschungsstelle in der Mongolei, in Ulaanbaatar, eingerichtet worden. Dies sind vorerst die Schlusspunkte einer Entwicklung, die 1829 in Rom ihren Ausgang nahm. Daraus lassen sich folgende Beobachtungen für das Verhältnis der archäologischen Wissenschaften zum Mittelmeerraum ablesen: (1) Unzweifelhaft waren im 19. Jh. Rom und Griechenland die Ausgangspunkte und der Horizont der Klassischen Archäologie. (2) Eine erste Erweiterung des Horizonts und zugleich ein Verlassen des Mittelmeerraums erfolgten durch die Gründung der RGK im Jahr 1902. (3) Auch die Ägyptologie und die Vorderasiatische Altertumskunde erhielten bald Auslandsinstitute in Kairo und im Vorderen Orient. (4) Eine Erweiterung der Klassischen Archäologie und ein Ausgreifen auf andere Gebiete des antiken Mittelmeerraums erfolgten durch die Gründung der Institute in Istanbul, Madrid und Lissabon (wobei betont werden muss, dass diese Institute auch prähistorische und spätantik-frühmittelalterliche Forschungen unternehmen). (5) Ab 1979 lässt sich ein deutliches Ausbrechen über den antiken Mittelmeerraum hinaus beobachten, welches in der Gründung der Außenstelle Peking gipfelt, womit der Mittelmeerraum gewissermaßen über die Seidenstraße mit Ostasien verbunden wird. Aus dieser kurzen Geschichte des DAI wird ersichtlich, dass der antike Mittelmeerraum Forschungsraum der Klassischen Archäologie ist, die Forschungsinstitute jedoch deutlich über den antiken Mittelmeerraum ausgreifen. Der gräkozentrischen Logik der Entstehung des DAI folgend, waren die Gründungen in Damaskus und Teheran konsequent, da sie in Regionen lagen, die in engstem Aus6

Vgl. dazu jetzt umfassend zum zeitgeschichtlichen Hintergrund Trümpler, 2010.

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tausch mit Griechenland, Rom und dem Mittelmeerraum standen. Letztendlich kann dasselbe Argument auch für die Außenstellen in Ulaanbaatar und Peking ins Feld geführt werden, bei denen der Mittelmeerraum allerdings nur noch sehr locker eine Bezugsgröße ist und wohl eher der Anspruch des DAI ein „global player“ zu sein, unterstrichen wird. An der Geschichte der Institution DAI wird deutlich, dass die Klassische Archäologie intensiv und extensiv Forschung im Mittelmeerraum betreibt, aber keineswegs eine systematische Erforschung des Mittelmeerraums als eigenständige Analysekategorie anstrebt. In gewisser Weise muss sogar festgestellt werden, dass vor dem Hintergrund der Geschichte des DAI „Mediterranistik“ ein unzeitgemäßer Wissenschaftsdiskurs der Klassischen Archäologie ist, da die archäologischen Wissenschaften gerade bemüht sind, den gräko-zentrischen Mittelmeerraum zu überwinden, und zwar mit dem guten Grund, dass der antike Mittelmeerraum weder ein abgeschlossener Raum noch eine absolute Größe war.

„Mittelmeerische Grundlagen der antiken Kunst“ In der ersten Hälfte des 20. Jh.s versuchten einige exponierte Vertreter der Klassischen Archäologie mithilfe der Strukturforschung das innere Wesen antiker Kulturen zu verstehen, wodurch es immer wieder zu stark essentialistischen und deterministischen Konstruktionen von Kulturen kam. Einer der wichtigsten Vertreter war Guido von Kaschnitz-Weinberg (1890–1958), der in zwei 1944 erschienenen Arbeiten Die mittelmeerischen Grundlagen der antiken Kunst betrachtet und Über den Begriff des Mittelmeerischen in der vorchristlichen Kunst gehandelt hat.7 In diesen Arbeiten führt er aus: Man kann vor allem in der Kunstgeschichte häufig die Meinung vertreten finden (…), jene günstige Konstellation von Kräften und Veranlagungen, die sich durch das Zusammentreffen von Norden und Orient im Mittelmeerbecken ergab, habe die eigentlichen Voraussetzungen zur Bildung des griechischen Wesens vor allem auf den Gebieten der religiösen und künstlerischen Betätigung geliefert. Die Ergebnisse der religionsgeschichtlichen und archäologischen Forschungen der letzten Jahre haben diese Ansicht nicht ganz bestätigt. Sie haben vielmehr zur Erkenntnis geführt, dasß an der Formung dessen, was wir als den Genius des Griechischen bezeichnen könnten, neben Nordischem und rein Orientalischem auch ein bisher wenig in Betracht gezogener Faktor, nämlich die vorgeschichtlichen Kulturen des Mittelmeeres selbst in ganz besonderer Weise beteiligt gewesen ist (von Kaschnitz-Weinberg, 1944a, S. 10).

Im Folgenden expliziert von Kaschnitz-Weinberg anhand des (griechischen) Poseidontempels von Paestum und des (römischen) Pantheons in Rom die Grundverschiedenheit des aufstrebenden, in plastischen Einzelformen zusammengefügten „hellen“ griechischen Bauwerks im Vergleich zu dem „dunklen“ introvertierten römischen Raumbau. Diese grundverschiedenen Konzeptionen leitet er aus 7

Von Kaschnitz-Weinberg, 1944a; 1944b. Vgl. auch die aus dem Nachlass herausgegebenen Werke: ders., 1961, S. 5–15; 1965. Zum wissenschaftlichen Werk von von Kaschnitz-Weinberg vgl. insbesondere Homann-Wedeking, 1959/1961, Hofter, 1995 und Lichtenberger (im Druck).

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der Vorgeschichte ab, die er als Schlüssel zum Verständnis späterer Ausprägungen sieht: einerseits der vielerorts im Mittelmeerraum verbreiteten Megalithik, welche mit ihren aufragenden Steinen zeugenden („männlichen“) Charakter habe, andererseits dem chthonischen („weiblichen“) Kult der Erdmutter, welcher gleichermaßen im Mittelmeerraum verbreitet ist. Diese beiden mittelmeerisch-vorgeschichtlichen Prinzipien sieht er am Werk bei der Konstituierung der mittelmeerischen antiken Kultur: Worum es mir geht, ist nachzuweisen, daß gerade im Mittelmeer die tiefe Empfänglichkeit für das Wesen und die Bedeutung zeugender und gebärender Kräfte die primitive Grundhaltung der ganzen Welt gegenüber in besonderem Maße bestimmt hat und daß es … auch in den Strukturen der antiken Kunstformen einen diese Strukturen bestimmenden Ausdruck gefunden hat (von Kaschnitz-Weinberg, 1944a, S. 11). Fragt man nach dem Grund-Sinn der mittelmeerischen Kunst, dann kommt man nach reiflicher Überlegung zum Ergebnis, daß er im Bestreben wurzelt, zuerst die Natur und ihre Kräfte, dann das Numinose und Dämonische und schließlich das Transzendente, also das Göttliche in den Bereich menschlicher Gewalt zu bringen (von Kaschnitz-Weinberg, 1944b, S. 67).

Dieses Kulturerklärungsmodell hat in der Klassischen Archäologie keine Nachfolge gefunden8 und ist längst räumlich und zeitlich differenzierten Beschreibungen historischer Prozesse gewichen. Von Kaschnitz-Weinberg gebührt dennoch Erwähnung im Rahmen einer mediterranistischen Klassischen Archäologie, da er bereits vor Braudel auf Phänomene der longue durée9 aufmerksam gemacht und den Mittelmeerraum als ganzen in Beziehung zu der Ausformung antiker materieller Kultur gesetzt hat. Die gesamtmediterrane Perspektive von von Kaschnitz-Weinberg fügt sich ein in weitere deutschsprachige klassisch-archäologische Forschungen der Zeit des Nationalsozialismus, die expliziter von völkisch-deterministischen Kulturmodellen geprägt sind und insbesondere den vor- und frühgeschichtlichen Mittelmeerraum zur Erklärung historischer Kulturentwicklungen untersuchten.10 Auch im angelsächsischen Raum werden in dieser Zeit mediterranistische Ansätze von Vertretern der Klassischen Archäologie entwickelt, die jedoch deutlich weniger essentialistisch sind, aber ebenfalls Aspekte der longue durée stark machen.11

Mittelmeer statt Klassik Im 20. Jahrhundert ist der Begriff der Klassik, ihre postulierte Vollkommenheit und normative Vorbildfunktion zunehmend problematisiert worden.12 Auch 8 9 10 11 12

Vgl. kritischen Anmerkungen bereits von Schefold, 1949, S. 53–56 und Matz, 1959, S. 191; HomannWedeking, 1959/1961, S. 14. Siehe auch Brendel, 1990, S. 110–113; Hofter, 1995, S. 253–255. Vgl. u. S. 211. Vgl. etwa Wiesner, 1943. S. dazu auch die Untersuchung von Altekamp, 2008. Vgl. etwa Myres, 1943, der sehr viel stärker als die deutschsprachigen Ansätze die konkreten naturräumlichen Bedingungen in seine Analyse einbezieht. Sichtermann, 1996, S. 9–12. Vgl. auch die Beiträge in Altekamp, Hofter u. Krumme, 2001.

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wenn die Klassische Archäologie weiterhin bedeutende Kunstwerke der Antike zu den zentralen Inhalten des Faches zählt, werden diese weniger in ästhetischen und auf die eigene Zeit bezogenen Kategorien und Werturteilen betrachtet, als vielmehr im Rahmen einer umfassenden antiken Kulturgeschichte. Im Zuge einer „posthumanistischen Klassischen Archäologie“ (Altekamp, Hofter u. Krumme, 2001) ist das Attribut „Klassisch“ der Klassischen Archäologie zwar stark relativiert und seiner Normativität entbunden worden, doch blieb es weiterhin in einem eher neutralen Sinn erhalten. Ansätze der symbolischen Überwindung des Begriffs lassen sich jedoch beobachten. So zeigt sich vereinzelt die Tendenz, dass an Universitäten im deutschsprachigen Raum Institute, welche vorher die Denomination „Klassische Archäologie“ trugen, nun für die Archäologie des Mittelmeerraums zuständig sind (Hamburg: „Archäologie und Kulturgeschichte des antiken Mittelmeerraums“, Bern: „Archäologie des Mittelmeerraumes“). Allerdings dürften sich diese Bezeichnungen nicht großflächig durchsetzen, da sie eine geographische Engführung dessen bedeuten, wo die Klassische Archäologie überall arbeitet. Auf der anderen Seite zieht die Ersetzung der „Klassik“ durch das „Mittelmeer“ programmatisch eine methodische Akzentverschiebung nach sich, da mit dem Fokus auf den Naturraum stärker auch kulturanthropologische Ansätze der „New Archaeology“ Eingang finden (vgl. dazu Bernbeck 1997). Eine Konjunktur des Mittelmeers in der Namensgebung wissenschaftlicher Zeitschriftentitel seit den 1970er Jahren haben Ian Morris und Susan Alcock nachgezeichnet (Morris, 2005, 34–35; Alcock, 2005). Bei diesen Titeln geht es zwar nur bedingt um eine offensive Akzentverschiebung weg von der Klassik. Da diese Zeitschriften jedoch häufig den Bereich der Klassischen Archäologie betreffen, scheint hier doch einerseits eine gewisse Abkehr vom Begriff des „Klassischen“ vorzuliegen, andererseits ist wohl aber vor allem ein Aufbrechen chronologischer Schranken, wie sie durch die traditionellen Fächergrenzen gegeben sind, sowie die Berücksichtigung kulturanthropologischer Ansätze angestrebt.

Gegenwärtige mediterranistische Forschungsfragen und Perspektiven Ein bemerkenswertes Charakteristikum mediterranistischer Forschungsfragen und Perspektiven der Klassischen Archäologie ist, dass wichtige Impulse einer Konzeptualisierung des Mittelmeerraums nicht aus dem Fach Klassische Archäologie selbst heraus kamen, sondern aus Nachbarfächern, insbesondere der Alten Geschichte und der prähistorischen Archäologie. Der Klassischen Archäologie wird gemeinhin eine Zurückhaltung gegenüber Theoriebildung attestiert, welche zum Teil auf die dichte Befundlage unterschiedlicher Quellengattungen zurückzuführen ist. Sie ermöglicht aus dem empirischen Material heraus Fragestellungen zu entwickeln und senkt die Notwendigkeit, Fragestellungen über Konzepte und Modelle am Material durchzuspielen. Andererseits bietet gerade die Materialfülle unterschiedlicher Quellen die Möglichkeit, Konzepte und Modelle in ihrer kleinteiligen Komplexität zu erproben.

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Fernand Braudel und Peregrine Horden – Nicolas Purcell Besonders einflussreiche Arbeiten, welche den Mittelmeerraum als eigenständige Analysekategorie konzeptualisierten, waren die für alle mediterranistischen Fächer grundlegenden Werke von Fernand Braudel, Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Philipps II. (erste Auflage Paris 1949, auf Deutsch 4. Auflage 1979) und die nicht minder monumentale Arbeit von Peregrine Horden und Nicolas Purcell, The Corrupting Sea. A Study of Mediterranean History (2000). Die 1949 veröffentlichte Habilitationsschrift des Franzosen Fernand Braudel, die in der Folgezeit mehrfach überarbeitet und in verschiedene Sprachen übersetzt wurde, behandelt in drei Bänden den Mittelmeerraum in der Zeit Philipps II. von Spanien (1527–1598). Der Historiker Braudel hat drei Zeitebenen der Geschichte unterschieden: diejenige der Geogeschichte, jene der longue durée und jene der Ereignisgeschichte. Insbesondere die ersten beiden Ebenen der gar nicht oder sich nur langsame ändernden Geschichte, die vom Naturraum abhängig ist, hat er an den geographischen Bedingungen des Mittelmeers mit seiner Seefahrt, den Küsten und dem Hinterland herausgearbeitet. Ein Ergebnis dieser Betrachtung ist die Betonung von Gemeinsamkeiten aller Mittelmeeranrainer; überspitzt gesagt, einer mittelmeerischen Kultur, die zeitlich und räumlich nur langsamen Änderungen unterworfen war und vom Naturraum Mittelmeer geprägt ist. Allerdings hat Braudel durchaus Unterschiede zwischen den Regionen gesehen und diese auch benannt. Wirkmächtig blieb aber die These eines relativ einheitlichen Kulturraums, der von den überall am Mittelmeer vermeintlich ähnlichen naturräumlichen Bedingungen bestimmt war. Insbesondere in Frankreich und im angelsächsischen Raum hat eine lebhafte Rezeption von und Auseinandersetzung mit Braudel stattgefunden. Bemerkenswerterweise haben diese Diskussionen die deutschsprachige Klassische Archäologie jedoch kaum erfasst. Am ausführlichsten haben sich die Engländer Nicolas Purcell und Peregrine Horden mit dem Werk Braudels auseinandergesetzt. Der Althistoriker und der Mediävist haben die These des Franzosen kritisch betrachtet und weiterentwickelt. Ihrer Meinung nach konstituiert sich der Mittelmeerraum eher durch eine Vielzahl unterschiedlicher Kleinräume und ist durch diese geprägt, die entsprechend ihrer naturräumlichen Ausprägung unterschiedliche Entwicklungen und Spezialisierungen vorweisen. Diese Kleinräume („micro-regions“) wiederum sind durch das Mittelmeer miteinander verbunden und kommunizieren untereinander. Das Mittelmeer ist also keineswegs ein einheitlicher Kulturraum, sondern ein durch hohe „Konnektivität“ („connectivity“) geprägter Raum unterschiedlich spezialisierter „Kleinregionen“. Sowohl Braudel als auch Horden und Purcell haben also umfassende Konzepte entwickelt, welche das Mittelmeer als Größe – als Akteur – in der Geschichte verorten. Beide Bücher wurden und werden stark rezipiert.13 Das Konzept der „Konnek13

Zur anhaltenden Diskussion des Werks von Horden und Purcell insbesondere im angelsächsischen Raum vgl. die Sammelbände von Harris, 2005; Malkin, 2005. Unter den zahlreichen Rezensionen

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tivität“ wird allerdings auch kritisch betrachtet und die Ambivalenz des Verbindenden und des Trennenden des Meeres betont (vgl. z.B. Shaw, 2001, 423). Das sehr nützliche Modell der „micro-regions“ sei kurz an einem Beispiel der Klassischen Archäologie vorgestellt, welches eine Facette der ebenfalls vor allem in der angelsächsischen Forschung geführten Romanisierungsdiskurse ist14: Unter dem Imperium Romanum wurden römische Architekturformen im ganzen Mittelmeerraum verbreitet. So findet man äußerlich ähnliche Tempel- und Baudekorformen in Spanien, Südfrankreich, Nordafrika, Italien, dem Balkan, Griechenland, Kleinasien und der Levante. Aufgrund solcher Ähnlichkeiten wurde für das kaiserzeitliche Imperium Romanum eine einheitliche römische Reichskultur postuliert (z.B. Hölscher, 1984, 36-37). Allerdings zeigt eine konsequent regionale Herangehensweise, wie sie durch die „micro-regions“ modelliert wird, dass die jeweiligen Beispiele nur äußerlich ähnlich, in ihrer funktionalen Organisation jedoch sehr unterschiedlich und durch jeweilige lokale Sonderwege geprägt sind.15 Über die vergleichbare Formensprache sind solche regional weit entfernten Monumente jedoch miteinander verbunden. In diesem Zusammenhang muss betont werden, dass der „micro-regions“-Ansatz explizit oder implizit in der Klassischen Archäologie zentristisch-vereinheitlichende Interpretationsmuster ablöst, wie sie vor allem in der deutschsprachigen Klassischen Archäologie mit einer starken griechischmutterländischen und stadtrömischen Engführung dominant waren. Es ist allerdings kritisch zu hinterfragen, ob speziell das Mittelmeer Träger von Konnektivität im Imperium Romanum ist, wenn man bedenkt, dass der Architekturformenvergleich auch mit dem Rheinland und mit Mesopotamien funktioniert. Ist diese Konnektivität wirklich mittelmeerspezifisch?16

Netzwerke, Objektbiographien und Wissenstransfer Während die Ansätze von Braudel sowie Horden und Purcell Spezifika des Mittelmeerraums herausarbeiten und damit latent in Gefahr stehen, essentialistische Konstruktionen des Mittelmeerraums oder „des Mediterranen“ zu kreieren (vgl. dazu Morris, 2005; Herzfeld, 2005), gibt es andere Herangehensweisen, welche weniger den Mittelmeerraum als ganzen begreifen und erklären möchten, sondern diesen als Laboratorium für unterschiedliche Fragestellungen nutzen. Die Betonung der hohen „Konnektivität“ im Mittelmeerraum und zugleich die differenzierte Betrachtung von „micro-regions“ regte seit Erscheinen der Arbeit von Horden und Purcell eine ganze Reihe von Studien zu Netzwerken im antiken

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sei Shaw, 2001 hervorgehoben. Die deutschsprachige Altertumswissenschaft ist nur am Rande davon berührt worden; hervorzuheben sind insbesondere Timpe, 2004 und Walter, 2007. Vgl. dazu und im Folgenden den sehr anregenden Band von Schörner, 2005. Vgl. dazu die von Freyberger, 1998 diskutierten Beispiele und seine zusammenfassenden Bemerkungen zu Baudekorvorbildern S. 122f. Vgl. dazu auch die sehr skeptischen Überlegungen von G. Woolf zum Mittelmeer als bestimmendem Faktor einer antiken Religionsgeschichte: Woolf, 2005.

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Mittelmeerraum an.17 Die Klassische Archäologie nimmt entsprechend materielle Kultur als Ausgangspunkt für netzwerkanalytische Untersuchungen. Auf diese Weise werden die ansonsten üblichen punktuellen Verbreitungskarten, welche die Verbreitung von Gütern oder Objekten durch eine einfache Markierung verzeichneten, durch komplexere relationale Modelle historischer Netzwerke ersetzt. Knotenpunkte („hubs“) von Netzwerken sind wie etwa im Fall von Häfen und Inseln oftmals naturräumlich begründet, weshalb eine mediterranistische Perspektive zum Verständnis antiker Netzwerke zweckdienlich sein kann. Am ehesten ausgeprägt sind solche Netzwerkanalysen in den sogenannten Randbereichen der Klassischen Archäologie, insbesondere der Ägäischen Bronzezeit, welche stark von prähistorischen Methoden und, aufgrund des Mangels an Texten, materialimmanenten Fragestellungen und Modellbildungen inspiriert ist. Insgesamt wird die Netzwerktheorie von der Klassischen Archäologie jedoch nur zögerlich angenommen. Neben der Ägäischen Bronzezeit wird sie noch in anderen materialintensiven Bereichen verwendet, etwa in Keramikstudien und in Arbeiten, welche ökonomische Fragestellungen verfolgen. Solche Fragen gehören nicht zum traditionellen Kernbereich der Klassischen Archäologie, doch gibt es fruchtbare Kombinationen. So geht es bei einigen Arbeiten nicht alleine um die Rekonstruktion von Netzwerken, sondern auch um die kulturhistorischen Folgen des Austauschs innerhalb von Netzwerken, wenn etwa der Althistoriker Robin Osborne fragt: „What Travelled with Greek Pottery?“ und er Sitten, Gebräuche und Vorstellungen mit in die materiellen Transferprozesse einbezieht (Osborne, 2007). Man muss sich allerdings fragen, ob solche Beobachtungen wirklich neu und Ertrag einer Netzwerkanalyse sind. Die Netzwerkanalyse wird auch zur Rekonstruktion von Objektbiographien fruchtbar gemacht.18 So konnte kürzlich Erich Kistler den Weg einer achämenidischen Glasschale von Iran bis nach Süddeutschland nachzeichnen und anhand von elitären Gaben-Netzwerken erklären (Kistler, 2010). Dem Mittelmeerraum kommt bei einer solchen prozesshaften Betrachtung von Objekten auch aufgrund der Dichte seiner Befunde eine entscheidende Rolle als Mittlerraum zu. Die Betrachtung solcher Objektbiographien kann zu einem differenzierteren Verständnis von Konnektivität führen, da damit jenseits von der Faktualität auf die qualitativen Aspekte der Austauschprozesse fokussiert und der zeitgenössische Gebrauchskontext rekonstruiert wird. So betont Kistler, dass die ursprüngliche Funktion und Bedeutung der Glasschale auf dem Weg nach Süddeutschland verloren gegangen ist, eine Umdeutung stattgefunden hat und keineswegs von einer „Mediterranisierung“ Süddeutschlands gesprochen werden kann. Allerdings stellen sich auch bei diesem Beispiel die Fragen, ob das Ergebnis nicht auch mit herkömmlichen Methoden der Klassischen Archäologie erreicht worden wäre und wie mittelmeerspezifisch diese Netzwerke sind, nahm die Schale doch ihren Ausgang in Persien und gelangte schließlich jenseits der Alpen in den Boden. Solche Netzwerke wie sie uns in 17

18

Graham, 2006; Collar, 2007; Brughmans, 2010; Malkin, 2011; Riedel, 2013. Vgl. außerdem weitere Beiträge aus Mediterranean Historical Review 22 (2007), welche sich speziell Netzwerken im antiken Mittelmeerraum widmet. Grundlegend dazu: Appaduarai, 1986.

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der Objektbiographie begegnen, scheinen zwar auf mediterrane Netzwerke zuzugreifen, doch dann auch über den Mittelmeerraum auszugreifen. Ebenfalls eine wichtige Rolle spielt die Netzwerktheorie bei der Frage des Wissenstransfers, und auch dies kann besonders gut in dem Laboratorium Mittelmeerraum verfolgt werden. Die Verbreitung von Wissen in Situationen des Kulturkontaktes ist ein zentrales Thema der archäologischen Wissenschaften. Die Klassische Archäologie kann dies insbesondere im Transfer von Motiven auf einer ikonographischen Ebene fassen, oder aber im Technologietransfer anhand von Herstellungstechniken. Solche Fragen haben als Einzelphänomene die Klassische Archäologie schon immer beschäftigt, doch hilft die Netzwerktheorie zu einer komplexen Modellbildung, welche über einfache lineare Modelle von Vorbild und Imitation hinausgeht und neben den Objekten die Akteure in den Blick nimmt. Die Kombination von Motiv- und Technologietransfer wurde beispielsweise in der klassischarchäologischen Dissertation von Constance von Rüden zu westsyrischen bronzezeitlichen Wandmalereien im ägäischen Kontext fruchtbar kombiniert (von Rüden, 2011, bes. S. 107–111).

Insularität Ein Konzept, welches ebenfalls aus der englischsprachigen prähistorischen Archäologie bzw. Archäologie der Ägäischen Bronzezeit übernommen wurde, ist jenes der Insularität („Insularity“)19. Dieses Konzept steht in einem reziproken Diskurs mit den „micro-regions“ von Horden und Purcell. „Inseln“ müssen in raumtheoretischem Sinne nicht zwingend von Wasser umgeben sein, sie können auch aufgrund anderer geographischer Gegebenheiten (Wüste, Gebirge) isoliert sein.20 Isolation und Abgeschlossenheit ist eine Facette von Inseln, die andere ist aber häufig eine hohe Konnektivität mit benachbarten Einheiten und die Einbettung in ein komplexes Netzwerk. Untersuchungen des Phänomens Insularität wurden etwa für die Kykladen (Broodbank 2000), Zypern (Knapp 2008), Sardinien (Dyson u. Rowland jr., 2007) oder Malta (Malone u. Stoddart, 2004) in der Ägäischen Bronzezeit vorgenommen, doch wurde das Konzept bislang nur vereinzelt auf die späteren (bzw. zentralen) Epochen der Klassischen Archäologie angewandt.21 Auch wenn das theoretische Konzept nicht auf diese Epochen appliziert wurde, so muss gleichwohl betont werden, dass solche Fragestellungen im Kernbereich der Klassischen Archäologie diskutiert wurden, etwa im Zusammenhang mit der besonderen Zentralortfunktion („hub“) von Delos in klassisch-hellenistischer Zeit22 oder der spezifischen Kulturentwicklung Siziliens in griechischer Zeit23. Bei solchen Unter19 20 21 22 23

Zu Insularität vgl. allgemein: Shaw, 2001, S. 425–426; Lätsch, 2005; Constantakopulou, 2007. Siehe z.B. die Betrachtung des Maghreb (Shaw, 2005) oder sogar Athen (Constantakopoulou, 2007, S. 137–175) als „island“. Vgl. allerdings die althistorischen Beiträge von Lätsch, 2005 und Constantakopoulou, 2007. Siehe dazu etwa ansatzweise die Ausführungen von Trümper, 1998, S. 150–151 zur Hausarchitektur von Delos. Vgl. auch allgemeiner Lätsch, 2005, S. 206–209. Vgl. z.B. die Synthese von Mertens, 2006.

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suchungen spielte die Terminologie von „Insularity“ bislang keine besondere Rolle, doch könnte bei der Betrachtung solcher Kulturlandschaften und „Inseln“ die Kenntnis der Konzepte den Blick schärfen und einer größeren Vergleichbarkeit der Befunde zweckdienlich sein.

Warum mediterranistische Klassische Archäologie? Im Vorangegangenen wurde deutlich, dass sich die Klassische Archäologie zentral mit den Kulturen des antiken Mittelmeerraums beschäftigt, dass aber eine Konzeptualisierung des Mittelmeerraums im Fach kaum stattgefunden hat. Es gilt die Abwandlung der zugespitzten Aussage von Horden und Purcell, dass Klassische Archäologie im Mittelmeerraum stattfindet, aber keine Klassische Archäologie des Mittelmeerraums.24 Vor dem Hintergrund der Geschichte des Faches, welches sich in den letzten Jahrzehnten von den mediterran gräko-zentrischen Wurzeln löst, ist es freilich auch nicht wünschenswert, dass sich die Klassische Archäologie zu einer „Mediterranen Archäologie“ entwickelt, da dies letztendlich ein verengender Rückschritt wäre, der Gefahr liefe, außermediterrane Nachbarkulturen auszublenden und die Normativität einer (konstruierten) griechisch-römischen Kultur zu zementieren. Dennoch lohnt sich eine mediterranistische Perspektive: Eine mediterranistische Klassische Archäologie kann jenseits von Gräkozentrismus oder essentialistischen Konstruktionen des Mediterranen den Blick auf die Spezifika der Entwicklung der Kulturen griechisch-römischer Zeit in einem spezifischen Naturraum, nämlich dem Mittelmeerraum lenken. Gerade die Bemühung um solche Spezifika ermöglicht auch den Vergleich mit anderen Räumen und ihren jeweils besonderen Bedingungen. Eine Fokussierung auf den Mittelmeerraum ermöglicht zudem eine angemessene Betrachtung weiterer Mittelmeerkulturen, die ansonsten als sogenannte Randkulturen nicht ausreichende Berücksichtigung im „klassischen“ Kanon der Klassischen Archäologie finden. Gerade die Kontextualisierung der materiellen Kultur der antiken Kulturen in einem größeren Raum bietet uns die Möglichkeit, differenziertere Erkenntnisse über Identitätskonstruktionen in einem vielfältigen und stark vernetzten Kontext zu erlangen,25 welche ansonsten Gefahr laufen, in einem statischen Kulturbegriff essentialistisch isoliert zu werden. Nicht zuletzt bietet sich mit einem dezidiert mediterranistischen Ansatz die Möglichkeit, Fächergrenzen zu überwinden und in einem dynamischen interdisziplinären Feld Fragestellungen aufzunehmen und zu entwickeln, welche in das Fach zurückwirken. Das Mittelmeer und die Klassische Archäologie gehören zusammen. Solange es Klassische Archäologie gibt, wird der Mittelmeerraum Zentrum des Faches bleiben und ein Verständnis der griechisch-römischen Kulturen wird nur möglich sein aus der Betrachtung der naturräumlichen Bedingungen und den jeweils kontingenten 24 25

Vgl. o. Anm. 2. Vgl. dazu etwa der anregende Sammelband van Dommelen; Knapp, 2010.

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Antworten der Bevölkerung des Raumes. Die Spezifik der Kulturen lässt sich nur vor der Spezifik des Raumes, eben des Mittelmeerraumes, verstehen.

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Klassische Philologie Relevanz des Mittelmeerraums für die Klassische Philologie als Literaturwissenschaft Für die Klassische Philologie mit ihren beiden Teilgebieten der griechischen bzw. der lateinischen Sprach- und Literaturwissenschaft ist der Mittelmeerraum als Ort der Produktion und (ersten) Rezeption eines Großteils der überlieferten griechischrömischen Literatur von Bedeutung. Hier hatten die meisten Texte von der Archaik bis zum Hellenismus ihren ‚Sitz im Leben‘, der einen wichtigen außerliterarischen Kontext darstellte, auf den sich Texte beziehen konnten, um auf ihn einzuwirken oder im Dialog mit ihm selbst an Bedeutung zu gewinnen. Insbesondere poetische Texte wurden vor der Verbreitung der Schriftlichkeit zunächst an ganz bestimmten Orten (Privathäuser, Theater, Heiligtümer, öffentliche Versammlungsräume) und bei bestimmten Anlässen (Symposien, Feste, Agone) vorgetragen, so dass sich in vielen Fällen Hinweise auf eine Rückbindung der Texte an den Ort ihrer ersten Präsentation und Rezeption finden lassen. Diesen Hinweisen nachzugehen, ermöglicht einen ersten, aber keineswegs erschöpfenden Zugang zu diesen Texten, da sich das Bedeutungspotential eines Textes nicht nur, geschweige denn primär, in dem Nachspüren und Aufzeigen seiner historischen Verortung in Raum und Zeit erschließen lässt. Vielmehr lassen sich Texte literaturwissenschaftlich mit ganz verschiedenen Methoden und Zugriffsweisen analysieren, wobei die fiktiven Textwelten in ihrer Konstruktion, Bedeutung und Wirkungsweise mit Hilfe von generischen, intertextuellen, intermedialen, komparatistischen oder auch rezeptionsästhetischen Betrachtungsweisen erschlossen werden können. Ein solcher Umgang mit Texten verliert den Mittelmeerraum jedoch keineswegs aus den Augen, im Gegenteil: Neben dem konkreten, tatsächlich erfahrbaren Mittelmeerraum als ‚Sitz im Leben‘ werden viele fiktive, ästhetisch erfahrbare Mittelmeerräume mit ganz eigenen Konturierungen und semantischen Aufladungen in den Blick genommen, die ein literarisches Eigenleben führen können oder auch im Dialog mit dem realen Mittelmeerraum stehen und diesen neu bzw. anders erfahrbar machen. Für die meisten literarischen Gattungen und Texte gilt, dass der Mittelmeerraum selten als Ganzes oder in weiten Teilen thematisiert, sondern zumeist punktuell aufgerufen bzw. inszeniert wird. Dabei wird die Besonderheit eines Ortes oft durch den Vergleich mit anderen Orten herausgestellt, wobei neben geographischen vor allem kulturelle, religiöse, soziale und politische Merkmale eine Rolle spielen, die über den Mittelmeerraum als vermeintlichem Zentrum der Oikumene verhandelt werden. So durchreist die mit Apoll und Artemis schwangere Leto im homerischen Apollonhymnos (vv. 19–50) erst eine Vielzahl von Gegenden im Mit-

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telmeerraum, ehe sie an einem – für den Hymnos und den Kult besonderen – Ort, nämlich auf der Insel Delos, aufgenommen wird. Eine entgegengesetzte Bewegung im Raum kennzeichnet die Reisen des Dionysos, der in mythischen Schilderungen seinen Kult von Nysa über den Mittelmeerraum bis zu den Grenzen der Oikumene verbreitet. Der Mittelmeerraum und seine verschiedenen Encodierungen sind ständige und unverzichtbare Begleiter in nahezu allen literarischen Gattungen, wobei die Literatur diesen Raum sowohl erfahrbar macht als auch zur eigenen Verbreitung nutzen kann: Man bereiste mit Odysseus in den Apologoi der Odyssee (Bücher 9–13) weite Teile des Mittelmeers und konnte die Ilias an nahezu allen Fürstenhöfen und in allen griechischen Poleis mit ähnlicher Empathie rezipieren, weil nahezu jede bedeutende Stadt des griechischsprachigen Kulturraums im Schiffskatalog (Buch 2, 484–877) genannt wird und damit ihren Anteil an dem gemeinsamen griechischen Erfolg gegen Troja hatte. Vor diesem Hintergrund ist das Mittelmeer sowohl in der Gestaltung von bestimmten literarischen Räumen als auch über den lebensweltlichen Kontext der Inszenierung von Texten präsent. Eine Verschiebung der zentralistischen Perspektive auf das Mittelmeer ergab sich im Hellenismus durch die Alexanderzüge; allerdings verlor das Mittelmeer dadurch nicht an Bedeutung, sondern bekam bei der Konturierung des neu eroberten Raumes lediglich eine neue Funktion, da dieser über Vergleiche und Bezüge zum bekannten und bereits vielfach literarisch konturierten Mittelmeerraum erschlossen und hellenisiert wurde.

Forschungsgeschichte Die Erforschung der Bedeutung des Mittelmeerraums für die Klassische Philologie als Literaturwissenschaft ist je nach Gattung und literarischer Epoche unterschiedlich stark ausgeprägt. Dabei stehen zahlreichen Einzelinterpretationen nur sehr wenige breiter angelegte Forschungsarbeiten gegenüber, die sich speziell mit der Gestaltung und Funktionalisierung des (Mittelmeer-) Raums in der griechischrömischen Literatur beschäftigen. Für die griechische Lyrik hat Wolfgang Röslers Arbeit Dichter und Gruppe. Eine Untersuchung zu den Bedingungen und zur historischen Funktion früher griechischer Lyrik am Beispiel des Alkaios (1980), die sich mit dem ‚Sitz im Leben‘ archaischer Lyrik beschäftigt, wichtige Impulse geliefert; eine ähnliche Fragestellung mit Blick auf die hellenistische Dichtung verfolgt Gregor Webers Dichtung und höfische Gesellschaft. Die Rezeption von Zeitgeschichte am Hof der ersten drei Ptolemäer (1993). Im Bereich der Epik wird die Topographie des Mittelmeerraums besonders in Verbindung mit der Schildbeschreibung des Achill und dem erwähnten Schiffskatalog in der Ilias sowie den Irrfahrten des Odysseus in der Odyssee diskutiert; vergleichbare Ansätze finden sich in der Forschung zu Apollonios Rhodios’ hellenistischem Epos Argonautika. Besonders gut erforscht ist der Mittelmeerraum in historiographischen und geographischen Texten sowie in Reiseberichten der Periplus-Literatur und im antiken Roman: Neben Aufsätzen zu den Realitätsbezügen in den Romanen (vgl. Bowie, 1977 u. Morgan, 1982) gibt es topographische Untersuchungen zu einzelnen, in den Romanen be-

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schriebenen Städten (Saïd, 1994). Auch im Genre des Städtelobs spielt die Topographie des Mittelmeerraums eine wichtige Rolle (vgl. Classen, 1980), und die inschriftliche Verortung von Grab- und Weihepigrammen, die einen engen Raumbezug haben und oft mit deiktischen Verweisen arbeiten, ist gut erforscht. Zu den Einflüssen des spatial turn auf die antike Literaturwissenschaft und zu geopoetischen Analysen hellenistischer Dichtung vgl. unten die Beobachtungen zu Poseidippos von Pella.

Forschungsperspektiven und Fallbeispiele: Platons Phaidon und die Epigrammdichtung des Poseidippos von Pella In Platons Dialog Phaidon spricht Sokrates kurz vor seinem Tod über die Gestalt der Erde (ἰδέαν τῆς γῆς, 108e1).1 Nach einer kurzen Beschreibung der sichtbaren Welt geht Sokrates im Zusammenhang mit der Frage nach der Unsterblichkeit der Seele zur Darstellung der „wahren Erde“ (ἡ ὡς ἀληθῶς γῆ, 110a1) über, die außerhalb der irdischen Wahrnehmung liegt und den guten Seelen nach dem Tod einen angenehmen Wohnort bietet. In beiden Beschreibungen nimmt das Mittelmeer eine zentrale Position ein: Es ist zum einen der geographische Raum, um den die Griechen „so wie Ameisen oder Frösche um einen Sumpf um das Meer herum wohnen“ (ὥσπερ περὶ τέλμα μύρμηκας ἢ βατράχους περὶ τὴν θάλατταν οἰκοῦντας, 109b3), und zum anderen hilft „das Meer“ (τὴν θάλατταν, 109b3) bzw. „das Meer bei uns“ (τῆς παρ' ἡμῖν θαλάττης, 113a7–8), wie Sokrates das Mittelmeer im Vorgriff auf den späteren römischen Herrschaftsbegriff mare nostrum nennt,2 bei der Visualisierung der außerhalb des Erfahrungshorizontes liegenden ‚wahren Erde‘. Der auf platonischer Ideenlehre basierende Erkenntnisprozess, der zur Wahrnehmung dieser Erde führt, arbeitet mit ständigen Rückgriffen auf die konkrete Beschaffenheit und Wahrnehmung des Mittelmeeres (vgl. 109c–110a), und die räumliche Struktur der ‚wahren Erde‘ wird wesentlich über Vergleiche mit dem Mittelmeer bzw. dem Mittelmeerraum erschlossen: Sokrates leitet die Größe eines der vier unterirdischen Flüsse, des Pyriphlegethon, aus einem Vergleich mit der Größe des Mittelmeeres ab, und die Beschreibung des Siedlungsraums von Menschen (= Seelen) in der visualisierten ‚wahren Erde‘ ist in Analogie zur zuvor beschriebenen ‚tatsächlichen‘ griechischen Besiedlung am Mittelmeer gesetzt: „Tiere aber gebe es auf ihr vielerlei und auch Menschen, welche teils mitten im Lande wohnen, teils so um die Luft herum, wie wir um das Meer herum (ὥσπερ ἡμεῖς περὶ τὴν θάλατταν, 111a5–6), teils auch auf luftumflossenen Inseln um das feste Land herum. Und mit einem Worte, was uns Wasser und Meer ist, für unsere Bedürfnisse, das sei jenen dort die Luft …“ (111a3–b1). Die Parallelisierung beider ‚Erden‘ wird dadurch unterstrichen, dass Sokrates in beiden Beschreibungen dieselbe Phrase benutzt: ὥσπερ … ἡμεῖς περὶ τὴν 1 2

Der griechische Text ist zitiert nach Burnet, J., 1961: Platonis opera. Oxford: Clarendon Press. Die Übersetzungen stammen von Friedrich Schleiermacher. Der Begriff wird zuerst von Caesar (De Bello Gallico) verwendet. Zur Begriffsgeschichte vgl. Burr, 1932 u. Luque Moreno, 2011.

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θάλατταν wird auch bei der Beschreibung der realen Erde in 109b verwendet. Nimmt man die kurze vergleichende Beschreibung der menschlichen Lebenszeit und Lebensweise sowie die parallel verlaufende religiöse Verehrung in beiden Darstellungen hinzu, dann lässt sich festhalten, dass die ‚wahre Erde‘ in Platons Phaidon als ein erweiterter und idealisierter Mittelmeerraum konzipiert wurde. Zu den Gründen für diese ungewöhnliche Gestaltungsweise des Jenseits3 lassen sich folgende Beobachtungen machen: Wirkungsästhetisch betrachtet erleichtert die mittelmeerorientierte Gestaltung der ‚wahren Erde‘ es den Rezipienten4 des Phaidon, sich die ihnen unbekannte (räumliche) Beschaffenheit der ‚wahren Erde‘ über den Vergleich mit dem (bekannten) Mittelmeerraum vorzustellen. Gerade mit Blick auf die Beschreibung von Größenverhältnissen ist eine solche Relationsherstellung zwischen der realen Welt des Rezipienten und der fiktiven Welt eines Textes eine beliebte Technik, um Orientierung im neuen Raum zu ermöglichen.5 Zudem wird dadurch eine größere Glaubwürdigkeit der Erzählung erreicht, da die unbekannte Welt an zentralen Stellen in vertrauten Darstellungskategorien vorgestellt wird. Zu bedenken bleibt allerdings, dass die Wahrnehmung des Mittelmeerraums in seiner geographischen Beschaffenheit für einen großen Teil der dort lebenden Bevölkerung im Zeitraum von der Archaik bis zum Hellenismus nur sehr begrenzt war: Nur wenige Griechen konnten bzw. mussten in dieser Zeit aus beruflichen oder militärischen Gründen sowie im Zuge von Umsiedlungen und Kolonisation den Mittelmeerraum bereisen, so dass eine umfassende Erfassung bzw. Erfahrung desselben kaum möglich war. Da zudem nur wenige und dazu nicht sehr detaillierte Karten mit äußerst beschränktem Zugang existierten,6 kann von einer (topographischen) Kenntnis des Mittelmeerraums für den Großteil seiner Anwohner nur unter Vorbehalt gesprochen werden. Blieb der Mittelmeerraum daher für weite Teile seiner Bewohner nur partiell direkt erfahrbar, so bestand gleichwohl die Möglichkeit, ihn indirekt über mündliche Erzählungen von Reisenden bzw. durch literarische Gestaltungen zu ‚bereisen‘. Sokrates selbst macht auf diese Rezeptionsweise aufmerksam, wenn er auf mündliche Berichte von der Beschaffenheit der Erde als Quelle seines Wissens verweist (108c6–8) und gleich zu Beginn seiner Rede mehrfach betont, dass seine Erkenntnisse über die reale Welt von einem ungenannten Dritten stammen (vgl. 108c7–8, 108e1, 108e4 und 109a7). Auch sein Gesprächspartner Simmias bemerkt, dass er schon vieles über die Erde „gehört“ habe (περὶ γάρ τοι γῆς καὶ αὐτὸς πολλὰ δὴ ἀκήκοα, 108d2). Diese Form des vermittelten Zu3

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Vgl. auch Ebert, 2004, S. 429–430: „Dagegen wird in der Jenseitserzählung des Phaidon eine völlig neue Vorstellung dieses Ortes entwickelt, innerhalb einer ins Kosmische ausgeweiteten neuen Geographie. … das Bild der Oberwelt, der ‚Wahren Erde‘, [hat] keine Entsprechung in den traditionellen Jenseitsvorstellungen der Griechen.“ Zum intendierten Rezipientenpublikum der exoterischen Dialoge Platons gehörte neben den (durch die werkimmanent auftretenden gebildeten Schüler des Sokrates repräsentierten) philosophisch Gebildeten ein breiter Adressatenkreis außerhalb der Akademie. Zur den literarischen Strategien der Erzeugung und Beschreibung fiktiver Topographie durch das Aufrufen von realen Orten vgl. die Bemerkungen von Harweg, 2012, S. 1–8. Zur antiken Kartographie in hellenistischer Zeit vgl. Geus, 2003. Rekonstruktionen der Karten des Hekataios, Herodot, Eratosthenes und Ptolemaios finden sich in: Witte, Olshausen u. Szydlak, 2007, S. 4–5.

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gangs zum Mittelmeerraum war daher besonders wichtig und vor allem besonders wirkmächtig, wobei sie Raum für konkurrierende Versionen bot, ein Nebeneinander von wahren und falschen Darstellungen zuließ und Leerstellen für weitere Ausgestaltungen eröffnete. Angesichts der Fülle und Verschiedenheit der mündlich und möglicherweise auch schriftlich rezipierten Konstruktionen von Mittelmeerräumen war auch der Erwartungshorizont der Rezipienten an eine Mittelmeerdarstellung bzw. daran angelehnte Raumdarstellungen ganz unterschiedlich, so dass Sokrates im Phaidon eine Strategie finden musste, seiner Darstellung der Gestalt der Erde Glaubwürdigkeit zu verleihen. Er tut dies zum einen durch einen differenzierten Umgang mit der literarischen Tradition. Während bestimmte Vorstellungen wie die Beschreibung des Eingangs in die Unterwelt im Telephos des Aischylos (108a1–2) als falsch abgelehnt werden, finden sich wiederholt explizite und implizite intertextuelle Spuren zu anderen literarischen Jenseitsvorstellungen, auf die die von ihm beschriebene Gestalt der Erde zumindest in Teilen zurückzugehen scheint und mit deren Hilfe er eine Art Rezeptionspakt zwischen seiner Darstellung und den Vorstellungen seiner Rezipienten zu schließen scheint: Die Beschreibung der Unterweltsflüsse ist an die homerische Prophezeiung der Kirke sowie an eine Passage aus der Nekyia angelehnt (vgl. Homer, Odyssee 10.513–515 und 11.155–159), und der Einfluss der dichterischen Tradition auf die Gestaltung der ‚wahren Erde‘ wird mit Hilfe eines Zitats aus Homers Ilias (Vers 8.14) in 112a2 sowie durch Hinweise auf „viele andere Dichter“ (ἄλλοι πολλοὶ τῶν ποιητῶν, 112a4) explizit erwähnt. Mit Blick auf letztere operiert seine Rede mit Leerstellen, die ein (gebildeter) Rezipient mit seiner Kenntnis der literarischen Tradition füllen kann. Zum anderen spielt Sokrates Elemente ein, für die sich keine direkten literarischen Vorläufer finden und die auch keine Entsprechung in den Jenseitsvorstellungen anderer platonischer Dialoge haben. Zu diesen gehören die erwähnten Vergleiche aus Mittelmeertopographie und ‚mediterraner‘ Lebenswelt, so dass bei der Gestaltung der ‚wahren Erde‘ literarische und lebenswirkliche Versatzstücke verwoben werden und durch die ganz eigentümliche Form der Selektion und Kombination von fiktiven und realen Elementen eine innovative, zugängliche und vor allem überzeugende Jenseitsvorstellung entsteht. Im platonischen Phaidon ‚erobert‘ sich das Mittelmeer in Gestalt der ‚wahren Erde‘ einen neuen Raum jenseits der Realität, den es zu konturieren hilft und in dem es als Diesseits der Fiktion fest eingeschrieben ist. Geschickt verbindet Platon dabei die beiden von Sokrates für seine Darlegung gewählten Darstellungsformen des Logos und des Mythos durch die Topographie des Mittelmeerraums, der sowohl für die wirklichkeitsbezogene Rede des Logos über die Gestalt der realen Welt (ab 107d5) wie für die allegorisch-fiktive Erzählweise des Mythos7 von der ‚wahren 7

Zwar kann der Begriff μῦθος auch einfach „Erzählung“ heißen, die Verbindung mit der Thematik der Jenseitsvorstellung, die auch in anderen platonischen Dialogen als μῦθοι bezeichnet und dort – wie im Phaidon – zumeist am Ende der Dialoge erzählt werden (vgl. den Mythos von Er in der Politeia und die Jenseitsvorstellung vom Totengericht im Gorgias), spricht für die Bedeutung ‚Mythos‘. Hinzu kommt, dass der Begriff von Sokrates im Phaidon zuvor nur im Zusammenhang mit

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Erde‘ (ab 110b) wichtig ist. Und eine weitere Beobachtung schließt sich an: Der Vergleich der Topographie des Mittelmeerraums mit der Lebenswelt von Ameisen und Fröschen, der zuerst im Logos über die reale Welt gemacht (109b) und dann mittels Zitat in den Mythos von der ‚wahren Erde‘ überführt wird (111a), verweist auf eine dritte Darstellungsform, für die der Mittelmeerraum in Platons Phaidon Bedeutung erlangt: die Fabel. Schien sie zu Beginn des Phaidon zunächst nur ein Aufhänger für den Dialog zu sein – Sokrates berichtet seinen Freunden, dass er im Gefängnis Prosafabeln des Äsop in Verse transformiert habe (60c–61b) –, so erweist sich diese Tätigkeit als ein Schlüssel für seine Gestaltung sowohl des Vergleiches als auch der Rede über die Gestalt der (wahren) Erde: Zum einen entspringt der Vergleich der Griechen und ihres Siedlungsraums mit den beiden Tierarten und deren Lebensraum ganz den Konventionen der äsopischen Tierfabel. Bedenkt man weiter, dass sich im Corpus Aesopicum mehrere Fabeln mit Ameisen und Fröschen in ihrem Lebensraum, dem Teich, finden, so liegt es nahe, dass Sokrates seinen Vergleich aus der Lektüreerfahrung der äsopischen Fabeln gewonnen hat. So gesehen wertet der Vergleich den zwischen dem Fluss Phasis und den Säulen des Herakles lokalisierten Mittelmeerraum (109a9) nicht nur als vergleichsweise kleines und unbedeutendes Fleckchen Erde ab,8 sondern Sokrates überführt die Topographie der Besiedlung des Mittelmeerraums in die Fabelwelt bzw. macht die Topographie der Fabelwelt exemplarisch als Code für den Mittelmeerraum sichtbar. Rein formal betrachtet lässt sich auch die weitere Rede des Sokrates mit der Tätigkeit eines Fabeldichters vergleichen: Nicht nur verweist die Erzählung des Mythos sprachlich auf die Fabel zurück, da der Begriff ‚Mythos’ von Sokrates im Phaidon nur bei seiner Rede über die wahre Erde (διὸ δὴ ἔγωγε καὶ πάλαι μηκύνω τὸν μῦθον, 114d7) und im Zusammenhang mit Äsops Fabeln (61b) gebraucht wird, sondern die sokratische Verbindung der beiden Darstellungsformen Logos und Mythos zu einer Rede entspricht den beiden Bestandteilen der äsopischen Fabel, in der die mythische Erzählung von einer Gnome begleitet wird, die in der Regel am Schluss der Fabel steht.9 Sokrates ist damit am Ende des Phaidon tatsächlich zu einem Fabeldichter geworden, der den realen Mittelmeerraum zu einem Raum werden lässt, über den und mit dem die Fabel und der Mythos gestaltet werden können. Und mit Blick auf die zu Beginn des Dialogs angesprochene Technik des Versifizierens der Fabel lässt sich mit Hilfe eines Vergleichs eine letzte Beobachtung machen: Die breite Rezeption der äsopischen Fabeln hat – u. a. über ihre Integration in poetische Gattungen – zu Versifikationen einiger im Corpus Aesopicum überlieferter

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den Fabeln des Äsop verwendet wurde, wo er vom Gegenbegriff λόγος abgegrenzt wird (60c1 und bes. 61b4); vgl. zur Diskussion Ebert, 2004, S. 421–432. So wird der Vergleich zumeist erklärt, vgl. etwa Rowe, 1993, S. 272: „‚ants‘ emphasises ‚our‘ insignificance.“ Wohl aufgrund unterschiedlicher Gewichtung dieser beiden Bestandteile als Kern(-aussage) wird die Fabel in der Antike als λόγος oder μῦθος bezeichnet (eine weitere Bezeichnung ist αἶνος). Interessanterweise werden im Phaidon beide Begriffe verwendet: Während Sokrates von der Fabel als Mythos spricht, nennt Kebes die äsopischen Fabeln λόγους (60d2). Eine vergleichbare Anwendung dieser beiden Begriffe auf dieselbe Darstellungsform findet sich in Platons Gorgias, wenn Sokrates seinem Gesprächspartner Kallikles sagt, dass dieser das, was er erzählen will, eine Jenseitserzählung (!), als Mythos betrachten wird, Sokrates selbst es hingegen als Logos empfände (Gorgias 523a1–2).

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Fabeln geführt. In der Fabelsammlung des lateinischen Dichters Phaedrus (1. Jh. n. Chr.) findet sich ein Beispiel, das sich nahezu perfekt mit Sokrates’ Umgang mit Äsops Fabeln vergleichen lässt. Es handelt sich um die Rezeption der äsopischen Fabel von den Fröschen, die einen Herrscher suchen (Hausrath, Nr. 44): βάτραχοι λυπούμενοι ἐπὶ τῇ ἑαυτῶν ἀναρχίᾳ πρέσβεις ἔπεμψαν πρὸς τὸν Δία δεόμενοι βασιλέα αὐτοῖς παρασχεῖν. ὁ δὲ συνιδὼν αὐτῶν τὴν εὐήθειαν ξύλον εἰς τὴν λίμνην καθῆκε. καὶ οἱ βάτραχοι τὸ μὲν πρῶτον καταπλαγέντες τὸν ψόφον εἰς τὰ βάθη τῆς λίμνης ἐνέδυσαν, ὕστερον δέ, ὡς ἀκίνητον ἦν τὸ ξύλον, ἀναδύντες εἰς τοσοῦτο καταφρονήσεως ἦλθον ὡς καὶ ἐπιβαίνοντες αὐτῷ ἐπικαθέζεσθαι. ἀναξιοπαθοῦντες δὲ τοιοῦτον ἔχειν βασιλέα ἧκον ἐκ δευτέρου πρὸς τὸν Δία καὶ τοῦτον παρεκάλουν ἀλλάξαι αὐτοῖς τὸν ἄρχοντα. τὸν γὰρ πρῶτον λίαν εἶναι νωχελῆ. καὶ ὁ Ζεὺς ἀγανακτήσας κατ' αὐτῶν ὕδραν αὐτοῖς ἔπεμψεν, ὑφ' ἧς συλλαμβανόμενοι κατησθίοντο. ὁ λόγος δηλοῖ, ὅτι ἄμεινόν ἐστι νωθεῖς ἔχειν ἄρχοντας ἢ ταρακτικούς. Die Frösche litten darunter, dass sie keinen Herrscher hatten. Also schickten sie Boten zu Zeus und baten ihn darum, ihnen einen König zu geben. Zeus durchschaute aber ihre Dummheit und ließ ein Stück Holz in den Sumpf werfen. Die Frösche bekamen zunächst einen gewaltigen Schrecken bei dem Geräusch und tauchten in die Tiefe des Sumpfes. Weil das Stück Holz sich aber nicht weiter bewegte, tauchten sie später wieder auf und hielten es für so ungefährlich, dass sie sogar darauf stiegen und sich dort niederließen. Aber weil sie es für unwürdig hielten, einen solchen König zu haben, begaben sie sich ein zweites Mal zu Zeus und verlangten von ihm, ihnen einen anderen König zu geben. Der erste sei nämlich ein allzu großer Nichtsnutz. Zeus ärgerte sich über sie und schickte ihnen eine Schlange, von der sie verschlungen und aufgefressen wurden. Die Geschichte zeigt, dass es besser ist, solche Herren zu haben, die sich um nichts kümmern und nichts Böses tun, als solche, die alles durcheinander bringen und Schandtaten begehen. (Übers. v. Nickel, 2005, S. 51–53)

Während die Gnome bei Äsop den Blick noch allgemein auf die Frage nach einem guten Herrscher richtet, findet sich in Phaedrus’ Versifikation der Fabel eine interessante Verengung bzw. Präzisierung der Aussage: Athenae cum florerent aequis legibus, Procax libertas civitatem miscuit Frenumque solvit pristinum licentia. Hic conspiratis factionum partibus Arcem tyrannus occupat Pisistratus, Cum tristem servitutem flerent Attici, (Non quia crudelis ille, sed quoniam gravis Omnino insuetis), onus et coepissent queri, Aesopus talem tum fabellam rettulit. Ranae vagantes liberis paludibus … Als einst Athen in Blüte stand durch die Gleichheit der Gesetze, sorgte verwegener Freiheitsdrang für Unordnung in der Stadt, Willkür löste die hergebrachten Bindungen ab, Und es verschworen sich dort Gruppen und Parteien – da bemächtigte sich ein Alleinherrscher der Burg: Peisistratos. Finstere Sklaverei! Heulten die Attiker

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(nicht weil Peisistratos grausam war, sondern weil sie an eine schwere Hand Gar nicht mehr gewöhnt waren) und begannen über die Belastung zu klagen. Da erzählte Äsop folgende Geschichte: Die Frösche lebten frei und ungebunden in den Sümpfen. … (Übers.v. Oberg, 1996, S. 17–19)

Phaedrus ändert seine Vorlage in doppelter Hinsicht: Zum einen stellt er eine Analyse der Fabel im Sinne des Deutungsangebots einer Gnome an den Anfang der Fabel, die so von Beginn an in einer bestimmten Richtung interpretiert werden soll. Zum anderen konkretisiert er den bei Äsop noch unbestimmten Raum, indem er eine Analogie zwischen dem Sumpf der Frösche und den Einwohnern Athens herstellt. Die Fabel wird im Mittelmeerraum verortet, untrennbar mit Athen verbunden und durch ihren Bezug zur Wirklichkeit historisiert. Man könnte meinen, dass Phaedrus bei dieser Neugestaltung der äsopischen Fabel direkt oder indirekt von Platons Phaidon inspiriert wurde, wo eine ähnliche Konkretisierung des Fabelraums durch Sokrates erfolgte. Dieser hatte nicht nur den Bezug zum Mittelmeerraum hergestellt, sondern war im Phaidon als sprechende Person in Athen, konkret in einem athenischen Gefängnis, verortet, wo die äsopischen Fabeln auf ihn und seine Freunde wirkten. Ob Sokrates bei seinen Versifikationen Äsops ähnliche Erweiterungen oder Ergänzungen vornahm wie sein späterer Nachahmer Phaedrus, sei dahingestellt. Entscheidend ist, dass seine Beschäftigung mit den Fabeln Äsops diesen im philosophischen Diskurs einen Platz gab, dass er mit ihrer Hilfe den Mittelmeerraum in einen mythischen Raum überführen konnte und dass er den Fabeln Äsops selbst den Mittelmeerraum als einen Resonanzraum hinterließ, auf den bezogen und aus dem heraus sie verstanden werden konnten und von Phaedrus sowie anderen Rezipienten auch verstanden wurden. Die Betrachtung von Platons Phaidon hat gezeigt, wie stark der Mittelmeerraum die Konstruktion (‚wahre Erde‘) und Rezeption (Fabel) von ‚Räumen‘ beeinflussen konnte, die für sich betrachtet eine solche Verortung generisch oder konzeptionell nicht unbedingt nahelegen. Sie hat aber auch gezeigt, dass der Mittelmeerraum zur Gestaltung von Mythen genutzt werden konnte, und sich vielleicht gerade deswegen dafür eignete, weil seine tatsächliche Beschaffenheit noch nicht umfassend bekannt war und er daher offen war für Imaginationen und Konstruktionen. Mit Blick auf die literarische Tradition lässt sich analog zur ‚Arbeit am Mythos‘ (Hans Blumenberg) eine ‚Arbeit am Mittelmeerraum‘ feststellen, die ihn von der archaischen bis in die hellenistische Zeit immer wieder neu konstruierbar und funktionalisierbar machte, ehe die dichtere Besiedlung und bessere Erschließung des Mittelmeerraums durch Karten und detaillierte topographische Beschreibungen ihm eine festere Gestalt gaben und seine literarischen Gestaltungsmöglichkeiten einschränkten. Eine Folge dieser Entwicklung ist, dass der Mittelmeerraum weniger in und durch die Literatur konturiert wurde,10 sondern seine reale Gestalt stärker für die Gestaltung der Literatur genutzt werden konnte. Dieser Perspektivenwechsel auf den Raum lässt sich gut mit Überlegungen zu dem sogenannten 10

Des ungeachtet konnten bereits bestehende, unterschiedlich konstruierte literarische Mittelmeerräume durch intertextuelles Aufrufen und Topos-Bildung parallel weiterexistieren.

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spatial turn und zur Geopoetik innerhalb der modernen Literaturwissenschaft verbinden.11 Literarisch erfasster bzw. konturierter Raum wird nicht mehr primär in seiner Relation zur außertextlichen Wirklichkeit betrachtet, etwa um den mimetischen Status eines Textes zu bestimmen, sondern der Fokus liegt stärker auf der poetischen Erschaffung von Raum und Welt und auf den im Text und nicht primär im außertextlichen Raum verankerten Wirkungsabsichten. Es geht dabei um die Fragen, „mit welchen Schreibweisen, Verfahren, Narrativen, Symbolen und Motiven spezifische Raum-Poetiken hervorgebracht, semantisch aufgeladen und an bestimmte Orte, Landschaften und Territorien gekoppelt werden“ (Marszalek u. Sasse, 2010, S. 9). So können Texte konkrete Räume nutzen, um ihr textliches Wissen an diesen als eine Art Wissensspeicher zu verorten oder in der Realität geographisch voneinander getrennte Räume über kulturelle oder politische Aspekte neu zusammenzustellen bzw. miteinander in Dialog zu bringen. Besonders für die hellenistische Dichtung erscheint eine geopoetische Analyse fruchtbar, da sich durch die Alexanderzüge für die griechischsprachige Welt größere räumliche Veränderungen ergeben haben, die auch einen neuen Blick auf den Mittelmeerraum ermöglichten, der für archaische und klassische Raumvorstellungen noch den wichtigsten Ausgangs- und Referenzpunkt bildete und bei literarischen Raumkonstruktionen von Homer12 bis Platon im Mittelpunkt stand. Die folgenden Beobachtungen beziehen sich auf das im Jahr 2001 erstmals edierte, dem hellenistischen Dichter Poseidippos von Pella (3. Jh. v. Chr.) zugeschriebene Epigrammbuch.13 Es umfasste vermutlich zehn thematisch unterteilte Sektionen, neun sind – teils fragmentarisch – erhalten.14 Das Spektrum der Themen ist weit: Neben den klassischen epigrammatischen Subgattungen der Grab- und Weihepigramme finden sich innovative Sektionen wie die Steinepigramme (Lithika), Vogelschauepigramme (Oionoskopika) und Charakterepigramme (Tropoi), deren geopoetische Gestaltung und Funktion im Folgenden näher betrachtet werden sollen. Dabei wird vor allem die gestalterische Besonderheit des Epigrammbuches berücksichtigt, bei dem weniger die Einzelepigramme im Vordergrund stehen als die the11 12

13

14

Vgl. zur Diskussion Hallet u. Neumann, 2009, S. 16–18, Lamberz, 2010 und Marszalek u. Sasse, 2010. Hier sind besonders die Irrfahrten des Odysseus durch den Mittelmeerraum in den Apologoi der Odyssee und der Schiffskatalog der Ilias zu erwähnen, der nicht nur als Wissensspeicher für die griechischen Städte, die am trojanischen Krieg teilgenommen hatten, fungierte, sondern den Rezipienten dadurch zugleich durch die griechisch besiedelten Gebiete des Mittelmeerraums führte, mit Ausnahme von weiten Teilen der Westküste Kleinasiens und den Kykladen. Vgl. hierzu die Diskussion und Karte bei Latacz, 2001, S. 262–296. Die Erstausgabe wurde besorgt von Bastianini u. Galazzi, 2001; einen verbesserten Lesetext mit englischer und italienischer Übersetzung geben Austin u. Bastianini, 2002. (Dieser Ausgabe folgt die verwendete Abkürzung AB; Übersetzungen vom Verfasser). Besprechungen einzelner Sektionen des Buches und Überblicksdarstellungen finden sich in den Sammelbänden von Acosta-Hughes, Kosmetatou u. Baumbach, 2004 und Gutzwiller, 2005. Die Sektionen sind wie folgt angeordnet: λιθικά (Steinepigramme); οἰωνοσκοπικά (Vogelschauepigramme); ἀναθηματικά (Weihepigramme); ἐπιτύμβια (Grabepigramme); ἀνδριαντοποιικά (Bildhauerepigramme); ἱππικά (Pferdeepigramme); ναυαγικά (Schiffbruchepigramme); ἰαματικά (Heilepigramme); τρόποι (Charakterepigramme); fragmentarisch erhaltene Sektion ohne Titel.

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matische Anordnung der Epigramme in Sektionen, wodurch übergreifende geopoetische Betrachtungen ermöglicht werden. Der geographische Raum, in dem die Epigramme verortet sind, wird in der ersten Sektion, den Steinepigrammen, programmatisch abgesteckt: Die Lithika beginnen mit den Worten Ἰνδὸς Ὑδάσπης („Hydaspes in Indien“ AB 1.1), womit der östlichste von Alexander dem Großen erreichte Punkt Erwähnung findet. Buchstäblich auf der anderen Seite des hellenistischen Weltreiches liegt das im Schlussepigramm der Sektion (AB 20, 5–6) erwähnte Ägypten. Dadurch ergibt sich ein Rahmen für den geographischen Gestaltungsraum, in dem alle anderen Epigramme der Lithika zu verorten sind und in den sich auch die Epigramme der anderen Sektionen einschreiben. Der reale geographische Raum wird damit in den poetischen Gestaltungsraum des ganzen Gedichtbuches überführt. Dieser wird innerhalb der einzelnen Sektionen nicht nur thematisch unterschiedlich gefüllt, sondern es gibt auch Bewegungen im Raum, insofern sich der Rezipient bei einer linearen Lektüre der Epigramme zunächst an die in einzelnen Epigrammen genannten Orte begibt und von dort weitergeführt wird. Die Eingangssektion der Lithika reflektiert diesen Lektüreprozess im Bild des rollenden Steins in AB 7 und führt ihre Rezipienten sektionsübergreifend von Indien (AB 1) nach Ägypten (AB 20), das als Ziel der Lektüre prominent am Ende steht. Überträgt man die in der Sektion genannten Orte in eine Karte nach moderner Kartographie, so ergibt sich folgendes Bild:15

Zwei Dinge fallen auf: 1) Im Vergleich mit der Betrachtung der Oikumene durch Sokrates im platonischen Phaidon, die von Phasis am Schwarzen Meer bis an die Säulen des Herakles reichte, zeigt sich bei dem hellenistischen Dichter Poseidippos eine deutliche Verschiebung der Perspektive nach Osten zu den im Zuge der Alexanderzüge erweiterten Grenzen der hellenisierten Welt. Der neue poetische Ge15

Ich danke Lucius Hartmann und Urs Müller für die Erstellung dieser und der folgenden Karte (S. 239) zu Poseidippos.

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staltungsraum ist damit größer geworden und orientiert sich an der zeitgenössischen Verortung der griechischsprachigen Welt. Entsprechend tritt das noch für Platon zentrale griechische Kernland um Athen in seiner Bedeutung zurück, es rutscht an den westlichen Rand des Gestaltungsraumes. Der veränderte Fokus wird nicht nur an der vergleichsweise geringen Menge der Epigramme sichtbar, die sich im griechischen Kernland verorten (nur vier der insgesamt zwanzig Epigramme), sondern vor allem anhand der Bewegung der Steinepigramme durch den Raum: Anders als im Phaidon liegt der Beginn und räumliche Ausgangspunkt der Dichtung nicht mehr am ‚Sumpf‘ der griechischen Besiedlung um das Mittelmeer bzw. in Athen, sondern in Indien. Damit findet die Dichtung des Poseidippos einen neuen, einen dezidiert hellenistischen räumlichen Ausgangspunkt, der sie neue Orte in den Blick nehmen lässt und ihr selber eine neue generische Verortung ermöglicht. Denn durch die innovative, bei Poseidippos erstmals belegte Anordnung von Epigrammen in thematisch untergliederte Sektionen kann das einzelne Epigramm über den ihm eingeschriebenen, eigentlich sehr begrenzten Raum, dem fiktiven oder realen Ort der ‚Inschrift‘, hinaus zum Bestandteil einer sektionsumfassenden Gestaltung von Raum werden. Rein formal betrachtet wird die eigentlich größtmögliche Reduktion des (poetischen) Raums in der Kleinform des griechischen Epigramms zu einer umfassenden Beschreibung eines riesigen Raumes, des Weltreiches Alexanders, genutzt, so dass die Gattung des Epigramms im Hellenismus zeitgleich und in Auseinandersetzung mit der räumlichen Erweiterung der griechischsprachigen Welt neuen Gestaltungsraum gewinnt. Vor diesem Hintergrund verbindet Poseidippos mit der Erfindung der Lithika als einer neuen epigrammatischen Subgattung die Öffnung der Kleinform des Epigramms zu einer größeren (= längeren) poetischen Dichtungsart, indem intertextuell miteinander verbundene Epigramme eine Sektion thematisch einheitlich gestalten. 2) Neben diesen generischen Aspekt im Umgang mit Raum tritt ein politischer. Nicht nur ist das Ziel der Sektion Ägypten, sondern es wird zudem periphrastisch durch die Nennung des ägyptischen Herrschers Ptolemaios aufgerufen (AB 20.1– 6): ὡς πάλαι ὑψηλὴν Ἑλίκην ἑνὶ κύματι παίσας πᾶσαν ἅμα κρημνοῖς ἤγαγες εἰς ἄμαθον, ὥς κ’ [ἐ]π’ Ἐλευσῖνα πρηστὴρ ἑκατόγγυος ἤρθης εἰ μὴ Δημήτηρ σὴν ἐκύνησε χέρα· νῦν δέ, Γεραίστι’ ἄναξ, νήσων μέτα τὴν Πτολεμαίου (5) γαῖαν ἀκινήτην ἴσχε καὶ αἰγιαλούς. Wie Du einst das hochgelegene Helike mit einer Welle trafst und die ganze Stadt mit ihren Höhen einebnetest, Und wie Du Dich gegen Eleusis als starker Sturm gewendet hättest wenn Demeter Deine Hand nicht geküsst hätte, So nun, Geraistischer Herrscher, lass mit seinen Inseln das Land und die Küsten des Ptolemaios unerschüttert!

Ein Rezipient reist in den Lithika von den äußersten Grenzen der durch Alexander hellenisierten Welt zum neuen Machtzentrum im 3. Jh. v. Chr., das in Ägypten bei

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den Ptolemäern liegt.16 Die politische Konnotation wird dadurch deutlich, dass statt des Orts- oder Ländernamens der Name eines Herrschers verwendet wird: Ptolemaios. Sein Reich ist das Ziel der linearen Lektüre der Epigramme, und so wie die in den Lithika beschriebenen wertvollen Steine sich auf Ägypten als eine Art Schatzhaus zubewegen, so bewegt sich auch die Dichtung selbst zum ptolemäischen Herrscherhaus. Auf seiner poetischen Reise macht der Rezipient – wie die Steine und Epigramme der Sektion – Station in nahezu allen Teilen der griechischsprachigen Welt, um seine Lektüreerfahrung (= das aus den Epigrammen gewonnene Wissen) nach Ägypten zu Ptolemaios zu bringen. Damit verfolgen die Lithika ein Bildungsziel im alexandrinischen Sinne, was vor dem Hintergrund der großen Bedeutung des Museions in Alexandria für die bedeutendsten Dichter der hellenistischen Zeit, zu denen auch Poseidippos selbst gehörte, nicht erstaunt. Das Epigrammbuch wird als eine poetische Inszenierung der neuen Bedeutung Ägyptens im Mittelmeerraum lesbar und stellt eine Hommage an die dortigen politischen Herrscher dar, was einen neuen Zu- und Umgang mit dem Mittelmeerraum und mit zeigen; er ist ein guter Fänger auch bei Pflanzen. Uns aber, wenn wir das Ägyptische Meer erreichen wollen, soll der thrakische Kranich unter dem Vorstag den Weg zeigen als günstiges Zeichen für den Steuermann: er, der die große Woge [überquert] und durch luftige Gefilde sicher ans Ziel gelangt.

Mit Blick auf die Bedeutung Ägyptens für die Sammlung wird über das Thema ‚Vogelschau‘ ein weiterer Raum mit weiteren Lebewesen erschlossen: Auch die Tierwelt, in diesem Fall die Kraniche, die mantisches Wissen verkörpern, streben nach Ägypten, das so als Zentrum der Weisheit erscheint. Ein entsprechendes Interesse an diesem Wissen könnte die im Epigramm ungenannten Seeleute leiten, die sich – wie die Rezipienten der Sektion – mit Vogelmantik beschäftigen; in jedem Fall lädt die sonst in den Oionoskopika nicht verwendete erste Person Plural die textexternen Rezipienten dazu ein, mit nach Ägypten zu reisen. Zwei weitere Beobachtungen schließen sich an: Zum einen wird auch in den Oionoskopika ein auf das Ptolemäerreich ausgerichtetes Ziel formuliert, insofern die letztgenannte Person Alexander ist, dessen Siege über die Perser im Grabmal des Strymon in Thrakien eingeschrieben sind (AB 35): μάντιϲ ὁ τῶι κόρακι Ϲτρύμω̣[ν] ὑ̣π̣[ο]κ̣ε̣ί̣μ̣ε̣ν̣[ο]ϲ ἥρωϲ Θρήϊξ ὀρνίθων ἀκρότατοϲ ταμίηϲ ὧι τόδ’ Ἀλέξανδροϲ ϲημήνατο, τρὶϲ γὰρ ἐνίκα Πέρϲαϲ τῶι τούτου χρηϲάμενοϲ κόρακι. 16

Vgl. zur politischen Bedeutung der Lithika und zur Prominenz der Ptolemäer im Epigrammbuch Bing, 2005.

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Der Seher, der unter dem Raben begraben liegt, ist Strymon, der Heros aus Thrakien, der trefflichste Gebieter der Vögel. Ihm verlieh Alexander dies als Zeichen; denn er besiegte dreimal die Perser, nachdem ihm dessen Raben ein Orakel gegeben hatte.

Nach dem Hinweis auf die Ptolemäer im letzten Gedicht der ersten Sektion schließt die zweite Sektion mit deren Vorfahren und der Erinnerung an den von Alexander eroberten Raum, den die Epigramme der Oionoskopika beschreiben und den die Ptolemäer (zum Teil) beherrschen – ein Raum, in den die Taten Alexanders fest eingeschrieben sind (AB 35 wird fiktiv als Inschrift in Thrakien verortet), der wie das Reich der fliegenden Vögel praktisch grenzenlos ist und der neben der Mantik als Thema der Sektion eine politische Aussage transportiert. Letztere liest sich in den Oionoskopika als Warnung vor der Macht der Ptolemäer, die sich auf den siegreichen Alexander berufen und zudem die Mantik auf ihrer Seite haben: Anders als im ‚alten‘ Griechenland, wo die mantische Kommunikation bis auf die

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beiden Epigrammpaare am Beginn und Ende der Sektion, in allen anderen Epigrammen, die eine konkrete Verortung haben, scheitert,17 kommt es mit Blick auf Ägypten und Alexander zu keinen Fehldeutungen mit negativen Folgen, im Gegenteil: Bei Alexander deutet der Seher die Zeichen richtig (AB 35), und die Kraniche als Vorzeichenvögel sind in Ägypten beheimatet (AB 22). Für und mit Ägypten und dem Alexanderreich verbindet sich daher ein positives Erleben der Mantik, die Sektion als ganze ist ein günstiges ‚omen‘ für die Ptolemäer. Auch die nächste Sektion der Weihepigramme, Anathematika, verfolgt eine ähnliche Strategie. Gleich das erste Epigramm (AB 36), das thematisch und sprachlich eng mit den Oionoskopika verknüpft ist,18 beschreibt eine Weihung an Arsinoë, die Schwester und Frau von Ptolemaios Philadelphos, so dass die ganze Sektion programmatisch den Ptolemäern geweiht wird. Die weitere Verteilung der Epigramme im poetischen Raum der Anathematika ist in der Abbildung auf S. 233 dargestellt. Von den sechs Epigrammen der Sektion enthalten – wohl auch aufgrund des zum Teil fragmentarischen Zustands – nur zwei (AB 36 und AB 39) räumliche Verortungen. In beiden Epigrammen wird neben Arsinoë als Herrscherin Ägyptens ein ihr geweihtes Heiligtum genannt, bei dem es sich in AB 39 eindeutig (und in AB 36 evtl.) um das von dem Nauarchen Kallikrates von Samos am Kap Zephyrion gestiftete Arsinoë-Heiligtum handelt. Nach der Betonung der politischen und militärischen Erfolge der Ptolemäer sowie der poetologischen Lesart von Ägypten als Ort des Wissens und der Bildung in den beiden vorangegangenen Sektionen rückt hier der Aspekt der religiösen Verehrung im Herrscherkult in den Mittelpunkt. Räumlich gesehen wird die Präsenz und Bedeutung Ägyptens über das an der kleinasiatischen Küste gelegene Kap Zephyrion erweitert: Arsinoë ‚bewohnt‘ als Gottheit auch Heiligtümer im Gebiet des griechischen Kernlandes. Zugleich findet sich mit der Erwähnung der Weihung eines makedonischen Leinentuches im ersten Epigramm der Sektion ein mögliches Einschreiben des Dichters selbst in seinen Text, da Poseidippos aus Pella stammt und Tücher/Leinentücher seit homerischer Epik über die Metapher des Webens/Gewebtseins poetologische Bedeutung tragen können. In den Anathematika präsentiert der Dichter seine Dichtung als Weihgabe für Arsinoë. Ein Rezipient des Epigrammbuches wird so von Beginn an für die politischen, religiösen und kulturellen Bedeutungen der Gestaltung der Räume sensibilisiert und trägt diese Lektüreerfahrung als Erwartungshaltung an die noch folgenden Sektionen heran, in denen weitere Konnotationen sichtbar werden. Mit den aufgezeigten geopoetischen Konstruktionen des Mittelmeerraums in den verschiedenen Sektionen seines Epigrammbuches verwendet Poseidippos eine literarische Technik, die sich auch bei anderen hellenistischen Dichtern findet, die den erweiterten und politisch wie kulturell veränderten Raum der hellenisierten Welt zur Gestaltung und Reflexion ihrer neuen, hellenistischen Dichtung nutzen. Zu nennen ist 17 18

Timoleon aus Phokis (AB 28) verkennt ebenso die Zeichen wie Euelthon in AB 29 und Antimachos in Illyrien (AB 32); alle drei werden getötet. Vgl. hierzu Stephens 2004, 162–163.

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hier vor allem Kallimachos, der ebenfalls in Alexandria am Hof der Ptolemäer tätig war und der besonders in seinen Aitien und Iamben die Rezipienten zu imaginären Reisen, zu einer Art „mind travelling“19 durch die Mittelmeerwelt einlud, die sich für die Iamben wie folgt gestaltet: Ähnlich wie bei Poseidippus fällt die zentrale Stellung von Ägypten, hier konkret von Alexandria, auf, von wo ein Rezipient der Iamben bei seiner Lektüre aufbricht und wohin er immer wieder zurückkehrt, um sich von dem dort (in Alexandria) literarisch tätigen Kallimachos neues Rüstzeug, neues Wissen für weitere Reisen in die hellenisierte Welt abzuholen. Der Rezipient wird eingeladen, die ihm aus der Literatur oder mündlicher Tradition bekannte griechische Welt neu, d.h. aus einer ptolemäischen Perspektive zu bereisen und dabei die kulturellen Ursprünge und Verbindungen der Ptolemäer an zuvor zum Teil ganz anders konnotierten Orten zu entdecken. In dieser Form konnte die neue hellenisierte Welt auch einem breiteren Publikum zugänglich und poetisch schmackhaft gemacht werden, da sich die Ptolemäer und ihre Dichter in Traditionen einschrieben, ohne sie zu verwerfen, sie vielmehr ergänzten und modernisierten und so auch dem Mittelmeerraum eine neue literarische Gestalt und Funktion gaben.

19

Vgl. Asper, 2011; die Karte mit der Abbildungslegende findet sich ebd., S. 168.

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JUCUNDUS JACOBEIT

Klimatologie Definition des Faches und Relevanz des Mittelmeerraums für das Fach Mit dem Wandel des Begriffs „Klima“ hat sich auch das Verständnis des Faches Klimatologie verändert. Wurde ursprünglich das örtliche, regionale oder zonale Klima zumeist begriffen als mittlerer Zustand der Atmosphäre über einen längeren (mindestens 30-jährigen) Zeitraum – getragen von der Vorstellung, bei hinreichend langer Mittelung der variablen Momentanzustände des Wetters zu einem weitgehend gleichbleibenden Klima zu gelangen, das im Rahmen der so bezeichneten Mittelwertsklimatologie beschrieben wurde – so führte die allmähliche Erkenntnis, dass die atmosphärischen Zustandsformen kontinuierlich über alle Zeitskalen hinweg variieren, zu einem gewandelten Klimabegriff: er wurde dem gesamten langperiodischen Variabilitätsspektrum zugeordnet, wobei die Abgrenzung zum kurzperiodischen Spektrum, das mit dem Begriff „Wetter“ verbunden ist, meist bei einem Monat oder einer Jahreszeit gezogen wird (vgl. Blüthgen u. Weischet, 1980, S. 696f.). Man unterscheidet also klimatische Zustandsformen auf unterschiedlichen Zeitskalen (von Monaten oder Jahreszeiten bis zu Dekaden oder Jahrtausenden), langfristige Mittelwerte fungieren lediglich noch als Referenzwerte für die jeweilige Klimavariabilität, die je nach zeitlicher Auflösung z.B. interannuell, dekadisch oder längerfristig sein kann. Dementsprechend umfasst die heutige Klimatologie Subdisziplinen von der dynamischen (Bezug zu zeitlich höher aufgelösten Zirkulationsprozessen) bis zur Paläoklimatologie (erdgeschichtlich bezogen). Besondere Bedeutung hat darüber hinaus die Erforschung des anthropogen induzierten Klimawandels erlangt. Mit der Erweiterung des Klimabegriffs ist auch eine Ausdehnung der Untersuchungssphären einhergegangen, die sich über die Atmosphäre hinaus auch auf die Ozeanosphäre, Kryosphäre, Landoberfläche und Biosphäre erstrecken (in das sog. Klimasystem oder, noch weiter gefasst, das Erdsystem integriert). Daraus ergibt sich heute eine breite klimatologische Disziplinenvielfalt, gepaart mit entsprechender Methodenvielfalt, die Gelände- und Laboruntersuchungen, Messungen und Sondierungen, Experimente, empirische Studien, statistische Analysen sowie numerische Modellierungen einschließt. Auch in der räumlichen Dimensionierung verzweigt sich das heutige Fach: konzentriert sich die Mikroklimatologie auf die bodennahe Luftschicht und die Austauschprozesse zwischen Atmosphäre und Erdoberfläche, so bewegen sich Stadt- und Geländeklimatologie in einem mittleren Skalenbereich. Zum Makroklima, primär durch die großräumigen Prozesse im Klimasystem bestimmt, wird neben dem Globalklima auch das Regionalklima gezählt, das uns im vorliegenden Handbuch bezüglich des Mittelmeerraums beschäftigen wird.

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Im Rahmen der Allgemeinen Klimatologie kommt dem Mittelmeerraum besondere Bedeutung zu, da er mit seinem typischen Wechselklima (sommertrocken und winterfeucht), zwischen den immerfeuchten Mittelbreiten und den beständig trockenen Subtropen gelegen, jahreszeitlich alternierenden Zirkulationsregimen unterworfen ist (subtropischer Hochdruckeinfluss bzw. Dynamik der außertropischen Westwinddrift). Seine ausgeprägte Klimavariabilität schließt weiterhin das Auftreten markanter Extremereignisse ein (insbesondere Hitzewellen, Dürreperioden, Starkniederschläge und Hochwasserereignisse), die ihn häufig ins Zentrum diesbezüglicher Studien rücken. Schließlich gilt der Mittelmeerraum als ein ‚hotspot‘ des rezenten Klimawandels (Giorgi, 2006), für den überdurchschnittliche klimatische Auswirkungen infolge der ansteigenden atmosphärischen Treibhausgaskonzentrationen erwartet werden.

Forschungsgeschichte der Klimatologie in Bezug auf den Mittelmeerraum Die Anfänge der Klimatologie mit Blick auf den Mittelmeerraum gehen bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück, bemerkenswerterweise zunächst beginnend mit spezifischen medizinischen Betrachtungen. Insbesondere in zahlreichen Veröffentlichungen der Zeitschrift „The British Medical Journal“ (u. a. Bennet, 1870b; 1871; Marcet, 1875; 1880), aber auch in Buchpublikationen (etwa Williams, 1867; Bennet, 1870a) wird das Klima einzelner Mittelmeerregionen hinsichtlich seiner positiven Auswirkungen auf den Genesungsprozess bei bestimmten Krankheiten – insbesondere atemwegsbezogenen – behandelt. Die weitgehend deskriptiv verbleibenden Ausführungen basieren im Wesentlichen auf den jeweiligen Erfahrungen der Autoren, die entweder selbst mehrere Jahre in bestimmten Gebieten des Mittelmeerraums verbracht oder zumindest häufige Reisen dorthin unternommen hatten. Erwähnenswert sind weiterhin eigene Aufzeichnungen der Autoren, die sie gelegentlich von ausschlaggebenden Klimaelementen wie Temperatur, Niederschlag, Luftfeuchte, Luftdruck und Wind angefertigt hatten. Damit ergeben sich in ihren Publikationen sogar erste quantitative Einschätzungen des Mittelmeerklimas in ausgewählten Einzelregionen, auch wenn die Ausführungen primär auf die gesundheitsfördernde Wirkung spezieller Ausprägungen des dortigen Klimas gerichtet waren. Rund ein halbes Jahrhundert später – also seit den 1920er Jahren – erscheinen die ersten klimatologischen Arbeiten, die nicht mehr als rein deskriptiv zu bezeichnen sind. Der Aspekt der atmosphärischen Zirkulationsverhältnisse rückt in den Blickpunkt der Betrachtungen, sie werden als dynamischer Faktor der klimatischen Gegebenheiten unter anderem im Mittelmeerraum (Bonacina, 1921) oder in Teilregionen desselben (z.B. Weickmann, 1922) thematisiert. Die weltweit verbreitete Klimaklassifikation nach Wladimir Köppen bezeichnet in ihrer ursprünglichen Version (z.B. Köppen, 1931) das Mittelmeerklima auch als sog. Etesienklima, benannt nach den beständigen, aus nördlichen Richtungen wehenden sommerlichen Winden im ägäischen und ostmediterranen Raum, die ein charakteristisches Element der atmosphärischen Zirkulation zwischen Azorenhoch und asiatischem

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Monsuntief darstellen und bald auch eine eingehendere Behandlung erfahren (Schneider-Carius, 1948). Vermehrt gesellen sich nun auch weitere Arbeiten hinzu, die spezifische meteorologische Aspekte diskutieren wie die Zyklogenese im Mittelmeerraum (Gleeson, 1954), die Vorhersage von Zyperntiefs (Ali, 1953), das Auftreten nächtlicher Gewitter im Kontext von Land-See-Windsystemen (Neumann, 1951) oder die differenzierte Ausprägung markanter Regionalwinde wie Bora und Mistral (Band, 1955). In Richtung synoptischer Klimatologie – also der Auflösung mittlerer klimatischer Verhältnisse in ihre charakteristischen Einzelbestandteile (z.B. Wetter- oder Witterungslagen) unter zusammenschauender Betrachtung aller wesentlichen Klimaelemente sowie der atmosphärischen Strömungsverhältnisse – gehen verstärkt Arbeiten seit Mitte des 20. Jahrhunderts, beispielhaft genannt seien die Studien von Flohn (1948) zum jährlichen Ablauf der Witterung im Mittelmeergebiet, von Reichel (1949) und Huttary (1950) zur dortigen Häufigkeit und Verteilung der Niederschläge, von Butzer (1960) zur Wirksamkeit großräumiger Zirkulationsmuster im Mittelmeerraum, von Sutcliffe (1960a; 1960b) zu Allgemeiner Zirkulation, Tiefdruckgebieten, Fronten und Luftmassen im mediterranen Raum oder von Agi (1968) speziell zum Aktionszentrum des Zyperntiefs. Insbesondere auf Wetterlagen und Zirkulationstypen sind die Publikationen des britischen und italienischen Wetterdienstes konzentriert gewesen (Metrological Office, 1962; Urbani u. d’Angiolino, 1968; 1974), nach und nach erscheinen aber auch breiter angelegte Buchveröffentlichungen, die Überblicksdarstellungen zum Klima des Mittelmeerraums enthalten (Zenone, 1959; Wallén, 1977; Weischet u. Endlicher, 2000; Harding u. a., 2009). Eine besondere Rolle haben seit Mitte des 20. Jahrhunderts auch Arbeiten zum vorzeitlichen Klima des Mittelmeergebietes gespielt, häufig eingebunden in unterschiedliche geowissenschaftliche Rekonstruktionen paläoökologischer Verhältnisse. Beispielhaft genannt seien Aufsätze zu mediterranen Pluvialen (pleistozäne Zeitabschnitte erhöhter Niederschläge, etwa Butzer, 1957), zu Quartären Klimazyklen im Kontext der mediterranen Relief- und Bodenentwicklung (Rohdenburg u. Sabelberg, 1972), zu mediterranem Löss als pleistozänem Klimaindikator (Brunnacker, 1980) oder zu glazialen Temperaturverhältnissen im Mittelmeer (Thiede, 1978; Thunell, 1979). Auch das Klima in historischen Zeitabschnitten hat wissenschaftliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen (z.B. Neumann u. Sigrist, 1978; Hughes u. Diaz, 1994; Grove u. Conterio, 1995), und dies markiert, ähnlich wie in der Paläoklimatologie und der synoptischen Klimatologie, nicht nur eine bestimmte Phase in der Forschungsgeschichte, sondern vielmehr den Beginn einer Arbeitsrichtung, die auch gegenwärtig mit großen und gezielten Forschungsanstrengungen weiterverfolgt wird (siehe nächstes Unterkapitel). Gleiches lässt sich auch sagen über die beiden Themenbereiche, die mit rezentem Bezug die dynamische Komponente des Klimas in den Vordergrund stellen: Klimavariabilität und Klimawandel. Der erste Bereich ist gerichtet auf natürliche Schwankungen und Anomalien des mediterranen Klimas, die in dieser wechselfeuchten Region leicht zu spürbaren Auswirkungen führen können; frühe Beispiele derartiger Arbeiten sind etwa die Beiträge von Gat u. Magaritz (1980), Jacobeit (1985; 1987), Conte u. a. (1989) oder Maheras (1989). Der zweite Bereich bezieht sich

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auf regionale Folgen des anthropogen induzierten globalen Klimawandels (Jung u. Bach, 1985; Wigley, 1992), erste Studien, die ein sog. Downscaling auf Teile des Mittelmeerraums beinhalten, sind seit den frühen 1990er Jahren zu verzeichnen (von Storch u. a., 1993; Jacobeit, 1994a; 1994b; Corte-Real u. a., 1995b). Die genannten Themenbereiche stellen heute Schwerpunkte der mediterranen Klimaforschung dar und werden im folgenden Unterkapitel wieder aufgegriffen.

Aktuelle Forschungsschwerpunkte und -perspektiven Zentralisationspunkt der Klimaforschung zum Mittelmeerraum ist das seit rund zehn Jahren sich entfaltende internationale Netzwerk MedCLIVAR geworden (Mediterranean Climate Variability and Predictability1), seit 2006 offiziell im Rahmen des CLIVAR-Projekts des Weltklimaforschungsprogramms etabliert und von der ESF (European Science Foundation) über Konferenzen, Workshops, Summer Schools und Wissenschaftleraustausch systematisch gefördert. MedCLIVAR zielt auf die Koordination und Förderung wissenschaftlicher Studien zum Klima des Mittelmeerraums und spezifiziert zu Beginn der genannten Internetseite Forschungsprioritäten auf folgenden Gebieten: - Rekonstruktion vergangener Klimate und deren Entwicklung; - Klimavariabilität auf unterschiedlichen räumlichen und zeitlichen Skalen; - Verständnis der Mechanismen beobachteter Klimavariabilität; - Trends und Zukunftsprojektionen des mediterranen Klimas; - Extremereignisse und Folgewirkungen des Klimawandels. Auch wenn in dieser Auflistung nicht explizit erwähnt, so spielt im Rahmen von MedCLIVAR auch die Ozeanographie des Mittelmeeres eine bedeutsame Rolle, nicht nur wegen der vielfältigen Wechselwirkungen Atmosphäre-Ozean im Klimasystem, sondern auch wegen spezifischer klimarelevanter Prozesse wie der Dynamik der Tiefenzirkulation im Mittelmeer oder dessen Austauschprozesse mit dem nordatlantischen Ozean. Neben mehreren Sonderbänden in Fachzeitschriften zu den übergeordneten Themen „Mediterranean Climate Variability“ (Lionello u. a., 2008a), „Oxygen isotopes as tracers of Mediterranean variability“ (Jones u. a., 2010), „Venetia and Northern Adriatic Climate“ (Lionello, 2010), „Climate extremes in the Mediterranean Region“ (Garcia-Herrera u. a., 2010) und „The Climate of the Mediterranean Region“ (Lionello u. a., 2013) sind im Rahmen von MedCLIVAR insbesondere zwei umfangreiche Fachbücher publiziert worden (Lionello u. a., 2006a; Lionello, 2012), die in jeweils acht Hauptkapiteln einen repräsentativen Überblick über die aktuellen Schwerpunkte mediterraner Klimaforschung vermitteln. Als ein erster Bereich sei die Beschäftigung mit vergangenen Klimaten genannt. Konzentriert sich der Review-Beitrag von 2006 noch auf die letzten Jahrhunderte (Luterbacher u. a., 2006), so wird diese Thematik im darauffolgenden Buch bereits 1

Siehe www.medclivar.eu.

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in zwei verschiedenen Kapiteln behandelt: zum einen für die historische Zeit der letzten zwei Jahrtausende (Luterbacher u. a., 2012), zum anderen für geologische Zeiträume zurück bis zum mesozoischen Tethys-Ozean (Abrantes u. a., 2012), einem erdgeschichtlichen Vorgängerstadium des späteren Mittelmeeres, das nur mehr im östlichen Teil direkte Anknüpfungen zur Tethys zeigt. Die paläoklimatische Forschung ist naturgemäß stark mit geowissenschaftlichen Rekonstruktionsmethoden verbunden, die sich unterschiedlicher Klimaarchive bedienen wie Baumringe, Pollenspektren, Eisbohrkerne, Sinterbildungen in Höhlen, Korallenriffe sowie unterschiedliche terrestrische und marine Sediment-Sequenzen (siehe Abrantes u. a., 2012). Angesichts des ausgedehnten Untersuchungszeitraums werden Klimaschwankungen auf ganz verschiedenen Zeitskalen erfasst, die sich von 106 Jahren (plattentektonisch begründet) über 105 Jahre (astronomisch induziert) und den Bereich zwischen 104 und 102 Jahren (meist in Verbindung mit Interaktionen zwischen Atmosphäre, Ozean und Kryosphäre) bis zu dekadischer und interannueller Klimavariabilität erstrecken; neben kontinuierlichen Zeitreihen werden dabei oftmals auch spezifische Zeitscheiben rekonstruiert, also räumliche Verteilungen klimatischer Gegebenheiten zu bestimmten markanten Zeitpunkten bzw. Zeitabschnitten (z.B. Höhepunkt der letzten Eiszeit; vgl. Abrantes u. a., 2012). In historischen Zeiträumen der Klimarekonstruktion gesellen sich zu den zuvor genannten Proxy-Daten neben frühen instrumentellen Messungen insbesondere auch dokumentarische Daten (z.B. Camuffo u. a., 2010), die gerade im alten Kulturraum des Mittelmeergebietes in großer Fülle anzutreffen sind. Sie beinhalten zum Teil wertvolle Hinweise auf die klimatischen Verhältnisse der historischen Vergangenheit und können ggf. auch in quantitative Klimaindizes transferiert werden (siehe Luterbacher u. a., 2006; 2012). Beispiele aus den beiden genannten Buchkapiteln wären etwa rekonstruierte Hochwasserhäufigkeiten, regionale jahreszeitliche Witterungsanomalien (warm/kalt, trocken/feucht) oder aus Schiffsbordbüchern abgeleitete historische Windverhältnisse. Hervorzuheben bleibt, dass es im Bereich der historischen Klimatologie nicht bei bloßer Rekonstruktion vergangener Klimate bleibt, vielmehr schließen sich auch statistische Analysen zur synoptischen und dynamischen Klimatologie an (etwa zur Ableitung charakteristischer Zirkulationsverhältnisse für Phasen markanter Witterungsanomalien, siehe auch Luterbacher u. a., 2010) sowie numerische Modellsimulationen, deren Ergebnisse mit den Rekonstruktionen aus Proxy- und Archivdaten verglichen werden können (Luterbacher u. a., 2006; 2012). Als zweiter aktueller Forschungsbereich zur Klimatologie des Mittelmeerraums sei das Studium mediterraner Zyklonen genannt (Trigo u. a., 1999; Campins u. a., 2011), die für hohe Anteile der dortigen Niederschläge verantwortlich sind und charakteristischen saisonalen Zyklen unterliegen. Im ersten MedCLIVARÜbersichtswerk ist ihnen ein eigenes Hauptkapitel gewidmet (Lionello u. a., 2006b), im zweiten werden sie im Hauptkapitel zu den synoptischen Mustern mitbehandelt (Ulbrich u. a., 2012). Der überwiegende Teil mediterraner Zyklonen geht aus regionaler Zyklogenese hervor, d.h. sie wandern mehrheitlich nicht aus den Mittelbreiten oder dem atlantischen Raum ein, sondern entstehen im Mittelmeergebiet selbst oder sehr nahegelegenen Regionen (wie etwa dem Atlas-Lee in

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NW-Afrika). Besondere Bedeutung kommt dabei dem Golf von Genua bzw. dem nördlichen Tyrrhenischen Meer sowie der Region um Zypern zu, entsprechend haben sich die Begriffe „Genuazyklone“ bzw. „Zyperntief“ eingebürgert. Ein spezifisches Merkmal im östlichen Mittelmeerraum sind weiterhin die red sea troughs, die eine Verbindung zum afrikanischen Monsunsystem beinhalten (Tsvieli u. Zangvil, 2005). Im Kontext der Klimaforschung interessieren jedoch nicht nur die dynamischen Bedingungen der Zyklogenese (Trigo u. a., 2002; Romem u. a., 2007) und die charakteristischen Zyklonenzugbahnen, wie sie mit geeigneten tracking Methoden analysiert werden können (z.B. Musculus u. Jacob, 2005; Flocas u. a., 2010), sondern auch längerfristige Trends der Zyklonenaktivität (nach Lionello u. a., 2006b in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts rückläufig im westlichen, jedoch ansteigend im östlichen Mittelmeerraum) sowie ihre Auswirkungen insbesondere in Gestalt von Extremereignissen bei Niederschlag, Wind, Ozeanwellen, Sturmfluten und Erdrutschen. Auch der Zusammenhang zwischen mediterranen Zyklonen und großräumigen Zirkulationsmustern wird näher untersucht (z.B. Nissen u. a., 2010). Verbleibende Herausforderungen sind nach Lionello u. a. (2006b) u. a. die unterschiedliche Datenbasis in verschiedenen Teilräumen des Mittelmeergebiets, das Erfordernis einer stärkeren Verbindung von Beobachtungsund Modellierungsstudien sowie die Abschätzung künftiger Zyklonenaktivität bei fortschreitendem Klimawandel (siehe hierzu auch Raible u. a., 2010). Ein dritter Forschungsschwerpunkt lässt sich mit der Thematik rezenter Klimavariabilität im Mittelmeerraum umreißen (siehe Bolle, 2003), wobei hier längerfristige, multi-dekadische Trends vereinfachend mit subsumiert seien (z.B. Norrant u. Douguédroit, 2006; Philandras u. a., 2011). In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde das Maximum des mediterranen Erwärmungstrends im Sommer mit Schwerpunkt im westlichen Mittelmeerraum erreicht (Jacobeit, 2000; Trigo u. a., 2006), beim Niederschlag war neben differenzierten räumlichen Mustern in den Übergangsjahreszeiten vor allem ein weitverbreiteter Rückgang im Winter festzustellen, von dem lediglich Teile des südöstlichen Mittelmeerraums ausgenommen waren (Jacobeit u. a., 2007). Ähnliche bipolare Muster sind auch beim Luftdruck identifiziert und als sog. Mediterrane Oszillation bezeichnet worden (Conte u. a., 1989, Douguédroit, 2000). Sie ist allerdings kein eigenständiger Variabilitätsmodus, sondern eingebettet in übergeordnete Schwankungen wie vor allem die winterliche Nordatlantische Oszillation (NAO), die den variablen Druckgradienten zwischen Azorenhoch und Islandtief beschreibt. Auf der Basis von zirkulationsdynamischen Studien, die den Zusammenhang zwischen atmosphärischen Strömungsmustern und regionalen Niederschlagsverteilungen untersucht haben (Dünkeloh u. Jacobeit, 2003; Xoplaki u. a., 2004), konnte gezeigt werden, dass der winterliche Niederschlagsrückgang in weiten Teilen des Mittelmeerraums mit spezifischen zeitlichen Änderungen bei mehreren großräumigen Zirkulationsmustern in Zusammenhang steht (Trigo u. a., 2006; Jacobeit u. a., 2007), wobei insbesondere gehäufte positive Phasen der NAO eine substanzielle Rolle gespielt haben. Auch die Abschwächung mediterraner Zyklonen ist in diesem Zusammenhang diskutiert worden (Trigo u. a., 2000). Allerdings schließt dies nicht aus, dass extreme tägliche Konvektionsniederschläge gleichzeitig auch zunehmen können (Alpert u. a., 2002).

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Neben längerfristigen Trends sind jedoch auch Schwankungen und Anomalien des Klimas ein wichtiger Forschungsgegenstand, insbesondere auf dekadischer (Mariotti u. Dell’Aquila, 2012) bis interannueller Zeitskala (Corte-Real u. a., 1995a). Im wechselfeuchten Mittelmeerraum richtet sich besonderes Interesse auf den Niederschlag (z.B. Maheras u. a., 1999), der erhebliche Auswirkungen auf die Wasserverfügbarkeit und damit auf die agrarische Landnutzung, die Vegetationsdynamik und die natürlichen Ökosysteme hat (Trigo u. a., 2006; Xoplaki u. a., 2012). In diesem Zusammenhang spielt die Variabilität der Zyklonenzugbahnen und der atmosphärischen Zirkulationsmodi eine herausragende Rolle, wie es erneut in den beiden MedCLIVAR-Übersichtswerken zum Ausdruck gelangt. Dabei werden im ersten Band die Beziehungen zu tropischen (Alpert u. a., 2006) sowie zu außertropischen dynamischen Systemen (Trigo u. a., 2006) in eigenen Hauptkapiteln behandelt, während im zweiten Band beides zusammengefasst unter dem Begriff Telekonnektionen (Fernverbindungen) dargestellt wird (Ulbrich u. a., 2012). Unter den außertropischen Einflüssen auf die mediterrane Klimavariabilität sind neben der bereits erwähnten NAO weitere Zirkulationsmodi wie das East Atlantic Pattern, das East Atlantic/Western Russia Pattern, das Scandinavian Pattern oder das Eastern Mediterranean Teleconnection Pattern zu nennen (Trigo u. a., 2006; Ulbrich u. a., 2012). Spezifische Auswirkungen im Mittelmeerraum werden etwa bei Xoplaki (2002), Xoplaki u. a. (2003; 2004), Quadrelli u. a. (2001), Krichak u. Alpert (2005a; 2005b) oder Hatzaki u. a. (2009) diskutiert. Tropischer Herkunft sind weitere Einflüsse auf die mediterrane Klimavariabilität, vor allem durch das ENSO-System (El-Niño-Southern-Oscillation im tropischen Pazifik), den südasiatischen und den afrikanischen Monsun sowie tropische Intrusionen in Gestalt langgezogener Wolkenbänder oder sog. red sea troughs (Alpert u. a., 2006; Ulbrich u. a., 2012). ENSO-Einflüsse wurden zuerst für die Übergangsjahreszeiten (mit saisonal entgegengesetztem Vorzeichen beim Niederschlag) festgestellt (z.B. Mariotti u. a., 2002); Seubert (2010) konnte auch einen Zusammenhang zum SpätsommerFrühherbst herstellen, wobei im Bodenluftdruck erneut die Mediterrane Oszillation in Erscheinung tritt. Fernverbindungen zum südasiatischen Monsun werden seit den 1990er Jahren diskutiert, stimuliert durch die legendäre Arbeit von Rodwell u. Hoskins (1996), in der ein Zusammenhang zwischen der markanten sommerlichen Verstärkung der antizyklonalen Absinkbewegung im östlichen Mittelmeerraum und dem Einsetzen des Sommermonsuns hergestellt wurde. Viele Einflüsse auf den Mittelmeerraum treten auch in kombinierter und verknüpfter Form auf, Seubert (2010) hat etwa ein dominantes Telekonnektions-Hauptmuster identifiziert, das den gemeinsamen Einfluss von ENSO und indischem Sommermonsun auf die spätsommerlich-frühherbstliche Niederschlagsvariabilität in weiten Teilen des Mittelmeerraums repräsentiert. Verbesserungsbedürftig bleibt die Reproduktion wichtiger Telekonnektionsmodi in den numerischen Klimamodellen (Trigo u. a., 2006), um ihren Einfluss auch unter Bedingungen des fortschreitenden Klimawandels brauchbar abschätzen zu können. Obwohl selbst integraler Bestandteil der Klimavariabilität, sind Extremereignisse gleichwohl spezifisch fokussiert (siehe z.B. Toreti, 2010; Kuglitsch, 2010), so dass sie hier gesondert als weiterer Forschungsschwerpunkt aufgeführt werden sollen. Im

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zweiten MedCLIVAR-Übersichtswerk werden sie gleich in zwei Hauptkapiteln adressiert, einmal nach Klimaelementen (Temperatur, Niederschlag, Wind, Ozeanwellen) differenziert (Ulbrich u. a., 2012), zum anderen bezüglich spezifischer Phänomene wie Hitzewellen, Dürreperioden und Extremwetterereignissen (Xoplaki u. a., 2012). So lässt sich in Teilen des Mittelmeerraums eine rezente Zunahme in Häufigkeit und Persistenz von Dürreperioden feststellen (siehe auch Sousa u. a., 2010; Hoerling u. a., 2012); treten sie im Winter oder Frühjahr auf, können sie sogar die Amplitude nachfolgender sommerlicher Hitzewellen verstärken (Xoplaki u. a., 2012). Hitzewellen ihrerseits, die im Mittelmeerraum einen stärkeren Temperaturanstieg als die sommerlichen Mittelwerte aufzuweisen scheinen (Ziv u. a., 2005), sind wiederum ein Hauptantrieb für natürliche, großflächige Wald- und Buschbrände, die im mediterranen Gebiet neben den mit kriminellem Hintergrund künstlich gelegten Feuern ein immer wiederkehrendes Problem darstellen. Klimatologisch bewegt sich die Extremereignisforschung verstärkt in Richtung zirkulationsdynamischer Studien (siehe z.B. Toreti u. a., 2010), wobei spezifische Zusammenhänge zwischen großskaligen Zirkulationsmustern und Meeresoberflächentemperaturanomalien, regionalen Mechanismen wie Zyklogenese oder Land-Atmosphäre-Kopplung und lokalen Extremereignissen aufgedeckt werden (siehe die Überblicksdarstellung von Xoplaki u. a., 2012). Dabei gelangen erneut bestimmte Telekonnektionen ins Blickfeld der Forschung, etwa tropischatlantische Einflüsse auf westmediterrane Hitzewellen oder Einwirkungen der pazifischen ENSO-Schwankungen auf Feucht- und Trockenanomalien (allerdings mit großen regionalen und saisonalen Unterschieden). Generell steht die Extremereignisforschung vor dem Problem, oftmals nur zu kurze Beobachtungszeitreihen für derartige seltene Ereignisse verfügbar zu haben und gleichzeitig auch modelltechnisch eingeschränkt zu sein durch die mit Unzulänglichkeiten behaftete Reproduktion von Extremereignissen in numerischen Modellsimulationen. Hier besteht mithin besonders großer Bedarf an gezielten Weiterentwicklungen in den kommenden Jahrzehnten. Wie bereits erwähnt sind ozeanographische Untersuchungen längst integraler Bestandteil klimatologischer Forschungen geworden, dementsprechend finden sich in den beiden MedCLIVAR-Übersichtswerken insgesamt auch vier verschiedene Beiträge aus diesem Arbeitsfeld. Die einzelnen Themen erstrecken sich dabei von Änderungen der Mittelmeer-Ozeanographie im Kontext der Klimavariabilität (Tsimplis u. a., 2006) über strömungsdynamische Zusammenhänge zwischen Atlantik und Mittelmeer (Artale u. a., 2006) sowie Antriebsmechanismen und Variabilität der Zirkulation im Mittelmeer (Schroeder u. a., 2012) bis zu Schwankungen und Trends des mediterranen Meeresspiegels (Gomis u. a., 2012). Bei letzterem Thema ist auffällig, dass während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Anstiegsrate im Mittelmeer deutlich niedriger ausgefallen ist als im globalen Mittel, was im genannten Buchbeitrag auf gegenläufige Einflüsse von Luftdruckänderungen (Anstiegstrend im Mittelmeerraum) und vertikal integrierten Wassertemperaturen zurückgeführt wird (leichte Abkühlung mit Volumenverkleinerung, erst seit den 1990er Jahren Trendumkehr). Entscheidende Bedeutung für die langfristige Entwicklung kommt den weiter zu erforschenden Massen- und Energietransporten

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zwischen Atlantik und Mittelmeer durch die Straße von Gibraltar zu (Artale u. a., 2006; Gomis u. a., 2012), wobei sogleich auch Zusammenhänge zur internen thermohalinen Zirkulation des Mittelmeeres, zu den Austauschprozessen mit dem Schwarzen Meer sowie zwischen östlichem und westlichem Mittelmeerbecken angesprochen sind (Schroeder u. a., 2012). Schließlich werden auch Einwirkungen großskaliger atmosphärischer Variabilität auf das Mittelmeer und seine Zirkulation thematisiert, Beispiele sind der Einfluss der NAO auf das westmediterrane Tiefenwasser (Rixen u. a., 2005), die Antikorrelation zwischen NAO und mediterranen Meeresoberflächentemperaturen (Tsimplis u. a., 2006) sowie der Einfluss atmosphärischer Variabilitätsmodi auf die Eastern Mediterranean Transient (EMT), eine intermittierende Verlagerung der Tiefenwasserbildung von der südlichen Adria in die Ägäis seit Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre. Josey (2003) sieht hierbei Beziehungen zum East-Atlantic Pattern (gesteuert durch ein ostatlantisches Variationszentrum der Atmosphäre), Jacobeit u. Dünkeloh (2005) weisen auf einen zeitgleichen Umschwung beim Mediterranean Meridional Circulation Pattern hin, der zu einer winterlichen Dominanz nördlicher Winde im östlichen Mittelmeerraum geführt hat. Generell lässt sich konstatieren, dass auch künftig Wechselwirkungen zwischen Atmosphäre und Ozean ein Schwerpunkt mittelmeerbezogener Klimaforschung sein werden. Zentrale Bedeutung in der Klimaforschung allgemein besitzt die Klimamodellierung, also die Simulation des Klimasystems oder wesentlicher Teile davon durch numerische, physikalisch-chemisch-mathematische Computermodelle, die entweder global ausgelegt sind (Globale Klimamodelle oder Erdsystemmodelle) oder sich in höherer räumlicher Auflösung auf begrenztere Modellgebiete konzentrieren (Regionale Klimamodelle). Der Mittelmeerraum in seiner engen Verflechtung von Ozean, Landflächen und Orographie stellt ein besonders attraktives und herausforderndes Untersuchungsgebiet auch für die Klimamodellierung dar, wie es in zwei eigenen Hauptkapiteln der beiden MedCLIVAR-Übersichtswerke zum Ausdruck gelangt (Li u. a., 2006; 2012). Der wissenschaftliche Mehrwert hochaufgelöster Regionalmodellierung wird vor allem in den thematischen Bereichen der Starkniederschlagsereignisse, der gesamten Oberflächen-Hydrologie sowie der oberflächennahen Windverhältnisse gesehen (Li u. a., 2012), Bereiche, in denen der Einfluss der äußerst differenzierten Oberflächenbeschaffenheit im Mittelmeerraum in starkem Maße wirksam wird. Der spektakulärste Fortschritt der letzten Jahre ist darüber hinaus vor allem in der Verfügbarkeit von Ensemble-Simulationen gekoppelter regionaler Klimamodelle auszumachen (Li u. a., 2012), die in ihrer Einbeziehung nicht nur der atmosphärischen, sondern auch der ozeanographischen Verhältnisse des Mittelmeeres selbst eine substanzielle Verbesserung in der Abbildung des mediterranen Klimas sowie seiner Schwankungen und Änderungen mit sich gebracht haben. Allerdings verbleiben gegenwärtig immer noch systematische Abweichungen zur kalten Seite hin (Li u. a., 2012), die durch weitere Modellentwicklungen sowie die Einbeziehung zusätzlicher Komponenten wie Vegetationsformationen und Ökosysteme und damit durch die Entwicklung hin zu regionalen Erdsystemmodellen aufgefangen werden sollten. Schon heute konvergieren die Modellabschätzungen jedoch erkennbar dahin, dass im Kontext der globalen Erwärmung das

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bereits bestehende Wasserdefizit des Mittelmeeres aus Verdunstung einerseits sowie Niederschlag und fluvialem Abfluss andererseits weiter zunehmen wird (Li u. a., 2006). Modelltechnisch erwähnenswert ist auch die jüngste Entwicklung in einigen Forschergruppen, regionale Klimamodelle für den Mittelmeerraum zu entwickeln, die wechselwirkend mit globalen Modellen gekoppelt werden, also auch Rückkopplungen an das antreibende Globalmodell zu übertragen in der Lage sind (Li u. a., 2012). Mit der Modellierung ist auch schon der nächste Schwerpunkt mediterraner Klimaforschung angelegt, die Abschätzung der weiteren Klimaentwicklung durch spezifische Zukunftsprojektionen. Sie sind nicht immer konsistent mit bereits beobachteten Klimatrends, wie es etwa für den mediterranen Niederschlag aus globalen Klimamodellsimulationen aufgezeigt worden ist (Barkhordarian u. a., 2013). Im regionalen Kontext werden angesichts der nach wie vor relativ groben räumlichen Auflösung globaler Klimamodelle (ca. 100 km) meist zusätzliche DownscalingTechniken eingesetzt, die generell in zwei Hauptgruppen unterteilt werden können: entweder man verwendet regionale Klimamodelle, die von einem globalen Modell das künftige Klimaänderungssignal übertragen bekommen und es in höherer räumlicher Auflösung auf den regionalen Bezugsraum herunter skalieren (sog. Dynamisches Downscaling); oder man zieht geeignete statistische Methoden heran, um Ausgabedaten künftiger Modellsimulationen regional oder sogar lokal herunter zu skalieren (sog. Statistisches Downscaling). Die statistischen Modelle werden anhand verfügbarer Beobachtungsdaten kalibriert und im Falle erfolgreicher Validierung mit unabhängigen Daten auf Zukunftsprojektionen numerischer Modellsimulationen übertragen, wobei man sich bei den Prädiktoren häufig auf großskalige Zirkulationsvariablen stützt (z.B. Luftdruck), die als hinreichend modellreproduzierbar gelten; allerdings werden auch regionale Modellsimulationen oder modellierte Klimavariablenfelder (z.B. Niederschlag) statistisch bearbeitet und in räumlich höher aufgelöste Projektionen transferiert. Auch die beiden MedCLIVAR-Übersichtswerke enthalten jeweils ein Hauptkapitel, das sich mit dem mutmaßlichen künftigen Klima im Mittelmeerraum befasst: wird bei Ulbrich u. a. (2006) noch konstatiert, dass die Anzahl derartiger Arbeiten bislang recht spärlich sei, liegen sechs Jahre später schon zahlreiche Studien vor, die auch klimatische Extremereignisse einschließen und in ihrer Verlässlichkeit besser eingeschätzt werden können (Planton u. a., 2012). Auf der Basis von Klimamodellsimulationen liegen Übersichtsdarstellungen für das künftige Mittelmeerklima z.B. bei Giorgi u. Lionello (2008) – aufbauend auf globalen und regionalen Multi-ModellEnsembles – oder bei Planton u. a. (2012) vor, gestützt auf ein Ensemble regionaler Klimamodelle. Atmosphärisch-ozeanisch gekoppelte regionale Simulationen finden sich z.B. bei Somot u. a. (2008) oder Dubois u. a. (2012). Desweiteren werden Wasserhaushaltsänderungen bei Mariotti u. a. (2008) und Sanchez-Gomez u. a. (2009) thematisiert, Temperatur- oder Niederschlagsextreme bei Paeth u. Hense (2005), Gao u. a. (2006) bzw. Goubanova u. Li (2007), Änderungen in den ozeanischen Wellenhöhen bei Lionello u. a. (2008) und die Entwicklung des mediterranen Meeresspiegels bei Tsimplis u. a. (2008).

