Berufsrecht der Rechtsanwälte: Systematische Gesamtdarstellung 9783504385729

Das Werk behandelt in systematischer Darstellung und knapper, übersichtlicher Form das anwaltliche Berufsrecht unter all

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German Pages 432 Year 2017

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Berufsrecht der Rechtsanwälte: Systematische Gesamtdarstellung
 9783504385729

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H.-J. Ahrens Berufsrecht der Rechtsanwälte

.

Berufsrecht der Rechtsanwälte Systematische Gesamtdarstellung

von

Prof. Dr. Hans-Jürgen Ahrens Osnabrück Richter am OLG Celle a.D.

2017

Zitierempfehlung: H.-J. Ahrens, Berufsrecht der Rechtsanwälte, Rz. …

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ­http:// dnb.d-nb.de abrufbar. Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-06758-8 ©2017 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeiche­ rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungs­ beständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: VuA, Büttelborn Printed in Germany

Vorwort Das Berufsrecht der Rechtsanwälte wird in mehreren Kommentaren zur Bundes­ rechtsanwaltsordnung (BRAO) und zu den Berufsordnungen (BORA, FAO) einge­ hend erörtert. Die Kommentierungen beziehen z.T. auch Nebengesetze wie das Gesetz über den europäischen Rechtsanwalt (EuRAG) und das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) sowie das für die Berufsausübungsgesellschaften maßgebliche Gesellschafts­ recht ein. Demgegenüber fehlt eine eingehende systematisch aufgebaute Gesamt­ darstellung der Rechtsgrundlagen. Diese Lücke schließt das vorliegende Werk, das die aktuelle Rechtsprechung in den Mittelpunkt stellt. Das Berufsrecht ist nach der einschneidenden Neuordnung von 1994 noch mehrfach erheblich geändert worden. Zuletzt ist dies im Frühjahr 2017 durch eine Novelle zur BRAO und zum RDG geschehen(BGBl. I 2017, 1121). Dabei standen die Anpassung an die EU-Richtlinie zur Anerkennung von Berufsqualifikationen (2013/55/EU) und die Reaktion auf eine Entscheidung des EuGH zur Erbringung schriftlicher Dienst­ leistungen vom Ausland her im Vordergrund. Ein weiteres, verschiedene Berufe be­ treffendes Gesetz zur beruflichen Schweigepflicht hat im Frühsommer 2017 mit § 43e BRAO (ursprünglich als § 43f entworfen) eine sichere Basis für die Vergabe techni­ scher Dienstleistungen an Dritte geschaffen; das Outsourcing von EDV-Serviceleis­ tungen wird damit nicht mehr der unsicheren Beurteilung auf Grundlage der Sozial­ adäquanz überlassen. Liberalisierungen des Berufsrechts sind seit Beginn dieses Jahrhunderts einerseits vom Gesetzgeber, andererseits aber auch vom Bundesverfassungsgericht ins Werk ge­ setzt worden. Das BVerfG hat dabei z. T. eigenen rechtspolitischen Ehrgeiz entfaltet und Gestaltungsmacht beansprucht, die einem Verfassungsgericht nicht zukommt. Politischer Gestaltungswille wird auch von der EU-Kommission in Anspruch genom­ men. Sie scheint den Anwaltsberuf allerdings nur noch aus der Perspektive des Mark­ tes wahrzunehmen. Ob eine berufsrechtliche Regulierung allein aus der Sicht der sog. „Verbraucher“ zu rechtfertigen ist, oder ob es dafür auch Gemeinwohlgründe gibt, die das Vertragsverhältnis zwischen Anwalt und Mandant überwölben, steht auf dem Prüfstand. Die rechtspolitische Zerrissenheit der deutschen Anwaltschaft erleichtert die zu führende Diskussion bzw. die anschließende Beschlussfassung nicht. Auch wer sich zur Gemeinwohlorientierung der Regulierungsziele bekennt, darf nicht der kritischen Frage ausweichen, ob Detailregelungen auf hoch abstrakter Argumen­ tationsebene mit Scheinrechtfertigungen an der Lebenswirklichkeit vorbei unter­ füttert werden. Das wiederum ist geeignet, Regulierungen überhaupt in Misskredit zu  bringen und Normen durch Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu stutzen. Der Autor dieses Werkes nimmt dazu aus der Perspektive des beruflichen Außenseiters, jedoch mit jahrzehntelang gesammelten Binneneinblicken Stellung. Der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages hat im März 2017 den § 43e BRAO in der Fassung des Regierungsentwurfs zur BRAO-Novelle gestrichen. Mit ihm sollte die Teilnahme an einer zehnstündigen Fortbildungsveranstaltung zum Berufsrecht V

Vorwort

für Junganwälte zur Pflicht gemacht werden. Nunmehr soll das auch vom Rechtsaus­ schuss festgestellte erhebliche Wissensdefizit durch eine verbesserte Ausbildung im Studium und im Referendariat ausgeglichen werden. Dafür möge dieses Werk als Ar­ beitsgrundlage dienen. Nukleus dieses Werkes war in den 80-er Jahren ein umfangreicher Länderbericht für einen Weltprozessrechtskongress, der in mein 1996 erschienenes Werk „Anwaltsrecht für Anfänger“ eingegangen ist. Von dessen Text hat die Vielzahl an Reformen kaum etwas übrig gelassen. Allerdings resultiert daraus eine Reihe von rechtsvergleichen­ den Hinweisen. Sie verstehen sich nicht als Versuch einer systematischen Rechtsver­ gleichung, sollen aber wegen ihrer Eignung als Anregung für die rechtspolitische Dis­ kussion auch nicht getilgt werden; sie sind jeweils aktualisiert worden. Berücksichtigt worden ist bereits § 43e BRAO, obwohl die Beschlussfassung des Bun­ destages erst nach Redaktionsschluss in der letzten Juniwoche erfolgt ist; eventuelle Änderungen im Anschluss an die Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss vom 15.5.2017 werden den Text dieses Werkes nicht berühren. Berücksichtigt worden ist auch das Datenschutz-Anpassungs- und Umsetzungsgesetz, das am 27.4.2017 vom Bundestag beschlossen worden ist und am 12.5.2017 die Zustimmung des Bundesra­ tes erhalten hat; die Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt stand bei Druckbeginn noch aus. Stand der Rechtsprechung ist der 1. Mai 2017. Göttingen, Pfingsten 2017

VI

Hans-Jürgen Ahrens

Inhaltsverzeichnis Seite

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Literaturverzeichnis – Gesamtdarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI Einleitung Die Tätigkeit des Rechtsanwalts als regulierter Beruf § 1 § 2 § 3 § 4 § 5 § 6 § 7

Bedeutung und Gegenstand der Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Weitere Rechtsquellen des Berufsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Der Anwaltsberuf als regulierter Beruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Unabhängigkeit des Anwalts von Staat und Mandant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Das Berufsbild des Anwalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Art der Berufsausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Entwicklung des Berufsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Teil 1 Institutionen der anwaltlichen Selbstverwaltung

§ 8 Kammern als Selbstverwaltungskörperschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 § 9 Berufsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 § 10 Disziplinarangelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 § 11 Berufsständische Altersversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Teil 2 Zulassung zur Rechtsberatung § 12 § 13 § 14 § 15 § 16 § 17 § 18

Zulassung als Einzelanwalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Zulassungsbehörde, Verfahren, Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Weitere Zulassungsvoraussetzungen, Erlöschen der ­Zulassung . . . . . . . . . . 77 Zulassungswirkungen, Zulassungsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Zulassung als Syndikusrechtsanwalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Zulassungsrücknahme, Zulassungswiderruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 Zulassung des zugewanderten Anwaltsbewerbers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Teil 3 Gemeinschaftliche Berufsausübung

§ 19 Allgemeine Beschränkungen der Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 § 20 Die überörtliche Sozietät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 VII

Inhaltsverzeichnis

§ 21 Gesellschaftsrechtliche Rechtsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 § 22 Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 § 23 Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 § 24 Sonstige Formen der Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Teil 4 Stellung des Rechtsanwalts im System der Rechtspflege § 25 Berufspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 § 26 Schweigepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 § 27 Interessenkonflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 § 28 Sachlichkeitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 § 29 Werbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 § 30 Fachanwaltschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 § 31 Straftatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 § 32 Gebührenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 § 33 Regelungen der Verfahrensgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 § 34 Marktregulierung durch das Rechtsdienstleistungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . 252 Teil 5 Verfassungsrecht, EMRK, Unionsrecht § 35 Rechtspflegenormen in GG, EMRK und GRCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 § 36 Relevante Normen des GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 § 37 Dienstleistungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 § 38 Zuwanderung ausländischer Rechtsanwälte und ­Anwaltsbewerber . . . . . . 301 § 39 Grenzüberschreitende Tätigkeit deutscher Rechtsanwälte . . . . . . . . . . . . . . 311 § 40 Berufsrechtliche Normen für grenzüberschreitende ­Dienstleistungen (CCBE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 § 41 Unionskartellrecht, Art. 101 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 § 42 Berufspflichten kraft Satzungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 Teil 6 Mandant und Rechtsanwalt § 43 Anwaltsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 § 44 Anwalt als Prozessvertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 § 45 Schadensersatzhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393

VIII

Literaturverzeichnis – Gesamtdarstellungen Feurich/Weyland, BRAO (mit BORA, FAO, PartGG, EuRAG und PAO), 9. Aufl. 2015 Gaier/Wolf/Göcken, Kompaktkommentar Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl. 2017 Hartung/Scharmer, BORA/FAO, 6. Aufl. 2016 Henssler/Prütting, Bundesrechtsanwaltsordnung (mit BORA, FAO, EuRAG, CCBE, RDG PartGG), Kommentar, 4. Aufl. 2014 Kilian/Koch, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl. 2017 Kilian/vom Stein/Offermann-Burckart, Praxishandbuch Anwaltsrecht, 2. Aufl. 2010 Kleine-Cosack, Bundesrechtsanwaltsordnung, 7. Aufl. 2015

IX

Abkürzungsverzeichnis a.A. andere Auffassung ABA American Bar Association Abh. Abhandlung(en) ABl.EG/EU Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften / Union ABS Alternative Business Structures AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der EU a.F. alte Fassung AG Aktiengesellschaft AG (Gerichtssitz) Amtsgericht All E.R. All England Law Reports (Zeitschrift) ÄndG Änderungsgesetz AnwBl Anwaltsblatt (Zeitschrift) AnwG Anwaltsgericht oder Anwaltsgesetz (kantonales Schweizer Recht) AnwGH Anwaltsgerichtshof AnwS Anwaltssenat AO Abgabenordnung ARB Allgemeine Rechtsschutzversicherungsbedingungen ArbGG Arbeitsgerichtsgesetz Art. Artikel/article Ass’n Association AVO Ausführungsverordnung Bad.-Württ. (BW) Bafög

Baden-Württemberg Bundesgesetz über individuelle Förderung der Ausbildung (Bundesausbildungsförderungsgesetz) BAT Bundes-Angestelltentarif BauGB Baugesetzbuch BayEGH Bayerischer Ehrengerichtshof BayObLG Bayerisches Oberstes Landesgericht BB Der Betriebs-Berater (Zeitschrift) BBG Bundesbeamtengesetz Bbg. Brandenburgisch(e) BDSG Bundesdatenschutzgesetz Beil. Beilage BerHG (BRHG) Beratungshilfegesetz Bespr. Besprechung Bf. Beschwerdeführer BfA Bundesversicherungsanstalt für Angestellte BFH Bundesfinanzhof BFHE Entscheidungen des BFH BG s. SchwBG BGBl Bundesgesetzblatt XI

Abkürzungsverzeichnis

BGE BGFA

Entscheidung des Schweizerischen Bundesgerichts Bundesgesetz über die Freizügigkeit von Anwältinnen und Anwälten (Schweiz) BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen BKAG Gesetz über das Bundeskriminalamt Bl.f.Zürch.Rspr. Blätter für Zürcherische Rechtsprechung BNotO Bundesnotarordnung BORA Berufsordnung der Rechtsanwälte BRAGO Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte BRAK Bundesrechtsanwaltskammer BRAK-Mitt. Bundesrechtsanwaltskammer-Mitteilungen BRAO Bundesrechtsanwaltsordnung BR-Drs. Drucksachen des Deutschen Bundesrates BReg Bundesregierung Brfg Berufung Brüssel Ia-VO Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 über die gerichtliche ­Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen BSG Bundessozialgericht BT-Drs. Drucksachen des Deutschen Bundestages BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Cal. c.c. CCBE CNCE (=CNUE)

California codice civile Rat der Anwaltschaften der EG Konferenz der Notariate der EG

DAJV DAV DB DDR Decr. n. DIHT DIN DJT DL-InfoV

Deutsch-Amerikanische Juristen-Vereinigung Deutscher Anwaltsverein Der Betrieb Deutsche Demokratische Republik Décret numéro Deutscher Industrie- und Handelstag Deutsche Industrie-Norm Deutscher Juristentag Verordnung über Informationspflichten für Dienstleistungs­ erbringer Deutsche Mark Deutsche Notar-Zeitung Deutsches Richtergesetz Deutsche Richterzeitung Datenschutzgrundverordnung (der EU) Deutsches Steuerrecht deutsch Deutsch-Deutsche Rechts-Zeitschrift Deutsches Verwaltungsblatt

DM DNotZ DRiG DRiZ DSGVO DStR dt. DtZ DVBl XII

Abkürzungsverzeichnis

EC European Commission EDV Elektronische Datenverarbeitung EFTA European Free Trade Agreement EG Europäische Gemeinschaft EGE (= EGHE) Ehrengerichtshof Entscheidungen EGGVG Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz EGH Ehrengerichtshof EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EGV Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (­früher EWGV) Einl. Einleitung EMRK Europäische Menschenrechtskonvention EStG Einkommensteuergesetz EU Europäische Union EuGH Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften EuR Europarecht (Zeitschrift) EuRAG Gesetz über den Europäischen Rechtsanwalt EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWiR Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht EWIV Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung EWIV-VO Verordnung (EWG) des Rates vom 25.7.1985 über die ­Schaffung einer Europäischen Wirtschaftlichen Interessen­ vereinigung EWR Europäischer Wirtschaftsraum FamFG

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den ­Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit FamRZ Zeitschrift für das gesamte Familienrecht FAO Fachanwaltsordnung FGG Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichts­ barkeit FGO Finanzgerichtsordnung FIW Forschungsinstitut für Wirtschaftsreform und Wettbewerb e.V. Köln FS Festschrift G Gesetz GATS General Agreement on Trade in Services GATT General Agreement on Tariffs and Trade Gbl. Gesetzesblatt der DDR GbR Gesellschaft bürgerlichen Rechts GenG Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossen­ schaften GG Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland GKG Gerichtskostengesetz XIII

Abkürzungsverzeichnis

GmbHR GmbH-Rundschau (Zeitschrift) GoA Geschäftsführung ohne Auftrag GRCh Grundrechtecharta (der EU) Grdz. Grundzüge GRUR Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (Zeit­schrift) GWB Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen HGB Handelsgesetzbuch Hrsg. Herausgeber HS Hauptsache IM IPRax

Informeller Mitarbeiter Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts (­Zeitschrift)

JR Juristische Rundschau (Zeitschrift) JurBüro Das juristische Büro (Zeitschrift) JuS Juristische Schulung (Zeitschrift) JZ Juristen-Zeitung Kap. Kapitel KG Kammergericht KG a.A. Kommanditgesellschaft auf Aktien KK/Bearbeiter Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung KOM Dokument der Kommission der Europäischen Gemein­ schaften/Union krit. kritisch KUG Kunsturheberrechtsgesetz Kurzinf. Kurzinformation(en) KV-GKG Kostenverzeichnis zum Gerichtskostengesetz KWG Kreditwesengesetz L.Ed. Lawyer’s Edition (USA) LG Landgericht LLP Limited Liability Partnership LS Leitsatz LSG Landessozialgericht MarkenG Markengesetz MDR Monatsschrift für Deutsches Recht (Zeitschrift) MfS Ministerium für Staatssicherheit Mitt. Mitteilungen MMR MultiMedia und Recht (Zeitschrift) MRK siehe EMRK XIV

Abkürzungsverzeichnis

NdsRpfl. Niedersächsische Rechtspflege N.E. North Eastern Reporter n.F. neue Fassung NGO Niedersächsische Gemeindeordnung NJW Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) NJW-RR NJW Rechtsprechungs-Report-Zivilrecht No. Numéro Nr. Nummer n.rkr. nicht rechtskräftig NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NVwZ-RR Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Rechtsprechungs-­ Report NZA Neue Zeitschrif für Arbeits- und Sozialrecht NZV Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht OG Österr.JZ (ÖJZ) OWiG

Obergericht (Schweiz) Österreichische Juristen-Zeitung Gesetz über Ordnungswidrigkeiten

PartGG Partnerschaftsgesellschaftsgesetz PartGmbB Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung PartnerschaftsregVO Partnerschaftsregisterverordnung PatAnwO Patentanwaltsordnung PflVG Pflichtversicherungsgesetz PHI Produkthaftpflicht international (Zeitschrift) PostO Postordnung PRV PartnerschaftsregisterVO RA Rechtsanwalt RabelsZ Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht RADG Rechtsanwaltsdienstleistungsgesetz RAG Rechtsanwaltsgesetz RAK Rechtsanwaltskammer RAO Rechtsanwaltsordnung (Österreich) RAZPrG Gesetz zur Überprüfung der Zulassung von Rechtsanwälten RBerG Rechtsberatungsgesetz RDG Rechtsdienstleistungsgesetz Rdn. Randnummer RechtsanwaltsVO Rechtsanwaltsverordnung der DDR RegE Regierungsentwurf RIW Recht der internationalen Wirtschaft (Zeitschrift) RL Richtlinie (der EU) RL-BA Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs (der österreichischen Rechtsanwaltskammer) XV

Abkürzungsverzeichnis

ROM II-VO

Verordnung (EG) Nr. 864/2007 über das auf außervertrag­ liche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Rpfleger Der Deutsche Rechtspfleger (Zeitschrift) Rs. Rechtssache Rspr. Rechtsprechung RStV Rundfunkstaatsvertrag RVG Rechtsanwaltsvergütungsgesetz S. Seite s. siehe Sachgeb. Sachgebiet Sächs. Sächsisch(e) SchlHA Schleswig-Holsteinische Anzeigen SchwBG (BG) Schweizer Bundesgericht SchwJZ (SJZ) Schweizerische Juristen-Zeitung SCP Societé Civile Professionelle S.Ct. Supreme Court Reporter (USA) SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands SGB VI Sozialgesetzbuch, Buch VI SGG Sozialgerichtsgesetz Slg Sammlung St Strafsachen StA Staatsanwaltschaft Stasi Staatssicherheitsdienst StB Steuerberater StBerG Steuerberatungsgesetz Stellv. Stellvertreter StGH Staatsgerichtshof stg.Rspr. ständige Rechtsprechung StPO Strafprozessordnung StREG Gesetz über die Entschädigung von Strafverfolgungs­ maßnahmen TMG Telemediengesetz TRIPS Trade Related Aspects on International Property Rights Tz. Textziffer UG Unternehmergesellschaft UmwG Umwandlungsgesetz US United States U.S. United States Reports UWG Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Verb. Verbindung VerfGH Verfassungsgerichtshof (Österreich) VergVerz Vergütungsverzeichnis XVI

Abkürzungsverzeichnis

Verh. Verhandlungen VersR Versicherungsrecht (Zeitschrift) VG Verwaltungsgericht VGH Verwaltungsgerichtshof vgl. vergleiche VO Verordnung VVG Versicherungsvertragsgesetz VwGH Verwaltungsgerichtshof (Österreich) VwGO Verwaltungsgerichtsordnung VwVfG Verwaltungsverfahrensgesetz VwZG Verwaltungszustellungsgesetz WiB wistra W.L.R. WM

Wirtschaftsrechtliche Beratung (Zeitschrift) Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht Weekly Law Reports Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht, Wertpapier­ mitteilungen, Teil IV WP Wirtschaftsprüfer WPO Wirtschaftsprüferordnung WRP Wettbewerb in Recht und Praxis (Zeitschrift) WTO World Trade Organization (Welthandelsorganisation) WuW/E Entscheidungssammlung Wirtschaft und Wettbewerb ZfS Zeitschrift für Schadensrecht ZHR Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht ZIP Zeitschrift für Wirtschaftsrecht ZPO Zivilprozessordnung ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik ZS Zivilsenat ZZP Zeitschrift für Zivilprozess

XVII

Einleitung Die Tätigkeit des Rechtsanwalts als regulierter Beruf § 1 Bedeutung und Gegenstand der Regulierung

I. Regulierung trotz Freiberuflichkeit 1. Nationale und unionsrechtliche Sonderstellung der Freien Berufe 1 2. Regelungsmaterien . . . . . . . . . . . 4 3. Gemeinwohlbelange contra rein marktwirtschaftlich bestimmte ­Leistungserbringung . . . . . . . . . . 5



4. Berufsethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

II. Rechtsquellen des Berufsrechts im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . 9 III. Formelles und materielles Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

I. Regulierung trotz Freiberuflichkeit 1. Nationale und unionsrechtliche Sonderstellung der Freien Berufe Der Beruf des Rechtsanwalts gehört zu den sog. freien Berufen. Das entspricht einer 1 Qualifizierung, die in allen EU-Staaten gebräuchlich ist und die der Anwalt mit meh­ reren anderen akademisch ausgebildeten Dienstleistern teilt. Freiheit der freien Beru­ fe bedeutet nicht die Abwesenheit von bindenden berufsrechtlichen Normen.1 Viel­ mehr weisen viele nationale Rechtsordnungen Regulierungen auf, die strenger sind, als sie für gewerbliche Betätigungen gelten. Das Unionsrecht hat diesem Befund Rechnung getragen, soweit die Union Sekundär­ 2 recht für Dienstleistungen geschaffen hat.2 Mit Hilfe des Sekundärrechts soll die grenz­ überschreitende Tätigkeit in Konkretisierung der primärrechtlichen Dienstleistungs­ freiheit (Art.  56 AEUV) und der Niederlassungsfreiheit (Art.  49 AEUV) gefördert werden. Für die regulierten Berufe gelten  – aus Sicht der EU-Kommission rechts­ politisch abträgliche3  – Ausnahmen von der allgemeinen Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG (zu ihr näher: § 37, Rn. 1016 ff.). Soweit die Regulierung in Regeln ent­ halten ist, die autonom von Berufsorganisationen gesetztes Recht darstellen, unter­ liegen sie unionsrechtlich einer kartellrechtlichen Wettbewerbskontrolle (Art. 101 f. AEUV).

1 Scholz in Maunz/Dürig, Art. 12 GG (Stand 2016) Rdn. 274. 2 S. dazu Kämmerer Gutachten H zum 68. DJT 2010, S. H 15 ff. 3 Dazu R. Stürner/Bormann NJW 2004, 1481, 1489  f.; R. Stürner Festschrift 200 Jahre Carl Heymans Verlag (2015), S. 137, 144 ff.; Henssler AnwBl 2009, 1 ff.; Kämmerer Gutachten H zum 68. DJT, S. H 49 f. und 61 ff.; Th. Mann AnwBl 2010, 551, 553 ff.

1

Einl. ­|  Anwaltstätigkeit als regulierter Beruf 3

Im nationalen Recht zeigt sich die Besonderheit freier Berufe in der Ausbildung eines speziellen Berufsrechts abseits der Marktordnungsregeln für gewerbliche Berufe. Da­ mit sind in mancherlei Hinsicht einerseits Freiheiten, andererseits erhebliche Be­ schränkungen verbunden. Beschränkungen erfolgen sowohl im Interesse der Man­ danten als auch im öffentlichen Interesse. Schon darin kommt die Wertung zum Aus­ druck, dass die Ausübung des Anwaltsberufs Teil der Rechtspflege und damit einer Ausformung der staatlichen Infrastruktur ist. 2. Regelungsmaterien

4

Die Regulierung bezieht sich im Bereich der Rechtsberatung auf eine Vielzahl von Punkten: den Zugang zum Beruf, die Zurückdrängung der Konkurrenz von Nichtan­ wälten, die Preisgestaltung, die Werbung und sonstige Außendarstellung des Markt­ auftritts, die gemeinschaftliche Berufsausübung in Gesellschaften, die Zusammenar­ beit mit anderen freien Berufen sowie das Verhalten gegenüber potentiellen oder vertraglich bereits verbundenen Mandanten sowie gegenüber Gerichten oder Behör­ den. 3. Gemeinwohlbelange contra rein marktwirtschaftlich bestimmte ­Leistungserbringung

5

Zu rechtfertigen sind die Regulierungen, mit denen zugleich Privilegien bei der Be­ rufsausübung verbunden sind, durch Gemeinwohlbelange. Sie berücksichtigen die besondere Qualität der Rechtsgüter, mit denen die Rechtspflege umgeht.4 Regulie­ rung tritt damit in Gegensatz zu einer rein marktwirtschaftlichen Betrachtung der Dienstleistungserbringung. Deren Fixierung auf Schwächen einer Regulierung hat Stürner – von ihm negativ bewertet – folgendermaßen skizziert: „Lokalisierung wird zum reinen Konkurrentenschutz für unfähige Anwälte; instanzielle Sonderzulassung wird zum unberechtigten Monopol einer Anwaltschaft, die sich zuarbeiten lässt; die gesetzliche Pauschalgebühr betrachtet man unter den Gesichtspunkten fragwürdiger Quersubventionierung und fehlender Entgeltgerechtigkeit; Werbeverbote sind Be­ schränkungen notwendiger Marktinformation; abstrakte Garantien einer gegnerfrei­ en Beratung mutieren zu unverhältnismäßigen Eingriffen in die Dienstleistungsfrei­ heit etc.“5

6

Eine rein marktwirtschaftliche Umorientierung des Anwaltsberufs leugnet Gemein­ wohlbelange (dazu auch § 3, Rn. 53). Am Thema vorbei geht es, die Debatte über eine Kommerzialisierung als Chimäre zu bezeichnen.6 Freilich darf nicht unkritisch hinge­ nommen werden, dass Einzelregelungen auf hoher Abstraktionsebene argumentie­ rend bombastisch aufgebläht gerechtfertigt werden. Damit entfernen sich die Argu­ 4 Vgl. R. Stürner Festschrift Busse (2005), S. 297, 298; Kämmerer Gutachten H zum 68. DJT, S. H 30. 5 R. Stürner Festschrift Busse, S. 297, 300/301. 6 So Kämmerer Gutachten H zum 68. DJT, S.  H 39 f, daraus aber keine durchschlagenden Konsequenzen ziehend, vgl. S. H 119 These 5.

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Bedeutung und Gegenstand der Regulierung  ­|  § 1

mentationen von der Lebenswirklichkeit und verhindern eine sachgerechte Anpassung regulierenden Berufsrechts mit dem Effekt, kuschelige Marktnischen zu erhalten. Die ständige rechtspolitische Kontrolle des Berufsrechts wird dadurch erschwert, dass 7 die Anwaltschaft in ihrer Gesamtheit zerrissen ist und unterschiedliche ökonomische Interessen verfolgt. In dieser Situation ist es erforderlich, dass der jeweilige Bundesjus­ tizminister im Dialog mit der Anwaltschaft eigene rechtspolitische Grundvorstellun­ gen entwickelt, die sich zu einem plausiblen Konzept für die sachgerechte Ausübung der einem Rechtspflegeministerium zukommenden Gestaltungsmacht zusammenfü­ gen. Daran hat es zuweilen gefehlt.7 4. Berufsethik Gelegentlich wird einer besonderen anwaltlichen Berufsethik das Wort geredet,8 de­ 8 ren Normcharakter dunkel ist und die wohl nur Appellcharakter im Sinne einer mo­ ralischen Selbstverpflichtung hat. Es verwundert nicht, dass gerade in den USA pro­ fessional ethics zum Titel von Büchern und von Kursen der American Bar Association gemacht werden. Einer besonderen Berufsethik als tertium neben oder unterhalb gemeinwohlorientiertem Berufsrecht der BRAO und der BORA im Range von soft law bedarf es nicht. Das belegt auch das Diskussionspapier des BRAK-Präsidiums zur Berufsethik,9 wenn man dessen Einzelthemen betrachtet.

II. Rechtsquellen des Berufsrechts im engeren Sinne Das Verständnis des Begriffs „Berufsrecht“ hängt von seinem Bezugspunkt ab. Im 9 engeren Sinne ist das Berufsrecht in der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO), im Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte (EuRAG) sowie in der Berufs­ ordnung für Rechtsanwälte (BORA) und in der Fachanwaltsordnung (FAO) nor­ miert. Hinzu treten das Gesetz über die Vergütung für Rechtsanwälte (RVG) und das Gesetz über Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit geringem Einkommen (Beratungshilfegesetz – BerHG). In einem umfassenderen Sinne gehören zum Berufsrecht weitere Gesetze, die spezi­ 10 fisch die Tätigkeit des Rechtsanwalts betreffen, sei es auch nur als einzelne Normen in umfassenderen Gesetzen mit anderem Gegenstand. Sie werden in diesem Werk eben­ falls als Berufsrecht verstanden und behandelt.

7 Von „konzeptionslosem gesetzgeberischem Flickwerk“ sprechen R.Stürner/Bormann NJW 2004, 1481, 1490. 8 Dazu Henssler AnwBl 2008, 721 ff.; Singer AnwBl 2009, 393 ff.; Herrmann AnwBl 2009, 812, 817 ff.; Filges NJW 2010, 2619, 2623; Kluth JZ 2010, 844, 850 f.; Buchman BRAK-Mitt. 2011, 115 ff.; Ignor NJW 2011, 1537, 1541 ff. 9 Stand 30.8.2010, BRAK-Mitt. 2011, 58 ff.

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Einl. ­|  Anwaltstätigkeit als regulierter Beruf

III. Formelles und materielles Gesetz 11

Die anwaltliche Dienstleistung wird nicht nur durch vom Parlament gesetzte Nor­ men, also durch formelle Gesetze gesteuert. Daneben treten materiell-rechtliche Nor­ men als Satzungsrecht, das autonom von einer Satzungsversammlung der Bundes­ rechtsanwaltskammer (BRAK) gesetzt wird (dazu auch § 25, Rn. 449).

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Bis zu zwei einschneidenden Beschlüssen des BVerfG aus dem Jahre 198710 waren berufsregelnde Normen in Standesrichtlinien enthalten, denen die Rechtspraxis in Verbindung mit der Generalklausel des § 43 BRAO die gleiche Verbindlichkeit wie Gesetzesnormen zuerkannte, indem in dem Verstoß gegen eine Standesregel ein Ver­ stoß gegen die Generalklausel gesehen wurde. Tatsächlich handelte es sich bei den Standesregeln nicht einmal um Gewohnheitsrecht, sondern nur um eine communis opinio der Rechtsanwaltschaft. Wie sich diese angebliche gemeinsame Überzeugung bildete und wie sie festzustellen war, blieb im Dunkeln. Veränderungen ließen sich nur dadurch herbeiführen, dass die jeweils aktuellen Standesregeln massenhaft über­ treten wurden, bis eine neue Mehrheitsmeinung der Berufsangehörigen festgestellt werden konnte.

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Das BVerfG hatte diese Praxis zunächst selbst gebilligt.11 Umso stärkeres Aufsehen erregten die beiden Beschlüsse von 1987. In einem verbalen Vergleich mit der franzö­ sischen Revolution und dem Sturm auf die Bastille werden sie häufig als „Bastille“-Be­ schlüsse bezeichnet. Darin hat das BVerfG in Anlehnung an zuvor ergangene Recht­ sprechung zum ärztlichen Berufsrecht den Weg zu einer Neuordnung gewiesen, die in der Schaffung von Satzungsrecht besteht. Allerdings hat es dann noch sieben Jahre gedauert, bis der Gesetzgeber dafür eine Ermächtigungsgrundlage in Form des § 59b BRAO geschaffen hat. Die erste Fassung der Satzung ist erst 1997 verabschiedet wor­ den.

10 BVerfGE 76, 171; BVerfGE 76, 196. 11 BVerfGE 36, 212, 219; BVerfGE 57, 121, 132 f.; BVerfGE 66, 337, 356.

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§ 2 Weitere Rechtsquellen des Berufsrechts I. BGB, Gesellschaftsrecht 1. Mandatsvertrag, Praxisveräußerung . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 2. Berufsausübungsgesellschaften . 17

IV. Verfahrensgesetze 1. ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2. StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

II. Rechtsanwaltsvergütung . . . . . . 21

VI. Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . 29



III. Versicherungsrecht 1. Privatversicherungsrecht a) Haftpflichtversicherung . . . . . 22 b) Rechtsschutzversicherung . . . 23 2. Sozialversicherungsrecht . . . . . . 24

V. Rechtsdienstleistungsgesetz . . . 27 VII. Recht der Europäischen Union 31 VIII. Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 IX. Wettbewerbsrecht, Telemediengesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

I. BGB, Gesellschaftsrecht 1. Mandatsvertrag, Praxisveräußerung Das Privatrecht ist Grundlage der Rechtsbeziehung zwischen Anwalt und Mandant 14 sowie der Rechtsbeziehungen von Anwälten untereinander, die eine Berufsaus­ übungsgemeinschaft bilden. Der Mandatsvertrag folgt als Geschäftsbesorgungsvertrag i. S. d. § 675 BGB den dienst­ 15 vertragsrechtlichen Regelungen der §§ 611 ff. BGB, soweit nicht Sonderregelungen eingreifen (näher: § 43, Rn. 1166). Gegenüber dem Mandanten bestehen umfangrei­ che Informationspflichten. Sie ergeben sich nicht nur aus dem Vertragsverhältnis un­ ter dem Gesichtspunkt sachgerechter Beratung, sondern zusätzlich aus der Verord­ nung über Informationspflichten für Dienstleistungserbringer (DL-InfoV) und anderen Rechtsgrundlagen, die auch für Rechtsanwälte gelten (näher § 43, Rn. 1188). Die Veräußerung einer Kanzlei stellt einen Unternehmenskaufvertrag dar. Insbeson­ 16 dere die Beachtung der anwaltlichen Schweigepflicht erfordert stellt dafür ein Hin­ dernis dar (dazu § 26, Rn. 514 ff.). Verstöße gegen das Berufsrecht können zur Un­ wirksamkeit gem. §§ 134, 138 BGB führen. 2. Berufsausübungsgesellschaften Groß ist die Spannbreite der Regelungsmöglichkeiten für die Bildung einer Berufs­ 17 ausübungsgesellschaft (dazu §§ 19 ff., Rn. 333 ff.). Die BGB-Gesellschaft (§§ 705 ff. BGB) stand bis in die 90-er Jahre als einzige Gesellschaftsform zur Verfügung. Da die Berufsausübung keine gewerbliche Tätigkeit ist, kann keine Personenhandelsgesell­ schaft gebildet werden, weil dieser Typus auf den Betrieb eines Handelsgewerbes ge­ richtet sein muss. 5

Einl. ­|  Anwaltstätigkeit als regulierter Beruf 18

Nach traditionellem gesellschaftsrechtlichen Verständnis war die BGB-Gesellschaft eine Gesamthandsgemeinschaft ihrer Gesellschafter. Die damit verbundenen Struktur­ schwächen sind durch eine rechtsfortbildende Entscheidung des BGH aus dem Jahre 2001 überwunden worden. Seither werden BGB-Gesellschaften, sofern sie Außenge­ sellschaft sind, als selbständige Rechtssubjekte qualifiziert.1 Unter Geltung der traditi­ onellen Doktrin wurde die rechtspolitische Forderung nach einer neuen Gesellschafts­ form erhoben, die an die OHG angelehnt sein sollte. Der Gesetzgeber hat sie mit dem Typus der Partnerschaftsgesellschaft geschaffen. Sie ist im PartGG unter weitgehender Verweisung auf das Recht der OHG geregelt (dazu § 22, Rn. 383 ff.). Für ihre Regist­ rierung und Publizität gem. §  15 HGB wurde das Handelsregister um einen Teil  C erweitert. Spätere Nachbesserungen des Gesetzes dienten der Haftungsbeschränkung.

19

Der Wunsch nach Verminderung der Haftungsrisiken stand Pate bei der Öffnung des Berufsrechts für die Kapitalgesellschaften. Zunächst wurde in Husarenstreichmanier contra legem, jedoch unter Berufung auf eine angebliche Verfassungswidrigkeit der Beschränkung auf Personengesellschaften als alleiniger Form gemeinsamer Berufs­ ausübung die Rechtsanwalts-GmbH richterrechtlich zugelassen. Der Gesetzgeber der BRAO hat diesen Schritt mit §§ 59c ff. BRAO nachvollzogen (dazu § 23, Rn. 416 ff.). Die Entwicklung ist dabei jedoch nicht stehengeblieben. Auch die Rechtsanwalts-AG wird heute ohne gesetzliche Grundlage praktiziert. Wegen der Bildung internationa­ ler Sozietäten und der Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit akzep­ tiert die Praxis zudem die Betätigung ausländischer Gesellschaftsformen wie die LLP.

20

Keine echte Gesellschaft ist die  Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV). Auf eine bloße Nutzung gemeinsamer Sachgüter, eventuell in Kombination mit einer gemeinsamen Arbeitgeberstellung für nichtanwaltliche Büromitarbeiter ist die Zusammenarbeit in Form einer Bürogemeinschaft (§ 24, Rn. 431 ff.) beschränkt.

II. Rechtsanwaltsvergütung 21

Die Vergütung der anwaltlichen Tätigkeit ist nicht durch § 612 BGB geregelt. Viel­ mehr trifft dafür das RVG eine detaillierte Regelung (dazu § 32, Rn. 729 ff. und 759 ff.).

III. Versicherungsrecht 1. Privatversicherungsrecht a) Haftpflichtversicherung 22

§ 51 BRAO verpflichtet den Anwalt zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung mit einer gesetzlich fixierten Deckungssumme. Mit ihr wird das Haftungsrisiko aus feh­ lerhafter anwaltlicher Rechtsdienstleistung abgedeckt. Es handelt sich um eine Pflicht­ versicherung i. S. d. §§ 113 ff. VVG (dazu § 14, Rn. 256 ff. und § 45, Rn. 1323 ff.). 1 BGHZ 146, 341 = NJW 2001, 1056.

6

Weitere Rechtsquellen des Berufsrechts  ­|  § 2

b) Rechtsschutzversicherung Hat der Mandant eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen, wird der Vergü­ 23 tungsanspruch des Anwalts durch den Rechtsschutzversicherer gedeckt. Der Anwalt ist nur faktisch begünstigt. Das Rechtsverhältnis besteht allein zwischen dem Man­ danten als Versicherungsnehmer und dem Versicherer. Es wird durch §§ 125 ff. VVG geregelt (dazu § 32, Rn. 797 ff.). Nach § 127 VVG darf die freie Anwaltswahl des Man­ danten nicht beeinträchtigt werden. Der individuelle Versicherungsvertrag erhält sei­ nen konkreten Inhalt durch Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutzversiche­ rung (ARB). 2. Sozialversicherungsrecht Für die Altersversorgung von Rechtsanwälten stehen berufsständische Versorgungs­ 24 werke zur Verfügung (dazu § 11, Rn. 216 ff.). § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI regelt die Voraussetzungen, unter denen angestellte Rechtsanwälte und Syndikusrechtsanwälte von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zugunsten der Mitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk befreit werden können. Übergangsregelungen enthält § 231 SGB VI.

IV. Verfahrensgesetze 1. ZPO Die Voraussetzungen des Anwaltszwangs und der Prozessvollmacht, die im Außen­ 25 verhältnis einen standardisierten Umfang hat, sind in §§ 78 ff. ZPO geregelt. Von be­ sonderer Bedeutung bei Versagung einer Frist ist die Möglichkeit der Wiedereinset­ zung in den vorigen Stand gem. § 233 ZPO (dazu § 44, Rn. 1267 ff.). 2. StPO Die StPO befasst sich nicht unmittelbar mit dem Rechtsanwalt, sondern spricht in 26 den §§ 137 ff. vom Strafverteidiger und der notwendigen Verteidigung (dazu § 33, Rn. 843 ff.). Zur Strafverteidigung sind neben den Rechtsanwälten auch Hochschul­ lehrer zugelassen.

V. Rechtsdienstleistungsgesetz Das RDG enthält die Nachfolgeregelung zum Rechtsberatungsgesetz, das 1936 als 27 Rechtsberatungsmissbrauchsgesetz erlassen worden ist und die Funktion hatte, aus der Anwaltschaft vertriebene jüdische Anwälte von weiterer Rechtsberatung auszu­ schließen. Nach einer notdürftigen Bereinigung um nationalsozialistische Unrechts­ tatbestände galt das RBerG nach dem zweiten Weltkrieg fort, ohne seinen illiberalen Charakter abgelegt zu haben. Die Schutzzwecke des Verbotstatbestandes wurden un­ 7

Einl. ­|  Anwaltstätigkeit als regulierter Beruf

terschiedlich interpretiert. Teilweise wurde der Schutz der Anwälte vor Konkurrenz als einer der Schutzzwecke angesehen. 28

Das RDG befasst sich mit der Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistung durch Nichtanwälte und außereuropäische Rechtsanwälte. Der Verbotsvorbehalt (§ 3 RDG) wird aufgrund einer qualitätssichernden Registrierung (§ 10 RDG) überwun­ den. Daneben treten gesetzliche Befreiungstatbestände für bestimmte Sachverhalte. Die Schutzzwecke sind gesetzlich normiert. Faktisch bewirkt das RDG Konkurrenz­ schutz für Rechtsanwälte. Näher dazu § 34, Rn. 866 ff.

VI. Verfassungsrecht 29

Das Grundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG hat sowohl unter dem Gesichtspunkt der Be­ rufszulassung als auch unter dem Gesichtspunkt der Berufsausübung zu Entschei­ dungen des BVerfG geführt (dazu § 36, Rn. 954 ff.). Beschwerdeführer waren in die­ sen Fällen Anwaltsbewerber oder Rechtsanwälte.

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Indirekte Wirkungen auf die Berufsausübung der Rechtsanwälte erzeugen Grund­ rechte der Mandanten. Soweit ihnen z. B. anwaltlicher Beistand versagt wurde, etwa als Beistand eines Zeugen bei seiner gerichtlichen Vernehmung, bedeutet die Zuer­ kennung anwaltlichen Beistandes eine Erweiterung des beruflichen Betätigungsfel­ des.

VII. Recht der Europäischen Union 31

Das primäre Unionsrecht hat für Rechtsanwälte, die unter ihrem Heimattitel grenz­ überschreitend tätig werden wollen, im AEUV mit den Grundfreiheiten der Dienst­ leistungsfreiheit und der Niederlassungsfreiheit begünstigende Rechtspositionen ge­ schaffen. Sie sind im sekundären Unionsrecht durch konkretisierende Richtlinien operationabler gemacht worden (dazu § 37, Rn. 987 ff. und § 38, Rn. 1020 ff.). Umge­ setzt worden sind die Richtlinien in Deutschland im EuRAG. Einschlägige Rechtspre­ chung des EuGH hat die nationalen Gesetzgeber mehrfach zur Nachbesserung ihrer Transformationsgesetze veranlasst.

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Die Grundrechtecharta ist ein weiteres Standbein sowohl für Rechtsanwälte im Hin­ blick auf die Berufsfreiheit als auch für die Mandanten im Hinblick auf den Anspruch auf ein faires Verfahren (Art. 47 GRCh).

33

Die Kartellrechtsbestimmungen der Art. 101 und Art. 102 AEUV sind ein Instrument zur Kontrolle von Normsetzungen im Range unterhalb der Parlamentsgesetze durch nationale Berufsorganisationen (dazu § 41, Rn. 1080 ff.).

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Weitere Rechtsquellen des Berufsrechts  ­|  § 2

VIII. Strafrecht Das StGB begrenzt und schützt anwaltliche Tätigkeit mit verschiedenen Tatbeständen 34 (näher § 31, Rn. 713 ff.). § 203 StGB sichert die anwaltliche Schweigepflicht. § 356 StGB richtet sich gegen den Parteiverrat durch Wahrnehmung von Mandaten, die Interessenkonflikte berühren. Als Strafverteidiger muss der Rechtsanwalt Aktivitäten vermeiden, die in eine Begünstigung (§ 257 StGB) oder eine Strafvereitelung (§ 258 StGB) umschlagen. Beihilfe zur Verschleierung von Vermögen, das aus Straftaten stammt, erfasst das Geldwäschegesetz in § 261 StGB. Der rechtswidrige Umgang mit Fremdgeld von Mandanten wird durch die Vermögenstatbestände der Untreue (§ 266 StGB) und der Unterschlagung (§ 246 StGB) erfasst.

IX. Wettbewerbsrecht, Telemediengesetz Das bereits erwähnte Kartellrecht der EU und das nationale Kartellrecht des GWB 35 haben Bedeutung auch für Rechtsanwälte. Das Recht gegen unlauteren Wettbewerb kommt mit Einzeltatbeständen in Betracht, 36 etwa bei der Abwehr irreführender Werbung (§§ 5, 5a UWG). Besondere Bedeutung erlangt § 3a UWG (ex § 4 Nr. 11) als Transformationsstelle für die Erzwingung von Marktverhaltensnormen durch Unterlassungsurteile, die im einstweiligen Verfügungs­ verfahren oder im ordentlichen Verfahren erlassen werden. Zu den Marktverhaltens­ normen zählen zahlreiche Vorschriften des anwaltlichen Berufsrechts. Deren Beach­ tung wird damit nicht nur mittels des Disziplinarrechts der BRAO erzwungen, sondern auf einer zweiten Schiene der Rechtsverfolgung durch Zivilprozesse, die von den Anwaltskammern, von Anwaltsvereinen oder von konkurrierenden Anwäl­ ten (§ 8 Abs. 3 UWG) als Klägern eingeleitet werden können. Für den Marktauftritt mittels einer Website sind die Informationspflichten des Tele­ 37 mediengesetzes zu beachten (§ 5 TMG).

9

§ 3 Der Anwaltsberuf als regulierter Beruf

I. Abgrenzung zu gewerblichen Tätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

II. Unabhängigkeit, Freiberuflichkeit, Organ der Rechtspflege 1. Grundaussagen der BRAO . . . . . 40 2. §§ 1–3 BRAO als Auslegungsmaximen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 III. Organ der Rechtspflege . . . . . . . 43 IV. Deregulierung und Marktwirtschaft 1. Deregulierungsdiskussion . . . . . 48



2. Gemeinwohlorientierung des Berufsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 3. Konsequenz einer Fundamentalreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 4. Rechtspolitische Vorhaben der EU-Kommission . . . . . . . . . . . . . 58 5. Reformen in England und Wales 60

V. Regulierungsaufgaben, Regulierungstechnik 1. Schutzgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2. Prävention durch abstrakte oder konkrete Gefährdungsnormen . . 63

I. Abgrenzung zu gewerblichen Tätigkeiten 38

Das Handelsrecht des HGB ist anwendbar, wenn der Unternehmer ein Handelsge­ werbe betreibt. Dadurch wird er zum Kaufmann (§ 1 Abs. 2 HGB) und eine Perso­ nengesellschaft wird zur OHG oder zur KG (§§, 105 Abs. 1, 161 Abs. 1 HGB). Der Begriff des Handelsgewerbes hat zur Voraussetzung, dass ein Gewerbebetrieb geführt wird.

39

Mangels einer gesetzlichen Definition gilt für Zwecke des HGB traditionell eine richter­ rechtliche Festlegung, die aus mehreren Merkmalen kombiniert wird. Negativ aus­ grenzend werden u. a. freiberufliche Tätigkeiten aus dem Gewerbebegriff ausgeschlos­ sen.1 Zu den davon erfassten Berufen zählen diejenigen, in denen auf wissenschaftlicher Grundlage Dienstleistungen höherer Art erbracht werden, darunter diejenigen des Rechtsanwalts, des Notars und des Patentanwalts. Das wird von den Berufsgesetzen aufgegriffen (§ 2 Abs. 2 BRAO; § 2 S. 3 BNotO; § 2 Abs. 2 PatAnwO).

II. Unabhängigkeit, Freiberuflichkeit, Organ der Rechtspflege 1. Grundaussagen der BRAO 40

Das Berufsbild des Rechtsanwaltes wird insbesondere durch die §§ 1–3 BRAO um­ schrieben. Danach ist der Rechtsanwalt ein unabhängiges Organ der Rechtspflege, das einen freien Beruf ausübt. Seine Tätigkeit ist kein Gewerbe (§ 2 Abs. 2 BRAO).

1 Baumbach/Hopt, Handelsrecht, 37. Aufl. 2016, § 1 Rdn. 12 und 19 (zugleich rechtspolitische Kritik äußernd).

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Der Anwaltsberuf als regulierter Beruf  ­|  § 3

Gem. § 3 Abs. 1 BRAO ist der Rechtsanwalt der berufene unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten. 2. §§ 1–3 BRAO als Auslegungsmaximen Aus diesen Normen lassen sich unmittelbar keine Ergebnisse ableiten. Sie haben 41 überwiegend programmatischen Charakter, sind aber als Auslegungsmaximen von methodischer Bedeutung. So hat das BVerfG das Auftreten eines Rechtsanwalts als Beistand eines Zeugen als 42 Teil seiner Berufsausübung qualifiziert. Deshalb hat es in dem Ausschluss ohne kon­ krete gesetzliche Grundlage einen Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG gesehen2 sowie aus Sicht des Zeugen als Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren.3 Aller­ dings ergibt sich daraus kein generelles Recht auf Teilnahme an nichtöffentlichen Ver­ sammlungen wie z. B. einer Wohnungseigentümerversammlung als Berater eines Ei­ gentümers.4

III. Organ der Rechtspflege Die Bedeutung der Formulierung, dass der Rechtsanwalt ein unabhängiges Organ der 43 Rechtspflege ist, ist umstritten. In der älteren Literatur wurde teilweise die Auffassung vertreten, die öffentlich-rechtliche Komponente der anwaltlichen Tätigkeit mache den Anwalt zu einem Staatsorgan bzw. der Anwalt bekleide ein öffentliches Amt.5 So ist es denn auch kein Zufall, dass die Strafvorschrift des § 356 StGB über den Partei­ verrat unter die Amtsdelikte eingereiht wurde. Zur Zeit der Schaffung des StGB waren die Anwälte in einem großen Teil Deutschlands staatliche Beamte. Heute sind aus der Systematik des StGB keine Schlussfolgerungen mehr zu ziehen.6 Völlig missglückt war eine Formulierung des Zweiten Senats des BVerfG aus dem Jahre 1975, der von einer „amtsähnlichen Stellung“ gesprochen hat.7 Der Erste Senat hat sich davon spä­ ter distanziert.8 2 BVerfGE 38, 105, 119  =  NJW 1975, 103 (mit Hinweisen auf Begrenzungsgründe S.  105); BVerfG NJW 2000, 2660, 2661. Zum unberechtigten Ausschluss eines anwaltlichen Zeugen­ beistands von der Sitzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses während der Vernehmung anderer Zeugen OVG Berlin NJW 2002, 313, 315. Zum Zeugenbeistand im Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt des Opferschutzes Klengel/Müller NJW 2011, 23 ff. 3 BVerfGE 38, 105, 115 = NJW 1975, 103, 104. 4 BayObLG NJW-RR 2002, 1307. 5 Nachweise der älteren Literatur bei Beulke Der Verteidiger im Strafverfahren (1980), S. 172 Fn.  83  ff. Historisch zur Staatsdienerstellung des Anwalts Taupitz Standesordnungen der freien Berufe, S. 114 ff., 124 ff  6 BGHSt 20, 42; Heine/Weißer in Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 29. Aufl. 2014, §  356 StGB Rdn. 2. 7 BVerfGE 38, 105, 119 = NJW 1975, 103, 105 (zum Rechtsbeistand eines Zeugen). So schon 1883 EGH 1, 140, 145. 8 BVerfGE 63, 266, 284 = NJW 1983, 1535, 1536.

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Einl. ­|  Anwaltstätigkeit als regulierter Beruf 44

Zuck hat beklagt, dass im Schrifttum das Stichwort „Organ der Rechtspflege“ offenbar als peinlich empfunden werde und daher der Schwerpunkt von Kommentierungen auf die Unabhängigkeit des Organs gelegt werde.9 Stürner und Bormann haben in ihrer Philippika gegen die Umwandlung des Anwaltsberufs in ein reines Dienstleis­ tungsgewerbe kritisiert, dass die Leitvorstellung vom Organ der Rechtspflege auf­ grund von rechtspolitischen Neubewertungen des Berufsbildes – auch in der Recht­ sprechung des BVerfG – zu einer „inhaltsleeren Worthülse“ verkomme.10 Umschrieben wird damit eine selbständige Rechtsstellung bei gleichzeitiger Einbindung in den Pro­ zess der Rechtsdurchsetzung und der Rechtsfortbildung durch die Rechtsprechung (s. auch § 36, Rn. 952). Die Berufstätigkeit des Anwalts ist Gegenstand des Prozessrechts und des Gerichtsverfassungsrechts im weiteren Sinne.11

45

Keinesfalls handelt es sich bei der Bestimmung des § 1 BRAO um eine Eingriffsnorm, die in freischaffender richterlicher Rechtsbildung zur Disziplinierung von Rechtsan­ wälten eingesetzt werden könnte.12 Zu Art.  33 GG besteht keine Nähe. Jedoch be­ schreibt der Begriff einen Legitimationsgrund für regulierende Eingriffe des Gesetz­ gebers in die Freiheit des Berufsrechts, insbesondere der Berufsausübung.13

46

Die Unsicherheit im Umgang mit dem Organbegriff mag daraus resultieren, dass die Reflektion über Strukturen der Rechtspflegeorganisation und der Rolle der Prozess­ beteiligten in den Verfahrensordnungen kaum gepflegt wird (s. dazu auch §  44, Rn. 1232).14 Auch die Institutionenökonomik hat sich dieses Themas noch nicht an­ genommen.