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Für den zweiten methodischen Bereich statistisch abgeleiteter Zukunftsabschätzungen wird es eine Überblicksdarstellung zum Mittelmeerraum bei Jacobeit u. a. (2014) geben. Hinter dem Begriff „statistisches Downscaling“ verbergen sich nochmals unterschiedliche Verfahrensgruppen, die auf multivariaten Transferfunktionen zwischen großer und kleiner Skala, auf synoptischen Ansätzen (z.B. mittels spezifischer Wetterlagen oder Zirkulationstypen), auf stochastischen Wettergeneratoren oder auf neuronalen Netzwerken basieren. Häufig sind Studien für einzelne Teilräume des Mittelmeergebietes; als Beispiele für gesamtmediterrane Arbeiten können Jacobeit (1996; 2000), Palutikof u. Wigley (1996), Hertig (2004), Hertig u. Jacobeit (2008a;b), mit Bezug auf Extreme Hertig u. a. (2010; 2012; 2013a;b) sowie mit synoptischem Bezug Seubert u. a. (2013) genannt werden. Beim Blick in die Zukunft interessiert im Mittelmeerraum, für den die Verfügbarkeit der Ressource Wasser ein fundamentales Thema ist, besonders der Niederschlag. Hier deuten die unterschiedlichen Zukunftsprojektionen (meist bis gegen Ende des 21. Jahrhunderts) auf vorherrschende Einbußen im Frühjahr, Sommer und Herbst, während für den Winter teils voneinander abweichende Resultate vorliegen: ebenfalls rückläufige Niederschläge zeigen die globalen Klimamodellsimulationen, zunehmende Niederschläge allerdings nur im äußersten Norden des Mittelmeerraums finden sich in regionalen Modellen, weitverbreitet werden sie im Westen und Norden bei statistischen Abschätzungen indiziert (Jacobeit u. a., 2013). Noch stärker differieren die Projektionen bezüglich extremer Niederschläge; zumindest lässt sich aber für den Mittelmeerraum eine Tendenz erkennen, wonach deren Häufigkeit besser in statistischen Abschätzungen, ihre Intensität jedoch besser in regionalen Modellsimulationen repräsentiert werden kann (Hertig u. a., 2012). Neben Niederschlag und Temperatur werden auch weitere Größen in Zukunftsprojektionen einbezogen, etwa die Andauer von Trockenphasen (Hertig u. a., 2013a) oder die oberflächennahen Winde (Lavaysse u. a., 2012). Auch grundlegende methodische Weiterentwicklungen wie etwa die explizite Einbeziehung instationärer Beziehungen zwischen Prädiktoren und Prädiktanden werden jüngst anhand von Beispielen aus dem Mittelmeerraum erarbeitet und illustriert (Hertig u. Jacobeit, 2013). Schließlich sei auch noch darauf verwiesen, dass im Gefolge der Klimawandel-Debatte breitgefächerte Forschungsanstrengungen in Richtung sektoraler und regionaler Klimafolgen ins Leben gerufen worden sind, wie sie sich bezüglich des Mittelmeerraums etwa in Gestalt des integrierten CIRCE-Projekts (Climate Change and Impact Research: the Mediterranean Environment2) manifestiert haben (2008–2011). Nicht im Fokus der MedCLIVAR-Initiative, aber gleichwohl zu erwähnen sind zwei weitere klimatologische Forschungsfelder: zum einen saisonale Vorhersagen, d.h. die Abschätzung des wahrscheinlichen Grundcharakters bevorstehender Jahreszeiten (etwa hinsichtlich der vorherrschenden Bedingungen bei Temperatur, Niederschlag oder Wasserverfügbarkeit) aus geeigneten Variablen mit zeitverzögertem Einfluss auf das Klima des Mittelmeerraums. In erster Linie ist dabei an nord2

Siehe www.circeproject.eu.

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atlantische Meeresoberflächentemperaturanomalien zu denken (RodriguezFonseca u. a., 2006), aber auch bestimmte Telekonnektionen wie etwa mit den pazifischen ENSO-Anomalien beinhalten ein partielles Vorhersagepotential. Jüngere Beispiele auf der Basis statistischer Modellierungen finden sich bei Sousa u. a. (2011) sowie Hertig und Jacobeit (2010; 2011a;b), wobei allerdings auch offenkundig geworden ist, dass brauchbare mediterrane Jahreszeitenvorhersagen nicht generell, sondern nur beschränkt auf einzelne Teilregionen, Saisonabschnitte und Klimavariablen abgeleitet werden können. Zum zweiten ist auf die Stadtklimatologie zu verweisen, die sich mit der Modifikation der örtlichen Klimaverhältnisse unter dem Einfluss städtischer Baukörper befasst. Stellvertretend seien einige Arbeiten aus dem Mittelmeerraum erwähnt, die etwa den städtischen Wärmeinseleffekt im Großraum Athen quantifizieren (Mihalakakou u. a., 2004), die urbane Wärmeinsel in Vergleich setzen zu spezifischen Topographieeinflüssen und dem regionalen Erwärmungstrend (Saaroni u. Ziv, 2010) oder Zukunftsabschätzungen vornehmen, wie stark der Wärmeinseleffekt bei fortschreitender globaler Erwärmung bis Ende des 21. Jahrhunderts mutmaßlich zunehmen wird (Ozdemir u. a., 2012).

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Kunstgeschichte Kunstgeschichtliche Blicke auf das Mittelmeer: Aporien und Paradoxien Kunsthistorische Mediterranistik lässt sich als Paradox darstellen: Eine Kunstgeschichte des Mittelmeerraumes ist noch nicht geschrieben worden, zugleich begründet sich die Disziplin weitestgehend aus der Erforschung der Bild-, Ding- und der Stadtkulturen des nachantiken Mittelmeerraums. In ihrer akademischen wie musealen Etablierung übernahm die Disziplin eine Vorstellung des Mittelmeeraumes als Wiege von Zivilisation und Kunst. Damit steht sie nicht nur in der Tradition der Kulturtheorien wie -geographien des 18. Jh., sondern auch in derjenigen der Grand Tour. Die Tour gilt auch dem Nachvollzug eines Prozesses der Zivilisation, den der einzelne Reisende, – zunächst fast ausschließlich Männer – sich im Raum, in der Betrachtung von Kunstwerken, aber auch in der Zeit bewegend, am eigenen Leib durchlebt. Hierfür sei exemplarisch auf die durchaus ironischen Äußerungen verwiesen, die James Boswell (1740–1795) Samuel Johnson in den Mund legt, einem der einflussreichsten englischen Gelehrten des 18. Jh., nachdem dessen Italienreise gescheitert war: „The grand object of travelling is to see the shores of the Mediterranean. On those shores were the four great empires of the world: […] All our religion, almost all our law, almost all our arts, almost all that sets us above savages, has come to us from the shores of the Mediterranean” (Boswell, 1980, S. 742). Die sich über die „Wilden” erhebende Selbstbildung des europäischen Reisenden bedeutet das (vermeintliche) Ende der eigenen Inferiorität: „A man who has not been in Italy is always conscious of an inferiority, from his not having seen what it is expected a man should see.” Weltgeschichte und Selbstformung werden hier zusammengedacht, ähnlich wie es G.W.F. Hegel formuliert hat. Dies findet seine militärische Fortsetzung und Entsprechung in der modernen Kolonialgeschichte des Mittelmeerraumes. Die sukzessiven Versuche der Inbesitznahme der südlichen und östlichen Anrainerregionen des Mittelmeerraumes durch Mächte wie England (Malta, Gibraltar, Ägypten), Frankreich (Ägypten, Tunesien, Algerien), Österreich (Triest und der Balkan, Venedig) und Italien (Libyen), oder die maritime Dominanz etwa Russlands oder auch der Vereinigten Staaten mit eigenen gewichtigen Mittelmeerflotten gehen einher mit Museumsgründungen und Sammlungserweiterungen. Die Geschichte Griechenlands, bei der das Freiheitsversprechen mit einer an der Antike orientierten Bildwelt verknüpft wird, stellt ein weiteres Element einer Sicht auf das Mittelmeer dar. Diese politischen Prozesse öffneten und verstellten den Blick auf die Bildkulturen des Mittelmeerraumes und konditionierten mit ihren Prämissen die Fachgeschichte. Dies erklärt in Teilen auch, warum die einzelnen nationalen Kunstgeschichten und die

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kunsthistorischen Teildisziplinen unterschiedliche Sichtweisen auf den Mittelmeeraum entwickelt haben. Auch der mit Ferdinand Braudels La Méditeranée für die Geschichtswissenschaften erfolgte Aufstieg des Mittelmeeres zum Subjekt der Geschichte hat für die Kunstgeschichte zunächst keine Neuorientierung gebracht. Umgekehrt finden sich kaum Spuren kunstgeschichtlicher Lektüren in dem Werk selbst: Das von Braudel beschriebene Mittelmeer ist zwar der Umschlag- und Stapelplatz von Waren, Tieren und Menschen, es wird durchzogen von Schiffen, gesäumt von Olivenbäumen, auf der Ebene der materiellen Kultur und der Artefakte bleibt es visuell aber leer: die von Braudel beschriebenen Städte haben keine urbane Struktur, keine Architekturen und keine Bildkulturen, etc. Nur in einem kurzen und späten Aufsatz zu Delacroix hat Braudel das Mediterraneum mit künstlerischer Produktion und visuellen Kulturen in Verbindung gebracht und mehr indirekt die Frage einer Kunstgeschichte des Mittelmeeres als Möglichkeit zugelassen. Im Spätwerk Mémoires de la Méditerranée greifen er und die Herausgeber auf Artefakte in traditioneller Weise zur reinen Bebilderung seines Werkes zurück. Im Gegenzug hat die Kunstgeschichte sein Modell einer longue durée und des Zusammenspiels von Natur- und Kulturraum nicht aufgegriffen. Für eine Kunstgeschichte des Mittelmeeres gilt es daher, auf mehreren Ebenen und mit unterschiedlichen Zeithorizonten anzusetzen.

Ansätze und Hindernisse mediterraner Kunstgeschichte im 19. Jahrhundert Die umfassenden deutschsprachigen, kunstgeschichtlichen Darstellungen des 19. Jh., wie jene von Karl Schnaase, Franz Kugler oder Anton Springer schlossen das mediterrane Altertum vor allem der Levante noch in ihre Übersichtswerke ein. Springer schreibt 1855 in seinem Handbuch der Kunstgeschichte: „Indem wir die vorderasiatischen Küstenländer […] durchwandern, nähern wir uns merklich dem Schauplatze fast aller späteren Kunsttätigkeit. Es theilen diese Gebiete zwar mit Ägypten die Begrenzung durch das Mittelmeer, doch während letzteres für Ägypten in Wahrheit eine bloße Grenze bleibt, über welche hinaus der ägyptische Einfluss seine Wirkung verliert […], sind die vorderasiatischen Länder mit ihrem Dasein auf das Mittelmeer angewiesen“ (Springer, 1855, S. 50). Und doch wird die Frühzeit der Kunstgeschichte durch eine allmähliche Abgrenzung zur Archäologie charakterisiert, deren maßgebliches Operationsfeld der erweiterte Mittelmeerraum darstellt. Zugleich finden sich in ihr polare Begriffspaare wie klassisch/orientalisch wieder. Damit konzentriert sich das Feld auf die Ausbildung einer mittelalterlichen Kunst und die Rolle der beiden wichtigsten anderen Kunstgeschichten des Mittelmeerraums, d.h. der Bedeutung der byzantinischen und der islamischen Kunst, für eine Geschichte der mittelalterlichen Kunst weniger aber auf die byzantinische und islamische Kunst selbst. Schon um die Mitte des 19. Jh. hat Schnaase die sog. byzantinische Frage gestellt, d.h. das Problem der Bedeutung von Byzanz für die mittelalterliche Kunst des Westens in den Blick genommen. Auch aufgrund der damals geringen Zahl bekannter

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Denkmäler war das Byzanzbild geprägt von negativen Zuschreibungen, wurde die byzantinische Kunst als Produkt einer orientalisierten, statischen Kultur klassifiziert. Die genannten Autoren nehmen auch islamische Architektur und Ornamentik in ihre Überblicksdarstellungen auf, die Ausführungen sind aber proportional knapp gehalten und aus einer eurozentrisch-orientalistischen Perspektive beschrieben. Der in den Chronologien springende Punkt für die Selbstbestimmung der Kunstgeschichte liegt früher, nämlich in der Spätantike bzw. am Beginn des schon im vierten Jh. angesetzten „Mittelalters“, und damit an dem historischen Augenblick oder Ort, an dem die Kunstgeschichte die Trennlinie zur Archäologie gezogen hat. Hier lag eine methodische Herausforderung: Einerseits im Hinblick auf entwicklungsgeschichtliche Narrative, auf solche der Migration und Diffusion, der Brüche und Invasionen andererseits. Darin ist aber auch der Übergang eines mediterranen Raummodells zu einem religiösen, dynastischen oder gar nationalen enthalten. Wilhelm Lübke (1826–1893), Professor an der Berliner Bauakademie und in Zürich, Stuttgart und Karlsruhe, schreibt in seinem Grundriss der Kunstgeschichte von 1860 zur „altchristlichen“ Kunst: „Ihr Schauplatz bleibt zunächst der um das Mittelmeer geschlossene Kreis der antiken Kunstwelt; in der späteren Zeit treten die nordischen Völker zerstörend und auflösend in diesen Kreis ein. Damit wird der Übergangsperiode der altchristlichen Kunst ein definitives Ziel gesetzt und eine neue Bahn der Entwicklung eröffnet, die der nationalen Kunstweisen.“ Andere haben von nationalen Stilen gesprochen. Damit ist ein die Kunstgeschichtsschreibung und andere Wissenschaftssprachen dominierendes Paradigma aufgestellt, das einen transnationalen Diskurs marginalisiert, bzw. stark mit einer Zuordnung von Stil, Territorium und Gruppe/Volk operiert. Wenn wir hier nach den historiographischen Ansatzpunkten für eine kunsthistorische Mediterranistik suchen, die auf Interaktion der Kulturen, Religionen und Gemeinschaften in den ästhetischen Praktiken ausgerichtet ist, ja für eine die Kulturen selbst formierende Dimension hält, steht dem dieses auf lange Sicht dominante Interpretationsmodell entgegen. Man kann dies beispielhaft an der frühen Geschichte der Kreuzzugsforschung zeigen: Forscher wie Charles-Jean-Melchior Marquis de Vogüé (1829–1916) oder Camille Enlart (1862–1927) sehen die Monumente der lateinisch beherrschten Levante primär als Siegeszug französischer Kunst oder als Extension französischer Romanik an, auch wenn Enlart im Detail Sensibilität für die Aufnahme byzantinischer bzw. islamischer Formen in der Architekturdekoration zeigt. Wenn sich die europäischen Staaten gleichzeitig als mediterrane Kolonialmächte positionieren, werden die zivilisationstheoretischen Modelle nicht nur ausgebaut, sondern gleichsam invertiert: die heruntergekommene Wiege der Kultur, die archaisierte Welt der Ruinen und die Spuren einstiger Blüte sollen nun gerettet, musealisiert, studiert und nachgeahmt werden. Schon die im Zusammenhang mit Napoleons Ägyptenfeldzug initiierte Description d’Ègypte steht für eine erweiterte Denkmälerkenntnis – etwa von fatimidischen oder mamelukischen Inschriften – und neue wissenschaftliche Methoden; mit der Eröffnung des Suezkanals gerät dann die Geschichte des Mittelmeerraumes unter neuen geopolitischen Vorzeichen in den Blick, bei dem Vergangenheit und Moderne radikal aufeinander zu stoßen

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scheinen. Der Bau des Kanals ist das Ergebnis eines veränderten Machtgefüges im Mittelmeer, er wirkt aber auch auf dieses zurück, er befördert die Schwächung des Osmanischen Reiches und stützt die Kolonialmächte als neue Akteure. Der feierlich unter Anwesenheit der europäischen Mächte eröffnete Suezkanal steht für ein neues Mittelmeerverständnis, das etwa in Italien mit Hoffnung auf eine alt-neue mediterrane Rolle des Landes, welches sich in diesen Jahren als Nation konstituiert, verknüpft wird. Seine historischen Baudenkmäler und Kunstwerke werden nun verstärkt als Zeugnisse einer auch mittelalterlichen mediterranen Vergangenheit der Halbinsel verstanden und entsprechend restauriert. So etwa in Venedig, Pisa, Amalfi oder auf Sizilien. Auch das junge Medium der Photographie trägt entscheidend zu dieser Herausbildung eines doppelten, komplexen Narrativs von Nation, ebenso wie von mediterranem Verfall und einstiger Blüte bei. Inwieweit diese Modelle in der Kunstgeschichtsschreibung Italiens im Zuge der nationalen Einigung verhandelt werden, wäre zu untersuchen. Für die Geschichte der Archäologie sind diese Prozesse unmittelbar nachvollziehbar. Dies spiegelt sich in den Museumsgründungen und -erweiterungen wie dem Transfer des Parthenonfries nach London durch Lord Elgin oder später des Pergamonaltars nach Berlin. In Istanbul trat 1881 Osman Hamdi Bey (1842–1910) als Gründungsdirektor des neuen archäologischen Museums im Topkapi Palast an. Mit der Aufstellung der Sidonsarkophage kommt es hier für die Archäologie zu einer pointierten Gegenüberstellung von „klassischer“ und „orientalischer“ Kunst1. Was jedoch ist der Ort der Kunstgeschichte in diesen primär mit archäologischen sites und Artefakten geführten Debatte und inszenierten Narrative?

Die Debatte um die Spätantike und die Entstehung der mittelalterlichen Kunst um 1900 (Riegl, Strzygowski) Eine der großen Debatten der Kunstgeschichte um 1900 galt der Frage nach der Entstehung der christlichen wie mittelalterlichen Kunst. Alois Riegls (1858–1905) Werk Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn im Zusammenhange mit der Gesamtentwicklung der Bildenden Künste bei den Mittelmeervölkern, Wien 1901 führt als eines von wenigen Werke einen mediterranen Begriff im Titel, wenn auch nicht unmittelbar als räumliche Bezeichnung. Sein Werk sollte Funde aus Österreich-Ungarn katalogisieren. Grundthese ist eine Kritik an der oben nach Wilhelm Lübke zitierten Auffassung, die mittelalterliche Kunst sei eine Folge des Zusammenbruchs Roms, des Zerstörungswerks von Barbaren aus dem Norden. Vielmehr argumentiert Riegl, dass der neue flächige, abstrahierende Stil, dessen erstes Auftreten viele Autoren in den zeitgenössischen Friesen des römischen Konstantinsbogens erkennen wollten, eine Fortentwicklung der antiken Kunst selbst sei, aus der sich schließlich sowohl die byzantinische als auch die islamische Kunst ausgebildet hätten. Riegl verweist dabei sowohl auf Arbeiten Franz Wickhoffs (1853–1909) als auch seine eigenen Stilfragen von 1893, wonach das „by1

Bahrani, 2011; Shaw, 2003.

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zantinische und sarazenische Pflanzenrankenornament des Mittelalters im Wege direkter Entwicklung von dem klassisch-antiken Pflanzenrankenornament abstamme“ und damit kein Verfall, sondern ein gewisser Fortschritt zu konstatieren sei (Riegl, 1893; 1901; Strzygowski, 1901; 1918). Riegl kommt dann zu einer grundlegenden Aussage für den nachantiken, mittelalterlichen Mittelmeeraum: Es fehle „eine geschlossene Kette datierter Denkmäler aus dem Gebiete der Mittelmeervölker. Es hat zwar gewiss auch in dieser vom Bildersturme heimgesuchten Periode nicht an einem bestimmten Maße des Fortschritts in der Entwicklung gefehlt, […] weil die großen Umwälzungen und Neuerungen mindestens bei den Mittelmeervölkern zur Zeit Justinians alle schon geschehen waren und daselbst in den letzten zwei Jahrhunderten vor Karl dem Großen zwar kein absoluter Stillstand — der a priori unmöglich ist — wohl aber ein sehr langsames Fortschreiten der Entwicklung auf allen ethischen und ästhetischen Gebieten zu verzeichnen ist. Von der Mitte des sechsten Jahrhunderts an wendet sich das Interesse der Kunstforschung überwiegend den von Barbaren besiedelten Teilen des vormaligen weströmischen Reiches zu.“ Hier fällt also der Mittelmeeraum in einer gleichsam Braudel‘schen Zeitordnung der langen Dauer oder langsamen Veränderungen allmählich aus der Geschichte. Einige Zeilen weiter bringt Riegl die Beziehung der christlichen zur jüdischen Kunst in seine Argumentation ein. „In der Zeit, da der Islam aufkam und im oströmischen Reiche der Bildersturm wütete, hat sich auch die christliche Kulturanschauung in beträchtlichem Maße der jüdischen genähert, die ein Wettschaffen mit der organischen Natur überhaupt als unzulässig und harmoniefeindlich […] erklärt hatte. Es liegt auf der Hand, dass von einer solchen Zeit die Betätigung eines aufstrebenden positiven Kunstwollens in Skulptur und Malerei in nennenswertem Grade nicht erwartet werden kann, wenngleich dasselbe […] selbst für diese Zeit nicht schlankweg geleugnet werden darf.“ Riegls Einschätzung mediterraner Kunst des sog. Frühen Mittelalters oder der langen Spätantike ist bei aller Zelebration der ästhetischen Errungenschaften ambivalent, er sieht Rom im Grunde als ein Zentrum multikultureller Verhandlungen, bringt sie aber unter die vereinigende Kraft eines „Kunstwollens“. Dies lässt das „Leben der Formen“ weitgehend unabhängig werden von historischen Dynamiken, jedenfalls erlaubt es ihr rein formales Studium. Wenn Riegls Kunstindustrie auch weitestgehend frei von nationalen Zuschreibungen und Konzepten des Nationalcharakters ist, liegt darin doch ein eurozentrisches Fortschrittsmodell. Strzygowski dagegen hat in seinem ebenfalls 1901 erschienenen Buch „Orient oder Rom“, das eine stark polemisch geführte Debatte ausgelöst hat, aber auch viele Anhänger fand, ebenso wie in späteren Publikationen eine überaus problematische Opposition konstruiert zwischen „mittelmeerischer Machtkunst“ mit ihrer Rhetorik und „nordischer Freiheit“, zu der in seiner Lesart in einem deutschsprachig geprägten Philhellenismus ursprünglich auch die Griechen als „Nordvolk“ zählten. Strzygowski war dennoch ein großer Kenner des Mittelmeeraumes, aber auch Armeniens, des Kaukasus und des Iran. Er arbeitete und argumentierte in einem weiten geographischen Raum, postulierte aber in immer stärker rassenideologisch aufgeladenen Texten die Migration indogermanischer, arischer Kunstformen. Er nahm insofern das Konzept der charakteristischen

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Völkerstile des 18. Jh. auf, deutete es jedoch „völkisch“ um (Elsner, 2002; Wood, 2004; Schödl, 2011).

Disziplinäre Grenzziehungen mediterraner Kunstgeschichten im frühen 20. Jahrhundert Die Debatte um die Spätantike fällt in die Zeit der Ausdifferenzierung in eine europäische, byzantinische und islamische Kunstgeschichte sowohl in der akademischen Kunstgeschichte wie im Aufbau der großen Museumssammlungen. Die wissenschaftlichen Auseinandersetzungen um die kunsthistorische Verortung der um 1900 nach Berlin verbrachten Mschatta-Fassade ist ein gutes Beispiel (Troelenberg, 2014), die Ausstellung „Meisterwerke muhammedanischer Kunst“ in München 1910 ein anderes (Troelenberg, 2011), wobei die Debatte Riegl – Strzygowski zumindest implizit eine Rolle spielte. Dies bedeutete die Aufteilung des Mittelmeeraumes in Subdisziplinen, die jeweils eigene Narrative ausbildeten. Die Historiographien der islamischen und der westlichen Kunstgeschichte des sog. Mittelalters sind gut bearbeitet, weniger jene der byzantinischen. Es genügt hier festzuhalten, dass dort, wo die Forschung nicht ohnedies von zivilisationstheoretischen Grundannahmen geleitet wird, in allen Bereichen eine Argumentation nach Dynastien und eine mehr oder weniger darauf bezogene Abfolge von Stilen dominiert. Westliche und byzantinische Kunstgeschichte sind weitestgehend einem Reichsmodell mit einer Dynamik von Zentrum/Zentren und Peripherien verpflichtet, das in der Forschung zu Konstantinopel im „Kult“ des Hauptstädtischen kulminiert. Zugleich blieb zwischen Byzanz und dem Westen immer die Tür der byzantinischen Frage offen: eine besondere Aufmerksamkeit galt solchen Artefakten, die sich nicht genau zwischen Byzanz und dem Westen verorten ließen. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein wird dies allerdings kaum in eine Frage nach übergreifenden mediterranen Dynamiken eingebracht.2 Die neuen Subdisziplinen der Kunstgeschichte wandern vielfach ab in die Fachgebiete Byzantinistik und Islamwissenschaft bzw. Orientalistik, erstere mit der Spätantike und frühchristlichen Archäologie auch in die theologischen Fakultäten, bzw. in die Judaistik/Jewish Studies. In den betreffenden departments fanden und finden diese „Kunstgeschichten“ zwar einerseits philologische und historische Kompetenz etc., aber andererseits bot und bietet sich kaum Raum für Dialoge zwischen den Kunstgeschichten. Wo solche statthatten, wurden die Debatten bilateral geführt, wie etwa zwischen christlicher Archäologie und jüdischer Kunstgeschichte um die Frühgeschichte der Darstellungen biblischer Themen (etwa im Zuge der Entdeckung der Wandmalereien der Synagoge von Dura Europos 1932 etc.). Wenn einzelne Forscher/innen für übergreifende Diskurse offen waren und auch in transkulturellen Zusammenhängen dachten, ist ein methodischer Entwurf hierfür erst eine Agenda des 21. Jh. geworden. 2

Zur kunsthistorischen Byzantinistik vgl. Koenen u. Müller-Wiener, 2008.

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Zwei Schiffsreisen im Mittelmeer, 1933: Spanische Kunstgeschichte und Moderne Architektur Während die Kunstgeschichte des mediterranen Raums in den ersten Jahrzehnten des 20. Jh. in Subdisziplinen aufgeteilt wird, gibt es in derselben Zeit mediterrankoloniale Dynamiken in den Künsten und der Architektur, die eine historische Reflektion involvieren und nun ihrerseits Thema kunst- wie architekturhistorischer Forschung geworden sind (Lejeune u. a., 2010). Es gibt durchaus Affinitäten und Berührungen zwischen diesen beiden Sphären, die aber noch wenig erforscht sind. Zu denken ist etwa an die nahezu gleichzeitigen Schiffsreisen der Facultad de Filosofia y Letras der Universität Madrid mit der Architekturfakultät der Universität Barcelona („crucero universitario por el Mediterráneo”) im Sommer 1933, und jene des CIAM von Marseille nach Athen – an Bord war u. a. Le Corbusier, gefilmt hatte sie Moholy-Nagy –, an deren Ende die berühmte Charta von Athen verabschiedet wurde. Die Reiseroute der ersteren mit der Compañía Transmediterránea schloss Landgänge in Tunis, Susa, La Valleta, Alessandria, Haifa, Candía, Rhodos, Smyrna, Istanbul, Thessaloniki, Athen, Nauplion, Itea, Katakolon, Syrakus, Palermo, Napoli, Palma de Mallorca und Valencia ein, an Bord waren 188 Professor/innen und Studierende, unter ihnen die Schlüsselfigur der spanischen Kunstgeschichte Manuel Gómez Moreno und seine Tochter María Elena, ebenfalls eine Kunsthistorikerin, sowie die Archäologen Antonio García y Bellido und Martín Almagro Basch (Crucero, 1995–1996; Fullola i Pericot u. Gracia Alonso, 2006). Viele der akademischen Reisenden, die sich z. B. mit der arabischen Kultur und Kunst Andalusiens befassten, hatten dabei zum ersten Mal die Möglichkeit der Begegnung mit islamischen, byzantinischen oder lateinischen Monumenten des Mittelmeerraums außerhalb der iberischen Halbinsel. Die Erfahrungen aus dieser und anderen mediterranen Aktivitäten der späten 2. Republik im Rahmen ihrer auf unmittelbare Anschauung ausgerichteten Bildungsideale hat jedoch nicht zum Curriculum einer mediterranen Kunstgeschichte geführt, sondern wurden in den Dienst einer nationalen Forschungsagenda gestellt. Vereinfacht gesagt war die Kunstgeschichte Spaniens in den folgenden Jahrzehnten durch Fraktionsbildung und territoriale Schwerpunkte charakterisiert, zum einen etwa die kastilische Perspektive, die auch nach Andalusien mit seinen islamischen Monumenten blickte, zum anderen eine katalanische, welche mediterrane Aspekte einschloss, deren Mittelmeer aber fast ausschließlich aragonesisch bestimmt war, und damit Italien, aber weniger den arabischen Raum einbezog, obwohl katalanische Kaufleute im Mittelalter dort durchaus aktiv waren. Während in den Jahrzehnten Francos die nationale Perspektive forciert wurde, kam es nach seinem Tod und der Neugründung der Monarchie mit der Stärkung der Autonomie der comunidades und deren Förderpolitik zu einer starken Regionalisierung kunsthistorischer Forschung, die (auch mit stilistischen Zuschreibungen) Identitätspolitiken zuarbeitete und sich oft nicht von historischen Herrschaftsräumen, sondern aktuellen, administrativen Grenzziehungen leiten ließ. Gleichwohl ist die Kunstgeschichte Spaniens (wo immer sie betrieben wird) auch bei einem regionalen Fokus mit Monumenten konfrontiert, deren Beschreibung die traditionellen europäischen Chronologien der Stile (Romanik,

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Gotik etc.) problematisch erscheinen und nach den historischen Dynamiken der Appropriationen, Amalgamierungen oder Koexistenz künstlerischer Idiome fragen lässt. Die Einführung von „Mudejar“ als Stilbegriff schon um 1850 ist ein Versuch, diese Phänomene kunsthistorisch zu fassen: man denke an die weiße Synagoge in Toledo oder den Alcázar in Sevilla, in seiner Beschränkung auf Spanien bleibt der Begriff aber exkludierend. Das 1948 von dem Historiker Américo Castro formulierte Konzept der Convivencia ist auch in der Kunstgeschichte beachtet worden, hat aber in dieser Disziplin selbst nicht zu einer transmediterranen Öffnung geführt. Umgekehrt fehlen die Monumente Cordobas und Sevillas in keinem Überblickswerk zur islamischen Kunstgeschichte.3 Zurück zum Jahr 1933: Im Unterschied zum crucero war die Reise des CIAM ein itineranter Kongress, in dem u. a. Le Corbusiers Blicke auf Algier und die Ägäis als ein panmediterranes Konzept der Architektur propagiert wurden (Lejeune u. a., 2010). Die zutiefst kolonialen Aspekte dieser Position hat u. a. Crane herausgearbeitet, sie zeigt, wie Le Corbusier Marseille und Algier verähnlicht und zusammenrückt (Crane, 2011). Einen Brief an den Bürgermeister von Algier, Charles Brunel, beendete Le Corbusier mit den emphatischen Worten, dass Algier mit der Architektur und der Urbanistik der Moderne seinen kolonialen Charakter verliere und zur Hauptstadt Afrikas werde: „Das heißt, dass große Aufgaben auf sie warten, aber auch eine großartige Zukunft. Das heißt, dass die Stunde der Stadtplanung Algier erfassen soll” (Le Corbusier, 1934; Celik, 1997.) Nach Le Corbusier sollte Algier ein Geviert aufspannen mit Paris, Barcelona und Rom. Le Corbusier und seine Bauten in Marseille – die Unité d’Habitation –, und seine nicht realisierten Pläne für Algier sind wichtige Agenten in einer Geschichte der Erfindung einer sich gelegentlich antikolonial gebärdenden kolonialen „Méditerranée“ (Göckede, 2006). In den Debatten und Entwürfen der modernen Architektur ist der Mittelmeerraum in seinen monumentalen Bauten vor allem Griechenlands und Roms einerseits längst vergangenes Repertoire einer Klassik, in seiner vernakulären Wohnarchitektur andererseits geradezu geschichtslos und naturhaft (im Sich-Einfügen in die Landschaft, ihrer Beziehung zu Licht und Sonne) (Celik, 2010); gerade aus diesem Gegensatz heraus befindet er sich im vermeintlichen Aufbruch zu einer großartigen Zukunft. In all dem werden Paradigmen des Mittelmeerverständnisses fassbar, wie wir sie ähnlich auch in der Photographie und Malerei finden, zu denen orientalistische Momente hinzutreten können, wenn sie nicht Motivation waren (Jirat-Wasiutyński, 2007).

3

Vgl. für einen jüngeren Ansatz der kunst- und literaturwissenschaftlichen Convivencia Forschung für Kastilien: Paulino Montero, 2012; Dodds u. Menocal, 2008; Puerta Vilchez, 1997 zu Al-Andalus und der klassischen arabischen Ästhetik.

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Aby Warburgs „Flügelschlag des Mittelmeerbeckens“ und die mediterranen Projekte des emigrierten Warburg-Instituts in London An diesem Punkt kehren wir nochmals zur Kunstgeschichte der ersten Jahrzehnte des 20. Jh. zurück, und fragen nach den mediterranen Aspekten bei Aby Warburg (1866–1929) und seinem Umfeld, insbesondere der Bedeutung des Mediterraneum für die Generation der Emigranten nach 1933 bzw. 1945. Es ist evident, dass Warburg kein Mediterranist, sondern ein Theoretiker oder Empiriker des Europagedankens war. Zugleich führte ihn seine Forschungsagenda in den Mittelmeerraum, den östlichen zuvörderst.4 Warburg spricht vom „Erbgut“, aber auch vom „Flügelschlag des Mittelmeerbeckens“ und argumentiert mit Migrationen oder „Wanderstraßen“, die sich hier durchkreuzen oder begegnen (unter grundlegend anderen Prämissen als bei Strzygowski, aber doch mit einem vergleichbaren kartographischen bzw. geographischen Ansatz). Das Mittelmeer, das für Warburg als Raum zwischen Orient und Europa Anteil an beiden hat, wird so gleichsam die Bühne für den steten Kampf zwischen Magie und orgiastischen Energien auf der einen und Kontemplation wie Berechnung auf der anderen Seite. Diese Polarität hat Warburg mit einer Opposition von Alexandria und Athen gleichgesetzt, wobei die Position Alexandrias problematisch bleibt: Steht die spätantike, multikulturelle Stadt für einen Rückfall in magisches Denken, welches die perseische Klarheit Athens trübt oder für den Ort „orientalischer Magie“? Perseus ist bei Warburg der Überwinder der Monstren. Es gibt für den Hamburger Gelehrten gleichsam einen doppelten Orient, ein vorgeschichtliches Substrat dionysischer Energien und einen nachklassischen Raum der „Wanderbewegungen“, vor allem kartierbar in Astronomie oder Sternenglauben, welche Alexandria, Bagdad, Indien, Spanien und dann Padua und Italien involvieren, dabei Wissen transportierend, aber griechisches Denken zunächst verunklärend. Und schließlich gibt es bei ihm Ansätze für die Verwandlung dieses Modells in eine transhistorische Dynamik oder Spannung: im Drama von Bild und Gedächtnis, sei es kollektiv oder individuell. Das meint auch jene Spannung zwischen einer longue durée (avant la lettre) des Nachlebens der Antike und der Eruption verborgener Energien. Im Mittelmeerraum verschränken sich die Dynamiken von Bewegungen von Ost nach West sowie von Süden nach Norden, er ist ein Labor für die Formierung eines athenischen Europa. Italien ist insofern zentral für Warburg, als er in dessen Geschichte Partizipation und Auseinandersetzung mit mediterranen Traditionen erkennt und darin wiederum die Grundlage für Humanismus und die Errungenschaften der Renaissance als eines Höhe- und zentralen Bezugspunktes europäischer Kultur. Aus der Sicht des Renaissanceforschers sind die großen Wanderbewegungen jedoch immer schon Vergangenheit. Warburgs „Orientalismus“ muss hier nicht auf seine Quellen hin befragt werden, in seinem Europäismus nimmt er in manchem Henri Pirennes Position vorweg, er blieb aber zugleich offen für die kulturellen Transformationsprozesse und förderte die Erforschung der postulierten „Wanderwege“ in der Kultur4

Vgl. etwa die Rede Warburgs in Hamburg am 21. August 1929 vor dem Kuratorium der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek (Saecula Spiritalia, Bd. 1, 1979, S. 309).

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wissenschaftlichen Bibliothek Warburg (KBW), vor allem der arabischen Wissenskultur des Mittelalters. Zusammenfassend gesagt: Warburgs „Karten“ öffnen zum einen ein historisches Forschungsfeld für den Kulturtransfer Ost-West in einer Zeitachse von der Vorantike bis in die Neuzeit. Hier wird philologische und archäologische Kompetenz auf höchstem Niveau eingefordert. Die Kulturen des ‚Orient’ werden in ihrem vermeintlichen Ringen mit ‚archaisch orgiastischen Praktiken’ positiv gedeutet. Zum anderen und zugleich wird dieser Orient zum Äquivalent für ein prä- und transhistorisches Substrat, dessen Überwindung eine Leistung und ein unabschließbarer Auftrag „Europas“ sei, das wiederum in der steten, aber instabilen Kanalisierung ‚orientalischer’ Urkräfte seine Lebensenergie forme. Das ‚Laboratorium kulturwissenschaftlicher Bildgeschichte’, das Warburg entwirft, ist unter diesen Prämissen ein mittelmeerisches, euro-asiatisches, wenn nicht potentiell gar ‚globales‘ Unterfangen.5 Forschungsschwerpunkt des 1933 nach London emigrierten Instituts mit Fritz Saxl als erstem Direktor war die Bedeutung des mediterranen Altertums für Europa, und dazu gehörte wie schon in der Hamburger Zeit auch die arabische und jüdische Philosophie wie Wissenschaft, kaum aber die islamische Kunstgeschichte, wiewohl sich einzelne Gelehrte mit islamischer Kunst befassten. Die umfangreichste einer Reihe von sehr beachteten photographischen Ausstellungen der ersten Londoner Jahre fand 1941 statt und trug den Titel „England and the Mediterranean Tradition“ (Mazzucco, 2011). Die Ausstellung war darauf angelegt, die klassische Tradition gegen die faschistische Inanspruchnahme zu verteidigen und Englands Verbundenheit mit dem Humanismus zu betonen. Sie wurde begleitet von einer Serie von Vorträgen, die 1943/44 unter schwierigsten Bedingungen in der Zeitschrift der Bibliothek und des Courtauld Institute (JWCI) publiziert wurden und 1945 unmittelbar nach Kriegsende mit einem knappen programmatischen Vorwort versehen, erneut als Sammelband gedruckt wurden: „In the title of this book the word [Mediterranean] is intended to cover the tradition whence Europe has drawn her nourishment through the centuries, in its antique, early Christian, mediaeval, Renaissance and post-Renaissance forms.“ 1948 erschien dann der Katalog „British Art and the Mediterranean“, herausgegeben von Fritz Saxl und Rudolf Wittkower; er umfasste die Bildtafeln der Ausstellung und sollte Englands europäische Rolle in der Nachkriegszeit betonen.

Die Debatte um Kreuzfahrerkunst in mediterraner Perspektive und die Frage nach der Islamischen Kunst (1950–1980) Man könnte fortfahren, den Ort des Mediterranen im Werk einzelner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auszumachen, und dies jeweils im Horizont nationaler, religiöser, disziplinärer oder anderer Kontexte analysieren. Man denke neben den genannten Autoren etwa an den russischen Byzantinisten Nikodim P. 5

Warburg, 1920, S. 535.Vgl. dazu die ausführlichere Einschätzung des Ost-West Narrativs unter „mediterraner“ Perspektive in Wolf, 2009.

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Kondakov (1844–1925), den französischen Mediävisten Paul Deschamps (1888– 1974), der in Syrien forschte, oder den italienischen Orientalisten Ugo Monneret de Villars (1881–1954). Und doch ergäbe dies keine Bibliothek kunsthistorischer Mediterranistik. Kunsthistorische monographische Arbeiten, die den Begriff Mittelmeer im Titel tragen, gibt es nur wenige. Wo er auftritt, handelt es sich meist um Sammelbände, sei es Aufsatzsammlungen, Kongressakten oder Kataloge, erschienen zwischen 1950–1980. Anders als in den früheren Auseinandersetzungen um die Spätantike betreffen die dort verhandelten Diskussionen aber kaum noch das Fach als Ganzes, wenn auch einzelne Beiträge größere Debatten ausgelöst haben, wie die Schriften von Kurt Weitzmann. Zu denken wäre etwa an Hugo Buchthal (1909– 1996), der noch in Hamburg bei Panofsky promovierte und mit der KBW ins Londoner Exil ging: Seine gesammelten Essays erschienen 1983 als Art of the Mediterranean World. Anders als der Titel nahelegt, lässt sich das Buch jedoch nicht als Überblick oder Einführung in eine kunsthistorische Mediterranistik lesen. Gravitationszentrum der Essays sind fast ausschließlich die Kreuzzüge einschließlich der lateinischen Herrschaft über Konstantinopel, das neben der Spätantike wichtigste Thema oder Konfliktfeld kunsthistorischer Mittelmeer-Forschung. Konzentrierte sich die Frühzeit der Kreuzzugskunstgeschichte auf Architektur, begann nun eine intensive Erforschung der Buch-, Wand- und Ikonenmalerei. Buchthal hatte schon in Miniature Painting 1957 Modelle für die Entstehung nicht in den eingeführten Stillagen mittelalterlicher Kunst beschreibbarer Werke elaboriert, wie vor ihm schon Thomas Sherer Boase (1898–1974): „Miniature Painting in the Crusading Kingdom […] was not a colonial art. It had a distinctive style of its own, which was not derived from any single source […]. The masters of Jerusalem or Acre were either foreigners themselves. Not only did they work in their own tradition but, more often than not, they were also given models to copy which had been imported from a different region of the Latin West or from Byzantium. They were thus bound to produce works in which several styles are superimposed on one other. […] Thus miniature painting in the Crusading Kingdom developed into a very composite art, subject to influences which were the result of local conditions. […] The surprising thing is that […] something like a local style and a local tradition of unmistakable identity should have emerged at all“ (Buchthal, 1957; Folda, 2006). Mit den hier formulierten Problemen sollte sich das Fach noch einige Jahrzehnte herumschlagen. Wenn hier zwar die Pluralität angesprochen wird, so lässt sich doch eine Leerstelle ausmachen: diejenige der Bedeutung der lokalen Kunst – das heißt nicht zuletzt auch der islamischen Kunst. Kurt Weitzmann (1904–1993), der 1935 aus Deutschland emigrierte, nachdem er den Beitritt zur NSDAP verweigert hatte, präsentierte in zwei Aufsätzen (1963 u. 1966) das Corpus von Kreuzzugsikonen im Katherinenkloster am Sinai, wobei diverse Spielarten des crusader style unterschieden wurden: veneto-byzantinisch, franco-byzantinisch oder auch apulisch-byzantinisch. Man sieht, dass es im Gegensatz zur Architektur nicht primär um nationale Setzungen geht, nicht mehr um den harten Gegensatz fränkische Architektur versus byzantinische Malerei, sondern sich ihm im Kern die Frage nach der Konstitution von sog. „gemischten“ Stilen stellt. Dies ist eine mediterranistische Fragestellung, welche hier jedoch mit den

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Rastern traditioneller kunsthistorischer Fragen und Methoden angegangen wurde, in erster Linie der Frage nach der Herkunft der Künstler, die gleichsam einen Stil „im Gepäck“ trugen, sich aber auch einer neuen Umgebung oder neuen Aufgaben anzupassen vermochten. Weitzmann hatte gesehen, dass sich auf die Frage der Provenienz der Künstler nicht immer eine eindeutige Antwort geben ließ, daraus aber keine methodisch weiterreichenden Konsequenzen gezogen. Die Debatte konzentrierte sich auf das 13. Jh. und fokussierte insbesondere die Rolle von Akkon. Weitzmanns Modell wurde von Hans Belting in zwei Aufsätzen (1978 u. 1982) in Frage gestellt, in denen er sich u. a. gegen das traditionelle Verständnis einer maniera greca wandte. Er postulierte demgegenüber die Existenz einer mediterranen, letztlich von Venedig dominierten lingua franca, womit Weitzmanns Vorstellung von in der Levante Seite an Seite arbeitenden fränkischen und italienischen Künstlern, die allmählich in der Aufnahme byzantinischer Elemente einen eigenen Stil entwickelten, hinfällig würde. Zugleich wäre auch die radikale Grenze zwischen Ost und West aufgehoben und den Künstlern des 13. Jh. zugestanden, byzantinische und andere Elemente kreativ zu verbinden, ohne dass sie sich deshalb auf eine stilistisch-geographisch definierte „Herkunft“ festlegen ließen. Damit wird dem 13. Jh. ein stark mediterranes Profil zugeschrieben, die Kreuzfahrerkunst auf das 12. Jh.eingegrenzt. Nicht alle Autoren sind Belting darin gefolgt, die kritische Debatte führte aber zu neuen Deutungen der sog. Kreuzfahrerikonen bzw. der Malerei des 13. Jh.6 Hier liegen wichtige Ansätze einer mediävistischen mediterranen Kunstgeschichte. Es seien noch zwei Aspekte dieser Debatten angesprochen, die sich zum Teil gerade aus deren Blind- oder Leerstellen ergeben: Zum einen die marginale Bedeutung, die der islamischen Kunst darin zugedacht wurde. Buchthal bildet hier eine gewisse Ausnahme, gerade in den späten 30er und 40er Jahren hatte er über islamische Buchmalerei und Metallarbeiten publiziert. Beltings lingua franca schließt islamische Kunst nicht mit ein, das lag nicht im Horizont seiner Fragestellung auf dem CIHA Kongress von 1978, die letztlich eine neue Position zur byzantinischen Frage war. In seinem späteren Opus Florenz und Bagdad (2009) hat er die Begegnung zwischen islamischer Kultur und italienischer Kunst dann im Sinne einer Opposition beantwortet, mit dem Islam als zunächst innovativem, fortschrittlichem und impulsgebendem, dann aber rückschrittlichem bzw. zurückbleibendem Partner eines Ost-Westdialogs bzw. Blickwechsels. Die Frage nach dem impact der islamischen Kunst auf den Westen sollte auf demselben Kongress in Bologna Oleg Grabar (1929–2011) behandeln; wir kommen auf seine Arbeiten zurück. Zum anderen sei hingewiesen auf die Problematik von Buchthals Behauptung, dass Kunst in den Kreuzfahrerstaaten keine koloniale Kunst sei. Damit wendet er sich gewiss gegen die Positionen der Forschung des 19. und frühen 20. Jh. im Rahmen der imperialen bzw. nationalen Ansprüche europäischer Mächte im Palästina nach Napoleon, dem Krimkrieg und dem Vertrag von Berlin 1878, zugleich eröffnet er neue Perspektiven auf die crusader art als eine komposite Kunst in den In6

Zu denken wäre insbesondere an Arbeiten von Doula Mouriki, Robin Cormack, Lucy-Anne Hunt, Annemarie Weyl Carr, Bianca und Gustav Kühnel bis Michele Bacci.

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teraktionen von lokalen und importierten Traditionen. Bei Weitzmann und noch in Jaroslav Foldas Monographien7 tritt dieser kritische Aspekt in den Hintergrund, auch wenn bei letzterem gelegentlich von einer multikulturellen Kunst die Rede ist: Kreuzfahrerkunst ist hier im Wesentlichen eine importierte Kunst, das liegt schon in der Natur der historischen Narrative, die von mit den Kreuzfahrern eintreffenden oder zu den fränkisch-italienischen Siedlern gehörenden Künstlern ausgeht, und das ist per se ein koloniales Modell. Nicht, dass es solche Künstler nicht gegeben hat, und in konkreten Fällen mag es auch sinnvoll sein, ihre Migrationen zu rekonstruieren. Es kommt vielmehr auf den mediterranen Blickwinkel an, der es erlauben würde, diese Prozesse neu zu deuten. Als fruchtbar erweist sich heute, sich den Territorien, den Topographien, den lokalen wie geteilten/gemeinsamen (shared) Traditionen anzunähern. Damit lassen sich auch die islamische Perspektive auf die Kreuzzüge und der europäische Blick besser verschränken und die Kunstgeschichte kann über die Erforschung der visuellen Dimension der Kreuzzugszeit einen Beitrag zum Verständnis dieser für den östlichen Mittelmeerraum fundamentalen bis traumatischen Epoche leisten. Dabei wird z. B. die Problematik paralleler, aber differenter Umgangsweisen mit den Monumenten der Antike bzw. Spätantike wichtig, inkl. der Spolien, und nicht zuletzt mit den Heiligen Orten in interreligiöser Perspektive als Deutungen von Geschichte und Inanspruchnahmen sakraler Topographien. Die bedeutendsten Monumente des Nahen und Mittleren Ostens aus der Kreuzfahrerzeit sind im Übrigen die Festungsbauten, sie haben weder eine direkte lokale, noch in den Herkunftsländern der Kreuzfahrer starke Tradition, sie sind nicht einfach christlich oder islamisch, sondern entstehen in einem komplexen Zusammenspiel von Okkupation, Eroberung und Rückeroberung, ja oft im Weiterbauen eines von der Gegenseite begonnenen Projektes. Zu bedenken wäre außerdem das Zusammentreffen von Kreuzfahrern und die Koexistenz der zweiten und dritten Generation von Siedlern mit den christlichen communities in der Levante, die ihre eigenen Kultbilder und ästhetischen Praktiken besitzen. Auch diese sind bis zu einem gewissen Grad mobil, wie etwa die syrischen Mönche mit ihrem reich stuckierten Kloster in Ägypten (Immerzeel, 2009). In den komplexen Identitätspolitiken des 12./13. Jh. gibt es Formen der „Orientalisierung“ der Kreuzfahrer und der Siedler ebenso wie solche der Abgrenzung, es gibt die regionalen Verflechtungen der koptischen bzw. arabisch-christlichen und islamischen Traditionen, aber es gibt auch einen triumphalen Akt wie den Transfer eines Kirchenportals von Akkon in das ayubbidische Kairo (Madrasa al-Nasir Muhammad). Eine übergreifende Kunstgeschichte dieser komplexen mediterranen Interaktionen des 12. und 13. Jh. wurde bisher nur ansatzweise geschrieben, wobei zur Rekonstruktion des mediterranen Beziehungsgeflechts Spanien, Sizilien und der westliche Mittelmeerraum ebenso in den Blick genommen werden müssten wie das ausgedehnte Reich der Seldschucken, die Kaukasusregion und der Balkan. „Kreuzzug“ taugt nicht als exklusives Paradigma einer solchen transregionalen Kunstgeschichte, welche sich vornimmt, die bilateral erforschten Beziehungsmodelle „Byzanz und der Westen“, 7

Folda, 1982; 2005, zu letzterem die wichtige Rezension Kühnel, 2007.

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Abb. 1: Medikamentengefäß, 12. Jh., Syrien, H: 21,7 cm, ∅ 13,5 cm, Kompositkörper, alkalische Glasur, Lüstermalerei. Kelsey Museum of Archeology/The University of Michigan, Acc. No. 72.1.1. Provenienz: Fustat, Ägypten, A.R.C.E.-Ausgrabung, 1971 (Bornstein, Soucek u. Olds, 1981, S. 31, Kat.-Nr. 9).

„Byzanz und Islam“ oder „Islam und der Westen“ zu überschreiten zugunsten einer Untersuchung des Zusammenspiels mehrerer, obendrein in sich heterogener künstlerischer Sprachen mit unterschiedlichen Prozessen und Dynamiken von Transfer und Übersetzung, Assimilation und Differenzierung, Appropriation und Amalgamierung über größere oder kleinere räumliche wie zeitliche Distanzen. Das wichtigste Projekt, das einer solchen mediterranen Kunstgeschichte vorgearbeitet hat und damit ein neues Kapitel in der Forschung eröffnete, sind die in den späten 70er Jahren konzipierte und 1981 realisierte Tagung und Ausstellung The Meeting of Two Worlds der University of Michigan.

Meeting of Two Worlds, Bewildering Variety: Ansätze für eine kunsthistorische Mediterranistik 1964/1981/2007 Dem Titel des Tagungsbandes The Meeting of Two Worlds (1981) sieht man nicht an, dass dieses Projekt das bis dahin vorherrschende bilaterale Narrativ zumindest partiell aufgibt; darauf weisen erst die beiden unterschiedlichen Untertitel: In a

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Mediterranean Context für die Ausstellung und Cultural Exchange der Tagung hin. Der Tagungsband vereint eine Vielzahl internationaler Stimmen, die Themen des mediterranen Austauschs und der Einflussnahme in Architektur und Skulptur zwischen Islam, Byzanz und dem Westen behandeln, schließt dies aber erneut kaum theoretisch auf. Grundlegend ist dagegen das Schlusswort Oleg Grabars, der das Modell eines Zusammentreffens zweier Welten kritisiert und ein mediterranes, d.h. transregionales Raumkonzept dagegenstellt. Dieses formiert und artikuliert sich gerade im Kontakt und im Austausch religiöser, ökonomischer, politischer Gruppen und territorialer Interessen. Zugleich schätzt Grabar die wechselseitige Wirkung des durch die Kreuzzüge intensivierten Kontakts nicht allzu hoch ein. Er sieht eine gewisse Konkurrenz der Repräsentationen in den unterschiedlichen Formen der Wiederentdeckung der antiken Monumente, aber auch gerade den Kontakt bzw. Konflikt als einen Ausgangspunkt für Prozesse der Abschließung und exklusiver werdender Identitätspolitiken, wo zuvor geteilte (shared) ästhetische Werte regierten, mit dem Ende des 13. Jh. jedoch auch „bewusste Exotismen“ zu beobachten seien. Der zugehörige Ausstellungskatalog entwickelt das Thema einer Kunstgeschichte des Mittelmeerraums anschaulicher und systematischer. Priscilla Soucek versucht in ihrem Einleitungskapitel einen epochalen wie gattungsspezifischen Überblick künstlerischer Interaktionen im Mittelmeerraum vom 11. bis ins 14./15. Jh.8 Nochmals: Es ist symptomatisch, dass die Öffnung der Kreuzzugsdebatte in Richtung einer kunsthistorischen Mediterranistik gerade durch Protagonisten der islamischen Kunstgeschichte vollzogen wurde. Das wird favorisiert durch den Umstand, dass die islamische Kunstgeschichte nicht eingeschworen ist auf eine Gattungshierarchie wie die westliche, sondern lange vor den dingtheoretischen Debatten der jüngsten Zeit Artefakte unterschiedlichster Art untersucht. So hat sie die Interaktionen und transkulturellen ästhetischen Praktiken im Mittelmeerraum nicht primär mit Bezug auf die Kreuzzüge thematisiert, sondern etwa, wenn auch eher punktuell, mit Blick auf die Kontakte und Konkurrenzen der mediterranen Höfe, mit ihren dokumentarisch greifbaren Geschenken von Artefakten, kostbaren Materialien, Tieren, Heilpflanzen und anderen Naturalia. Grabar hat sich in einem Aufsatz von 1964 vor allem auf die ersten islamischen Jahrhunderte konzentriert und einen profanen Raum des höfischen Luxus postuliert. In einem Aufsatz von 1997 Shared Culture of Objects hat er diesen Ansatz fortgeführt.9 Hofkulturen, die Frage nach transkulturellen ästhetischen Normen und Repräsentationsformen sind ein Thema, mit dem sich Mittelmeerforschung bis in die Neuzeit befassen muss. Trotz der genannten Ansätze fehlt es aber in den großen Überblickswerken zur Islamischen Kunstgeschichte bis in jüngste Zeit ebenfalls an Versuchen, Theorien für eine mediterrane Kunstgeschichte zu entwickeln. Der Katalog Meeting of Two Worlds überschreitet die Grenze von Hochkunst versus materieller Kultur. In seinen detaillierten Einträgen zeigt sich eine große 8 9

Bornstein, Soucek u. Olds, 1981; Christine Verzár Bornstein untersucht in ihrem Essay die Beziehung des „Westens“ zur byzantinischen und islamischen Hofkultur. Grabar, 1964; 1997, vgl. auch Cutler, 2002; 2010 zur Kultur der Geschenke.

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Sensibilität für Materialität und Technik der Objekte, seien es Textilien, Keramiken, Metallkunst, Artefakte aus Holz, Stein oder Glas oder wissenschaftliche Illustrationen (z. B. botanische Handschriften). Soucek hält zwar am Modell Ost-West fest, öffnet das Fach aber auf einen generellen mediterranen Horizont, wenn sie die „verblüffende Fülle“ seiner Kunstproduktion adressiert: „In many cases these objects reveal not just a simple exchange between East and West, but a very complex synthesis of local styles and techniques involving cross-currents and hybridizations of bewildering variety. More often than not, the Muslim or Byzantine object or artistic concept which finds its way to Italy or Spain, to Saxony or Aquitaine […] already represents an amalgam of formal and technical features that draw upon the art of many regions and epochs.“ (Soucek 1981, S. 11). Sie unterscheidet vom 11. bis zum 14. Jh. drei Phasen: 1. Eine merkantile Verflechtung von italienischen Städten mit dem Maghreb und Byzanz, aber mit geringer Wirkung der Importe, in Nordsyrien dagegen Hybridisierung in der Überlagerung von Byzanz, Islam und dem Kaukasus. 2. Mit der Eroberung der levantinischen Hafenstädte im 12. Jh. erhält der Westen Zugang zu syrischen Produkten, aber auch zu solchen aus weiter östlich gelegenen Märkten, in Spanien arbeiten islamische Künstler ihrerseits vermehrt unter christlicher Herrschaft. 3. Nach den Kreuzzügen erlebt der Mittelmeeraum dann eine Phase intensiven Handels, zugleich beginnen christliche Regionen vor allem Italien selbst Keramiken und Textilien zu produzieren und schließlich auch nach Syrien etc. zu exportieren, wobei sie z.T. die „islamische“ Ästhetik dieser Objekte aufgreifen. Syrien ist dabei insgesamt Modell polyglotter künstlerischer Kultur. Ein Leitobjekt, an dem sich die Argumente in verdichteter Form nachvollziehen lassen, ist ein hohes, henkelloses Keramikgefäß mit kurzem Hals und zylindrischem Körper für die Lagerung und den Transport von Medikamenten, entstanden wohl in Syrien im 12. Jh. mit persischen und ägyptischen „Einflüssen“, dekoriert mit einem Rankenornament und stilisierten Vögeln, in Lüsterpigmenten gemalt: Gefäße dieser Art reisten in hoher Zahl durch den Mittelmeerraum, transportieren nicht nur ihren Inhalt, sondern auch sich selbst mit ihrer Dekoration, wurden in Spanien und Italien nachgeahmt und umgestaltet. Es liegt nahe, Souceks Skizze gegenzulesen mit Oleg Grabars kurz erwähntem Beitrag zum Bologneser CIHA Kongress von 1978, publiziert 1982, der den Fokus auf die kunsthistorisch relevanten Aspekte des mediterranen Handels vor allem des 13. Jh. legt und teilweise dieselben Phänomene unter anderem Blickwinkel analysiert, wobei er einige methodische Fragen pointiert ausformuliert: Untersuchen wir die Produktion von Artefakten (Auftraggeber, Künstler, Techniken) oder ihre Rezeptionsbedingungen, Funktionen, ihren Gebrauch? Gehen wir von den Handelsrouten aus und suchen den „Niederschlag“ in den Artefakten? Oder von den Artefakten und fragen wir nach dem impact, den sie an ihrem Zielort haben? Beispiel für letzteres ist der monumentale Grifone in Pisa, die größte bekannte islamische Bronze wohl des 11. Jh., ein vielleicht in Spanien entstandenes Beutestück, das als Bekrönung des Ostgiebels des Langhauses des Pisaner Doms überliefert wurde. Bis heute ist die Tierfigur eines der Schlüsselobjekte in der Diskussion um eine mediterrane Kunstgeschichte. Für Grabar handelt es sich um ein Artefakt von geringer Wirkung, weil er mit einem konventionellen Modell der Einflussnahme auf die

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städtische Kunstproduktion argumentiert. Tendenziell will er die wichtigsten Veränderungen im 13. Jh. nicht in formalen Fragen erkennen, sondern in der Sichtweise: Gewandelt hätten sich die „Augen der Kulturen“. Er erklärt dies mit einem Wandel in den interkulturellen Wahrnehmungen vom höfischen Luxus und der neuen bürgerlichen Handelswelt der Städte, welche noch die Anfänge eines Kunstmarktes einschließe. Halten wir an dieser Stelle im chronologischen Parcours der Historiographie ein, denn es ist gewiss nicht möglich, alle Beiträge und Kataloge der letzten Jahrzehnte zu den künstlerischen Interaktionen im Mittelmeerraum vorzustellen, selbst wenn man sich auf die Zeit von der Spätantike bis ins 15. Jh. beschränkte. Eva Hoffman hat in ihrem Sammelband von 2007 eine Vielzahl wichtiger Studien zusammengestellt mit dem Ziel einer „integrativen Erforschung der Kunst und Kultur der das Mittelmeer umgebenden Länder“, jedoch erneut beschränkt auf die Zeit bis zum 14. Jh. Dieser Band, dessen stärkste Stimmen wiederum von Grabar und für die Textilien von Lisa Golombek stammen, versteht sich nicht exklusiv als Kompendium der wichtigsten jüngeren Arbeiten, die das Problem einer kunsthistorischen Mediterranistik angehen, sondern überträgt das Warburgsche Prinzip der guten Nachbarschaft auf Artikel, deren gemeinsame Lektüre das Feld öffnen soll, bietet also zugleich weniger und mehr als die Fragestellung, die wir hier verfolgen. Der chronologisch/topographisch angelegte Band ist ein Meilenstein in den Mediterranean Studies der Kunstgeschichte, die wir abschließend nochmals nach übergreifenden, methodologischen Kriterien befragen wollen.

Transmediterrane Mobilität der Objekte, plurizentrische Dynamiken im maritimen Raum Kunsthistorische Forschung zum und im Mittelmeerraum hat es vor allem mit zwei Blickwinkeln und ihren Verschränkungen zu tun: dem Fokus auf Orte, Räume und Regionen sowie jenem auf Dinge/Artefakte und ihre Mobilität. Im mediterranen Mittelalter sind wir mit einer intrinsischen kulturellen Vielfalt der Städte und Herrschaftsräume ebenso konfrontiert wie mit ihren weitgespannten ‚internationalen’ Kontakten, merkantilen Vernetzungen, Expansionsversuchen oder Unterwerfungen durch nähere oder fernere ‚Fremde’. Wie sich diese Dimensionen zueinander verhalten, ist ein offenes Spiel, das sich nur über eine Vielzahl von Fallstudien kartieren lässt. Auch wenn diese grundlegenden Fragen in der Kunstgeschichte erst in jüngster Zeit formuliert werden, fehlt es in den letzten Jahrzehnten nicht an Einzelforschungen zu plurizentrischen Dynamiken, Prozessen der Transformation wie der Migration der Formen, dem künstlerischen und wissenschaftlichen Austausch, Phänomenen der Inklusion und Exklusion, der konkurrierenden Repräsentationen, den in Bildern, Artefakten und Bauten artikulierten Vorstellungen von Gesellschaft, Natur und Transzendenz in ihrem Zusammenspiel. Räume selbst sind nicht stabile Entitäten, das Forschungsinteresse besteht vielmehr darin, Ausbildung, Überlagerungen und ‚Zerfall’ derselben zu beschreiben und zu analysieren. Hier ist es wichtig, parallel das kunsthistorische Ver-

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ständnis von Zeit kritisch zu befragen, und die unterschiedlichen historischen Konzepte von Raum (geographisches Weltbild, Topographien, Itinerare) und Zeit (Asynchronien, rituelle Zeitordnungen, unterschiedliche Geschwindigkeiten, Generationen), die sich in Bildern, Dingen und gestalteten Orten oder Landschaften artikulieren, zu untersuchen. Diese Paradigmen haben nicht allein für die Zeit von der Spätantike bis zum 14. Jh. ihre Relevanz, vielmehr gilt es, – unter jeweils sich verändernden Vorzeichen oder Konstellationen – auch für die Frühe Neuzeit und darüber hinaus vergleichbare Fragen zu stellen.

Objekte in transmediterraner Mobilität Die mobilen Artefakte des Mittelmeerraums stellen eine große Herausforderung für eine Kunstgeschichte dar, die sich traditionell mit Fragen des Ursprungs befasst, sich primär für den Zeitpunkt und Ort der Entstehung eines Objektes interessiert und allenfalls noch nach seiner Rezeption durch oder „Einflussnahme“ auf ihm nachfolgende Artefakte fragt. Spätere Veränderungen eines Objekts gelten ihr als Verlust der ästhetischen Identität. Nun ist transkulturelle Kunstgeschichte daran interessiert, die Wanderungen der Dinge zu erforschen und sucht insofern ihrerseits nach Herkunft, jedoch jetzt im Sinne der Migration von Materialien, Stilen und formalen Mustern. Sie greift insofern auch Methoden und skills der Formanalyse auf. Das birgt auch heute seine Gefahren, wie die der Etablierung einer kontextlosen, enthistorisierten Kunstgeschichte, welche kulturellen Austausch und Hybridisierung der Formen zelebriert, ohne die soziokulturellen Dynamiken und die politischen oder religiösen Handlungsbedingungen dieser Prozesse zu untersuchen. Ein bedeutender Schritt auch für die kunstgeschichtliche Mediterranistik war die Öffnung auf die Dingforschung, wie sie sich in Referenz auf Arjun Apparudais 1986 edierten Band The Social Life of Things durchzusetzen begann, etwa mit Igor Kopytoffs Essay zur Cultural Biography of Things. Mit dem Begriff der „Biographie“ werden Artefakte aus einer exklusiven Fixierung auf die Umstände und den Moment ihrer „Geburt“ entlassen, öffnet sich eine neue Perspektive auf die Erzählungen, die sie begleiten (weit über den traditionellen Begriff der Quelle hinaus) und ihre materiellen und ästhetischen Veränderungen, Überarbeitungen, Umgestaltungen, Rahmungen oder Fragmentierung, wenn nicht Zerstörung im Lauf der Zeit, auch über Jahrhunderte. Avinoam Shalem hat dies in zwei Perspektiven ausgearbeitet, zum einen mit Bezug auf die Narrative im Book of Gifts and Rarities (Kitab al-Hadaya wa al-Tuhaf) aus dem 11. Jh., welches die arabische Geschichte bis in die Fatimidenzeit als Geschichten von preziosen Artefakten und anderen Dinge an den Höfen muslimischer Herrscher erzählt. Sie werden als sprechende Objekte mit einer eigenen Biographie verstanden, die oft Migration und Transkulturation mit einschließt. Nach der anderen Seite hin untersucht Shalem in Islam Christianzed von 1996 und einer Reihe von Aufsätzen (Shalem, 1996; 2004) die Migration von islamischen Objekten in den „Westen“, wo sie z. B. als Reliquiare dienen oder zu solchen umgearbeitet werden, wiederum mit Narrativen – oft einer Faszinationsgeschichte – verbunden werden, in vielen Fällen jedoch auch etwas ver-

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schweigen. Manchmal können sie sogar singen, wie der auch von Shalem zitierte Grifone von Pisa, dessen Inneres vermutlich als Windorgel angelegt war, der vom Dach des Domes herab Laute hervorstieß. Objekte gewinnen so eine bisweilen komplexe, mindestens bikulturelle Biographie, die sich in der Frage nach ihren musealen Repräsentationen, ihren Sammlungsgeschichten und der Frage nach ihrer Zukunft fortsetzt. Shalems Ansatz (Shalem, 2010) arbeitet mit dem Konzept von otherness und othering, gerade weil er sich auf den Aspekt der Neukontextualisierung und sekundärer, wenn nicht tertiärer etc. Narrativisierung „fremder“ Dinge konzentriert. Denkbar sind auch andere Konstellationen im Feld zwischen den Narrativen der arabischen und der lateinischen Schätze, deren Kartierung wiederum ein mediterranes Projekt ist. Man denke an die fatimidischen Bergkristallgefäße im Schatz von San Marco, die mit ihren Inschriften sprechenden oder „gesprächigen“ Elfenbeinkästchen in Palermo, die Seidenstoffe aus dem östlichen Mittelmeerraum in St. Maria de l’Estany usf.10 Komplementär zu diesen Ding-Biographien sind wiederum die oben bei Soucek und Grabar angesprochenen Imitationen und Appropriationen von Formen und Technologien in der materiellen Kultur. Dies gilt im Besonderen für Textilien, die auch für die vermeintlichen östlichen Herkunftsländer oft nicht die Provenienz eines Artefakts entscheiden lassen, z. B. Seidenstoffe „islamisch“ oder „byzantinisch“ sein können, und bis weit in die Neuzeit reichende Prozesse der teilweise kompetitiven Produktion und der Zirkulation mediterraner Muster in Gang setzen inkl. einer tatsächlichen oder vermeintlichen Lokalisierung von Formen. Es gibt toponyme Zuweisungen von Produkten (z. B. nach Syrien), die zugleich zu Standards werden können, deren Ortsbindung sich löst (wie bei den Textilien, man denke an Damast),in anderen Fällen bleibt ihre Herstellung an bestimmte Produktionsstätten gebunden – wie bei den anatolischen Teppichen in Florentiner Haushalten der Renaissance bis mindestens noch in das 17. Jh.11 Portabilität, auf die sich Eva Hoffman konzentriert, und Mobilität sind dabei, wie jüngst Alina Payne betonte, nicht identisch (Hoffman, 2001; Payne, 2013). In den heute untersuchten Fragen nach der Migration von Dingen, Materialien, Formen, Techniken kehren bis zu einem bestimmten Punkt Probleme wieder, die schon um 1900 virulent waren, dort aber oft eingeschränkt auf Muster, Stile und Ikonographien und abgelöst von historischen Kontexten12; die wichtigsten Anknüpfungspunkt bilden die Arbeiten zur Hofkultur. Man kann diese Fragen auch 10 11 12

Vgl. Schmidt Arcangeli u. Wolf, 2010; Grossman u. Andrews, 2013. Spallanzani, 2007 und allgemeiner auch: Mack, 2001, wenn auch weitestegehend unter Verzicht auf methodologische Reflexion. Zur Seide vgl. die Arbeiten von David Jacoby (2004a u. b; 2005). Hier sei noch einmal ein Blick auf Warburgs Wanderbewegungen erlaubt: Sie entwerfen zwar einen Transferprozess über Raum und Zeit, nehmen aber nicht die angesprochenen kontemporären Interaktionen im Mittelmeerraum in den Blick. Ansatzpunkte hierfür finden sich in seinem Werk eher für die Beziehungen zwischen Brügge, Nürnberg und Florenz, Paradigma für seine „Bilderfahrzeuge“ sind flämische oder burgundische Teppiche, in denen die Ritterwelten des Mittelalters der Antike begegnen und die ein mobiles Medium sind. Die hohe Präsenz der anatolischen Teppiche in Italien nimmt er dagegen kaum in den Blick, das zeigt zugleich das Potential und die Grenzen seines Ansatzes.

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überführen in solche nach der Natur oder transkulturellen Rolle des Ornaments bzw. nach der Differenzierung oder Durchdringung von Figuration und Ornament (Grabar, 1992; Necipoğlu, 2007; Shalem u. Troelenberg, 2012, Beyer u. Spies, 2012). Hier öffnet sich ein immenses Feld für empirische wie konzeptuelle Forschung, in der mediterranen Kunstgeschichte wie in den transregionalen Kunstgeschichten überhaupt, gerade weil bisher primär in Spezialforschungen untersuchte Techniken und Gattungen in einer globalisierten Kunstgeschichte eine neue Aufmerksamkeit gewinnen, wie die schon erwähnten Textilien, Teppiche oder die Erzeugnisse der Glas-, Keramik- oder Metallkunst. Es geht dabei nicht nur um die Migration oder Ubiquität von phytomorphen, theriomorphen oder geometrischen Mustern, um ornamentale Gefüge als Ort transkultureller Verhandlungen, Rezeptionen oder Umdeutungen von China bis zum Mittelmeerraum, sondern auch um die Beziehung von Ornament und materiellem „Träger“. Dies führt zur Frage nach Dynamiken der Transmedialität und Transmaterialität: ersteres als Bezeichnung nicht notwendig an ein Medium gebundener oder zwischen solchen übertragbarer Dekorationsformen. Man denke an die Pflanzenornamentik und die bewohnten Ranken (inhabited scrolls) von der Spätantike bis ins 13. Jh.13 auf Mosaiken, Holzpaneelen, Elfenbeinen, Gefäßen usf. Transmaterialität dagegen meint die Simulation bzw. Evokation der Eigenschaften oder formaler Charakteristiken eines Materials in einem anderen, Holz in Stein usf.; der Terminus wird hier in Auseinandersetzung mit Sempers Begriff des „Stoffwechsels“ vorgeschlagen. Darin kann zugleich eine Erforschung der Natur wie des ästhetischen Potentials von Materialen oder der Techniken ihrer Bearbeitung liegen. Und schließlich gibt es Verschränkungen beider Phänomene in der Übertragung materialspezifischer Dekorationsformen von einem auf ein anderes Medium. Man kann nach interkulturell geteilten wie verschiedenen ästhetischen Werten der Luminosität bzw. Preziosität von Materialien oder der Feinheit der Bearbeitung fragen, und man kann solche Übertragungen und Übersetzungen sowohl über größere räumliche bzw. zeitliche Distanzen bzw. die Topographien der Produktion, sammlung und Fruition von Artefakten untersuchen, man denke an die in Kirchenfassaden inserierten Bacini oder die arabisierenden Inschriften in der italienischen Malerei des 13./14. Jh.14

Orte und Räume bis ins 16. Jahrhundert: Jenseits von Zentrum, Peripherie und Transperipherie Der Begriff des Zentrums ist ein kunsthistorischer Leitbegriff. Zahlreiche Arbeiten haben sich in unterschiedlichen Kontexten mit den Beziehungen von Zentren und Peripherien befasst. Diese wurden für Mittelalter und Frühe Neuzeit aber häufig nach dem Modell hauptstädtischer Qualitätsstandards und eines imperialen Stils versus eines peripheren Gefälles oder gemischter Stile in der Überlagerung von Ein13 14

Vgl. Flood, 2001 zu den scrolls von der Hagia Sophia bis zur großen Moschee von Damaskus. Vgl. zu letzterem Schulz, 2015 mit pointiertem Überblick über die Forschungsliteratur.

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flusszonen oder Transperipherien15 gedacht. Die Forschungen zu Byzanz sind dafür ein typisches Beispiel. Dagegen steht die Erforschung historischer Multikulturalität, Globalität oder Transregionalität in verdichteten Zentren, der kosmopolitische Geschmack der Höfe und städtischer Eliten, Interaktionen auf engem Raum wie in den Hafenstädten und Handelsmetropolen aber auch in Grenzgebieten und Interzonen. Nehmen wir das mittelalterliche Sizilien als Beispiel, das sich aufgrund relativ guter Monument- und Materialbestände als Labor für diese Fragen anbietet. Tatsächlich liegt Sizilien an der Peripherie von großen Machtbereichen des Mittelalters, an der Grenze zwischen arabisch-islamischem Afrika, lateinischem ‚Westen’ und griechisch-byzantinischem ‚Osten’, bildet aber gerade insofern in der Folge wiederum eine immer wieder zu besetzende, eine appropriierende und transformierende, mediterrane ‚Mitte’. Darin liegt das Einzigartige der im mittelalterlichen Sizilien geschaffenen, sich der unterschiedlichen Kulturen und Kunstsprachen bewusst und gekonnt bedienenden Monumente der Zeit der normannischen Okkupation und ihrer mediterranen Machtansprüche. Sizilien ist insofern Zentrum und verfügt gleichzeitig über die kreativen Möglichkeiten der ‚Transperipherien’. Die Kunstpolitik der normannischen Herrscher macht deutlich, dass diese sich nicht passiv von den großen Machtzentren, sei es Rom, sei es Byzanz, sei es Kairo, beeinflussen ließen, sondern dass sie – teilweise aus politischer Notwendigkeit – die angebotenen Sprachen verstanden, in ihnen und durch sie antworten konnten, um ihren Machtanspruch nach Außen zu kommunizieren und ihn zugleich nach Innen gegenüber einer mediterranen Bevölkerung zu behaupten. Die vielbeschworene interkulturelle Dimension der Bildwelten des normannischen Sizilien ist ein Versuch der übertreffenden Aneignung monarchischer Repräsentationsformen des Mittelmeerraums durch Roger II. (1095–1154) und Georg von Antiochien (nach 1080–1151). Diese lässt sich nicht einfach aus der Koexistenz griechischer, lateinischer, arabischer und jüdischer Bevölkerungsgruppen in Sizilien erklären. Vielmehr unterliegt ihr ein Konzept, das in der Neuschaffung einer solchen monumentalen Repräsentation der Herrschaft transmediale Spielräume künstlerischer Innovation schafft, zugleich im Kern christologisch begründet und an den Körper des Königs gebunden wird. Die Bildkultur Siziliens im mediterranen Kontext lässt sich als Neubegründung eines ›Zentrums‹ zwischen islamischen wie byzantinischen Hofkulturen und Rom bestimmen, das im Appropriieren zugleich zum Umschlagplatz wie zur Produktionsstätte für Ideen, Dinge und Bilder wird, denen sich einige der bedeutendsten mittelalterlichen mobilen und immobilen Artefakte des Mittelmeerraums verdanken. Zu diesen gehört der Zeremonialmantel Rogers II. (1133/4), Elfenbeinkästchen oder die mit Malereien reich dekorierte Holzdecke der Palatina.16 Während sich bei Wilhelm II. (1153–1189) eine deutliche Separierung der künstlerischen Idiome gemäß den Aufgaben beobachten lässt (‚islamische‘ Paläste und ‚griechische‘ Mosaiken), stellt sich aus dieser Perspektive die Herrschaft und 15 16

Der Begriff der Transperipherie wurde von Peter Cornelius Claussen geprägt. Vgl. Idem, 1994. Vgl. Tronzo, 1997;Knipp, 2011 (zu den mediterranen Apekten insb. Hoffman);Dittelbach, 2011 sowie Wolf, 2009.

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Kunstpolitik Friedrichs II. als Bruch mit der normannisch-mediterranen Episode und Hinwendung zu einer klassizistisch-augusteischen Bildsprache dar – bei gleichzeitiger Deportation der islamischen Bevölkerung von Sizilien in das apulische Lucera, aber intensivem Studium arabischen Wissens am Hof. Während das normannische Sizilien eine alternative Parallelwelt zur Levante der Kreuzfahrer darstellt, spielt Famagusta als Hafenstadt aufgrund seiner geopolitischen Position an der zyprischen Ostküste eine wichtige Rolle im östlichen Mittelmeerraum. Ab 1194 vom Haus Lusignan regiert, avanziert sie schließlich zur reichsten Stadt des östlichen Mittelmeerraums, vor allem nach der mameluckischen Eroberung von Akkon im Jahr 1191 und in der Folge dem Zuzug von Siedlern aus Palästina, mit einer Koexistenz von byzantinischen, orientalischen und lateinischen Kirchen sowie Moscheen in einer hohen stilistischen Vielfalt und Präsenz aller wichtigen künstlerischen Idiome von Katalonien bis zum Libanon, ja Kaukasus. Michele Bacci hat sich intensiv mit Famagusta befasst und die Stadt 2007 in den Mittelpunkt der Studie gestellt: L‘arte delle societè miste nel Levante medievale: tradizioni storiografiche a confronto, des wichtigsten jüngeren Beitrags zur Historiographie der Kunstgeschichte des mittelalterlichen Mittelmeerraums in methodologischer Hinsicht.17 Er analysiert die Thesen der Beziehungen von Gruppen ethnischer wie religiöser Differenz oder Familienclans und Ausdrucksformen der Kunst, zugleich den Spielraum, den einzelne Wissenschaftler für reziproke Rezeption der Monumente seit den Anfängen der Forschung im 19. Jh. ließen. In dem dichten Raum der Koexistenz, Überlagerung und Durchschichtung oder im Teilen von gemeinsamen Räumen sieht Bacci selbst – im Gegensatz zur Auffassung reiner, separater Stile – einen selektiven Gebrauch von kollektiv geschätzten Modellen. Eine neue Wendung der Interpretation besteht darin, dass die Kunstwerke jetzt als Schlüssel oder Indikator für die soziale Geschichte angesehen werden, weil in ihnen heterogene Elemente zu neuen Einheiten verbunden werden, sich in ihnen somit soziale Mechanismen gemischter Gesellschaften artikulieren können: „Heute scheint es evident, dass ein essentieller Beitrag für unser Verständnis der Ausdrucksformen gemischter Gesellschaften der mittelalterlichen Levante durch die Analyse der Natur und der Modalitäten der Dynamiken der künstlerischen Interaktion unterschiedlicher menschlicher Gruppen, die in besonderen Fällen wie in den großen Hafenstädten des Mittelmeeres, sich darin wiederfanden, die gleichen Räume und die gleichen symbolischen Orientierungspunkte zu teilen.“ Bacci zeigt, wie nur der Blick über das Einzelmonument hinaus das Zusammenspiel und die Interaktion künstlerischer Idiome in einem Kommunikations- und Handlungsraum mit Formen der Kompetition und Kooperation zu verstehen erlaubt, die sich einer einfachen Zuordnung von Stil und Gruppe entziehen. Vergleichbare oder differente Dynamiken wären nun wiederum für andere mediterrane Orte und Räume zu untersuchen. 17

Bacci hat eine Reihe weiterer mediterraner Studien vorgelegt, vgl. vor allem den historiographischen Ansatz in idem, 2012 und idem, 2004, zur mediterranen / maritimen Pilgertopographie; vgl. auch Mersch u. Ritzerfeld, 2009.

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Insgesamt öffnet der Blick auf Orte und Räume ein immenses Forschungsfeld, mit von der Forschung lange marginalisierten Orte – wie Alanya, Malta, Mayyidhia, Otranto, Rhodos, Sousse, Syrakus, Trogir –, die meist nur in der stark spezialisierten Forschungslage präsent sind. Erst in jüngster Zeit wird diese ansatzweise in Richtung auf eine mediterrane Kunstgeschichte ausgeweitet, die vergleichend und epochenübergreifend angelegt ist bzw. die Konnektivität der Orte und die Interaktionen auf kürzere oder größere Distanz untersucht. Wichtige Protagonisten und Akteure sind zwischen dem 12. und 17. Jh., aber auch darüber hinaus, die italienischen Handelsrepubliken Amalfi, Pisa, Genua und Venedig mit ihren Kolonien und Netzwerken, aber auch andere mediterrane Zentren wie Alexandria, Konstantinopel, Barcelona, Marseille, Neapel oder Ragusa. Es kann hier nicht darum gehen, die reiche Literatur zu diesen Städten vorzustellen, allein zu Venedig wäre ein historiographischer Versuch kaum zu bewältigen: Die in der Spätantike gegründete Lagunenstadt hat sich über Jahrhunderte durch ihre Räume, Dinge, Bilder als mediterranes Zentrum konstituiert; ihre Sammlungen und Spolien im öffentlichen Raum inszenierten antike und sassanidische, islamische und byzantinische Artefakte, deuteten sie um und ahmten sie nach; Venedig fungierte als Ausgangspunkt und wichtiger Akteur merkantiler, militärischer und religiöser Seefahrt im Mittelmeerraum, spielte eine dominante Rolle bei der lateinischen Besetzung Konstantinopels im 4. Kreuzzug; als mittelmeerische Kolonialmacht verfügte sie bis ins 17./18. Jh. über Stützpunkte und Kolonien an der adriatischen Küste und in der Ägäis, pflegte trotz aller Konflikte mit dem osmanischen Reich intensive Kontakte und wurde eine Metropole der Künste, des Mosaiks, der Malerei (auch des Pigmenthandels), der Architektur, Skulptur, Textil- oder der Glaskunst. Venedig und Byzanz, Venedig und der Orient, der Islam, Ägypten usf. sind Titel von Katalogen, Monographien und Sammelbänden.18 Kunsthistorische Venezianisten wie Otto Demus, Manfredo Tafuri, Deborah Howard, Wolfgang Wolters u.v.a. haben die visuelle Kultur der Stadt in ihren verschiedenen transkulturellen Facetten wie der ihr spezifischen Kreativität von den aus Byzanz erbeuteten Pferden von San Marco, den ebenfalls von dort stammenden, aber der Legende nach aus Akkon überführten Pilastri Acritani bis zu Tizians Gemälden untersucht. Die kunsthistorische Forschung wurde immer wieder vor Fragen gestellt, die sich mit den „terrestrischen“ Ansätzen von lokalen Stilabfolgen und Epochendiskursen wie Romanik, Gotik und Renaissance nicht lösen lassen; nichts ist so, wie es sein sollte, auch die Malerei geht einen Sonderweg. Das Venedig des Mittelalters wie der Frühen Neuzeit wie andere mediterrane Hafenstädte stellen so in ihrer maritimen Bild- und Dingkultur eine Herausforderung für traditionelle, kunstgeschichtliche Narrative dar. Mit John Ruskin und den ‚Steinen von Venedig‘ schreibt sich die Stadt zugleich auch in eine frühe Geschichte der Kunstgeschichte ein. Venedig kann für ein großräumig angelegtes mediterranes Modell der transkulturellen Interaktionen und der maritimen Itinerare mit ihren Küstenpunkten und hubs stehen: diese Interaktionen spiegeln sich oder lassen sich fassen in den Orten der Küste bis in die kleinsten Details, in dichten Objekt-Konstellationen und den gestalteten Räumen 18

Zu den jüngsten Ausstellungen vgl. Durand, 2011.

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mit ihren Schaufronten und marmorinkrustierten Wänden. Wonach man fragt, bestimmt wiederum Methoden, Selektion von Forschungsgegenständen etc.: Nach der einen Seite hin kann es darum gehen, die vorgefundene Vielfalt der visuellen Kultur eines Ortes zu zerlegen, indem man die einzelnen Artefakte an Ursprungsorte zurückzuverfolgen sucht und sie dem Kanon der zuständigen Kunstgeschichte übergeben will, oder noch weiter zurückgehend nach der Provenienz der Materialien, Bearbeitungstechniken, wenn nicht der involvierten Arbeitskräfte fragt, ferner könnte man nach Reiserouten und Transportmitteln (ihre Technologien wie Ästhetiken), nach Zwischenaufenthalten und der Transformation der Dinge fragen oder nach dem Zusammenspiel von importierten, neuinszenierten und neugeschaffenen Dingen an einem Ort mit seinen Schwellen, Passagen und vielschichtigen Topographien, Erzählungen und monumentaler Memoria, kurz: fragen nach dem, was solche Orte ausmacht, wie sie sich selbst oder andere darstellen, wie sie fremden Blicken erscheinen, wie sie über Texte und Bilder wiederum „transportierbar“ werden, und wie all dies mit politischen, sozialen, religiösen und wirtschaftlichen Praktiken und Prozessen verbunden ist. Und schließlich: Welche übergreifenden, mediterranen und transmediterranen Dynamiken lassen sich beschreiben; welche anderen Kulturräume, welche Zeithorizonte kommen ins Spiel? Wie leicht zu erkennen, verschränken sich in diesen Fragen eine potentiell lokale mit einer potentiell globalen Perspektive. Dies führt letztlich zur Frage, wo und wie sich mediterrane Fragestellungen mit solchen einer globalen Kunstgeschichte begegnen. Worin unterscheidet sich eine kunsthistorische Mediterranistik von den Projekten einer globalen Kunstgeschichte, welche Impulse kann letztere aus den mediterranean studies gewinnen, wo wirkt diese umgekehrt auf jene zurück, worin liegt ihr potentiell komplementärer oder alternativer Ansatz? Das führt zu der eminent politischen Frage nach den Protagonisten und Institutionen und ihrer Beziehung zu anderen.

Plus ultra: Transregional versus global – Dynamiken der Frühen Neuzeit Der Mittelmeerdiskurs kann gegenüber einer globalen Kunstgeschichte gerade nach transregionalen Räumen mittlerer Größe fragen, die nach der einen Seite hin sich nicht auf eine nationale Ebene mit ihren Grenzziehungen bringen lassen, nach der anderen aber kaum auf den Vergleich historisch gänzlich unzusammenhängender Räume zielt. Als durch das von Schiffen durchkreuzte Meer in seiner Mitte definierte, den dieses säumenden Kranz von Küsten-/Hafenstädten und über Jahrhunderte hin in alle Richtungen in unterschiedlicher Weise offener bzw. mit anderen Regionen verbundener Raum mit seiner kulturellen, religiösen, politischen und künstlerischen Vielfalt ist der Mittelmeerraum sowohl Labor für mittlere Räume generell wie in seiner Verschränkung von Natur und Geschichte auch ein spezifisches bis einmaliges Gebilde. Kunstgeschichte, die neuerlich auch ökologische Ansätze erprobt, kann den Mittelmeerraum als einen über Jahrhunderte gestalteten Raum untersuchen, dazu gehört auch seine agrikulturelle Landschaft oder das offene Meer mit seinen Stürmen und Wellenbergen, seinen Nähen und Fernen,

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zwischen Segelschiff und Dampfschifffahrt. Die ästhetische Dimension der Kulturen und ihrer Interaktionen ist die Leerstelle, um nicht zu sagen der blinde Fleck bei Braudel wie noch im ersten und einzigen bisher publizierten Band von Horden u. Purcell The Corrupting Sea (Oxford, 2001). Mediterrane Kunstgeschichte ist insofern komplementär zu diesen Ansätzen. Städte sind dabei ein privilegiertes Feld kunsthistorischer Mediterranistik im Sinne der oben ausgelegten Fragen. Nehmen wir das Bild eines Hafens mit Schiffen aus verschiedenen Herkunftsorten, erkennbar an den verschiedenen Schiffstypen, Wappen und Fahnen: Schiffe als Heterotopien und Dinge, eigene wie fremde, wie sie im Hafen zusammenliegen, als Träger von Menschen, Objekten, Gütern und Waffen, oftmals auch Tieren. Da ist die Selbstinszenierung der Stadt in einer sea to shore prospective, ihre Türme, Sakralbauten, Paläste und Hafenanlagen, die sich wiederum mit den Schiffen in ein Bild einbringen kann über Hafenanlagen, den Peers und Docks und Verknüpfungen zwischen Hafen und Stadt, den Durchfahrten (wie Kreuzfahrschiffe heute in Venedig) etc. (Baader u. Wolf, 2014; Eslami, 2010). Angesichts der Ausgestaltung des eigenen „Bildes“, wie es zum Beispiel in Stadtansichten Konstantinopels und im Venedigplan von Jacopo de Barbari von 1500 fassbar wird, stellt sich die Frage nach den historischen Raummodellen und den geopolitischen Vorstellungen und Visionen der italienischen Städte des Hoch- und Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit und entsprechenden Projekten im osmanischen Reich. Nicht nur die Hafenstädte waren international ausgerichtet und von einer gewissen ethnischen und religiösen Vielfalt. Eine Stadt wie Florenz trieb Fernhandel bis nach China, ihre merkantile Elite sammelte Objekte aus dem islamischen wie aus anderen Kulturräumen. Zu all dem gehörte der Sklavenhandel und die Teilnahme an der Kolonisierung des Mittelmeeres. Gibt es vom 11.–16. Jh. ein Konzept des Mittelmeerraums in Kairo, Konstantinopel, Cordoba und Granada, Pisa, Florenz? Oder: Wie gestaltet und verändert sich ein solches ‚Bild‘ von den Kreuzzügen bis zur Etablierung des osmanischen Reiches? Es gibt diese Bühne von Austausch, Konflikt, Eroberung und Abgrenzung von unterschiedlichen politischen, merkantilen und religiösen Akteuren, wie wir sie rekonstruieren, und es gibt die historischen ‚Bilder’ des Mittelmeeres und der an sie angrenzenden Territorien, wie etwa dem Schwarzen Meer, die noch nicht ausreichend untersucht sind. Erwähnt seien die arabische Karte der mediterranen Inseln aus dem Kitāb Gharā’ib al-funūn wa-mula.h al-‘uyūn (Book of Curiosities of the Sciences and Marvels for the Eyes), die Weltkarte von Al-Idrisi, die Portolankarten von genuesischen, venezianischen und katalanischen Kartographen des 14./15. Jh., die zum Teil jüdischen Familien entstammten. Die Portolankarten stellten das Mediterraneum mit den Küstenstädten in neuen, mathematischen Projektionsmethoden dar und konnten merkantile, politische oder religiöse Bedeutungen aufnehmen. Dazu gehören etwa im Westen, um nur einige Beispiele zu nennen, die auf Portolanen basierenden politisch-eschatologischen Kartenphantasien des oberitalienischen Klerikers am päpstliche Hof in Avignon Opicinus de Canistris (um 1340), das illustrierte Manuskript des in venezianischen Diensten stehenden Michael von Rhodos zu seinen Seereisen, zu Astronomie, Navigation und Schiffsbau (um 1440) und der Liber de insularum

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Archipelagi des Florentiner Mönchs und Geographen Cristoforo Buondelmonti (1386 bis 1430), der das östliche Mittelmeer bereiste und Konstantinopel besuchte, die Inselwelt der Ägäis und die Kolonien Venedigs (den stato da mar) kartierte und sich zugleich für griechische Handschriften interessierte.19 Sie stehen für politische, religiöse, wirtschaftliche, wissenschaftliche, technologische wie individuelle Annäherungen an den Mittelmeerraum, die ihn zugleich ikonisieren, eine feste kartographische Physiognomie gewinnen lassen, im Gegensatz zu heutigen Karten aber zumeist auch eine zeitliche Dimension aufnehmen, den Mittelmeerraum zugleich als Geschichtsraum darstellen. Geschichtsdeutung ist in hohem Maß auch der Umgang mit antiken bzw. anderen vorfindlichen Monumenten und Spolien, die manchmal über große Distanzen transportiert werden. Hier bedarf es allerdings einer Differenzierung des Dingbegriffs oder besser der Auslotung der Übergänge zwischen Material und Artefakt. Denn es macht einen Unterschied, ob es sich um ein fatimidisches Gefäß aus Bergkristall in einem Schatz kostbarer Dinge handelt oder um aus zahlreichen mediterranen Regionen importierte Marmorsorten und andere hochgeschätzte Steine, welche die Hagia Sophia und die Sülemanyie wie schon das Pantheon zu einem materiellen, synekdochalen „Bild“ oder Modell des Mittelmeerraums unter imperialen Prämissen werden lassen. Aber die Grenze ist wieder nicht scharf zu ziehen, denn eine Säule, die in einem Bau wiederverwendet wird, kann eine Legende besitzen, mit der Gestalt Salomons oder Alexanders in Verbindung gebracht werden, um Herrschergestalten zu nennen, auf die sich Karl der Große, die byzantinischen Kaiser ebenso wie Mehmet II. bezogen. Bearbeitete, vorgeformte Steine können als „Ding“, bzw. als Zitat, in ein Monument eingebunden werden, aber auch unbearbeitete Materialien können Narrative mitbringen. Damit stellt sich die Frage nach der Balance in ästhetischen Sprachen zwischen ausgestellter Diversität und Homogenisierung. Es gibt sehr verschiedene Lösungen in der Austarierung beider Dimensionen, man denke etwa an poikilia und varietas als ästhetische Prinzipien, an die Kataloge der Provenienz kostbarer Marmore, die Zelebration des Zusammenspiels von Farben, zugleich die implizierten naturhistorischen Deutungen von Materialien vom Marmorsee zum feurigen Vulkanstein. Kurz: die Bandbreite reicht von der Einbindung von Spolien in einem Monument als Bricolage oder Assemblage mit unterschiedlichen Zeit- und Raumschichten, die in ihm verbaut sind, bis zur Überspielung oder jedenfalls formalen Durchgestaltung eines kosmischen oder eben mediterranen Universalraums, was für die Hagia Sophia gilt, ebenso wie in neuzeitlicher Überbietung und Ausarbeitung einer standardisierten und sozial gradierbaren Architektursprache für Sinans Moscheen (Necipoğlu, 2005). Gülru Necipoğlu hat solche mediterranen Dynamiken in ihrer Monographie zu Sinan und mit pointierten Thesen zur Transportabilität von Steinen und Bauten mit Blick auf die Sülemanye einerseits und die balkanischen Auftraggeber am osmanischen Hof andererseits untersucht (Necipoğlu, 2014). Ähnliches gilt, wenn auch 19

Vgl. Savage-Smith, 2010; Baader u. Wolf, 2014, sowie die Essays der Sektion Fluid Borders: Mediterranean Art Histories (Byzantine, Islamic, Judaic, and Western Christian) 500–1500 in Anderson, 2009.

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unter anderen Prämissen, für Palladios Villen mit ihrer kolonialen Erfolgsgeschichte. Hier ließe sich die Frage nach der Rolle der Künstler in der Ausbildung von Bild- und Architektursprachen bzw. der Beziehung von Künstlern und Auftraggebern in den politischen Ordnungen des frühneuzeitlichen Mittelmeerraums stellen, und dabei auch nach neuen Formen ästhetischer Diskurse wie den Kunstliteraturen, man denke an Sinans Autobiographie oder an Vasaris Viten. Zugleich stellt sich auch die Frage nach der Rolle und dem Anteil der Künste an der sich verändernden Position des Mittelmeerraums zwischen den Kontinenten. Karl V. (1500– 1558) hat die Beherrschung desselben für seine politische Bildsprache intensiv genutzt, sei es in seiner Imprese mit den beiden herkulischen Säulen und der Devise plus ultra, sei es in der Serie von außerordentlich kostbaren Wandteppichen, die seinen Tunisfeldzug dokumentieren und glorifizieren sollten. Die Imprese dominiert und markiert Bauten und Festungen von Spanien, wie Karls klassizistischen Palast in der Alhambra, bis nach Sizilien, etwa im Castello Maniace. Wenn die imprese auch selbst über das Mittelmeer hinausweist, bleibt letzteres der zentrale Repräsentations- und Herrschaftsraum von Karls Imperium, und steht insofern dem osmanischen Reich frontal gegenüber. Die im Westen fast nicht enden wollende Zelebration der Seeschlacht von Lepanto mit Gemäldezyklen in Venedig, Rom, Genua etc. gilt der militärischen Dominanz über das Meer mehr noch als dem religiösen Konflikt. Gleichzeitig gibt es Botschaftsreisen, Handel und andere Kontakte zwischen dem osmanischen Reich und dem Westen. Die architektonischen Gestaltungen von Hafenanlagen, etwa Freihäfen wie Livorno, Festungsanlagen auf Malta oder die an oder um die Häfen gebauten oder geplanten, oft auch zerstörten Strukturen in Marseille, Toulon, Palermo, Messina sind ästhetische Überhöhungen oder auch Beschwörungen einer habsburgisch-spanischen oder französischen angestrebten Herrschaft zur See, über das Mittelmeer und zugleich auch darüber hinaus: plus ultra. Von Marseille aus baute Nicolas Fabri de Peiresc ein Kontaktnetz rund um das Mittelmeer auf und legte den Nukleus einer Sammlung an, die in vielem seine mediterranen Interessen spiegelte (Miller, 2012). Sie umfasste Münzen, Gemmen, eine ägyptische Mumie, aber auch frühe Karten und Beschreibungen des Mittelmeeres, darunter der älteste erhaltene mittelalterliche Portolan. Auch in der Sammlungskultur der osmanischen Beamten findet man ein Interesse an Objekten, welche die Ausdehnung des osmanischen Reiches repräsentieren können, der neben Spanien dominierenden mediterranen Macht des 16. und 17. Jh. Wenn wir im vorausgehenden immer wieder nach den Geschichtsbildern und Zeitordnungen des Mittelmeerraums in ausgreifender historischer Perspektive fragen, konfrontieren wir die historiographische Perspektive mit einer aktuellen Frage der historischen Wissenschaften wie im Besonderen der Kunstgeschichte mit ihren Stilgeschichte/n. Hat es einen Sinn, von mediterranen Chronotopen zu sprechen, ist das nicht eine implizite Kolonisierung seiner nicht europäischen oder nicht christlich geprägten Hälfte? Nach welchen Zeitrastern, -rhythmen und Perioden lässt sich das Zusammenspiel der Kulturen beschreiben, die – trotz der gemeinsamen monotheistischen Tradition – nach mindestens vier verschiedenen Jahreszäh-

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lungen und Festkalendern leben? Was sind die shared values, welches die Verhandlungsräume, die Dynamiken von Übersetzung, wo lassen sich scharfe, auch bewusst etablierte Trennungslinien ausmachen? Angesichts der Komplexitität der historischen Vorgänge bei der Ausbildung, dem Einsatz und der Rezeption von Bild- und Formensprachen, welche die Ikonosphäre des Mittelmeeres charakterisieren, versteht sich, wie für die Vormoderne dargelegt, die kunstgeschichtliche Mediterranistik im Ansatz als Kooperation von mindestens vier Teildisziplinen, welche sich respektive mit islamischer, byzantinischer, westlicher und jüdischer Kunst befassen und zugleich für archäologische, sprachwissenschaftliche und wissenschaftsgeschichtliche Forschungen offen sind. Mediterrane Kunstgeschichte überschreitet insofern in vielen Fällen die Möglichkeit der Einzelforschung und stellt eine Herausforderung für neue kollaborative Formate der Forschung dar. Wenn man noch einen Schritt weitergeht, werden sich diese Grenzziehungen und Begriffsbildungen selbst problematisieren, so sind z. B. „islamische Kunst“ oder „islamische Welt“ ihrerseits in hohem Maße heterogene Kategorien, bezeichnen gewaltige, hoch differenzierte räumliche und zeitliche Dimensionen; gerade dass diese nicht auf den Mittelmeerraum beschränkt sind, sondern darüber hinausreichen, macht das mediterrane Zusammenspiel der Kulturen so komplex und faszinierend. Man kann sich im Übrigen fragen, wie überhaupt Kunst ‚christlich’, ‚islamisch’ oder ‚jüdisch’ genannt werden kann, was die Rolle der Religionen und ihrer Kontakte für die Künste sei. Daneben stehen politische und merkantile Aspekte mit eigenen „Sprachen“. Das Projekt einer mediterranen Kunstgeschichte arbeitet von vornherein mit einem offenen Kulturbegriff, setzt die Relation von Eigenem und Fremden nicht absolut, sondern problematisiert solche Zuschreibungen bzw. untersucht die Verfestigung der Kategorien selbst. Was man mit einem biologistischen Terminus als ‚hybrid’ zu bezeichnen pflegt, ist in vielem der ‚Normalfall‘, der nicht als Abweichung oder ‚Mischung’ vermeintlich reiner Formen gesehen werden muss. Oft ist es gerade der Versuch einer ausgrenzenden ‚Reinheit’ und Identitätsbildung, welcher begrifflicher Bestimmung bedarf. Dabei hat der Mittelmeerraum selbst fließende Grenzen, jene der Straße von Gibraltar zum Atlantik und jene mit Asien geteilten Zonen bzw. nach Asien hin und von Asien her offenen Wege, die nach weiterreichenden Projekten der Erforschung der Beziehungen von Mittelmeerraum, Europa, Zentralasien, Indien und dem Fernen Osten verlangen.

Méditerranée /

‫ا‬

‫ ا‬der Moderne und der Gegenwart

Die visuellen Kulturen des Mittelmeerraums und ihre Inszenierungskunst spielen eine eminente Rolle für die Herausbildung von nationalen Identitäten im Zeitalter der Nationalstaaten. Tief haben sich mediterrane – und nicht allein orientalistische – Bezüge in die monumentale Geschichte des 20. Jh. eingeschrieben. Dazu gehörten die schon erwähnten architektonischen Phantasien der Moderne im Sinne Le Corbusiers, aus derem kolonialen Geist heraus eine spezifische Méditeranée erfunden und gebaut wurde, ebenso wie das Zusammenspiel von Moderne, Tradition

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und Orientalismen im südlichen Mittelmeerraum der Kolonialzeit. Auch die Geschichte der Denkmalpflege und Rekonstruktionen ist davon geprägt, man denke nur an den unmittelbaren Wiederaufbau des Campanile von Venedig nach dessen Einsturz 1910. Wie sehr politische Ambitionen ihren Ausdruck in der Gestaltung von Raum fanden, kann beispielhaft der Blick auf die mediterranen Phantasien des italienischen Faschismus beleuchten. Sie zeigen sich etwa an jenen großen marmornen Karten der römischen Herrschaft über das Mittelmeer von Mussolinis militärischer Prachtstraße der Fori Imperiali in Rom, nicht zuletzt auch an der Straße selbst, die sich in der Via del Mare fortsetzt und an den Hafen von Ostia führt, für den ein megalomanischer Ausbau geplant war, oder am Bau der Stazione Marittima in Neapel. Das Mittelmeer selbst wird mindestens seit der Mitte des 19. Jh. auch als Bühne für Militärparaden und politische Repräsentationen verstanden, die bald photographisch und filmisch inszeniert und verbreitet wurden. In verschärfter Form zeigt sich das Mittelmeer hier als Projektionsraum. Es ist dies in anderer Weise auch in seiner zunehmenden touristischen Inanspruchnahme: vom Eisenbahnbau entlang der Küsten bis zur Erschliessung der Strände, der Tunisreise der Künstler aus dem Norden und der Etablierung einer Mittelmeerromantik, die sich mit Wurzeln in der Grand Tour seit dem späteren 19. Jh. immer mehr trivialisiert mit den bekannten Folgen für die Verbauung der Küsten. Die oben angesprochenen architekturgeschichtlichen Prozesse der Moderne setzen sich unter veränderten Prämissen bis in das späte 20. und frühe 21. Jh. fort. Zu nennen wäre etwa der Bau der Bibliothek von Alexandria mit seinen historischen Reminiszenzen, die ihn als mediterrane Memoria und zugleich Zukunftsprojekt in diesem Geist zelebrieren, oder das 2013 eröffente Musée des civilisations de l’Europe et de la Mediterranée (Mucem) in Marseille. Die fortgesetzte Erfindung des Mittelmeeres unter unterschiedlichen politischen Prämissen oder seine Partialisierung spiegelt sich in neuen musealen Präsentationen und ist jenem der neuen wissenschaftlichen Mediterranistik in vielem parallel. Allerdings ist eine solche Parallelität von ästhetischen Praktiken und kunsthistorischen Diskursen durchaus nicht immer zu beobachten. Das sollte die oben beschriebene, nur zögerliche Öffnung kunsthistorischer Forschung auf mittelmeerische Horizonte gerade für jene Jahrzehnte zeigen, welche am Projekt einer Méditerranée der Moderne arbeiteten. Dass die bilateralen Narrative der Kunstgeschichte ihrerseits in Beziehung standen zu politischen Blockbildungen im 20. Jh. und exklusiven Aspekten des Europadiskurses, erweist zugleich ihre Zeitgenossenschaft. Die in jüngster Zeit sich anbahnende Öffnung des Faches auf den Mittelmerraum schließt jedenfalls die Erforschung dieser Projekte der Moderne ein, versucht sich an epochenübegreifenden Fragestellungen, Aspekten von longue durée ebenso wie an Brüchen und Schwellenphänomenen.20 Mediterrane Kunstgeschichte, wie sie hier skizziert wird, erschöpft sich also nicht in der Problematik der Beziehung gemischter Stile zu multiethnischen und multireligiösen Gemeinschaften für be20

Vgl. die Sammelbände Lejeune u. a., 2009 und Jirat-Wasiutyński, 2007, sowie die jüngeren photographie- und filmgeschichtlichen Arbeiten. Zu einem Überblick rezenter Forschungsaktivitäten aus islamwissenschaftlicher Perspektive vgl. Rosser-Owen, 2012.

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stimmte Orte, Regionen oder Territorien, sondern versteht sich als grundlegender Versuch, die ästhetischen Dimensionen, Praktiken und normativen Setzungen, Kommunikationsformen wie Abschließungen und Öffnungen zu verstehen, die diesen Raum ausmachen und visuell gestalten oder markieren. Das Meer selbst ist ein Sehraum, was die Frage nach der Gestaltung der coastlines (man denke etwa an die napoleonische grande corniche) ebenso einschließt wie jene nach den Blickfeldern von Reisenden bzw. Migranten auf hoher See. Die beiden großen Denkfiguren, denen eine mediterrane Kunstgeschichte immer wieder begegnet, sind die von Diversität und Einheit, von Heterogenität und (oft autoritativen) Homogenisierungsversuchen. Sie zeigen sich in den Ausgestaltungen von Handel und Politik, Religion und Künsten. Diejenigen ästhetischen Praktiken, die sich dem Mittelmeerraum schulden bzw. den Mittelmeerraum als Zusammenspiel von Natur und Kultur mit seinen multiplen Temporalitäten mit erzeugen, stehen essentialistischen Engführungen entgegen. Sie machen den Mittelmeerraum zu einem Ikonotop eigener Art. Das grundlegende kulturwissenschaftliche Problem, mit dem sich die mediterrane Kunstgeschichte auseinandersetzen muss, ist die mangelnde Verschränkung der Standpunkte. Zu tief ist der disziplinäre Diskurs eingelassen in die kolonialen, orientalistischen und eurozentrischen Narrative, in denen er sich ausgebildet hat, als dass sich diese leicht argumentativ überwinden ließen. Zu sehr fehlt es trotz postkolonialer Ideologiekritik immer noch an einer Polyphonie der Ansätze. Das zeigt der im vorausgehenden in groben Zügen vorgestellte historiographische Durchgang überdeutlich. In radikaler Zuspitzung kann man die Frage stellen: Ist die Mediterranistik selbst eine Figur solchen Denkens, letztlich eine Spielart von Orientalismus und Eurozentrismus, oder erlaubt sie im Gegenteil gerade eine Überwindung derselben jenseits der Ost-WestNarrative, indem sie transkulturelle Dynamiken und Interaktionen (friedliche wie gewaltsame) im Mittelmeerraum in den Blick nimmt und analysiert? Für ein solches Projekt einer pluralen mediterranen Kunstgeschichte in einem globalen Horizont, die ebenso Mikro- wie Makroprozesse in den Blick nimmt, braucht es eine Vielzahl neuer Ansatzpunkte und Fragestellungen weit über jene hinaus, die sich aus der Tradition einer Disziplin ableiten lassen, braucht es neue institutionelle, museographische und kurrikuläre Formate, neue Formen der kooperativen Forschung und des transdisziplinären Dialogs (inkl. der Archäologien und material culture studies), an denen sich Stimmen aus dem gesamten Mittelmeerraum und anderen transregionalen Räumen beteiligen.

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HANNAH BAADER UND GERHARD WOLF

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Medizin Geschichte der Medizin im Mittelmeerraum In der Geschichte der Medizin stellte der Mittelmeerraum seit der Antike, ja seit prähistorischen Zeiten eine Brücke dar, über die – zumindest bis zum Spätmittelalter – vor allem von Ost nach West, später auch von Süden nach Norden und, etwa unter den andalusischen Kalifen, auch von Westen nach Osten ein beachtlicher Transfer theoretischen Wissens wie praktischer Kenntnisse erfolgte. Betroffen war vor allem die Chirurgie, aber auch ein um das Verhältnis von Körper und Seele kreisender medizinischer Themenkomplex, den man heute im weitesten Sinn der Psychosomatik zuordnen würde.1 Auch der Starstich, in der Antike und im Mittelalter, sieht man vom Aderlaß ab, wohl der häufigste chirurgische Eingriff überhaupt, wurde über mediterrane Hafenstädte im Westen bekannt und schließlich zur alltäglichen Praxis.2 Zumindest bis zum vierten vorchristlichen Jahrhundert überlebte im östlichen Mittelmeerraum, im Umfeld eines bunten medizinischen Marktes, schließlich auch das altorientalische Bild des charismatischen, universal gebildeten Arztes, der zugleich als Philosoph und Priester gesehen wurde (Porter, 2000, S. 55; Horstmanshoff, 2005, Sp. 787–792). Entlang den südeuropäischen und nordafrikanischen Küsten breitete sich, zusammen mit der griechisch-römischen Kultur, nicht nur eine von altbabylonischem und ägyptischen Wissen gespeiste, durch die griechische Philosophie verfeinerte medizinische Expertise, sondern auch der Kult der Isis, des Asklepios und zahlreicher orientalischer Götter mit „Gesundheitskompetenz“3 – man denke etwa an den unter den römischen Soldaten populären Mithras! (Merkelbach, 2005) – bis nach Spanien und in das heutige Algerien und Marokko aus. Ein besonderer Exportschlager wurden in den westlichen Provinzen römische Thermen samt der damit verbundenen Gesundheitskultur.4 Kräuter, Essenzen und Öle wurden per Schiff „bis zu den Säulen des Herkules“ geliefert. Im frühen Mittelalter blühte die Badekultur unter den Eliten der von islamischen Truppen besetzten Gebieten Nordafrikas, Siziliens und Spaniens auf (vgl. Künzl, 2013, S. 49, 71, 111), um von dort wiederum auf die Alltagshygiene in den christlichen Ländern Südeuropas Einfluß zu nehmen (Pelletier, 1985). 1

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Vgl. etwa Strunz, 1994. Zu den frühen Hochkulturen und ihren medizinischen Implikationen, etwa in Ägypten und Mesopotamien vgl. Porter, 2000, S. 44–51; zu Ägypten Westendorf, 1992; zur griechischen Psychosomatik siehe u. a. Rigatos u. Scarlos, 1987 Hierzu etwa Münchow, 1983, S. 101; ferner Limmer u. Krieglstein, 1992, S. 110–135. Zu Isis Witt, 1971, zu Asklepios Steger, 2004. Zur Literatur vgl. Yegül, 1992, ferner Weber, 1996

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Im Hellenismus wirkten im Umfeld Alexandrias, bis zum 6. Jahrhundert einer der wichtigsten mediterranen Verkehrsknotenpunkte, herausragende Ärzte wie Herophilos von Chalkedon (330–260 v. Chr.; von Staden, 2004) und Erasistratos von Keos (315–240 v. Chr.), auf die sich später der römische Arzt Celsus (60 n. Chr.) berief (vgl. Porter, 2000, S. 67–69]. Internationale Netzwerke über uralte Schiffswege der Levante spielten hierbei die entscheidende Rolle. Mit Hilfe Galens, der aus Pergamon stammte, in Alexandria studiert hatte und vor allem in Rom wirkte, wurde nicht zuletzt der Nachruhm des Hippokrates (ca. 460–370 v. Chr.) begründet, der, wie jüngste Forschungen noch einmal bestätigten, an der ägäischen Küste als Wanderarzt gewirkt hatte.5 Kos und Knidos, wohl die berühmtesten Ursprungsorte der wissenschaftlichen griechischen Medizin, waren ebenfalls Hafenstädte.6 Sie wurden, zusammen mit anderen, vor allem auf Sizilien, zu Multiplikatoren für Kultur und Wissenschaft – und somit auch für die Medizin. Vorsokratiker wie Thales, Heraklit, Empedokles, Pythagoras und Demokrit, von denen bedeutende medizintheoretische Fragmente überliefert sind (vgl. etwa Porter, 2000, S. 54–56), wohnten – es kann kaum verwundern – ebenfalls am Meer! Für Thales war das Wasser der Urgrund alles Existierenden (vgl. Capelle, 1963, S. 69–71). Im Schlepptau von Handels- und Kriegsschiffen, später auch von christlichen Missionaren überlebte von Bagdad bis Irland mit der hippokratisch-galenischen Medizin – samt der in nuce bereits von Alkmaion von Kroton am Ionischen Meer entwickelten Viersäftelehre bzw. Humoralpathologie (hierzu Schöner, 1964) – eine tragende Säule altgriechischer, vor allem hellenistischer Kultur. Erstaunlicherweise fiel im christlichen Umfeld auch die „Astromedizin“ auf fruchtbaren Boden. Ihre Rezeption schien nicht nur durch die Nähe zur quadrivialen Kunst der Astronomie legitimiert, sondern wurde ebenso durch die sich an den Sternen orientierende Seefahrt gefördert.7 Etwa seit dem 13. Jahrhundert, vor allem aber in der Renaissance erfolgte der ärztliche Wissensaustausch primär innerhalb Mittel- und Südeuropas, besonders in Italien, Frankreich und Spanien, wobei nach dem Fall Konstantinopels (1453) noch einmal eine Fülle antiken Wissensstoffs in den Westen gelangte.8 Da sich die christliche (wie auch die islamische) Medizin als autoritative Wissenschaft verstand, waren solche Transfers von „Originaltexten“ von zentraler Bedeutung. Dazu erweiterten mittelalterliche Übersetzungen und „Kommentare“ muslimischer Gelehrter wie des Persers Avicenna oder des spanischen Arabers Averroës den Wissenskanon des Okzidents.9 Zusammen mit dem tradierten Schrifttum des Aristoteles, Hippokrates, Theophrast, Dioskurides und Galen formten sie das medizinische Denken rund um das Mittelmeer in bemerkenswerter Einheitlichkeit. Ärztliches Know How erlangte man nicht nur durch praktischen Unterricht, der an den mittelalterlichen Universitäten sogar an Bedeutung verlor (vgl. Cardini u. Fumagalli Beonio5 6 7

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Zu Hippokrates vgl. etwa Pinault, 1992. Zu Kos (inkl. Literatur) vgl. Steinhart, 2005, Sp. 521f., zu Knidos Kollesch, 1989, S. 11–28. Zur Astrologie vgl. García Ballester, 1980, ferner zu deren Rolle in der mittelalterlichen Seefahrt Mollat, 1995. Vor allem der Kompaß erlaubte die Nutzung von Astronomischen Tafeln (Mollat, 1995, Sp. 1669) Vgl. hierzu etwa Harlfinger, 1989 Hierzu Brizzi; Verger, 1990, S. 53–83; ferner auch Lindberg, 1987, bes. S. 71–113.

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Brocchieri, 1991, bes. S. 23–32), sondern durch eine theoretisch-akademische Unterweisung, wobei Reisen sowie ein Studium an entfernten Universitäten das Prestige der Ärzte förderte.10 Richtungsweisend für die nunmehr aufblühende Universitätsmedizin war im 13. Jahrhundert der Hof Friedrichs II. von Hohenstaufen, wo die traditionelle Heilkunde von einem engen, bereits im 11. und 12. Jahrhundert dokumentierten Austausch mit süditalienischen Klöstern (Montecassino) bzw. Hochschulen (Salerno), aber auch mit dem arabischen Kulturkreis profitierte.11 Auch den renommierten Universitäten Italiens und Frankreichs kamen bis zum 17. Jahrhundert – hierüber kann kein Zweifel bestehen – die mediterranen Verkehrskontakte zugute. Der Begriff universitas leitete sich anfangs, zumindest in Italien, von der nationalen Vielfalt der Studierenden ab, nicht der Disziplinen!12 Paduas Vorreiterrolle im 16. Jahrhundert ist, um nur ein Beispiel herauszugreifen, ohne Venedig, einen der wichtigsten Umschlageplätze für Manuskripte und Bücher, undenkbar.13 Die geographische Anbindung an die Adria, welche, wie auch die Nähe der deutschsprachigen Welt, die Anreise ausländischer Gelehrter und Studenten erleichterte, spielte, übrigens auch für Bologna und Ferrara, eine wichtige Rolle.14 Bis zur Aufklärung blieb die wissenschaftliche Medizin nach antikem Vorbild eng mit der Philosophie und Theologie verbunden. Robert Grosseteste, Albertus Magnus, Thomas von Aquin, Roger Bacon, Petrus Hispanus und andere Gelehrte des Hochmittelalters arbeiteten z.T. mit Prämissen, die arabische Ärzte und Philosophen wie Alhazen, Avicenna oder Averroës entwickelt hatten.15 Mit der Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhunderts und dessen Etablierung in Hafenstädten wie Genua, Pisa, Livorno, Neapel oder Venedig konnten wissenschaftliche Theorien in kürzester Zeit auch an entfernte Orte vermittelt werden. In allen Ländern der europäischen Mittelmeerküste verstanden die an den medizinischen Fakultäten ausgebildeten Ärzte Latein, teilweise sogar die Kaufleute, zumal die Landessprachen, etwa das Italienische, Venezianische, Französische und Katalanische ihrer Ursprungssprache noch nicht so entrückt waren wie heutzutage. Kaufleute und Händler, die mit medizinischen Manuskripten und Büchern beachtliche Geschäfte machten, tendierten rund um die Adria allerdings zum Venezianischen (Venexian).16 Von besonderer Bedeutung war für die Medizin des Westens der Gewürzhandel, der eng mit dem Austausch von Drogen und Medikamenten – in der Regel von Heilpflanzen oder deren Composita – verbunden war. Der zum Christentum kon10

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Das Schiff benutzten allerdings nur Studenten aus Spanien und Portugal sowie Nordafrika und den byzantinischen Ländern, während z.B. deutsche Studenten nach Italien und Südfrankreich den Landweg benutzten. Bergdolt, 2004, S. 78–81, zur Institutionalisierung der Medizin unter Friedrich II. vgl. auch Heinisch, 1968, S. 94–97; ferner Stürner, 1996. In Paris und Oxford sprach man dagegen von der „universitas magistrorum et scholarium“, vgl. Verger, 1997, Sp. 1250; ferner Cardini u. Fumagalli Beonio-Brocchieri, 1991, S. 46. Zu Padua vgl. Fichtner u. Siefert, 1978, bes. S. 14–26. Zur Glanzzeit Paduas vgl. Premuda, 1986. Vgl. Lindberg, 1987, ferner Pormann; Savage-Smith, 2001; Prioreschi, 2001. Zum Venexian vgl. Ferguson, 2007; zur venezianischen Handelskultur und den benutzten Sprachen siehe Cortelazzo, 1980, ferner Tucci, 1980, ferner Lucchetta, 1980.

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vertierte Constantinus Africanus (gest. 1087), welcher die Ärzte von Salerno, aber auch die Benediktiner mit den Werken des Ägypters Isaak Judaeus (vgl. Lauer, 1991) bekannt machte und zentrale Gedanken Galens paraphrasierte, war ursprünglich ein reisender Arzneiverkäufer (Hettinger, 1990; Veit, 2003; Schipperges, 1986, Sp. 171 mit ausf. Literaturliste)! Für Petrus Diaconus (12. Jh.), wie Constantinus Mönch in Montecassino, galt er im Hinblick auf seine Mobilität und Sprachfertigkeit, als orientis et occidentis magister.17 Auch Heilpflanzen, darunter die berühmte Alraune, wurden, was ihren Nimbus unterstrich, seit der Antike aus Asien bzw. Arabien importiert.18 Um die Jahrtausendwende beschrieb der arabische Augenarzt Ali Ibn Isa (Jesus Haly) in einer auch im Westen beachteten Erinnerungsschrift für Augenärzte etwa 130 Augenkrankheiten.19 Schon in der Antike war aufgefallen, dass Fischer und Matrosen, die durch ihre berufliche Tätigkeit in besonderer Weise dem Sonnenlicht ausgesetzt waren, häufiger als andere an einer Katarakt erkrankten.20 Wenig später verfasste sein Kollege Albucasis (936–1013) eine Enzyklopädie, welche die mittelalterlichen Chirurgen des Westens – darunter noch im 14. Jahrhundert Guy de Chauliac – nachhaltig beeinflusste (Hirschberg, 1899, Bd. 1, S. 118–120). Die zweite Rezeptionswelle medizinischer Fachschriften aus dem Arabischen erfolgte im 12. Jahrhundert durch Gerhard von Cremona in Toledo, das 1085 den Mauren entrissen worden war. 24 medizinische Traktate waren nun dank der Initiative des Italieners auf Lateinisch verfügbar, wobei die meisten freilich durch Zwischenübersetzungen vom Griechischen über das Syrische, Arabische und schließlich Kastilische inhaltlich deformiert waren.21 Der gelehrte Vorsteher einer gut organisierten „Übersetzerwerkstatt“ profitierte nicht zuletzt von der Tatsache, dass zur Zeit des Kalifats von Cordoba zahllose antike medizinische, naturwissenschaftliche und philosophische Werke aus Nordafrika nach Spanien gelangt waren (vgl. Meyer, 1989 u. Pizzamiglio, 1992). Mit dem Orient, zu dem man auch Nordafrika zählte, verband man Weisheit und Geheimwissen. Das Tor war nicht nur der östliche Mittelmeerraum, sondern auch Spanien und Sizilien! Allerdings verfügte auch die christliche Welt Europas über zahllose Schatzkammern medizinischen Wissens. In vielen Klöstern war nach wie vor antikes, aber auch regionales medizinisches Wissen abrufbar, hatte doch bereits Cassiodor (6. Jh.) für jede Klosterbibliothek auch antike medizinische Werke gefordert.22 Über den Land- und Seeweg standen die Klöster und ihre Ärzte – vor allem jene des im frühen 13. Jahrhundert gegründeten Dominikaner- und Franziskanerordens – in erstaunlich enger Verbindung (Frank, 1975, Bd. 1, S. 276f.). Allerdings bedeuteten Seereisen immer ein gesundheitliches Risiko. Während der Kreuzzüge starben unzählige Ritter und Knechte an Seuchen, Erschöpfung 17 18 19 20 21 22

Zitiert nach Schipperges, 1986, Sp. 171. Gleichzeitig galt die Alraune als Mittelmeerpflanze schlechthin, vgl. Dilg, 1980. Zum Inhalt vgl. Hirschberg, 1899, Bd. 1, S. 121–146. Schon Galen ging davon aus, dass das Auge gegen die „von außen eindringende Lichtstrahlung“ zu schützen sei, welche den Kristall schädige, vgl. Hirschberg, 1899, Bd. 1, S. 325. Zu Gerhard von Cremona Meyer, 1989; Schipperges, 2005, Sp. 478; Oppelt, 1959. Hierzu Frank, 1975, Bd. 1, S. 276f. („Über die Ärzte“). In Buch 31 der Institutiones werden die medizinischen Autoren genannt, die in eine Klosterbibliothek gehören.

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oder Fehlernährung. Die Lebensbedingungen an Bord waren hart und unmenschlich, die Häfen Umschlagsplätze nicht nur von Waren, sondern auch von Krankheiten (vgl. Wagner, 2009). Kein Wunder, dass die prekäre sanitäre Situation auf den Schiffen und in den Massenunterkünften eine besondere Herausforderung darstellte. Besonders die Ritterorden machten es sich auch zur Aufgabe, Kranke zu pflegen. Die Kreuzzüge führten dazu, dass auf Rhodos und Zypern, in Akko und an anderen Orten der Levante Hospitäler errichtet wurden, deren Organisation und Architektur weit in die Zukunft wiesen (Karenberg, 1998, S. 99). Rhodos und Malta blieben – auch nach dem Fall Jerusalems und Akkos – wichtige Stützpunkte (Staehle, 2002). Kranke Pilger profitierten ebenfalls von dieser Entwicklung (Freller, 1998/99). Tausende hatten sich vom 13. bis 17. Jahrhundert allein in Venedig ins Heilige Land eingeschifft (Denke, 2001). Ihre Route berührte immer dieselben Hafenstädte, wo sich das Personal von Hospizen auf ihre Bedürfnisse „spezialisiert“ hatte. Auch die heutigen Johanniter und Malteser stehen in dieser Tradition (Sarnowski, 2011). Das Meer galt keineswegs als Freund des Menschen. Hier lauerten vielerlei Gefahren, etwa Mangelkrankheiten oder sogar Hungersnöte auf Schiffen, wenn die Häfen durch Seuchen oder Feinde blockiert waren, von den üblichen Seekrankheiten, reaktiven Psychosen und Verzweiflungstaten auf hoher See ganz abgesehen. Zumindest auf Pilgerschiffen scheint man früh auf akzeptable Köche Wert gelegt zu haben. Die logistische Vorbereitung der Reise schloß die Beschaffung von Lebensmitteln und Trinkwasser ein. Man wusste, dass das körperliche Wohlergehen von Matrosen, Soldaten und Passagieren auch mit deren Ernährung zu tun hatte (Bankhofer, 1987, S. 23–26). Dass sich durch den Schiffsverkehr zahlreiche Seuchen nach Westen, aber auch – man denke nur an die Syphilis, die Ende des 15. Jahrhunderts von Spanien aus Italien erreichte!23 – nach Osten ausbreiteten, beschäftigte die Medizin schon früh. Etwa zwischen 165 und 180 n. Chr. grassierte, besonders in der Levante, die Antoninische Pest, eine pockenähnliche Epidemie (vgl. Breitwieser, 2005). Die sehr gut dokumentierte Pest des Justinian flackerte dagegen vom frühen 6. bis zum Ende des 7. Jahrhunderts in verschiedenen Hafenstädten auf (vgl. Leven, 2005, Sp. 689–691)! Von Anfang an wurde sie, wie der Zeitgenosse Prokop mitteilte, durch Schiffe verbreitet (McNeill, 1978, S. 143). Vor allem aber folgte der Schwarze Tod von 1348, dem allein in Europa etwa 20 Millionen Menschen erlagen, primär den Schiffsrouten. Was man damals nicht ahnte: Es war die „Hausratte“ (Rattus Rattus), die, wenn nicht in Hauskellern, bevorzugt in Schiffsbäuchen vegetierte, dort von Abfällen lebte und als „natürlicher“ Wirt der Pestflöhe eine unheilvolle Rolle spielte (Bergdolt, 2003, S. 17–20). Von der Krim aus erreichte die Pest über Zwischenhäfen Konstantinopel, die Ägäis, das östliche Mittelmeer, Sizilien und von dort aus Venedig und die Adria sowie, über das Tyrrhenische Meer, Pisa, Genua, Marseille und die Balearen (Bergdolt, 2003, S. 35–50). Prophylaxe und Therapie wurden, ungeachtet der von den Ärzten favorisierten Miasmentheorie, bald zu einer internationalen Angelegenheit. Das Prinzip der Quarantäne, d.h. der vorübergehenden Isolierung aller Reisender, die aus infizierten Gebieten kamen, setzte 23

Hierzu Gerabek, 2005, S. 1371–1374 (mit Literaturangaben).

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Informationen über Stand, Ausbreitung und Rückzug der Seuche in anderen Gebieten voraus. Nach ersten Erfahrungen – 1374 in Reggio d’Emilia (10 Tage), 1377 in Ragusa/Dubrovnik (30 Tage) und 1383 in Marseille (40 Tage)24 – eröffnete Venedig 1468 als erste europäische Hafenstadt eine ständige Quarantänestation, die Insel des Lazareto Novo, während sichtbar Pestkranke in dem bereits 1423 gegründeten Pestspital Santa Maria di Nazaret, dem Lazareto Vecchio, gepflegt und bewacht wurden (Bergdolt, 2003, S. 26; Biraben, 1975/76, Bd. 2, S. 173–175; Vanzan Marchini, 2004, S. 18f.; Premuda, 1985). Im 19. Jahrhundert war es die Cholera, die Millionen von Opfern forderte, vor allem wiederum in Hafenstädten!25 Noch 1912, als Thomas Mann in Venedig zu seiner Novelle Der Tod in Venedig inspiriert wurde, fielen in Neapel, Palermo und vielen Hafenstädten der Levante unzählige Menschen (und Tiere) der „Pest des 19. Jahrhunderts“ zum Opfer (Rütten, 2005). Früh hatten sich Architekturtheoretiker wie Vitruv, Palladio oder Cornaro Gedanken darüber gemacht, wie man an südlichen Küsten „gesunde“ Bauten errichten könne (Bergdolt, 1992a; 1992b). Schlechte klimatische Verhältnisse in den Hafenstädten, Gassen ohne Licht, Abfall und Unrat, besonders an Strand und Häfen, gestaute Abwässer, ein zu enges Zusammenleben und natürlich der ständige Kontakt mit Fremden veränderten die Gesundheit, „ohne dass dem Einzelnen bewusst wird, wie sehr er davon betroffen ist“, hatte schon im 13. Jahrhundert der jüdische Gelehrte Maimonides bemerkt (Schipperges, 1995, S. 69). Im Zweifelfall seien – Maimonides, Berater eines muslimischen Sultans, bezog sich hier auf die hippokratische Schrift Von der Umwelt – Hafenstädte an Hängen mit Nord- oder Ostwind zu errichten (an Südküsten waren entsprechende Buchten zu wählen!), um die feuchtwarmen Südwinde zu vermeiden. Bis zum frühen 19. Jahrhundert vermied man es in Italien, ohne den Schutz einer Loggia große Fenster nach Süden oder Südwesten zu bauen.26 Die „helle“, stets sonnenbeschienene Wohnung, heute im Angebot jedes besseren Wohnungsmaklers, galt als ungesund! Der Mittelmeeranwohner entzog sich dem prallen Sonnenschein und dem Einfluss schwüler Winde, so gut er konnte. Schwimmen galt als merkwürdige, exotische Kunst! Erst der Tourismus des 20. Jahrhunderts setzte sich über die im Verlauf von Jahrhunderten gewonnenen Erfahrungen der Einheimischen hinweg. Seitdem sich um 1900 – wiederum am Mittelmeer, nämlich auf dem Lido von Venedig – ein neuer Trend zur Bräunung des Körpers entwickelte, erkrankten Tausende, weil sie nie über ein sinnvolles Verhalten am Meer informiert wurden (Vanzan Marchini, 1997)! Jeder Fischer versuchte – und versucht bis heute! – Sonnenbrände zu vermeiden, unzählige Touristen nahmen ihn dagegen in Kauf, um möglichst schnell ihre Blässe zu verlieren. Erst in den letzten Jahren wurde die Gefahr von Hauttumoren, besonders von Melanomen auch von den Massenmedien realisiert.

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Hierzu Vanzan Marchini, 2004, S. 17f. Vgl. zur Cholera in Hamburg Evans, 1990, zur Cholera in Neapel Snowden, 1995. Vgl. etwa den Hinweis bei dem Schriftsteller und Architekturtheoretiker Alvise Cornaro, ein Haus müsse so gebaut werden, „dass mich der eine Teil der Räume vor der großen Hitze, der andere vor der großen Kälte schützt“, vgl. Bergdolt, 1997.

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Die Relevanz der Mittelmeerforschung für das Fach Heute interessieren sich besonders auch Medizinstatistiker für den Mittelmeerraum. In den Mittelmeerregionen sterben deutlich weniger Menschen an Herzund Kreislauferkrankungen als in anderen Teilen Europas (Estruch u. Ros u. a., 2013). Selbst in Großstädten wie Madrid und Marseille liegt die Todesrate unter dem EU-Durchschnitt. In Italien ist die Lebenserwartung höher als in Deutschland! Die „mediterrane“ fettarme Küche, die durch Olivenöl geprägt ist, gilt in Mittel- und Nordeuropa als vorbildlich und gesund. Fischprodukte stehen im Ruf, kardioprotektiv zu sein.27 Auch der Vitamin-D-Mangel scheint an sonnenbeschienenen Mittelmeerstränden keine Rolle zu spielen. In Italien und Frankreich wurden bewusst alternativmedizinische Therapiekonzepte entwickelt, in Anlehnung an die berühmte „mediterrane Kost“, die auch in den mittel- und nordeuropäischen Ländern, als nicht unattraktiver Exportschlager populär geworden ist (vgl. Giannelli, 2006). Die Literatur zu diesem Thema ist, wie ein Blick in die alternativmedizinische und ernährungswissenschaftliche Literatur zeigt, fast unerschöpflich. Das von persönlichem Vertrauen geprägte Arztbild, das Verständnis der Medizin als komplexer Naturwissenschaft mit stark psychologischer, aber auch sozialer Komponente, das normierte Medizinstudium, die sogenannte „innere Medizin“ und die Psychosomatik, die Institution der Hospitäler, die Schifffahrtsmedizin, die Erforschung der Seuchen, das Prinzip von Quarantäne und Isolierung, die Klimaund Meeresforschung mit stark medizinischer Akzentuierung und nicht zuletzt der internationale Austausch von Fachkenntnissen hatten im mediterranen Umfeld ihren Ursprung. Über Jahrtausende beeinflusste die Nähe und die Herausforderung des Meeres das medizinische Denken. Die westliche Heilkunde wurde hier geboren. Erst mit der Aufklärung – vor allem aber seit dem 19. Jahrhundert – hat sich die medizinische Spitzenforschung, zuletzt gefördert durch die sprachlich und politisch geförderte Prädominanz anglo-amerikanischer Forschung und Paradigmatik, zum großen Teil von ihren geographischen Ursprüngen entfernt! Während einzelne Phänomene, etwa die Pest, bereits gut erforscht sind, ist der Wissenschaftstransfer der Antike wie des Mittelalters, was Details angeht, immer noch ein Forschungsdesiderat. Erstaunlicherweise gilt dies auch für die historische Klimaforschung, die naturgemäß eng mit der historischen Meereskunde verbunden ist. Auch die Geschichte der medizinischen Versorgung von Pilgern – besonders im Hinblick auf das Heilige Land – weist immer noch viele Fragen auf, nicht weniger als die frühe, d.h. vor allem byzantinische Hospitalgeschichte, die einen wichtigen Teil der mediterran-christlichen und muslimischen Stadt- und Siedlungsgeschichte darstellt. Auch fehlen Untersuchungen zum Alltag des Reisens von Wissenschaftlern und Gelehrten (in der Regel Mönchen) im 12. und 13. Jahrhundert, aber auch in der Renaissance. Eine Synopsie der Gesundheitskontrollen in den Hafenstädten stellt ebenfalls ein Desiderat dar. Wenig wissen wir zudem über das Leben auf Handels- und Pilgerschiffen. Ebenso sind die vielfältigen Vorstellun27

http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/gesunde-ernaehrung-grossstudie-adelt-mittelmeerkost-a-749655.html

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gen vom Meer als direkter Ursache von Krankheiten – vor allem die Viersäftelehre führte zu teilweise abenteuerlichen Vorstellungen! – bisher nicht zusammenhängend untersucht worden. Das Thema „Mittelmeer“ im engeren Sinn des Wortes stand in der deutschsprachigen Medizingeschichte noch nie im Mittelpunkt der Forschung, die Beschäftigung mit dem antiken Griechenland sowie mit Italien und Frankreich (bis in die Frühe Neuzeit) dagegen sehr, ohne dass dabei die Lage dieser Länder am Meer eine wirklich zentrale Rolle gespielt hätte. Genau dies gilt auch für die von der Smithsonian Institution seit 2010 herausgegebene Buchreihe „Medicine in the Medieval Mediterranean“. Die oben skizzierten Beobachtungen waren stets Früchte (oder Nebenfrüchte) größerer Forschungsprojekte, die primär andere Zielrichtungen hatten, von der Seuchenforschung bis zur Schiffsarchäologie, von der SalernoForschung bis zur Anatomie-Reform des 16. Jahrhunderts.28 Eine Ausnahme stellt die klassische Pestforschung dar, die, ungeachtet der Seuchenzüge des 19. Jahrhunderts im asiatischen Raum (vor allem im Mittleren und Fernen Osten), bis heute immer wieder auf das Mittelmeer rekurriert. Erstaunlicherweise hat die Alltagsbzw. neue Kulturgeschichte Italiens und Frankreichs, zumindest was das Mittelalter und die Frühe Neuzeit angeht, die Verbindung von Krankheit und Meer nur bedingt berücksichtigt (weit mehr verrät hier etwa, noch im 19. Jahrhundert, der naturalistische Roman, etwa bei Giovanni Verga!). Die Medizin kommt in Braudels großem Mittelmeerwerk vor, aber nur am Rande, wobei die Leistung der arabischen Kultur für die Europäer besonders herausgestellt wird. Die Erforschung der Geschichte des Zweiten Weltkriegs, darunter der deutschen Okkupation von Italien und Griechenland und der (weit weniger untersuchten) italienischen Besetzung von Libyen und Teilen Griechenlands warf ebenfalls Schlaglichter auf Seuchen, Mangelkrankheiten, psychologische Traumata usw. Auch in den Kongressbänden der „Deutschen Gesellschaft für Schifffahrt- und Marinegeschichte“ erschienen in den letzten Jahren wiederholt Artikel zur Medizingeschichte, die das Mittelmeer berührten. Die aktuelle medizinische Forschung grenzt hier dagegen kaum ein. Die Thalassämie wird heute angesichts ihrer weiten Ausbreitung, vor allem in Afrika, kaum noch als „Mittelmeer-Anämie“ bezeichnet (vgl. Röcker u. a., 2007).

28

Vgl. Cohen, 2011 (http://www.history.com/news/ancient-medicines-from-shipwreck-shed-lighton-life-in-antiquity).

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NIKOLAS JASPERT, SEBASTIAN KOLDITZ UND JENNY OESTERLE

Mittelalterliche Geschichte Mittelalterforschung: Definitionen und Raumkonzepte einer geschichtswissenschaftlichen Disziplin Das Mittelalter als Epoche war lange ein auf die europäische Geschichte bezogenes Paradigma. Seit dem 17. Jahrhundert von europäischen Gelehrten unter dem Einfluss konfessioneller Abgrenzung propagiert, wurzelte die Vorstellung von einer mittelalterlichen Epoche in universalgeschichtlichen Konzepten der christlichen Historiographie, während die außerhalb der (lateinischen) Christenheit gelegene Welt sowie die islamisch beherrschte südliche Hälfte des Mittelmeerraums nur peripher wahrgenommen wurden. Die hegemoniale Position der europäischen Nationalstaaten und Großmächte bedingte, dass diese Sichtweise auch im 19. Jahrhundert kaum modifiziert wurde, so dass die Vorstellung vom christlich-lateinischen Europa als Zentralraum des Mittelalters noch immer prägend ist. Als Wissenschaft vom europäischen Mittelalter ist diese Form der Mediävistik letztlich Regionalwissenschaft. Dieser Umstand wird gleichwohl selten reflektiert, nicht zuletzt, weil der Epochenbegriff „Mittelalter“ infolge der akademischen Dominanz Europas im 19. und 20. Jahrhundert auch auf außereuropäische Regionen übertragen worden ist (Goetz, 1999, S. 36–46), obwohl sich beispielsweise für die Geschichte der „islamischen Welt“ aus der europäischen Geschichte stammende Periodisierungsvorgaben nur bedingt eignen. Selbst innerhalb der europäischen historiographischen Traditionen existieren Unterschiede in Bezug auf Beginn, Ende und Binnengliederung der Epoche. Die in Deutschland übliche Einteilung in Früh- (ca. 500 – ca. 1000), Hoch- (ca. 1000–1250) und Spätmittelalter (1250–1500) etwa orientiert sich teilweise an dynastischen Wechseln des römisch-deutschen Reiches. Andere europäische Länder folgen abweichenden Gliederungsprinzipien. Während für Byzanz oft eine früh-, mittel- und spätbyzantinische Phase unterschieden wird, folgt die Historiographie zur arabisch-islamischen Welt zumeist dynastischen Gliederungsmustern. Eine mediterran orientierte Mediävistik muss sich kritisch mit solchen unterschiedlichen Periodisierungen auseinanderzusetzen, bedarf aber auch der Überwindung tiefer Grenzen zwischen sprachgebundenen Fächertraditionen, die sich in der Regel an der Geschichte imperialer Raumvorstellungen ausgerichtet haben. Dabei handelt es sich um die drei Untersuchungsfelder der arabisch-islamischen, byzantinisch-griechischen und lateinisch-christlichen Geschichte, die traditionell der Orientalistik (oder Islamwissenschaft), der Byzantinistik bzw. der (lateinsprachigen) Mediävistik im engeren Sinn zugeordnet werden. Mit ihnen verbinden sich

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wiederum spezifische, in jüngster Zeit zunehmend kritisch beleuchtete Raumparadigmen, zu denen sich eine mediterran orientierte Mediävistik ebenfalls positionieren muss. Daher werden die wissenschaftsgeschichtlichen Teile dieses Beitrags notwendigerweise einem disziplinären Zugang folgen, wogegen im letzten Abschnitt transdisziplinäre Perspektiven entwickelt werden.

Islamwissenschaftliche mediävistische Mittelmeerforschung In der arabisch-islamischen Geschichte des so genannten Mittelalters wurde das Mediterraneum trotz der über Nordafrika bis nach Spanien ausgreifenden islamischen Expansion weder ein zentraler noch ein konstanter Herrschaftsraum. Seine Relevanz schwankte in Abhängigkeit zu den jeweiligen, sich verändernden Kernräumen islamischer Dynastien. Die von Bagdad aus regierenden Abbasiden waren weniger mediterran, sondern stärker nach Osten, zum Indischen Ozean orientiert als etwa die von Kairo aus regierenden Fatimiden, Ayyubiden und Mamluken oder die nordafrikanischen Dynastien wie z.B. die Hafsiden und iberischen Umayyaden. Die „Mitte der Welt“ (Ansary, 2010, S. 23–36) lag für die Araber nicht im Mittelmeerraum, sondern eher im aus westlicher Perspektive so genannten „Nahen Osten“, von dem aus die arabische Expansion, aber auch Handelsverbindungen in Richtung Mittelmeer sowie nach Asien, in den Fernen Osten und nach Afrika ausgingen. Bereits die unterschiedlichen arabischen Bezeichnungen für das Mediterraneum, nämlich baḥr al-rūm (Meer der Römer bzw. Byzantiner), baḥr alšām (syrisches Meer) oder baḥr al-maġrib (westliches Meer) weisen eher auf regionale Zuordnungen von Teilen des Mittelmeeres durch die Araber hin denn auf seine Erfassung als übergreifendes Ganzes oder sogar auf ein zentrales mediterranes Paradigma. Hinzu kommt, dass das Verhältnis der Muslime zum Meer generell ambivalent war. In frühislamischer Zeit war die Seefahrt mit religiösem Skeptizismus belegt.1 Die meeresskeptischen Stellen im Koran und den Überlieferungen zum Leben des Propheten Mohammad werden in der Forschung immer wieder zitiert und zur Begründung einer Zurückhaltung der Araber gegenüber dem Ausbau einer Seeherrschaft u. a. auf dem Mittelmeer interpretiert (Hoenerbach, 1967; Fuess, 2001). Jüngere Forschungen leiten daraus sogar eine grundsätzliche Inkongruenz von „Islam“ und „Meer“ ab (De Planhol, 2000). Den religiös basierten Ressentiments widersprechen allerdings – nach intensiven arabischen Kontakten in den Indischen Ozean bereits in vorislamischer Zeit – die rasche arabische Expansion, die sich auch auf mediterrane Inseln erstreckte, intensiver Handel sowie Kriege zur See etwa gegen die Byzantiner. Einige um das Mittelmeer gelegene arabische Herrschaften eigneten sich, nicht zuletzt mithilfe nichtmuslimischer Experten, Kenntnisse in Seetechnik und Schiffsbau an und verfügten über beachtliche Flotten (Harpster, 1997; Rose, 2008; Walmsley, 2000); dennoch entwickelten sie sich nie zu ausgesprochenen Seeherrschaften (Thalassokratien). Muslimische Araber herrschten im Mittelalter zwar 1

Vgl. Koransure 10,22 oder Sure 24, 40.

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über weite Teile des südlichen und östlichen Mittelmeerraums, dennoch lassen sich daraus schwerlich mediterrane politische Paradigmata ableiten. Im Unterschied zu Rom oder Byzanz hat es nie ein mediterranes arabisches Imperium gegeben. Die politische und bisweilen auch intrareligiöse Spaltung innerhalb dieses Raums blieb maßgeblich, wenngleich diplomatische Beziehungen zwischen den Reichen sowie zu den christlichen Herrschaften über das Mittelmeer bestanden (Jaspert, Kolditz, 2014) und stets arabische Händler auf dem Mittelmeer unterwegs waren. Ein Spezifikum des arabischen Zugangs zum Mittelmeer, gerade im Unterschied zu anderen Meeren, etwa dem Indischen Ozean, war die Wahrnehmung von Grenzen, kriegerischen Auseinandersetzungen und politisch/religiöser Konkurrenz in diesem Raum (vgl. Hourani, 1951). Während kein Hafen im Indischen Ozean Befestigungsanlagen besaß (Bauer, 2011, 367; Marks, 2005, 62), finden sich bis heute Überreste arabischer Ribate an den Mittelmeerküsten. Dass wissenschaftsgeschichtlich die deutsche Orientalistik bzw. Islamwissenschaft kaum ein mediterranes Paradigma entwickelte, ist jedoch nicht allein diesen Befunden geschuldet. Es ist auch nicht mit dem erst späten Auftreten Deutschlands als Kolonialmacht und seinen Beziehungen zum Nahen und Mittleren Osten zu erklären, d.h. mit imperialistischen Entwicklungen, denen sich die Disziplin keineswegs verschloss. Die Ferne zum Mittelmeer war vielmehr eine Folge des Selbstverständnisses der deutschen Orientalistik: Sie war eine primär philologisch arbeitende Sprach- und Literaturwissenschaft, die sich erst gegen Ende des Jahrhunderts (Schäbler, 1998; Mangold, 2004; Marchant, 2009) ausdifferenzierte.

Byzantinistik Über das reichliche Jahrtausend seiner Existenz bildete das oströmischbyzantinische Reich bei aller Fluidität seiner Grenzen stets ein mediterranes Herrschaftsgebilde und sein politisch-kulturelles Zentrum Konstantinopel war eine der führenden Metropolen des Mittelmeerraums. Dennoch spielen mediterrane Paradigmata in der Byzantinistik bisher eine untergeordnete Rolle: Ihre Relevanz scheint vor allem für die frühbyzantinische Zeit bis zum 8. Jahrhundert gegeben (Cameron, 2012), in der das Kaisertum von Konstantinopel noch als panmediterraner Akteur erscheint, dessen Autorität sich im Gefolge der Expansion Justinians auch auf den westlichen Mittelmeerraum erstreckte. Die engen Zusammenhänge innerhalb der Reichskirche einschließlich des römischen Stuhls stifteten gleichfalls transmediterrane Bezüge. Der von Pirenne aus westeuropäischer Perspektive postulierte Epochenschnitt im Gefolge der arabischen Expansion (Pirenne, 1936)2 bildet aus byzantinischer Sicht durchaus eine tiefe Zäsur, geprägt von der neuen Abgrenzung zwischen dem verbliebenen Reichsgebiet und den ehemals hellenistisch geprägten Räumen Ägypten und Levante (vgl. Lilie, 1976; Kaegi, 1992; HowardJohnston, 2010). Diese Grenzziehung wirkt sich auch auf die Forschungsgegen2

Zur weiteren Auseinandersetzung mit der Pirenne-These vgl. u. a. Ashtor, 1970; Grierson, 1959; Hodges Whitehouse, 1983.

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stände der im späteren 19. Jahrhundert entstandenen klassischen Byzantinistik als eines in sich interdisziplinär angelegten Faches nachhaltig aus: Für die verschiedenen Teilbereiche – insbesondere mittelgriechische Philologie, byzantinische Geschichte, Kunstgeschichte und Archäologie, orthodoxe Kirchengeschichte sowie Historische Hilfswissenschaften – bieten sich jeweils spezifische räumliche Referenzrahmen an. So prägt die Erstreckung des griechischen Sprach- und Schriftraums im Mittelalter vom südlichen Italien bis Zypern den Untersuchungsraum der Philologie und textbezogener Hilfswissenschaften, während das als „Byzantine Commonwealth“ (Obolensky, 1971) beschriebene Gebiet kultureller Prägung durch die Orthodoxie, das weite Teile Ost- und Südosteuropas und des Kaukasusraumes einschließt, vor allem für die Kirchen- und Kunstgeschichte große Bedeutung hat. Ebenso kann Byzanz als prägender Faktor in der Geschichte Südosteuropas verstanden werden, besonders für die Betrachtung regionaler Verflechtungen und ihrer Wirkmächtigkeit bis in die Zeit osmanischer Herrschaft (vgl. Curta, 2006; Matschke, 1999; Clewing, Schmitt, 2011, S. 24–205). Schließlich ist auch die Frage nach der Relevanz byzantinischer Fundamente für die griechische (nationale) Identität gestellt worden (Vacalopoulos, 1970; Koder, 2003). Der Gegenstand der Byzantinistik lässt sich somit als Überlappung verschiedener auf spezifische Erkenntnisinteressen bezogener mentaler Kartographien beschreiben. In diesem Gesamtbild spielt ein mediterranes Bezugssystem nur für bestimmte Teilbereiche der Byzanzforschung eine wichtige Rolle.

Lateineuropäische Mediävistik Wenngleich im Mittelalter einzelne Mächte wie Venedig, Genua oder die Krone Aragon über das Meer hinausgriffen und als transmaritime mediterrane Reiche bezeichnet werden können, herrschte keine von ihnen über den gesamten Mittelmeerraum. Ältere Raumvorstellungen vom Mediterraneum waren in Lateineuropa zwar nicht unbekannt, aber weder verbreitet noch prägend. Das faktische Fehlen eines mediterranen Raumkonzepts im Mittelalter zeitigte auch Folgen für die historische Forschung: Sie entwickelte eigene Raumbezüge, welche allerdings mitunter mediterranistische Bezüge aufwiesen. Mittelalterforschung ist traditionell in hohem Maße im Rahmen der jeweiligen europäischen Nationalgeschichten betrieben worden. Zur Zeit der europäischen Nationalismen des 19. und 20. Jahrhundert war der moderne Nationalstaat oftmals die (unausgesprochene) Bezugsgröße mediävistischer Forschung (Oexle, 1996; Goetz, 1999; Moraw, Schieffer, 2005). Dies gilt auch für vermeintlich transnationale Paradigmen jener Zeit, von denen besonders zwei für die Mediterranistik Relevanz besitzen. Das erste wurde insbesondere durch Teile der französischsprachigen Kreuzzugsforschung entwickelt, welche die um 1100 errichteten und knapp zwei Jahrhunderte später untergegangenen sogenannten Kreuzfahrerstaaten unter dem Begriff Outremer zu fassen suchten und damit postulierten, dass diese Herrschaften in einem engen Abhängigkeitsverhältnis zum nordmediterranen Europa, besonders aber zu Frankreich gestanden hätten (Murray, 1995; Nielen, 2003; Knobler,

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2006). Damit wurde als Ausdruck zeitgenössischer Kolonialpolitik und des Ringens europäischer Mächte um die Vorherrschaft im Nahen Osten einzelnen Teilen Europas eine hegemoniale Stellung im mediterranen Raum des Mittelalters zugewiesen. Für die deutschsprachige Mediävistik ungleich einflussreicher war die Vorstellung vom mittelalterlichen Reich (Schneidmüller, 2010), die gleichfalls aktuelle politische Grenzen in alle Richtungen überschritt. Auch das Paradigma vom Reich hat eine mediterranistische Dimension, wie sich etwa an der zum Ende des 19. Jahrhunderts heftig geführten akademischen Debatte darüber ablesen lässt, ob die Geschichte Deutschlands ‚erfolgreicher‘ verlaufen wäre, wenn das deutsche Königtum sich nicht auf das Papsttum und damit mediterran, sondern eher nach Mittelosteuropa ausgerichtet hätte (Brechenmacher, 2003). Das nach dem Zweiten Weltkrieg wachsende Bemühen um die politische Überwindung des Nationalstaats verstärkte auch das akademische Interesse an mittelalterlichen Selbstzuschreibungen und Konstruktionen Europas und eröffnete auf diese Weise einen neuen, mit dem Mittelmeerraum in einem Spannungsverhältnis stehenden Bezugsraum (Hiestand, 1991; Le Goff, 2004). Nun wurde das Mittelmeer verschiedentlich wieder zur Grenze des Kontinents deklariert, weil das christliche Europa des Mittelalters vermeintlich an den Gestaden des Mittelmeeres geendet habe. In dieser Hinsicht steht das mediterrane Raumparadigma in der Mediävistik in deutlicher Konkurrenz zum Europa-Konzept. Parallel zu der zum Ende des 20. Jahrhunderts betriebenen Öffnung der Europäischen Union über das Mittelmeer hinaus ist das Bild Europas und infolgedessen auch die Vorstellung klarer Glaubensgrenzen einer kritischen Überprüfung unterzogen worden (Oschema 2007; 2010). Tatsächlich wurde die räumliche Größe „Europa“ erst allmählich seit dem Ende des Mittelalters zu einer wirkmächtigen Vorstellung neben regionaleren räumlichen Bezugsgrößen. Auch diese Regionalisierung räumlicher Konzepte findet ihre Entsprechung in der jüngeren europäischen Politik, welche Ende des 20. Jahrhunderts unter dem Schlagwort „Europa der Regionen“ unter Bezugnahme auf die mittelalterliche, und mitunter mediterrane Geschichte eine Rückkehr zu kleineren, insbesondere kulturell geprägten historischen Einheiten postulierte (Hölcker, 2004; Ruge, 2003).

Bestehende mediterranistische Ansätze in der Forschungsgeschichte Mediävistik Lateineuropas Ein vergleichender Blick auf die Forschungsschwerpunkte der europäischen Mediävistik offenbart, dass sich der Mittelmeerraum in den letzten drei Jahrzehnten zu einem etablierten Untersuchungsgegenstand der Mittelalterforschung entwickelt hat. Dies wird nicht nur an einer Reihe von Überblicksdarstellungen, Sammelbänden und Katalogen erkennbar (Coulon, Picard, Valérian, 2007; 2010; Balard, Ducellier, 2002; Balard, 2006; Abulafia u. a., 2004), sondern mehr noch daran, dass namentlich in Frankreich Textbücher zur Geschichte des Mittelmeerraums im Mittelalter vorgelegt worden sind (siehe Jansen, Nef, Picard, 2000; Akkari, 2002;

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Prouteau, 2003; Balard, 2006). In einigen europäischen Ländern, insbesondere in den Anrainerstaaten des Mittelmeerraums, hat das Mittelmeerparadigma endgültig Einzug in die Mittelalterforschung gefunden. Fragt man nach den Gründen für diese Entwicklung, so ist nicht zuletzt auf die Ausstrahlung der sogenannten Annales-Schule auf weite Teile der internationalen Mediävistik während der 1970er bis 1990er Jahre zu verweisen (Burke, 2004; Burguière, 2006). In diesem Zusammenhang erfuhr auch das Werk Fernand Braudels eine breite Rezeption in der Mediävistik. Nicht zuletzt entwickelte sich auf dieser Grundlage ein verstärktes Bewusstsein für die Bedeutung naturräumlicher Gegebenheiten und für die maritime Dimension mediterraner Gesellschaften (in der Geschichtswissenschaft, der Historischen Geographie, der Mittelalterarchäologie). Mediterranistische Perspektiven haben folglich in unterschiedlichem Maße in die Teildisziplinen der Mittelalterforschung Einzug gehalten, eher geringe Resonanz ist hingegen bisher etwa für die Agrargeschichte, die Verfassungsgeschichte oder die Kirchengeschichte zu verzeichnen. Als ein archetypisches Forschungsfeld der mediävistischen Mediterranistik kann die Wirtschaftsgeschichte gelten, die bereits an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert grundlegende Studien hervorbrachte (Heyd, 1879; Schaube, 1906). Hierfür sind nicht nur ältere Vorlieben einer bürgerlichen, den Handel fokussierenden Geschichtsschreibung verantwortlich; vielmehr dürfte aus mediävistischer und damit aus europäischer Perspektive die Beobachtung maßgeblich gewesen sein, dass seit dem 12. Jahrhundert das Mittelmeer sowohl in militärischer als auch in kommerzieller Hinsicht zu einem weitgehend durch europäische Mächte beherrschten Gewässer wurde. Die Anfänge der neuzeitlichen Dominanz Europas zu erforschen oder die Gründe für den „europäischen Sonderweg“ zu verstehen, ist Anliegen vielen Studien (Mitterauer, 2003). Dagegen ist einschlägigen, in der Nachfolge Schlomo Goiteins stehenden Studien zu den berühmten Geniza-Dokumenten (vgl. Goitein, 1967–1993; Goldberg, 2012), neueren wirtschaftshistorischen Arbeiten zum frühen Mittelalter (Claude, 1985; McCormick, 2001; Gelichi, Hodges, 2012) und archäologischen Studien die Erkenntnis zu verdanken, dass das Mittelmeer nicht erst in der Phase europäischer kommerzieller Vorherrschaft von wirtschaftlichen Netzwerken durchzogen war. Hier haben die Kritik an eurozentrischen Geschichtsvorstellungen und das jüngere Interesse an Transferprozessen zu Nuancierungen geführt: Das lange postulierte Innovationspotenzial italienischer Kaufleute auf dem Feld der Handelspraktiken etwa ist dadurch relativiert worden, dass vermeintliche „Erfindungen“ als eine Übernahme bereits im frühen Mittelalter in muslimisch beherrschten Gebieten gepflegter Praktiken erkannt worden sind. (Weber, 1889; Udovitch, 1970). Überhaupt ist die Untersuchung von Transferprozessen zu einem Spezifikum der mediävistischen Mediterranistik geworden. Akzentsetzungen der Globalgeschichte, ausgerichtet auf die Erforschung von Verflechtungen, Verdichtungen, Begegnungen, Kontakt und Transfer, schlagen sich auch in der Beschäftigung mit dem Mittelmeer nieder, das jetzt auch zu anderen Meeren in Beziehung gesetzt wird (Borgolte, Jaspert, 2014). Hierdurch ist der Blick auf die Träger solcher Prozesse (Kulturelle Makler, Grenzgänger, „Trans-Imperial Subjects“ etc.) gelenkt wor-

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den (Moatti, Kaiser, 2007; Abdellatif, Benhima, König, Ruchaud, 2012; Rothman, 2012; Höh, Jaspert, Oesterle, 2013a). Aus der Perspektive der Wissensgeschichte hat die Mittelmeerforschung vor allem den Blick für Übersetzungstätigkeiten vom Osten und Süden in den Norden und Westen des Mediterraneum geschärft – also für Übertragungen aus dem Griechischen und Arabischen ins Lateinische beziehungsweise in die europäischen Volkssprachen (Alverny, 1993; Vermeer, 1996; Speer, Wegener, 2006). Ein ähnliches Interesse an Transfervorgängen prägt die neuere Seefahrtsgeschichte, die Technologiegeschichte, aber auch die Kunst- und die Medizingeschichte (Pryor, 1988; Steger, Jankrift, 2004; Bockius, 2009; Nieto Prieto, Cau Ontiveros 2009; Schmidt Arcangeli, Wolf, 2010; Feuchter, Hoffmann, Yun, 2011). Die Rezeption fremden Wissens im lateinischen Westen – insbesondere antiker Schriften und mittelalterlicher naturwissenschaftlicher Gelehrsamkeit – stand traditionell im Fokus des Forschungsinteresses. Jüngere Studien bemühen sich verstärkt darum, auch religiöse Transferprozesse zu identifizieren und etablierte Vorstellungen unidirektionaler Vorgänge zu hinterfragen.3 Das vor allem durch die Kirchen-, Frömmigkeits- und Kulturgeschichte sowie die vergleichende Religionswissenschaft bearbeitete Feld der Religionsgeschichte erlangt im Mittelmeerraum besondere Relevanz, weil hier die drei Monotheismen Judentum, Christentum und Islam und ihre vielfältigen Denominationen in unmittelbaren Kontakt zueinander traten (Pitz, 2001; Borgolte, 2006). Die geläufige Deutung des Mittelalters als einer besonders religiös geprägten Epoche fand im Mittelmeerraum ihre Bestätigung. Vor allem die gewaltsame Verschiebung religiöser Grenzen hat traditionell erhöhte Aufmerksamkeit erfahren, weil diese „Sea of Faith“ zwischen dem 7. und 15. Jahrhundert immer wieder Ort kriegerischer Auseinandersetzungen unter dem Vorzeichen des Glaubens war (O'Shea, 2006; Husain, Fleming, 2007). Dies gilt bereits für die sogenannte islamische Expansion, die auch auf das Mittelmeer hinausgriff und nordmediterrane Räume in den Dār alIslām integrierte (Kaegi, 1992; Donner, 2007; Kaegi, 2010). Viel mehr trifft dies auf die Kreuzzüge des ausgehenden 11. bis 14. Jahrhunderts zu, in deren Verlauf in der Levante Territorien entstanden, die über 200 Jahre hinweg von lateinischen Christen beherrscht wurden (France, 2005). Die Hinwendung der Mittelalterforschung zu sozialgeschichtlichen Fragestellungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und ein erhöhtes Interesse an interreligiöser Kohabitation im 21. Jahrhundert haben dazu beigetragen, das einseitige Bild konfliktreicher Glaubensgegensätze zu relativieren. Aus europäischer Perspektive kann dem Mittelmeerraum zugestanden werden, einen Rahmen für Formen vergleichsweise intensiven wirtschaftlichen und mitunter auch sozialen Austauschs über die Glaubensgrenzen hinweg geschaffen zu haben. Ob hierfür der ein harmonisches Miteinander suggerierende Begriff der convivencia zutreffend ist oder eher Pragmatik und Konvenienz den Lebensalltag unterschiedlicher Glaubensgruppen im mittelalterlichen Mediterraneum prägten, wird intensiv diskutiert (Arizaga Bolumburu, 2008; Ladero Quesada, 2009; Fidora, Tischler, 2011). 3

Vgl. auch die Debatte um Gouguenheim, 2008.

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Eine ältere Forschungstradition weist die politikgeschichtliche Frage nach imperialen Strukturen im Mittelmeerraum auf. Ob sich der Blick auf die süditalienischen Normannen im 11. und 12. Jahrhundert richtet (Stanton, 2011), auf die Dynastie der Anjou im gleichen Raum während des 13. und 14. Jahrhunderts (Kiesewetter, 1999; Borghese, 2008) oder auf die zeitgleich regierenden Herrscher der Krone von Aragon (Shneidman, 1970): In allen diesen Fällen entstanden im Mittelmeerraum transmaritime Herrschaftsgebilde, deren Teile durch mehr oder minder große Meeresflächen voneinander getrennt waren. Aus maritimer Perspektive erweist sich Sizilien als ein rekurrierender Knotenpunkt mediterraner Imperien (Bresc, 1986; Engels, 2010). Auch die italienischen Seehandelsstädte des hohen und späten Mittelalters, allen voran Venedig, Pisa und Genua, sind unter einem politikgeschichtlichen Blickwinkel als expansiv imperiale, sogar als „protokoloniale“ Mächte gedeutet worden (Lane, 1980; Thiriet, 1959; Balard, 1978). Ihre Macht und Reichtum beruhte wesentlich auf transmaritimen, durch Schiffsverkehr gewährleisteten Verbindungen, die jedoch durch Gewalt zur See gefährdet waren. Der mittelalterliche Seeraub hat sich daher zu einem bedeutenden Gegenstand der internationalen mediävistischen Mediterranistik entwickelt (Sohmer Tai, 1996; Simbula, 2000; Jaspert, Kolditz, 2013). Überhaupt ist die sozialgeschichtliche Dimension mediterraner Mobilität ein wiederkehrendes und gerade in jüngerer Zeit im Vordergrund stehendes Untersuchungsfeld mediävistischer Mittelmeerforschung. Sklaverei, Pilgerwesen, Siedlung und Kriegszüge trugen wesentlich zur Kommunikation im Mittelmeerraum während des Mittelalters bei (Verlinden, 1955; 1977; Haverkamp, 2005; Balard, Ducellier, 2002). Lange standen, wohl auch vor dem Hintergrund der europäischen Expansion und des kolonialen Zeitalters, die mittelalterliche Landnahme sowie die Mobilität durch Siedler im Zentrum des mediävistischen Forschungsinteresses, wofür die Protokolonien der italienischen Seestädte oder die Kreuzfahrerstaaten als Beispiele herangezogen worden sind. Unfreiwillige, politisch oder ökonomisch bedingte Migrationsbewegungen der Gegenwart hingegen haben den Blick für andere Formen der Mobilität geschärft. Prosopographische Studien sind mittlerweile darum bemüht, die Zahlen und Reisewege, aber auch die Lebenswelten, Schicksale, Karrieren und persönlichen Netzwerke mediterraner Grenzgänger zu erfassen (Borgolte, 2006; Abdellatif, Benhima, König, Ruchaud, 2012; Höh, Jaspert, Oesterle, 2013a). Angesichts der Vielfalt verfügbarer vor allem notarieller Nachrichten in nordmediterranen Archiven wie Barcelona und Valencia, Genua und Venedig, deren Informationsgehalt sich auch auf große ökonomische Zentren wie Tunis, Alexandria oder Konstantinopel erstreckt (Pistarino, 1990; Coulon, 2004; Apellániz, 2009; Christ, 2012), weist das prosopographische Forschungsfeld generell Potentiale auf. Dazu bedarf es nicht zuletzt der Integration fach- oder regionalspezifisch bereits etablierter prosopographischer Forschungstraditionen wie etwa in der Byzantinistik.

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Byzantinistik In der Byzantinistik verweist das Attribut „mediterran“ zuerst auf die maritime Dimension, die im byzantinischen Selbstverständnis fest verankert war, wurde das Reich als zusammengesetzt aus den Landmassen (Südost-)Europas und (Klein-) Asiens sowie dem dazwischen liegenden Meer gedacht (Koder, 1984, S. 16f.). Dieser Meeresbezug steht aber auch für das Bemühen vieler Kaiser in Konstantinopel, Herrschaft zu Land und zur See auszuüben. Neben der Ägäis spielte dabei das nur durch die Meerengen von Byzanz auf dem Seeweg erreichbare Schwarze Meer eine fundamentale Rolle, in dem jedoch auch andere Akteure phasenweise die Vorherrschaft ausübten. Dieser Umstand spiegelt sich in der intensiven internationalen Erforschung des Schwarzen Meeres als Interaktionsraum in den letzten Jahrzehnten.4 Für die Erforschung der byzantinischen Seefahrt (Ahrweiler, 1966; Makris, 1988; Laiou, 1993) spielt hingegen der mediterrane Referenzrahmen eine entscheidende Rolle. So haben Untersuchungen zur arabisch-byzantinischen Konfrontation im früheren Mittelalter auch die Beschäftigung mit der Flottenorganisation des Reiches und seinen Seethemen angeregt (Lewis, 1951; Eickhoff, 1966; Antoniadis Bibicou, 1966). Andererseits spielt die Präsenz der Kaufleute aus Amalfi, Venedig, Pisa und Genua in Konstantinopel und der Romania eine entscheidende Rolle für die Wirtschaftsgeschichte von Byzanz seit dem 11. Jahrhundert (Lilie, 1984). Zugleich lässt sich dieser materiell geprägte Austausch auch als spezifische Form von Mobilität verstehen und damit in einen Untersuchungskontext einordnen, der in der jüngeren Byzantinistik vermehrt aufgegriffen worden ist (Dimitroukas, 1994; Macrides, 2002; Kislinger u. a., 2010). Nicht zuletzt ist auf die Erforschung von Schiffswracks, Häfen und küstennahen urbanen Zentren sowohl aus historischer wie archäologischer Perspektive zu verweisen, die ihrerseits wichtige Beiträge zur Beschreibung des maritimen Güteraustauschs im (östlichen) Mittelmeerraum seit der Spätantike leistet (Ahrweiler, 1972; Bass, 2009; Mundell Mango, 2009). Deutlich tritt ein Bewusstsein für den Mittelmeerraum als umgreifende Kategorie auch in den Forschungen zur Historischen Geographie von Byzanz hervor, die seit den 1960er Jahren vor allem in Paris und Wien entscheidend vorangetrieben worden sind.5 Ausgehend von der Charakterisierung naturräumlicher Gegebenheiten, wie Klima und Vegetation spielen auf diesem Feld mediterrane Kategorien im Sinne Braudels eine wichtige Rolle. Die Betrachtung des Mittelmeerraums als ökologisch besonders vielfältige und instabile Zone mit einem von maritimer Konnektivität geprägten Subsistenzregime nach Horden und Purcell bildet zugleich eine wichtige Orientierung für die bisher noch in ihren Anfängen stehende byzantinische Umweltgeschichte, deren Bild sich aus lokalen Befunden für die Interaktion von Mensch und Landschaft (Dunn 1992; 2005) zusammenzusetzen beginnt. Ein wichtiges Element bildet die Entwicklung urbaner und dörflicher Siedlungen im byzantinischen Bereich ihrer agrarischen Strukturen und lokalen Vernetzungen, besonders im Übergang von der Spätantike zum frühen Mittelalter, für die auch Befunde 4 5

Vgl. u. a. Brătianu, 1988; Balard, 1989; Strässle, 1990; Karpov, 2000; Jacoby, 2007. Vgl. u. a. Koder, 1984; Ahrweiler, 1988; Malamut, 1988; TIB 1976ff.; Belke, 2000.

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aus Nordafrika, Ägypten, dem syrischen Raum oder Italien herangezogen werden können (Foss, 1996; Lefort, Morrison u. Sodini 2005). Auf dem Feld der politischen Geschichte ergeben sich mediterrane Horizonte neben der frühbyzantinischen Zeit auch für das Zeitalter der früheren Kreuzzüge, da die äußere Politik der Komnenenkaiser in besonderer Weise vom Umgang mit den Kreuzfahrerheeren, ihren Herrschaftsbildungen im Heiligen Land und den politischen Akteuren Italiens geprägt war (vgl. Magdalino, 1993; Lilie, 2003, S. 336– 422; 2004). Die vor allem aus dem vierten Kreuzzug von 1204 resultierende politische Fragmentierung der ägäischen Romania ging schließlich mit einer deutlich intensiveren Verflechtung von lateinisch-fränkischen und griechischen Elementen einher, welche die Romania im Spätmittelalter gleichsam zu einem Schmelztiegel des Mittelmeerraums mit transkulturell geprägten Eliten werden ließ (Arbel, Hamilton, Jacoby, 1989; Jacoby, 1997; Herrin, Saint-Guillain 2011).

Islamwissenschaft Die mediävistische Orientalistik/Islamwissenschaft in Deutschland ist in einzelne Spezialbereiche bzw. Schwerpunktgebiete untergliedert. Dazu zählen Literaturwissenschaft, Sprachwissenschaft, Rechtswissenschaft, Theologie, Geschichte, Politik und Geographie. Für die historisch arbeitende Islamwissenschaft gilt, der Byzantinistik vergleichbar, dass sich bestimmte Phasen und bestimmte Themen besonders für mediterrane Schwerpunkte eignen, seien es Handel und Warentransfer, Schiffstechnik, Gesandtschaftsaustausch und Kriegszüge oder Wissenstransfer und die gelehrte Erfassung des Mittelmeerraumes sowie geographische Beschreibungen der Küstengebiete (Agius, 2005; Barendse, 2000; Bramoullé, 2009; Fuess, 2001; Khalilieh, 2000; 2005a; 2005b; Lewicki, 1978; Zemouli, 2000). Spezialstudien zu mediterranen Themen, insbesondere mit regionalen Schwerpunktsetzungen, beispielsweise im Feld der politischen Geschichte auf Herrschaftsausprägungen in Nordafrika, Ägypten und Spanien seit der arabischen Eroberung (z.B. Umayyaden, Idrisiden, Aghlabiden, Fatimiden, Ziriden, Hammamiden, Almoraviden, Almohaden etc.), wurden sporadisch in den größeren Zusammenhang einer Relevanz des Mittelmeeres und seiner Küstenregionen für die arabisch-islamische Geschichte gestellt (Collins, 1989; Halm, 1991; Le Tourneau, 1969; Abun-Nasr, 1975; Safran, 2000; Talbi, 1966; Wasserstein, 1993). In zentralen deutschsprachigen Überblicksdarstellungen zur islamischen Geschichte kommt der Einbindung der Araber in den Mittelmeerraum kaum Eigengewicht zu (Endreß, 1997; Krämer, 20056; Nagel, 1981). Auf großen Fachtagungen rückte der Mittelmeerraum oft nur im Zusammenhang politischer Probleme des 21. Jahrhunderts in den Fokus, nicht aber als mittelalterlicher Interaktionsraum. Ein differenzierteres Bild ergibt sich allerdings, wenn man die internationale wissenschaftliche Beschäftigung mit der arabischen Welt einbezieht. Zwar enthält bis heute der an der „School of Oriental and 6

Hierin allerdings ein Kapitel „Muslime und Christen am Mittelmeer“, das sich auf die Almoraviden, Almohaden, al-Andalus und die Kreuzzüge bezieht (S. 139–159).

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African Studies“ (London) seit 1906 zusammengestellte „Index Islamicus“ keinen eigenen Teilbereich, der dem Mittelmeerraum gewidmet ist, er erfasst jedoch einzelne Länder und Inseln wie Sizilien, Malta, Marokko, Ägypten, Tunesien, Libyen, während beispielsweise Südasien oder auch bestimmte Regionen Afrikas (Westafrika, Ostafrika etc.) als zusammenhängende Räume behandelt werden. Erhöhte Aufmerksamkeit für den Mittelmeerraum spiegelt sich in der Gründung von Fachzeitschriften wie „Al-Masaq. Islam and the Mediterranean“ (Routledge) und Publikationsreihen wie „The Islamic Mediterranean“ (I.B. Tauris, London) wider.

Exempla mediterranistischer Ansätze Gegenwärtig ist das große Interesse einer mediterran ausgerichteten Mediävistik an der großräumigen Verbundenheit und den Verflechtungen des Mittelmeerraumes nicht zu übersehen. Ein Hintergrund für dieses Interesse an Austausch, Interaktion und Konnektivität sind zweifellos die prägenden Verflechtungsphänomene des beginnenden 21. Jahrhunderts. Eine Interaktionsgeschichte des mittelalterlichen Mittelmeerraums, eine mediävistische und mediterranistische Verflechtungsgeschichte besitzt aber auch unabhängig von aktuellen Leitbildern Erkenntnispotenzial, wie exemplarisch anhand von drei Forschungsgegenständen verdeutlicht werden soll. Sie führen vor Augen, dass eine maritime Ausrichtung der Mediävistik dazu beitragen kann, ein in weiten Teilen noch immer wirksames Bild vom europäischen Mittelalter als terrestrisch geprägter Epoche der Burgen und Bauern zu relativieren. Sie verweisen aber auch auf den Wert interdisziplinärer Forschung, denn die behandelten Fragen liegen an Schnittstellen zwischen Philologien, Archäologien, Bild- und Geschichtswissenschaften und behandeln Felder, die durchaus für andere Epochen von Relevanz sind, wie Mobilität, Agency, Raumwahrnehmung und Herrschaft.

Interreligiöse und transkulturelle Diplomatie Politische Außenbeziehungen haben sich in jüngerer Zeit zu einem viel beachteten Forschungsgegenstand der Mediävistik entwickelt.7 Auch Beispiele und Fallstudien aus dem Mittelmeerraum, insbesondere aus dem Bereich der interkulturellen Beziehungen zwischen christlichen und muslimischen Herrschaften,8 sind in diesen Zusammenhängen erörtert, allerdings nur partiell systematisch analysiert worden. Aus nahezu allen Bereichen des Mediterraneums liegen Quellennachrichten über regelmäßigen Gesandtenaustausch, über Friedensverhandlungen und Verträge, selbst über Bündnisse über religiöse Grenzen hinweg vor. Doch im Gegensatz zur militärischen Dimension ist das Feld der mittelalterlichen Konfliktregelung und vermeidung im Mittelmeerraum vergleichsweise wenig untersucht (Jaspert, 7

8

Vgl. etwa Berg, Kintzinger, Monnet, 2002; Zey, Märtl, 2008; Kouamé, 2011; Le relazioni internazionali 2011. Vgl. u. a. Kaplony, 2002; Beihammer, 2000; Holt, 1995; Dufourcq, 1966

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Kolditz, 2014). Zu fragen wäre nach den Trägern mediterraner Diplomatie, nach spezifischen Berufs- und Gesellschaftsgruppen des interkulturellen Kontakts. Ebenso bildeten ökonomische Interessen einen signifikanten inhaltlichen Schwerpunkt der auf die Regulierung von Handelsbeziehungen ausgerichteten muslimisch-christlichen Beziehungen. Neben diese Spezifika mediterraner Diplomatie tritt die ambivalente Bedeutung der Religion für interkulturelle Außenbeziehungen dieses Raums hervor. Glaube, Dogma und religiöse Autoritäten stellten auch der Diplomatie im Mittelmeerraum normative Rahmen bereit, etwa durch Rechtsvorstellungen hinsichtlich des Krieges gegen Andersgläubige. Dieser Rechtsrahmen war zwar oft konfliktiv geprägt, doch schuf Religion zugleich eine gemeinsame Vertrauensbasis für Verhandlungen. Denn das Wissen um die Verbindlichkeit religiös fundierter Selbstverpflichtungen (Eide, Schwüre auf die heiligen Schriften) erhöhte die Zuversicht in die Verlässlichkeit des Anderen. Den gemeinsamen Wurzeln und der prinzipiellen Anerkennung verbindlicher religiöser Normen standen andererseits unvereinbare Glaubensgrundsätze und abweichende, religiös geprägte diplomatische Praktiken gegenüber. Pragmatische Flexibilität prägte daher interkulturelle Diplomatie über das Mittelmeer hinweg ebenso wie dogmatische Verengung.

Höfe als „Hubs“ Von Konstantinopel über Damaskus, Kairo, Tunis, Sizilien bis nach Granada waren mediterrane Höfe des Mittelalters Orte mit hoher Anziehungskraft für unterschiedliche Personengruppen, seien es Gelehrte, Diplomaten, Übersetzer oder Händler. Sie waren nicht allein Machtzentren, sondern darüber hinaus personell höchst unterschiedlich zusammengesetzte, durch stetiges Kommen und Gehen geprägte Knotenpunkte des sozialen, intellektuellen, religiösen und wirtschaftlichen Lebens. Zudem standen sie in zum Teil engen Beziehungsverhältnissen zu anderen, etwa städtischen Räumen und entwickelten sich somit zu Räumen von nicht nur regionaler, sondern darüber hinaus intra- und transmediterraner Strahlkraft. Der Hof ist daher, jüngeren Ansätzen des „spatial turn“ folgend, nicht allein als physischer Raum zu begreifen, sondern als Interaktionsraum, der durch soziale Praxis, vielfältige Austauschprozesse und abgestufte Verhältnisse zum Herrscher („engerer“ und „weiterer“ Hof) bestimmt ist und sich verändert. Untersuchungen zu christlichen sowie islamischen Höfen des Mittelmeerraums haben die Relevanz des Hofes als „Umschlagplatz“ („hub“) herausgestellt (Höh, Jaspert, Oesterle, 2013b), an dem nicht nur Personen unterschiedlichster Herkunft zusammentrafen, sondern Impulse adaptiert wurden, eine Multiplikationsfunktion annahmen und in andere Regionen ausstrahlten. Dieses Zusammentreffen verschiedener kultureller Einflüsse war an mediterranen Höfen besonders ausgeprägt. Höchst mobile Personen trugen nicht nur zum Facettenreichtum höfischer Kulturen im Mittelmeerraum bei, sondern brachten eigene Netzwerke und Verbindungen mit ein, die nebeneinander existierten, sich überlagerten oder fortgesetzt verknüpften. Für Höfe im Mittelmeerraum sind fernräumliche Aktionsradien eher die Regel als die Aus-

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nahme, wenngleich Intensität, Spannweite sowie Art und Weise der Kontakte zwischen Höfen sich unterschieden und auch veränderten – je nachdem, ob die Kontakte durch den Herrscher oder durch Angehörige des „engeren“ bzw. „weiteren“ Hofes aufgenommen und gepflegt wurden. Höfe wie beispielsweise der byzantinische Hof in Konstantinopel, der Mamlukenhof in Kairo, der normannische Hof auf Sizilien oder der aragonesische Hof in Barcelona zeichneten sich durch besonders breitgefächerte mediterrane Beziehungen aus. Sie sind herausragende Beispiele für die intellektuelle, aber auch politische Anziehungskraft eines Hofes, an dem die Religionszugehörigkeit Einzelner mitunter ihre bestimmende Bedeutung verlieren konnte. Mediävistische Untersuchungen zu Höfen im Mittelmeerraum können daher methodisch an kommunikationsgeschichtliche oder soziologische Ansätze anknüpfen oder vom etablierten Feld der Hofforschung ausgehen, sie erweitern diese aber um neue Fragen, wie beispielsweise nach Religionstransfer und transkultureller Kommunikation.

Interaktionen mit dem Meer – Wahrnehmungen des Meeres Das Mittelmeer ist in der jüngeren Forschung zumeist als Raum der Kommunikation und Mobilität von Menschen, Gütern und Wissensbeständen betrachtet worden. Die Basis dieser Kommunikation aber bildete die elementare Interaktion der Menschen mit der See durch Schifffahrt (Abulafia, 2011). Dass deren Praxis auf einem komplexen Gefüge aus natürlichen Rahmenbedingungen (Strömungen, Windsysteme), geographischen Kenntnissen und navigatorischen Orientierungen beruhte und durch die Techniken des Schiffbaus oder die personalen und Versorgungsressourcen an Bord bedingt war, ist besonders von John Pryor herausgestellt worden (Pryor, 1988). Mit der Schifffahrt verbundene Themen wie die Schiffstypen, die Sozialgeschichte der Seefahrermilieus, die Ausbildung nautischer Spezialisten oder die Fixierung und Fluidität von Schiffahrtsrouten sind umfassend für den Mittelmeerraum thematisiert worden.9 Einen eigenen, archäologisch geprägten Schwerpunkt in der Forschung stellen schließlich die Strukturen von Häfen und Schiffbauplätzen (arsenali) im Mittelmeerraum dar (de Maria, Turchetti, 2004; Gertwagen, 2000; Concina, 1987). Meere sind jedoch auch in einem anderen Sinn Räume der Kommunikation, denn sie wurden auch selbst zum Gegenstand des Austauschs, insofern über sie als Meere kommuniziert wurde, etwa in Reisebeschreibungen, Gesandtschaftsberichten, in der Historiographie oder aber in visualisierter Form kartographischer Werke, die wiederum betrachtet, diskutiert, auch kommentiert, korrigiert und ergänzt wurden. Die mittelalterliche Mittelmeerkartographie ist für die Untersuchung der Wahrnehmung von Meeren besonders relevant. Kartographische Darstellungen des Mittelmeerraums aus christlich beherrschten Territorien sind bislang besser erforscht als die islamische Mittelmeerkartographie, obwohl die arabisch-islamischen 9

Z.B. La navigazione mediterranea, 1978; Ragosta, 1981; Cavaciocchi, 2006; siehe auch Tangheroni, 1996.

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Mittelmeerkarten und Weltkarten über Zeiten und Räume hinweg tradiert und rezipiert wurden und nicht nur in der ganzen islamischen Welt Verbreitung fanden, sondern auch außerhalb des Dār al-Islām aufgenommen wurden. Hier besteht Potential für eine interdisziplinär arbeitende mediävistische Mediterranistik, die in Kooperation mit der Islamwissenschaft, Kartographie, Geographie und Kunstgeschichte Erkenntnisse über die Wahrnehmung von Meeren, insbesondere des Mittelmeers, aber auch des Mittelmeers im Verhältnis zu anderen Meeren erbringen kann. Neben der kartographischen Darstellung, deren überlieferte Zeugnisse wohl meist primär repräsentativen Zwecken dienten, und verwandten Textformen wie Hafenverzeichnisse oder Routenbeschreibungen (Pryor, 2004; Gautier Dalché, 1995), ist auch auf textliche Zeugnisse der Wahrnehmung des Meeres als erlebtem Naturraum zu verweisen. Nicht selten liegt ihr Akzent auf den Gefahren der See, auf Erfahrungen von Schiffbruch oder Errettung aus höchster Not (Pryor, 1997), doch bedarf das Feld der relevanten Einzelnachrichten noch systematischer Erschließung. Facetten einer Mentalitätsgeschichte des Verhältnisses von Mensch und Meer ergeben sich auch aus der Untersuchung von Instrumenten des Risikomanagements wie der Seeversicherung (Nehlsen von Stryk, 1986; Groneuer, 1976; Ferrer i Mallol, Garcia i Sans, 1983) oder der Thematisierung von Seeherrschaft (dominium maris) in Quellentexten. Gerade auf diesen Feldern bieten sich transkulturelle und maritim vergleichende Akzente besonders an. In diesem Sinn ist zuletzt auf die transkontinentale Dimension des Mittelmeerraumes zu verweisen, der im Mittelalter nicht nur ein Verflechtungs- , sondern auch ein Übergangsraum zu anderen Regionen war, durch See-, Fluss- und Landverbindungen eng mit West-, Nord- und Zentraleuropa verknüpft, aber zugleich auch die Zielregion trans-saharischer Handelswege. Vor allem aber war der Mittelmeerraum westlicher Ausläufer eines dynamischen asiatischen Netzwerks, das summarisch als „Seidenstraße“ bezeichnet wird und von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die kulturelle und wirtschaftliche Geschichte des vormodernen Europas ist (Abu-Lughod, 1989; Hübner, 2001; Ptak, 2007). Eine derartige Neuakzentuierung dezentriert den Mittelmeerraum, provinzialisiert ihn vielleicht sogar (Chakrabarty, 2000; Pomeranz, 2000; Ertl, 2005). Damit aber fügt sich die Geschichte des Mittelmeerraums mit seinem Verhältnis zu „Europa“, der byzantinischen, arabisch-islamischen sowie asiatischen Welt in den größeren Rahmen der Globalgeschichte ein.

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MANUEL BORUTTA UND FABIAN LEMMES

Neueste Geschichte und Zeitgeschichte* Definition des Fachs Die „Neueste Geschichte“ (engl. late modern history, frz. histoire contemporaine, ital. storia contemporanea) untersucht die Zeit vom „ausgehenden 18. Jahrhundert bis zur Schwelle der Gegenwart“, die im deutschsprachigen Raum häufig mit dem Begriff der „Moderne“ (seltener: Späte Neuzeit) bezeichnet wird. Im Zentrum stehen das ‚lange‘ 19. Jahrhundert (1789–1914) und das ‚kurze‘ 20. Jahrhundert (1914– 1989). Die „Zeitgeschichte“ widmet sich speziell der „Epoche der Mitlebenden“ (Hans Rothfels), deren Beginn derzeit auf das Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 datiert wird (Wirsching, 2006, 10). In der Praxis sind die Grenzen dieser Bereiche fließend. Viele Forscher behandeln beide Untersuchungszeiträume und/oder zeitlich überlappende Phänomene. Nach einer langen Dominanz der Ideen- und Politikgeschichte und einer sozialhistorischen Phase in den siebziger und achtziger Jahren hat die Neueste Geschichte in den letzten zwei Dekaden eine kulturhistorische Wende vollzogen. Gegenwärtig wird im Zeichen globalhistorischer Ansätze und postkolonialer Theorien versucht, die Geschichte der außereuropäischen Welt zu integrieren. Studien zur Globalisierung und zur Europäischen Integration widmen darüber hinaus auch der Wirtschaft wieder mehr Aufmerksamkeit. Das Mittelmeerparadigma spielt derzeit in der Neuesten Geschichte keine prominente Rolle. Historiker früherer Epochen haben seine Eignung für die Moderne sogar ausdrücklich bestritten. In einem viel diskutierten Werk unterscheiden der Mediävist Peregrine Horden und der Althistoriker Nicholas Purcell (2000) zwei Varianten mediterraner Geschichtsschreibung: eine „history in the Mediterranean“, die zwar mediterrane Räume untersucht, sich aber nicht für deren Mediterraneität, geschweige denn für die Region als Ganzes interessiert; und eine „history of the Mediterranean“, welche die gesamte Region in den Blick zu nehmen sucht, um generelle Aussagen über sie zu treffen. Horden und Purcell bevorzugen die zweite Variante. Ihre Unterscheidung hilft bei der Ordnung der Forschungslandschaft; inwieweit sie auch heuristisch sinnvoll ist, werden wir am Ende diskutieren. Zunächst muss es jedoch darum gehen, den Beitrag selbst zu rechtfertigen. *

Für wertvolle Hinweise danken wir Marcel Boldorf, Rüdiger Graf, Meike Meerpohl und Cornel Zwierlein. Eine erweiterte Fassung dieses Beitrags ist unter dem Titel „Die Wiederkehr des Mittelmeerraumes: Stand und Perspektiven der neuhistorischen Mediterranistik“ erschienen (Borutta u. Lemmes, 2013). Die Forschungsgebiete und Sprachkenntnisse der Autoren machen gewisse Asymmetrien unvermeidlich: Beide sind Westeuropahistoriker und lesen ausschließlich Literatur in deutscher, englischer, französischer, italienischer und spanischer Sprache. Entsprechend findet der westliche Mittelmeerraum stärker Berücksichtigung als der östliche, die europäische Perspektive stärker als die nordafrikanische.

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Denn Horden und Purcell erteilen bereits der bloßen Möglichkeit einer Geschichte des modernen Mittelmeerraums eine klare Absage: zum einen, weil die mediterrane Einheit und Kontinuität in der Moderne zerstört worden sei; zum anderen, weil das Mittelmeerparadigma in dieser Epoche zur Rechtfertigung der imperialen Expansion Europas gedient habe (Horden u. Purcell, 2000, S. 2ff., 10, 18–22; 2006, S. 725). Ihre Hinweise auf den imperialistischen bias des modernen Mittelmeerparadigmas und die spätneuzeitliche Fragmentierung des Mittelmeerraums sind berechtigt. Sie sprechen aber nicht gegen eine Beschäftigung der Neuesten Geschichte mit der Region, im Gegenteil. Für die Mittelmeerforschung ist die Neueste Geschichte aus mehreren Gründen interessant. Erstens wurde der Mittelmeerraum in der Moderne zum ersten Mal als naturräumliche und kulturelle Einheit gedacht, und zwar im Zuge der Expansion Europas in Nordafrika und im Nahen Osten. Den Auftakt zur „Erfindung des Mittelmeerraums im kolonialen Kontext“ (Jansen, 2007, S. 175–205) bildete Napoleons Ägypten-Expedition (1798–1801). Fortan betonten Botaniker, Geologen und Klimatheoretiker die Ähnlichkeiten der Vegetation, Landschaft und des Klimas mediterraner Gebiete, Geographen und Kartographen grenzten den Mittelmeerraum als Teil Europas von Afrika und Asien ab, Archäologen und Historiker stilisierten ihn zur europäischen Wiege der Zivilisation. Da sich Europa im 19. Jahrhundert für unvergleichlich hielt, galt auch der Mittelmeerraum als einzigartig. Die arabisch-muslimische Invasion im Mittelalter wurde dagegen als Zerstörung mediterraner Einheit durch raumfremde Elemente gedeutet1, die allenfalls oberflächliche Spuren hinterlassen hätten. Analog dazu konstruierten Anthropologen rassische Unterschiede zwischen angeblich leichter an die europäische Kultur assimilierbaren, weil sesshaften und ehemals christlichen, Berbern gegenüber den vermeintlich nicht integrierbaren, weil nomadischen und muslimischen, Arabern. Auf Basis dieser Studien wurde die europäische Kolonisierung Nordafrikas und des Nahen Ostens als Wiederherstellung mediterraner Einheit und Fortsetzung genuiner Traditionen des Mittelmeerraums zelebriert. Als Modell diente den rivalisierenden europäischen Kolonialmächten das antike römische Reich, dem es als einziger Macht gelungen war, die Region unter das Dach einer politischen Herrschaft zu zwingen. So legitimierte die Trias der Einheit, Kontinuität und Singularität des Mittelmeerraums, die Fernand Braudel auf klassische Weise formuliert hat (Braudel, 1979)2, Europas koloniale Dominanz und imperiale Hegemonie im Mittelmeerraum. Dieser moderne Begriff vom Mittelmeerraum bildete den gemeinsamen Ausgangspunkt aller Mittelmeerstudien, die in diesem Handbuch vorgestellt werden. Gerade deshalb sollte sich die Neueste Geschichte dieser Region erneut zuwenden, um die modernen „Mediterranismen“, die das Bild des Mittelmeerraums in Politik und Wissenschaft, Medien und Kunst zum Teil noch immer beeinflussen, zu historisieren.3 Unter welchen historischen Bedingungen formierten sie sich, und wie 1

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So die berühmte These von Pirenne (1922), die auch Fernand Braudels Vision vom Mittelmeer beeinflusst hat. Zu den kolonialen Wurzeln von Braudels „Méditerranée“ vgl. Borutta 2015. Mit Blick auf Braudel vgl. etwa Paris, 2002.

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wirkten sie sich auf die Geschichte und Erforschung der Region aus? Antworten auf diese Fragen könnten der Reflexion der Mittelmeerstudien über den normativen Gehalt und die politische Instrumentalisierbarkeit ihrer Kategorien, die bislang vorwiegend von Ethnologen geführt ist,4 eine historische Basis geben. Zweitens spricht auch die Fragmentierung des modernen Mittelmeerraums eher für als gegen eine neuhistorische Beschäftigung mit dieser Region. Denn erst in der Moderne nahm der Mittelmeerraum seine gegenwärtige materielle Gestalt (McNeill, 1992, S. 272–350) und politische Struktur an. Dabei wurde die Region zwar in der Tat auf vielfältige Weise gespalten: durch Prozesse der Orientalisierung und Europäisierung, Urbanisierung und Industrialisierung, Kolonisierung und Dekolonisierung, Nationalisierung, Regionalisierung und Globalisierung. Insofern ist die Späte Neuzeit tatsächlich ungeeignet, Braudels Bild mediterraner Einheit und Kontinuität fortzuschreiben. Andererseits könnte gerade hierin der besondere Nutzen neuhistorischer Analysen des Mittelmeerraums liegen: indem diese die Fragmentierung und Diskontinuität des Mittelmeerraums sowie seine Vernetzung mit anderen Weltregionen herausarbeiten. So würde ein vielfältigeres und dynamischeres Bild der Region entstehen, das zuletzt auch für frühere Epochen gezeichnet worden ist (Abulafia, 2011). Drittens erreichte die mediterrane „Konnektivität“, die für Horden und Purcell das zentrale Kriterium der angeblichen Einheit des vormodernen Mittelmeerraums bildet, gerade in der Moderne eine neue Qualität: Im Zeichen von Kolonisierung und Industrialisierung, Globalisierung und Massentourismus verbanden moderne Verkehrs- und Kommunikationsmittel wie das Dampfschiff, die Eisenbahn und die Telegraphie, später Flugzeuge und Autobahnen, Telefone, Radio, Fernsehen und Internet die Region dergestalt, dass das Mittelmeer seit dem 19. Jahrhundert auf kartographischen Repräsentationen und in der Wahrnehmung vieler Zeitgenossen von einem gefürchteten Ozean zu einem banalen Binnensee geschrumpft ist (Blais u. Deprest, 2012). Auch die mediterrane Zirkulation von Wissen, Menschen und Dingen gewann infolge dieser Relativierung räumlicher Distanzen bis dahin eine ungekannte Dynamik. Der Bau des Suezkanals 1869 öffnete die Region zudem für den Seeweg nach Indien, was neben Verflechtungen und Wechselwirkungen mit anderen Teilen der Welt auch lokale Effekte zeitigte (Huber, 2012). Der moderne Tourismus setzte diese regionale und globale Vernetzung des Mittelmeerraums auf andere Weise fort. Reformuliert man Hordens und Purcells strenge Kriterien für eine „history of the Mediterranean“, müsste sich also gerade für die Späte Neuzeit eine Geschichte des Mittelmeerraums schreiben lassen, denn in keiner Epoche waren die imaginierte Einheit und reale Konnektivität der Region größer.

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Zu der vom US-Anthropologen Michael Herzfeld angestoßenen Debatte um den „Mediterranismus“ vgl. Hauschild, 2010, S. 71–74.

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Forschungsgeschichte Im Kontrast dazu steht ein ausgesprochen negativer Forschungsbefund: Darstellungen zur modernen Geschichte des Mittelmeerraums, die ein Gesamtbild der Region zu zeichnen suchen, sind rar (Liauzu, 1994; 1996; Nouschi, 1999). Meist handelt es sich um Kapitel universalhistorischer Überblicksdarstellungen, die zudem nur selten von Neuhistorikern (Borne, 1998; Liauzu, 1998), sondern in der Regel von Kennern früherer Epochen (Braudel, Duby u. Aymard, 1990; Bono, 2008; Black, 2000; Abulafia, 2000; 2011; Kaiser, 2008), Vertretern anderer Disziplinen (Kienitz, 1976) oder Nichtakademikern (Norwich, 2006) verfasst sind.

Fragmentierung des Mittelmeerraums Dass das Mittelmeerparadigma in der Neuesten Geschichte derzeit nahezu keine Rolle spielt, hängt auch mit der räumlichen Differenzierung eines Fachs zusammen, das sich zwar mit mediterranen Orten und Räumen befasst, diese jedoch in der Regel getrennt voneinander behandelt und sich kaum für ihre Mediterraneität interessiert. In der europäischen Geschichte dominieren nach wie vor nationalhistorische Zugriffe. Die meisten Neuhistoriker befassen sich mit der Geschichte einer Nation, oft der eigenen. Nationsübergreifende, komparative oder transnationale Ansätze zielen bislang vornehmlich auf Europa und Nordamerika.5 Die Geschichte Europas, die lange als bloße Summe von Nationalgeschichten verstanden wurde, fragt zwar mittlerweile verstärkt nach Divergenzen, Konvergenzen und Verflechtungen, aber nicht mit Blick auf den Mittelmeerraum. Auch in der expandierenden Historiographie zur europäischen Integration spielen der Mittelmeerraum als solcher und Europas Beziehungen zu den übrigen Mittelmeeranrainern bisher kaum eine Rolle. Wohl gibt es vorzügliche kulturhistorische Studien zur Wahrnehmung des Mittelmeerraums durch Nordeuropäer.6 Doch geht es darin meist entweder um nationale Stereotype von Griechen (Avdelai, 2007), Süditalienern (Dickie, 1999; Moe, 2002) oder Spaniern (Baumeister, 2007), oder es dominieren andere räumliche Kategorien wie die Levante (Petri u. Stouraiti, 2007), der Balkan (Todorova, 1997), der Orient (Schneider, 1998) oder der Süden (Schenk u. Winkler, 2007; Richter, 2009; Bourguinat, 2014). In der Regionalgeschichte spielt das Mittelmeerparadigma ebenfalls keine große Rolle. Die Regionalgeschichte der siebziger und achtziger Jahre wollte die Nation als vielfältige, zusammengesetzte Einheit ausweisen, um dem nationalstaatlichen Zentralismus etwas entgegenzusetzen. Regionen waren gleichsam Nationen in spe, die ihre Autonomie noch erkämpfen mussten. Auch hier bildete die Nation den primären Bezugsrahmen.7 Auch in der Wirtschaftsgeschichte des 19. 5 6

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Siehe den Überblick bei Pernau, 2011. Grundlegend zur Kultur- und Erfahrungsgeschichte britischer Mittelmeerreisender zwischen der Einführung der Dampfschifffahrt 1830 und dem Ersten Weltkrieg: Pemble, 1987. Puhle u. a., 1993. Eine Ausnahme stellt ein wirtschaftshistorischer Band dar, der Sidney Pollards Modell regionaler Industrialisierung auf die Mittelmeerregion zu übertragen sucht: Bergeron, 1992.

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und 20. Jahrhunderts ist der Mittelmeerraum keine relevante Bezugsgröße. Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass seit dem 19. Jahrhundert der transatlantische und innereuropäische Handel gegenüber dem transmediterranen Austausch an Bedeutung gewannen. In der außereuropäischen Geschichte ist das Mittelmeerparadigma ebenfalls eine marginale Rolle. Die meisten Kolonialgeschichten überbrücken den Mittelmeerraum, indem sie neben der Kolonie allenfalls noch das nördliche Zentrum der Metropole betrachten, mediterrane Schnittstellen kolonialer Interaktionen hingegen ausklammern. Da Kolonialhistoriker zudem selten komparativ oder transnational arbeiten, ist es schwer, ihren Studien mediterrane Perspektiven abzugewinnen.8 Lediglich in der Imperialgeschichte gibt es Arbeiten, die mehrere mediterrane Gebiete in den Blick nehmen. Zuletzt wurden etwa urbanistische und infrastrukturelle Transfers zwischen Französisch-Nordafrika und arabischen Provinzen des Osmanischen Reichs untersucht. Doch auch hier galt das Erkenntnisinteresse nicht dem Mittelmeerraum, sondern eher den wechselseitigen Einflüssen benachbarter Imperien, die gleichsam zufällig in der Region lagen (Çelik, 2008). Ähnliches gilt für jene Area Studies, die sich mit Teilen der Region befassen: Maghreb, Naher Osten und Südosteuropa (eine Geschichte Südwesteuropas fehlt in der Forschungslandschaft). Da diese Regionalwissenschaften weder untereinander noch mit der auf Mittel- und Westeuropa fokussierten Europäischen Geschichte intensiv kommunizieren, entwickeln sie kaum mediterrane Perspektiven.9 Die Vertreter der Globalgeschichte interessieren sich zwar für Verflechtungen europäischer und außereuropäischer Gesellschaften und Kulturen. Da der Mittelmeerraum aber weder eindeutig zu Europa noch zur außereuropäischen Welt gehört, fällt er aus dem Raster. In den wenigen globalhistorischen Studien mit mediterranen Bezügen fungiert das Mittelmeer deshalb eher als Passage globaler Menschen- und Warenströme (Fawaz, Bayly u. Ilbert, 2002). Angesichts der kolonialen Vergangenheit des Mittelmeerparadigmas steht die Frage nach mediterranen Spezifika für Globalhistoriker tendenziell sogar unter Eurozentrismus-Verdacht. Die globale Verflechtung der Region, die Auswirkungen der Globalisierung auf den Mittelmeerraum und die globale Zirkulation mediterraner Phänomene sind daher bislang wenig erforscht. Häufiger auf das Mittelmeer blickt auch die Stadtgeschichte: In den letzten zwei Dekaden entstand eine regelrechte akademische Industrie mediterraner Hafenstadtgeschichten.10 Behandelt werden darin oftmals Fragen der Migration und des Zusammenlebens unterschiedlicher Kulturen und Religionen. Kosmopolitismus und Hybridität, Rassismus und Segregation lauten analytische Leitbegriffe dieses dynamischen Forschungsfeldes. Da hier aber bislang kaum vergleichend gearbeitet wird,11 entstehen selten mediterrane Perspektiven, die über den untersuchten Einzelfall hinausreichen. Auch das Hinterland wird meist ausgespart. Eine Geschichte ländlicher Mittelmeergebiete, die sich mit den vielfältigen Effekten der modernen 8 9 10

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Als Ausnahme: Anderson, 1981. Eine Ausnahme ist das Buch der Maghreb-Historikerin Clancy-Smith (2010). Vgl. etwa Keyder, Ozveren u. Quataert, 1993; Tonizzi, 2002; Fuhrmann u. Kechriotis, 2009. Kritisch zu dieser Forschungsrichtung Clancy-Smith, 2010, S. 10–14. Eine Ausnahme bildet: Lafi, 2005.

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Kolonisierung, Urbanisierung und Industrialisierung auf rurale mediterrane Räume beschäftigt, ist ein Desiderat. Anders als die Mittelmeeranthropologie, die sich lange Zeit vornehmlich für statische Dorfstrukturen interessiert hat, haben Neuhistoriker bisher Städte bevorzugt, weil sie in ihnen Laboratorien der Modernität und Motoren des Wandels sahen. Dagegen ließe sich vermutlich zeigen, dass sich das mediterrane Hinterland in der Moderne nicht minder stark veränderte. Aufgrund dieser Fragmentierung der neuhistorischen Mittelmeerforschung, die selbst ein Resultat der vielfältigen Spaltung des Mittelmeerraums in der Späten Neuzeit ist, haben es mediterrane Perspektiven in der Neuesten Geschichte schwer.

Mediterrane Mobilität Fast schon unübersehbar sind hingegen die Studien zur Geschichte der mediterranen Mobilität. Da ist zum einen die historische Reiseforschung: Zur adligen Grand Tour des 18. Jahrhunderts und zur bürgerlichen Bildungsreise des 19. Jahrhunderts liegt eine Fülle literatur- und kulturhistorischer Arbeiten vor, die sich meist für die Konstruktion von Fremdem und Eigenem, Stereotypen, Projektionen und Sehnsüchten interessieren (Pemble, 1987). Allerdings stehen hier meist nationale Kategorien wie der Philhellenismus oder die Italiensehnsucht bzw. -verachtung im Zentrum (vgl. Brilli, 1989; Black, 2003; Imorde u. Wegerhoff, 2012). In vielen literarischen und malerischen Verarbeitungen dieser Reisen kommt eine gleichsam erotische Anziehungskraft des Mittelmeerraums und seiner Bewohner zum Ausdruck, die oft mit dem Versprechen sexueller Erfüllung und Selbstfindung fernab heimischer Konventionen verbunden war (Littlewood, 2001; Aldrich, 1993). Im 20. Jahrhundert wurde das Reisen in mediterrane Länder auch für nichtbürgerliche Schichten aus nördlichen Gefilden identitätsbildend (Manning, 2011) – mit vielfältigen Rückwirkungen auf die Heimatgebiete der Touristen. Allerdings sind auch diese Vorgänge eher unter nationalen Gesichtspunkten betrachtet worden, etwa als Italianisierung deutscher Esskultur (Maase, 2009; Möhring, 2012). Die gravierenden Auswirkungen des Massentourismus auf die Region sind bislang von Historikern nicht umfassend erforscht worden.12 Auch die lokalen Effekte der mediterranen Ansiedlung deutscher und englischer Aussteiger und Rentner wären ein lohnendes Forschungsfeld. Die historische Forschung zur mediterranen Migration (Liauzu, 1996; Bade, 2007; Dabag u. a., 2014) zerfällt in mindestens vier Segmente, die unterschiedliche Migrationstypen behandeln und jeweils eigenen Logiken folgen: Zwangsmigration, koloniale Siedlungsmigration (Clancy-Smith, 2010; Gekas, 2012), postkoloniale Migration im unmittelbaren Kontext der Dekolonisation (Miege u. Dubois, 2003) und Arbeitsmigration [innereuropäisch (Caruso, Pleinen u. Raphael, 2008; Stora u. Amiri, 2012) innerafrikanisch]. In der Regel interessieren sich diese Studien mehr für die Migranten als für deren mediterrane Herkunftsgebiete. Untersucht werden etwa diasporische Lebensformen (Gabaccia, 2000) oder Selbst- und Fremdwahr12

Wirtschaftshistorisch dagegen: Segreto, Manera u. Pohl, 2009.

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nehmungen (Janz u. Sala, 2011) in den aufnehmenden Ländern. Nur selten werden aufeinander folgende Migrationsströme über einen längeren Zeitraum hinweg betrachtet (Schor, 1990). Aus mediterranistischer Sicht hervorzuheben ist die jüngste Studie von Julia Clancy-Smith zur kolonialen Migration (2010). Am Beispiel der Stadt und Region Tunis analysiert sie die massenhafte Wanderungsbewegung von Südeuropa in den Maghreb nach der französischen Eroberung Algiers 1830. Diese Wanderung entwickelte sich zur größten Migrationswelle seit der Vertreibung der Mauren durch die spanische Reconquista und zog auch in Nordafrika beträchtliche Bevölkerungsverschiebungen nach sich. In demographischer Hinsicht wanderte Europas Grenze dabei bis hinter die nordafrikanische Küste. Im Unterschied zu den globalen Migrationsströmen sind die mediterranen Bevölkerungsbewegungen des 19. Jahrhunderts von Historikern weitgehend ignoriert worden. Für ClancySmith liegt dies auch an den master narratives einer Middle Eastern History, die den Nahen Osten (inklusive Maghreb) eher als statisch-homogene Region fasst und Phänomene der Mobilität und Hybridität tendenziell ausklammert. Neben der wechselseitigen Beeinflussung mediterraner Migrationsströme gilt es daher auch die Lebensbedingungen mediterraner Migranten in kolonialen und postkolonialen Kontexten näher zu erforschen.

Nationale und imperiale Traditionen In der Neuesten Geschichte gibt es eine Reihe komplementärer Ansätze, die sich um eine Überwindung nationalhistorischer Sichtweisen bemühen: transnationale Geschichte, Globalgeschichte, New Imperial History.13 Für die moderne Geschichte des Mittelmeerraums bleibt die Nation als analytischer Rahmen und historiographischer Faktor allerdings wichtig. Die aktuelle politische Struktur des Mittelmeerraums ist das Ergebnis postimperialer und postkolonialer Nationsbildungsprozesse. Das Mittelmeer hatte für die Geschichte einzelner Nationalstaaten dabei unterschiedliche Bedeutungen, die sich in verschiedenartigen nationalen Forschungslandschaften manifestierten, wie eine Essaysammlung zu nationalen Repräsentationen des Mittelmeerraums zeigt.14 Viele Nationen waren zwischen dem 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zugleich Imperien – oder wollten es werden. Die um die Hegemonie im Mittelmeerraum ringenden europäischen Nationalstaaten Frankreich und Großbritannien, später auch Italien und Spanien, konkurrierten miteinander um das Erbe des antiken römischen Imperiums. Sie begründeten ihre Expansion mit nationalen und imperialen Ansprüchen und wollten die von ihnen beherrschten mediterranen Gebiete gleichzeitig nationalisieren und europäisieren. Ein systematischer Vergleich dieser national-imperialen Mittelmeerdiskurse steht bislang aus. Im Folgenden soll die Verknüpfung nationaler und imperialer Traditionen in der Mittelmeerforschung mediterraner Länder und Regio-

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Als Überblick: Pernau, 2011. Fabre u. Ilbert, 2000. Berücksichtigt werden Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Spanien, Ägypten, Libanon, Marokko, Tunesien, Türkei.

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nen skizziert werden, in denen das Mittelmeerthema noch heute eine wichtige Rolle bei der Konstruktion postimperialer nationaler Narrative spielt. Am vitalsten ist die historische Mittelmeerforschung nicht zufällig in Frankreich (Borutta, 2011). Bis in die 1950er Jahre hinein besaß das Land ein mediterranes Empire. Algerien war zwischen 1848 und 1962 sogar integraler Bestandteil des französischen Nationalstaats. Bereits in der Kolonialzeit entstand daher an französischen Institutionen in Kolonie und Metropole eine Fülle mediterranistischer Studien, die dazu beitragen sollten, Frankreichs Herrschaft zu legitimieren und zu optimieren. Fernand Braudels Mittelmeerbuch bündelte diese Arbeiten, verknüpfte sie mit Ergebnissen internationaler Forschung und eigenen innovativen Ansätzen und hob die Mediterranistik so auf ein neues wissenschaftliches Niveau. Während die geographische und kulturelle Einheit des Mittelmeerraums mit Rekurs auf Braudel lange eher vorausgesetzt als untersucht wurde, ist die Konstruktion der Region Anfang der neunziger Jahre selbst zum Objekt historischer Analyse geworden. Ein CNRS-Forschungsverbund untersuchte die Erfindung des französischen Konzepts der Méditerranée im Kontext der militärisch-wissenschaftlichen Expeditionen nach Ägypten (1798–1801), auf die Peloponnes (1829–1831) und nach Algerien (1839– 1841). Zum Vorschein kam nicht nur die intensive Kooperation von Vertretern unterschiedlicher Fächer, sondern auch deren Beitrag zur diskursiven Europäisierung des Raums, die für die Motivation und Rechtfertigung der französischen kolonialen Expansion eine wichtige Rolle spielte (Bourguet, 1998). Studien zur Geographie (Nordman, 1998), Anthropologie (Lorcin, 2005; Trumbull IV, 2009), Archäologie (Trümpler, 2008) und Kartographie (Blais u. Deprest, 2012) des Mittelmeerraums haben diese koloniale Dimension der modernen Mediterranistik für andere Länder und spätere Phasen differenziert und vertieft. Vielleicht auch aufgrund dieser kolonialen Tradition wird das Mittelmeer heute in den französischen Sozial- und Kulturwissenschaften kaum mehr als kohärente Einheit gedacht. Am weltweit größten Mittelmeerinstitut, der Maison méditerranéenne des sciences de l’homme (MMSH) in Aix-en-Provence, sind die südlichen und die nördlichen Mittelmeerregionen unterschiedlichen Abteilungen und Disziplinen zugeordnet. Der Mittelmeerbegriff bildet hier einen lockeren Referenzrahmen, der auch die Erforschung anderer Weltregionen erlaubt. Gleichzeitig löst die Erinnerung an die koloniale Epoche der Méditerranée in Frankreich noch immer zeithistorische Kontroversen aus. Die Dekolonisation markierte einen Bruch des imperialen Selbstverständnisses der republikanischen Nation. Millionen europäischer und nichteuropäischer Migranten aus den ehemaligen Kolonien strömten ins Land. Über die Bewertung der kolonialen Herrschaft in Übersee, zumal in Nordafrika und besonders in Algerien, wird seit dem Ende der neunziger Jahre ein regelrechter „Krieg der Erinnerungen“ geführt (Stora, 2007; Renken, 2006; Hüser u. Ruß, 2010). Besonders laut melden sich dabei die PiedsNoirs zu Wort, die Nachfahren jener europäischen Siedler, die seit dem 19. Jahrhundert vornehmlich aus den nördlichen Regionen und den Inseln des Mittelmeerraums nach Französisch-Nordafrika eingewandert waren. Im Zuge der Dekolonisation gelangten sie in die Metropole, wo sie sich bevorzugt im mediterranen Süden Frankreichs niederließen, den sie mit kolonialen Erinnerungsorten übersä-

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ten (Borutta, 2014a). Die militanten Wortführer dieser Gruppe schreiben den kolonialen Mittelmeerdiskurs fort, indem sie Französisch-Nordafrika auf nostalgische Weise verklären und die Gewalt und den Rassismus des Kolonialismus verharmlosen. Als Wählerklientel werden sie nicht nur vom rechtsextremen Front National, sondern von allen maßgeblichen politischen Kräften umworben und mit geschichtspolitischen Angeboten (Denkmälern, Museen) geködert. 2005 verfügte ein Gesetz sogar, dass das französische „Werk“ in Algerien von der Nation anzuerkennen und Frankreichs „positive Rolle“ in Übersee und vor allem in Nordafrika in den Lehrplänen der Schulen zu würdigen sei. Nach heftigen Protesten wurden die entsprechenden Artikel wieder entschärft (Middell, 2006)). Vor diesem Hintergrund machen linke französische Intellektuelle die Pieds-Noirs maßgeblich für den Rassismus im kolonialen Algerien und im postkolonialen Frankreich verantwortlich. Sie verkennen dabei mitunter die Mitverantwortung der Metropole am Scheitern des kolonialen Projekts und „mediterranisieren“ so gleichsam die Schuld. Die Bedeutung des Mittelmeers für das moderne Frankreich wurde zuletzt damit erklärt, dass in der Repräsentation dieses Raums stets auch der Kontakt der Nation mit dem Islam und der arabischen Welt thematisiert werde (Wick, 2008). Dieser Zusammenhang gilt im Prinzip auch für Italien und Spanien: Beide Länder standen im Mittelalter zeit- und teilweise unter arabisch-muslimischer Herrschaft, beide definierten sich in der Neuzeit als katholische Nationen und griffen, analog zu Frankreich, auf die antike römische Idee vom mare nostrum zurück, um selbst imperiale Ansprüche auf den Mittelmeerraum zu erheben. In Italien stilisierten Faschisten die Kolonie Libyen (1911–1951) in Anlehnung an die Formulierung des nationalistischen Dichters Gabriele D’Annunzio zur „vierten Küste“ Italiens und verschoben den Mezzogiorno so nach Süden (Segrè, 1974). Libyen sollte einerseits den Nukleus des zukünftigen mediterranen Kolonialreichs bilden, von dem Nationalisten und Kolonialisten seit dem 19. Jahrhundert nach dem Vorbild des antiken römischen Reichs träumten. Andererseits sollte es nach dem Willen der Faschisten nicht Kolonie, sondern – wie Algerien im französischen Fall – integraler Bestandteil der italienischen Nation werden. Dies führte in den 1920er und 1930er Jahren zu einer hybriden, widersprüchlichen Politik gleichzeitiger Nations- und Imperiumsbildung des italienischen Faschismus in Libyen (Pergher, 2010, S. 90). Insgesamt ist das Mittelmeerthema in Italien heute allerdings wenig präsent. Paolo Frascani hat seine Landsleute in einem Beitrag zur Reihe L’identità italiana des Verlags Il Mulino als ein vom Meer abgewandtes Volk dargestellt, das trotz der Bedeutung der Stadtrepubliken Genua und Venedig für den Mittelmeerraum des Mittelalters und der Frühen Neuzeit auf Land und Boden fixiert gewesen sei und das Meer entweder gefürchtet oder ignoriert habe. Erst nach 1800, als die mediterrane Region ins Zentrum europäischen Begehrens rückte, habe der bürgerliche Nationalismus koloniale Phantasien zur Beherrschung des Mittelmeerraums entwickelt, die schließlich im faschistischen Kult und in einer rassistischen Politik der romanità kulminiert seien (Frascani, 2008). Auch die Herausgeber eines aktuellen Sonderheftes des California Italian Studies Journal „Italy and the Mediterranean“ messen der Erinnerung ans mare nostrum der Römer zwar eine zentrale Rolle bei der Formierung der modernen nationalen Identität, Kultur und

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Außenpolitik Italiens bei (Fogu u. Re, 2010), allerdings stammen die Beiträge überwiegend von anglophonen Italianisten, Kultur- und Filmwissenschaftlern. In Italien selbst ist die mediterrane Geschichte kaum institutionalisiert.15 2008 edierte Marta Petricioli einen Sammelband zum „mediterranen Europa“ mit Beiträgen zur französischen Kopplung von Geopolitik und Mittelmeerdiskurs, zu den westlichen Kulturinstituten im Mittelmeerraum und zum Vergleich imperialer und nationaler Mittelmeerkonzepte (Petricioli, 2008). Auch die nach der Dekolonisation verdrängte und vergessene Präsenz von Italienern in Libyen und Tunesien findet nach den Pionierstudien von Angelo del Boca (1986–88) und Nicola Labanca (2002) wieder mehr Aufmerksamkeit, gerade bei jüngeren Historiker/innen (Ben-Ghiat u. Fuller, 2004; Melfa, 2008). Allerdings entstehen diese Studien wegen der schlechten Arbeitsmarktsituation für Akademiker oft im Ausland und wirken wenig auf Italien zurück, was die Entwicklung einer mediterranistischen Forschung dort erschwert. Eine umfassende Untersuchung der italienischen Mittelmeerkonzeption und -politik vom Risorgimento bis zum Faschismus fehlt bislang.16 In Spanien kreisten die historiographischen Debatten seit der Kontroverse zwischen Américo Castro und Claudio Sánchez-Albornoz lange Zeit darum, ob und wie die arabischen und berberischen, muslimischen und jüdischen Elemente, die sich im Mittelalter mit der katholischen Kultur verbunden hatten und die die Reconquista zurückzudrängen oder auszumerzen versucht hatte, ins nationale Narrativ integriert werden können. Die Frage nach der kulturellen Einheit oder Vielfalt des Mittelmeerraums stand somit, wenn auch implizit, im Zentrum des wichtigsten spanischen Historikerstreits im 20. Jahrhundert. Seit dem Ende der neunziger Jahre werden auch die spanisch-marokkanischen Beziehungen und die franquistische Mittelmeerpolitik intensiver erforscht.17 Die angloamerikanische Forschung zur Geschichte des modernen Mittelmeerraums ist ähnlich wie die kontinentaleuropäische in Beiträge zur Geschichte einzelner mediterraner Nationen und Regionen (Maghreb, Middle East) zerklüftet. Dennoch hat sie wichtige Forschungsimpulse gegeben, etwa für die Geschichte Süditaliens (John Davis, Marta Petrusewicz, John Dickie, Nelson Moe, Lucy Riall) oder des Maghreb (Julia Clancy-Smith u. a.). Auch die britische Herrschaft über einzelne Regionen und Inseln des östlichen Mittelmeerraums ist gut erforscht (Gallant, 2000; Holland u. Markides, 2008). Zur modernen Mittelmeerpolitik Großbritanniens hat zuletzt Robert Holland eine eindrucksvolle Synthese veröffentlicht (Holland, 2012). Wichtige Anregungen kommen zudem aus den Postcolonial Studies. So hat der in Neapel lehrende britische Kulturwissenschaftler Iain Chambers ein viel beachtetes Buch mit postkolonialen Perspektiven auf den Mittelmeerraum vorgelegt, das auch für Historiker von Belang ist (Chambers, 2008). 15

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Das interdiszplinäre Istituto di Storia dell'Europa Mediterranea ist aus einer Fusion dreier Institute hervorgegangen. Es hat eine Buchreihe und eine Zeitschrift, sein Sitz ist auf mehrere Städte verteilt (www.isem.cnr.it). An der Universität Florenz gibt es einen mediterranistischen Masterstudiengang, http://www.mastermediterraneanstudies.it/ (Zugriff jeweils: 20.12.2012). Zu einzelnen Aspekten und Perioden: Bessis, 1980; Grange, 1994; Consolo u. Cassano, 2000, S. 23– 42; Trinchese, 2005; Rodogno, 2003. Vgl. etwa Nogué u. Villanova, 1999; Sanz, 2001; Rodríguez Mediano u. de Felipe, 2002; de De Felipe, López-Ocon, u. Marín, 2004; De Madariaga, 2005; 2009.

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International wenig sichtbar ist dagegen die neuhistorische Forschung der arabophonen Mittelmeerländer. Dies liegt nicht nur an mangelnden Englisch- bzw. Arabischkenntnissen und der „asymmetrischen Ignoranz“ (Dipesh Chakrabarty) nichtwestlicher und westlicher Historiker. Es hängt auch mit der strukturellen Unterfinanzierung, schwachen Institutionalisierung und politischen Abhängigkeit geschichtswissenschaftlicher Forschung in vielen Ländern des Maghreb und des Nahen Ostens zusammen. Historiker, die sich kritisch zur Geschichte ihrer Nation äußern, haben oft Sanktionen zu fürchten, denn der Nationalismus ist hier meist Teil einer (im chronologischen Sinne) postkolonialen Identität, was das Einnehmen transnationaler, mediterraner Perspektiven erschwert (Dirèche, 2012). Es bleibt abzuwarten, ob die arabische Revolution die prekäre Lage der Historiker in diesen Ländern verbessern wird.

Forschungsperspektiven Zu Beginn haben wir gefragt, ob eine Geschichte des modernen Mittelmeerraums möglich ist. Unser Forschungsüberblick wirft indes die Frage auf, ob eine solche histoire totale, die der ursprünglich kolonialen Fiktion einer Einheit und Kontinuität des mediterranen Raums nachhängt, überhaupt wünschenswert ist und welche Alternativen es gibt. Dass der moderne Mittelmeerraum durch Fragmentierung, Konflikte und Brüche gekennzeichnet war, muss für die Forschung kein Nachteil sein, sondern kann Historiker auch davor bewahren, erneut in mediterranistische Fallen zu tappen und den Raum zu essentialisieren.

Mediterrane Geschichte und Spatial Turn Anstatt die Einheit des Mittelmeerraums vorauszusetzen, sollte die neuhistorische Forschung Anregungen des Spatial Turn18 aufgreifen und die moderne Konstitution der Region selbst zum Forschungsgegenstand machen, und zwar auf vier – empirisch wie analytisch – miteinander verbundenen Ebenen: Erstens durch die Untersuchung historischer Konstruktionen mediterraner Räume in unterschiedlichen Beschreibungssystemen. In methodischer Hinsicht kann hier an die genealogischen Studien zur Entstehung des kolonialen Konzepts der französischen Méditerranée angeknüpft werden. Allerdings sollten neben Politikern, Wissenschaftlern und Künstlern auch andere Produzenten von Bildern und Diskursen über das Mittelmeer betrachtet werden: Siedler, Flüchtlinge und Arbeitsmigranten, Kaufleute, Unternehmer und Soldaten, Bauern und Winzer, Reiseführer und Werbeagenturen. Denn auch diese Akteure und Medien erzeugten wirkungsmächtige Bilder des Mittelmeeres, die mit den hegemonialen Diskursen nicht übereinstimmen mussten, sondern diesen zuwiderlaufen oder sie sogar verändern konnten. Zweitens gilt es, die Erforschung mediterraner Mobilitäten (Reise und Tourismus, Migration, 18

Als Synthese: Bachmann-Medick, 2006, S. 284–328.

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Handel und Verkehr) mit der Frage nach der Produktion mediterranistischer Bilder zu verbinden, die im Rahmen dieser Bewegungen im Mittelmeerraum entstanden. Dabei wären zeitnahe und retrospektive Deutungsmuster zu unterscheiden. Drittens sind die epochalen Veränderungen des Mittelmeerraums in der Späten Neuzeit zu erforschen, die durch Braudels Perspektive der longue durée und den Mythos der ‚ewigen‘ mediterranen Trias aus Olive, Weizen und Wein verdeckt worden sind. Prozesse wie die koloniale Besiedlung, die touristische Erschließung, die Industrialisierung der Landwirtschaft, Urbanisierung oder Globalisierung haben den Mittelmeerraum grundlegend verändert, und zwar sowohl die Städte und Küsten als auch das Hinterland und die Inseln bis hin zum Meer selbst (Erwärmung, Verunreinigung, Überfischung). Erforscht worden ist dieser fundamentale Wandel bislang nur ansatzweise in kolonial- oder umwelthistorischen Studien oder in anderen Disziplinen. Viertens sind neben der menschlichen Konstruktion und Manipulation auch die Widerständigkeit und Eigenlogik mediterraner Räume, insbesondere der Natur und des Klimas zu berücksichtigen, die im ersten Band von Braudels Mittelmeerbuch so eindrücklich (wenngleich tendenziell ahistorisch essentialisierend) dargestellt werden. Dabei gilt es auch, die maritime Dimension mediterraner Geschichte ernster zu nehmen und forschungspraktisch zu operationalisieren.19 Als neue Quellen kämen nicht nur Repräsentationen von Mittelmeer-Überfahrten in Selbstzeugnissen und künstlerischen Medien infrage, sondern auch Frachtbriefe, Logbücher und Seerechtsbestimmungen. Idealiter wäre im Rahmen einzelner Projekte die Wechselwirkung dieser unterschiedlichen Ebenen der Konstruktion und Erfahrung, der Überwindung und Umgestaltung sowie der Agency mediterraner Räume zu erforschen: Sowohl der moderne Kolonialismus als auch der Tourismus, um bei diesen Beispielen zu bleiben, basierten auf bestimmten Vorstellungen von der Region; sie mussten Widrigkeiten mediterraner Räume überwinden, um Transfers von Waren, Menschen und Konzepten zu organisieren, die dann wiederum auf die Räume selbst zurückwirkten und sie veränderten (etwa in Form von Siedler- und Touristenkolonien) und neue Bilder von ihnen hervorbrachten (etwa in der kolonialen Propaganda oder in der Tourismuswerbung). Forschungsprojekte, die diese komplexen Wechselwirkungen zwischen Konstruktion, Mobilität und Veränderung mediterraner Räume analysieren, werden sich in der Regel auf einzelne Inseln, Städte, Regionen, Nationen, Küstenabschnitte, Hinterländer oder Meeresteile zu beschränken haben. Dies muss jedoch kein Nachteil (oder schlimmer: Provinzialismus im Sinne einer ‚bloßen‘ Geschichte im Mittelmeerraum) sein, denn auch die historischen Akteure hatten niemals Zugriff auf den gesamten Mittelmeerraum, selbst wenn sie dieser Vision zuweilen erlagen.

19

Anregungen hierzu bei: Corbin, 1988; Mollat du Jourdin, 1993.

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Mediterrane Vergleiche, Transfers und Verflechtungen Eine zweite Möglichkeit, mediterrane Geschichte der Späten Neuzeit zu betreiben, könnte darin bestehen, anstelle des aufgeladenen Substantivs der Méditerranée das bescheidenere, räumlich flexible Adjektiv mediterran zu verwenden20 und Ähnlichkeiten und Unterschiede, Transfers und Verflechtungen im Mittelmeerraum zu untersuchen. Weitet man den Blick auf die von Horden und Purcell verfemten Geschichten im Mittelmeerraum, wird es in der Neuesten Geschichte, wie der Forschungsüberblick gezeigt hat, unübersichtlich. Die Herkulesaufgabe einer mediterranen Geschichte der Moderne bestünde daher zunächst darin, die getrennten – lokalen, regionalen, nationalen, transnationalen und globalen – Fäden an einigen Punkten unter spezifischen Fragestellungen zu verknüpfen. Eine Kombination von Verfahren des Historischen Vergleichs, der Transfer- und Verflechtungsgeschichte erscheint dabei hilfreich.

Mediterrane Vergleiche Der Historische Vergleich behandelt seine Untersuchungseinheiten als räumlich geschlossene Entitäten, um nach ihren Ähnlichkeiten und Unterschieden zu fragen. Auch die Vorstellung eines einheitlichen Mittelmeerraums ist durch generalisierende Vergleiche mediterraner Regionen entstanden, die etwa Analogien zwischen Marseille und Algier, den Pyrenäen und dem Rifgebirge oder der Auvergne und der Kabylei betonten. Auch die nationale Integration Algeriens wurde mit der vermeintlichen Ähnlichkeit des Landes zu Frankreich begründet. Die historische Komparatistik der siebziger und achtziger Jahre hat mit dieser kolonialen Tradition zwar allenfalls das teleologische Entwicklungsdenken (nun nicht mehr in Gestalt von Zivilisierungsmissionen, sondern modernisierungstheoretisch gewendet) gemein. Im Zuge der kulturalistischen Wende der Geschichtswissenschaft ist das Verfahren des Historischen Vergleichs jedoch als künstlich kritisiert worden, denn die verglichenen Räume beeinflussten sich oft wechselseitig und glichen sich, wie im Falle der Städte Marseille und Algier, gerade aufgrund ihrer Beziehungen einander partiell an. Allerdings können auch miteinander verflochtene Einheiten verglichen werden. Die atomisierten Stadtgeschichten des Mittelmeerraums beispielsweise würden erst durch Vergleiche mit Städten innerhalb wie außerhalb des Mittelmeerraums zu übergreifenden Aussagen gelangen. Systematische Vergleiche imperialer Herrschaftsformen im Mittelmeerraum würden vermutlich selbst innerhalb der französischen, britischen und osmanischen Imperien interessante Analogien, Differenzen und Lernprozesse zutage fördern. Auch die modernen Nations- und Staatsbildungsprozesse des Mittelmeerraums waren miteinander verbunden. Die spanische Nationsbildung erhielt durch den Krieg gegen die französischen Besatzer einen Schub, das italienische Risorgimento und der griechische Freiheitskampf besaßen von Beginn an eine europäische Dimension, und die weitreichenden Reformen Ägyptens unter Muhammed Ali und 20

Zur Begriffsgeschichte: Fabre, 2000, S. 19–24.