47

In der Funktion als Organ der Rechtspflege unterliegt der Rechtsanwalt bei der Ver­ wertung und Veröffentlichung von Informationen des Mandanten grundsätzlich kei­ ner Eigenhaftung (näher § 36, Rn. 962). Grenzen setzt das Sachlichkeitsgebot (dazu § 28, Rn. 585 ff.).

IV. Deregulierung und Marktwirtschaft 1. Deregulierungsdiskussion 48

Das anwaltliche Berufsrecht ist früher z. T. als Hemmschuh für neue Aktivitäten der Anwälte und für die Anpassung an gewandelte Bedürfnisse des Rechtsberatungs­ marktes15 angesehen worden. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ge­

9 Zuck NJW 2013, 1582. 10 R.Stürner/Bormann NJW 2004, 1481, 1483. 11 Dazu Ahrens ZZP 115 (2002), 281, 285, 296 ff. 12 Vgl. Jaeger NJW 2004, 1, 2. 13 Ahrens ZZP 115 (2002), 281, 307. 14 S. aber Stürner ZZP 123 (2010), 147, 149 ff. (rechtsvergleichende Betrachtung internationa­ ler Prozessmodelle). 15 Zu ihnen de Lousanoff ZZP 115 (2002) 357, 359 ff.

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Der Anwaltsberuf als regulierter Beruf  ­|  § 3

gen die Fortgeltung der Standesrichtlinien16 hatte ab 1987 eine kontroverse Grundla­ gendiskussion u. a. über das Berufsbild ausgelöst, die weite Bereiche des Berufsrechts erfasste.17 Auf sie gehen das Berufsneuordnungsgesetz von 1994 sowie die 1997 er­ gänzend von einer Satzungsversammlung erlassene Berufsordnung (BORA) zurück. Seither ist das Berufsrecht noch mehrfach einschneidend geändert worden. Notwendig ist es, in gewissen zeitlichen Abständen den Bedarf nach Fortbestand ein­ 49 zelner Regulierungsnormen auf den Prüfstand zu stellen und sich zumindest zu ver­ gewissern, ob es rationale Argumente für die Aufrechterhaltung der Rechtslage gibt. In diesem Sinne hat ab 1988 die Deregulierungskommission gewirkt, die Ende 1987 von der Bundesregierung eingesetzt worden war. Es war eine „unabhängige Exper­ tenkommission zum Abbau marktwidriger Regulierungen“. Sie verstand ihre Arbeit als Grundlegung für eine Ordnungspolitik, die die ökonomischen Vorteile des Wett­ bewerbs bewahrt und die die psychologischen Grundlagen einer freien Gesellschaft festigt, in der es auf Eigeninitiative und Selbstverantwortung ankommt.18 Die Kom­ mission hat sich auch mit der Regulierung des Rechtsberatungsmarktes befasst. Ihre Vorschläge richteten sich insbesondere auf die Lockerung des Gebührenrechts, die Aufhebung örtlicher Bindungen der Berufsausübung an den Kanzleistandort, die Zu­ lassung überörtlicher Sozietäten und neuer gesellschaftsrechtlicher Organisationsfor­ men, die Einschränkung von Unvereinbarkeitsregelungen für die Berufstätigkeit und des Verbotes interprofessioneller Sozietäten, die Freigabe anwaltlicher Werbung so­ wie die Zulassung konkurrierender Rechtsberater, die nach abgespeckter Ausbildung außerforensische Standarddienstleistungen erbringen.19 15 Jahre später hat sich die Monopolkommission in ihrem 16. Hauptgutachten 2004/2005 mit denselben The­ men befasst, soweit sie nicht zwischenzeitlich bereits vom Gesetzgeber der BRAO aufgegriffen und mit liberalisierender Normsetzung behandelt worden waren.20 Ganz auf Umbruch gestimmte Diskutanten haben in Frage gestellt, ob es überhaupt 50 noch der Absonderung von gewerblichen Betätigungen durch die Qualifizierung als freier Beruf mit eigenem Berufsethos und eigener Standesaufsicht bedürfe; sie er­ 16 BVerfGE 76, 171, 188 f. = NJW 1988, 191, 192 (zum Sachlichkeitsgebot); daraus Konse­ quenzen für das Werbeverbot ziehend BVerfGE 76, 196, 205 = NJW 1988, 194, 195. 17 Komplette Textentwürfe, die kontroverse Regelungsvorschläge enthielten, sind sowohl von der Bundesrechtsanwaltskammer als auch vom Deutschen Anwaltsverein vorgelegt wor­ den: BRAK-Entwurf, BRAK-Mitt., Beiheft August 1990 = MDR 1990, 753 ff.; DAV-­Entwurf, Beilage zu AnwBl. 4/1990. Der 58. Deutsche Juristentag 1990 hat sich mit dem Problem befasst; vgl. dessen Beschlüsse, NJW 1990, 2995; Referate von Koch und Zuck AnwBl. 1990, 577 ff. und 589 ff. 18 Dazu das Kommissionsmitglied Basedow in einem vor den österreichischen Notaren gehal­ tenen Vortrag, Österr. Notarzeitung 1990, 187, 189 f. 19 Dazu Basedow Österr. Notarzeitung 1990, 187, 193 f. Detaillierter der Kommissionsbericht: Deregulierungskommission, Marktöffnung und Wettbewerb (1991), Zweiter Bericht, 6. Ka­ pitel II Rechtsanwälte, S. 136–149. Erneut dazu Basedow in seinem Referat auf dem 68. DJT 2010, Band II/1 S. Q 54 ff., 62. 20 BT-Drucks. 16/2460 v. 25.8.2006, Allgemeiner Teil zu den Freien Berufen S. 373-388, spe­ ziell zu den Rechtsanwälten S. 389-412. Basedow war damals Vorsitzender der Monopol­ kommission.

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blickten darin eine überholte Bindung nach dem Muster des im 19 Jahrhundert auf­ gehobenen handwerklichen Zunftwesens.21 Derartige Stimmen haben die Gemein­ wohlbelange ignoriert und zudem übersehen, dass die Verminderung berufsrechtlicher Normen keine wirkliche Deregulierung bedeutet. 51

Die Zukunft der Freien Berufe hat der 68. Deutsche Juristentag 2010 erörtert. Für die Anwaltschaft hat das die Diskussion über das Berufsrecht erneut in Gang gebracht, ohne dass Fortschritte im Sinne einer zumindest partiellen Übereinstimmung er­ kennbar sind.22 Zu Einzelheiten wird in diesem Werk dezentral Stellung genommen.

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Die Notwendigkeit zur Achtung des Wettbewerbsprinzips und zur Rückbeziehung des Berufsrechts freier Berufe auf die ordnungspolitischen Grundlagen einer Markt­ wirtschaft darf als solche nicht in Frage gestellt werden. Das impliziert, wettbewerbs­ beschränkende Berufsregeln nicht vom primären Vorteil der Berufsangehörigen her zu rechtfertigen, sondern sie auf die Bedürfnisse der Mandanten und der Öffentlich­ keit zu beziehen. Ein Diskus­sionspapier der englischen Law Society hat das Problem 1986 zutreffend auf folgenden Punkt gebracht: „Restrictive practices can only be justi­ fied if they exist for the protection of the public“; „the needs of the consumer“ müss­ ten deren gedanklicher Ausgangspunkt sein.23 Kritisch im Blick behalten muss man dabei freilich, dass Regulierung nicht stets zum öffentlichen Wohl erfolgt, sondern auch verborgene Eigeninteressen unter Ausnutzung des Einflusses der Profession auf den Gesetzgeber bzw. Regulierungsgeber zum Tragen bringen kann.24 2. Gemeinwohlorientierung des Berufsrechts

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Deregulierung darf nicht zum Selbstzweck verkommen. Auch wenn der Anwalt am Wettbewerb teilnimmt und legitime Gewinninteressen verfolgt, ist die Abgrenzung von den Gewerbetreibenden keine berufsideologische Verschleierung und kein Ana­ chronismus, sondern Folge des Gebotes zur vorrangigen loyalen Wahrung fremder Interessen bei gleichzeitiger Relativierung der Gewinnmotivation.25 Konfliktsituatio­ nen versuchen ethische und rechtliche Standards in einem frühen Stadium vorbeu­ gend dadurch zu begegnen, dass bereits abstrakte Gefahren abgewehrt werden. Die Gemeinwohl­orientierung26 des Berufs und seiner rechtlichen Anforderungen (dazu

21 In diesem Sinne etwa der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) zur Deregulierung im Bereich der Freien Berufe (Stand: Oktober 1988). Gegen derartige Angriffe Zuck JZ 1989, 353, 355, mit dem zutreffenden Hinweis, dass die Rechtsversorgung um der Funktion des Rechts willen nicht Warencharakter erhalten dürfe. 22 Vgl. etwa Kleine-Cosack AnwBl 2010, 537 ff.; Kilian AnwBl 2010, 544 ff.; Henssler AnwBl 2013, 394 ff.; Basedow 68. DJT 2010, Band II/1 S. Q 45, 54 ff. 23 The Law Society’s contentious business committee, „Lawyers and the courts: time for some changes“, a discussion paper, 1986, zitiert nach National Consumer Council, Ordinary ­Justice, S. 65. 24 Mislav Mataija Private Regulation and the Internal Market, Oxford 2016, S. 193 f. 25 Vgl. Ahrens ZZP 115 (2002), 281, 312 ff. 26 Näher dazu Taupitz Standesordnungen der freien Berufe, S. 64 ff.

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schon oben § 1, Rn. 5 ff.) verbirgt sich auch hinter dem Begriff „Sicherung einer funk­ tionsfähigen Rechtspflege“, den das Bundesverfassungsgericht27 ständig gebraucht.28 In gleicher Weise wird die Gefahr hinreichend konkreter Interessenkonflikte in ande­ 54 ren freien Berufen bekämpft, ohne dass Art. 12 Abs. 1 GG dadurch verletzt wird. So hat das BVerfG zum gesetzlichen Verbot des § 43a Abs. 3 Nr. 1 und 7 der Wirtschafts­ prüferordnung,29 als Wirtschaftsprüfer und vereidigter Buchprüfer allgemein zu­ gängliche Aus- und Fortbildungsveranstaltungen gewerblich zu veranstalten, gesagt:30 „Die Befürchtung erscheint berechtigt, dass die ihnen obliegende Verpflichtung zur unabhängigen und unparteiischen Wahrnehmung ihrer Prüfungsaufgaben unter ei­ ner gewerblichen Veranstaltertätigkeit leidet, die nicht auf die Aus- und Fortbildung für den eigenen Berufsstand beschränkt ist“. Wird die marktwirtschaftliche Dienstleistungserbringung zum beherrschenden Leit­ 55 bild der Ausformung des anwaltlichen Berufsrechts erhoben, verkommt die Aussage des § 2 Abs. 2 BRAO, die Tätigkeit sei kein Gewerbe, zu einer schlichten Beschwö­ rungsformel gegen die Erhebung von Gewerbesteuer. 3. Konsequenz einer Fundamentalreform Der Vorrang der Mandanteninteressen vor den Erwerbsinteressen des Rechtsanwalts 56 wäre bei einer fundamentalen Veränderung der Rechtsgrundlagen dem Vertragsrecht des BGB zu entnehmen. Allerdings reagiert das Vertragsrecht im allgemeinen nur auf bereits eingetretene Pflichtverletzungen durch Schadensersatzsanktionen. Rechtspo­ litisch geboten ist demgegenüber die Sicherung im Vorfeld durch Abwehr bloßer Ge­ fährdungen von Mandanteninteressen. Sie müssen tatbestandlich fixiert werden, wozu das Berufsrecht der richtige Ort ist. Das Konkurrenzverhältnis der Anwälte untereinander und der Marktauftritt gegen­ 57 über den Rechtsuchenden würde als weiterer vermeintlicher Deregulierungsbereich mangels spezieller berufsrechtlicher Vorschriften aus­schließlich vom UWG31 und vom Kar­tellrecht (GWB) erfasst. Das würde in einer längeren Übergangszeit bis zur Bildung gesicherten anwaltsspezifischen Fallrechts nicht nur er­hebliche Rechts­ unsicherheit bewirken, sondern die Materie auch den Einwir­kungsmöglichkeiten der sachkundigen Berufsangehörigen entziehen.

27 Vgl. nur BVerfGE 63, 266, 288; BVerfGE 76, 171, 189. 28 Zur Sonderstellung des Freiberuflers Ahrens AnwBl. 1992, 247 ff. 29 Fassung v. 15.7.1994, BGBl. I S. 1569. 30 BVerfG (Kammer) NJW-RR 1996, 440, 441. 31 Vom „Wettbewerbsrecht als Surrogat für ein anwaltliches Berufsrecht“ spricht Henssler JZ 1993, 155, 157, in Anmerkung zur BGH-Entscheidung über die haftungsbeschränkte GbR (BGH NJW 1992, 3037).

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4. Rechtspolitische Vorhaben der EU-Kommission 58

Teil der Binnenmarktstrategie der EU-Kommission aus dem Jahr 2015 ist ein im Ja­ nuar 2017 vorgelegtes Dienstleistungspaket, das auch die reglementierten Berufe be­ trifft und „ungerechtfertigte oder unverhältnismäßige nationale Regulierungsmaß­ nahmen“ vermeiden soll. Ein Vorschlag für eine Richtlinie zur Durchsetzung der allgemeinen Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EU32 betrifft nach seinem Art. 1 die Einführung einer präventiv wirkenden Pflicht zur Notifizierung mitgliedstaatlicher Regulierungsentwürfe. Das würde sich nicht nur auf Novellierungen der BRAO, son­ dern auch auf Normgebung der BORA durch die Satzungsversammlung auswirken.

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Eine zeitgleich erlassene Empfehlung der EU-Kommission betrifft die Regulierung von Dienstleistungen,33 was als Vorstufe zu EU-Gesetzgebung gedacht sein dürfte. Deren Teil II 4 ist der Anwaltschaft gewidmet. Er enthält eine Übersicht über Regu­ lierungen in den Mitgliedstaaten. Die an alle Mitgliedstaaten gleichermaßen gerichte­ ten Empfehlungen lauten, dass Vorbehalte für exklusive Rechtsdurchsetzung durch Rechtsanwälte ebenso überprüft werden sollen wie Begrenzungen der Fremdinhaber­ schaft von Anteilen an Berufsausübungsgesellschaften, Inkompatibilitätsvorgaben und Restriktionen interprofessioneller Zusammenarbeit, dies jeweils in Abwägung gegen Kernprinzipien der Berufsausübung und unter Berücksichtigung von Über­ wachungsmöglichkeiten. Speziell an Deutschland gerichtet ist die Empfehlung, die Zulassung europäischer Anwälte vor dem BGH im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu überprüfen. Auch solle die Bindung der Zulassung zur Rechts­ anwaltschaft beim BGH an die Altersuntergrenze von 35 Lebensjahren (s. §  15, Rn. 284) statt an objektive Kriterien wie berufliche Erfahrungen überprüft werden. Gerade diese absonderliche Empfehlung diskreditiert die Mitteilung der EU-Kom­ mission. 5. Reformen in England und Wales

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Als besonders reformfreudig haben sich England und Wales erwiesen und deshalb mit Regelungen34, die maßgeblich auf den „Clementi-Report“ von 2004 zurückgehen, rechtsvergleichende Aufmerksamkeit erlangt. Soweit ihnen rechtspolitische Anre­ gungen entnommen werden, sollte stets der nationale Hintergrund gesehen werden, der in einem kostspieligen Rechtsschutzsystem mit oftmals doppelter Beauftragung von Solicitor und Barrister besteht.35 Jegliche Rechtsvergleichung hat zudem zu be­ achten, ob und wie Liberalisierungen von staatlicher oder staatlich geschaffener Auf­ sicht begleitet werden; beides steht zueinander in einer Wechselwirkung. In England wurden mit dem Legal Services Act von 2007 der Legal Services Board und das Office for Legal Complaints etabliert, die personell und fachlich unabhängig sowohl von der 32 Vorschlag v. 10.1.2017, COM (2016) 821 final. 33 Mitteilung v. 10.1.2017, COM (2016) 820 final; dazu Michel AnwBl 2017, 128 ff.; schon zu­ vor M.Schröder EuZW 2016, 5 ff.; Schäfer/Kleen/Riegler NJW 2015, 3404 ff. 34 Dazu Kilian/Lemke AnwBl 2011, 800 ff.; Passmore AnwBl 2014, 140 ff. 35 Eingehend dazu Arnemann-Bredohl Der Anwalt im Spannungsfeld zwischen Rechtspflege und Dienstleistung, 2010.

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Der Anwaltsberuf als regulierter Beruf  ­|  § 3

Regierung als auch von der anwaltlichen Profession agieren und die u. a. den Schutz und die Förderung öffentlicher Interessen und Interessen der Rechtsuchenden zur Aufgabe haben. Die Tätigkeit dieser Institutionen wurde auch als Meta-Regulierung der einzelnen Berufsvertretungen bezeichnet.36

V. Regulierungsaufgaben, Regulierungstechnik 1. Schutzgüter Alleiniger Zweck jeglicher Regulierung, sei es im Parlamentsgesetz der BRAO, sei es 61 in der Berufsordnung, sollte sein, Normen für die Berufszulassung und die Berufs­ ausübung auf den Schutz aktueller oder potentieller Mandanten oder den Schutz von Rechtspflegeinteressen auszurichten.37 Bedeutungslos ist, ob die Normen selbständig erzwingbar sind oder als leges imperfectae (vgl. § 888 Abs. 3 ZPO) durch ihren fest­ stellenden Charakter nur mittelbare rechtliche Wirkung erzeugen oder gar nur appel­ lierende berufsethische Funktion haben. In Bezug auf Mandanten geht es vorrangig um die vertraglich geschuldete loyale Inte­ 62 ressenwahrnehmung in Abgrenzung zur Verfolgung eigenwirtschaftlicher Anwaltsin­ teressen.38 Das unbestimmte Schutzgut „Interessen der Rechtspflege“ ist jeweils in seinen konkreten Inhalten zu identifizieren. Ausgangspunkt dafür sind die Grund­ pflichten des § 43a BRAO, jedoch erschöpfen sich die Rechtspflegeinteressen darin nicht. 2. Prävention durch abstrakte oder konkrete Gefährdungsnormen Berufsrecht hat für den Schutz der zuvor benannten Rechtsgüter bereits im Vorfeld 63 einer möglichen Verletzung durch detailliert formulierte Verhaltensnormen zu sor­ gen. Vorbeugende Sicherung kann sowohl durch abstrakte, als auch durch konkrete Gefährdungsnormen betrieben werden; das zeigt auch die rechtsvergleichende Sich­ tung der Berufsrechte. Gefährdungsnormen beruhen auf Wahrscheinlichkeitsurtei­ len, die sich auf Lebenserfahrung stützen müssen. Soweit das BVerfG gelegentlich Normen unter Einsatz des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu Fall gebracht hat, hat es die Beurteilung anderer Fachkreise durch seine eigene Lebenserfahrung ersetzt. Das kann bei einem Verdacht spekulativ angenommener Gefahren geboten sein, doch wird auch dieses Gericht im Einzelfall kritisch zu bedenken haben, ob es wirklich über mehr Lebensklugheit bei der Abgabe von Prognoseurteilen verfügt als der Ge­ setzgeber oder als Richter der Fachgerichtsbarkeiten. Nicht hilfreich ist insoweit das AperÇu des BVerfG, das anwaltliche Berufsrecht beruhe nicht auf der Annahme, eine situationsgebundene Gelegenheit zur Pflichtwidrigkeit habe im Regelfall ein pflicht­ 36 Mislav Mataija Private Regulation and the Internal Market, Oxford 2016, S. 194. 37 Näher dazu Ahrens AnwBl 2013, 2 ff. 38 Zum Geschäftsmodell eines Zahnarztes, das dessen patientenorientierte Behandlung zu­ gunsten eigenwirtschaftlicher Interessen gefährdete, BGH GRUR 2015, 1237 Tz. 18 – Er­ folgsprämie für die Kundengewinnung.

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widriges Handeln zur Folge,39 auch wenn die Aussage für sich genommen zutrifft. Abstrakt vorbeugende Normen sollen durch ihre tatbestandliche Ausgestaltung den Bedarf nach Aufklärung von Sachverhalten abschneiden, die mit Mitteln des Rechts­ staates im Einzelfall typischerweise nicht aufklärbar sind (s. dazu auch § 27, Rn. 550). 64

Nicht zu rechtfertigen sind berufsrechtliche Verbote, deren Rechtfertigung sich auf vermeintlichen Argwohn der rechtsuchenden Bevölkerung beruft, etwa über bevor­ zugte Einflussnahmechancen eines Anwalts auf eine richterliche Entscheidung. Diese Argumentation verdeckt lediglich die Unsicherheit des Normgebers, sich selbst klar zu einer tragenden Lebenserfahrung zu bekennen. Zudem sind vermeintliche Be­ fürchtungen oder Verdächtigungen der Rechtsuchenden weder schützenswert, noch haben sie eine greifbare Tatsachenbasis.

39 So BVerfG NJW 2003, 2520, 2521 in seiner Entscheidung zum Sozietätswechsler, die im Ergebnis allerdings richtig ausgefallen ist.

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§ 4 Unabhängigkeit des Anwalts von Staat und Mandant



I. Unabhängigkeit vom Staat 1. Mandantenvertrauen, Freiberuflichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 2. Inkompatibilitäten a) Öffentliche Dienstverhältnisse 67 b) Abgeordnetenfunktion, Ministerstellung . . . . . . . . . . . 71 c) Kommunale Tätigkeiten . . . . 73 3. Verhältnis zur Justiz . . . . . . . . . . . 76

II. Unabhängigkeit gegenüber dem Mandanten



1. Grundsatz der Parteiunabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 2. Syndikusrechtsanwalt . . . . . . . . . 81

III. Unabhängigkeit von Mandatsvermittlern und Kostenträgern 1. Schlepperdienste gegen Provision 82 2. Rechtsschutzversicherer . . . . . . . 84 IV. Unabhängigkeit von gesellschaftlichen Gruppen . . . . . . . . . . . . . . 85

I. Unabhängigkeit vom Staat 1. Mandantenvertrauen, Freiberuflichkeit Das Postulat der freien Advokatur geht auf eine im Jahre 1867 erschienene Schrift von 65 R. von Gneist zurück1 und kennzeichnet die Umwandlung der staatsdienerähnlichen Ausgestaltung des Advokatenstandes in einen vom Staat unabhängigen freien Beruf.2 Heute sieht das Bundesverfassungsgericht die Staatsunabhängigkeit als wesentliches Element der rechtsstaatlichen Begrenzung staatlicher Macht an, das vom Verfas­ sungsgeber in seinen Willen aufgenommen wurde.3 Jede staatliche Kontrolle und Bevormundung ist mit dem Anwaltsberuf unvereinbar. Es entspricht dem Rechtsge­ danken und dient der Rechtspflege, wenn sich der Bürger an einen Rechtsanwalt sei­ nes Vertrauens wenden kann, der die Interessen des Mandanten möglichst frei und unabhängig von staatlicher Einflussnahme wahrnehmen kann.4 Die Staatsunabhängigkeit des Anwaltsstandes kommt in verschiedenen Vorschriften 66 der BRAO zum Ausdruck. Gem. § 2 BRAO übt der Rechtsanwalt einen freien Beruf aus. Dies schließt jegliches Unterordnungs- oder Weisungsverhältnis zu Staatsorga­ nen aus. Zwischen Unabhängigkeit und Freiberuflichkeit besteht ein wechselseitiger Bezug.5 1 Gneist Freie Advokatur, Die erste Forderung aller Justizreform in Preußen, 1867. 2 Ostler Die deutschen Rechtsanwälte 1871-1971 (1971), S.  16  ff; Krämer NJW 1995, 2313, 2314. Zur völligen Abschaffung der Advokatur unter Friedrich dem Großen s. die gleichna­ mige Arbeit von Grahl. 3 BVerfGE 63, 266, 283/284; s. ferner BVerfGE 76, 171, 188. 4 BVerfGE 63, 284. Zur Frage der Konstitution freier Berufe u. a. durch die Merkmale Staats­ unabhängigkeit und Weisungsunabhängigkeit Michalski Begriff des freien Berufs, S. 97 ff., 128 ff. 5 Vgl. Krämer NJW 1995, 2313, 2314.

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2. Inkompatibilitäten a) Öffentliche Dienstverhältnisse 67

In den Vorschriften über die Zulassung zur Berufsausübung wird die Staatsunabhän­ gigkeit durch das Verbot gleichzeitiger Ausübung bestimmter anderer Tätigkeiten gesichert. Nach der Inkompatibilitätsvorschrift des § 7 Nr. 10 BRAO können Beamte nicht gleichzeitig zur Anwaltschaft zugelassen sein. Mit dem Berufsbild des Anwaltes lassen sich Weisungsgebundenheit und Abhängigkeit als wesentliche Merkmale des Dienstverhältnisses eines Beamten nicht vereinbaren.6 Dies soll sogar die Anwaltszu­ lassung beamteter Universitätsprofessoren im aktiven Dienst ausschließen, obwohl deren wissenschaftliche Unabhängigkeit durch Art. 5 Abs. 3 GG gesichert ist und sie im Hinblick darauf im zweiten Hauptamt den Rechtspflegeberuf des Richters ausüben dürfen.7

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§ 7 Nr. 10 BRAO schließt darüber hinaus eine gleichzeitige Richtertätigkeit des An­ waltes aus, doch lässt sich diese Art der Inkompatibilität anders, nämlich mit den Funktionsunterschieden beider Rechtspflegeberufe erklären. Zulässig ist allerdings die ehrenamtliche Tätigkeit als Richter in der Anwaltsgerichtsbarkeit.

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Flankierend ordnet § 14 Nr. 5 BRAO an, dass die Anwaltszulassung zurückzunehmen ist, wenn ein Rechtsanwalt zum Richter oder Beamten auf Lebenszeit ernannt wird. Wird die Tätigkeit im öffentlichen Dienst allerdings nur vorübergehend ausgeübt, endet die Zulassung nicht. Statt dessen ist dem Anwalt untersagt, den Rechtsanwalts­ beruf auszuüben, sofern nicht im Einzelfall Interessen der Rechtspflege durch die Doppelfunktion unberührt bleiben (§ 47 Abs. 1 BRAO). Daraus lässt sich mittelbar entnehmen, dass die Staatsunabhängigkeit des Anwaltes um Interessen der Rechts­ pflege willen gesichert wird.

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Die Zulassung besteht ebenfalls fort, wenn das bekleidete öffentliche Amt nicht zur Berufung in das Beamtenverhältnis führt (§ 47 Abs. 2 BRAO). Die Vorschriften über die Ausübung des Amtes können vorsehen, dass der Anwaltsberuf in diesem Fall nicht selbst ausgeübt werden darf, damit Interessen getrennt werden und Zusatzbean­ spruchungen ferngehalten werden.8 Wegen der Unsicherheit der Dauer solcher Äm­ ter soll der Anwaltsberuf jedoch nicht aufgegeben werden müssen. Auf Antrag kann ein amtlicher Vertreter bestellt werden.9 Bekleidet der Anwalt die Funktion eines Organs einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, ohne zu ihr in einem Anstellungs­ verhältnis zu stehen, greift das Tätigkeitsverbot des § 45 Abs. 1 S. 1 BRAO ein.10 6 BGH NJW 1984, 2877. 7 § 4 Abs. 2 Nr. 3 DRiG lässt die Wahrnehmung von Aufgaben der Forschung und Lehre an einer wissenschaftlichen Hochschule ausdrücklich zu und durchbricht damit das für Rich­ ter geltende Verbot der Ausübung gesetzgebender oder vollziehender Gewalt. 8 Feuerich MDR 1993, 1141, 1144. 9 Zu den Konsequenzen für Kanzleischild und Briefkopf Feuerich MDR 1993, 1141, 1144 f.; Feuerich/Weyland/Schwärzer BRAO9 § 47 Rdn. 30. 10 OVG Bautzen NJW 2003, 3504 (Vorsitz des für die Eintragung in die Architektenliste zu­ ständigen Ausschusses der Architektenkammer).

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Unabhängigkeit des Anwalts ­|  § 4

b) Abgeordnetenfunktion, Ministerstellung In einem besonderen Verhältnis zum Staat befindet sich der Rechtsanwalt als Abge­ 71 ordneter. Grundsätzlich ist die Zugehörigkeit zu einem Bundes- oder Landesparla­ ment mit der Zulassung als Rechtsanwalt vereinbar.11 Mittelbar ergibt sich dies aus Art.  VII des Gesetzes zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages vom 18. 2. 1977 (Abge­ord­ne­ten­gesetz). Durch diesen Arti­ kel12 ist Richtern und Beamten, deren Dienstverhältnis aufgrund der Wahl in den Bundestag oder einen Landtag ruht, die Möglichkeit eröffnet worden, für die Dauer des Mandats die ihnen sonst verschlossene Anwaltszulassung zu erlangen. Das Abge­ ordnetenmandat fällt nicht unter den Begriff des öffentlichen Amtes nach § 47 Abs. 2 BRAO,13 wohl aber z. B. das Amt des Bundespräsidenten, des Bundeskanzlers oder eines Bundesministers.14 Die Inkompatibilitätsregelung soll die neutrale Amtsfüh­ rung des Bundespräsidenten und der Regierungsmitglieder sichern. Für den Bund sind Art. 55 Abs. 2 GG und Art. 66 GG einschlägig. Gleichartige Regelungen finden sich in einzelnen Landesverfassungen (z. B. Art. 34 Abs. 2 S. 1 Nieders. Verfassung für Mitglieder der Landesregierung; Art. 57 BayVerf für Staatsminister). Soweit die Rechte aus der Anwaltszulassung wegen einer Ministertätigkeit ruhen, darf 72 der Name des Anwalts auf dem Briefbogen seiner Sozietät fortgeführt werden. Es muss aber zur Vermeidung einer Irreführung kenntlich gemacht werden, dass dieser Zustand besteht.15 Der Fall „Gauweiler“ (Rechtsanwalt und bayerischer Minister) hat 1993 die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, inwieweit die Zahlung von Gewinnbetei­ ligungen aus einer Sozietät bei angeordnetem Berufsausübungsverbot zulässig ist. Das ist grundsätzlich zu bejahen.16 Problematisch ist aber eine langjährige Verpach­ tung des Mandantenstammes. Sie wäre handelsrechtlich als Unternehmenspacht zu­ lässig (vgl. § 22 Abs. 2 HGB), stößt aber berufsrechtlich bereits auf das Grundsatzbe­ denken, dass der Rechtsanwalt kein Gewerbe ausübt (§ 2 Abs. 2 BRAO).17 Überdies liegt der Unterschied zum Praxisverkauf mit Vergütung des good will darin, dass die Verpachtung des Mandantenstammes die Verflüchtigung des vom bisherigen Kanz­ leiinhaber aufgebauten anwaltlichen Rufes18 ignoriert und der Pachtzins dann nur noch das Zutreiben von Mandanten vergüten kann. Gesondert zu betrachten ist, ob nicht eine kalkulatorische Kapitalisierung des monatlichen Pachtzinses die Unange­ messenheit der Vergütungshöhe ergibt und zur Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB führen muss.

11 BGHZ 72, 70, 73 = NJW 1978, 2098; Feuerich/Weyland/Vossebürger BRAO9 § 7 Rdn. 163. 12 Geändert wurde § 7 Nr. 10 BRAO. 13 BGHZ 72, 70 74 = NJW 1978, 2098 (terminologisch jedoch abweichend). 14 Feuerich MDR 1993, 1141, 1143. 15 Vgl. BGH NJW 1997, 3238, 3239. 16 Feuerich MDR 1993, 1145 f.; Kleine-Cosack BRAO7 § 47 Rdn. 20. 17 Zulässigkeit bejahend Zuck NJW 1993, 3118, 3119. 18 Das kann sich bei Dauerberatungsmandaten von Wirtschaftsprüfern oder Steuerberatern anders verhalten.

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Einl. ­|  Anwaltstätigkeit als regulierter Beruf

c) Kommunale Tätigkeiten 73

Vereinbar ist die Anwaltstätigkeit auch mit der Mitgliedschaft in einem Gemeinderat oder einem sonstigen Kommunalverband. Allerdings muss der Rechtsanwalt ein im Einzelfall bestehendes Tätigkeitsverbot beachten. Ungeklärt ist, wie weit sich ein der­ artiges Tätigkeitsverbot für Inhaber kommunaler Ehrenämter und für Ratsmitglieder schon aus der allgemeinen Regelung über die Vermeidung eines Interessenwider­ streits (§ 43a Abs. 4 BRAO, ex § 45) ableiten lässt. Unabhängig davon kann sich ein Tätigkeitsverbot aus der jeweiligen Gemeindeordnung ergeben.19

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Inhabern kommunaler Ehrenämter und Ratsmitgliedern obliegt eine besondere Treuepflicht gegenüber der Gemeinde. Zu deren Konkretisierung bestimmt z. B. die Niedersächsische Gemeindeordnung (§ 27 Abs. 1 S. 1 NGO), dass Ehrenbeamte An­ sprüche und Interessen Dritter gegenüber der Gemeinde nicht geltend machen dür­ fen, außer wenn sie als gesetzliche Vertreter handeln. Eingeschränkt wird dieses Ver­ tretungsverbot, das kraft der Verweisung in § 39 Abs. 3 NGO auch für Ratsherren gilt,20 durch § 27 Abs. 1 S. 2 NGO. Danach darf ein Vertretungsauftrag, der anderen ehrenamtlich Tätigen als Ehrenbeamten erteilt wird, ausgeführt werden, wenn er mit deren ehrenamtlicher Tätigkeit in keinem Zusammenhang steht. Diese Einschrän­ kung kennen zahlreiche andere Gemeindeordnungen freilich nicht.

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Das kommunalrechtliche Vertretungsverbot verstößt nicht gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit.21 Es soll verhindern, dass Mitglieder von Gemeinde- und Kreisvertre­ tungen ihren politischen Einfluss in der Gemeinde- oder Kreisverwaltung zugunsten der von ihnen vertretenen Personen ausnutzen und ihre berufliche Tätigkeit in Wi­ derstreit mit den von ihnen wahrzunehmenden öffentlichen Interessen gerät.22 Dabei soll schon der Eindruck vermieden werden, jemand könne Ansprüche oder Interes­ sen gegenüber der Gemeinde bei Beauftragung eines Ratsmitgliedes leichter durch­ setzen. Ungeachtet dessen darf aber ein Rechtsanwalt, der zugleich Ratsmitglied ist, einen Betroffenen in einem Bußgeldverfahren vor der Ordnungsbehörde vertreten. Dabei handelt es sich nicht um die Verfolgung von Ansprüchen, sondern um Straf­ verteidigertätigkeit in einem dem Gerichtsverfahren durch das Ordnungswidrigkei­ tengesetz vorgeschalteten Verwaltungsverfahren.23 3. Verhältnis zur Justiz

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Die Beziehung des Rechtsanwalts zum Staat ist auch betroffen, wenn es um das Ver­ hältnis zu Richtern oder anderen Rechtspflegeorganen geht. Der Anwalt ist kein dem Richter untergeordneter Interessenvertreter, sondern ein ihm gleichrangiges Organ 19 Feuerich/Weyland/Träger BRAO9 § 45 Rdnr. 45. 20 Dazu Thiele Niedersächsische Gemeindeordnung, 8. Aufl. 2007, § 27 Anm. 2. 21 BVerwG NJW 1984, 377 (zum kommunalrechtlichen Vertretungsverbot in Schles­wigHolstein), bestätigt durch BVerfG (Kammerentscheidung) NJW 1988, 694 f.; BV­erf­GE 61, 68, 72 = NJW 1972, 2177, 2178 und öfter. 22 BVerfGE 41, 231, 242; BVerwG NJW 1984, 377 m. w. N. 23 BVerfGE 41, 231, 242.

22

Unabhängigkeit des Anwalts ­|  § 4

der Rechtspflege. Er soll das Gericht vor fehlerhaften Entscheidungen24 und die Partei vor staatlicher Machtüberschreitung schützen.

II. Unabhängigkeit gegenüber dem Mandanten 1. Grundsatz der Parteiunabhängigkeit Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, seine berufliche und persönliche Unabhängigkeit 77 nach allen Seiten zu wahren. Dies gilt auch gegenüber seinem Auftraggeber. Die Un­ abhängigkeit ist gefährdet, wenn der Anwalt ihm gegenüber nicht ein gewisses Maß an sachlicher und persönlicher Distanz bewahrt. Lässt es der Anwalt daran fehlen, so ist er nicht mehr in der Lage, Mandate mit der erforderlichen Sachlichkeit und Unbe­ fangenheit zu übernehmen bzw. die Mandatsübernahme abzulehnen und eigenver­ antwortlich zu entscheiden.25 Für den Strafverteidiger ist die Befugnis zur Einseitig­ keit26 ein Anlass, auf die Wahrung der eigenen Unabhängigkeit zu achten. Die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts wird z. B. als gefährdet angesehen, wenn er 78 sich von seinem Mandanten unentgeltliche Zuwendungen oder Darlehen geben lässt.27 Ebenso bestehen Bedenken gegen eine Beteiligung des Rechtsanwalts am Ge­ schäft seines Mandanten. Ausländische Rechtsordnungen sehen z. T. vor, dass sich der Anwalt eine streitige For­ 79 derung des Mandanten nicht abtreten lassen darf. § 10 Abs. 1 des Züricher Anwalts­ gesetzes will mit diesem Verbot verhindern, dass der Anwalt eigene wirtschaftliche Interessen mit den von ihm vertretenen Sachen in einer die Interessen des Mandanten verletzenden Weise verbindet und das Vertrauensverhältnis sowie das öffentliche An­ sehen der Anwaltschaft beeinträchtigt wird; das Verbot erstreckt sich auch auf Siche­ rungszessionen.28 Das Obergericht Zürich hat vom „unerwünschten Filz“ zwischen Interessen des Anwalts und seines Klienten gesprochen. Verwandt ist dieses Abtre­ tungsverbot dem Verbot des Erfolgshonorars.29 Das italienische Recht sieht in

24 So der BGH in haftungsrechtlichen Entscheidungen: BGH NJW 2009, 987 Tz. 8; BGH NJW 2010, 73 Tz. 7; BGH NJW 2016, 957 Tz. 8. 25 Vgl. Feuerich/Weyland/Brüggemann BRAO9 § 1 Rdn. 20; Quack NJW 1975, 1337, 1341. 26 Vgl. Fischer in Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 7. Aufl. 2013, Einl. Rdn.  81; Wohlers in Systematischer Kommentar zur StPO, 5. Aufl. 2016, vor §§  137  ff. Rdn. 5 und 29. 27 Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich Kommentar zu den Grundsätzen des anwaltlichen Standes­ rechts, 2. Aufl. 1988, § 40 Rdn. 20. Weniger kritisch Grunewald AnwBl 2004, 463, 464. Dazu für den Kanton Luzern Obergericht Luzern, Aufsichtsbehörde über die Rechtsanwäl­ te, SchwJZ 92 (1996), 12 (Gefährdung bejahend). Der österr. VwGH hat die einkommen­ steuerrechtlich relevante betriebliche Veranlassung der Bürgschaftsübernahme eines Rechtsanwaltes für seinen Mandanten verneint, weil derartige finanzielle Unterstützungen nicht zu den beruflichen Obliegenheiten gehören, ÖJZ 1995, 307. 28 Obergericht Zürich sowie Kassationsgericht Zürich, Bl. f. Zürch. Rspr. 1994, Nr. 13, S. 65 ff. 29 KassationsG Zürich a. a. O.

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Einl. ­|  Anwaltstätigkeit als regulierter Beruf

Art. 1261 Abs. 1 Codice civile in gleicher Weise ein Abtretungsverbot über eine durch den Anwalt gerichtlich geltend gemachte anhängige Forderung des Mandanten vor. 80

Die American Bar Association (ABA) untersagt in ihrem berufsrechtlichen Muster­ gesetz Gebührenvereinbarungen, durch die der Anwalt zur Abgeltung seines Honorar­ anspruchs die literarischen Rechte oder die Filmrechte an der Fallgeschichte des Mandanten erwirbt.30 Damit sollen Eigeninteressen des Anwalts unterdrückt werden, durch die die sachgerechte Wahrnehmung der Mandanteninteressen u. a. bei der Strafverteidigung gefährdet wird. Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit für einen Film mag zunehmen, wenn die Tat des Mandanten in einem negativeren Licht (mit der Folge höherer Strafzumessung) erscheint als bei einer rechtlichen Bewertung, die die Strafverteidigung ohne den Interessenkonflikt herausarbeiten würde.31 Der ka­ lifornische Supreme Court ist der ABA-Auffassung für einen Antrag auf Ersetzung eines Strafverteidigers nicht gefolgt, hat aber die Missbilligung derartiger Verträge ebenfalls zum Ausdruck gebracht.32 2. Syndikusrechtsanwalt

81

Die Unabhängigkeit des Anwaltes ist insbesondere dann gefährdet, wenn er sich voll­ ständig mit seinem Auftraggeber identifiziert (imperatives Mandat). Diese Situation kann eintreten, wenn der Anwalt wirtschaftlich an einen Auftraggeber gebunden ist. Angesprochen ist damit zugleich die Problematik des sog. Syndikusrechtsanwalts, der in einem ständigen Dienstverhältnis steht. Dessen Beziehung zu seinem Arbeitgeber ist in §§ 46 ff. BRAO näher geregelt, der 1994 und erneut 2015 reformiert wurde (nä­ her dazu § 16, Rn. 301).33

III. Unabhängigkeit von Mandatsvermittlern und Kostenträgern 1. Schlepperdienste gegen Provision 82

Die Unabhängigkeit des Anwalts wird auch beeinträchtigt, wenn er mit einem Nichtanwalt eine Provisionsvereinbarung für Mandatsvermittlung trifft. § 49 b Abs. 3 S. 1 BRAO stellt seit 1994 gesetzlich klar, dass die Vermittlungshonorierung sowohl gegenüber einem Rechtsanwalt als auch gegenüber sonstigen Dritten rechtswidrig ist (dazu auch § 32, Rn. 788). Nach Auffassung des Kammergerichts gerät der Anwalt durch die Provisionsvereinbarung zwangsläufig in eine nicht zu billigende Abhängig­ keit vom Vermittler.34 Damit ist ein weiterer Aspekt verbunden: Es entsteht der Ver­ dacht, dass sich der Anwalt in sachfremder Weise von anderen Erwägungen als denen 30 Zu den Risiken medialer Vermarktung von Straftaten auch Tillmanns ZRP 1999, 339 ff.; Grunewald AnwBl 2004, 463, 465. 31 Hazard/Koniak, Law and ethics of lawyering (Westburg/New York, 1990), S. 498. 32 Maxwell v. Superior Court of Los Angeles County, Cal. 639 P.2d 248 (1982). 33 Zur Entstehung dieser unklaren Norm Roxin NJW 1995, 17 ff. 34 KG NJW 1989, 2893 f. (Konsequenz: Nichtigkeit der Vereinbarung gem. § 134 und § 138 Abs. 1 BGB).

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Unabhängigkeit des Anwalts ­|  § 4

der Wahrnehmung der Mandanteninteressen leiten lässt.35 Taupitz hat in seiner Be­ sprechung der darauf bezogenen Entscheidung des KG unterstrichen, dass eine Pro­ visionsvereinbarung für „Schlep­perdienste“ dem Postulat der Unabhängigkeit als ei­ nes unverzichtbaren Wesensmerkmals freier Berufe zuwider läuft.36 Bedenklich ist vor diesem Hintergrund die Anwaltssuchservice-Entschei­dung des 83 BVerfG.37 Sie begün­stigt das Auftreten gewerblicher Informationsvermittlungsdiens­ te, denen unter dem Deckmantel von Tätigkeitshinweisen die Funktion zukommt, den beteiligten Anwälten Rechtsuchende zuzutreiben. 2. Rechtsschutzversicherer Um die Abwehr sachfremder Einflüsse Dritter geht es auch bei der Auswahl des An­ 84 walts durch einen Rechtsschutzversicherer oder durch einen Verein, der seinerseits in Verbindung mit der Vereinsmitgliedschaft den Deckungsschutz eines Rechtsschutz­ versicherers anbietet. Zwischen dem Rechtsschutzversicherer des Mandanten und dem Anwalt bestehen keine Vertragsbeziehungen.38 Die Auswahl des Rechtsanwalts durch eine fremde Person steht im Verdacht der Verfälschung der Interessenwahr­ nehmung, weil der beauftragte Anwalt sich zur Erhaltung eines stetig fließenden Ge­ bührenaufkommens inneren oder gar äußeren Bindungen an den Verein oder den Rechtsschutzversicherer unterwirft, die der Wahrnehmung der Mandanteninteressen zuwiderlaufen können.39 Näher zur Rechtsschutzversicherung § 32, Rn. 797 ff.

35 KG NJW 1989, 2893, 2894. Vgl. dazu auch OLG Frankfurt MDR 1990, 1009 (anwaltliche Hausverwaltung für einen Mandanten, Provisionsvereinbarung des Anwaltes mit Bau­ handwerker). 36 Taupitz NJW 1989, 2871, 2872 (mit krit. Anmerkungen zur Begründung des KG). Zu dem Kriterium auch OLG Hamm NJW-RR 1990, 1133, 1134. 37 BVerfG (Kammer) NJW 1992, 1613. 38 BGH NJW 1978, 1003, 1004. 39 Das Statut der Pariser Anwaltskammer untersagt die Honorarzahlung durch einen Dritten, der nicht im Auftrage und für Rechnung des Mandanten handelt; Caron/Diemunsch in Martin, Déontologie de l’Avocat, 11. Aufl., Paris 2013, Rdn. 433. BGH NJW 1996, 1954, 1956, sieht die Eigenverantwortlichkeit eines Steuerberaters durch die Honorarzahlung seitens eines zwischengeschalteten und ihm vertraglich verbundenen Dritten als (abstrakt?) gefährdet an, bejaht aber nicht schon aus diesem Grund die Anwen­ dung des § 138 Abs. 1 BGB auf diesen Vertrag. – Die Vergütung durch einen Dritten, der den Mandanten aufgrund entsprechender Vertragsgestaltung zwangsweise zuführt, bedeu­ tet wegen Bedrohung der Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit des Anwalts einen Verstoß gegen § 43 BRAO; ebenso Henssler ZIP 1996, 485, 489 in Bespr. des Steuerberater­ falls OVG Koblenz ZIP 1996, 520 – Edeka (dort als Problem nicht gesehen, sogar mit der Folge fehlerhafter Antragsumstellung).

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Einl. ­|  Anwaltstätigkeit als regulierter Beruf

IV. Unabhängigkeit von gesellschaftlichen Gruppen 85

Die anwaltliche Unabhängigkeit umfasst nicht nur die Unabhängigkeit vom Staat und von der eigenen Partei. Der Rechtsanwalt muss auch von gesellschaftlichen Macht­ gruppen unabhängig sein. Gefährdet werden kann sie durch Gruppen wie z. B. extre­ me politische Parteien und Verbände, aber auch durch Religionen, Ideologien, Sekten etc.40

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Selbstverständlich steht es auch dem Rechtsanwalt frei, sich im gesellschaftlichen Be­ reich zu betätigen. Eine aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ist nicht nur grundrechtlich geschützt, sondern auch wünschenswert. Dies gilt allerdings nicht, soweit der Rechtsanwalt seine Tätigkeit ausschließlich an einer bestimmten Ideologie, parteipolitischen Vorgabe oder religiösen bzw. sektiererischen Regel ausrichtet. In ei­ nem derartigen Fall trifft er seine Entschließungen nicht mehr unabhängig und ob­ jektiv. Kasuistik:

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(a) BGHSt 24, 235 ff. = NJW 1972, 297: Der BGH hat ein Praxisschild mit der Bezeichnung „Sozialistisches Anwaltskollektiv“ beanstandet. Es mache deutlich, dass die darin tätigen Anwälte eine bestimmte weltanschauliche, vielleicht sogar parteipolitische Vorstellung von ih­ rem Aufgabenbereich und der Art seiner Verwirklichung hätten. Ein derartiges Schild rufe zumindest bei einem Teil  der Bevölkerung den Eindruck hervor, die betreffenden Anwälte wollten ihren Beruf nicht unabhängig, sondern mit einer verengten, einer bestimmten Ideolo­ gie verpflichteten Zielrichtung ausüben. Dies widerspreche der Regelung des § 3 BRAO, wo­ nach der Rechtsanwalt berufener Vertreter für jedermann ist. Gleichzustellen ist das Auftreten unter der Bezeichnung „feministisches Anwaltskollektiv“.

88

(b) BGHSt 15, 326 f.: Der BGH hat den SED-Anwalt Prof. Kaul von der Verteidigung in einem wegen Staatsgefährdung geführten Strafverfahren ausgeschlossen. Er sah die Verteidigung in diesem und in anderen Strafverfahren als durch Richtlinien der hinter dem Anwalt stehenden politischen Partei (SED/KPD) gesteuert an, die politische Märtyrer ihrer Sache schaffen wol­ le. Dadurch werde das Verfahren zu Lasten des Beschuldigten für politische Zwecke miss­ braucht. Das Bundesverfassungsgericht hat den Beschluss des BGH zwar aufgehoben, jedoch gestützt auf das damalige Fehlen eines gesetzlichen Tatbestandes für den Ausschluss eines Verteidi­ gers.41

89

(c) Züricher Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte, Blätter für Zürcherische Rechtsprechung 1995, S. 33 f.(Nr. 10): Der beschuldigte Rechtsanwalt hatte im Januar 1993 vor Beginn einer ungenehmigten Demonstration in der Zürcher Innenstadt Flugblätter mit dem Titel „Verhalten an Demos“ verteilt. Darin heißt es: „Der Straßenkampf ist kein Spiel, erfordert Kondition, Konzentration und Reaktionsfähigkeit ... Wenn Du Barrikaden baust oder Steine holst, schaue, dass Du nie alleine gehst ... Ein Gewaltakt muss immer im Zusammenhang mit dem Ziel oder der Aussage einer Aktion stehen.“ Außerdem enthielt der Handzettel Tips zur

40 Feuerich/Weyland/Brüggemann BRAO9 § 1 Rdn. 16. 41 BVerfGE 22, 114, 120.

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Unabhängigkeit des Anwalts ­|  § 4 richtigen Demo-Ausrüstung (schnelle Schuhe, Schutzbrillen) und Namen und Fotographien von zivilen Polizisten. Die Aufsichtskommission befand in dem Disziplinarverfahren, dass der Rechtsanwalt seine Berufspflichten verletzt hatte und nicht mehr vertrauenswürdig i. S. v. § 1 AnwG sei. Zwar be­ fasse sie sich grundsätzlich nicht mit der politischen Gesinnung oder den politischen Aktivitä­ ten eine Anwalts. Das Flugblatt habe jedoch den Sinn gehabt, die bestehende Rechtsordnung zu durchkreuzen. Ein Anwalt habe u. a. dabei mitzuhelfen, dass sich das objektive Recht durch­ setze. Er könne Kritik üben und dürfe sich politisch für Neuerungen einsetzen, müsse dabei aber die gesetzlich vorgesehenen Wege beschreiten und dürfe nicht außerhalb der Rechtsord­ nung agieren oder illegale Aktionen anderer organisieren bzw. unterstützen.

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§ 5 Das Berufsbild des Anwalts

I. Persönliche Leistungserbringung, § 613 BGB . . . . . . . . . . . . . 90

II. Konkurrenzdruck . . . . . . . . . . . . 91

III. Einheitlicher Status aller ­Rechtsanwälte 1. Rechtsvergleichender Überblick 93 2. Spektrum der Betätigung . . . . . . 97

I. Persönliche Leistungserbringung, § 613 BGB 90

Nicht in der BRAO geregelt ist die Höchstpersönlichkeit der Anwaltsleistung. Die Pflicht zu deren persönlicher Erbringung ergibt sich aber als Vertragspflicht aus § 613 BGB (zum Anwaltsvertrag § 43, Rn. 1166).1 Vertreten lassen kann sich der Anwalt nur in den Grenzen des § 53 BRAO.2 Zu vorbereitenden Arbeiten darf er juristische Hilfspersonen heranziehen. Eine beschränkte Mandatsübertragung, z. B. die Wahr­ nehmung eins Termins durch einen Kollegen, ist nicht ausgeschlossen. Die Konse­ quenzen für die Anwendbarkeit des § 278 BGB sind streitig (dazu auch § 32, Rn. 795 f. und § 45 Rn. 1282).3

II. Konkurrenzdruck 91

Das Berufsbild des Rechtsanwaltes ist ab etwa Mitte der 80er Jahre in der Anwalt­ schaft vermehrt diskutiert worden. Ausgelöst wurde die Diskussion durch verschiede­ ne Faktoren. Einer davon ist der sprunghafte Anstieg der Zahl zugelassener Anwälte. Sie hat sich seit 1972 (25 000) vervielfacht. Sämtlichen Rechtsanwaltskammern gehö­ ren über 160.000 Anwälte an; die Tendenz ist auch weiterhin steigend. Die Wieder­ vereinigung hat zeitweilig Entlastung geschaffen, weil es in der DDR zu Beginn des Jahres 1990 nur ca. 600 Anwälte gab. Nur mäßig erhöht wird der Konkurrenzdruck durch die europarechtliche Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit, die den deutschen Markt für ausländische Anwälte geöffnet hat.

92

Der Berufsstart für junge Einzelanwälte in eigener Kanzlei fällt schwer, wenn die Mandatsakquisition schleppend verläuft, aber gleichwohl erhebliche Aufwendungen für die Berufshaftpflichtversicherung, die Kanzleiausstattung und die Pflichtbeiträge zur Anwaltskammer und zum Anwaltsversorgungswerk erbracht werden müssen. Nicht zu Unrecht wird gelegentlich vom Anwaltsprekariat gesprochen. Es grenzt sich von den Karrieren gut verdienender Junganwälte in Großkanzleien auch dadurch ab, dass ein Zweitberuf zur Erwirtschaftung des Lebensunterhalts ausgeübt werden muss 1 BGH NJW 1981, 2741, 2743 (zur Überlassung an den Bürovorsteher) Borgmann/Jungk/ Schwaiger Anwaltshaftung 5. Aufl. 2014, § 10 Rdn. 28. 2 Staudinger/Richardi/Fischinger, BGB, Bearb. 2016, § 613 Rdn. 11. 3 Vgl. Borgmann/Jungk/Schwaiger Anwaltshaftung5 § 10 Rdn. 31 und § 38 Rdn. 61.