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des Osmanischen Reiches erfolgten unter dem Eindruck des französischen Modells. Ungeachtet solcher Transfers und Verflechtungen sollten mediterrane Nationsund Staatsbildungsprozesse indes auch künftig miteinander verglichen werden, beispielsweise um den Zusammenhang von schwachem oder spätem state-building mit der Genese autoritärer politischer Strukturen im Mittelmeerraum zu erforschen. In der vergleichenden Faschismusforschung und der historischen Diktaturforschung haben Südeuropa und der Mittelmeerraum als Kategorien bisher kaum eine Rolle gespielt. Hier wären nicht nur synchrone Vergleiche südeuropäischer Gesellschaften im 20. Jahrhundert sinnvoll, wie sie in der Politikwissenschaft gebräuchlich sind, sondern auch diachrone Vergleiche mit postkolonialen maghrebinischen Gesellschaften. Im Rahmen der Forschung zu Gewalt, Sozialprotest und politischem Radikalismus ist nach mediterranen Strukturbedingungen und Formen von Gewalt ebenso wie nach ihrer ideologischen Überformung, Wahrnehmung und den sich um sie rankenden Mythen zu fragen. Dies gilt für den Faschismus ebenso wie für den Anarchismus. Besonders aufschlussreich ist hier das Beispiel Spaniens, wo die anarchistische Bewegung im letzten Drittel des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht nur weltweit am stärksten war, sondern auch besonders gewaltsam agierte. Zugleich war der spanische Anarchismus geprägt durch regionale Unterschiede: Einer anarcho-kommunistischen Bewegung im ländlichen Süden (insbesondere Andalusien), die terroristische Gewalt als Aktionsform befürwortete, stand eine anarcho-kollektivistische Bewegung in den industriellen Zentren des Nordens (insbesondere Kataloniens) gegenüber, die mehrheitlich gemäßigtere Strategien verfolgte, sich der Gewerkschaftsbewegung öffnete und zum Anarcho-Syndikalismus weiterentwickelte. Diese drei Phänomene – die Stärke des Anarchismus, seine Gewaltsamkeit und der Nord-Süd-Gegensatz – sind erklärungsbedürftig und beschäftigten politische Beobachter und Historiker Spaniens seit jeher. Bis in die 1970er Jahre florierten völkerpsychologische und kulturalistische Erklärungsmuster, die Spanien oft aus dem modernen Okzident ausgrenzten. „Der Spanier ist kein moderner Europäer“, befand Franz Borkenau 1937 und betrachtete die Anarchisten als „die reinsten Vertreter des spanischen Widerstandes im Arbeiterlager gegen die Europäisierung“ (Borkenau, 1986, S. 358, 347). Gerald Brenan sah in den andalusischen Anarchisten „naive Millenarier“ und interpretierte die Bewegung als (antiklerikal gewendete) religiöse Häresie, deren Radikalität und Moralismus die Mentalität der einfachen Leute und „spanische Eigenheit“ verkörpere (Brenan, 1978, S. 183, 216–224). Ähnlich verwies James Joll auf spanischen Individualismus, Stolz und eine besondere Empfänglichkeit des „spanische Temperaments“ für Fanatismus und den „Extremismus anarchistischer Doktrinen“ (Joll, 1979, S. 207). Gleichfalls nicht frei von Exotisierung, deutete Eric Hobsbawm den andalusischen Anarchismus als „archaische Sozialbewegung“ und „modernen Chiliasmus“ an der ländlichen Peripherie Europas in der Umbruchsphase vom Feudalismus zum Kapitalismus und unterstellte ihm damit unreifen „Sozialrevolutionismus“ und eine vormoderne Irrationalität (Hobsbawm, 1963, S. 104–126). Für die Mittelmeerforschung weist das Beispiel zwei Forschungsperspektiven aus: Zum einen gilt es, solche Erklärungsmuster für Gewalt- und Protestformen zu

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historisieren und auf mögliche „Mediterranismen“ hin abzuklopfen: Inwiefern (re)produzieren sie Stereotype über die Bewohner des Mittelmeerraums wie Heißblütigkeit, Unwille zur Organisation, Archaismus, Hang zur Gewalttätigkeit und Irrationalität? Dabei ist auch zu prüfen, ob solche Stereotype als Mediterranismen adäquat beschrieben sind oder es sich eher um Orientalismen, Konstruktionen des Südländischen oder Vorstellungen spezifischer Nationalitäten (Hispanität, Italianität, Hellenität usw.) handelt. Zum anderen drängen sich Vergleiche mit Gesellschaften innerhalb wie außerhalb des Mittelmeerraums auf, und zwar zu drei Zwecken: erstens, um verkürzte Erklärungsmuster („spanischer Individualismus“) zu relativieren und der Essentialisierung nationaler oder regionaler Kulturen vorzubeugen; zweitens, um apriorische Annahmen mediterraner Ähnlichkeiten durch den Blick auf Unterschiede und spezifische Ursachen, Formen und Wirkungen gesellschaftlich-politischer Gewalt zu hinterfragen und potentiell mediterranistische Erklärungen zu dekonstruieren (etwa Familialismus und Ehrvorstellungen als Erklärungen für mafiöse Strukturen und organisierte Kriminalität); drittens, um herauszufinden, ob möglicherweise doch strukturelle Ähnlichkeiten und Spezifika im Mittelmeerraum (oder in mediterranen Teilregionen) im Hinblick auf Formen gesellschaftlicher Konfliktaustragung und kollektiver Gewalt seit dem 19. Jahrhundert bestehen. Gab es etwa im katholischen Südwesteuropa einen besonders militanten Klerikalismus und Antiklerikalismus oder spezifische Formen bäuerlichen Protests? Insbesondere für ländliche Räume mag ein gemeinsames Merkmal darin liegen, dass ein staatliches Gewaltmonopol z.T. bis ins 20. Jahrhundert hinein nicht durchgesetzt und Staatlichkeit überhaupt nur wenig präsent war. Das ist indes nicht spezifisch mediterran; bei der Frage nach Mechanismen gesellschaftlicher Konfliktlösung und ihrem Wandel wären daher gerade auch Vergleiche mit nichtmediterranen ländlichen Räumen unterschiedlicher Prägung aufschlussreich, für das 19. Jahrhundert z.B. mit Regionen in Irland (quasi koloniale Situation an der europäischen Peripherie) und Frankreich (avancierte staatliche Durchdringung), um in Westeuropa zu bleiben. Für die Konflikt- und Gewaltforschung – aber auch über diese hinaus – kann eine mediterrane Perspektive neben ihrer heuristischen Funktion folglich helfen, verborgene Vorannahmen von zeitgenössischen Analysen und Historiographie aufzudecken und Ideologiekritik zu üben; sie kann ferner intra- und extramediterrane Vergleiche anregen, die nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen mediterranen Gesellschaften und ihren möglichen Besonderheiten fragen, bei denen mediterrane Spezifika aber nicht Vorannahme, sondern allenfalls Ergebnis der Untersuchung sein können. Solche Studien wären Teil einer vergleichenden Kultur- und Gesellschaftsgeschichte, die – ähnlich wie für die europäische Geschichte bereits konzeptualisiert und praktiziert – nach Konvergenzen und Divergenzen des Mittelmeerraums im 19. und 20. Jahrhundert fragt. In diesem Rahmen wäre auch das Verhältnis von Religion und Säkularität zu untersuchen. Denn sowohl in den katholisch geprägten Gesellschaften Südwesteuropas als auch in den mehrheitlich muslimischen Gesellschaften Nordafrikas und des Nahen Ostens gab es im 19. und 20. Jahrhundert mächtige säkularistische Strömungen, die zum Teil Jahrzehnte lang regierten. Insofern ließen sich auch die bis

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heute virulenten Kulturkämpfe des Mittelmeerraums diachron vergleichen. Solche Studien könnten das allgegenwärtige Schlagwort vom ‚Kampf der Kulturen‘ (Religionen) relativieren, indem sie die internen Konflikte religiöser und säkularer Kräfte ins Blickfeld rücken. Besonders reizvoll wäre ferner ein Vergleich mediterraner Raumkonzepte. Denn der Mittelmeerraum wurde in der Moderne auf paradoxe Weise repräsentiert. Einerseits wurden Nordafrika und der Nahe Osten in imperialen Raumbegriffen wie Méditerranée, mare nostrum, quarta sponda, Eurafrica und Atlantropa als genuine Teile Europas oder sogar der eigenen Nation dargestellt. Noch der ‚euromediterrane‘ Diskurs der Europäischen Union nach 1990 knüpft an diese Europäisierung des Mittelmeerraums an. Andererseits wurden südeuropäische Nationen und Regionen wie Spanien und Andalusien, Italien und der Mezzogiorno, Griechenland und auch der französische Midi seit dem 18. Jahrhundert immer wieder als orientalisch oder afrikanisch beschrieben und so aus Europa ausgegrenzt. Reisende aus dem Norden suchten und fanden das „Morgenland“ im 19. Jahrhundert in Spanien, Italien oder den zum Osmanischen Reich gehörenden Gebieten des Balkans. Beschreibungen Griechenlands oder Siziliens firmierten noch Mitte des 19. Jahrhunderts als Reiseberichte „aus dem Orient“ bzw. „der Levante“ (Polaschegg, 2005, S. 70–74). Als orientalisch wahrgenommen wurde indes nur die Gegenwart dieser Länder, während ihre griechisch-römische Vergangenheit als europäisch galt. Auch diese Tendenz zur Exotisierung und Marginalisierung Südeuropas reicht bis in die Gegenwart, wenn man an die kulturellen Deutungsmuster der jüngsten Finanzkrise denkt. Die Frage, worin sich diese modernen Mediterranismen und Orientalismen ähnelten und unterschieden, wie sie sich beeinflussten und miteinander zusammenhingen, bildet ein eigenes Feld künftiger Forschungen. Mit Blick auf die europäische Geschichte könnte eine mediterrane Geschichte der Späten Neuzeit dabei in Erinnerung rufen, dass Europas Südgrenze noch im 20. Jahrhundert historisch fließend war und auch künftig keineswegs festgelegt ist, und zwar weder südlich noch nördlich des Mittelmeeres. Gleichzeitig ließe sich die Vergleichsperspektive auf andere Meere und Ozeane öffnen. Die Sea History bietet interessante Vergleichsmöglichkeiten mit anderen maritimen Räumen wie dem Indischen Ozean, dem Atlantik, dem Mare balticum oder dem Schwarzen Meer (Abulafia, 2001; Wigen, 2006; Troebst, 2007; Pernau, 2011, S. 95–110). Nach einer Phase der Globalisierung des Mittelmeerparadigmas könnte man die Ergebnisse dieser anderen meereszentrierten Geschichten wieder auf ihr maritimes Ausgangsparadigma – die Méditerranée – zurückbeziehen, um es zu prüfen und zu modifizieren. Die (angebliche) Spezifik der mediterranen Region lässt sich letztlich nur ermessen, indem man sie mit anderen maritimen Interaktionsräumen vergleicht.

Mediterrane Konnektivität Wie anfangs angedeutet, erreichte die ‚Konnektivität‘ des Mittelmeerraums in der Moderne eine neue Qualität. Dies gilt zumal für die koloniale Epoche zwischen dem frühen 19. Jahrhundert und der Zeit zwischen den Weltkriegen, als Nordafrika

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und der Nahe Osten nicht nur als Teile Europas dargestellt, sondern auch auf vielfältigen Ebenen mit dem Kontinent verbunden wurden. Die mediterrane Dimension der europäischen Kolonisierung des südlichen Mittelmeerraums ist bislang kaum untersucht worden. Welche Rolle spielten etwa südeuropäische Regionen wie Andalusien, der Midi und der Mezzogiorno für die Kolonisierung Marokkos, Algeriens, Tunesiens und Libyens? Wie wirkte die südeuropäische Besiedlung dieser nordafrikanischen Gebiete auf die südlichen Peripherien Europas zurück? Rückten sie im Rahmen der europäischen Expansion gen Süden vom Rand ihrer Nationalstaaten ins Zentrum mediterraner Verflechtungen? Und wie änderte sich dies mit der Dekolonisation, als sich die Migrationsströme umkehrten? Gab es also im Mittelmeerraum eine spezifische Verbindung von Prozessen der Nations- und Regionsbildung einerseits und der Kolonisierung und Dekolonisierung andererseits (Borutta, 2014b)? Die mediterrane Vernetzung erfasste nicht nur die Zentren und Peripherien mediterraner Kolonien und europäischer Metropolen, sondern auch die modernen Imperien. Der Wettlauf um die Kontrolle des Mittelmeerraums zwischen Frankreich und Großbritannien ist für den Beginn des 19. Jahrhunderts als epochales Duell zwischen Napoleon und Nelson beschrieben, aber kaum für den weiteren Verlauf untersucht worden. Zwischen diesen und anderen Imperien kam es in der Folge weniger zu bewaffneten Konflikten als zu Begegnungen, Kooperationen und wechselseitigen Lernprozessen. Das am besten erforschte Beispiel ist der Suezkanal, an dessen Bau auch der ägyptische Khedive maßgeblichen Anteil hatte. Die Frage der Beziehungen und des Austauschs dieser modernen mediterranen Empires inklusive der Osmanen und ihrer Statthalter wäre auch auf anderen Ebenen, etwa im Bereich der Diplomatie, der Expertenkulturen und der Ökonomie zu erforschen.21 Neben mediterranen gab es in der Moderne indes auch nationale, europäische und außereuropäische Verflechtungen des Mittelmeerraums. Die Frage, ob sich diese Formen der Interaktion und Verflechtung wechselseitig verstärkten oder schwächten, ist für eine mediterrane Geschichte der Späten Neuzeit von großer Bedeutung. Eine Stadt wie Marseille wurde durch die Eroberung Algiers 1830 zunächst mediterranisiert, nach 1860 aber auch nationalisiert, d.h. mit Paris verbunden, um im 20. Jahrhundert schließlich maghrebinisiert und globalisiert zu werden (Témime, 2007; Blanchard u. Boëtsch, 2005). Zugleich wäre nach gescheiterten Transfers und Prozessen der Entflechtung zu fragen. Freiwillige und erzwungene Transfers europäischer Kultur nach Nordafrika und in den Nahen Osten lösten neben Prozessen der Aneignung wie im Ägypten Muhammed Alis oder im Osmanischen Reich auch Konflikte und Widerstände aus. Die Dekolonisation und der Kalte Krieg führten zu einer weitgehenden Entflechtung der nördlichen und der südlichen Mittelmeergebiete. Parallel zum europäischen Einigungsprozess gab es in den südlichen Mittelmeerstaaten neben postkolonialen Nationsbildungsprozessen auch transnationale Initiativen (OPEC, Maghreb-Union, Arabische Liga), die allerdings keine der EU vergleichbare politische und wirtschaftliche Homogenisierung bewirkten. Seit dem Ende des Ost21

Zur Diplomatiegeschichte vgl. Windler, 2002.

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West-Konflikts kam es im Zeichen des Barcelona-Prozesses zu einer erneuten politischen Annäherung und verstärkten Kooperation der nördlichen und der südlichen Mittelmeerländer, die 2008 in der Gründung der Mittelmeer-Union gipfelte. Die arabische Revolution und die Euro-Krise haben diesen Prozess, den Kritiker von Beginn an als europäischen oder französischen Neoimperialismus geißelten, ins Stocken gebracht, und es ist unklar, ob und in welcher Form er fortgesetzt wird. Die Globalisierung des Mittelmeerraums, die durch die Öffnung des Suezkanals 1869 einen beträchtlichen Schub erhielt, ist bislang allenfalls punktuell untersucht worden, mit Blick auf bestimmte Hafenstädte oder auf die Weltmarktintegration einzelner mediterraner Ökonomien. Vergleiche mediterraner und globaler Handelsströme gibt es nur für einzelne Länder und Phasen. Die Verflechtung des Mittelmeerraums mit anderen Weltregionen durch Handel, Verkehr und Migration ist ebenfalls kaum erforscht. Hier ließe sich theoretisch und methodisch von der Globalgeschichte lernen. Die Frage wäre aber auch in umgekehrter Richtung zu stellen: mit Blick auf eine partielle, bestimmte Bereiche betreffende Mediterranisierung der Welt. Denn das Mittelmeer hat in der Moderne neben Menschen auch Dinge, Konzepte und Praktiken exportiert: die Mafia, den Flamenco, den Faschismus, Pasta, Pizza und Espresso und, in der Tat, eine Menge Wein und Olivenöl. Neben der Globalisierung des Mittelmeerraums wären auch diese weltweiten Mediterranisierungsprozesse zu untersuchen, die zum Beispiel die Ess- und Trinkgewohnheiten globaler Eliten zunehmend prägen (Kaffeekultur, Mediterranean diet). An der Schnittstelle von Politik-, Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte beschäftigen sich Forscher/innen seit kurzem intensiver mit der Geschichte der Erdölindustrie und -versorgung im 19. und 20. Jahrhundert. Bisher ist der Blick vorwiegend nationalzentriert (mit der Frage nach nationalen Energie-, Industrie- und Sicherheitspolitiken), in zweiter Linie (west)europäisch (vergleichend oder als Teil der europäischen Integrationsgeschichte) und global (hinsichtlich der Fördergebiete), während der Mittelmeerraum eine untergeordnete Rolle spielt (Beltran, 2010; 2011; Bini u. Selva, 2011). Gleichwohl ergeben sich hier mediterrane Perspektiven, etwa im Hinblick auf (post)koloniale Verflechtungen Algeriens mit Frankreich und Libyens mit Italien oder die strategische Bedeutung des Mittelmeerraums im Kalten Krieg.22 Dies führt zu einem weiteren Forschungsfeld: den konkurrierenden Hegemonialansprüchen und Kriegen im Mittelmeerraum im 20. Jahrhundert. Für die Zwischenkriegszeit und den Zweiten Weltkrieg geht es hier vor allem um Interaktionen und Wechselwirkungen zwischen den imperialen Ambitionen des faschistischen Italiens, den mediterranen Hegemonialmächten Frankreich und Großbritannien (Brundu Olla, 1980; Duroselle, 1990), dem Erstarken des Zionismus und des arabischen Nationalismus, den Begehrlichkeiten spanischer Africanistas in Marokko bzw. des Franco-Regimes in Nordwestafrika bis zu deutschen Mittelmeerstrategien im Spanischen Bürgerkrieg und Zweiten Weltkrieg (Sueiro Seoane, 1992; Goda, 1998). Hingewiesen wurde zuletzt auf die „mediterranen Ursprünge“ des Zweiten 22

Ansätze bei Bini, 2012; Demagny, 2010.

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Weltkriegs und die italienische Propagandakampagne gegenüber der muslimischarabischen Bevölkerung des Nahen Ostens im Rahmen der aggressiven faschistischen Außenpolitik der 1930er Jahren (Salerno, 2002; Williams, 2006). Hier ergeben sich komparatistisch und verflechtungsgeschichtlich Forschungsperspektiven, gerade was die Wechselwirkung italienischer, britischer und französischer Propaganda im Mittelmeerraum betrifft. Teilweise aufgegriffen werden sie in Forschungen zum Propagandakrieg zwischen Briten und Italienern um die Gunst der arabischen Bevölkerung, insbesondere mittels arabischsprachiger Radioprogramme (Radio Bari, BBC Arabic Service) (Tognarini, 2008). Für den Zweiten Weltkrieg wäre im Anschluss an eine jüngst formulierte These zu fragen, inwieweit die italienischen Gewaltexzesse in Nordafrika – im Sinne eines transmediterranen Transfers genozidaler Praktiken – auf die italienisch besetzten Gebiete in Europa und auf Italien selbst zurückwirkten (Bernhard, 2012). Für die Zeit nach 1945 ist nach der Rolle des Mittelmeerraums in der Geschichte der Ost-West-Konfrontation und der Dekolonisation sowie nach den Folgen dieser Konflikte für die Region und ihre Wahrnehmung zu fragen. Inhärenter Bestandteil einer solchen mediterranen Konfliktgeschichte ist auch der Nahostkonflikt im östlichen Mittelmeerraum, bei dem koloniale und imperiale, postkoloniale und nationale, regionale und globale Entwicklungen ineinanderfließen und zusammenwirken. Inwiefern gerade in Ausmaß und Vielfalt dieser Überlagerungen ein hervorstechendes Merkmal mediterraner Konfliktkonstellationen liegt, bleibt zu prüfen.23 Für die Anthropologie wurde zuletzt darauf hingewiesen, dass sich die Paradigmen und Institutionen der Mittelmeerforschung durch den Kalten Krieg und die Auflösung der europäischen Imperien veränderten: Zum einen widmeten sich ehemalige Anthropologen der befreiten Kolonien in Übersee nun mediterranen Regionen (Pina-Cabral, 1989, S. 400f.). Zum anderen wurde die Relevanz der Mediterranistik im Kalten Krieg mit der „Rückständigkeit“ mediterraner Gesellschaften und ihrer Anfälligkeit für den Kommunismus begründet (Dir, 2005, S. 26–28.). Die Folge war eine Tendenz zur Exotisierung und Enteuropäisierung des Mittelmeerraums. Erst nach dem Ende des Kalten Krieges hat sich Europa dem Mittelmeerraum wieder zugewandt und die Region im Begriff der „Euromediterranen Partnerschaft“ zumindest semantisch dem Okzident erneut angenähert. Die Gründung der Union für das Mittelmeer wurde daher keineswegs zufällig als europäischer Neokolonialismus kritisiert. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie der Begriff des „Mittelmeerraums“ von seiner eurozentrischen, imperialen Konnotation gelöst 23

Ähnlich wie beim Zypernkonflikt lagen die Ursprünge des Nahostkonflikts zunächst in der Auflösung des Osmanischen Reichs, der britischen Herrschaft (Mandat in Palästina, Kolonialherrschaft in Zypern) und den Folgen des Ersten Weltkriegs – mit den gleichzeitigen Versprechungen an Araber und Zionisten im Fall Palästinas, der türkischen Nationalstaatsbildung und den griechischtürkischen Bevölkerungsverschiebungen im Fall Zyperns. Entscheidend waren dann der Zweite Weltkrieg und der Holocaust, später der Kalte Krieg. Viele Studien konzentrieren sich nur auf eine dieser Dimensionen, privilegieren bald die koloniale, bald die globale, oft die – auf die israelische bzw. zypriotische Nationalstaatsbildung bezogene – nationale Perspektive. Zum Nahostkonflikt vgl. zuletzt Bachmann, 2011; Möckli u. Mauer, 2011; als Überblick: Krämer, 2002; Bunzl, 2008. Zum Zypernkonflikt als Überblick: Richter, 2010; Faustmann u. Peristianis, 2006.

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werden kann. Denn Kolonialismus und Imperialismus waren für die mediterrane Geschichte der Späten Neuzeit zentral. Neben den modernen Verbindungen, Zirkulationen und Interaktionen sollten daher auch die Konflikte der mediterranen Region historisch untersucht werden. Sonst besteht die Gefahr der Bildung neuer moderner Mythen über den Mittelmeerraum durch die Mittelmeerforschung.

Fazit Kehren wir zur Ausgangsfrage zurück: Ist eine moderne Geschichte des Mittelmeerraums möglich, oder kann es mit Blick auf die Späte Neuzeit nur Geschichten im Mittelmeerraum geben? Hier ist eine vermittelnde Position einzunehmen. Einerseits erscheint eine histoire totale der Region im 19. und 20. Jahrhundert weder möglich noch wünschenswert. Zum einen wäre sie dem Verdacht neokolonialistischen Denkens ausgesetzt. Zum anderen war die Region so fragmentiert, dass andere – lokale, nationale, transnationale – Raumbezüge oftmals wichtiger waren. Schließlich lässt sich die Vielfalt der angedeuteten Themen und Fragestellungen kaum in eine mediterrane Geschichte zwingen. Andererseits muss eine kritische, reflexive Verwendung des Mittelmeerparadigmas keineswegs dazu führen, den Mittelmeerraum in kolonialer Tradition als Einheit zu betrachten und zu europäisieren, sie kann vielmehr, gerade umgekehrt, bei der Rekonstruktion der ‚geteilten Geschichten‘ Südeuropas, Nordafrikas und des Nahen Ostens helfen. Diese shared histories waren von Asymmetrien, Unterwerfungs- und Verdrängungsprozessen zwischen Norden, Süden, Westen und Osten innerhalb wie außerhalb des Mittelmeerraums geprägt. Eine integrierende Sicht mediterraner Räume würde diese Ungleichgewichte transparenter machen und sie im Kontext aktueller Probleme in Erinnerung rufen: Die mediterrane Wanderungsbewegung etwa erfolgte im 19. und 20. Jahrhundert lange in umgekehrter Richtung als heute, nämlich von Norden nach Süden. Vor allem die Zusammenhänge nationaler und regionaler, kolonialer und postkolonialer Geschichten wären dabei herauszuarbeiten, im Sinne einer Verflechtungsgeschichte der nördlichen und südlichen Mittelmeerregionen zwischen der Kolonisierung und der Dekolonisierung. Dabei muss sich der Blick keineswegs immer auf die Mittelmeerregion als Ganzes richten, in der Forschungspraxis kann es meist nur um Geschichten im Mittelmeerraum gehen. Mediterranistisch werden solche Studien dann, wenn sie das Mediterrane nicht ignorieren oder voraussetzen, sondern als heuristisches Instrument verwenden und selbst zum Untersuchungsgegenstand erheben. Dies kann auf unterschiedliche Weise geschehen, etwa mit Blick auf (1) diskursive Konstruktionen und kulturelle Repräsentationen des Mittelmeerraums, (2) den materiellen Wandel mediterraner Orte und Räume, (3) Formen mediterraner Konnektivität und Mobilität, (4) Strategien und Praktiken der Beherrschung mediterraner Räume, (5) Ähnlichkeiten und Unterschiede innerhalb der Region sowie (6) globale Spezifika des Mittelmeerraums bzw. Interaktionen mit anderen Weltregionen. Die Neueste Geschichte kann also Einiges zur Mittelmeerforschung beitragen. Erstens war die Moderne eine wichtige Epoche mediterraner Geschichte, in der es

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zu einer radikalen Neuordnung des Mittelmeerraums kam, welche die Region und die Forschungslandschaft bis heute prägt. Zweitens entstanden im Zuge dieser Neuordnung mediterraner Räume durch Prozesse der Orientalisierung und Europäisierung, Regionalisierung, Nationalisierung und Globalisierung die modernen Mittelmeerstudien und die Vorstellung vom Mittelmeerraum als einheitlicher Region. Eine Mediterranistik, die ihre Wurzeln außer acht lässt, läuft Gefahr, die mediterranistischen Paradigmen, die in der Moderne zur Legitimierung nationaler, imperialer und okzidentaler Macht gedient haben, fortzuschreiben. Eine Mediterranistik hingegen, die sich mit ihren Wurzeln befasst, könnte auf neue Weise nach der Einheit, Kontinuität und Spezifik des Mittelmeerraums fragen, vielleicht aber auch andere Fragen an die Region stellen. Was kann die Neueste Geschichte ihrerseits von der Mediterranistik lernen? Welche Impulse können mediterrane Perspektiven etwa den aktuellen Debatten über das Verhältnis europäischer und außereuropäischer Geschichte geben, die um postkoloniale, transnationale und globalhistorische Ansätze kreisen? In zeitlicher Hinsicht markierte die Epoche der Méditerranée eine wichtige Periode der Geschichte Europas. Die europäische Kolonisierung des Mittelmeerraums fiel nicht zufällig mit dem globalen Aufstieg und Fall Europas zusammen. Der moderne Begriff des Mediterranen diente dabei sowohl zur (nord)europäischen Aneignung und Eroberung des Südens als auch zur Abgrenzung Europas vom Süden. In räumlicher Perspektive erwies sich die europäische Südgrenze von der kolonialen bis zur postkolonialen Zeit als fließend. Vor diesem Hintergrund könnte die Neueste Geschichte des Mittelmeerraums die Fluidität der geographischen und kulturellen Grenzen Europas herausarbeiten und zugleich als Beispiel einer Verflechtungsgeschichte dienen, deren Zentrum weder in Europa noch überhaupt in einem Territorium, sondern in einem maritimen Raum zwischen drei Kontinenten lag. Eine solche Geschichte des Mittelmeerraums würde eine Kombination lokaler, regionaler, nationaler und transnationaler Sichtweisen erfordern, die derzeit auch von Globalhistorikern gefordert wird. Gerade die aktuelle historische und epistemologische ‚Provinzialisierung Europas‘ bietet die Chance, sich der mediterranen Geschichte erstmals mit Kategorien zuzuwenden, die den alten Eurozentrismus nicht reproduzieren, sondern historisieren und überwinden, um Neues über diese vermeintlich bekannte Region zu erfahren. Die globalhistorische Unterscheidung zwischen ‚Europa‘ und der ‚außereuropäischen‘ Welt trägt im Mittelmeerraum nicht. Gerade das macht ihn so interessant.

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MARKUS KOLLER

Osmanistik Geschichte des Faches Osmanistik Die Anfänge der Osmanistik als einer historischen Disziplin lassen sich in das 16. Jahrhundert verorten, als sich das Osmanische Reich zur Vormacht im östlichen Mittelmeerraum entwickelt hatte und gleichzeitig die politischen sowie wirtschaftlichen Kontakte mit der Staatenwelt des christlichen Europa enger geworden waren (Faroqhi, 2004). Handel, Diplomatie und Wissenschaft bildeten daher eng miteinander verwobene Felder, auf denen Experten für die osmanisch-türkische Sprache, die politische Verfasstheit des Imperiums und dessen Geschichte auftraten. In den Anrainerstaaten des Mittelmeeres und des Atlantiks war es das auf die Levante ausgerichtete Zusammenwirken von Wirtschafts- und Außenpolitik, das die institutionellen Anfänge kennzeichnete. Der starken Stellung des venezianischen Handels entsprach die 1551 am Sitz des Gesandten (Bailo) in Istanbul errichtete Schule für orientalische Sprachen (Scuola de Giovani di Lingua) (Dursteler, 2006, S. 37). Als seit dem späten 16. Jahrhundert England die Markusrepublik aus dem Levantehandel zu verdrängen begann, wurden in den 1640er Jahren junge Männer vorwiegend griechischer Herkunft in Gloucester Hall/ Oxford als Übersetzer ausgebildet (Berridge, 2004, S. 152). Seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts engagierten sich immer stärker französische Kaufleute in der Levante und beendeten schließlich im 18. Jahrhundert die britische Dominanz (Eldem, 1999). Als treibende Kraft erwies sich die Handelskammer von Marseille, die 1661 von Colbert die Gründung einer Dolmetscherschule erreichte. In der Habsburger Monarchie beeinflusste hingegen zunächst vorrangig die Diplomatie den institutionellen Rahmen, innerhalb dessen sich die Experten bewegten. Vor dem Hintergrund der habsburgisch-osmanischen Konflikte in Nordafrika und insbesondere in Ostmitteleuropa entstand 1541 das Amt des Hofdolmetschers (Turkischer Tulmätscher). Seit 1674 gab es auch Kurse für Osmanisch-Türkisch an der Universität in Wien, das sich neben Paris zu einem Zentrum der Orientalistik entwickelt hatte. 1754 begann die „K.K. Akademie der orientalischen Sprachen“ in der Hauptstadt der Habsburger Monarchie ihre Tätigkeit aufzunehmen, ähnliche Einrichtungen hatte es bereits in Polen-Litauen (1622) und in Frankreich (1669) gegeben (Bronza, 2013, S. 332). Die Institutionalisierung der Sprachausbildung ging mit dem Bemühen einher, Dokumentensammlungen einzurichten. Insbesondere in Frankreich haben Forscher bereits unter Kardinal Mazarin (1602–1661) und Colbert (1619–1683) Dokumente über den Nahen und Mittleren Osten zusammengetragen, die sich auf die Antike bezogen. Darunter befanden sich auch Texte in orientalischen Sprachen.

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Der Aufbau solcher Dokumentensammlungen, deren größte sich in der königlichen Bibliothek zu Paris befand, gab wichtige Impulse für den Ausbau der institutionalisierten orientalistischen Forschung. Die Anfänge der russischen Orientalistik gingen nicht zuletzt auf ein den Mittelmeerraum umfassendes Netzwerk zurück, dem der Orientalist Silvestre de Sacy (1758–1838) angehörte. Dieser hatte an der 1795 wiedereröffneten École Spéciale des Langues Orientales den Lehrstuhl für Arabisch inne und stand in Kontakt mit Jaques-Louis Rousseau (1780–1831), dem französischen Generalkonsul in Aleppo und Tripoli. Rousseau hatte eine umfangreiche Handschriftensammlung zusammengetragen, die unter Vermittlung von de Sacy nach Russland kam, wo sie den Grundstock für das Asiatische Museum in St. Petersburg bildete. 1844 erhielten schließlich alle konsularischen Vertretungen des Zarenreichs im „Orient“ den Auftrag, Manuskripte für das Museum zu beschaffen (Akimuschkin u. Chalidow, 1995, S. 71–73). Die Verfügbarkeit und das Interesse an Schriftquellen sowie die Kenntnis der entsprechenden Sprachen hatten einen Rahmen geschaffen, innerhalb dessen die Osmanistik als historische Disziplin entstehen konnte. Deren inhaltliche Bezüge zum Mittelmeerraum stehen in den folgenden Ausführungen im Mittelpunkt, die daher keinen Überblick über die Geschichte des Faches bieten werden.

Methodik und Raumkonzepte Als Begründer der Osmanistik wird Joseph von Hammer-Purgstall (1774–1865) angesehen, ein Zögling der habsburgischen Akademie der orientalischen Sprachen, als dessen bedeutendste Veröffentlichung die „Geschichte des Osmanischen Reiches“ (1834–1836) gilt. In dieser chronologisch konzipierten Darstellung erscheinen mediterrane Räume vorwiegend in ihren politischen und administrativen Bezügen zur Reichsgeschichte und diese Perspektive begann sich erst mit den Studien von Fernand Braudel (1902–1985) zu verändern. In der 1949 erstmals erschienen Geschichte des Mittelmeeres während der Herrschaft Philipps II. (reg. 1556–1598) wies er dem Osmanischen Reich einen festen Platz in seiner Raumkonzeption zu und vor diesem Hintergrund wird auch verständlich, warum die Arbeiten Braudels in methodischer und inhaltlicher Hinsicht als Impulsgeber für die Osmanistik fungierten. Er definierte einzelne Wirtschaftsregionen, die durch Handel sowohl zusammengehalten als auch miteinander verbunden wurden. Als deren Kern bestimmte Braudel große Städte und deren Hinterland, die sich wiederum von wirtschaftlich schwachen Peripherien abgrenzten. Dieser Ansatz ist in der Osmanistik kritisch diskutiert worden, indem insbesondere auf den polyzentrischen Charakter des von Braudel als eigene „Weltökonomie“ bezeichneten Osmanischen Reichs (Braudel, 1979, S. 11–70) hingewiesen wurde. Städte wie Kairo oder Aleppo seien ebenfalls Zentren von Wirtschaftsregionen gewesen. Außerdem habe Istanbul auch keine Zone umgeben, die eine besondere ökonomische Prosperität aufgewiesen hätte (Faroqhi, 1994, S. 478f.). Giancarlo Casale griff jüngst das Konzept einer osmanischen Weltökonomie zumindest für das 16. Jahrhundert implizit wieder auf und verortete deren Schwerpunkt in den Indik. Er definiert den Versuch des Großwesirs Mehmet

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Pascha Sokolović (1564–1569), in dieser Region eine machtpolitische Dominanz zu erlangen, als einen „sanften Imperialismus“, da dieses Ziel insbesondere durch die Kontrolle von Handels- und Kommunikationswegen sowie durch den Rückgriff auf die gemeinsame Religion erreicht werden sollte (Casale, 2010, S. 18). In solchen Diskussionen um die strukturelle Verfasstheit der osmanischen Wirtschaft ist ein weiterer Diskurs erkennbar, den Fernand Braudel ebenfalls bereits aufgegriffen hatte. Er betonte, dass die osmanische Expansion im 16. Jahrhundert und die Agrarkrise auf der appeninischen Halbinsel zwischen 1548 und 1564, als sich der Export von Getreide aus dem Herrschaftsgebiet des Sultans in die italienischen Regionalherrschaften erheblich intensiviert hatte, die Einbindung des Osmanischen Reichs in eine regionenübergreifende Geldwirtschaft zur Folge gehabt habe. Im Kontext solcher Überlegungen betrachteten in den 1950er und 1960er Jahren Historiker das Osmanische Reich seit der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert als Bestandteil eines über Europa hinausreichenden und zunehmend vernetzten Wirtschaftsraumes.1 Sie argumentierten, dass Großwesire und andere Würdenträger an den Börsenspekulationen in Lyon um die Mitte des 16. Jahrhunderts (Pfeffermann, 1946, S. 153) beteiligt gewesen seien und eine wichtige Rolle im legalen Export von Getreide gespielt hätten (Pfeffermann, 1946, S. 340f., 352–354). Solche Überlegungen gewannen wieder an Bedeutung, als sich die Osmanistik mit dem stark systemtheoretisch ausgerichteten Konzept von Immanuel Wallerstein auseinanderzusetzen begann. Im Mittelpunkt der Diskussion stand die Frage, ob und vor allem wann das Osmanische Reich in die von Wallerstein skizzierte kapitalistische Weltordnung integriert worden sei. Als mögliche „Eintrittsdaten“ wurden das späte 16. Jahrhundert (Braude, 1979; Çizakça, 1980) oder die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert (Çizakça, 1985) genannt, zumindest im Sinne einer wirtschaftlichen Vormachtstellung der europäischen Mächte gegenüber dem Osmanischen Reich. Dem panmediterranen Ansatz von Braudel setzte Andrew Hess in seiner Studie über das habsburgisch-osmanische Ringen um die Vorherrschaft in Nordafrika ein Modell entgegen, in dem das Mittelmeer in klar definierte und sich gegenüberstehende konfessionell definierte Kulturzonen aufgeteilt ist (Hess, 1978). Die gegenwärtige Forschung steht einer solchen Konzeption zunehmend kritisch gegenüber, wenngleich auch sie nicht das Bild eines einheitlichen Mittelmeerraumes skizziert. Der Blick der Osmanistik richtet sich insbesondere auf den östlichen Teil des Mediterraneums, dem Molly Greene in ihrer Studie zu Kreta unter osmanischer Herrschaft eine eigene Dynamik zuschreibt, die ihrer Meinung nach nicht mit dem Verweis auf den Gegensatz zwischen Christen und Muslimen ausreichend zu erklären sei. Sie sieht diesen Raum als eine Zone, in der lateinisches Christentum, östliche Orthodoxie und Islam zusammentrafen. Die osmanische Eroberung Kretas im langen osmanisch-venezianischen Krieg (1645–1669) verortet Greene in eine epochenübergreifende historische Entwicklung, deren wichtigste Wegmarken die arabischen Eroberungen byzantinischer Territorien im 7. Jahrhundert, die Kreuzzüge, die osmanische Eroberung Konstantinopels und schließlich das Ende der la1

Casale, 2010, S. 51. Vgl. auch: Thiriet, 1959, S. 439, 441–443; in jüngerer Vergangenheit auch Lock, 1995, S. 251.

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teinischen Präsenz im östlichen Mittelmeer durch den osmanisch-venezianischen Krieg im 17. Jahrhundert gewesen seien. Damit sei das Mittelmeer zwar vordergründig in einen christlichen-westlichen und islamisch-östlichen Teil zerfallen, doch damit hätten sich auch die innerchristlichen Konfessionsgrenzen verschoben. Denn der Rückzug des lateinischen Christentums habe die Dominanz der Orthodoxie innerhalb des ostmediterranen Christentums ermöglicht.2 Jedoch erweist sich der methodische Zugriff auf den östlichen Mittelmeerraum für die Osmanistik als schwierig. Innerhalb des Faches haben sich regionale Spezialisierungen (Nordafrika, Südosteuropa, Türkei sowie Naher und Mittlerer Osten) herausgebildet, die es künftig in komparativ ausgerichteten Forschungen stärker zusammenzuführen gilt. Dies erscheint auch deshalb umso wichtiger, als die Osmanistik häufig in nationale Geschichtsschreibungen eingebunden ist und dadurch eben nicht nur aufgrund der Sprachenvielfalt die gegenseitige Kommunikation und Wahrnehmung erschwert wird. Molly Greene zeigt diese Problematik am Beispiel von Strömungen in der griechischen Nationalhistoriographie auf, die durch die Fokussierung auf die ägäische Inselwelt, in der es im Gegensatz zu Kreta keine muslimische Bevölkerung gab, das östliche Mittelmeer als „griechische See“ betrachten. Vor diesem Hintergrund plädiert sie dafür, die Geschichte dieses Raumes nicht aus der Perspektive imperialer Institutionen sondern vielmehr der Inseln zu schreiben. Sie begründet ihr Anliegen damit, dass dadurch die Aktivitäten der Muslime außerhalb der Reichsstrukturen auch nach dem im 16. Jahrhundert einsetzenden Rückzug des Imperiums aus dem Mittelmeer3 sichtbar bleiben (Greene, 2000, S. 6). Mit Blick auf Raumkonzepte ist der Inselwelt zumindest bis zur Niederlage von Lepanto (1571) eine stabilisierende Funktion zugesprochen worden, da sie dem Osmanischen Reich die Ausübung imperialer Seemacht im Sinne der Kontrolle von Handelsund Schifffahrtswegen ermöglicht habe. Studien, die in diese Forschungsrichtung zu verorten sind, beschäftigen sich daher vor allem mit imperialen Verwaltungsund Militärstrukturen und definieren die Inseln mehrheitlich aufgrund ihrer geostrategischen Bedeutung als integralen Bestandteil eines östlichen Mittelmeerraumes.4 Jedoch fördert der Blick auf mediterrane Inselwelten auch kleinere Raumstrukturen zu Tage, die bisher für das östliche Mittelmeer nur ansatzweise erfasst worden sind. Bestimmte historische Entwicklungen und vor allem die geographische Isolation haben beispielsweise dazu beigetragen, dass sich unter den Bewohnern von Archipelen eine Solidarität (Vatin u. Veinstein, 2004, S. 16f.) und wohl auch eine gemeinsame Identität herausgebildet haben. Mit der Verortung osmanistischer Diskussionen über mediterrane Raumkonzepte in globalgeschichtlich 2

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Greene, 2000. Eine ähnliche Perspektive nimmt Vera Costantini ein, die am Beispiel der 1570 von den Osmanen eroberten Insel Zypern die Stärkung der orthodoxen Kirche im östlichen Mittelmeer zeigt; vgl. dazu Costantini, 2008. Der lange Krieg mit Venedig (1645–1669) oder die Niederlagen gegen Russland im späten 18. Jahrhundert stellen ebenso sichtbare Wegmarken dieses Prozesses dar wie die erheblichen Gebiets- und Souveränitätsverluste, denen sich die Hohe Pforte im Mittelmeerraum des 19. Jahrhunderts gegenübersah; vgl. dazu Eldem, 2000, S. 35f. Hingegen wird die These kaum noch vertreten, dass das Osmanische Reich das Mittelmeer in zeitlich unterschiedlicher Intensität zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert dominiert habe; vgl. dazu Panzac, 1985, S. 5. Siehe dazu beispielhaft Zachariadou, 2002. Für Kreta siehe Anastasopoulos, 2008.

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ausgerichtete Diskurse scheint eine akteursbezogene Perspektive auf das Mittelmeer gestärkt zu werden, wie sie sich bereits beispielsweise in Studien zur Insularität andeutet. In ihrer Monographie über katholische Piraten greift Molly Greene auf Ansätze der Global History zurück, die sich u. a. mit den vielfältigen Kontaktformen zwischen räumlich getrennten Gesellschaften beschäftigt. Meere werden nicht mehr nur in ihrer Brückenfunktion für Transfers unterschiedlicher Art sondern vielmehr als dynamische Kontakträume gesehen, in denen sich Systeme und Institutionen herausbilden bzw. ausgestalten. Vor diesem Hintergrund sieht Greene das Mittelmeer auch „as an international maritime order, not a sui generis sea but rather a space comparable to both the Indian and the Atlantic Oceans“ (Greene, 2010, S. 231). Durch die Einbindung der Osmanistik in eine vergleichende bzw. globalgeschichtlich ausgerichtete Erforschung maritimer Räume werden die vielfältigen Verwebungen des östlichen Mittelmeeres mit anderen Regionen erkennbar, die nicht unmittelbar dem mediterranen Raum zugerechnet werden. Daher stärkt der Blick auf das Mittelmeer auch eine interdisziplinär ausgerichtete „Verwebungsgeschichte“, die sich durch den cultural turn des Faches seit den 1980er Jahren beobachten lässt.5

„Verwebungsgeschichte“ – das Mittelmeer zwischen Einheit und Zersplitterung Eine solche „Verwebungsgeschichte“ bindet das Mittelmeer zunächst immer wieder in übergeordnete räumliche Zusammenhänge ein und wirft dann die Frage nach dessen Bedeutung in solchen Raumkonzeptionen auf. Beispielhaft sei auf die Migrationsbewegungen sephardischer Juden bzw. von Conversos des späten 15. und 16. Jahrhunderts verwiesen, die im Mittelmeerraum feingliedrige Handels- und Kommunikationsstrukturen aufbauen und verdichten konnten. Dieser Prozess erzeugte aber auch Dynamiken, die schließlich einen Struktur- und Kommunikationsraum entstehen ließen, der von der iberischen Halbinsel bis in den Indik und phasenweise bis nach Südostasien reichte.6 Aus osmanistischer Sicht wird das Mittelmeer als Dynamisierungsraum insbesondere im 16. Jahrhundert fassbar, als das westliche Mittelmeer eine Zielregion der expansiven osmanischen Außenpolitik dargestellt hatte. In der osmanistisch ausgerichteten Forschung richtete sich das Augenmerk zunächst auf die militärische Dimension und die damit verbundenen Dynamiken, mit denen die Herrschaft des Sultans im östlichen Mittelmeerraum gefestigt und anschließend auf das westliche Mittelmeer in den Kämpfen mit den spanischen Habsburgern insbesondere in Nordafrika ausgeweitet wurde.7 Ein Zeugnis dieses Interesses am Mittelmeerraum stellt das von Piri Reis verfasste 5 6

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Einen solchen Ansatz verfolgt Faroqhi, 2004. Couto, 2005. Die Rekonstruktion dieses Kommunikationsraumes ermöglichen insbesondere auch die Akten der Inquisition, der sich Konvertiten von der iberischen Halbinsel nach ihrer Rückkehr aus dem Osmanischen Reich stellen mussten. Zu den Akten der spanischen Inquisition siehe Bennassar u. Bennassar, 1989. Siehe dazu beispielsweise Rieger, 1994 und Hess, 1978.

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„Buch der Meere“ (Kitab-ı Bahriye) dar, in dessen Endfassung, die 1526 Süleyman I. übergeben wurde, eine ausführliche illustrierte Beschreibung mediterraner Küstengebiete zu finden ist.8 In der jüngeren Vergangenheit stieg das Interesse der historischen Forschung am propagandistischen Wettstreit zwischen den insbesondere in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts universalistischen Herrschaftskonzepten folgenden Dynastien der Osmanen und Habsburger um die Vorrangstellung, der den Schlachtenlärm begleitete. In diesem Zusammenhang wird ersichtlich, dass, neben anderen Faktoren, die räumliche und politische Verdichtung jeweils die Herausbildung imperialer Herrschaftskonzeptionen förderte und beschleunigte, in die schließlich raumübergreifende Vorstellungen eingebunden wurden. In der habsburgisch-osmanischen Rivalität handelte es sich um Prophezeiungen, deren Kenntnis von den Küsten des Atlantiks bis hinein in das Reich der Moguln verbreitet war.9 In der Bibliothek Mehmet II. (reg. 1444–1446, 1451–1481) gab es bereits eine arabische Übersetzung des alttestamentlichen Buches Daniel, das neben der Offenbarung des Johannes zu den wichtigsten Quellen von Prophezeiungen zählte (Fleischer, 2009, S. 233). Aus diesen Texten speiste sich ein eschatologisches Weltbild, das u. a. auf die Regierungszeit von Karl V. (reg. 1519–1556) und, zumindest bis in die 1550er Jahre, auch auf Süleyman I. (1520–1566) übertragen wurde.10 Sie galten als die endzeitlichen Weltenherrscher, und mit der Konstruktion solcher Bilder gingen Transfers von Herrschaftssymboliken einher, die Traditionen aus dem Renaissanceeuropa in den osmanischen Machtbereich einfließen ließen. Süleyman I. ahmte die prunkvollen Umzüge seines Kontrahenten durch italienische Städte wie Bologna nach und ließ bei seinem Einzug in Belgrad (1532) ebenfalls Triumphbögen nach antikem Vorbild errichten. Darüber hinaus gab sein Großwesir Ibrahim Pascha (1523–1536) in Venedig einen Prunkhelm in Auftrag, welcher der päpstlichen Tiara ähnelte (Necipoğlu, 1989). In diesen Symbolen manifestierte sich das imperiale Selbstverständnis des Osmanischen Reichs in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, dessen realpolitische Umsetzung einen vorläufig letzten Höhepunkt unter dem Großwesirat von Mehmet Pascha Sokolović erfuhr. Wenngleich das Mittelmeer gerade im Hinblick auf das 16. Jahrhundert als ein temporärer Verdichtungs- und Beschleunigungsraum charakterisiert werden kann, erweist es sich mit Blick auf die gesamte osmanische Geschichte jedoch vorwiegend als ökonomisch und politisch zersplittert. Allerdings sei auch hier betont, dass dabei das Bild eines konfessionell geteilten Raumes zu kurz greift und daher nur unzureichend als Diskussions- und Analysefolie dienen kann. Gerade die osmanistische „Verwebungsgeschichte“ zeichnet das Bild einer mediterranen Welt, deren Dynamiken sich aus den vielfältigen Fragmentierungen des Raumes ergeben. In einem 1978 erschienen Aufsatz führt Halil Inalcık mit der demographischen Entwicklung im Osmanischen Reich, der Währungsgeschichte und dem Handel mit dem westlichen Europa drei Forschungsfelder an, die bis dahin durch die Arbeiten Braudels inspiriert worden waren (Inalcik 1978). Der letztgenannte Aspekt 8

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Piri Reis, Kitabı Bahriye, 1935. Siehe dazu Krstić, 2011, S. 78–83. Zu Süleyman I. siehe Fleischer, 1992 sowie Flemming, 1987.

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bildet noch immer einen inhaltlichen Forschungsschwerpunkt osmanistischer Verwebungsgeschichte und lässt das Mittelmeer vordergründig als einen geteilten Raum erscheinen. Die Forschung untersuchte bislang vor allem die qualitative und quantitative Rolle der Anrainerstaaten des westlichen Mittelmeers (Venedig, Frankreich) sowie des Atlantiks (Niederlande, England) im Levantehandel und vermittelte daher das Bild einer Teilung in einen westlichen und östlichen Mittelmeerraum. Ein solcher Ansatz ergibt sich nicht zuletzt aus dem Quellenbestand in Archiven der angesprochenen Staaten, der einen raumübergreifenden Blick auf den mediterranen Handel erlaubt. Die Akten der britischen Levant-Company oder der Handelskammer (Chambre de Commerce) von Marseille gehören neben den Dokumenten aus dem Staatsarchiv von Venedig (Archivio di Stato di Venezia) zu den bevorzugten Quellen der Geschichtswissenschaft. Mit dieser Perspektive ging auch das Bild einher, dass nach dem „Rückzug“ der Markusrepublik aus dem Fernhandel um 160011 eine schrittweise aber kontinuierliche wirtschaftliche Durchdringung der Levante zwischen dem 17. und 18. Jahrhundert durch die atlantischen Mächte erfolgt sei. Die neuere Forschung steht dieser Einschätzung kritisch gegenüber und sieht erst zwischen den 1760er und 1820er Jahren die Phase, in der sie eine dominante Stellung erlangten (Eldem, 2006, S. 285). Im Gegensatz zu den Schriftquellen westeuropäischer Provenienz gewähren die osmanischen Dokumente einen Einblick in lokale und regionale Handels- und Wirtschaftsstrukturen und bieten somit eine nur scheinbare alternative Perspektive an. Denn bereits die Studien zum französischen oder britischen Levantehandel fokussieren auf Städte oder Regionen und zeigen bestenfalls die maritimen Verbindungen auf.12 Somit zeichnen sie mehrheitlich eine Karte einzelner miteinander vernetzter Gebiete, die an den verschiedenen Küsten des Mittelmeeres liegen. Dieses Bild einer Vernetzung im fragmentierten Raum verstärken auch osmanistische Studien, die häufig Quellenmaterial westeuropäischer und osmanischer Provenienz verbinden. Die jüngere Forschung hat sich beispielsweise mit der Schaffung struktureller Raumeinheiten auseinandergesetzt, wie sie beim Blick auf die nation der französischen Kaufleute in Istanbul zu Tage treten. Während der britische Handel von vergleichswiese wenigen Personen und Schiffen getragen wurde, etablierten sich französische Händler im 18. Jahrhundert in zahlreichen levantinischen Städten, den échelles du Levant. Dieses System basierte auf einer engen Vernetzung der einzelnen échelles, unter denen Aleppo, Kairo, Izmir, Istanbul und Saloniki als die wichtigsten galten. Jede der genannten Städte war wiederum mit kleineren urbanen Zentren verbunden, deren Aufgabe vor allem darin lag, lokale Produkte auszuführen. Mit Hilfe dieses Netzwerks sollte es gerade den kleineren échelles ermöglicht werden, den Ankauf von Waren zu finanzieren. Eine dominante Stellung in diesen Strukturen erlangten die französischen Händler in Istanbul, in deren Händen sich die meisten Handelswaren befanden (Eldem, 1999). Solche transmediterranen Netzwerksstrukturen sind bisher von der Osma11 12

Zum venezianischen Handel bieten Arbel, 1995 sowie Dursteler, 2002 detaillierte Überblicksdarstellungen. Für die französischen Händler siehe beispielsweise Panzac, 1996. Den britischen Levantehandel beleuchtet u. a. Davis, 1977. Izmir als Handelszentrum wurde untersucht von Frangakis-Syrett, 1992.

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nistik nur in Ansätzen erforscht worden. Trotz der zunehmenden wirtschaftlichen Durchdringung des östlichen Mittelmeeres durch westeuropäische Mächte blieben auch muslimische Fernhändler im Mittelmeerhandel des späten 18. Jahrhunderts aktiv. Zeitgenössische Chroniken und Eintragungen in den Gerichtsprotokollen Sarajevos berichten immer wieder von muslimischen Kaufleuten, die in den Handel mit Alexandria und Kairo involviert waren. Ähnliches galt auch für Händler aus den beiden Metropolen, von denen sich einige für längere Zeit oder unbefristet in der bosnischen Provinz des Osmanischen Reiches aufgehalten haben dürften. Wie das vergleichsweise gut dokumentierte Beispiel des ägyptischen Händlers Hacı Hasan Efendi zeigt, fungierten sie auch als Mittler zwischen den mediterranen Räumen. Davon zeugen nicht nur die Bücher, Waren und Verbrauchsgegenstände des Alltags, die aus Ägypten vorwiegend über die Häfen von Dubrovnik und Saloniki eingeführt wurden und in den osmanischen Nachlassregistern aufgeführt sind. In Sarajevo stellte Hacı Hasan Efendi mehrere Tiere aus Afrika aus, die gegen Bezahlung besichtigt werden konnten (Koller, 2001). Solche personenbezogene Netzwerke verbanden die mediterrane Welt auch mit dem Indik. Insbesondere Kaufleute aus Kairo waren in den Handel mit Produkten aus Indien und Kaffee involviert, so dass die Stadt am Nil auch nach dem Ende des mamlukischen Reiches (1517) eine Drehscheibe mediterranen Handels blieb. Einen Einblick in die Netzwerke dieser Kaufmannschaft bietet eine Studie über Ismail Abu Taqiyyah, der an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert in dieses Handelsgeflecht eingebunden war und über Geschäftspartner Waren aus dem Indik auch in Venedig vertrieb.13 Den noch immer wenigen Studien über personenbezogene transmediterrane Netzwerke stehen umfangreichere Forschungen zu transadriatischen Strukturen gegenüber. Im Vordergrund steht der Warenaustausch zwischen Südosteuropa und den italienischen Stadtherrschaften, der vor allem über die dalmatinischen Häfen abgewickelt wurde.14 In der Historiographie ist die Adria daher vorwiegend als Transferraum zwischen der appeninischen und balkanischen Halbinsel betrachtet worden, in dem die Rolle regionaler Akteure wie der Janitscharen, lokaler Notabeln (ayan)15 oder auch der Dulcignoten im Mittelpunkt des Interesses stand, die wahrscheinlich seit dem Frieden von Passarowitz (1718) im Adriahandel aktiv waren (Bartl, 1975). Janitscharen oder Ayane werden in der Historiographie meist in ihrer Bedeutung für die politische und administrative Ausgestaltung des Reiches und weniger im Hinblick auf ihre mögliche maritime Funktion betrachtet, wenngleich diese Perspektive immer wieder angedeutet oder punktuell auch diskutiert wird. Jedoch wirft ihr Erscheinen in den Handels- und Handwerksstrukturen an fast allen osmanischen Küstenregionen des Mittelmeeres die Frage auf, inwieweit sie ins13 14

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Hannah, 1998. Für einen Überblick mit weiterführender Literatur zur Kaufmannschaft von Kairo siehe Faroqhi, 1994, S. 515ff. Beispielhaft sei auf Traljić, 1962 verwiesen. Jüngst sind die Handelsaktivitäten einer ragusanischen Handelsgesellschaft aus dem 16. Jahrhundert rekonstruiert worden, die vor allem in den Warenaustausch zwischen der balkanischen und appeninischen Halbinsel involviert war; siehe dazu Molnár, 2009. Für den albanischen Raum und insbesondere Mehmet Pascha Bushattliu (1757–1775) siehe Naçi, 1966.

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besondere im 18. Jahrhundert nicht wieder zu einer strukturellen Verdichtung innerhalb des osmanischen Mittelmeerraumes beigetragen und diesen mit anderen mediterranen Regionen verbunden hatten.

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ROBERT HOFRICHTER, JANINA GOETZ UND CHRISTOPH PUM

Ozeanographie Definition des Faches und Relevanz des Mittelmeerraums für das Fach Zunächst sollen die Begriffe Meereskunde, Ozeanographie oder Ozeanologie kurz umrissen werden. Als eigenständige Wissenschaft ist die Meereskunde aus der Geographie, der Hydrographie und weiteren Wissenschaften hervorgegangen. Allerdings sind die Überschneidungen groß und die moderne Wissenschaft Ozeanographie multidisziplinär, sodass scharfe Abgrenzungen seit jeher kaum möglich sind; so stehen zum Beispiel die Meteorologie oder Klimatologie wegen der vielfachen Wechselwirkungen zwischen Weltmeer und Atmosphäre in engem Zusammenhang mit der Ozeanographie. Meereskunde ist die allgemein gebräuchliche Bezeichnung für das Fach und nahezu gleichbedeutend mit Ozeanographie; jene kann als komplementär zur Erdkunde aufgefasst werden. Genauso richtig ist der Begriff Meereswissenschaft, der im Englischen als marine science Verwendung findet. Im Deutschen würde sich Ozeanographie streng genommen in einen physikalischen, einen chemischen und einen biologischen (Meeresbiologie) Zweig aufteilen, doch oft wird darunter vor allem die physikalische Meereskunde verstanden (Hofrichter, 2001). Wie wir noch sehen werden, haben sich diese drei Bereiche ungleich schnell entwickelt. Einige Buchtitel, angestrebte Namenskreationen und Umschreibungen aus der zweiten Hälfte des 19. Jh. unterstreichen, wie schwer sich die Namensfindung für die Meereswissenschaft gestaltet hat: Verbindung der Geographie des Meeres mit der Physik und Chemie, Küstengeographie, Physiographie des Meeres, Hydrographie und maritime Meteorologie sind nur wenige von ihnen. Nomenklatorische Verwirrung stiftete auch der unterschiedliche Gebrauch bzw. die Bewertung der einzelnen Termini in anderen europäischen Sprachen. Im Französischen werden Ozeanologie und Ozeanographie vielfach gleichbedeutend gebraucht. Älter als die bisher genannten Begriffe und einst häufiger verwendet ist Thalassographie (thalassography, talassografia), für den biologischen Zweig Thalassobiologie. Die Begriffe leiten sich aus dem griechischen Wort ϑάλασσα ab, unter dem die Griechen vor allem das Mittelmeer verstanden haben. Weder national noch international gibt es einen einheitlichen Konsens über die Verwendung dieser Begriffe. Der Begriff Ozeanologie trägt die Nachsilbe -logos, wodurch eine Wissenschaft bzw. ein Wissensgebiet angedeutet wird, jedoch hat er sich in den meisten Sprachen nicht gegen Ozeanographie durchgesetzt. Die erste Erwähnung der océanographie kommt aus dem Französischen und geht zwar bereits auf das Jahr 1548 zurück, doch, wie Schefbeck (1991, S.26) formulierte, „…hatte sich

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zum Wort die Sache noch nicht gefunden“. Obwohl wichtige Teilgebiete und Einzelerkenntnisse schon seit der Antike zusammengetragen wurden, von denen viele am Mittelmeer entdeckt und formuliert wurden, sollte die abgegrenzte Wissenschaft erst im 19. Jh. geboren werden.

Forschungsgeschichte des Faches in Bezug auf die Mittelmeerforschung Der frühe Beginn der Seefahrt und die Auseinandersetzung mit dem Meer Von vornherein leuchtet ein, dass der Mensch, seit er in Beziehung zum Meer trat, sei es, um Nahrung aus ihm zu gewinnen, sei es, um es zu befahren, in der Absicht, Handel zu betreiben oder neuen Lebensraum aufzusuchen, sich mit diesem Meer auch geistig auseinanderzusetzen hatte, mit seinen dynamischen Oberflächenerscheinungen wie Wellen und Strömungen, von deren Kenntnis und Beherrschung das Gelingen einer Seereise abhängen konnte, mit seiner Küstenformation, an der man sich orientierte, mit Meerestieren, die man zu erbeuten suchte und verzehrte (Schefbeck, 1991). Die Anfänge der zuerst mündlichen, später schriftlichen Erfassung von Informationen und Kenntnissen über das Meer waren bis weit in die Neuzeit hinein praktischer und pragmatischer und weniger theoretischer Natur. Wie wir sehen werden, waren der Transport über das Meer, zwecks Besiedlung neuer Lebensräume, der Tauschhandel und Handel generell und bald darauf die aggressive Auseinandersetzung mit Konkurrenten, also Krieg, die wahren Antriebskräfte hinter den Bemühungen, das Meer zu erobern. In dem Moment aber, in dem sich Menschen auf das Meer hinaus wagten, wurde auch die Auseinandersetzung mit den Phänomenen des Meeres unausweichlich, mit den geographischen Grundfragen über die Topographie der Küste und ihrer Entfernungen, mit den meteorologischen Grundbedingungen wie Winden und Stürmen, mit der Frage, zu welchen Zeiten das Meer überhaupt mit einer gewissen Sicherheit befahren werden konnte1 und dem Problem mit Gezeiten, Wellen und Strömungen, die teilweise eng mit der Meteorologie zusammenhängen. Des Weiteren beschäftigten sich die Menschen zwangsläufig mit biologischen Fragestellungen, z.B. nach den Meeresorganismen, die sich für den Verzehr eigneten und die Proteinversorgung sicherstellten. In welchen Lebensräumen kommen wohlschmeckende und bekömmliche Meereslebewesen vor und zu welchen Tagesund Jahreszeiten findet man sie? Damit einher geht auch unausweichlich eine technologische Entwicklung: Wie kann man Werkstoffe bearbeiten und zu praktischen und möglichst sicheren Wasserfahrzeugen zusammenbauen, egal ob es sich um 1

„…wenn der Winter anbricht und die Winde aus allen Himmelsrichtungen wüten, nicht mehr in See zu stechen… ziehe dein Schiff aufs Ufer, leg Steine rundherum… und zieh den Spund heraus, damit im Regen des Zeus nichts morsch wird. Räume das Tauwerk ordentlich beiseite, falte die Schiffstücher sorgfältig zusammen, hänge das Ruder ins Trockene, und was dich angeht, so warte, bis die Schiffsfahrtssaison wiederkehrt.“ Hesiod (Werke und Tage), zitiert nach Braudel u. a., 2006, S. 48.

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Boote nach der Art eines Einbaums handelte, Flöße, ob mit Tierfellen bezogene Konstruktionen oder später um Plankenboote. Autoren, die sich mit der Geschichte der Meereskunde auseinandergesetzt haben, wiesen schon bald auf diese Tatsachen hin (Walther, 1893). Die Beschäftigung mit dem Meer, seinen Gezeiten, Wellen, Strömungen, dem Wetter und der Organismenwelt war eine überlebenswichtige Notwendigkeit für alle, die an den Küsten des Mittelmeeres oder auf dessen Inseln lebten.2 Manches mag spekulativ klingen, da uns die schriftliche Überlieferung fehlt, dennoch können wir von der Richtigkeit dieser Behauptungen ausgehen. Neuere Funde verschieben die Grenze für den früher vermuteten Beginn der Seefahrt und damit der Auseinandersetzung mit dem Meer immer weiter in die Vergangenheit. Vor wenigen Jahren ging man noch davon aus, dass die ältesten Spuren der Seefahrt am Mittelmeer etwa 10.000–12.000 Jahre zurück reichen, weltweit hingegen 50.000 bis 60.000 Jahre alt sind, zwar nicht direkt durch archäologische Funde bestätigt, doch zumindest durch die Tatsache, dass die australischen Aborigines den Kontinent von Südostasien aus erreicht haben mussten. Aktuelle Funde von Kreta zeigen jedoch, dass die Seefahrt wahrscheinlich wesentlich älter ist und der Sprung über die Gewässer des Mittelmeeres vielleicht schon vor 130.000 Jahren erfolgte, wie die griechische Archäologin Eleni Panagopoulou (Strasser u. a., 2010) erklärt. Diese Erkenntnisse verändern unsere Kenntnisse über Erlangung jenes Wissens, das wir in der modernen Welt als Meereskunde bezeichnen. Denn es ist ein Erfordernis des Überlebens, dass sich der Mensch in dem Moment mit den Phänomenen des Meeres beschäftigen muss, in dem er es betritt. Demnach ist die Besiedlung der mediterranen Inseln und Küsten viel älter als bisher angenommen, und Archäologen schließen nicht aus, dass schon andere Homo-Arten vor Homo sapiens an der Entdeckung der frühen Meereskunde beteiligt waren. So hat der Neandertaler mehr Spuren an den mediterranen Meeresufern hinterlassen als man früher dachte. Ihn als frühen Meeresbiologen zu bezeichnen, wäre sicherlich übertrieben, doch offensichtlich hat auch er bereits Wissen über das Leben an den Mittelmeerküsten gesammelt (Cortés-Sánchez u. a., 2011).

Die Antike Die Antike gilt als überaus prägende Zeit für die Genese der Meereskunde. Eine umfassende Darstellung der griechischen Naturphilosophie ist an dieser Stelle nicht möglich, einen kurzen Überblick in Bezug auf das Meer bieten Schefbeck (1991), Hofrichter (2001) und Russel (2012). Die Beziehung der Griechen zum Meer, jedoch eher aus philologischer Sicht, wird bei Lesky (1947) erwähnt. Dennoch können einige Höhepunkte der Antike nicht unerwähnt bleiben, allen voran Aristoteles. 2

Das trifft ebenso auf andere Regionen wie etwa Südostasien und die Besiedlung Australiens und der Südseeinseln zu.

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Die Ideen von Thales von Milet sind nur über Zitationen anderer Autoren überliefert. Aristoteles schrieb in seiner Metaphysik, dass Thales „als Ursprung das Wasser“ bezeichnet. Das (Mittel-)Meer spielte in seiner Kosmologie auf jeden Fall eine zentrale Rolle. Auch sein Schüler, Anaximander von Milet, nahm an, dass alles Leben ursprünglich aus dem Wasser (Meer?) hervorgegangen sei. Mit seinem Entwicklungsgedanken, wonach alle Tiere zunächst eine fischartige Gestalt besessen hätten, beeinflusste er später Aristoteles. Dieser näherte sich durch seinen empirischen Ansatz der modernen naturwissenschaftlichen Methodik. Er verließ sich nicht auf metaphysische Spekulationen, sondern beobachtete seine Umwelt.3 Wenn wir die drei Grundrichtungen der Ozeanographie betrachten, die physikalische (hat sich seit der Antike mit der Seefahrt ständig entwickelt), die chemische (wurde erst im 18. und vor allem 19. Jh. begründet, da früher die Methoden und Grundkenntnisse zu ihrer Erforschung fehlten) und die biologische, dann können wir bei der letzteren mit Aristoteles tatsächlich einen „Begründer der Meeresbiologie“ (Melzer, 2001) in der mediterranen Region ausmachen. Seine Schriften wurden für die europäische Philosophie, was die Bibel für die Theologie war: ein nahezu unfehlbarer Text, der die Lösung aller Fragen enthält. Kein anderer Geist hat auf so lange Zeit hinaus, nämlich für 2000 Jahre, die Naturwissenschaft, die Zoologie und innerhalb dieser speziell auch die Meeresbiologie beherrscht. Aristoteles hat nicht nur durch seine Theorie der Urzeugung das Denken geprägt, sondern auch durch seinen frühen Versuch einer Gliederung des Tierreiches, eine Systematik, und das in einer Zeit, in der man bloß zwischen essbaren und nicht essbaren Tieren unterschied. Insgesamt beschrieb Aristoteles 581 Tierarten, von denen 550 wissenschaftlich identifiziert werden konnten; 180 davon sind Meerestiere. Ein beträchtlicher Teil der von ihm genannten Arten oder Gruppen sind heute noch gültige Taxa. 4 Eine andere Richtung in der Entwicklung der frühen „Meereswissenschaft“ soll ebenfalls erwähnt werden: Periplus (Güngerich, 1975) ist ein Begriff aus der antiken Nautik.5 Es handelte sich um Fahrten- oder Reisebeschreibungen, zum Teil um schriftliche Navigationshilfen für Schiffe. Diese Vorläufer der „Seehandbücher“ bildeten die Grundlage für die spätere Entwicklung der Portolano-Karten, die im nächsten Abschnitt beschrieben werden. Die Periplen enthielten SeeroutenBeschreibungen, die eine Orientierung in fremden Gewässern leichter machen sollten und eine Liste von Häfen und Landmarken bestimmter Küstenlinien, einschließlich ungefährer Entfernungen. Bekannte Beispiele sind der Periplus von Arrian für das Schwarze Meer, der Periplus Maris Erythraei, eine um die Mitte des 1. Jh.s entstandene Handelsroutenbeschreibung für den Warenimport und -export von Ostafrika bis Indien, und vor allem der karthagische Periplus von Hanno dem Seefahrer, aus dem 5. Jh. v. Chr. 3

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Ein Beispiel: Das Plazenta- und Nabelschnuranalogon sowie die Entwicklung und Geburt bei lebendgebärenden Plattenkiemern (Elasmobranchia: Haie und Rochen) sind mit einer Genauigkeit dargestellt, die erst im 19. Jh. wieder erreicht wurde. Verblüffend ist, dass der fast 400 Jahre später lebende Römer Plinius nur noch 176 Arten beschrieben hat und dennoch stolz verkündete, „er habe alle erfasst“ (Schefbeck, 1991). Periplus steht auch für eine besondere Taktik in der antiken Seekriegsführung; das Umfahren gegnerischer Schiffe.

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Hanno segelte um das Jahr 470 v. Chr. entlang der afrikanischen Westküste vermutlich bis in den Golf von Guinea, um neue Handelswege zu erschließen. Zweifellos hat das Wirken von Claudius Ptolemäus einen Einfluss auf die Entstehung mancher späterer Periplen gehabt.

Das Mittelalter Das Mittelalter brachte wenig neues Wissen zur Erkenntnis des Meeres, obwohl die spätere pauschalisierte Vorstellung der Renaissance vom „finsteren Mittelalter“ zwischenzeitlich geschichtlich in Frage gestellt wurde und es einige Ausnahmeerscheinungen und Lichtblicke gegeben hat. Dennoch ist vor allem im westlichen Teil des Mittelmeerraumes viel naturkundliches Wissen der Antike teilweise für ein Jahrtausend in Vergessenheit geraten. Als Ursache der Gezeiten hat man vielfach riesige Seeungeheuer angenommen, die Ozeane für bodenlos gehalten, die Biologie hielt an den Lehren des Aristoteles fest und das naturkundliche Denken war über lange Strecken mythologisch geprägt. Eine Lichtgestalt der mittelalterlichen Gelehrsamkeit, allerdings auf den Britischen Inseln und nicht am Mittelmeer wirkend, war der angelsächsische Benediktinermönch, Theologe und Geschichtsschreiber Beda Venerabilis, der als Heiliger verehrt wird. Seine Enzyklopädie De Rerum naturis, vermittelt viele naturwissenschaftliche Kenntnisse der Zeit. Auf den Schriften des Plinius basierend schrieb Beda auch über Gezeiten und erkannte manche ihrer Besonderheiten. Die Zentren der Gelehrsamkeit bildeten vor allem Klöster, der arabische Kulturkreis und Byzanz. Hier hat sich das Wissen der Antike erhalten, und ist durch historische Umwälzungen wie der Reconquista auf der Iberischen Halbinsel und dem Niedergang des Byzantinischen Reichs erneut ins Bewusstsein der westeuropäischen Gelehrten gerückt. Eine entscheidende Entwicklung bildeten die Portolankarten6 des (späteren) Mittelalters, die vor allem das Mittelmeer und das Schwarze Meer darstellten, und deren erster Nachweis für das Jahr 1285 sicher belegt ist; die Grundlage für die spätere Entwicklung der Seebücher und nautischer Handbücher. Weniger klar sind ihre Wurzeln, aber es gilt als wahrscheinlich, dass sie auf die bereits erwähnten antiken Umschiffungsbeschreibungen, die Periplen zurückgehen. Ursprünglich handelte es sich wohl mehr um Beschreibungen mit nautischen Informationen wie Landmarken, Leuchttürmen, Hafenverhältnissen und Strömungen. Später begann man auch dazugehörige Seekarten mit einem sichtbaren Liniennetz aus verschiedenfarbigen Geraden und Windrosen in den Begriff mit einzubeziehen. Die älteste überlieferte Portolankarte ist die Pisaner Karte (letztes Viertel des 13. Jh.), etwa gleich alt ist die Compasso da navegare. Portolankarten wurden auf Pergament gezeichnet und waren entweder einzelne Karten oder gebundene Atlanten. 6

Portolan, auch Portulan, ital.: portolano, abgeleitet von lat. portus, „Hafen“; der Begriff machte eine gewisse Entwicklung durch (vgl. La Roncière, 1984 und (Kretschmer, 1909).

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Piri Reis und der Beginn der Neuzeit 1521 vollendete Piri Reis, türkischer Seefahrer, Geograph und Kartograph sein Werk Kitab-i Bahriye,7 in dem das Mittelmeer, seine Küsten und ihr genauer Verlauf, seine Buchten, Inseln und Zuflüsse mit hoher Präzision beschrieben sind. Auf Hunderten von Karten und Zeichnungen sind sowohl überraschend genaue topographische Details der Küsten als auch historische, kulturelle, soziale und wirtschaftliche Informationen zu den einzelnen Städten, Regionen und Ländern zu finden. Damit wird ein moderner geographischer Ansatz geboten.

Marsigli und Halley: mehrere „Väter der modernen Ozeanographie“ am Mittelmeer Eine äußerst bedeutende Persönlichkeit für die Entwicklung der „mediterranen Naturwissenschaft“ war der aus einer Adelsfamilie in Bologna stammende Luigi Ferdinando Conte di Marsigli (Mausili). Vielleicht könnte man gerade ihn als ersten (physikalischen) Ozeanographen im modernen Sinn des Wortes bezeichnen, der mit Experimenten und Messungen arbeitete und nach den Ursachen von Phänomenen forschte. Er versuchte, das Meer in seiner Gesamtheit zu erfassen, und mit den so gewonnenen Erkenntnissen war er seiner Zeit um mindestens 100 oder 150 Jahre voraus. Nach seinem Tod blieb sein weit gefasster ozeanographischer Ansatz in der Wissenschaft für lange Zeit vergessen. Zwischen 1705 und 1708 lebte Marsigli in der kleinen südfranzösischen Hafenstadt Cassis im Golfe du Lion zwischen Marseille und Toulon. Er widmete sich der Meereskunde, indem er unter Assistenz einheimischer Fischer systematisch die Küstengegend erforschte. 1722 wurde er in London durch Sir Isaac Newton in die Royal Society aufgenommen. 1711 veröffentlichte er in Venedig seinen Brieve ristretto del saggio fisico intorno alla storia del mare, 1725 in Amsterdam die Histoire physique de la mer. Marsigli erkannte bereits die regelmäßig auftretenden geomorphologischen Großformen des Meeresbodens mit Schelf, Schelfkante und Kontinentalabhang. Auch von der Existenz untermeerischer Canyons im Schelf hat er gewusst – sie wurden erst im 20. Jh. nach der Entwicklung der entsprechenden Technik (Echolot bzw. Sonar) besser bekannt. Marsigli erahnte das viel später entwickelte Konzept der Fazies (ohne den Ausdruck zu verwenden). Physikalischchemische (Temperatur, Salzgehalt, spezifisches Gewicht, Farbe und Transparenz des Meerwassers) und dynamische Aspekte (Strömungen, Wellen) der Ozeanographie interessierten ihn genauso wie biologische; hier vertritt er noch den Irrtum seiner Zeit und hielt die Korallentiere für Pflanzen und ihre Polypen für Blüten.8 1681 veröffentlichte Marsigli in Rom sein Werk Osservazioni intorno al Bosforo Tracio über die Beobachtungen der Strömungsverhältnisse im Bosporus. Mit Hilfe eines in die Tiefe hinab gelassenen Seils mit einem Strömungsmesser bewies er die Existenz einer Tiefenströmung aus dem Mittelmeer ins Schwarze Meer, die den Fi7 8

Das Buch über die Seefahrt; 29 Exemplare der Originalausgabe sind bis heute erhalten. Spiegelt sich im bis heute gültigen wissenschaftlichen Namen Anthozoa (Blumentiere) wieder.

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schern vor Ort damals schon bekannt war.9 Marsigli ging aber noch einen Schritt weiter und suchte nach einer Erklärung für dieses Phänomen. Durch ein Experiment mit zwei Becken, die durch zwei übereinanderliegende Öffnungen verbunden waren, ermittelte er als Ursache der Strömung Dichteunterschiede, die zwischen zwei Wasserkörpern mit unterschiedlichem Salzgehalt oder Temperaturen herrschen. Das weniger dichte, leichtere Wasser floss durch die obere Öffnung in das eine Gefäß, das dichtere und damit schwerere Wasser durch die untere Öffnung in die entgegengesetzte Richtung. Marsigli erkannte korrekt die Ursachen jenes Phänomens, das in der modernen Ozeanographie als thermohaline Konvektion10 eine entscheidende Rolle spielt. Zwischen Juni und Oktober 1872 führte das britische Schiff HMS Shearwater, unter Leitung von William Wharton, Messungen der Strömungsverhältnisse im Bosporus und in den Dardanellen durch. Die von Marsigli schon lange zuvor erkannte Unterströmung aus dem Mittelmeer ins Schwarze Meer wurde durch diese Forschungsfahrt bestätigt. Doch auch der berühmte britischer Astronom Edmund Halley könnte, wie manche andere auch, als Vater der physikalischen Ozeanographie bezeichnet werden. Viele seiner Erkenntnisse gewann er am Mittelmeer. Dem breiten Publikum vor allem durch den Halleyschen Kometen bekannt, beschäftigte er sich in einer Reihe von Publikationen mit Meereskunde bzw. mit den Wechselwirkungen zwischen Meer und Atmosphäre und dem globalen Wasserkreislauf. In seinem Werk An estimate of the quantity of vapour raised out of the sea by the warmth of the sun schätzte er den täglichen Zufluss der neun größten ins Mittelmeer mündenden Flüsse, wobei ihm ein optischer Vergleich mit der Themse als Maßstab diente. Er kam dabei zu dem Schluss, dass das Mittelmeer täglich mehr als dreimal so viel Wasser durch Verdunstung verliert, als es durch die Zuflüsse erhält. Halley hat damit vermutlich als Erster die negative Wasserbilanz des Mittelmeeres11 erkannt. Das Mittelmeer ist ein typisches Konzentrationsbecken, ganz anders als das Schwarze Meer mit einem Wasserüberschuss.

Die Challenger-Expedition: Beginn der modernen Ozeanographie und Einfluss auf die Mittelmeerforschung “Probably the most important oceanographic instrument is the research ship.” (Ross, 1996)

Die Ozeanographie, als von der Geographie und Meteorologie abgegrenzter Wissensbereich, ist eine relativ junge Wissenschaft: Oft wird die berühmte britische, 9

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Das analoge Phänomen in der Straße von Gibraltar war möglicherweise bereits den seefahrenden Phöniziern bekannt, vgl. Hofrichter, 2001, S. 35). Umwälzung von Wassermassen als Folge unterschiedlicher Dichten. Diese negative Wasserbilanz beträgt fast einen Meter im Jahr, ausgeglichen durch den Zufluss aus dem Atlantik bei Gibraltar, das bedeutet, dass bei einer Schließung von Gibraltar der Meeresspiegel theoretisch in 1.000 Jahren um ebenso viele Meter fallen würde, vgl. Hofrichter, 2001.

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durch William Benjamin Carpenter organisierte Challenger-Expedition vom 21. Dezember 1872 bis zum 24. Mai 1876 der Korvette HMS Challenger als ihr moderner Startpunkt angesehen (Thomson, 1877). Geographische, hydrographische, meteorologische, magnetische, geologische, zoologische und botanische Untersuchungen wurden unter anderem angestellt, die Position einiger wenig bekannter Inseln festgestellt, und Küstenverläufe neu oder genauer vermessen. Die gesammelten Daten und Proben beschäftigten jahrzehntelang die internationale Forschergemeinde, der deutsche Meeresbiologe Ernst Haeckel (1862) hat beispielsweise etwa 3500 neue Arten von Radiolarien beschrieben. Die Bedeutung der Challenger-Expedition für die weitere Entwicklung betont auch Schefbeck, 1991: „Nach der Weltumsegelung der britischen Korvette Challenger sahen sich nahezu alle seefahrenden Mächte veranlasst, ozeanographischen Zwecken dienende Expeditionen auszusenden“. Neben diesen ozeanographischen Forschungsfahrten, gab es einen weiteren Faktor, der im 19. Jh. zu einem markanten Schub in der Entwicklung der Meereskunde beigetragen hat: die Gründung meeresbiologischer Stationen. Der zweite Faktor sollte den schnellen und möglichst unkomplizierten Zugang zum biologischen Untersuchungsmaterial aus dem Meer sichern, er folgte zeitlich eng dem ersten und wird im Abschnitt „Gründung meeresbiologischer Stationen“ abgehandelt. Ein dritter, entscheidender Faktor sollte erst in der Zeit des Zweiten Weltkriegs folgen, die Entwicklung des SCUBA12-Tauchens, vorangetrieben durch den Österreicher Hans Hass und den Franzosen Jacques Cousteau. Auf ihn gehen wir in diesem Beitrag nicht näher ein.

Die Rolle des Mittelmeeres: einige Episoden in der Entwicklung der Ozeanographie Wenn man die Übersicht wichtiger Meilensteine in der Entwicklung der Meereskunde nach Walther (1893) betrachtet, findet man eine Bestätigung für die These, nach der sich die allgemeine Verlagerung der entscheidenden Entwicklungen in geopolitischer und wirtschaftlicher Hinsicht vom Mittelmeer weg in Richtung des Weltmeeres13 auch in der Entwicklung der Meeresforschung widerspiegelt. Die zugrunde liegende Entwicklung setzte bereits im 15. und 16. Jh. mit dem Zeitalter der Seefahrt und der Entdeckung neuer Kontinente und Ozeane ein. Die Expansion Europas nach Übersee hatte in erster Linie koloniale bzw. hegemoniale Ziele und ursprünglich weniger wissenschaftliche Intentionen. Doch als Nebeneffekt der seefahrerischen Anstrengungen stellten sich wichtige ozeanographische Entdeckungen über die Strömungs- und Windsysteme des Weltmeeres wie auch geographische und weitere Erkenntnisse praktisch automatisch ein. Erst mit einem solchen Wissen ausgestattet konnten transozeanische Fahrten überhaupt längerfris12

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SCUBA steht dabei für „Self Contained Underwater Breathing Apparatus“. „Selbst nach Jahrhunderten der Demütigung wird der Durchstich des Suezkanals (1869) … den Wohlstand der mediterranen Welt nicht gänzlich wiederherstellen, und erst recht nicht ihre privilegierte Macht.“ Braudel u. a., 2006.

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tig erfolgreich und wirtschaftlich nachhaltig durchgeführt werden. Das Mittelmeer wurde für eine gewisse Zeit bloß noch zu einer Durchfahrtsstraße, das Hauptinteresse galt dem Weltmeer, den Ozeanen (Braudel u. a., 2006). Völlig ins Abseits geraten ist das Mittelmeer in der Entwicklung der Meereskunde selbstverständlich dennoch nicht, dafür war seine historische und geistesgeschichtliche Bedeutung für die Völker an seinen Küsten, für Europa und die ganze Welt zu groß. So sind mehrere Schwerpunkte entstanden, von denen einer die Mittelmeerregion war. Bloß wenige Einträge bei Walther beziehen sich auf den Mittelmeerraum, ein großer Teil der entscheidenden Wissenszuwächse sind nach seiner historischen Übersicht nicht im oder am Mittelmeer erzielt worden. Für lange Zeit erwähnt Walther kein einziges Ereignis aus der mediterranen Region, erst für das Jahr 1845 wird ein solches aufgelistet, dafür eines mit weitreichender Bedeutung für die Entwicklung der Meereskunde, die azoische Theorie (siehe nächster Punkt). Um ein Maß für die Relationen zu vermitteln, sollen einige nichtmediterrane Meilensteine erwähnt werden. Seine Zusammenfassung beginnt Walther mit den Jahren 1772–1775 mit der berühmten Forschungsreise von James Cook an Bord der Resolution: Hauptschauplatz der Expedition war der Pazifik. Einige weitere wichtige Einträge: 1779 – Fahrt des Schiffes L’Astrola mit dem dänischen Biologen Otto Friedrich Müller durch den Atlantik und Pazifik; wichtige Erkenntnisse zur Tiergeographie wurden hier gewonnen. 1831–1836 fand eine der berühmtesten Expeditionen der Geschichte statt, eine, die die Geschichte der Biologie zweifellos am stärksten und nachhaltigsten von allen beeinflusst hatte, die Fahrt der Beagle mit dem jungen Charles Darwin. 1836 zeigte der deutsche Zoologe, Mikrobiologe, Ökologe und Geologe Christian Gottfried Ehrenberg, einer der bekanntesten und produktivsten Wissenschaftler seiner Zeit und Begründer der Mikropaläontologie und Mikrobiologie, dass der Schlamm am Meeresgrund größtenteils aus Resten von Mikroorganismen, nämlich marinem Plankton besteht. 1839–1843 fuhr Sir James Clark Ross an Bord der Erebus (die vorher zwei Jahre im Mittelmeer unterwegs war) und der Terror in die Antarktis, und hat erstmals Wassertemperaturen in 4.900 m Tiefe gemessen. Seit 1848 sieht man im Amerikaner Matthew Fontaine Maury, der bahnbrechende meteorologische Seekarten und Segelhandbücher veröffentlichte, so etwas wie den Begründer der neueren Ozeanographie. Er hat durch seine Arbeit betont, dass sich der Seeverkehr und die wissenschaftliche Untersuchung des Meeres in ungeahntem Ausmaß gegenseitig positiv beeinflussen. 1850 meldeten sich in der Meeresforschung die Skandinavier mit den Norwegern unter Georg Ossian Sars und dem schwedischen Naturforscher Sven Ludvig Lovén maßgeblich zu Wort. 1854 konstruierte der Amerikaner John Mercer Brooke ein Tiefseelot. 1857–1858 erforschte das britische Schiff Cyclops den Atlantik und stellte unter anderem fest, welche Bedeutung der Globigerinenschlamm14 für die Tiefsee hat. 1857–1860 fand 14

Globigerinida, eine Ordnung gehäusetragender Foraminiferen (marine Einzeller), die einzige Untergruppe dieser Verwandtschaft, deren Arten planktonisch leben. Sammeln sich am Meeresboden und bilden dort eines der häufigsten marinen Sedimente, von großer Bedeutung für die Stratigraphie.

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die Weltumsegelung des österreichischen Schiffes Novara statt – ein wichtiger Schritt in der Förderung der unterschiedlichsten Fachrichtungen der Ozeanographie. 1860 erforschte das britische Schiff Buldogg das Leben in der Tiefsee.15 1865 veröffentlichte der dänische Mineraloge und Geologe Johann Georg Forchhammer seine Untersuchungen zum Meerwasser und zeigte, dass es überall die gleiche relative Zusammensetzung hat,16 unabhängig von der jeweiligen Salinität des Meeres. 1868 erforschte die britische Lightning die schottischen Meere, mit zwei sehr berühmten Biologen ihrer Zeit: Sir Wyville Thomson und William Benjamin Carpenter. Sie erkannten, welche Bedeutung die Temperatur für die Verbreitung der Meeresfauna hat. In vielen Fällen geht es demnach bei den Verbreitungsgrenzen von Arten nicht unbedingt (nur) um die Tiefe, sondern vor allem um die Temperatur des Wassers. Die Forschungen wurden 1869–1870 mit der Procupine fortgesetzt. 1871 erforschte das deutsche Schiff Pommerania17 die Ostsee, mit berühmten Forschern an Bord wie Victor Hensen (Kortum, 2009) und Karl August Möbius. Nach diesen Einträgen wird von Walther die bereits erwähnte ChallengerExpedition und anschließend zahlreiche weitere Forschungsfahrten genannt. Zusammenfassend können wir festhalten, dass Walthers Übersicht, mag sie unvollständig und subjektiv sein, einige Hinweise dafür liefert, dass wichtige Impulse für die Entwicklungen der modernen Meereskunde von der internationalen, „transozeanischen“ Gemeinschaft aus verschiedenen Bereichen des Weltmeeres kamen, und weniger entscheidend am Mittelmeer geprägt worden sind. Zu ähnlichen Ergebnissen würden wir kommen, wenn wir die Quellen anderer Autoren zu diesem Thema betrachten würden. Dennoch wurden wichtige Grundlagen der modernen Meereswissenschaft über fast 3.000 Jahre gerade am Mittelmeer erarbeitet. Seine Rolle bleibt unvergleichlich größer, als es rein rechnerisch seiner Fläche entsprechen würde. Der nachfolgende Punkt liefert ein markantes Beispiel dafür.

Die azoische Theorie: Eine der großen Fragen der Meereskunde wurde am Mittelmeer geklärt Führende Wissenschaftler, darunter der junge Edward Forbes, glaubten an eine unbelebte Zone in Tiefen unterhalb von etwa 300 Faden (= ca. 550 m), an eine azoische Zone. Zu seiner Zeit strebte man eine vertikale Zonierung des Lebensraumes Meer an – und in diesem Zusammenhang die Festlegung einer „Null-LebenTiefengrenze“ nach dem Vorbild einer Isobathe.18 Forbes’ Forschungen aus dem 15 16

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Noch in 2.300 m Tiefe konnte Leben nachgewiesen werden, damals ein bedeutender Vorstoß in die Tiefsee. Forchhammer fand im Seewasser 27 Elemente und führte den Begriff Salinität ein. Mit Forchhammers Erkenntnis nicht zu verwechseln ist das „Gesetz der konstanten Proportionen“ der Chemie: Die Elemente in einer chemischen Verbindung kommen immer im gleichen Massenverhältnis vor, beispielsweise beträgt das Massenverhältnis im Natriumchlorid 39 % Natrium zu 61 % Chlor. Das Schiff verunglückte später, der Untergang forderte etwa 50 Todesopfer. Das Wrack in etwa 25 Metern Tiefe vor der Küste von Kent ist heute ein attraktives Ziel von Hobbytauchern. Eine Linie, welche Punkte gleicher Tiefe verbindet.

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Jahre 1840 in der Ägäis schienen eine solche Vorstellung zuerst zu untermauern. Im Reich der ewigen Dunkelheit mit gewaltigem hydrostatischen Druck und – wie man damals angenommen hat – mit sehr niedrigen Temperaturen,19 geringen Wasserbewegungen (auch sie musste es nach der Theorie in der Tiefe zwangsläufig geben), mit einem geringen Nahrungsangebot und der Abwesenheit von Sauerstoff – das alles spielte bei den „azoischen“ Überlegungen eine wichtige Rolle und schien die Existenz von Leben in großen Tiefen unmöglich zu machen. Die Bedeutung großräumiger, dichtebedingter Umwälzungen von Wassermassen (thermohaline Konvektion), durch die unter anderem Sauerstoff in die Tiefe und Nährstoffe an die Oberfläche gelangen, wurde damals noch nicht erkannt. Forbes und andere ignorierten oder übersahen einige bereits in den Jahren 1810– 1826 von Antoine Risso publizierte Arbeiten, in denen im Golf von Genua und vor Nizza gefangene Fische und Crustaceen aus 600 bis 1.000 Meter Tiefe beschrieben werden. Die Schriften wurden für Dekaden kaum beachtet. Ansichten zahlreicher anderer Wissenschaftler wie Sir John Ross und Sir James Clark Ross blieben ebenfalls unberücksichtigt.20 Die „azoische“ Theorie wurde schließlich am Mittelmeer widerlegt, ein bedeutendes Ereignis in der Entwicklung der Meereskunde. Spätestens 1860 bei Cagliari auf Sardinien wurde sie durch den französisch-belgischen Zoologen und Paläontologen Alphonse Milne-Edwards endgültig als falsch entlarvt. Dabei hat sich ein Telegraphenkabel zwischen Cagliari und Bône große Verdienste erworben: Nach drei Jahren auf dem Meeresgrund wurde es aus 1.800–2.100 m Tiefe zu Reparaturzwecken hochgeholt. Wie der Kabelingenieur Henry Charles Fleeming Jenkin unschwer erkennen konnte, war das Kabel verkrustet und voll mit verschiedensten marinen Aufwuchsorganismen überwachsen, darunter Weichtieren,21 Korallen22 und Moostierchen.23 Milne-Edwards, der mit der Untersuchung des Materials beauftragt wurde, brachte auch die früheren Arbeiten Rissos wieder ans Licht, die bereits Tiefseeorganismen erwähnten.

Als das Mittelmeer austrocknete: die Messinische Salinitätskrise Im Jahr 1833 sind Sir Charles Lyell, der zu den bedeutendsten Geologen des 19. Jh. gehörte, aufgrund von paläontologischen Befunden dramatische faunistische Veränderungen im Urmittelmeer aufgefallen. Seine ursprüngliche Biozönose war eine Mischfauna aus dem Atlantischen und dem Indischen Ozean. Zur Zeit einer nun 19 20

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Dies trifft auf das Mittelmeer nicht zu, da 13°C selbst in den größten Tiefen nicht wesentlich unterschritten werden. Selbst die meeresbiologischen Kenntnisse der küstennahen Litoralfauna – von der Tiefsee ganz zu schweigen – waren zu jener Zeit nicht wesentlich fortgeschrittener als das damals schon über 2000 Jahre alte Wissen des Aristoteles. Mollusca. Anthozoa, Cnidaria, mit zwei bis dahin unbekannten Arten. Bryozoa, Stamm Tentaculata.

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erkannten „biologischen Revolution“ verließ die Mehrheit der Arten das Mittelmeer in Richtung Atlantik oder starb aufgrund steigender Salinität aus.24 In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass Charles Mayer-Eymar25 im Jahr 1867 den Namen Messinian einführte. Er leitet sich von besonderen marinen Ablagerungen hohen Salzgehalts nahe der sizilianischen Stadt Messina an der gleichnamigen Meeresstraße ab. Der Name Messinian sollte später im Begriff Messinische Salinitätskrise besondere Bedeutung für die Erforschung der Naturgeschichte des Mittelmeeres erlangen.26 Die mediterrane Fauna der letzten fünf Millionen Jahre sollte nach der Krise weitgehend atlantisch werden, mit Ausnahme einiger Paläoendemiten, die die Austrocknung des Beckens überstanden haben. Ein solcher Paläoendemit ist das bekannteste Seegras des Mittelmeeres, das Neptungras Posidonia oceanica, dessen nächste Verwandten rund um Australien leben, während die Gattung im Atlantik nicht vertreten ist.

Die Gründung meeresbiologischer Stationen 1868 unternahm der deutsche Zoologe Anton Felix Dohrn eine Reise nach Messina, die ihn zu dem Entschluss animiert hatte, eine meeresbiologische Station an der italienischen Mittelmeerküste zu gründen. Damit leitete er eine neue Ära ein; die Gründungen führten zu einem enormen Aufschwung der Meeresbiologie. Manche der Institutionen waren kurzlebig, viele andere sind bis heute bedeutende und traditionsreiche Forschungsstätten geblieben.27 Stationen wurden am Mittelmeer und weltweit gegründet, und sicherlich spielten und spielen jene am Mittelmeer eine nachhaltige und entscheidende Rolle in der Entwicklung der globalen Meereswissenschaft. Meeresbiologische Stationen wurden meist in Fischereihäfen oder zumindest in deren Nähe eingerichtet. Bevor Presslufttauchen zu einer revolutionären Standardmethode der Meeresforschung wurde, waren Fischer und später Helmtaucher wichtige Lieferanten biologischen Untersuchungsmaterials. Niemand, auch nicht die frühen Gründer und Meeresforscher, kannte die Organismen, ihre Aufenthaltsorte und die Methoden, wie man an sie herankommt, zu jener Zeit besser als die Fischer. Ein weiterer Vorteil der Meeresnähe: Seewasser konnte direkt aus dem Meer in die Aquarien der Stationen gepumpt werden und so Haltung und Lebendbeobachtungen von Meeresorganismen ermöglichen. Mit dem Anwachsen der Städte, dem Aufkommen des Massentourismus und der zunehmenden Ver24

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Damit nahm Lyell das vorweg, was gut hundert Jahre später als „Messinische Salinitätskrise“ bekannt werden sollte, die Austrocknungstheorie des Mittelmeeres vor 5 – 6 Mio Jahren, vgl. Hofrichter, 2001. Sein eigentlicher Name war Karl Mayer. Bohrungen im Rahmen des weltweiten Tiefsee-Bohrprogramms DSDP (Deep Sea Drilling Project) in den Jahren 1970–1975 durch die Glomar Challenger. Das Schiff wurde nach der berühmten HMS Challenger benannt. Diese Bohrungen führten zur Aufstellung der Theorie über die Austrocknung des Mittelmeeres bzw. die „Messinische Salinitätskrise“ durch Kenneth J. Hsü und Bill Ryan. Später kam die JOIDES Resolution, ein noch größeres und leistungsfähigeres Bohrschiff, zum Einsatz. Eine Übersicht heute existierender Stationen am Mittelmeer bietet Hofrichter, 2001.

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schmutzung der Meere (das Materialsammeln direkt vor dem Institut wurde dadurch in manchen – jedoch nicht allen – Stationen nahezu unmöglich) verloren manche Institutionen ihre ursprünglich exklusive Stellung. Die moderne Aquarientechnik ermöglicht heute auch Hunderte Kilometer vom Meer entfernt perfekte Meerwasseraquaristik. Trotzdem behielten die Stationen ihre Bedeutung. Von hier aus operieren Forschungsschiffe, vielfach wurden vorgelagerte Feldstationen in möglichst intakten Meeresgebieten (auf Inseln) gegründet, in denen die Ökologie des Meeres studiert werden konnte, so z. B. auf der Insel Ischia vor Neapel. Die Gründung der meeresbiologischen Station in Neapel durch Anton Felix Dohrn erfolgte 1872–1874. Angeregt durch die Veröffentlichung von Darwins Origin of species im Jahr 1859, ist zur Mitte des 19. Jh. bei Zoologen speziell die Meeresfauna in den Mittelpunkt des Interesses gerückt – sie wurden daher vielfach als „Wasserzoologen“ verspottet. Es gab viel zu entdecken und zu beschreiben – auch neue höhere taxonomische Kategorien und womöglich „lebende Fossilien“ aus der Tiefsee, nach denen begierig gesucht wurde. Man erhoffte sich neue Erkenntnisse zur Klärung der Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den einzelnen Organismengruppen. Stationen wie jene in Neapel wurden zu modischen Stützpunkten der Biologie, an denen sich, vom „Goethe-Syndrom“ (Liebe zu Italien und dem Mittelmeerraum) befallen, die bekanntesten und namhaftesten Zoologen der damaligen Zeit begegneten: Francis Maitland Balfour, Ray Lancester, Theodor Boveri, Hans Adolf Eduard Driesch, Carl Chun, Christian Andreas Victor Hensen, Ernst Haeckel, Rudolf Leuckart, Carl Friedrich Wilhelm Claus, Karl Gegenbaur und viele andere. Auch Carl Vogt führte seine Studien vielfach an aus dem Mittelmeer stammenden Tieren durch. 1880 wurde eine meeresbiologische Station in Villefranche-sur-Mer in Südfrankreich gegründet. Sie war vor allem bei russischen Wissenschaftlern beliebt. Durch die Strömungsverhältnisse in der Bucht sammelten sich dort oft pelagische Organismen, begehrte Studienobjekte der Forscher. Nur ein Jahr später, 1881, folgte die mit der Sorbonne in Paris in Verbindung stehende meeresbiologische Station Laboratoire Arago in Banyuls-sur-Mer in Südfrankreich durch Henri de LacazeDuthiers, nachdem er bereits 1873 eine Station bei Roscoff (Station biologique de Roscoff) an der Küste der Bretagne initiiert hatte. 1891 entstand dank der Initiative der Direktion des Berliner Aquariums eine kleine, deutsch-italienische, meeresbiologische Station in Rovigno (Rovinj) auf Istrien. Ursprünglich diente sie der Beschaffung von Meerestieren für das Aquarium, sie hat aber auch Forschungsaufgaben übernommen. Später wurden mit dem Dampfer Rudolf Virchow Sammelexpeditionen in der Adria durchgeführt. 1931 hat der böhmische Zoologe Adolf Steuer, der einer der besten Kenner der adriatischen Fauna seiner Zeit war, die Direktion des Instituts übernommen. Obwohl die Station in Rovinj nicht die Bedeutung von jenen in Neapel oder Banyuls hatte, wurde sie durch die geographische Nähe zu Mitteleuropa doch für Generationen von Studenten prägend, denn viele mitteleuropäische Universitäten führten hier über Jahrzehnte traditionell ihre meeresbiologischen Exkursionen durch.

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Die meeresbiologischen Stationen waren ein entscheidender Punkt der Entwicklung, und selbstverständlich wurden sie nicht nur am Mittelmeer gegründet. Der Platz reicht nicht aus, um auch nur die wichtigsten aufzuzählen, aber zumindest einige sollen genannt werden: in Plymouth jene der „Marine Biological Association“, in Russland solche in Sevastopol am Schwarzen Meer und am nördlichen Eismeer, die Preußen bauten Helgoland aus, die Norweger Bergen, die Amerikaner die berühmte Woods Hole Oceanographic Institution (Massachusetts) oder die Station im kalifornischen La Jolla.

Bedeutung der Kvarner Bucht und der (Nord-) Adria für die Mittelmeerforschung In der zweiten Hälfte des 19. Jh. wuchs die Bedeutung deutschsprachiger Wissenschaftler bei der Erforschung des Mittelmeeres, und die Kvarner Bucht und das Meer rund um Istrien in der Nordadria wurde für meeresbiologisch orientierte Forscher der k. u. k. Monarchie und für deutschsprachige Forscher generell eine ihrer wichtigsten Wirkungsstätten. 1861 veröffentlichte der Breslauer Zoologe Adolf Eduard Grube die Arbeit Ausflug nach Triest und dem Quarnero (1861), die auf viele andere Forscher inspirierend wirkte, als ob man erst durch sie gemerkt hätte, dass das Gute so nahe liegt. Triest wurde zu einem wichtigen Zentrum der mediterranen bzw. adriatischen Meeresforschung. Johann Friedrich Will hielt sich hier 1843 länger auf und verfasste eine Arbeit über Meeresleuchten. Nicht nur für Zoologen aus der k. u. k. Monarchie war Triest der ideale Standort für Materialbeschaffung28 und Ausgangspunkt für weitere Exkursionen an die Küsten der Adria. In Triest wurde durch Alexander O. Kowalewskij unter anderem der berühmte Geschlechtsdimorphismus des Igelwurms Bonelia viridis29 entdeckt. Kowalewskij beschäftigte sich eingehend mit dem für das Verständnis der Evolution der Chordatiere bzw. Wirbeltiere so berühmten Lanzettfischchen30 sowie Ascidien31 und erkannte die phylogenetische Bedeutung der Chorda dorsalis32. Unabhängig von Francis Maitland Balfour, einem der berühmtesten Biologen und Embryologen seiner Zeit, schlug er den bis heute gültigen Stamm Chordata vor, zu dem auch wir zählen. 1863 veröffentlichte der Österreicher Josef Roman Lorenz sein Werk Physikalische Verhältnisse und Verteilung der Organismen im Quarnerischen Golfe. Wie viele andere Meeresbiologen seiner Zeit beschäftigte er sich intensiv mit der Frage der 28

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Ein großer Fischereihafen und eine starke Fischereiflotte waren immer starke Partner der Meeresbiologen; sie erleichterten die Materialbeschaffung ganz wesentlich, ohne dass man eigens aufwändige Expeditionen organisieren musste. Echiura oder Echiurida, Igelwürmer, früher eigenständiger Stamm, heute in die Annelida, Ringelwürmer, eingegliedert. Amphioxus, Branchiostoma lanceolatum, Acrania (Schädellose). Seescheiden, gehören zu den Tunicata, Manteltiere. Elastische Rückensaite der Chordata, Chordatiere, wird auch bei allen Wirbeltieren embryonal angelegt und später durch die Wirbelsäule ersetzt.

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Gliederung des Litorals; die Unterscheidung des Supra- und Sublitorals33 geht auf ihn zurück. Das 1889 eröffnete Naturhistorische Museum in Wien wurde ein wichtiges mediterranes Forschungszentrum, und große Teile der marinen Sammlungen stammten aus der Adria. Diese umfassende Sammlung hatte noch eine spätere positive Auswirkung auf die Meeresbiologie, nicht zuletzt über den Umweg von Rupert Riedls Werk Fauna und Flora der Adria, das 1963 erschienen ist und in späteren Auflagen zu Fauna und Flora des Mittelmeeres erweitert wurde, den lange Zeit umfassendsten Einzelbestimmungsführer für das Mittelmeer, der auch ins Italienische übersetzt wurde.

Der Vatikan und ein ganzes Fürstentum beteiligen sich an der Forschung 1866 wurde vom vatikanischen Schiff Immacolata Concezione zum ersten Mal die Secchi-Scheibe eingesetzt. Entworfen hatte das kreisrunde, weiße Hilfsmittel mit 30–50 cm Durchmesser zur Ermittlung der Sichttiefe Pater Angelo Secchi. Die ersten Beobachtungen ergaben Sichttiefen bis zu 42,5 m. Aus der Sichttiefe konnte grob der vertikale Extinktionskoeffizient des Wassers ermittelt werden. Albert I. von Monaco, liebevoll prince navigateur genannt, war von 1889 bis zu seinem Tod 1922 regierender Fürst des kleinen Landes am Mittelmeer. Bereits in jungen Jahren diente er in der spanischen Marine, später in der französischen, doch galt seine eigentliche Vorliebe der Erforschung der Meere, der jungen Wissenschaft der Ozeanographie. Er gründete das renommierte Ozeanographische Museum (Musée et Institut océanographique de Monaco), dessen Direktor später der französische Meeresforscher Jacques-Yves Cousteau wurde. Das Museum wurde an einem ins Mittelmeer hinabfallenden Felshang in Monaco-Ville34 inmitten einer repräsentativen Parkanlage errichtet. Die ersten Exponate hatte der Fürst persönlich von seinen zahlreichen Expeditionen mitgebracht. Auch verabschiedete Prinz Albert I. gemeinsam mit Mitgliedern der Tiefsee-Kommission der Wiener Akademie der Wissenschaften die erste k. u. k. ozeanographische Forschungsfahrt der SMS Pola ins östliche Mittelmeer.

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Supralitoral ist die nur gelegentlich vom Meerwasser benetzte oder besprühte Spritzwasserzone, Sublitoral ist der immer eingetauchte Lebensraum, dazwischen liegt die eigentliche Gezeitenzone, das Eulitoral (oder moderner: Mediolitoral). Die tropische Grünalge Caulerpa taxifolia, die sich als extrem invasiv herausgestellt und mehr als 20 Jahre die Mittelmeerökologen beschäftigt hat (medial wurde sie übertrieben als „Killeralge“ bekannt), da sie massiv die endemische Vegetation des Mittelmeeres wie das Neptungras verdrängte, ist vermutlich durch eine Abwasserleitung des Aquariums ausgerechnet hier in die mediterrane Umwelt gelangt. Es gibt jedoch auch Gerüchte, dass Mitarbeiter die Alge gezielt ausgesetzt hätten. Unbestritten ist, dass die Alge zuerst vor Monaco im Mittelmeer auftauchte. In den letzten Jahren ist die Art nach einem anfänglichen Siegeszug wieder auf dem Rückzug, manche menschengemachte Probleme regelt die Natur offenbar allein.

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Die Österreich-Ungarischen Tiefsee-Expeditionen und Forschungsfahrten der Pola35 Nach der bahnbrechenden Weltumsegelung der britischen Challenger wollte kaum eine der großen Nationen bzw. der seefahrenden Mächte in der ozeanographischen Forschung zurückbleiben. Hier konnte und wollte auch die österreichischungarische Monarchie nicht zurückstehen (Schefbeck, 1991). In der k.u.k. Monarchie waren die ausgezeichnet geplanten Forschungsfahrten der Pola die Folge dieser Entwicklung. Carl Edler von Bermann, Seeoffizier der österreichisch-ungarischen Kriegsmarine, stellte 1883 die „…fast unglaublich klingende Tatsache“ fest, „daß das Mittelmeer – von den Küstenrändern abgesehen – noch so viel wie gar nicht erforscht ist“. Die Feststellungen spiegeln die Realität in der Anfangszeit der wissenschaftlichen Ozeanographie treffend wieder – und das nicht nur für das (östliche) Mittelmeer, sondern für die Ozeane generell. Einige Jahre später hat sich die Situation zumindest für jene Region gründlich geändert. „Als Ergebnis der acht Reisen waren um die Jahrhundertwende das östliche Mittelmeer und das Rote Meer in ozeanographischer Hinsicht so gründlich erforscht wie kaum ein anderes Meeresgebiet neben ihnen“ (Schefbeck, 1991). Die Pola-Expeditionen sind eng mit dem Namen ihres wissenschaftlichen Leiters, des Wiener Ichthyologen Franz Steindachner verbunden. Der Großteil des mitgebrachten Materials befindet sich heute in den Sammlungen des Naturhistorischen Museums Wien. Für die weitere Entwicklung der Ozeanographie im Mittelmeer und weltweit waren die Fahrten der Pola von großer Bedeutung und von hohem wissenschaftlichen Wert. Zahlreiche bis dahin unbekannte Tierarten wurden beschrieben, in vierzehn Serien der Denkschriften der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien erschienen unzählige spannende Publikationen. Während der Expedition am 28. Juli 1891 wurde auch die bis dahin größte Tiefe des Mittelmeers gemessen,36 die auf Antrag des Präsidiums der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften den Namen Pola-Tiefe erhielt.

Moderne mediterrane Ozeanographie: ein weiter Sprung ins 20. Jh. Wie in der Einleitung bereits erwähnt, beschäftigt sich die moderne Ozeanographie vor allem mit den physikalisch-chemischen Aspekten der Meeresforschung; die Meeresbiologie bzw. marine biology,37 einschließlich der marine ecology (Kaiser u. a., 2005) oder biologische Meereskunde ist als eigene Wissenschaft bis zu einem gewissen Grad ausgeklammert. Dank moderner Methoden wurde das „Funktionieren“ des Systems Atlantik-Mittelmeer-Schwarzes Meer weitgehend entschlüsselt, 35 36 37

1890–1898, auch Pola-Expeditionen genannt. 4.404 m auf 35° 44´ 48" Nord 21° 45´ 48" Ost, heute gilt das Calypsotief im Ionischen Becken (südwestlich der Halbinsel Peloponnes, 36° 34' Nord und 21° 08' Ost) mit 5.267 m als die tiefste Stelle. Aktuelles Standardwerk und Lehrbuch z.B. Levinton, 2001.

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eine genaue Beschreibung bietet Klein und Roether, 2001. Die Rolle des Mittelmeeres in Relation zur weltweiten Forschung lässt sich in einer globalisierten Welt der Gegenwart kaum objektiv quantifizieren, jede größere, wirtschaftlich stärkere Nation betreibt auf diese oder jene Weise Meeresforschung. Moderne ozeanographische Abhandlungen zu lesen ist für Laien schwer, sie sind mit vielen Fachausdrücken und Abkürzungen gespickt. Die Abkürzungen bezeichnen bestimmte Wassermassen, die man aufgrund unterschiedlicher Temperatur und Dichte voneinander unterscheiden kann. So gibt es ein CDW (Cretan Deep Water, Kretisches Tiefenwasser), wie auch ein CIW (Cretan Intermediate Water, Kretisches Zwischenwasser), außerdem ein ADW (Adriatic Deep Water), ein EMDW (Eastern Mediterranean Deep Water), ein LIW (Levantine Intermediate Water), ein LSW (Levantine Surface Water) und zahlreiche weitere. Die Entstehungsbereiche, Eigenschaften, Ausdehnung, Bewegungen, Umwälzungen und Zirkulationen solcher Wassermassen werden erfasst und beschrieben.

Aktuelle Aufgaben: Meeresforschung ist auch Umweltforschung Die Entwicklung der Satellitentechnik leitete ein neues Zeitalter in der Meeresforschung ein. Durch den technischen Fortschritt wurde es möglich, neue Erkenntnisse in früher unerreichbarer Präzision zu gewinnen. Die Ozeanographie erfuhr durch den Gebrauch von GPS-Messungen eine radikale Erneuerung. So konnten Kontinentaldrift und die genauen Bewegungen der Mikroplatten erstmals erfasst werden. Durch die Satelliten-Fernerkundung (Satellite Remote Sensing) erhielt man nicht nur Bilder, die exakte Informationen über die Topographie des Meeres lieferten, sondern auch Erkenntnisse zu ozeanographisch-meeresbiologischen Phänomenen, wie Wellen, Strömungen, Oberflächentemperaturen, dem Chlorophyllgehalt des Wassers als Maß für die Produktivität einzelner Meeresbereiche und vieles andere. Die beeindruckenden Bilder sind auch für umweltrelevante Fragestellungen und das Erarbeiten effektiver Schutzmaßnahmen von großer Bedeutung (Schefbeck, 1991), der angewandte Aspekt des Meeresschutzes spielt eine immer größere Rolle. Die moderne Forschung ist durch den enormen Fortschritt der Technik kaum noch mit den ursprünglichen Formen der Ozeanographie zu vergleichen. Das Augenmerk liegt neben Fragen der Grundlagenforschung und der Erkundung der Tiefsee häufig auf dem Naturschutz, dem Klimawandel und der Fischereiforschung. Hochmoderne Forschungsschiffe kommen zum Einsatz, die über komplett eingerichtete Labore und weitere mobile Einrichtungen verfügen. Zu den größten derzeit eingesetzten Schiffen zählen die Meteor sowie die Poseidon, beides Forschungsschiffe des „Konsortiums Deutsche Meeresforschung“ (German Marine Research Consortium). Während die Meteor vor allem der marinen Grundlagenforschung dient, finden auf der Poseidon hauptsächlich geologische Untersuchungen statt. Zahlreiche Forschungsschiffe sind zudem mit Unterwasser Robotern ausgestattet. Diese können bemannt sein, wie das Tauchboot Jago, ein Unterwasserfahrzeug

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für maximal 400 m Wassertiefe, das zur Erkundung und Erforschung aquatischer Systeme und Lebensräume eingesetzt wird, oder aber auch autonom oder ferngesteuert, wie das AUV ABYSS,38 oder das ROV KIEL 6000.39 Beide Boote sind konzipiert, um die Meeresböden der Tiefsee zu erforschen. Die Tiefsee bildet ein wesentliches Forschungsgebiet der gegenwärtigen mediterranen Meereskunde. Weitgehend unerforschte Ökosysteme werden erstmals erkundet. Wie funktionieren solche Tiefsee-Ökosysteme, die durch Arten- und Individuenarmut gekennzeichnet sind? Welche Rolle spielt der Nährstoffeintrag vom Land? Mit solchen Fragen beschäftigte sich eine Pilotstudie des SenckenbergInstitutes im Jahre 1987, welche die extreme Nahrungsarmut im warmen Tiefenwasser40 des Mittelmeeres bestätigte und die geringe Präsenz großer Organismen zeigte (Senckenberg Institut Dresden). Zahlreiche internationale Institute widmen sich der Erforschung der Tiefsee. Eines der bedeutendsten Projekte ist das CeDaMar, welches im Jahr 2000 startete und bis heute Tiefsee-Ebenen erforscht. Im Jahr 2008 waren 56 Institutionen in 17 Ländern daran beteiligt, hunderte neue Arten wurden beschrieben (Census of the Diversity of Abyssal Marine Life). Forschung und Fragen des Meeres- und Artenschutzes sind heute kaum noch zu trennen. Die Auswirkungen jahrelanger Überfischung sind seit Jahrzehnten nicht mehr zu übersehen. Die Übernutzung, gepaart mit vielfältigen Beeinträchtigungen von Lebensräumen, bedroht zunehmend die mediterrane Artengemeinschaft. Wichtige Fischarten können dem Druck nicht weiter standhalten. Insbesondere gilt dies für Arten mit geringer Fortpflanzungsrate wie Haie und Rochen, die mittlerweile zu den vom Aussterben bedrohten Gruppen gehören. Die Folgen der Überfischung sind lange bekannt, doch erst spät wurden Maßnahmen ergriffen. Einige Naturschutzprogramme und Projekte haben der Übernutzung des Mittelmeeres zwar den Kampf angesagt, doch die Umsetzung ist selbst in den EU-Ländern zögerlich: die ICCAT (The International Commission for the Conservation of Atlantic Tunas), die auch im Mittelmeerraum aktiv ist, die Weltnaturschutzorganisation IUCN (International Union for Conservation of Nature and Natural Resources), welche sich mit bedrohten Tierarten beschäftigt und zahlreiche Kampagnen des WWF (World Wide Fund for Nature ) oder Greenpeace. Eines der erschreckendsten Beispiele für den rücksichtslosen Umgang mit dem Mittelmeer bietet die Überfischung des Tunfischs: Jedes Jahr im Mai, Juni und Juli bilden sich nördlich und östlich der Balearen Schwärme der Roten oder Großen Tunfische (Thunnus thynnus), die zu den größten und schwersten Knochenfischen der Welt zählen. Sie wandern aus dem kühleren Atlantik in das wärmere Mittelmeer, um zu laichen, ein berühmtes und altbekanntes Phänomen des Mittelmeerraums. Die Reproduktionsrate der Tunfische ist hoch, die Wachstumsraten eben38 39 40

Autonomous Underwater Vehicle; sein Name bezieht sich auf das sogenannte Abyssal, ein Begriff, der die Meerestiefen zwischen 2.000 und 6.000 m umfasst, GEOMAR Kiel. Mit einer Tauchtiefe bis zu 6.000 m kann ROV KIEL 6000 mehr als 90 % des Meeresbodens erreichen. GEOMAR, Kiel. Es wurde bereits erwähnt: Die Temperatur des Tiefenwassers des Mittelmeeres beträgt außergewöhnliche 13 °C.

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falls, die großen Schwärme sind leicht zu orten, ihr Fleisch wird sehr geschätzt und erzielt hohe Preise. Die bis zu 560 Kilogramm schweren und bis über drei Meter langen Fische machen Jagd auf pelagische Fischschwärme. In den letzten zwanzig Jahren hat die Anzahl der ausgewachsenen Tunfische um 80 Prozent abgenommen. Wissenschaftliche Berater des ICCAT drängen seit 1974 darauf, dass die Fangmengen reduziert werden, was bisher ohne Folgen blieb: Lagen die Fänge 1974 noch bei 14.000 Tonnen, wurden zwanzig Jahre später 38.000 Tonnen gefangen. Erst 1995 schlug die ICCAT ein Fangverbot für Langleinenboote mit einer Größe von über 24 Metern im Juni und Juli vor; die übrigen Fischereiaktivitäten sollten um ein Viertel reduziert werden. Die Empfehlungen traten in Kraft, doch es wurde weiter gefischt. Die Menge an gefischtem Tun stieg in zwei Jahren von 2.000 auf offizielle 40.000 Tonnen jährlich, wobei die ICCAT annimmt, dass die tatsächlichen Erträge nochmals um 30 bis 50 Prozent darüber liegen; eine Überwachung ist allerdings ebenso kostenintensiv wie schwer durchzuführen.

Der Schutz des Mittelmeeres und die EU Die Europäische Union (EU) als wichtigster Akteur und ihre Partnerländer41, die von der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP)42 erfasst sind, fühlen sich zur Lösung der angesprochenen Probleme verpflichtet.43 , Der Barcelona-Prozess44 der die Euromediterrane Partnerschaft (EUROMED) ins Leben gerufen und sich weiter zur Union der Mittelmeerländer (UfM)45 entwickelt hat, unterstützt und fördert die regionale und transnationale Zusammenarbeit, die politische Stabilität und die wirtschaftliche Entwicklung im Mittelmeerraum. Zahlreiche Forschungsinstitutionen der einzelnen Staaten haben sich dieser Kooperation angeschlossen und dadurch eine multidisziplinäre Zusammenarbeit ermöglicht. Die Schwerpunkte dieser Kooperation liegen zwar in den Bereichen Justiz, Sicherheit, Migration, soziale Entwicklung, kultureller Austausch und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung im Mittelmeerraum, doch gehören auch Fi41 42 43 44 45

Algerien, Ägypten, Israel, Jordanien, Libanon, Libyen, Marokko, die palästinensischen Autonomiegebiete, Syrien und Tunesien. S. den „politischen Strategieplan der Europäischen Union“ vom 12. Mai 2004. Bestimmung einer Umweltstrategie für den Mittelmeerraum“, Brüssel (2006), Kommission der Europäischen Gemeinschaft. Vom 27–28. November 1995 in Barcelona. Die Union für den Mittelmeerraum ist Bestandteil der Gemeinschaftspolitik und -programme im Rahmen der Europa-Mittelmeer-Partnerschaft. Sie umfasst 43 Staaten, die 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU), der Europäischen Kommission, der Partner und Beobachter der Partnerschaft Europa-Mittelmeer (Mauretanien, Marokko, Algerien, Tunesien, Ägypten, Jordanien, die Palästinensische Behörde, Israel, Libanon, Syrien, Türkei und Albanien) sowie die übrigen Mittelmeeranrainerstaaten (Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro und Monaco).

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scherei, Schutz der Artenvielfalt, Umweltverschmutzung, Klimaerwärmung, Lesseps’sche Migration46 und weitere dazu. Die Union der Mittelmeerländer hat zusammen mit anderen internationalen Institutionen Leitlinien für den Umweltschutz und der nachhaltigen Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen beschlossen.47 Nachhaltigkeit und Schutz der gemeinsamen natürlichen Ressourcen stehen im Mittelpunkt. Die biologische Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten und ganze Ökosysteme sollen im Mittelmeerraum in Schutzgebieten erhalten bleiben.48 Diesen Schutzgebieten gehört die Zukunft, da nur sie als Reservoirs der mediterranen Biodiversität dienen können. Das Mittelmeer hat eine Gesamtfläche von ungefähr 2,51 Millionen Quadratkilometern,49 davon sind aber vorerst nur 2 % geschützt.50 Allerdings sind noch lange nicht alle vorgeschlagenen, internationalen und nationalen Schutzgebiete tatsächlich umgesetzt worden.51

Gegenwärtige mediterranistische Forschungsfragen und Perspektiven Die Ozeanographie strebt heute eine klare, systematische Beschreibung der physikalischen und chemischen Vorgänge im Ozean und der Wechselwirkungen zwischen Ozean und Atmosphäre an. Sie befasst sich sozusagen mit den Rahmenbedingungen des Lebens. Konkret beschäftigt sie sich vor allem mit a) der Beschreibung von Temperatur, Salzgehalt und Dichte im Ozean und der Prozesse, die deren Verteilung bestimmen, b) der Bewegung von Wasser im Ozean – hervorgerufen durch Wellen, Gezeiten und Strömungen – und der Ermittlung der für sie verantwortlichen Ursachen, c) dem Transfer von Energie zwischen Ozean und Atmosphäre und d) speziellen Eigenschaften des Meerwassers wie beispielsweise der Ausbreitung von Lichtenergie und Schall (Klein und Roether, 2001). Wie wir sehen, umfasst die Ozeanographie in dieser Auffassung vor allem die physikalische und chemische Meereskunde. Der Mittelmeerraum ist nicht nur die Wiege der europäischen bzw. abendländischen Zivilisation (Rosen, 1998), sondern zweifellos auch eine der wichtigsten „Wiegen“ der späteren Wissenschaft über das Meer. Selbstverständlich kann der Mittelmeerraum nicht als ihre einzige „Wiege“ gelten, doch stellt sich die Frage, in46

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Einwanderung von indopazifischen Faunen bzw. Organismen über den Suezkanal ins Mittelmeer, benannt nach Ferdinand de Lesseps, dem Erbauer des Kanals. Heute bildet die Lesseps’sche Migration eine der markantesten biogeographischen Veränderungen der Welt. „Übereinkommen von Barcelona für den Schutz des Mittelmeers“, am 16. Februar 1976 in Barcelona beschlossen. Protokoll über die besonderen Schutzgebiete und die biologische Vielfalt des Mittelmeers – Beschluss des Rates, 1. März 1984, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft. Specially Protected Areas in the Mediterranean Assessment and Perspectives, RAC/SPA – Regional Activity Centre for Specially Protected Areas; Tunis, 2010. Liste aller nationalen und internationalen Schutzgebiete im Mittelmeerraum – MAPAMED Database of Marine Protected Areas in the Mediterranean: www.mapamed.org. Gabrie u. a., 2012.

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wiefern seine Bedeutung für die Entwicklung der Meeresforschung im Vergleich zu anderen Regionen der Erde überragend ist.52 Zumindest in Bezug auf einen der drei bereits genannten Zweige der Meereskunde, nämlich den biologischen, können wir vorwegnehmen: Durch Aristoteles kann sich die Region des ersten Meeresbiologen rühmen, der diesen Namen ohne Übertreibung verdient. Aristoteles hatte von vielen mediterranen Organismen, ihrer Physiologie und auch schon von manchen Wechselwirkungen zwischen ihnen eine richtige Vorstellung (Hofrichter, 2001). Zweifellos wurden am Mittelmeer viele wichtige Entdeckungen der Ozeanographie bzw. Meereskunde gemacht, die die globale Entwicklung der Wissenschaften nachhaltig geprägt und beeinflusst haben, und das weit über die Grenzen dieser Region hinaus, sogar in weltweitem Maßstab. Auch deutsche und österreichische Wissenschaftler – in der Zeit der Doppelmonarchie war Österreich-Ungarn ein „Mittelmeerland“ – hatten am Aufschwung der Meereskunde maßgeblichen Anteil. Der erstmals in der spätrömischen Zeit im 3. Jh. und im Mittelalter verwendete Name Mittelländisches Meer, Mare mediterraneum, z. B. bei C. Julius Solinus, spiegelt die besondere eingeschlossene Lage dieses (fast) Binnenmeeres zwischen Europa, Asien und Afrika wider. Den Hochkulturen der Antike war diese Bezeichnung aber noch nicht geläufig. Sie sahen im Mittelmeer vielfach das Meer, denn es war oft das einzige, das sie von Volk zu Volk unterschiedlich gut kannten. Der geographische Horizont der Küstenvölker wurde über Jahrtausende von diesem Meer geprägt und stand im Mittelpunkt ihres Weltbildes, was auf zahlreichen Darstellungen von der Antike bis ins Mittelalter deutlich zu erkennen ist (z. B. Herodots Welt).53 Rund um das Meer befand sich ein mehr oder weniger schmaler Streifen Land und dahinter der weite, kaum bekannte Okeanos. Ein gemeinsamer Name im Sinne des heute üblichen fehlte jedoch genauso wie die Vorstellung bzw. das Konzept des „Mediterrans“ als einer vielschichtigen Einheit, wie sie erst durch das Imperium Romanum Wirklichkeit wurde. Die Fläche des Mittelmeeres nimmt weniger als ein Prozent des Weltmeeres ein,54 doch spielte sich die Entwicklung der Meereskunde an den Küstenregionen 52

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Wenn wir das später abgehandelte Postulat als gegeben annehmen, nach dem die frühe Seefahrt gleichbedeutend ist mit dem Sammeln erster Erkenntnisse zu den verschiedensten Aspekten vor allem der physikalischen Meereskunde und mariner Meteorologie, dann müssen wir erkennen, dass die Rolle des Mediterrans in Relation zu den Einflüssen anderer Regionen in dieser Abhandlung überrepräsentiert sein könnte. So ist über den Zeitpunkt der ersten Besiedlung der japanischen Inseln wenig bekannt, er könnte mehr als 30.000 Jahre zurück liegen. Der Süden Japans wurde von Südostasien aus auf dem Seeweg erschlossen. Zu wenig gesichertes Wissen über die Seefahrt dieser frühen Kulturen ist in der westlichen meereskundlichen Literatur überliefert. Dasselbe trifft auf den großen Nachbarn China zu (Church, 2005; Markanday, 1980). Und selbst die Rolle der arabischen Welt, die ab dem 8. Jh. nach Christus eine immer größere Rolle beim Befahren des Mittelmeeres und in der Entwicklung der Wissenschaften inne hatte, ist in den Quellen, die die meisten „abendländischen“ Meereshistoriker und Ozeanographen verwenden, unzureichend dargestellt. Herodot (490/480 – um 424 v. Chr.) nahm, anders als Aristoteles, auch biologisch ungenaue, fiktionale oder übertriebene Darstellungen in sein Werk auf. Mit 2,5 Mio. km2 bildet das Mittelmeer nur 0,7 % der gesamten Meeresfläche; diese beträgt 361 Mio. km2.

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der Erde nicht gleichmäßig ab. In der vorrömischen Zeit haben sich nur an wenigen Stellen der Welt seefahrende Hochkulturen entwickelt, was eine Grundvoraussetzung für eine systematische Beschäftigung mit den diversen Phänomenen des Meeres ist. Die Rolle des Mediterrans ist für die Entwicklung der Meereskunde überproportional und mit keiner anderen Region der Welt vergleichbar. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass Wissen aus anderen Regionen der Welt verloren gegangen ist, da sich schriftlich keine Überlieferung erhalten hat. Ein Aspekt, der diesbezüglich für die Bedeutung des Mittelmeeres spricht, ist das auch heute allseits beliebte mediterrane Klima. Bereits Aristoteles betonte in seiner Metaphysik: „Weil sie die Muße hatten, d.h. vom Druck der Lebensnot entlastete freie Zeit besaßen, haben die Menschen zu philosophieren begonnen.“ Doch die Etablierung der modernen Forschungsrichtungen der Gegenwart, vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jh., die sich mit globalen Phänomenen und Bedrohungsszenarien für die Menschheit wie Klimawandel, Anstieg der Wassertemperatur und des Meeresspiegels, Versauerung der Meere, Ausbreitung der toten (sauerstoffarmen) Zonen in den Tiefen, negativen Folgen der menschlichen Aktivitäten auf das Meer und weiteren befassen, rückte das Mittelmeer erneut in den Mittelpunkt des Interesses. Mehrere Gründe waren dafür verantwortlich. Erstens ist das Europäische Mittelmeer ein stärker als die anderen Mittelmeere55 der Erde von Landmassen eingeschlossenes Meeresbecken. Die einzige natürliche Verbindung zum Weltmeer ist die an der engsten Stelle nur 14 km breite Straße von Gibraltar, die auch in der vertikalen Dimension eine Schwelle darstellt, da sie weniger als 300 m Tiefe erreicht. Die mediterrane Tiefsee ist somit von der Tiefsee des Weltmeeres vollständig abgeschnitten. Zugleich macht die Dimension des Mittelmeeres mit 4.000 km Länge es zu einem Ozean im Kleinformat. Das Mittelmeer liefert somit ein einzigartiges Modell für meereskundliche Fragestellungen. Es eignet sich für grundsätzliche ozeanographische Studien, da die Prinzipien mit jenen der großen Ozeane gleich sind und sich die Phänomene dennoch leichter erfassen lassen. Viele dynamische Prozesse, die für das Weltmeer von fundamentaler Bedeutung sind, lassen sich daher im Mittelmeerbecken erforschen. Sowohl das Westliche als auch das Östliche Becken können als Laboratorien zur Erforschung von thermohalinen Konvektionen dienen, die in jeder Hinsicht mit jenen der großen Ozeane analog sind. Das Westliche und Östliche Becken lassen sich sowohl als separate Becken betrachten, da sie durch die Schwelle von Sizilien56 getrennt sind, die etwa 250 m tief liegt, wie auch als Gesamtsystem. Wie im Fall des Systems Mittelmeer-Atlantik, können auch die Tiefwasserkörper zwischen West- und Ostbecken nicht direkt kommunizieren, dennoch tauschen die Becken Wassermassen aus. Die enge Verbindung zum Atlantik und der intensive Wasseraustausch mit diesem Ozean (Hofrichter, 2001, S. 258ff.) in beide Richtungen reichen aus, um das 55 56

Ein Mittelmeer ist definitionsgemäß ein stark von Landmassen eingeschlossenes Nebenmeer eines Ozeans. Die Sizilianische Schwelle erstreckt sich von Sizilien nach Tunesien und teilt das östliche vom westlichen Mittelmeer. Das östliche Becken ist durchschnittlich tiefer ist als das westliche.

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Mittelmeer bedeutend für die globale Zirkulation des Weltmeeres zu machen. Das salzhaltige, relativ warme Mittelmeerwasser57 ergießt sich dabei in die Tiefen der nordatlantischen Wassermassen, und ist auch noch in großer Entfernung von Gibraltar nachweisbar. Im Nordatlantik bildet sich das Nordatlantische Tiefenwasser NADW,58 eine der beiden Tiefsee-Hauptströmungen des so genannten Globalen Förderbandes.59 Aus den genannten Gründen ist das Mittelmeer in den letzten Dekaden des 20. Jh. erneut in den Mittelpunkt des Interesses der Ozeanographen gerückt. Internationale Forschungsprogramme wie PRIMO (Programme de recherche international en Méditerranée occidentale) und POEM (Programme de la Méditerranée orientale) von der UNESCO/IOC (http://ioc-unesco.org/) sowie die MASTProgramme (Marine, Science and Technology Programme, http://ec.europa.eu/ research/marine1.html) der EU wurden initiiert. In den letzten Jahrzehnten ist die Erforschung der Biodiversität in den Mittelpunkt des Interesses gerückt, angetrieben durch die Sorgen über deren (längst stattfindenden) Verlust. Die Weltöffentlichkeit und die Politik erkannten zumindest in Lippenbekenntnissen den Wert der Biodiversität – jede Art mit ihren einzigartigen Merkmalen und Anpassungen ist unwiederbringlich verloren, wenn sie einmal von der Erdoberfläche verschwunden ist, ein genetisches Erbe, das ohne weitreichende Begründungen a priori schützenswert ist. Unter Biodiversität versteht man umgangssprachlich und vereinfacht die Artenvielfalt bzw. die Artenzahlen, obwohl sie mehr als das erfasst, etwa die Vielfalt der (noch erhalteten) Habitate und Biotope.60 Die moderne Welt des Internets eröffnete neue Möglichkeiten zur stets aktualisierten Führung von Arteninventaren und zur Berücksichtigung der ständigen systematisch/taxonomischen Änderungen. Ein Beispiel soll diesen Fortschritt verdeutlichen: Die Liste sämtlicher Fischarten der Welt, die unter dem Namen FishBase (http://www.fishbase.org/) zu finden ist, liefert jederzeit abrufbare und von Fachleuten aktuell gehaltene Informationen. Die marinen Spezies der Welt sind unter WoRMS (The World Register of Marine Species, http://www.marinespecies.org/) durch jeden und an jedem Platz der Erde einsehbar. In einem Census of Marine Life (http://www.coml.org/) versuchten Meereswissenschaftler weltweit ein erstes umfassendes Inventar sämtlicher Meerestiere zu schaffen. 61 Die Initiatoren kamen 2004 zum Schluss, dass die Menschheit bis zu diesem Zeitpunkt weniger als fünf Prozent der Weltmeere erkundet hat, und dass 57

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Es entsteht im Östlichen Mittelmeerbecken und trägt die Bezeichnung LIW, Levantine Intermediate Water. Im Atlantik ist es in Tiefen zwischen 1.000 und mehr als 2.500 m über weite Strecken und in mehreren „Zungen“ nachweisbar. NADW, North Atlantic Deep Water, neben dem Antarktischen Bodenwasser die wichtigste Wassermasse des so genannten Globalen Förderbandes. Wie komplex diese Prozesse sind, zeigt die Tatsache, dass die Wassermassen erst nach etwa 1.000 Jahren die Antarktis erreichen. Dieses darf man sich nicht zu einfach als ständig gleichmäßig fließenden „Fluss im Ozean“ vorstellen. Es ist viel komplexer, in Folge wurde die Struktur der globalen Ozeanzirkulation erst im 20. Jh. genauer verstanden. Aufwändige und langwierige Messungen über viele Jahre sind erforderlich, um das Globale Förderband zu studieren. Habitat ist der Lebensraum einer Art, Biotop jener einer ganzen Lebensgemeinschaft (Biozönose). Man hat es auch „Volkszählung unter Wasser“ genannt.

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wir auf einem Planeten leben, dessen Oberfläche zu 70 Prozent aus Wasser besteht, doch weiß man über den Meeresboden unter diesen riesigen Flächen nach wie vor weniger als über den entferntesten Winkel des Mondes. Für das Europäische Mittelmeer ergab die Studie schließlich 16.848 marine Arten, was um etwa 4.500 Arten mehr ist als für den europäischen Teil des Atlantiks mit 12.270 Spezies. Der Zuwachs an Wissen und Information ist in den letzten Dekaden enorm. So gaben Bianchi und Morri (2000) für das Mittelmeer noch über 8.500 makroskopische Arten an, die nach damaligen Schätzungen 4 bis 18 Prozent der weltweiten marinen Fauna darstellen sollten. Die Biodiversität des Mittelmeeres erschien auch nach den damaligen, noch zu niedrigen Angaben der Artenzahlen, enorm hoch, wenn man bedenkt, dass die Fläche des Mittelmeeres lediglich 0,82 Prozent der Weltmeere beträgt, sein Volumen 0,32 Prozent. Die Bedeutung des Mittelmeeres als Hotspot der weltweiten Biodiversität wurde zunehmend erkannt. Doch enthüllte der Census of Marine Life neben der beeindruckenden Zahl von 16.848 mediterranen Arten auch schonungslos die Bedrohung dieser Vielfalt. Manche Bereiche des Mittelmeeres (etwa die Küsten Israels) können durch die beiden Stichwörter Aussterben und Invasion charakterisiert werden. Keine andere der untersuchten 25 Meeresregionen der Welt hat so viele eingewanderte oder eingeschleppte Spezies wie das Mittelmeer. Viele von ihnen sind invasiv und für das Ökosystem verheerend. Ihre Zahl wird mit mehr als 600 angegeben, manche sprechen sogar von bis zu 1.000 Spezies. Wie bereits erwähnt, sind die allermeisten Invasoren über den Suezkanal aus dem Roten Meer eingewandert. Das Mittelmeer erlangte eine unrühmliche Vorreiterrolle als eines jener Meere, die am stärksten von Naturzerstörung, Degradation und Biodiversitätsverlust bedroht sind, wie der CENSUS betonte. Damit ist es nicht nur ein Modellmeer für grundlegende ozeanographische Studien, sondern auch eines, das uns ein besseres und auch dramatischeres Verständnis des negativen Waltens des Menschen ermöglicht. Von Landmassen eingeschlossene Nebenmeere und Mittelmeere sind den Auswirkungen der sichtbaren und unsichtbaren Verschmutzung, der Giftfracht, viel stärker ausgesetzt als der offene Ozean. Die Negativfaktoren sind gut bekannt: Überfischung, Habitatverlust (auch das von Küstenlebensräumen, die mit dem Meer verzahnt sind), Klimawandel, Verschmutzung, dichte Bevölkerung an den Küsten, Eutrophierungsphänomene, die zu explosionsartigen Massenentwicklungen von Mikroorganismen und sauerstofffreien, toten Zonen am Meeresgrund führen, Umweltgifte aus der Landwirtschaft und Industrie, die sich in der Nahrungskette anreichern, Ölbelastung, Radioaktivität, Plastik und Mikroplastik und weitere mehr. Obwohl es sich größtenteils um Sedimentgründe handelt (Sand), ist bei Tauchgängen keine Spur der lebenswichtigen Seegraswiesen zu finden.62 Sie spielen im Ökosystem des Meeres allgemein und speziell auch im Mittelmeer eine entscheidende ökologische Rolle. Es überrascht auch die Abwesenheit ganzer Tiergruppen. Jeder Besucher beispielsweise der Adria kennt das Problem des massenhaften Vorkommens von Seeigeln, das stellenweise ein Betreten des Wassers erschwert oder 62

Es fehlt die wichtigste Seegrasart des Mittelmeeres, Posidonia oceanica (Neptungras).

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annähernd unmöglich macht. In Israel sind an den Felsküsten überhaupt keine Seeigel zu finden, auch keine Reste ihrer Gehäuse am Strand, was sonst an mediterranen Stränden alltäglich ist. Forscher aus Haifa (National Institute of Oceanography, http://www.ocean. org.il) bestätigen, dass die Seeigel so gut wie ausgestorben sind. In der Arbeitsgruppe von Gil Rilov laufen Experimente, die den Einfluss des Klimawandels belegen sollen. Das Wasser soll in den letzten Jahren um 3 °C wärmer geworden sein, 2013 hatte es Anfang Oktober noch 28 °C. Das entspricht tropischen Verhältnissen. Auch Seesterne fehlen komplett. Der an manchen Stellen des Mittelmeeres so prächtige, farbenfrohe tierische Bewuchs aus Bryozoen (Moostierchen), Schwämmen (Porifera) und anderen Organismen, vor allem an beschatteten Stellen, ist spärlich. Doch noch beunruhigender ist, dass ein weiterer wesentlicher Faunenfaktor der Küsten auszusterben scheint, die Erbauer der so genannten Vermetidenriffe. Für sie namensgebend ist die Gattung Vermetus, aus der Familie der Wurmschnecken (Vermetidae, Gastropoda, Mollusca), wobei die weißlichen Kalkröhren für zoologische Laien kaum als Schnecken erkennbar sind. Die Röhren sind am Substrat festgewachsen und können an wenigen Stellen des Mittelmeeres ganze Riffe aufbauen, ähnlich wie riffbildende Korallen in den tropischen Meeren. An vielen Stellen der Küste Israels findet man am Ufer erodierte, rundliche Plattformen, die manchmal eine Terrassenform aufweisen. Diese wurden überwiegend von Wurmschnecken aufgebaut, doch noch lebende Vermetiden findet man so gut wie nicht mehr, im besten Fall nur Einzeltiere, die aber kein Riff weiter bauen können. Bestehende Strukturen werden im Laufe der Zeit der Erosion zum Opfer fallen. Die genannte Arbeitsgruppe aus Haifa macht Bohrungen im Kalk und untersucht die einzigartigen Strukturen der Bohrkerne, bei denen man aber kaum noch von einem lebenden Riff sprechen kann. Eine weitere beunruhigende Beobachtung in Israels Küstengewässern ist die enorme ökologische Auswirkung der aus dem Roten Meer eingewanderten Kaninchenfische (Familie Siganidae). Zwei Arten der Gattung Siganus kommen hier häufig vor. Nur wenn man es mit eigenen Augen gesehen hat, glaubt man, wie verheerend sich Neozoen63, kleine, harmlos aussehende Fische, auf ein existierendes Ökosystem auswirken können. Die Mehrzahl der Fische, die man tauchend überhaupt zu Gesicht bekommt, sind bereits Kaninchenfische. Sie übersteigen die Biomasse und Individuenzahl der Meerbrassen (Sparidae), die man an dieser „ökologischen Planstelle“ „von Natur aus“ erwarten würde, bei weitem. Die Kaninchenfische weiden stellenweise vollständig den Algenbewuchs ab. Doch wenige Meter weiter, in seichten Bereichen des Riffs, findet sich manchmal ein schöner Algenbewuchs (der nicht nur schön ist, sondern vor allem von entscheidender Bedeutung für das Ökosystem). Erst die Wissenschaftler aus Haifa konnten eine Erklärung liefern: Wo Kaninchenfische ungestört weiden können, bleibt vom Bewuchs kaum etwas übrig. Ganz seichte Bereiche meiden die Fische aus Angst vor Prädatoren (etwa Reiher). Das führt uns zu einem weiteren Problem, zur massiven Überfischung. Öko63

Gebietsfremde, eingeschleppte oder eingewanderte Tierarten.

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logie schließt zahlreiche Faktoren mit ein, Ökologie ist gleichbedeutend mit der Erforschung von Zusammenhängen, die für uns auf der ersten Blick oft nicht erkennbar sind. Unzählige Fischer mit langen Angeln bevölkern jede Felsklippe, oft genug stehen sie auf den abgestorbenen Vermetidenriffen. Fast genauso viele Harpunenjäger begeben sich auf Unterwasserjagd. Vor der Küste ziehen große Trawler vorbei, die durch ihre Schleppnetze den Meeresgrund zerstören. Das Meer ist leergefischt. Einige wenige und viel zu kleine Schutzgebiete werden von den örtlichen Tauchern angefahren. Diese Schutzgebiete versprechen eine tolle Unterwasserwelt. Und tatsächlich sind hier Prädatoren, 64 speziell Zacken- oder Sägebarsche (Serranidae) wesentlich häufiger. Diese Prädatoren dezimieren die Kaninchenfische und lassen sie nicht ungestört den gesamten Algenbewuchs kahlfressen. So funktioniert der ökologische Zusammenhang: Prädatoren der kleineren Fische sorgen für ein Gleichgewicht und dafür, dass ein Algenbestand gedeihen kann. Im Algenbestand wiederum kann sich eine ganze Lebensgemeinschaft entwickeln und die Fischbrut verstecken. Was also prägt diese heutige Levantinische Küste Israels? Die zwei bereits erwähnten Schlagwörter reichen aus, um die Lage zusammenzufassen: Aussterben und Invasion.

Was können wir für unser „Unser Meer“ machen? Vor dem Hintergrund jahrzehntelanger Erfahrung in der mediterranen Meeresforschung fassten Fachleute im Mai 2013 wichtige Erkenntnisse in einer Charta für das Mittelmeer zusammen.65 Sie kamen zum Schluss, dass die ökologischen Probleme des Mittelmeeres, das bereits vor 2000 Jahren als mare nostrum bezeichnet wurde, brennender sind denn je. Das zu leugnen wäre töricht und unsinnig. Trotz der Veröffentlichung unzähliger wissenschaftlicher Studien und der Unterzeichnung vieler internationaler Abkommen sind die meisten erforderlichen Maßnahmen zum Schutz des Mittelmeeres nicht oder nur unzureichend umgesetzt worden. Zu den bereits bekannten Problemen wie Eutrophierung, Verschmutzung durch Schwermetalle, Rohöl und Pestizide sowie Überfischung und Zerstörung natürlicher oder naturnaher Lebensräume kommen eine Reihe neu erkannter Belastungen wie Plastikmüll, Lärm, Versauerung des Meeres sowie Einschleppung gebietsfremder Arten und Klimawandel hinzu. Diese vielfältigen Aspekte ziehen negative, sich gegenseitig verstärkende Effekte mit unabsehbaren Folgen nach sich, die von der Bedrohung einzelner Arten bis hin zur Vernichtung ganzer Lebensräume führen können. Die Beweislage für das Bestehen dieser Problematik ist mehr als ausreichend. Es ist nicht erforderlich, neue Studien durchzuführen oder kostspielige Konferenzen zur Entwicklung neuer Strategien abzuhalten, um die Probleme erneut zu definie64 65

„Raubfische“: Biologen und Naturschützer verwenden diesen Ausdruck ungern. http://fnz.at/fnz/forum/phpBB2/viewtopic.php?p=21571#p21571 [Letzter Zugriff: 25.11.2014]

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ren oder bereits bekannte Lösungsvorschläge zu wiederholen. Es reicht, die existierenden Beschlüsse umzusetzen. Trotz all der negativen Trends in vielen Problembereichen und trotz umfassender ökologischer Beeinträchtigungen ist das Mittelmeer gebietsweise noch in einem solchen Ausmaß intakt, dass die Umsetzung von Schutzmaßnahmen unmittelbar positive Wirkung hätte und in jedem Fall sinnvoll wäre. Von den Küstengebieten über das offene Meer bis hinab in die Tiefsee wird jede umgesetzte Maßnahme zur Erholung des mediterranen Ökosystems und damit zur Steigerung der Lebensqualität und zum wirtschaftlichen Erfolg aller Anrainerstaaten führen. Daher sollten nicht nur Wissenschaftler, sondern auch die breite Öffentlichkeit von der EU sowie von den zuständigen nationalen und internationalen Behörden und Institutionen fordern, die existierenden Aktions- und Strategiepläne für das Mittelmeer endlich umzusetzen. Derzeit sind bloß wenige Prozente der Fläche des Mittelmeeres als Schutzgebiete ausgewiesen. Neben der konsequenten Einhaltung der Schutzbestimmungen sollten weitere kleinräumige und deshalb rasch durchsetzbare Schutzzonen eingerichtet werden. Die meisten marinen Arten haben ein beträchtliches Verbreitungspotenzial. Ein dichteres Netz kleinräumiger Schutzgebiete würde daher die Bestände auch in nicht geschützten Bereichen deutlich erhöhen. Die Erfahrungen zeigen weltweit, dass sowohl Fischereiwirtschaft als auch Tourismus von solchen Maßnahmen profitieren. Die Weiterentwicklung des Tourismus muss jedoch verantwortungsvoll erfolgen und nicht auf Kosten der noch existierenden natürlichen Lebensräume. Nur auf diesem Wege kann für die Bevölkerung der Mittelmeerländer ein nachhaltiger wirtschaftlicher und ökologischer Erfolg erzielt werden. Das Meer ist durch Plastikmüll und dessen Zerfall zu toxischem Mikroplastik enorm belastet. Das gesamte marine Nahrungsnetz wird dadurch in Mitleidenschaft gezogen. Dieser Tatsache muss durch eine Reduktion des Kunststoffabfalls, durch technologische Innovation, forciertes Recycling und raschen Umstieg auf leicht abbaubare Materialien entgegen gewirkt werden. Gezielte Forschung, Öffentlichkeitsarbeit und Erziehung tragen dazu bei, das öffentliche Bewusstsein und die individuelle Verantwortung zu fördern und zu verstärken. Die genannten Vorschläge sind nicht unrealistisch und relativ leicht und kostenschonend umsetzbar. Sie vermögen einen effektiven Beitrag zur Bewahrung des mediterranen Lebensraums und seiner Artenvielfalt zu leisten – zum Wohl und vielfältigem Nutzen des Ökosystems Mittelmeer und der Anrainer dieses einzigartigen Meeresbeckens.

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Philosophie Die universitäre Philosophie verfügt, so wenig zeitgemäß das aus der Sicht verwandter geisteswissenschaftlicher Disziplinen klingen mag, über keine etablierte Teildisziplin, die das Mittelmeer als naturräumliche Begebenheit zum Gegenstand hat. Auch ist zur Zeit nicht absehbar, welche aktuellen philosophischen Fragestellungen zur Herausbildung einer solchen Teildisziplin beitragen könnten, zumal die Philosophie grundsätzlich der Universalisierung ihrer Problemstellungen verpflichtet ist und an Partikulärem, wie etwa einem präzise umrissenen geographischen Raum wenig Interesse hat. Allerdings ist auch unbestritten, dass die intellektuellen Techniken, denen in der Folge die Bezeichnung Philosophie beigelegt worden ist, um die Mitte des 1. Jahrtausends v. Chr. im Mittelmeerraum entstanden sind. Da ein systematisches Referat zu einer inexistenten Teildisziplin wenig Sinn macht, wird im Folgenden der bescheidene Versuch unternommen, einige Wege aufzuzeigen, auf denen die Philosophie vermittels ihrer Geschichte wieder vermehrt zum Mittelmeer gelangen könnte. Immerhin beginnt die Geschichte der Weisheitsliebe üblicherweise in Milet, einer Hafenstadt an der kleinasiatischen Ostküste der Ägäis. Dem Thales von Milet (um 600 v. Chr.) wird in der Antike ein Werk Sternkunde für Seefahrer zugeschrieben, zudem gilt er als Entdecker des Sternbilds der kleinen Bärin, dem „Führer der Phönizier auf See“ (Diogenes Laertios I, 23; Medas, 2004, S. 155–168). Zudem ist er der Mann, dem die Milesier den aus dem Meer gefischten Dreifuß übergaben, nachdem das Orakel von Delphi geraten hatte, die Meeresgabe jenem zu übereignen, „der in der Weisheit (sophia) der Erste“ sei. Thales reichte das wertvolle Stück einem anderen der Sieben Weisen weiter und dieser dem nächsten bis es schließlich zu Solon (ca. 640–560 v. Chr.) gelangte, dem letzen der Sieben, der es nach Delphi schickte (Diogenes Laertios I, 27f.). Wir wissen nicht, was genau der Thales-Schüler Anaximander (erste Hälfte 6. Jh. v. Chr.) gezeichnet hat, als er, dem Vernehmen nach als erster, die Umrisse der Erde und des Meeres auf einer Karte darstellte (Diogenes Laertios II, 2; vgl. Strabo I, 1). Welche Gestalt er den Wassermassen auch gegeben haben mag, die sich laut Platon (428–348 v. Chr.) von Phasis (am Schwarzen Meer) bis an die Säulen des Herakles (Straße von Gibraltar) erstrecken und das Meer bilden, um das herum Menschen wohnen wie Ameisen oder Frösche um einen Sumpf (Phaidon 109a-b), die griechische Philosophie hat ihren Ursprung an den Gestaden dieses Meeres. Das Mittelmeer ist der Raum der griechischen Kolonien. Es konfrontiert die Griechen mit anderen Kulturen wie der phönizischen und ägyptischen. Es ist Ort existentieller Erfahrung und naturwissenschaftlicher Neugier für jene Männer, die ihrer Mit- und Nachwelt als Philosophen gelten.

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Zwar sagt ein griechisches Sprichwort, dass die Weisen „weder lesen noch schwimmen können“ (Plato, Nomoi 689d), dennoch gehört für Platons Sokrates (469–399 v. Chr.) die Seefahrt zum alltäglichen Erfahrungshorizont, den er bei seinen Gesprächspartnern voraussetzt (vgl. z.B. Politeia 332d–333c), etwa wenn er mittels des Bildes des überforderten Schiffseigners und der zerstrittenen, inkompetenten Besatzung darlegt, dass der Staat von Philosophen regiert werden sollte (Politeia 487e–488e) (Guarracino, 2007, S. 52–54). Er selbst lässt sich von Diotima belehren, dass die Schönheit nicht in einem einzelnen Geliebten, sondern auf dem „hohen Meer der Schönheit“ (Symposion 210d) zu suchen sei. Dass das Meer dem Philosophen auch zum Verhängnis werden kann, scheint als erster der Sokrates-Schüler Aristipp von Kyrene (ca. 435–356 v. Chr.) erfahren zu haben, der gar ein Werk Über Schiffbrüchige verfasst haben soll (Diogenes Laertios II, 84). Einem Mitreisenden, der während einer stürmischen Seefahrt bemerkte, im Unterschied zu den gewöhnlichen Leuten würden sich die Philosophen im Sturm zu Tode fürchten, beschied er zur Antwort, die Unruhe beziehe sich bei den gewöhnlichen Leuten und den Philosophen nicht auf dieselbe Art von Seele (Diogenes Laertios II, 71). Von Pyrrhon (ca. 365–271 v. Chr.), Gründergestalt der skeptischen Schule, ist die gegenläufige Anekdote überliefert. Als ein Sturm die Schiffsbesatzung in Schrecken versetzte, soll er, auf ein in aller Ruhe sein Futter verzehrendes Schweinchen weisend, erklärt haben, dessen Unerschütterlichkeit sei Vorbild für das Verhalten des Weisen (Diogenes Laertios IX, 68) (Kaiser, 2011, S. 26– 35). Epikur (ca. 342–271 v. Chr.) schließlich verglich das höchste Gut der Seele mit der Ruhe eines geschützten Hafens (Plutarch, Philosophandum esse cum principibus, 778C; Salem, 1997, S. 57–61), während von Zenon von Kition (ca. 334– 362 v. Chr.), dem Begründer der Stoa, der Spruch überliefert ist: „Dieser Schiffbruch hat mich in einen sicheren Hafen geführt“ (Diogenes Laertios VII, 5; Blumenberg, 1979, S. 14). Seneca (ca. 4–65 n. Chr.) deutete der lateinischen Welt diese Szene dahingehend, dass Zenon erst dank des Schiffbruchs seiner Reichtümer die Freiheit für die Philosophie gefunden habe (De tranquillitate animi, XIV, 3). Zum Erfolg des Mittelmeeres, – andere Meere haben die Genannten, abgesehen vielleicht vom Schwarzen Meer, nicht befahren –, bei der Klärung der Seelenregungen, die dem Philosophen gut anstehen, hat möglicherweise mit beigetragen, dass der „griechischen Medizin ein besonderes Wort für Ekel, Übelsein, Erbrechen völlig fehlt“ und als Ersatz dafür der von naus (Schiff) abgeleitete Ausdruck nautia (Seekrankheit, lat. nausea) und das davon abgeleitete Verbum nautiao (die Seekrankheit haben) diente (Gerlach, 1936, S. 330f.). In der lateinischen Welt ist der Seenot des Philosophen vor allem dank Augustinus (354–430), der sie in Auseinandersetzung mit den entsprechenden Ausführungen in den Noctes Atticae (XIX, I) des Aulus Gellius (2. Jh. n. Chr.) in De civitate Dei (IX, IV) erörtert, beträchtliche Wirkung beschieden (Casagrande, 2006). Noch von Thomas von Aquino (1224/25–1274) berichtet sein erster Biograf Wilhelm von Tocco (ca. 1250–1323), wie er auf dem Weg nach Paris, wahrscheinlich im Ligurischen Meer, in einen Sturm geriet, in dem sogar die Seeleute den Tod fürchteten. Er aber blieb „während des ganzen Sturmes unerschrocken, so dass man sah, dass Gott den edlen Leib auch als Werkzeug gebildet hatte, das zu den Taten der Tugenden gehorsam diente und das niemals dem

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Urteil der Vernunft widersprach“ (Wilhelm von Tocco, 1965, S. 135). Wie Thomas diese, der Episode des im sturmgepeitschten Boot schlafenden Jesus des MarkusEvangeliums (Mk 4, 35–41) nachempfundene Begebenheit bewertet hat, ist nicht überliefert. Nachzulesen ist hingegen, wie wenig ihn die von Aristoteles (384–322 v. Chr.) in De anima (II, 1, 413a8f.) aufgeworfene Frage, ob die Seele in der Weise aktuelle Wirklichkeit des Körpers sei wie der Seemann für das Schiff, interessiert hat (vgl. Thomas von Aquino, De anima II, 2, 243). Sein Lehrer Albertus Magnus (ca. 1200–1280) allerdings erläutert zur selben Stelle, dass der Seemann das Schiff zwar mittels seines Intellekts bewege, er auf dem Schiff aber über keine Tätigkeit verfüge, die nicht mittels Bewegung und körperlicher Instrumente, wie Bramsegel und Steuerruder ausgeführt werde (De anima, II, I, 4, 70). Dass Autoren wie Albertus und Thomas, aber auch unzählige andere, sich überhaupt mit der Möglichkeit konfrontiert sehen konnten, die Welt mit Aristoteles zu erklären, ist nicht zuletzt dem Umstand zuzuschreiben, dass Seeleute die Werke der antiken Philosophen auf ihren Schiffen über die Handelsrouten des Mittelmeeres aus der Ägäis hinaus in den gesamten Mittelmeerraum trugen (Holenstein, 2004, S. 89-91). Auf dem Seeweg haben wahrscheinlich auch die Meteorologica (oder Meteora), in denen Aristoteles unter anderem maritime Strömungsverhältnisse und den Salzgehalt des Meeres untersucht (Meteor. II, 1–3), die Gestade der Ägäis verlassen. Dasselbe dürfte bezüglich der Problemata physica gelten, worin unbekannte Nachfolger des Stagiriten in dessen Namen nebst den bereits in den Meteor. besprochenen maritimen Phänomenen unter anderem erklären, wieso es vorkommt, dass Schiffe bei gutem Wetter untergehen, ohne dass Wrackstücke ans Land gespült werden (Probl. phys. xxii, 5). Nur dem Titel nach bekannt ist die Schrift des Theophrast (ca. 370 – 286 v. Chr.), dem Nachfolger des Aristoteles, Über das Meer, aber vielleicht ist sie mit dafür verantwortlich, dass christliche Autoren seit der Mahnrede an die Heiden des ps.-Justinus dem Aristoteles nachsagten, dieser sei beim Studium der Strömungsverhältnisse der Meerenge zwischen Chalkis und Euböa verzweifelt und darüber zu Tode gekommen (Justin, 1917, S. 288; Gregor von Nazianz, 1928, S. 115). Wie dem auch sei, sicher ist, dass die Werke des Aristoteles, – schenkt man dem Bericht Strabos Glauben (Geographica VIII, 54) – nach einem desaströsen Umweg über das kleinasiatische Skepsis und Rom außerhalb von Athen zusammen mit den Werken unzähliger anderer Gelehrten und Literaten zuerst in der Hafenstadt Alexandria neues Interesse generiert haben. Im Jahre 529 hatte Kaiser Justinian die Schule in Athen, wo wahrscheinlich Alexander von Aphrodisias (um 200 n. Chr.) die Meteor. kommentiert hatte, schließen lassen. Darauf setzte sich eine Reihe von Philosophen nach Persien ab, wovon nicht zuletzt ein Text zeugt, in dem einer von ihnen dem Sassanidenherrscher Ḫusrau die Gezeiten der verschiedenen Meere und Meeresregionen erläutert (Priscianus Lydus, 1886, S. 69–76). Vor allem aber avancierte Alexandria, wo etwa Johannes Philiponos († nach 567) und Olympiodoros (ca. 500 – nach 565) auch die Meteor. erläuterten, nach 529 zum wichtigsten Zentrum philosophischer Wissensvermittlung. Wie genau die Meteor., um weiterhin bei diesem Beispiel zu bleiben, von da in den syrischen und arabischen Sprachraum gelangt sind (Schoonheim, 2000), ist nicht bekannt. Dem Bericht des al-Fārābī (ca.

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870–950) zufolge ist nicht auszuschließen, dass sie samt den anderen Werken des Aristoteles nach Antiochien gebracht wurden (Rosenthal, 1965, S. 74–76), der am Orontes, nur 30 km von ihrer Hafenstadt entfernt gelegenen syrischen Metropole. Von hier aus ist sie dann wohl eher mit Karawanen denn mittels Schiffen durch die Jahrhunderte mindestens bis zu Avicenna (ca. 980–1037) weit in den arabischen Raum getragen worden. Die nachfolgenden Mittelmeerquerungen der Meteor. hingegen führen nach Sizilien und Spanien. In Toledo übersetzte Gerhard von Cremona (1114–1187) die ersten drei Bücher der Meteor. aus dem Arabischen. Deren viertes Buch bearbeitete er unter Hinweis auf dessen bereits von Henricus Aristippus († 1162) in Sizilien erstellte Übertragung nicht. Auf welchen Routen die von Gerhard übersetzten arabischen Handschriften wohl bereits zur Zeit der Umayyaden nach Spanien gelangten, wo das Corpus des Aristoteles in Averroës (1126–1198) den großen Kommentatoren fand, ist nicht bekannt. Da Maimonides (1138–1204) nach seiner Flucht aus Fez einen ganzen Monat auf dem Meer unterwegs war und dabei auch einen grässlichen Sturm überstehen musste, ehe er schließlich Akko erreichte (Graetz, 1896, S. 274; Elbogen, 1935, S. 10f.), ist anzunehmen, dass sich die Schiffspassage der in Gegenrichtung reisenden arabischen Texte nicht auf die Straße von Gibraltar beschränkte. Im Falle des Henricus Aristippus ist so gut wie sicher, dass er mindestens einige der von ihm aus dem Griechischen übersetzten Werke auf dem Seeweg aus jenem Konstantinopel, dessen Hafen laut Manuel Chrysolares (ca. 1350–1415) „alle Häfen der Welt an Größe und Sicherheit übertrifft und der alle Trieren und Lastschiffe, die jemals gebaut wurden, in sich aufnehmen könnte“ (Chrysoloras, 1954, S. 127), nach Sizilien gebracht hat. Der Mann, dem wir den entsprechenden Bericht verdanken, hat sich nach Sizilien aufgemacht, nachdem er in Salerno von den neuen, aus Konstantinopel mitgebrachten Werken gehört hatte (Haskins, 1927, S. 191–193). In Salerno hatte er Medizin studiert, die Wissenschaft also, für die die Hafenstadt berühmt war, seit Alfanus von Salerno (ca. 1015–1085) medizinische Grundlagentexte aus dem Griechischen und Constantinus Africanus († 1087) ebensolche Werke aus dem Arabischen übertragen hatten. Einer zeitgenössischen Quelle zufolge war letzterer ein sarazenischer Kaufmann, der, nachdem er in Salerno das Fehlen entsprechender lateinischer Fachliteratur festgestellt hatte, nach Afrika ging und dort einige Jahre Medizin studierte. Danach kehrte er mit arabischer Fachliteratur versehen nach Salerno zurück, wo er mindestens einen Teil jener Schriften, die einen Seesturm, in den er bei Palinuro geraten war, heil überstanden hatten, ins Lateinische brachte (Ricklin, 2010, S. 128). Dass mediterranen Hafenstädten in der Geschichte der lateinischen Übersetzungsbewegung eine tragende, bisher kaum wahrgenommene Rolle zukommt, lässt sich anhand anderer bedeutender Übersetzer bestätigen. So hat Leo, Archipresbyter von Neapel wohl um das Jahr 960 die erfolgreichste lateinische Bearbeitung des griechischen Alexanderromans zu verantworten. Jacobus Veneticus († nach 1147), der, wie sein Name anzeigt, aus Venedig stammt, hat eine ganze Reihe Aristotelischer Schriften ebenfalls aus dem Griechischen übertragen (Bonmariage, 2002a, S. 736f.), wie dies auch Burgundio von Pisa (ca. 1110–1193) getan hat, der zudem theologische und medizinische Werke übersetzt hat

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(Bonmariage, 2002b, S. 201f.). Diesen drei Übersetzern ist gemeinsam, dass sie sich über kürzere oder längere Zeit in Konstantinopel aufgehalten haben, wobei die beiden letzteren bezeichnenderweise aus Seerepubliken stammen, die in der byzantinischen Metropole nicht nur über Handelsniederlassungen, sondern über eigene Stadtviertel verfügten. Als Bischof von Korinth, einer wichtigen Station im Schiffsverkehr zwischen Westen und Osten, hat zudem Wilhelm von Moerbeke († 1286), der mit Abstand produktivste lateinische Aristoteles-Übersetzer des 13. Jahrhunderts sein Leben beendet. Trotz dieser und vieler anderer Lebensläufe, die davon zeugen, dass das Mittelmeer im Mittelalter privilegierter Ort philosophiehistorisch höchst signifikanter Kulturkontakte war, reflektieren mittelalterliche Autoren diese Dimension ihres Meeres nur selten. Francesco Petrarca (1304–1374) zum Beispiel weiß genau, dass Handschriften griechischer Autoren mitunter auf dem Seeweg nach Italien gelangen. So bezeugt es sein Brief, mit dem er Boccaccio mitteilt, dass ihr Freund Leonzio Pilato auf der Passage von Konstantinopel nach Venedig vom Blitz erschlagen worden ist (Seniles VI, 1). Als er aber im Jahr 1358 in Form eines maritimen Reiseberichts zum Heiligen Grab am Schreibtisch einen literarischen Portolan verfasst, strotzt dieser zwar von antiken Reminiszenzen, doch das Mittelmeer als Kulturraum der Gegenwart spielt auch auf dieser Reise keine Rolle. Eine Ausnahme im Reigen der Lateiner, die vom mediterranen Kulturtransfer profitieren, sich aber weigern, aktiv an einer mediterranen Identität zu partizipieren, stellt allenfalls Giovanni Boccaccio (1313–1375) dar. Schon dass sein Decameron kreuz und quer über das Mittelmeer führt, ist bemerkenswert. Wenn er im Prolog seiner Genealogien der Götter der Heiden erklärt, er habe die zum Verfassen dieses Werkes nötigen Bücher gleich den „von einem großen Schiffbruch auf weitem Gestade verstreuten Bruchstücken“ zusammen gelesen (I, prol. 40), dann bringt er wahrlich mit seltener Eindringlichkeit zum Ausdruck, wie viel die lateinische Kultur mediterranem Meeresgut verdankt. Viele italienische Gelehrte der unmittelbar auf Boccaccio folgenden Generationen haben sich bekanntlich aktiv um griechische Handschriften aus Byzanz bemüht und haben zum Teil am Bosporus Griechisch gelernt. Einzelne wie Ciriaco d’Ancona (1391–1452) oder Cristoforo Buondelmonti (um 1420), Verfasser eines Liber insularum archipelagi, haben gar die Ägäis bereist und beschrieben. Andere, wie Nicolaus von Kues (1400–1464), dem das himmlische Geschenk der docta ignorantia nach eigenem Bekunden im Verlauf der zweieinhalb Monate dauernden Rückreise von Konstantinopel nach Venedig auf dem Meer zuteilwurde (Nicolaus von Kues, 1999, S. 99f.), hielten sich der kirchlichen Unionsbemühungen wegen in Konstantinopel auf. Doch nachdem die Stadt 1453 von den Truppen Mehmed II. eingenommen worden war, wurde es zusehends schwieriger, intellektueller Erzeugnisse der griechischen Kultur habhaft zu werden. Das Tollste, was sich ein Mann wie Lorenzo de’ Medici (1449–1492) aus dem mittlerweile mamelukischen Ägypten wünschen konnte, war eine Giraffe (Belozerskaya, 2006). Intellektuelle Schätze schien der östliche Mittelmeerraum für ihn und seine Zeitgenossen nicht mehr zu bergen, umso mehr als seit einiger Zeit die Weiten des Atlantischen Ozeans von Schiffen erschlossen wurden. An den von der portugiesischen und der spanischen

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Krone vorangetriebenen Erkundungen der neuen Routen waren nebst italienischen Investoren auch viele italienische Seeleute beteiligt, die, wie Dantes (1265– 1321) Odysseus Sevilla zur Rechten und Ceuta zur Linken lassend, aber wohl eher selten nur „nach Tugend und nach Kenntnis strebend“, über die Säulen des Herkules hinaus segelten (Inf. XXVI). Einem Gefährten des Florentiners Amerigo Vespucci (1452–1512) will denn auch Thomas Morus (1478–1535) die Kunde von jener neuen Insel Utopia (1516) verdanken, die wie kein anderes Werk für die neue Weltkarte der europäischen Philosophie steht, auf der das Mittelmeer auf lange Zeit höchstens noch als erholsames Nebengewässer eingezeichnet ist, wobei für die Gegenwart als einigermaßen bezeichnend gelten darf, dass das Lexikon der Raumphilosophie (Günzel, 2012) zwar ein Lemma ‚Meer‘, aber kein Lemma ‚Mittelmeer‘ kennt. Wie gesehen, ist das Mittelmeer von Beginn der philosophischen Tradition an, ein wichtiger Raum epistemischer Erschließung und existenzieller Erfahrungen gewesen. Diese Ansätze werden gegenwärtig von einzelnen italienischen Philosophen aufgegriffen, allen voran von Cacciari (1977) sowie in dessen Kielwasser etwa Idotta (2009) und Aresu (2006), der indes auch auf den Weltmeeren kreuzt. Allerdings fehlt der Philosophie, wie auch der Philosophiegeschichte ein Ferdinand Braudel, der die Disziplin mit dem elementaren Faktum ihrer Mediterranität konfrontiert. Entsprechend kann die Philosophie im mediterranistischen Kontext gegenwärtig kaum als Impulsgeberin auftreten. Erst in Umrissen zeichnen sich zudem die Möglichkeiten ab, die sich aus dem Aufgreifen entsprechender Fragestellungen für die Philosophiegeschichte ergeben. Aus einer philosophiehistorischen Perspektive dürfte es gewinnbringend sein, die philosophische Kultur, die sich rund um das Mittelmehr in verschiedenen Sprachen und Religionen entwickelt hat, vermehrt als Migrationsphänomen zu betrachten, das sich primär dem Umstand verdankt, dass dieses Meer über Jahrhunderte hinweg eine große Mitte bildete, die unterschiedliche geographische Räume und Kulturen verband und zur Ausbildung einer höchst effizienten philosophischen Koine geführt hat. Es bleibt zu hoffen, dass das Wissen um die gemeinsame philosophische Sprache des Mittelmeerraums das Ihre dazu beitragen wird, dass das Meer, das über viele Epochen hinweg Asien, Afrika und Europa verbunden hat, wieder vermehrt zu dem philosophischen Binnengewässer wird, das es einmal war.

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Politikwissenschaft Definition des Faches und Relevanz des Mittelmeerraums für das Fach Politikwissenschaft (auch Politische Wissenschaft, Wissenschaft von der Politik, Politologie) beschäftigt sich als sozialwissenschaftliche Disziplin mit verschiedenen Facetten der Politik als jener sozialen Sphäre, in welcher kollektiv verbindliche Entscheidungen gefällt und legitimiert werden (Easton, 1967). Hier werden Ziele verfolgt und Probleme bearbeitet, die weder (allein) durch individuelles Handeln noch durch freiwillige Kooperation noch durch Transaktionen auf Märkten erreicht bzw. gelöst werden können (Scharpf, 2000). Brauchbar ist die übliche heuristische Unterteilung des Politischen in drei Aspekte (Rohe, 1994): Polity (als das zielgerichtete Zusammenwirken von Bürgerinnen und Bürgern unter normativen, verfassungsmäßigen und institutionellen Gesichtspunkten), Politics (darunter werden prozedurale Aspekte der Gewinnung und Erhaltung von Macht subsumiert) und Policy (resp. Politikfelder als sachlich-materielle Gegenstände der Politik). In realen politischen Prozessen fließen diese Aspekte jeweils zusammen. Die Politikwissenschaft entwickelte sich aus diversen Geistes- und Sozialwissenschaften, dabei war sie in Deutschland rechts- und staatswissenschaftlich auf die Vollzüge des politisch-administrativen Systems ausgerichtet (Bleek, 2001). Die Diffusion des Faches in Universitäten und als Berufsfeld in Vermittlungs- und Beratungstätigkeiten erfolgte nach dem Zweiten Weltkrieg von den USA aus. In den vom Faschismus und von autoritärer Herrschaft befreiten Ländern fungierte sie zum Teil ausdrücklich als „Demokratiewissenschaft“, mit engen Bezügen zur sozialwissenschaftlichen Modernisierungstheorie. Einflüsse der Staats- und Verfassungslehre, der Zeitgeschichte, der (politischen) Soziologie, der Geographie, der politischen Philosophie und weiterer Fächer sind damit nicht aufgegeben worden, die Geschichte der politischen Ideen bzw. Theorien ist ein wichtiger Zweig der Lehre und Forschung (Fetscher u. Münkler, 1985–1993). Überwiegend befasst sich die empirische Politikforschung heute mit der Analyse von Wahlen, Parteien und damit zusammenhängenden Phänomenen, generell mit politisch-sozialen Macht-Konflikten und ihrer friedlichen bzw. gewaltförmigen Lösung. Politikwissenschaft behandelt dabei liberal-demokratische und autokratische Herrschaftssysteme, als Königsweg gilt die Methode des empirischen Vergleichs (v. Beyme, 1988). Relative Eigenständigkeit erlangt haben die „Internationalen Beziehungen“, wobei sich Innen- und Außenpolitik nur heuristisch trennen lassen und das Interesse sich von engeren Regierungs- und DiplomatieInstitutionen auf Governance-Strukturen und zivilgesellschaftliche Akteure verlagert hat. Heute werden transnationalen und transkulturellen Dimensionen und

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Wechselwirkungen unter den Auswirkungen ökonomischer und kultureller Globalisierung größere Beachtung geschenkt. Der Mittelmeerraum spielt in der Politikwissenschaft historisch wie aktuell keine herausragende Rolle, weder im Blick auf seine naturräumlichen oder humangeografischen Grundlagen, noch im Blick auf seine regionale Konstitution als politisch-administrative oder politisch-kulturelle Entität. Anders als in der Historiografie und Sozialanthropologie wird die Méditerranée von der Politikwissenschaft selten als Ganze in den Blick genommen, auch nicht als Beispiel für Region-Building (Kühnhardt, 2010), eine regionale Integration, wie sie etwa die EU-Mittelmeerunion bietet. Der Grund dafür ist die hochgradige Heterogenität der Mittelmeerregion unter sozio-ökonomischen (Entwicklungsgefälle), soziokulturellen (säkulare und religiös geprägte Gesellschaften) und politisch-kulturellen Gesichtspunkten (Israel-Palästina-Konflikt), die sich mit zahlreichen Indikatoren belegen lässt (Leggewie, 2012, S. 232–241). Eine andere Perspektive bietet sich, wenn man die „Euro-Méditeranée“ als Problemgemeinschaft definiert, wie dies am Ende dieses Beitrags umrissen werden soll.

Forschungsgeschichte des Faches in Bezug auf Mittelmeerforschung Obwohl die Politikwissenschaft im Allgemeinen eine starke Affinität zu AreaStudies und Länder- bzw. Gesellschaftsvergleichen aufweist, hat sie sich selten mit einzelnen politischen Systemen des Mittelmeerraumes beschäftigt und solche nur gelegentlich in überregionale Vergleiche einbezogen. Zu verweisen ist allerdings auf einige Klassiker des Faches, die aus dem Mittelmeerraum stammen oder über ihn gearbeitet haben. Um einige auf Italien bezogene Autoren exemplarisch zu nennen: Gaetano Mosca (* 1858; † 1941) hat den Begriff der politischen Klasse geprägt und ist ein einflussreicher Elitentheoretiker geblieben (Mosca, 1896; 1950), Giovanni Sartori (*1924), Professor für Politikwissenschaft u. a. in Florenz und an der Stanford University sowie Gründer der Rivista Italiana di Scienza Politica, hat wichtige Beiträge zur Parteien- und Demokratietheorie geliefert (Sartori 1987; 1997). Der amerikanische Politologe Robert Putnam hat mit seinem Standardwerk Making Democracy Work: Civic Traditions in Modern Italy (1993) einen Schlüsseltext zum Sozialkapital verfasst (Putnam, Leonardi u. Nanetti, 1993). Alle drei Werke weisen ein starkes mediterranes Kolorit auf und haben die Diskussion der drei Zentralbegriffe der Politikwissenschaft nachhaltig beeinflusst. Auch die „Geschichte der politischen Ideen“ bzw. die „Politische Theoriegeschichte“ führt zurück auf diverse Klassiker politischen Denkens von Aristoteles bis Giambattista Vico und Benedetto Croce, die in heutigen Mittelmeerländern beheimatet waren. In diesem Licht erscheint der Mittelmeerraum als wichtigste Quelle der politischen Ideengeschichte Europas seit der griechischen und römischen Antike; die Grundlagen der Herrschaftstypologien und der politischen Weltanschauungen sind in diesem Raum formuliert und tradiert worden. Jede Politikwissenschaft, die sich dieser Herkunft bewusst ist, wird diese Traditionslinie betonen, die im Blick auf die romanophone Aufklärung in Frankreich und Italien bis in die

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Moderne und Postmoderne hineinragt. Nicht zu vergessen ist die christlichjüdisch-islamische Koexistenz in Sizilien und Andalusien sowie im südlichen Balkan, die unabdingliche Übersetzungen und Transfers der antiken Tradition in die Neuzeit erbracht und als convivencia eine zeitweise beispielhafte religiös-kulturelle Wechselwirkung erreicht hat (Mann u. a., 1992). In der historischen Forschung wird neuerdings die avancierte Vernetzung der mediterranen Städte und Küsten durch Handelsbeziehungen, religiöse Gemeinschaften und politische Verbindungen vor der Herausbildung des modernen Nationalstaates herausgearbeitet – eine Vorlage für die politikwissenschaftliche Staatstheorie und Muster für eine Politisierung ohne Ausgreifen in die Fläche, wie sie mit den imperialen Gebilden (spanische Habsburger, Osmanisches Reich) und Nationalstaaten eingetreten ist. Auch Grundfiguren und -begriffe der Demokratietheorie bzw. des Republikanismus stammen aus dieser klassisch-humanistischen Tradition (Meier, 1980). Große Teile der in den Mittelmeer-Ländern gelehrten Politikwissenschaft sind ideengeschichtlich ausgerichtet geblieben und haben die Nähe zu Geschichtswissenschaft und Philosophie beibehalten. Die „Internationalen Beziehungen“ (International Relations, neuerdings auch Global Governance-Forschung) haben sich dem mediterranen Raum nicht systematisch zugewandt. Das verblüfft, da in historischer Hinsicht das römische mare nostrum eine imperiale Protogeschichte der Globalisierung darstellt und die erste ökonomisch-kulturelle Achse der Globalgeschichte durch den Mittelmeerraum verläuft. Seit dem 16. Jahrhundert hat sich die Zentralachse in den Nordatlantik sowie neuerdings in den asiatisch-pazifischen Raum verschoben. Doch mit dem Nahostkonflikt ist eine die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart hinein prägende regionale Konfliktformation in der südöstlichen Mittelmeerzone entstanden, die paradigmatisch ist für „schwierige“ multidimensionale Konflikte der Internationalen Politik. In der jüngeren Entwicklung der Politikwissenschaft war die Mittelmeerregion ein Schauplatz der modernen Faschismustheorien und der Analyse der Entstehung und Transformation (semi-)autoritärer Herrschaftssysteme. Bedeutsame Beiträge gab es v.a. aus Italien, aber auch aus Griechenland, Spanien und Portugal, insbesondere zum Vergleich des italienischen Faschismus mit dem deutschen Nationalsozialismus resp. anderen Spielarten autoritärer und faschistoider Herrschaft. Originäre Kategorien des Faches haben sich dabei nur am Rande entwickelt, beispielhaft der Begriff Caudillismo, der allerdings mehr an lateinamerikanischen Fällen ausbuchstabiert wurde. Nach 1900 war der Mittelmeerraum wegen seiner sozioökonomischen, aber auch politisch-kulturellen „Rückständigkeit“ von Interesse; wirtschaftshistorische und -wissenschaftliche Beiträge dominieren hier, die Mittelmeerregion bildet einen Teil der Entwicklungsforschung.1 Verstärkt hat sich das Interesse mit dem (politisch motivierten) Beitritt südeuropäischer Länder (PIGS) zur Europäischen Union und in den Euroraum. Dabei interessierte sich Politikwissenschaft stärker für die Region im Rahmen der „dritten Welle der Demokratisierung“ in den 1970er Jahren (Huntington, 1991), auch 1

Dazu http://www.femise.org/en/ und Costa-Font, 2012.

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unter Berücksichtigung der Entwicklung eurokommunistischer Parteien, Gewerkschaften und Bewegungen, die teils mit Sympathie, teils aus antiextremistischer Position als Bedrohung der parlamentarischen Demokratie gesehen wurden (Timmermann, 1979). Lange Zeit galten Frankreich, Italien, Spanien, Portugal und Griechenland als Horte eines stärkeren, dabei oft anarcho-syndikalistisch ausgeprägten Klassenbewusstseins mit hohen Wähler-Anteilen für Linksparteien, einem hohem Organisationsgrad in Gewerkschaften und militanten Rhetoriken und Aktionsformen. Interesse fanden schließlich die ethnischen Minderheiten und die regionalistischen Autonomie- und Segregationsbewegungen rund um das Mittelmeer (Okzitanien, Katalonien, Baskenland, Korsika, Andalusien, Kabylei) (Gerdes, 1987). Ein generelles Manko der politikwissenschaftlichen Forschung zum Mittelmeerraum liegt zusammenfassend darin, dass sie die überwiegende monografische Beschränkung auf einzelnen Länder (in der Regel bearbeitet von monokulturellen Autoren und Teams aus diesen Ländern selbst) nicht überwunden hat, methodologisch anspruchsvolle vergleichende Studien aus der Region über die Region also Seltenheitswert besitzen. Die Politikwissenschaft hat nicht zu dem holistischen Begriff der „mediterranen Welt“ gefunden, der die Geschichtswissenschaft nach Braudel (1949) und Teile der Sozialanthropologie (Bromberger, 2011) geprägt hat. Auch in dem maßgeblichen Werk von Horden, Purcell „The Corrupting Sea“ (2000) spielen politikwissenschaftliche Beiträge und Anschlüsse unter allen drei Facetten des Politikbegriffs kaum eine Rolle. Dieser Provinzialismus behindert auch den Austausch nationaler Fachtraditionen, wobei sich Fachvertreter der Mittelmeer-Länder in den vergangenen zwei, drei Jahrzehnten erheblich stärker an die internationale, vor allem allerdings anglo-amerikanische Forschungslandschaft angeschlossen haben. Lange fehlte es an einer synergetischen Forschungsstruktur, wie sie ansatzweise das Centre des Recherches et d’études méditerranéennes (CRESM) in Aix-enProvence zu bieten hatte. Die hier exemplarisch dargestellte Geschichte des CRESM verweist auf die (Dis-)Kontinuität der Mittelmeer-Forschung der französischen Sciences Politiques, die aus spätkolonialen Kontexten erwachsen ist. 1958 entstand in Aix-en-Provence das Centre d’Etudes Nord-Africaines (CENA), unter der Leitung von Jean-Paul Trystram. 1962 entstand das interdisziplinäre, an das CNRS angeschlossene Centre de recherches sur l’Afrique Méditerranéenne (CRAM) mit Abteilungen der Altertumswissenschaft, der Zeitgeschichte und der Algerien-Forschung. 1964 erschien hier erstmals das Annuaire de l’Afrique du Nord (AAN). 1969 wurde das Zentrum regruppiert als Institut de Recherches Méditerranéennes (IRM) unter anderen mit folgenden Abteilungen: Centre d’Etudes des Sociétés Méditerranéennes (CESM, Leitung: Georges Duby), Centre de Recherches et d’Etudes sur les Sociétés Méditerranéennes (CRESM, Leitung Roger Le Tourneau); Institut d’Histoire des Pays d’Outre-Mer (IHPOM, Leitung Jean-Louis Miège). Das CRESM widmete sich unter den Direktoren Charles Debbash, Maurice Flory und André Raymond und Forschern wie Bruno Etienne der rechts- und politikwissenschaftlichen Erforschung von Maghreb und Maschrek und ging Mitte der 1980er Jahre unter Federführung des CNRS im Institut

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Fédératif IREMAM an der Université de Provence auf. IREMAM umfasst neben dem CRESM das Centre de Recherche sur l’Orient Arabe Contemporain (CEROAC), die Groupe de Recherche et d’Etudes sur le Proche-Orient (GREPO), die Équipe de Recherche « Anthropologie des zones berbères et sahariennes », das Laboratoire d’Anthropologie et de Préhistoire des Pays de la Méditerranée Occidentale (LAPMO) und die Équipe de Recherche « Espace et Aménagement dans le Monde Arabe » de l’Institut de Géographie de l’Université d’Aix-Marseille II. Seit 1997 wird IRENAM geleitet von der Zeithistorikerin Ghislaine Alleaume. Eine weitere interdisziplinäre Struktur ist an der Maison méditerranéenne des sciences de l’homme (MMSH) mit folgenden Laboratoires entstanden: Institut de Recherche sur l'Architecture Antique (IRAA), Centre Paul-Albert Février (CPAF), Laboratoire Méditerranéen de Préhistoire Europe Afrique (LAMPEA), Laboratoire d’Archéologie Médiévale et Moderne en Méditerranée (LA3M), Centre Camille Jullian - Archéologie méditerranéenne et africaine (CCJ), Centre d’Étude des Mondes Africains (CEMAf – Aix), Institut de Recherches et d'Etudes sur le Monde Arabe et Musulman (IREMAM), Temps, Espaces, Langages, Europe Méridionale, Méditerranée (TELEMME), Institut d’Ethnologie Méditerranéenne, Européenne et Comparative (IDEMEC), Laboratoire Méditerranéen de Sociologie (LAMES). Fachvertreter der Politikwissenschaft aus den Mittelmeerländern nehmen in der Regel (anders als, um hier nur ein Beispiel zu nennen, der Spanier Fernando Vallespin), keine Spitzenposition im globalen Vergleich ein, weder in der Forschungsevaluation noch in den politikwissenschaftlichen Vereinigungen. Interdisziplinäre und länderübergreifende Zentren für Mittelmeerforschung gibt es auch im Mittelmeerraum selbst nur sehr wenige; die meisten sind unterausgestattet und nicht auf der Höhe der sozialwissenschaftlichen Forschung. Forschungsreports zur Lage der politik- und sozialwissenschaftlichen Mittelmeerforschung sind Mangelware, eine systematische Evaluation und Defizitanalyse fehlt weitgehend. Für die Internationalen Beziehungen ist bedeutsam, dass der Mittelmeerraum nach dem Zweiten Weltkrieg ein Schauplatz des Kalten Krieges war, den sich die beiden „Supermächte“ asymmetrisch aufteilten – die meisten europäischen Anrainer inkl. der Türkei wurden NATO-Mitglieder, die blockfreien arabischen Länder, allen voran Ägypten, starteten Sozialismusexperimente und pflegten eine militärische und politische Kooperation mit der Sowjetunion (Schumacher, 2005). Der (Wahrnehmung der) Einheit des Mittelmeerraumes war dieser Antagonismus äußerst abträglich. In den arabischen Ländern dominierte eine Abart der sowjetmarxistischen Entwicklungsideologie, in den südeuropäischen Ländern setzten sich indirekt geopolitische- und geostrategische Interessen des Westens durch, auch die Interessen der ehemaligen Kolonialmächte in der Region, Großbritannien, Frankreich und Italien, schlugen durch. Ein erneuter Politisierungsschub erfolgte mit dem fast allseits erwünschten EUBeitritt, hier mit bemerkenswerten Ergebnissen für die Autoritarismus- und Demokratieforschung. Ähnliches wiederholte sich mit dem Beginn der Demokratieund Aufstands-Bewegungen in den arabischen Ländern, ausgehend von Tunesien und Ägypten, die jedoch auch zeigte, wie wenig die sozialwissenschaftliche Forschung auf der Höhe ihrer Zeit und wie gering ihre Prognose- und Orientierungs-

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fähigkeit war. Eine Konzentration und Fokussierung der politik- und sozialwissenschaftlichen Mittelmeer-Forschung ergab sich durch den politischen Anstoß des Barcelona-Prozesses 1995ff., der 2007/08 in die Mittelmeerunion mündete. Gegründet wurde 1996 die EuroMeSCo (Euro-Mediterranean Study Commission), „the main network of research centres on politics and security in the Mediterranean [...] with the goal of fostering research, information and social relations among its members as well as acting as a confidence-building measure in the framework of the Barcelona process.“ Die EuroMeSCo fasst 93 Institute aus 33 von 43 Mitgliedstaaten der Mittelmeerunion. Das Netzwerk ist praxisnah und anwendungsorientiert und widmet sich den strategischen Problemen der Region, überwiegend aus der Perspektive der International Relations.

Gegenwärtige mediterranistische Forschungsfragen und Perspektiven Aus den vorhandenen Schwerpunkten und den benannten Defiziten kann man eine umfangreiche politikwissenschaftliche Forschungsagenda zur MittelmeerRegion skizzieren, die in zwei Richtungen weist: Erstens sollte sich die Politikwissenschaft inhaltlich wie institutionell intensiver in den inter- und transdisziplinären Austausch der mit der Mittelmeer-Region befassten Disziplinen einbringen, zweitens sollte sie die historischen Qualitäten des Politischen in den Entwicklungsphasen der Region mitsamt ihren aktuellen Konfliktlinien und Entwicklungsdynamiken ganzheitlich anfassen. Dabei sollte die Politikwissenschaft ihre spezifischen Ansätze und Methoden in Abstimmung mit den übrigen Sozial-, Geistes- und Kulturwissenschaften entfalten; wichtige Hinweise boten zuletzt die Darstellungen von Abulafia (2011) und Horden und Purcell (2000), die die Einheit des Raums, seine alten und neuen Netzwerkstrukturen (Greverus u. a., 2002), sein hohes Maß an religiöser und kultureller Vielfalt (Husain u. Fleming, 2007) und nicht zuletzt seine natürlichen Grundlagen ins Zentrum rücken. Die Beiträge der Politikwissenschaft können mit herkömmlicher Komparatistik beginnen; bisher sind Datensammlungen und Handbücher, die das gesamte Mittelmeer-Gebiet umfassen, Mangelware, ebenso fehlen elaborierte Vergleiche zu Mittelmeer-typischen Policy Issues und Politikfeldern bzw. Studien zu den neuen sozialen Bewegungen, die 2011 rund um das Mittelmeer von sich reden machten, darunter die Aufstände in den arabischen Ländern. Die Einordnung dieser Demokratisierungswelle wird eine große Aufgabe der Politikwissenschaft sein, auch der Abgleich mit Prognosen, die aus dem Verdikt früherer Studien zum arabischen Autoritarismus rührten (Schlumberger, 2007); in diesem Sinne verdienen auch die Türkei-Studien Beachtung, die den Ausgleich zwischen religiösen und säkularen Kräften in der AKP als modellhaft für Maghreb und Maschrek ansehen. Die Politikwissenschaft findet im Mittelmeer-Raum sehr viel unfinished business vor, zugleich liefert die aktuelle Dynamik wöchentlich neues Anschauungsmaterial. Statt eine lange Mängel- und Wunschliste politikwissenschaftlicher MittelmeerForschung aufzustellen, soll an einem Fallbeispiel, der euro-mediterranen RegionsBildung, eine vermutlich fruchtbare Forschungsperspektive skizziert werden, die

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den Mittelmeer-Raum als solchen thematisiert (im Anschluss an Leggewie, 2012). In den 1990er Jahren, nach der Beendigung des Ost-West-Konflikts, startete das auf 15 Mitglieder erweiterte Europa den Barcelona-Prozess, der 1995 die EuroMediterrane Partnerschaft (EUROMED) begründete und 2008 in die Union for the Mediterranean (UfM) mündete (Jünemann, 2012a). Man kann diese Entwicklung als Erfolgsgeschichte lesen, die – auf EU-typische Weise – durch wirtschaftliche Verflechtung und unter Betonung der kulturellen Gemeinsamkeiten politische Kooperation hervorbringt. Der durchschnittliche Wohlstand der Mittelmeerregion hatte seit den 1970er Jahren beträchtlich zugenommen, die Völker sind freier und mobiler geworden, und mit der UfM ist ein durchaus anspruchsvoller politischinstitutioneller Rahmen geschaffen worden, der nicht nur Wachstum und Wohlstand, sondern auch die Förderung von Demokratie und Bürgerrechten, gutes Regieren und kulturellen Austausch ins Zentrum gerückt hat. Kritische Beobachter der Region bieten eine weniger optimistische Lesart: Die Europäische Union ist ökonomisch mit ihrem regionalen Assoziationsprojekt gescheitert, während das Mittelmeer in einen Aggregatzustand von Armut, Gewalt und Autokratie zurückzufallen droht. Die ungelöste Finanzkrise bedroht den Zusammenhalt der südeuropäischen und nordafrikanischen Gesellschaften und stürzt vor allem die junge Generation in eine Existenzkrise. Politisch droht der Nahostkonflikt weiter zu eskalieren; während sich die ehemaligen Supermächte nicht länger als Leitwölfe ihrer einstigen Bündnispartner betätigen (können), hat sich die Europäische Union – weder als Ganze noch durch einzelne Mächte repräsentiert – als Konflikt-Schlichter im Palästinakonflikt aufdrängen können. Und in der arabischen Welt ist Europa wegen der langjährigen Unterstützung der Autokratien schlecht angesehen und bei Islamisten ohnehin keine gute Adresse. Zu erwähnen ist, dass EUROMED und UfM sechs konkrete priority projects vorgeschlagen haben, für die 72 Millionen Euro und zusätzliche Mittel der Europäischen Investitionsbank, der Weltbank und privater Banken bereitgestellt werden sollten. Diese waren – Umweltschutzmaßnahmen, speziell verbesserter Zugang zu Trinkwasser, Erhaltung der Biodiversität und Meeres- bzw. Küstenschutz, – Infrastrukturmaßnahmen zur Verbesserung der Transportmöglichkeiten zu Land und zu Wasser (Ausbau des Autobahn- und Eisenbahnnetzes, darunter die Transmaghrebi-Eisenbahn, und bessere Verbindungen zwischen Häfen), – Ausbau der zivilen Katastrophenprävention und -hilfe, – Ausbau der Solar- und anderen erneuerbaren Energien und Aufbau eines transmediterranen Netzes, – Euro-Mediterrane Universitäten in Piran/Slowenien und Fes/Marokko und – eine Mediterranean Business Development Initiative zur technischen und finanziellen Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen. Geschehen ist auf diesen nicht unwichtigen Feldern unterm Strich nicht viel, weil es an Durchschlagskraft, Führung und Kohärenz mangelt, die Projekte durchweg unterfinanziert sind und sie vor allem keinen kohärenten Zusammenhang aufwei-

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sen. Es gibt weder ein überzeugendes Monitoring noch eine Evaluation der Mittel, die in diesen Gebieten verausgabt worden sind. Für einen möglichen Neuanfang ist diese schonungslose Bilanz des Scheiterns geboten (Jünemann, 2012a; Möller, 2011; Tocci, 2012): Erstens hat die EU den Mittelmeerraum in der letzten Dekade vornehmlich als Zone der Bedrohung wahrgenommen, als Quelle von Drogenhandel und organisierter Kriminalität, als Ausgangspunkt oder Durchgangsstation illegaler Einwanderung, als Drehscheibe islamistischen Terrors und politischen Extremismus aus dem Mittleren Osten, als Achillesferse der europäischen Energieversorgung. In dieser Sichtweise musste der reiche Norden vor der südlichen Peripherie vornehmlich in Deckung gehen und für seine eigene Sicherheit sorgen. Ebenso wenig aufgegangen ist zweitens die Erwartung der EU, den Anfang der 1990er Jahre mit den Oslo-Verträgen eingeleiteten Friedensprozess im Nahostkonflikt befördern und auf diesem Weg als Friedensstifter im östlichen Mittelmeerraum wirken zu können. Drittens ist auch Sarkozys Entpolitisierung (und die normative Abrüstung) der Mittelmeerpolitik gescheitert: In den konkreten Agenden ist man zu wenig vorangekommen und hat sie nicht zu einer kohärenten Entwicklungspolitik bündeln können, während sich das europäisch-arabische Verhältnis vor allem nach 2000 politisierte und antagonistisch auflud. Der außen- und sicherheitspolitische Erfolg, den Sarkozy als Präsident einer ehemaligen Groß- und wankenden Mittelmacht einheimsen wollte, blieb aus, während der auf unterer Regierungsebene stattfindende Austausch mit den autokratischen Regimen durch die von unten wachsende Demokratiebewegung blamiert wurde (Asseburg, 2011). Welche Schlüsse kann man aus diesem Misserfolg nun für ein alternatives Projekt der (Sub-) Regionsbildung ziehen? Zwei Wege scheinen ausgeschlossen: Eine EU-weite Mittelmeerunion mit türkischen, jüdischen und arabischen JuniorPartnern zeichnet sich naturgemäß durch hochgradige Heterogenität aus, die leicht in Fragmentierung enden kann. Eine rein romanisch-arabische Union kann auf ein kohärenteres Kulturerbe zurückgreifen, sie wird jedoch vom Israel-PalästinaKonflikt belastet und zerteilt. Der eine Ansatz ist zu groß und unverbindlich, der andere zu klein und rückwärtsgewandt – der Ausweg liegt nicht irgendwo bei einer mittleren Zahl von Mitgliedern, sondern in einem Dritten, einem gemeinsamen Projekt. Die Form der Mittelmeerunion muss ihrer Funktion folgen. Ob die Europäische Integration in der historisch beobachteten Weise – jede Krise der Integration treibt jeweils neue Fortschritte derselben hervor – gerettet und weiterentwickelt werden kann, vermag 2012 niemand zu prognostizieren. Nur begrenzt hilft auch die wissenschaftliche Debatte über die bisherigen Philosophien und Treiber der Integration weiter, die hier ganz knapp zusammengefasst sei (Wiener u. Diez, 2009). Ging man in der frühen Phase der westeuropäischen Einheit davon aus, die funktionale Kooperation in Teilbereichen (z.B. Montanunion oder Agrarmarkt) werde durch „Spill-over-Effekte“ die politische Einheit steigern, die wachsende Interessenverflechtung würde also die Vereinigten Staaten von Europa gewissermaßen „nebenbei“ hervorbringen, so haben „Realisten“ und „(liberale) Intergouvernementalisten“ dagegen später herausgearbeitet, Fortschritte der Integration von Staaten kämen generell dadurch zustande, dass zunächst nationale Prä-

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ferenzen formuliert werden, dann eine Verhandlung zwischen Staaten einsetzt und schließlich entschieden wird, ob man Souveränität an supranationale Einrichtungen delegiert. Europäisierung wird also bestenfalls von den nationalen Akteuren zur Reduktion von Transaktionskosten und zur Verbesserung ihrer Verhandlungsbedingungen zugelassen. Empfinden die nationalen Regierungen, dass der Nutzen der EU schwindet, werden sie auf die Bremse drücken oder ganz austreten. Der deutsche Beitritt zum Euro oder die Aufnahme Griechenlands in die Währungsunion sind markante Gegenargumente gegen das Dogma der rationalen Wahl, wonach vornehmlich Nutzenerwartungen der wichtigste Antriebsmotor von Kooperation und Integration seien. Dagegen treffen die Argumente einer dritten, „sozial-konstruktivistisch“ genannten Denkschule zu, wonach Normen, Ideen und Werte den grenzüberschreitenden Lern- und Integrationsprozess mindestens ebenso stark am Laufen halten. Die Protagonisten des jahrelangen Theoriestreits haben sich unterdessen auf den Konsens geeinigt, die Europäische Union als ein Wesen „sui generis“ sei auf vielen Ebenen aktiv und ihre Integration würde als Zustand und Prozess letztlich durch alle genannten Faktoren am Laufen gehalten beziehungsweise ins Stocken gebracht. Ideen zur Euro-Polity (Verfassung) und kosmopolitische Demokratienormen sind damit ebenso wichtig wie Policy-Erfolge in den einzelnen Politikfeldern und Regierungskooperationen. Die Vertiefung der EU, heute vor allem in Hinblick auf eine gemeinsame (Wirtschafts-)Regierung und die Beseitigung ihres Legitimations- und Demokratiedefizits, kann nicht auf Kosten einer Erweiterung und der Ausdehnung ihrer Beziehungen in außereuropäische Gebieten gehen. „Funktionalistisch“ gesprochen, wäre eine Energieunion mit der südlichen Peripherie – analog zur Montanunion (EGKS) der frühen 1950er Jahre – ein wichtiger Baustein und Motor einer Nord-Süd-Kooperation. „Realistisch“ wäre das freilich nur, wenn die Nationalstaaten innenpolitische Präferenzen dieser Art hätten und in Verfolgung ihres Eigeninteresses (etwa an einer Wende hin zur regenerativen und ressourcenschonenden Energieversorgung und Wirtschaftsweise) einen zielführenden informellen Aushandlungsprozess starteten. Aus „konstruktivistischer“ Warte schließlich könnte eine politisch-kulturelle Konvergenz Integrationsfortschritte über das Mittelmeer hinweg stützen, für die sich auch der supranationale Akteur (die Kommission, das Parlament) und vor allem führende Mächte im Ministerrat (also Deutschland und Frankreich) stark machen müssten. Subregionsbildung muss damit entschiedener vorangetrieben werden als mit der bisherigen Europäischen Nachbarschaftspolitik, auch ohne dass sie einen formellen Beitritt anvisiert und damit die Vollintegration im Auge hat. War das Europa der zwei (oder mehr) Geschwindigkeiten bisher eher eine diplomatische Umschreibung für das Zurücklassen derjenigen, die ökonomisch schwächer und politisch unwillig waren, sollte eine neue EU-Architektur nun eher auf eine lockere Koppelung und föderale Vernetzung diverser subregionaler Bündnisse hinauslaufen, deren Finalität sich gewissermaßen hinter dem Rücken der Akteure einstellt, durch friedens- und entwicklungspolitische Bemühungen aber eine starke normative Grundlage erhält. Eine Kehrtwende wäre gerade in der Sicherheitspolitik erforderlich. Zum einen darf sich der Begriff „Sicherheit“ nicht nur auf den Schutz der EU-Außengrenzen

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beziehen, er muss die Interessen bedrohter Individuen (wie der Boatpeople und traumatisierter Flüchtlinge aus Bürgerkriegsgebieten) ins Zentrum rücken und die Sicherheitsinteressen der südlichen Peripheriestaaten einbeziehen (Tassinari, 2010; Bilgin, 2011). Zum anderen muss die Europäische Union mit einer Stimme sprechen, zu Fragen der humanitären und militärischen Intervention ebenso wie im Nahostquartett. Insofern sollte die Mittelmeerunion noch einmal bei den erwähnten priority projects ansetzen und diese entsprechend anreichern und zuspitzen. Sie käme damit „zu den Sachen selbst“, und das heißt in der Mittelmeerregion: eine nachhaltige Ressourcen- und Energiepolitik nach Peak Oil, ein umfassender Meeres-, Klima- und Artenschutz, ein sanftes Konzept sozial- und umweltverträglicher Touristik, die Förderung nachhaltigen Wirtschaftens und interkulturelles Lernen in gemeinsamen Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen.

Ausblick Zwischen marktgetriebener Globalisierung und reaktiver Renationalisierung entwickeln sich heute weltweit neue Makro-Regionen. Ihre Reichweite übersteigt die parochiale Selbstbezogenheit kleiner Regionen und regionalistischer Bewegungen, die sich von größeren (nationalstaatlichen) Einheiten absetzen und abspalten. Unterstützt werden kann diese Regionalisierung durch neue Formen transnationaler Staatsbürgerschaft (Leggewie, 2013), die in der Makro-Region auch eine politische Partizipationsebene unterhalb der Nationalstaaten, aber quer durch die Regionen bietet. Regionen (von lat. regio, Gebiet, Gegend) werden definiert als Teilgebiete eines größeren Raums, als Ausdehnungen in der Fläche, wie sie für den modernen Territorialstaat typisch ist. In der Regel haben Nationalstaaten territoriale Untergliederungen; wie die Diversität der Regionen innerhalb der EU zeigt, haben diese ganz unterschiedliche Zuschnitte und Kompetenzen. Zu unterscheiden sind funktionale und homogene Aspekte der Regionsbildung: Für die kollektive Identität einer Region sind naturräumlich-ökologische und vor allem symbolisch-kulturelle (darunter sprachlich-dialektale) Verbindungen bedeutsam, für die funktionale Verbindung sorgen Gebietskörperschaften und wirtschaftliche Arbeitsteilungen. Sind die Regionen der EU in der Regel sektoral-differenzierende Einheiten föderaler Natur, die als Arenen der Regional- und Strukturpolitik genutzt werden, sind auch grenzüberschreitende Regionsbildungen mit transnational-integrierender Funktion möglich und empfehlenswert. Die Mittelmeerunion stellt (ähnlich wie andere Adressaten der Europäischen Nachbarschaftspolitik) eine überdurchschnittlich große, bisher wenig funktionale und identitätsstiftende Einheit dar. Stärkere Verbindlichkeit erlangt haben Makroregionen an der Ostsee und im Donauraum bzw. Alpen-Adria-Raum, in geringerem Maße gilt dies auch für die Anrainerregionen der Nordsee. Mitgliedschaft und Teilhabe in regionalen Verbünden sind nicht exklusiv, denkbar ist vielmehr eine Union multipler und überlappender Zugehörigkeitskreise, die wesentlich von unten wächst und sich an transnationalen Problemen ausrichtet (Frey, 2012). In ihrem Kern können etwa vernetzte Metropolregionen stehen, aber auch historische Kul-

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turbeziehungen oder ökologische Problemzonen mit ähnlich gelagerten Herausforderungen. Auch Städtepartnerschaften, regionalstaatliche Allianzen und kulturpolitische Netzwerke können transnationale Synergien und Netzwerke hervorbringen. Ein territorialer Zusammenhang ist hier nicht erforderlich und auch nicht erwünscht; eher sind Makroregionen virtuelle Räume, die sich lebensweltlich konkretisieren und entwickeln.

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Religionswissenschaft Definition des Faches und Relevanz des Mittelmeerraums für das Fach Die Religionswissenschaft ist zwar seit etwa 1880 in der Schweiz, Holland, England und Schottland und seit 1908 in Deutschland eine Disziplin der Universitäten, aber es lehrte sie je eine einzelne Professur entweder in der Theologischen Fakultät oder gepaart mit der Indologie in der Philosophischen Fakultät. Lexika wie die Encyclopedia of Religion and Ethics (Hastings, 1908–1927) oder die liberalprotestantische Die Religion in Geschichte und Gegenwart1 und die Zeitschrift Archiv für Religionswissenschaft2 (1898) sollten Forum werden, konnten aber nur in Ansätzen ein eigenes Fach konstituieren. Die Vernetzung, sowohl international (International Association for the History of Religions) als auch in den Regionalwissenschaften (wie Indologie oder Altes Testament) und die minimale Ausstattung erschwerten eine institutionelle Verdichtung als Disziplin. In den USA bilden Religious studies eher ein Nebeneinander der Religionen, als dass sie den systematisch-vergleichenden Anspruch der Religionswissenschaft (im Singular: Eine Wissenschaft für alle Religionen, statt jede Religion entwirft ihre unvergleichliche Theologie) realisieren würden. Erst seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts professionalisierte sich die Religionswissenschaft als Kulturwissenschaft mit vier großen Lexika, dem Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe (Cancik, Gladigow, u. Kohl, 1988–2001), der Encyclopedia of Religion and Ethics (Hastings, 1908–1927), der Encyclopedia of Religion (Eliade, 1987) und dem Metzler Lexikon Religion (Auffarth, Bernard u. Mohr, 1999–2002) sowie Einführungen in das Studienfach. Sie ist weder als Regionalwissenschaft räumlich, sprachlich oder kulturell fokussiert noch in einer bestimmten Epoche: Nachdem sich das Isolieren von „heiligen Phänomenen“ als Gegenstand sui generis und methodisch auf „Erfahrung“ gestützt als unbrauchbar erwiesen hatte (die Religionsphänomenologie), öffnete sich die Religionswissenschaft wieder – wie schon vor dem Ersten Weltkrieg – methodisch und theoretisch Fragestellungen der Ethnologie und der Soziologie; philolo1

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Die RGG erschien in erster Auflage 1909–1913, legendär die zweite Auflage von Gunkel u. Zscharnack, 1927–1931. Religionswissenschaftlich bedeutsam ist die aktuelle vierte Auflage 1998– 2005. Zu den Kontexten Conrad, 2006; Kippenberg u. Luchesi, 1991. ARW, 1 (1898) – 37 (1941/42): Archiv für Religionswissenschaft. Begründet von Thomas Achelis, mit der Schwedischen religionswissenschaftlichen Gesellschaft. Programmatische Aufsätze von Edmund Hardy in Band 1, 2 und 4. Band 7 übernimmt die Usener-Schule, 1920 die Religionsphänomenologie („Das Heilige“), dann die Volkskunde und völkische Religion. Nach dem Ende des NS nicht mehr fortgeführt. (http://pomoerium.eu/contents/archiv_fuer_religionswissenschaft/ arw_01.htm).

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gische und historische Kompetenzen treten in den Hintergrund. Der Gegenstandsbereich hat sich erweitert: Neben und an die Stelle einer einseitigen Bevorzugung der schriftlichen Quellen, insbesondere der Heiligen Schriften, richtet sich das Augenmerk auf die sichtbare Religion, ihre Wahrnehmung und Darstellung (visible religion, material religion, Religionsästhetik, Ikonologie, Bildwissenschaft) und daran anschließend die Medienwissenschaft, weiter die Erforschung der gelebten Religion statt der Utopie der gedachten und vorgeschriebenen Religion, die Gegenwartsreligion in ihrer lokalen Pluralität und globalen Verknotung (Migration, entangled history, lokale Religionsgeschichte), die Ritualforschung und die Europäische Religionsgeschichte. Weitere Bereiche sind in Ansätzen zu erkennen, wie die Hirnforschung, Emotionenforschung, Körperlichkeit und Bewegung.3 Das Mittelmeer und der mediterrane Raum bildeten und bilden zentrale Bereiche der Religionsforschung. Die Kategorienbildung und Theorien ließen sich an den polytheistischen Kulturen der mediterranen Antike freier entwickeln, diskutieren und erforschen als an den gestifteten Religionen mit ihrer frühen Kanonbildung als (über-zeitliche) ‚Offenbarung‘. Insbesondere die religionswissenschaftliche Forschung um die griechische Religionsgeschichte hat durchgehend Modelle der Alternative zu den monotheistischen Religionen bereitgestellt, die den ‚vergleichenden Blick‘ auf die scheinbar selbstverständlichen Erfahrungen im Umgang mit der Religion der eigenen religiösen Sozialisation und der Moderne ermöglichen. Durch die Institutionalisierung der humanistischen Bildung blieb die mediterrane Antike ein präsenter Bezugspunkt sowohl in der öffentlichen Wahrnehmung (Literatur, Museum, Theater) wie in der wissenschaftlichen Theorienbildung. Die kulturwissenschaftliche Öffnung der Religionswissenschaft in den siebziger Jahren ist wesentlich durch Altertumswissenschaftler angestoßen worden.4

Forschungsgeschichte und Forschungsperspektiven des Faches in Bezug auf die Mittelmeerforschung A. Volksreligion: Kontinuität der mediterranen Religion bis in die Gegenwart. Religionswissenschaftliche Fragestellungen um 1900 Für die Forschungsgeschichte beziehe ich mich auf die Neubewertung der Religion des Mittelmeerraums um 1900. Die Religionswissenschaft als Disziplin hat sich um die Jahrhundertwende 1900 in der kulturwissenschaftlichen Wende gebildet, die einerseits quer über alle Disziplingrenzen einen gemeinsamen Fokus besonders auf Religion ausrichtete, andererseits zur Ausdifferenzierung der Kultur- und Sozialwissenschaften führte.5 Philologisch-sprachwissenschaftlich ausgebildete Wissen3 4 5

Eine aktuelle Einführung bietet Stausberg, 2012. Zur Geschichte der Religionswissenschaft siehe Auffarth u. Mohr, 2002. Zu Abgrenzungen und Umfang von Antike s. Cancik, 1998. Grundlagend Cancik, Gladigow u. Kohl, 1988–2001. Eranos, eine Gruppe von Wissenschaftlern in Heidelberg, dazu Treiber, 2011.

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schaftler, vor allem Friedrich Max Müller in Oxford (1823–1900) als Schüler von F. W. J. Schelling (1775–1854), erhofften durch den Vergleich eine geschlossene Genealogie zu erstellen, die in Analogie zu Linnés System eine naturwissenschaftlich abgesicherte science of religion ergäbe: Die Indoeuropäer gehen alle zurück auf die Arier; ihnen stehen die Semiten und Hamiten entgegen. Grundlage bildete seine Sonnenmythologie, die er für elementare Naturwissenschaft hielt: Der Vater Himmel mit der Sonne im Zentrum (sanskrit: Dyaus piter) wird zum Zeus patér, zum Iupiter, zum Odin usf.6 und überwindet das weibliche Prinzip der Mutter Erde bzw. des Matriarchats. Die mediterrane Welt bilde den zentralen Teil einer religionsgeschichtlichen Dynamik des patriarchalen Prinzips, die man sprachwissenschaftlich beweisen könne.7 Dem Ursprungsmythos Müllers setzten v.a. britische Evolutionisten entgegen, dass die Inder etwa nicht idealisiert und mit ihren britischen Herren das gleiche Blut teilten. Nein, die Primitiven sind zu Recht unterlegen und bedürfen der starken Führung zum Fortschritt. Das Riesenwerk des schottischen Aufklärers und Religionskritikers James George Frazer (1854–1941) über den goldenen Zweig von Aricia8 zeigte, wie viel Primitives auch in der klassischen antiken Kultur überdeckt sei9: Aus vielen Versatzstücken malte er ein Bild einer weltweit gleichen primitiven Kulturstufe, der Magie.10 Gegen die imperialistischen und rassistischen Grund- und Nebentöne und doch auf anderem Wege sie teils wieder unterstützend entwickelte sich eine subversive Sicht der Antike mit dem Ziel der Kritik an der bürgerlichen Kultur: Friedrich Nietzsche entdeckt die archaische griechische Wertekultur des Heldischen gegen die christliche Sklavenmoral. Und sein älterer Freund Erwin Rohde (1845–1898) brandmarkte in seinem Hauptwerk Psyche11 die orientalische Erlösungsvorstellung einer ewigen Seele als den fremden Blutstropfen, der die griechische Kultur zerstörte: Dionysos und die Orphik seien ungriechisch (eine These, die sich durch neue Entdeckungen als falsch erwiesen hat). Im ‚orientalischen‘ Christentum habe diese falsche Einstellung ihre Fortsetzung gefunden. Damit waren zwei Argumente auf den Weg gebracht: Die Entdeckung der dunklen Seite der mediterranen Religion, die dem modernen bürgerlichen Verständnis der Antike widersprach. Zum anderen sei die Volksreligion, die real gelebte Religion sei der tragende, sich immer wieder aus dem Volk erneuernde Grund. Über Mythologien und Glauben komme man nicht weiter. Die Unterschicht aller religiösen Anschauungen, „die Erforschung des uralten, ewigen und gegenwärtigen, allgemein ethnischen Untergrund alles Historischen“12 sei das Erfordernis. Ein zentrales Interesse betrifft die Erforschung der Genesis des Christentums, des Untergangs der antiken und des Werdens und Wachsens der neuen Reli6 7 8 9 10 11 12

Dieterich, 1902, 88. Vgl. Euler, 1987. „Vater Himmel“ – „Mutter Erde“. Scharf herausgearbeitet von Römer, 1985; siehe auch Dörr, 2007. Antike Quellen sind Strabon, Geographika 5, 3, 12 und Servius, ad Aeneidem 6, 136. Frazer, 1890–1936. Zu ihm und der Rezeption siehe Ackerman, 1988; Maier, 2010. Der Goldene Zweig bei Vergil, Aeneis 6, 136ff; Servius ad Aeneidem 6, 136. Ovid, fasti 3, 262–272. Zur Kritik an der Methode siehe Smith, 1978, S. 208–239. Rohde, 1890–1894; ²1898. Alle anderen Auflagen sind postum, so 101925 mit einem Vorwort von Otto Weinreich, gekürzt bei Kröner 1932, Nachdruck der 2. Auflage bei der WBG 1961 u.ä. Im programmatischen Vorwort Albert Dieterichs zur Übernahme des ARW Band 7, 1902, S. 2. Er beruft sich dabei auf den Arabisten und Alttestamentler Julius Wellhausen.

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gion (Dieterich, 1902, S. 4). Das Ritual ist das Stabile, nicht die Mythen (Bremmer, 1998). Zwei Schulen haben sich diese neue Forschungsfrage zu eigen gemacht, in Deutschland die Usener-Schule, in England die Forscher rund um die extravagante Lady Jane Ellen Harrison. Die Usener-Schule: Als der Schwiegersohn von Hermann Usener (1834–1905), Albrecht Dieterich (1866–1908), in Heidelberg frisch ernannt ist, sieht er Kinder mit Stecken und Blechbüchse, die von den Passanten eine Gabe einfordern, ein Heischebrauch wie an Halloween. In seiner Abhandlung Sommertag macht er aus dieser aktuellen Erfahrung ein Musterbeispiel, wie ein weltweit und durch alle Zeiten anzutreffendes Ritual unabhängig von der je bestimmenden Religion bis in die Gegenwart existiert, eben Volksreligion.13 Vor allem die Volksreligion Griechenlands und Süditaliens, ob das neapolitanische Straßentheater, Magie oder Totenbräuche, die er ein Jahr auf Reisen beobachten konnte und die neu entstehenden Corpora zur Folklore Italiens (Fornano, 2011), oft das kleine Detail, erlauben die Konstruktion einer großen Kontinuität. Mit seinen vielen Schülern führt er das Forschungsinteresse seines Lehrers und Schwiegervaters Hermann Usener fort, der dies für Das Weihnachtsfest (Usener 1889) oder viele Heiligenkulte des Mittelmeerraums als Fortsetzung antiker Heroenkulte behauptete.14 Der frühe Tod Dieterichs und und die Tatsache, dass im Krieg viele der hoffnungsvollen Gelehrten gefallen waren, verengten die Usener-Schule auf wenige, wie Deubner oder die zum völkisch-germanischen driftenden Schüler wie Pfister. Die andere Schule mit Interesse für Antike und Volksreligion endete mit der Vertreibung der Gelehrten um die Warburg-Bibliothek: Die großen Pläne, das arbeitsteilige Arbeiten an großen Projekten der hellenistischen und spätantiken Religionsgeschichte blieben stecken. Aber der interdisziplinäre Austausch des Eranos in Heidelberg mit Albrecht Dieterich, Adolf Deissmann, Max Weber, Ernst Troeltsch, Georg Jellinek und anderen zeigte seine Früchte oft viel später.15 Die Frage nach der mediterranen – und nicht orientalischen – Religion des Christentums (und des Judentums in der Diaspora) eröffnete Adolf Deissmann mit seinem Licht vom Osten (1904; 41923) und seinem Paulus (1911; ²1925), nach dem das Christentum als eine von unten, vom Volk aufsteigende religiöse Bewegung in den zeitgenössischen mediterranen Religionen des Hellenismus sein Fundament findet. Dazu kamen die Arbeiten aus der religionsgeschichtlichen Schule in Göttingen wie die von Wilhelm Bousset, Kyrios Christos (1913; ²1921), und Hermann Gunkels Studien zu Apokalypse, Erik Peterson (1926, 2012) εἷς θεός (Heis Theos), das epigraphische Corpus der Ein-Gott-Akklamationen, erwiesen das Christentum als eine griechisch-römische Religion.16 Gewiss war manches auch überzogen, wie etwa die These, der Christuskult sei nur eine Variante der 13 14 15 16

Dieterich, 1905; 1911, 324–352. Ähnlich Wünsch, 1902. Zu Usener siehe Bremmer, 1990; 2011; Schlesier, 1994; Wessels, 2003; Kany, 1987; 1989; 2004. Zur Usener-Schule Mette 1979/80. Schluchter; Graf, 2005. Siehe oben Anm. 3. Nachdruck der Ausgabe Göttingen 1926 mit umfassendem Forschungsbericht von Christoph Markschies u. a. Würzburg, 2012.

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altorientalischen Mythen vom sterbenden und auferstehenden Gott.17 Aber das Zeitalter der Extreme nach dem Ersten Weltkrieg verachtete historische Relativierung. Rudolf Bultmanns Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen (1949) entwirft vor der schwarzen Folie des orientalisch-jüdischen ein helles, vom griechischen Geist und Religion getragenes hellenistisches Christentum. Durchaus anders verstand sich die Gruppe von Forschern um Jane Harrison (1850–1928) in Cambridge, darunter Gilbert Murray, Francis Cornford und Arthur B. Cook (Schlesier, 1994, S. 123–192; Bremmer, 1991, S. 237–241; Brunotte, 2004; 2008).18 Der Ansatz war dem der Usener-Schule ähnlich: Feste sind das Zentrum, nicht Götter.19 In den Festen führt die Gemeinschaft sich selbst auf, indem sie als eine Art Totem den Jahresdämon (ἐνιαυτὸς δαίμων – eniautós daímon) schafft. Das ist ähnlich dem berühmten Konzept des Soziologen Émile Durkheim (1912, neun Jahre nach Harrisons Prolegomena, im gleichen Jahr wie ihre Themis): das Fest macht aus der Summe der Individuen mehr; im Fest transzendieren sich die Individuen zur Festgemeinschaft. Beide, Harrison wie Durkheim, haben William Robertson Smith gelesen, den schottischen Aufklärer und Ideengeber Frazers.20 Dämonen und Geister seien zuerst da, chthonisch und apotropäisch, dann erst die Göttin und zuletzt der Olympische Gott. Die Rituale und die Ritualfolge des Festes bilden die Kontinuität, auch noch in den Formen, die nicht mehr durch Religion bestimmt sind: Die Mitforscher untersuchen die Olympischen Spiele, die ionische Naturphilosophie (Cornford), die Entwicklung des Theaters (Murray), den prädeistischen Zeus (Cook). Ein Ziel neben der Wissenschaft ist die Erneuerung der Religion in einem modernen Paganismus, den Jane Harrison mit ihren Freundinnen und Freunden rituell wieder aufführt. Die dunkle Seite der Religion, die Orgie, Schönheit und Leidenschaft können nur pagane Menschen erfahren.

B. Mediterrane Religion als Gegentyp zur Europäischen Religion Burkhard Gladigow hat zunächst vorgeschlagen, dass Europa eine besondere Entwicklung der Religion ausgebildet hat, die sich unterscheidet von der Religionsgeschichte in anderen Regionen. In Europa gebe es auf engem Raum Freiräume für mitlaufende Alternativen. Nach seiner Konzeption kann man von einer „Europäischen Religionsgeschichte“ seit etwa 1450 sprechen (Gladigow, 1995).21 Seit dieser Zeit sind zweierlei Entwicklungen eingetreten: (1) zur dominierenden Religion des Christentums und ihren gewaltsam unterdrückten religiösen Bewegungen laufen 17

Zu dem mediterranen Ritual des Adonisgärtchens (antike Quelle v.a. Theokrit, Eidyllion 15) etwa Baumgartner, 1946; Détienne, 1972. Am Beispiel von Bethlehem Christus-, Adonis- und Mithraskult, siehe Keel; Küchler, 1982, S. 620–626. Überzeugend Baudy, 1986, der sie als Saatgutprüfung versteht. 18 Schlesier, 1994, S. 123–192; Bremmer, 1991, S. 237–241; Brunotte, 2004; 2008 19 Vgl. Auffarth, 1998. 20 Harrison nennt ihn nicht, kennt ihn aber: vgl. Schlesier, 1994, 152f.; Bremmer, 1991, 238. Durkheim entdeckt ihn dank der Hinweise seines Neffen Marcel Mauss, siehe Moebius, 2011, S. 111. Zu Smith siehe grundlegend Maier, 2010. 21 Dazu die Nachfragen von Auffarth, 2009.

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parallel Alternativen, beginnend mit der hermetischen Esoterik, die damals übersetzt wurde.22 (2) Das hängt aber mit der anderen Entwicklung zusammen, dass mit der Eroberung Konstantinopels 1453 die griechische Tradition in den lateinischen Westen flüchtet; die dreifache Mittelmeerwelt schwindet zu einer zweifachen, der nördlich-westliche Teil bleibt lateinisch-christlich, der Osten wird wie der Süden islamisch. Das Mittelmeer verliert seine zentrale Bedeutung nach der Schlacht von Lepanto 1571 und der Niederlage der spanischen Armada 1588 gegenüber dem Atlantik. Für die Zeit davor (und dann in einer eigenen kulturellen Welt) schlägt Gladigow vor, eine Mediterrane Religionsgeschichte zu konzipieren, für die die longue durée zu untersuchen ist: das Opfer, Votive etwa in Form von Körperteilen aus Wachs, Sternverehrung u. a. als Leitfossil (Gladigow, 2001; 2005). In dieser kulturellen Welt bildet Religion eine ‚Reserve‘, die sich durch Rituale der Regeneration in prekären Lebenssituationen Mut zuspricht (Gronover, 2007). In der aktuellen Forschungsgeschichte der Religionswissenschaft gibt es nur für die Antike einen eigenen Diskurs; die gegenwärtige Mittelmeerwelt tritt im Interesse demgegenüber zurück. Freilich sind in den benachbarten Wissenschaften wichtige Untersuchungen zur Religion entstanden, die mit religionswissenschaftlichen Begriffen, Theorien und Methoden arbeiten und im Fach rezipiert werden. Um einige regionale Untersuchungen zu nennen: Religion und Magie in Süditalien hat nach Ernesto de Martino23 besonders Thomas Hauschild (2006) untersucht und ihre Ergebnisse werden in Beziehung gesetzt zu anderen mediterranen Phänomenen wie afro-mediterranen Besessenheitskulten. Die Totenklage und Bestattungsrituale im modernen Griechenland wie in Süditalien sind Gegenstand von Untersuchungen, die von der Antike bis in die Gegenwart reichen, so wieder von Ernesto de Martino (Apulien, 1958) und Loring Danforth (1982) und Margaret Alexiou (Griechenland, 1974). Für die iberische mediterrane Religion (und ihre kolonialen Ausbreitungen) gibt es Untersuchungen etwa zu Visionen. William Christians (1996) konnte zeigen, dass das Medium vor allem auf der katholischen Seite des Spanischen Bürgerkriegs eingesetzt wurde. Die Studie von Oliver Grasmück (2009) hat die spanische Visionskultur für das Chile der 1980er Jahre weiter verfolgt. Die besondere Form der iberischen Passionsfrömmigkeit hat in einem weit ausgreifenden und auch für die Europäische Religionsgeschichte methodisch grundlegenden Buch Peter Bräunlein auf den spanischen Philippinen beobachtet und reflektiert (Christian, 1992; Bräunlein, 2010). Der mediterrane Islam unterscheidet sich in seiner zu beobachtenden Form – d.h. wie er gelebt wird und nicht in seiner Norm – deutlich von anderen Islamen, wie Clifford Geertz in seinem Islam observed (1968) herausgestellt hat; seine Beobachtungen und Synkretismen mit anderen religiösen Traditionen (Hauschild, Zillinger u. Kottmann, 2007) sind in Feldforschungen untersucht und mit Kulten an der nördlichen Küste in Vergleich gebracht worden.24 Die ‚lokale Religion‘ überwiegt gegenüber der kanonisierten ‚großen Tradi22 23 24

Auufarth 2014. Zum Parallelfall Zoroaster siehe Stausberg, 1998. Die Werkausgabe umfasst 7 Bände, darunter de Martino, 2011; 1961. Zur aktuellen Aufmerksamkeit vgl. http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=3673; Ferrari, 2012. Eingefordert von Hauschild, 2008.

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tion‘.25 Die verschiedenen Formen von Ekstasekulten wie die Gnawa (Zillinger, 2013), der Kult um die heiligen Männer der Marabout unter den Berbern.26 Die französischen Kolonialherren haben in der Kabylei weder den Code Napoléon noch die Scharia durchgesetzt, sondern die Konfliktregelung den lokalen Friedensrichtern und den kodifizierten Gewohnheitsrechten anvertraut (Hannemann, 2002). Weiter sind lokale Kulte auffällig, die von den verschiedenen Religionen nicht gegenseitig weggenommen und annektiert wurden, sondern gemeinsam oder zumindest am gleichen Ort gefeiert werden. Immer wieder ist zu beobachten, wie Rituale, Feste und lokale Traditionen weiter bestehen und dabei nur einen anderen Namen, eine bewusste Abweichung der Rituale ohne grundlegende Änderung vorgenommen wird. Carsten Colpe hat solche gemeinsam geteilten Rituale und Konzepte untersucht, wie den Georgskult in Syrien/Palästina, den Marienkult in Ägypten, das Ende der Offenbarung durch den besiegelten prophetischen Text (Colpe, 1990, ²2007). Die Hellenisierung entwickele sich komplementär zu einer Enthellenisierung. Eine Krönung der religionswissenschaftlichen Beschreibung, die nicht nach Religionen trennt, hat Angelika Neuwirth mit ihrem Buch Der Koran als spätantiker Text (2010) gegeben. Da geht es nicht mehr darum, dass im Koran Traditionen der anderen monotheistischen Religionen – nicht zuletzt des Manichäismus – übernommen sind, sondern in Aufnahme und Fortschreibung an der religiösen (textlichen, formgeschichtlichen, rituellen) Tradition produktiv, wenn auch manchmal abgrenzend und polemisch, weitergearbeitet wird. Von einer mediterranen Koiné (gemeinsamen religiösen ‚Sprache‘) geht auch die auf die Antike bezogene Religionsforschung aus. Die Griechische Religion ist dann nicht mehr als Wunder aus dem Nichts entstanden; ihre orientalischen Wurzeln sind immer deutlicher geworden. Nach Franz Dornseiff haben vor allem Walter Burkert Orientalizing Revolution (1992) und Martin L. West (The East Face of Helicon 1997) das Bild grundlegend verändert.27 Die Trennung zwischen indogermanisch und semitisch löst sich weitgehend auf. Die religiöse Koine, gemeinsam geteilte Bilder, Metaphern, Weltbilder, Feste und Rituale beginnt nicht erst im Hellenismus (seit etwa 320 v. Chr.) den Austausch und die globalisierende Angleichung lokaler Eigenheiten. Neben der archaischen, genauer besonders der orientalisierenden Epoche des 6. Jh. v. Chr. hat sich das Interesse der Religion unter der römischen Herrschaft zugewandt, der Provinzialreligion wie der Reichsreligion. Entgegen älteren Annahmen bedeutet Reichsreligion nicht die Durchsetzung und Kontrolle des Kaiserkultes als Loyalitätsreligion. Sondern der Kaiserkult wurde weitgehend von den einheimischen Eliten in den Provinzen selbst eingerichtet (Selbst-Romanisation). Weiter zeigt sich eine Angleichung der lokalen Kulte nach klassischen Standards und die Ausbreitung von regionalen Kulten von der Peripherie in andere Peripherien. Das römische Militär spielt dabei eine kleinere Rolle, eher tragen Kaufleute und 25 26 27

Driessen, 2009; Kippenberg u. Luchesi, 1995. Little vs. big traditions. Klassische Studie: Doutté, 1900. Walter Burkert zuerst auf Deutsch 1984, dann amerikanisch 1992; weiter Da Omero ai Magi, 1999, dt. 2003. West, 1997, Auffarth, 1991.

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Migranten ihre Religion im Gepäck, dazu nicht zuletzt cultural brokers, Ein-MannUnternehmer auf eigene Rechnung: Orakelverkäufer, christliche Missionare wie Paulus und Magier (Auffarth, 2012; 2008). Das Thema der orientalischen Religionen wird nicht mehr als fremdes Element verstanden, sondern als Teil der Wanderung und Metamorphosen von Religion: integriert wie Astrologie oder isoliert und exotisch wie der Isis-‚Monotheismus‘. Mysterienreligion erweist sich als ein Gegenstand, der erst durch die Forschungsgeschichte zu einer gemeinsamen Kategorie wurde. Weder die regionale Herkunft aus Ägypten, Syrien, Persien oder Anatolien – so verknüpfte 1906 Franz Cumont die Orientalischen Religionen – noch die vereinshafte Gemeindeform lassen diese Religionen unterscheiden von den anderen Kulten der Zeit (Cumont 1906). Vielmehr geht eine Mysterisierung durch alle Kulte der mittleren Kaiserzeit und Spätantike. In dem Sinne gehört das Christentum ab dem 3. Jh. dazu. Für das antike Christentum sind nach der intensiven Erforschung der jüdischen Wurzeln – nach dem Antisemitismus – wieder neu im Interesse die Christen im Kontext des Hellenismus und der römischen Stadtkultur: das Corpus Hellenisticum sucht nach Analogien, nach Metaphern und religiöser Sprache, Formen und Ritualen, die sich in christlichen Texten wie in klassischen finden:28 Sprechen zu Gott in Gebeten, Hymnen; narrativ in Wundererzählungen oder Martyriumsberichten; das Reden über Gott in Metaphysik und Naturphilosophie. Rituale wie Gemeinschaftsmahl (Leonhardt, 2010), Initiation oder Magie.29 Die Beziehung zwischen den ökologischen Bedingungen und den Besonderheiten der Religionen in der Region ist immer wieder betont worden, oft freilich in romantischer Nostalgie (Hölderlins Archipelagus, Natur im Wesen der Götter bei Walter F. Otto; das attische Licht).30 Aber für konkrete und detaillierte Forschung zur Religionsgeographie und den religious landscapes gibt es bemerkenswerte Beispiele: Quellen und Felskuppen als Orte für Heiligtümer (Horden u. Purcell, 2000, S. 401–460); Veränderung der Landschaft unter wechselnder Herrschaft (Alcock, 1993), Religion auf dem Lande (Auffarth, 2009; Olshausen u. Sauer, 2009). Methodisch wichtig für die moderne Erinnerungsforschung war die Beschreibung von Palästina als Erinnerungslandschaft bei Maurice Halbwachs (2009). Die Wahrnehmung, aisthesis und Sichtbarkeit hat Hubert Cancik (1985–1986) in einem Artikel über Roms sacral landscape methodisch wegweisend erschlossen. Die Religionen des Mittelmeerraums haben für die Religionswissenschaft immer eine zentrale Rolle gespielt. Die Usener-Schule und die Gruppe um Jane Harrison thematisierten das Ritual, genauer verstanden: das gemeinschaftliche Fest als Volksreligion in Kontinuität mit der modernen Volksreligion. Für die Religionswissenschaft heute ist der antike Polytheismus weniger die Kontinuität, vielmehr 28

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Strecker; Schnelle, 1996; 2008; 2013; 2001. An dem Projekt der Neubearbeitung der Sammlung von Johann Jakob Wettstein 1751/52 wurde seit hundert Jahren geplant und gearbeitet: Manfred Lang, http://www.theologie.uni-halle.de/faecher/corpus-hellenisticum/. Zum Kontext Auffarth, 2006. Ich kann nur wenige Forscher nennen, die zum Thema Antike und Christentum forschen: Hans Dieter Betz (sein Überblick RGG4 1 (1998), S. 542–546); Dölger, Brown, Klauck, Cancik, Mohrmann, Perrin u. Bremmer. Als Beispiel nenne ich Simon, 1985, S. 39f.: In Paestum wird die ‚kuhäugige‘ Hera verehrt, weil dort Kühe Weiden finden.