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Das Berufsbild des Anwalts  ­|  § 5

und praktische Erfahrungen für die Zulassung zu einer Fachanwaltschaft kaum ge­ sammelt werden können.

III. Einheitlicher Status aller Rechtsanwälte 1. Rechtsvergleichender Überblick In Übereinstimmung mit der Mehrheit der anderen europäischen Länder4 kennt 93 Deutschland nur einen einzigen anwaltlichen Status. Frankreich hat mit den Berufsrechtsreformen von 1971 und 19905 den Berufsstand 94 des Conseil juridique mit dem des Avocat verbunden;6 zur ausschließlichen Prozess­ vertretung in Zivilsachen vor der Cour d’appel (Berufungsinstanz) gab es zunächst noch den Beruf des Avoué,7 der auf Betreiben der Appelationsgerichtspräsidenten die Berufsfusion überstanden hatte.8 2011 ist auch der Avoué in den Berufsstand der Avocat integriert worden.9 Die italienische Trennung von Avvocati und Procuratori legali (zugelassen zur Pro­ 95 zessvertretung) verwischt sich durch Vereinigung beider Funktionen in einer Per­ son.10 Spanien kennt ebenfalls die Unterscheidung von Abogado und Procurador de los Tribunales.11 England trennt – mit gewissen Aufweichungen der abgegrenzten Befugnisse – die Be­ 96 rufsstände des die Vertretung vor Gericht besorgenden Barrister (mit Zugehörigkeit zu einer der vier „Inns of Court“) und des Solicitor (mit Zusammenschluss in der Law Society).12 Die weitreichenden Vorschläge zur Reform des englischen Zivilprozesses, 4 Vgl. Walter Generalbericht in Walter (Hrsg.), Professional Ethics and Procedural Fairness im Prozess, Bern 1991, S. 16. 5 Loi no. 71–1130 v. 31.12.1971 und Loi no. 90–1259 v. 31.12.1990. 6 Vgl. dazu Caron/Diemunsch in Raymond Martin, Déontologie de l’Avocat11, Rdn. 17; Prütting Rechtliche Organisation der Rechtsberatung, in Schlosser (Hrsg.), Integrationsproble­ me im Umfeld der Justiz (1995), S. 11 f. 7 Geregelt in der Ordonnance no. 45–2591 v. 2.11.1945 und im Décr. no. 45–0118 v. 19.12.1945 (jeweils mit späteren Änderungen). 8 Caron/Diemunsch in Raymond Martin, Déontologie de l’Avocat11, Rdn. 17. 9 Caron/Diemunsch in Raymond Martin, Déontologie de l’Avocat11, Rdn. 23. Zum Gesetzent­ wurf Harbeck AnwBl 2009, 859 f. 10 Art. 2 R. D. L. v. 27.11.1933 n.1578 i. d. F. der Legge n. 36 v. 22.1.1934 (Ordinamento delle professioni di avvocati e procuratore); dazu Varano, in Walter (Hrsg.), Professional Ethics and Procedural Fairness, S. 373, 375. Zur italienischen Anwaltschaft auch Kindler Einfüh­ rung in das italienische Recht, 2. Aufl. 2008, § 7 Rdn. 3 ff. 11 Art. 438 Ley Orgánica del Poder Judicial v. 1.7.1985; Art. 2 Estatudo General de los Pro­ curadores de Espagna v. 30.7.1982; dazu Gutiérrez-Alviz y Conradi, in Walter (Hrsg.), Pro­ fessional Ethics and Procedural Fairness, S. 503, 505, 508 f. 12 Vgl. Prütting in Schlosser (Hrsg.), Integrationsprobleme im Umfeld der Justiz (1995), S. 15 ff.; Ordinary Justice, Report des National Consumer Council, London 1989, Chapter 2: Who provides legal services?, S. 44 ff.

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Einl. ­|  Anwaltstätigkeit als regulierter Beruf

die von einem gemeinsamen Ausschuss des General Council of the Bar und der Law Society 1993 vorgestellt wurden, rüttelten an dieser Zweiteilung nicht,13 obwohl über sie diskutiert wurde.14 2. Spektrum der Betätigung 97

Das Berufsbild des deutschen Anwalts umfasst ein großes Spektrum an Tätigkeiten, differenziert nach den jeweiligen Aufgaben und Interessenlagen. Dabei gibt es weder gesetzlich noch faktisch eine Aufteilung zwischen reiner Beratungsdienstleistung und der Tätigkeit als Prozessanwalt. Allenfalls werden entsprechende Schwerpunkte ge­ setzt, sei es, weil die Mandatsstruktur eine Beschränkung auf Beratungen zulässt, sei es, weil innerhalb einer größeren Sozietät eine derartige interne Verteilung angestrebt wird.

98

Faktisch hat eine Schwerpunktbildung nach Bereichen des materiellen Rechts stattge­ funden. Nach wie vor werden zumeist Mandate aus dem Bereich des Zivil- und Straf­ rechts mit unterschiedlichen Akzentuierungen übernommen. Auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts steht der kleinen Zahl häufig beschäftigter Spezialisten eine Mehr­ heit von Anwälten gegenüber, die nur hin und wieder eine entsprechende Vertretung übertragen erhalten.

99

Manche Dienstleistungssektoren sind den Anwälten in ihrer breiten Mehrheit fak­ tisch entglitten. So wird die Steuerberatung seit langem weitgehend von Steuerbera­ tern betrieben, die ihrer beruflichen Ausbildung nach akademische Ökonomen sind. Das Sozialversicherungsrecht hat in der Vergangenheit  – u. a. wegen unattraktiver Gebühreneinnahmen – geringe Beachtung gefunden. Hier ist jedoch ein Wandel ein­ getreten.

100

Gefördert wird die Spezialisierung durch die Zulassung werbender Hinweise (dazu § 29, Rn. 612 ff., 640 ff.) und die vermehrte Bildung von Fachanwaltschaften für Teile des materiellen Rechts (dazu § 30, Rn. 677 ff.). Das entspricht der Ausdifferenzierung des Rechts.

13 Report: Civil Justice on Trial – The Case for Change, 1993. 14 Vgl. Graf v. Bernstorff Einführung in das englische Recht, 4. Aufl. 2011, S. 24 ff.

30

§ 6 Art der Berufsausübung

I. Selbständiger Einzelanwalt, ­gemeinschaftliche Berufsausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

II. Angestellte Anwälte, freie Mitarbeiter 1. Soziale Erscheinungsformen, gesetzliche Anerkennung . . . . . . 104 2. Probleme freier Mitarbeiter . . . . 107 3. Weisungsgebundenheit . . . . . . . . 111 4. Angemessene Beschäftigungsbedingungen, Vergütung . . . . . . 114 5. Berufshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . 118 6. Nichtanwaltliche Arbeitgeber . . 119 7. Wettbewerbsverbot . . . . . . . . . . . 120



8. Anwaltsgebühren, Vertretungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122

III. Amtlich bestellte Vertreter, Kanzleiabwickler 1. Bestellungssachverhalte . . . . . . . . 124 2. Befugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 3. Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 IV. Verbindung von Anwaltsberuf und Notariat . . . . . . . . . . . . . . . . 130 V. Insolvenzverwaltung . . . . . . . . . 136 VI. Berufssphäre, persönliche Sphäre als Verbraucher . . . . . . . 142

I. Selbständiger Einzelanwalt, gemeinschaftliche Berufsausübung Eine Vielzahl von Anwälten ist nach wie vor in Einzelpraxis tätig. Berufliche Zusam­ 101 menschlüsse (dazu §§ 19 ff., Rn. 333 ff.) kommen entweder als Sozietät, bei der das „Unternehmen“ nach außen gemeinsam betrieben wird, oder als bloß begrenzte Ko­ operation vor, in der Regel als Bürogemeinschaft zur gemeinschaftlichen Nutzung von Sachmitteln und zur Erleichterung der gegenseitigen Vertretung im Verhinde­ rungsfall. Daneben ist – vereinzelt – die Europäische Wirtschaftliche Interessenverei­ nigung (EWIV) getreten. Die Zahl der eine Sozietät bildenden Anwälte beträgt überwiegend immer noch deut­ 102 lich unter 10 Partnern. Daneben sind überörtliche niedergelassene nationale und in­ ternationale Sozietäten getreten. Der Begriff der „Sozietät“ ist nicht mehr – wie noch bis in die 90er-Jahre – mit der 103 damals allein als zulässig erachteten Gesellschaftsform der BGB-Gesellschaft gleich­ zusetzen, sondern steht für ein breites Spektrum an Formen der Personen- und Kapi­ talgesellschaft in- und ausländischer Provenienz.

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Einl. ­|  Anwaltstätigkeit als regulierter Beruf

II. Angestellte Anwälte, freie Mitarbeiter 1. Soziale Erscheinungsformen, gesetzliche Anerkennung 104

Eine erhebliche Zahl an Rechtsanwälten ist in abhängiger Stellung tätig, nämlich ent­ weder offiziell im Angestelltenstatus1 oder als sog. freier Mitarbeiter, insbesondere am Beginn des Berufslebens. Der Vermeidung eines Probearbeitsverhältnisses dient die Beschäftigung eines Junganwalts als bloßer Trainee.

105

Wegen der Herausstellung des Merkmals „freier Beruf “ in § 2 Abs. 1 BRAO haben die Anwaltsorganisationen die Berufsausübung als angestellter Rechtsanwalt lange Zeit als eine temporäre Erscheinung im Berufsleben eines Anwalts behandeln wollen. Die Neufassung der BRAO von 1994 akzeptiert den angestellten Rechtsanwalt erstmals indirekt durch die Regelung über die Satzungsermächtigung des § 59b Abs. 2 Nr. 8, wonach u. a. die Berufspflichten im Zusammenhang mit der Beschäftigung von Rechtsanwälten in der Satzung näher geregelt werden können. Mit der BRAO-Novelle zur Neuordnung der Stellung des Syndikusrechtsanwalts vom Dezember 2015 ist der angestellte Anwalt unmittelbar gesetzgeberisch anerkannt worden (§ 46 Abs. 1 BRAO).

106

Der Angestelltenstatus darf nicht schlechthin mit unterbezahlten Berufsanfängern assoziiert werden. Vielmehr gibt es in Großkanzleien auch dienstältere angestellte Anwälte mit herausgehobener Stellung und hohem Einkommen.2 2. Probleme freier Mitarbeiter

107

Zur Einsparung von Sozialversicherungsbeiträgen durch den Arbeitgeber, aber auch aus steuerrechtlichen Gründen werden Rechtsanwälte als sog. freie Mitarbeiter tätig. Andere Gründe können jedoch im Einzelfall gegeben sein, etwa der Wunsch nach freier Einteilung der Arbeitszeit, um eine Dissertation anzufertigen.3

108

Der Status als freier Mitarbeiter ist dem Verdacht einer verschleierten Tätigkeit als Scheinangestellter ausgesetzt, die Nachzahlungspflichten gegenüber dem Rentenver­ sicherer auslöst. Der Verschleierung dient oftmals die Aufnahme in den Briefkopf als unechter Sozius.4 Wer wirtschaftlich weitgehend abhängig ist und nach dem Ge­ samtbild der vertraglichen Gestaltung und der praktischen Handhabung einem Ar­ beitnehmer vergleichbar ist, ist eine arbeitnehmerähnliche Person gem. § 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG; für Rechtsstreitigkeiten ist daher die Arbeitsgerichtsbarkeit zuständig.5 1 Hinweise zur Gestaltung des Arbeitsvertrages bei Lingemann/Winkel NJW 2009, 343  f., 483 f., 817 f., 966 f., 1574 f. und 2185 ff. Zu den Rechten und Pflichten Löw MDR 2006, 913 ff. Zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses Hümmerich AnwBl. 2005, 77 ff. 2 Vgl. dazu Knöfel NJW 2006, Beil. zu Heft 5 S. 20, 22. 3 Näher zum Rechtsproblem der Beschäftigung eines freien Mitarbeiters Lingemann/Winkel NJW 2010, 38 f. und 208 f. 4 Zur Erstreckung des Mandats auf derartige freie Mitarbeiter BGHZ 124, 47, 51. 5 OLG München MDR 1999, 1412; OLG Brandenburg NJW 2002, 1659; LAG Köln AnwBl. 2005, 719 (mit Aufzählung von Indizien für die Sozialtypik); abgrenzend ArbG Berlin A ­ nwBl. 2004, 379.

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Art der Berufsausübung  ­|  § 6

Indizien für einen Arbeitnehmerstatus sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine 109 Eingliederung in die Kanzleiorganisation. Ein weiteres Kriterium für die Abgrenzung von Angestellten und freien Mitarbeitern ist die Vergütung durch Gewinnbeteili­ gung.6 Die Zahlung einer Gewinnbeteiligung ist gem. § 27 S. 2 BORA gestattet.7 Ist ein freier Mitarbeiter ungeachtet der vertraglichen Wortwahl entsprechend dem 110 tatsächlichen Pflichteninhalt der vereinbarten Regelungen als Arbeitnehmer zu qua­ lifizieren, unterliegt er der Lohnsteuerpflicht; die Lohnsteuer hat der Arbeitgeber ­abzuführen und gegebenenfalls nachzuzahlen.8 Die Sozialversicherungspflicht von Scheinselbständigen war bis 2002 in § 7 Abs. 4 SGB IV geregelt.9 Seither erfasst § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI die Rentenversicherungspflicht mit einer eigenständigen Regelung, die aber wegen der Befreiung zugunsten der Pflichtmitgliedschaft in einem berufs­ ständischen Versorgungswerk bedeutungslos ist. 3. Weisungsgebundenheit Der Arbeitnehmer-Rechtsanwalt ist weisungsgebunden; er erhält vom Kanzleiinha­ 111 ber Akten zugewiesen und kann Zeit und Ort der Tätigkeit nicht selbst bestimmen. Der Konflikt mit § 1 und § 2 BRAO ist evident. Er soll dadurch gelöst werden, dass die staatliche und gesellschaftliche Unabhängigkeit sowie die Unabhängigkeit vom Man­ danten für ausreichend erklärt wird.10 Zu Mandanten, die der angestellte Anwalt betreut, besteht keine Vertragsbeziehung. 112 Ein Mandant kann deshalb die Herausgabe der Handakten nur vom Arbeitgeber ver­ langen.11 Grundsätzlich erhält der angestellte Anwalt ein festes Monatsgehalt. Wettbewerb zu 113 Lasten seines Arbeitgebers durch Übernahme eigener Mandate widerspricht der ar­ beitsrechtlichen Treuepflicht.12 Die vereinbarungsgemäße Benennung auf dem Briefkopf und dem Kanzleischild kann nur einvernehmlich oder mittels einer Ände­ rungskündigung beseitigt werden.13 Hat der Angestellte auf Kosten des Arbeitgebers erfolgreich einen Fachanwaltslehrgang besucht, kann er Anspruch auf Übertragung von Mandaten zum Nachweis praktischer Erfahrungen haben.14

6 BGH NJW 2007, 2856 = VersR 2007, 1586 Tz. 14. 7 BGH NJW 2007, 2856 Tz. 9. 8 Näher dazu Kleine-Cosack BRAO7 § 59a Rdn. 72 ff. 9 Vgl. dazu Ennemann MDR 2000, 252 ff.; Henssler AnwBl. 2000, 213, 219 ff. 10 So H. Koch in Gilles (Hrsg.), Anwaltsberuf und Richterberuf, S. 153, 158; s. ferner Feuerich/ Weyland/Brüggemann BRAO9 § 2 Rdn. 29; Schlosser JZ 1995, 345, 346 f. Zum angestellten Steuerberater s. BGH NJW 1996, 1954, 1955. 11 OLG Düsseldorf MDR 2008, 836. 12 Zu den Konkurrenzverboten Kleine-Cosack BRAO7 § 59a Rdn. 85 ff. 13 LAG Düsseldorf AnwBl. 2004, 187. 14 LAG Hamm NJW 2002, 2492 (LS; konkret: Arbeitsrechtsmandate).

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Einl. ­|  Anwaltstätigkeit als regulierter Beruf

4. Angemessene Beschäftigungsbedingungen, Vergütung 114

Dem angestellten Anwalt sind „angemessene Vertragsbedingungen“ zu gewähren.15 Der Entwurf der Berufsordnung von 1994 wollte diese Forderung zu einem Verbot „offenbar unbilliger Vertragsbedingungen“ abschwächen, hat dann in § 26 Abs. 1 BORA aber doch die Formulierung der „angemessenen Bedingungen“ gewählt. Dieses Tat­ bestandsmerkmal wird von § 26 Abs. 1 S. 2 BORA näher konkretisiert. Zu berück­ sichtigen sind im Hinblick auf die Vergütung die Befähigung zur sachgerechten Man­ datsbearbeitung und das durch geringe Kenntnisse begründete Haftungsrisiko. Einzuräumen ist eine angemessene Zeit zur Fortbildung, was den Besuch von Lehr­ gängen für den Erwerb eines Fachanwaltstitels einschließt. Wird ein Wettbewerbsver­ bot vereinbart, muss eine angemessene Ausgleichszahlung vorgesehen werden.

115

§ 26 BORA stellt selbst keine Anspruchsgrundlage für die Anhebung einer vereinbar­ ten Vergütung dar.16 Ein für § 138 Abs. 1 und 2 BGB erforderliches auffälliges Miss­ verhältnis ist gegeben, wenn die Vergütung weniger als zwei Drittel einer üblicher­ weise gezahlten Vergütung erreicht.17 Die Vergütung eines Berufsanfängers darf allerdings wegen des geringeren Wertes seiner Arbeitsleistung unterhalb der durch­ schnittlichen Vergütung liegen.18 Statistische Angaben liefert das Berichtssystem für Rechtsanwälte (STAR) des Nürnberger Instituts für Freie Berufe.19 Die Beschäftigung in einem Trainee-Programm darf nicht nur mit einem Betrag „ein wenig über dem Referendargehalt“ vergütet werden, auch wenn der Anwalt zunächst nur Assistenztä­ tigkeiten übernehmen soll.20 Ist eine Vergütungsvereinbarung wegen ihrer geringen Höhe gem. § 138 Abs. 1 BGB nichtig, schuldet der Arbeitgeber gem. § 612 Abs. 2 BGB die übliche Vergütung.21

116

Die Deckung des Berufshaftungsrisikos durch Prämienzahlung des Arbeitgebers ist lohnsteuerrechtlich als Arbeitslohn zu bewerten.22 Dies gilt aber nicht für eine zu­ sätzliche Ausdehnung des Deckungsschutzes des Arbeitgebers auf den angestellten Anwalt.23 Lohnsteuer fällt auch für die Übernahme des Kammerbeitrags an.

117

Zu beachten sind die arbeitsrechtlichen Beschränkungen der Höchstarbeitszeit. Scheitert eine Vertragsvereinbarung zur kostenlosen Leistung von Überstunden an einer AGB-Kontrolle, ergibt sich aus der Vertragslosigkeit dieses Punktes noch kein Vergütungsanspruch nach § 612 Abs. 1 BGB.24 15 Zur Vergütung Sagel AnwBl 2008, 126 ff. 16 BAG NJW 2015, 1709 Tz. 18. 17 BAG NJW 2015, 1709 Tz. 18. 18 LAG Hessen NJW 2000, 3372, 3373. 19 Zu Vergütungen im Jahre 2006 AnwGH Hamm NJW 2008, 668, 670 (2 300 Euro brutto pro Monat im Durchschnitt). Weitere Zahlen in AnwBl 2010, 202. 20 BGH NJW 2010, 1972 Tz. 21 f. (dort: Vergleich mit der höheren Durchschnittsvergütung einer ausgebildeten Reno-Fachangestellten). 21 LAG Hessen NJW 2000, 3372, 3373. 22 BFH NJW 2016, 2142 Tz. 19; Sterzinger NJW 2010, 3078 ff. 23 BFH NJW 2016, 2142 Tz. 20 ff. 24 BAG NJW 2012, 552 Tz. 20 ff. m. Anm. Müller-Bonanni.

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Art der Berufsausübung  ­|  § 6

5. Berufshaftung Für anwaltliche Fehlleistungen trifft den angestellten Anwalt gegenüber dem Man­ 118 danten keine Haftung aus positiver Vertragsverletzung, da er  – vorbehaltlich des ­Auftretens als Scheinsozius  – nicht Partei des Anwaltsvertrages ist (s. auch §  43, Rn.  1183).25 Schuldhafte Fristversäumnisse im Rahmen selbständiger Arbeitsleis­ tung werden dem Mandanten aber gem. § 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet, wie wenn der bevollmächtigte Rechtsanwalt selbst den Fehler begangen hätte; der angestellte An­ walt wird also bei der Wiedereinsetzung nach § 233 ZPO nicht wie eine Bürokraft mit untergeordneter Funktion behandelt (dazu näher § 44, Rn. 1236).26 6. Nichtanwaltliche Arbeitgeber Fehlt es an der Eigenverantwortlichkeit des Angestellten gegenüber dem ratsuchen­ 119 den Mandanten, so dass die Tätigkeit der eines bloßen wissenschaftlichen Hilfsar­ beiters entspricht, darf eine Zulassung zur Anwaltschaft nicht erfolgen, wenn der ­Arbeitgeber dem anwaltlichen Berufsrecht nicht unterworfen ist (etwa eine Wirt­ schaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft).27 Beratungsverträge eines nicht­ anwaltlichen Arbeitgebers, die durch den nicht eigenverantwortlich handelnden Rechtsanwalt erfüllt werden sollen, sind gem. § 134 BGB i. V. m. § 3 RDG nichtig. Die Nichtigkeit erstreckt sich allerdings nicht auf den Arbeitsvertrag.28 Besonderheiten gelten für Syndikusanwälte (dazu unten § 16, Rn. 294 ff.). 7. Wettbewerbsverbot Angestellte Rechtsanwälte unterliegen analog § 60 HGB einem gesetzlichen Wettbe­ 120 werbsverbot, weil sie im Rechtssinne Handlungsgehilfen sind.29 § 60 HGB konkreti­ siert die arbeitsrechtliche Treuepflicht, die auch im Bereich der freien Berufe gilt. Nachvertraglich gilt ein Wettbewerbsverbot nur, wenn eine Karenzentschädigung 121 vereinbart worden ist (§ 74 HGB). Die Höchstdauer beträgt zwei Jahre (§ 74a Abs. 1 S. 3 HGB). Allgemeine Mandantenschutzklauseln haben die Wirkung eines nachver­ traglichen Wettbewerbsverbots, das gem. §  75d S.  2 HGB nicht umgangen werden darf.30 8. Anwaltsgebühren, Vertretungsbefugnis Die Vertretung des Rechtsanwalts durch Angestellte, die nicht zur Anwaltschaft zuge­ 122 lassen und auch nicht zum amtlichen Vertreter bestellt worden sind, führt gelegent­ lich zu Streit über den Gebührenanspruch, der dann im Kostenerstattungsverfahren 25 KG MDR 1994, 100. 26 BGH NJW 1996, 2939; BGH NJW-RR 2004, 993. 27 BGHZ 63, 377, 378 f. 28 Vgl. BGH NJW 1996, 1954, 1955 (Verhältnis Steuerberater/Wirtschaftsprüfer). 29 BAG NJW 2008, 392 Tz. 17 m. Bespr. Knöfel AnwBl 2008, 241 ff. 30 BAG NJW 2014, 1198 Tz. 21.

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Einl. ­|  Anwaltstätigkeit als regulierter Beruf

ausgetragen wird. Für die Tätigkeit eines angestellten Assessors fallen die vollen Ge­ bühren an. Das hat § 5 RVG klargestellt.31 Für Referendare gilt die Reglung ebenfalls, jedoch nur während ihrer Ausbildungsstation. Sachlich berechtigt ist diese Differen­ zierung nicht. 123

Das Auftreten von Assessoren in Untervollmacht eines Rechtsanwalts erfasst auch Sachverhalte, in denen ein Jurist agiert, dem die Anwaltszulassung entzogen worden ist. Vor Gericht kann er in Verfahren auftreten, für die kein Anwaltszwang besteht. Gerichte versuchen dies zu unterbinden, wenn die betreffende Person nach außen weisungsfrei auftritt und somit nicht mehr als Erfüllungsgehilfe des Anwalts handelt. Druckmittel ist dabei auch die Versagung einer Kostenerstattung.32 Übernimmt der Anwalt nicht die Überwachung des Angestellten, kann er gewerbesteuerpflichtig wer­ den.33

III. Amtlich bestellte Vertreter, Kanzleiabwickler 1. Bestellungssachverhalte 124

Der Rechtsanwalt muss gem. § 53 Abs. 1 BRAO einen Vertreter bestellen, wenn er länger als eine Woche gehindert ist, seinen Beruf auszuüben oder sich für mehr als eine Woche von seiner Kanzlei entfernen will. Davon sind vor allem, aber nicht nur Krankheits- und Urlaubssachverhalte betroffen.

125

Sorgt der Anwalt nicht selbst für einen Vertreter, der dann Mitglied derselben Kam­ mer sein muss (§ 53 Abs. 2 BRAO), hat die Kammer einen Vertreter von Amts wegen zu bestellen (§ 53 Abs. 5 BRAO). Beim Tode eines Rechtsanwalts oder nach dem Er­ löschen einer Zulassung ist ein Kanzleiabwickler zu bestellen (§ 55 Abs. 1 BRAO). 2. Befugnisse

126

Dem Vertreter stehen sämtliche Befugnisse des vertretenen Rechtsanwalts zu (§ 53 Abs. 7 BRAO). Er handelt in eigener Verantwortung, jedoch auf Rechnung und Kos­ ten des Vertretenen (§ 53 Abs. 9 S. 1 BRAO). Ein amtlich bestellter Vertreter ist an Weisungen des Vertretenen nicht gebunden (§ 53 Abs. 10 S. 2 BRAO), was deutlich macht, dass diese Bestellung auch gegen den Widerstand eines Rechtsanwalts erfol­ gen kann.

127

Der Kanzleiabwickler hat die Aufgabe, schwebende Angelegenheiten abzuwickeln. Er darf aber innerhalb der ersten sechs Monate auch neue Mandate annehmen, was für denjenigen von Interesse ist, der die Kanzlei übernehmen will, aber noch nicht selbst zugelassen ist. Im übrigen ist der Kanzleiabwickler einem Vertreter gleichgestellt. Er 31 Zur vorherigen Rechtslage ebenso BGH NJW-RR 2004, 1143; a. A. LG Mainz 1997, 406 m. w. N. 32 So in OLG Celle NJW-RR 2014, 530. 33 So Sterzinger NJW 2008, 20 ff.

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Art der Berufsausübung  ­|  § 6

hat die Befugnisse des Rechtsanwalts, an dessen Stelle er tritt. Ungeachtet des öffent­ lich-rechtlichen Dienstverhältnisses zur Rechtsanwaltskammer richten sich seine Rechte und Pflichten gegenüber dem früheren Rechtsanwalt und dessen Mandanten nach privatrechtlichen Grundsätzen.34 Im Verhältnis zu Alt-Mandanten handelt er zwar in eigener Verantwortung, aber gem. §§ 55 Abs. 3 S. 1, 53 Abs. 9 S. 1 BRAO für Rechnung und auf Kosten des früheren Anwalts. Die Herausgabe von Mandanten­ geld, das der frühere Anwalt aus der Geschäftsführung des Abwicklers erlangt, schul­ det deshalb der frühere Anwalt.35 Kanzleiabwicklungen oder das Handeln amtlich bestellter Vertreter kann in Insol­ 128 venzfällen zu Konflikten mit dem Insolvenzverwalter führen, etwa um den Zugang zur Kanzleipost oder wegen der Vereinnahmung ausstehender Gebühren.36 3. Vergütung Sowohl der amtlich bestellte Vertreter als auch der Kanzleiabwickler erlangen einen 129 Vergütungsanspruch gegen den Vertretenen bzw. gegen die Erben; dafür haftet die Rechtsanwaltskammer wie ein Bürge (§ 53 Abs. 10 S. 7 BRAO, eventuell i. V. m. § 55 Abs. 3 S. 1). Die Vergütung wird von der Kammer festgesetzt, wenn eine Einigung mit dem Vertretenen bzw. den Erben nicht zustande kommt (§ 53 Abs. 10 S. 5 BRAO); in analoger Anwendung der Norm findet eine Festsetzung auch statt, wenn der ausge­ schiedene Anwalt nicht vereinbarungsgemäß zahlt.37 Der Vertreter hat daneben ei­ nen Aufwendungsersatzanspruch gem. § 53 Abs. 9 S. 2 BRAO i. V. m. § 670 BGB, für den die Kammer nicht haftet.38

IV. Verbindung von Anwaltsberuf und Notariat In manchen Teilen der Bundesrepublik Deutschland ist gem. § 3 Abs. 2 Bundesnotar­ 130 ordnung (BNotO) die Verbindung des Anwaltsberufes mit demjenigen des Notars zulässig, obwohl der Notar ein öffentliches Amt für die Beurkundung von Rechtsvor­ gängen sowie für andere Aufgaben auf dem Gebiet der vorsorgenden Rechtspflege ausübt. Das Anwaltsnotariat steht neben dem freiberuflich ausgeübten Nurnotariat und dem württembergischen beamteten Bezirksnotariat. In der DDR ist noch vor der Wiedervereinigung das freiberufliche Nurnotariat eingeführt und danach beibehal­ ten worden. Beide Berufe sind in ihren Voraussetzungen und inhaltlichen Anforde­ rungen getrennt zu beurteilen.

34 OLG Düsseldorf AnwBl 1997, 226. 35 OLG Düsseldorf AnwBl 1997, 226, 227. 36 Dazu OLG Köln MDR 2010, 535  =  ZIP 2009, 2395. Zu allen Konfliktfeldern Tauchert/ Schulze Gröda BRAK-Mitt. 2010, 115 ff. 37 BGH NJW 2009, 1003 Tz. 14 f. Zur Anfechtung eines Feststellungsbescheids BGH NJW-RR 2013, 429. 38 BGH NJW-RR 1999, 797 (dort auch zu Verrechnung von Vorschüssen).

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Einl. ­|  Anwaltstätigkeit als regulierter Beruf 131

Aus der Sicht des Notariats ist die Tätigkeit als Rechtsanwalt ein selbständiger Zweit­ beruf. Den Anwaltsnotaren erwachsen daraus Schwierigkeiten. Die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Beurkundung z. B. scheint gefährdet, wenn sie sich in ihrer Rolle als Anwalt mit Wirtschaftsprüfern in einer Sozietät verbinden wollen. Nach § 59a Abs. 1 S. 3 BRAO darf die Sozietät nur hinsichtlich der Funktion als Anwalt gebildet werden. Die Sicherung der Unabhängigkeit und die Vermeidung von Interes­ senkollisionen kann auch durch berufsregelnde Tätigkeitsverbote statt durch ein Ver­ bot der gemeinsamen Berufsausübung gewährleistet werden kann.

132

Der Notar wird von der Landesjustizverwaltung – zahlenmäßig beschränkt entspre­ chend den Bedürfnissen einer geordneten Rechtspflege – bestellt. Die Bestimmung der Zahl der Amtsinhaber und der Zuschnitt der Notariate unterstehen der Organisa­ tionsgewalt des Staates; ein Notariatsbewerber hat kein subjektives Recht auf Errich­ tung weiterer Notarstellen.39 Für das Notariat als Einrichtung der freiwilligen Ge­ richtsbarkeit muss gewährleistet werden, dass eine angemessene Versorgung der Rechtsuchenden mit notariellen Leistungen erfolgt. Die Erhaltung eines regional ge­ streuten leistungsfähigen Notariats darf durch flankierende Regelungen gesichert werden.

133

Wegen des numerus clausus der Notarstellen bedarf es einer gesetzlichen Regelung der Auswahlmaßstäbe und des Verfahrens für den Berufszugang nicht nur in den Gebieten des Nurnotariats, sondern auch in den Bundesländern des Anwaltsnotari­ ats.40 Mit den Vorschriften über die Auswahlentscheidung, insbesondere die zu stel­ lenden Anforderungen an die fachliche Eignung und die sonstige Sicherung der Chancengleichheit von Anwaltsbewerbern (Fest­stellung der persönlichen und sachli­ chen Eignung sowie Eignungsvergleich) hat sich der Notarsenat des BGH mehrfach befassen müssen.41 Kasuistik:

134

BGH NJW-RR 1996, 311 f.: Dem Notarbewerber war wegen Zweifeln an seiner persönlichen Eignung (§ 6 BNotO) die Notarbestellung verweigert worden. Die Zweifel stützten sich auf sein Vorgehen als Rechtsanwalt im Zusammenhang mit einer Honorarabrechnung aus einem Beratervertrag mit der zahlungsunfähig gewordenen GmbH seines Schwagers. Ein strafrecht­ liches Ermittlungsverfahren wegen Teilnahme an einer Gläubigerbegünstigung war eingestellt worden. Der BGH billigte aber, dass die Ablehnung unabhängig von der strafrechtlichen Be­ wertung auf den sichtbar gewordenen groben Eigennutz bei der Durchsetzung eigener wirt­ schaftlicher Vorteile und die von grober Rücksichtslosigkeit geprägte Benachteiligung anderer Gläubiger der GmbH gestützt wurde. 39 BVerfGE 73, 280, 292, 294; BGH NJW 1996, 123, 124. Zur zahlenmäßigen Beschränkung der Sozietätsgröße von Nur-Notariaten BGH NJW 1995, 529 ff. 40 BVerfGE 73, 280, 295 = NJW 1987, 887, 888. Zur Landeskinderklausel BGH NJW 2012, 53 Tz. 14 ff. Zur getrennten Regelung in den neuen Bundesländern s. Gesetzentwurf des Bundesrates BTDrucks. 13/2023 v. 18.7.1995. 41 Vgl. nur BGH NJW 1994, 1870 ff. = JZ 1994, 790 m. Anm. Zuck, 795 f.; BGH NJW 1994, 3353 ff.; BGH NJW 1995, 2359 ff.; BGH NJW 1996, 125 ff.; BGH NJW-RR 1996, 312 f.

38

Art der Berufsausübung  ­|  § 6

Obwohl der Notar einen staatlich gebundenen Beruf ausübt, der der Wahrnehmung 135 öffentlicher Aufgaben dient, gehört er nicht zum öffentlichen Dienst i. S. d. Art.  33 Abs. 2 GG.42 Für ihn gilt die Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG.43 Daran sind die Beschränkungen des Notarrechts der BNotO zu messen. So ist die Verwen­ dung der Bezeichnung Notar auf Briefbögen der auswärtigen Mitglieder einer über­ örtlichen Sozietät aus Verfassungsgründen gestattet worden.44 Der Notar soll aber nicht befugt sein, für die Bezeichnung seines Amtes den Begriff „Notariat“ auf dem Briefkopf zu verwenden.45

V. Insolvenzverwaltung Zu den möglichen Tätigkeiten eines Rechtsanwalts gehört auch das Amt des Insol­ 136 venzverwalters. Jedoch zeigt die konkurrierende Bestellung von Steuerberatern oder Ökonomen, dass die Abwicklung eines Insolvenzverfahrens keine der Anwaltschaft vorbehaltene rein juristische Tätigkeit ist.46 Die Bestellungsnorm des § 56 InsO setzt keine juristische Qualifikation voraus. Nur deshalb konnte die Frage aufkommen, ob ein Rechtsanwalt im Rahmen insolvenzrechtlicher Tätigkeit dem anwaltlichen Be­ rufsrecht untersteht, obwohl das Amt des Insolvenzverwalters verfassungsrechtlich als eigenständiger Beruf angesehen wird,47 was wiederum Bedeutung für die Anwen­ dung des Art. 12 Abs. 1 GG unter dem Gesichtspunkt der Berufswahlfreiheit hat.48 Die Behauptung, ein Anwalt übe als Insolvenzverwalter entgegen der Ansicht des 137 BGH49 einen getrennten Zweitberuf aus, wird bereits durch die ständige Praxis wi­ derlegt, dass rechtliche Ansprüche der Insolvenzmasse insbesondere auf Einforde­ rung ausstehender GmbH-Einlagen oder aufgrund einer insolvenzrechtlichen An­ fechtung in der Funktion als Rechtsanwalt gerichtlich geltend gemacht werden. Die übertrieben großzügige Rechtsprechung zur Gewährung von Prozesskostenhilfe gem. §  116 Nr.  1 ZPO bei Massearmut fördert sogar die Prozessfreudigkeit anwaltlicher Insolvenzverwalter, selbst wenn davon die Masse keinen Nutzen hat, sondern letztlich nur Gebühreninteressen des Verwalters auf Staatskosten bedient werden. Die Bewerber um ein Insolvenzverwalteramt haben grundsätzlich einen Anspruch 138 auf Aufnahme in eine beim Insolvenzgericht zu führende Auswahlliste. Damit fin­ det  ein Vorauswahlverfahren statt, in dem die Eignung für eine Bestellung geklärt 42 BGH NJW 1993, 2536. 43 BVerfG NJW 2005, 1483. 44 BVerfG NJW 2005, 1483, 1484. Anders für ein Geschäftsschild an einer Zweigstelle KG NJW 2008, 2197. 45 BGH NJW-RR 2007, 408, 409. 46 Zur Abgrenzung von den Tätigkeiten gem. § 3 Abs. 1 BRAO BGH ZIP 2015, 1546 Tz. 24. 47 BVerfG ZIP 2004, 1649 = NJW 2004, 2725, 2727; BVerfG NJW 2016, 930 Tz. 33 ff.; BGH ZIP 2015, 1546 Tz. 20 = NJW 2015, 3241. 48 BGH NJW 2015, 3241; Verfassungsbeschwerde erfolglos, BVerfG ZIP 2015, 2328; krit. Be­ spr. Prütting ZIP 2016, 61 ff. und Deckenbrock AnwBl 2016, 316 ff. 49 BGH NJW 2015, 3241 Tz. 26.

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Einl. ­|  Anwaltstätigkeit als regulierter Beruf

wird.50 Die Entscheidung darüber ist ein Justizverwaltungsakt, der im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG überprüft werden kann (dazu auch § 36, Rn. 958).51 Antragsgegner dafür ist das Amtsgericht als Behörde, nicht der einzelne Insolvenzrichter persön­ lich.52 Die Auswahlkriterien sind durch Veröffentlichung im Internet oder in sonsti­ ger Weise transparent zu machen.53 Ausländische natürliche Personen können eben­ falls die Aufnahme in die Vorauswahlliste beantragen.54 Mit der darauf bezogenen Regelung des Art. 102a EGInsO wollte der Gesetzgeber der Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG Rechnung tragen, hat aber nur insoweit Umsetzungsbedarf gesehen, als die Abwicklung über eine einheitliche Stelle zu erfolgen hat.55 139

Das Amt des Insolvenzverwalters muss höchstpersönlich ausgeübt werden.56 Ist ein Betrieb des Insolvenzschuldners fortzuführen, bedarf der Insolvenzverwalter eines personell entsprechend ausgestatten Büros.57 Es gibt keine Altersgrenze für die Auf­ nahme in die Liste.58 Ortsnähe oder dessen Abschwächung in leichte Erreichbarkeit hat der BGH nicht als geeignetes Kriterium angesehen.59 Negative Erfahrungen mit einem Bewerber können zu einer Delistung führen; sie müssen aber ins Gewicht fal­ len.60 Eine Vorstrafe wegen einer insolvenzbezogenen Straftat steht einer Listung im allgemeinen entgegen,61 erst recht aber einer Ernennung für das Amt.62

140

Private Zertifizierungsverfahren berechtigen wegen der Verschwiegenheitspflicht des Insolvenzverwalters nicht zur Öffnung von Akten gegenüber dem Zertifizierungsan­ bieter.63

141

Die Listung eines generell geeigneten potentiellen Insolvenzverwalters begründet kei­ nen Anspruch auf Übertragung eines konkreten Amtes. Der Insolvenzrichter hat ein weites Auswahlermessen, für das die Listung nur eine Entscheidungshilfe darstellt.64 Es besteht kein Anspruch auf gleichmäßige Berücksichtigung der gelisteten Bewerber.65 50 BVerfG NJW 2004, 2725, 2727; BVerfG NJW 2006, 2613 Tz. 31 und 43. 51 Vgl. dazu etwa BGH NJW-RR 2016, 1447; BGH ZIP 2016, 930 Tz. 7 ff.; BGH ZIP 2016, 935 Tz. 7 ff.; Jacoby ZIP 2009, 2081, 2083 ff. Zu den Kriterien der Vorauswahl Lüke ZIP 2007, 701 705 ff.; Uhlenbruck/Mönning ZIP 2008, 157, 160 ff. 52 BGH NJW 2017, 1110 Tz. 6 und 10. 53 BGH ZIP 2016, 935 Tz. 24. 54 Dazu Vallender ZIP 2011, 454 ff.; Preuß ZIP 2011, 933, 937. 55 Zu Auswirkungen der RL 2006/123/EG auch Sabel/Wimmer ZIP 2008, 2097 ff. 56 BGH NJW-RR 2016, 1447 Tz. 13. 57 BGH NJW-RR 2016, 1447 Tz. 17 f. 58 KG ZIP 2008, 284. 59 BGH ZIP 2016, 930 = NJW 2016, 2037 Tz. 24 ff.; a. A. OLG Bamberg NJW-RR 2008, 719, 720; OLG Düsseldorf ZIP 2011, 341, 342. 60 BGH ZIP 2016, 937 Tz. 27. Delisting wegen Straftat mit Bezug zu einem Insolvenzverfah­ ren: AG Potsdam ZIP 2017, 783, 785. 61 OLG Bamberg ZIP 2009, 1870, 1872. 62 BGH ZIP 2008, 466 Tz. 5. 63 Bork ZIP 2007, 793 ff. 64 Vgl. BGH NJW-RR 2008, 717 Tz. 20. 65 Vgl. OLG Koblenz ZIP 2005, 1283, 1288.

40

Art der Berufsausübung  ­|  § 6

VI. Berufssphäre, persönliche Sphäre als Verbraucher Im Hinblick auf die Anwendung der Vorschriften über die AGB-Kontrolle (§§ 305 ff. 142 BGB), die unionsrechtlich unterlegt sind und zu Rechtsprechung des EuGH führen, ist die Abgrenzung beruflicher Rechtsgeschäfte des Anwalts von seiner persönlichen Sphäre als Verbraucher erforderlich.

41

§ 7 Entwicklung des Berufsrechts

I. Von der RAO zur BRAO; Gebührenrecht; konkurrierende ­Rechtsdienstleister . . . . . . . . 143

II. Entwicklung der Rechtsgrundlagen in der DDR . . . . . . . . . . . . 152

III. Die Zulassung von DDR-Juristen 1. Konfligierende Wertvorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 2. Praxis der Zulassungsüberprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 3. Erstzulassung bei Berufsunwürdigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 163

Literatur: F. Busse, Deutsche Anwälte. Geschichte der deutschen Anwaltschaft 1945–2009, 2009 (dazu Saenger JZ 2010, 610 und K. Redeker NJW 2010, 1341 ff.; DAV (Hrsg.), Anwälte und ihre Geschichte. Zum 140. Gründungsjahr des Deutschen Anwaltsvereins, 2011 (dazu Hirsch NJW 2011, 2632); Fricke, Praxis der Anwaltstätigkeit in der SBZ und der DDR, AnwBl 2010, 829 ff.; Ostler, Deutsche Rechtsanwälte 1871–1971, 1971; Prütting, in: 50 Jahre Bundes­ gerichtshof, Festgabe aus der Wissenschaft (2000), S.  839  ff.; Th. Weber, Die Ordnung der Rechtsberatung in Deutschland nach 1945, 2010 (dazu Grunewald JZ 2011, 844).

I. Von der RAO zur BRAO; Gebührenrecht; konkurrierende ­Rechtsdienstleister 143

Ein einheitliches Berufsrecht ist für Deutschland mit der Rechtsanwaltsordnung von 1878 und damit im zeitlichen Zusammenhang mit den Reichsjustizgesetzen geschaf­ fen worden. Kernpunkt war die Einführung der „freien Advokatur“. Bis dahin wurde der Beruf nach landesrechtlichen Regelungen auf zahlenmäßig begrenzten Anwalts­ stellen ausgeübt. Die Rechtsanwaltsgebührenordnung von 1879 schuf die Grundlage für eine reichseinheitliche Vergütung der Tätigkeit vor Gericht nach streitwertabhän­ gigen Gebührensätzen, während andere Tätigkeitsbereiche weiterhin landesrechtlich geregelt blieben.

144

Konkurrierend durften auf der Grundlage der Gewerbeordnung von 1869 und dann der Reichsgewerbeordnung von 1872 außergerichtlich Rechtskonsulenten tätig wer­ den. In Zivilverfahren ab dem Landgericht aufwärts galt ab 1878 Anwaltszwang.

145

Das nationalsozialistische Unrechtsregime schränkte die freie Advokatur ein, um durch eine ermessensgebundene Zulassung jüdische Bürger aus der Anwaltschaft auszuschließen. Parallel dazu wurde 1935 das Rechtsberatungsmissbrauchsgesetz ge­ schaffen (dazu § 34, Rn. 872 f.).

146

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde erst 1959 wieder mit der BRAO ein bundesein­ heitliches Berufsrecht geschaffen. Schon zuvor war 1957 die bundeseinheitliche Ge­ bührenregelung der BRAGO in Kraft getreten. 42

Entwicklung des Berufsrechts  ­|  § 7

Das notdürftig vom nationalsozialistischen Unrecht gereinigte Rechtsberatungsmiss­ 147 brauchsgesetz wurde 1958 unter Beibehaltung seiner illiberalen Grundkonzeption in Rechtsberatungsgesetz umbenannt. Der Beruf des Vollrechtsbeistands wurde 1980 geschlossen. Seither gibt es auch unter der Geltung des RDG nur noch für bestimmt benannte Rechtsgebiete eine Erlaubnis zur außergerichtlichen Rechtsberatung (dazu § 34, Rn. 907 ff.). Verfeinerungen des Parlamentsrechts der BRAO enthielten die sog. Standesrichtlini­ 148 en, die der Rechtsquelle nach als gemeinsame Rechtsüberzeugung der Rechtsanwälte angesehen wurden, die aber kein Gewohnheitsrecht waren. Geltung wurde ihren ­Regeln über die Generalklausel des § 43 BRAO verschafft, die als Grundlage für Dis­ ziplinarmaßnahmen diente. Das BVerfG hat mit zwei Entscheidungen von 1987 ­abweichend von seiner vorangegangenen Judikatur die normative Grundlage für Ein­ schränkungen der Berufsfreiheit durch die Standesrichtlinien verneint.1 Die Über­ gangsperiode bis zur grundlegenden Novellierung der BRAO mit Schaffung einer Ermächtigung für die Schaffung von Satzungsrecht dauerte bis 1994, weil die Bundes­ justizministerin dem Zwiespalt in der Anwaltschaft über die Ausgestaltung des künf­ tigen Berufsrechts teilnahmslos zusah. Umstritten blieb weiterhin die Zulassung von Kapitalgesellschaften als Rechtsform 149 der Berufsausübungsgesellschaft, ehe durch rechtsmethodisch fragwürdige richterli­ che Rechtsfortbildung diese Zulassung erstritten und dann  – beschränkt auf die GmbH – in die BRAO aufgenommen wurde. Der Lokalisierungsgrundsatz, also die örtlich beschränkte Zulassung mit daraus folgender Postulationsbeschränkung, wur­ de im Jahr 2000 abgeschafft. Zugleich wurde die Singularzulassung bei entweder einem Landgericht oder bei ei­ 150 nem Oberlandesgericht, die nicht in allen Bundesländern galt und nach der Wieder­ vereinigung in den neuen Bundesländern wegen einer anderenfalls unzureichenden Anwaltsversorgung nicht eingeführt worden war, in ganz Deutschland abgeschafft. Vorangegangen war eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die in der un­ terschiedlichen Reglung einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG sah und unter Inan­ spruchnahme eigener rechtspolitischer Gestaltungsmacht und unter Verdrängung des Bundesgesetzgebers eine richterliche Regelung zur Beseitigung der bejahten Rechtsungleichheit schuf (dazu § 15, Rn. 282 f.). Seither ist das Berufsrecht mehrmals nachhaltig umgestaltet worden, zuletzt im Jahre 151 2017.

II. Entwicklung der Rechtsgrundlagen in der DDR In der DDR wurde die Stellung der Rechtsanwälte, die in genossenschafts­ähnlich or­ 152 ganisierten Anwaltskollektiven2 arbeiteten, vor der Wende durch die Verfassung der 1 BVerfGE 76, 171; BVerfGE 76, 196. 2 Zu ihnen BGH ZIP 1994, 1887, 1888.

43

Einl. ­|  Anwaltstätigkeit als regulierter Beruf

DDR, das Gesetz über die Kollegien der Rechtsanwälte vom 17.12.1980 (GBl. I 1982 S.  183), das Musterstatut der Kollegien der Rechtsanwälte vom 17.12.1980 (GBl.  I 1981 S. 4) sowie durch Art. 4 StGB (Fassung vom 14.12.1988, GBl. I 1989 S. 34) und prozessrechtliche Regelungen bestimmt. Eigenverantwortliche und unabhängige, nicht weisungsgebundene Arbeit in selbständiger Stellung gegenüber anderen Rechts­ pflegeorganen und Verfahrensbeteiligten und gestützt auf die Vertrauensbeziehung zum Auftraggeber wurden als Merkmale der Anwaltstätigkeit genannt.3 153

Die Inpflichtnahme für die sozialistische Diktatur zeigte sich eher versteckt an der Aufgabenbeschreibung, die – ausgehend von der Charakterisierung als gesellschaftliches Organ der Rechtspflege – dem Rechtsanwalt eine wichtige gesellschaftliche Funk­ tion bei der Verwirklichung des Rechts zuwies und ihm u. a. auftrug, zur Festigung der Gesetzlichkeit (nicht identisch mit Gesetzmäßigkeit oder Rechtsstaatlichkeit), zur Rechtserläuterung und zur Entwicklung solidarischer Beziehungen im Zusammen­ leben der Bürger beizutragen. Diese Aufgaben waren eng mit der Beratung der Auf­ traggeber und der Vertretung von deren Interessen verbunden und sollten in der ­gesamten Tätigkeit des Rechtsanwaltes verwirklicht werden.4 In den – wenig entwi­ ckelten  – Verwaltungsrechtsangelegenheiten sollte der Anwalt „zur Erhöhung der Gesetzlichkeit und Rechtssicherheit, zur Festigung des Rechtsbewusstseins der Bür­ ger und zur Verbesserung der Qualität der Tätigkeit der Verwaltungsorgane beitra­ gen, um das Vertrauensverhältnis zwischen Bürger und Staat zu festigen“.5 Dement­ sprechend richtete sich die Pflicht zur Weiterbildung auch auf die Erlangung einer „hohen Allgemeinbildung in Fragen der Politik, der Geschichte, der Kunst und der Literatur“ als „Voraussetzung für die richtige Einordnung seiner eigenen Tätigkeit in gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge und für die Erfüllung seiner humanisti­ schen Aufgabe“.6

154

Die scheinbar wohlklingenden Beschreibungen dürfen nicht über die tatsächlichen Behinderungen anwaltlicher Beratung und Vertretung7 sowie die Reduzierung des Rechts auf Verteidigung8 hinwegtäuschen. Im Bericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ heißt es dazu:9 „Aus der inneren Systematik des Rechtssystems der DDR war die Institution der anwaltlichen Vertretung von Bürgern im Gerichtsverfah­ ren schwer zu begründen, weil die Existenz eines wirklichen Interessenkonflikts zwi­ schen Staat und Bürger nach der herrschenden Staatsdoktrin begrifflich ausgeschlos­ 3 Dazu Gregor Gysi u a. (Autorenkollektiv), Handbuch für Rechtsanwälte, S. 49. Zur Rolle des Rechts und der Juristen in der Diktatur des Proletariats Rüthers JZ 1999, 1009 ff.; Timmermann (Hrsg.), Die DDR – Recht und Justiz als politisches Instrument, 2000; Wasmuth, Keine Sternstunde des Rechtsstaats: Zwei Jahrzehnte Aufarbeitung von SED-Unrecht, JZ 2010, 1133 ff. 4 Gysi a. a. O., S. 49, ferner S. 62. 5 Gysi a. a. O., S. 331. 6 Gysi a. a. O., S. 67. 7 Dazu der Bericht der Enquete-Kommission BT-Drucks. 12/7820 v. 31.5.1994, S. 96. 8 Bericht der Enquete-Kommission a. a. O., S. 97 f. 9 BT-Drucks. 12/7820, S. 96.

44

Entwicklung des Berufsrechts  ­|  § 7

sen war. Das Recht auf und die Möglichkeit zur Verteidigung waren jedoch wegen der internationalen Reputation der DDR notwendig …“. Im Zuge der Beseitigung des SED-Regimes ist auch die anwaltliche Tätigkeit neu ge­ 155 regelt worden. Die RechtsanwaltsVO vom 22.2.199010 betraf Tätigkeit und Zulassung von Rechtsanwälten in eigener Praxis (also außerhalb der früheren Anwaltskollekti­ ve), die Anordnung des DDR-Justizministeriums vom 7.6.199011 die Tätigkeit west­ deutscher Rechtsanwälte in der DDR. Unmittelbar vor dem Ende der DDR ist die RechtsanwaltsVO noch durch das RechtsanwaltsG (RAG) vom 13.9.1990 abgelöst worden.12 Der Vertrag zur Herstellung der Einheit Deutschlands mit Wirkung zum 3.10.1990 bestimmte,13 dass die BRAO auf die neuen Bundesländer (ehemalige DDR mit Abweichungen für den beigetretenen Teil des Landes Berlin) nicht erstreckt wur­ de. Insoweit galt das RAG der DDR fort. Westdeutsche und ostdeutsche Rechtsanwäl­ te wurden einander durch den Einigungsvertrag gleichgestellt. Durch die BRAO-Novelle 1994 als Teil des Berufsrechtsneuordnungsgesetzes ist die 156 Rechtseinheit unter Aufhebung des RAG wiederhergestellt worden.