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ein Typus von polytheistischer Religion, der als Gegenbeispiel von Monotheismus steht, und für die Pluralität von Religionen gut erforschte historische Fälle hermeneutisch bereit stellt.

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Römische Rechtsgeschichte Definition des Faches und Relevanz des Mittelmeerraums für das Fach Die Römische Rechtsgeschichte beschäftigt sich einerseits mit der Entstehung und Entwicklung der Organe des römischen Gemeinwesens, welche Recht schöpften und anwendeten (äußere Rechtsgeschichte), andererseits mit der Entwicklung einzelner Rechtsinstitute (innere Rechtsgeschichte). Die klassische Periode des römischen Rechts deckt sich grob mit dem Prinzipat; Gegenstand der Forschung sind indes auch die vorklassischen Ursprünge, die, soweit fassbar, in der Regel bis in die Zeit der XII-Tafel-Gesetzgebung (450 v. Chr.) zurückverfolgt werden, andererseits aber auch die nachklassischen Entwicklungen bis zur Entstehung des Corpus Iuris Civilis unter dem oströmischen Kaiser Justinian I. und darüber hinaus, über Spätantike und Mittelalter bis zum Inkrafttreten der modernen europäischen Kodifikationen, deren dogmatische Grundlagen im römischen Recht zu suchen sind. Der Mittelmeerraum als solcher bietet für das so umrissene Fachgebiet vor allem zwei Forschungsperspektiven: zum einen die Frage, inwieweit das römische Recht in Entstehung und Entwicklung dem über das Mittelmeer als Handelsweg vermittelten Einfluss anderer Kulturen unterlag; zum anderen die Frage, inwieweit das römische Recht selbst schon in der Antike in anderen am Mittelmeer ansässigen Kulturen aufgenommen oder ihnen durch die römische Verwaltung aufgedrängt wurde.

Forschungsgeschichte des Faches in Bezug auf Mittelmeerforschung Bis zum 1. Januar 1900 war das römische Recht in weiten Teilen Deutschlands geltendes Recht. Bis zu diesem Zeitpunkt lag das Forschungsinteresse ganz überwiegend bei dogmatischen Fragen. Eine tiefergehende Beschäftigung mit den eben genannten Fragestellungen lässt sich erst für das 20. Jahrhundert feststellen, wobei der Frage nach äußeren Einflüssen auf das römische Recht größere Aufmerksamkeit gewidmet wurde als der umgekehrten nach dem römischen Einfluss auf andere antike Rechtskulturen. Der Legende nach wurden die XII Tafeln, die als Grundlage der römischen Rechtsentwicklung gelten können, von zehn Männern verfasst, „die von den griechischen Städten Gesetze erbitten und das Gemeinwesen auf Gesetze gründen sollten“ (Pomponius, D. 1, 2, 2, 4). Dass diese erste gut greifbare Schicht des römischen Rechts tatsächlich griechisch beeinflusst ist, zeigt sich etwa daran, dass einzelne Schlüsselbegriffe (etwa poena) (Liebs, 2004) dem Griechischen entlehnt sind. Das

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entwickelte römische Recht übernimmt aus dem Recht griechischer Städte ganze Rechtsinstitute wie etwa das Seedarlehen (fenus nauticum) (Schuster, 2005) oder den Seewurf (lex Rhodia de iactu) (Schanbacher, 2006). Wie diese Beispiele verdeutlichen, war der Handelsraum Mittelmeer nicht nur Verbreitungsweg, sondern auch Triebfeder für Rechtsimporte in das römische Recht. Bis in die jüngste Zeit ist das Interesse an diesem Phänomen nicht abgerissen. Offen ist nach wie vor, wie weit der fremde, namentlich griechische Einfluss auf das römische Recht reicht. Eine Schlüsselrolle dürfte dem praetor peregrinus zugekommen sein, dem in Rom für den Rechtsstreit mit oder unter Nichtrömern zuständigen Gerichtsmagistrat. Ob es die Quellenlage erlaubt, im Einzelnen zu erhellen, inwieweit fremde Rechte und Rechtsbräuche über ihn den Weg in die römische Rechtspflege nahmen, wird die Forschung der nächsten Jahrzehnte zeigen. Der Mittelmeer- als Handelsraum trug nicht nur fremde Rechtsbräuche nach Rom; mit der Expansion des politischen Einflussbereichs drangen umgekehrt auch römische Rechtsvorstellungen in den Mittelmeerraum vor. Dies ist insbesondere in erhaltenen Vertragsurkunden nachweisbar. Inwieweit die darin auszumachenden Elemente allerdings tatsächlich autonome Schöpfungen römischer Rechtskultur oder nicht ihrerseits Übernahmen aus fremden Rechtskulturen sind, wird noch im Einzelnen zu ergründen sein. Die Forschung wird dabei auf einigen in den letzten Jahren erschienen, grundlegenden Untersuchungen aufbauen können (Jacab, 1999; 2009).

Gegenwärtige mediterranistische Forschungsfragen und Perspektiven Über den allgemeinen Geltungsanspruch des römischen Rechts in den eroberten Gebieten des Mittelmeerraums und – als Vorfrage – über die jeweiligen äußeren Bedingungen der Rechtspflege ist bislang nur wenig Sicheres bekannt. Neue Forschungsanstöße hat hier die Entdeckung neuer Quellen gegeben. Zu nennen sind hier etwa das in einer Höhle am Toten Meer gefundene „Archiv der Babatha“ aus dem zweiten Jahrhundert nach Christus, das einige Rechtsdokumente enthält (Chiusi, 2005), und vor allem die lex Irnitana. Diese Verfassung der Stadt Irni, einer unbedeutenden Kleinstadt 60 km landeinwärts in der südspanischen Provinz Baetica gelegen, wurde in den frühen 90er Jahren nach Christus verfasst, als die Siedlung zum municipium erhoben wurde, und ist fast vollständig auf sechs Bronzetafeln erhalten, die 1981 gefunden wurden (Wolf, 2011). Sie zeigt eine ausgesprochen starke Ausrichtung auf die römische Staats- und Rechtskultur. Künftige Untersuchungen werden erweisen, ob dies der besonderen Situation in den spanischen Provinzen geschuldet oder Ausdruck einer allgemeinen Tendenz ist, den römisch beherrschten Mittelmeerraum mit einheitlichen Verwaltungsstrukturen zu überziehen und über diese römisches Recht flächendeckend zur Geltung zu bringen.

RÖMISCHE RECHTSGESCHICHTE

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Bibliographie Chiusi, T. J., 2005: Babatha vs. The Guardians of Her Son: A Struggle for Guardianship – Legal and Practical Aspects of P. Yadin 12–15, 27. In: R. Katzoff u. D. Schaps, Hrsg.: Law in the Documents of the Judean Desert. Leiden: Brill, S. 105–132. Jakab, É., 1999: Praedicere und cavere beim Marktkauf – Sachmängel im griechischen und römischen Recht. München: C. H. Beck. –, 2009: Risikomanagement beim Weinkauf – Periculum und Praxis im Imperium Romanum. München: C. H. Beck. Liebs, D., 2004: Römisches Recht, 6. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Schanbacher, D., 2006: Zur Rezeption und Entwicklung des rhodischen Seewurfrechts. In: B.-R. Kern, E. Wadle, K.-P. Schroeder u. C. Katzenmeier, Hrsg.: Medizin – Recht – Geschichte: Festschrift für Adolf Laufs. Berlin: Springer, S. 257–273. Schuster, S., 2005: Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes. Berlin: Duncker & Humblot. Wolf, J. G., 2011: Die lex Irnitana. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.

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Sinologie und Japanologie

Definition der Fächer und Relevanz des Mittelmeerraums für die Fächer Sinologie und Japanologie sind philologisch und/oder regionalwissenschaftlich ausgerichtete Fächer, die sich im Lauf des 20. Jahrhunderts in Richtung geschichts-, kultur- und sozialwissenschaftliche Forschung ausdifferenziert haben. Konstitutiv für alle Forschungsrichtungen ist die umfassende Nutzung originalsprachiger Quellen.

Chinesische Kontakte zum Mittelmeer und erste gegenseitige Erkundungen und Forschungen Die ersten Kontakte zwischen dem chinesischen Raum und dem Mittelmeerraum waren indirekter Art. So sind „Da Qin“ und „Seres“ nicht präzise als das Römische Reich bzw. das China der Handynastie (206 v. Chr. ‒ 220 n. Chr.) oder der Nachfolgedynastien zu identifizieren, sondern können auch übermittelnde Völker und deren Gebiete einschließen. Außer Da Qin oder „Lijian“ ist auch die Bezeichnung „Haixi“ („westlich des Meers“) überliefert; letzteres bisweilen auch als Name Ägyptens. Chinesischen Quellen berichten von einer gescheiterten Mission nach Da Qin im Jahr 97 n. Chr., einer Gesandtschaft des Herrschers „Andun“ (möglicherweise Marcus Aurelius Antoninus) im Jahr 166 n. Chr. und einigen weiteren sporadischen Missionen aus Da Qin. Eine erste Schilderung des Reichs Da Qin findet sich in der Dynastiegeschichte der Späteren Handynastie von Fan Ye (398‒445) in dem Kapitel „Überlieferung von den Westlichen Regionen“ (Hirth, 1939; Chavannes, 1907; Hill, 2009). Für die Römer waren die Bewohner der weitab östlich gelegenen Regionen in erster Linie Lieferanten des Luxusartikels Seide. Die Erwähnungen der „Seres“ setzen im 1. vorchr. Jh. ein und finden sich bei mehreren römischen Autoren (Coedès, 1910). Die Frage nach den Handels- und eventuellen Militärkontakten war eine der ersten, denen sich die Sinologie widmete, die sich ab dem 19. Jahrhundert als Fach zu etablieren begann. Angesichts der kommensurablen Raum- und Zeitdimensionen beider Reiche sind sie immer wieder in komparatistischer Perspektive betrachtet worden. Die ersten direkten und auch geographisch klarer einzuordnenden Kontakte erfolgten während der Mongolenherrschaft im 13. Jahrhundert. An eigenständigen

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Quellen ist aus dieser Zeit die Mongolengeschichte von Johannes de Plano Carpini (um 1185‒1252), einem Schüler des Franz von Assisi, zu nennen. Plano Carpini reiste im Jahr 1245 im Auftrag des Papsts Innozenz IV. zum Mongolenherrscher Güyük, dessen Inthronisierung er miterlebte, mit der Mission, fortdauernden Frieden nach dem Mongolensturm von 1241 zu erwirken. Im Jahr 1253 wurde ein weiterer Franziskanermönch, Wilhelm von Rubruk (ca. 1220‒ca. 1270), im Auftrag des französischen Königs Ludwig IX. an den Hof des mongolischen Großkhans Möngke gesandt, um ein Bündnis gegen die muslimische Eroberung des Heiligen Lands auszuhandeln. Beide Missionen erreichten zwar nicht ihr unmittelbares Ziel, vermittelten jedoch wertvolle Informationen über die mongolischen Herrscher in die christlichen Staaten und zu den Päpsten. Von mongolischer Seite ging die Gesandtschaft des Rabban Bar Sauma (ca. 1220‒1294) aus, eines vermutlich uighurischen nestorianischen Mönchsgelehrten, der aus der Nähe von Peking stammte. Bar Sauma war auf einer Reise nach Jerusalem aufgehalten worden und lebte mehrere Jahre in Bagdad, das sich unter mongolischer Herrschaft befand. Im Auftrag des mongolischen Ilkhans von Persien, Argun Khan, begab sich Bar Sauma im Jahr 1287 nach Europa, um eine Allianz gegen die Mamluken in Ägypten aufzubauen. Über das Schwarzmeer reiste er nach Konstantinopel, Sizilien, Rom, Genua, Paris und in die Gascogne und unterrichtete Papst Nikolaus IV., den französischen König Philipp den Schönen und den englischen König Eduard I. von den Intentionen des Ilkhans. Allerdings blieben die militärischen Absprachen unverwirklicht. Ein syrisches Manuskript des Berichts von Bar Saumas Gesandtschaft wurde um 1888 entdeckt und bietet ein weiteres Zeugnis der west-östlichen Kontakte (Budge, 1928). Im späten 13. Jahrhundert ergab sich der angeregteste Austausch zwischen den Mongolenherrschern, die seit 1276 auch Zentralchina unterworfen hatten, und den europäischen Machthabern, insbesondere den Anrainern des Mittelmeers mit ihren speziellen Interessen in Palästina. Höhepunkte dieses Austauschs sind der Aufenthalt des Venezianers Marco Polo (1254‒1324) in China, der vor allem unter Handelsgesichtspunkten unternommen worden war, wenn er seinem Buch zufolge auch als Berater des Großkhans Kublai und Statthalter einer zentralchinesischen Stadt Verwaltungsaufgaben für die Mongolen erfüllt haben will. Stärker als bei den vorher erwähnten geistlichen Mittlern wurde die Authentizität seiner Darstellung in Zweifel gezogen, aber jeweils von Spezialisten wieder bestätigt (Vogel, 2012). Im späten 13. und frühen 14. Jahrhundert erzielte auch die Franziskanermission ihre größten Erfolge, vor allem unter Johannes von Montecorvino (1245‒1328), der vom Papst zum Erzbischof von Peking ernannt wurde. Nach dieser Phase führten erst wieder der portugiesische und spanische Welthandel und die erneuten Missionsinitiativen Roms im 16. Jahrhundert zu weiteren Missions- und Kolonisierungsversuchen. Portugiesische Kauffahrer erwirkten von der chinesischen Regierung im Jahr 1557 die Gründung einer Niederlassung in Macau, was ihnen wegen der leichten Kontrollierbarkeit der Landenge und der überschaubaren Zahl von Händlern zugestanden wurde. Macau diente auch als Umschlagshafen für den Japanhandel der Portugiesen und Spanier und als Einreisehafen für Missionare. Seit 1577 unterhielten Jesuiten in Macau eine Missionsstation.

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Spanien hatte sich 1571 auf den Philippinen koloniale Präsenz verschafft. Der erste offizielle Kontakt zwischen China und dem Spanischen Reich in dieser Phase war der einer Abordnung, welche die Provinz Fujian im Jahr 1575 drei Monate lang besuchte (Boxer, 1953). Zunächst beschränkte sich die katholische Missionstätigkeit auf Macau und Manila an der südlichen Peripherie. Es dauerte mehrere Jahrzehnte, bis das Ziel, auf Kaiser und Hofeliten in der Hauptstadt Peking einzuwirken, verwirklicht werden konnte. Dies ist vor allem auf die Initiative von Matteo Ricci (1552‒1610) zurückzuführen. Seit seiner Ankunft in Macau 1582 und seinen anschließenden Aktivitäten in mehreren süd- und zentralchinesischen Provinzen hatte er durch die Vermittlung geographischen, astronomischen, mathematischen, philosophischen und theologischen Wissens aus dem Westen das Interesse chinesischer intellektueller Kreise erwecken können und sich das Privileg, bei Hof zu wirken, ab 1601 gesichert. Auf Ricci folgten noch über hundert Missionare, größtenteils Jesuiten aus dem Mittelmeerraum, die in Peking und teilweise in den chinesischen Provinzen tätig waren. Sie vermittelten etwa zwei Jahrhunderte lang Informationen über China in nie dagewesener Dichte und Präzision nach Europa und umgekehrt. Die Weltkarte, die Matteo Ricci und seine Nachfolger mit chinesischer Transkription der Ortsnamen herstellten, vermittelte auch erstmalig eine klare Darstellung des Mittelmeers.

Japanische Kontakte Direkte Verbindungen zum Mittelmeer bestanden in Japan für knapp hundert Jahre zwischen 1543 und 1638 im Zusammenhang mit der Ankunft von portugiesischen und spanischen Handelsschiffen und – vor allem jesuitischen – Missionaren in Japan. In dieser Zeit erfolgte ein reger Austausch von Gütern und Wissen zwischen Regionen des Mittelmeerraums und Japan. Von japanischer Seite wurden, auf Initiative einzelner Missionare, auch zwei Gesandtschaften von Japan nach Spanien und Rom geschickt. Die erste, eher inoffizielle Gesandtschaft, bestehend aus vier jungen christlichen japanischen Adligen, war von 1582 bis 1590 unterwegs und reiste 1584 von Lissabon durch Spanien und einige oberitalienische Städte nach Rom. Die Gesandten wurden von Philipp II. und Papst Gregor XIII. empfangen. Aufzeichnungen der Gesandten über ihre Reise wurden 1590 unter dem Titel De Missione Legatorum Japonensium ad Romanam Curiam in Macao veröffentlicht. Die zweite Gesandtschaft unter Führung von Hasekura Tsunenaga reiste 1613‒1620 über Mexiko nach Europa, wurde von Philipp III. empfangen, fuhr über das Mittelmeer nach Italien zu einer Audienz bei Papst Paul V. und versuchte – vergeblich – ein Handelsabkommen mit Spanien abzuschließen. Beide Gesandtschaften erregten offenbar große Aufmerksamkeit in den zeitgenössischen europäischen Medien. Die auf der zweiten Reise gesammelten Informationen wurden allerdings nach der Rückkehr nach Japan wegen der zunehmenden Christenverfolgungen und der wachsenden Einschränkung der Außenbeziehungen durch das TokugawaShogunat nicht weiter verbreitet.

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Nach der sogenannten Abschließung des Landes 1638 und der Ausweisung der Missionare brach diese regional in Portugal, Spanien und Rom und damit im Mittelmeerraum angesiedelte katholische Tradition in Japan ab. Sie hat in Japanberichten und vielfältigen anderen Quellen Spuren in den europäischen Archiven hinterlassen, die weithin genutzt wurden. Der Austausch mit Europa aber verlagerte sich auf Kaufleute, Diplomaten und Gelehrte aus den protestantischen Niederlanden, den deutschsprachigen Ländern und Skandinavien, deren Berichte von da an auch das Wissen in Europa über Japan maßgeblich prägten.

Mittelmeer und Fächerkultur Sinologie Die Ursprünge des Fachs Sinologie liegen in den Forschungen der Missionare des 16. bis 18. Jahrhunderts zur chinesischer Sprache, Geschichte, Philosophie und Religion. Eine erste Institution, die dieses Wissen bündelte, war das „Collegio dei Cinesi“, das der Chinamissionar Matteo Ripa (1682‒1746) im Jahr 1732 in Neapel gründete. Hier wurden zunächst chinesische Konvertiten für die Mission in ihrem Heimatland ausgebildet. Anschließend diente die Institution, als „Istituto Orientale“ heute in die Universität Neapel eingegliedert, der Ausbildung in verschiedenen Sprachen des Nahen, Mittleren und Fernen Ostens. Ein neuerer Forschungsansatz in der Sinologie, ungefähr ab den 1990er Jahren, gilt der Frage der Übertragbarkeit des Konzepts Fernand Braudels vom Mittelmeer als einem gemeinsamen Kultur- und Handelsraum auch auf die China vorgelagerten Seezonen. Der Begriff „Ostasiatisches Mittelmeer“ selbst taucht allerdings bereits bei Adriano Balbi im zweiten Band des Handbuch[s] der Erdbeschreibung von 1850 auf. Wieder aufgegriffen wurde dieser Ansatz, in Auseinandersetzung vor allem mit Braudel, von Südostasienhistorikern, insbesondere Denys Lombard, Claudine Salmon und Anthony Reid (Gipouloux 2011; Wade u. Li 2012). Er konzentrierte sich auf die überseeischen Kontakte Chinas zu seinen Nachbarn im Süden und Südwesten, also nicht direkt mit dem Mittelmeer, aber unter Beteiligung von Mittelmeer-Kolonialnationen, vor allem Spanien und Portugal. Anschließend wurden auch die Möglichkeiten erwogen, Braudels Mittelmeerbegriff auf die Seeregion zwischen China, Japan, Korea, Taiwan und Ryûkyû anzuwenden, so in dem Münchner Projekt von Roderich Ptak und Angela Schottenhammer, „The East Asian ‚Mediterranean‘, c. 1500‒1800: A New Quality in the Development of Trade Relations between its Neighbouring Countries“, das 2009 abgeschlossen wurde und in der Serie East Asian Economic and Socio-cultural Studies mehrere Bände zum Thema veröffentlicht hat. Eine weitere Denkfigur in diesem Zusammenhang ist die Vorstellung, dass die westlichen Grenz- und Nachbarregionen Chinas zwar seefern liegen, aber in gewisser Weise wie ein umgestülptes Braudel’sches Mittelmeer als ein gemeinsamer Wirtschafts- und Kulturraum gewirkt haben (Wong, 2001).

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Japanologie Die frühen Beziehungen zwischen Japan und Europa, in denen die Mittelmeerstaaten Spanien und Italien eine wichtige Rolle spielten, sind im Fach Japanologie seit längerem Gegenstand der Forschung, allerdings mehr unter den Gesichtspunkten Missions- oder Handelsgeschichte bzw. der Frage nach dem Einfluss der Europäer auf die japanische Entwicklung und weniger aus der Perspektive der Mittelmeerforschung. Für die Entwicklung des Faches Japanologie spielen die Forschungen der portugiesischen und spanischen Missionare in manchen Bereichen wie z.B. der Sprachwissenschaft bis heute eine wichtige Rolle. Vorangetrieben wurde die Japanforschung dann allerdings vor allem von den Gelehrten, die in holländischen Diensten nach Japan kamen, wie Engelbert Kaempfer (1690‒1692) oder Philipp Franz von Siebold (1823‒1829), die keinen Bezug mehr zu den Mittelmeer-Kulturen hatten. Eine Übertragung des Konzepts der Mittelmeer-Forschung auf andere Bereiche, z.B. im Sinne eines „Ostasiatischen Mittelmeers“, ist über die japanbezogene Beteiligung an dem sinologischen Projekt Schottenhammer/Ptak an der Universität München und einzelne Forschungsprojekte, z.B. von der Archäologin Barbara Seyock, hinaus bisher nicht erfolgt. Entsprechende Titel lassen sich zumindest in den einschlägigen Bibliographien und Dissertationsverzeichnissen nicht finden.

Zur Mittelmeerforschung in der Region Japan Wissen über Europa und wichtige Mittelmeerstaaten wie Spanien und Italien gelangte seit dem sogenannten Christlichen Jahrhundert (1549‒1638) nach Japan. Eine intensivere wissenschaftliche Beschäftigung mit antiken Mittelmeerkulturen und Anrainerstaaten im Rahmen der Bereiche ‚Weltgeschichte’ (sekai-shi) oder ‚Westliche/Okzidentale Geschichte’ (seiyô-shi) reicht in Japan bis in die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg zurück, ist aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg in größerem Umfang aufgenommen worden. Seit 1950 besteht eine Fachgesellschaft zum Studium der Klassischen (westlichen) Philologien und Literaturen (Seiyô koten gakkai ‒ Classical Society of Japan). Die heute an den meisten größeren Universitäten vorhandenen Institute für Okzidentale Geschichte beschäftigen sich in der Regel immer auch mit einzelnen Mittelmeer-Staaten und -Kulturen, oft auch unter Einbeziehung der Neuzeit. Allerdings ist bis heute die Zahl der Wissenschaftler/innen im Bereich der Okzidentalen Geschichte und mehr noch im Bereich der Mittelmeerforschung relativ klein im Vergleich zu anderen Bereichen wie der japanischen oder ostasiatischen Geschichte. Forschungen zum Mittelmeerraum als solchem begannen in den 1970er Jahren mit der Gründung von Forschergruppen und Fachgesellschaften. Dieser Prozess verlief parallel zur Rezeption der französischen Annales-Schule in Japan. Die Gedanken der neuen historischen Schule der Annales wurden in Japan seit Ende der

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1970er Jahre vor allem im Bereich der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte rezipiert und von einigen Historikern offensichtlich als wichtige Alternative zu der immer noch dominanten Strömung der marxistischen Geschichtsauffassung in Japan gesehen. Zwischen 1979 und 2011 ergibt eine Suche unter dem Schlagwort ‚Annales‘ im Katalog der japanischen Nationalbibliothek über 140 Einträge, darunter zahlreiche einführende Artikel, aber auch Übersetzungen einzelner Aufsätze westlicher Autoren. In den 1980er und 1990er Jahren folgten die Übersetzungen mehrerer größerer Werke, darunter auch der drei Bände von Fernand Braudels Civilisation matérielle, économie et capitalisme XVe–XIIIe siècles (1985; 1986; 1996–99). Sein Hauptwerk zum Mittelmeer, La Méditerranée et le monde méditeranéen à l’époque de Philippe II. (1949) wurde unter dem Titel Chichûkai (Mittelmeer) 1991–1995 durch Hamana Masami, Professor für französische Literatur an der Nanzan Universität Nagoya, übersetzt, der dafür 1995 den Japanischen Übersetzerpreis erhielt. Eine der ersten Forschungsinitiativen zum Mittelmeer als solchem war die 1973 gegründete „Studiengruppe Mittelmeer“ (Mediterranean Studies Group ‒ Hitotsubashi daigaku chichûkai kenkyûkai) an der Hitotsubashi Universität in Tokyo, einer auf Sozialwissenschaften spezialisierten, sehr renommierten staatlichen Universität. Diese ‚Studiengruppe‘ hält seither regelmäßig Symposien und Vortragsveranstaltungen ab und gibt die Ergebnisse in einer eigenen Reihe „Mediterranean World“ (Chichûkai ronshû) heraus. Die Initiatoren sollen zu dieser Idee durch die Kenntnis der Annales-Schule angeregt worden sein, als sie nach den Studentenunruhen der Universität neue Impulse geben wollten. Gleichzeitig sollten die Mittelmeer-Studien auch allgemeine theoretische Überlegungen zu Konzepten und Problemen der Regionalforschung fördern. Die ‚Studiengruppe‘ wurde 1980‒2011 durchgehend durch Forschungsgelder des staatlichen Kultusministeriums unterstützt. Ihre Mitglieder bilden ein interuniversitäres und interdisziplinäres Netzwerk, das durch die beteiligten Fächer geographisch neben dem europäischen auch den asiatischen und afrikanischen Teil der Mittelmeer-Kulturen abbildet. Die Themenschwerpunkte reichen von Migration und Urbanisierung über Umwelt, sozio-ökonomischen Wandel bis zu Ethnizität und Methoden der Regionalforschung. 1977 erfolgte die Gründung einer Fachgesellschaft, Collegium Mediterranistarum (Chichûkai gakkai), die durch Tagungen, Vortragsveranstaltungen und Ausstellungen Forschung und Studium der Mittelmeer-Kulturen fördern will. Das ‚Collegium’ gibt das Jahrbuch Mediterraneus (Chichûkai kenkyû) sowie ein monatliches Bulletin für die Mitglieder heraus und vergibt jährlich einen Preis für Verdienste in der wissenschaftlichen Erforschung von und im Austausch mit der Mittelmeer-Region. Die meisten Artikel im Jahrbuch sind auf Japanisch geschrieben, haben aber eine Zusammenfassung in einer westlichen Sprache. Die Inhaltsverzeichnisse der Jahrbücher seit 1978 sind in westlichen Sprachen im Internet zugänglich. In ihnen dominieren Themen aus den Bereichen der Geschichte, Kunstgeschichte, Archäologie und Literaturwissenschaft. 1986 etablierte sich an der Fremdsprachen-Universität Kyôto (Kyôto gaikokugo daigaku) eine offenbar universitätsinterne Studiengruppe zur Kultur des Mittel-

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meers (Chichûkai bunka kenkyûkai), die von 1988 bis 2005 eine jährlich erscheinende Zeitschrift Mare Nostrum herausgab, in der literarische, historische, linguistische und sozialwissenschaftliche Themen bezogen auf einen geographisch sehr weit gedehnten „Mittelmeerraum“ behandelt wurden. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts (das genaue Gründungsdatum ist nicht eruierbar) begann an der Waseda-Universität in Tokyo unter Leitung von Kobayashi Masao (Professor für Römische Geschichte), ein ‚Institute for Mediterranean Studies‘ (Chichûkai kenkyûsho) mit Forschungen zu den Zivilisationen des Mittelmeerraumes von der Antike bis heute unter Einbeziehung von Geschichte, Philosophie, Religion, Literatur, Kunst, Musik und Wissenschaften. Die in Monographien, aber auch in einem jährlich erscheinenden online-Bulletin publizierten Ergebnisse sind zumeist auf Japanisch, aber teilweise auch in westlichen Sprachen verfasst und über das Internet abrufbar. Einer Information im Bulletin von März 2010 zufolge wurde das Institut in ein ‚Institut für Mittelalter- und Renaissance-Studien‘ überführt und das online-Bulletin mit der Nummer 8 vom März 2010 eingestellt. Viele Artikel in den verschiedenen Veröffentlichungen behandeln einzelne Phänomene im Mittelmeerraum und teilweise auch darüber hinaus, aber Symposien und gemeinsame Forschungsprojekte bewirkten eine stärkere Fokussierung auf übergreifende Themen. Diese wenigen Beispiele, die nur einige der sichtbarsten Zentren und Netzwerke der Mittelmeerforschung in Japan vorstellen, zeigen, dass dieser Forschungsansatz am Anfang in den 1970er Jahren offenbar von der Annales-Schule beeinflusst war und sich die Mittelmeerforschung im Rahmen der Okzidentalen Geschichte in den 1980er Jahre parallel zu einer verstärkten Rezeption von Ideen und Ansätzen der Annales-Schule herausbildete. Allerdings scheint der Höhepunkt dieser Entwicklung überschritten zu sein, mindestens zwei der vier genannten Institutionen haben inzwischen geschlossen oder sich anderen Schwerpunkten zugewandt. Das bedeutet aber nicht, dass die Mittelmeer-Forschung damit ganz verschwunden ist. Sie verlagert sich wieder auf Einzelforscher, die in jüngster Zeit in ihren Arbeiten auch Fragen des Umweltschutzes oder der politischen Entwicklungen, z.B. in Hinblick auf die 2008 angedachte Mittelmeer-Union oder die Beziehungen der EU zu den südlichen Mittelmeer-Anrainerstaaten aufgreifen.

China In China steht die Beschäftigung mit der antiken Kultur des Mittelmeerraums wie in Japan im Zusammenhang mit Weltgeschichte oder „Geschichte des Westens“. Dabei wird auch die japanische Forschung rezipiert. Während die japanische Mittelmeerforschung nach dem Zweiten Weltkrieg relativ kontinuierliche Züge aufweist, ist das chinesische Interesse jüngeren Datums. Auch in China bleibt die Zahl der Mittelmeerspezialist/innen relativ beschränkt. Eine Abfrage der Schlagworte „Mittelmeer“ in Kombination mit „Geschichte“ ergibt in der größten chinesischen Zeitschriftendatenbank (ohne Taiwan) für die 19

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Jahre zwischen 1994 und 2012 um die vierhundert Artikel. Eine Suche nach „Braudel“ (Volltext) und Schlagwort „Geschichte“ ergibt sechs Treffer, die sich auf die Jahre 2005 bis 2010 verteilen. Die Suche nach dem Schlagwort „Mittelmeer“ in der Nationalbibliothek Peking führt zu 39 Buchtiteln zwischen 2000 und 2011 (ohne Reiseführer, Ratgeber für Innenausstattung und Kochbücher, Belletristik), davon 22 (56%) in japanischer Sprache. Für die Dekade 1990‒1999 ergeben sich 27 Titel, darunter 13 japanische (48%), für die Periode von 1950‒1989 sind es 16 Titel, darunter 13 japanische (81%), und von 1900 bis 1949 nur zwei japanische und keine chinesischen Titel. Selbst wenn die Katalogisierung früherer Jahrzehnte möglicherweise nicht vollständig ist, ergibt sich als klarer Trend, dass die chinesische historische Mittelmeerforschung jüngsten Datums ist, und dass sie sich auf die japanische Forschung stützt. Ein weiteres Phänomen des 21. Jahrhunderts ist, dass die ehedem als „Studien zu westlichen Regionen“ bezeichnete Studienrichtung, die sich auf die Regionen westlich des Han- bzw. Tangreichs konzentrierte, seit neuestem unter dem Rubrum „Mittelmeerforschung“ oder „Ostmittelmeerforschung“ anzutreffen ist. Am augenfälligsten wird dies in einem kürzlich erschienenen Werk von Yu Taishan, einem Historiker an der chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften, das unter dem Titel Gu dizhonghai yu Zhongguo guanxi shi yanjiu (Studien zu den Beziehungen des Mittelmeers und Chinas im Altertum) traditionelle Textforschung vorlegt. Yu Taishan verweist auf eine Forschergruppe, die sich in den letzten Jahren als Gemeinschaftsprojekt der chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften mit der schwedischen, dänischen, deutschen, österreichischen, englischen und australischen Akademie der Wissenschaften konstituiert hat. Für dieses Projekt unter dem Titel „China and the Mediterranean World: Archaeological Sources and Written Documents, from the Earliest Times until the End of the Tenth Century A.D” werden Textdokumente und Relikte des Austauschs gesammelt und veröffentlicht. Die gegenwartsbezogene Mittelmeerforschung Chinas konzentriert sich auf wirtschaftliche, geostrategische, ökologische und biowissenschaftliche Themen. Die Präsenz chinesischer Investoren, allen voran die Reederei China Ocean Shipping Company (COSCO), die seit 2009 die Hälfte des Containerhafens von Piräus für 35 Jahre gepachtet hat, in so gut wie allen Hafenstädten des Mittelmeers, wird derzeit immer deutlicher sichtbar. Es steht aber zu erwarten, dass auch das Interesse an kulturhistorischen Themen, die das Mittelmeer allein oder auch dessen Kontakte ans anderen Ende des eurasischen Kontinents betreffen, durch diesen intensivierten Wirtschaftsaustausch angeregt und gefördert werden.

Direkte und indirekte Auswirkungen: Die Übertragung des MittelmeerKonzepts auf Ostasien im 20. und 21. Jahrhundert Parallel zur Zunahme der Mittelmeerforschung häufen sich seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre in Japan Bücher mit Titeln wie „Japan/japanische Geschichte etc. ‚vom Meer her gesehen‘“. Darin kommt ein gewisser Perspektivwechsel zum Ausdruck, da der Blick der japanischen Historiker bis dahin doch eher auf das Land ge-

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richtet war und Japan primär als agrarische Reisbauern-Gesellschaft wahrgenommen wurde. Der Mittelalterhistoriker Amino Yoshihiko, der als einer der wenigen japanischen Historiker diese Sichtweise bereits in den 1980er Jahren im Zuge seiner Bemühungen um eine neue Sicht des japanischen Mittelalters durchbricht, begründet in einem 1995 in der Zeitschrift Annales erschienen Artikel Les Japonais et la mer die langjährige Dominanz der „Landperspektive“ mit der großen Bedeutung, die der Landwirtschaft und der sesshaften bäuerlichen Gesellschaft in den konfuzianisch geprägten Gesellschaften Ostasiens zugemessen wurde. Dies habe zu einer Vernachlässigung anderer, nicht-agrarischer Berufsgruppen, wie z.B. von Kaufleuten, Seeleuten und Fischern geführt. Zu der verstärkten Wahrnehmung des Meeres in seiner Funktion als verbindendes Element gehören seit Beginn des 21. Jahrhunderts auch Versuche, das Mittelmeer-Konzept auf Ostasien zu übertragen. Ein inter-universitäres, interdisziplinäres Forschungsprojekt zum Japanischen Meer publizierte den ersten Forschungsbericht 2004 unter dem Titel „Japanisches Meer/Ostasiatisches Mittelmeer“, während sechs Jahre später im Titel des fünften Forschungsberichts der Begriff „Ostasiatisches Mittelmeer“ bewusst vermieden und stattdessen der Begriff „Ostasiatisches Binnenmeer“ (Higashi Ajia naikai) für das Japanische Meer und das Ostchinesische Meer benutzt wird. Ein weiteres Beispiel für die Übertragung des Mittelmeer-Konzepts ist ein seit April 2011 am Institut für Ostasienstudien der Keio-Universität laufendes Projekt mit dem Titel: „Entstehung und Wandel der Kultur der [gemeinsamen] Meeresregion aus Sicht von Japan-China-Korea – Vergleichende Studien zu einer kulturellen Grundströmung 基層文化 rund um das „Ost-Mittelmeer“ (東方地中海)“. Diese Bezeichnung wurde bewusst gewählt, um die nationalen Bezeichnungen, die alle politischen Bias haben, beiseite zu lassen. In China ist diese Tendenz ebenfalls zur Kenntnis genommen worden, wobei die japanische Geschichtswissenschaft durchaus als initiativ begriffen wurde (Ge Zhaoguang).

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REGINE MATHIAS UND CHRISTINE MOLL-MURATA

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KONRAD CLEWING

Südosteuropäische Geschichte Definition des Faches und Relevanz des Mittelmeerraumes für das Fach Südosteuropäische Geschichte als Forschung über eine Großregion und ihre Teile, und zwar im Idealfall in Überwindung einer nationalen bzw. nur auf eine „Nation“ ausgerichteten Perspektive, existiert als gesonderte Disziplin im Wesentlichen seit der Schaffung entsprechender außeruniversitärer Forschungseinrichtungen (und etwas verzögert auch von Professuren vornehmlich an deutschsprachigen Universitäten) in den ersten Jahrzehnten nach 1945.1 An diesem Gesamtbild ändert wenig, dass es auch zuvor dezidiert auf südosteuropäische Geschichte bezogene Forschergestalten gegeben hat, oder dass das seit kurz vor dem Zweiten Weltkrieg für Jahrzehnte institutionell wegweisende Südost-Institut (bis 2007 in München, danach Regensburg, nunmehr Institut für Ost- und Südosteuropaforschung) bereits 1930 gegründet worden war. Das international erste Institut mit solcher Zuweisung wurde sogar schon 1913 vom damals führenden rumänischen Historiker Nicolae Iorga in Bukarest ins Leben gerufen (Institutul de studii sud-est europene). Dennoch ist die Südosteuropäische Geschichte zu einem Gutteil eine gegenüber der Region exogene und dabei stark deutsch geprägte Schöpfung ‒ wie auch der Begriff Südosteuropa (oder „südöstliches Europa“) um die Mitte des 19. Jahrhunderts in Mitteleuropa entstanden ist. Erst seit jüngster Zeit gibt es auch außerhalb des Untersuchungsraumes und Mitteleuropas einzelne gesonderte Einrichtungen zur Südosteuropäischen Geschichte (etwa in London: Centre for South-East European Studies). Daneben und potentiell konkurrierend existiert besonders innerhalb der Region ‒ gleichfalls nach ersten Anläufen in der Zwischenkriegszeit – eine vor allem ab etwa 1960 institutionalisierte „Balkangeschichte“. Dieser Begriff gilt heute nicht wenigen Betrachtern inhaltlich und territorial als klarer definiert; er bildet aber den bei vielen Fragestellungen wichtigen Zusammenhang „nichtbalkanischer“ südosteuropäischer Gebiete (wie etwa Zypern, Rumänien, Kroatien und teilweise darüber hinaus auch des historischen Ungarns) mit der übrigen Region unzureichend ab und sollte daher nur für den kleineren Teil der Gesamtregion verwendet werden. Abgesehen davon herrscht in der Region national fokussierte Geschichtsschreibung vor, deren Ergebnisse zum Mittelmeerraum in der Folge ebenfalls zu berücksichtigen sind. In die allgemeine Mediterranistik sind ihre Ergebnisse ansonsten kaum integriert worden, sei es wegen der Sprachbarrieren, sei es wegen längerer fachlicher (Selbst-)Isolierung der griechischen, vor allem aber der damals noch jugoslawischen Forschung. 1

Vgl. programmatisch: Bernath, 1973.

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Die über weite Strecken gültige Begrenzung Südosteuropas durch eine markante mediterrane Küstenlinie hebt es geographisch und kulturgeographisch deutlich von den anderen Teilen des weiter gefassten östlichen Europa ab. Denn diese haben (abgesehen von dem diachron angesichts der bis in jüngste Zeit kaum gegebenen Schiffbarkeit vernachlässigbaren Nordmeer) nur an die beiden recht kleinen Binnenmeere der Ostsee und des Schwarzen Meeres Zugang. Für die konzeptionelle und institutionelle (Teil-)Separation der Südosteuropäischen Geschichte vom Fach „Geschichte Osteuropas“ spielten indessen die mediterranen Aspekte der Geschichtsregion eine relativ geringe Rolle. Die Beschäftigung mit mediterranen Zusammenhängen steht bisher keineswegs im Zentrum des relativ neuen Faches. Allerdings sind sie in den Nationalhistoriographien der Küstenländer und dort besonders in Zypern, Griechenland und Kroatien spürbar prominent vertreten und sind auch über die entsprechende gesellschaftliche Wahrnehmung mit ein Grund, weshalb sich diese Historiographien leichter in „Südosteuropäischer Geschichte“ selbstverorten als in einer weitgefassten „Geschichte Osteuropas“.

Forschungsgeschichte des Faches in Bezug auf Mittelmeerforschung Die naturräumlichen Gegebenheiten des südosteuropäischen Anteils am Mittelmeerraum legen einen Begriff desselben nahe, der wesentlich eher dem engeren, auf die unmittelbaren Küstensäume und vor allem die Hafenstädte ausgerichteten von Abulafia (2012, S. 11f.) entspricht als dem großräumigen von Braudel. Die beiden eigentlichen Archipele des Mittelmeers liegen hier (die kroatisch-dalmatinischen Inseln einerseits, die deutlich größere ägäische Inselwelt andererseits). Und es gibt entlang der überwiegend sehr stark gekammerten Küsten eine Reihe von historischen Häfen: Triest und Rijeka (Fiume), Split, Dubrovnik (Ragusa), Kotor, das küstennahe und teilmediterrane Shkodra (mit den vorgelagerten kleineren Seehäfen Bar, Ulcinj und Lezha), Durrës (Dyrrachion/Durazzo) und in dessen teilweiser Ablösung weiter südlich Vlora (Valona), Korfu (Kerkira), Arta, Piräus, Saloniki (Thessaloniki), Konstantinopel/Istanbul, Rhodos, die Häfen auf Kreta und Zypern. Doch haben davon nur wenige historisch gesehen tiefe Anbindung und Ausstrahlung ins Hinterland erlangt, mit entsprechender „mediterranisierender“ Funktionen für dasselbe: Triest und Fiume (beide im Wesentlichen erst ab dem 18. Jahrhundert)2, frühneuzeitlich Split3, Dubrovnik, Durrës/Vlora, Saloniki und Konstantinopel (dessen weitgehender Ausschluss aus der Geschichte des Mittelmeers durch Abulafia (2012, S. 18) von der Warte der Südosteuropäischen Geschichte aus kaum nachvollziehbar ist; eine mediterrane Geschichte ohne gründliche Einbeziehung der zweifachen imperialen Hauptstadt und Hafenmetropole scheint aus dieser Sicht eigentlich undenkbar). Alle übrigen sind in historischer Perspektive in ihrer Ausstrahlung ins Hinterland Häfen zweiten Ranges. In vielen Fällen waren sie von schlecht überwindbaren Küstengebirgszügen vom Binnenland geschieden. 2 3

Zum verkehrsgeschichtlichen Hintergrund: Helmedach, 2002. Wichtig: Paci, 1971 (zur Behandlung der Karawanenzüge ins osmanische Binnenland).

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Auch die wenigen vorhandenen Küstenebenen in Mittelalbanien, Thessalien und im griechischen Nordosten waren vom Meer aus wegen ihrer Versumpfung und Malariaverseuchung bis tief ins 19. Jahrhundert nur stark eingeschränkt offen. Strukturell wurde diese Scheidung von schmalem Küstensaum und Binnenland fast überall wirksam, und sie wurde mitunter auch kategorienbildend von der Forschung aufgegriffen.4 Unterschwellig wirkt diese alte Dichotomie aber auch andersweitig in die Forschung hinein; so könnte man insbesondere im Bereich der Osmanistik von der Parallelexistenz einer kontinentalen und einer maritimen Forschungsausrichtung sprechen, deren Ergebnisse oft wenig miteinander verbunden werden. Aus den Erträgen der älteren Forschung sind zunächst Gesamt- oder Epochendarstellungen zu etlichen der größeren Hafenstädte von bleibendem Gewicht.5 Stadtgeschichten sind bis heute prominent vertreten und mittlerweile öfters sozialhistorisch bzw. im Sinne der neueren Kulturgeschichte methodisch fokussiert.6 Im Übrigen wurden Schifffahrt und Seehandel einzelner Häfen monographisch relativ häufig beschrieben, weshalb hier außer auf den in der Bibliographie genannten Band zu Seehandel und Marinepolitik und die gesamtregionalen Studien von Stoianovich (1992–1995) nur Beispiele für den oftmals in den Fokus gelegten Aspekt der Verflechtung einzelner ostmediterraner mit italienischen bzw. westmediterranen Häfen genannt werden sollen.7 Derlei Beziehungsgeschichte wirtschaftlicher, kultureller, politischer, kirchlicher und anderer Art war es auch, die unter den Bedingungen der späten (hinsichtlich Jugoslawien freilich in der Wirkung gemilderten) Ost-West-Trennung den Weg zu vermehrten bi- und multilateral grenzüberschreitenden gemeinsamen Forschungen geebnet hat. Hervorhebung verdienen die insgesamt mindestens sieben Congressi internazionali sulle relazioni tra le due sponde adriatiche, die zwischen 1976 und 1993 in Ancona stattfanden und jeweils von einem Tagungsband begleitet wurden. Dies war ein notwendiger Vorlauf dafür, dass heutzutage praktische und mentale Hürden kaum mehr bestehen und Herausgeber von beiderseits der Adria Projekte und Bände über die kultur- und gesellschaftshistorischen maritimen Verflechtungen gemeinsam verantworten (Baldassari, Jakšić u. Nižić, 2008). Als ein traditionelles, wenngleich weniger intensiv begangenes Forschungsfeld ist die Fischerei zu nennen, wo es schon früh jenseits von Meeresfauna und historischen Fangmethoden um die Rahmen- und Lebensbedingungen der Fischer ging.8 Noch viel häufiger erforscht wurden demgegenüber „abendländische“ Aspekte der 4

5 6 7

8

So in einer Nationalismusstudie Stančić, 1980, der die gesellschaftlichen Unterschiede zwischen dem urbanen Küstenstreifen und dem traditionalen Binnenland in eine Unterscheidung von „zwei Dalmatien“ analog zum einstigen venezianischen Territorialstand des vecchio und nuovo/nuovissimo acquisto überführte (S. 23–31, auch in deutscher Zusammenfassung: S. 380f.). Z. B. für Split: Novak, 1957–1978; für Dubrovnik: Carter, 1972; Foretić, 1980; 1981; für Durrës / Vlora: Ducellier, 1981; für Saloniki: Demetriades, 1983. Etwa: Finzi u. Panjek 2001–2003; Mazower, 2005. Vacalopoulos u. a., Hrsg., 1988; Stoianovich, 1992–1995; Atti del Convegno di studi Rapporti del Porto di Livorno con Ragusa e le città dell’Adriatico Orientale sec. XVI–XVIII, 1988; sowie als Quellenbeispiel: Iliadou, 1981. Südslawische Beispiele: Franetović-Bûre, 1960; Županović, 1993; Mihelič, 2007.

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Kulturgeschichte, wo außer Dubrovnik insbesondere die venezianischen Besitzungen in Südosteuropa intensiven Anteil an und eigenständige Umsetzungen von „westlichen“ Phänomenen aufzuweisen hatten, angefangen etwa mit weltlicher eigensprachlicher Literatur auf Kroatisch und Griechisch ab der Renaissance. Umgekehrt ließen die kleinräumigen Verhältnisse entlang der Adriaküste einige kulturelle Besonderheiten überdauern, die es so weder im Hinterland noch in anderen Teilen des Mediterraneums gab, etwa die erst im späten 19. Jahrhundert endgültig ausgestorbene ostromanische Sprache Dalmatisch oder die bedeutsamere, weil für die sonst lateinischsprachige Westkirche einzigartige „glagolitische“ slawische Kirchensprache vor allem in Dalmatien. Solche Phänomene verweisen in der Summe auf die erhebliche naturräumliche Absonderung gegenüber dem Hinterland wie auch auf die Zugänglichkeit des mediterranen Küstenstreifens bzw. der Inselwelten für Einflüsse und Machtstrukturen von außerhalb der Region, vorab aus dem italienischen Bereich. Deshalb konnten sich vielerorts Herrschaftsstrukturen „am Meer“ etablieren, die sich von denen im Hinterland unterschieden,9 allen voran durch die imperiale Überformung durch Venedig. Dieses Strukturprinzip hat schließlich eine ganz grundsätzliche indirekte Wirkung für das Fach. Anders als im Binnenland, wo die institutionellen Umwälzungen der mittelalterlichen Herrschaftsstrukturen durch die Osmanen (die ab dem ersten Erscheinen auf europäischem Gebiet 1352 binnen weniger Jahrzehnte den Großteil der Balkanhalbinsel unter ihre Herrschaft brachten) auch einen tiefen Bruch in der archivalischen Überlieferung bedeuteten, kann die Forschung für die bis 1797 venezianischen Gebiete sowie für Dubrovnik auf deren Kontinuität und infolgedessen auch für das Mittelalter auf umfassendem, aus der Verwaltung oder Gerichtsbarkeit stammendem Aktenmaterial aufbauen.10 Diese Sonderstellung weiter Teile des maritimen Saumes gilt in vielem auch für die südosteuropäische frühe Neuzeit, weil die osmanischen Quellen über das Hinterland nicht nur aus sprachlichen Gründen für Nichtosmanisten weitgehend verschlossen sind, sondern auch eine andere inhaltliche Struktur bzw. geringere (Überlieferungs-)Dichte und Kontinuität aufweisen. Das frühneuzeitliche Hinzukommen der Habsburgermonarchie von Norden her ändert diese Quellenlage nur in ihrem Herrschaftsbereich in Südosteuropa zum Positiven, was aber an Küstengegenden bis gegen 1800 nur den äußersten Nordosten der Adria betrifft. 9

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Angefangen von der lange auf schmale Küstengebiete beschränkten byzantinischen Herrschaft, über die „lateinischen“ Territorien nach dem 4. Kreuzzug von 1204, und in deren Folge die erst venezianisch und genuesischen, dann nur noch venezianischen Herrschaftsgebiete (die Überseegebiete des stato da mar, die vom westlichen Istrien zeitweise bis Zypern und auch bis 1797 immerhin noch von Istrien bis zu den südlichsten Ionischen Inseln reichten), sowie markante Einzelterritorien wie dasjenige des Johanniterordens (erst Zypern, dann Rhodos, 1306, 1310 bis 1523) und vor allem der Republik Dubrovnik (Ragusa). Wichtiges Beispiel zu Rhodos: Vatin, 1994. Ein verwandter „mediterraner“ Hintergrund gilt auch für das Fortbestehen der „Mönchsrepublik“ des Athos auf der Halbinsel Chalkidiki und der dortigen Archive – mit größter Bedeutung für die Bewahrung der ansonsten disparaten byzantinischen Quellenüberlieferung. Vgl. unter diesem Aspekt den kommentierten Überblick zu den Editionen von byzantinischen Urkunden, Regesten und Akten von Hörandner, 1978, S. 176–181.

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Archivgestützte Forschungsarbeiten aus der Südosteuropäischen Geschichte für Fragestellungen vor etwa 1800 waren und sind daher überdurchschnittlich häufig mediterran fokussiert. Forschungsgeschichtlich erkennbar ist das nicht zuletzt ab Mitte des 19. Jahrhunderts anhand der mediävistischen und frühneuzeitlichen Quelleneditionen aus mediterranen Archiven. Sie zählen bis heute zu den umfangreichsten, über die das Fach verfügt.11 Unter diesem Aspekt sind auch die wichtigen mediävistischen Vorläufer des Faches zu betrachten (Jakob Philipp Fallmerayer; Karl Krumbacher), welche schon im 19. Jahrhundert den traditionelleren engeren byzantinisch-griechischen Untersuchungsrahmen sprengten.

Gegenwärtige mediterranistische Forschungsfragen und Perspektiven Diese neben der „slawistischen“ Traditionslinie zweite, nämlich byzantinistische und neogräzistische Ursprungswurzel des Faches wirkt bis heute prägend fort. Sie schlägt sich in besonderer Mittelmeerkompetenz etlicher in ihr verankerter Forscherpersönlichkeiten für die Epochen vor 1800 nieder (etwa Alain Ducellier, Chryssa Maltezou, Peter Schreiner, Oliver Jens Schmitt). Andererseits stand bei den gesamtregional ausgerichteten Forschungseinrichtungen in Deutschland und Griechenland nach 1945 noch längere Zeit „Gegnerforschung“ zu den kommunistischen Staaten der Region im Vordergrund. Wie auch die Binnenschau der Institutionen in Bukarest, Sofia und Belgrad begünstigte dies keine mediterrane Schwerpunktsetzung und legte überdies wie auch die jüngsten Nachwirkungen des jugoslawischen Staatszerfalls einen zeitlichen Fokus auf dem (späten) 19. und dem 20. Jahrhundert nahe, für welche zudem die Aktenlage zur Gesamtregion und zum Binnenland viel günstiger ist als für frühere Epochen. Ein partieller Zusammenhang zwischen (national-)politischen Interessen im Mittelmeerraum und dem Fach besteht mit Blick auf die Nationalhistoriographien in Kroatien, Griechenland und Zypern, da eine propagierte politisch-strategische „mediterrane Orientierung“ des jeweiligen Landes bei analoger Anwendung im Bereich der Geschichte dazu dienen kann, südosteuropäische bzw. balkanische Aspekte hinter tendenziell prestigeträchtigeren „südeuropäischen“ Bezügen in den Hintergrund treten zu lassen. Die Neigung, sich auf diese Weise vom binnenländischen Hinterland bzw. den unmittelbaren Nachbarn abzugrenzen, hat aber insgesamt keine systematische Hinwendung zu maritimen Themen hervorgerufen.12 11

12

Siehe etwa: Ljubić, 1868–1891 (Quellen aus dem venetianischen Staatsarchiv; Registerband 1893); Novak, 1876–1972; Dinić, 1957–1967 (Bde. 1 und 2 v.a. zum balkanischen Binnenland, Bd. 3 zum ragusanischen Sklavenhandel); Valentini, 1967–1977. Ungeachtet der schon im späten Jugoslawien in Kroatien spürbaren „mediterranen“ diskursiven Selbstverortung dominiert in der dortigen Forschung die Beschäftigung mit den binnenländisch geprägten historischen Territorien „Kroatien und Slawonien“. Die frühe Neuzeit an der östlichen Adriaküste wird denn auch heute als einer der am schwächsten bearbeiten Problembereiche der kroatischen Historiographie bezeichnet (Beschreibung zu einem von Lovorka Čoralić geleiteten Projekt „Der kroatische ostadriatische Raum“ am Hrvatski institut za povijest, http://www.isp.hr/odjeli/odjel-za-novovjekovnu-povijest/hrvatski-istocnojadranski-prostor, zuletzt 12.1.2014).

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Wo sich das Fach mit dem Mittelmeerraum beschäftigt, ging es bis in jüngste Zeit gewöhnlich um enger lokalisierte Begebenheiten oder Phänomene. Auf den Mittelmeerraum an sich zielt die Forschung inhaltlich oder methodisch selten. Die international am meisten beachtete Ausnahme von dieser Regel kommt streng genommen von außerhalb des Faches: Es sind die in viele Sprachen übersetzten, essayartigen Betrachtungen zum „Mediterranen Breviarium“ des Philologen Predrag Matvejević, die um eine kulturhistorische Einheit des Mittelmeerraumes kreisen.13 Eine weitere Ausnahme sind jüngere Studien, die sich auf Grundlage der ab den frühen 1990er Jahren in Südosteuropa erschienenen Übersetzungen von Fernand Braudels La Méditerranée dessen Schemata zuwenden, zum Teil auch in produktiver origineller Brechung.14 Bedeutsam sind hier jüngste Untersuchungen (Schmitt, 2008) zu südosteuropäischen maritimen Kommunikationsräumen. Wichtig ist aber auch umgekehrt die neue Tendenz, kulturgeschichtliche Phänomene des Küstenstreifens vermehrt in gesamtsüdosteuropäische Zusammenhänge zu stellen (Puchner, 2006–2007; 2009). Alltags- und Mikrogeschichte wird unter Verwendung vor allem von Gerichtsund Notariatsakten vermehrt und zu verschiedenen Epochen betrieben. Dabei zeigt sich erst, wie kleinräumig verschiedenartig die Siedlungs-, Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse in nur vermeintlich homogenen Teilräumen wie der Ägäis von Insel zu Insel und ebenso zwischen Stadt und Umland variieren können, von den unterschiedlichen Bevölkerungsschichten und Verwandtennetzwerken innerhalb einzelner Kommunen ganz zu schweigen. Parallel dazu gehen etwa historische Gewaltforschung und traditionelle Themen wie das Piratentum neue Beziehungen ein.15 Die Aushandlungsprozesse rund um das Agieren der von Venedig aus im 14. Jh. entsandten Verwaltungsbeamten im Herrschafts- und Verwaltungsgefüge des stato da mar hat Monique O’Connel (2009) in den Mittelpunkt gestellt. Im Übrigen fällt als großes Thema die Forschung zu Lebenswelten und Identitäten von spezifischen Küstendiasporen ins Gewicht, insbesondere die zu Griechen, Juden und den katholischen Levantinern. Hier hat sich nicht nur die bedeutende griechische Diaspora- und Kleinasienforschung in hohem Maß von früheren nationalen Verengungen befreit, sondern es weist auch gruppenübergreifend diese Diasporaforschung auf ostmediterrane Verflechtungen hin, die den bloß südosteuropäischen Rahmen analytisch oftmals zu eng erscheinen lassen.16 Ähnlich „entgrenzend“ wirkt, dass in jüngerer Zeit sich auch die professionelle italienische 13 14

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Matvejević, 1987. Nun auch Matvejević, 2009 zur mediterranen Kulturgeschichte des Brotes. Etwa im Umfeld der in Koper (Slowenien) 1991 begründeten „Annales“, Zeitschrift für istrische und mediterrane Studien, und in der begleitenden Schriftenreihe Knjižnica Annales. Als diskursanalytisches Beispiel, in dem die „mediterrane Identität“ als nur eines von diversen großregionalen Identitätsangeboten dekonstruiert wird: Baskar, 2002. Vor 1990 war die Vorbildwirkung des seinerseits (trotz Loblied auf das Archiv von Dubrovnik) recht westmittelmeerzentrischen Braudel nur selten wirksam, am ehesten bei französischen Südosteuropaforschern; s. als Beispiel Ducellier, 1981. Kasdagli, 1999; Kopsida-Brettu, 1998; Janeković-Römer, 1999; Schmitt, 2011; für einen wichtigen Band auch unter Heranziehung von nachbyzantinischer Archäologie Davies u. Davies, 2007 und zu den Piraten Bracewell, 1992. Hasiotis, Hrsg., 1997; Katsiardi-Hering, 1986; Schmitt, 2005; sowie zahlreiche Publikationen am Athener Centre for Asia Minor Studies / Κέντρο Μικρασιατικών Σπουδών.

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Historiographie unter neuen, gleichsam post-irredentistischen Prämissen mit der nordostadriatischen italienisch-slowenisch-kroatischen staatlichen und sozialen Kontaktzone in der Zeit der Hochmoderne beschäftigt.17 Noch zu wenig untersucht, aber thematisch für die mediterranen Studien insgesamt relevant, könnte schließlich eine künftige südosteuropabezogene Forschung darüber sein, wie sich relative Küstennähe und die zugehörigen Raumbegriffe sowie die Siedlungsstrukturen durch den Ausbau der Infrastruktur zu Lande verändern können: Beginnend mit dem 18. und im 20. Jahrhundert und bis in die Gegenwart beschleunigt ist ein Prozess stark spürbar, der bis tief ins Binnenland hinein vorherige Küstenferne aufhebt und zugleich zur tiefgreifenden siedlungsgeographischen Marginalisierung, ja teilweisen Entvölkerung der einst durch ihre ursprünglich – im Vergleich zum Binnenland mit seinen schlechten Wegen und Straßen – gute verkehrstechnische Zugänglichkeit zur See noch zentral gelegenen Insellandschaften führt.

17

Wichtig etwa: Cattaruzza, 2007; Cerasi, Petri u. Petrungaro, 2008.

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KONRAD CLEWING

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BEATE EGO, CHRISTIAN FREVEL, KATHARINA GRESCHAT, JOSEF RIST UND REINHARD VON BENDEMANN

Evangelische und Katholische Theologie Im Rahmen der Evangelischen und Katholischen Theologie befassen sich vornehmlich die Historischen Fächer mit dem Mittelmeerraum, weswegen die übrigen Fächer beider Theologien an dieser Stelle ausgeblendet werden können.

Beate Ego und Christian Frevel: Altes Testament Definition des Faches und Relevanz des Mittelmeerraums für das Fach Das Alte Testament bzw. die Hebräische Bibel ist eine Schriftensammlung, die in einem langen und komplexen Entstehungsprozess in vielen Jahrhunderten im 1. Jt. v. Chr. entstanden ist. Sie ist zum einen – als Altes Testament – Teil der christlichen Bibel und – unter der Bezeichnung „Tanakh“ – die Heilige Schrift des Judentums. Dementsprechend vielfältig und breit ist der Zugang der wissenschaftlichen Disziplin „Altes Testament“ zu diesem Dokument: Neben der Sprache und den Entstehungsprozessen der Texte und ihrer ursprünglichen Kontextualisierung (die sog. „Einleitungswissenschaft“) untersucht diese Disziplin die Zeit- und Religionsgeschichte des Alten Israel sowie die in den Texten dargebotene Theologie. In diesem Zusammenhang spielen historische, archäologische, epigraphische und ikonographische Zeugnisse aus dem Raum Syrien/Palästina eine bedeutende Rolle. Das biblische „Land Israel“ bzw. neutraler die südliche Levante kann dabei als zentraler Bezugspunkt des Faches angesehen werden: Zum einen befanden sich dort – wenn auch in unterschiedlicher territorialer Ausprägung –die politischen Zentren des Volkes Israel. Zum anderen kann davon ausgegangen werden, dass ein Großteil der alttestamentlichen Schriften in diesem geographischen Raum entstanden, zumindest aber darauf bezogen ist. Der Mittelmeerraum ist für das Fach von unmittelbarer Relevanz, da das biblische Israel direkt am Mittelmeer gelegen war. In außerbiblischen babylonischen und aramäischen Texten wird der südliche Ausläufer der Levante bzw. die südsyrische Landbrücke z.T. als „Land zwischen den Meeren“ (Mittelmeer und Indischer Ozean) wahrgenommen. Die als Einflussbereich Judas und Israels in Frage kommende Mittelmeerküste umfasst eine Länge von ca. 200 km und reicht von der tyrischen Treppe Rās en-Naqūra (ca. 20 km südlich von

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Tyros), der heutigen Staatsgrenze zwischen Israel und Libanon, im Norden bis zum Gazastreifen und dem Nachal Besor (Wādīel-Ġazze), der natürlichen Grenze im Übergang nach Ägypten im Süden. Während der Küstenstreifen im Norden lediglich 7 km breit ist, weitet er sich südlich des Karmelgebirges in der Scharon Ebene bis auf 20 km und schließlich im Süden bei Gaza auf 40 km. Mit Ausnahme des Karmelgebirges im Norden ist die Küstenregion eine flache Ebene (primäre landwirtschaftliche Nutzung: Weinbau), die sich zunächst nur wenig über den Meeresspiegel erhebt, um dann aber nach Osten hin in die sog. Schefala überzugehen, eine ungefähr 20 km breite fruchtbare Hügellandschaft mit einer durchschnittlichen Höhe von 200–300 m (primäre landwirtschaftliche Nutzung: Ölproduktion). Diese steigt zum judäischen bzw. samarischen Bergland an (primäre landwirtschaftliche Nutzung: Kleinviehzucht und Getreideproduktion, Weinbau), das dann wiederum recht steil zum Jordangraben (primäre landwirtschaftliche Nutzung: Kleinviehzucht, Obstanbau) hin abfällt. Wesentliche Bodenschätze weist das Land nicht auf, weshalb die ökonomische Entwicklung vom Fernhandel wesentlich abhängig ist.

Forschungsgeschichte des Faches in Bezug auf Mittelmeerforschung Das Mittelmeer und seine Erforschung sind bisher kaum als eigenständiges Thema der alttestamentlichen Disziplin wahrgenommen worden. Hier greift die Disziplin meist auf landeskundliche und archäologische Forschungen (nahezu alle Küstenstädte sind inzwischen archäologisch untersucht, die maritime Archäologie hat in den vergangenen Dekaden große Fortschritte gemacht) bzw. auf wirtschafts-, religions- und sozialgeschichtliche Untersuchungen der Nachbardisziplinen zurück. Fragestellungen und Themen der Mittelmeerforschung, die den Mittelmeerraum als eine dynamische historische, ökonomische und kulturelle Größe verstehen, wurden freilich implizit und ohne direkte Referenz auf das Forschungsgebiet in der alttestamentlichen Wissenschaft in den unterschiedlichsten Zusammenhängen immer wieder und auch breit thematisiert. So gehört es zum wissenschaftlichen Standard, die Geschichte Israels als ein dynamisches Zusammenwirken der unterschiedlichsten ethnischen und politischen Kräfte zu sehen, zu denen neben den Mächten des Vorderen Orients auch Elemente des Mittelmeerraumes gehören. Hier können nur einige ausgewählte Beispiele genannt werden: Der Zusammenbruch der meisten kanaanäischen Stadtstaaten, der der sog. Landnahme Israels vorangeht, ist Teil einer großen Umbruchsbewegung, mit der das erste mediterrane Wirtschaftssystem (19./18. Jh. bis 12. Jh. v. Chr.) sein Ende fand. In diesem Kontext ist auch auf die Diskussion um die sog. Philister zu verweisen. In der Regel werden diese mit den sog. Seevölkern in Verbindung gebracht, die ihre Ursprünge im westlichen und nordöstlichen Mittelmeerraum haben könnten und im Zuge von Migrationsbewegungen in der ausgehenden Bronzezeit in den östlichen Mittelmeerraum gelangten.1 Jüngere Arbeiten weisen allerdings wie im Rahmen der Entstehung Israels auf die indigenen Elemente der philistäischen Kultur hin und machen 1

Zum Ganzen Strobel, 1976; Oren, 2000; Knauf, 2002 und Niemann, 2002.

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damit deutlich, wie stark der mediterrane Raum als Austauschraum mit Kontinuitäten und Diskontinuitäten in Entwicklungsprozessen wahrgenommen werden muss. Folgt man einem breiten Strom innerhalb der Geschichte Israels, so bildete das Erstarken der Philister einen wichtigen Impuls für die Entstehung des israelitischen Königtums. Des Weiteren ist auf den immensen politischen Einfluss Ägyptens auf den Verlauf der Geschichte Israels aufmerksam zu machen, wie er vor allem in der frühen Königszeit sowie am Ende der assyrischen Herrschaft ganz besonders deutlich zu greifen ist.2 Dieser ist von der geopolitischen Bedeutung der via maris, die an der Mittelmeerküste entlangläuft, nicht abzulösen. Schließlich können, um ein letztes Beispiel zu nennen, die Ereignisse um den Makkabäeraufstand (168–165 v. Chr.), die letztlich zu einer Emanzipation der Provinz Juda von der seleukidischen Oberherrschaft und zur Hasmonäerherrschaft führten, nur vor dem Hintergrund des unaufhaltsamen Aufstiegs Roms im westlichen Mittelmeerraum und der Auseinandersetzung Griechenlands mit dieser politischen Macht verstanden werden. Der Makkabäer Jonatan taktiert geschickt zwischen den rivalisierenden Parteiungen der Griechen und Römer und kann so letztlich das Amt des Fürsten und Hohenpriesters für sich bekommen, wodurch die Basis für eine Dynastiebildung gelegt wird (Hengel, 1973; Gera, 1998). Die ökonomische Verbindung mit dem Mittelmeerraum über die Schifffahrt scheint dagegen für das Alte Israel von eher nachgeordneter Rolle gewesen zu sein, da die dem Territorium Israel zugehörige Küste über keinen natürlichen Hafen verfügte. Der bedeutendste Hafen an der südlichen Levanteküste war seit der Bronzezeit der von Aschkalon, einer der fünf philistäischen Pentapolisstädte. Daneben ist der schon in spätbronzezeitlichen Quellen erwähnte phönizische Hafen von Dor von großer Bedeutung, der zusammen mit Achzib, Akko und Jaffa in hellenistischer Zeit blühte. Die Handelsaktivitäten, die im 1. Jt. v. Chr. in Bezug auf Israel und im 8./7. Jh. in Bezug auf Juda internationale Intensität entfalteten, führten zum Import von Luxusgütern ebenso wie (wahrscheinlich im Tauschhandel gegen Wein und Getreide) von Meeresfischen, die in größeren Mengen etwa in Jerusalem nachgewiesen wurden. Mit den weiter nördlich gelegenen Küstenorten Tyros, Sidon und Byblos bauten die Phönizier eine wichtige Handelsmacht aus, deren Spuren bis in die samarischen Münzprägungen der späten Perserzeit reichen. Mehrfach berichtet die Bibel von Handelsaktivitäten und Seefahrten, die mit dem sehr alten phönizischen Seehafen Jafo verbunden waren (2Chr 2,15; Esra 3,7; Jona 1,2). Erst in der Makkabäerzeit konnten die Juden die Hafenstadt Joppe kontrollieren (1Makk 10,76; 1Makk 14,5); die Hafenstadt Caesarea, vormals Stratonsturm, wurde von Herodes d. Gr. zu einer Hafenstadt nach hellenistisch-römischen Vorbild ausgebaut. Über Caesarea Maritima wird in römischer Zeit der größte Teil des maritimen Fernhandels abgewickelt. Dass das Alte Israel auch vielfältigen kulturellen Einflüssen aus dem Mittelmeerraum ausgesetzt war, ist ebenfalls offensichtlich und in der Entwicklung der materiellen Kultur auch abzulesen. Bereits die biblische Überlieferung berichtet davon, dass König Salomo zur Verwirklichung seines Tempelbauprojektes phönizische 2

Vgl. dazu ausführlich Schipper, 1999.

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Fachleute heranzog (1Kön 5,15–32). In ihrer historischen Belastbarkeit sind insbesondere die nautischen jointventures zwischen Israel und Phönizien nicht leicht zu beurteilen. Diese beginnen nach biblischem Zeugnis mit Salomo und Hiram von Tyros (1Kön 9,26f.; 10,11) und werden daran anknüpfend in den antiken Quellen für die persisch-hellenistische Zeit bezeugt (Hdt. Hist. 2,104; 3,5; 7,89; Jos. Ant. 8,262; c. Ap 1,22, 168). Für eine breitere salomonische Aktivität im maritimen Fernhandel gibt es jedoch keine archäologisch belastbaren Hinweise. So ist z.B. der Ausbau des natürlichen Hafens von Ezion-Geber (ĞezīretFirā˓ūn) am nördlichen Ende des Roten Meeres erst im 8. Jh. v. Chr. erfolgt. Eine umfassende Wirtschaftsgeschichte des Mittelmeerhandels, die die veränderte Quellenlage berücksichtigt, gehört zu den Desideraten der Forschung. Als anderes Beispiel lässt sich die Präsenz von griechischen Söldnern anführen, die nicht erst in hellenistischer Zeit, sondern eher bereits ab dem 7. Jh. v. Chr. und in der Achämenidenzeit im Küstenstreifen präsent sind. Attische Keramik wird allerdings nicht nur von Söldnern importiert bzw. mitgebracht und auch nicht ausschließlich von dem geringen aus dem Westen stammenden Bevölkerungsanteil, sondern breiter genutzt. Auch hier sind in jüngerer Zeit Neubewertungen aus archäologischer und mediterranistischer Perspektive vorgenommen worden.Von großer forschungsgeschichtlicher Bedeutung war Martin Hengels Werk „Judentum und Hellenismus“ (1. Aufl. 1969), in dem dieser auf die vielfältigen Einflüsse der griechisch-hellenistischen Kultur und Religion auf das Judentum in der Ptolemäer- und Seleukidenzeit aufmerksam machte. Damit erfolgte eine zunehmende Sensibilisierung für die Thematik west-östlicher kultureller Interaktion, die sich auch auf die vorhellenistische Zeit ausdehnte3. Neuere Arbeiten verweisen auch auf den Einfluss Homers auf die biblische Überlieferung. Für die sog. Motiv- und Traditionsgeschichte, deren Ziel es ist, die Bedeutungsdimensionen biblischer Vorstellungskomplexe, ihre literarische Herkunft und Entwicklung aufzuarbeiten, spielt die Symbolik des Meeres eine bedeutende Rolle. Das Meer wurde als eine mythische Größe wahrgenommen, die durchaus auch lebensfeindliche und chaotische Dimensionen haben kann. Dieser Aspekt wird personifiziert und kommt durch die Vorstellung von monsterhaften Wesen (z.B. Leviatan, Rahab, Behemot) zum Ausdruck. Im mythologischen Kontext wird das Meer als eine beständige Bedrohung empfunden, das – wenn auch beim primordialen Schöpfungsakt zurückgedrängt – von Gott ständig in Schranken gehalten werden muss (Ps 104,9). In enger Verbindung mit dieser Vorstellung steht möglicherweise die Ausstattung des Jerusalemer Tempels, wo das sog. Eherne Meer als ein großes bronzenes Wasserbecken die Bändigung des Meeres und den lebensspendenden Aspekt des Wassers symbolisierte. Hier weisen die alttestamentlichen Texte auch enge Beziehungen zu der kanaanäischen Vorstellungswelt auf, wie sie etwa in den Texten aus Ugarit greifbar wird. Im Baals-Zyklus ist „Yam“, das Meer, der Gegenspieler der Gottheit Baals.4 3

4

Witte u. Alkier, 2003 mit dem wichtigen Aufsatz von Kaiser: Jerusalem und Athen. Die Begegnung des spätbiblischen Judentums mit dem griechischen Geist, ihre Voraussetzungen und ihre Folgen (Kaiser, 2003), der auch die weiterführende Literatur verzeichnet. Vgl. auch Alkier u. Witte, 2004. Vgl. die richtungsweisende Studie von Kaiser, 1962.

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Gegenwärtige mediterranistische Forschungsfragen und Perspektiven Ganz allgemein lässt sich festhalten, dass in den letzten Jahren eine gesteigerte Sensibilität für den griechischen Einfluss auf die israelitische, judäische und samaritanische Kultur- und Religionsgeschichte zu beobachten ist. Die kulturellen und materiellen Austauschprozesse, die sich allerdings nicht allein mit dem Stichwort „Hellenismusforschung“ fassen lassen, sondern darüber in zeitlicher und sachlicher Hinsicht hinausgehen, sind vielfach Gegenstand der Einzelforschung. Der Mittelmeerraum wird dabei insgesamt als Austauschraum begriffen, in dem Konzepte, Traditionen, Güter und materiale Objekte im gegenseitigen Kontakt verhandelt werden. Religionen, d.h. Götter, Rituale und andere religiöse Handlungsformen, Traditionen und Symbole bilden dabei einen – wenn auch im Unterschied zu früheren Ansätzen nicht den wesentlichen – Teil. Im Bereich der Religionsgeschichte wird die Religion des frühen Israel als nicht prinzipiell unterschiedene Unterform der syro-phönizischen Religionen begriffen, die wiederum ohne den Mittelmeerraum und seine Austauschprozesse nicht zu fassen ist (Bonnet u. Niehr, 2010). Damit verändert sich die Perspektive insofern, als Israel, Juda, Judäa etc. weder in totaler kultureller Differenz zu Kanaan in der ersten Hälfte des 1. Jts. noch zum syro-phönizischen Raum bzw. der hellenisierten Umwelt in der zweiten Hälfte des 1. Jts. v. Chr. verstanden werden können. In der jüngeren Forschung verstärkt sich die regionale Differenzierung, die z.B. für Galiläa, Samaria, Judaä, den Negeb, die Schefela und den Küstenstreifen je andere Intensitäten und Ausformungen der Einbindungen in den mediterranen Kulturtransfer feststellt. Die auch in der Mediterranistik präsenten und überwiegend von raumsoziologischen wie kulturwissenschaftlichen Paradigmen angeregten Kategorien und Prozesse wie Hybridisierung, Homogenisierung, Dynamik, Identitätskonstitution etc. sind dabei in der jüngeren Forschung relevant. Forschungsgeschichtlich ist das Alte Testament und das Alte Israel vielfach als Teil eines mediterranen Religions- und Kulturraumes begriffen worden. Neben Überblicksdarstellungen aus dem Bereich der Kulturwissenschaften5, kann hier auf Einzelstudien verwiesen werden. So versuchte man, über Analogien zu anderen Mittelmeergesellschaften die Plausibilität des Menschenopfers im Alten Israel zu erschließen, allerdings ohne explizite Reflektion über diesen Zugang (Bauks, 2011). Die Kultur- und Mentalitätsforschung betont aus kulturanthropologischer Perspektive die Einbindung der in den biblischen Texten reflektierten sozialen Realitäten in eine mediterrane Kultur, die sich etwa durch das Challenge-Risposte Prinzip (Agonismus) auszeichnet, die stark hierarchisch konstruiert ist, in der Status relational definiert wird und in der Ehre und Schande zentrale wertbezogene Größen sind6. Größere wirtschaftsgeschichtliche Aufmerksamkeit in der Einzelforschung finden in jüngerer Zeit auch die für das Binnenland zentralen mediterranen Handels5 6

Grant, 1974; anders dagegen Schulz, 2005, wo Israel bzw. Juda gar nicht erscheint. Pilch u. Malina, 1998 sowie Neumann, 2000, Bd. 2. Vgl. dazu die Ausführungen zum Neuen Testament.

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zentren und die verkehrstechnisch günstig gelegenen Emporien/„Hubs“, über die der Austausch stattgefunden hat. Ein weiteres Fallbeispiel für die Bedeutung des Mittelmeerraums als Austauschraum ist die jüngere Erforschung von Reinheitskonzepten. Hier lösen komplexere, mit dem Mittelmeerraum verbundene Kontakt- und Austauschprozesse die frühere Annahme bloßer anthropologischer Konstanten ab. Dabei tritt nicht nur die gegenseitige Beeinflussung der Konzepte, sondern auch ein Zusammenhang der Intensivierung von Reinheitsanforderungen im Kult mit Prozessen der Textualisierung und Sakralisierung zu Tage (Frevel u. Nihan, 2013). Gerade im Hinblick auf das alttestamentliche Israel ist ein besonderer Augenmerk auf die Einbindung dieser politischen und kulturellen Größe in die Zeit- und Religionsgeschichte der orientalischen Großreiche (Assyrer, Babylonier, Perser) zu werfen, wobei insbesondere das Spannungsfeld zwischen „Ost“ und „West“ ausgelotet werden muss. Zudem sind die geographischen Eigenheiten des biblischen Landes zu berücksichtigen und es scheint geboten, nachdrücklich auf die Möglichkeit unterschiedlicher Einflussbereiche zu sensibilisieren. In diesem Kontext müssten Ansätze aus der Religionsgeographie, die eine Verbindung von naturräumlicher Ausprägung und religiösen Vorstellungen und Praktiken bedenkt, weiter verfolgt werden. Der Küstenbereich ist als Mikroregion innerhalb des biblischen Landes Israels wahrzunehmen, der nochmals anderen Bedingungen unterliegt als das Hochland bzw. die südlichen Wüstenregionen (vgl. hierzu Kuhnen, 2004). So eröffnen sich weitere Forschungsperspektiven auf die binnenterritoriale kultur- und religionsgeschichtliche Dynamik des alttestamentlichen Israels.

Reinhard von Bendemann: Neues Testament Definition des Faches und Relevanz des Mittelmeerraums für das Fach Der frühchristliche Glaube nimmt seinen Ausgang von Palästina und Syrien. Die ältesten Quellen zeigen Jesus und seine frühen Nachfolger nur wenig in Kontakt zu Küste und Meer; dieses gehört unter die lebensweltlichen Voraussetzungen der Anfänge des ältesten Christentums. Östliche Abschnitte des Mittelmeeres werden mit den Anfängen der Mission, die von der christlichen Gemeinde in Antiochia am Orontes ausgeht, bald nach der Entstehung des Glaubens an die Auferweckung Jesu regional stärker fokussiert. Insgesamt ergibt sich der spannungsvolle Befund, dass sich für das älteste Christentum der ersten beiden Jahrhunderte weder in historischer noch in ideeller Hinsicht der „Mittelmeerraum“ als eine eigenbedeutsame Größe ausdifferenzieren lässt; zugleich verbinden sich mit dem „Meer“ jedoch Weltausschnitte, an denen die ältesten Christen im Prozess ihrer Identitätsfindung und Ausbreitung unstrittig in besonderer Weise partizipiert und die sie auch konzeptionell beschäftigt haben. Die neutestamentliche Wissenschaft erforscht die Le-

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benszeugnisse dieses ältesten Christentums als einer Devianzbewegung aus dem frühen Judentum unter den Bedingungen der hellenistisch-römischen Zeit und Welt mit dem Methodenspektrum der Philologien der beteiligten Sprachen, der klassischen Altertumswissenschaften sowie vor allem auch text- und literaturwissenschaftlichen Methoden.

Forschungsgeschichte des Faches in Bezug auf Mittelmeerforschung Die Disziplin „Geschichte des Frühchristentums“ sucht die Befunde der Etablierung, Entwicklung und Ausbreitung des ältesten Christentums historisch zu synthetisieren. In ihr bildet der mediterrane Raum als solcher nur in wenigen Ausnahmefällen einen eigenständigen Bezugspunkt.7 In der Mehrheit einschlägiger jüngerer Gesamtdarstellungen spielt der Mittelmeerraum hingegen als eine sinnvoll zu untersuchende, fest umrissene Gestalt keine Rolle. Hat sich das frühe Christentum nach seinen ländlichen Anfängen schon bald als „Stadtreligion“ etabliert (vgl. von Bendemann u. Tiwald, 2011), so ist dies keineswegs allein auf Städte im Umfeld des Mittelmeeres zu beziehen, sondern umfasst grundsätzlich das gesamte provinzial gegliederte Imperium bzw. die Gesamtheit von Landschaften und Landstrichen der erreichbaren Welt.8 Als Beispiel kann etwa das Präskript des 1. Petrusbriefes herangezogen werden, der an die Christen in Pontus, Galatien, Kappadokien, Asien und Bithynien gerichtet ist. Paulus schreibt, er sei von Jerusalem aus „in weitem Umkreis bis nach Illyricum“ gekommen (Röm 15,19); auch hierbei spielt das Meer nur z.T. und indirekt eine Rolle. Bedeutsam wird hier zunächst die kleinasiatische Halbinsel resp. sind auf ihr die römischen Provinzen Asia, Bithynia et Pontus, Cappadocia, Cilicia, Lycia et Pamphylia, ein Gebiet, das bis ans Schwarze Meer reicht. Neben der Achaia und Italia sind auch die keineswegs nur über das Meer erschlossenen Provinzgebiete Ägyptens und Nordafrikas (vor allem die Kyrenaika) für die christlichen Anfänge von Bedeutung; vielfach konnte das Christentum hier an die hellenistisch-jüdische Diaspora anschließen. Der Blickwinkel der Forschung reicht im Westen über Rom hinaus und im Osten bis Armenien, Mesopotamien und Babylonien bis zu den östlich des Mutterlandes lebenden Juden und ihren literarischen Zeugnissen. Allerdings ist unbeschadet dieser Relativierungen insbesondere der östliche Mittelmeerraum historisch unbestreitbar von zentraler Bedeutung für die Prozesse der Ausbreitung und Etablierung des frühen Christentums gewesen – zumeist im Ge7

8

So z.B. bei Hengel, 2008, S. 105f.: „Die unaufhaltsame Ausbreitung des christlichen Glaubens im Mittelmeerraum während der ersten 120 Jahre ist der rote Faden für jede Geschichte des Urchristentums“. Vgl. zum archäologischen Hintergrund Finegan, 1992. Bei Meeks markiert der Übergang vom Dorf zur Stadt die entscheidende Zäsur in der Entwicklung des Frühchristentums, wie vor allem an den paulinischen Missionsgemeinden gezeigt wird; hierbei geht Meeks bei allen Differenzierungen von einem weithin einheitlich begriffenen idealen Typos der Stadt im mediterranen Raum aus (vgl. Meeks, 1993, S. 37f.). Zur Genese der Provinzengliederung am Beginn der Prinzipatszeit: Eck, 1995; 1997 u. Haensch, 2004.

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folge der jüdischen Diaspora. Die Quellen wissen z.B. früh von missionarischen Kontakten auf Zypern, der Heimatinsel des Barnabas, sowie – im Zuge der paulinischen Mission – in Hafenstädten des Festlands wie Thessaloniki am Thermaischen Golf und Korinth, welches mit Lechaeon am Golf von Korinth und Kenchreä am Saronischen Golf zwei Häfen besaß. Die Geschichte der Besiedlung, Ökonomie, Bevölkerungsstruktur, Kultur, Verwaltung etc. solcher Städte steht in Verbindung zum angrenzenden Meer; ihre Erforschung bietet auch wichtige Informationen für die lebensweltlichen und religiösen Voraussetzungen, welche die ältesten christlichen Gruppen hier vorfanden und in denen sie sich einrichteten. Die frühen Christen nutzten die Schifffahrtsrouten des Mittelmeerraumes in römischer Zeit; sie waren hier den gegebenen Bedingungen der Handels- und Militärrouten ausgesetzt, etwa beim Transport von Briefen oder den Reisen von Missionaren, den Schiffsgeschwindigkeiten sowie den Wind- und Wetterverhältnissen (vgl. als Beispiel Apg 27f.).9 Das Mittelmeer erscheint in den zeitgenössischen christlichen Quellen jedoch nie als ein mare nostrum, sondern – in weitgehendem Einklang mit zeitgenössischen jüdischen Quellen – als ein solch fremdes Medium, dessen Transitoritätsund Kontaktmöglichkeiten primär funktional genutzt und erschlossen werden. Eigenständige und eigengewichtige Konzepte des mediterranen Raumes werden so nicht entwickelt. Auf die Genese der Etablierung und Ausbreitung der ältesten Christen gesehen, beschreibt „der“ mediterrane Raum in sich keine sinnvolle Untersuchungsgröße. Die Problematik ist durch die einzelnen Teildisziplinen des Faches und über sie hinaus zu verfolgen. So lässt auch das Instrumentarium religionshistorischer Forschung die Ausgrenzung und Isolierung spezifisch mediterraner Phänomene und Entwicklungen des Frühchristentums nur sehr bedingt sinnvoll erscheinen.10 So dient in den wenigen Untersuchungen, die programmatisch von einem religiösen Feld des mediterranen Raumes ausgehen, das „Mittelmeer“ oft nur als ein allgemeiner Rahmen, der wenig konkretisierbar ist. David E. Aune (1983) untersucht Phänomene frühchristlicher Prophetie in Bezug auf Formen des antiken Orakelwesens sowie frühjüdischer Prophetie mit einer vorrangig gattungsgeschichtlichen bzw. traditionsgeschichtlichen Fragestellung. Die mediterrane Perspektive soll dabei als ein „new framework“ fungieren (Aune, 1983, S. 1, 17: „structural framework“), doch werden die postulierten „various aspects of ancient Mediterranean revelatory and prophetic traditions …“ (Aune, 1983, S. 17) als solche kaum greifbar. Das Attribut „mediterranean“ erscheint weitgehend austauschbar mit der Rede 9 10

Vgl. Kolb, 2000, S. 63, 220, 298, 308f., 318 zu Geschwindigkeiten in der Seefahrt auf dem Mittelmeer. Eine Aufteilung des Feldes in „Religionen des Mittelmeerraumes“ und solche des „nahen Ostens“ ist kaum trennscharf durchzuführen (so bei Kippenberg u. Stroumsa, 1995). Gleichwohl wird das religiöse Feld der griechisch-römischen Welt in anglophonen Arbeiten in jüngerer Zeit häufiger unter das Label „mediterran” subsumiert. Vgl. Meyer, 1992; Richardson u. Wilson, 2000; Asirvatham, Pache u.Watrous, 2001; Crook, 2004; Lange, Meyers, Reynolds u. Styers, 2011. Vgl. den für 2013 angezeigten Titel: Rüpke, The Individual in the Religions of the Ancient Mediterranean. Auch im Blick auf das frühe Judentum und seine soziale Stellung in der griechisch-römischen Welt kann der mediterrane Raum als signifikanter Untersuchungshorizont gelten; vgl. z.B. Harland, 2003.

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von der zeitgenössischen griechisch-römischen Kultur; viele Untersuchungsfelder transzendieren in der Arbeit von Aune eine Affinität zum Mittelmeerraum.11

Die kulturanthropologische Entdeckung des Mittelmeers in seiner Bedeutung für das älteste Christentum Das Mittelmeer als eigener und innovativer Bezugspunkt tritt erstmals vor ca. 30 Jahren in den Gesichtskreis der neutestamentlichen Forschung und behauptet sich hier seitdem in einem relativ eigenständigen Strang, der unter dem Titel „Kulturanthropologie“ firmiert. Die neuen Anstöße haben, vermittelt v.a. durch die Arbeiten von Bruce J. Malina und weiterer Forscher, insbesondere der sogenannten „context group“, auch die europäische Forschung erreicht (Malina u. Neyrey, 1991; Malina, 1993; Malina, 1998, S. 14–34). Im Hintergrund des neuen „mediterranean approach“ stehen Arbeiten aus dem Bereich der Ethnologie der 50er und 60er Jahre des 20. Jahrhunderts, die sich speziell mediterranen Ländern und Regionen zugewandt haben.12 Behauptet wird im Kern die zeit- und regioneninvariante Konstanz des anthropologischen Konzeptes von „honor and shame“. Die mediterranen Gesellschaften nicht nur der Antike, sondern auch der Neuzeit gelten als „honor societies“ (Malina u. Neyrey, 1991, S. 35. Alle folgenden Zitate im Haupttext aus diesem Titel). Homologisierend wird von einem Wertsystem der „Ehre“ in „den“ „Mediterranean countries“ bzw. der „Mediterranean culture“ ausgegangen (S. 25; vgl. S. 26: „common qualities that Mediterranean people label as honorable“); „Ehre“ sei der „pivotal concern for Mediterraneans” (S. 29) – und zwar im Unterschied zur „Western culture“ (S. 26). In dieser Gegenüberstellung zeigt sich die nordamerikanische Perspektive des Ansatzes. Das Antonym der „Ehre“ ist „Scham“/„Schande“. Das mediterrane „Ehre“-Konzept wird dabei zunächst als Selbstwahrnehmung des eigenen Status begriffen; wichtiger ist jedoch die Zuschreibung von „Ehre“ durch die soziale Umwelt. „Honor … serves as a register of social rating which entitles a person to interact in specific ways with equals, superiors, and subordinates, according to the prescribed cultural cues of the society“ (S. 26). „Ehre“ kann zugeschrieben oder erworben werden. Die Zuschreibung erfolgt jenseits von konkreten Handlungsmöglichkeiten durch Festlegungen wie Geburt, soziale Stellung einer Familie bzw. Wohlstand (vgl. S. 32–34 zu „blood“ und „name“); in frühjüdischen und frühchristlichen Texten spiegeln sich solche Zuschreibungen z.B. in Genealogien (vgl. Mt 1, 1–18; Lk 3, 23–38). Hiervon zu unterscheiden ist die „Ehre“, die im sozialen Wettstreit aktiv gesucht und erworben werden muss (S. 27f.). „Ehre“ sei dabei in der „first-century Mediterranean society“ 11 12

Dies betrifft u. a. die griechischen und römischen Orakelzentren, die keineswegs sämtlich eine Affinität zum Meer besitzen (Aune, 1983, S. 24). Zu Zypern, Spanien, Türkei, Griechenland und auch Marokko und Ägypten vgl. Peristiany, 1977; Gilmore, 1987. Nach Stegemann (1999, S. 31) ist die neue „Kulturanthropologie“ eine Form „historischer Ethnologie“, „… insbesondere eng verbunden mit den soziologischen und sozialgeschichtlichen Forschungen …“.

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(S. 29) nur in limitiertem Maß „vorhanden“ (S. 31); „Ehre“ gewinnen bedeutet damit grundsätzlich, jemand anderem „Ehre“ nehmen. Die gesamte mediterrane Kultur sei auf allen Ebenen der sozialen Interaktion als ein permanenter Wettstreit um die limitierten Ressourcen an „Ehre“ bzw. um die Abwendung von „Scham“/„Schande“ aufzufassen; im Anschluss an anthropologische Konzepte gilt die mediterrane Kultur insofern als „agonistisch“ (ebd.). Der Agon vollzieht sich nach dem Muster von „challenge and riposte“ (im Anschluss an Bourdieu). Die „Herausforderung“ der Ehre kann unterschiedliche Gradierungen haben; sie kann z.B. revozierbar, „heilbar“ oder auch irreparabel sein. Die „Herausforderung“ geschieht stets coram publico. Der einzelne steht in den mediterranen Kulturen mit seiner „Ehre“ resp. „Scham“/„Schande“ nicht für sich, sondern partizipiert an kollektiver resp. korporativer „Ehre“ resp. „Scham“/„Schande“ der Familie, der Sippe, einer Region, eines Stammes oder Volkes o.ä. (S. 38). Zugleich gehen die Kulturanthropologen davon aus, dass es „challenge and riposte“ nur unter der Voraussetzung von Statusgleichheit der am kompetitiven Spiel beteiligten Partner geben kann (S. 30); ein sozial niedrig Stehender kann einem sozial höher Stehenden nicht „die Ehre abschneiden“ etc. Der permanente Agon beschreibt dabei kein harmloses Spiel. „Challenges to honor are life-threatening“ (S. 38). Jede Verletzung der Ehre verlangt eine Satisfaktion, welcher der Charakter „of an ordeal, implying a judgment of destiny or fate of God’s sanction“ zukommt (ebd.). Durch den permanenten Agon entsteht in den mediterranen Kulturen eine Kartographie, die ständig durch das soziale Feedback neu justiert und inszeniert wird. Wichtigstes Medium der Inszenierung ist dabei der menschliche Körper als Spiegelbild des „sozialen Körpers“ (S. 34). „A person’s body is normally a symbolized replication of the social value of honor“ (S. 35). „Ehre“ wird manifest an bestimmten Körperteilen resp. -zonen wie dem Kopf, dem Gesicht und den Armen/Händen.

Gegenwärtige mediterranistische Forschungsfragen und Perspektiven a) Das jüngere kulturanthropologische Paradigma hat inzwischen verschiedene Disziplinen und Felder der neutestamentlichen Forschung erreicht und befruchtet. Bei John D. Crossan kann der historische Jesus im Anschluss an anthropologische Studien als „mediterranean Jewish peasant“ gelten; es entsteht ein Bild, welches Jesus – entgegen dem jüngeren common sense seit dem „third quest for the historical Jesus“ – in zentralen Punkten aus dem Judentum löst und stärker hellenistisch konturiert; Jesus gilt weniger als in jüdisch-prophetischer bzw. apokalyptischer Tradition stehend, denn als kynischer Wanderphilosoph (Crossan, 1991; 1994). John J. Pilch schließt an die ethnologisch-kulturanthropologischen Einsichten für die mediterranen Gesellschaften an und bringt diese in einen medizinanthropologischen Diskurs ein. Frühchristliche Heilungserzählungen setzen in der Konzeptualisierung von Krankheit die Unterscheidung von „disease“ und „illness“ voraus; d.h. somatische Phänomene des Leidens sind als solche von ihrer kulturanthropologischen Konstruktion durch einzelne und Gruppen bzw. vom entsprechenden sozialen Feedback zu unterscheiden. Entsprechend müsse auf der Seite der Heilung zwi-

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schen „curing“ und „healing“ unterschieden werden.13 Bei der Krankheitskonstruktion spielen dabei die „Ehren“-relevanten „Körperzonen“ wie Gesicht, Haut und Hände eine besondere Rolle; derart erschließen sich auch mediterrane Konzepte von „Reinheit“ und „Unreinheit“. Weiterhin werden auch die Mahlgemeinschaften der frühen Christen in einem entsprechenden mediterran-kulturanthropologischen Horizont interpretiert. Mahlzeiten, z.B. Symposien, gelten als zentrale „Events“, bei denen „Ehre“ erworben bzw. erworbene „Ehre“ zur Darstellung gebracht wird. Eine mediterran-kulturelle Erzählperspektive und entsprechende, agrikulturell grundierte Gestaltungstechniken werden für die Gleichnisse Jesu, aber auch komplexere Schriften wie das Lukasevangelium oder den 1. Korintherbrief des Paulus behauptet.14 Setzt demnach z.B. das Gleichnis vom bittenden und gebetenen Freund in Lk 11, 5–8 Regeln des Institutes mediterraner Gastfreundschaft voraus, so kann dieses insgesamt als konstitutiv für die Ausbreitung des ältesten Christentums gelten (vgl. Arterbury, 2005). „Honor and shame“ betreffen als Instrumente der sozialen Differenzierung vor allem auch die Rollen der Geschlechter; das Konzept der „Ehre“ gilt als „geschlechtsbasiert“. Die kulturanthropologischen Ansätze gehen von einer grundsätzlich inferioren Stellung der Frau gegenüber dem Mann in den mediterranen Gesellschaften aus. In Hinsicht auf die Arbeit und den moralischen Verhaltenskodex wird grundsätzlich dem Mann das Konzept der (zu gewinnenden bzw. zu wahrenden) „Ehre“ zugewiesen, der Frau dagegen das der (zu vermeidenden) „Scham“/„Schande“. Für Frauen gelten Tugenden wie Reinheit und Virginität als „ehrenvoll“ bzw. beschreiben sie Felder, auf denen „Ehre“ verloren werden kann; auch hier symbolisiert sich das Konzept zunächst am Körper, insbesondere den Geschlechtsorganen; im Blick auf das Ethos gelten weiter Scheu, Unterordnung und Selbstzurücknahme als zur Erwerbung von „Ehrenkapital“ geeignet. Damit ist eine in Hinsicht auf die gender-Differenzierung binäre bzw. dualistische Struktur vorausgesetzt; denn ein Mann, der entsprechende „Ehren“-Tugenden, wie sie für Frauen gelten, übernähme, würde sich „schändlich“ verhalten. Grob schematisiert richtet sich die „Ehre“ der Frau „nach innen“, auf die Korrelationen innerhalb der Familie und Sippe, die des Mannes dagegen „nach außen“. Folgenreich ist diese Differenzierung auch insofern, als sie den Mann grundsätzlich in die Rolle desjenigen versetzt, der die „Ehre und Scham“ der Frau zu kontrollieren hat. In der Ehe treffen die „Ehrenkapitale“ zweier Familien aufeinander; sie zusammen konstituieren das „soziale Erbe“, auf dem eine neue Familie in der Gesellschaft gründet.15 13

14 15

Pilch, 2000, S. 1–17, 24f. im Anschluss u. a. an F.R. Kluckhohn, F.L. Strodtbeck und B. J. Malina. Wenn „Heilung“ dabei auf die Rückkehr zu „purposeful living“ festgelegt wird (vgl. Pilch, 2000, S. 14, 23, 34f.; Moerman: „meaning mends“; „metaphor can heal“), so ist auch hier die Gefahr modernisierender Interpretation antiker Vorstellungen nicht immer vermieden. Auf der Arbeit von Pilch basiert methodisch die Untersuchung von Hogan, 1992. Vgl. die Arbeiten von Bailey, 1980; 2012. Zum Themenkomplex Kraemer, 2011, die allerdings weniger kulturanthropologisch als historisch nach religiösen Überzeugungen und Verhaltensweisen fragt; sie sucht dabei nachzuweisen, dass das älteste Christentum gerade auch in konservativer Abweichung zu den umgebenden Kulturen „Männlichkeit“ inszeniert und propagiert habe.

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Erbringen viele der jüngeren Untersuchungen historisch innovative Kontextualisierungen, so bleibt die These einer Epochen und Regionen übergreifenden, homologisierbaren Anthropologie des „Ehrenkapitals“ im Mittelmeerraum methodisch mit gravierenden Problemen belastet; die Gefahr einer modernisierendanachronistischen Projektion von Konzepten des Sozialprestiges und des Status in spätantike Texte scheint nicht immer gebannt. b) Weiterer Erforschung bedürfen die historischen Fragen, die sich mit der Entstehung des Christentums als einer Devianzbewegung aus dem Judentum heraus mit den Regionen des mediterranen Raumes des 1. und 2. Jahrhunderts verbinden lassen. Als beispielhaft für das Desiderat weiterer historischer Untersuchungen können die mediterranen Inseln gelten. Ein wichtiges Zeugnis (vgl. auch Philo Leg. Gai. 282) für die jüdische Präsenz auf den in römischer Zeit bedeutenden mediterranen Inseln spätestens seit dem 2. Jh. v. Chr. bietet 1Makk 15, 22f. Im Anschluss an den Wortlaut des Briefes des römischen Konsuls Lucius an Ptolemäus VIII. Euergetes, in dem er diesen ersucht, nicht kriegerisch gegen die Juden vorzugehen, heißt es, dass dieser Brief u. a. auch nach Delos, Samos, Rhodos, Kos, Knidos und Zypern versandt wurde. Kreta ist in dieser Auflistung nicht eigens als Insel genannt, wohl aber über den Namen der Stadt Gortyn einbezogen. Unter den mediterranen Inseln war besonders Zypern durch seine Nähe zu Syrien, Judäa, aber auch zu Kleinasien als Zielpunkt für jüdische Migrationsprozesse prädestiniert. Nach der frühchristlichen Apostelgeschichte des Lukas setzt auch das älteste Christentum in seinen frühesten über Palästina/Syrien hinausreichenden Missionsaktivitäten von dieser insularen Welt des östlichen Mittelmeers her an. Paulus und Barnabas beginnen auf Zypern (vgl. Apg 13); von hier aus spannt sich ein weiter Weg, der auch in den Itineraren immer wieder das Meer einbezieht; nach der Insel Malta wird am Ende des Erzählwerkes auch Sizilien erreicht (Apg 27f.). Die hiermit verknüpften Vorgänge bedürfen – in enger Wechselwirkung mit den jüdischen Anfängen und Voraussetzungen – weiterer Erforschung; hierbei ist u. a. das in der interdisziplinären Mediterranistik verstärkt beachtete Paradigma der „Insularität“ einzubeziehen (Frage nach Inseln als Orten der „langen Dauer“, der „Beharrung“ bzw. der Transitorität und Innovation). c) Eigene Forschungen, die insbesondere literaturwissenschaftliche Ansätze aufgreifen, gelten der literarischen Konzeptualisierung von „Räumen“ innerhalb der mediterranen Welt in frühchristlichen Texten. Damit ist ein gegenüber historischen Fragestellungen eigenständiges und innovatives methodisches Terrain abgesteckt; „erzählte Welten“ konstruieren ihre eigenen „Räume“ und versehen sie mit je eigenen und neuen Bedeutungen. Lediglich zwei zentrale Beispiele seien herausgegriffen: i. In der Johannesoffenbarung wird in den mythischen Bildern eines kosmischen Kampfes die Auseinandersetzung zwischen der werdenden Christenheit und dem römischen Imperium inszeniert. Unter das jüdisch-apokalyptische Gedankengut ist dabei zu rechnen, dass am „Ende der Zeit“ mit Widersachern zu rechnen ist; die Gegner werden dabei in Tiergestalten bzw. bestimmten Attributen solcher Gestalten chiffriert. Das Tier aus dem Meer mit zehn Hörnern und sieben Köpfen (Apk 13, 1) symbolisiert innerhalb der Apk die Macht Roms, die über das Wasser (nach Kleinasien) kommt –

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im Unterschied zum Tier aus der Erde mit zwei Hörnern „wie ein Lamm“ (Apk 13, 11), in welchem sich der Kult gegenüber dem Tier aus dem Wasser, d.h. der kleinasiatische Cäsarenkult und seine Funktionäre verbirgt, der gewissermaßen als eine Persiflage Christi dargestellt ist. Im Hintergrund der Symbolik des Tieres aus dem Wasser steht die mythische Gestalt des Leviatan (vgl. Jes 27, 1; äthHen 60, 7; 4Esr 6, 52). Das letzte Buch der Bibel steht damit in einem grundsätzlichen Einklang mit einer jüdischen Sicht auf das Mittelmeer, die dieses mit den „Heiden“ bzw. Feinden konnotiert und als „fremd“ und bedrohlich konstruiert. ii. Die Apostelgeschichte des Lukas, die vielfach als älteste „Kirchengeschichte“ gelesen worden ist, nutzt gattungskonforme Erzähltechniken der sog. tragisch-mimetischen Geschichtsschreibung. Im Ausgreifen des Radius der Akteure von Jerusalem über Samaria, Syrien, Kleinasien, Griechenland bis hin nach Stadtrom entsteht implizit eine eigene erzählerische Raumanordnung des „Mediterranen“, welche im Vergleich mit historiographischen, geographischen und auch biographischen Texten der Spätantike zu profilieren ist (vgl. z.B. das Inselbuch [Buch V] des Diodorus von Siculus). Vergleichbare Fragen sind auf frühchristlich-romanhafte Texte sowie auf die Apostelakten-Literatur zu beziehen.

Katharina Greschat und Josef Rist: Ältere Kirchengeschichte Definition des Faches und Relevanz des Mittelmeerraums für das Fach Im Rahmen der Älteren Kirchengeschichte werden anknüpfend an das Neue Testament die Organisationsformen, Theologien und Bekenntnisse, Institutionen, Lebens- und Frömmigkeitsformen und Wirkungen des antiken Christentums mit sämtlichen gängigen Methoden der Kultur- und Geisteswissenschaften untersucht. Dabei wird davon ausgegangen, dass das Imperium Romanum in seiner das Mittelmeer (mare nostrum)16 als Zentrum umschließenden räumlichen Ausdehnung von paganen ebenso wie christlichen Schriftstellern als geographisches Faktum vorausgesetzt wird. Während sich das antike Christentum sehr intensiv mit dem Imperium auseinandergesetzt hat, gehört das Meer zu den Gegebenheiten, dem selbst an der Küste lebende Autoren wenig Beachtung schenkten.17 Dennoch begünstigten die vorgefundenen geographischen, politischen und kulturellen Strukturen des Reiches die religiöse Mobilität18 und damit auch die Ausbreitung des Christentums 16 17

18

Der Ausdruck mare nostrum findet sich erstmals bei Caes. Gall. 5, 1, 2. Vgl. Olshausen, 1997, Sp. 880–882. In einer Rezension zu einer Veröffentlichung, die sich u. a. mit Augustins De civitate Dei beschäftigt, bemerkt der Rezensent Peter Thonemann (2012, S. 13) völlig zu Recht, dass etwa für Augustin „… families, slaves or the Mediterranean sea“ zu den nicht hinterfragten Realitäten seines Lebens gehörten. Vgl. etwa Bibby, 1997 und Harland, 2011.

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und seine Verwurzelung in der römischen Welt, so dass einerseits vielfältige regionale Ausprägungen entstanden, die aber gleichzeitig auch ein Bewusstsein von Zusammengehörigkeit und Einheit besaßen (Markschies, 2007, S. 339–382).19 Mit dem Aufstieg des Christentums zur dominierenden Religion stellte sich dieses komplexe Beziehungsgeflecht noch einmal anders dar, auch wenn die Regionalität weithin bestimmend blieb.20 Zentrale Referenz auch für die spätantike Mittelmeerforschung ist der in der Tradition der französischen Forschungsrichtung der Annales stehende Historiker Fernand Braudel (1902–1985), der mit seinen klassischen Werken zum Mittelmeer, die sowohl die klassische Antike als auch die Frühe Neuzeit zum Objekt mediterranistischer Betrachtung machen, die Forschung bis heute nachhaltig prägt.21 Braudel selbst ist bei der Wahl seines Forschungsgegenstandes und der Art der Bearbeitung beeinflusst durch den belgischen Historiker Henri Pirenne (1862– 1935) (vgl. Braudel, Personal Testimony 452), der als einer der ersten das Mittelmeer als einen geschlossenen Siedlungsraum in historischer Perspektive definierte.22 Von großer Bedeutung für die neuere Mediterranistik sind die Arbeiten von David Abulafia, der an der Universität Cambridge Mittelalterliche Geschichte lehrt.23

Gegenwärtige mediterranistische Forschungsfragen und Perspektiven (a) In den letzten Jahren entstand in der Forschungsliteratur zum antiken Christentum zunehmend ein Gespür für den Mittelmeerraum als solchen, wobei das mediterranistische Paradigma explizit mit einbezogen wird.24 Mit speziellem Bezug auf das frühe Christentum lassen sich allerdings nur wenige Publikationen anführen. Bemerkenswert ist hier ein neueres Handbuch zum frühen Christentum, das unter der Ägide von Philip Esler im schottischen St. Andrews entstanden und im Jahr 2000 erschienen ist und bewusst das Mittelmeer in den Blickpunkt rückt. In seinem einschlägigen, „The Mediterranean Context of Early Christianity” überschriebenen Beitrag stellt Esler eingangs mehrere Leitfragen: … first, in what sense are we able to speak of a Mediterranean region in the first five centuries of our era – that is, was it distinctive and, if so, how; second, what effect did the ensemble of natural and human features constituting this region have on the new religious movement struggling to be born and grow in its midst; and third, what impact did Christianity have in turn on its Mediterranean context? (Esler, 2000, S. 3) 19 20

21 22 23 24

Markschies, 2007, S. 339–382. Vgl. dazu jetzt auch Brown, 2012, S. xxii: „The Christian churches in each region (despite their frequent interchanges and despite the theoretical claim to forming part of a universal institution – the Church, with a capital ‚c‘) were as much the product of local conditions as was any other feature of the Roman world“. Zu Braudel, seinem Werk und Anliegen vgl. Raphael, 2006. Vgl. mit weiterführender Literatur: Prevenier, 2007. Vgl. zu seinem Ansatz: Abulafia, 2003. Jüngste Monographie: Abulafia, 2011. Umgekehrt wird etwa das Modell von Horden und Purcell – „history in theMediterranean“ im Unterschied zu einer „history of the Mediterranean“; vgl. Horden u. Purcell, 2000, S. 2 – im Lehrbuch für Studienanfänger von Humphries, 2006, S. 14–17 explizit thematisiert.

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Die Fragen werden dergestalt beantwortet, dass zunächst ein Abschnitt über die Topographie und Klima des Mittelmeerraumes vorgelegt wird (Esler, 2000, S. 6f.). Es folgt ein kurzer Einblick, inwieweit Griechen und Römer diesen Raum als eine eigenständige Größe ansahen (ibid., S. 7–9), versehen mit dem Hinweis, dass „recent anthropological research into the modern Mediterranean“ (ibid., S. 10) auch für die Antike von Belang sein könnte und ob vielleicht die Rede von einem „pan-Mediterranean value system“ (ibid., S. 10f.) hilfreich sein könnte. Im Anschluss werden die wichtigsten Entwicklungslinien von Wirtschaft und Gesellschaft in den ersten fünf Jahrhunderten dargestellt, wobei auch die Religion, ihrerseits untergliedert in „political and domestic religion“, in dieses Koordinatensystem eingetragen wird (ibid., S. 11–15). Bei Esler schärft die moderne anthropologische Forschung im Hinblick auf die Gesellschaften des Mittelmeerraumes den Blick für die Orientierung an der Gruppe, insbesondere die Bedeutung der Ehre (vgl. oben honor and shame). Hier wird auf eine Reihe von jüngeren Veröffentlichungen, die diese als Handlungsmotivation auch in der römischen Politik und für die griechisch-römische Elite in Anschlag gebracht haben, verwiesen. Dabei kommt das Verhältnis zwischen Patron und Klient zur Sprache, das etwa auch für den Bischof in nachkonstantinischer Zeit gelten konnte (Esler, 2000, S. 15–21). Insgesamt geht es dem Verfasser primär um eine Abgrenzung gegenüber einer „intellectual history divorced from the realities of human experience“ (ibid., S. 21). Das von Esler dargestellte Paradigma ist aber in seiner Wirksamkeit für das Verständnis antiker Religionen im Mittelmeerraum, d.h. auch für das frühe Christentum, keineswegs unumstritten, wie die Kritik des ebenfalls in St. Andrews lehrenden Althistoriker Greg Woolf belegt. Dieser betont, dass man sich stets der Stärken und Schwächen dieses heuristischen Instrumentes, des mediterranen Ansatzes, bewusst sein sollte: As does Marxism, then, Mediterraneanism rules out certain kinds of historical narrative. More subtly, it offers moderns a fantasy of access to a familiarized antiquity, a world shaped by eternal qualities of light and earth and moral tone. More than one eminent classicist has succumbed to the romantic lure of the inland sea; indeed it is something of an occupational hazard. (Woolf, 2004, S. 127)

Konkret gewendet sieht Woolf in diesem Konzept keine Alternative für die inzwischen selbstverständlich geübten mehrdimensionalen Zugänge in der altertumswissenschaftlichen – und man darf hinzufügen: auch der theologischen – Forschung. Deshalb fällt seine Bewertung nüchtern aus: It is a choice that excludes other options, and excludes them without naming them. The geographical label naturalizes that choice, a common feature of ideological discourse. It seeks to root one perspective among many in the supposedly stable forms of the land and the sea. (Woolf, 2004, S. 128)

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Letztlich, so das Ergebnis von Woolf, ist das neue Paradigma wenig geeignet, religiöse Phänomene und speziell die in ihnen vorgehenden Veränderungen zu erklären.25 Ein weiterer Vertreter, der zumindest in entfernterer Weise die Fragestellung für den Bereich des frühen Christentums nutzbar zu machen versucht, ist der in Princeton lehrende Althistoriker Brent D. Shaw, der sich in der Linie der Thesen von Horden und Purcell26 insbesondere bemüht, die immer wieder empfundene Eigenart des nordafrikanischen Christentums27 herauszuarbeiten. Kern seiner Arbeiten ist es, „standard anthropological models of ethnicity“ auf das spätantike Nordafrika anzuwenden.28 Dabei ergibt sich für ihn die beeindruckende Besonderheit des afrikanischen Christentums, das anders als das des übrigen Mittelmeerraumes ist. So kann er feststellen: „It is as if these Christianities existed in two weakly linked but alien worlds“ (Shaw, 2005, S. 115). Einen etwas anderen Fokus verwendet der in Texas lehrende Theologe David E. Wilhite. Seine Untersuchung „Tertullian the African. An Anthropological Reading of Tertullian’s Context and Identities“ (2007) ist wohl kaum zufällig ebenfalls in St. Andrews entstanden. Wilhite fragt nach einer spezifisch afrikanischen christlichen Identität. Er sieht Tertullian nach Ausweis der Interpretation einiger seiner Schriften primär als einen Nicht-Römer, der sich vehement gegen die römische Kontrolle seiner Heimat stellte und damit als letzte Konsequenz im Montanismus endete. Dies ist ein bemerkenswerter Ansatz, der aber die Abgrenzung als Christ gegenüber einer nichtchristlichen Umwelt deutlich unterbewertet (vgl. Greschat, 2009). (b) Das Meer als solches erscheint auch bei den antiken Christen gerne als Raum der Bedrohung und Gefahr und damit zugleich auch als Sinnbild für die Welt mit all ihren Unwägbarkeiten.29 Spezifisch christlich verglich zuerst Tertullian am Ende des zweiten Jahrhunderts die Kirche mit einem Schiff, „weil sie im Meer, d.h. in der Welt, von den Wogen, d.h. durch die Verfolgungen und Versuchungen, beunruhigt wird“.30 Diese Metaphorik ließ sich nun sehr vielfältig ausgestalten, sei es, dass man die Teile des Schiffs allegorisch als Elemente der Kirche deutete, oder sei es, dass man die Schiffsbesatzung mit kirchlichen Ämtern gleichsetzte (vgl. Dassmann, 2010, S. 108–116). Besondere Gefahren für ein solches Kirchenschiff stellten auch häretische Ansichten dar, die es vom richtigen Kurs abbringen können (Hippolyt, Ref. VII,13). So vergleicht ein gewisser Palladius die Gemeinde seiner Heimat Suedra, einer Stadt direkt an der Westküste Kilikiens gelegen, mit einem Schiff, das trotz Sichtkontakt zur Küste in einen schweren Seesturm von Seiten der Häretiker 25

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Woolf, 2004, S. 140: „Religious symbols, beliefs, and practices flowed back and forth over the Eurasian land mass and, eventually, beyond it. Much that has been claimed for Mediterranean culture is common to a wider humanity“. Vgl. programmatisch Shaw, 2001; 2005; 2006. Vgl. dazu etwa van Oort u. Wischmeyer, 2011. Vgl. zuletzt Shaw, 2011b. Ausführlich mit allen Belegstellen: Durst u. a., 2011, S. 505ff. De baptismo 12,7 (CCSL 1,288), vgl. auch Dassmann, 2010, S. 106–138. Das ikonographische Material wird ebd., S. 256–264 zusammengestellt und diskutiert.