III. Die Zulassung von DDR-Juristen Literatur: Otten, Festschrift Geiß (2000), S. 307 ff.

1. Konfligierende Wertvorstellungen Auch wenn sich das Problem der Zulassung von Juristen mit früherer Tätigkeit im 157 Staatsapparat der DDR durch Zeitablauf erledigt hat, kann man den Umgang mit der Anwaltszulassung für diesen Personenkreis nach wie vor als Prüfstein für die Ord­ nungsvorstellungen über die Rolle der Rechtsanwaltschaft und die Professionalität der Berufsausübung betrachten. Deren Anwaltszulassung ist wegen möglicher Ver­ strickung in das System der totalitären Machtausübung und Unterdrückung zunächst kritisch beäugt worden. Auch wenn belastete Juristen als Anwälte nicht mehr in die Steuerung des staatlichen Machtapparats eingebunden waren, schien das Vertrauen in deren berufsethisches Verständnis eines freiheitlichen, gesetzesgebundenen Rechts­ staates, in deren Bereitschaft zum Einsatz für den Rechtsstaat und in deren Beachtung bestehender Gemeinwohlbindungen gemäß den Vorgaben des Berufsrechts erschüt­ tert.

10 Textabdruck in NJW 1990, 1588. Zur Zulassung geflüchteter oder übergesiedelter DDR-Ju­ risten vgl. BGH NJW 1990, 910. 11 Textabdruck in NJW 1990, 1897. 12 Gbl. DDR 1990 S.  1504. Vgl. dazu Koch/Bach AnwBl.  1990, 596  ff.; Treffkorn DtZ 1990, 308 ff. 13 Einigungsvertrag Anlage I, Teil B Kap. III, Sachgebiet A: Rechtspflege, Abschnitte I 7, II 2 und VI 1 a.

45

Einl. ­|  Anwaltstätigkeit als regulierter Beruf 158

Dem BVerfG ist vorzuwerfen, den Individualinteressen der ungeprüft zugelassenen Anwälte und der Anwaltsbewerber ein überzogenes Gewicht beigemessen zu haben, indem auf individuelle Schuldvorwürfe abgestellt wurde, die in einem systemkonfor­ men Verhalten nicht gesehen wurden.14 Der EGMR war mit einem Zulassungswider­ ruf unter dem Gesichtspunkt des Eigentumseingriffs (Art. 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK) befasst. Er hat das Eingriffsziel als durch das Allgemeininteresse gerechtfer­ tigt bewertet; für Rechtsanwälte und Notare würden „entsprechend der Natur ihrer Aufgaben besonders hohe Anforderungen an Integrität und Moral gelten, da sie als Organ der Rechtspflege und Garanten des Rechtsstaates angesehen werden“.15 2. Praxis der Zulassungsüberprüfung

159

In der Schlussphase der Existenz der DDR war die Zulassung für jeden Diplomjuris­ ten ohne Schwierigkeiten zu erlangen. Ein Gesetz zur Prüfung u. a. von Rechts­ anwaltszulassungen vom 24.7.1992 (RAZPrG; BGBl.  1992 I 1386) ermöglichte den Widerruf und die Rücknahme von Zulassungen bei Unwürdigkeit wegen Verstoßes gegen Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit insbesondere im Zusammenhang mit einer Stasi-Tätigkeit.16

160

Das BVerfG hat das Gesetz als verfassungskonform angesehen, die Normanwendung allerdings verengt.17 Das Gesetz sorge im Interesse der Rechtspflege für die Siche­ rung des notwendigen Vertrauens in die Rechtsanwaltschaft, dessen Minimalerfor­ dernisse die individuelle Integrität und Zuverlässigkeit sei; die Beteiligung an eklatan­ ten Unrechtshandlungen des SED-Regimes gefährde diese Vertrauensgrundlage. Der Rechtsanwendung durch den BGH warf das BVerfG jedoch vor, der Tätigkeit als Spit­ zel des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) für sich genommen ein zu starkes Gewicht gegeben zu haben, obwohl der Gesetzgeber das bloße Faktum konspirativer Zusammenarbeit nicht habe genügen lassen wollen. Die Informationsweitergabe habe vielmehr zusätzlich denunziatorischen Charakter mit drohenden unmenschli­ chen oder rechtsstaatswidrigen Folgen für das Opfer tragen müssen. Anderenfalls müsse sich der zusätzliche Unwertgehalt aus der Art der Mittel zur Informationsbe­ schaffung, dem Inhalt der Information oder aus der Schadensprognose ergeben. Un­ beanstandet blieb der Zulassungswiderruf nur bei einem der drei Beschwerdeführer; er hatte die Verteidigungsstrategie eines Anwaltskollegen an das MfS verraten.

14 Vgl. BVerfG NJW 2001, 671, 672. 15 EGMR v. 9.11.1999 – 37595/97 – Döring/Deutschland, NJW 2001, 1556, 1557. 16 Zum Vorwurf der Rechtsbeugung durch Richter und Staatsanwälte wegen willkürlicher Verfahrensgestaltung oder überharte Strafen BGH NJW 1995, 3324  m. w. N.; BGH NJW 1999, 3347 (Fall des Regimekritikers Havemann); BGH NStZ-RR 2000, 302; BGH NStZ-RR 1999, 361. 17 BVerfGE 93, 213 ff. = NJW 1996, 709 ff.; z. T. kritisch wegen nicht noch stärkerer Zurück­ drängung der Überprüfung Kleine-Cosack DtZ 1996, 98  ff. S.  weiter BVerfG NJW 1999, 3328; BVerfG NJW 2001, 670 (zu einer Notaramtsenthebung).

46

Entwicklung des Berufsrechts  ­|  § 7 Kasuistik: (a) BGH NJW 1994, 1732: Der 37-jährige Rechtsanwalt war seit 1982 zugelassen. Er hatte 1984 bis Ende 1989 als inoffizieller Mitarbeiter (IM) für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) gearbeitet und auch Mitteilungen über eigene Mandanten gemacht. In zwei Fällen wur­ de deren Ausreiseabsicht dem MfS erst durch den Bericht bekannt. Der BGH hat den Widerruf der Zulassung aufgehoben.

161

Der Bruch des anwaltlichen Vertrauensverhältnisses wurde als schuldhafter Verstoß gegen ei­ nen Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit angesehen. Gleichwohl ist der BGH aufgrund einer ­Abwägung des schuldhaften Verhaltens und der Gesamtpersönlichkeit zu dem Ergebnis ge­ kommen, eine Unwürdigkeit zur künftigen Ausübung des Anwaltsberufes lasse sich im Ent­ scheidungszeitpunkt nicht mehr feststellen. (b) BGH NJW 2001, 2407: Der 50-jährige Antragsteller war seit 1978 Richter in der DDR ge­ wesen, darunter mehrere Jahre als Haftrichter in politischen Strafsachen. Die Anwaltszulas­ sung hatte er 1994 vor dem BGH erstritten. Wegen Rechtsbeugung in Tateinheit mit Freiheits­ beraubung beim Erlass von Haftbefehlen in zwei Fällen wurde er 1998 zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt.

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Die spezialgesetzliche Regelung für die Rücknahme von DDR-Rechtsanwaltszulassungen war kurz zuvor ausgelaufen und § 14 Abs. 2 Nr. 2 BRAO war unanwendbar; ebenso verneinte der BGH die Anwendung des § 14 Abs. 1 i. V. m. § 7 Nr. 5 BRAO (Unwürdigkeit).

3. Erstzulassung bei Berufsunwürdigkeit Die geschilderten Rücknahme- und Widerrufssachverhalte wurden auch im Zulas­ 163 sungsverfahren gewürdigt, und zwar auf der Grundlage des § 7 Nr. 2 RAG, dessen Text dem § 7 Nr. 5 BRAO entspricht. Nach der Aufhebung des RAG waren entspre­ chende Sachverhalte, deren Bedeutung allerdings durch Zeitablauf abnahm, nach § 7 Nr. 5 BRAO zu beurteilen. Kasuistik: (a) BGH NJW 1994, 1730: Der 1960 geborene Anwaltsbewerber war aus Überzeugung zehn Jahre lang zur Zufriedenheit des MfS als IM tätig gewesen, hatte operativ interessante Berichte zum Nachteil der Observierten gefertigt und hatte sich durch Zuverlässigkeit, Eigeninitiative und hohes Engagement ausgezeichnet. Der BGH hielt es für geboten, den Bewerber jedenfalls zeitweise auch weiterhin (März 1994) vom Anwaltsberuf fernzuhalten.

164

Zur Abschwächung ursprünglich bestehender gleichartiger Zulassungshindernisse durch Zeit­ ablauf BGH DtZ 1996, 243; BGH NJW 2000, 3074 (LS). (b) BGH DtZ 1995, 441: Die 1938 geborene Antragstellerin war von 1963 bis Juni 1991 Richterin gewesen, zuletzt als Stellvertreterin des Bezirksgerichtsdirektors, wobei sie längere Zeit für politische Strafsachen zuständig war. Die Zulassungsversagung wurde auf 11 näher gewür­ digte Verurteilungen aus der Zeit zwischen 1977 und 1980 gestützt, die mit den Grundsätzen der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit nicht vereinbar gewesen seien, sowie auf die Un­ terstützung des Staatsapparates der DDR als stellv. Bezirksgerichtsdirektorin. Der BGH hielt eine erneute Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung auch des Zeitablaufs von 1980 bis zur Wende für geboten, in die dann allerdings auch noch anhängige Ermittlungs­ verfahren wegen Rechtsbeugung einzubeziehen seien. Außer Betracht zu bleiben habe im Hin­

47

165

Einl. ­|  Anwaltstätigkeit als regulierter Beruf blick auf BVerfGE 63, 266 = NJW 1983, 1535 das amtsbezogene Eintreten für die SED und die Staatsführung. Relevant sei jedoch die Beteiligung an rechtsstaatswidrigen Unterstützungs­ maßnahmen kraft der Leitungstätigkeit. Erfolglos blieb die Beschwerde der Antragstellerin in dem ähnlich gelagerten Fall BGH DtZ 1995, 294  f. wegen der unnachsichtigen Härte der Strafverfolgung in 66 Verfahren bis zum Jahre 1989.

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Teil 1 Institutionen der anwaltlichen Selbstverwaltung § 8 Kammern als Selbstverwaltungskörperschaften

I. Rechtsanwaltskammern als öffentlich-rechtliche Körperschaften 1. Kammergliederung, Zwangsmitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . . 166 2. Organe der Kammern . . . . . . . . . 169



3. Aufgaben und Pflichten der Organisationseinheiten . . . . . . . . 170 4. Bundesrechtsanwaltskammer . . . 178

II. Satzungsversammlung . . . . . . . 179 III. Schlichtungsstelle . . . . . . . . . . . . 182 IV. Zur Abgrenzung: DAV . . . . . . . . 183

I. Rechtsanwaltskammern als öffentlich-rechtliche Körperschaften 1. Kammergliederung, Zwangsmitgliedschaft Zusammengeschlossen sind die Rechtsanwälte in öffentlich-rechtlichen Selbstver­ 166 waltungskörperschaften (§ 62 Abs. 1 BRAO), die im Verwaltungsaufbau des Staates Einrichtungen der mittelbaren Staatsverwaltung darstellen. Rechtsanwaltskammern ermöglichen Selbstverwaltung der Anwaltschaft bei der Erledigung öffentlicher Auf­ gaben im Rahmen vom Gesetzgeber getroffenen Festlegungen.1 Bildung der Kam­ mern und die Bestimmung ihrer Aufgaben bedarf schon wegen der Zwangsmitglied­ schaft2 einer gesetzlichen Regelung. Zudem erheben die Kammern Pflichtbeiträge.3 Rechtsanwaltskammern sind bei den Oberlandesgerichten unter Rechtsaufsicht der 167 Landesjustizverwaltung errichtet (§ 60 BRAO). Darüber wölbt sich die Bundesrechts­ anwaltskammer (BRAK) als Zusammenschluss der Rechtsanwaltskammern (§  175 Abs. 1 BRAO). Anders als die – irreführend so genannte – Bundesärztekammer ist die Bundesrechtsanwaltskammer ebenfalls eine öffentlich-rechtliche Körperschaft (§ 176 Abs.  1 BRAO). Eine Mitgliedschaft berufsständischer Kammern in nationalen und internationalen Verbänden ist in den Grenzen des gesetzlich zugewiesenen Aufga­ benbereiches zulässig.4 1 Vgl. BVerfGE 107, 59, 91 ff. (dort: zu diversen Kammern); Haas/Lörcher Festschrift Odersky (1996), S. 1037 ff. (rechtsvergleichend); Gaier BRAK-Mitt. 2012, 142, 144. 2 Zur vergleichbaren Zulässigkeit der Pflichtmitgliedschaft in der Industrie- und Handels­ kammer BVerfG NVwZ 2002, 335, 336 f. 3 Zum Billigkeitserlass AnwGH Frankfurt NJW-RR 2009, 845; AnwGH B.-W. NJW 2016, 175 Tz. 25 f. 4 BGH NJW 1996, 1899 f. (für Patentanwaltskammer).

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Teil 1 ­|  Institutionen der anwaltlichen Selbstverwaltung Kasuistik:

168

BGH NJW 2005, 1710 m. Bespr. Huff NJW 2005, 1692: Die Kammerversammlung der Anwalts­ kammer Hamburg hatte beschlossen, für die Juristenausbildung unbefristet eine Umlage zu erheben, die ca. 10 % des Kammerbeitrages ausmachte. Der Antragsteller begehrte erfolglos die Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses. Der BGH sah die materielle Rechtsgrundlage in § 73 Abs. 2 Nr. 9 BRAO, wonach die Kammern an der Referendarausbildung mitwirken. Zur Festsetzung der Höhe der Beiträge einer Notarkammer und der Vertretbarkeit gleich ho­ her Beiträge für alle Mitglieder BGH NJW 2002, 3026.

2. Organe der Kammern 169

Organe der Rechtsanwaltskammern sind der ehrenamtlich tätige Vorstand (§§ 63 ff. BRAO), das aus seiner Mitte heraus zu wählende Präsidium (§§ 78 ff. BRAO) und die Kammerversammlung (§§ 85 ff. BRAO). 3. Aufgaben und Pflichten der Organisationseinheiten

170

Der Vorstand der Rechtsanwaltskammer berät und belehrt u. a. die Kammermitglie­ der über Fragen der Berufspflichten (§ 73 Abs. 2 Nr. 1 BRAO), übt das Rügerecht aus (§ 74 Abs. 1 BRAO) und erstattet auf Anforderung von Landesjustizverwaltung, Ge­ richten und Verwaltungsbehörden Gutachten (§ 73 Abs. 2 Nr. 8 BRAO). Verstößen gegen berufsrechtliche Bestimmungen kann mangels geeigneter Rechtsgrundlage nicht mit Gebots- oder Verbotsverfügungen begegnet werden.5 Die berufsrechtliche Aufsicht über die Kammermitglieder dient nur dem öffentlichen Interesse, so dass Dritte keinen Anspruch auf Erlass einer Aufsichtsmaßnahme gegen ein Kammermit­ glied haben.6

171

Die Kammern führen elektronische Verzeichnisse der in ihren Bezirken zugelassenen Rechtsanwälte (§ 31 Abs. 1 BRAO). Die Daten werden in ein von der BRAK geführtes Gesamtregister eingestellt. Das Register ist öffentlich und kann von jedermann ­unentgeltlich eingesehen werden (§ 31 Abs. 2 BRAO). Welche Angaben einzutragen sind, ist durch § 31 Abs. 3 und 4 zwingend vorgegeben. Ein Anspruch auf Löschung der Kanzleianschrift besteht nicht; es handelt sich bei den Eintragungen nicht um Ermessensentscheidungen.7 Die BRAK hat darüber hinaus zu ermöglichen, dass die Daten in ein elektronisches Suchsystem der EU-Kommission (Europäisches Rechts­ anwaltsverzeichnis) eingestellt werden (§ 31b BRAO).

172

Die Bundesrechtsanwaltskammer richtet für jeden im Gesamtverzeichnis registrier­ ten Anwalt ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach ein (§ 31a BRAO). Details der Führung und der Nutzung sind durch Rechtsverordnung des Bundesjustizminis­ teriums zu regeln. Ermächtigungsgrundlage ist § 31c BRAO. Diese VO regelt auch die Datenerhebung und den Abruf der Registereintragungen. 5 BGHZ 153, 61, 62 f. = NJW 2003, 662; BGH NJW 2003, 504; BGH NJW-RR 2003, 1501. 6 BVerwG NJW 1993, 2066, 2067. 7 BGH NJW-RR 2013, 253 Tz. 6.

50

Kammern als Selbstverwaltungskörperschaften  ­|  § 8

Die Rechtsanwaltskammern führen Personalakten über die in ihrem Bezirk zugelas­ 173 senen Anwälte. In seine Akte kann der Anwalt gem. § 58 Abs. 1 BRAO Einsicht neh­ men. Über Zeitpunkt und Aufsicht kann er jedoch nicht nach Gutdünken entschei­ den; er hat die Organisationsbelange der Kammer zu berücksichtigen.8 Nicht zu den Aufgaben der Kammern gehört es, die Justiz zu kontrollieren, indem 174 etwa Prozessbeobachter zu einzelnen auffälligen Verfahren entsandt werden, auch wenn Öffentlichkeitsarbeit hinsichtlich der Stellung der Anwaltschaft als Teil  der Rechtspflege im Aufgabenkreis liegt.9 Zulässig ist es, in Rundschreiben über Ent­ scheidungen zu berichten, die berufliche Belange der Kammermitglieder betreffen; Prozessparteien können nicht verlangen, dass die Unterrichtung unterbleibt.10 Eine Berufskammer kann in einem Mitteilungsblatt auch Fachaufsätze veröffentlichen, die für die Berufsstellung der Mitglieder bedeutsam sind. Aus dieser Publikationspraxis ergibt sich aber kein Anspruch auf Abdruck des Beitrags eines Kammermitgliedes vorrangig vor Beiträgen von Nichtmitgliedern.11 Über die vom Anwalt abgeschlossene Berufshaftpflichtversicherung hat die Kammer 175 einem eventuell geschädigten Mandanten gem. § 51 Abs. 6 S. 2 BRAO Auskunft zu erteilen, auch wenn die Voraussetzungen eines Direktanspruchs gegen den Versiche­ rer nach § 115 Abs. 1 S. 1 VVG nicht gegeben sind.12 Finanzbehörden ist Auskunft über die für die Besteuerung erheblichen Sachverhalte, etwa das für die Zahlung des Kammerbeitrags benutzte Bankkonto, zu erteilen.13 Der Anwalt ist verpflichtet, seiner Kammer Auskünfte zu erteilen (§ 56 Abs. 1 BRAO), 176 damit diese ihre Aufsichtspflicht erfüllen kann. Dies gilt in Beschwerdeangelegenhei­ ten auch dann, wenn sich der Anwalt nicht berufsrechtswidrig verhalten hat.14 Die Vorstandsmitglieder und die Kammermitarbeiter sind nach § 76 Abs. 1 BRAO zur dienstlichen Verschwiegenheit über Angelegenheiten von Rechtsanwälten, Anwalts­ bewerbern und anderen Personen verpflichtet.15 Die Kammer darf Stellungnahmen des Anwalts zu Eingaben eines beschwerdeführenden Mandanten, die er aufgrund seiner Auskunftspflicht abgibt, nicht ohne Zustimmung des Anwalts an den Mandan­ ten weiterleiten.16

8 AnwGH Celle NJW-RR 2013, 116, 117 f. 9 BGH NJW-RR 2014, 173 Tz. 5. 10 Vgl. OLG Brandenburg NJW-RR 2008, 1511 (zur Steuerberaterkammer). 11 So für die „Mitteilungen der deutschen Patentanwälte“ BGH NJW-RR 2013, 177 Tz. 13. 12 BGH NJW 2013, 234 Tz. 6 ff. 13 BFH NJW 2007, 1305, 1306 (dort: zwecks Pfändung von Guthaben). Zur Informationser­ teilung nach Landesinformationsfreiheitsgesetzen BGH(AnwS) AnwBl 2017, 555 m. Bespr. Ewer AnwBl 2017, 601 ff. 14 AnwG Frankfurt NJW-RR 2017, 126. 15 BGH NJW-RR 2017, 120 Tz. 22, 24. 16 BGH NJW-RR 2017 Tz. 30 ff.; s. auch BGH NJW 2011, 2303.

51

Teil 1 ­|  Institutionen der anwaltlichen Selbstverwaltung Kasuistik:

177

EGH Berlin NJW 1992, 846 f.: Der Antragsteller hatte nach Angaben gegenüber seiner Rechts­ anwaltskammer seinen Kanzleisitz in B., unterhielt aber seit 1985 einen zweiten Wohnsitz in U. In drei Beschwerden an die Kammer wurde der Verdacht geäußert, der Antragsteller betrei­ be dort unter Verstoß gegen das (damals noch geltende) Zweigstellenverbot eine zweite Kanzlei. In einem darüber geführten Disziplinarverfahren trug er vor, in U. ein Büro lediglich zur Abwicklung privater Vermögensangelegenheiten zu unterhalten. Auf Anfrage des Finanz­ amtes W. bei der Kammer nach dem Fortbestand der Anwaltszulassung und der tatsächlichen Kanzleianschrift wurde von der Sachbearbeiterin der Kammer nicht nur die Kanzleianschrift B., sondern auch die Anschrift in U. mitgeteilt. Der Antragsteller begehrte die Feststellung ei­ nes Verstoßes gegen die Verschwiegenheitspflicht des § 76 Abs. 1 BRAO und eine Korrektur der Auskunft gegenüber dem Finanzamt. Die An­träge hatten Erfolg. Der EGH17 nahm an, dass die Kammer nicht befugt sei, außerhalb gerichtlicher Verfahren und ohne Erteilung einer Aussagegenehmigung Behörden im Wege der Amtshilfe Einsicht in die Personalakte eines Rechtsanwalts zu gewähren. Die Gleichstellung mit einem Angehöri­ gen des öffentlichen Dienstes verstoße gegen den Grundsatz der freien Advokatur. Zwar sei im Interesse der Rechtsuchenden und des Rechtsanwalts selbst die Mitteilung der Kanzleianschrift zulässig. Das Finanzamt habe aber nicht mit dieser Interessenlage Auskunft begehrt; auch sei die weitere Anschrift nur aufgrund von Beschwerden in die Unterlagen der Kammer gelangt. Die erteilte Auskunft habe den Eindruck einer vom Antragsteller bestrittenen Kanzleiverle­ gung erweckt.

4. Bundesrechtsanwaltskammer 178

Die Bundesrechtsanwaltskammer besitzt nur zwei Organe, nämlich das Präsidium (§ 179 (BRAO) und die Hauptversammlung (§ 187 BRAO). Kein Organ ist die Sat­ zungsversammlung, auch wenn sie bei der BRAK eingerichtet ist.18 Als Zeitschrift gibt die BRAK die BRAK-Mitteilungen heraus. Von der BRAK und den Kammern wird das Deutsche Anwaltsinstitut e. V. mit Sitz in Bochum getragen, das über ver­ schiedene Fachinstitute verfügt und Fortbildungsaufgaben wahrnimmt.

II. Satzungsversammlung 179

Bei der BRAK ist die Satzungsversammlung angebunden (§ 191a BRAO). Sie geht aus Wahlen hervor und hat die in § 191a Abs. 2 i. V. m. § 59b BRAO vorgesehene Kompe­ tenz, eine Berufsordnung für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes (BORA) in Sat­ zungsform zu erlassen.

180

Positive Beschlüsse der Satzungsversammlung unterliegen gem. §  191e BRAO der Rechtsaufsicht des Bundesjustizministeriums. Das Ministerium hat eine Aufhebungs­ befugnis, die binnen drei Monaten ausgeübt werden muss. Davon hat das Ministeri­ um mehrfach Gebrauch gemacht.

17 Zur Umbenennung des Gerichts s. § 9 Rn. 184. 18 BGH NJW 2010, 3787 Tz. 14.

52

Kammern als Selbstverwaltungskörperschaften  ­|  § 8

Die Aufhebung eines Beschlusses der Satzungsversammlung ist ein Verwaltungsakt 181 des Bundesjustizministeriums. Er kann nach § 112c BRAO, § 42 VwGO mit der An­ fechtungsklage angegriffen werden. Für die Entscheidung zuständig ist der BGH (§  112a Abs.  3 Nr.  1 BRAO). Aktivlegitimiert ist die Bundesrechtsanwaltskammer, nicht die Satzungsversammlung selbst.19

III. Schlichtungsstelle Gem. § 191f Abs. 1 BRAO ist bei der Bundesrechtsanwaltskammer eine unabhängige 182 Stelle zur Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Mitgliedern von Rechtsanwalts­ kammern und deren Mandanten einzurichten. Die Besetzung der Stelle ist in § 191f BRAO geregelt. Für das Schlichtungserfahren hat die BRAK eine Satzung aufgestellt. Der streitige Anspruch darf keinen höheren Wert als 15 000  Euro ausmachen. Ein etwaiger Beweis kann nur mit Urkunden geführt werden. Das Verfahren ist kosten­ frei. Die Schlichtungsstelle ist eine Verbraucherschlichtungsstelle im Sinne des Ver­ braucherstreitbeilegungsgesetzes, für die dessen Informationspflichten gelten (§§ 36 f. VSBG).

IV. Zur Abgrenzung: DAV Eine privatrechtliche freiwillige Anwaltsorganisation ist der Deutsche Anwaltsverein 183 e. V. in Berlin, der als Dachverband der örtlichen Anwaltsvereine gebildet worden ist. Er hat für Fortbildungszwecke die Deutsche Anwaltsakademie eingerichtet und ver­ anstaltet regelmäßig den Deutschen Anwaltstag. Publikationsorgan ist die Monats­ zeitschrift „Anwaltsblatt“.

19 BGH NJW 2010, 3787 Tz. 13 f.

53

§ 9 Berufsgerichtsbarkeit

I. Eigenständige Gerichtsbarkeit 1. Gerichtsorganisation . . . . . . . . . . 184 2. Zweispuriges Verfahrensrecht . . 187 3. Berufsgerichtsbarkeit als besondere staatliche Gerichtsbarkeit . . 188

II. Verwaltungsrechtliche Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 III. Verfahrenskosten . . . . . . . . . . . . 197

I. Eigenständige Gerichtsbarkeit 1. Gerichtsorganisation 184

Die Anwaltsgerichtsbarkeit, früher Ehrengerichtsbarkeit genannt, ist eine in drei Ins­ tanzen gegliederte Berufsgerichtbarkeit.1 Ausgeübt wird sie durch das Anwaltsgericht (§ 92 BRAO), den Anwaltsgerichtshof für Rechtsanwälte (AnwGH, § 100 BRAO), der für jeden Kammerbezirk bei einem Oberlandesgericht gebildet ist, sowie den An­ waltssenat des Bundesgerichtshofes (§ 106 Abs. 1 BRAO). Nur in Disziplinarsachen ist der Instanzenzug dreigliedrig. In Verwaltungsrechtssachen, etwa dem Streit um die Zulassung eines Anwaltsbewerbers zur Anwaltschaft, ist er zweigliedrig und be­ ginnt beim Anwaltsgerichtshof (§ 112a BRAO).

185

In der Anwaltsgerichtsbarkeit sind Rechtsanwälte und Berufsrichter gemeinsam auf der Richterbank tätig, jedoch in wechselnder quantitativer Verteilung. Während das Anwaltsgericht ausschließlich mit drei Rechtsanwälten besetzt ist (§ 96 BRAO), führt beim AnwGH ein Rechtsanwalt den Vorsitz neben zwei weiteren Rechtsanwälten und zwei Berufsrichtern als Beisitzern (§ 101 BRAO). Der fünfköpfige Anwaltssenat des BGH ist mit drei Berufsrichtern und zwei Rechtsanwälten besetzt; den Vorsitz führt der Präsident des BGH oder der Vorsitzende eines der Senate des BGH (§ 106 Abs. 2 BRAO).

186

Die Mitgliedschaft eines Anwaltsrichters im Vorstand einer beklagten Rechtsanwalts­ kammer begründet mangels Vorbefassung mit der Angelegenheit nicht per se die Be­ sorgnis richterlicher Unparteilichkeit.2 2. Zweispuriges Verfahrensrecht

187

Entsprechend der Zweiteilung der Materien, für die die Anwaltsgerichtsbarkeit zu­ ständig ist, unterscheiden sich die Verfahrensordnungen. Beseitigt worden ist die ir­ reguläre Anwendung des alten Gesetzes über die Freiwillige Gerichtsbarkeit (so §§ 40 Abs. 4, 42 Abs. 6 S. 2 BRAO a. F.) mit dem am 1.9.2009 erfolgten Übergang vom FGG 1 Zur historischen Entwicklung der Gerichtsbarkeit Morisse AnwBl 2011, 890 ff. 2 Vgl. BGH (AnwS) NJW-RR 2017, 187 Tz. 13 f. (dort: ehemaliger Schatzmeister der RAK).

54

Berufsgerichtsbarkeit  ­|  § 9

zum FamFG. Sachgerecht wird nunmehr in verwaltungsrechtlichen Verfahren gem. §  112c Abs.  1 BRAO die VwGO angewandt und in Disziplinarsachen gem. §  116 Abs. 1 S. 2 BRAO die StPO. 3. Berufsgerichtsbarkeit als besondere staatliche Gerichtsbarkeit Die Gerichte der Anwaltsgerichtsbarkeit sind staatliche Gerichte, die unabhängig von 188 den Rechtsanwaltskammern entscheiden.3 Ihre Entscheidungstätigkeit steht nicht in Widerspruch zum Unionskartellrecht gem. Art. 101 AEUV. Gegenteilige Rechtsbe­ hauptungen brauchen nicht zum Gegenstand einer Vorlage beim EuGH (Art.  267 AEUV) gemacht zu werden.4 Da die Maßnahmen der Rechtsanwaltskammern als öffentlich-rechtlichen Körper­ 189 schaften (§ 62 Abs. 1 BRAO) die Ausübung öffentlicher Gewalt darstellen, soweit sie etwa über die Zulassung zur Anwaltschaft, den Widerruf einer Zulassung oder den Ausspruch berufsrechtlicher Sanktionen entscheiden, wäre ohne Einrichtung der ei­ genständigen Berufsgerichtsbarkeit gem. § 40 Abs. 1 VwGO der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet. Ob diese Sonderung verfassungsrechtlich zulässig ist und ob sie rechtspolitisch erwünscht ist, jedenfalls soweit sie der Zivilgerichtsbarkeit angegliedert ist, wird gelegentlich kontrovers diskutiert.5 Die gegen die jetzige Organisationsform gerichteten Bedenken sind nicht überzeu­ 190 gend. Die Anwaltsgerichtsbarkeit ist organisatorisch und personell von den Organen der Kammer getrennt und wird in sachlicher und personeller Unabhängigkeit ausge­ übt, so dass die Rechtsschutzgarantie des Art.  19 Abs.  4 GG ebenso erfüllt ist wie Art. 97 Abs. 1 GG. Es handelt sich um Gerichte, die i. S. d. Art. 101 Abs. 2 GG durch Gesetz für besondere Sachgebiete errichtet worden sind.

II. Verwaltungsrechtliche Verfahren Die häufigsten Verwaltungsrechtsverfahren betreffen die Versagung der Zulassung 191 von Anwaltsbewerbern und die Rücknahme oder den Widerruf der Zulassung von Rechtsanwälten, soweit das Zulassungsende nicht auf einem disziplinarrechtlichen Ausschluss aus der Anwaltschaft oder auf einem entsprechenden strafgerichtlichen Urteil beruht. Gegen die Versagung der Zulassung ist Klage beim AnwGH zu erheben (§ 112a Abs. 1 BRAO). Gegen dessen Entscheidung ist die zulassungsgebundene Be­ rufung zum Anwaltssenat des BGH möglich (§§ 112a Abs. 2 Nr. 1, 112e BRAO).

3 BVerfG NJW 2006, 3049, 3050 (betr. Verfahren AnwGH Sachsen-Anhalt NJW-RR 2006, 1215). 4 Erfolglos daher die Rüge einer Verletzung des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG in BVerfG NJW 2006, 3049. 5 Dazu Rennert AnwBl 2014, 905 ff.; Kilian AnwBl. 2015, 278 ff.; Kilian NJW 2016, 137 ff.; Kirchberg AnwBl 2015, 44  ff.; Quaas AnwBl 2015, 330; Geiersberger AnwBl 2015, 287  ff.; Deckenbrock AnwBl 2015, 365 ff.; Rennert AnwBl 2016, 533 f.

55

Teil 1 ­|  Institutionen der anwaltlichen Selbstverwaltung 192

Auch alle weiteren Streitigkeiten über die Verwaltungstätigkeit der Rechtsanwalts­ kammern oder über die innere Organisation der Kammern fallen in die Zuständig­ keit des AnwGH. Für den Antrag, Dritten keine Bestandteile der Personalakte, z. B. die Stellungnahme zu der Beschwerde einer Auszubildenden, zugänglich zu machen, ist der AnwGH und nicht das AnwG erstinstanzlich zuständig. Es handelt sich um hoheitliches Handeln, ohne dass ein Verwaltungsakt vorliegt.6 Kasuistik:

193

(a) OVG Münster NJW 1995, 3403 = ZIP 1995, 1604: Der klagende Rechtsanwalt hatte sich 1986 in dem vom Deutschen Anwaltsverein (DAV) herausgegebenen Anwaltsblatt kritisch zu den von der beklagten Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) festgestellten Standesrichtlinien geäußert. Die Veröffentlichung in den BRAK-Mitteilungen war zuvor abgelehnt worden. Daraufhin kam es zu Gesprächen zwischen DAV und BRAK, die der Kläger als Versuch deute­ te, seine BRAK-kritischen Veröffentlichungen zu unterbinden. 1992 setzte sich der Kläger in einem weiteren Zeitschriftenbeitrag sehr kritisch mit der Beklagten und deren Auffassung zum Gesetz zur Überprüfung der Rechtsanwälte in der DDR auseinander. Der Präsident der Be­ klagten äußerte sich in einem Schreiben an den DAV empört über diese Veröffentlichung und verlangte eine Distanzierung sowie die Unterlassung des Abdrucks ähnlicher künftiger Veröf­ fentlichungen. Nach vergeblich begehrtem aufsichtsrechtlichen Einschreiten des BMJ verlang­ te der Kläger vor dem Verwaltungsgericht Unterlassung weiterer Versuche, durch Einwirken auf den DAV kritische Äußerungen über die Beklagte im Anwaltsblatt zu unterbinden. Das OVG sah für diese öffentlich-rechtliche Streitigkeit gemäß § 223 BRAO a. F. den Anwaltsgerichtshof als zuständig an, auch wenn kein Verwaltungsakt angefochten und keine Untätig­ keitsklage betrieben wurde. Standesrechtliche Streitigkeiten sollten der Verwaltungsgerichts­ barkeit umfassend entzogen sein.

194

(b) OVG Lüneburg NJW 1996, 869: Der klagende Rechtsanwalt wollte der beklagten RA-Kam­ mer u. a. untersagen lassen, Beitragszahlungen der Zwangsmitglieder für die Entwicklung ei­ nes „Wir-Gefühls“ sowie für „Öffentlichkeitsarbeit und Gemeinschaftswerbung im großen Stil“ zu verwenden. Das OVG verneinte den Verwaltungsrechtsweg für diese Streitigkeit, weil Streitigkeiten eines Kammermitgliedes gegen seine Kammer durch § 223 BRAO a. F. in konzentrierter Weise der Anwaltsgerichtsbarkeit zugewiesen werden sollten. Die Anwaltsgerichtshöfe beim OLG seien staatliche Gerichte, die den Anforderungen des Grundgesetzes genügten, wie BVerfG NJW 1969, 2192 bereits ausgesprochen habe.

195

(c) AnwGH Sachsen-Anhalt NJW-RR 1995, 1206 = MDR 1995, 748: Der Antragsteller war nach Widerruf der Zulassung des Antragsgegners wegen Vermögensverfalls zum Abwickler von dessen Praxis bestellt worden (§ 55 Abs. 5 BRAO). Wegen Verweigerung der Erteilung von Postvollmacht beantragte der ASt. die Anordnung, ihm gem. § 45 Abs. 6 PostO von 1963 oder in Anlehnung an § 121 Abs. 1 KO alle die abzuwickelnde Praxis betreffenden Postsendungen auszuhändigen. Der AnwGH sah die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit als gegeben an. Die Post­ dienstVO von 1991 kenne keine dem früheren § 45 Abs. 6 PostO vergleichbare Regelung; die Stellung des Konkursgerichts unterscheide sich wesentlich von der des AnwGH. Durchzuset­ zen sei die Anspruchsgrundlage des § 53 Abs. 10 S. 1 BRAO (Inbesitznahme der Kanzleigegen­ 6 BGH NJW 2011, 2303 Tz. 11.

56

Berufsgerichtsbarkeit  ­|  § 9 stände einschließlich des Treuguts) vor dem Amtsgericht, gegebenenfalls durch einstweilige Verfügung. Zur Aktenübernahme durch den Kanzleiabwickler s. OLG Koblenz NJW 1996, 1760. (d) OVG Weimar NJW 2003, 1339: Der Antragsteller hatte ein Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO eingeleitet, um die Nichtigkeit der Kammerbeitragsordnung feststellen zu lassen.

196

Das OVG verwies den Antrag gem. §§ 173 VwGO, 17a Abs. 2 GVG an den Anwaltsgerichtshof, der darüber in dem spezielleren Verfahren nach § 90 BRAO zu entscheiden habe.

III. Verfahrenskosten Die Verteilung der Kosten des anwaltsgerichtlichen Verfahrens in Verwaltungssachen 197 und in Disziplinarsachen ist in §§ 195 ff. BRAO geregelt.

57

§ 10 Disziplinarangelegenheiten

I. Sanktionssystem der BRAO . . . 198

II. Aufsichtsmaßnahmen des Kammervorstandes 1. Belehrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 2. Rüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

III. Das Disziplinarverfahren der Anwaltsgerichtsbarkeit . . . . . . . 208 IV. Exkurs: Verfolgung als UWGVerstoß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213

I. Sanktionssystem der BRAO 198

Die disziplinarische Verfolgung von Verstößen gegen Berufspflichten erfolgt entwe­ der im Wege der Standesaufsicht durch den Vorstand der örtlich zuständigen Rechts­ anwaltskammer oder durch die Berufsgerichtsbarkeit (An­waltsgerichtsbarkeit, frü­ her: Ehrengerichtsbarkeit). Zwischen beiden Formen des disziplinarischen Vorgehens ist die Abgrenzung nach der Schwere der Sanktionen vorgenommen worden. Schwer­ wiegendere Verstöße gegen berufliche Pflichten, für deren Ahndung eine Rüge des Kammervorstandes nicht ausreicht, sind von der Anwaltsgerichtsbarkeit zu behan­ deln. Das Verfahren beginnt beim Anwaltsgericht.

199

Generell gesehen kann auf einen Berufsrechtsverstoß mit präventiven oder mit re­ pressiven Maßnahmen reagiert werden. Präventiv gedacht sind Belehrungen und be­ ratende Hinweise des Kammervorstands gem. § 73 Abs. 2 Nr. 1 BRAO; die Anwalts­ gerichtsbarkeit kann jedoch nur repressiv vorgehen. Als ahndungsbedürftig sieht § 113 Abs. 2 BRAO auch außerberufliches Fehlverhalten an. Außerberufliches Verhal­ ten muss aber geeignet sein, das Vertrauen der Rechtsuchenden in die korrekte Aus­ übung der Anwaltstätigkeit erheblich zu beeinträchtigen.1 Um berufliche Pflichtver­ letzungen handelt es sich, wenn der Rechtsanwalt Pflichten verletzt, die ihm kraft seines Berufes obliegen oder die sich sonst auf seinen Beruf beziehen.2

200

Eine leichte Sanktion, für die der Kammervorstand zuständig ist, ist die Erteilung ei­ ner Rüge gem. § 74 BRAO. In § 74 BRAO sollte nach dem RegE der BRAO-Novelle von 2017 eine Regelung eingefügt werden, nach der die Rüge mit einer Geldbuße von bis zu 2.000 Euro verbunden werden konnte. Damit sollte eine Missachtung der Fort­ bildungspflicht geahndet werden können. Der Rechtsausschuss des Bundestages hat diese Vorschrift zusammen mit der geplanten Verschärfung der Fortbildungspflicht gestrichen.3

201

Sanktionen, die der Anwaltsgerichtsbarkeit vorbehalten sind, zählt § 114 BRAO auf: Warnung, Verweis, Geldbuße bis zu 25 000 Euro, befristetes Tätigkeitsverbot als Ver­ 1 Vgl. AnwG Frankfurt AnwBl 2017, 329. 2 BGH NJW 1996, 1836. 3 BT-Drucks. 18/11468 S. 10 f.

58

Disziplinarangelegenheiten  ­|  § 10

treter und Beistand auf bestimmten Rechtsgebieten für die Dauer von ein bis fünf Jahren sowie Ausschließung aus der Rechtsanwaltschaft. Darüber hinaus ist gem. §§ 150 ff. BRAO die Verhängung eines vorläufigen Berufs- und Vertretungsverbotes möglich. Ein vorläufiges Verbot berührt nach § 155 Abs. 5 BRAO nicht die Wirksam­ keit von Rechtshandlungen des betroffenen Anwalts. Sein Auftreten vor Gerichten oder Behörden soll aber zurückgewiesen werden (§ 156 Abs. 2 BRAO). Kasuistik: BGH NJW 1996, 1836: Der Rechtsanwalt hatte als Verteidiger seines Sohnes eine Zeugin zur Falschaussage angestiftet und in der Hauptverhandlung – folgenlos – deren Vereidigung be­ antragt. Wegen dieser Tat wurde er zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt. Bei ei­ ner zufälligen Begegnung mit der Zeugin vor deren Hauptverhandlungstermin wegen uneidli­ cher Falschaussage riet er dieser zu einem Verteidigungsverhalten, das nicht ihren Interessen entsprach, wie dem Anwalt bewusst war. Der AnwGH verhängte ein Vertretungsverbot für die Dauer von 5 Jahren auf dem Gebiet des Strafrechts und damit zusammenhängenden Rechtsge­ bieten (Ordnungs­wid­rigkeitenrecht, Disziplinarrecht, Standesrecht). Die Revisionen blieben erfolglos.

202

Der Anwaltssenat bejahte eine berufliche Pflichtverletzung auch für das Nachtatverhalten ge­ genüber der Zeugin, obwohl ein Beratungsauftrag insoweit nicht bestanden hatte. Die Be­ schränkung der disziplinarischen Sanktion auf ein Vertretungsverbot war wegen der besonde­ ren Situation, in der die Pflichtverletzungen begangen wurden, gerechtfertigt, obwohl ein Rechtsanwalt, der wegen eines Aussagedelikts bestraft werden musste, in der Regel aus der Rechtsanwaltschaft auszuschließen sein soll.

II. Aufsichtsmaßnahmen des Kammervorstandes 1. Belehrungen Dem Kammervorstand obliegt nach § 73 Abs. 2 Nr. 1 BRAO, die Kammermitglieder 203 in Fragen der Berufspflichten zu beraten und zu belehren. Zu unterscheiden ist dabei zwischen Rat und wertneutraler Belehrung zur präventiven Unterrichtung über die Sicht des Kammervorstands einerseits und missbilligender Belehrung andererseits. Rat und wertneutrale Belehrung stellen neutrale Aufsichtsmittel dar. Sie geben dem Kammervorstand die Möglichkeit, bestimmte Hinweise für die Zukunft auszuspre­ chen. Rat und wertneutrale Belehrung sind mangels Regelungscharakters keine Ver­ waltungsakte.4 Daher gibt es gegen sie kein Rechtsmittel, sofern nicht ein Bescheid mit Rechtsmittelbelehrung erlassen wurde.5 Der betroffene Rechtsanwalt hat ledig­ lich die Möglichkeit, eine Gegenvorstellung zu erheben. Die Zulässigkeit der Erteilung einer missbilligenden Belehrung als Maßnahme unter­ 204 halb einer Rüge ist umstritten,6 wird aber vom BGH nicht beanstandet.7 Proble­ 4 Kleine-Cosack BRAO7 § 73 Rdn. 6. 5 Kleine-Cosack BRAO7 § 73 Rdn. 6 f. Zu der Ausnahme BGH NJW 2007, 3349 Tz. 4. 6 Vgl. Kleine-Cosack BRAO7 § 73 Rdn. 9. 7 Vgl. etwa BGH NJW 2017, 669.

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Teil 1 ­|  Institutionen der anwaltlichen Selbstverwaltung

matisch ist ihre Abgrenzung zur Rüge i. S. d. § 74 BRAO, die eindeutig repressiven Charakter aufweist und mit Rechtsbehelfen angegriffen werden kann. Lässt man Missbilligungen unterhalb der Schwelle der Rüge zu, muss dagegen wegen Art.  19 Abs.  4 GG auch Rechtsschutz gewährt werden. Mangels anderweitiger gesetzlicher Überprüfungsregelungen wäre dafür eigentlich der Einspruch analog §  74 Abs.  5 BRAO und bei dessen Erfolglosigkeit der Antrag auf anwaltsgerichtliche Entschei­ dung analog § 74a BRAO zuzulassen.8 Der BGH sieht in der missbilligenden Beleh­ rung jedoch seit 2009 einen Verwaltungsakt, der im Verfahren nach § 112a BRAO angefochten werden kann, das erstinstanzlich aber nicht beim Anwaltsgericht, son­ dern beim Anwaltsgerichtshof beginnt.9 Das unreflektierte Verwirrspiel um den richtigen Rechtsbehelf und die erstinstanzliche Zuständigkeit ist kein Ruhmesblatt für die Anwaltschaft. Die Überprüfbarkeit der Rechtsauslegung des Kammervorstan­ des in einem objektiven Verwaltungsverfahren – sogar unabhängig von der Qualifi­ zierung als wertneutral oder missbilligend – ist an sich sachgerecht, hätte aber einer gesetzlichen Regelung bedurft. Wird eine missbilligende Belehrung dem Geschäfts­ führer einer Rechtsanwalts-GmbH erteilt, ist nur er selbst Adressat des belastenden Verwaltungsakts; die GmbH kann folglich keine Anfechtungsklage erheben.10 2. Rüge 205

Die Rüge nach § 74 BRAO ist diejenige Sanktion, für deren Verhängung im Wege der Berufsaufsicht der Kammervorstand zuständig ist. Mit ihr wird ein Pflichtverstoß be­ anstandet, wenn die Schuld des Anwaltes gering ist und ein Antrag auf Einleitung des anwaltsgerichtlichen Verfahrens nicht erforderlich scheint. Das Rügeverfahren ist rechtsstaatlich ausgestaltet. Vor der Erteilung einer Rüge ist der Anwalt zu dem kon­ kreten Vorwurf zu hören. Die Rü­ge ist schriftlich zu begründen und muss ordnungs­ gemäß zugestellt werden.

206

Eingeleitet wird das Aufsichtsverfahren von Amts wegen. Der Kammervorstand kann im Wege der Amtshilfe Auskünfte von amtlichen Stellen einholen, kann eine behörd­ liche Auskunft allerdings nicht erzwingen. Gegen den Rügebescheid kann der Anwalt gem. § 74 Abs. 5 BRAO binnen eines Monats Einspruch beim Kammervorstand erhe­ ben. Das Einspruchsverfahren gibt dem Kammervorstand die Möglichkeit, die eigene Entscheidung zu überprüfen. Hilft der Vorstand dem Einspruch nicht ab, kann der gerügte Anwalt innerhalb eines Monats die Entscheidung des Anwaltsgerichts bean­ tragen (§ 74a Abs. 1 BRAO). Das sich anschließende Verfahren vor dem Anwaltsge­ richt folgt im Wesentlichen den Verfahrensvorschriften der StPO, soweit nicht die speziellen Bestimmungen des § 74a Abs. 2 S. 3–8 BRAO eingreifen. 8 So das Vorgehen in BGHZ 153, 61 = NJW 2003, 662 (ohne Erörterung des Rechtsbehelfs). Vgl. auch BVerfG NJW 1979, 1159, 1160/1161 zur Anwendung des § 223 BRAO a. F. und dem folgend BGH NJW 2010, 1972 Tz. 7. 9 Erstmals BGH NJW 2010, 1972 Tz. 7, jedoch noch auf Grundlage des § 223 Abs. 1 BRAO a. F. Dann zu § 112a BRAO BGH NJW 2012, 3039 Tz. 5; BGH NJW 2015, 72 Tz. 7; BGH v. 18.7.2016 – AnwZ (Brfg) 22/15 juris Tz. 10 (nicht in NJW-RR 2016, 1146); BGH WRP 2017 316 Tz. 7 (nicht in NJW 2017, 669). 10 AnwGH Celle v. 8.11.2016 – AGH 18/16, BeckRS 2016, 116145.

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Disziplinarangelegenheiten  ­|  § 10

Die Entscheidungsmöglichkeiten des Anwaltsgerichts ergeben sich aus § 74a Abs. 3 207 und 4 BRAO. Der Beschluss des Anwaltsgerichts ist zu begründen und zuzustellen. Gegen ihn ist ein weiterer Rechtsbehelf nicht gegeben. Die Eintragung einer Rüge in der Personalakte des Anwalts wird nach fünf Jahren getilgt (§ 205a Abs. 5 BRAO).

III. Das Disziplinarverfahren der Anwaltsgerichtsbarkeit Für das Verfahren vor der Anwaltsgerichtsbarkeit herrscht Anklagezwang; der Staats­ 208 anwaltschaft steht gem. § 121 BRAO das Anklagemonopol zu. Eingeleitet wird das Verfahren deshalb durch eine Anschuldigungsschrift der Staatsanwaltschaft. Der Ver­ letzte eines Verstoßes gegen Berufsregeln hat kein Klageerzwingungsrecht, §  122 Abs. 5 BRAO. Das Anwaltsgericht entscheidet aufgrund einer Hauptverhandlung. Sein Urteil lautet 209 gem. §  139 Abs.  2 BRAO auf Freispruch, auf Einstellung des Verfahrens oder auf ­Verurteilung. Läuft gleichzeitig ein Verfahren in Bußgeld- oder Strafsachen, muss das anwaltsge­ 210 richtliche Verfahren gem. § 118 BRAO ausgesetzt werden. Gegenüber einem laufenden Rügeverfahren hat es Vorrang. Doppelte Disziplinarverfahren wegen Zugehörigkeit zu zwei Berufen regelt § 118a BRAO. Zu doppelten internationalen Disziplinarverfahren näher § 40, Rn. 1062 f. Beschlüsse des Anwaltsgerichts können mit der Beschwerde angegriffen werden. Ge­ 211 gen Urteile des Anwaltsgerichts ist die Berufung an den Anwaltsgerichtshof (­AnwGH) zulässig. Urteile des AnwGH unterliegen unter den Voraussetzungen des § 145 Abs. 1 BRAO der Revision an den Anwaltssenat des BGH. Die Vollstreckung anwaltsgerichtlicher Maßnahmen und die Beitreibung der Verfah­ 212 renskosten sind in §§ 204 f. BRAO geregelt.

IV. Exkurs: Verfolgung als UWG-Verstoß Sanktionen nach der BRAO können nur gegen Kammermitglieder verhängt werden, 213 nicht aber gegen außenstehende Dritte, die z. B. unter Verstoß gegen das RDG uner­ laubte Rechtsberatung betreiben. Ein rasches zivilrechtliches Vorgehen erlaubt in der­ artigen Fällen das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG). Wer sich im Wettbe­ werb unter Verletzung von Rechtsvorschriften einen Vorsprung verschafft, verstößt damit gegen § 3a UWG. Diese Norm erfasst Verstöße gegen Marktverhaltensregeln. Sie wird auch auf Verstöße gegen das RDG angewandt (s. dazu § 34, Rn. 880). Das wettbewerbsrechtliche Vorgehen ist nicht beschränkt auf Außenseiter, sondern 214 kann sich auch gegen Anwälte selbst richten, die berufsrechtliche Normen verletzen, etwa bei unzulässiger Führung des Professorentitels einer ausländischen Universi­

61

Teil 1 ­|  Institutionen der anwaltlichen Selbstverwaltung

tät.11 So wird auf einem zweiten, zivilrechtlichen Weg für die Beachtung des Berufs­ rechts gesorgt. Voraussetzung ist, dass die jeweilige Berufsrechtsnorm als Marktver­ haltensregel qualifiziert wird. 215

Der Vorzug eines solchen Vorgehens besteht darin, dass ein Unterlassungsurteil mit Vollstreckungsmöglichkeit nach § 890 ZPO (Ordnungsgeld bis zu 250 000,00 Euro oder Ordnungshaft bei Titelverstoß) erwirkt werden kann, und zwar auch im einst­ weiligen Verfügungsverfahren (§§ 935 ff. ZPO). Als Unterlassungsgläubiger kommen nach §  8 Abs.  3 UWG neben einzelnen konkurrierenden Anwälten insbesondere ­Verbände zur Förderung gewerblicher Interessen in Betracht. Dazu rechnet der BGH auch die öffentlich-rechtlichen Rechtsanwaltskammern,12 wogegen berechtigte Bedenken erhoben worden sind.13 Allerdings halten sich die Anwaltskammern  – ­anders als die Steuerberaterkammern in ihrem Bereich – mit der Geltendmachung wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche zurück.14 Als Verbandskläger treten anwaltliche Berufsvereine auf.

11 OLG München NJW-RR 1989, 1439 = NJW 1990, 332 (LS). 12 BGH NJW 1990, 578, 579 m. Anm. Michalski EWiR § 3 BRAO 1/90, 151 und Anm. Feuerich GRUR 1989, 282 zur Vorinstanz. 13 Vgl. H. Büttner Festschrift Vieregge (1995), S. 99, 118 ff. m. w. N.; Krämer Festschrift Piper (1996), S. 327, 332. 14 Anders aber in dem Fall BGH NJW 1990, 578; Vorinstanz: OLG Karlsruhe GRUR 1988, 703 – „Freie Anwaltswahl“.

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§ 11 Berufsständische Altersversorgung I. Versorgungswerke der Anwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 216

III. Befreiung von der Pflichtmit­ gliedschaft im Versorgungswerk 221

II. Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht . . . . 220

IV. Leistungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . 222



I. Versorgungswerke der Anwaltschaft Nicht in der BRAO geregelt sind die berufsständischen Rentenversicherungen. Wie 216 auch für einige andere Freiberufler sind eigenständige Versorgungswerke aufgebaut worden.1 Sie sind landesgesetzlich organisiert. Die Pflichtmitgliedschaft ist mit dem Unionskartellrecht vereinbar.2 Landesgesetze über die berufsständischen Versorgungswerke können den Kreis der 217 Pflichtmitglieder eigenständig abgrenzen. Zulässig ist die Festlegung einer Höchst­ altersgrenze von 45 Jahren für die Aufnahme in das Versorgungswerk.3 Sie ist aber in  einzelnen Versorgungswerken abgeschafft worden. Für die Pflichtmitgliedschaft gilt das Lokalitätsprinzip, was bei einem Wechsel in ein anderes Versorgungswerk mit abweichendem Versicherungskonzept zu Veränderungen der Versorgungsanwart­ schaften führen kann. Bemessungsgrundlage der Pflichtbeiträge ist das anwaltliche Berufseinkommen.4 218 Auch geringfügig beschäftigte Rechtsanwälte dürfen zur Beitragszahlung herangezo­ gen werden.5 Einkommensunabhängige Mindestbeiträge verstoßen nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG,6 sofern sie nicht unzumutbar hoch festgelegt werden.7 Zur Bei­ tragsleistung darf nicht verpflichtet werden, wer wegen Kindererziehung einkom­ menslos ist.8 Wird die Mitgliedschaft ohne Anwaltszulassung fortgesetzt, ist die Bei­ tragserhebung wegen der Möglichkeit einer Kündigung nicht grob unbillig.9 Ist ein 1 Zur Rechtsprechung des BVerwG zu berufsständischen Versorgungswerken Groepper NJW 1999, 3008 ff. 2 EuGH v. 2.9.2000  – Rs. C-180 bis 184/98, Pavlov u. a./Stichting Pensionsfonds Medische Specalisten, Slg. 2000 I-6497. 3 VGH Mannheim NJW-RR 2015, 312. 4 Vgl. OVG Koblenz NJW 2005, 1298, 1300 f. (mit landesrechtlichem Gestaltungsspielraum). 5 BVerwG NJW 1994, 1888 f. 6 BVerwG NJW 2001, 1590, 1591. 7 Zu im Ausland lebenden Rechtsanwälten BVerwG NJW-RR 2001, 785. 8 BVerfG NJW 2005, 2443 (unter Aufhebung von BVerwG NJW 2002, 2193), m. Bespr. Wallrabenstein NJW 2005, 2426 ff.; s. ferner Kirchhoff/Kilger NJW 2005, 101 ff. und Kilger/Prossliner NJW 2006, 3108, 3112; nachfolgend BVerfG NJW 2007, 1446 (keine Beitragsminde­ rung wegen Kindererziehungsleistung). 9 VGH Mannheim NJW-RR 2015, 314 (LS).

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Teil 1 ­|  Institutionen der anwaltlichen Selbstverwaltung

Mitglied nicht von der Mitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit (dazu nachfolgend Rn. 220), hat die Erhebung des Grundbeitrags (dazu nachfolgend Rn. 221) auf die wirtschaftliche Belastbarkeit des Mitglieds Rücksicht zu nehmen.10 219

Der Vorstand einer Rechtsanwalts-AG, der sich um die Organisation und die Akqui­ sition von Mandanten kümmert, ist anwaltstypisch tätig und mit seinen Einkünften beitragspflichtig.11 Der Insolvenzverwalter eines Rechtsanwalts ist nicht befugt, des­ sen Mitgliedschaft zu kündigen, um die Erstattung gezahlter Beiträge zu verlangen; sie unterliegen nicht der Pfändung.12

II. Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht 220

Wegen der Pflichtmitgliedschaft in den berufsständischen Versorgungswerken ist für angestellte Rechtsanwälte eine Befreiung von der Pflichtversicherung in der gesetzli­ chen Rentenversicherung vorgesehen. Die Befreiungsklausel des § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI legt fest, unter welchen Voraussetzungen Rechtsanwälte, die Pflichtmitglieder einer berufsständischen Versorgungseinrichtung sind und einer berufsspezifischen Tätigkeit nachgehen, einen Anspruch auf Befreiung haben. Damit soll eine Doppel­ versicherung vermieden werden. Die Befreiung ist aufzuheben, wenn die Pflichtmit­ gliedschaft im Versorgungswerk wegen Ausscheidens aus dem Anwaltsberuf endet.13

III. Befreiung von der Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk 221

Wer zugleich Beamter auf Zeit oder auf Probe ist, kann sich von der Mitgliedschaft im Versorgungswerk befreien lassen.14 Lässt er sich nicht befreien oder besteht eine Ver­ sicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung, reduziert sich die Beitrags­ pflicht auf den Grundbetrag von 3/10 des Regelpflichtbeitrages.15

IV. Leistungsrecht 222

Mit dem Recht auf Bezug einer Altersrente ist auch eine Hinterbliebenenversorgung verbunden. Soweit ein Hinterbliebenenanspruch nicht besteht, erhält der Bezugsbe­ rechtigte einen Zuschlag auf seine Rente. Um diesen Zuschlag trotz grundsätzlich bestehender Hinterbliebenenversorgungsanwartschaft zu erlangen, wäre theoretisch ein Verzicht auf die Hinterbliebenenversorgung denkbar. Auf die Hinterbliebenen­ 10 BVerwG NJW-RR 1997, 312 (obiter dictum). 11 OVG Münster NJW-RR 2011, 1279. 12 BGH ZIP 2008, 417 Tz. 13. 13 BSG NJW 1997, 3333, 3334. Zu weiteren Befreiungsproblemen Kilger/Prossliner NJW 2006, 3108, 3110 f. 14 VGH Mannheim NJW 2010, 2375. 15 VGH Mannheim NJW 2010, 2375, 2377.

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Berufsständische Altersversorgung  ­|  § 11

rente, die für Hinterbliebene mit eigener Beamtenversorgung wegen Anrechnungsre­ gelungen wirtschaftlich nutzlos ist, soll jedoch nicht verzichtet werden können.16 Der Ledigenzuschlag darf durch den Satzungsgeber aus Gemeinwohlgründen und unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes abgesenkt werden.17 Ein Versorgungswerk ist nicht verpflichtet, in gleicher Weise wie die gesetzliche Ren­ 223 tenversicherung Kindererziehungszeiten auf die für die Rentenberechnung maß­ geblichen Versicherungsjahre anzurechnen.18 Soweit eine Anrechnung stattfindet, müssen adoptierte Kinder den leiblichen Kindern nicht gleichgestellt werden.19 Der Anspruch in der gesetzlichen Rentenversicherung auf Altersrente wegen Kindererzie­ hungszeiten bleibt unberührt. Berufsunfähigkeit, die einen Rentenanspruch begründen würde, liegt nicht vor, wenn 224 ein Anwalt seinen Beruf krankheitsbedingt auf eine Teilzeittätigkeit reduzieren muss, dadurch aber gleichwohl mehr als nur unwesentliche Einkünfte erzielt.20 Eine teil­ weise Arbeitsfähigkeit ist nur gegeben, wenn isolierte Tätigkeiten für sich genommen einen Sinn geben. Daran fehlt es, wenn zwar Mandantengespräche geführt werden können, aber wegen einer Augenerkrankung die Fähigkeit zum flüssigen Lesen verlo­ ren gegangen ist.21 Besonderheiten gelten für den Versorgungsausgleich bei Ehescheidung.22

225

16 OVG Lüneburg NJW-RR 2016, 1079 Tz. 11 ff. 17 OVG Lüneburg AnwBl 2016, 850. 18 VGH Kassel NJW 2010, 251, 252. S. dazu auch BVerfG NJW-RR 1998, 783. 19 VGH Kassel NJW 2010, 251, 253. 20 OVG Münster NJW 2012, 1751. 21 BGH NJW 2013, 2121 Tz. 14 (dort: zur privaten Krankentagegeldversicherung). 22 Zum Ledigenzuschlag OVG Lüneburg NJW-RR 2014, 1086, 1087.

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Teil 2 Zulassung zur Rechtsberatung § 12 Zulassung als Einzelanwalt

I. Zulassungsanspruch . . . . . . . . . 226

II. Zulassungshindernisse 1. Tatbestandliche Bestimmtheit . . 230 2. Zuverlässigkeit, körperliche Leistungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . 231 3. Unwürdigkeit des Bewerbers . . . 232



4. Inkompatibilitäten wegen gewerblichen Zweitberufs . . . . . . 233 5. Inkompatibilitäten wegen Tätigkeit im öffentlichen Dienst a) Differenzierung der Beschäftigungsarten . . . . . . . . 246 b) Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . 250

I. Zulassungsanspruch Gemäß § 4 BRAO ist derjenige, der die Befähigung zum Richteramt erlangt hat, auf 226 seinen Antrag hin zur Rechtsanwaltschaft zuzulassen, sofern nicht ein gesetzlicher Hinderungsgrund vorliegt. Es besteht grundsätzlich ein Rechtsanspruch auf Zulas­ sung.1 Nach § 6 Abs. 2 BRAO darf ein Zulassungsantrag nur aus den gesetzlich nor­ mierten Gründen (vgl. § 7 BRAO) abgelehnt werden. Eine Bedürfnisprüfung findet – anders als bei der Notarzulassung  – nicht statt, wie in §  20 Abs.  2 BRAO a. F. (bis 31.5.2007) ausdrücklich festgelegt war; es gibt außer für die Rechtsanwaltschaft beim BGH keinen numerus clausus der Rechtsanwaltssitze. Die Verweisung auf die in § 5 DRiG geregelte Befähigung zum Richteramt bedeutet, 227 dass ein rechtswissenschaftliches Universitätsstudium und ein anschließender Vorbe­ reitungsdienst jeweils mit erfolgreichem Abschluss durch das Erste Examen („Refe­ rendarexamen“) und das (zweite) Staatsexamen („Assessorexamen“) absolviert sein müssen. Ein Fachhochschulstudium oder ein Bachelorstudium an einer Juristischen Fakultät erfüllen diese Voraussetzung auch dann nicht, wenn nach Landeshochschul­ recht der Titel eines Diplom-Juristen oder Diplom-Wirtschaftsjuristen verliehen wird und damit Nähe zur volljuristischen Universitätsausbildung suggeriert wird. Als Lehrberuf kann die Anwaltszulassung ebenfalls nicht erworben werden. In der Verweisung auf die Befähigung zum Richteramt ist das bildungspolitische Ziel 228 der Ausbildung zum „Einheitsjuristen“ verankert. Es wird gelegentlich wegen ver­ meintlicher Justizlastigkeit in der Anwaltschaft gelegentlich kritisiert.2 Unabhängig von der etwaigen Berechtigung dieser Kritik an der Setzung von Ausbildungsschwer­ 1 Diese Regelung ist wegen Art. 12 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geboten, BVerfGE 63, 266, 289. 2 Vgl. Kleine-Cosack BRAO7 § 4 Rdnr. 1. S. dazu auch Haverkate JuS 1996, 478 ff.

67

Teil 2 ­|  Zulassung zur Rechtsberatung

punkten ist der Wert der Einheitsausbildung wegen der mit ihr verbundenen berufli­ chen Variabilität nicht gering zu schätzen. An ihr geübte Kritik könnte die Abschot­ tung der Rechtsanwaltschaft gegenüber Berufswechslern vorbereiten helfen. 229

Die in § 4 BRAO alternativ erwähnte Eignungsprüfung betrifft Staatsangehörige aus EG-Staaten mit Befähigung zur Anwaltszulassung in einem anderen EG-Staat (näher dazu § 38, Rn. 1044). Sie ist auf den europäischen Wirtschaftsraum (EWR) erstreckt worden.

II. Zulassungshindernisse 1. Tatbestandliche Bestimmtheit 230

Der Grundsatz, dass die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu erteilen ist, sofern der Bewerber die Befähigung zum Richteramt erlangt hat, erfährt durch die Tatbestände des § 7 BRAO gewisse Einschränkungen. Danach ist die Zulassung bei Vorliegen der in § 7 Nr. 1-10 genannten Gründe zwingend zu versagen. Die Aufzählung der Zulas­ sungshindernisse des §  7 BRAO ist abschließend und nicht erweiterungsfähig.3 So stellt die Besorgnis unzureichender juristischer Kenntnisse des Bewerbers oder künf­ tigen standeswidrigen Verhaltens keinen Versagungsgrund dar.4 2. Zuverlässigkeit, körperliche Leistungsfähigkeit

231

In mehreren Einzeltatbeständen des § 7 BRAO geht es um Sachverhalte persönlicher oder finanzieller Unzuverlässigkeit5 sowie körperlicher und geistiger Gebrechen. Sie schützen die Ordnungsmäßigkeit der Rechtspflege und darin eingeschlossen die Inte­ ressen potentieller Mandanten. 3. Unwürdigkeit des Bewerbers

232

§ 7 Nr. 5 BRAO schließt eine Zulassung aus, wenn der Bewerber sich eines Verhaltens schuldig gemacht hat, dass ihn unwürdig erscheinen lässt, den Anwaltsberuf auszu­ üben. Das BVerfG hat den Tatbestand als verfassungsgemäß angesehen.6 Das Ver­ halten muss berufsrechtlich relevant sein.7 Bejaht worden ist dies bei einer Juristin, die als Referendarin ihre auszubildende Staatsanwältin erheblich beleidigt hatte,8 bei einem Anwalt, der u. a. wegen Vermögensverfalls bereits zum zweiten Mal seine Zu­ 3 BGH NJW 1985, 1842, 1843. 4 Feuerich/Weyland/Vossebürger BRAO9 § 7 Rdn. 7. 5 Zur abstrakten Gefährdung von Interessen der Rechtsuchenden wegen Vermögensverfalls (§ 7 Nr. 9 BRAO) BGH NJW 2005, 1944 (Versagung der Wiederzulassung); BGH NJW 2005, 1271 (Aufhebung des Insolvenzverfahrens mit Ankündigung der Restschuldbefreiung). 6 BVerfG NJW 1983, 1535, 1536 f. 7 Kleine-Cosack BRAO7 § 7 Rdn. 13. 8 BGH NJW-RR 2016, 1401 (Verfassungsbeschwerde unter 1 BvR 1822/16 mit Verbändean­ hörung anhängig).

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Zulassung als Einzelanwalt  ­|  § 12

lassung verloren, jedoch sein Kanzleischild weiterhin beibehalten und sich dadurch als rechtsuntreu erwiesen hatte9 und bei einem ausländischen Anwalt, der mehrfach durch Straftaten in Erscheinung getreten war10. 4. Inkompatibilitäten wegen gewerblichen Zweitberufs Generalklauselartige Weite besitzt § 7 Nr. 8 BRAO, der sich mit der Anwaltstätigkeit 233 als Zweitberuf befasst. In der bis 1994 geltenden Fassung kam es sehr unbestimmt darauf an, ob die anderweitige Tätigkeit mit dem Beruf eines Rechtsanwalts oder dem Ansehen der Rechtsanwaltschaft unvereinbar war. Das BVerfG hatte in einem Be­ schluss vom 4.11.1992 eine verfassungskonforme Auslegung der Unvereinbarkeits­ vorschrift („Inkompa­ti­bi­li­tätsregelung“) unter Berücksichtigung des Art. 12 GG ver­ langt und Unabhängigkeit und fachliche Kompetenz sowie Integrität als mögliche Kriterien genannt.11 Die gesetzliche Neuregelung erhebt statt dessen – bisherige In­ terpretationsleitlinien aufgreifend – zum Prüfungskriterium, ob die nichtanwaltliche Tätigkeit mit dem Anwaltsberuf, insbesondere der Stellung als unabhängiges Rechts­ pflegeorgan (vgl. § 1 BRAO) unvereinbar ist oder auch nur das Vertrauen in die Un­ abhängigkeit gefährden kann (s. auch § 27, Rn. 545).12 Kritsch zu sehen ist das Prüf­ kriterium, nach dem es maßgebend sein soll, ob die Belastung „in den Augen des rechtsuchenden Publikums Zweifel an der Unabhängigkeit hervorrufen“ könne. Ent­ scheidend sollte statt dessen sein, ob der Zweitberuf die Gefahr illoyaler Vertragser­ füllung des Anwalts begründen könnte. Faktisch dient die Vorschrift des § 7 Nr. 8 BRAO dazu, einerseits reine Titularzulas­ 234 sungen zu verhindern, die deshalb erstrebt werden, weil der Titel „Assessor“, der auf­ grund der durch das Staatsexamen nachgewiesenen Befähigung zum Richteramt ge­ führt werden darf, nicht attraktiv erscheint. Zugleich wird aber auch die gelegentliche Berufstätigkeit als Anwalt vereitelt. Insoweit werden potentielle Mandanten vor uner­ fahrenen Anwälten geschützt. Dass damit nebenher unerwünschte Konkurrenz von sog. Feierabendanwälten abgewehrt wird,13 dürfte den zugelassenen Rechtsanwälten nicht unlieb sein. Eine Folgewirkung ist, dass jungen Anwälten, die am Beginn einer freiberuflichen 235 Praxis auf anderweitige Erwerbsmöglichkeiten ergänzend angewiesen sind, der Be­ rufsstart erschwert wird. Auf sie hatte selbst der Deutsche Anwaltsverein in seinen Stellungnahmen gegenüber dem BVerfG hingewiesen.14 Schwierigkeiten erwachsen aus der Zulassungsnorm auch den Unternehmensjuristen, die den Status eines Syndi­ kusanwalts erstreben (dazu § 16, Rn. 287 ff.).

9 BGH NJW 2008, 3569 Tz. 7. 10 AnwGH Hamm AnwBl 2017, 89. 11 BVerfGE 87, 287, 319 = NJW 1993, 317, 318 (C I 2). 12 So z. B. BGH NJW 2008, 1318 Tz. 7; BGH NJW-RR 2009, 1359 Tz. 6; BGH NJW 2010, 1381 Tz. 6; BGH NJW-RR 2011, 856 Tz. 4; BGH NJW 2012, 534 Tz. 3. 13 So ausdrücklich z. B. BGH NJW-RR 2009, 1359 Tz. 12; BGH NJW 2010, 1381 Tz. 8. 14 BVerfG NJW 1993, 317, 318 (I 1).

69

Teil 2 ­|  Zulassung zur Rechtsberatung 236

In § 7 Nr. 8 BRAO wird die Prüfung der rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeit zur jederzeitigen Ausübung des Anwaltsberufes verankert.15 Sowohl der Inhalt des für die anderweitige Tätigkeit abgeschlossenen Arbeitsvertrages als auch tatsächliche Gegebenheiten wie die räumlichen Entfernungen zwischen Arbeitsstelle, Sitz der Kanzlei und Sitz von Amts- und Landgericht werden im Zulassungsverfahren streng überprüft. An diesen Erfordernissen scheitern Zulassungsanträge sehr leicht. Der BGH hat allerdings in geläuterter Rechtsprechung eine Entfernung von 280 km zwi­ schen der mit einem Sozius besetzten Kanzlei und dem Zweitarbeitsplatz angesichts moderner Telekommunikationstechnik als unschädlich angesehen.16

237

Im nichtanwaltlichen Zweitberuf benötigt der Bewerber eine Nebentätigkeitsgeneh­ migung, auf deren Erteilung nur dann ein Anspruch besteht, wenn dienstliche In­ teressen des Arbeitgebers nicht beeinträchtigt werden.17 Die Formulierung der Ne­ bentätigkeitsgenehmigung entscheidet über den Erfolg des Zulassungsantrags im Hinblick auf das Kriterium des rechtlichen und tatsächlichen Handlungsspielraums als Rechtsanwalt;18 für den Zweitberuf muss eine nicht frei widerrufbare Befugnis zur flexiblen Arbeitszeitgestaltung bestehen.19 Da eine Nebentätigkeitsgenehmigung im öffentlichen Dienst den Vorrang der Behördentätigkeit vorsieht, ist bei festen Ar­ beitszeiten trotz Teilzeittätigkeit eine Zulassung de facto ausgeschlossen.20 Kasuistik:

238

(a) BGH NJW-RR 1991, 1325  f.: Der Antragsteller hatte nach seinem zweiten juristischen Staatsexamen eine Tätigkeit als Lektor eines Verlages aufgenommen. Er bekleidete dort inzwi­ schen die Position eines Cheflektors Jura mit Gesamtprokura und war Schriftleiter einer dort herausgegebenen juristischen Zeitschrift. Nach seinem Arbeitsvertrag war er für den Fall sei­ ner Zulassung als Rechtsanwalt für eine anwaltliche Berufsausübung freigestellt. Die Zulas­ sung zur Rechtsanwaltschaft wurde ihm von der Landesjustizverwaltung unter Hinweis auf eine nicht ausreichend gehobene Position und wegen fehlender Möglichkeit, den Anwaltsbe­ ruf in nennenswertem Umfang auszuüben, nach § 7 Nr. 8 BRAO verweigert. Der BGH gab der sofortigen Beschwerde des Antragstellers statt, da es sich bei der Tätigkeit als Cheflektor mit Gesamtprokura und als Schriftleiter einer angesehenen juristischen Fachzeit­ schrift um eine fachlich herausgehobene Position handele. Aufgrund der vom Arbeitgeber nicht einseitig widerrufbaren Erlaubnis besaß der Antragsteller die rechtliche und aufgrund der freien Zeiteinteilung im Arbeitsverhältnis auch die tatsächliche Möglichkeit zur Ausübung des Anwaltsberufes in nennenswertem Umfang.

239

(b) BGH NJW 1991, 2287 f.: Der Antragsteller war Steuerberater und in dieser Funktion allein­ vertretungsberechtigter Geschäftsführer und Mitgesellschafter einer Steuerberatungs-GmbH. Der Gesellschaftsvertrag erlaubte ihm die Tätigkeit als freier Rechtsanwalt entsprechend den 15 BGH NJW-RR 2009, 1359 Tz. 12. 16 BGH AnwBl. 2003, 525, 526 (Tätigkeit als Leitender Krankenhausarzt); unvereinbar damit AnwGH Rheinland-Pfalz NJW-RR 2000, 1662, 1663. 17 Dazu BAG NZA 2000, 723. Zum öffentlichen Dienst Hoor AnwBl. 2000, 83 ff. 18 Vgl. z. B. BGH NJW 2010, 1381 Tz. 13. 19 BGH NJW-RR 2017, 439 Tz. 15. 20 Vgl. BGH NJW-RR 1998, 1441; BGH NJW-RR 2009, 1359 Tz. 13 (bei nur 20 Wochenstun­ den); ferner BGH NJW-RR 2017, 439 Tz. 14 f.

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Zulassung als Einzelanwalt  ­|  § 12 anwaltlichen Berufspflichten. Schon der EGH hatte als Vorinstanz im gerichtlichen Beschwer­ deverfahren geurteilt, dass entgegen der Ansicht der Rechtsanwaltskammer, die gegenüber der Landesjustizverwaltung ein negatives Zulassungsgutachten abgegeben hatte (vgl. dazu §§  8 Abs. 2, 9 Abs. 1 BRAO i. d. F. bis 31.5.2007), der Versagungsgrund des § 7 Nr. 8 BRAO nicht vorlag. Der BGH hat die Beschwerde der Kammer zurückgewiesen und die zweitberufliche Tätigkeit als alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer und Mitgesellschafter einer Steuerberatungs-GmbH für kompatibel erklärt, ohne der Vorschrift des §  50 Abs.  2 St­BerG über die ­Zulässigkeit der Doppeltätigkeit im anwaltlichen Zulassungsverfahren generelle Bedeutung beizumessen. Eine mit dem Anwaltsberuf unvereinbare Tätigkeit liege vor, soweit ein Anwalts­ bewerber nach den konkreten Gegebenheiten Rechtsrat in abhängiger und weisungsgebunde­ ner Stellung im Auftrag eines nicht dem anwaltlichen Standesrecht unterworfenen Dritten er­ teile. In seiner Doppelrolle gerate er dadurch in Konflikt zwischen Abhängigkeitsverhältnis und Verantwortlichkeit als freier Rechtsanwalt. Für einen alleinvertretungsberechtigten Ge­ schäftsführer einer Steuerberatungs-GmbH bestehe demgegenüber trotz des Beschäftigungs­ verhältnisses aufgrund der Sicherungen des StBerG die nach anwaltlichem Berufsrecht gefor­ derte Eigenverantwortlichkeit im Verhältnis zum Rechtssuchenden, also nicht nur im Innenverhältnis zum Arbeitgeber; danach sei die Tätigkeit eines Steuerberaters und Geschäfts­ führers einer Steuerberatungs-GmbH der Berufsausübung eines selbständigen Steuerberaters gleichwertig, für dessen Tätigkeit bereits früher die Vereinbarkeit mit dem Anwaltsberuf aner­ kannt worden war. Kleine-Cosack hat in seiner Anmerkung (EWiR § 7 BRAO 1/91, 783 f.) die unübersichtliche, unkalkulierbare und durch Scheinrationalität geprägte Zweitberufs-Judikatur kritisiert. Er hat die restriktive Zulassungsjudikatur auch im übrigen21 einer scharfen verfassungsrechtlichen Kritik unterzogen, die sich durch die nachfolgend berichtete Entscheidung nicht erledigt hat. (c) BVerfG NJW 1993, 317: Der Beschluss behandelt sieben Verfassungsbeschwerden gegen Entscheidungen gem. § 7 Nr. 8, § 15 Nr. 2 und § 14 Nr. 9 BRAO (verschieden alte Fassungen) und die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien für die Verweigerung und die Rück­ nahme der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen Unvereinbarkeit mit dem Zweitberuf in­ folge rechtlicher Beratung Dritter im Angestelltenverhältnis, Fehlens einer gehobenen Position sowie kaufmännisch-erwerbswirtschaftlicher Ausrichtung des Zweitberufs. Der erste Beschwerdeführer arbeitete als wissenschaftliche Hilfskraft an einer Universität mit ursprünglich 30 Stunden, später 10 Stunden monatlich; er musste Seminarreferate betreuen, Klausuren erarbeiten und in Einzelfällen den Lehrstuhlinhaber vertreten. Die zweite Bf. war mit 20 Wochenstunden ebenfalls an einer niedersächsischen Universität im Angestelltenver­ hältnis nach Vergütungsgruppe BAT IIa beschäftigt und hatte dem Vertreter des Kanzlers als Sachbearbeiterin juristisch zuzuarbeiten; ihre Nebentätigkeitsgenehmigung erstreckte sich auf 28 Wochenstunden außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit mit der Einschränkung, keine Pro­ zesse gegen Land und Beschäftigungsbehörde führen zu dürfen, sowie der – später fallengelas­ senen – Maßgabe, vorrangig Gerichtstermine aus dem universitären Arbeitsbereich wahrneh­ men zu müssen (Ausgangsfall: BGHZ 100, 87 = NJW 1987, 3011). Der dritte Bf. war angestellter Leiter der Rechtsabteilung eines Genossenschaftsverbandes mit vier untergebenen Juristen; der Verband umfasste ca. 1000 Mitgliedsgenossenschaften. Den vierten Bf. beschäftigte die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, für die er im wesentlichen Gutachten über wettbewerbsrechtliche Tatbestände sowie Stellungnahmen für die StA und öffentlich-rechtli­ che Körperschaften erarbeitete. Die zur Rechtsanwaltschaft zugelassenen Bf. 5) – 7) waren in gewerblichen Unternehmen tätig, nämlich als Geschäftsführer einer Baubetreuungs-GmbH, 21 Kleine-Cosack ZIP 1991, 1337 ff.

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240

Teil 2 ­|  Zulassung zur Rechtsberatung einer Versicherungsvermittlungs-GmbH (Ausgangsfall: BGH NJW 1991, 2086) und der Ver­ waltungs-GmbH einer KG mit Zuständigkeit für Personal-, Sozial- und Rechtsfragen sowie für Investitionssteuerung. Erfolgreich waren alle Beschwerden außer der zweiten. Das BVerfG hielt die zitierten Zweitberufsvorschriften als solche wegen der notwendigen Ab­ wehr von Gefahren für eine funktionsfähige Rechtspflege für mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, schränkte aber die Anwendungskriterien teilweise ein, was 1994 zur gesetzlichen Neuregelung der Tatbestände führte. Fachliche Kompetenz und Integrität, ausreichender Handlungsspiel­ raum sowie das notwendige Vertrauen in die Rechtsanwaltschaft – ein von der Person des in­ dividuellen Bewerbers losgelöster Gesichtspunkt – dürfen geschützt werden. Danach ist eine andere Tätigkeit mit dem Anwaltsberuf unvereinbar, wenn im öffentlichen Dienst aufgrund der Beschränkungen der Nebentätigkeitsgenehmigung kein Freiraum für unabhängige, professionelle Ausübung des Anwaltsberufes in nennenswertem Umfang be­ steht; Teilzeitanwaltstätigkeit ist freilich zulässig. Durch die Bindung an eine Körperschaft des öffentlichen Rechts darf nicht der Eindruck übergroßer Staatsnähe entstehen, der das Bild der freien Advokatur beeinträchtigt. Das Kriterium einer gehobenen Stellung des Zweitberufes wurde als zu unbestimmt beanstan­ det. Das Sozialprestige der Anwaltschaft ist nicht schützbar. Sicherung der Unabhängigkeit anwaltlicher Berufsausübung durch Ausschluss von Zweittätigkeiten in untergeordneter Stel­ lung ist unverhältnismäßig, weil Interessenkonflikte auch und gerade bei leitenden Angestell­ ten wahrscheinlich sind. Eine kaufmännisch-erwerbswirtschaftliche Tätigkeit ist nicht grundsätzlich mit dem Anwalts­ beruf unvereinbar. Diese radikale Form des Ausschlusses einer Interessenkollision, die jeden Organwalter einer Kapitalgesellschaft ohne Ansehen der Aufgabenstellung und der Arbeitsbe­ dingungen schlechthin von der Rechtsanwaltschaft fernhält, verletzt den Grundsatz der Ver­ hältnismäßigkeit. Eine entsprechende Beschränkung der Berufswahlfreiheit ist nur dort zuläs­ sig, wo sich die Gefahr einer Interessenkollision deutlich abzeichnet und nicht mit Hilfe von Berufsausübungsregelungen zu bannen ist.

241

(d) BGH NJW 1995, 1031: Hier ging es um eine abhängige Stellung bei der Rechtsschutzversi­ cherung des Deutschen Mieterbundes als Sachbearbeiter in der Rechts- und Schadensabteilung ohne akquisitorische Tätigkeit. Der BGH verneinte den Versagungsgrund des § 7 Nr. 8 BRAO. Es müsste bei objektiv vernünftiger Betrachtungsweise der Mandantschaft die Wahr­ scheinlichkeit von Pflichtenkollisionen mit der Konsequenz von Vertrauensverlusten nahelie­ gen, die aber vorrangig durch einzelfallbezogene Tätigkeitsverbote (vgl. §§ 45 I Nr. 4, II Nr. 2, 46 BRAO) bekämpft werden müssten. Auch zur Möglichkeit der tatsächlichen Berufsaus­ übung. Ebenso BGH NJW 2006, 3717 Tz. 7 f.

242

(e) BGH NJW 1995, 2357: Der Antragsteller war seit seinem Assessorexamen im Jahre 1990 in  der Versicherungswirtschaft tätig, zuletzt als angestellter Abteilungsleiter eines Ver­ sicherungsmaklerunternehmens mit Handlungsvollmacht. Zu seinen Aufgaben gehörte es, Versicherungsverträge auf ihre Aktualität zu überprüfen und nach Abstimmung mit den Ver­ sicherern anzupassen. Das Rechtsmittel gegen die ablehnende Entscheidung der Landesjustiz­ verwaltung blieb ohne Erfolg, weil in der Berufsgruppe der Versicherungsmakler die Gefahr eines Interessenkonflikts durch Verwertung von Informationen aus der rechtsberatenden Tä­ tigkeit besonders deutlich erkennbar sei; mit Hilfe von Berufsausübungsregeln sei dem nicht wirksam zu begegnen.

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Zulassung als Einzelanwalt  ­|  § 12 Ebenso für den Geschäftsführer eines Versicherungsmaklerunternehmens trotz Beschränkung des Marktauftritts auf die Funktion eines Franchisegebers BGH NJW-RR 2000, 437, 438 (be­ denklich); für bloße Gestattung eigenverantwortlicher Maklertätigkeit im Anstellungsvertrag mit einer Versicherung und Anstellung für juristische Aufgaben AnwGH Berlin BRAK-Mitt. 2000, 94, 95 (unvereinbar mit den Kriterien des BVerfG); für Immobilienmakler unentschie­ den BGH NJW 2000, 3576, 3577; verneint von BGH NJW 2008, 517 Tz. 13 und BGH NJW-RR 2009, 1581, 1582; für Grundstücks- und Finanzmakler Unvereinbarkeit bejahend BGH NJW 2004, 212. Ebenso zum Bankangestellten BGH NJW 2006, 2488 Tz.  7. S.  dazu D. Fischer NJW 2016, 3220 ff. (f) BGH NJW-RR 1995, 1083 f.: Der Antragsteller war seit seinem Assessorexamen im Jahre 1978 Angestellter der Genossenschafts-Treuhand Hessen/Rheinland-Pfalz GmbH und seit 1981 deren alleiniger Geschäftsführer. Die Gesellschaft dient den Interessen der Mitglieder eines Raiffeisen-Verbandes bei Treuhand- und Inkassogeschäften sowie der Durchführung ge­ richtlicher und außergerichtlicher Verfahren. Der Antragsteller wurde im Rahmen des Gesell­ schaftszwecks auch selbst tätig.

243

Der BGH verneinte den Versagungsgrund des §  7 Nr.  8 BRAO. Die Tätigkeitsverbote des § 45 Abs. 1 Nr. 4 und § 45 Abs. 2 Nr. 2 sowie § 46 BRAO gewährleisteten eine hinreichende Trennung der verschiedenen rechtsberatenden und besorgenden Tätigkeiten in den beiden Berufen. (g) BGH NJW 2000, 3004: Die Antragstellerin war als juristische Geschäftsführerin einer Landesärztekammer, also bei einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft angestellt. Unter Beru­ fung auf die Sicherung der anwaltlichen Unabhängigkeit wurde ihr die Zulassung verwehrt. Abgestellt wurde auf den schillernden Gesichtspunkt, ob bei den Rechtsuchenden der Ein­ druck entstehe, dass die Bewerberin wegen der Staatsnähe des Zweitberufes erfolgreicher für Mandanten tätig sein könne. Die Begründung ist nicht konsistent, weil sie Unabhängigkeit und Wettbewerbsverzerrung verknüpft.

244

(h) BGH ZIP 2006, 1573 m. krit. Anm. Huff EWiR § 7 BRAO 1/06 S. 521: Der Antragsteller war in einer Bank als „Fachbetreuer“ in Erbschafts- und Stiftungsangelegenheiten ohne direk­ ten Kundenkontakt, jedoch im Hintergrund für die Kundenberater tätig. Der BGH bestätigte die Zulassungsverweigerung wegen stark erwerbswirtschaftlicher Prägung des Zweitberufes, weil der Bewerber durch seine Ratschläge den Vertrieb der Produkte der Bank in deren Inter­ esse fördere.

245

5. Inkompatibilitäten wegen Tätigkeit im öffentlichen Dienst a) Differenzierung der Beschäftigungsarten Grundsätzlich unvereinbar mit dem Anwaltsberuf ist die Tätigkeit als Beamter (§ 7 246 Nr. 10 BRAO). Diese Regelung gilt nur für Beamte, nicht hingegen für Angestellte im öffentlichen Dienst, obwohl der ständig benutzte Auslegungstopos, beim rechtsu­ chenden Publikum könne die Vorstellung aufkommen, ein im öffentlichen Dienst tätiger Rechtsanwalt könne seinem Mandanten besondere Vorteile verschaffen,22 auf Angestellte genauso zutreffen würde. Das offenbart die ganze innere Widersprüch­ 22 So z. B. BGH NJW-RR 2008, 793 Tz. 6.

73

Teil 2 ­|  Zulassung zur Rechtsberatung

lichkeit der Inkompatibilitätsregelungen bzw. der dazu ergangenen Rechtsprechungs­ praxis. 247

Bei lediglich vorübergehender Tätigkeit als Beamter oder Angestellter bleibt eine be­ reits bestehende Zulassung erhalten, jedoch besteht grundsätzlich ein Berufsaus­ übungsverbot (§ 47 Abs. 1 S. 1 BRAO). Die weitere Ausübung kann gestattet werden, wenn Interessen der Rechtspflege nicht gefährdet werden. Das erfordert eine Einzel­ fallprüfung.23 Mit bombastischem Hinweis auf die Ausübung hoheitlicher Tätigkeit im Prüfungswesen ist die Genehmigung einem Juniorprofessor verweigert worden.24 Der Argumentationstopos „Unabhängigkeit“ wird dabei in einer Weise eingesetzt, als sei die Bereitschaft zum Widerstand gegen den Staat ein Qualifikationsmerkmal des Rechtsanwalts. Kasuistik:

248

(a) BVerfG (Kammer) NJW 1995, 951: Ein Rechtsanwalt hatte zwei Monate nach der Zulassung eine halbe Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter in einem juristischen Fachbereich mit Verpflichtung zur Mitwirkung bei Korrekturen und Lehrveranstaltungen sowie zur EDV-Be­ ratung angenommen. Nachdem die Präsidentin des OLG Celle ihn auf das Verbot des § 47 Abs. 1 BRAO zur Ausübung des Anwaltsberufs hingewiesen hatte, beantragte er die Gestat­ tung der Ausübung gem. § 47 Abs. 1 S. 2 BRAO, die ihm mangels gehobener Stellung versagt wurde. Dem ist das BVerfG nicht gefolgt und hat erneut unterstrichen, dass die wirtschaftli­ chen Folgen einer Berufssperre bei der Anwendung der Inkompatibilitätsregelungen gegen­ über Berufsanfängern ebenso zu berücksichtigen seien wie der Umstand, dass die weisungsge­ bundene Nebentätigkeit nur in Teilzeit ausgeübt wurde und hauptsächlich in Lehr- und Prüfungstätigkeit bestand.

249

(b) BGH NJW-RR 2011, 1204: Der Antragsteller wurde für eine Dauer von 10 Jahren zum Ge­ schäftsführenden Vorstandsmitglied des Gemeinde- und Städtebundes, eines kommunalen Spitzenverbandes in der Rechtsform eines e. V., bestellt. Mangels hoheitlicher Befugnisse be­ jahte der BGH die Zulassungsfähigkeit (Tz.  8) und verneinte Interessenkonflikte, die nicht durch die Berufsausübungsregeln der §§ 45, 46 BRAO a. F. abwendbar seien (Tz. 11). Anders bei Ausübung hoheitlicher Befugnisse BGH NJW-RR 2009, 1359 Tz. 9.

b) Unionsrecht 250

Eine Kollision mit der Dienstleistungsfreiheit des Art. 56 AEUV ist in der Nichtzulas­ sung nach § 7 Nr. 10 BRAO auch dann nicht zu sehen, wenn der Bewerber beabsich­ tigt, nach der Zulassung in einem anderen Mitgliedstaat tätig zu werden.25 Es trifft allerdings – anders als der BGH ursprünglich gemeint hat – nicht zu, dass von vorn­ herein ein Bezug der die Zulassung beschränkenden innerstaatlichen Regelung zum Unionsrecht fehlt. Der EuGH hat für einen italienischen Ausgangsfall auf Art. 8 der Niederlassungsrichtlinie 98/5/EG verwiesen, der es den Mitgliedstaaten trotz grund­ sätzlicher Vollharmonisierung der Richtlinie gestattet, durch nationale Berufs- und 23 BVerfG NJW 2009, 3710 Tz. 23. 24 Billigung durch BVerfG NJW 2009, 3710 Tz. 24. 25 BGH NJW-RR 2000, 438, 439.

74

Zulassung als Einzelanwalt  ­|  § 12

Standesregeln für abhängig beschäftigte Anwälte Interessenkonflikte zu verhindern.26 Das bedeute insbesondere die Sicherung der Unabhängigkeit gegenüber staatlichen Stellen, anderen Wirtschaftsteilnehmern und Dritten.27 Dem ist der BGH für die gleichartige Problematik beim Widerruf der Zulassung nach 251 § 14 Abs. 2 Nr. 5 und 8 BRAO gefolgt und hat zugleich einen Widerspruch zur Nie­ derlassungsfreiheit des Art.  49 AEUV verneint,28 hat aber auch den europarechtli­ chen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz betont, der eine Einzelfallprüfung des potentiel­ len Interessenkonflikts gebiete.29

26 EuGH v. 2.12.2010 – C-225/09 – Jakubowski/Maneggia, NJW 2011, 1199 Tz. 58 f. 27 EuGH NJW 2011, 1199 Tz. 61. 28 BGH NJW 2012, 615 Tz. 18 ff. 29 BGH NJW 2012, 534 Tz. 8.

75

§ 13 Zulassungsbehörde, Verfahren, Rechtsschutz

I. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 252

II. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . 255

I. Zuständigkeit 252

Die Zulassungsentscheidung traf früher die Landesjustizverwaltung (§ 8 Abs. 1 BRAO a. F.); sie hatte im Zusammenwirken mit der Rechtsanwaltskammer zu entscheiden (§ 224a Abs. 1 BRAO a. F.). Seit dem 1.6.2007 ist dafür allein die Rechtsanwaltskam­ mer zuständig (§ 33 Abs. 3 Nr. 2 BRAO, ex § 6 Abs. 1 S. 2). Dadurch ist die Stellung der öffentlich-rechtlichen Kammer gestärkt worden.

253

Bei der Zulassung als Syndikusanwalt (dazu § 16, Rn. 287 ff.) wirkt der Rentenversi­ cherungsträger mit (§ 46a Abs. 2 BRAO). Dadurch wird die Prüfung, ob der Bewerber von der Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit ist, in das Zulassungsverfahren integriert.

254

Auf das Verwaltungsverfahren ist gem. § 32 BRAO das VwVfG anzuwenden, soweit nicht die §§ 33 ff. BRAO Sonderregelungen treffen. Die Entscheidung ergeht durch Verwaltungsakt, für den dann die §§ 35 ff. VwVfG maßgeblich sind.1

II. Rechtsschutz 255

Wird die Zulassung versagt, kann der Bewerber Klage beim AnwGH erheben (§ 112a Abs.  1 BRAO). Gegen dessen Entscheidung ist die zulassungsgebundene Berufung zum BGH möglich (§§ 112a Abs. 2 Nr. 1, 112e BRAO). Ob einer Klage ein Wider­ spruchsverfahren vorausgehen muss, richtet sich nach Landesrecht.2

1 BGH NJW-RR 2013, 303 Tz. 7. 2 Vgl. BGH NJW-RR 2014, 317.

76

§ 14 Weitere Zulassungsvoraussetzungen, Erlöschen der ­Zulassung

I. Deckungsvorsorge (Haftpflichtversicherung) 1. Verknüpfung mit der Zulassung 256 2. Inhalt des Versicherungsschutzes 259

II. Vereidigung, Urkunde . . . . . . . . 262 III. Zulassungsbeendigung . . . . . . . 263

I. Deckungsvorsorge (Haftpflichtversicherung) 1. Verknüpfung mit der Zulassung Jeder Rechtsanwalt ist verpflichtet, das Risiko einer Haftung für berufliche Fehler 256 durch Abschluss einer Haftpflichtversicherung zu decken (§ 51 BRAO). Die Mindest­ deckungssumme beträgt 250 000  Euro für jeden Versicherungsfall; summenmäßig begrenzt werden kann die Eintrittspflicht des Versicherers pro Versicherungsjahr auf den vierfachen Betrag der Mindestversicherungssumme (§  51 Abs.  4 BRAO). Der ­Abschluss der Versicherung ist vor Aushändigung der Zulassungsurkunde nachzu­ weisen (§  12 Abs.  2 BRAO). Bei einer Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Haftung beträgt die Mindestversicherungssumme 2,5 Mio. Euro für jeden Versiche­ rungsfall (§ 51a Abs. 2 BRAO), ebenso bei Zulassung einer Rechtsanwalts-GmbH zur Rechtsberatung (§ 59j Abs. 2 BRAO). Das hat das BVerfG als mit Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar angesehen.1 Da die Versicherung während der gesamten Zulassungsdauer aufrecht zu erhalten ist, 257 bedarf es einer Kontrolle des Fortbestandes. Der Versicherer ist im Versicherungsver­ trag zu verpflichten, jede Beeinträchtigung des Versicherungsschutzes, etwa die Kün­ digung wegen Nichtzahlung der Prämien, der zuständigen Rechtsanwaltskammer mitzuteilen (§ 51 Abs. 6 BRAO). Die Zulassung ist in diesem Fall zu widerrufen. Die Versicherung muss bei einem im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten Versi­ 258 cherer abgeschlossen werden (§ 51 Abs. 1 S. 2 BRAO). Nicht ausreichend ist die bloße Unterrichtung der Mandanten über das Bestehen oder Nichtbestehen einer Berufs­ haftpflichtversicherung.2 Seit der BRAO-Novelle 2017 gilt jedoch aufgrund des gleichzeitig neu geschaffenen §  27 Abs.  3 EuRAG für dienstleistende europäische Rechtsanwälte eine abweichende Regelung (dazu § 37, Rn. 1006).

1 BVerfG VersR 2001, 1272, 1273. 2 EuGH v. 11.6.2009 – C-564/07 – Kommission/Österreich, GRUR-RR 2009, 362 Tz. 37 (für dienstleistende Patentanwälte).

77

Teil 2 ­|  Zulassung zur Rechtsberatung

2. Inhalt des Versicherungsschutzes 259

Für Haftpflichtversicherungen gelten die allgemeinen Bestimmungen der §§ 100 ff. VVG (dazu auch § 45, Rn. 1323 ff.). Der Versicherer hat den Versicherungsnehmer von Ansprüchen Dritter wegen des Versicherungsfalles freizustellen und unbegrün­ dete Ansprüche abzuwehren (§ 100 Abs. 1 VVG). Um die Abwehr zu ermöglichen, hat der Versicherungsnehmer etwaige haftungsbegründende Tatsachen umgehend mitzuteilen. In den praktisch wichtigen Fällen der Versäumung einer Frist berät der Versicherer den Anwalt bei der Stellung eines Wiedereinsetzungsantrags (zur Wie­ dereinsetzung § 44, Rn. 1267 ff.).

260

Über den Freistellungsanspruch kann der Versicherungsnehmer nicht zu Lasten des Haftungsgläubigers verfügen. Eine derartige Verfügung ist ihm gegenüber unwirk­ sam, damit der Haftungsanspruch erfüllt werden kann. Ausgeschlossen ist neben der rechtsgeschäftlichen freiwilligen Verfügung auch der Zugriff im Wege der Zwangs­ vollstreckung (§ 108 VVG). Im Falle der Insolvenz des Versicherungsnehmers kann der Gläubiger in Höhe des Freistellungsanspruchs abgesonderte Befriedigung verlan­ gen (§ 110 VVG).

261

Für Pflichtversicherungen gelten zusätzlich die §§ 113 ff. VVG. Anders als bei einer Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung besteht ein Direktanspruch des Gläubigers ge­ gen den Versicherer nur im Falle der Insolvenz des Versicherungsnehmers sowie bei dessen unbekanntem Aufenthalt (§ 115 Abs. 1 Nr. 2 und 3 VVG). Die Leistungspflicht des Versicherers gegenüber dem Gläubiger wird nicht durch Störungen des Versiche­ rungsverhältnisses infolge Obliegenheitsverletzungen des Versicherungsnehmers eingeschränkt (§ 117 Abs. 1 VVG). Im Falle einer Beendigung des Versicherungsver­ trages besteht der Versicherungsschutz noch einen Monat fort, nachdem das Ende der Rechtsanwaltskammer angezeigt worden ist (§ 117 Abs. 2 VVG i. V. m. § 51 Abs. 7 BRAO).

II. Vereidigung, Urkunde 262

Die Zulassung wird wirksam mit der Aushändigung der von der Rechtsanwaltskam­ mer ausgestellten Urkunde (§ 12 Abs. 1 BRAO). Zuvor (§ 12 Abs. 2 BRAO) muss der Bewerber gem. §  12a BRAO den Berufseid vor der Rechtsanwaltskammer geleistet haben. Darin hat er zu versichern, die Pflichten eines Rechtsanwalts gewissenhaft zu erfüllen.

III. Zulassungsbeendigung 263

Die Zulassung endet gem. § 13 BRAO mit Wirkung für die Zukunft durch bestands­ kräftigen Verwaltungsakt über die Rücknahme einer Zulassung auf fehlerhaft beur­ teilter Grundlage (§ 14 Abs. 1 BRAO), durch bestandskräftigen Widerruf der Zulas­ sung im Falle eines nachträglich entstandenen Zulassungshindernisses (§ 14 Abs. 2 78

Weitere Zulassungsvoraussetzungen und Erlöschen ­|  § 14

BRAO) oder durch rechtskräftiges Urteil über die Ausschließung aus der Rechtsan­ waltschaft (vgl. die Sanktion des § 114 Abs. 1 Nr. 5 BRAO). Gibt der Rechtsanwalt seine Zulassung freiwillig aus Krankheits- oder Altersgründen 264 zurück, kann ihm gem. § 17 Abs. 2 BRAO von seiner Anwaltskammer gestattet wer­ den, sich „Rechtsanwalt im Ruhestand“ zu nennen. Damit ist jedoch nicht die Befug­ nis verbunden, sich in eigenen Angelegenheiten vor Gerichten mit Anwaltszwang zu vertreten.3

3 BSG NJW 2010, 3388 Tz. 7 f.

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§ 15 Zulassungswirkungen, Zulassungsbeschränkungen

I. Titelführung, Schutz der Berufsbezeichnung . . . . . . . . . . . 265

II. Kanzleipflicht 1. Kanzleierrichtung . . . . . . . . . . . . 267 2. Zweigstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 3. Befreiungsgründe . . . . . . . . . . . . . 273 4. Ausländischer Kanzleistandort . 274 5. Besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) . . . . . . . . 276 6. Amtstracht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278

III. Wegfall früherer Beschränkungen 1. Aufhebung der Lokalisationspflicht mit Postulationsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . 279 2. Pensionierte Richter, Ehepartner oder Verwandte als Richter . . . . 280 IV. Zulassung beim OLG . . . . . . . . . 282

V. Zulassung beim BGH . . . . . . . . . 284

I. Titelführung, Schutz der Berufsbezeichnung 265

Mit der Zulassung entsteht die Berechtigung zu Führung der Berufsbezeichnung „Rechtsanwältin“ oder „Rechtsanwalt“ (§ 12 Abs. 4 BRAO). Dabei handelt es sich um einen strafrechtlich geschützten Titel (§ 132a Abs. 1 Nr. 2 StGB). Die unberechtigte Titelführung ist ein Wettbewerbsverstoß.1

266

Wer als Syndikusrechtsanwalt zugelassen wird, darf abweichend von § 12 Abs. 4 BRAO die Berufsbezeichnung „Rechtsanwältin (Syndikusrechtsanwältin)“ bzw. „Rechtsan­ walt (Syndikusrechtsanwalt)“ führen (§ 46a Abs. 4 Nr. 2 BRAO).

II. Kanzleipflicht 1. Kanzleierrichtung 267

Der Rechtsanwalt hat im Bezirk der Rechtsanwaltskammer, der er angehört, eine Kanzlei zu errichten (§ 27 BRAO). Angestellte Anwälte erfüllen die Kanzleipflicht in der Kanzlei ihres Arbeitgebers. Für Syndikusanwälte gilt die regelmäßige Arbeitsstät­ te als Kanzlei (§ 46c Abs. 4 S. 1 BRAO).

268

Die Anbringung eines Praxisschildes und die Eintragung in das Telefonbuch sollen heute nicht mehr als Anforderung an die Errichtung einer Kanzlei anzusehen sein (str.).2 Notwendig ist aber, dass der Anwalt für das rechtsuchende Publikum erreich­

1 LG München I MDR 2012, 616. 2 AnwGH Hamm AnwBl 2000, 316; AnwGH München NJW 2008, 600. A.A. BGH NJW-RR 2009, 1577 Tz.  5. Zur Nutzung der Kanzlei für eine gleichzeitige Immobilienverwaltung BGH AnwBl 2017, 668.