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geraten ist, weshalb er ein dringliches Schreiben an Epiphanius von Salamis mit der Bitte um Darlegung des rechten Glaubens richtet. Dieser entspricht der Bitte des Palladius und nennt sein Werk bezeichnenderweise Ancoratus (vgl. auch Kösters, 2003, S. 95–107). (c) Mit der Epochengrenze von Spätantike und Mittelalter verbunden ist die Frage nach der Bedeutung der Schwerpunktverlagerung weg vom Mittelmeer hin nach Norden. Konstituiert erst die mittelalterliche Wahrnehmung der Welt den mediterranen Raum als eine von Europa geschiedene Bezugsgröße? Peter Heather postulierte, dass erst durch die Interaktion zwischen dem Römischen Reich und den Barbaren etwa um 1000 das entstand, was später Europa werden sollte (Heather, 2007; 2011). Die Staatenbildung der Germanen und die Migration, ausgelöst durch den massiven Entwicklungsunterschied zwischen den Barbaren (Peripherie) und dem Römischen Reich (Zentrum) werden hier verstanden als „… eng miteinander verwandte Phänomene, die der Dominanz des Mittelmeerraums ein Ende setzten und den Grundstein für die Entstehung des modernen Europa legten“ (Heather, 2011, S. 18). Entscheidend für diese Entwicklung ist die Entstehung des fränkischen Großreiches im Norden Europas seit dem 6. Jahrhundert (Heather, 2011, S. 333), dann auch der Herrschaftsgebiete der Slawen im Osten und der Wikinger im Norden bis hin zu der unter den Ottonen gebildeten europäischchristlichen, die endgültig das Verhältnis von Zentrum und Peripherie verändern (Heather, 2011, S. 510). Ein anderes Deutungsschema bietet Michael Borgolte an. In seiner Perspektive ist Europa ein von Monotheismen (Judentum, Christentum, Islam) geprägtes Gebilde, das aus dem antiken Mittelmeerraum herauswächst, sich aber nicht vollständig von ihm löst (Borgolte, 2006). Hier spielt das Mittelmeer als geographischer Raum allerdings keine große Rolle. Die Mentalitätsgeschichte steht bei Georg Scheibelreiter (1999) im Mittelpunkt. Er postuliert die langsame Ablösung des mediterran geprägten Europa der Spätantike (Achsenzeit) durch die barbarische Lebensweise. Damit entsteht die Gesellschaft des abendländischen Europa im klaren Gegensatz zur Mittelmeerwelt der Antike (Scheibelreiter, 1999). Mediterran wird hier als bloßes Synonym für römisch bzw. antik verwendet. Größere Bedeutung kommt bei dem in Anlehnung an Pirenne denkenden Friedrich Prinz dem Mittelmeer zu. Die Welt des Mittelalters entsteht in seiner Konzeption durch eine „Achsendrehung der Weltgeschichte nach Norden.“ Auslöser ist das Aufkommen des Islam im mediterranen Raum. Dieser bringt durch das „Wegbrechen der Südränder der Méditerranée durch den Siegeszug des Islam“ und des „Abdriftens des lateinischen Westens vom griechisch-byzantinischen Osten“ (Scheibelreiter, 1999, S. 12) ein neues Europa hervor. Die Begriffe Mittelmeerraum, Mittelmeerwelt, Méditerranée stehen in diesem Kontext häufig synonym als Begriffe für die Antike bzw. Spätantike, die in sehr unterschiedlicher Weise vom Mittelalter bzw. Frühmittelalter als der Zeit, in der Europa entstanden ist, abgegrenzt werden. So ist es nicht unüblich, Darstellungen zur

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Spätantike, die das Gesamt des geographischen Raumes in historischer Perspektive behandeln, als Geschichte der Mittelmeerwelt zu titulieren.31

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So Cameron, 1993. Die Verfasserin stellt ebd., S. 237 fest, dass nur wenige vergleichbare Darstellungen sowohl den Osten als auch den Westen des Römischen Reiches in den Blick nehmen.

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LORENZ RAHMSTORF

Ur- und Frühgeschichte Definition des Faches und Relevanz des Mittelmeerraumes für das Fach Das Fach Ur- und Frühgeschichte befasst sich mit der Geschichte der Menschheit von ihren ersten Anfängen bis zum Einsetzen einer umfangreichen Geschichtsschreibung. Der Abschnitt der Ur- oder Vorgeschichte (oder Prähistorie)1 bezeichnet somit einen enorm langen Zeitraum, aus dem keinerlei Texte überliefert sind. Die Frühgeschichte repräsentiert dagegen jene Zeiträume, aus denen erste spärliche schriftliche Überlieferungen bekannt sind, diese aber nicht ausreichen, um Ereignisgeschichte zu schreiben. Die Epoche der Frühgeschichte par excellence ist die Völkerwanderungszeit bzw. das Frühmittelalter in weiten Teilen Europas. In anderen Fällen ist eine Verständigung, was noch Urgeschichte, was bereits Frühgeschichte ist, schwieriger.2 In diesem Beitrag wird von einer Frühgeschichte ab der Eisenzeit gesprochen, obwohl sich in den jeweiligen Regionen die erste Schriftlichkeit zu unterschiedlichen Zeitpunkten findet. Durch die oben genannte Definition des Faches ist ersichtlich, dass es nicht wie die anderen archäologischen Disziplinen regional oder chronologisch beschränkt ist, sondern dass es weltweit praktiziert werden kann. Traditionell ist das Kerngebiet der Ur- und Frühgeschichte, wie sie in Deutschland gelehrt wird, das europäische Festland und insbesondere Mitteleuropa. Der mediterrane Raum, der die südliche „Grenze“ Europas nach Afrika und nach Asien bildet, wird somit nicht als unbedingter Bestandteil des Faches angesehen3. Grundsätzlich ist die Bedeutung des Mittelmeerraumes jedoch für ein Verständnis der Ur- und Frühgeschichte des restlichen Europas unzweifelhaft von ganz zentraler Bedeutung, liefen doch über dieses Gebiet in allen Epochen grundlegende Veränderungen und Neuerungen, die auch Mitteleuropa tiefgreifend prägten. Er1

2 3

Manchmal wird auch begrifflich zwischen Urgeschichte – was dann nur die Altsteinzeit bezeichnen soll – und Vorgeschichte differenziert, doch sind dies Ausnahmen, die sich an der Terminologie in Frankreich orientieren. Dort wird öfters unter préhistoire nur die Alt- und Mittelsteinzeit verstanden, während der Zeitabschnitt ab der Jungsteinzeit (Neolithikum) mit produzierender Wirtschaftsweise als protohistoire bezeichnet wird, vgl. etwa Otte, 2002, S. ii. In jüngeren französischen Arbeiten wird allerdings der hier verwendeten Definition gefolgt, s. etwa Clottes, 2010. Die synonyme Verwendung von Vor- bzw. Urgeschichte zeigt sich in der Benennung der Universitätsinstitute des Faches im deutschsprachigen Raum. Inhaltlich ist dabei der Begriff Urgeschichte zu bevorzugen, da er nicht impliziert, dass die Menschen in diesen Zeiträume keine Geschichte gehabt hätten, vgl. Eggert, 2001, S. 1–2. Beispielsweise wird kaum von einer Frühgeschichte des mykenischen Griechenlands des 14. und 13. Jahrhunderts gesprochen, auch wenn aus diesem Zeitraum erste lesbare Texte bekannt sind. Dies gilt insbesondere für die jüngeren Epochen der Bronzezeit und der Eisenzeit, wo es zu zahlreichen Überschneidungen zu anderen archäologischen Fächern (Klassische Archäologie, Vorderasiatische Archäologie, Biblische Archäologie, Ägyptologie), kommt.

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wähnt sei hier nur die Ausbreitung der ersten Menschen bzw. des anatomisch modernen Menschen nach Europa, die Neolithisierung, die Weitergabe wichtiger Innovationen während der Metallzeiten und schließlich die Entstehung hochkomplexer Kulturen mit Schriftverwendung, die ältesten „Hochkulturen“ Europas, während der Bronze- und Eisenzeit.

Forschungsgeschichte des Faches in Bezug auf Mittelmeerforschung Zum Mittelmeerraum sind kaum monographische Behandlungen seiner gesamten Ur- und Frühgeschichte vorhanden, zumindest keine aktuellen.4 Üblicher sind Arbeiten zu einzelnen Epochen5, wobei es sich gewöhnlich um Sammelbände handelt, in denen verschiedene Autoren jeweils die Entwicklungen in einzelnen Regionen beschreiben. Unter solchen Überblickswerken sticht die beeindruckende Gesamtschau von Jean Guilaine von der Neolithisierung (je nach Region: 10.–6. Jahrtausend) bis zum Ende des 3. Jahrtausends (je nach Region: späte Kupferzeit oder Frühbronzezeit) heraus, die leider außerhalb des französischen Sprachraumes kaum wahrgenommen wurde.6 Besonders erwähnenswert sind auch die kürzeren Synthesen, die Cyprian Broodbank im Rahmen von Aufsätzen vorgelegt hat (Broodbank, 2006; 2009). Schließlich wären mehrere Fachzeitschriften zur Ur- und Frühgeschichte des Mittelmeerraumes zu nennen, die aber nur zum Teil auch den Anspruch erheben können, den ganzen Mittelmeerraum zu repräsentieren.7 Der Mittelmeerraum stand somit als eine Einheit nie im Zentrum des Interesses des Faches. Auch wurde innerhalb des Faches kaum thematisiert, ob der Mittelmeerraum, wie in geographischer, naturräumlicher, klimatischer, usw. Hinsicht auch in ur- und frühgeschichtlicher Hinsicht als eine Einheit betrachtet werden darf. Von den Anfängen des Faches war der Mittelmeerraum in erster Linie wichtig, um eine relative wie absolute Chronologie der jüngeren Vorgeschichte Mittelund Nordeuropas zu entwickeln. Zunächst musste der Fundstoff bzw. mussten die Kulturgruppen in verschiedenen Regionen parallelisiert werden8. Mittels der sog. vergleichenden Stratigraphie und der „archäologisch-historischen Methode“ wurde versucht, eine chronologische Anbindung Europas an den ostmediterranen Raum (Syro-Mesopotamien, Ägypten) mit historischen Chronologien ab ca. 3000 v. Chr. zu gewinnen.9 Hinter solchen Untersuchungen stand bis in die 1960er Jahre öfters 4 5 6 7 8 9

Wiesner, 1943; Trump, 1980 – diese beiden Werke sind heute in inhaltlicher, chronologischer und teilweise auch methodischer Hinsicht vollständig bzw. weitgehend überholt. Etwa dem Übergang vom Mittel- zum Jungpaläolithikum (Camps u. Szmidt, 2009) oder der Bronzezeit (Mathers u. Stoddart, 1994). Guilaine, 1994 – das Werk wird etwa nicht in dem Sammelband von Knapp u. Blake, 2005 zitiert. Unter anderem Journal of Mediterranean Archaeology; Mediterranean Archaeology and Archaeometry; Préhistoire Anthropologie Méditerranéenne/ Préhistoires méditerranéennes. Siehe beispielsweise die hervorragenden Arbeiten von Hubert Schmidt: Schmidt 1902; 1909; 1913. Unter anderem Åberg, 1932; Schaeffer, 1948; Milojčić, 1949. Die methodischen Grundlagen bzw. grundsätzlich fragliche Basisannahmen sind von M. Eggert und anderen in der Rückschau dabei scharf kritisiert worden, s. Eggert, 2001, S. 252–265 mit weiteren Verweisen. Es ist jedoch dabei zu bedenken, dass bis in die 1970er Jahre naturwissenschaftliche Datierungsverfahren (Radiokarbon-

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mehr oder weniger implizit das Konzept des „Ex oriente lux“: bedeutender Kulturwandel im zentral- und westmediterranen Raum (wie auch im nördlichen Europa) wurde durch Migrationen, Kolonisationen und die Diffusion technologischen Fortschritts aus dem ostmediterranen Raum bzw. dem Vorderen Orient hervorgerufen.10 In diesem Sinne wurden etwa in einer deutschsprachigen kunstgeschichtlichen Publikationsreihe der späten 1960er Jahren Regionen des Mittelmeerraumes während der Bronze- und frühen Eisenzeit als „Randkulturen der griechischen Welt“ betitelt.11 Im Gegensatz dazu fand in Folge der Neuausrichtung („New Archaeology“/„Processual Archaeology“) der prähistorischen Archäologie im anglo-amerikanischen Raum ein Paradigmenwechsel statt: nun wurden unter besonderer Berücksichtigung naturwissenschaftlicher Analysen die indigene Entwicklung und das Wechselspiel zwischen Mensch und Umwelt in einzelnen Siedlungskammern in den Fokus der archäologischen Forschung gestellt. Die detaillierten typochronologischen Untersuchungen zu Artefakten und Befunden unter Einschluss eines großen Quellenmaterials und überregionaler Vergleiche, wie sie traditionell die deutschsprachige Ur- und Frühgeschichte charakterisieren, galten in diesem Umfeld als ein antiquarischer, wenn nicht antiquierter Forschungsansatz. Tatsächlich zeigte die neue Möglichkeit der Radiokarbondatierung, dass viele Parallelisierungen des Fundmaterials mittels der traditionellen „archäologischhistorischen Methode“ unpräzise waren oder komplett verworfen werden mussten. In den 1970er und 1980er Jahren wurde der Unterschied zwischen angloamerikanischer und zentraleuropäischer (deutschsprachiger) Vor- und Frühgeschichtsforschung immer gravierender. Während bei Ersterer durch die stete Suche nach neuen Blickwinkeln auf das Material allgemeine und theoretische Fragen fundamentale Bedeutung bekamen, kam es bei Letzterer (bei nur kleinlautem Einverständnis der in machen Grundannahmen fehlerhaften Chronologiesysteme) zu keiner grundlegenden Diskussion der zugrundeliegende Konzepte. Stattdessen setzten ab den späten 1960er und 1970er Jahren aufwändige Siedlungsgrabungen unter Einbeziehung naturwissenschaftlicher Methoden ein, die nachfolgend in eigenen großen Publikationsreihen sehr detailliert vorgelegt wurden.12 Dadurch wurden grundlegende Erkenntnisse u. a. für die Chronologie geliefert und diese Orte sind ohne Zweifel als Schlüsselfundorte für das Verständnis der jeweiligen Epochen in ihren Regionen und darüber hinaus zu bezeichnen. Ein ganzheitlicher bzw. diachroner Blick auf den Mittelmeerraum unter der Fragestellung eines kulturell konstituierenden Rahmens kam dadurch aber nicht zustande. Anders dagegen war die Entwicklung im anglo-amerikanischen Raum. Surveys, d.h. archäologische

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methode, Dendrochronologie) bzw. entsprechende Messergebnisse nicht oder nur in geringem Umfang zur Verfügung standen – eine großräumige moderne Untersuchungen zur vergleichenden Stratigraphie wurde erst wieder von H. Parzinger, 1993 vorgelegt, leider ohne sie in einem zweiten Schritt durch naturwissenschaftliche Datierungen zu „kalibrieren“. Beispiele dafür wären etwa eine „ägäische“ Kupferzeit der iberischen Halbinsel oder die „Wessex and Mycenae“-Problematik. Siehe hierzu etwa einige Literaturverweise bei Sherratt, 2011, S. 4–5. Lillui u. Schubart, 1967; Thimme, 1968 – wobei in diesem hellenozentrischen Blickwinkel auch Altsyrien als eine Randregion verstanden wird. Zum Beispiel in der jüngeren Vorgeschichte: Zambujal in Portugal, Fuente Álamo in Spanien, Kastanas und Tiryns in Griechenland, Demircihüyük in der Türkei.

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Begehungen von Siedlungskammern mit der Dokumentation des oberflächlich sichtbaren Fundmaterials und der Baustrukturen, wurden enthusiastisch gefeiert, etwa als Mittel um Fernand Braudel’s Zeitebenen – insbesondere die longue durée – mit archäologischen Mitteln festzustellen.13 Erst nach und nach traten die zahlreichen Probleme bei der Bewertung und dem Vergleich von Surveys in das archäologische Bewusstsein.14 Überspitzt kann also festgestellt werden, dass sich die angloamerikanische Mittelmeerforschung zur Ur- und Frühgeschichte stärker Fragen der Mensch-Umwelt-Beziehung und der diachronen Entwicklungen innerhalb eines speziellen mediterranen Kontextes zugewandt hat, während die deutschsprachige Forschung weitgehend der sehr detaillierten Bewertung von Funden und Befunden insbesondere chronologischer Stellung verhaftet blieb. Beide Ansätze sind von ebenso großer Bedeutsamkeit für ein Gesamtverständnis. Sie sollten sich ergänzen, was aber die Ausnahme bleibt. Der Wandel in den Forschungstraditionen im anglo-amerikanischen Raum führte dazu, dass heute zahlreiche Studiengänge zur Archäologie des Mittelmeerraumes (oft in Verbindung von Archaeology/Anthropology, Classics, Biblical Archaeology and Egyptology) angeboten werden, entsprechende Angebote im deutschsprachigen Raum innerhalb der Ur- und Frühgeschichte oder zusammen mit anderen Fächer aber nahezu vollständig fehlen.

Gegenwärtige mediterranistische Forschungsfragen Verschiedene übergreifende Themenkomplexe werden gegenwärtig – aber teilweise auch schon in früheren Jahrzehnten – in der vor- und frühgeschichtlichen Mittelmeerforschung intensiv diskutiert: die Entwicklung maritimer Aktivitäten im Mittelmeerraum15, die unterschiedlichen Formen der ersten Besiedlung von Inseln (von sporadischen Besuchen bis zu regelrechter „Kolonisierung“), die (vermeintlich) gegensätzlichen Konzepte der Insularität16 und Konnektivität17 und die erkennbaren Unterschiede in der kulturellen Komplexität. Im Mittelmeerraum, wo an den meisten Orten entweder Festland oder eine Insel durch das menschliche Auge am Horizont erkannt werden kann, ist die sogenannte Konnektivität von besonderer Wichtigkeit.18 Wir werden im Folgenden die Relevanz der Themenkomplexe für die ein13 14 15 16

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Siehe beispielsweise van Andel u. Runnels, 1987. Siehe etwa Alcock u. Cherry, 2004. Mit maritimen Aktivitäten ist die Fähigkeit des Menschen gemeint, das Meer zu überwinden und die Inseln des Mittelmeers erstmals aufzusuchen bzw. zu besiedeln. Knapp, 2008, S. 45–46: „the quailty of being isolated as a result of living on islands, or of being somewhat detached in outlook and experience. Insularity can result from personal, historical and social contingency“ – er zitiert dabei das Oxford Universal Dictionary. Vergleiche auch Lätsch, 2005. Horden u. Purcell, 2000, S. 123: „By this term [connectivity of microregions], we understand the various ways in which microregions cohere, both internally and also one with another – in aggregates that may range in size from small clusters to something approaching the entire Mediterranean“. Schüle, 1993, Abb.1 unter Verweis auf eine ältere Publikation (Schüle, 1970).

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zelnen Epochen der Ur- und Frühgeschichte des Mittelmeerraumes kurz besprechen. Das in chronologischer Hinsicht früheste archäologische Problem betrifft die erste Besiedlung des mediterranen Raumen bzw. der Umgehung des Mittelmeeres bei der ersten Besiedlung Europas. Nur eine Handvoll extrem früher Fundplätze sind überhaupt aus dem Mittelmeerraum bekannt. Dabei wird meist ein „Out-ofAfrika-Korridor“ entlang der Levante angenommen, was etwa der ca. 800000 Jahre alte Fundort Gesher Benot Ya’aqov im heutigen Israel nahelegt (Goren-Inbar u. a., 2000), doch auch die Überquerung der Straße von Gibraltar zwischen Afrika und Europa während der Kaltzeiten wird teilweise nicht generell ausgeschlossen19. Es wurde zudem versucht, modellhaft die Entwicklungslinien der frühsten Besiedlung der mediterranen Inseln zu erschließen, wobei die Faktoren wie die Größe der Insel, Distanz zum nächsten Festland und die ältesten bekannten archäologischen Funde berücksichtigt wurden (Cherry, 1981). Der letzte Faktor bereitet aber besondere Probleme, da der Forschungsstand für manche Insel unbefriedigend ist und sich durch neue Entdeckungen die Einschätzung vollkommen ändern kann. Prominentestes Beispiel ist dafür momentan Kreta (einschließlich der vorgelagerten Insel Gavdos), wo in den letzten Jahren an verschiedenen Orten Steinartefakte geborgen wurden, die in das ältere, mittlere und jüngere Paläolithikum datiert wurden.20 Damit ist einerseits eine vorneolithische Besiedlung Kretas nachgewiesen, andererseits zeigt dies eine frühe mediterrane Mobilität an, die lange Zeit ausgeschlossen wurde, im internationalen Vergleich aber anscheinend nicht überraschen sollte.21 Ein Umweltdeterminismus, wie er für die Rekonstruktion der frühesten Besiedelung der mediterranen Inseln in den frühen Studien der Prozessualen Archäologie implizieren wurde, kann somit wenig überzeugen (vgl. Phoca-Cosmetatou, 2011, 17). Die Neolithisierung – der Übergang zur selbst produzierenden Wirtschaftsweise – war in vielerlei Hinsicht ein einschneidendes Ereignis. Dabei bringt die Frage des Ablaufes dieses Prozesses den Mittelmeerraum als Ganzes wieder in das Zentrum des Interesses. Dies betrifft insbesondere die Frage der Ausbreitung domestizierter Pflanzen und Tiere22, aber auch neue kulturelle Bestandteile, wie etwa die einstichverzierte Keramik („impressed pottery“), verbreiteten sich äußerst schnell im Ostmittelmeerraum (Çilingiroğlu, 2010). An frühneolithischen Fundplätzen wie etwa der Argissa-Magula in Thessalien in Griechenland existierte in der Mitte des 7. Jahrtausends bereits ein „fest gefügtes Spektrum bäuerlicher Produkte“, welches 19 20

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Gibert u. a., 2003 – dagegen argumentieren aber etwa Straus, 2001 und Broodbank, 2006, S. 203. Mortensen, 2008; Kopaka u. Matzanas, 2009. Obwohl gerade bei angeblich altpaläolithischen Steingeräten die Gefahr der Identifizierung von Pseudoartefakten nicht immer ganz ausgeschlossen werden kann, ergeben die teilweise schichtgebundenen Artefakte aus der Preveli-Schlucht an der südwestlichen Küste Kretas eine sichere Datierung in das ausgehenden Mittelpaläolithikum und das beginnende Jungpaläolithikum – siehe Strasser u. a., 2011. Die 800000 Jahre alten Artefakte auf Flores in Südostasien verdeutlichen aber, dass frühe Hominini bereits eine mindestens 20 km Meerespassage überstehen konnten. Siehe hierzu Broodbank, 2006, S. 200f. mit weiteren Verweisen. Aus der Masse der Veröffentlichungen hierzu seien nur zwei Beiträge genannt: Uerpmann, 1979; Zeder, 2008.

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Schaf, Ziege, Schwein, Rind als domestizierte Tiere und die Getreidearten Emmer, Einkorn und Spelzgerste umfasste.23 Die stete Interaktion zwischen bereits zu Ackerbau und Tierhaltung übergegangen Menschen und Jägern und Sammlern zwischen ost- und westägäischer Küste wird von entscheidender Bedeutung gewesen sein. Eine maritime Mobilität ist dabei durch die bekannten Funde von Obsidian von der Kykladeninsel in epipaläolithischen und frühmesolithischen Schichten der Franchthi-Höhle in der Südargolis ab dem 10. Jahrtausend v. Chr. eindrucksvoll nachgewiesen. Im nordwestlichen Mittelmeerraum ist dagegen bei eigentlich noch mesolithischen Kulturen erster Getreideanbau fassbar, vollneolithische Kulturen treten aber erst ein halbes Jahrtausend später auf (van Willigen, 2006, 275). Besonders auf der iberischen Halbinsel ist das Modell einer langsamen demischen Diffusion der neolithischen Lebensweise durch eine rapide Kolonisation durch Pioniere ersetzt worden (Zilhão, 2001; Cruz Berrocal, 2012). Immer klarer wird dabei die Tatsache, dass regional differenzierte Modelle für die Ausbreitung der neolithischen Lebensweise zu entwickeln sind. Besonders interessant ist Zypern. Auch in diesem Fall haben Neuentdeckungen alte Vorstellungen revidiert. Bis in die frühen 1990er Jahre wurde angenommen, dass eine erste Besiedlung durch festländische neolithische Kulturen im 7. Jahrtausend v. Chr. während der Khirokitia-Kultur begann, somit relativ spät im Vergleich zum benachbarten Festland. Dann wurde eine älteste epipaläolithische Besiedlungsphase im 11. Jahrtausend v. Chr. in Akrotiri-Aetokremnos festgestellt. An diesem einzigen bislang bekanten Fundort aus dieser Zeitstufe sind große Knochenmengen des zwergwüchsigen zypriotischen Flusspferdes (Hippopotamus minor) dokumentiert worden. Diese Tierart könnte durch Menschen, die noch Jäger und Sammler waren, bereits früh ausgerottet worden sein.24 Zypern könnte während des Übergangs zum Holozän sporadisch besucht und exploriert worden sein. Inzwischen ist auch weitgehend die über dreitausendjährige Lücke zwischen AkrotiriAetokremnos und Khirokitia durch eine zunehmende Identifizierung von Fundorten geschlossen worden (Simmons, 2011, S. 60–61), die entsprechend der Terminologie der Levante-Küste als Fundorte des PPNA und PPNB (Pre-Pottery-Neolithic A und B) bezeichnet werden. Im 9. Jahrtausend müssen die Menschen bereits in der Lage gewesen sein, domestizierte Tiere vom Festland auf die Insel bringen zu können. Damit setzte auch eine geplante Kolonisierung der Insel ein.25 Interessant ist auch die spätere Entwicklung auf Zypern im vollentwickelten Neolithikum (mit Keramik) und der Kupferzeit, wo sich eine eigenständige Inselkultur entwickelte, wobei es anscheinend kaum zu Kontakten zum Festland kam. Erst ab dem späteren 3. Jahrtausend v. Chr. änderte sich dies langsam und ab der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends ist Zypern zunehmend kulturellen Einflüssen aus dem Vorderen Orient, der Ägäis und Anatolien ausgesetzt. Davor, während des vollentwickelten Neolithikums und der Kupferzeit, mag es, wie auch bei manch west- bis zentralmedi23 24 25

Reingruber, 2008, S. 617 – die Existenz eines prä- oder akeramischen Neolithikums in diesem Raum konnte dabei durch A. Reingruber widerlegt werden. Zur kontroversen Diskussion hierzu siehe zusammenfassend: Peltenburg, 2010, S. 92–94. Vergleiche die Modellvorstellungen bei Peltenburg, 2003, S. 83–103.

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terraner Insel, berechtigt sein von einer Insularität zu sprechen, die zu einer eigenständigen kulturellen Identität führte. Dem Phänomen der Insularität sind auch anscheinend einzigartige Inselkulturen wie auf Malta im 4. und frühen 3. Jahrtausend zuzurechnen. Eine Kupferzeit, die den Namen durch eine regelmäßige Verwendung des Metalls verdient, ist im westlichen und zentralen Mittelmeerraum vor dem 3. Jahrtausend bislang nur in einem geringen Umfang archäologisch zu fassen.26 Aber auch im Ostmittelmeerraum bleibt es für verschiedene Regionen im 5. und 4. Jahrtausend wegen der Deponierungssitten schwierig zu beurteilen, welchen Stellenwert die Metallurgie wirklich besaß. Allem Anschein nach spielten gerade bei der Metallurgie stark regional geprägte Entwicklungen eine größere Rolle. Erst mit der Bronzezeit, die im Ostmittelmeerraum um ca. 3000 v. Chr. beginnt27, setzt ein Prozess wesentlich stärkerer Interaktion im Mittelmeerraum und vor allem im östlichen Mittelmeerraum ein. Diese besondere Konnektivität kann zu einem nicht geringen Teil durch das nun verstärkt einsetzende Streben nach Edelmetallen, aber auch Zinn, erklärt werden. Ganz ähnliche Schmuckformen lassen sich nun etwa sowohl in Troia als auch in Syro-Mesopotamien fassen. Das genaue Messen des Metalls, aber auch von wertvollen Gesteinen, Wolle und anderen Dingen besonderen Werts, durch eine „erfundene“ Gewichtsmetrologie beginnt erstmals um 3000 in Mesopotamien und Ägypten und findet bereits nur zweihundert Jahre später seine Anwendung auch im Westen bis nach Griechenland und nach Osten bis in das Industal. Damit verbreiteten sich auch schlagartig weitere wichtige sozioökonomische Neuerungen wie eine Lagerraumverwaltung durch Siegelverwendung (Rahmstorf, 2011). Ab dieser Zeit entwickelt sich auch eine kulturelle Komplexität28, die in den Grundzügen dem vorderasiatischen Typus entsprach, auch wenn die entscheidenden Innovationen eigenständig interpretiert wurden. Diese wurde im Westen bis zum südgriechischen Festland in den Gesellschaften angenommen, drang aber nicht weiter vor. Die wesentliche Rolle bei der Vermittlung dieser teilweise komplexen Innovationen dürfte aber eine relativ kleine Gruppe hochmobiler Händler gespielt haben, die sich jedoch kaum im archäologischen Quellenmaterial niederschlagen.29 Dieser technologische Innovationstransfer ist mit archäologischen Mitteln bei genauer Untersuchung oftmals wesentlich besser und konkreter zu fassen, als andere momentan beliebte Themen der anglo-amerikanischen Archäologie.30 Eine bislang nicht gekannte Intensität der Kontakte lässt sich aber auch zwischen Ägäis, Balkan und zentralmediterranem Raum im 3. Jahrtausend feststellen, was als 26 27

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In Italien finden sich aber bereits gehäuft Silberartefakte in Kontexten des späteren 4. und 3. Jahrtausends, siehe etwa Anzidei, 2007. Vor diesen Zeitpunkt sind auch nur extrem wenige Objekte aus einer Legierung von Kupfer und Zinn zu datieren. Auch in der ersten Hälfte des 3. Jahrtausends blieben „Zinnbronzen“ eine seltene Ausnahme unter den kupferbasierten Metallobjekten. Zu den Schwierigkeiten, diesen Begriff archäologisch zu umreißen, siehe Morris, 2009. Vergleiche die Texte und Befunde aus Karum Kaneš/Kültepe im frühen 2. Jahrtausend v. Chr. Blake u. Knapp, 2005, S. 3: „social identity, difference, multivocality, mobility and memory, the politics of archaeology, and the interface between archaeology and the public“.

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Entfaltung der mediterranen Welt umschrieben wurde (Maran, 2007). Trotzdem bleibt die „Grenze“ der kulturellen, insbesondere sozioökonomischen Komplexität zwischen der Ägäis und dem zentralen Mittelmeerraum auch im 2. Jahrtausend während der mittleren und späten Bronzezeit weitgehend bestehen. Während der Spätbronzezeit wurde der Austausch gerade im Ostmittelmeerraum noch intensiver.31 Nach dem Einbruch am Ende des 2. Jahrtausends ist dann im frühen 1. Jahrtausend in Folge von maritimen Handelskontakten, Siedlungsgründungen durch ethnisch Fremde (Kolonisten) und dem Phänomen der Orientalisierung erstmals auch im west- und zentralmediterranen Raum eine deutlich gesteigerte kulturelle Komplexität zu fassen.32 Spätestens mit der Eisenzeit, teilweise aber schon während der Bronzezeit, werden die Relationen zwischen Vorderem Orient, östlichem und westlichem Mittelmeerraum sowie Europa öfters mittels eines WeltsystemAnsatzes analysiert. Dabei ist den meisten Autoren vollkommen bewusst, dass hierbei keine Abhängigkeiten und Dominanzen rekonstruiert werden können und sollten, jedoch der Weltsystem-Ansatz hilfreich sein kann, um die vielfältigen, oft technologisch motivierten Interaktionen zwischen den einzelnen Regionen makrohistorisch zu skizzieren.33 Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass weitgehend nur in der angloamerikanischen Archäologie durch verschiedene Forscher versucht wird, den Mittelmeerraum während der Ur- und Frühgeschichte als eine Einheit zu betrachten und spezielle mediterrane Fragestellungen zu entwickeln.34 Die deutschsprachige Archäologie des Mittelmeerraumes zeichnet sich dagegen in erster Linie durch eine hervorragende Edition des Quellenmaterials aus. Eine großräumige Charakterisierung, eine diachrone Perspektive und ein Gesamtverständnis für mediterrane Urund Frühgeschichte wird dabei eher selten entwickelt.35 Somit wäre eine stärkere Integration beider Ansätze für eine Weiterentwicklung wünschenswert, um zu einer wirklichen Synthese der Archäologie des mediterranen Raumes zu gelangen.

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Siehe zuletzt etwa verschiedene Beiträge in Duistermaat u. Regulski, 2011 und Alberti u. Sabatini, 2013. Hier seien nur die Diskussionsbeiträge von Sherratt u. Sherratt, 1993 und in Riva u. Vella, 2006 angeführt. Siehe etwa Sherratt, 1993; Harding, 2013. Wobei sich aber bei manchen Beiträgen aus dem anglo-amerikanischen Raum die Einschätzung aufdrängt, dass tiefgreifende Forschung durch oberflächliche Anwendung eines modischen Schlagwortes auf das wenig durchdrungene archäologische Quellenmaterial ersetzt wird. Zudem verstärkt sich in den letzten Jahren der Rückzug der universitären Ur- und Frühgeschichte ausschließlich auf den mitteleuropäischen Raum, was zu einer zunehmenden Marginalisierung der vor- und frühgeschichtlichen Archäologie des Mittelmeerraumes im Fach führt.

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Völkerrecht Das Mittelmeer ist von zahlreichen Staaten und staatsähnlichen Einheiten umgeben. Seit jeher ist es ein Raum des Handels, der Ressourcengewinnung, des Austausches und auch der Konflikte. Alle diese Formen der menschlichen Auseinandersetzung mit dem Raum bedürfen vor allem der rechtlichen Regelung. Da es sich weithin um internationale Beziehungen handelt, kommt das Völkerrecht zur Anwendung. Das Völkerrecht weist einige Besonderheiten gegenüber dem nationalen Recht auf, die im Folgenden vorgestellt werden sollen. Als besonders kompliziert wird vielfach die tatsächliche Durchsetzung angesehen, so dass auf diese Probleme anhand einer Fallstudie im zweiten Teil dieses Beitrages eingegangen wird.

Völkerrecht: Zum Begriff und zum Verhältnis von Völkerrecht und Weltpolitik Das Völkerrecht ist Recht. Folglich verfügt es über Rechtsverbindlichkeit und kann auch mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden (wobei jedoch anders als beim innerstaatlichen Recht keine Polizisten, Richter und Strafvollzugsbeamte bereit stehen und es nur in Ausnahmefällen mit militärischen Mitteln durchgesetzt wird). Gleichwohl kursieren über das Völkerrecht eine Reihe von Mythen, die auch etwas mit der irreführenden Bezeichnung dieses Rechtszweiges zu tun haben. Es hat nämlich nur sehr wenig mit Völkern zu tun. In Wirklichkeit regelt Völkerrecht vorrangig die Beziehungen zwischen Staaten und nicht zwischen den Völkern. Folglich müsste man an sich von „zwischenstaatlichem Recht“ sprechen, aber dieser Ausdruck konnte sich nicht durchsetzen, weil auch er nicht völlig zutreffend ist. Schließlich nehmen heute auch Organisationen wie die UNO und organisierte Völker wie die PLO oder das autonome Gebilde Palästina an den internationalen Beziehungen teil und können auf die Rechtsentwicklung Einfluss nehmen. Auch die Bezeichnung „internationales Recht“ wird diesem Rechtszweig nicht gerecht, weil die Nationen kein Subjekt des Völkerrechts sind, sondern eine ethnologische Kategorie. Es bleibt also zu konstatieren, dass die Bezeichnung „Völkerrecht“ zwar unzutreffend ist, sich aber in Ermangelung eines besseren Begriffs durchgesetzt hat (Ipsen, 2004, S. 2f.). Da Völkerrecht stets etwas mit Politik zu tun hat, stellt sich die Frage nach ihrem Verhältnis. Diesbezüglich gibt es verschiedene Auffassungen, die von der jeweils isolierten Existenz beider bis zur völligen Unterordnung des Rechts unter den Primat der Politik reichen.

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Obwohl politische Interessen bei der Entstehung und Durchsetzung von Völkerrecht eine erhebliche Rolle spielen, kann hier jedoch nicht von einem Unterordnungsverhältnis gesprochen werden. Internationale Politik bedarf der Legitimation und diese kann letztlich nur erreicht werden, wenn sie auf dem Völkerrecht basiert. Selbst Angreifer bekennen sich nicht offen zu ihrer Offensive, sondern versuchen, diese als Verteidigungskriege zu legitimieren. So wird der „Sechs-Tage-Krieg“ Israels gegen die arabischen Nachbarn von 1967 weithin als prä-emptive Verteidigungsmaßnahme angesehen (Akram u. Lynk, 2011). Doch Völkerrecht dient nicht nur dazu, Politik zu legitimieren. Seine Wirkung entfaltet es auch deshalb, weil Regelungen notwendig sind, damit die Staaten und Völker auf der Welt neben- und miteinander überleben können. Dazu sind Normen nötig, die akzeptiert werden, weil sie diesem Ziel der Koordination von Menschheitsinteressen dienen. Völkerrecht ist also gemeinschaftsbezogen wie jedes andere Recht auch und ihm liegt eine Gegenseitigkeitserwartung zugrunde. Dabei bedarf es wie in jedem anderen Rechtszweig auch der Akzeptanz: Das Völkerrecht verdankt seine normative Kraft im Wesentlichen dem Willen der Völkerrechtssubjekte, es als Regelungsinstrument in ihren Beziehungen zu nutzen und zu befolgen (Ipsen, 2004, S. 7ff.).

Weitere Grundlagen des Völkerrechts an Beispielen aus dem Mittelmeerraum: Vereinbarungscharakter und Subjekte des Völkerrechts Im Gegensatz zum innerstaatlichen Recht wurde das Völkerrecht nicht durch einen Gesetzgeber geschaffen, sondern kommt durch eine Vereinbarung zwischen Völkerrechtssubjekten – zumeist Staaten – zustande. Dieser völlig andere Entstehungsprozess resultiert daraus, dass die Staaten über eine Eigenschaft verfügen, die im innerstaatlichen Recht unbekannt ist: Die innerstaatlichen Rechtsubjekte, die natürlichen und juristischen Personen, sind Rechtsunterworfene, d.h. sie unterstehen der Jurisdiktion des Staates. Ein solches Unterordnungsverhältnis gibt es im Völkerrecht nicht, denn die Schöpfer des Völkerrechts – die Staaten – sind souverän, d.h. über ihnen steht nichts, das sie zu einem bestimmten Verhalten verpflichten könnte. Da die Staaten das Recht selbst vereinbaren und gleichzeitig auch anwenden müssen, sind in diesem Rechtszweig im Gegensatz zu anderen die Rechtserzeuger und Rechtsunterworfenen gleich. Die Hauptquelle ist das Völkervertragsrecht. Die andere – juristisch gleichwertige – Form der Entstehung von Völkerrecht ist das Gewohnheitsrecht. Dies entsteht in der Regel über einen längeren Zeitraum durch eine sich wiederholende Praxis (Übung) und durch einen erkennbaren Willen, diese Übung als Recht anzusehen (opinio iuris). So entwickelt sich über Jahrhunderte seit dem Mittelalter beispielsweise die Freiheit der Hohen See als Gewohnheitsrechtsgrundsatz heraus; erst 1958 wurde er in einer Seerechtskonvention kodifiziert und damit Vertragsrecht. Hieran kann man sehen, dass die Staaten im Interesse der Rechtssicherheit versuchen, Gewohnheitsrecht zu kodifizieren. Vertragsrecht lässt sich natürlich leichter nachweisen – man braucht den Vertragstext nur auszulegen – als Gewohnheitsrecht, das

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wegen der langen Praxis auch rechtliche Grauzonen aufweisen kann. Gerade die Staaten des Mittelmeerraumes in ihrer Gesamtheit konnten sich bislang nur in einem vergleichsweise geringen Umfang auf die Schaffung von regionalem Völkerrecht einigen, da es noch zu viele ungeklärte Probleme gibt. Da ist sicher zum einen der umstrittene Status Israels, das noch nicht von allen Staaten des nahöstlichen Raumes anerkannt wurde. Die Probleme mit der Staatlichkeit Palästinas sind weithin bekannt (Lapidoth, 2001, S. 211–240). Spannungsreich war über lange Zeit das Verhältnis zwischen der Türkei und Griechenland, das mit der behaupteten Staatlichkeit Nord-Zyperns immer noch Spuren in der Region hinterlassen hat. Die Aufzählung könnte lange fortgesetzt werden und lässt auch EU-Staaten nicht aus. So konnten die slowenisch-kroatischen Ansprüche auf die Hafeneinfahrt von Koper erst durch die Intervention der EU einer Lösung zugeführt werden. Die Komplexität der Fragestellungen hat zu einer geringen Entwicklung vertrags- und gewohnheitsrechtlicher Normen geführt. An sich ist der Mittelmeerraum damit in einer Lage, in der sich ganz Europa im Kalten Krieg befand. Da die deutsche Ostgrenze vor 1990 nicht durch eine freie Selbstbestimmungsentscheidung des deutschen Volkes anerkannt werden konnte, war es notwendig, praktische humanitäre Fragen zu lösen, ohne die Grundprobleme klären zu können. Dies erfolgte durch nichtrechtliche Mechanismen im Rahmen der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), die lediglich durch Regierungschefs abgesegnete politische Vereinbarungen wie die Helsinki-Schlussakte von 1975 verabschieden konnte. Das Beispiel zeigt das Wechselspiel zwischen Rechts- und politischen Normen. Es zeigt auch, dass politische Vereinbarungen keineswegs gering zu schätzen sind, allerdings sind Rechtsnormen beständig und bedürfen zu ihrer Änderung oder Aufhebung eines bestimmten Verfahrens, das aufwendiger ist als die Aufhebung politischer Normen. Rechtsnormen schaffen somit größere Rechtssicherheit. Aufgrund ihrer Souveränität sind alle Staaten juristisch gleich. Gemäß dem alten Grundsatz, wonach ein Gleicher nicht über einen Gleichen zu Gericht sitzen kann, gibt es im Völkerrecht auch keine zentrale Durchsetzungsinstanz für alle Streitigkeiten. Es gibt zwar in Den Haag einen Internationalen Gerichtshof (IGH) als das für die Rechtsprechung zuständige Hauptorgan der UNO, aber dieser ist nur dann zuständig, wenn die betroffenen Staaten einverstanden sind, den Streit dort entscheiden zu lassen. Dies können Staaten i) für alle ihre Streitigkeiten erklären (obligatorische Zuständigkeit), ii) für den konkreten Fall erklären oder iii) es kann sich aus einem völkerrechtlichen Vertrag ergeben. Viele Streitigkeiten im Mittelmeerraum können nicht durch den IGH beigelegt werden, da sich nur wenige Anrainer der Gerichtsbarkeit unterworfen haben. Bekannt geworden ist aber das Gutachten des IGH zu der israelischen Sperrmauer gegenüber den besetzten palästinensischen Gebieten. Das Gutachten wurde durch die UN-Generalversammlung durch eine Mehrheitsentscheidung angefordert und ist kein verbindliches Gerichturteil, sondern eine Reflektion der Auffassung der 15 Richter des IGH. Sie verurteilten darin den Bau der Mauer als rechtswidrig (Hoffmann u. Pierlings, 2005, S. 868–879). Grundsätzlich wird Völkerrecht freiwillig vereinbart und auch freiwillig durchgesetzt. Natürlich kann es bei der Anwendung des Rechts zu unterschiedlichen

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Auffassungen kommen, die dann im Wege der friedlichen Streitbeilegung überwunden werden müssen. Auch Rechtsverletzungen sind im Völkerrecht ebenso wenig ausgeschlossen wie im innerstaatlichen Recht. Hier können dann von dem in seinen Rechten verletzten Staat Sanktionen ergriffen werden. Die Rechtsverletzung hebt das Recht aber nicht auf. Als Völkerrechtssubjekte wurden bis etwa zur Mitte des 20. Jahrhundert lediglich Staaten angesehen, so dass Völkerrecht ausschließlich zwischenstaatliches Recht war. Hinzu kam traditionell der Heilige Stuhl. Jeder Mensch hat eine Vorstellung davon, was ein Staat ist. Gleichwohl gibt es Probleme, wenn neue Gebilde wie Palästina, Nordzypern oder Westsahara das internationale Parkett betreten und von sich behaupten, sie seien nunmehr unabhängige Staaten. Es stellt sich die Frage, ab welchem Zeitpunkt eine staatsähnliche Einheit die Qualität eines Staates hat. Dies mag aus Sicht der Völkerrechtstheorie überraschend sein. Schließlich sind die Staaten „die vorgegebene Größe des Völkerrechts“ (Epping, 2004, S. 59). Staaten sind originäre Völkerrechtssubjekte und haben „international legal personality to the fullest extent“ (Aust, 2007, S. 16). Zur Ermittlung der Staatseigenschaft eines organisierten Herrschaftsverbandes greift der Völkerrechtler regelmäßig auf die herrschende Drei-Elemente-Lehre von Georg Jellinek zurück. Demnach ist ein politisch-rechtlicher Gebiets- und Personenverband ein Staat, wenn sich ein Staatsvolk (1) auf einem umgrenzten Gebiet (2) effektiv organisiert hat (3) (Jellinek, 1914, S. 396ff.). Die einzelnen Komponenten der Staatlichkeit lassen sich genau bestimmen. Demnach besteht ein Staatsvolk aus den Staatsangehörigen, die durch einen Gesetzgebungsakt aufgrund bestimmter Bindungen durch einen Staat in diese Position gebracht wurden. Das Staatsgebiet wird durch Staatsgrenzen umschrieben und unterliegt der staatlichen Hoheit. Eine effektive Organisation und damit Staatlichkeit liegt erst dann vor, wenn sich die Staatsgewalt tatsächlich durchgesetzt hat. Damit ist die Fähigkeit gegeben, eine Ordnung auf dem Staatsgebiet zu schaffen, was als Verfassungsautonomie bezeichnet wird und die innere Souveränität widerspiegelt. Nach außen übt der Staat äußere Souveränität aus, d.h. er untersteht keiner anderen staatlichen Rechtsordnung und ist völkerrechtsunmittelbar (vgl. Oeter, 2002, S. 276). Nur dann ist zu erwarten, dass der Staat stabil ist und auf Dauer bestehen wird. Angesichts der genannten gesicherten Erkenntnisse über die Kriterien der Staatlichkeit – die eine „reale Beschreibung des Staates“ darstellen (Doehring, 2004, Rn. 21) – und der zentralen Bedeutung des Staates für das Völkerrecht verwundert es, dass es dennoch keine Legaldefinition des Staates gibt. Bezeichnend ist, dass eine Definition lediglich auf der Ebene des regionalen Völkerrechts gelang, und zwar bereits in den dreißiger Jahren, also vor der Gründung der UNO. Die Montevideo-Konvention vom 26.12.1933 ist ein regionaler Vertrag für Lateinamerika und benennt eine Reihe für diese Region akzeptierter Kriterien der Staatlichkeit (165 LNTS 19). Demnach verfügen Staaten über (a) permanente Bevölkerung, (b) definierte Grenzen, (c) eine Regierung und (d) die Fähigkeit zu Beziehungen mit anderen Staaten (Doehring, 2000, S. 603). Bezüglich der Bevölkerung wird davon ausgegangen, dass diese weder ethnisch noch religiös oder sprachlich homogen sein muss. Grundsätzlich handelt es sich um eine sesshafte Bevölke-

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rung, aber auch eine traditionell nomadische Bevölkerung erfüllt die Bedingung. Beim Territorium spielt weder die Größe noch die Wohlhabenheit eine Rolle. Dass dies von der Staatengemeinschaft zunehmend so gesehen wird, zeigt der Wandel in der Haltung der UNO. War sie früher nicht bereit, Kleinststaaten wie Andorra, Monaco, Nauru oder Liechtenstein aufzunehmen, so hat sich das schrittweise seit 1990 geändert (Kilian, 2002, S. 202f.). Dieser Aspekt ist für die Mittelmeerstaaten ebenso wichtig wie der Umstand, dass Staaten über eine Regierung verfügen, die entsprechend dem nationalen Recht gebildet wurde und effektive Kontrolle über das Territorium ausübt. Nach der Schaffung eines Staates wird seine Existenz auch nicht durch Bürgerkriege oder eine Okkupation in Frage gestellt.1 Die Unabhängigkeit bezüglich der internationalen Beziehungen basiert darauf, dass die Regierung souveräne und unabhängige Entscheidungen treffen kann und das staatliche Territorium nicht der Hoheit eines anderen Staates unterliegt. Angesichts der Existenz staatsähnlicher Einheiten im Mittelmeerraum kommt der Fähigkeit zum Eintritt in die internationalen Beziehungen besondere Bedeutung zu, denn deren Voraussetzung ist die völkerrechtliche Anerkennung eines neuen Staates.2 Bei der Anerkennung handelt es sich um eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung eines Staates, einen bestimmten Tatbestand – hier die Existenz eines neuen Staates – als bestehend anzuerkennen. Sie kann entweder ausdrücklich oder stillschweigend durch konkludentes Handeln entstehen. In ersterem Falle handelt es sich um eine de iure-Anerkennung, die endgültig und vollständig ist. Demgegenüber ist die stillschweigende Anerkennung lediglich de facto und kann aus politischen Gründen zurückgenommen werden (Hobe u. Kimminich, 2004, S. 70ff.). Insgesamt hat sich die Bedeutung der Anerkennung gewandelt. Während sie im klassischen Völkerrecht noch als Grundlage für die Akzeptanz eines Gebildes als Staat (konstitutive Theorie) angesehen wurde, ist die Existenz eines Staates heute davon unabhängig. Der Anerkennung kommt demzufolge nur eine deklaratorische Wirkung zu, die darin besteht, dass der ältere Staat normale Beziehungen zu dem neuen Staat unterhalten will. Die Existenz eines Staates wird somit letztlich unter Effektivitätsgesichtspunkten betrachtet.3 Obwohl die Anerkennung keine Voraussetzung für Staatlichkeit ist, ist siedas außenpolitische Ziel jeder Sezessions- oder aufständischen Bewegung (Crawford, 1979, S. 248). Für ein sezessioniertes Gebilde ist sie nämlich aus praktischer Sicht eine Voraussetzung für die Überlebensfähigkeit (Radan, 2002, S. 22). In der Praxis 1

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So unterstrich der UN-Sicherheitsrat unmittelbar nach der Okkupation des Irak durch die „Koalition der Willigen“ am 28. März 2003 mit Res. 1472 die Souveränität und territoriale Unversehrtheit dieses Staates. Somit ist der besetzte Staat zwar nach wie souverän, aber wegen der Besetzung nicht handlungsfähig. Im Zusammenhang mit der Völkerrechtssubjektivität des Staates führt die International Law Commission in ihrem Entwurf zur Staatenverantwortlichkeit aus: „The State is treated as a unity, consitent with its recognition as a single legal person in international law“ (Hervorhebung vom Verf.). In: United Nations Hrsg., 2001: Report of the International Law Commission on the work of its fifty-third session. [online] < http://www.un.org/documents/ ga/docs/56/a5610.pdf> [Letzter Zugriff: 23.04.2014]. Vgl. zu den verschiedenen Doktrinen Carty, 2009, S. 92.

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zeigt sich jedoch gleichermaßen, dass die Anerkennung letztlich – neben der aus dem Selbstbestimmungsrecht hergeleiteten Legitimität des Anspruches – auch von der Lebensfähigkeit des sezessionierten Gebildes abhängt. Auch die Anerkennung von Aufständischen – wie im Falle Libyens 2011 – erfolgt in der Regel erst, wenn die Rebellen territoriale Erfolge erzielt haben und einen erheblichen Anteil der Bevölkerung hinter sich wissen. Demgegenüber verlief die Anerkennung der syrischen Aufständischen 2012 wesentlich zögerlicher, weil sie keine einheitliche Gruppe darstellen. Wenn Staaten widerrechtlich handeln und effektive Sanktionen nicht angewendet werden können, dann wendet die UN das Prinzip der Nichtanerkennung illegaler Sachverhalte an (Cassese, 2005, S. 341). Dies wird in der grundlegenden Friendly Relations Deklaration der UN-Generalversammlung von 1970, die als Interpretation der UN-Charta angesehen werden kann, bezüglich des Verbots der Anerkennung unterstrichen: „States shall not recognize as legal any acquisition of territory brought about by the use of force“ (UN-Doc. A/2625 (XXV) annex, first principle). Der IGH bekräftigte diese Regel in seiner Entscheidung zu den Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (I.C.J Reports 1986, S. 100, para. 188). Die ILC sieht die kollektive Nicht-Anerkennung als die Voraussetzung der kollektiven Antwort der Staatengemeinschaft auf schwere Völkerrechtsverletzungen an (UN-Doc. A/56/10, S. 115, para. 8). Trotz kritischer Betrachtungen dieser Praxis, z.B. durch Cassese (vgl. dazu auch Dugard, 1987), bleibt die Nichtanerkennung, die auf die Stimson-Doktrin zurückgeht, ein wichtiges Instrument zur Durchsetzung des Völkerrechts – auch und insbesondere im Mittelmeerraum. So wurde die Annexion des östlichen Teils von Jerusalem durch den Sicherheitsrat mit der Res. 478 (1980) verurteilt und als null und nichtig bezeichnet. Die Mitgliedsstaaten wurden aufgefordert, diesen Akt nicht anzuerkennen und diplomatische Einrichtungen in Jerusalem zu schließen. Neben der Annexion unterfallen auch gewaltsam von dritten Staaten erzwungene Sezessionen der Stimson-Doktrin. So befasste sich der Sicherheitsrat mit der Ausrufung der Türkischen Republik Nordzypern am 15.11.1983. In seiner Res. 541 (1983) erklärt er die Ausrufung für ungültig und ruft zu ihrer Rücknahme auf. Die Staaten werden aufgefordert, „not to recognize any Cypriot State other than the Republic of Cyprus”. In der Literatur wird zutreffend darauf hingewiesen, dass die Politik der Nichtanerkennung zum Scheitern des Sezessionsversuchs beigetragen hat (Jennings u. Watts, 1992, S. 130). Diese politische Auffassung hat auch erhebliche rechtliche Konsequenzen, wie der Fall Loizidou v. Türkei vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) bewies (vgl. Heintze, 2003, S. 178). Hier ging es darum, dass die zypriotische Beschwerdeführerin nach der türkischen Invasion von 1974 ihr Eigentum in Nordzypern nicht mehr nutzen konnte. Im Zentrum des Falles stand die Frage, wer in Nordzypern die Hoheitsgewalt ausübt, denn die Türkei brachte vor, dass sie nicht der zutreffende Beschwerdegegner sei (dazu Husheer, 1998, S. 389). Vielmehr sei dies die Türkische Republik Nordzypern, die als unabhängiger Staat für ihre Handlungen selbst verantwortlich ist. Die Türkei sah sich zu dieser Stellungnahme veranlasst, weil sie der einzige Staat ist, der Nordzypern als Staat anerkannt hat. Der

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Gerichtshof folgte dieser Auffassung jedoch nicht. Obwohl das Urteil, das die Türkei zum Schadenersatz verpflichtete, zu den Statusfragen nicht ausdrücklich Stellung nahm, was Richter Pettiti in einer „dissenting opinion“ kritisierte (EGMR, 1996, S. 2251), muss selbiges dahingehend ausgelegt werden, dass der EGMR Nordzypern keine Staatlichkeit zubilligte. Daraus ist abzuleiten, dass eine von außen mit militärischer Gewalt oder zumindest mit auswärtiger Unterstützung vorgenommene Staatenbildung rechtswidrig ist. Das Verbot der Anerkennung eines solchen Gebildes resultiert aus dem Umstand, dass aus einem rechtswidrigen Akt – der nichtig ist - kein Recht entstehen kann. Folgerichtig muss die Anerkennung aufgrund ihrer Rechtswidrigkeit völkerrechtliche Verantwortlichkeit begründen. Der ILC-Entwurf zur Staatenverantwortlichkeit verpflichtet in Art. 41 Abs. 2 nochmals zur Nicht-Anerkennung solcher Situationen.4 Die ILC verweist neben den genannten diesbezüglichen Beispielen aus der Praxis zutreffend auf die Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts (UNDoc. A/56/10, S. 115, para. 5). Eine Anerkennung wäre eine schwere Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Volkes, das sein Selbstbestimmungsrecht ohne äußere Einmischung wahrnehmen können muss. Ausdrücklich wird in der Literatur vom Verbot der Beherrschung eines Volkes als der am stärksten konkretisierten Ausprägung des Selbstbestimmungsrechts ausgegangen (Nolte, 1999, S. 225), so dass eine Anerkennung eines solchen Gebildes schon deshalb rechtswidrig wäre. Gerade die Fälle, in denen sich Staatenbildungen auf das Selbstbestimmungsrecht berufen, sind hinsichtlich der Anerkennung oftmals nicht unproblematisch. Wenn das Völkerrecht selbst Aufständischen den Status als partielles Völkerrechtssubjekt einräumt, so muss dies erst recht für staatsähnliche Einheiten gelten, die sich über einen längeren Zeitraum verfestigt haben.5 Ihnen kann trotz fehlender Anerkennung wegen des Effektivitätsgrundsatzes allmählich Völkerrechtsubjektivität zugebilligt werden. Letztlich hat die faktische Entwicklung zu einem „stabilisierten de facto Regime“ geführt, denn das Territorium wird effektiv beherrscht. Damit erfüllt diese Einheit die Voraussetzung für Staatlichkeit und kann nicht dauerhaft als Nullum betrachtet werden (Epping, 2004, S. 107, Rn. 15). Nach Frowein ist die Existenz von stabilisierten de facto Regimes auf die „imperfect nature“ des Völkerrechts zurückzuführen, das keine Kriterien dafür bereithält, ob eine nichtanerkannte Einheit Staatsqualität hat oder nicht. Vor diesem Hintergrund wird auf die Staatenpraxis verwiesen, die belegt, dass auch dem nichtanerkannten de facto Regime nicht die Völkerrechtssubjektivität abgesprochen werden kann (Frowein, 1992, S. 966). 4

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United Nations: United Nations Hrsg. 2001: Responsibility of States for Internationally wrongful acts. [online] [Letzter Zugriff: 23.04.2014]. Siehe dazu den Kommentar UNDoc. A/56/10, S. 115, para. 12. Dies umso mehr, als die de facto Regimes oftmals aus nicht-internationalen bewaffneten Konflikten hervorgegangen sind. Vgl. Dahm, Delbrück u. Wolfrum, 2002, S. 303.

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Mit dem Rechtsgutachten des IGH vom 11.4.1949 über den Ersatz von im Dienste der Vereinten Nationen erlittenen Schäden6 hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass zwischenstaatliche internationale Organisationen grundsätzlich Völkerrechtssubjekte sind, wenn sie eine auf Dauer angelegte Vereinigungen von zumindest zwei Völkerrechtssubjekten auf dem Gebiet des Völkerrechts sind, die mit der selbstständigen Wahrnehmung eigener Aufgaben betraut und zumindest mit einem eigenen handlungsbefugten Organ ausgestattet sind. Die Struktur, Rechte und Pflichten einer internationalen Organisation sind im Gründungsvertrag niedergelegt. Dort sind der Aufgabenbereich und die Kompetenzen festlegt.

Eine völkerrechtliche Fallstudie: Flüchtlinge im Mittelmeer Es steht außer Frage, dass das Völkerrecht für die Mittelmeerstaaten von außerordentlicher Bedeutung ist. Das Völkerrecht durchdringt heute alle Bereiche der internationalen Zusammenarbeit, der Konfliktlösung und der Beachtung der Menschenrechte. An einer Fallstudie soll deutlich gemacht werden, wie die Regelungen des Völkerrechts ineinandergreifen und wie schwer die Durchsetzung der Normen ist. Ein Beispiel dafür ist das Flüchtlingsproblem im Mittelmeerraum. Zwar ist es um die Flüchtlingsprobleme aktuell stiller geworden. Noch vor kurzer Zeit haben die Medien umfangreich über dieses Thema berichtet. Das mag daran liegen, dass der „Arabische Frühling“ neue medienwirksame Fragen aufgeworfen hat oder andere Flüchtlingsströme Aufmerksamkeit erheischten. Das bedeutet aber nicht, dass das Problem der Flüchtlinge im Mittelmeerraum nicht mehr existiert oder die damit verbundenen moralischen und rechtlichen Herausforderungen nicht mehr bestünden. Deshalb wird jedermann, der sich mit dem Mittelmeerraum beschäftigt, auf Flüchtlingsfragen stoßen. Ein Symptom für das Fortbestehen der Probleme ist auch, dass das Europaparlament jüngst einen Zusatz zum SchengenAbkommen beschloss, der eine weitere Aussetzung des Abkommens aus nationalen Interessen zulässt (SZ vom 30.5.2013). Ein Grund dafür sind die Flüchtlinge aus dem Mittelmeerraum, die über südliche EU-Staaten in den gesamten EU-Raum eingereist sind. Die Dimension des Flüchtlingsdramas ist gewaltig. Im Jahr 2011 verloren mindestens 1.500 Menschen bei dem Versuch, das Mittelmeer zu überqueren, ihr Leben. Angesichts massenhaften Leidens tendiert das menschliche Gehirn dahin, sich einer solchen Vorstellung zu verweigern. Auch Juristen neigen zu Überforderung angesichts der vielen verschiedenen Rechtsverletzungen, die involviert sind. Deshalb soll im Folgenden ein Einzelfall analysiert werden, der schlaglichtartig die menschlichen und damit zusammenhängenden rechtlichen Probleme deutlich macht und das Versagen der Staatengemeinschaft beispielhaft dokumentiert. Es handelt sich um den Fall eines kleinen Bootes, das am 26. März 2011 mit 72 Menschen an Bord Tripolis verließ und fast zwei Wochen später mit nur noch neun Überlebenden an der libyschen Küste angeschwemmt wurde. Das gesamte Ereignis 6

ICJ Rep. 1949, S. 174 ff. Vgl. dazu Last, 2005, S. 363 ff.

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ist eingebettet in eine lange Liste des Fehlverhaltens verschiedener Akteure. Dieses Fehlverhalten wiegt umso schwerer, als die NATO zeitgleich unter Verweis auf das Gebot der Humanität in den bewaffneten Konflikt in Libyen, der zum Ende der Ära Gaddafi führte, eingriff. Auch das Schicksal der 72 Menschen an Bord hatte indirekt mit dem libyschen Bürgerkrieg zu tun, denn die 50 Männer, 20 Frauen und zwei Babys aus dem sub-saharischen Raum wurden durch libysche Milizen zu dem Boot eskortiert und von Schmugglern an Bord genommen. Die Milizen betrieben diese „Hilfe“ ebenso wie die Schmuggler aus kommerziellen Gründen. Um mehr Menschen aufnehmen zu können, entluden sie zuvor die meisten Wasserund Nahrungsmittelvorräte. Das hatte natürlich für die 72 Flüchtlinge verheerende Konsequenzen, die nun ohne irgendeine seeerfahrene Besatzung und ohne ausreichende Ausrüstung in See stachen. Nach 18 Stunden nahezu ohne Wasser und Treibstoff, sandte der selbsternannte „Kapitän“, einer der Flüchtlinge, einen Notruf von seinem Satellitentelefon aus. Nachdem es diesen empfangen hatte, informierte sich das italienische Seenotrettungszentrum (Rome Maritime Rescue Coordination Centre = Rome MRCC) umgehend über die Position des Bootes und sandte einen Notruf an die in dem Gebiet operierenden Schiffe. Wenige Stunden danach warf eine bislang nicht identifizierte militärische Hubschrauberbesatzung Trinkwasserflaschen und Kekse über dem Boot ab. Danach drehte der Helikopter ab und kehrte nicht zurück. Später fuhren zwei Fischtrawler vorbei, ohne Hilfe zu leisten. Nach tagelangem Herumtreiben starb die Hälfte der Passagiere. Neue Hoffnung kam auf, als die Bootsinsassen ein großes militärisches Schiff mit Hubschraubern an Bord sichteten. Es kam so nah, dass die herunterschauenden Soldaten, die Erinnerungsfotos machten, klar erkennbar waren. Gleichwohl leistete das Kriegsschiff keine Hilfe. Stattdessen drehte es ab und das Flüchtlingsboot trieb weiter auf dem Meer. Erst am zehnten Tag nach dem Ablegen in der Umgebung von Tripolis strandete es 160 km entfernt wiederum in Libyen. Die Überlebenden wurden inhaftiert, konnten sich jedoch mit Bestechungsgeldern freikaufen und flüchteten daraufhin nach Tunesien und Italien.7

Europa – ein Kontinent der Rechtstaatlichkeit und des Völkerrechts? Das Flüchtlingsdrama ereignete sich vor der Küste Europas, einem Kontinent mit einem hochentwickelten System der Rechtsstaatlichkeit (rule of law) und des Menschenrechtsschutzes. Zu hinterfragen ist daher, wie der Hüter dieser europäischen Rechtsstaatlichkeit – der Europarat – auf die sich im Mittelmeer vollziehende Unmenschlichkeit reagierte.8 In dem dargestellten Fall handelte er in der Gestalt eines 7 8

Die Fakten wurden bestätigt durch die Parlamentary Assembly of the Council of Europe, abrufbar unter www.statewatch.org/news/2012/apr/coe-med-report-2.pdf (Letzter Zugriff: 1.2.2013). Dem Europarat, der von der Europäischen Union zu unterscheiden ist, gehören alle europäischen Staaten mit Ausnahme von Belarus an. Belarus wurde nicht aufgenommen, weil es keine Demokratie ist und grundlegende Menschenrechte nicht beachtet. Alle anderen europäischen Staaten sind demgegenüber zur Einhaltung demokratischer Spielregeln und der Menschenrechte verpflichtet.

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seiner Organe. Die vielfach als Schrittmacher agierende Parlamentarische Versammlung forderte nämlich eine juristische Klärung der Verantwortung wegen der unterlassenen Hilfeleistung an und setzte die Parlamentarierin Tenike Strik als Berichterstatterin ein. Diese legte daraufhin dem Commitee on Migration, Refugees and Displaced Persons am 29. März 2012 einen Bericht vor (Assembly Doc. 12628). Die folgenden Angaben zu dem Drama beziehen sich auf den Bericht. Untersucht wird darin, welche Pflichten das anwendbare Recht den beteiligten Akteuren auferlegt, und wie diese schließlich wahrgenommen wurden. Die Vorfälle spielten sich auf dem Meer ab. Folglich findet die United Nations Convention on the Law of the Sea von 1982 (UNCLOS)9 Anwendung. Sie bekräftigt in Art. 98 („Duty to render assistance") zwei der bereits seit Jahrhunderten auf See geltenden gewohnheitsrechtlichen Pflichten. Zum einen müssen Staaten alle notwendigen gesetzgeberischen Schritte ergreifen, um die Kapitäne der Schiffe unter ihrer Flagge zu veranlassen, allen Personen in Seenot zu helfen, Menschen zu retten und Hilfe bei Kollisionen zu leisten. Diese Pflichten bestehen nicht nur für Küstenstaaten. Zum zweiten sind Küstenstaaten beauftragt, adäquate und effektive Rettungsdienste einzurichten, zu betreiben und zu unterhalten. Diese Hilfsverpflichtungen der UNCLOS werden durch weitere Kodifikationen ergänzt. Die International Convention for the Safety of Life at Sea (SOLAS) von 1974 und die International Convention on Search and Rescue (SAR) von 1979 bekräftigten und vertiefen die UNCLOS-Regeln. Demnach ist Hilfe unabhängig von der Nationalität, dem Status oder den Umständen der Personen in Seenot zu leisten. Die beiden Verträge enthalten zudem Anforderungen an die konkreten operationellen Details des Vorgehens der Küstenstaaten. Aus der Zielsetzung der genannten internationalen Verträge ergibt sich die Notwendigkeit der engen Zusammenarbeit der Küstenstaaten mit dem Ziel, die Überwachung der Seegebiete zu koordinieren und in ihren Küstengebieten die Seenotrettung sicherzustellen. Für seine SAR-Zone muss der Küstenstaat entsprechende RettungsKoordinations-Zentren einrichten. Allerdings besteht für den Küstenstaat dann keine Notwendigkeit der Schaffung von Rettungsvorkehrungen in seiner SARZone, wenn durch die Koordination mit anderen Küstenstaaten effektivere Maßnahmen ergriffen werden können. Dies entspricht dem Gedanken der Kooperation bei der Bewältigung der gemeinsamen Aufgaben der Staatengemeinschaft, zu der sicher die Humanitätsverpflichtung gehört. Es verwundert nicht, dass gerade die in den achtziger Jahren unter maßgeblichen Einfluss der Entwicklungsländer geschaffene UNCLOS, die in weithin ein neues Völkerrecht der Solidarität darstellt, die Kooperation in staatsfreien Räumen in den Vordergrund stellt. Hier tritt eindeutig der im traditionellen Völkerrecht dominierende Souveränitätsaspekt zurück (Trevisanut, 2010, S. 523ff.). Aber auch unter Beachtung der Kooperationskonzeption bleibt doch die generelle Verpflichtung aller Staaten und Schiffe zur Hilfeleistung erhalten. Die Rettungspflicht obliegt dabei allen Schiffen, unabhängig davon ob sie militärischen 9

Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 179/3, abrufbar unter: www.eurlex.europa.eu/ LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:1998 (Letzter Aufruf 1.2.2013).

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oder zivilen Charakter haben. Auch der Grund für den Aufenthalt eines Schiffes in einer bestimmten Region ist völlig unerheblich. Folglich ist auch der Kapitän eines Kriegsschiffes an Art. 98 Abs. 1 lit. A gebunden, „so schnell wie möglich Personen in Seenot zu Hilfe zu eilen, wenn er von ihrem Hilfsbedürfnis Kenntnis erhält, soweit diese Handlung vernünftigerweise von ihm erwartet werden kann“ (O‘Brien, 2011, S. 719ff.).

Verhalten der einzelnen Akteure Koordination durch das Italienische Seenotrettungszentrum (Rome MRCC) Nachdem das Rettungszentrum von dem Sachverhalt informiert worden war, versuchte es, mit dem betroffenen Boot in Kontakt zu treten. Allerdings wurde die telefonische Konversation nach wenigen Wortfetzen unterbrochen, da die Batterie des Satellitentelefons des „Kapitäns“ keinen Strom mehr lieferte. Daraufhin setzte sich das Rettungszentrum mit dem Telefonprovider in Verbindung und ermittelte die Koordinaten des Bootes. Anschließend wurden über verschiedene Netzwerke mehrere Hilferufe an Schiffe in der betroffenen Region gesendet. Die Mitteilungen enthielten allesamt das Wort „Distress“ (Notfall), welches in der SAR-Konvention der dringendste Begriff für die Notwendigkeit einer Hilfeleistung ist. Sodann informierte das Rome MRCC unter anderen das Malta MRCC und auch das NATO Hauptquartier in Neapel. Schließlich meldete man den Vorfall auch an FRONTEX, das im Raum Lampedusa seinen Dienst tat, und informierte alle Schiffe in dem Seegebiet über das in Not geratene Boot. Alle Schiffe, ob privat, kommerziell oder militärisch hätten technisch in der Lage gewesen sein müssen, die Notrufe, die alle vier Stunden über zehn Tage per INMARSAT ausgestrahlt wurden, zu empfangen. Folglich kann davon ausgegangen werden, dass die Meldungen, die die ausdrückliche Formel „…assist if possible“ enthielten, durch zahlreiche Schiffe empfangen wurden. Hinsichtlich der Pflichtlage ist außerdem davon auszugehen, dass sich das Boot zum Zeitpunkt des Notrufs in der libyschen SAR-Zone befand. Somit war es die Aufgabe der libyschen Behörden, Hilfe zu leisten und nicht untätig zu bleiben. Die Verantwortung ging ab dem Zeitpunkt der Meldung von Rome MRCC auf Libyen über. Allerdings waren die Staatsorgane Libyens zu diesem Zeitpunkt angesichts des Bürgerkrieges handlungsunfähig. Es gibt auch keinen Beleg darüber, dass das libysche MRCC die Information über die Notlage erhalten hatte, denn die dortige Station reagierte nicht auf die Meldungen aus Italien. Vermutet wird, dass von Seiten des Rome MRCC auch nicht intensiv auf der Kontaktaufnahme bestanden wurde, da man es von vorneherein als aussichtlos angesehen hatte, diese Information zu übermitteln. Obwohl sowohl Rom als auch Malta über die Notsituation und die Handlungsunfähigkeit der Libyer im Bilde waren, unternahmen sie nichts Weiteres, da sich das Boot nicht in ihren SAR-Zonen befand. Damit glitten die Schiffbrüchigen in ein „Verantwortungs-Vakuum“ ab. Hinzu kommen technische Einschränkun-

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gen. Da Malta nicht über Rettungshubschrauber verfügt, die bis in die libysche SAR-Zone fliegen können, hätten diese Rettungsmittel nicht eingesetzt werden können. Aber auch die maltesischen SAR-Schiffe wären nicht hilfreich gewesen, denn sie brauchen rund 22 Stunden, um die Grenze der eigenen SAR-Zone zu erreichen. Das Rome MRCC argumentierte, seine SAR-Kapazitäten seien seinerzeit rund um die Uhr im Einsatz gewesen, weil es täglich etwa 20 bis 25 Einsätze gegeben habe. So kamen seine Schiffe vom 26. bis 28. März rund 4300 Menschen zur Hilfe. 2200 Menschen bekamen Hilfe auf See und 2000 wurden aus Seenot gerettet. Angesichts dieser Situation wurde Hilfsaktionen in der italienischen SAR-Zone Vorrang eingeräumt. Im Übrigen hatte das Rome MRCC die Situation des Flüchtlingsbootes auch nicht als so bedrohlich angesehen, weil es sich noch fortbewegte. Folglich versuchte es zwar, eine Lösung zu finden, tat dies aber nicht mit Nachdruck. Folglich wurde weder Malta noch die NATO oder irgendeine andere Partei tatsächlich zum Einschreiten aufgefordert. Obwohl sich das Rome MRCC des Umstands bewusst war, dass niemand die Verantwortung für eine Rettungsaktion übernommen hatte, unternahm es dennoch nichts. Dies mag auf das unklare Verhältnis zur NATO zurückzuführen sein, die in dieser Zeit in Libyen militärische Aktionen durchführte. Bestandteil dieser Operationen hätte auch ein Mechanismus bezüglich der Seenotrettung sein müssen, der die Koordination mit den einschlägigen MRCCs einschloss. Darüber gab es allerdings keine Absprachen.

Unterlassene Hilfeleistungen durch Schiffe und Hubschrauber Nach den Unterlagen wurde das überfüllte libysche Flüchtlingsboot am 27. März 2011 zuerst von einem französischen Flugzeug gesichtet und fotografiert. Die Information wurde an das Rome MRCC übermittelt. Erste Anfragen an die französischen Behörden hinsichtlich der Identität des Flugzeuges blieben unbeantwortet. Erst als das Schicksal der Bootsflüchtlinge von den Medien aufgegriffen wurde und Nachforschungen begannen, wurde das französische Verteidigungsministerium aktiv. Es bestritt in einer Stellungnahme am 5. März 2012, dass es einen solchen Vorfall vor der Küste während der NATO-Operation gegeben habe. Stattdessen habe das französische Kriegsschiff „Meuse“ am 28. März 2011 ein Flüchtlingsschiff etwa 12 Seemeilen (sm) vor Malta gesichtet, wobei es sich aber nicht um das fragliche Boot gehandelt habe. Diese Antwort, die sich nicht auf den eigentlichen Vorfall bezieht, erstaunt. Dasselbe trifft auf die Stellungnahme der NATO zu, die schlicht behauptet, es gebe keine Unterlagen über ein Flugzeug unter NATO-Kommando, das das kleine Boot gesehen habe. Auch bezüglich des Hubschraubers, der Wasser und Kekse abgeworfen hat, ergibt sich ein unklares Bild. Er tauchte auf, nachdem der „Kapitän“ Rome MRCC über die Notlage informiert hatte. Dennoch drehte er nach kurzer Zeit wieder ab. Es kann nur vermutet werden, dass die Besatzung die Notlage als nicht so drängend ansah, weil das Boot noch aus eigener Kraft fuhr und nicht driftete. Dennoch ist es

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als unterlassene Hilfeleistung anzusehen, dass der Hubschrauber keine weiteren Hilfsmaßnahmen einleitete. Unverständlich ist auch, dass das große Kriegsschiff, vermutlich ein Hubschrauber- oder Flugzeugträger, keine Hilfe leistete. Zum Zeitpunkt der Begegnung mit dem Flüchtlingsboot standen alle derartigen Kriegsschiffe in dem Raum unter NATO-Kommando. Die NATO erklärt seit Jahren immer wieder, dass sie sich ihrer Verpflichtungen in Seenotfällen bewusst sei und konnte auf eine Reihe erfolgreicher Einsätze verweisen. Allerdings beantwortet die NATO keine Fragen zu dieser Begegnung mit dem Flüchtlingsboot, vielleicht deshalb, weil zu diesem Zeitpunkt die Notlage der Flüchtlinge höchst prekär war und zahlreiche Menschen bereits gestorben waren. Auch zivile Schiffe begegneten dem Boot. Die Besatzung eines tunesischen Fischerboots wies den Flüchtlingen den Weg nach Lampedusa, leistete aber keine weitere Hilfe und informierte niemanden. Der Kapitän eines zypriotischen Frachters, der sich unweit der Schiffsbrüchigen befand, unternahm nichts und wurde von Rome MRCC auch nicht dazu aufgefordert. Dieses Verhalten scheint nur erklärbar, wenn man die Maßnahmen der Küstenstaaten berücksichtigt. Diese beziehen sich auf die Kriminalisierung der illegalen Immigration und auch darauf, dass die Schiffe die Flüchtlinge oft nur nach tagelangen Verzögerungen an Land gehen lassen dürfen. Dies kann für Frachtschiffe zu erheblichen finanziellen Verlusten führen, ganz abzusehen von der Gefahr, mit Sanktionen wegen der Unterstützung illegaler Immigration belegt zu werden. So wurde der Kapitän des deutschen Hilfsschiffes Cap Anamur 2006 durch ein italienisches Gericht bestraft, weil er 2004 37 afrikanische Flüchtlinge im Mittelmeer aus Seenot gerettet hatte und in Italien an Land gehen ließ.10 Derartige Vorfälle mögen das rechtswidrige Verhalten der zivilen Schiffsführer erklären.

Widersprüchliches Verhalten der NATO Generell unerklärlich ist die Reaktion der NATO, die in anderen Seenotfällen, die ebenfalls von Rome MRCC gemeldet wurden, durchaus geantwortet hatte. Alle Äußerungen zu dem hier untersuchten Fall sind demgegenüber widersprüchlich. Auf Rückfragen antwortete die NATO später, ihr nächstes Schiff habe sich 24 sm entfernt befunden, obwohl es Belege für die Präsenz eines NATO-Schiffes in 11 sm Entfernung gab. Bei Letzterem handelte sich um das spanische Kriegsschiff Méndez Núñez, das die Schiffbrüchigen innerhalb von zwei Stunden hätte erreichen können. Da es zudem Hubschrauber an Bord hatte, wären Hilfsmaßnahmen sogar noch schneller möglich gewesen. Dennoch wurden keinerlei Maßnahmen ergriffen, obwohl die NATO immer wieder erklärte, alle ihre maritimen Maßnahmen würden im Einklang mit dem Seerecht stehen. Die Verwirrung wird durch die Erklärung des spanischen Verteidigungsministeriums noch vergrößert, wonach sich die spanische Méndez Núñez niemals auf der 10

BBC News: Italy acquits migrant rescue crew. [online] [Letzter Zugriff: 1.2.2013].

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angegeben Position 11 sm vom Flüchtlingsboot entfernt befunden habe. Angesichts der widersprüchlichen Aussagen ist es schwer, den exakten Grad des rechtwidrigen Verhaltens der NATO festzustellen. Weiterhin erschwert wird die exakte Einschätzung noch dadurch, dass Rome MRCC keinen Kontakt zu einzelnen militärischen Schiffen hatte, sondern direkt mit der NATO kommunizierte. Angesichts der massiven militärischen Präsenz der NATO überrascht aber die Verweigerung der Hilfe für das Flüchtlingsboot in Seenot. Dies umso mehr, als der UN-Sicherheitsrat mit seinen Resolutionen 1970 (2011) und 1973 (2011) die NATO ermächtigt hatte, alle Mittel – einschließlich militärischer Gewalt – anzuwenden, um der durch den Bürgerkrieg in Libyen gefährdeten Zivilbevölkerung zur Hilfe zu kommen. Die NATO startete zu diesem Zweck die Operation Unified Protector und bombardierte dem Mandat entsprechend aus der Luft Stellungen derjenigen libyschen Streitkräfte, die Zivilisten bedrohten. Die Resolutionen ließen allerdings die Flüchtlinge außer Betracht, obwohl es sich hierbei auch um Zivilisten handelte. Zutreffend mag aber sein, dass die Flüchtlinge nicht durch die Kampfhandlungen bedroht wurden, sondern durch das allgemeine Maß an Unordnung, welches durch die zusammenbrechenden staatlichen Ordnungsstrukturen verursacht wurde. Dass das Schicksal dieser Menschen bei der Entscheidungsfindung im Sicherheitsrat der UNO nicht einbezogen wurde, muss als dem humanitären Anliegen der Operation Unified Protector widersprechend angesehen werden. Diese Auslassung ist umso sträflicher, als über Libyen seit Jahren tausende Flüchtlinge und Migranten aus Afrika nach Europa übersetzten. Erst durch Absprachen zwischen EU-Staaten und dem libyschen Diktator Gaddafi wurde dieser Strom eingedämmt. Gaddafi nutzte aber weiterhin die Furcht des Westens vor Flüchtlingen, um Druck auf die EU auszuüben. Folgerichtig drohte er nach Ausbruch des Bürgerkriegs und der wachsenden Unterstützung der Aufständischen durch den Westen, Europa mit Flüchtlingen aus Afrika zu überschwemmen. Das Flüchtlingsproblem stellte also für die NATO bei ihrem Eingriff in den Bürgerkrieg keine Überraschung dar. Eine verantwortungsvolle NATO-Planung hätte folglich auch Vorsorge bezüglich der Flüchtlinge in der libyschen SAR-Zone treffen müssen. Insbesondere trifft dies auf die Koordination der Zuständigkeiten und mögliche Rettungskapazitäten vor der Küste Libyens zu. Im Lichte der massiven Präsenz der NATO in den Seegebieten vor diesem Staat hätten durchaus solche Kapazitäten bestanden. Auch das Kriegsrecht, das zumindest nach der Eroberung von Teilen des Landes durch die Aufständischen zur Anwendung kam, unterstreicht die Verpflichtung, Zivilisten im Kampfgebiet zu schützen. Diese Aufgabe bestand für alle Parteien des Bürgerkriegs (Brunner u. Frau, 2011, S. 196). Libysche Staatsorgane und auch die Aufständischen haben diese Schutzverpflichtung insofern verletzt, als sie Flüchtlinge und Migranten ermutigt haben, den gefährlichen Weg über das Meer von der Küste Libyens anzutreten. Dies geschah massenhaft, teilweise mit direkter Unterstützung. Es sind sogar Fälle bekannt, wo das Militär Flüchtlinge mit Waffengewalt zwang, in seeuntüchtige Boote zu steigen und Lampedusa anzusteuern, um die EU unter Druck zu setzen. Weitere Flüchtlingsgruppen entstanden dadurch, dass viele

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Menschen aus dem sub-saharischen Afrika gezwungen werden sollten, auf der Seite der Truppen Gaddafis gegen das libysche Volk zu kämpfen; sie entzogen sich dieser Zwangsrekrutierung durch den Fluchtversuch über das Meer. Aus der Situation in Libyen versuchten viele gewissenlose Menschenhändler Kapital zu schlagen, indem sie die Flüchtlinge gegen Bezahlung in untauglichen Booten ins Meer stechen ließen.

Die Frage nach rechtlichen Grauzonen und Verantwortlichkeiten Der Seenotfall ereignete sich in der SAR Libyens, folglich war nach dem Seerecht Libyen zuständig. Gleichwohl waren die Organe Libyens zu diesem Zeitpunkt nicht handlungsfähig, sodass sich die Frage stellt, wie in solch einem Fall die Hilfe koordiniert werden soll. Dafür gibt es keine eindeutige rechtliche Regelung. Koordinationsverpflichtungen bestehen nur, wenn die exakte Position eines Schiffsbrüchigen nicht ermittelt werden kann. Dann sieht die SAR-Konvention Absprachen verschiedener SAR-Dienststellen mit dem Ziel vor, einer MRCC die Verantwortung zu übertragen. Da im vorliegenden Fall die Position des Hilfsbedürftigen bekannt war, blieb nach der SAR-Konvention die Verantwortung bei Libyen. Dies ist freilich ein unbefriedigendes Ergebnis. Verweisen sollte man daher auf eine analoge Regelung, die sich im International Aeronautical and Maritime Search and Rescue Manual, das allerdings keine rechtsverbindlichen Bestimmungen enthält, findet. Obwohl es sich dabei nur um eine Empfehlung handelt, ist das vorgesehene Herangehen praktikabel und findet immer wieder Anwendung. Demnach wäre die erste SAR MRCC solange für die Koordination der Hilfe zuständig wie die zuständige MRCC nicht reagiert. Eine solche Verfahrensweise ist auch in den IMO Guidelines on the treatment of persons rescued at sea vom 20 Mai 2004 vorgesehen (Klepp, 2011, S. 543f.). Gleichwohl kann man angesichts des rechtlich nicht verbindlichen Charakters der Regelungen von einer Grauzone sprechen. Diese schwindet allerdings bei Inbetrachtnahme der Hierarchie der Normen. Demnach ist das oberste Ziel die Rettung von Menschen in Not. Alle weiteren Verträge oder Empfehlungen enthalten nur Verfahrensvorschriften, um diese Aufgabe zu meistern. Laufen die Verfahrensvorschriften ins Leere, weil eine MRCC ihre Aufgaben nicht wahrnehmen kann oder will, so bleibt doch das Ziel verbindlich und andere MRCC-Stationen können sich nicht aus ihrer Verantwortung für die Rettung befreien. Selbst wenn das Seerecht keine Bestimmungen zur Bestrafung derjenigen enthält, die ihrer Verantwortung nicht gerecht werden, so bleibt doch diese Verpflichtung bestehen. Wie diffizil die Umsetzung seerechtlicher Rettungsvorschriften mittlerweile ist, wird an der Novellierung der SAR- und SOLAS-Konventionen deutlich, die 2006 in Kraft traten und weitere Vorschriften für das Anlandgehen geretteter Personen enthalten. Diese Vorschriften stießen auf den Widerstand Italiens und Maltas und wurden von beiden Staaten nicht ratifiziert. Malta argumentierte ausdrücklich, dass es nach diesen Vorschriften alle Personen aufnehmen müsste, die in seiner extrem großen SAR-Zone gerettet werden.

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Dieses Beispiel belegt, dass es ein erhebliches Maß an Rechtsunsicherheit bezüglich der Zuständigkeiten für gerettete Personen im Mittelmeerraum gibt. In der Konsequenz gab es eine Reihe von Fällen, in denen in Seenot geratene Migranten, Asylsuchende und Flüchtlinge, die von Fischern gerettet wurden, tagelang warten mussten, um an Land gehen zu können. Bis dies geschah, mussten die Fischerboote untätig im Hafen liegen, was erhebliche Einnahmeausfälle verursachte. Vor diesem Hintergrund verwundert die zunehmende Weigerung privater und Handelsschiffe, ihren Rettungsverpflichtungen nachzukommen und Schiffbrüchige an Bord zu nehmen, nicht (den Hertog, 2012). Dennoch haben zweifellos alle beteiligten Parteien im untersuchten Fall geltendes Recht verletzt. Die libyschen Behörden agierten nicht im Einklang mit den Verpflichtungen in ihrer SAR-Zone. Dies stand im Widerspruch zum Seevölkerrecht. Libyens Verhalten stand weiterhin im Widerspruch zu den Menschenrechten, insbesondere zur Schutzverantwortung gegenüber allen Menschen unter seiner Jurisdiktion. Flüchtlinge aufzufordern, in seeuntüchtige Boote zu steigen, ist nicht nur eine Nötigung, sondern muss sogar als Beihilfe zum Mord angesehen werden, denn es war bekannt, dass die Boote der Menschenhändler nicht für die lange Seefahrt bis Europa tauglich waren. Nun kann man argumentieren, dass das diktatorische Gaddafi-Regime ohnehin Menschenrechte mit Füßen trat, ein solches Herangehen an die Flüchtlingsfrage also keine Ausnahme ist. Gleichwohl befreit eine generell menschenrechtsfeindliche Politik nicht von der Verantwortung für die Einhaltung dieser Rechte. Insofern wäre zu erwarten gewesen, dass der Internationale Strafgerichtshof, der durch die Res. 1970 (2011) mit den völkerrechtlichen Verbrechen des Gaddafi-Regimes befasst wurde und daraufhin einen Haftbefehl gegen Gaddafi ausgestellt hatte (Geiß u. Kashgar, 2011, S. 101), sich auch mit den Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die gegenüber Flüchtlingen und Migranten begangen wurden, befasst hätte. Verantwortung hat aber auch die NATO auf sich geladen, denn offensichtlich waren auch Kriegsschiffe samt Helikoptern unter NATO-Kommando in dem Gebiet, in dem das Flüchtlingsboot in Seenot geraten war. Ihr Verhalten insgesamt entsprach nicht den humanitären Regeln des Seerechts. Allerdings war es für die Berichterstatterin des Europaparlaments unmöglich herauszufinden, welche NATO-Kriegsschiffe sich im fraglichen Zeitraum in dem Seegebiet befanden. Auf ihre Anfrage bei der NATO wurde bestritten, dass sich ein italienisches und spanisches Kriegsschiff in der Nähe befanden. Auch der Versuch, über das EUSatellitenzentrum die Lagebilder der Küste vor Libyen im fraglichen Zeitraum zu erhalten, scheiterte. Die EU argumentierte, dass seinerzeit die NATO-Operation United Protector lief und die Satellitenbilder daher geheime Informationen beträfen. Die NATO gab diese Informationen nicht heraus und einzelne angefragte Staaten führten aus, dass keine ihrer Kriegsschiffe in diesem Raum operierten. Obwohl die meisten NATO-Staaten auf die diesbezügliche Anfrage der Parlamentarischen Versammlung zumindest reagierten, verweigerten die USA und Großbritannien jede Zusammenarbeit und beantworteten die Auskunftsersuchen nicht. Ein Grund dafür mag sein, dass Kapitäne nach britischem und US-Recht dafür be-

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straft werden können, wenn sie Schiffsbrüchigen die notwendige Hilfe verweigern (Pugh, 2004, S. 59). Die Berichterstatterin des Europarats, Frau Tineke Strik, folgerte aus ihren Untersuchungen: Das Mittelmeer gehört zu den meistbefahrenen Seegebieten der Welt und ist folglich sehr gut überwacht. Folglich hätte das Flüchtlingsboot gerettet werden können und müssen.11 Dies legt den Schluss nahe, dass alle beteiligten Akteure seerechtliche Vorschriften vorsätzlich verletzt haben.

Flüchtlingsrechtliche Dimension Natürlich stellt sich die Frage, weshalb so viele Menschen die gefährliche Flucht über das Mittelmeer wagen. In der Literatur werden verschiedene Gründe genannt. Sie reichen von der Arbeitsmigration bis zum Schutz vor Verfolgung. Da es keinen anderen Weg gibt, um in die EU zum Zwecke der Niederlassung einzureisen, wird es oftmals mit seeuntauglichen Booten illegal über das Mittelmeer versucht. Dabei werden von den Flüchtenden offensichtlich die seerechtlichen Rettungsvorschriften für Schiffsbrüchige ins Kalkül einbezogen. Sie gehen von der Verpflichtung der Küstenstaaten, in Not geratene Personen zu retten, aus und hoffen, dass sich die Anrainerstaaten rechtstreu verhalten. Das Problem der Schiffsflüchtlinge im Mittelmeerraum ist seit langem bekannt. Durch den „Arabischen Frühling“ hat sich die Situation noch verschärft. Einerseits reagierte die EU mit einer beachtlichen Aufstockung der humanitären Hilfe und der Verbesserung der Repatriierungsmöglichkeiten. Doch dies war nur die eine Seite, denn zugleich intensivierte die EU auch ihre Grenzschutz-Anstrengungen im Rahmen des Hermes-Programms, das illegale Grenzüberschreitungen verhindern soll und so die Anwendung des Flüchtlingsrechts vermeiden will. Diese Herangehensweise wurde auch bei der Planung der NATO-Aktivitäten während des Bürgerkrieges in Libyen deutlich. Obwohl Flüchtlingsströme vorhersehbar waren, gab es keine Arbeitsvereinbarungen mit den SAR-Diensten der verschiedenen Anrainerstaaten. Dies muss überraschen, denn die Flüchtlingskrise war eine der Begründungen für das durch den Sicherheitsrat legitimierte NATOEingreifen 2011, wie die Präambel der Resolution 1970 (2011) belegt. Allerdings war der Sicherheitsrat nur besorgt „über die Not der Flüchtlinge, die sich gezwungen sehen, vor der Gewalt in der Libysch-Arabischen Dschamahirija zu fliehen“, so dass die Migration nach Europa über das Mittelmeer außer Acht gelassen wurde. Offensichtlich gehen die Vereinten Nationen von unterschiedlichen Kategorien von Flüchtlingen aus. Durch das Völkerrecht ist diese Herangehensweise nicht gedeckt, denn aus rechtlicher Sicht ist es unerheblich, aus welchem Grund (Kriege, Migration oder 11

Parliamentary Assembly, Committee on Migration, Refugees and Displaced Persons, Ms Tineke Strik: Lives lost in the Mediterranean Sea: who is responsible? [online] [Letzter Zugriff: 1.3.2014].

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Asylsuche) sich die Menschen entschließen, ein Land zu verlassen. Fraglich ist allerdings, ob sie tatsächlich im völkerrechtlichen Sinne „Flüchtlinge“ mit einem Anspruch auf Asyl sind. Dies kann allerdings nicht auf dem Meer oder an der Grenze festgestellt werden, denn die Flüchtlingsqualifizierung kann nur in einem ordentlichen Verfahren erfolgen. Zunächst einmal hat jeder Mensch nach Art. 14 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu finden (UN-Doc. A/Res. 217 (III) vom 10.12.1948). Diese Verpflichtung wurde mit der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 (BGBl. 1953 II, S. 560) und dem Protokoll von 1967 (BGBl. 1969 II, S. 1294) spezifiziert. Darin wird ausgeführt, dass ein Flüchtling eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Überzeugung hat. Der Flüchtling befindet sich zudem außerhalb des Staates seiner Staatsangehörigkeit und will nicht den Schutz seines Heimatstaates in Anspruch nehmen. Auf den neuen Aufenthaltsstaat kommt dann die Verpflichtung nach Art. 33 der Flüchtlingskonvention zu: „Keiner der vertragschließenden Staaten wird einen Flüchtling auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugungen bedroht sein würde.“ Dies ist das sog. non-refoulement-Prinzip, das das Herzstück des Flüchtlingsrechts darstellt. Es berechtigt letztlich jeden asylbegehrenden Menschen, dass sein Asylantrag vom Aufenthaltsstaat geprüft wird, bevor er abgeschoben wird. Diese Verpflichtung bezieht sich auf eine Person, die in das Territorium eines Staates eingereist ist oder sich in einer Situation befindet, in der ein Staat „effektive Kontrolle“ ausübt.12 Die Ausübung von Jurisdiktion, d.h. das Innehaben von „effektiver Kontrolle“, ist gerade hinsichtlich der Bootsflüchtlinge von entscheidender Bedeutung, denn die Menschen, die sich mit einem Boot auf den Weg machen, wollen sich unter eine fremde Jurisdiktion begeben. Das haben sie erreicht, wenn sie sich einerseits in fremden Territorialgewässern befinden oder aber von einem Hilfsschiff auf Hoher See gerettet werden, denn dann übt der Retter „effektive Kontrolle“ aus. Dies führt zur Anwendung von Art. 33, denn dieser stellt nicht auf das eigentliche Staatsgebiet, sondern auf die Ausübung der „effektiven Kontrolle“ ab. Folglich dürften gerettete Personen, auch wenn sie das Staatsgebiet noch nicht erreicht haben, nicht zurückgeschickt werden. Es handelt sich letztlich um eine extra-territoriale Anwendung des Art. 33. Auch die territoriale Vorverlegung von Grenzkontrollen hebt folglich nicht das refoulement-Verbot auf (vgl. Hirsi-Fall EGMR, Nr. 27765/09, Rn. 136). Die Situation auf See unterscheidet sich damit von der an Land, wo man die Einreise einer Person grundsätzlich verweigern kann.13 Damit hat sich weithin eine 12 13

So der IGH in Nicaragua v. USA, Judgement, ICJ Reports 1986, para. 116. US Supreme Court, Nr. 92-344 in: The United States Law Week 1993, S. 4691. Vgl. dazu auch: ICJOpinion vom 9.7.2004 Für eine kritische Abwägung vgl. Tomuschat, 2002, S. 25.

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Auffassung durchgesetzt, die das Exekutivkomitee des UNHCR bereits 1988 entwickelt hatte (UNHCR ExCom, Recommendation 53 (XXXIX)) und die mittlerweile auch von der EU geteilt wird. Vor der Schaffung der Grenzschutz-Agentur FRONTEX wurde nämlich die Umkehrung von Booten auf offener See als zulässig erachtet (UN Doc. 15445/2003, para. 4.31). Seit 2010 jedoch sehen die FRONTEX-rules of engagement vor, dass keine Person ausgeschifft oder den Behörden eines Landes übergeben werden darf, wenn die Gefahr der Verletzung des refoulement-Verbotes besteht. Somit gilt nach Auslegung der EU dieses Verbot auch auf der Hohen See außerhalb der Territorialgewässer eines Staates (Marx, 2012, S. 672). Die Konsequenz besteht darin, dass jeder Bootsflüchtling ein verfahrensgebundenes Recht auf vorübergehende Aufnahme hat. Er hat einen Anspruch auf Zugang zu einem wirksamen Verfahren. Vor diesem Hintergrund hat das UNHCR Exekutivkomitee den Staaten empfohlen, unbeschadet der Verantwortlichkeiten des Flaggenstaates sicherzustellen, dass die geretteten Personen in den nächstgelegenen Hafen gebracht werden, um dort die Flüchtlingseigenschaft durch die Behörden feststellen zu lassen (UNHCR ExCom. Recommendation 53 (XXXIX)). Vor Abschluss des Verfahrens darf nicht abgeschoben werden. Dieser Grundsatz wurde durch die Rechtsprechung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs bestätigt, der sich regelmäßig auf Art. 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Rechtsmittel auf nationaler Ebene) beruft. Da auf der Hohen See solche Verfahren nicht durchführbar sind, muss dies an Land erfolgen. Der Vorschlag, diese Verfahren in Transitzentren durchzuführen (outsourcing of refugee protection), wird von vielen Juristen abgelehnt, weil er keinen gerichtlichen Schutz vorsieht.14 Schlussendlich bleibt nur festzustellen, dass den EU-Staaten die Verantwortung obliegt, auch für Bootsflüchtlinge wirksame Verfahren vorzuhalten. Dies ist aufwendig und oft wird sich herausstellen, dass die Bootsinsassen aus Migrationserwägungen kommen und die Flüchtlingskriterien nicht erfüllen. Sie suchen ein besseres Leben und werden in ihren Herkunftsländern nicht individuell verfolgt. Natürlich bedarf das Flüchtlingsrecht einer Novellierung; gleichwohl, solange sich die Staaten nicht zu einer Verbesserung im Lichte der neuen Herausforderungen der Migration bereitfinden, gilt das alte Individualverfahren fort. Vielfach werden diese Verfahren damit enden, dass der Asylsuchende diesen Status nicht zugesprochen bekommt. Dann ergibt sich das neue Problem, dass er nicht in sein Herkunftsland abgeschoben werden kann, weil entweder kein Herkunftsland ermittelt werden kann oder dort keine rechtstaatlichen Zustände herrschen, so dass dem Bootsflüchtling dort eine unmenschliche Behandlung droht. Unter diesen Umständen muss diese Person einen Status der „Duldung“ im Gastland erhalten. Angesichts des Massenandrangs in die EU-Anrainerstaaten des Mittelmeerraumes scheint diesen Staaten damit eine Bürde auferlegt zu werden. Die Flüchtlingszahlen bestätigen bislang eine solche übermäßige Belastung nicht – noch immer kommen mehr Flüchtlinge nach Deutschland als nach Italien – aber 14

Fischer-Lescano u. Löhr: Rechtsgutachten „Menschen- und flüchtlingsrechtliche Anforderungen an Maßnahmen der Grenzkontrolle auf Hoher See“, 2007, zitiert nach Marx, 2012, S. 674.

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dennoch stellt sich unter Umständen das Problem der Lastenteilung. Es sollte in einer Solidargemeinschaft wie der EU eine lösbare Herausforderung darstellen.

Schlussfolgerung und Ausblick: weitere Anwendungsgebiete des Völkerrechts auf den Mittelmeer-Kontext Die weltweite Migrationsbewegung stellt auch für den Mittelmeerraum die Frage nach anwendbaren und effektiven rechtlichen Mechanismen zur Bewältigung dieser humanitären Herausforderung. Die Lösung kann nur unter strikter Beachtung des heutigen hohen Standards des Völkerrechts und des Menschenrechtsschutzes, insbesondere des Diskriminierungsverbots, erfolgen. Das traditionelle völkerrechtliche Flüchtlingsrecht scheint auf die Dauer überfordert und auch inadäquat zu sein, weil es auf den einzelnen Flüchtling, der eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung hat, abstellt. Es bedarf daher einer Modernisierung, die anerkennt, dass Hunger, Not und Krieg sehr wohl Fluchtgründe darstellen, die tausende Menschen veranlassen, ein besseres Leben zu suchen. Das Mittelmeer, wo arm und reich direkt aneinander stoßen, spiegelt die Schwächen des bisherigen Systems wider. Die Unzulänglichkeit des Flüchtlingsrechts darf aber nicht dazu führen, dass sich Staaten aus ihrer naturgegebenen Verantwortung zum Lebensschutz verabschieden. Diese Verpflichtung entspringt nicht nur aus den Menschenrechten, sondern aus dem Völkerrecht in seiner Gesamtheit. Das kommt deutlich darin zum Ausdruck, dass auch das Seerecht diesem Gedanken verpflichtet ist und die UNCLOS wie die SAR-Konventionen dieser zutiefst humanitären Aufgabe entsprechen. Eben deshalb stimmt das Beispiel des auf dem Mittelmeer umhertreibenden Flüchtlingsbootes, das von den SAR-Stationen der EU-Staaten geortet und von NATO-Kriegsschiffen gesichtet wurde, und dem dennoch rechtswidrig keine Hilfe zuteil kam, so nachdenklich. Sollten Rechtsstaaten mit dieser Verhaltensweise versucht haben, die aufwendigen flüchtlingsrechtlichen Verfahren zu vermeiden und deshalb dem Völkerrecht zuwider gehandelt haben? Gleichwohl werfen auch andere Entwicklungen im Mittelmeerraum völkerrechtliche Fragestellungen auf. So löste der „Arabische Frühling“ der letzten Jahre anfänglich in Europa große Hoffnungen aus. Erwartet wurde, dass die Menschen zukünftig ohne ihre früheren korrupten Autokraten besser leben würden und Demokratien aufbauen könnten. Diese Forderungen befinden sich grundsätzlich im Einklang mit dem Völkerrecht, sind jedoch differenziert zu betrachten. Aus dem Selbstbestimmungsrecht der Völker ist herzuleiten, dass sie berechtigt sind, bei der Gestaltung der Angelegenheiten ihrer Gemeinschaft eine aktive Rolle in Freiheit und Gleichheit zu spielen. Dies ist ebenso ein demokratisches Moment wie der gemeinsame Ursprung von Menschenrechten und Demokratie und die Tatsache, dass jede umfassende Menschenrechtsverwirklichung die freie Selbstbestimmung voraussetzt. Diesem Denkansatz folgend, ist es kein Zufall, dass der UNMenschenrechtspakt15 das Selbstbestimmungsrecht der Völker in einem gesonder15

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ten Teil I den im Teil III aufgelisteten bürgerlichen und politischen Rechten voranstellt. Auf dieser Grundlage sind die bürgerlichen und politischen Rechte zu gewähren, die auch die demokratischen Mitwirkungsrechte der Art. 19, 21, 22 und 25 umfassen. Ungeklärt ist indessen, inwieweit sich die Forderung nach Demokratie aus dem universellen allgemeinen Völkerrecht herleiten lässt. Als erstes Hindernis stellt sich die Frage nach der völkerrechtlichen Definition der Demokratie, die als Voraussetzung für die internationale Geltendmachung eines solchen Anspruches anzusehen ist. Bislang gibt es keine völkerrechtlich verbindliche Begriffsbestimmung. Die Wiener Weltmenschenrechtskonferenz 1993 lehnte eine eingehende Umschreibung der Demokratie ab und definierte sie stattdessen als „full participation of people in all aspects of their lives.“16 Eine universelle Definition der Demokratie erscheint wegen der unterschiedlichen Wertvorstellungen in den einzelnen Staaten schwierig. Einige arabische Staaten wie Saudi-Arabien bekennen zudem ausdrücklich, dass sie die Demokratie nicht als eine für sie tragfähige Staatskonstruktion ansehen (Farer, 1993, S. 53). In der Unterkommission für die Verhinderung von Diskriminierungen und den Schutz von Minderheiten wurde die Frage des Einflusses der Demokratie auf die Verwirklichung der Menschenrechte vor allem als Problem der Rechtskultur und Rechtsstaatlichkeit gesehen (Petersmann, 2002, S. 311). Zweifellos sind die Vereinten Nationen noch weit davon entfernt, demokratische Prinzipien auf allen Ebenen der nationalen und internationalen Politik zu respektieren, zu fördern und anzuwenden. Gleichwohl bekennt sich die Organisation in ihrer Millenniums-Erklärung17 dazu, dass die Mitgliedstaaten „keine Mühe scheuen [werden], um die Demokratie zu fördern und Rechtsstaatlichkeit [...] zu stärken.“18 Die Mitgliedstaaten verpflichten sich zur Anwendung von demokratischen Verfahren und „echter Mitsprache der Bürger.“ Auffallend sind die vielen Maßnahmen, die die UN ergriffen haben, die der Demokratisierung von Staaten und Nachkonflikt-Gesellschaften dienen sollen (Barnes, 2001, S. 86). Um diese Aktivitäten zu koordinieren und anzuleiten, beschloss der Sicherheitsrat am 20.12.2005 mit der Res. 1645 die Schaffung einer Kommission für Friedenskonsolidierung, der auch die Aufgabe der Demokratisierung und damit der Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts der Völker zukommt (Heintze, 2006, S. 66). Ein zentrales Element der Demokratisierung ist die Durchführung von Wahlen, die als „synthesis of all human rights“ angesehen werden (Vasak, 1996, S. 21). Bereits 1946 hatte die UN-Generalversammlung einmal – im Fall Spaniens – die Forderung nach der Durchführung von Wahlen und der Einsetzung einer vom Volkswillen getragenen Regierung erhoben (vgl. Res. 39 (I) vom 12.12.1946). Wegen des Kalten Krieges wurde diese Forderung aber nicht weiter verfolgt. Die Staatenpraxis zeigt, dass sich in derartigen Abstimmungen der Volkswille besonders überzeugend 16 17 18

ILM 1993, 1661. UN Doc. A/RES/55/2 v. 18.9.2000. Diese Forderung wird immer wieder bekräftigt, so durch die UN-Generalversammlung mit UN Doc. A/RES/63/128 v. 15.1.2009.

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artikuliert. Die UN-Generalversammlung stellt in der Res. 45/150 vom 18.12.1990 ausdrücklich fest, dass „periodic and genuine elections are a necessary and indispensable element of sustained efforts to protect the rights and interests of the governed and that, as a matter of practical experience, the right of everyone to take part in the government of his or her country is a crucial factor in the effective enjoyment by all of a wide range of other human rights and fundamental freedoms, embracing political, economic, social and cultural rights.“ Angesichts dieser Betonung von Wahlen erscheint es folgerichtig, dass die UN die Absicherung und Beobachtung freier Wahlen als eine ihrer zentralen Aufgaben ansehen. Unter Verweis auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker wird in der Res. 60/164 vom 2.3.2006 insbesondere auch unterstrichen, dass die Völker ohne Einmischung von außen über ihr Schicksal entscheiden müssen, was auch beinhaltet, über die Methoden der Wahl und die einschlägigen Institutionen selbst zu entscheiden. In der Präambel wird betont, dass „the richness and diversity of democratic political systems and models of free and fair electoral processes in the world based on national and regional particularities and various backgrounds …“ Dieser Aspekt dürfte für den Mittelmeerraum dann von besonderer Bedeutung sein, wenn sich Völker nach erfolgreichen Revolutionen zu extremen islamistischen Kräften bekennen, die demokratische Freiheitsrechte einschränken wollen. In Ägypten führte dies 2014 zu einer erneuten Machtübernahme durch das Militär, eine Entwicklung, die aus der Sicht der völkerrechtlichen Menschenrechte nicht begrüßt werden kann. Hier zeigt sich eine widersprüchliche Staatenpraxis, die mit zahlreichen weiteren Beispielen belegt werden kann.19 Bezweifelt wird in der Literatur allerdings, dass es zulässig und sinnvoll ist, vermittels einer militärischen Intervention einen „Regime-Change“ vorzunehmen. Reisman bezeichnet dies als „(Almost Always) a Bad Idea“ (Reisman, 2004). Auch wird der „Demokratieexport“ abgelehnt, da sie dem Konzept der „local ownership“ und damit dem Selbstbestimmungsrecht widerspricht (Benedikter, 2005, S. 42). Gerade im Mittelmeerraum, wo verschiede Kulturen unmittelbar aneinandergrenzen, kommt Regionalorganisationen eine besondere Bedeutung zu. In diesen Organisationen ist ein Konsens über den Inhalt der Demokratie einfacher zu erreichen, da die Staaten in diesen Organisationen über gemeinsame Traditionen verfügen. Dies gilt in einem besonderen Maße für die Arabische Liga. Vor diesem Hintergrund ist hervorzuheben, dass die Intervention einiger NATO-Staaten, auf der 19

So forderten die UN im Falle Kuwaits nach der irakischen Aggression mit der Res. 662 (1990) des Sicherheitsrates lediglich die Wiederherstellung der Herrschaft der rechtmäßigen Regierung, nicht aber die Schaffung einer demokratischen Regierungsform. Die Überwindung der irakischen Aggression gegen Kuwait, die maßgeblich durch den UN-Sicherheitsrat beeinflusst wurde, führte zur Wiedereinsetzung derselben – Demokratievorstellungen nicht entsprechenden – Regierung, die vorher geherrscht hatte. Nach der US-geführten Intervention des Irak vom Frühjahr 2003 befürwortete der UN-Sicherheitsrat mit der Res. 1483 vom 22. 5.2003 die Anstrengungen des irakischen Volkes zur Bildung einer repräsentativen Regierung auf der Grundlage der Rechtsstaatlichkeit. Mit großem Aufwand und unter ständiger Bedrohung durch sektiererische Anschläge wurden demokratische Wahlen, die durch den Sicherheitsrat in UN Doc. S/PRST/2005/5 v. 16.2.2005 ausdrücklich gutgeheißen wurden, durchgeführt und in einem Referendum im Oktober 2005 eine Verfassung angenommen, die demokratischen Standards genügt.

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Grundlage der UN-Sicherheitsratsres. 1973 erfolgte. Sie wurde aber nur möglich, weil zuvor die Arabische Liga und die Organisation Islamischer Staaten den Sicherheitsrat zum Tätigwerden aufgefordert hatten. Jeder Eindruck der Intervention des Westens in einem arabischen Staat sollte damit vermieden werden, um historische Reminiszenzen nicht aufkommen zu lassen. Dies ist ein positives Beispiel der Interaktion von regionalen und universellen Organisationen unter Akzeptanz des Gewaltmonopols der UN. Bezüglich der Bedeutung regionaler Organisationen ist zudem auf das Beispiel der OSZE zu verweisen. Diese Organisation war in Europa erfolgreich, weil sie sich auf die Lösung praktischer Fragen konzentriert hat und dabei nach dem Motto „to agree to disagree“ verfuhr. Grundfragen wie die deutsche Ostgrenze konnten während des Kalten Krieges nicht geklärt werden. Aber praktische Probleme mussten angepackt werden und das geschah außerhalb des rechtlichen Rahmens nur durch politische Absprachen. Das zeigte sich auch hinsichtlich der Ausformung des Inhalts des Selbstbestimmungsrechts. Das Engagement der KSZE/OSZE basiert auf der Schlussakte von Helsinki vom 1.8.1975, die festlegt, dass „alle Völker jederzeit das Recht [haben], in voller Freiheit, wann und wie sie es wünschen, ihren inneren und äußeren politischen Status ohne äußere Einmischung zu bestimmen und ihre politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung nach eigenen Wünschen zu bestimmen.“20 Die Charta von Paris für ein neues Europa vom 21.11.199021 legt den KSZE-Staaten konkrete Verpflichtungen im Hinblick auf die Ausgestaltung eines demokratischen Staatswesens auf: „Demokratische Regierung gründet sich auf den Volkswillen, der seinen Ausdruck in regelmäßigen, freien und gerechten Wahlen findet. Demokratie beruht auf Achtung vor der menschlichen Person und Rechtsstaatlichkeit. Demokratie ist der beste Schutz für freie Meinungsäußerung, Toleranz gegenüber allen gesellschaftlichen Gruppen und Chancengleichheit für alle. Die Demokratie, ihrem Wesen nach repräsentativ und pluralistisch, erfordert Verantwortlichkeit gegenüber der Wählerschaft, Bindung der staatlichen Gewalt an das Recht sowie eine unparteiische Rechtspflege. Niemand steht über dem Gesetz.“ Obwohl es sich bei der Charta von Paris nicht um einen völkerrechtlichen Vertrag handelt, wird in der Literatur zunehmend davon gesprochen, dass die demokratische Legitimation der Regierung „is rapidly becoming, in our time, a normative rule of the international system“ (Franck, 1992, S. 46). Diese Auffassung wird durch die Anwendung von KSZE-Bestimmungen gestützt. So machte die EG die Anerkennung der aus dem Zerfall der Sowjetunion hervorgehenden neuen Staaten unter anderem von der Respektierung der UN-Charta, der KSZE-Schlussakte und der Charta von Paris abhängig. Damit wurde die demokratische Staatsverfassung praktisch zur Voraussetzung für die internationale Akzeptanz der Neustaaten. Diese Entwicklung in Europa sollte Auswirkungen auch auf dem Mittelmeerraum haben. Das OSZE-Modell könnte dazu beitragen, praktische Fragen im Mittelmeerraum anzugehen und damit mittelfristig einer Lösung zuzuführen. Dabei 20 21

Text: Fastenrath, KSZE, 1992 ff., Dok. A.1. Text: ebd., Dok. A.2.

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handelt es sich streng genommen nicht um einen völkerrechtlichen Mechanismus, vielmehr um einen politischen. Aber Völkerrecht kann nicht isoliert von der Politik gesehen werden. Politischer Wille ist letztlich eine Voraussetzung für die tatsächliche Umsetzung des Völkerrechts.