80

Zulassungswirkungen, Zulassungsbeschränkungen  ­|  § 15

bar ist.3 Dafür hat er die erforderlichen sachlichen, personellen und organisatorischen Voraussetzungen zu schaffen.4 2. Zweigstellen Grundsätzlich durften nach der bis zum 31.5.2007 geltenden Regelung keine Zweig­ 269 stellen eingerichtet oder auswärtige Sprechtage durchgeführt werden (§ 28 Abs. 1 S. 1 BRAO a. F., Zweigstellenverbot).5 Die Zulassung überörtlicher Sozietäten führte fak­ tisch zu einer Durchbrechung des Zweigstellenverbots. Konsequent war deshalb die Aufhebung dieses Verbots. § 27 Abs. 2 BRAO n.F. gestattet ausdrücklich die Errich­ tung einer Zweigstelle, verlangt aber eine Anzeige an die örtlich zuständige Rechtsan­ waltskammer. Die Schaffung einer Satzungsnorm für Zweigstellen (§  5 BORA) ist durch § 59b Abs. 2 Nr. 1 lit. g BRAO („Kanzleipflicht“) gedeckt.6 Weder § 10 Abs. 1 BORA noch § 5a Abs. 2 UWG (i. V. m. § 2 Abs. 1 DL-InfoV) ver­ 270 pflichten dazu, auf den in einer Zweigstelle verwendeten Briefbogen den Hauptstand­ ort der Kanzlei anzugeben7 bzw. auf sämtliche Standorte hinzuweisen.8 Bei Verwen­ dung von zwei Büroanschriften muss an jedem Standort tatsächlich ein dauerhaftes Büro bestehen; es dürfen nicht nur Bürodienstleistungen als Unterschlupf eines ande­ ren Büros in Anspruch genommen werden.9 Ebenso wenig ist es zulässig, eine auswär­ tige Telefonnummer mit Weiterschaltung auf die Kanzlei zu benutzen und dadurch die leichte und kurzfristige Erreichbarkeit an einem zweiten Standort zu suggerieren.10 Kasuistik: (a) BGH NJW 1993, 196 f.: Die beim AG und LG München zugelassene beklagte Rechtsanwäl­ tin hatte mit beim AG und LG Nürnberg zugelassenen Rechtsanwälten eine überörtliche Anwaltssozietät gegründet. Die Mandatsverteilung erfolgte nach den jeweiligen Spezialgebie­ ten, die Prozessvertretung nach dem Ort der jeweiligen Zulassung, die Honorarabrechnung über ein gemeinsames Sozietätskonto. Jeder Anwalt betrieb seine Kanzlei selbständig weiter, jedoch wiesen Briefköpfe und Praxisschild auf die anderen Anwälte und Kanzleien hin. Die im Wettbewerbsprozess klagende Rechtsanwaltskammer hielt die Betätigung der Beklagten in ei­ ner überörtlichen Anwaltssozietät für unzulässig. Der Wettbewerbssenat des BGH hat die zu­ vor ergangene vorsichtige Öffnung des Anwaltssenates des BGH (BGHZ 108, 290, 293 ff. = NJW 1989, 2890; BGHSt 37, 220, 223 = NJW 1991, 49; BGH NJW 1991, 2780, 2781) aufgegriffen und sah die Bildung überörtlicher Anwaltssozietäten als mit den damals noch (partiell) geltenden Standesrichtlinien, den Regelungen der BRAO und vorkonstitutionellem Gewohnheitsrecht 3 BGH NJW-RR 2009, 1577 Tz. 5. 4 Ebenso für den Schweizer Kanton Zürich: Aufsichtskommission Zürich Bl. für Zürch.Rspr. 106 (2007) Nr. 68 = S. 268, 269. 5 Vgl. dazu OLG Stuttgart NJW 1993, 1336 f. 6 BGH NJW 2010, 3787 Tz. 28 m. Bespr. Prütting AnwBl 2011, 46 f. und Deckenbrock NJW 2011, 3750 ff. 7 BGH NJW 2013, 314 Tz. 18. 8 BGH NJW 2013, 314 Tz. 33 ff. 9 AnwGH Hamm AnwBl 2017, 203. 10 So österr. OGH ecolex 2017, 52 (Kanzlei in Vorarlberg, sporadische stundenweise Anmie­ tung eines Besprechungszimmers als angebliche zweite Kanzlei in Wien).

81

271

Teil 2 ­|  Zulassung zur Rechtsberatung über das Berufsbild des Rechtsanwalts vereinbar an. Wer als Rechtsanwalt bei bestimmten Gerichten zugelassen bleibe und seiner Kanzleipflicht genüge, verstoße durch den Zusammen­ schluss weder gegen das Lokalisationsgebot noch gegen die Residenzpflicht. Ein Verstoß ge­ gen § 28 BRAO sei nicht gegeben, wenn mit dem Zusammenschluss nicht die Errichtung einer weiteren Kanzlei oder einer Zweigstelle am jeweils anderen Standort der überörtlichen Sozie­ tät verbunden werde. Die Entgegennahme von Mandaten in einer Kanzlei für einen am ande­ ren Ort residierenden Rechtsanwalt begründe keine Zweigstelle; eine beratende Tätigkeit in der Kanzlei des assoziierten Anwalts bedeute nicht die Abhaltung eines auswärtigen Sprechta­ ges. Als irreführend wurde aber die konkrete Briefkopfgestaltung untersagt, weil sie fehlerhaf­ te Vorstellungen über die Zuordnung der Rechtsanwälte zu den einzelnen Kanzleien erzeugte.

272

(b) OLG Karlsruhe NJW 1992, 1114 f.: Die bei verschiedenen Gerichten zugelassenen Rechts­ anwälte und Steuerberater hatten eine überörtliche Sozietät von Rechtsanwälten, Wirtschafts­ prüfern und Steuerberatern mit Kanzleien in mehreren Städten gegründet. Die verschiedenen Adressen wurden in den Briefköpfen genannt. Nach Ansicht des OLG ergab sich weder aus dem Standesrecht noch aus gesetzlichen Regelungen ein generelles Verbot der Bildung über­ örtlicher Anwaltssozietäten. Mit ihnen sei nicht notwendigerweise verbunden, dass alle Kanz­ leien der Sozietät jedem ihrer Mitglieder als „seine“ Kanzlei zugerechnet werden müsse und daher jedes Sozietätsmitglied zwangsläufig und unter Verstoß gegen das Zweigstellenverbot des § 28 BRAO a. F. mehrere Kanzleien unterhalte. Zweite Kanzlei sei nur eine Kanzlei, die ein Sozius zum Mittelpunkt seiner beruflichen Tätigkeit mache.

3. Befreiungsgründe 273

§ 29 BRAO sieht Ausnahmen von der Kanzleipflicht vor, wenn dies im Interesse der Rechtspflege liegt oder zur Vermeidung von Härten geboten ist. Einen Anwendungs­ fall hat der BGH als möglich angesehen, wenn der Anwalt in Untersuchungshaft sitzt.11 Einen weiteren Befreiungsgrund benennt § 29a Abs. 2 BRAO. 4. Ausländischer Kanzleistandort

274

§ 29a Abs. 1 BRAO gestattet, auch in anderen Staaten Kanzleien einzurichten und zu unterhalten. Von der inländischen Kanzleipflicht ist auf Antrag gem. §  29a Abs.  2 BRAO Befreiung zu erteilen (dazu auch § 39, Rn. 1050).12 Der Anwalt hat dann einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen (§ 30 Abs. 1 BRAO). Die Be­ freiung setzt nicht den Nachweis voraus, dass der Anwalt zur Ausübung der Anwalts­ tätigkeit am ausländischen Standort ausländerrechtlich oder berufsrechtlich befugt ist. Er muss dort nur Geschäftsräume unterhalten und erreichbar sein.13 Kasuistik:

275

OLG Hamm NJW 1993, 1338: Die beklagte deutsche Anwaltssozietät hatten mit einer in Paris ansässigen Anwaltssozietät eine Grundsatzvereinbarung getroffen, wonach die Sozietäten ih­ ren Mandanten in allen Fällen, in denen das Recht des jeweils anderen Landes berührt wird, wechselseitig den anderen Vertragspartner empfehlen sollten. Ein Sozietätsmitglied war in 11 BGH NJW-RR 1999, 1578 (dort war ein amtlicher Vertreter bestellt). 12 Zu einem Widerrufsfall AnwGH Rheinland-Pfalz BRAK-Mitt. 1999, 274. 13 AnwGH Berlin BRAK-Mitt. 2016, 41.

82

Zulassungswirkungen, Zulassungsbeschränkungen  ­|  § 15 Paris als Rechtsanwalt zugelassen. Er sollte bei dortigen Mandantenbesprechungen Räum­ lichkeiten und Büroorganisation der Pariser Kanzlei unentgeltlich benutzen dürfen; ein ent­ sprechendes Recht wurde der französischen Seite eingeräumt. Die Beklagten gaben daraufhin in der Adressenzeile ihrer Briefbögen auch die Pariser Adresse mit Telefon- und Telefaxan­ schluss bekannt. Das OLG verneinte die Anwendbarkeit des § 3 UWG a. F. (= § 5 UWG), da die Pariser Kanzlei von allen Beklagten unterhalten werde. Dass nur das eine Sozietätsmitglied in Paris zugelassen sei, ergebe sich aus dem Zusatz „Avocat à Paris“ hinter dessen Namen. Dem Hinweis auf die Pariser Kanzlei könne nicht die Behauptung entnommen werden, alle Mitglieder der Sozietät seien als Rechtsanwälte in Paris zugelassen.

5. Besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) Die Führung elektronischer Akten durch die Gerichte und die Abwicklung des Ge­ 276 schäftsverkehrs auf elektronischen Kommunikationswegen erfordern, dass auch die Rechtsanwälte mit geeigneten Zugangseinrichtungen für eine sichere Übermittlung elektronischer Dokumente ausgestattet sind. § 31a Abs. 1 BRAO sieht daher vor, dass die BRAK für jedes Mitglied einer Rechtsanwaltskammer ein besondere elektroni­ sches Anwaltspostfach einrichtet. Durch Verordnung des Bundesjustizministeriums sind die technischen Einzelheiten näher auszugestalten (§ 31c Nr. 3 BRAO). Die Ver­ ordnung ist am 28.9.2016 erlassen worden (RAVPV). Für die Finanzierung darf die BRAK Beiträge bei den Kammern erheben (§ 178 i. V. m. § 177 Abs. 2 Nr. 7 BRAO), die die Kammern auf ihre Mitglieder umlegen dürfen.14 Die technische Umstellung bedeutet für die Anwaltschaft eine Belastung, weshalb die 277 Nutzungspflicht auch verfassungsrechtlich erörtert und angegriffen worden ist.15 Einwände auf der Grundlage des Art. 12 Abs. 1 GG sind nicht überzeugend, soweit es in das Belieben einzelner Anwälte gestellt sein soll, wie die Rechtspflege mittels elekt­ ronischer Kommunikation zu regeln ist. 6. Amtstracht Der Anwalt ist zur Tragung einer Robe verpflichtet. Näher dazu § 42, Rn. 1146 ff.

278

III. Wegfall früherer Beschränkungen 1. Aufhebung der Lokalisationspflicht mit Postulationsbeschränkung Die Zulassung eines Rechtsanwalts erfolgte bis zum 31.5.2007 nicht nur zur Rechts­ 279 anwaltschaft schlechthin, sondern zugleich bei einem bestimmten Gericht der or­ dentlichen Gerichtsbarkeit (§ 18 Abs. 1 BRAO a. F., Lokalisationsprinzip). Das ­BVerfG hat noch 1989 festgestellt, dass das Lokalisationsprinzip weder gegen Art. 3 Abs. 1 GG 14 BGH NJW 2016, 1025 Tz. 13 ff. 15 Vgl. dazu u. a. AnwGH Berlin NJW 2016, 2195, aufgehoben durch AnwGH Berlin NJW 2017, 714; Brosch NJW 2015, 3692 ff; Delhey NJW 2016, 1274 ff.; Reiling AnwBl 2016, 409 ff.

83

Teil 2 ­|  Zulassung zur Rechtsberatung

noch gegen Art. 12 Abs. 1 GG verstoße. Es sei durch Gründe des Gemeinwohls ge­ rechtfertigt. Die Lokalisierung bei einem bestimmten Gericht erleichtere im Zivilpro­ zess die Terminierung und die zügige Durchführung des Prozesses und stelle die Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Gericht und Anwalt­ schaft dar; zudem solle verhindert werden, dass sich eine kleine Zahl von Anwälten die Mehrzahl der Mandate teile.16 Dieses Prinzip war nach Aufhebung der damit bis 2001 verbundenen örtlich beschränkten Postulationsfähigkeit (§ 78 Abs. 1 ZPO a. F.) obsolet geworden. Es ist daher 2007 konsequent aufgehoben worden.17 2. Pensionierte Richter, Ehepartner oder Verwandte als Richter 280

2007 ist auch das persönliche Hindernis des § 20 Abs. 1 Nr. 1 BRAO a. F. aufgehoben worden, das die Zulassung pensionierter Richter an deren früherer Wirkungsstätte betraf. Mit ihm sollte der abstrakten Gefahr begegnet werden, dass Rechtssuchende den Eindruck gewinnen könnten, dieser Anwalt habe gesteigerte Möglichkeiten der Einflussnahme auf das Gericht.18

281

Für familiäre Beziehungen des Bewerbers zu einem Richter (Ehe, Verwandtschaft, Schwägerschaft) gab es bis 2001 ein persönliches lokales Zulassungshindernis (§ 20 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BRAO a. F.),19 das unterschiedlich gehandhabt wurde und zuguns­ ten bloßer Ausschließungs- und Ablehnungstatbestände (§§  41, 42 ZPO) beseitigt worden ist.20

IV. Zulassung beim OLG 282

Für die Zulassung bei einem Oberlandesgericht in Zivilsachen war bis zum 31.5.2007 gem. § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO a. F. (i. V. m. § 78 ZPO) über die Erstzulassung hinaus eine fünfjährige Berufstätigkeit bei einem Land- oder Amtsgericht erforderlich; diese Beschränkung ist zu Lasten einer geordneten Rechtspflege entfallen21, obwohl das BVerfG und der BGH die zeitlich aufgeschobene Simultanzulassung mit dem Sam­ meln von Berufserfahrung gerechtfertigt hatten.22 Zuvor hatte bereits das BVerfG die in Teilen Deutschlands bestehende Singularzulassung beim Oberlandesgericht besei­ 16 BVerfG (Kammer) NJW 1990, 1033. 17 BGBl. 2007 I S. 358. 18 Vgl. dazu BGH NJW 1994, 2282. 19 Vgl. dazu BGH NJW 1994, 2282; BGH BRAK-Mitt. 1998, 285 f.; BGH NJW-RR 1999, 572. 20 Dazu BGH NJW 2012, 1890 Tz. 9 (Ehepartner des Richters in Kanzlei des Gegners tätig, ohne selbst Prozessbevollmächtigter zu sein); s. auch Feiber NJW 2004, 650  f. Zum str. dienstrechtlichen Tätigkeitsverbot für pensionierte Richter einerseits VG Hannover, 26.7.2016 – 2 B 3650/16, BRAK-Mitt. 2016, 301, andererseits VG Münster v. 10.11.2015 – 4 L 1081/15, AnwBl 2016, 71 (LS). Für Karenzzeit bei Auftritt vor früherem Gericht BVerwG, 5.5.2017 – 2 C 45.16 (lt. Presseerklärung). 21 BGBl. 2007 I S. 358. 22 BVerfG NJW 2001, 1561, 1562; BGH NJW 2004, 1327, 1328; NJW 2004, 1455; NJW-RR 2006, 560, 561; ebenso AnwGH Schleswig NJW-RR 2004, 996, 997.

84

Zulassungswirkungen, Zulassungsbeschränkungen  ­|  § 15

tigt, weil es darin unter Verneinung von Vorteilen für die Rechtspflege einen Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG gesehen hatte (s. auch § 7, Rn. 150).23 Das Verbot der Simultanzulassung beim Landgericht und beim Oberlandesgericht 283 sollte einen Wechsel zu spezialisierten Anwälten in der Berufungsinstanz erzwingen. Dieses Prinzip war schon bei der BRAO-Novellierung von 1994 trotz der evidenten Rechtspflegeinteressen umstritten, weil es bereits damals – völlig sachwidrig – stark durchlöchert war. Es galt nach der Wiedervereinigung nicht für Rechtsanwälte, die ihre Zulassung bei einem Landgericht in den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen oder in den Stadtstaaten Berlin, Bre­ men oder Hamburg hatten (§ 226 Abs. 2 BRAO a. F.). Das BVerfG hatte in dem Verbot lange Zeit zu Recht eine nicht zu beanstandende Berufsausübungsregelung gesehen; die Singularzulassung verwirkliche das „Vier-Augen-Prinzip“ und sei für den damit beabsichtigten Schutz der Rechtspflege erforderlich und angemessen.24

V. Zulassung beim BGH Besondere Bestimmungen gelten weiterhin für die kontingentierte Zulassung zur 284 Rechtsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof in Zivilsachen (vgl. §§ 164 ff. BRAO).25 Hier erfolgt die Auswahl durch einen Wahlausschuss in Abhängigkeit von einer Be­ dürfnisprüfung.26 Wegen des numerus clausus der Zulassung dürfen BGH-Anwälte nur Zweier-Sozietäten bilden, damit die Möglichkeit der Auswahl für die Rechtsu­ chenden nicht entscheidend verringert wird.27 Voraussetzung ist, dass der Bewerber mindestens 35 Jahre alt ist und den Beruf des Rechtsanwalts mindestens fünf Jahre lang ohne Unterbrechung ausgeübt hat (§ 166 Abs. 3 BRAO). Die beschränkte Singularzulassung beim BGH wird zutreffend u. a. mit einer Erhal­ 285 tung der Funktionsfähigkeit der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Zivilsachen angesichts der Besonderheiten des zivilprozessualen Revisionsrechts und des Bedürf­ nisses nach Ablehnung aussichtsloser Revisionswünsche durch eine innerlich und äußerlich unabhängige, besonders qualifizierte Anwaltschaft gerechtfertigt.28 Die Singularzulassung als solche wird gelegentlich rechtspolitisch angegriffen. Selbständi­ 23 BVerfGE 103, 1 10 ff. = NJW 2001, 353, 356; dazu auch EGMR NJW 2003, 2221 und der dieses Verfahren betreffende Eilantrag auf interimistische Regelung in BVerfG NJW 2002, 2632. 24 BVerfG (Kammerentscheidung) NJW 1994, 184. 25 Zur Rechtshistorie Nassall JZ 2009, 1086 ff. 26 Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit Hartung JZ 1994, 117 ff. mit Erwiderung von Krämer JZ 1994, 400 ff.; Dröge NJW 2002, 175 ff. 27 BGH NJW 1984, 1042, 1043. 28 BVerfGE 106, 216, 222 f. = NJW 2002, 3765, 3766; BVerfG NJW 2008, 1293 Tz. 36; BGH NJW 2002, 1725 = JZ 2002, 944 m. Anm. Schlosser; NJW 2005, 2304, 2305.; BGHZ 170, 137 =  NJW 2007, 1136 (Tz. 17 f.); BGH AnwBl 2016, 600 Tz. 68. Eingehend dazu Schneider Festgabe 50 Jahre BGH (2000), S. 71 ff.; Stürner Festschrift 200 Jahre Carl Heymanns Verlag (2015), S. 137 ff. Zur Beschränkung der Vertretung in Strafsachen vor der französischen Cour de Cassation EGMR v. 26.7.2002 – Rs. Nr. 32911/96 u. a., ÖJZ 2003, 732.

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Teil 2 ­|  Zulassung zur Rechtsberatung

ge Angriffe richten sich gegen das dreistufige Auswahlverfahren der Kandidaten für die Bestellung zum Rechtsanwalt beim BGH.29 286

Der Erkenntnisprozess, in dem eine richterliche Rechtsaussage entsteht, hat dialogi­ schen Charakter und ist auf die Mitwirkung fachlich besonders qualifizierter Rechts­ anwälte angewiesen.30 Die abweichende Rechtslage anderer Verfahrensordnungen begründet keinen Einwand gegen institutionalisierte Qualitätsanforderungen in Zi­ vilsachen bei den Obergerichten. Eine Alternative zur spezialisierten BGH-Anwalt­ schaft wäre die Bestellung nichtrichterlicher Rechtspflegeorgane nach dem Vorbild der Generalanwälte beim EuGH oder der französischen Cour de Cassation, die aller­ dings nicht in gleicher Weise die gemeinwohlorientierte Fortbildung des Rechts mit der Wahrnehmung individueller Prozessziele der Parteien verknüpfen ließe.

29 Vgl. dazu BVerfG NJW 2008, 1293 Tz.  35  ff.; BGH NJW 2002, 1728; BGHZ 162, 199, 207 ff. = NJW 2005, 2304, 2305; BGH NJW 2007, 1133; BGHZ 170, 137 = NJW 2007, 1136 Tz. 23 ff.; BGH NJW 2013, 2907 Tz. 6 (zum Rechtsschutz nicht gewählter Bewerber) und Tz. 10 (zur Akteneinsicht); BGH AnwBl 2016, 600 Tz. 69; Schimansky Festschrift Odersky (1996), S. 1083 ff.; Hartung ZRP 2005, 153 ff. 30 Näher zu der Rechtfertigung der BGH-Anwaltschaft Ahrens ZZP 115 (2002), 281, 298 ff. und Ahrens Festschrift 300 Jahre OLG Celle (2011), S. 271 ff.

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§ 16 Zulassung als Syndikusrechtsanwalt

I. Syndici als Arbeitnehmer 1. Konkurrenzschutz . . . . . . . . . . . . 287 2. Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . 290 3. Niederlassung als europäischer Anwalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292

II. Rentenversicherungspflicht . . . 293 III. Syndikusrechtsanwalt als eigenständiger Anwaltstypus . . 294

IV. Zulassung 1. Weisungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . 297 2. Zulassungsprüfung, Zulassungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 3. Bindung an das Arbeitsverhältnis 300

V. Beschränkung der anwaltlichen Befugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301

I. Syndici als Arbeitnehmer 1. Konkurrenzschutz Unternehmens- und Verbandsjuristen sind zur Stärkung ihrer sozialen Stellung in der 287 Unternehmenshierarchie oder als Geschäftsführer eines Verbandes an der Erlangung des Titels als Rechtsanwalt interessiert. Auch wenn der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit auf der rechtlichen Beratung des Arbeitgebers liegt, ist mit der Zulassung als Rechts­ anwalt grundsätzlich die Möglichkeit verbunden, im Umfang der daneben verblei­ benden Zeit Rechtsberatung und Vertretung von Dritten zu übernehmen. Dadurch entsteht ein Konkurrenzverhältnis zu hauptberuflich tätigen Anwälten, das schon im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts kritisch beäugt wurde und Forderungen nach ei­ ner Zulassungssperre auslöste. Eine nationalsozialistische Novelle des Berufsrechts schuf 1934 u. a. einen § 31 Abs. 2 288 RAO, der Syndikusrechtsanwälten ein Vertretungsverbot auferlegte. Diese Regelung wurde ab 1959 als § 46 BRAO fortgeführt, bis es mit der am 1.1.2016 in Kraft getre­ tenen BRAO-Novelle zu einer grundlegenden Änderung der Stellung des Syndikus­ anwalts kam.1 Das Tätigkeitsverbot des § 46 Abs. 1 BRAO a. F. untersagte die Vertre­ tung des Arbeitgebers vor Gerichten und Schiedsgerichten in der Funktion als Rechtsanwalt (nicht: als bevollmächtigter Angestellter), ohne dass die Vermeidung konkreter Interessenkollisionen zum Prüfkriterium des Tatbestandes erhoben wur­ de.2 Immerhin ist eine generelle Unvereinbarkeit von Arbeitnehmereigenschaft und Beruf des Rechtsanwalts damit verneint worden, was indes in einem wertungsmäßi­ gen Spannungsverhältnis zur typisierenden Unvereinbarkeitsregelung der Zulas­ sungsvorschrift des § 7 Nr. 8 BRAO steht.3 1 Kritischer geschichtlicher Überblick bei Hellwig AnwBl 2015, 2 ff. Zu ersten Erfahrungen mit dem neuen Recht Huff AnwBl 2017, 40 ff. 2 Darin einen verfassungswidrigen Konkurrenzschutz sehend Kleine-Cosack BRAO7 §  46 Rdn. 11. 3 Zutreffend so Hellwig AnwBl 2015, 2, 8.

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Teil 2 ­|  Zulassung zur Rechtsberatung 289

Für die Zulassung wird die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit jederzeitiger an­ waltlicher Betätigung bei der Wahrnehmung von Gerichtsterminen und anderen nicht aufschiebbaren Tätigkeiten zur Voraussetzung gemacht, was durch freistellende Vereinbarungen im Arbeitsvertrag abgesichert werden sein muss.4 2. Unabhängigkeit

290

Inwieweit ein Syndikusanwalt sich Weisungen des Arbeitgebers entziehen kann, mö­ gen sie auch in Form höflicher „Wünsche“ angesonnen oder vorauseilend erahnt wer­ den, ist Gegenstand unterschiedlicher Einschätzungen. Der EuGH hat dazu einen strengen Standpunkt eingenommen. Er wirkt sich sowohl bei der Versagung eines anwaltlichen legal privilege zum Schutz der Vertraulichkeit von Schriftstücken gegen Vorlageanordnungen der EU-Kommission in Kartellsachen aus, als auch bei einer Verneinung der Postulationsfähigkeit vor den Unionsgerichten.

291

Das legal privilege für Schriftverkehr zwischen Rechtsanwalt und Mandant hat der EuGH schon 1982 darauf eingeschränkt, dass der Anwalt nicht durch ein Beschäf­ tigungsverhältnis an seinen Mandanten gebunden ist.5 In der Entscheidung „Akzo Nobel“ ist diese Rechtsprechung für Unterlagen im Besitz von Syndikusanwälten be­ kräftigt worden, weil ein Anwalt als Unternehmensangestellter Druck und Einfluss­ nahme ausgesetzt sei, auch wenn er durch berufsrechtliche Regeln in seiner Rechts­ position gestützt werde.6 Die Postulationsfähigkeit gem. Art. 19 Abs. 3 der Satzung des EuGH ist aus den gleichen Gründen verneint worden.7 Der EFTA-Gerichtshof ist davon für den EWR abgewichen und hat auf die Unabhängigkeit im konkreten Fall abgestellt.8 3. Niederlassung als europäischer Anwalt

292

Der BGH hat ausländische Rechtsanwälte aus Gründen mangelnder Unabhängigkeit von der Zulassung kraft dreijähriger inländischer Berufstätigkeit nach § 11 Abs. 1 S. 1 EuRAG ausgeschlossen, wenn sie die Tätigkeit im Inland als Syndikusanwalt ausgeübt haben. Damit sei kein Nachweis effektiver und regelmäßiger Tätigkeit als niedergelas­ sener europäische Rechtsanwalt zu führen.9

4 Großzügiger zum Syndikus-Steuerberater als Feierabendberater BFH NJW 2012, 479 Tz. 16. Zulassungsausschluss für ihn aber bei gewerblicher Tätigkeit, BFH ZIP 2011, 1953 Tz. 11 (Vorstand einer Genossenschaftsbank). 5 EuGH v. 18.5.1982 – Rs. 155/79, NJW 1983, 503, 505. 6 EuGH v. 14.9.2010 – C-550/07 P – Akzo Nobel Chemicals, NJW 2010, 3557 Tz. 44 ff. 7 EuGH v. 29.9.2010  – C-74 und 75/10 P, Slg. 2010, I-115 Tz.  51  ff.  – EREF/Kommisison; EuGH, 6.9.2011, C-422/11 P und C-423/11 P – Prezes u. a. 8 EFTA-Gerichtshof v. 29.8.2014 – E-8/13 – Abelia/ESA, NJW 2015, 1231 (LS); dazu Baudenbacher/Speitler NJW 2015, 1211, 1214. 9 BGH NJW 2011, 1517 Tz. 4.

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Zulassung als Syndikusrechtsanwalt  ­|  § 16

II. Rentenversicherungspflicht Syndikusanwälte können als Rechtsanwälte Mitglied der Versorgungswerke der 293 Rechtsanwaltschaft werden und sich dafür gem. § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI von der Versicherungspflicht in der Deutschen Rentenversicherung befreien lassen (dazu §  11, Rn.  220). Das BSG hat durch fragwürdige Grundsatzentscheidungen vom 3.4.2014 dieser Rechtspraxis zeitweilig ein Ende bereitet.10 Dabei stand die Mehrung des Beitragsaufkommens der Rentenversicherung im Vordergrund. Darauf hat der Gesetzgeber mit einer BRAO-Novelle reagiert, die am 1.1.2016 in Kraft getreten ist und die u. a. die Mitgliedschaft in den Versorgungswerken der Anwaltschaft auch wei­ terhin ermöglicht.

III. Syndikusrechtsanwalt als eigenständiger Anwaltstypus Die Rechtsstellung des Syndikusrechtsanwalts wird seit 2016 in § 46a Abs. 2 BRAO als 294 eine eigenständige Form der anwaltlichen Berufsausübung neben derjenigen eines Rechtsanwalts definiert. Das drückt sich auch in der Titelführung aus (§ 46a Abs. 4 Nr. 2 BRAO). Der Syndikusrechtsanwalt ist bei einem Arbeitgeber angestellt, der sei­ nerseits kein Rechtsanwalt ist. Die Zulassung wird für ein konkretes Arbeitsverhältnis ausgesprochen; Änderungen in der Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses oder der Wechsel zu einem anderen Arbeitgeber sind der Anwaltskammer anzuzeigen. Neben der Zulassung als Syndikusrechtsanwalt kann gleichzeitig die Zulassung als 295 niedergelassener Rechtsanwalt gem. § 4 BRAO bestehen (vgl. § 46c Abs. 4 S. 2 und Abs.  5 S.  2 BRAO), wenn die Syndikustätigkeit dafür genügend Raum lässt. Nicht ausgeschlossen wird durch die Neuregelung, dass ein niedergelassener Rechtsanwalt einen Zweitberuf ausübt, wenn den Anforderungen des § 7 Nr. 8 bzw. § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO Genüge getan wird. Der Syndikusrechtsanwalt untersteht dem anwaltlichen Berufsrecht (§  46c Abs.  1 296 BRAO). Ausnahmen ordnet § 46c Abs. 3 BRAO an. So ist er z. B. nicht berufsrechtlich verpflichtet, eine Prozessvertretung aufgrund einer Beiordnung nach § 121 ZPO oder nach §§ 78b, 78c ZPO zu übernehmen, was dem Vertretungsverbot entspricht (dazu nachfolgend Rn. 301). Er muss auch keine Berufshaftpflichtversicherung (§ 51 BRAO) nachweisen. Die Kanzleipflicht (§ 27 BRAO) erfüllt er dadurch, dass § 46c Abs. 4 S. 1 BRAO seine regelmäßige Arbeitsstätte als Kanzlei fingiert.

10 BSG NJW 2014, 2743 m. Bespr. Offermann-Burckart NJW 2014, 2683 ff. und Merkt NJW 2014, 2310 ff. Gleichartige Rechtsprechung für Ärzte und Tierärzte: BSG NJW 2013, 1624 und 1628.

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Teil 2 ­|  Zulassung zur Rechtsberatung

IV. Zulassung 1. Weisungsfreiheit 297

Als Angestellter ist der Syndikusanwalt grundsätzlich in arbeitsrechtlicher Abhängig­ keit von seinem Arbeitgeber tätig. Jedoch muss er diese Tätigkeit gem. § 46 Abs. 3 BRAO fachlich unabhängig und eigenverantwortlich ausüben dürfen. Zudem muss die Tätigkeit für den Arbeitgeber mehrere weitere Merkmale erfüllen: Sie muss auf die Prüfung von Rechtsfragen und die Erteilung von Rechtsrat gerichtet sein, verbunden mit der Befugnis zur selbständigen Führung von Verhandlungen oder der Verwirkli­ chung von Rechten sowie der Befugnis zum verantwortlichen Auftreten nach außen. Diese Rechtsstellung muss gem. § 46 Abs. 4 S. 2 BRAO vertraglich und tatsächlich gewährleistet sein.11 2. Zulassungsprüfung, Zulassungsverfahren

298

Voraussetzung der Zulassung ist neben den zuvor in Rn. 297 beschriebenen Anforde­ rungen, dass kein Zulassungshindernis gem. § 7 BRAO vorliegt (§ 46a Abs. 1 Nr. 2 BRAO).

299

Örtlich zuständig für das Verfahren ist die RAK am Tätigkeitsschwerpunkt (vgl. § 46c Abs.  4 S.  2 BRAO). In das von der Kammer geführte Verfahren ist der Träger der Rechtenversicherung eingebunden (§ 46a Abs. 2 BRAO). Damit wird sichergestellt, dass dieser Träger einerseits sein eigenes Prüfungsrecht als Voraussetzung der Befrei­ ung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht gem. § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI ausüben kann, andererseits aber die Entscheidungsergebnisse in Bezug auf die An­ forderungen des §  46 Abs.  3 BRAO nicht auseinanderlaufen. Der Rentenversiche­ rungsträger ist nur anzuhören. Ihm steht gegen eine positive Zulassungsentscheidung ein Klagerecht zu, das gegen die Rechtsanwaltskammer (§  112d BRAO) beim An­ waltsgerichtshof (§112a BRAO) auszuüben ist.12 3. Bindung an das Arbeitsverhältnis

300

Die Zulassung bezieht sich wegen der Prüfung des Arbeitsvertrages (§  46a Abs.  3 BRAO) auf das konkrete Arbeitsverhältnis, gegebenenfalls auch auf mehrere Arbeits­ verhältnisse (§ 46a Abs. 1 S. 2 BRAO). Ändert sich der Inhalt des Arbeitsverhältnisses, ist dieser Umstand unverzüglich anzuzeigen (§ 46b Abs. 4 BRAO); eine neue Zulas­ sungsprüfung wird erforderlich (§ 46b Abs. 3 BRAO). Gegebenenfalls ist die Zulas­ sung zu widerrufen (§ 46b Abs. 2 S. 2 BRAO).

11 Zum Mix der Tätigkeiten Offermann-Burckart AnwBl 2016, 474, 475 f. 12 Zum Zulassungsverfahren Offermann-Burckart AnwBl 2016, 474, 477 f. Beispiel für eine erfolglose Klage der DRV: AnwGH Hamm NJW 2017, 1331.

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Zulassung als Syndikusrechtsanwalt  ­|  § 16

V. Beschränkung der anwaltlichen Befugnisse Der Syndikusrechtsanwalt darf nur in Rechtsangelegenheiten des Arbeitgebers bera­ 301 ten und vertreten, was allerdings nach dem RDG erlaubte Rechtsdienstleistungen des Arbeitgebers gegenüber Dritten umfasst (§ 46 Abs. 5 BRAO). Beschränkt wird das Vertretungsrecht durch § 46c Abs. 2 BRAO. Insbesondere ist die Vertretung in zivil­ rechtlichen Verfahren mit Anwaltszwang ausgeschlossen. Untersagt ist auch die Tä­ tigkeit als Verteidiger für den Arbeitgeber und dessen Mitarbeiter bzw. als deren Ver­ treter in Straf- oder Bußgeldverfahren. Die in der StPO geregelten Anwaltsrechte (Zeugnisverweigerungsrecht als Berufsgeheimnisträger, Beschlagnahmeverbot, Ver­ bot der Wohnraumüberwachung, Einschränkung von Ermittlungsmaßnahmen) sind für den Syndikusrechtsanwalt ausgeschlossen. Dies folgt aus der Ausschlussregelung des § 53 Abs. 1 Nr. 3 Hs. 2 StPO, an die sich die Regelungen des § 97 Abs. 1 StPO und § 100c Abs. 6 S. 1 sowie § 100g Abs. 4 StPO anschließen. Ergebnis dieser rechtpolitisch fragwürdigen Beschränkungen ist, dass es sich faktisch 302 um eine Titularzulassung mit dem Recht auf Zugang zu einem berufsständischen Versorgungswerk handelt.

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§ 17 Zulassungsrücknahme, Zulassungswiderruf

I. Entstehungszeitpunkt des Grundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303

II. Leistungsverfall, Unzuverlässigkeit, Vermögensgefährdung 1. Verlust der persönlichen Eignung 304 2. Vermögensverfall . . . . . . . . . . . . . 305 3. Vermögensstraftaten zum Nachteil des Mandanten . . . . . . . . . . . . 307 III. Wegfall der Haftpflichtversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . 310

IV. Zweitberuf im öffentlichen Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311

V. Gewerbliche Zweitberufe . . . . . 313

VI. Sonstige Widerrufsgründe . . . . 320 VII. Wirkungen des Zulassungsentzugs, Rechtsschutz 1. Bestandskräftiges Erlöschen der Zulassung, Abwicklerbestellung 321 2. Interimszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 3. Folgen für Prozesshandlungen . . 323 VIII. Wiederzulassung . . . . . . . . . . . . 327

I. Entstehungszeitpunkt des Grundes 303

§ 14 BRAO regelt die Entziehung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Die Norm korrespondiert mit der Parallelvorschrift zu § 7 BRAO. In Absatz 1 ist die Rücknahme anfänglich fehlerhafter Zulassungsentscheidungen angesprochen, in Absatz 2 der Wi­ derruf ursprünglich fehlerfreier Zulassungen, denen ein Zulassungshindernis „nach­ gewachsen“ ist.

II. Leistungsverfall, Unzuverlässigkeit, Vermögensgefährdung 1. Verlust der persönlichen Eignung 304

Wiederum geht es um körperliche Gebrechen1 und persönliche Unzuverlässigkeit des Rechtsanwalts.2 Häufig muss sich die Zulassungsinstanz mit der Bedrohung von Ver­ mögensinteressen der Mandanten befassen, wobei Untreue- und Unterschlagungs­ straftaten im Vordergrund stehen.

1 Zum Nachlassen der geistigen Eignung BGH BRAK-Mitt. 1997, 200 (nach Untersuchungs­ verweigerung); BGH NJW-RR 2001, 1426; BGH NJW-RR 2009, 1578 Tz. 9 (Nichtvorlage eines Gesundheitszeugnisses); AnwGH NRW v. 17.6.2011 – 1 AGH 7/11, DStR 2012, 819 (Nichtvorlage eines Gesundheitszeugnisses). 2 Zum Entzug des Rechts zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufes im Kanton Zürich wegen persönlicher Unzuverlässigkeit s. drei Beschlüsse der Aufsichtskommission in Bl. für Zürch. Rechtspr. 1994, Nr. 39, S. 143 ff.

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Zulassungsrücknahme, Zulassungswiderruf  ­|  § 17

2. Vermögensverfall Die Widerrufsfälle des § 14 Abs. 2 Nr. 7 und 8 BRAO betreffen nicht Straftaten des 305 Rechtsanwalts, sondern Gefährdungen von Interessen der Rechtsuchenden wegen Vermögensverfalls oder gerichtlich angeordneter Verfügungsbeschränkungen.3 Un­ erheblich ist, ob den Anwalt an der Entstehung der belastenden Vermögenssituation ein Verschulden trifft.4 Betroffen sind von dieser Situation auch Angehörige anderer kammergebundener Berufe.5 Vermögensverfall liegt vor, wenn der Anwalt in unge­ ordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse gerät, die in absehbarer Zeit nicht zu ord­ nen sind und die ihn außer Stande setzen, seinen Verpflichtungen nachzukommen.6 Die Rechtsprechung steht dem Bemühen, die Bedrohung finanzieller Mandanteninte­ 306 ressen durch Schutzmaßnahmen zu kompensieren und dadurch die Zulassung vor einem Widerruf zu retten, sehr reserviert gegenüber. Die bloße Erklärung, künftig keine Fremdgelder mehr entgegennehmen zu wollen, ist unzureichend, ebenso der Abschluss eines Treuhandvertrages mit einem in Bürogemeinschaft verbundenen Rechtsanwalt, der den Empfang von Schecks oder Bargeld nicht ausschließen kann.7 Ausnahmsweise kann die Beschäftigung als angestellter Anwalt in einer Sozietät bei begleitenden arbeitsvertraglichen Beschränkungen eine hinreichende Sicherheit bie­ ten,8 nicht aber die Beschäftigung bei einem Einzelanwalt, der in Urlaubszeiten oder im Krankheitsfall die Überwachung nicht sicherstellen kann.9 Der drohende Zulas­ sungswiderruf begründet keine sittenwidrige Härte i. S. d. § 765a Abs. 1 S. 1 ZPO, die der Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung (§ 807 Abs. 1 Nr. 4 ZPO) entgegen­ steht.10 3. Vermögensstraftaten zum Nachteil des Mandanten Straftaten gegen das Vermögen von Mandanten werden nicht strafrechtlich, sondern 307 auch disziplinarisch geahndet. Schärfste Sanktion ist gem. § 114 Abs. 1 Nr. 5 BRAO die Ausschließung aus der Rechtsanwaltschaft, was in der Wirkung einem Zulas­ sungswiderruf gleichkommt. Auf Ausschließung als schwerste Maßnahme darf nach der Rechtsprechung des BVerfG11 nur erkannt werden, wenn die Prognose begrün­ det ist, dass von dem Rechtsanwalt eine Gefährdung für die Rechtspflege ausgeht.

3 BGH NJW 2011, 3234 Tz. 8. Zur Restschuldbefreiung BGH NJW 2017, 1181. 4 BGH BRAK-Mitt. 1999, 270, 271. 5 Vgl. BVerwG NJW 2005, 3795 (Wirtschaftsprüfer). Allgemein: Schmittmann NJW 2002, 182 ff. 6 BGH NJW-RR 2006, 559; AnwGH NRW AnwBl. 1999, 698. 7 BGH NJW-RR 2006, 859, 860. 8 BGH NJW 2005, 511; BGH NJW 2007, 2924 Tz. 9; BGH AnwBl 2009, 64, 65; dazu Ehlers NJW 2008, 1480 ff. 9 BGH NJW-RR 2006, 559, 560 m. Bspr. Römermann AnwBl. 2006, 237 f.; ebenso BGH ZIP 2000, 1018, 1019 für einen Rechtsbeistand. 10 BGH NJW 2010, 1002 Tz. 14. 11 Vgl. BVerfGE 66, 337, 355 = NJW 1984, 2341.

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Teil 2 ­|  Zulassung zur Rechtsberatung 308

In gleicher Weise wird der Berufsausschluss von Steuerberatern nach §  90 StBerG gehandhabt. Der Senat für Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen beim BGH verlangt nicht, dass die Gefahr der erneuten Begehung vergleichbarer Pflicht­ verletzungen für die Zukunft festgestellt wird; ausreichend ist die Gefahr, dass auf­ grund der begangenen schweren Pflichtverletzungen das für jede Rechtsberatung un­ abdingbare Vertrauen zwischen Berater und seinem Mandanten sowie die für eine sachgerechte Beratung notwendige innere Unabhängigkeit des Beraters beeinträch­ tigt ist.12

309

Von der disziplinarischen Ahndung ist die strafgerichtliche Anordnung eines Berufs­ verbots nach § 70 StGB zu unterscheiden, die nach § 132a StPO auch vorläufig ausge­ sprochen werden kann.13

III. Wegfall der Haftpflichtversicherung 310

Nach § 14 Abs. 2 Nr. 9 BRAO führt die mangelnde Fortsetzung der durch § 51 BRAO vorgeschriebenen Berufshaftpflichtversicherung zum Widerruf der Zulassung.14 Diese Pflicht gilt auch für einen inländischen Rechtsanwalt, der seine Kanzlei im Aus­ land errichtet hat.15 Die Berufspflichtversicherung einer Rechtsanwalts-GmbH muss Deckungsschutz wenigstens in Höhe der Mindestversicherungssumme des §  59j Abs. 2 S. 2 BRAO bieten. In der Differenzierung der Deckungssumme, die durch na­ türliche Personen einerseits (§ 51 Abs. 4 BRAO) und Rechtsanwaltskapitalgesellschaf­ ten andererseits erreicht werden muss, liegt kein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG oder Art. 3 Abs. 1 GG.16

IV. Zweitberuf im öffentlichen Dienst 311

Nach § 14 Abs. 2 Nr. 5 ist die Berufung in ein Beamten- oder Richterverhältnis auf Lebenszeit ein zwingender Widerrufsgrund.17 Ob die Regelung auf Beamte der evan­ gelischen Kirche anzuwenden ist, hat das BVerfG in Zweifel gezogen.18 Für eine Be­ schäftigung im Angestelltenverhältnis des öffentlichen Dienstes gilt die Vorschrift nicht,19 jedoch wird dann aufgrund der Nebentätigkeitsgenehmigung nicht genü­ 12 BGH NJW 1994, 206, 208. 13 So in OLG Oldenburg NJW-RR 1997, 1287. 14 BGH NJW 2001, 3131 (nachträglicher Wegfall des Widerrufsgrundes durch Nachweis er­ neuten Versicherungsschutzes). 15 BGH NJW 1998, 1078, 1079; AnwGH Hamm BRAK-Mitt. 1997, 206, 207; AnwGH Ham­ burg BRAK-Mitt. 1998, 44, 45. 16 BVerfG NJW 2001, 1560, 1561. 17 Verfassungswidrigkeit und Unionsrechtswidrigkeit verneinend BGH NJW 2012, 615 Tz. 7, 14 ff. 18 BVerfG NJW 2006, 3706 (einstweilige Anordnung nach § 32 BVerfGG); BVerfG NJW 2007, 2317, 2318. 19 BGH NJW-RR 2009, 1576 Tz. 9.

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Zulassungsrücknahme, Zulassungswiderruf  ­|  § 17

gend Freiraum für die Ausübung des Anwaltsberufs bestehen.20 Bei lediglich vorüber­ gehender Beschäftigung im öffentlichen Dienst ist § 47 BRAO zu beachten, wonach nur ein Berufsausübungsverbot gilt, von dem jedoch Befreiung erteilt werden kann, wenn Interessen der Rechtspflege nicht beeinträchtigt werden (s. auch § 12, Rn. 247).21 Ausgeschlossen von der Anwaltszulassung sind damit entgegen einer internationalen 312 Praxis22 auch beamtete Universitätsprofessoren des Rechts.23 Daran wird der ver­ steckte Konkurrenzschutz des deutschen Zulassungsrechts besonders offenbar. Die Inkompatibilität soll die Unabhängigkeit des Anwalts sicherstellen. Sie kann indes vom Beamtenstatus der Professoren nicht berührt sein, weil sich anderenfalls auch eine Bestellung von Professoren zu Richtern im zweiten Amt (vgl. §§ 4 Abs. 2 Nr. 3, 41 Abs. 2 DRiG) verbieten würde. Gleichwohl hat der BGH eine teleologische Reduk­ tion der Norm für die Sondergruppe der Universitätsprofessoren verweigert. Der EGMR hat darin keine Eingriff in das Eigentumsrecht gesehen.24

V. Gewerbliche Zweitberufe § 14 Abs. 2 Nr. 8 entspricht der Zulassungsvorschrift des § 7 Nr. 8. Beide Normen sind 313 im Jahre 1994 im Anschluss an die Entscheidung BVerfG NJW 1993, 317 (dazu § 12, Rn.  240) neu und restriktiver gefasst worden. Vergleichbare Widerrufsvorschriften gibt es in anderen Berufsordnungen von Freiberuflern. Sie stellen z. T. immer noch auf die „Berufsunwürdigkeit“ ab, so etwa §§ 6 Abs. 2, 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Bundesapo­ thekerordnung25 und §§ 5 Abs. 2, 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Bundesärzteordnung26. Kasuistik: (a) BGH NJW 1986, 2499 m. Anm. Reich NJW 1987,1315 und Hustädt NJW 1988, 473: Ein zugelassener Rechtsanwalt war zugleich als Angestellter mit 20 Stunden wöchentlich als Rechtsberater beim AStA einer Universität tätig. Insoweit unterlag er der Dienstaufsicht einer vom AStA beschäftigten hauptberuflichen Geschäftsführerin, nicht aber einer Fachaufsicht. Eine Vertretung der Studenten durch ihn war nach Bescheinigung des AStA-Vorsitzenden nicht vorgesehen. Rechtsrat erteilte er Studenten vor allem in Bafög-Angelegenheiten. Inner­ halb der festgesetzten Arbeitszeit durfte er alle anwaltsüblichen Termine wahrnehmen. Die Rücknahme der Zulassung wurde vom BGH bestätigt. Bei Dauerangestellten im öffentli­ chen Dienst begründet eine Gefährdung von Interessen der Rechtspflege die Unvereinbarkeit. Sie wurde in der Verpflichtung zur Erteilung von Rechtsrat an einen persönlich nicht abge­ grenzten studentischen Personenkreis in abhängiger Stellung gesehen. Statt der damals maß­ 20 So in BGH NJW-RR 1999, 570 (Referatsleiter im Landwirtschaftsministerium). 21 Zum abgestuften Regelungskonzept BGH NJW 2012, 615 Tz. 8. 22 Rosenberg/Schwab/Gottwald Zivilprozessrecht17 § 28 Rdn. 12. 23 BGHZ 92, 1, 3 f.; BGH NJW-RR 2009, 1576 Tz. 8 (Fachhochschulprofessor); kritisch Schulze-Osterloh Festschrift Quack (1991), S.  743, 748  ff.; Michalski/Römermann MDR 1996, 433 ff.; v. Lewinski Festschrift Hartung (2008), S. 93 ff. 24 EGMR v. 23.5.2006 – Rs. 6213/03 – Lederer/Deutschland, NJW 2007, 3049, 3050. 25 Zu einem darauf gestützten Approbationswiderruf s. BVerwG NVwZ-RR 1994, 388 f. 26 Dazu BVerwG NJW 1999, 3425 (sexuelle Beleidigung einer Patientin).

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314

Teil 2 ­|  Zulassung zur Rechtsberatung geblichen Rechtsgrundlage des aufgehobenen § 15 Nr. 2 BRAO wäre heute § 14 Nr. 9 heranzu­ ziehen. Mit der damaligen Begründung wäre die Entscheidung seit BVerfG NJW 1993, 317 nicht mehr zu halten. Zu prüfen wäre aber der Gesichtspunkt der Staatsnähe; dabei sind je­ doch Aufgabenbereich und Bedeutung der jeweiligen Anstellungskörperschaft zu berücksich­ tigen.

315

(b) EGH Baden-Württemberg NJW 1991, 2298: Ein Rechtsanwalt hatte im Rahmen seiner Tä­ tigkeit als Testamentsvollstrecker die Geschäftsführung über eine Textil KG übernommen. Eine anderweitige Geschäftsführung des fortzuführenden Familienunternehmens war nicht möglich, da sich die als Nachfolger vorgesehenen Erben noch in der Ausbildung befanden und ein angestellter Geschäftsführer für die Übergangszeit nicht zu finden war. Der EGH sah das kaufmännisch-erwerbswirtschaftliche Handeln (in Übereinstimmung mit dem damaligen Rechtsprechungsstand) nur ausnahmsweise als vereinbar an, weil zu den Anwaltspflichten als Testamentsvollstrecker die Erhaltung des Familienunternehmens gehörte und die notwendige übergangsweise Geschäftsführung das Berufsbild des Rechtsanwaltes nicht nachhaltig beein­ trächtigte.

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(c) BGH NJW 1991, 2289: Der Rechtsanwalt wurde als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Rechtsabteilung Hauptgeschäftsführer beim Verband der Metallindustriellen Niedersachsen e. V., mit dem mehrere weitere Verbände in Bürogemeinschaft stehen. Die Rechtsberatung erfolgte nicht durch ihn, sondern durch die Rechtsabteilung. Ihm unterstanden sämtliche Mit­ arbeiter. Er war hauptsächlich mit organisatorischen und verbandspolitischen Fragen, insbe­ sondere dem Abschluss von Tarifverträgen, befasst. Der BGH sah darin keine unvereinbare Tätigkeit, weil der Antragsteller als Geschäftsführer lediglich die organisatorische Leitung hatte und daher mit seinem Anwaltsberuf nicht in Kon­ flikt geraten konnte. Unvereinbar sollte allerdings die rechtliche Beratung im Rahmen einer Verbandstätigkeit sein; erteilten Verbände einer gewissen Größe Hilfe und Rat gegenüber ih­ ren Mitgliedern, stehe dies einer Rechtsberatung gegenüber dem allgemeinen rechtssuchenden Publikum gleich, die nicht in abhängiger Stellung erfolgen dürfe.

317

(d) AnwGH Rheinland-Pfalz BRAK-Mitt. 2005, 277: Der Antragsteller war während einer Tä­ tigkeit in Japan von der Kanzleipflicht befreit gewesen. Nach der Rückkehr nach Deutschland war er hauptberuflich in einem Unternehmen tätig, für das er beruflich viel ins Ausland reisen musste, weshalb er eine Einzelanwältin als Zustellungsbevollmächtigte benannte, unter deren Anschrift er seine Kanzlei führte. Die Zulassung wurde wirksam widerrufen, weil es an der rechtlichen und tatsächlichen Fähigkeit fehlte, den Anwaltsberuf mehr als nur gelegentlich auszuüben (Vermeidung reiner Titularzulassung).

318

(e) BGH NJW-RR 2011, 856: Der Anwalt nahm eine unbefristete Anstellung bei einer Bank an. Die Rechtsberatung der Bankkunden in Bezug auf deren Vermögensanlagen gehörte zu sei­ nen Aufgaben. Wegen der mangelnden Trennbarkeit der Beratung von Geschäftsinteressen der Bank und wegen der möglichen Ausnutzung von daraus erlangten Informationen verneinte der BGH die Unabhängigkeit als Anwalt (Tz. 9 f.).

319

(f) BGH NJW 2012, 534: Ein seit zwölf Jahren zugelassener Anwalt wurde zum Geschäftsführer einer Industrie- und Handelskammer, also einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft, für den Bereich Recht und Steuern bestellt. Er wehrte sich erfolgreich gegen den Widerruf seiner Zulassung auf der Grundlage des § 14 II Nr. 8 BRAO. Der BGH verlangte unter Berücksichtigung von Art. 12 I GG eine Einzelfallprüfung im Hin­ blick auf das Schutzgut der Unabhängigkeit (Tz. 4) und verneinte eine Staatsnähe (Tz. 5 mit

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Zulassungsrücknahme, Zulassungswiderruf  ­|  § 17 12  ff.). Zu beachten sei gem. der Jakubowski-Entscheidung des EuGH (dazu oben §  12, Rn. 250), dass nationale Beschränkungen für abhängig beschäftigte Anwälte nicht über das zur Verhinderung von Interessenkonflikten Erforderliche hinausgehen dürften (Tz. 8). Zum Geschäftsführer der Landesgeschäftsstelle einer Wirtschaftsprüferkammer BGH NJWRR 2008, 1504.

VI. Sonstige Widerrufsgründe § 14 Abs. 3 BRAO nennt sonstige Widerrufsgründe (versäumte Kanzleierrichtungs­ 320 pflicht, fehlender Zustellungsbevollmächtigter bei Befreiung von Kanzleipflicht). De­ ren Ausübung steht im Ermessen der Rechtsanwaltskammer.27

VII. Wirkungen des Zulassungsentzugs, Rechtsschutz 1. Bestandskräftiges Erlöschen der Zulassung, Abwicklerbestellung Durch bestandskräftige Zurücknahme oder Widerruf erlischt die Zulassung (§  13 321 BRAO) ebenso wie im Falle der rechtskräftigen disziplinarischen Verurteilung zum Ausschluss aus der Rechtsanwaltschaft (§§  34 Nr.  1, 13, 114 Abs.  1 Nr.  5 BRAO). Die Anforderungen an den Verwaltungsakt ergeben sich aus §§ 37 Abs. 3, 39 Abs. 1 VwVfG und §  34 BRAO.28 Zur Abwicklung der schwebenden Angelegenheiten der Kanzlei ist in diesen Fällen von der Rechtsanwaltskammer ein anderer Rechtsanwalt oder eine andere Person mit Befähigung zum Richteramt zu bestellen (§ 55 Abs. 6 BRAO), eine Regelung die auch im Falle des Todes eines Rechtsanwaltes einschlägig ist (§ 55 Abs. 1 BRAO). 2. Interimszeit Ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen eine Rücknahme- oder Widerrufs­ 322 entscheidung hat gem. § 16 Abs. 6 S. 1 BRAO aufschiebende Wirkung. Sie kann nach Satz  2 bei überwiegendem öffentlichen Interesse durch Anordnung der sofortigen Vollziehung überwunden werden.29 Bei Wegfall der vorgeschriebenen Berufshaft­ pflichtversicherung ist die sofortige Vollziehung in der Regel anzuordnen (Satz  3). Entfällt ein Widerrufsgrund während des Verfahrens, war der Widerruf nach gefes­ tigter früherer Rechtsprechung aus prozesswirtschaftlichen Gründen aufzuheben.30 Diese Auffassung hat der Anwaltssenat durch Beschluss vom 29.6.2011 aufgegeben.31 Die seit dem 1.9.2009 geltende Verweisung der BRAO auf die VwGO gebiete eine 27 BGH NJW 2014, 377 Tz. 7 (dort: Ermessenfehlgebrauch wegen voreiliger Annahme unbe­ kannten Aufenthalts). 28 BGH ZIP 2017, 28 Tz. 21. 29 Zur sofortigen Vollziehung bei Vermögensverfall BGH NJW 2011, 457. 30 Zuletzt noch BGH NJW 2011, 457 Tz. 10. 31 BGH NJW 2011, 3234 Tz. 14.

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Teil 2 ­|  Zulassung zur Rechtsberatung

Anpassung an die Rechtsprechung des BVerwG, nach der es auf die Sach- und Rechts­ lage beim Abschluss des Verwaltungsverfahrens ankomme. Berufliche Nachteile we­ gen der Verschiebung des Beurteilungszeitpunkts seien gering, weil der Anwalt bei nachträglichem Wegfall des Widerrufsgrundes einen Anspruch auf sofortige Wieder­ zulassung habe.32 3. Folgen für Prozesshandlungen 323

Ein Sofortvollzug des Widerrufs hat dieselben Folgen wie die disziplinarrechtliche Verhängung eines vorläufigen Berufsverbots. Der Anwalt ist nicht mehr befugt, seine Anwaltstätigkeit auszuüben (§ 155 Abs. 2 BRAO), was auch für seine Selbstvertretung gilt.33 Wird der Rechtsanwalt entgegen der angeordneten sofortigen Vollziehung ­weiterhin tätig, bleiben seine Rechtshandlungen aus Gründen der Rechtssicherheit gleichwohl wirksam (§§ 14 Abs. 4, 155 Abs. 5 S. 1 BRAO),34 doch ist er von Gerichten und Behörden (mit Wirkung ex nunc) zurückzuweisen (§§  14 Abs.  4, 156 Abs.  2 BRAO). Der Gedanke der Rechtssicherheit soll jedoch zurücktreten, wenn dies der Schutz gutgläubiger Mandanten gebietet.35

324

Ist die Zulassung endgültig erloschen, sind nachfolgende Prozesshandlungen des ehe­ maligen Anwalts im Anwaltsprozess wegen fehlender Postulationsfähigkeit wirkungs­ los.36 Auf den Parteiprozess ist dies nicht zu übertragen.37 Allerdings erlischt die Prozessvollmacht (§§ 80 ff. ZPO) mit dem Verlust der Zulassung.38 Das Handeln des nicht mehr zugelassenen Anwalts ist der Partei nicht nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurech­ nen, so dass eine Wiedereinsetzung gegen die Versäumung einer Rechtsmittelfrist (dazu §  44, Rn.  1267  ff.) zu bewilligen ist.39 Die vollmachtlos vorgenommene Pro­ zesshandlung kann nachträglich genehmigt werden (§  89 Abs.  2 ZPO), was bei Rechtsmitteln auch noch nach Ablauf der Rechtsmittelfrist erfolgen können soll.40 Gegenüber dem Anwalt kann eine Ersatzzustellung in der Kanzlei nicht wirksam vor­ genommen werden, wenn der Widerruf bestandskräftig geworden oder sofort voll­ ziehbar ist, weil es dann an einer Kanzlei als Geschäftsraum i. S. d. §§ 178, 180 ZPO fehlt.41 Im Anwaltsprozess tritt nach § 244 Abs.1 ZPO eine Unterbrechung des Ver­

32 BGH NJW 2011, 3234 Tz. 18. 33 BGH NJW-RR 2012, 1336 Tz. 4. 34 BGH NJW 2012, 2592 Tz. 8; BGH NJW-RR 2012, 1336 Tz. 6. 35 OLG Karlsruhe NJW 1997, 672, 673 (zur Berufungszurücknahme in einer Strafsache). 36 BGHZ 98, 325, 327; BGH NJW-RR 2015, 628 Tz. 5 f. 37 BGHZ 166, 117 Tz.  20  =  NJW 2006, 2260, 2261 (dort: Kostenfestsetzungsverfahren im Anwaltsprozess). 38 Letztlich offengelassen von BGH NJW 2006, 2260, 2261 f. und BAG NJW 2007, 3226. 39 BGH NJW-RR 2008, 1290 Tz. 9. 40 BGH NJW 2006, 2260, 2262; BGH NJW 1995, 1901, 1902; GmSOGB NJW 1984, 2149. 41 BGH NJW-RR 2011, 561 Tz. 3. Im Ergebnis ebenso, jedoch mit auf § 244 ZPO gestützter Begründung OLG Köln MDR 2008, 1300.

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Zulassungsrücknahme, Zulassungswiderruf  ­|  § 17

fahrens ein, wenn der Zulassungswiderruf bestandskräftig geworden ist42 oder wenn ein vorläufiges Tätigkeitsverbot ausgesprochen wurde.43 Ohne Verstoß gegen den Erlaubniszwang des RDG darf der frühere Anwalt als Ange­ 325 stellter für einen zugelassenen Anwalt abhängig und weisungsgebunden Rechtsange­ legenheiten erledigen, jedoch darf er nicht faktisch wie ein freier Mitarbeiter tätig werden. Kasuistik: OLG Karlsruhe NJW-RR 1995, 626 f.: Die Zulassung des beklagten Rechtsanwaltes war wäh­ rend des Zivilprozesses sofort vollziehbar widerrufen worden. Zu einem nach diesem Zeit­ punkt anberaumten Verhandlungstermin erschien er nicht. Das gegen ihn erlassene Versäum­ nisurteil wurde durch Niederlegung zugestellt. Erst einen Monat danach legte ein anderer Rechtsanwalt für den Beklagten Einspruch ein und beantragte Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Einspruchsfrist. Gegen den ablehnenden Beschluss legte der Beklagte per­ sönlich die sofortige Beschwerde ein.

326

Das OLG bejahte die Zulässigkeit des selbst eingelegten Rechtsmittels trotz des angeordneten Sofortvollzuges im Hinblick auf § 155 Abs. 5 BRAO, der den Rechtsverkehr mit einem Rechts­ anwalt von der Prüfung freihalten wolle, ob gegen den Anwalt ein Berufs- oder Vertretungs­ verbot bestehe. Die Beschwerde hatte Erfolg, weil die Zustellung des sofort vollziehbaren ­Zulassungswiderrufs den Zivilprozess gem. § 244 ZPO unterbrochen habe, so dass das Ver­ säumnisurteil nicht wirksam habe zugestellt werden können.

VIII. Wiederzulassung §  7 Nr.  3 BRAO, der früher die Wiederzulassung eines aus der Rechtsanwaltschaft 327 ausgeschlossenen Anwalts zeitlich unbegrenzt untersagte, war wegen Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG unwirksam; die Norm ist 1989 revidiert worden.44 Cause célèbre war die Wiederzulassung des RAF-Anwalts und späteren RAF-Mitglieds Mahler. Ei­ nem früheren Rechtsanwalt soll die Chance eines beruflichen Neubeginns gegeben werden, wenn von seiner Person aufgrund nachträglicher Beurteilung keine Gefahr mehr für die Rechtspflege ausgeht.45 Ist ein Anwalt wegen Straftaten verurteilt wor­ den oder droht ihm eine Verurteilung, wird er oftmals von sich aus auf die Zulassung verzichten. In diesen Fällen kann die Wiederzulassung an § 7 Nr. 5 BRAO scheitern. Nach beiden Tatbeständen kommt es auf die Zeitspanne des Wohlverhaltens und de­ ren Relation zur Schwere der strafrechtlichen Verfehlungen an. Kasuistik: BGH NJW-RR 1995, 1016: Gegen den 1979 zur Rechtsanwaltschaft zugelassenen Antragsteller wurde 1986 wegen des Verdachts der Untreue in drei Fällen zum Nachteil seiner Mandanten 42 BGHZ 111, 104, 107; BGH NJW 2013, 2438 Tz. 14; OLG Celle MDR 2006, 1010. 43 OLG Hamm NJW 2008, 3075, 3076. 44 BGBl. 1989 I S. 2135 f. 45 BVerfGE 72, 51, 63 f.

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328

Teil 2 ­|  Zulassung zur Rechtsberatung strafrechtlich ermittelt. Das Ehrengericht erließ ein vorläufiges Berufsverbot. Der Antragstel­ ler verzichtete auf die Rechte aus seiner Zulassung, die daraufhin zurückgenommen wurde. 1988 wurde er zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt und 1991 erlassen wurde. Die 1992 beantragte Wiederzulassung wurde versagt. Der BGH stuft den Zeitraum zwischen Straftat und Wiederzulassung nach Schwere, Dauer und Häufigkeit einer tatbestandsmäßigen Handlung, die ihren Ausdruck im Falle strafrechtli­ cher Ahndung in Art und Höhe der verhängten Strafe findet. Berücksichtigt werden ferner die Gründe der Verfehlung (einmalige Entgleisung oder Ausdruck eines Charaktermangels und einer niederen Gesinnung) und die Verübung innerhalb oder außerhalb des Anwaltsberufes. Daraus ergeben sich Stufungen von vier bis fünf Jahren in leichteren Fällen bis zu 15 oder 20 Jahren in schwereren Fällen, ausnahmsweise in schweren Fällen von Untreue oder Betrug sogar noch mehr. Vergreift sich der Rechtsanwalt an ihm anvertrauten Geldern, kommt dem besondere Bedeutung zu, weil die Taten unter Ausnutzung persönlichen Vertrauens und er­ schwerter Kontrollmöglichkeit der Mandanten begangen werden. Der bisherige Zeitablauf und die straffreie Führung des Antragstellers reichten für eine Wiederzulassung noch nicht aus. Weitere Entscheidungen: BGH NJW-RR 1999, 1219; BGH BRAK-Mitt. 2000, 194; BGH BRAKMitt. 2000, 306 f.

100

§ 18 Zulassung des zugewanderten Anwaltsbewerbers § 4 BRAO ermöglicht nicht nur Bewerbern mit deutschem Assessorexamen die Zu­ 329 lassung zur Rechtsanwaltschaft, sondern auch Bewerbern, die entweder die Einglie­ derungsvoraussetzungen nach dem EuRAG erfüllen oder die die Eignungsprüfung nach diesem Gesetz bestanden haben (dazu § 38, Rn. 1029 ff. und 1041 ff.). Danach ist die Zuwanderung von Bewerbern ohne heimatliche Anwaltszulassung, jedoch mit abgeschlossener ausländischer Berufsausbildung von der Zulassung von Anwälten mit Zulassung im Herkunftsstaat zu unterscheiden. Die unterschiedlichen Anforde­ rungen richten sich jeweils nach dem primären Unionsrecht (Niederlassungsfreiheit des Art. 49 AEUV) und nach dem EuRAG, das das sekundäre Unionsrecht (Nieder­ lassungsrichtlinie 98/5/EG; Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG; Diplomanerken­ nungsrichtlinie 89/48/EWG i. d. F. der RL 2005/36/EG; Richtlinie 2013/55/EG zur Anerkennung von Berufsqualifikationen) umsetzt. Bewerber ohne ausländische Zulassung müssen sich einer Eignungsprüfung gem. 330 §§ 16 ff. EuRAG unterziehen (näher: § 38, Rn. 1039 ff.). Für sie stellt sich die Frage, in welchem Umfang ihre außerdeutsche Berufsausbildung anzuerkennen ist. Ausländi­ sche juristische Universitätsabschlüsse werden gem. § 112a DRiG überprüft; damit ist aber nur die Zulassung zum Vorbereitungsdienst zu erlangen. Rechtsanwälte mit Zulassung im Ausland (EU, EWR, Schweiz) können sich unter ih­ 331 rem Heimatrechtstitel niederlassen. Als deutscher Anwalt können sie eingegliedert werden, wenn die Voraussetzungen der §§  11  ff. EuRAG erfüllt sind (näher: §  38, Rn. 1030). Niederlassungserleichterungen gelten gem. § 206 BRAO für Rechtsanwälte mit Zulas­ 332 sung aus Drittstaaten außerhalb der EU, des EWR und der Schweiz. Damit ist aber keine Zulassung als deutscher Rechtsanwalt verbunden (näher: § 38, Rn. 1047 ff.).

101

Teil 3 Gemeinschaftliche Berufsausübung § 19 Allgemeine Beschränkungen der Zusammenarbeit

I. Wortlaut des § 59a BRAO . . . . . 333

II. Wertende Zulassung weiterer interprofessioneller Sozietäts­ bildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337

III. Anwendungsprobleme 1. Kumulation der Berufsrechte . . . 339 2. Gefährdung der Stellung als Anwaltsgesellschaft . . . . . . . . . . . 341 3. Mandatierung der Nichtanwälte 342

I. Wortlaut des § 59a BRAO Die berufliche Kooperation von Anwälten unterliegt rechtlichen Beschränkungen. 333 Das gilt zunächst schon für die zur Verfügung stehenden Gesellschaftsrechtstypen. Betroffen ist aber auch die mögliche gesellschaftsrechtliche Zusammenarbeit mit An­ gehörigen anderer Berufe. § 59a BRAO legt abschließend fest, mit welchen anderen Freiberuflern eine interprofessionelle Sozietät oder Bürogemeinschaft gebildet wer­ den darf, nämlich Patentanwälten, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern. Nicht dazu gehören z. B. Unternehmensberater.1 Maßgebend für die Zulässigkeit einer Zu­ sammenarbeit ist – bei phänomenologischer Betrachtung des Gesetzeswortlauts – der Gesichtspunkt der Artverwandtschaft bzw. Artverschiedenheit der Berufe.2 Der Begriff „Sozietät“ ist aus der ursprünglichen Fassung des § 59a BRAO gestrichen 334 worden, weil nicht nur die Zusammenarbeit in einer BGB-Gesellschaft erfasst sein soll. Die aktuelle Norm betrifft selbst unechte Sozietäten und andere Formen partner­ schaftlicher Zusammenarbeit, wie sich aus § 59a Abs. 3 BRAO erschließen lässt, der die Geltung für bloße Bürogemeinschaften anordnet. Ergänzend bestimmt § 30 BORA, dass die berufliche Verbindung mit Angehörigen 335 sozietätsfähiger anderer Berufe die zusätzliche Beachtung des anwaltlichen Berufs­ rechts durch diese Berufsträger voraussetzt. Nach § 33 Abs. 2 BORA hat der Anwalt auf seine Partner entsprechend einzuwirken. Die Gesamtregelung wird flankiert durch § 27 BORA, wonach Dritte, die mit dem 336 Anwalt nicht beruflich verbunden sind, am finanziellen Gesamtergebnis der anwaltli­ chen Tätigkeit grundsätzlich nicht beteiligt werden dürfen. Ausnahmen gelten für leistungssteigernde Mitarbeitervergütungen, Altersversorgungen, Praxisübernahmen und Abfindungszahlungen an ausgeschiedene Anwälte oder deren Hinterbliebene. 1 AnwGH Bad.-Württ. NJW-RR 1995, 1017, 1018. 2 AnwGH Bad.-Württ. NJW-RR 1995, 1017, 1018.

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Teil 3 ­| Gemeinschaftliche Berufsausübung

II. Wertende Zulassung weiterer interprofessioneller ­Sozietätsbildungen 337

Die Begrenzung des § 59a Abs. 1 BRAO ist vom BVerfG für den Zusammenschluss von Rechtsanwälten mit Ärzten und Apothekern in einer Partnerschaftsgesellschaft durchbrochen worden. Das BVerfG hat das Verbot nach eingehender Würdigung der mit der Begrenzung zu schützenden Verschwiegenheitspflicht und summarischer Nennung anderer Grundpflichten als unverhältnismäßig angesehen, nämlich teilwei­ se als nicht erforderlich und teilweise (zur Sicherung des Zeugnisverweigerungs­ rechts, zur Begrenzung strafrechtlicher Ermittlungsmaßnahmen, zur Sicherung der anwaltlichen Unabhängigkeit) als unangemessen weitreichend.3

338

Das BVerfG hat sich mit seiner Prüfung bewusst auf diese konkrete Zusammenarbeit beschränkt.4 In Stellungnahmen zum vorangehenden Vorlagebeschluss des BGH und zur verfassungsgerichtlichen Entscheidung selbst ist auf weitere Konstellationen (weitere freie Berufe, andere Gesellschaftsformen) hingewiesen worden, die ebenfalls zulässig sein könnten.5

III. Anwendungsprobleme 1. Kumulation der Berufsrechte 339

Aus § 59a BRAO ergeben sich aufgrund der Verschiedenheit der Berufsrechte Folge­ probleme.6 Der Unternehmensgegenstand einer interprofessionellen Sozietät darf auf das Tätigkeitsfeld aller sozietätsfähigen Berufe erstreckt werden, wie der BGH für eine Patentanwaltsgesellschaft und deren Bildung mit einem Anwaltspartner konse­ quent bejaht hat.7 Der BGH hat jedoch mit nicht überzeugender Begründung eine Einzelvertretungsbefugnis des Anwalts verneint.8 Weitere Folge ist, dass sich eine interprofessionelle Sozietät auch in ihrer Gesamtheit zur Erbringung anwaltlicher Dienstleistungen verpflichten kann (s. auch § 22, Rn. 367).9

340

Mit welchen Mitteln die Pflichtenbindung der nichtanwaltlichen Partner an Vorgaben des anwaltlichen Berufsrechts effektiv erreicht werden soll, bleibt mangels institu­

3 BVerfG NJW 2016, 700 Tz. 54 ff.; nachfolgend Zulassung der Registereintragung durch BGH NJW 2016, 2263. Zu den weiterreichenden Folgen Hellwig AnwBl 2016, 776, 778 ff. 4 BVerfG NJW 2016, 700 Tz. 40. 5 Hellwig AnwBl 2014, 606 ff.; Kleine-Cosack AnwBl 2013, 570 ff.; a. A. nach der Entscheidung Ring WM 2016, 957  ff. Für Beendigung gesellschaftsrechtlicher Restriktionen im Berufs­ recht Kleine-Cosack AnwBl 2017, 590 ff. 6 Dazu Henssler AnwBl 2009, 670 ff. 7 BGH GRUR 2012, 807 Tz. 16 f. 8 BGH GRUR 2012, 807 Tz. 34 und 36. 9 BGH VersR 2010, 1266 Tz. 10.

104

Allgemeine Zusammenarbeitsbeschränkungen ­|  § 19

tioneller Sicherungen ungewiss.10 Zur Verdopplung der Berufspflichten s. §  40, Rn. 1059 ff. 2. Gefährdung der Stellung als Anwaltsgesellschaft Sehr fraglich ist, ob bei interprofessionellen Sozietäten mit einem stimmenmäßigen 341 Übergewicht der nichtanwaltlichen Partner noch von einer anwaltlichen Berufsaus­ übungsgesellschaft gesprochen werden kann. Das hat Auswirkungen auf die Anwen­ dung des § 46 Abs. 1 BRAO, wenn Rechtsanwälte als Angestellte tätig sind (s. § 6, Rn. 119 und § 16, Rn. 294). Gegebenenfalls sind sie auf den Status als Syndikusrechts­ anwälte nach § 46 Abs. 2 BRAO zu verweisen, was Auswirkungen auf die Möglichkeit der Befreiung von der Mitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung hat (dazu § 16, Rn. 293).11 3. Mandatierung der Nichtanwälte Geklärt hat die Rechtsprechung Einzelprobleme der Mandatierung. Bei einer aus 342 Rechtsanwälten und Steuerberatern bestehenden Sozietät kommt der anwaltliche Dienstvertrag mit der Gesamtsozietät zustande.12 Konsequent ist es dann, eine inter­ professionelle Anwaltsgesellschaft bei Bewilligung von Prozesskostenhilfe ihrem Mandanten gem. §  121 ZPO beizuordnen.13 Die Bestimmung der dafür gesetzlich qualifizierten Person ist dann eine Binnenentscheidung der Gesellschaft. In Haftungs­ fällen richtet sich ein Gesamtschuldnerausgleich unter den Gesellschaftern nach der Verantwortlichkeit für das schädigende Verhalten.14 Die Mithaftung der berufsfrem­ den Gesellschafter für anwaltliche Fehler erfordert insbesondere in einer BGB-Gesell­ schaft eine Ausdehnung des versicherungsrechtlichen Deckungsschutzes.

10 Vgl. dazu Singer AnwBl 2016, 788, 791  ff., der daraus allerdings den Schluss zieht, dass weitere Berufsträger als sozietätsfähig anzusehen seien. 11 Dazu Posegga NJW 2016, 1911, 1914. 12 BGH NJW 2011, 2301 Tz. 6 f.; noch offen gelassen in BGH NJW-RR 2008, 1594 Tz. 10. 13 So OLG Nürnberg NJW 2013, 948. 14 Vgl. BGH NJW-RR 2009, 49 Tz. 2 (ärztliche Gemeinschaftspraxis).

105

§ 20 Die überörtliche Sozietät

I. Mehrfache Kanzleistandorte . . . 343

II. Anwendungsprobleme . . . . . . . . 346

I. Mehrfache Kanzleistandorte 343

Besonders heftig umkämpft war die Zulassung nationaler überörtlicher Sozietäten. Kennzeichen einer überörtlichen Sozietät ist, dass sich mehrere Anwälte mit Kanzlei­ sitzen an verschiedenen, in der Regel in unterschiedlichen Landgerichtsbezirken ­gelegenen Orten nach außen erkennbar zur gemeinsamen Berufsausübung zusam­ menschließen.1 Ihre Gegner argumentierten u. a. mit einem Verstoß gegen das Zweig­ stellenverbot des § 28 BRAO a. F. und das Lokalisationsprinzip des § 18 BRAO a. F.2 Die Hauptversammlung der BRAK hat sie noch 1989 als gesetzwidrig bewertet. Der Anwaltssenat des BGH hat am 18.9.1989 in einem obiter dictum seine Befürwortung dieser Sozietätsform (bei Beachtung bestimmter Modalitäten) vorsichtig angedeutet.3 § 39 Abs. 4 RAG der DDR hatte die überörtliche Sozietät am 13.9.1990, also wenige Tage vor der Wiedervereinigung, zugelassen, jedoch wurde die dauerhafte Fortgel­ tung dieser Regelung durch den Einigungsvertrag ausgeschlossen. Bejaht wurde die Zulässigkeit durch eine Entscheidung des Anwaltssenats vom 29.10.1990.4 Die Aufhe­ bung des Zweigstellenverbots und der örtlich gebundenen Postulationsbeschränkung hat die wesentlichen Gegengründe, die ohnehin zweifelhaft waren, entfallen lassen, so dass die überörtliche Sozietät anerkannt ist.

344

Wenn der eigentliche Sachbearbeiter der Mandate häufiger in der auswärtigen Kanz­ lei sitzt, hat die Mandatsannahme durch die ortsfremde Kanzlei den Charakter einer organisierten Mandatssammlung. Es handelt sich aber nicht um eine Mandatsver­ mittlung, wenn das Mandat der überörtlichen Sozietät insgesamt erteilt wird.

345

Zur einkommensteuerrechtlichen Behandlung der Kanzleistandorte als betriebliche Einheit § 22, Rn. 374.

II. Anwendungsprobleme 346

Mit einer Zustimmung zur überörtlichen Sozietät sind die daraus resultierenden Pro­ bleme nicht bewältigt, wie die Streitigkeiten um Firmierung und öffentliches Auftre­ 1 Odersky Festschrift Merz (1992), S. 439, 441. 2 Pro Zulassung u. a.: Schumann NJW 1990, 2089, 2094 f.; Prütting JZ 1989, 705 ff. m. w. N.; Heintzen DB 1989, 2419 ff; contra u. a.: Feuerich AnwBl. 1989, 360 ff.; gegen falsche europa­ rechtliche Schlussfolgerungen Hauschka AnwBl.  1989, 551  ff.; vorwiegend be­rufspolitisch argumentierend Harte-Bavendamm AnwBl. 1989, 546 ff.; Teichmann Anw­Bl. 1989, 368 ff. 3 BGHZ 108, 290 ff. = NJW 1989, 2890, 2891. 4 BGH NJW 1991, 49 f.

106

Die überörtliche Sozietät  ­|  § 20

ten echter und scheinbarer Sozietäten sowie anderer Formen der Anwaltskooperation zeigen.5 Eine überörtliche Sozietät erweckt wie jede Großkanzlei durch die Ankündigung auf 347 Briefbögen und Praxisschildern den werbewirksamen Eindruck gesteigerter Speziali­ sierung, die dem Mandanten die Chance einer Teamleistung mit gegenseitiger inter­ ner Unterstützung (Vertretung im Verhinderungsfall, interne wechselseitige Bera­ tung) bietet. Deshalb muss zur Vermeidung einer Irreführung tatsächlich überörtlich eine Sozietät bestehen.6 Das Auftreten als Sozietät setzt grundsätzlich eine gemeinsame Mandatsübernahme 348 mit daraus folgender gesamtschuldnerischer Haftung voraus.7 Diesen von der Rechtsprechung entwickelten Grundsatz hat § 52 Abs. 2 S. 1 BRAO 1994 übernom­ men, auch wenn § 52 Abs. 2 S. 2 die begrenzte Einschränkung erlaubt, dass die per­ sönliche Haftung auf Schadensersatz auf einzelne sachbearbeitende Sozietätsmitglie­ der beschränkt werden darf. Der Anwaltsvertrag muss daher mit der gesamten überörtlichen Sozietät geschlossen werden. Ob sich unter den „Sozien“ auch ange­ stellte Rechtsanwälte oder freie Mitarbeiter befinden, ist für den Mandanten und da­ mit für die Korrektheit der Sozietätsankündigung belanglos (zur Scheinsozietät § 24, Rn. 434).8 Wegen der früheren Beschränkung des Anwalts auf eine Kanzlei durften Briefkopf 349 und Stempel nicht den Eindruck erwecken, dass pro Anwalt mehrere Kanzleiorte be­ stünden. Seit der BRAO-Novelle von 2017 erlaubt § 27 Abs. 2 S. 1 BRAO die Errich­ tung einer weiteren Kanzlei. Die örtliche Zuordnung muss aber erkennbar sein,9 weil gerade darin der Normzweck der Kanzleipflicht des § 27 Abs. 1 BRAO besteht. Zur Zustellung nach § 172 ZPO s. § 33, Rn. 831 und 838. Eigenständige Probleme wirft die Bildung multinationaler Sozietäten auf.10

350

Kasuistik: (a) BGH GRUR 1993, 399 ff. (Vorinstanz: OLG München NJW 1990, 2134): Die beklagte Rechts­ anwältin war in München zugelassen und unterhielt dort allein eine Kanzlei. Sie hatte sich mit Nürnberger Rechtsanwälten zu einer überörtlichen Sozietät zusammengeschlossen und führ­ te auf ihren Briefbögen und ihrem Praxisschild auch die Namen der Nürnberger Anwälte. Die klagende Rechtsanwaltskammer hielt die Betätigung in einer überörtlichen Sozietät wegen Verstoßes gegen das Lokalisierungs- und Residenzgebot sowie das Zweigstellenverbot für un­ zulässig und sah die verwendeten Briefbögen und das Kanzleischild als irreführend an. 5 BGH, NJW 1991, 49 f. (Warnung vor konturenloser Agglomeration beliebig vieler Anwalts­ praxen); OLG Düsseldorf, NJW 1991, 46 ff:, OLG Karlsruhe, NJW 1990, 3093; OLG Olden­ burg, NJW 1991, 48. 6 BGH ZIP 1996, 1314, 1315 – Internationale Sozietät m. zust. Anm. Taupitz EWiR § 43b BRAO 2/96, 703 f. (dort: irreführende Briefkopfgestaltung). 7 BGH NJW 1991, 49 f.; Odersky Festschrift Merz (1992), S. 449 f. 8 Odersky Festschrift Merz, S. 451 f. 9 Odersky Festschrift Merz, S. 453. 10 Eingehend dazu Nerlich Mitt. dt. Patentanwälte 1995, 92 ff.

107

351

Teil 3 ­| Gemeinschaftliche Berufsausübung Der Wettbewerbssenat des BGH übernahm den Standpunkt des Anwaltssenats, dass der Bil­ dung überörtlicher Sozietäten weder § 28 der Standesrichtlinien noch Vorschriften der BRAO oder vorkonstitutionelles Gewohnheitsrecht entgegen stehen. Es liege darin auch nicht die Vereinbarung eines Rationalisierungskartells. Allerdings müsse die Sozietätsvereinbarung den berechtigten Erwartungen des rechtsuchenden Publikums hinsichtlich Mandatsbearbeitung und Haftung entsprechen, während die Vermögensstruktur der Sozietät unerheblich sei. Zu­ lässig sei auch, dass an einem Standort nur ein Anwalt eine Kanzlei unterhalte. Aus den Anga­ ben auf dem Briefkopf oder an anderer Stelle müsse sich aber zur Vermeidung einer Irrefüh­ rung unübersehbar ergeben, wer der Sozietät angehört und an welchem Ort das jeweilige Sozietätsmitglied seine Kanzlei unterhält.

352

(b) OLG Hamm NJW 1991, 2650: Die beklagten Rechtsanwälte hatten sich mit einer angestellten Anwältin nach außen hin zu einer überörtlichen Sozietät zusammengeschlossen. Das Ge­ richt sah darin einen Verstoß gegen §  5 UWG (ex §  3), weil die berechtigte Erwartung des Publikums enttäuscht werde, mit einem selbständig arbeitenden und entscheidenden Anwalt zu tun zu haben, der – sei es auch nur im Innenverhältnis – nicht den Weisungen auswärtiger Anwälte unterworfen sei. Außerdem werde gegen das Zweigstellenverbot verstoßen, da die Kanzlei des angestellten Anwalts die Gefahr der ambulanten Rechtsbesorgung begründe.

353

(c) BGH NJW 1994, 2288 f. – Intraurbane Sozietät: Die in einer überörtlichen Sozietät zusam­ mengeschlossenen Anwälte unterhielten Kanzleien in vier Landgerichtsbezirken; ihnen waren außerdem Wirtschaftsprüfer und Steuerberater assoziiert, von denen zwei als Rechtsbeistände der Anwaltskammer angehörten. In Heidelberg bestanden nach dem Zusammenschluss zwei Kanzleien. Darin sah das Gericht keinen Verstoß gegen das Zweigstellenverbot.

354

(d) BGH NJW 1994, 1878 f.: Das Urteil des LG Berlin war dem dort und beim KG zugelassenen Prozessbevollmächtigten am 30.9. zugestellt worden. Dieser leitete das Urteil, ohne in seiner Berliner Kanzlei eine Rechtsmittelfrist notiert oder in anderer Weise zur Kontrolle festgehal­ ten zu haben, an einen Rechtsanwalt in Düsseldorf weiter, mit dem er in einer überörtlichen Sozietät verbunden war; dieser Anwalt war innerhalb der Sozietät der mit der Partei in unmit­ telbarer Verbindung stehende Bearbeiter des Streitverfahrens. Im Büro des Düsseldorfer Rechtsanwalts notierte die mit der Berechnung von Rechtsmittelfristen betraute Angestellte als letzten Tag für die Berufungseinlegung den 2.11.; der 1.11. war zwar in Nordrhein-Westfalen, nicht aber in Berlin gesetzlicher Feiertag. Wiedereinsetzung gegen die versäumte Berufungsfrist wurde mit Billigung des BGH verwei­ gert. In einer überörtlichen Sozietät könne es nicht der freien Entscheidung der beauftragten Rechtsanwälte überlassen bleiben, an welchem ihrer Standorte sie die Fristenkontrolle durch­ führen. Aus dem Erfordernis der Postulationsfähigkeit (§§ 78 ZPO, 18 BRAO a. F.) folge zwin­ gend, dass die unmittelbare und volle Verantwortung für alle mit der Prozessführung verbun­ denen Handlungen und für die Erfüllung der mit ihr verbundenen Pflichten den Rechtsanwalt treffe, der die Partei vor dem Gericht selbst vertritt.

355

(e) OLG München NJW-RR 1996, 51 f.: Die in Hamburg ansässige Mandantin war von einer überörtlichen Sozietät mit Kanzleiorten u. a. in München und Hamburg vertreten worden. Ein in Hamburg tätiges Sozietätsmitglied nahm für den in München zu führenden Prozess die Infor­ mationen entgegen, beriet die Mandantin und sammelte den Prozessstoff. Im Münchener Kos­ tenerstattungsverfahren wurde die Berücksichtigung einer Verkehrsanwaltsgebühr nach § 52 BRAGO verweigert, weil die Hamburger Anwaltstätigkeit durch die Prozessgebühr des § 31 I Nr. 1 BRAGO abgegolten sei. Das Prozessmandat sei der überörtlichen Sozietät insgesamt erteilt worden; die auswärtigen Sozietätsmitglieder seien schon begrifflich keine Verkehrsanwälte. Ebenso KG Rpfleger 1995, 433; a. A. OLG Frankfurt/M. WRP 1994, 41.

108

§ 21 Gesellschaftsrechtliche Rechtsformen

I. Wahlmöglichkeiten . . . . . . . . . . . 356

II. Haftungsbeschränkung als rechtspolitisches Agens . . . . . . . . 361

III. Vertraglich regelungsbedürftige Gegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . 362

Literatur: Hartung/Scharmer Die Bürogemeinschaft, 2010; Henssler Partnerschaftsgesell­ schaftsgesetz, 2. Aufl. 2008; Henssler/Streck, Handbuch des Sozietätsrechts, 2. Aufl. 2011; Lentner Das Gesellschaftsrecht der EWIV, 1994; Meilicke/Graf v. Westphalen/Hoffmann/Lenz/Wolff Partnerschaftsgesellschaftsgesetz, 3. Aufl. 2015; Müller-Gugenberger/Schotthöfer (Hrsg.) Die EWIV in  Europa, Texte und Erläuterungen aus rechtsvergleichender Sicht, 1995; Offermann-Burckart, Übersichtsaufsätze als Serie zu allen Gesellschaftsformen: Teile 1–4: GbR, ­AnwBl 2013, 558  ff., 697  ff., 715  ff., 788  ff.; Teil  5: Bürogemeinschaft, Kooperation, EWIV, ­AnwBl 2013, 858 ff.; Teil 6: Scheinsozietät, AnwBl 2014, 13 ff.; Teile 7 und 8: Partnerschaftsge­ sellschaft, AnwBl 2014, 194 ff. und 366 ff.; Teile 9 und 10: PartGmbB, AnwBl. 2014, 474 ff. und 488 ff.; Teile 11 und 12: GmbH, AnwBl 2015, 18 ff. und 122 ff.; Römermann PartGG, 5. Aufl. 2017; Schäfer in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2017, PartGG.

I. Wahlmöglichkeiten Traditionell kannte das deutsche Recht bis zum Beginn der 90-er Jahre als gesell­ 356 schaftsrechtliche Verbindung zur gemeinsamen anwaltlichen Berufsausübung nur die Personengesellschaft der BGB-Gesellschaft (GbR). Da Rechtsanwälte kein Gewerbe ausüben (§ 2 Abs. 2 BRAO), kann deren Personengesellschaft keine Handelsgesell­ schaft, also OHG oder KG sein. Der Begriff „Sozietät“ wurde wegen der Singularität der allein zulässigen GbR als deckungsgleich mit dieser Gesellschaftsform benutzt und angesehen. Der Sprachgebrauch hat sich mit dem Aufkommen weiterer Formen von Berufsausübungsgesellschaften gewandelt und ausgeweitet,1 ohne dass sich eine feste Praxis herausgebildet hat. Anfang der 90er Jahre wurde die Gesamthandsgemeinschaft der GbR noch nicht von 357 ihren Trägern als Rechtssubjekt unterschieden, anders als die OHG. Der rechtspoliti­ sche Wunsch war deshalb darauf gerichtet, eine Personengesellschaft nach dem Vor­ bild der OHG bilden zu dürfen. Dem kam der Gesetzgeber nach, indem er die Part­ nerschaftsgesellschaft schuf, die wesentlich durch Verweisung auf Rechtsnormen geregelt wurde, die für die OHG gelten. 2013 folgte eine Erweiterung hin zur Partner­ schaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung (PartGbB). Weiterer rechtspolitischer Druck richtete sich auf die Zulassung von Rechtsan­ 358 walts-Kapitalgesellschaften. Die Rechtsanwalts-GmbH wurde unter eklatanter Miss­ achtung des Gesetzgebers zunächst richterrechtlich mit fragwürdiger Berufung auf 1 Vgl. dazu Offermann-Burckart AnwBl 2013, 558, 559; Hirtz AnwBl 2013, 693, 694.

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Teil 3 ­| Gemeinschaftliche Berufsausübung

das Verfassungsrecht akzeptiert. Der Gesetzgeber folgte dem mit den Regelungen der §§ 59c ff. BRAO. In einem nächsten Schritt folgte die richterrechtliche Anerkennung der Rechtsanwalts-AG durch die Rechtsprechung, auf die der Gesetzgeber nicht re­ agiert hat.2 359

Konkurrenz hat die Partnerschaftsgesellschaft durch Gesellschaftsrechtsformen er­ halten, die aus unionsrechtlichen Gründen der Niederlassungsfreiheit in Deutschland akzeptiert werden mussten. Im Vordergrund steht dabei die englische LLP.

360

Kennzeichnend für gesetzgeberische Reformen zum Recht der Berufsausübungsge­ sellschaften ist das Fehlen einer Gesamtkonzeption.3 Darin spiegelt sich wider, wie rechtspolitisch zerrissen die Vorstellungen der Anwaltschaft zur Bedeutung von Ge­ meinwohlbelangen sind. Die Berufung auf Allgemeininteressen der Rechtspflege steht im – im Einzelfall nicht unbegründeten – Verdacht, Strukturreformen ungeach­ tet einer etwaigen Verfehlung zielgenauer Zwecksetzungen der lex lata vereiteln zu wollen. Demgegenüber fördern Liberalisierungsforderungen den Weg in eine rein marktwirtschaftliche Betrachtung anwaltlicher Dienstleistungen (dazu oben §  1, Rn. 6 und § 3, Rn. 48 ff.). Eine unglückliche Rolle spielt das BVerfG, indem es einer­ seits – zu Recht – Unstimmigkeiten der lex lata aufzeigt, daraus dann aber mit eige­ nem rechtspolitischen Ehrgeiz einzelne Steinchen herausbricht und die fehlende Schlüssigkeit der Gesamtregelung vergrößert (s. auch § 3, Rn. 63).

II. Haftungsbeschränkung als rechtspolitisches Agens 361

Der Druck auf die Zulassung weiterer Gesellschaftsrechtsformen neben der BGB-Ge­ sellschaft rührte wesentlich aus dem Bedürfnis nach Begrenzung der Haftung mit Mitteln des Gesellschaftsrechts. Anwälte haben bei Mandaten mit sehr hohen Ge­ schäftswerten und enormen Versicherungsprämien für Einzelobjektversicherungen Interesse an einer Haftungsbeschränkung. Deren Berechtigung ist nicht von der Hand zu weisen. Eine individualvertragliche Haftungsbeschränkung zu vereinbaren, ist misslich, weil sie das Vertrauensverhältnis von Beginn an belastet.

III. Vertraglich regelungsbedürftige Gegenstände 362

Das Innenrecht einer Berufsausübungsgesellschaft, gleich welcher Rechtsform, be­ trifft zunächst einmal regelungsbedürftige Grundfragen der Mitgliedschaft wie die Berechtigung zur Geschäftsführung mit Verteilung von Organisationsaufgaben und zur Vertretung nach außen, die Aufnahme von Sozietätsmitgliedern und deren Aus­ scheiden, die Gewinnbeteiligung, die Festlegung von Stimmrechten und die Behand­ lung der Mitgliedschaft im Todesfall. 2 BGHZ 161, 376, 381 ff. = NJW 2005, 1568, 1569 ff. 3 Kritisch dazu Henssler AnwBl 2014, 762  ff. Für eine umfassende Reform Henssler AnwBl 2017, 378, 380 ff.

110

Gesellschaftsrechtliche Rechtsformen  ­|  § 21

Das freiwillige oder erzwungene Ausscheiden erfordert eine Regelung über die Er­ 363 mittlung eines Abfindungsanspruchs oder die Realteilung von Mandaten, die Einräu­ mung von Mandantenschutz durch nachvertragliche Wettbewerbsverbote4 u. a. mit­ tels räumlicher Begrenzung der Wahl eines neuen Kanzleistandortes oder durch Abführung von Honoraren aus mitgenommenen Mandaten5, die Vereinbarung über die Abrechnung und Zuweisung ausstehender Honorare sowie die Regelung techni­ scher Fragen zu Kommunikationsverbindungen, Bankverbindungen oder Kanzleiver­ legungshinweisen. Dazu und zur Mandatsfortführung ist auch § 32 BORA zu beach­ ten. Typischerweise zu regeln sind ferner Themen wie Arbeits- und Urlaubszeiten, die 364 Vertretung bei Urlaub und sonstiger Abwesenheit, Mutterschutz und Elternzeit oder die Bewältigung langfristiger Krankheitsfälle. Dies gilt selbst dann, wenn darüber – unzweckmäßig – keine schriftliche Vereinbarung getroffen wird; von der Leistungs­ bereitschaft und Leistungsfähigkeit wird indirekt die Gewinnbeteiligungsvereinba­ rung beeinflusst. Der Auftritt nach außen durch Festlegung eines Namens ist schon wegen des Briefpa­ 365 piers zu klären. Kritisch wird dieser Punkt beim Ausscheiden eines Namensgebers wegen des eventuellen Rechts zur Fortführung der Bezeichnung durch die verblei­ benden Gesellschafter. Schon wegen der Komplexität der regelungsbedürftigen Fragen empfiehlt sich eine 366 schriftliche Fixierung des Vertrages. Sie ist für die GbR nicht vorgeschrieben. Ihr Un­ terbleiben ist jedoch Ausdruck anwaltlichen Dilettantismus.

4 Dazu Henssler Festschrift Geiß (2000), S. 271 ff. 5 Henssler Festschrift Geiß (2000), S. 271, 282 ff.

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§ 22 Personengesellschaften

I. BGB-Gesellschaft 1. Gesellschaft als Vertragspartner 367 2. Versorgungsansprüche . . . . . . . . 375 3. Folgen des Ausscheidens oder der Auflösung a) Abfindung, Realteilung . . . . . 377 b) Nachvertragliches Wettbewerbsverbot . . . . . . . . . 381 c) Behandlung von Kommunikationsverbindungen . . . . . . . 382

II. Partnerschaftsgesellschaft



1. Gesellschaftsform . . . . . . . . . . . . . 383 2. Registereintragung . . . . . . . . . . . . 384 3. Rechtsverhältnisse der Gesellschafter untereinander und zu Dritten . . . . . . . . . . . . . . . 387 4. Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 5. Anwaltliches Handeln der PartG 398 6. Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung . . . . 399 7. LLP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406

III. GmbH & Co. KG . . . . . . . . . . . . 410

I. BGB-Gesellschaft 1. Gesellschaft als Vertragspartner 367

Die BGB-Gesellschaft ist eine nach wie vor beliebte Form der Berufsausübungsgesell­ schaft.1 Durch den Abschluss eines Mandatsvertrages wird die Gesellschaft als sol­ che Vertragspartner,2 seit die BGB-Gesellschaft infolge ihres gewandelten Verständ­ nisses gegenüber ihren Gesellschaftern verselbständigt worden ist.3 Das wirft – nicht nur bei der GbR – Probleme auf, wenn ein Partner der Sozietät für einen Mandanten eine einseitige Willenserklärung abgibt, für die zur Vermeidung einer Zurückweisung durch den Erklärungsempfänger gem. § 174 BGB eine Vollmacht nachzuweisen ist. Sie muss die organschaftliche Einzelvertretungsmacht umfassen, soweit nicht der Empfänger davon Kenntnis hat.4

368

Die GbR kann beigeordnet werden (s. auch § 33, Rn. 840),5 und zwar auch, wenn es sich um eine interprofessionelle Sozietät handelt.6 Eine Erstreckung des tragenden Rechtsgedankens auf die Postulationsfähigkeit der GbR steht noch aus.7

369

Die Gesellschaft haftet vertraglich für Berufsfehler und deliktisch analog § 31 BGB.8 Jeder Sozius ist wegen seiner selbständigen und eigenverantwortlichen Mandatsbe­ 1 Kilian AnwBl 2015, 45. 2 BGHZ 193, 193 Tz. 14 f. = NJW 2012, 2435 (auch für die interprofessionelle Sozietät); BGH NJW-RR 2017, 374 Tz. 13. 3 Wandel begründet durch BGHZ 146, 341 = NJW 2001, 1056. 4 Dazu und zur Anwendung des § 242 BGB bei im Briefkopf ausgewiesenen Anwälten näher Henssler/Michel NJW 2015, 11, 14 f. 5 BGH NJW 2009, 440 Tz. 1 ff. 6 OLG Nürnberg NJW 2013, 948. 7 Sich dafür aussprechend Deckenbrock AnwBl 2014, 118, 123. 8 BGH NJW 2007, 2490 Tz. 18.

112

Personengesellschaften  ­|  § 22

arbeitung verfassungsmäßig berufener Vertreter.9 Die Anwaltsgesellschafter selbst haften analog § 128 HGB akzessorisch zur Haftung der Gesellschaft, und zwar auch für Deliktsverbindlichkeiten.10 Dies gilt auch für solche Anwälte, die durch Erwäh­ nung auf dem Briefkopf den Anschein einer Gesellschafterstellung erwecken, obwohl sie tatsächlich nur Angestellte oder freie Mitarbeiter sind (dazu § 24, Rn. 434). Eine gesetzliche Haftungserleichterung für Ansprüche aus Berufshaftung durch Beschrän­ kung auf den Bearbeiter des Mandats persönlich analog § 8 Abs. 2 PartGG ist nicht zu begründen.11 Persönliche Beschränkungen können aber vertraglich vereinbart wer­ den, gem. § 52 Abs. 2 S. 2 BRAO auch mittels AGB, dann aber auf gesondertem Blatt. Das der Anwaltssozietät erteilte Mandat erstreckt sich im Zweifel auch auf später ein­ 370 tretende Sozietätsmitglieder.12 Neu eintretende Sozien haften analog § 130 HGB per­ sönlich für Berufshaftungsschulden, die vor ihrem Eintritt begründet worden sind.13 Wird eine Kanzlei in eine neu entstehende Sozietät eingebracht, haftet die Sozietät für Altschulden eines Einzelgesellschafters nicht analog § 28 HGB.14 Begründet hat der BGH dies mit der Sonderstellung des Anwalts aufgrund der Höchstpersönlichkeit des Anwaltsvertrages und fehlender Möglichkeit der Eintragung einer Haftungsbeschrän­ kung in das Handelsregister. Versicherungsschutz wird den akzessorisch mithaftenden Gesellschaftern von den 371 Versicherern als Option angeboten; dafür ist eine Vereinbarung individuell abzu­ schließen.15 Als rechtsfähige Vereinigung kann eine GbR gem. § 116 S. 1 Nr. 2 ZPO keine Prozess­ 372 kostenhilfe erhalten, um Honorarforderungen durchzusetzen.16 Kasuistik: BAG NJW 1993, 2458 ff.: Der Kläger, der als zugelassener Rechtsanwalt gleichzeitig angestellter Leiter der Rechts- und Personalabteilung eines Unternehmens war, sollte in die beklagte über­ örtliche Sozietät als „Juniorpartner“ eintreten. Sein Name sollte auf dem Briefkopf zusammen mit drei weiteren Anwälten als Partner des Frankfurter Büros erscheinen. Die Zusammenarbeit wurde für fünf Jahre fest vereinbart mit Inaussichtstellung der Aufnahme als Vollpartner. In den fünf Jahren der vereinbarten Partnerschaft sollte der Kläger einen zu entnehmenden ga­ rantierten Gewinn von monatlich 12500.– DM erhalten. Einen zwischen den Gesellschaftern seines Arbeitgebers zu führenden Rechtsstreit diente er der künftigen Anwaltssozietät an. Im Hinblick auf den Sozietätseintritt kündigte er das Arbeitsverhältnis fristgerecht, was zwei Wo­ chen später mit einer fristlosen Kündigung durch den Arbeitgeber beantwortet wurde. Unmit­ 9 BGH NJW 2007, 2490 Tz. 17. 10 BGH NJW 2007, 2490 Tz. 25. 11 BGH NJW 2012, 2435 Tz. 74; K. Schmidt NJW 2005, 2801, 2805. 12 BGHZ 124, 47, 49 = NJW 1994, 257 f.; BGH NJW 1995, 1841. 13 BGHZ 154, 370, 372 = NJW 2003, 1803, 1804. 14 BGHZ 157, 361, 364 = NJW 2004, 836, 837; BGH NJW 2010, 3720 Tz. 5 ff.; BGH NJW-RR 2012, 241 Tz. 20; a. A. K. Schmidt NJW 2005, 2801, 2807; kritisch auch Thiessen in Münch­ KommHGB4 § 28 Rdn. 14. 15 Heyers MDR 2013, 1322, 1326. 16 BGH NJW 2011, 1595 Tz. 14.

113

373

Teil 3 ­| Gemeinschaftliche Berufsausübung telbar anschließend kündigte die Sozietät den mit dem Kläger abgeschlossenen, noch nicht vollzogenen Vertrag und erklärte hilfsweise dessen Anfechtung. Gegen die Kündigung durch die Sozietät wandte sich der Kläger mit seiner Klage vor dem Arbeitsgericht mit der Behaup­ tung, es sei ein Arbeitsverhältnis oder zumindest ein arbeitnehmerähnliches Verhältnis be­ gründet worden. Das BAG hielt den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für gegeben. Der Kläger sei nicht als Arbeitnehmer der Sozietät anzusehen, da keine Anhaltspunkte für ein Weisungsrecht der Beklagten hinsichtlich der auszuübenden anwaltlichen Tätigkeit nach Zeit, Umfang und Ort zu erkennen seien. Der Kläger habe auch nicht die Stellung einer arbeitnehmerähnlichen Per­ son i. S. d. § 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG erlangen sollen, bei denen an die Stelle der persönlichen Ab­ hängigkeit und Weisungsgebundenheit das Merkmal der wirtschaftlichen Unselbständigkeit trete und eine einem Arbeitnehmer vergleichbare soziale Schutzbedürftigkeit erforderlich sei. Vielmehr habe er nach dem Inhalt des abgeschlossenen Vertrages mit der dort vereinbarten Gleichrangigkeit und gegenseitigen Unterstützung sowie Zusammenarbeit bei der anwaltli­ chen Tätigkeit und unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung die Stellung eines BGB-Gesellschafters erlangen sollen, auch wenn keine vertragliche Verpflichtung existierte, den Kläger als Vollpartner aufzunehmen, die Gewinngarantie sich nicht von einem Gehalt unterschied, und der Kläger kein Unternehmerrisiko trug.