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Vorderasiatische Archäologie Definition des Faches und Relevanz des Mittelmeerraums für das Fach Die heute aktuelle Definition des Faches Vorderasiatische Archäologie umfasst geographisch, von Westen nach Osten schauend, den Raum der Türkei, die LevanteAnrainer Syrien, Libanon, Jordanien und die Insel Zypern. Nach Osten und Süden hin gehören der Irak, Saudi-Arabien, Jemen, Oman und die Vereinigten Arabischen Emirate, bestehend aus Abu Dhabi, Adschman, Dubai, Fudschaira, Ra’s alChaima, Schardscha und Umm al-Qaiwain sowie Qatar, Bahrain und Kuwait dazu. Östlich des Persischen Golfes erstreckt sich das Forschungsgebiet weiter auf den Iran, auf Pakistan, Afghanistan und Westindien, nördlich des Iran zudem auf die Regionen Aserbaidschan, Turkmenistan und Usbekistan. Das Gebiet des heutigen Israel sowie der Raum Ägypten und benachbarte Regionen gehören nicht zum Kerngebiet der Vorderasiatischen Archäologie in Lehre und Forschung, sicher aber zu den historisch maßgeblich relevanten Nachbarregionen! Mit der Ägyptologie und der Archäologie Israels, letztere hervorgegangen aus der sog. Biblischen Archäologie, haben sich hier vielmehr eigenständige Fachdisziplinen entwickelt, die in enger Zusammenarbeit mit der Vorderasiatischen Archäologie die historischen Entwicklungen im sog. Vorderen Orient erarbeiten. Der zeitliche Rahmen, dem sich die Vorderasiatische Archäologie in den genannten Regionen widmet, beginnt mit dem Paläolithikum (Beginn vor ca. 2 Millionen Jahren) und endet je nach Region mit den Epochen des Hellenismus und der Römerzeit resp. mit den Entwicklungen zur frühen Islamischen Zeit um das 7. Jh. Inhaltlich fächert sich die deutschsprachige Vorderasiatische Archäologie heute in ein weites Spektrum diverser Forschungsrichtungen auf. Unter diesen finden sich eine stärker bild- und architekturwissenschaftlich orientierte Betrachtungsweise der Vergangenheit, deren Forschungen sich vor allem auf die Kommunikations- und Repräsentationsmöglichkeiten der Gesellschaften über Bild- und Bauwerke konzentriert. Eine naturwissenschaftlich-umweltbezogene Ausrichtung fragt nach den Umweltbedingungen der Vergangenheit als Grundlage der Subsistenzsicherung und den Wechselwirkungen zwischen Natur, Gesellschaft und technischer resp. kultureller Entwicklung im Laufe der Zeiten. Die sozialwissenschaftlich-anthropologisch ausgerichtete Forschung geht den Ursachen und Folgen des menschlichen Handelns in einem holistischen Ansatz nach, analysiert Prozesse der Sinnstiftung und der Bedeutungszuweisungen des Menschen und deren Ausdrucksformen in den kulturellen Äußerungen. Methodisch und theoretisch orientieren sich diese Forschungszweige der Vorderasiatischen Archäologie an den Studien der Bildwissenschaften und der Architekturtheorie und -soziologie, den Naturwissenschaften einschließlich der biolo-

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gisch-anthropologischen Ansätze und an den theoretischen Arbeiten und Modellen der Sozial- und Kulturwissenschaften.

Forschungsgeschichte des Faches mit Bezugnahme auf die Mittelmeerforschung Forschungsgeschichtlich setzen die ersten, für die spätere archäologische Forschung relevanten Anfänge westlicher Begegnungen mit dem sog. „Vorderen Orient“ ca. im 17. Jh. ein. Sie resultieren aus den Interessen früher Forschungsreisender am geographischen, zeitlichen und kulturellen Raum der Bibel1 und werden bald flankiert durch geopolitische Unternehmungen vor allem der europäischen Länder. Kerngebiet der frühen Erforschung ist Mesopotamien, der Garten Eden, der heutige Irak. Zeitlich setzte die Erforschung der Kulturen des „Alten Orients“ damals zunächst mit den Belegen ein, die den Forschungsreisenden als Oberflächenfunde unmittelbar und ohne Ausgrabungen zugänglich waren, den Artefakten und textlichen Belegen des 1. Jt. v. Chr. vor allem der (neu)assyrischen Zeit. Archäologischwissenschaftlich beginnt die Erforschung des „Alten Orients“ etwa ab dem frühen 19. Jh. (Chevalier, 2012, 48ff.). Im Laufe von inzwischen ca. 150 Jahren hat sich das ursprüngliche Kerngebiet vorderasiatischer archäologischer Forschung aufgrund politischer Veränderungen und vielfach erweiterter Forschungsinteressen kontinuierlich auf den oben beschriebenen Rahmen erweitert – dies sowohl räumlich als auch zeitlich, im Hinblick auf die Erkenntnisinteressen der Forschenden ebenso wie im Hinblick auf die Definition dessen, was im Verlauf der Zeiten unter Vorderasiatischer Archäologie verstanden wurde und wird. Unter den Forschungsräumen der Vorderasiatischen Archäologie sind es, geographisch und über alle genannten Zeiträume hinweg betrachtet, zunächst vor allem die Gebiete Türkei, Syrien und Libanon, überdies, wie oben erläutert, der Raum Israels und Ägyptens, die als unmittelbare östliche Mittelmeeranrainer vorrangig mit den Entwicklungen der europäischen resp. westlichen Mittelmeeranrainer in Verbindung zu bringen sind. Zypern nimmt geographisch unter den genannten Regionen naturgemäß eine eigene Rolle ein. Spätestens mit der Entwicklung des Perserreiches (550–330 v. Chr.) und der nachfolgenden hellenistischen (3. Jh.–1. Jh. v. Chr.) und römerzeitlichen (50 v. Chr.–4. Jh. n. Chr.) Okkupation des Nahen Ostens wird jedoch die Relevanz des gesamten Mittelmeerraumes in den Ost/West – West/Ost Beziehungen weit über die östlichen, unmittelbaren Mittelmeeranrainer hinaus bis in das Indusgebiet bedeutsam. Um der Frage nach der Geschichte des Faches in Bezug auf die Mittelmeerforschung nachzugehen, scheinen mir zwei Wege angebracht: Zum einen die Auswertung repräsentativer Handbücher und Übersichten, die seit Beginn der Etablierung des Faches 1948 durch Anton Moortgat erschienen sind (Anton Moortgat, 1897– 1

Eine sehr aktuelle und exzellente Übersicht mit weiterführender Literatur bietet der einschlägige Wikipepia-Artikel: http://de.wikipedia.org/wiki/Vorderasiatische_Archäologie (letzter Zugriff 9.10.2014).

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1977; Freie Universität, Berlin), zum anderen die Rücksprache mit den Kolleginnen und Kollegen, die heute das Fach an deutschen Universitäten vertreten. Anton Moortgat war der erste Lehrstuhlinhaber des Faches Vorderasiatische Archäologie. Von Beginn seiner Forschungs- und Publikationstätigkeit an berücksichtigte er die Verbindungen zwischen dem europäischen Westen und dem westasiatischen Osten des Mittelmeerraumes, hob diese in ihrer jeweiligen historischen Bedeutung hervor und analysierte Ursachen, Hintergründe und Folgen dieser OstWest Begegnungen (siehe u. a. Moortgat, 1926; 1967; 1971). 1975 erschien in der Reihe Propyläen Kunstgeschichte das Sammelwerk „Der Alte Orient“ (Orthmann, Hrsg., 1975). Das Hauptanliegen dieser Materialansammlung lag in der Präsentation der materiellen Hinterlassenschaften der Gesellschaften, die das kulturelle Geschehen ab der sog. sumerischen Zeit, der Zeit der ersten Urbanisierung im 4. Jt. v. Chr. bis zum Beginn des Perserreiches zwischen Iran und Levante geprägt hatten. Bei der Zusammenstellung des Sammelwerkes fand die Vielzahl und Vielfalt der Begegnungen der Gesellschaften des (europäischen) westlichen Mittelmeerraumes und der (nah)östlichen Mittelmeeranrainer, der Levante bzw. Westasiens explizite und umfassende Berücksichtigung. Die Rolle, die Anatolien in der Vermittlung der Begegnungen zwischen westlichem und östlichem Mittelmeerraum spielte, wird explizit berücksichtigt, Zypern in seiner Funktion vor allem als Rohstofflieferant für den östlichen Mittelmeerraum präsentiert und die Bedeutung der Ägäis, Kretas und Mykenes in ihrer jeweiligen Funktion als Handelspartner der Gesellschaften im östlichen Mittelmeerraum hervorgehoben. Die Propyläen Kunstgeschichte „Der Alte Orient“ war einer der ersten umfassenden Sammelbände, die den Studierenden und Lehrenden im Fach Vorderasiatische Archäologie zur Verfügung gestanden haben. Das Aufzeigen des wirtschaftlichen Miteinanders und des kulturellen Niederschlags der Wirtschaftsbeziehungen in den materiellen Hinterlassenschaften vor allem der östlichen Mittelmeeranrainer wird als grundlegende Forschungsthematik der Vorderasiatischen Archäologie in dieser Materialpräsentation (sowie im Fach seit seiner Etablierung als Universitätsfach 1948) und aus dem Blickwinkel der nahöstlichen Kulturen vermittelt. Eine sozialhistorisch und wirtschaftlich orientierte Einführung in die Kulturgeschichte des Alten Mesopotamien, geschrieben von einem DDR-AutorInnenkollektiv erschien kurz nach der Wende 1989 unter der Herausgeberschaft von Horst Klengel (1989). Geographisch widmet sich diese Studie zur Kultur–, Sozial und Wirtschaftsgeschichte der Altorientalischen Gesellschaften dem gleichen Raum, den auch die Materialpräsentation der Propyläen Kunstgeschichte umfasste. Zeitlich greift der Sammelband aus bis in die Zeit der hellenistischen und römischen Okkupation des Vorderen Orients. Die Verbindungen der nahöstlichen Gesellschaften und ihrer Entwicklungsgeschichten mit und über Anatolien, Zypern, die Ägäis, Kreta, die Kykladen, Mykene, Rhodos, Rom, Sizilien und Spanien werden auch hier im Hinblick auf deren kulturellen Niederschlag vor allem in den Inventaren der nahöstlichen Gesellschaften explizit reflektiert und analysiert. Durch alle Zeiten hindurch, die das AutorInnenkollektiv thematisiert, geht die Einführung detailliert auf die wirtschaftlichen Beziehungen der westlichen (europäischen) Mittelmeeranrainer mit den östlichen Nachbarn ein resp. reflektiert diese aus Sicht

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der altorientalischen Gesellschaften. Die Phöniker und die Perser werden dabei, der historischen Entwicklung gemäß, insbesondere in ihren Beziehungen zum europäischen Raum vorgestellt und dies nun u. a. auch unter dem Aspekt der Wechselwirkungen der ost-westmittelmeerischen Begegnungen. Beide Sammelbände dürfen pars pro toto für die unterschiedlichen forschungspolitischen Ausrichtungen der Vorderasiatischen Archäologie und den unterschiedlich gelagerten Schwerpunkten in den Erkenntnisinteressen der in der ehemaligen DDR und der BRD Forschenden betrachtet werden. Ungeachtet der Ausrichtungen des Faches in den unterschiedlichen politischen Entitäten widmeten sich die Forschenden in beiden Ländern jedoch mit großer Aufmerksamkeit den historischen Verbindungen der Gesellschaften des Nahen Ostens mit denen Europas. Ein kurzer Ausblick auf ein jüngst erschienenes englischsprachiges Handbuch zur Archäologie des Vorderen Orients (Potts, 2012) dokumentiert die Aktualität der oben beschriebenen Ausrichtung der Vorderasiatischen Archäologie auch im internationalen Rahmen. Auf die Verbindung der östlichen zu den westlichen Mittelmeeranrainern wird von jeder Autorin und jedem Autor des Handbuchs dort Bezug genommen, wo entsprechende Kontakte im Material sichtbar sind und als solche somit historisch virulent waren. Je nach Fragestellung, Raum und Epoche, die zu bearbeiten waren, bilden auch hier vor allem Fragen zu politischen und wirtschaftlichen Aspekten die Ausgangspunkte, anhand derer die Bedeutung der Verbindungen zwischen dem Vorderen Orient und Europa aufgezeigt werden. Neben den Handbüchern, die sich mehr oder weniger mit dem gesamten Forschungsraum der Vorderasiatischen Archäologie befassen, sind die Einführungen und Übersichtswerke für unser Thema von spezifischem Interesse, die den Archäologien der unmittelbaren östlichen Mittelmeeranrainer gewidmet sind, sich also konkret mit den archäologischen Forschungen in der Türkei, in Syrien, Libanon und Israel befassen. Anatolien, und hier geographisch gesehen vor allem West- und Südwestanatolien, war prädestiniert schon durch die naturräumlichen Gegebenheiten, seit den prähistorischen Entwicklungen spätestens ab dem 9. Jt. v. Chr. mit dem ägäischen Raum auf der einen Seite und dem Balkan auf der anderen verbunden, wie Bleda Düring (2011) im Handbuch zur prähistorischen Entwicklung Kleinasiens aufzeigt. Die Kontakte Anatoliens zum europäischen Westen sollten ab dieser Entwicklung nicht mehr abreißen. Kyriacos Lambrianides und Nigel Spencer (1998) stellen diese Kontinuität in einer konzisen Präsentation vor. Übersichten, die sich auf die Darstellung und Analyse des historischen Geschehens zwischen neolithischer Entwicklung und der Ausbreitung des neubabylonischen Reiches in den beiden Regionen Syrien und Libanon konzentrieren (ca. 10. Jt. bis Mitte des 1. Jt. v. Chr.), können detaillierter als die allgemein orientierten Sammelbände auf die historischen Geschehnisse eingehen (Heinz, 2002; Heinz u. Vollmer., 2010; Akkermans u. Schwartz, 2003). Die Beziehungen zwischen den östlichen und westlichen Mittelmeeranrainern werden in den Analysen der materiellen Hinterlassenschaften, die die Ausgrabungen der großen Städte der Levante zutage gefördert haben, ab der Mittleren Bronzezeit (ca. 2000–1600 v. Chr.) zuneh-

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mend deutlicher.2 Seit dem frühen 2. Jt. v. Chr. mehren sich die Belege u. a. für die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen diesen urbanen Zentren entlang der östlichen Mittelmeerküste und im unmittelbaren Hinterland des heutigen Syrien und Libanon mit Zypern, Kreta und Mykene. Diese Kontakte brechen ungeachtet der politisch vielfältigen Entwicklungen östlich und westlich des Mittelmeers auch während der Spätbronze- und Eisenzeit nicht ab (1600–1200 v. Chr. resp. 1200– 6. Jh. v Chr.). Im Gegenteil war es insbesondere die eisenzeitliche Entwicklung und hier das wirtschaftliche Erstarken der sog. Phöniker, die den Raum des heutigen Libanon und die europäischen Mittelmeeranrainer in engsten Kontakt bringen sollten. Die phönikische Westexpansion ab dem 9. Jh. v. Chr. bis weit in den europäischen Raum dürfte dann auch die früheste, wirtschaftlich, kulturell und zugleich geographisch weitreichendste Verbindung des östlichen mit dem westlichen Mittelmeerraum gebildet haben3, gefolgt nicht unwesentlich später von der nicht weniger intensiven, aber gänzlich anders gearteten Begegnung zwischen Ost und West zur Zeit des Persischen Großreichs (siehe Heinz, 2009), die mit der Expansion der politischen Hegemonie der Perser ab dem 6. Jh. v. Chr. begann. Zugleich mit der Rekonstruktion der wirtschaftlichen und politischen Begegnungen erfolgt für alle relevanten Zeitabschnitte die Analyse der potentiell möglichen, wechselseitigen kulturellen Beeinflussung der Wirtschaftspartner resp. der militärisch unterworfenen und politisch dominierten Nachbarn. Die Erforschung der Ost-West-Beziehungen im Mittelmeerraum in der Vorderasiatischen Archäologie konzentriert sich auf die Zeit von der beginnenden Frühbronzezeit (ab ca. 3000–2000 v. Chr.) über die Mittelbronzezeit (2000–1600 v. Chr.) und die gesamte Spätbronzezeit (1600–1200 v. Chr.) vorrangig auf die Auswirkungen, die diese Ost-West-Begegnungen in den Gesellschaften der östlichen Mittelmeeranrainer hatten. Eine Erweiterung des Blickfeldes und eine stärkere wissenschaftsübergreifende Durchdringung der Wechselwirkungen des wirtschaftlichen und kulturellen Miteinanders, also der aus diesem Miteinander resultierenden wechselseitigen Einflussnahmen, die die Geschichte der östlichen und westlichen Mittelmeeranrainer seit mindestens 5000 Jahren ohne Unterbruch und maßgeblich prägen, bieten sich als Zukunftsperspektive für die weitere Erforschung des kulturellen Geschehens im gesamten Mittelmeerraum an. Dies gilt sowohl für die Forschungen in der Vorderasiatischen Archäologie als auch für die Studien in allen weiteren archäologischen Disziplinen und Kulturwissenschaften, die sich mit entsprechenden Fragen befassen. Ansätze für eine entsprechend ausgerichtete Betrachtung des Geschehens, die zunehmend die Auswirkungen der Kontakte nicht nur im Osten, sondern auch im Westen – und umgekehrt – berücksichtigt, liegen ab der Beschäftigung mit der Eisenzeit mit der sog. Phönikerforschung und der Beschäftigung mit den Persern im Fach Vorderasiatische Archäologie vor. Die Frage 2

3

Die Erforschung der frühbronzezeitlichen Kontakte (3000–2000 v. Chr.) zwischen den östlichen und westlichen Mittelmeeranrainern steht in der Vorderasiatischen Archäologie noch ganz am Anfang. Hermann Genz, American University, Beirut, danke ich herzlich für die entsprechende Information. Vollmer, 2009, S. 185f.; 2010, S. 93ff. Zu den Phönikern ferner: Kuhrt, 2007; Aubet, 2006; Sommer, 2000; Markoe, 2003.

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nach der wechselseitigen Beeinflussung der Kulturen östlich und westlich des Mittelmeeres zur Zeit der Hellenisierung und der römischen Okkupation des Nahen Osten findet inzwischen ebenfalls zunehmend Eingang in die Forschung der Vorderasiatischen Archäologie. Ein kurzer Blick zum Schluss auf die prähistorische Forschung, die im Rahmen der Vorderasiatischen Archäologie stattfindet: Hier liegt das Hauptaugenmerk auf der Erforschung der paläolithischen und neolithischen Entwicklungen im sog. Fruchtbaren Halbmond, also im Raum der nahöstlichen Kulturen, d.h. östlich des Mittelmeeres einschließlich Anatoliens. Gerade die Ergebnisse, die in der jüngeren Zeit in Anatolien zur Entwicklung der Sesshaftigkeit erarbeitet wurden, hier unter dem Stichwort Göbekli Tepe angezeigt4, bieten eine maßgebliche Arbeitsgrundlage, um Fragen an die Entwicklungen der Jäger-Sammler Gesellschaften und das Aufkommen der Sesshaftigkeit im Raum östlich und westlich des Mittelmeeres miteinander in Verbindung zu bringen und die Entwicklungen in der Ägäis und dem Balkanraum, wie mit der prähistorischen Forschung West- und Südwestanatoliens dokumentiert, in diese Betrachtungen zu integrieren.

Der Nahe Osten und Europa: Die östlichen und westlichen Mittelmeeranrainer in der Lehre der Vorderasiatischen Archäologie Im Oktober 2012 sandte ich eine Anfrage an alle Kolleginnen und Kollegen des Faches Vorderasiatische Archäologie in den unten aufgeführten Universitäten, ob und in welcher Form die Beschäftigung mit dem westlichen Mittelmeerraum resp. den Beziehungen zwischen den östlichen und westlichen Mittelmeeranrainern in Forschung und Lehre an den jeweiligen Standorten relevant sei. Berlin: Institut für Vorderasiatische Altertumskunde (Freie Universität Berlin) Berlin: Orient Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts Frankfurt a. M.: Archäologie und Kulturgeschichte des Vorderen Orients (Johann Wolfgang Goethe-Universität) Halle/Saale: Institut für Orientalische Archäologie und Kunst (MartinLuther-Universität Halle-Wittenberg) Heidelberg: Institut für Ur- und Frühgeschichte und Vorderasiatische Archäologie (Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg) Konstanz: Fachbereich Geschichte und Soziologie, Professur für Archäologie der altmediterranen Kulturen und ihrer Beziehungen zur vorderasiatischägyptischen Welt (Universität Konstanz) Mainz: Vorderasiatische Archäologie (Johannes Gutenberg-Universität Mainz) 4

Zum Fundort Göbekli Tepe in Anatolien sei auf zwei hervorragende Internet-Seiten mit den dortigen Literaturangaben verwiesen http://de.wikipedia.org/wiki/Göbekli_Tepe sowie die Homepage der Grabung http://goebekli.datalino.de/index.php (beide zuletzt aufgerufen am 9.10.2014).

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München: Institut für Vorderasiatische Archäologie (Ludwig-MaximiliansUniversität) Münster: Institut für Altorientalische Philologie und Vorderasiatische Altertumskunde (Westfälische Wilhelms-Universität Münster) Tübingen: Vorderasiatische Archäologie (IANES, Eberhard Karls-Universität Tübingen) Freiburg: Vorderasiatische Archäologie (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg) Die Antworten der KollegInnen ergeben folgendes Bild, das im Übrigen dem Ergebnis der Literaturanalyse zu weiten Teilen entspricht: Die Beschäftigung mit den westlichen Mittelmeeranrainern wird in den Lehrveranstaltungen immer dann virulent, wenn sich ein Seminar mit Fragen der internationalen Handelsbeziehungen altorientalischer Gesellschaften befasst. Die Auseinandersetzung mit Themen der Wirtschaft ist also in der Regel der Einstieg in die Betrachtung der westlichen Mittelmeerregionen aus der Sicht der Vorderasiatischen Archäologie resp. aus der Sicht der altorientalischen Gesellschaften. In der Forschung findet der westliche Mittelmeerraum überdies stets dort seine Berücksichtigung, wo laufende Grabungsprojekte im östlichen Mittelmeerraum mit Objekten aus dem westlichen Mittelmeerraum befasst sind. Die Erforschung der Ost-West-Beziehungen wie auch die Vermittlung des Wissens über die Beziehungen der östlichen und westlichen Mittelmeeranrainer fußt also vor allem auf dem Studium importierter Güter und Geschenke und fokussiert somit zunächst auf wirtschaftliche Aspekte. Ausgangspunkt der Betrachtungen sind die Verhältnisse in den nahöstlichen Gesellschaften, die dort fassbaren Ursachen und Auslöser für die Kontakte wie auch die Auswirkungen, die diese vor allem in eben den nahöstlichen Kulturen hatten. In drei Universitäten wird der Erforschung der Beziehungen zwischen dem „Orient und Europa“ durch spezielle Ausrichtungen der Professuren und Studiengänge Rechnung getragen: So in Konstanz, wo im Fachbereich Geschichte und Soziologie eine „Professur für Archäologie der altmediterranen Kulturen und ihrer Beziehungen zur vorderasiatisch-ägyptischen Welt“ eingerichtet wurde; in München entwickelten die KollegInnen den Studiengang „Archäologie: Europa und Vorderer Orient“; in Münster besteht das „Centrum für Geschichte und Kultur des östlichen Mittelmeerraums“, in dem die Beschäftigung mit den Ost-West Beziehungen im Mittelmeerraum zu den konstant diskutierten Themen gehören. Am dort angesiedelten interdisziplinären Masterstudiengang „Antike Kulturen des östlichen Mittelmeerraums“ ist die Vorderasiatische Archäologie maßgeblich beteiligt.

Gegenwärtige mediterranistische Forschungsfragen und Perspektiven Zwei Parameter beeinflussen insbesondere die Forschungsthematiken, die Blickrichtungen und die Erkenntnisinteressen der Forschenden in der Vorderasiatischen Archäologie hinsichtlich der Beziehungen zwischen den östlichen und westlichen Mittelmeeranrainern: zum einen geographische Determinanten, zum anderen chronologische Aspekte.

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Wo die Grabungsorte der Forschenden im Mittelmeeranrainergebiet liegen, die zu erforschenden Gesellschaften in der Vergangenheit also direkt oder indirekt, aber potentiell regelhaft mit dem Küstenstreifen in Verbindung stehen konnten, gehören die Überlegungen zu den Kontakten der LevantebewohnerInnen mit den westlichen Mittelmeeranrainern zu den grundlegenden Forschungsfragen an das archäologische Material. Die Frage nach den Kontakten und den Auswirkungen dieser Kontakte zwischen den nahöstlichen Gesellschaften und den Gesellschaften im westlichen Mittelmeerraum wird erneut dort virulent, wo sich die Kolleginnen und Kollegen mit der Entwicklung des Perserreiches und der Hellenisierung und römischen Okkupation des Nahen Osten befassen. Das Spektrum der Forschungsfelder, die sich im weitesten Sinn den Fragen nach den Gründen, Formen und Auswirkungen der Begegnungen von Menschen widmen, ist naturgemäß gewaltig und nur einige aktuelle Richtungen können hier angesprochen werden. Dinge, Materialität als Zeugnisse der Begegnungen zwischen Menschen, Gesellschaften, Kulturen, Handel, Tausch und die Übergabe von Geschenken stellen Formen des wirtschaftlichen Austauschs dar, in dessen Rahmen Rohstoffe, halbfertige sowie fertige Produkte und Ideen ausgetauscht werden und Menschen einander begegnen. Auch Krieg führt zum Austausch mit dem Anderen: Menschen begegnen einander als Militärs, als Feinde, Menschen werden gefangen genommen, in ihrer Heimat fremdbeherrscht oder vertrieben. Konfliktbegegnungen dieser Art ziehen regelhaft auch Formen des Güteraustauschs nach sich, hier unter dem Begriff des „Beutemachens“ subsumiert. Aus einer Vielzahl von Gründen verlassen Menschen ihre Heimat und ziehen als MigrantInnen von einer zur anderen Region. Nicht selten nehmen sie die ihnen vertrauten Gegenstände in die neue Heimat mit. Die Begegnung mit dem Anderen, mit dem anderen Menschen und dessen materiellen Besitztümern, führt, bis heute vielfach zu beobachten, regelhaft zur Kopie des Neuen, der Güterwelt der „Anderen“. Alle genannten Formen der menschlichen Begegnungen und des wirtschaftlichen Miteinanders waren in den Beziehungen der östlichen und westlichen Mittelmeeranrainer virulent. Wie die Prozesse der Begegnungen und des Austauschs verlaufen sind und welche Auswirkungen sie in den betroffenen Gesellschaften hatten resp. welche Bereiche von den Ost-West-Begegnungen jeweils in welcher Weise betroffen waren – die soziale Ordnung, die wirtschaftliche und politische Organisation, die Wissensbestände, die Normen- und Wertewelt, die Religion, Selbstsichten und Weltbilder – bilden einige der Themenfelder, die zur Zeit in der Vorderasiatischen Archäologie erforscht werden. Der Frage nach dem „Wie“ der Entwicklungen steht die Frage zur Seite, warum die Gesellschaften des östlichen und westlichen Mittelmeerraumes überhaupt in Kontakt getreten und diese Kontakte seit Tausenden von Jahren nicht mehr abgebrochen sind! Die bild-, architektur- und anthropologisch-kulturwissenschaftlich ausgerichteten Studien der Vorderasiatischen Archäologie befragen das „Wie“ und „Warum“ der Begegnungen zwischen östlichen und westlichen Mittelmeeranrainern und deren Auswirkungen, indem sie sich vorrangig mit der Analyse und Interpretation der Bild- und Bauwerke der östlichen und westlichen Mittelmeeranrainer befassen. Hier finden Forschungen u. a. zu den Themen Hyperkultur, nonverbale Kommunikation via Architektur und Raumgestaltung, Mo-

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tiv- und Bildverstehen (von Rüden, 2011; Heinz u. Linke, 2011) im interkulturellen Kontext statt. Fragen dieser Art werden zur Zeit aufgeworfen in Forschungsvorhaben, die sich dem Vergleich eisenzeitlicher Bild-Entwicklungen in Europa und Assyrien widmen (Wagner, im Druck), die die kulturelle Prägung der persischen Architektur und Bilderwelt nach ihrer Begegnung mit den östlichen und westlichen Mittelmeeranrainern analysieren (Heinz, 2009) und die u. a. griechische Berichte über die Auswirkungen der persischen Präsenz im westlichen (europäischen) Mittelmeerraum auswerten (Hauser, 2001). Aktuell finden sich in den Forschungen der Vorderasiatischen Archäologie, ausgehend vor allem von den Grabungen in Libanon, aber auch in Syrien, Jordanien und Anatolien, überdies erstmals Ansätze, sich detaillierter als bisher mit Fragen zu den Auswirkungen der hellenistischen und römischen Okkupation des Nahen Ostens zu befassen (Heinz, 2010). Dies geschieht nicht nur im Hinblick auf die materiell fassbaren und daher sichtbaren Veränderungen in den Gesellschaften des östlichen Mittelmeerraumes, sondern auch und gerade im Hinblick auf die potentiellen Wechselwirkungen, die die Begegnungen Ost-West hervorgerufen haben. Wie also floss das Neue, dem die Griechen und Römer durch ihre Expansionen in den östlichen Mittelmeerraum begegneten, in die sozialen, kulturellen und politischen Ordnungen westlich des Mittelmeers ein und was bewirkten diese dort? Die aktuellen Forschungen in der deutschsprachigen wie international verorteten Vorderasiatischen Archäologie zum Verhältnis der östlichen und westlichen Mittelmeeranrainer analysieren also die materiellen Hinterlassenschaften, die die Grabungen im Nahen Osten zutage fördern, dezidiert unter sozial- und kulturwissenschaftlichen Aspekten. Forschungsvorhaben, in denen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre jeweils spezifischen Kenntnisse zu den Entwicklungen im östlichen und westlichen Mittelmeerraum anhand entsprechender Fragenkomplexe und der Erforschung von Prozessverläufen und -ursachen zusammen führen, dürften vielversprechende Einblicke in und Erkenntnisse zu den seit Jahrtausenden währenden Beziehungen der Gesellschaften östlich und westlich des Mittelmeeres miteinander erwarten lassen.

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Bibliographie Akkermans, P. M. M. G. u. Schwartz, G. M., 2003: The archaeology of Syria. From complex hunter-gatherers to early urban societies (c. 16,000–300 BC). Cambridge u. a.: Cambridge University Press. Aubet, M. E., 2006: The Phoenicians and the West. Politics, colonies and trade, 2. Aufl. Cambridge: Cambridge University Press. Chevalier, N., 2012: Early excavations (pre-1914). In: D. T. Potts, Hrsg.: A companion to the archaeology of the ancient Near East. Malden: Wiley-Blackwell, S. 48–69. Düring, Bleda S., 2011: The prehistory of Asia Minor : from complex hunter-gatherers to early urban societies. Cambridge u. a.: Cambridge University Press Genz, H., 2003: Ritzverzierte Knochenhülsen des dritten Jahrtausends im Ostmittelmeerraum. Ein Beitrag zu den frühen Kulturverbindungen zwischen der Levante und der Ägäis (Abhandlungen des Deutschen Palästina-Vereins 31). Wiesbaden: Harrassowitz. Hauser, S., 2001: ‚Greek in subject and style, but a little distorted‘: Zum Verhältnis von Orient und Okzident in der Altertumswissenschaft. In: S. Altekamp, M. Hofter, u. M. Krumme, Hrsg.: Posthumanistische Klassische Archäologie. Historizität und Wissenschaftlichkeit von Interessen und Methoden, Kolloquium Berlin 1999. München: Hirmer, S. 83– 104. Heinz, M., 2002: Altsyrien und Libanon: Geschichte, Wirtschaft und Kultur vom Neolithikum bis Nebukadnezar. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. –, Hrsg. 2009: Hyperkulturalität – die neue Bilderwelt der Perser. In: Heinz, M.: Vorderasiatische Altertumskunde. Eine Einführung. Tübingen: Narr, S. 199–212. –, 2010: Near Eastern Archaeology and the investigation of the Roman and Hellenistic evidence in the Near East. In: M. Heinz, S. Kulemann-Ossen, J. Linke u. E. Wagner, Hrsg.: Kamid el-Loz. Intermediary between cultures: more than ten years of archaeological research in Kamid el-Loz (1997 to 2007) (Bulletin d’Archéologie et d’Architecture Libanaises Hors Série 7). Beirut: Ministère de la culture, Direction générale des antiquités, S. 11–19. Heinz, M., Kulemann-Ossen, S., Linke, J. u. Wagner, E., Hrsg., 2010: Kamid el-Loz. Intermediary between cultures: more than ten years of archaeological research in Kamid el-Loz (1997 to 2007) (Bulletin d’Archéologie et d’Architecture Libanaises Hors Série 7). Beirut: Ministère de la culture, Direction générale des antiquités. Heinz, M. u. Linke, J., 2011: Hyperculture, tradition and identity: How to communicate with seals in times of global action. A Middle Bronze Age seal impression from Kamid elLoz. In: J. Maran u. P. Stockhammer, Hrsg., 2011: Materiality and Social Practice. Oxford: Oxbow Books, S. 185–190. Heinz, M. u. Vollmer, W., Hrsg., 2010: Libanon. Treffpunkt der Kulturen; eine archäologische Perspektive. Berlin: Lit. Klengel, H., 1989: Kulturgeschichte des alten Vorderasien. Berlin: Akademie-Verlag. Kuhrt, A., 2007: The Persian Empire. London u. a.: Routledge. Lambrianides, K. u. Spencer, N., 1998: Regional Studies in the Madra Cay Delta. In: R. Matthews, Hrsg.: Ancient Anatolia. Fifty years' work by the British Institute of Archaeology at Ankara. London: British Institute of Archaeology at Ankara, S. 207–224. Maran, J. u. Stockhammer, P., 2012: Materiality and social practice. Transformative capacities of intercultural encounters. Oxford u. a.: Oxbow Books. Matthews, R. Hrsg., 1998: Ancient Anatolia. Fifty years' work by the British Institute of Archaeology at Ankara. London: British Institute of Archaeology at Ankara. Markoe, G. E., 2003: Die Phönizier (Völker der Antike). Stuttgart: Theiss. Moortgat, A., 1926: Hellas und die Kunst der Achaemeniden. Leipzig: Biblio. –, 1967: Die Kunst des alten Mesopotamien. Köln: DuMont.

VORDERASIATISCHE ARCHÄOLOGIE

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–, 1971: Einführung in die vorderasiatische Archäologie. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Orthmann, W., 1975: Der alte Orient. Berlin: Propyläen. Potts, D. T., Hrsg., 2012: A companion to the archaeology of the ancient Near East. Malden: Wiley-Blackwell. Sommer, M., 2000: Europas Ahnen. Ursprünge des Politischen bei den Phönikern. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Vollmer, W., 2009: Europa lernt Schreiben und Lesen: Das Wissen bringen die Phöniker. In: M. Heinz, Hrsg.: Vorderasiatische Altertumskunde. Eine Einführung. Tübingen: Narr, S. 185–198. –, 2010: Die Phöniker. In: M. Heinz u. W. Vollmer, Hrsg.: Libanon. Treffpunkt der Kulturen. Eine archäologische Perspektive. Berlin: Lit, S. 93–108. von Rüden, C., 2011: Die Wandmalereien aus Tall Misrife/Qatna im Kontext interkultureller Kommunikation. Mit Beiträgen von Ann Brysbaert und Ilka Weisser. Wiesbaden: Harrassowitz. E. Wagner-Durand, 2014: Bilder im Kulturvergleich – Vorkommen und Verwendung von Bildern in verschiedenen Gesellschaften des Orients und Okzidents im 1. Jtd. v. Chr. (900–450 v. Chr.). Dissertation Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. Online: http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/9612/ [Letzter Zugriff am 13.10.2014].

ANJA ZOROB

Wirtschaftswissenschaften Einleitung Die Wirtschaftswissenschaften gelten als eine vornehmlich ‚transatlantische‘ sowie vergleichsweise junge Disziplin. Frühe zu ökonomischen Belangen mit Bezug zur Mittelmeerregion veröffentlichte Werke konzentrierten sich daher vor allem auf wirtschaftshistorische Untersuchungen. Eine stärkere Ausdehnung sowie themenspezifisch größere Ausdifferenzierung erlebte die ökonomische Forschung zum Mittelmeerraum erst in jüngerer Zeit vor dem Hintergrund der ‚Mittelmeerpolitik‘ der Europäischen Union (EU) und insbesondere der Gründung der EuroMediterranen Partnerschaft (EMP) 1995. Da sich sowohl die frühe als auch die aktuelle Forschung letztlich auf ein regionales Konstrukt stützt, wird der folgende Überblick über ihre historische Entwicklung und den gegenwärtigen Stand eingebettet in eine Diskussion des ‚Mittelmeerraums‘ als Konzept. Im folgenden Abschnitt gilt es zunächst, die Wirtschaftswissenschaften zu definieren und die Relevanz des Mittelmeerraums für die ökonomische Forschung abzugrenzen.

Die Wirtschaftswissenschaften und die Relevanz des Mittelmeerraums für die wirtschaftswissenschaftliche Forschung In den meisten Lehrbüchern werden Wirtschaftswissenschaften als eine primär in Europa und Amerika entstandene und vergleichsweise ‚junge‘ Disziplin umschrieben. Die ‚Lehre von der Wirtschaft‘ musste einen langen Weg hinter sich bringen, bis sie sich als eigenständige Disziplin durchsetze.1 Dies gelang letztendlich erst, nachdem sich die Wirtschaftslehre zum einen vor dem Hintergrund der Aufklärung ‚säkularisiert‘ und sich zum anderen des merkantilistisch-kameralistischen ‚Korsetts‘ des Forschens im Dienste absolutistischer Herrscher entledigt hatte. In vielen Lehrbüchern gilt in Zusammenhang damit eine der Hauptfiguren des Klassischen Liberalismus, der Schotte Adam Smith (1723–1790), als ‚Vater‘ der Wirtschaftswissenschaften und das Jahr 1776, in welchem sein viel zitiertes Werk The Wealth of Nations erstmals erschien, als Geburtsstunde der modernen Ökonomik.2 Dennoch geht der Begriff „Oekonomik“ auf die griechische Antike zurück und umschreibt im ursprünglichen Sinne die „Hausverwaltungskunst“. Für Aristoteles 1 2

Ausführlicher zur Entwicklung der Wirtschaftswissenschaften insbesondere an deutschen Universitäten siehe Winkel, 1988, S. 413–425. Siehe exemplarisch Samuelson u. Nordhaus, 1989, S. 824; Sangmeister u. Schönstedt, 2009, S. 25.

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ANJA ZOROB

(384–322 v. Chr.), den griechischen Philosophen, dem gemeinhin die Rolle eines Vordenkers der Wirtschaftswissenschaften zugedacht wird (s. den Abschnitt „Die wirtschaftswissenschaftliche Forschung zum Mittelmeerraum vor 1995“), beinhaltete die Hausverwaltungskunst nach B. Schefold „alles, was Haus, Hof und Familie zusammenhält, insofern mehr als Ökonomik im modernen Sinne des «Wirtschaftens»“ (Schefold, 1989, S. 34). Was sich wiederum hinter dem ‚Wirtschaften‘ und der Wissenschaft darüber verbirgt, wird häufig unterschiedlich definiert. Im Zentrum solcher Definitionen steht die Annahme, dass Ressourcen und Güter grundsätzlich knapp sind. Dementsprechend geht es im Kern darum, diese Knappheit zu mildern. Nach Paul A. Samuelson (1915–2009) und D. Nordhaus sind die Wirtschaftswissenschaften „the study of how societies use scarce resources to produce valuable goods and services and distribute them among different individuals“ (Samuelson u. Nordhaus, 1989, S. 5). Eine noch weiter gefasste Definition für die Ökonomik geht auf L. C. Robbins (1898–1984) zurück, der sie als Wissenschaft beschreibt, „that studies human behaviour as a relationship between ends and scarce means which have alternative uses“ (zitiert in Backhouse u. Medema, 2009, S. 805). In Deutschland wird traditionell zwischen Volkswirtschaftslehre (VWL) und Betriebswirtschaftslehre (BWL) unterschieden (vgl. Albach, 2010, S. 3460). Während die „Handlungswissenschaft“ bis in das 20. Jh. hinein außerhalb der Universitäten an separaten Handelsschulen gelehrt wurde, etablierte sich die Nationalökonomie einschließlich der Finanzwissenschaften im Verlauf des 19. Jh. als eigenständige Disziplin an den Universitäten. Die Nationalökonomie, aus der später die VWL hervorging, war zunächst, wie in vielen anderen Ländern heute noch üblich, an den Fakultäten für Philosophie angesiedelt. Mittlerweile gelten die Wirtschaftswissenschaften als integraler Bestandteil der Sozialwissenschaften. Die VWL und BWL teilen sich wiederum in zahlreiche Subdisziplinen mit den dazugehörigen Theorien, Politiken und Methoden, deren Zusammensetzung sich im Laufe der Jahre immer wieder verändert hat. In der BWL zählen dazu Themengebiete wie Finanzierung, Marketing oder Management. Die Volkswirtschaftslehre umfasst die Grundlagenfächer Mikro- und Makroökonomik neben den öffentlichen Finanzen sowie speziellere Theorien und Politikbereiche, die von z.B. der Preistheorie über Wirtschaftssysteme bis hin zur Außenwirtschaftstheorie und -politik oder aber der Entwicklungsökonomik reichen. Darüber hinaus vermitteln die modernen Wirtschaftswissenschaften Methodenkenntnisse in der Wirtschaftsmathematik, Statistik und Ökonometrie. Als Nachbar- oder den Wirtschaftswissenschaften verwandte Disziplinen gelten insbesondere die Wirtschaftsgeschichte, -geographie und -soziologie (Albach, 2010; Winkel, 1988; Samuelson u. Nordhaus, 1989). Die Relevanz des ‚Mittelmeerraums‘ in der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung scheint allem voran mit der Frage nach dem begrifflichen Konstrukt dieser Region in Verbindung zu stehen. Spätestens seit F. Braudel werden die an das Mittelmeer angrenzenden Gebiete häufig und insbesondere in Untersuchungen, die sich auf die Zeit von der Antike bis ins Spätmittelalter beziehen, als eine historische Einheit betrachtet (s. den Abschnitt „Mittelmeerraum und EU-Mittelmeerpolitik:

WIRTSCHAFTSWISSENSCHAFTEN

535

Konstruktion einer Region“).3 Die Städte um das Mittelmeer erlebten nicht nur die Entstehung von Handel, Handwerk, Geld- und Finanzgeschäften. Damit in Verbindung symbolisiert die Mittelmeerregion auch die Wiege ökonomischen Denkens. Eingedenk dessen, dass sich die Wirtschaftswissenschaften vor allem in ihren Anfängen fast ausschließlich mit den sozio-ökonomischen Verhältnissen ‚zu Hause‘ in (Teilen) Europas und (Nord-)Amerikas beschäftigten, konzentrierte sich die Forschung zum Mittelmeerraum bis in die zweite Hälfte des 20. Jh. hinein primär auf wirtschaftshistorische Untersuchungen. Seit der zweiten Hälfte des 20. Jh. wiederum ist das Interesse ökonomischer Forschung am Mittelmeerraum offenbar eng verknüpft mit der EU-Mittelmeerpolitik und ihrer von Beginn an auf Wirtschaft und Handel fokussierten Zusammenarbeit mit den Mittelmeerdrittländern (MDL). Vor allem die Gründung der EuroMediterranen Partnerschaft (EMP) 1995 rückte den Mittelmeerraum in das Blickfeld der wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Betrachtung. Eine wachsende Anzahl von WissenschaftlerInnen auf ‚beiden Seiten des Mittelmeers‘ setzen sich seither mit den Effekten der im Rahmen der EMP geschlossenen Freihandelsabkommen und deren Potential für eine erfolgreiche Nord-Süd-Integration auseinander. Über Handel und regionale Integration, Wachstum und ‚aufholende‘ Entwicklung und damit insbesondere über die Gebiete der Außenwirtschaftstheorie und -politik, der Entwicklungsökonomik und der neuen Wachstumstheorie hinaus, spielen traditionell in der Forschung zu den Mittelmeerländern u.a. agrarund umweltökonomische Themen eine große Rolle (s. den Abschnitt „Aktuelle Forschungsfragen und Perspektiven“). Vor diesem Hintergrund zeichnete sich die Mittelmeerforschung früh durch einen hohen Grad interdisziplinärer Ansätze aus. Unterstützt wurde die stärkere Entfaltung wirtschaftswissenschaftlicher Forschung über die Mittelmeerregion seit den 1990er Jahren dabei maßgeblich durch die Bemühungen der EU, die Forschung und den Aufbau euro-mediterraner Forschungsnetzwerke explizit zu fördern (s. den Abschnitt „Euro-Mediterrane Forschungsförderung und Forschungsnetzwerke“).

Die Geschichte der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung zum Mittelmeerraum Mittelmeerraum und EU-Mittelmeerpolitik: Konstruktion einer Region In historischen Betrachtungen wird die Mittelmeerregion von der Antike bis in das Hochmittelalter hinein häufig als ein ‚Wirtschaftsraum‘ oder zumindest als ein Ort enger wirtschaftlicher und sozialer Verflechtungen umschrieben.4 Die Perzeption der Territorien rund um das Mittelmeer als ein nicht nur klimatisch und 3

4

Die „engere Mittelmeerwelt“ reicht nach dem Konzept von Braudel „von der nördlichen Grenze des Ölbaums bis zu jener Linie im Süden, an der die großen Palmenhaine beginnen“ (Braudel, 1990, S. 241f.). Siehe u.a. Endreß, 2002, S. 9–31; Jaspert, 2009, S. 138–174.

536 MDL

ANJA ZOROB

Inkrafttreten vertraglicher Beziehungen

Inkrafttreten der ENPAPs

Verhandlungen

Ägypten

AA* Juni 2004

06.03.2007

Vorverhandlungen seit Juni 2013

Albanien

StAA** April 2009

Kein ENP-Mitglied

Algerien

AA Sept. 2005

Verhandlungen

Israel

AA Juni 2000

11.4.2005

Jordanien

AA Mai 2002

02.6.2005 Neuer AP: 23.03.2012

Libanon

AA April 2006

19.1.2007 Lfd. Neuverhandlungen

Libyen

Beobachterstatus in der EMP seit 1999

Potentielles ENPMitglied

Marokko

AA März 2000

27.7.2005 Neuer AP: 16.12.2013

Mauretanien

Cotonou-Abkommen März 2000

Kein ENP-Mitglied

Palästina

Interims-AA Juli 1997

04.5.2005 Neuer AP: 19.03.2013

Syrien

KA*** Juli 1977

Potentielles ENPMitglied

Tunesien

AA März 1998

04.7.2005 Neuer AP: unterz. 11/2012

Türkei

ZU**** Dez. 1995

Kein ENP-Mitglied

DCFTAs

Vorverhandlungen seit März 2012

Verhandlungen seit März 2013

Vorverhandlungen seit März 2012

* AA-Assoziierungsabkommen ** StAA-Stabilisierungs und Assoziierungsabkommen mit den Ländern des westlichen Balkans *** KA-Kooperationsabkommen **** ZU-Zollunion (nur Industriegüter) Quelle: Eigene Zusammenstellung basierend auf European Commission, DG Trade, Overview of FTA and Other Trade Negotiations, 2014; European Union, European External Action Service, European Neighbourhood Policy, 2014. Tab. 1: Mitglieder der EMP und ENP (Stand Januar 2014)

landschaftlich homogener Raum, sondern auch als eine kohärente Geschichtsregion wurde maßgeblich geprägt durch den französischen Historiker F. Braudel (1902–1985) (Braudel, 1990, S. 241f.). Sein im Jahr 1949 erstmals erschienenes Werk Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Philipps II. sah sich seit-

WIRTSCHAFTSWISSENSCHAFTEN

537

her jedoch der Kritik aus unterschiedlichen Richtungen ausgesetzt. Einige Autoren rückten das Werk Braudels in die Nähe französischer Kolonialpolitik. Das Konzept der Méditerranée als eines ‚geeinten‘, im Kern ‚europäischen‘ bzw. ‚lateinischen‘ Mittelmeerraums diente als Rechtfertigung für die koloniale Ausdehnung Frankreichs in Nordafrika, während sich gleichzeitig die an das Mittelmeer angrenzenden Territorien stärker denn je zuvor voneinander entfernten.5 Zugute gehalten werden Braudel indes über die Originalität seines umfassenden Werkes hinaus die Bemühungen darum, ein „Verständnis des Mittelmeerraums als eines offenen, nicht allein europäisch dominierten Kontaktraums“ zu vermitteln (Jansen, 2007, S. 204). Wirtschafthistorisch angelegte Studien referieren dennoch bis heute häufig und sicherlich nicht zu Unrecht auf den ‚Mittelmeerraum‘ als zentralen Bezugsrahmen, wenn sie, wie in den meisten Fällen, die Zeit des Mittelalters in den Fokus ihrer Betrachtung stellen. Wenn sich Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler seit den 1960er/1970er Jahren mit aktuellen ökonomischen Fragestellungen in Bezug auf den Mittelmeerraum als Untersuchungsgegenstand beschäftigten, dann, so scheint es, vornehmlich inspiriert durch die sog. EG-/EU-Mittelmeerpolitik.6 Daher soll die Entwicklung der EU-Mittelmeerpolitik hier in groben Zügen vorgestellt werden.7 Der Beginn dieser ‚regionalen Außenpolitik‘ lässt sich, je nach Perspektive, bis auf die Römischen Verträge zurückverfolgen, in deren Zusatzprotokollen Marokko und Tunesien, die ein Jahr vorher ihre Unabhängigkeit aus dem französischen Protektorat erreicht hatten, eine zukünftige Assoziation in Aussicht gestellt wurde. In den ersten Jahrzehnten setzte die EU-Mittelmeerpolitik fast ausschließlich auf den Ausbau der bilateralen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen mit den MDL.8 Erste Assoziierungsabkommen wurden zu Beginn der 1960er Jahre u.a. mit der Türkei und Griechenland unterzeichnet.9 Im Rahmen der vor dem Hintergrund der ersten Erweiterungsrunde der EU 1972 initiierten Globalen Mittelmeerpolitik (GMP) kam es zum Abschluss von Handels- und Kooperationsabkommen, in welchen die EU den meisten arabischen MDL einseitig zollfreien Zugang für Industriegüterexporte gewährte. 5 6

7

8

9

Ausführlicher dazu siehe u.a. Jansen, 2007, S. 175-205; Borutta u. Gekas, 2012, S. 1–13. In Bezug auf Handel, Investitionen, finanzielle Hilfen und Arbeitsmigration sind insbesondere Tunesien, Algerien und Marokko tatsächlich sehr stark von den nördlichen EU-Mittelmeerländern, vor allem Frankreich neben Spanien und Italien, abhängig; schon ob der überwiegend bilateral und in ihrer Bedeutung relativ einseitig ausgerichteten Beziehungen lässt sich aber kaum von einem wirtschaftlich integrierten Mittelmeerraum sprechen. Der Einfachheit halber soll in diesem Beitrag einheitlich der Begriff Europäische Union (EU) verwendet werden, auch wenn dieser erst mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Maastricht Anfang der 1990er Jahre den Begriff der Europäischen Gemeinschaften (EG) im allgemeinen Sprachgebrauch ablöste. Neben Israel, der Türkei, Zypern, Malta und den arabischen Mittelmeeranrainern (siehe Anm. 10) zählten bis zu ihrem EU-Beitritt in den 1980er Jahren auch Griechenland, Spanien und Portugal ebenso wie das ehemalige Jugoslawien zu den MDL. Albanien und Libyen waren bis Mitte/Ende der 1990er Jahre aus politischen Gründen nicht Teil der EU-Mittelmeerpolitik. Ausführlicher zu den unterschiedlichen Phasen der EU-Mittelmeerpolitik siehe Zorob, 2006, S. 2936.

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ANJA ZOROB

Im November 1995 wurde, wie in der Einleitung erwähnt, die Euro-Mediterrane Partnerschaft von damals 15 EU-Mitgliedstaaten und zwölf MDL in Barcelona aus der Taufe gehoben.10 Die EMP gilt in der Literatur als der erste integrierte Ansatz der EU im Umgang mit den Nachbarn um das Mittelmeer, da es die Zusammenarbeit sowohl um eine genuin regionale Dimension als auch einen politischen und sozialen Kooperationsansatz erweiterte. Die EMP zielt darauf ab, einen ‚gemeinsamen Raum des Friedens und der Stabilität‘ ebenso wie eine ‚Zone des gemeinsamen Wohlstands‘ zwischen der EU und den MDL zu errichten (European Commission, 1996). Den rechtlichen Rahmen für die Umsetzung dieser Ziele bilden bilaterale Assoziierungsabkommen zwischen der EU und den MDL (siehe Tab. 1). Da diese Abkommen im Kern Freihandelsabkommen darstellen, stand zunächst der Aufbau einer großen Euro-Mediterranen Freihandelszone (EMFHZ) im Vordergrund.11 Über die EMP hinaus wurden die MDL 2004 in die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) eingebunden, welche die „Entstehung neuer Trennlinien“ zwischen der 2004 erweiterten Union und den Nachbarländern zu verhindern sucht. Die ENP setzt noch stärker als die EMP auf Liberalisierung im Sinne einer Anpassung an EU-Regeln und marktwirtschaftliche Reformen. Ähnlich wie im EU-Erweiterungsprozess sollen die Nachbarländer EU-Vorschriften übernehmen, erhalten aber keine Beitrittsperspektive. Ihre Umsetzung erfolgt anhand von ‚Aktionsplänen‘ (APs), die zwischen der EU und jedem Nachbarland bilateral ausgehandelt werden (siehe Tab. 1) (Zorob, 2007, S. 2). Einen weiteren Versuch, die EMP zu ‚reaktivieren‘, markierte die im Sommer 2008 von 43 Ländern gegründete Union für das Mittelmeer (UfM). Im Mittelpunkt dieser Initiative stehen spezifische Kooperationsprojekte in Bereichen wie Umwelt, Bildung, Transport, Energie und Wirtschaft.12 Im Zuge des Arabischen Frühlings schließlich verkündete die Europäische Kommission im Frühjahr 2011 eine (erneute) ‚Neuausrichtung‘ von EMP und ENP. In ihrem Mittelpunkt stehen die sog. ‚3Ms‘, Money, Market and Mobility. Auf deren Grundlage wurde die Kommission Ende 2011 autorisiert, Verhandlungen mit Ägypten, Jordanien, Marokko und Tunesien um neue, ‚tiefe und umfassende Freihandelsabkommen‘ (DCFTAs) aufzunehmen (siehe Tab. 1). 10

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12

Seinerzeit zählten dazu Ägypten, Algerien, Jordanien, Libanon, Marokko, Syrien, Tunesien und die Palästinensischen Gebiete neben Zypern, Malta, Türkei und Israel. Malta und Zypern traten der EU im Jahr 2004 als Vollmitglieder bei. Die Türkei wurde zum EU-Beitrittskandidaten. 2007 traten Albanien und Mauretanien der EMP bei. Libyen unterhält seit 1999 einen Beobachterstatus; mit Syrien wurde ein Assoziierungsabkommen in den 2000er Jahren ausgehandelt und initialisiert, aber nicht unterzeichnet, 2011 begann die EU gegen Syrien Sanktionen zu erheben siehe European Commission, 2014. Dieses ursprünglich für das Jahr 2010 anvisierte Ziel konnte bislang nicht umgesetzt werden. Aufgrund der mind. zwölfjährigen Übergangszeiträume waren bis 2013 nur die Abkommen mit Tunesien, Marokko und Israel implementiert. Mitglieder der UfM sind neben den 28 EU-Mitgliedern und den MDL Bosnien-Herzegowina, Monaco und Montenegro, ausführlicher siehe u.a. Zorob, 2008b.

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Die wirtschaftswissenschaftliche Forschung zum Mittelmeerraum vor 1995 Bis in die zweite Hälfte des 20. Jh. hinein scheint sich die Forschung zum ‚Mittelmeerraum‘ allem voran auf wirtschaftshistorische Untersuchungen konzentriert zu haben. Neben dem oben bereits erwähnten französischen Historiker Fernand Braudel zählte der Arabist und Historiker Shlomo D. Goitein (1900–1985) zu den bekanntesten Autoren, die sich mit wirtschaftlichen Entwicklungen im Mittelmeerraum auseinander setzten. In seinem Werk A Mediterranean Society gewährte er einen detaillierten Einblick in das hochmittelalterliche Wirtschaftsleben, dessen Akteuren, Formen von Handels- und Finanzgeschäften und deren staatliche Kontrolle (s. Braudel, 1990; Goitein, 1967–1993, insb. Bd. 1). Allerdings hatten auch schon frühere Werke wie die aus der Feder von Wilhelm Heyd und Adolf Schaube die Mittelmeerregion in das Zentrum ihrer Betrachtungen über den Handelsaustausch gerückt (Heyd, 1879; Schaube, 1906). Ähnlich wie Braudel beschäftigte sich indes auch der Soziologe und Nationalökonom Max Weber (1864–1920) nicht nur mit der Entstehung und Ausdehnung des Kapitalismus, was letzteren vor allem zum Zusammenhang zwischen Religion und Entwicklung führte. Er verfasste in frühen Jahren ebenso eine Abhandlung zu Handelsgesellschaften im Mittelmeer neben seiner universalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, in welcher er auf ‚mediterrane‘ Rechts- und Betriebsformen des Handels sowie auf die vorkapitalistische Entwicklung von Geld und Bankgeschäften einging (s. Weber, 1964; 1958). Wirtschaftsgeschichtliche Untersuchungen über die Entwicklung von Handel, Banken und Kreditwirtschaft oder über die Anfänge handwerklich-industrieller Fertigung in der Mittelmeerregion haben bis heute nichts an Anziehungskraft verloren (s. z. B. Goldberg, 2012; Consiglio, 2012). Josef Schumpeter (1883–1950) hat sich in seiner Geschichte der ökonomischen Analyse indes mit der Geschichte der Wirtschaftstheorie beschäftigt. Die Überlieferungen der griechischen Philosophen markierten für Schumpeter den Beginn, wenn auch in einer sehr rudimentären oder „embryonalen“ Form, der Geschichte der ökonomischen Analyse. Den Schriften der römischen Antike jedoch sprach er ebenso wie jenen des frühen Christentums einen Beitrag zur Entwicklung der Wirtschaftslehre ab. Die fünfhundert Jahre, die sich zwischen dem frühen Christentum und der Epoche der mittelalterlichen Scholastik mit Thomas von Aquin (1125–74) als Hauptfigur entspannten, bezeichnete Schumpeter schlicht als „die große Kluft“, die Betrachter der Lehre von der Wirtschaft „guten Gewissens“ überspringen könnten (Schumpeter, 2009, S. 116). In jüngerer Zeit sieht sich diese These in der Forschung zum mediterranen Erbe des ökonomischen Denkens allerdings einer zunehmenden Kritik ausgesetzt. Damit in Zusammenhang steht die Frage, ob neben Thomas von Aquin auch Ibn Khaldun (1332–1406), der als einziger Gelehrter der arabisch-islamischen Welt in zumindest einigen jüngeren Publikationen zu den Vordenkern der Ökonomie Erwähnung findet, ernst zu nehmende Vorläufer hatte.13 Die islamische Scholastik brachte eine reiche ökonomische Literatur hervor, die 13

Siehe z.B. Herz, 2006, S. 215; zu Ibn Khaldun siehe u.a. Schefold, 2000; Essid, 2000, S. 5–20 u. 55– 85.

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neben religiösen Ge- und Verboten im wirtschaftlichen Handeln einige ökonomische Mechanismen aufdeckte.14 Wenn sich Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler seit den 1960er/1970er Jahren mit aktuellen ökonomischen Fragestellungen in Bezug auf den Mittelmeerraum beschäftigten, dann, wie oben erwähnt, ganz offensichtlich primär inspiriert durch die EU-Mittelmeerpolitik. Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Europa und dem Nahen Osten/Nordafrika im Allgemeinen und den MDL im Speziellen markieren ebenso wie das Thema regionaler Integration eines der wenigen Forschungsfelder, die für Ökonomen auch vor der Gründung der EMP Mitte der 1990er Jahre schon von Interesse waren.15 In dieses Bild fügt sich, dass die Netzwerkbildung zu mittelmeerbezogenen Themen früh begann. In den 1960er Jahren, als die EUMittelmeerpolitik noch ‚in den Kinderschuhen‘ steckte, gründeten sieben ‚europäische‘ Mittelmeeranrainer Frankreich, Italien, Griechenland, Spanien, Portugal, Jugoslawien und die Türkei auf Initiative der OECD und des Europarats den Centre International de Hautes Ètudes Agronomiques Méditerranéennes (CIHEAM).16 Generell scheint sich das Interesse in den 1950er und 1960er Jahren zunächst vornehmlich auf das ‚europäische‘ Mittelmeer konzentriert zu haben. Unter der Federführung internationaler Organisationen wurden regionale Entwicklungsprojekte initiiert wie zum Beispiel das Mediterranean Regional Project der OECD mit dem Fokus auf Bildung und Entwicklung oder das Mediterranean Development Project der Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO), das im Unterschied zum OECD-Projekt auch östliche Mittelmeeranrainer wie den Libanon und Syrien miteinbezog. Im Mittelpunkt der aus jener Zeit stammenden Publikationen standen demzufolge zu einem großen Teil die Evaluierung solcher Projekte und die Debatte um die Rolle der EU im ‚europäischen‘ Mittelmeer neben der Entwicklung und Zusammenarbeit in den Bereichen Landwirtschaft, Forsten und Fischerei (s. z. B. FAO, 1959; Parnes, 1962). Der Abschluss von neuen Handelsabkommen im Rahmen der Globalen Mittelmeerpolitik in den 1970er Jahren und der Beitritt Griechenlands, Spaniens und Portugals zur EU erweckten das ökonomische Forschungsinteresse. Einen Schwerpunkt bildete dabei die Frage nach den möglichen Effekten der von der EU gewährten Handelspräferenzen für den Handel und für Entwicklung und Reformen in den Partnerländern (s. z. B. Tovias, 1977; Yannopoulos, 1989, S. 283–301). Des Weiteren wurde untersucht, wie sich die EU-Außenhandels- und insbesondere die sich seinerzeit entwickelnde Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) auf die Mittelmeerländer auswirkt. In Einklang mit den sich wandelnden entwicklungspolitischen Ansätzen auf globaler Ebene wiederum begann die Suche nach Strategien für 14 15

16

Siehe u.a. Baeck, 1994; Ghazanfar, 2003; für eine zusammenfassende Betrachtung des mittelalterlichen ökonomischen Denkens siehe Ceccarelli, 2011, S. 283–290. Im Allgemeinen zeigte die wirtschaftswissenschaftliche Forschung in der Vergangenheit an den Ländern des Nahen Osten und Nordafrikas, zu welchen die südlichen und östlichen Mittelmeeranrainer zählen, wenig Interesse. Themen, die in den Zentren ‚Westeuropas‘ als wichtig erachtet wurden, waren schon aufgrund der großen Unterschiede in der sozio-ökonomischen Entwicklung für deren Ökonomien kaum von Belang, ausführlicher dazu siehe Wurzel, 2009. Siehe Centre International de Hautes Ètudes Agronomiques Méditerranéennes (CIHEAM), 2014.

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nachhaltige Entwicklung und der Bekämpfung von Umweltproblemen rund um das Mittelmeer (s. z. B. Swinbank u. Ritson, 1988, S. 97–112; Balàzs, 1991, S. 38–45). Daneben zog, insbesondere in Zusammenhang mit dem Beitritt Spaniens und Portugals, das Thema Migration und die möglichen ökonomischen Wirkungen von Arbeitskräftewanderungen in den Sender- und Empfängerländern wachsendes Interesse auf sich. Außerdem lösten die Neubeitritte eine Debatte darum aus, was die EU-Erweiterung für die Beziehungen zu den verbleibenden MDL bedeutet (s. z. B. Papademetriou, 1985, S. 21–39; Weiss, 1980, S. 129–154). Die Diskussion um Motive und Strategien der EU-Mittelmeerpolitik indes begleitete dank des Mangels an einem integrierten Gesamtkonzept den gesamten Zeitraum (s. z. B. Tsoukalis, 1977, S. 422–438).

Die EuroMed-Region als Gegenstand wirtschaftswissenschaftlicher Forschung Euro-Mediterrane Forschungsförderung und Forschungsnetzwerke Die gezielte Bildung von Netzwerken begann, wie im vorherigen Abschnitt erwähnt, bereits vor der Gründung der EMP. Dem Anfang der 1960er Jahre gegründeten CIHEAM traten ab den 1980er Jahren sieben der heutigen MDL bei. Die dem Zentrum angehörigen agrarwissenschaftlichen Institute beteiligen sich seither an internationalen Forschungsprojekten und insbesondere solchen, die von der Europäischen Kommission in Auftrag gegeben werden (CIHEAM, 2014a; b). Dies gilt in ähnlicher Weise für weitere Institute, die vor dem Hintergrund einer sich stärker ausdifferenzierenden EU-Mittelmeerpolitik neu entstanden wie z.B. das 1987 in Rom gegründete Instituto per il Mediterraneo (iMed), das 1989 entstandene Institut Europeu de la Mediterrània (IEMed) in Barcelona oder das 1994 in Marseille etablierte Institut de la Méditerranée. Mit der Gründung der EMP erhielt die finanzielle Förderung ökonomischer Forschung zum Mittelmeerraum jedoch mit dem Aufbau weiterer Netzwerke einen noch intensiveren Schub. Dazu zählen insbesondere das Forum Euroméditerranéen des Instituts de Sciences Économiques (FEMISE) und das euro-mediterrane Netzwerk politik- und sozialwissenschaftlicher Institute, die European Study Commission (EuroMeSCo), in welchen den in 17 den Jahren zuvor gegründeten Instituten eine Ankerrolle zuteil wurde. FEMISE, das heute mehr als 90 Institute als seine Mitglieder zählt, entstand 1997 und wird seitdem vom Institut de la Méditerranée in Zusammenarbeit mit dem Economic Research Forum for the Arab Countries, Iran and Turkey (ERF) in Kairo koordiniert.18 Finanziell unterstützt wird FEMISE hauptsächlich von der Europäischen 17

18

Siehe die EuroMeSCo-Webseite, http://www.euromesco.net/; das in Barcelona ansässige IEMed koordinierte EuroMeSCo; IEMed ist neben EuroMeSCo Mitglied von FEMISE und anderen euromediterranen Netzwerken, siehe IEMed, 2014. Die Mitgliedsinstitute repräsentieren die 37 Mitgliedstaaten der EMP ohne Kroatien, Albanien und Mauretanien, ausführlicher siehe FEMISE Staff, 2013.

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Kommission.19 Ziel des Netzwerks ist es, die wirtschaftswissenschaftliche Forschung in und über die Euro-Med-Region zu fördern. Dies beinhaltet neben der Forschung auch die forschungsbasierte Beratung zu den wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der EU und den MDL sowie die Veröffentlichung und Verbreitung der Forschungsergebnisse. Im Zeitraum 1998-2011 unterstützte FEMISE über 140 innerhalb interner Ausschreibungsprozesse ausgewählter Forschungsprojekte. Daneben begann FEMISE mit anderen Gebern wie der Europäischen Investitionsbank (EIB) und der Weltbank zusammenzuarbeiten.20 Neben der Förderung über das FEMISE-Netzwerk unterstützten die EU und ihre Mitgliedstaaten in den vergangenen Jahren weitere Forschungsprojekte zum Beispiel über die EUForschungsrahmenprogramme, nationale Förderlinien oder aber die Auftragsforschung von Ministerien der Mitgliedstaaten. Auch internationale Think Tanks und Institutionen wie Weltbank, IWF oder UN-Organisationen setzten sich zunehmend mit der ökonomischen Seite der EMP und ENP auseinander.21 Auch in den Mittelmeerpartnerländern hat die ökonomische Forschung zu euro-mediterranen Fragen beachtlich zugenommen. Zusätzlich zu den 21 Gründungsmitgliedern aus den arabischen MDL, der Türkei und Israel traten in den vergangenen Jahren viele neue Institute oder universitäre Fachbereiche in den MDL dem FEMISE-Netzwerk bei. Gemessen an der Anzahl der Mitglieder pro Land und der institutionellen Zugehörigkeit der von diesen Mitgliedern eingereichten Forschungsanträge beteiligten sich in den vergangenen Jahren vor allem Marokko und Tunesien gefolgt von Ägypten und der Türkei an der Forschung im Rahmen von FEMISE. Auf der Seite der EU-Mitglieder waren dies allen voran Frankreich, Italien und Spanien (s. FEMISE Staff, S. 5–6.). Daneben zählt FEMISE vier deutsche Mitglieder.22 Einige deutsche Institute leiteten oder beteiligten sich darüber hinaus seit dem Beginn der EMP an Forschungsprojekten, die durch Mittel aus EU-Rahmenforschungsprogrammen finanziert wurden.23 Trotzdem stellt die ökonomische Forschung zu den euro-mediterranen Beziehungen für die meisten dieser Institute nicht mehr als ein Randthema dar, da sie entweder an die (begrenzten) Möglichkeiten der wenigen Mitarbeiter, die sich in ihrer Forschung mit dieser 19 20 21

22

23

FEMISE erhielt in den Jahren 2005–2012 insgesamt 8,9 Mio. Euro (European Commission, 2013, S. 47). Ausführlicher siehe FEMISE Staff, 2013, S. 8–12. 1997 gründete die Weltbank zusammen mit zehn wirtschaftswissenschaftlichen Instituten aus dem Nahen Osten und Nordafrika das Mediterranean Development Forum (MDF). Diese umfassen das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, das GIGAInstitut für Nahost-Studien (IMES) in Hamburg, das Institut für Wachstum und Konjunktur (IWK) an der Universität Hamburg und das Institut für Entwicklungsforschung und Entwicklungspolitik (IEE) an der Ruhr-Universität Bochum. Das Jean Monnet Centre of Excellence an der Freien Universität Berlin koordinierte in den Jahren 2006–2008 ein aus Mitteln des 6. EU-Forschungsrahmenprogramms gefördertes Projekt zum Thema „The Political Economy of Euro-Med Governance“ (GO-EuroMed), siehe Go-EuroMed, http://www.go-euromed.org/ [Letzter Zugriff: 22.01.2014]. Unter dem 7. EUForschungsrahmenprogramm wurde das Projekt „MEDPRO – Prospective Analysis for the Mediterranean Region“ unterstützt, an dem u.a. das Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) beteiligt war, siehe MedPro – Mediterranean Prospects, http://www.medpro-foresight.eu/home [Letzter Zugriff 15.01.2014].

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Region beschäftigen, gebunden sind oder ausschließlich aufgrund der finanziellen Förderung zustande kommen. Ökonomische Effekte

Dynamische Effekte

Statische Effekte

Handelsschaffung und Handelsumlenkung

Realisierung von Skalen- und Verbundeffekten

Verlust von Zolleinnahmen

Intensivierung des Wettbewerbs

Terms-of-Trade Effekte

Sicherung und Erweiterung des Marktzugangs

Training Ground und Lerneffekte Förderung von Investitionen

Technologische Spill-Over Effekte Politische Effekte

Verankerung wirtschaftlicher Reformen und Erhöhung ihrer Glaubwürdigkeit Sicherheit und Friedenskonsolidierung

Politischer Einfluss und Verhandlungsmacht Finanzielle Zusammenarbeit und Projektkooperation Quelle: Eigene Zusammenstellung, Zorob 2006, Tab. 5.1, S. 135. Tab. 2: Wirtschaftliche und politische Effekte regionaler Integration

Aktuelle Forschungsfragen und Perspektiven Veröffentlichungen zur Mittelmeerregion und den Mittelmeerländern haben sich, wie zu erwarten, ab den 1990er Jahren vervielfacht. Dies trifft jedoch nicht nur auf die z.B. durch FEMISE und von den am Netzwerk beteiligten Instituten in Eigenregie veröffentlichten Arbeitspapiere, Forschungsberichte oder Gutachten zu, sondern auch auf eine wachsende Anzahl von Artikeln in wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fachzeitschriften. Zu letzterem trug einerseits bei, dass renommierte Verlage seit den 1990er Jahren neue Journale in ihr Programm aufnahmen, die sich speziell mit sozio-ökonomischen und politischen Fragen zur Mittelmeerregion

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auseinandersetzen.24 Andererseits fanden im Vergleich zu früheren Jahrzehnten wesentlich mehr Forschungsbeiträge den Weg in einschlägige ökonomische Fachjournale. Im Zentrum der innerhalb der letzten 15 bis 20 Jahre veröffentlichten Forschungsarbeiten standen thematisch jene, die sich mit den Effekten der im Rahmen der EMP abgeschlossenen Freihandelsabkommen, deren Potential für eine erfolgreiche Nord-Süd-Integration und den dafür erforderlichen Rahmenbedingungen beschäftigen.25 Nach dem Verständnis der EU sollten Handelsliberalisierung und begleitende marktwirtschaftliche Reformen dazu verhelfen, die Chancen der MDL für Wachstum und Entwicklung zu verbessern und langfristig einen Aufholprozess auf das in der EU vorherrschende Wohlstandsniveau anzustoßen. Solche hohen Erwartungen wurden seinerzeit aus einer sich im Zuge des ‚neuen Regionalismus‘ in den 1990er Jahren ausbreitenden Euphorie bezüglich der potentiellen Wirkkraft regionaler Freihandelsabkommen und insbesondere jenen zwischen dem ‚Norden‘ im Sinne von Industriestaaten oder großen Handelsblöcken wie der EU und sich entwickelnden Ökonomien ‚im Süden‘ wie den MDL gespeist. Nach der klassischen Zollunions- und modernen Außenhandels- und Wachstumstheorie umfassen mögliche Wirkungen, wie in Tab. 2 dargestellt, über statische Handels- und Wohlfahrtseffekte hinaus sog. ‚dynamische‘ Effekte, auf die EUPolitiker wie ihre Partner in den MDL ihre größten Hoffnungen setzten. Vor diesem Hintergrund nimmt bis heute die Analyse der Vertragsinhalte und Untersuchung ihrer Wirkungen unter Nutzung des auf diesem Gebiet üblicherweise zur Anwendung kommenden Instrumentariums statistisch-quantitativer wie qualitativer Methoden breiten Raum in der ökonomischen Forschung zum Mittelmeerraum ein. Daran beteiligten sich von Beginn an auch international renommierte Wissenschaftler und Experten, die sich in weltweit unterschiedlichen Kontexten mit Theorie und Empirie regionaler Integrationsinitiativen befassen (Rutherford, 2000, S. 145-170; Péridy, 2012, S. 571-596). Die hohen Erwartungen in die EMP waren allerdings schon lange vor den Arabischen Revolutionen einer weit verbreiteten Ernüchterung gewichen. Nicht wenige Ökonomen brachten den erhofften positiven Wirkungen von Liberalisierung und Strukturanpassung im Zuge der EMP große Skepsis entgegen (s. z. B. Nienhaus, 1999, S. 91–114; Sid Ahmed, 2003, S. 147–161). Über die restriktiven Annahmen der modellhaft möglichen Effekte hinaus hing dies vor allem damit zusammen, dass eben jene den Abschluss von ‚tiefen‘ Freihandelsabkommen und die Durchführung zahlreicher komplementärer Reformmaßnahmen auf Seiten der MDL vorausgesetzt hätten, während gleichzeitig die Liberalisierung hohe Anpassungskosten erwarten ließ. Im Gegenteil dazu konzentrierten sich die mit den MDL im Rahmen der EMP abgeschlossenen Abkommen jedoch primär auf einen 24

25

Dazu zählen Zeitschriften wie Mediterranean Politics (1996), Mediterranean Quarterly (1990), International Journal of Euro-Mediterranean Studies (2008), EuroMed Journal of Business (2006) und Confluences Méditerranée (1991). Schon aus Platzgründen kann sich der hier dargebotene Überblick leider nur auf einige Schwerpunkte der ökonomischen Forschung zum Mittelmeerraum konzentrieren.

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Abbau von Zöllen und quantitativen Beschränkungen für Industriegüter.26 Maßnahmen der ‚tieferen‘ Integration wie die Beseitigung von nicht-tarifären Handelshemmnissen (NTBs) z.B. anhand einer Harmonisierung der Standards oder aber der Einbezug von Dienstleistungen wurden in den Abkommen in den meisten Fällen nur mit dem Hinweis auf zukünftige Verhandlungen im Vertragstext genannt. Darüber hinaus sollte der stark protektionierte Agrarsektor nur sukzessive liberalisiert werden (Grethe, 1999). Eingedenk dessen, dass den MDL bereits in den 1970er Jahren zollfreier Zugang zum Markt der EU für ihre Industriegüter eingeräumt worden war, implizierten die neuen Abkommen demnach vor allem eine Öffnung ihrer Märkte für die Konkurrenz aus der EU. Vor diesem Hintergrund versuchten einige Studien die Reichweite der wenigen in den Assoziierungsabkommen gewährten Präferenzen wie auch die Effekte der weiterhin bestehenden Handelshemmnisse zu untersuchen, was u.a. einen Blick auf ‚entgangene‘ Chancen für eine Förderung landwirtschaftlicher Produktion und Armutsbekämpfung in den MDL erlaubte (s. z. B. Garcia-Alvarez Coque, 2004, S. 319–328; Hassine, 2009, S. 1–29). Gleichzeitig sind Herausforderungen wie die weit verbreitete Wasserknappheit und die Auswirkungen des Klimawandels auf Landwirtschaft und Nahrungsmittelversorgung Themen, welche die ökonomische Forschung zum Mittelmeerraum auch in Zukunft weiter beschäftigen werden (s. z. B. Hamdy, 2008, S. 13–17; Ferragina, 2010, S. 181–200). Ähnliches gilt für den Tourismus, der für die MDL einen wichtigen Beschäftigungsmotor und Devisenbringer darstellt, und wie die Landwirtschaft schon in den 1970er und 1980er Jahren das Interesse der Forschung auf sich gezogen hatte (s. z. B. Rutty, 2010, S. 267– 281). Andere Untersuchungen wiesen darauf hin, dass sich eine Öffnung der Dienstleistungen als wesentlich effektiver für Handel, Wachstum und Entwicklung in den MDL erweisen könnte. Allerdings markieren Verhandlungen darüber nicht zuletzt für viele EU-Mitglieder ein ‚heißes Eisen‘, da bestimmte Dienstleistungsformen den freien Verkehr von Personen bedingen (Konan, 2006, S. 142–162; Hoekman, 2010, S. 835–857). Eingedenk der aktuellen Bemühungen der EU, die Einwanderung anhand von Visaerleichterungs- und Rückübernahmeabkommen so weit wie möglich zu steuern, während die Dienstleistungsliberalisierung ein Kernelement der neuen DCFTAs markieren soll, dürfte in Zukunft die Forschung zu Dienstleistungen, Migration und Arbeitsmärkten weiter an Zulauf gewinnen (s. z. B. Marchetta, 2012, S. 1–47). Ähnlich wie bei den Dienstleistungen werden dem Abbau von NTBs und insbesondere technischer Handelshemmnisse hohe positive Effekte zugeschrieben. Da deren Beseitigung meistens jedoch nur über den Weg einer stärkeren Harmonisierung oder gegenseitigen Anerkennung nationaler Regulierungen zu bewerkstelligen ist, über die aktuell und in Zukunft verhandelt werden soll, werden sie die Forschung zur EMP weiter begleiten (Ghoneim, 2011). Von Interesse dürfte dabei auch die Frage danach sein, wie sinnvoll es ist, dass die MDL die Vorschriften der EU ohne regionale Anpassungen übernehmen und mit wel26

Für eine vergleichende Darstellung der in den Assoziierungsabkommen verankerten Vorschriften, siehe u.a. Hoekman, 1999, S. 89–104; Zorob, 2006, S. 61–72.

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chen Kosten der EU-Regeltransfer verbunden ist, insbesondere da für die MDL als südliche EU-Nachbarländer ein Beitritt zur Union nicht in Aussicht steht.27 Wie oben erwähnt betrachteten Skeptiker nicht nur die begrenzten Möglichkeiten zur Verbesserung des Marktzugangs für die MDL, sondern auch die zu erwartenden Anpassungskosten aus dem Güterfreihandel mit der EU mit Sorge. Die Debatte um jene konzentrierte sich zunächst auf den Verlust von Zolleinnahmen in den Staatshaushalten der MDL und die Möglichkeiten, sie durch andere Einnahmequellen zu kompensieren (s. z. B. Abed, 2000, S. 181–211; Havrylyshyn, 1997). Daneben wurden Schätzungen unternommen, wie sich die Marktöffnung auf die Industrie in den MDL auswirkt und welche Einkommens- und Beschäftigungsverluste sie in Kauf nehmen müssten, wenn ihre Unternehmen dem Wettbewerb durch Anbieter aus der EU nicht standhalten (s. z. B. Laaboudi, 2010; Elshenawy, 2013, S. 326–338; Chemingui, 2012, S. 93–115). Da bislang nur wenige Assoziierungsabkommen vollständig implementiert sind, werden diese Fragen die Forschung in den kommenden Jahren weiter begleiten. Um die Anpassungskosten zu minimieren und gleichzeitig die Voraussetzungen für die Realisierung der als weitaus erfolgversprechender betrachteten dynamischen Effekte zu schaffen, waren und sind die MDL gefordert, eine Vielzahl komplementärer Reformen zu unternehmen. Dazu zählen u.a. Maßnahmen zur Eindämmung des Risikos sog. Hub-and-spokesEffekte, die sich aus einer rein bilateralen Integration mit der EU ergeben können. Dabei führt die Marktöffnung gegenüber der EU im Extremfall und anstatt der erhofften umfangreichen Kapitalzuflüsse zu einer Umlenkung von ausländischen Direktinvestitionen in den ‚Hub‘. In diesem Kontext zogen Fragen zu Investitionen und deren Rahmenbedingungen seit Beginn der EMP großes Interesse auf sich (s. z. B. Nienhaus, 1999; Zorob, 2006; Rachid, 2011, S. 235–258). Damit in Verbindung und verstärkt durch die Auswirkungen der globalen Finanzkrise setzten sich Ökonomen in der Diskussion komplementärer Reformmaßnahmen z.B. mit der Geldund Wechselkurspolitik oder aber Fragen zu Finanz- und Kapitalmärkten, deren Liberalisierung und Governance in den MDL auseinander (s. z. B. Salhi u. Kern, 2011, S. 253–271; Neaime, 2012, S. 116–131). Viele der Mittelmeerpartner unterzeichneten in den vergangenen Jahren Freihandelsabkommen über die EU hinaus mit vielen anderen Ländern wie den USA, Kanada oder regionalen Nachbarn. Vor diesem Hintergrund zog die als spaghetti bowl phenomenon bekannte Problematik des wachsenden ‚Überlappens‘ regionaler Freihandelsvereinbarungen und dessen potentiell hohen Kosten großes Interesse auf sich. Damit in Zusammenhang stand die Frage, inwieweit eine ‚komplementäre Süd-Süd-Integration‘ im Rahmen der EMP möglich ist und Chancen für eine Eindämmung der Risiken und Kosten der ‚Nord-Süd-Integration‘ mit der EU in Aussicht stellt. Die Frage nach der ‚Möglichkeit‘ richtete sich dabei eingedenk der mannigfaltigen Hemmfaktoren einer stärkeren Zusammenarbeit unter den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens nicht nur auf deren praktische Umsetzungsfähigkeit, sondern auch auf den ‚Spielraum‘, den die Integration mit der EU dafür bot (s. 27

Für eine kritische Betrachtung der einseitigen Übernahme von Teilen des aquis communautaire, siehe z.B. Joffé, 2007, S. 255–276.

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z. B. Escribano, 2000, S. 43-80; Wippel, 2005; Zorob, 2006; 2008, S. 169–183). In Bezug auf letzteres kritisierten einige Autoren das Vorgehen der EU, dass sie sich mit der EMP und der Euro-Mediterranen Freihandelszone über existierende intraregionale Vereinbarungen hinwegsetzte.28 Inwieweit die Pan-Europäischen Ursprungsregeln, die bei ihrer Einführung als innovatives Instrument gepriesen wurden, auch den MDL nützt, um dem spaghetti bowl sich überlappender Freihandelsabkommen Herr zu werden, muss die zukünftige Forschung zu diesem Thema zeigen.29 Weit über die Kritik an Form und Reichweite der Integration mit der EU hinaus stellten einige Wissenschaftler generell in Frage, ob EMP und ENP überhaupt die passenden Konzepte für eine Förderung von Wachstum und Entwicklung in den MDL darstellen. Als Gründe dafür wurde u.a. die mangelnde Innovationsfähigkeit und Technologielücke zwischen den MDL und den Mitgliedstaaten der EU ins Spiel gebracht (s. z. B. Wurzel, 2002, S. 68–75; Brach, 2007, S. 555–579). Daneben warnten Autoren davor davon auszugehen, dass die herrschenden Eliten in den überwiegend autoritär regierten und durch klientelistische Strukturen gekennzeichneten MDL einer uneingeschränkten Intensivierung des Wettbewerbs und damit in Verbindung letztlich zu extern bestimmten wirtschaftspolitischen Reformen bereit wären (s. z. B. Schlumberger, 2000, S. 247–268). Solche Argumente gewannen vor dem Hintergrund der Arabischen Revolutionen und insbesondere der damit einhergehenden Diskussion ihrer sozio-ökonomischen Ursachen neuen Auftrieb. Dabei räumten einige Forscher ein, dass der einseitige Fokus auf die Handelsliberalisierung im Rahmen der EU-Mittelmeerpolitik möglicherweise dazu beigetragen hat, nicht nur die autoritären politischen Systeme zu perpetuieren, sondern auch die mannigfaltigen sozio-ökonomischen Probleme in den MDL weiter zu verstärken. Mit den arabischen Revolutionen hat sich daher auch der Fokus ökonomischer Forschung zur Mittelmeerregion noch einmal erweitert bzw. rückten Themen stärker in den Vordergrund, die in der Zeit vorher eher ein Schattendasein fristeten. Dazu zählen z.B. die sozialen Wirkungen der Partnerschaft mit der EU und damit in Verbindung die Notwendigkeit des Auf- und Ausbaus sozialer Sicherungsnetze, Industriepolitik und die Entwicklung klein- und mittelständischer Unternehmen oder aber die Debatte um einen neuen, inklusiven ‚Gesellschaftsvertrag‘ in den arabischen MDL (s. z. B. Martin, 2004, S. 422–458; Loewe, 2013; Galal, 2014).30 28 29

30

Neugart u. Schumacher, 2004, S. 169–191 z.B. sprechen von einer ‚Kompartmentalisierung‘ des Nahen Ostens und Nordafrikas. Mit der Ausweitung des Systems der Paneuropäischen Ursprungskumulierung auf die MDL in den 2000er Jahren sind dazu bislang lediglich erste Schätzungen im Auftrag der Kommission durchgeführt worden, siehe u.a. Augier, 2005, S. 567–624. Die Erweiterung der Themen zeigte sich z.B. auch an der Auswahl der Forschungsprojekte, die seit 2012 im Rahmen von FEMISE gefördert werden und die sich stark auf Themen wie Armut und inklusives Wachstum, Klimawandel, Innovation oder KMU-Entwicklung konzentrierten, siehe FEMISE Staff, 2013, S. 69–71.

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Schlussbemerkung Die Relevanz des Mittelmeerraums in der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung steht, wie in diesem Beitrag erörtert, primär mit dem begrifflichen Konstrukt dieser Region in Verbindung. Dies gilt nicht nur für wirtschaftshistorische Betrachtungen, sondern auch für die seit der zweiten Hälfte des 20. Jh. wachsende Auseinandersetzung mit aktuellen ökonomischen Forschungsfragen in Anlehnung an die sich sukzessive entfaltende EU-Mittelmeerpolitik. Damit einher ging insbesondere seit der Gründung der Euro-Mediterranen Partnerschaft Mitte der 1990er Jahre eine substantielle Ausweitung des Themenspektrums wirtschaftswissenschaftlicher Forschung zur Mittelmeerregion. Im Zuge der verstärkten Forschungsförderung und Netzwerkbildung erweiterte sich offensichtlich auch der Kreis der Ökonomen und Wissenschaftler im Allgemeinen, die sich über Regionalspezialisten hinaus in ihrer Forschung auch und gerade in einem interdisziplinären Rahmen mit dem Mittelmeerraum befassen. Solange die im Rahmen der EU-Mittelmeerpolitik angestoßenen Integrations- und Kooperationsprojekte weiter verfolgt und in Form und Reichweite fortentwickelt werden, sollte das Interesse an der Forschung darüber bestehen bleiben. Vieles wird aber auch davon abhängen, in welchem Umfang die ökonomische Forschung von der EU, ihren Mitgliedern und Institutionen in den Mittelmeerdrittländern in Zukunft weiterhin unterstützt und finanziell gefördert wird.

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Topographischer Index Achzib 459 Adria 75, 139, 149, 241, 275, 293, 295, 360, 377–379, 388, 449 Afghanistan 521 Afrika 23–31, 119, 129–131, 150, 172, 177, 197, 237, 273, 298, 304, 342, 360, 368, 385, 398, 400, 482, 485 Ägäis 35, 38–42, 136, 137, 147, 241, 275, 278, 292, 295, 311, 356, 375, 395, 399, 448, 452, 486, 487–488, 523, 526 Ägypten 29, 32, 37, 40, 42–44, 58, 66, 79, 169–172, 182, 190, 232–234, 236– 237, 274, 316, 322–323, 342, 348, 352, 370, 410, 433–434, 445–446, 470–471, 476, 499, 533–534 Ägypten (mod. Staat) 17, 67, 88, 417– 418, 526, 550, 554 Aix-en-Provence 69, 74, 99, 156, 332, 406 Akko/Akkon 161, 264–265, 274,–275, 295, 398, 459 Akrotiri-Aetokremnos 486 Alanya 275 Albanien 383, 449, 536–538, 541 Aleppo 163, 354, 359 Alexandria 81, 136, 146, 226, 229, 261, 275, 281, 292, 310, 360, 397 Algerien 30, 60, 67, 72–73, 81, 164–165, 254, 291, 332–333, 337, 341, 383, 406, 536–538 Algier 156, 159, 260, 331, 337, 341 Amalfi 256, 275, 311 Amarna 39 Anatolien 42, 160, 164, 424, 486, 523, 524, 526, 529 Andalusien 27, 77, 158, 259, 338, 340– 341, 405–406 Ann Arbor 69 Antiochia 398, 462 Äquatorialguinea 30 Aquitanien 268 Araba 35 Aragon 306, 310, 319

Argissa-Magula 485 Armenien 257, 463 Arta 448 Aschkalon 459 Aserbaidschan 521 Assyrien 529 Athen 47, 54, 69–70, 137, 141, 149, 200, 208, 221–222, 225, 244, 259, 261, 397 Ätna 139 Auvergne 337 Avignon 277 Babylonien 463 Bagdad 38, 161, 200, 261, 292, 304, 436 Balkan 75, 130, 206, 254, 265, 328, 340, 360, 405, 450, 487, 524, 526, 536 Banyuls-sur-Mer 377 Barcelona 70, 81, 116, 117, 138, 260, 275, 310, 315, 383–384, 538 Baskenland 66, 76, 406 Berlin 256 Bochum 67, 77, 78 Bologna 293 Bosnien-Herzegowina 384, 538 Bosporus 136, 370, 371, 399 Byblos 38, 459 Byzanz 175, 254, 258, 267–268, 273, 275, 304, 305–306, 311, 369, 399 → Istanbul → Konstantinopel Caesarea (Maritima) 459 Camp dels Ninots 138 Capri 147, 148, 150 Cassis 370 Chalkis 397 China 270, 277, 385, 435–438, 441–443 Cordoba 74, 260, 277, 294 Costa del Sol 119 Da Qin (Römisches Reich) 435 Dalmatien 75, 76, 449, 450

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TOPOGRAPHISCHER INDEX

Damaskus 160, 165, 200, 202, 314 Delos 208, 216, 468 Demircihüyük 483 Deutschland 13, 17–18, 23, 25, 31, 48, 67, 76–78, 89, 107, 145–151, 156, 177, 200– 201, 207, 263, 297, 303, 305, 307, 312, 331, 403, 411, 417, 420, 431, 451, 481, 511, 534 Dor 41 Dubrovnik 296, 360,448–450, 452 → Ragusa Dura Europos 258 Durrës 448 Ebla 38 England 95, 254, 262, 353, 359, 417, 420 Eritrea 30 Euböa 397 Ezion-Geber 460 Famagusta 274 Fayum 40 Ferrara 293 Fez 398 Florenz 133, 161, 163, 271, 277, 334, 404, 486 Franchthi-Höhle 486 Frankreich 13, 48, 51, 65, 67–68, 72–74, 76, 80, 88–90, 96, 99, 130, 155, 177, 205, 253, 292–293, 297–298, 306–307, 331, 332–333, 337, 339, 341–342, 353, 359, 404, 406–407, 411, 481, 537, 540, 542 → Südfrankreich Fuente Álamo 483 Fujian 437 Fustat 266 Galiläa 40, 461 Gaza 458 Genua 150, 275, 279, 293, 295, 306, 310, 311, 333, 436, → Golf von Genua Gesher Benot Ya’aqov 485 Gibraltar 76, 81, 147, 253, 387 → Straße von Gibraltar

Göbekli Tepe 526 Golf von Genua 237, 375 Golf von Guinea 369 Golf von Neapel 140, 147–148 Golf von Salerno 148 Gondwana 129, 130 Gortyn 468 Granada 158, 277, 314 Grazalema 68 Griechenland 41, 47, 50, 52–54, 57, 67– 68, 77, 132, 139, 147, 149, 184–185, 199– 201, 202, 206, 227, 253, 260, 298, 331, 340, 405, 406, 411, 420, 422, 447, 451, 459, 465, 469, 481, 486, 487, 495, 537, 540 Großbritannien 18, 47, 67–72, 331, 334, 341–342, 407, 508 → England → Irland → Schottland Guatemala 201 Haifa 259, 389 Haixi 436 Hattusas/Boğazköy 38, 39 Heiliges Land 146, 201, 295, 297, 312, 436 → Israel Hydaspes 224 Iberische Halbinsel 39, 158, 173, 259, 357, 369, 483, 486 Indien 163, 224–225, 261, 281, 327, 360, 368, 521 Industal 487 Irak 497, 521, 522 Iran 160, 207, 257, 521, 523 → Persien Irland 292, 339 Ischia 148, 377 Israel 31, 58, 61, 81, 182, 184, 187, 383, 388– 390, 404, 410, 457–462, 485, 494, 495, 521, 522, 524, 536, 537, 538, 542 Istanbul 93, 94, 96, 137, 141, 201, 256, 259, 354, 359, 448 → Byzanz

TOPOGRAPHISCHER INDEX

→ Konstantinopel Istrien 81, 388 Italien 30, 49, 52, 53, 57–58, 66, 68, 76, 77, 88, 91, 130, 133, 138, 139, 141, 147– 149, 155, 172–174, 176, 183, 199, 206, 253, 256, 259, 261, 268, 271, 292–293, 295, 296, 297–298, 306, 312, 331, 333– 334, 340, 342, 343, 377, 399, 404–407, 420, 437, 439, 487, 501, 503, 505, 507, 511, 537, 540, 542 → Süditalien Izmir 81, 359 Jaffa (Tel Aviv) 146, 459 Japan 385, 437–438, 439, 439–442, 443 Japanisches Meer 443 Jemen 163, 521 Jerusalem 201, 263, 295, 436, 459, 460, 463, 498 Jordanien 383, 521, 529, 536, 538 Juda 41, 457, 459, 461 Judäa 461, 468 Kabylei 337, 406, 423 Kairo 81, 147, 159, 160, 163, 200–201, 265, 273, 277, 304, 314–315, 354, 359–360, 541 Kanaan 39, 461 Kanada 546 Kanarische Inseln 26 Kap Zephyrion 228 Karthago 26, 50–51, 54 Kastanas 483 Katalonien 274, 338, 406 Kaukasus 257, 265, 268, 274, 306 Kefalonia 119 Khirokitia 486 Kleinasien 39, 50, 130, 206, 223, 468– 469, 524 Knidos 292, 468 Knossos 38 Konstantinopel 258, 263, 275, 277, 278, 292, 295, 305, 310–312, 314–315, 355, 398–399, 422, 436, 448 → Byzanz

557

→ Istanbul Konya 164 Korea 438, 443 Korfu 146, 448 Korinth 399, 464 Korsika 76, 77, 406 Kos 292, 468 Kotor 448 Kreta 38, 93–95, 136–137, 146, 157, 355– 356, 367, 448, 468, 485, 523, 525 Kroatien 383, 447–448, 451, 541 Kumidi 38 Kvarner Bucht 388 Kykladen 216, 536 Kyôto 440 Kyrenaika 463 Lampedusa 77, 503, 505, 506 Lepanto 193, 157, 279, 356, 422 Levante 35, 39–42, 158, 206, 254–255, 264–265, 274, 292, 295–296, 305, 309, 328, 340, 353, 359, 457, 459, 485–486, 521, 523–524, 528 Libanon 35, 161–163, 274, 521–522, 524 Libanon (Staat) 81, 331, 383, 458, 525, 529, 536, 538, 540 Libyen 35, 38, 165, 253, 298, 313, 333–334, 341–342 Libyen (mod. Staat) 68, 159, 383, 498, 501, 503–504, 506–509, 536–538 Lijian (Römisches Reich) 435 Lissabon 201, 437 Livorno 95, 279, 293 London 256, 261–263, 370, 447 Lucera 274 Lübeck 88–89 Macau 436, 437 Madrid 81, 201, 259, 297 Maghreb 172. 183, 201, 208, 268, 329, 331, 334–335, 338, 341, 406, 408 → Nordafrika Magna Graecia 149 Mainz 88–89 Mallorca 118, 119, 120, 122, 123

558

TOPOGRAPHISCHER INDEX

Malta 12, 59, 67, 95, 147, 157, 208, 253, 275, 279, 295, 313, 468, 487, 503–504, 507, 537–538 Manila 437 Marokko 31, 73, 76, 118, 138, 158, 161–162, 164, 165, 201, 291, 313, 331, 341–342, 383, 409, 465, 536–538, 542 Marseille 148, 259–260, 275, 279, 281, 295–297, 337, 341, 353, 359, 370, 541 Maschrek 406, 409 Mauretanien 25, 383, 536, 538, 541 Mayyidhia 275 Mazedonien 77 Mbanza Kongo (São Salvador do Congo) 29 Medina 159–160 Mekka 159–160 Menorca 77 Mesopotamien 206, 291, 463, 482, 487, 522–523 Messina 279, 376 → Straße von Messina Mezzogiorno → Süditalien Midi → Südfrankreich Milet 396 Monaco 379, 383, 497, 538 Mongolei 201 Monte Bolca 138 Montecassino 293–294 Montenegro 383, 538 Mosambik 30 Mossul 163 München 171, 258, 439, 447, 539 Mykene 523, 525 Nachal Besor 458 Naukratis 41 Neapel 70, 140–141, 147, 199, 275, 281, 293, 296, 334, 377, 398, 438, 503 → Golf von Neapel Negeb (Negev) 40, 461 Nepal 201 Niederlande 12, 67, 359, 417, 438

Nil 35, 38–41, 136, 160, 163, 360 Nordafrika 13, 27–28, 31, 52, 67, 76, 147, 150, 156–165, 206, 292–294, 304, 312, 313, 326, 329, 331–333, 339, 340, 343, 353, 355, 357, 463, 472, 540 → Maghreb Nordzypern 496, 498–499 Nubien 38–39 Okzitanien 406 Oman 521 Osmanisches Reich 75, 91, 93, 157–162, 164–165, 184, 256, 275, 277, 279, 329, 337–338, 340, 343, 353–361, 405 Österreich 48 Österreich-Ungarn 67, 74–75, 253, 256, 380, 385 Otranto 275 Padua 261, 293 Pakistan 521 Palästina 29, 146, 161, 264, 274, 343, 404, 409–410, 423, 424, 436, 457, 462, 468, 493, 495–496, 536 Palermo 259, 271, 279, 296 Palma de Mallorca 259 Pantelleria 77 Peking 201–202, 436–437, 442 Peloponnes 332, 380 Pentapolis 40, 459 Persien 50, 52, 207, 397, 424, 436, 525 → Iran Peru-nefer 37–39 Phasis 220, 224, 395 Phlegräische Felder 134, 140–141 Phönizien 460 Piräus 442, 448 Pisa 256, 268, 271, 275, 277, 293, 295, 310– 311 Poebene 171 Portugal 29–30, 157, 184, 293, 405–406, 438, 483, 537, 540–541 Provence 73 Qatna 38

TOPOGRAPHISCHER INDEX

Rabat 81 Ragusa 275, 360, 451 → Dubrovnik Rās en-Naqūra 457 Reggio d’Emilia 296 Rhodos 12, 147, 259, 275, 295, 448, 450, 468, 523 Rijeka (Fiume) 448 Rom (Stadt) 29, 53, 77, 199–201, 260, 273, 279, 281, 292, 370, 397, 436–438, 469, 503, 523, 541 Rovigno (Rovinj) 377 Rumänien 48, 447 Ryûkyû 438 Sachsen 268 Sahara 19–20, 24, 26, 76, 161, 165, 187 Saïs 41 Salerno 293–294, 298, 398 → Golf von Salerno Samaria 461, 469 Samos 468 Sanaa 200 Sarajevo 360 Sardinien 77, 208, 375 Saudi-Arabien 513, 521 Scharon Ebene 458 Schefela 458 Schottland 417 Schwarzes Meer 49, 130, 136, 146, 198, 224, 241, 277, 311, 340, 368–371, 378, 381, 395–396, 448, 463 Schweiz 417 Sevilla 70, 91, 260, 400 Shkodra 448 Sīdī Muhriz 159 Sidon 459 Sinai 35, 36, 146, 263 Sizilien 49, 54, 74, 77, 116, 147, 150, 172, 174, 208, 256, 265, 273–274, 279, 291– 292, 294–295, 310, 313–315, 340, 386, 398, 405, 436, 468, 523 Skandinavien 438 Sorrent 148 Sousse 275

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Spanien 30, 58, 61, 66, 68, 76, 88, 113, 116–117, 138, 155, 157–158, 184, 205–206, 259–261, 265, 268, 279, 291–295, 304, 312, 331, 333–334, 338, 340, 398, 405– 406, 437, 438–439, 465, 484, 513, 523, 537, 540–542 Split 448–449 Sri Lanka 201 St. Maria de l’Estany 271 Straße von Gibraltar (Säulen des Herakles/Herkules) 220, 224, 241, 280, 291, 371, 386, 395, 398, 400, 485 Straße von Messina 376 → Messina Stromboli 139 Sudan 17, 25, 41, 76 Südfrankreich (Midi) 49, 183, 206, 293, 340–341, 377 Süditalien (Mezzogiorno) 49, 66, 88, 91, 145, 334, 341, 420, 422 Suezkanal 255–256, 327, 341–342 Syrakus 259, 275 Syrien 38, 162–164, 263, 266, 268, 271, 423–424, 457, 462, 468–469, 483, 521, 529 Syrien (mod. Staat) 79, 383, 522, 524–525, 529, 536, 538, 540 Taiwan 438 Tamazra 26 Tanger 81, 82 Teheran 200, 201 Tel Aviv → Jaffa Tell el-Dab‘a 37, 42 Tethys-Ozean 129, 130, 137–138, 237 Thebais 40 Theben/Ägypten 38, 39 Thera 42, 43, 134, 135, 139 Thessalien 449, 485 Thessaloniki 259, 359, 360, 448, 467 Thrakien 226–227 Tiryns 483 Toledo 260, 294, 298 Toulon 370

560

TOPOGRAPHISCHER INDEX

Triest 147, 150, 172, 253, 378, 448 Tripolis 500–501 Tripolitanien 161, 162, 164 Trogir 275 Türkei 58, 61, 69, 77, 139, 177, 184, 200, 331, 356, 383, 407, 465, 483, 495, 498– 499, 521–522, 524, 536, 537–538, 540, 542 Tunesien 30, 51, 161–162, 164, 165, 253, 313, 331, 334, 341, 383, 386, 407, 501, 536–538, 542 Tunis 158–160, 162, 259, 310, 314, 331 Turkmenistan 521 Tyros 459 Ugarit 40, 42 Ulaanbaatar 201 Ungarn 447 Unteritalien → Süditalien USA 58, 67–72, 80, 253, 417, 508, 510, 545 Usbekistan 521 Utica 29

Venedig 75, 146, 147, 253, 256, 264, 275, 277, 278–279, 281, 293, 295–296, 306, 310–311, 333, 356, 358–360, 370, 398– 399, 450, 452 Vereinigte Arabische Emirate 521 Vesuv 132–135, 139–140, 147 Vietnam 201 Villefranche-sur-Mer 377 Vlora 448–449 Wadi Natrun 36 Wartenstein 68, 72 Westsahara (Staat) 496 Zambujal 483 Zephyrion → Kap Zephyrion Zypern 35, 39, 42, 146–147, 157, 208, 238, 295, 306, 343, 356, 447–448, 450–451, 464–465, 468, 486–487, 521–523, 525, 537–538

Personenindex ʿAbd al-Qādir 165 Abulafia, David 187 Aeneas 53, 54 Afonso I. (Kongo) 29 Aḥmad al-Manṣūr 162 Aḥmad Bey 165 Aischylos 219 Albera, Dionigi 71–72 Albert I. (von Monaco) 379 Albertus Magnus 293, 397 Albucasis (Abū l-Qāsim Ḫalaf b. ʿAbbās az-Zahrāwī) 294 Alexander d. Gr. 41, 49–50, 198, 224, 226–228, 278 Alexander von Aphrodisias 397 Alfanus von Salerno 398 al-Ḥasan al-Yūsī 163 Alhazen (Abū ʿAlī al-Ḥasan ibn alHaiṯam) 293 ʿAlī Bey 161, 162 Ali Ibn Isa (Jesus Haly) 294 Al-Idrisi (Abū ʿAbd Allāh Muḥammad b. Muḥammad b. ʿAbd Allāh b. Idrīs al-Idrīsī) 277 Alinei, Mario 176 Alkmaion von Kroton 292 Almagro Basch, Martín 259 Amenophis II. 38 Amenophis III. 39 Amerigo Vespucci 400 Anaximander von Milet 368, 395 Andres, Stefan 148, 150 Andun (Marc Aurel?) 435 Apollonios Rhodios 216 Aristipp von Kyrene 396 Aristoteles 109, 132, 292, 367–369, 375, 385–386, 397–398, 404, 533 Arrian (L. Flavius Arrianus) 368 Arsinoë II. 228 Ashtor, Eliyahu 181 Äsop 220–222 Augustinus 396

Aulus Gellius 396 Averroës (Abū l-Walīd Muḥammad b. Aḥmad b. Muḥammad b. Rušd) 292–293, 398 Avicenna (Abū ʿAlī al-Ḥusain b. ʿAbdullāh b. Sīnā) 292–293, 398 Aymard, Maurice 88, 91 Bachmann, Ingeborg 148 Bailyn, Bernard 92 Bastian, Adolf 16 Bastide, Roger 74 Baurain, Claude 52 Beda Venerabilis 369 Belting, Hans 264 Benoit, Fernand 74 Bermann, Carl Edler von 380 Bernhard von Breydenbach 146 Berque, Jacques 71 Bierhenke, Wilhelm 76 Blache, Vidal de la 89 Bloch, Marc 51, 73, 90 Boccaccio, Giovanni 399 Bono, Salvatore 96 Borneman, John 79 Boswell, James 253 Bousset, Wilhelm 420 Bromberger, Christian 74 Buchthal, Hugo 263–264 Bultmann, Rudolf 421 Buondelmonti, Cristoforo 278, 399 Burgundio von Pisa 399 Burke, Peter 92 C. Julius Solinus 385 Camus, Albert 11, 74, 172 Canistris, Opicinus de 277 Caro Baroja, Julio 66, 71 Carpenter, William Benjamin 372, 374 Cassiodor 294 Castro y Quesada, Américo 260 Celsus 292

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PERSONENINDEX

Chaunu, Pierre 91 Chevalier, Michel 72 Cicero (M. Tullius Cicero) 47 Cipolla, Carlo 91 Ciriaco d’Ancona 199, 399 Claudius Ptolemäus 218, 369 Colbert, Jean-Baptiste 353 Constantinus Africanus 294, 398 Cook, James 373 Cornaro 296 Cousteau, Jacques 372 Dante Alighieri 173–174, 400 Darwin, Charles 132, 373 Däubler, Theodor 150 Davis, John 70 Deissmann, Adolf 420 Delumeau, Jean 91 Demokrit 292 Deschamps, Paul 263 Dieterich, Albrecht 419–420 Diez, Friedrich 174 Dioskurides (Pedanius Dioscurides) 292 Dohrn, Anton Felix 376 Dom Henrique 29 Durkheim, Émile 73, 421 Eckert, Georg 77 Edschmid, Kasimir 148 Eduard I. 436 Ehrenberg, Christian Gottfried 373 Eichthal, Gustave 72 Empedokles 132, 292 Enlart, Camille 255 Epikur 396 Erasistratos von Keos 292 Esteva Fabregat, Claudio 71 Faḫr ad-Dīn 161 Fan Ye 436 Febvre, Lucien 51, 88–89 Felix Fabri 146 Fischer, Theobald 109, 150 Fischer-Kowalski, Marina 114 Folda, Jaroslav 265

Forbes, Edward 374 Forchhammer, Johann Georg 374 Francesco Petrarca 174, 399 Frank, Bruno 148 Frazer, James George 68, 419 Friedrich II. (von Hohenstaufen) 74, 146, 174, 274, 293–294 Fuchs, Helmut 76 Galen 292, 294 García y Bellido, Antonio 259 Georg von Antiochien 273 Gerhard von Cremona 294, 398 Gerhard, Eduard 200 Gerstäcker, Friedrich 145 Giese, Wilhelm 77 Giordano, Christian 77 Gladigow, Burkhard 421 Goethe, Johann Wolfgang von 133, 147, 199 Goffman, Daniel 93 Goitein, Shlomo Dov 181, 182,183, 308, 539 Golombek, Lisa 269 Gómez Moreno, Manuel 259 Gómez Moreno, María Elena 259 Grabar, Oleg 264, 267–269, 271 Gregor XIII. 437 Gregorovius, Ferdinand 148 Gröber, Gustav 174–175 Grube, Adolf Eduard 378 Güyük Khan 436 Guy de Chauliac 294 Hacı Hasan Efendi 360 Haeckel, Ernst 372 Halley, Edmund 371 Hammer-Purgstall, Joseph von 354 Hanno der Seefahrer 368–369 Harrison, Lady Jane Ellen 420–421 Hasekura Tsunenaga 437 Hass, Hans 372 Haudricourt, André-Georges 71 Hauptmann, Gerhart 148 Hauschild, Thomas 77–78, 82, 422

PERSONENINDEX

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 150, 253 Hehn, Victor 148 Henricus Aristippus 398 Hensen, Victor 374 Heraklit 292 Herder, Johann Gottfried 149 Herodot 41, 218, 385 Herophilos von Chalkedon 292 Herzfeld, Michael 70 Hess, Andrew 93–94, 355 Heurgon, Jacques 52 Hexter, Jack H. 92 Heyd, Wilhelm 539 Heydrich, Martin 76 Heyse, Paul 148 Hippokrates 292 Hiram von Tyros 460 Hoffman, Eva 269 Hölderlin, Friedrich 147–148, 150, 424 Homer 150, 219, 223, 460 Humboldt, Alexander von 75, 111 Ḫusrau (Chosroes) I. 397 Hutton, James 133 Ibn Khaldun (Walī ad-Dīn ʿAbd ar-Raḥmān ibn Muḥammad Ibn Ḫaldūn alḤaḍramī) 539 Ibrahim Pascha 358 Ilyās al-Mauṣilī 163 Innozenz IV. 436 Isaak Judaeus 294 Ismail Abu Taqiyyah 360 Jacobus Veneticus 398 Johannes de Plano Carpini 436 Johannes Philiponos 397 Johannes von Montecorvino 436 Johansen, Ulla 77 Johnson, Samuel 253 Jules Mazarin (Giulio Mazarini) 353 Jungraithmayr, Hermann 76 Justinian I. 257, 295, 305, 397, 431 Kaempfer, Engelbert 439 Kallikrates von Samos 228

563

Karl V. 279, 358 Kaschnitz, Marie-Luise 148 Kaschnitz-Weinberg, Guido von 202–203 Kästner, Erhart 148 Kellenbenz, Hermann 91 Kinser, Samuel 92 Kokot, Waltraud 77 Kondakov, Nikodim P. 262–263 Köppen, Wladimir 234 Kowalewskij, Alexander O. 378 Kublai Khan 436 Kugler, Franz 254 Kurz, Isolde 148 Lapeyre, Henri 91 Latour, Bruno 118 Le Corbusier 259–260, 280 Leo, Archipresbyter von Neapel 398 Lesseps, Ferdinand de 73, 384 Lewis, Bernhard 94 Livi, Carlo 92 Llaryora, Roberto 77 Lorenz, Josef Roman 378 Lorenzo de’ Medici 399 Ludwig IX. (von Frankreich) 436 Ludwig Salvator, Erzherzog 75 Ludwig, Emil 150 Lübke, Wilhelm 255 Lyell, Sir Charles 375 Maddalena, Aldo de 91 Maimonides → Moses Maimonides Maine, Sir Henry James Sumner 68 Mann, Thomas 147–148, 296 Mantran, Robert 92 Manuel Chrysolares 398 Marco Polo 436 Marsigli, Luigi Ferdinando Comte di 97, 370–371 Martino, Ernesto de 66, 71, 97, 422 Matteo Ricci 437 Mattingly, Garrett 92 Maull, Otto 110

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PERSONENINDEX

Maunier, René 73 Maury, Matthew Fontaine 373 Mauss, Marcel 73 Mawlāy al-Rašīd 162 Mawlāy Ismāʿīl 162 Mayer-Eymar, Charles 376 Mehmet II. 278, 358 Mehmet Pascha Sokolović 354–355, 358 Meier, Christian 47 Meinhof, Carl 23–24, 27 Melis, Federigo 91 Merenptah 40 Michael von Rhodos 277 Milne-Edwards, Alphonse 375 Möbius, Karl August 374 Moholy-Nagy, László 259 Möngke Khan 436 Monneret de Villars, Ugo 263 Montessori, Maria 58 Moortgat, Anton 522–523 Moses Maimonides 181, 185, 296, 398 Mühlmann, Wilhelm Emil 77 Mueller, G. A. Martin 77 Müller, Friedrich Max 419 Müller, Otto Friedrich 373 Muḥammad ʿAlī 164 Muḥammad b. ʿAlī al-Sanūsī 165 Murtaḍā al-Zabīdī 163 Muṣṭafā al-Bakrī 163

Paul V. 437 Paulus (Apostel) 424, 463, 468 Peristiany, John 68, 70 Petri, Helmut 77 Petrus Diaconus 294 Petrus Hispanus 293 Phaedrus 221–222 Philipp II. (von Spanien) 438 Philipp III. (von Spanien) 438 Philipp IV., der Schöne 436 Philippson, Alfred 109, 150 Pirenne, Henri 261, 305, 326, 470, 473 Piri Reis 357–358, 370 Pitt-Rivers, Julian 68, 70–72 Platen, August von 147 Platon 217–220, 222–223, 225, 395 Plinius der Ältere (Gaius Plinius Secundus) 132 Plinius der Jüngere (Gaius Plinius Caecilius Secundus) 132 Pölnitz, Götz von 91 Poseidippos von Pella 224–226, 228 Prinz, Friedrich 473 Prokop von Caesarea 295 Pseudo-Justinus 397 Ptolemaios II. Philadelphos 225–226 Pullan, Brian 92 Pyrrhon 396 Pythagoras 292

Napoleon I. 164, 255, 326, 341 Nelson, Horatio 341 Nicolaus von Kues 399 Nicolet, Claude 52 Nietzsche, Friedrich 419 Nikolaus IV. 436 Nixdorff, Heide 78

Rabban Bar Sauma 436 Ramses III. 40 Ratzel, Friedrich 15, 89 Ravis-Giordani, Georges 74 Reclus, Elisée 73 Remus 53 Richthofen, Ferdinand Freiherr von 109, 111 Riedl, Rupert 379 Riegl, Alois 256–257 Rilke, Rainer Maria 150 Risso, Antoine 375 Ritter, Carl 89 Robert Grosseteste 293 Robertson Smith, William 421

Odysseus 53–54, 216, 223, 400 Olympiodoros 397 Osman Hamdi Bey 256 Oswald von Wolkenstein 146 Palladio 279, 296 Parain, Charles 71, 73–74

PERSONENINDEX

Roger II. (von Sizilien) 273 Roger Bacon 293 Rohde, Erwin 419 Romulus 53 Rösler, Wolfgang 216 Ross, Sir James Clark 373, 375 Ross, Sir John 375 Roth, Joseph 148 Rousseau, Jacques-Louis 354 Ruggiero, Romano 91 Rühl, Alfred 110 Ruiz Martin, Felipe 91 Sabbatai Zevi 184 Sacy, Silvestre de 354 Sahure 35 Said, Edward 70, 93 Saint-Simon, Henri de 72 Salomo 278, 459–460 Sardella, Pierre 91 Schaube, Adolf 539 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 419 Schiffauer, Werner 77 Schnaase, Karl 254 Schuchardt, Hugo 175 Schumpeter, Josef 539 Schwartz, Seth 186 Secchi, Angelo 379 Sella, Domenico 92 Shalem, Avinoam 270–271 Sherer Boase, Thomas 263 Siebold, Philipp Franz von 439 Simiand, François 89 Smith, Adam 533 Sokrates 217–222, 224, 396 Solon 395 Soucek, Priscilla 267–268, 271 Spooner, Frank 91 Springer, Anton 254 Steindachner, Franz 380 Stensen, Niels 133 Stifter, Adalbert 147 Strzygowski, Josef 257–258, 261 Stumme, Hans 23, 27 Süleyman I. 358

565

Tannhäuser 146 Tenenti, Alberto 91 Thales von Milet 292, 368, 395 Theophrast 292, 397 Thomas Morus 400 Thomas von Aquin (Aquino) 293, 396, 539 Thomson, Sir Wyville 374 Tillion, Germaine 71, 73–74 Traven, B. (Ret Marut) 145 Tucci, Ugo 92 Unas 35 Urbain, Ismayl 72 Usener, Hermann 420 Vitruv 296 Vogüé, Charles-Jean-Melchior, Marquis de 295 Wagner, Richard 150 Waiblinger, Wilhelm 148 Walther von der Vogelweide 146 Walther, Johannes 372–374 Warburg, Aby 261–262 Weber, Gregor 216 Weber, Max 420, 539 Weitzmann, Kurt 263–265 Westermann, Diedrich 23–24 Weulersse, Jacques 74 Wickhoff, Franz 256–257 Wiesehöfer, Josef 52 Wilhelm II. (von Sizilien) 273 Wilhelm von Moerbeke 399 Wilhelm von Rubruk 436 Wilhelm von Tocco 396 Will, Johann Friedrich 378 Winckelmann, Johann Joachim 149, 199 Wolf, Eric 69 Xenophanes von Kolophon 132 Ẓāhir al-ʿUmar 161 Zenon von Kition 396 Zimmermann, Emil 77