374

Sorgsam zu beachten sind Steuerrechtsfragen einer Gesellschaft. Personengesellschaf­ ten von Freiberuflern können wie gewerbliche Personengesellschaften nur einen ein­ zigen Betrieb unterhalten (§  15 Abs.  3 Nr.  1 EStG).17 Mehrere Kanzleistandorte in verschiedenen Städten sind dementsprechend zu einer Einheit zusammenzufassen. Wird eine Rechtsanwalts-GbR durch Übertragung eigenverantwortlicher Durchfüh­ rung von Insolvenzverfahren auf einen angestellten Anwalt auch gewerblich tätig, er­ zielt sie nach der Fiktion in § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG insgesamt Einkünfte aus gewerbli­ cher Tätigkeit, sofern eine Trennung von der freiberuflichen Tätigkeit nicht möglich ist.18 2. Versorgungsansprüche

375

Früher übliche Versorgungsverpflichtungen für ausscheidende Altsozien, oft in An­ lehnung an eine Richterpension bemessen, sind ein Auslaufmodell, weil für Mit­ glieder von Versorgungswerken wegen der Rentenberechtigung (dazu oben §  11, Rn. 216 ff.) der Bedarf nach gesellschaftsrechtlicher Versorgung gesunken ist und die Eingehung einer derartigen Bindung von jüngeren Anwälten aus Furcht vor Immobi­ lität gescheut wird.19

376

Die begleitende Sicherung eines Altsozius durch Ausschluss des Rechts zur ordentli­ chen Kündigung für einen langen Zeitraum enthält  – gemessen an Art.  12 Abs.  1 GG – eine unzulässige Kündigungsbeschränkung i. S. d. § 723 Abs. 3 BGB.20 Unwirk­

17 BFH ZIP 2016, 2116 Tz. 22 f. (für PartG). 18 BFH NJW 2015, 1133 Tz. 43 ff. 19 Kritisch beleuchtet von Offermann-Burckart NJW 2014, 434 ff. 20 BGH VersR 2007, 421 Tz. 9 ff. (dort: 30 Jahre; vom Berufungsgericht unbeanstandet be­ schränkt auf 14 Jahre).

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Personengesellschaften  ­|  § 22

sam ist auch eine Klausel, die neu eintretende Jungsozien nach ihrem Ausscheiden weiterhin persönlich haften lässt.21 3. Folgen des Ausscheidens oder der Auflösung a) Abfindung, Realteilung Probleme wirft das Ausscheiden eines Gesellschafters auf.22 Es ist dann eine Bewer­ 377 tung des Abfindungsanspruchs (§  738 Abs.  1 BGB) erforderlich.23 Zulässig ist die Beschränkung auf die Teilung der Sachwerte und die rechtlich nicht beschränkte Mit­ nahme von Mandanten.24 Das ist eine sachlich naheliegende und angemessene Art der Auseinandersetzung, was auch für die Auflösung der Sozietät gilt.25 Kommt es bei der Auflösung der Sozietät nicht zu einer Einigung über die Verteilung der Man­ date, treten die Mitgesellschafter in einen rechtlich unbeschränkten Wettbewerb um die Mandanten.26 Geht die Auseinandersetzungsregelung über eine Mandatsteilung hinaus, ist also 378 auch ein Wertausgleich vorzunehmen, so ist der Wert der mitgenommenen Mandate anzurechnen.27 Zwischen Realteilung durch Mandatsübernahme und Abfindung be­ steht eine Wechselwirkung.28 Abfindungen müssen berücksichtigen, dass der Subs­ tanzwert einer Anwaltskanzlei in der Regel gering ist und der Ertragswert von der individuellen Aktivität der Sozien und ihrem Ansehen abhängt und sich schnell ver­ flüchtigen kann.29 Die Realteilung durch Übernahme des jeweils betreuten Mandantenstamms stellt kei­ 379 nen Betriebsübergang gem. § 613a BGB dar.30 Die vollständige Auflösung einer Sozietät als Mitunternehmerschaft oder das Aus­ 380 scheiden eines Gesellschafters als Mitunternehmer können ertragssteuerrechtliche Folgen haben. Wird allerdings eine Realteilung i. S. d. § 16 Abs. 3 S. 2 EStG durchge­ führt – ein vom Zivilrecht abgelöster eigenständiger Steuerrechtsbegriff31 – fällt ein

21 BGH ZIP 2009, 967. 22 Überblick dazu bei Wolff NJW 2009, 1302 ff. 23 Zur Bewertung für den Zugewinnausgleich BGH NJW 2011, 2572 Tz. 24 ff. Zur Bilanz­ aufstellung wegen Ausgleichung streitiger Gesellschafterkonten BGH AnwBl 2016, 848. 24 BGH NJW 1994, 796, 797; BGH NJW 1995, 1551. Zu Folgestreitigkeiten um die Zuord­ nung neu eingehender Mandate und das wettbewerbswidrige Ausspannen von Mandanten vgl. OLG München NJW-RR 1994, 824 f. 25 BGH NJW 2010, 2660 Tz. 2 f. 26 BGH NJW 2010, 2660 Tz. 6. 27 BGH NJW 1995, 1551. Zur Realteilung Ahrens Festschrift Geiß (2000), S. 219 ff. 28 BGH NJW 2000, 2584; Henssler Festschrift Geiß (2000), S. 271, 280 ff.; K. Schmidt NJW 2005, 2801, 2804. 29 Vgl. K. Schmidt NJW 2005, 2801, 2804. 30 BAG ZIP 2009, 1128 Tz. 37. 31 BFH NJW 2016, 1611 Tz. 36.

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Veräußerungsgewinn nicht an, wenn Wirtschaftsgüter Betriebsvermögen bleiben.32 Dies gilt auch beim Ausscheiden eines Gesellschafters unter Mitnahme eines Teilbe­ triebs.33 b) Nachvertragliches Wettbewerbsverbot 381

Nachvertragliche Wettbewerbsverbote dürfen nur gegen illoyale Verwertung gemein­ samer Arbeitserfolge vereinbart werden. Gehen sie über diesen Zweck und Bedarf hinaus, sind sie gem. § 138 Abs. 1 BGB unwirksam.34 Sie dürfen räumlich, zeitlich und gegenständlich nicht das erforderliche Maß überschreiten, was in zeitlicher Hin­ sicht typischerweise eine Begrenzung auf zwei Jahre bedeutet.35 Mandantenschutz­ klauseln stellen ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot dar, dessen Geltung eben­ falls auf maximal zwei Jahre zu befristen ist.36 c) Behandlung von Kommunikationsverbindungen

382

Der Kontakt zu bisherigen Mandanten wird auch durch die Kommunikationsverbin­ dungen gefestigt. Ein Anspruch auf Übernahme von Telefon- oder Faxanschlüssen besteht bei Beendigung einer Sozietät nicht, sofern darüber keine Vereinbarung ge­ troffen war. Das Vertragsverhältnis mit einem Diensteanbieter ist vielmehr zu kündi­ gen.37 Dasselbe hat für eine Internet-Domain zu gelten.

II. Partnerschaftsgesellschaft 1. Gesellschaftsform 383

Auf der Grundlage des PartGG38 können sich die Angehörigen näher bezeichneter – nicht nur verkammerter  – freier Berufe39 vorbehaltlich spezieller berufsrechtlicher Regelungen in einer neuen Gesellschaftsform zur gemeinsamen, auch interprofessio­ nellen Berufsausübung zusammenschließen (§ 1 PartGG). Es handelt sich um eine Personengesellschaft für natürliche Personen, die kein Handelsgewerbe ausüben (vgl. § 1 Abs. 1 S. 2 und 3 PartGG). Sie ist unternehmenstragende rechtsfähige Gesamt­ handsgemeinschaft (§ 7 Abs. 2 PartGG, § 124 HGB) und ist als Parallelfigur zur OHG

32 Zum Spitzenausgleich s. jedoch BFH NJW 2013, 2988; BFH NJW 2016, 1611 Tz. 65. Zur Bildung eines Teilbetriebs Winkemann NJW 2009, 1308, 1310 ff. 33 BFH NJW 2016, 1611 Tz. 34. 34 KG ZIP 2015, 649, 650. 35 BGH ZIP 2003, 2251, 2252; BGH NJW 2005, 3061, 3062. 36 BGH NJW 2000, 2584, 2585. 37 OLG Hamm NJW-RR 2006, 928, 929. 38 Gesetzes zur Schaffung von Partnerschaftsgesellschaften v. 25.7.1994, BGBl. I 1744; RegE BT-Drucks. 12/6152; Ausschussbericht BT-Drucks. 12/7642. 39 Kritisch dazu K. Schmidt NJW 1995, 1, 2.

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konzipiert,40 wie zahlreiche Verweisungen auf deren Regelung zeigen. Nach § 1 Abs. 4 PartGG finden ergänzend die §§ 705 ff. BGB Anwendung. 2. Registereintragung Zur Verlautbarung der Rechtsverhältnisse ist die konstitutiv wirkende Eintragung in 384 ein spezielles, beim Amtsgericht geführtes Partnerschaftsregister (vgl. §§ 4, 5 PartGG, § 160b FGG) erforderlich. Damit gelten auch die Verkehrsschutzvorschriften des § 15 HGB über die Registerpublizität. Geregelt ist das Register in der Partnerschaftsre­ gisterVO (PRV) vom 16.  6. 1995.41 Die Eintragungen sind der jeweils zuständigen Berufskammer mitzuteilen (§  6 PRV). Vorzugswürdig wäre die Eintragung in das Handelsregister gewesen, die für die EWIV ebenfalls vorgesehen ist.42 Die Handelsre­ gisterverfügung ist allerdings insofern maßgebend, als darauf eine dynamische Ver­ weisung ausgesprochen wird (§ 1 Abs. 1 PRV). Zweigniederlassungen ausländischer partnerschaftsähnlicher Zusammenschlüsse, 385 z. B. der „Société Civile Professionelle d‘Avocat“ (SCPA) in Frankreich,43 der Rechts­ anwalts-Partnerschaft in Österreich44 und insbesondere der englischen LLP (zu ihr unten Rn. 406 ff.) können aufgrund der Anwendbarkeit des § 13d HGB in das Han­ delsregister eingetragen werden.45 Allerdings ist die Eintragung in das Partnerschafts­ register vorzugswürdig. Für den Namen einer PartG gelten bei Veränderungen des Gesellschafterkreises die 386 handelsrechtlichen Grundsätze zur identitätswahrenden Firmenfortführung.46 3. Rechtsverhältnisse der Gesellschafter untereinander und zu Dritten Der Abschluss eines Partnerschaftsvertrages setzt (nur) Schriftform und einen Min­ 387 destinhalt voraus (§ 3 PartGG). Die Partnerschaft führt die Namen mindestens eines 40 K. Schmidt NJW 1995, 1, 2 f., 7; Seibert DB 1994, 2381, 2382. Weitere Überblicksdarstellun­ gen: Knoll/Schüppen DStR 1995, 608 ff.; Hornung Rpfleger 1995, 481 ff. 41 BGBl. 1995, I S. 808; RegE BT-Drucks. 213/95. Dazu Schaub NJW 1996, 625 ff.; Hornung Rpfleger 1995, 481, 486 ff. 42 K. Schmidt NJW 1995, 1, 3. 43 Eingeführt durch Gesetz Nr. 66–879 v. 29.11.1966 als SCP, nachfolgend Ausführungsdekre­ te für einzelne Berufe, für Avocats (= SCPA) zunächst Décr. no. 72–669 v. 13.7.1972, ersetzt durch Décr. no. 92–680 v. 20.7.1992; für Conseil juridiques zunächst Décr. no. 72–698 v. 26.7.1972, nach der Berufszusammenführung Décr. no. 92–680. Zu der SCPA vgl. Caron/ Diemunsch in Raymond Martin Déontologie de l’Avocat, 11. Aufl. 2013, Rdn. 128 ff. 44 Grundlage ist § 1a RAO (eingefügt durch Bundesgesetz, öBGBl. 1990, S. 474) i. V. m. dem Bundesgesetz v. 25.4.1990 über eingetragene Erwerbsgesellschaften (BGBl. S. 257). Dane­ ben gibt es seit 1990 die allgemeine Regelung der §§ 21c-21e RAO über die „Gesellschaften zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft“, der auch Ehegatten und Kinder bis zum 35. Lebens­ jahr angehören dürfen. Für alle gesellschaftsrechtlichen Zusammenschlüsse gelten ferner §§ 28 ff. der Richtlinien für die Berufsausübung (2015). 45 Hornung Rpfleger 1995, 481, 488. 46 OLG Hamm ZIP 2017, 330.

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Partners und den Zusatz „und Partner“ oder „Part­ner­schaft“ sowie die Berufsbe­ zeichnungen aller vertretenen Berufe (§ 2 PartGG).47 Aus § 11 Abs. 1 S. 1 PartGG ergibt sich, dass eine entsprechende Bezeichnung durch als GbR verfasste Sozietäten zur Vermeidung von Verwechslungen nicht geführt werden darf. Sie müssen bei be­ rechtigter Fortführung einer alten Bezeichnung auf die tatsächliche Gesellschaftsform hinweisen (§ 11 Abs. 1 S. 3 PartGG). Das Erfordernis der Berufsausübung schließt eine bloße Kapitalanlage oder die Zurverfügungstellung eines prominenten Namens ohne aktive Berufstätigkeit aus,48 zwingt aber nicht zum Ausscheiden des Fast-Ruhe­ ständlers. 388

Für Geschäftsführung und Vertretung sind in §§ 6 und 7 PartGG Verweisungen auf die OHG-Vorschriften ausgesprochen. Die Gestaltungsfreiheit findet durch § 6 Abs. 2 PartGG insoweit eine Grenze, als kein Partner von der Führung der beruflichen Ge­ schäfte ausgeschlossen werden kann.

389

Veränderungen des Ge­sellschafterbestandes behandelt § 9 PartGG. Austritt und Aus­ schluss sind möglich. Der unanfechtbare Verlust der berufsrechtlichen Zulassung führt automatisch zum Ausscheiden (§ 9 Abs. 3 PartGG).

390

Im Falle der Liquidation wird die PartG grundsätzlich durch alle Partner als Liquida­ toren gemeinsam vertreten (§ 10 PartGG mit Verweisung auf §§ 145 ff. HGB).49 Nach Beendigung einer Liquidation abweichend von §§ 145 ff. HGB durch Realteilung fin­ det ein interner Ausgleich der Partner durch einfache Auseinandersetzungsrechnung statt.50

391

Unklar geblieben ist die Anteilsübertragung.51 Ebensowenig wird das Bedürfnis nach einer spezifischen Abfindungsregelung vom Gesetz erfüllt. Die Beteiligung ist un­ vererblich, doch kann vertraglich eine Übertragung auf solche Dritte vorgesehen ­werden, die die Voraussetzungen freiberuflicher Partnerschaft erfüllen (§  9 Abs.  4 PartGG).

392

Kein Zwang wird ausgeübt, bei Bildung einer Personengesellschaft die Gesellschafts­ form der PartG zu wählen. Die GbR bleibt alternativ wählbar. Eine identitätswahren­ de Umwandlung in beide Richtungen ist zulässig (vgl. § 2 Abs. 2 PartGG),52 wobei allerdings eine Verweisung des Gesetzes auf § 5 HGB vergessen wurde.53 Es fehlen Umwandlungsregelungen im UmwG, was sich bei Umwandlung in eine Anwalts-­ GmbH als nachteilig erweisen kann.54

47 Zur Namensbildung einer Steuerberatungsgesellschaft mit Rechtsanwalt anders § 53 S. 2 StBerG, OLG München ZIP 2016, 2418. 48 Lenz WiB 1995, 529. 49 Zur Verhinderung eines von zwei Liquidatoren OLG München NJW-RR 2015, 33, 35. 50 BGH NJW 2009, 2205 Tz. 3 f. 51 K. Schmidt NJW 1995, 1, 4. 52 Seibert DB 1994, 2381, 2382. 53 K. Schmidt NJW 1995, 1, 7. 54 Vgl. K. Schmidt NJW 1995, 1, 7; s. dazu auch Seibert DB 1994, 2381, 2382.

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4. Haftung Die Haftung der Partner entspricht § 128 HGB. Sie haften gem. § 8 Abs. 1 S. 1 PartGG 393 als Gesamtschuldner akzessorisch55 neben der Partnerschaft.56 Ein neu eintretender Anwalt haftet gem. § 8 Abs. 1 S. 2 PartGG, § 130 HGB auch für Altverbindlichkei­ ten.57 Für einen ausscheidenden Partner besteht die Haftung für Altverbindlichkei­ ten gem. § 10 Abs. 2 PartGG fort, wobei die Nachhaftungsbegrenzung der §§ 159, 160 HGB gilt. Diese Haftung bezieht sich nicht nur auf etwaige Berufsfehler, sondern auch auf anderweitige Ansprüche, etwa wegen Lohn, Miete oder Versorgungszusagen. Die Haftung nach § 8 PartGG besteht nicht nur gegenüber dem Mandanten, sondern auch gegenüber Dritten, die in den Schutz des Anwaltsvertrages einbezogen sind (dazu § 43, Rn. 1172 ff. und § 45, Rn. 1307 ff.).58 § 28 HGB (Haftung für Altverbindlichkeiten bei Einbringung einer Kanzlei) ist vom 394 Wortlaut der Verweisung des § 2 Abs. 2 PartGG nicht erfasst und auch nicht analog anwendbar.59 Vorsorglich sollte gleichwohl eine abweichende Vereinbarung i. S. d. § 28 Abs. 2 HGB getroffen werden. Dasselbe gilt für § 25 HGB (Erwerberhaftung). Ein Haftungsausschluss ist in das Register einzutragen.60 Zur Haftung von Scheinpart­ nern unten § 24, Rn. 434 ff. Beschränkbar ist die persönliche akzessorische Gesellschafterhaftung für berufliche 395 Fehlleistungen unter Verwendung vorformulierter Vertragsbedingungen auf den Partner, der die berufliche Leistung zu erbringen hatte (§ 8 Abs. 2 PartGG).61 Dafür kommt es jedoch nur auf die tatsächliche Bearbeitung oder deren Überwachung bei Überlassung an angestellte Anwälte an, nicht auf eine interne Zuständigkeitsvertei­ lung der Partner, von der abgewichen wurde.62 Anders verhält es sich nur, wenn überhaupt kein Partner mit der Sache befasst war; dann ist die Überwachungspflicht der internen Zuständigkeitsverteilung zu entnehmen.63 Für die praktische Umset­ zung der Haftungskanalisierung ist ein Dezernatsverteilungsplan zweckmäßig.64 Der BGH sieht in der Haftung nach § 8 Abs. 2 PartGG eine verschuldensunabhängige 396 „Handelndenhaftung“, für die es auf eine kausale Beteiligung des Partners am konkre­ ten Berufsfehler nicht ankommt.65 §  8 Abs.  2 PartGG ist auf BGB-Gesellschaften 55 K. Schmidt NJW 1995, 1, 5. 56 Zur Anwendung des § 31 BGB auf die Partnerschaft Henssler Festschrift Vieregge (1995), S. 361, 362 ff. 57 BGH NJW 2010, 1360 Tz. 15 f. (Geltung auch für Berufsfehlerhaftung). 58 BGH NJW 2010, 1360, Tz. 21. 59 BGH NJW 2010, 3720 Tz. 5 und 7. 60 OLG München NJW 2015, 2553 (dort: Fortführung des Unternehmens einer Rechtsan­ walts-GmbH). 61 Zur Inkongruenz von benannter personeller Haftungskonzentration und tatsächlichem Tä­ tigwerden Sotiropoulos ZIP 1995, 1879, 1881; Graf v. Westphalen ZIP 1995, 546, 548 f. 62 OLG Hamm MDR 2010, 900. 63 OLG Hamm MDR 2010, 900; s. auch BGH NJW 2010, 1360 Tz. 17. 64 Offermann-Burckart AnwBl 2014, 366, 371. 65 BGH NJW 2010, 1360 Tz. 17 und 18.

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nicht analog anzuwenden.66 Sie können sich nur der Regelung in § 51a Abs. 2 S. 2 BRAO bedienen, die allerdings gleichartige Effekte hat, so dass insoweit der Weg in die normale Partnerschaft keinen Vorzug aufweist. 397

Die Berufshaftung kann gem. § 8 Abs. 3 PartGG summenmäßig beschränkt werden, wenn dies durch ein besonderes Berufsgesetz zugelassen ist und zugleich eine gesetz­ liche Pflicht zur Deckungsvorsorge durch Haftpflichtversicherung besteht. § 51a Abs. 1 BRAO sieht diese Begrenzungsmöglichkeit vor; die Deckungsvorsorge ist durch § 51 BRAO vorgeschrieben (dazu § 14, Rn. 256 ff. und § 45, Rn. 1323 ff.). 5. Anwaltliches Handeln der PartG

398

Die Partnerschaftsgesellschaft wird anders als die Anwalts-GmbH selbst nicht zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Sie ist aber gleichwohl gem. § 7 Abs. 4 PartGG postu­ lationsfähig und kann beigeordnet werden (s. dazu § 33, Rn. 840). Da der Anwaltsver­ trag mit der PartG geschlossen wird, sofern nicht ausdrücklich nur bestimmte Anwäl­ te der Gesellschaft beauftragt werden, können bei Vertretung mehrerer einfacher Streitgenossen im Kostenerstattungsverfahren nicht die Kosten mehrerer Anwälte der PartG geltend gemacht werden; festzusetzen ist nur ein Mehrvertretungszuschlag.67 6. Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung

399

Zur Vermeidung einer Flucht in die Gesellschaftsform der englischen LLP wurde im Jahre 2013 die PartGmbB eingeführt.68 Sie ist keine dritte Gesellschaftsform neben GbR und PartG, sondern eine Variante der PartG mit zusätzlicher Haftungsbeschränkung.69

400

Die Haftung für berufliche Fehlleistungen ist auf das Gesellschaftsvermögen be­ schränkt (§ 8 Abs. 4 PartGG). Dafür muss allerdings nach § 51a BRAO eine erhöhte Mindestdeckung für die Berufshaftpflichtversicherung vereinbart werden. Durch § 8 Abs. 4 S. 2 PartGG wird die Geltung der § 113 Abs. 3 und §§ 114 bis 124 VVG (beson­ dere Regeln für Pflichthaftpflichtversicherungen) angeordnet.70 Die Mindestversi­ cherungssumme beträgt 2,5 Mio.  Euro für jeden Versicherungsfall und damit das Zehnfache der Summe des § 51 Abs. 4 BRAO. Das entspricht der Versicherungssum­ me für die Rechtsanwalts-GmbH gem. § 59j Abs. 2 S. 1 BRAO. Die Jahreshöchstleis­ tung pro Versicherungsjahr darf der Versicherer auf einen Betrag begrenzen, der sich aus der Zahl der Partner multipliziert mit der Mindestsumme errechnet, der aber mindestens das Vierfache der Mindestsumme betragen muss. Diese Regelung darf nicht dahin missverstanden werden, dass die Mindestsumme des Deckungsschutzes über 2,5 Mio. Euro hinaus durch Multiplikation erhöht wird. 66 BGH NJW 2012, 2435 Tz. 74. 67 OLG Oldenburg MDR 2017, 179. 68 Gesetz v. 17.7.2013, BGBl. I S.  2386. Dies positiv bewertend Schäfer Festschrift Baums (2017), S. 1057, 1060 f. 69 OLG Nürnberg ZIP 2014, 420. 70 Rechtsfolgenverweisung eingefügt vom Rechtsausschuss des Bundestages, BT-Drucks. 17/13944 S. 4 und 15, weil die Regelung des VVG sonst nicht einschlägig sei.

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Die Versicherungspflicht ist durch § 51a Abs. 1 BRAO der PartGmbB auferlegt. Die 401 Versicherung ist also eine Eigenversicherung der Gesellschaft und keine Versicherung der Partner für fremde Rechnung (vgl. dazu § 43 Abs. 1 VVG).71 Durch sie wird die aus § 51 Abs.1 BRAO folgende Versicherungspflicht der Partner selbst nicht gegenstands­ los.72 Sie wird relevant für Mandatsübernahmen ausdrücklich im eigenen Namen oder ohne hinreichende Klarstellung des Vertragsschlusses im Namen der Partnerschaft. Bedeutung kann sie auch bei Pfändung eines Regressanspruchs der Gesellschaft durch den Geschädigten erlangen. Zwar werden sich die Partner aus Vorsichtsgründen ohne­ hin versichern, um gegebenenfalls den Regress der Gesellschaft abzusichern, doch ist es im Außenverhältnis wegen §§ 113 ff. VVG relevant, ob es sich um eine freiwillige Haftpflichtversicherung oder um eine Pflichthaftpflichtversicherung handelt. Die Deckung muss die wissentliche Pflichtverletzung umfassen, die nach § 51 Abs. 3 402 Nr. 1 BRAO ausschließbar ist; § 51a Abs. 1 S. 2 BRAO klammert den § 51 Abs. 3 Nr. 1 BRAO aus seiner Verweisung aus.73 Wird die Versicherung nicht im erforderlichen Umfang aufrechterhalten, hat der Versicherer die Rechtsanwaltskammer zu informie­ ren (§§ 51a Abs. 1 S. 2, 51 Abs. 6 S. 1 BRAO). Der Name der Partnerschaft ist dann entsprechend geändert zu führen. Erfolgt die Umstellung nicht umgehend, ist das Registergericht wegen §  125a HGB durch die Kammer zu informieren. Dem steht nicht die Verschwiegenheitspflicht des § 76 BRAO entgegen.74 Die Mitteilungspflicht folgt aus § 380 Abs. 1 Nr. 4 FamFG. Damit wird das Zwangsgeldverfahren nach §§ 388 Abs. 1, 392 Abs. 2 FamFG vorbereitet. Ungeachtet der Haftungsbeschränkung durch § 8 Abs. 4 PartGG wird eine zusätzliche 403 vertragliche Haftungsvereinbarung nicht völlig obsolet.75 Die Veränderung einer gewöhnlichen PartG in eine PartGmbB stellt keinen Rechts­ 404 formwechsel i. S. d. UmwG dar.76 Eine konstitutive Eintragung der Berufshaftungsbe­ schränkung in das Handelsregister ist nicht erforderlich. Es wird sogar bezweifelt, dass es sich überhaupt um eine eintragungsfähige Tatsache handelt. Ausreichend ist die Deklaration auf Briefbögen und anderen Verlautbarungen, etwa im Internet. Die PartGmbB kommt auch für interprofessionelle Sozietäten in Betracht. Probleme 405 wirft dabei insbesondere der Abschluss der Berufshaftpflichtversicherung auf, weil die einzelnen Berufsrechte unterschiedliche Regelungen vorsehen.77 Dies gilt für die jeweilige Person des Versicherungsnehmers, den Deckungsgegenstand, die Mindest­ versicherungssumme, die Jahreshöchstleistung des Versicherers, den Ausschluss für wissentliche Pflichtverletzung, die formularmäßige Haftungsbegrenzung und die Einbeziehung von Scheinpartnern. 71 Für analoge Anwendung der §§ 43 ff. VVG Schumacher VersR 2016, 964, 965. 72 Dallwig VersR 2014, 19 f.; Schumacher VersR 2016, 964. 73 Zu den Gläubigerschutzgründen dieser Regelung, die in gleicher Weise die Rechtsan­ walts-GmbH betrifft (§ 59j Abs. 1 Hs. 2 BRAO) Dallwig VersR 2014, 19, 22 f. 74 Unzutreffend a. A. Offermann-Burckart AnwBl 2014, 474, 477. 75 Vgl. dazu Zimmermann NJW 2014, 1142 ff. Zur Binnenhaftung Höpfner JZ 2017, 19, 26 f. 76 Henssler AnwBl 2014, 96, 98. 77 Näher dazu Henssler/Trottmann NZG 2017, 241, 244 ff.

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Teil 3 ­| Gemeinschaftliche Berufsausübung

7. LLP 406

Die Niederlassungsfreiheit des primären Unionsrechts für Gesellschaften in der Aus­ formung durch Rechtsprechung des EuGH hat den Zuzug der englischen Gesell­ schaftsform der Limited Liability Partnership (LLP) ermöglicht.78 Ob sie nach dem Brexit eine weiterhin zulässige Betätigungsform bleibt, wird vom Ergebnis der Aus­ trittsvereinbarungen zwischen EU und Großbritannien abhängen.

407

Die LLP ist eine Organisationsform mit eigener Rechtspersönlichkeit, die zur Errich­ tung in das in London geführte Companies Register eingetragen werden muss.79 Es handelt sich um eine Hybridform zwischen Personen- und Kapitalgesellschaft.80 Eine akzessorische vertragliche Gesellschafterhaftung gibt es nicht, jedoch kann der bera­ tende Gesellschafter deliktsrechtlich nach dem tort of negligence haften,81 vorausge­ setzt, englisches Deliktsrecht ist kollisionsrechtlich anwendbar. Auf Beratungen in Deutschland findet deutsches Deliktsrecht als Recht des Handlungsortes Anwendung.82

408

Bei einem Verwaltungssitz in Deutschland oder bei Bildung einer hiesigen Zweignie­ derlassung muss die LLP in ein inländisches Register eingetragen werden.83 Wegen der Ähnlichkeit mit der PartGmbB kommt dafür das Partnerschaftsregister in Betracht.84

409

Zur Postulationsfähigkeit der LLP oder der in ihr tätigen Anwälte und der Beiord­ nung im Rahmen der Prozesskostenhilfegewährung § 33, Rn. 840.

III. GmbH & Co. KG 410

Die Rechtsprechung hat die Bildung einer Rechtsanwalt-GmbH & Co. KG nicht gebil­ ligt.85 Maßgebend war das bei Freiberuflern fehlende Betreiben eines Gewerbes als Voraussetzung eines Handelsgewerbes. Entgegen steht auch § 59c Abs. 2 BRAO, der die Beteiligung einer Rechtsanwalts-GmbH als Gesellschafterin an Zusammenschlüs­ sen zur gemeinschaftlichen Berufsausübung untersagt. 78 Generell zur Tätigkeit ausländischer Rechtsberatungsgesellschaften in Deutschland Grunewald/Müller NJW 2005, 465 ff.; Henssler Festschrift Busse (2005), S. 127 ff.; s. auch Henssler NJW 2009, 950 ff. zur Anerkennung einer deutschen Anwalts-GmbH durch die franz. Cour de Cassation. 79 Zu näheren Einzelheiten Hartung/Bargon AnwBl 2011, 84  ff.; Rumberg/Schneider RIW 2012, 272 ff. 80 Triebel/Silny NJW 2007, 1034. 81 Triebel/Silny NJW 2007, 1034. 82 Für eine kollisionsrechtliche Anpassung Henssler/Mansel NJW 2007, 1393 ff. Eine Korrek­ tur hat Henssler vollzogen, NJW 2014, 1761, 1764  f. Gegen die Anpassungsthese schon Triebel/Silny NJW 2007, 1034, 1035. 83 Offermann-Burckart AnwBl 2014, 474, 486. 84 Henssler NJW 2014, 1761, 1766. 85 BGH (AnwS) NJW 2011, 3036 Tz.  6 und 12; Verfassungsbeschwerde erfolglos, BVerfG NJW 2012, 993. Rechtspolitisch kritisch K. Schmidt ZHR 180 (2016), 411, 418; anders Schäfer Festschrift Baums (2017), S. 1057, 1059 f. Anders die Rechtslage für Steuerberater: BGH (II. ZS) NJW 2015, 61 Tz. 10 m. Bespr. K. Schmidt ZIP 2014, 2226 ff.

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§ 23 Kapitalgesellschaften

I. Rechtspolitischer Wunsch und richterrechtliche Realisierung . . 411

II. Die Rechtsanwalts-GmbH . . . . . 416

III. Die Rechtsanwalts-AG . . . . . . . . 425 IV. Fremdbeteiligung und Freizügigkeit ausländischer Gesellschaften 427

I. Rechtspolitischer Wunsch und richterrechtliche Realisierung Rechtsformen des Kapitalgesellschaftsrechts waren den Anwälten – anders als Steuer­ 411 beratern und Wirtschaftsprüfern – in der Vergangenheit nach überkommener Auf­ fassung verschlossen. Kein Hindernis ist dafür das Auftreten unter einer einheitlichen Unternehmensbezeichnung, in der der Name eines Anwaltes benutzt wird, der aus der Sozietät ausgeschieden ist. Anwaltliche Dienstleistungen werden zwar als perso­ nengebunden betrachtet, doch hatte sich das Bedürfnis nach kontinuierlicher über­ örtlicher Identifizierung einer Sozietät über den Tod kennzeichengebender Mitglie­ der hinaus schon für die GbR Bahn gebrochen. Das PartGG hat diese Auffassung bekräftigt (§ 2 Abs. 2 PartGG i. V. m. §§ 21, 22 Abs. 1, 24 HGB). Das BayObLG hat in einem Handelsregisterverfahren durch Beschluss vom 412 24.11.19941 die Anwalts-GmbH auch ohne gesetzliche Regelung für grundsätzlich zulässig erklärt2 und die aufgelisteten Ablehnungsgründe der Berufsorganisationen, insbesondere den Gesichtspunkt fortschreitender Kommerzialisierung, beiseite ge­ schoben. Das BayObLG hat die Rechtsprechung des BGH vom 25.11.1993 zur Zuläs­ sigkeit der Zahnbehandlungs-GmbH (BGHZ 124, 224) übertragen.3 Dieser hand­ streichartige Husarenritt erfolgte gegen eine  – mit der BRAO-Novelle von 1993 bekräftigte – damals noch vorherrschende anderslautende Meinung, die die rechtspo­ litische Gestaltung beim Gesetzgeber belassen wollte. Der beschluss war methodisch sehr bedenklich, auch wenn das rechtspolitische Ziel grundsätzlich vertretbar war.4 Länder wie Frankreich5, die Niederlande, England und Dänemark hatten die Gesell­ 1 BayObLG Rpfleger 1995, 215 m. Anm. Gerken = NJW 1995, 199. 2 Zustimmend Piper Festschrift Odersky, S. 1063, 1066 f., 1069. 3 Kritisch dazu Taupitz NJW 1995, 369; zögernd zustimmend Dauner-Lieb GmbHR 1995, 259 ff. 4 Zu Regulierungsvorschlägen der 90er Jahre Henssler ZHR 161 (1997), 305 ff.; Dittmann ZHR 161 (1997), 332 ff. (damals Referatsleiter im BMJ); Hellwig ZHR 161 (1997), 337 ff. 5 Zur franz. Rechtsanwalts-AG Schmuck RIW 1993, 983 ff.; Henssler NJW 2010, 1425 ff.; Caron/Diemunsch in Raymond Martin, Déontologie de l’Avocat11 Rdn. 173 ff. (Société d’Exer­ cice Libérale = SEL, die als Kapitalgesellschaft verschiedene Gesellschaftsformen umschließt, etwa die Société d’exercice libérale à responsabilité limitée = S.E.A.R.L. = FreiberuflerGmbH oder die Société d’exercice libérale à forme anonyme = S.E.L.A.F.A. = FreiberuflerAG oder die Société d’exercice libérale commandite par actions = S.E.L.C.A. = Freiberufler-KG a. A.). Zur Anwaltskapitalgesellschaft in der Schweiz BGE 138 II 440, 448 ff., 458 ff. = SchwJZ 108 (2012), 524 ff.; Zindel SchwJZ 108 (2012), 249 ff.; Nater SchwJZ 109 (2013), 245, 246 f.

123

Teil 3 ­| Gemeinschaftliche Berufsausübung

schaftsform nach amerikanischem Vorbild schon eingeführt.6 Das wäre aber von vornherein Aufgabe des deutschen Gesetzgebers gewesen. 413

Es kann keine unterschiedlichen Mindestanforderungen je nach Sitz der Gesellschaft und Auffassung des zuständigen Registergerichts geben.7 Die Kontrolle für wün­ schenswert gehaltener Mindesterfordernisse ist schon im Eintragungsverfahren zwei­ felhaft; keineswegs ist die Überwachung ihres Fortbestandes  – etwa durch die An­ waltskammern  – ohne gesetzliche Grundlage denkbar. Nicht akzeptabel ist die Auffassung, der Anwaltschaft müsse zur Vermeidung eines Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG die gemeinsame Berufsausübung gerade in Form des Zusammenschlusses zu einem bestimmten Gesellschaftstyp ermöglicht werden.8 Das hieße in weiterer Konsequenz, hochdifferenzierte Gesellschaftsrechtsregelungen generell aus der Zu­ ständigkeit des Gesetzgebers zu entlassen und den Gerichten zu überantworten.

414

Für die Anwalts-GmbH mussten viele Details wie z. B. die Gestaltung des Kapitalein­ satzes und der Entscheidungsstrukturen (Geschäftsführer, Arbeitnehmer, Eigenver­ antwortlichkeit und Weisungsfreiheit bei der Mandatsausübung) eigenständig festge­ legt werden.9 Besonders umstritten ist die Fremdbeteiligung Berufsfremder am Gesellschaftskapital, etwa Inkassounternehmer10, Versicherer oder Finanzinvesto­ ren, die sich Anwälte als Dienstleister „halten“ (s. dazu unten Rn. 427). Denkbar ist aber, dass ehemals aktiv tätige Rechtsanwälte eine Altersversorgung aus Gewinnen ziehen, oder dass ausländische Rechtsanwälte mit einer bestimmten Höchstquote am Stammkapital beteiligt sind.11

415

Der Regelung bedarf, mit welchen Angehörigen anderer Berufe eine gesellschafts­ rechtliche Zusammenarbeit stattfinden darf12 und wie die gegenseitigen Berufspflich­ ten abzugrenzen sind. Schon bisher war diese Frage für die Sozietäten umstritten. Die Geltung des RVG, der beruflichen Verschwiegenheitspflicht, der Beschlagnahmefrei­ heit von Mandantenunterlagen oder der Pflicht zur Deckungsvorsorge durch Haft­ pflichtversicherung kann ebenfalls nicht von unsicheren methodischen Analo­ gieschlüssen abhängig gemacht werden. 6 Dazu Henssler JZ 1992, 697, 708 f.; Donath ZHR 156 (1992), 134, 146 ff. Zur Professional Corporation in den USA Hölscher RIW 1995, 551 ff. 7 Schlosser JZ 1995, 345, 346 spottete über eine unterschiedliche Anwalts-GmbH-Geogra­ phie. 8 A.A. Piper Festschrift Odersky (1996), S. 1063, 1073, 1080; ebenso wohl Henssler DB 1995, 1549; zurückhaltender Mayen NJW 1995, 2317, 2320 ff. 9 Vgl. Wimmer NJW 1989, 1772, 1775; Zuck JZ 1989, 353, 356; Schlosser JZ 1995, 345, 346 ff.; s. auch Michalski AnwBl. 1989, 65 ff.; Michalski Gesellschafts- und Kartellrecht, S. 275 ff. Damm Festschrift Brandner (1996), S. 31, 37, 51, ging zu Recht von einem komplexen Pro­ blemverbund von Organisation und Qualität der Berufsleistung aus. 10 So im Fall OLG Köln ZIP 1997, 1502. 11 Vgl. Schlosser JZ 1995, 348. Zur Beteiligung Berufsfremder s. den plastischen Steuerbera­ terfall, den Henssler ZIP 1996, 485, 490, schildert. 12 OLG Bamberg MDR 1996, 423 bejaht die GmbH aus Rechtsanwälten und Steuerberatern auf der Grundlage der Entscheidung des BayObLG von 1994 (nachfolgend im Text) und verneint einen Verstoß gegen § 59a BRAO.

124

Kapitalgesellschaften  ­|  § 23

II. Die Rechtsanwalts-GmbH Der Gesetzgeber hat auf die Vorstöße der Rechtsprechung reagiert und mit §§ 59c ff. 416 BRAO die Rechtsanwalts-GmbH geschaffen. Die Anwalts-GmbH kann selbst Mit­ glied der Rechtsanwaltskammer werden (§ 60 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BRAO). Dazu muss ihr eine Zulassung erteilt werden (§§  59c Abs.  1, 59d BRAO).13 Die eigene Zulassung dient in erster Linie der Überprüfbarkeit der in §§  59c  ff. BRAO formulierten Er­ fordernisse.14 Ohne Zulassung würde eine Rechtsberatung durch sie statt durch die Anwälte zudem gegen das RDG verstoßen.15 In das deklaratorische Rechtsanwaltsre­ gister wird die GmbH – ebensowenig wie die Personengesellschaften – nicht aufge­ nommen, so dass sich aus diesem Register die Zugehörigkeit eines Anwalts zu einer GmbH nicht entnehmen lässt.16 Gesellschafter dürfen nur Rechtsanwälte oder Angehörige sozietätsfähiger Berufe 417 sein, die in der GmbH tätig sind (§ 59e Abs. 1 BRAO).17 Mit dem Erforderns beruf­ licher Tätigkeit in der GmbH (§ 59e Abs. 1 S. 2 BRAO) hat der Gesetzgeber die Fest­ legung verbinden wollen, dass Kapitalbeteiligungen Dritter verboten sind.18 Die Mehrheit der Geschäftsanteile und Stimmrechte muss Rechtsanwälten zustehen (§ 59e Abs. 2 BRAO), die auch im Verhältnis zu den übrigen rechtlich zugelassenen Gesellschaftern mehrheitlich die Geschäftsführung ausüben müssen (§  59f Abs.  1 BRAO). Abzusichern ist die Unabhängigkeit der Geschäftsführer sowie etwaiger Pro­ kuristen und Handlungsbevollmächtigter (§ 59f Abs. 4 BRAO). Das BVerfG hat für eine GmbH von Rechts- und Patentanwälten die §§ 59e Abs. 2 S. 1 und 52f Abs. 1 BRAO insoweit als nichtig angesehen, als sie der Zulassung einer interprofessionellen Gesellschaft dieser Berufsträger entgegenstehen.19 Die in §  59f Abs.  4 BRAO geforderte Unabhängigkeit der Geschäftsführer steht in 418 Kontrast zu dem Recht der Gesellschafter gem. § 45 Abs. 1 GmbH. Ob nur die kon­ krete Beratung und Vertretung von Mandanten gemeint sein kann, ist zweifelhaft, weil sie nicht spezifisch für die Geschäftsführertätigkeit ist.20

13 Zu den notwendigen Unterlagen eines Zulassungsantrags Offermann-Burckart AnwBl 2015, 18, 31. 14 Deckenbrock AnwBl 2014, 118, 119. 15 Vgl. BGH NJW 2005, 1488. 16 Deckenbrock AnwBl 2014, 118, 120. 17 Keine Zulassung einer GmbH mit Rechtsbeistand als Alleingesellschafter, BGH VersR 2008, 561 Tz. 7 ff. Keine Mitgliedschaft einer Partnerschaftsgesellschaft, BGH NJW 2017, 1681 Tz. 14 und 20, zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Beschränkung auf natürli­ che Personen Tz. 52 ff.; krit. Bespr. Henssler NJW 2017, 1644 ff. 18 Vgl. RegE BT-Drucks. 13/9820 S. 15. 19 BVerfG NJW 2014, 613 Tz.  96 (zu BGH NJW 2012, 461) m. Bespr. Offermann-Burckart AnwBl 2015, 122, 132 (zur Reichweite der Entscheidung); Hellwig AnwBl 2016, 776 ff. (zu weitergehenden Folgen). 20 Zur Diskussion darüber Offermann-Burckart AnwBl 2015, 122, 133 f.

125

Teil 3 ­| Gemeinschaftliche Berufsausübung 419

Berufsrechtlich zulässig ist die Einpersonen-GmbH eines Anwalts,21 ebenso – jedoch wohl eher theoretisch  – die Rechtsanwalts-Unternehmergesellschaft mit dem gem. § 5a Abs. 1 GmbHG notwendigen Zusatz „UG (haftungsbeschränkt)“. Ein Anwalts­ notar darf nur hinsichtlich seiner anwaltlichen Betätigung Mitglied einer GmbH sein.22 Durch § 59c Abs. 1 BRAO wird einer Rechtsanwalts-GmbH nicht untersagt, Treuhandtätigkeit zum Unternehmensgegenstand zu machen.23

420

Verboten ist durch § 59c Abs. 2 BRAO die Beteiligung der GmbH an Zusammenschlüs­ sen zur gemeinschaftlichen Berufsausübung, damit sie nicht in mehrstöckigen Gesell­ schaften zu Lasten der anwaltlichen Tätigkeit von Fremdeinflüssen abhängig wird.24

421

Die vertragliche und deliktische Haftung für die berufliche Tätigkeit ist grundsätzlich auf die Anwalts-GmbH beschränkt. Daneben kommt aber eine deliktische Haftung des Rechtsanwalts in Betracht, der das Mandat bearbeitet hat; sie ist vom Abschluss des Anwaltsvertrages mit der GmbH unabhängig. Fehlende besondere Anforderun­ gen an die Kapitalausstattung werden durch eine erhöhte Mindestversicherungssum­ me der Berufshaftpflichtversicherung kompensiert (§ 59j Abs. 2 und 3 BRAO). Wird die Mindestversicherungssumme pflichtwidrig unterschritten, haften die Gesellschaf­ ter und die Geschäftsführer neben der GmbH persönlich in Höhe der Differenz zum erforderlichen Deckungsschutz (§ 59j Abs. 4 BRAO). Eine Eigenhaftung des GmbH-­ Geschäftsführers aus § 311 BGB besteht im Regelfall nicht (dazu § 45, Rn. 1310).

422

Eine geringfügige berufliche Tätigkeit genügt dem Erfordernis des § 59e Abs. 1 S. 2 BRAO.25 Anknüpfungspunkt für das Disziplinarrecht ist  – deutscher Tradition im Strafrecht entsprechend – der Rechtsanwalt als natürliche Person. Pflichten wie die Vermeidung einer Interessenkollision treffen nur die Berufsträger.26

423

Die Anwalts-GmbH ist gem. § 59l BRAO selbst postulationsfähig. Als Prozess- und Verfahrensbevollmächtigte handelt sie durch ihre Organe und Vertreter. Die Stellung als Strafverteidiger gem. §§ 137 ff. StPO wird nicht vervielfältigt; Verteidiger ist nur die für die GmbH handelnde Person.

424

In erster Linie werden steuerrechtliche Überlegungen die Wahl zwischen Personenund Kapitalgesellschaft beeinflussen.27 Pensionszusagen mit steuerlicher Wirkung sind dabei ein möglicher Aspekt. Die Freiberufler-GmbH ist verfassungsrechtlich unbe­

21 Offermann-Burckart AnwBl 2015, 18, 20. 22 Offermann-Burckart AnwBl 2015, 18, 22. 23 BGH ZIP 2016, 319 Tz. 21 und 26 ff. S. auch BGH NJW 1999, 3040, 3042 zur Treuhandtä­ tigkeit. 24 BGH ZIP 2017, 811 Tz. 42; Offermann-Burckart AnwBl 2015, 18, 24. 25 Offermann-Burckart AnwBl 2015, 18, 23. 26 Kritisch dazu Deckenbrock AnwBl 2014, 118, 121. 27 Zu den zivil- und steuerrechtlichen Vor- und Nachteilen Sommer GmbHR 1995, 249 ff.; Henssler DB 1995, 1549, 1552.

126

Kapitalgesellschaften  ­|  § 23

denklich gewerbesteuerpflichtig.28 Verstärkt wird die Kontinuität der Reputation durch Verwendung der Firma der GmbH als dauerhaftes Unternehmenskennzeichen.29

III. Die Rechtsanwalts-AG Das willkürliche methodische Vorgehen, das den Beginn der GmbH für Anwälte 425 kennzeichnete, hat sich bei der Rechtsanwalts-AG wiederholt, ohne dass der Gesetz­ geber nachträglich eingegriffen hat. Das BayObLG ist im Jahre 2000 mit einer Regis­ tergerichtsentscheidung vorgeprescht.30 Der BGH hat diese Auffassung bei Entschei­ dung über die Umwandlung einer Anwalts-GmbH in eine AG geteilt.31 Schon zuvor hatte der BFH die Vertretungsberechtigung einer Anwalts-AG vor seinen Senaten bejaht.32 Die berufsrechtlichen Regeln für die GmbH werden analog angewandt.

426

IV. Fremdbeteiligung und Freizügigkeit ausländischer Gesellschaften Ein heikles Problem ist die Beteiligung Dritter an einer Kapitalgesellschaft von An­ 427 wälten.33 Durch die Zulassung von Alternative Business Structures (ABS) in England ist dieses Problem rechtspolitisch besonders drängend geworden und verstärkt in die Diskussion geraten. ABS sind in England durch den Legal Services Act 2007 ermög­ licht worden. 2011 sind ergänzende Regulierungsvoraussetzungen geschaffen wor­ den.34 Welche Bedeutung englische ABS nach den Brexit noch haben können, mag einstweilen dahingestellt bleiben. Die Diskussion um den Zuzug von Kapitalgesell­ schaften mit Beteiligung von Fremdkapital, etwa durch Niederlassung einer Tochter­ gesellschaft,35 und die eventuelle Abwehr mit Mitteln des deutschen Berufsrechts wird dadurch nicht gegenstandslos.36 Zu trennen ist das mitgliedstaatliche Kollisionsrecht für Gesellschaften von den Kon­ 428 sequenzen der unionsrechtlichen Niederlassungsfreiheit, die sachrechtliche Beschrän­

28 BVerfG NJW 2010, 2116 Tz. 9. 29 Zur Firmierung OLG Rostock NJW 2007, 1473, 1474; Offermann-Burckart AnwBl 2015, 18, 24 f. 30 BayObLG NJW 2000, 1647. 31 BGH (AnwS) NJW 2005, 1568, 1570 f. m. Bespr. Henssler AnwBl 2005, 374 ff. 32 BFH NJW 2004, 1974. 33 Für ein striktes Verbot der Beteiligung externer Anteilseigner und eine konsequente insti­ tutionelle Trennung von Wirtschaftsprüfung und Rechtsberatung R. Stürner/Bormann NJW 2004, 1481, 1491. 34 Zu den geistigen Wurzeln der Regelung in Australien und zur Ausgestaltung in England und Wales Kilian/Lemke AnwBl 2011, 800, 801 ff. 35 Vgl. Kilian NJW 2014, 1766, 1767. 36 Zu anderen Konstellationen Kilian AnwBl 2014, 111 ff.

127

Teil 3 ­| Gemeinschaftliche Berufsausübung

kungen verbieten will.37 Wenn Deutschland als Staat des Verwaltungssitzes Be­ schränkungen aufstellt, die die Organisationsstruktur einer im Ausland errichteten Gesellschaft betreffen, müssen diese durch zwingende Gründe des Allgemeininteres­ ses gerechtfertigt sein.38 Das Allgemeininteresse muss nicht auf Unionsebene aner­ kannt sein. Zu dessen Verfolgung muss die nichtdiskriminierende Beschränkungs­ maßnahme geeignet und erforderlich sein. Auch darf es kein milderes Mittel geben, das weniger beeinträchtigt. 429

Im Fall „Wouters“ hat der EuGH die Sicherung der Unabhängigkeit der Rechtsanwäl­ te im Interesse ihrer Mandanten als rechtfertigendes Ziel anerkannt.39 Ob eine Be­ grenzung der Kapitalbeteiligung und der Stimmrechte auf 25% in ausreichender Wei­ se einen Fremdeinfluss auf die anwaltliche Berufsausübung abwehrt, ist ein streitiges Thema.40 Verwundern muss die Leichtgläubigkeit, mit der die 25%-Sperre als ausrei­ chend erachtet wird. Einfluss wird eher informell ausgeübt und ist keineswegs von Stimmverhältnissen abhängig. Eine Wertung zugunsten den Fremdbesitz abwehren­ der Berufsregeln ist dem Unionsrecht selbst zu entnehmen, nämlich Art. 11 Abs. 5 der Niederlassungsrichtlinie 98/5/EG für Rechtsanwälte (näher zu ihr § 38, Rn. 1020 ff.). Dabei kommt es nicht darauf an, der Niederlassungs-RL eine belastende Direktwir­ kung zuzumessen,41 sondern ihr die Rechtfertigung für Beschränkungen durch § 59e Abs. 1 BRAO zu entnehmen. Dagegen spricht auch nicht, dass die RL 98/5/EG nur den einzelnen Rechtsanwalt erfasst.42

430

Es wird ferner vertreten, dass Art. 11 Abs. 5 RL 98/5/EG eine Verhältnismäßigkeits­ prüfung ausschließe, weil Fremdbesitz per se verboten sei.43 Sehr zweifelhaft ist es, die Einschätzungsprärogative Deutschlands zur Erforderlichkeit des die Gesell­ schaftsstruktur betreffenden berufsrechtlichen Verbots durch eine vermeintlich gleich effektive, jedoch minder belastende Regelung auf betrieblich-operativer Ebene zu ne­ gieren.44 Das würde bedeuten, die effektive Begrenzung zugunsten einer blauäugigen Einschätzung der Lebenswirklichkeit preiszugeben.

37 Zur Trennung eingehend Kindler in MünchKommBGB, 6. Aufl., Band 11, 2015, IntGesR Rdn. 143 ff., 427 f. A.A. M.-P.Weller IPRax 2017, 167, 168 f. 38 Kindler in MünchkommBGB6 IntGesR Rdn. 443 ff. 39 EuGH v. 19.2.2002 - C-309/99 – Wouters, NJW 2002, 877 Tz. 100 und 102. Darauf weist Singer in seiner Besprechung der EuGH-Entscheidung DocMorris (EuGH v. 19.5.2009 C-171/07 und 102/07, NJW 2009, 2112) wegen der Konsequenzen für Anwaltssozietäten hin, AnwBl 2010, 79, 82. 40 Bejahend Monopolkommission, 16. Hauptgutachten 2004/2005, BT-Drucks. 16/2460 S. 412; Kämmerer Gutachten H zum 68. DJT, S. H 73, 81, 121 These 11; Hellwig AnwBl 2011, 77, 80; zweifelnd Singer AnwBl 2010, 79, 84 f. 41 So aber kritisch Hellwig AnwBl 2012, 876, 882. 42 A.A. Hellwig AnwBl 2016, 201, 205. 43 Kilian NJW 2014, 1766, 1770; a. A. Weberstaedt AnwBl 2014, 899, 902. 44 So aber Hellwig AnwBl 2016, 201, 205 und 207.

128

§ 24 Sonstige Formen der Zusammenarbeit

I. Bürogemeinschaft . . . . . . . . . . . . 431

III. EWIV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438

II. Scheingesellschaft . . . . . . . . . . . . 434

IV. Sonstige Kooperationen . . . . . . . 443

I. Bürogemeinschaft Eine Bürogemeinschaft stellt keine Berufsausübungsgesellschaft dar. Bei unzurei­ 431 chender Kenntlichmachung aufgrund der Kanzleibeschilderung oder der Verwen­ dung eines gemeinsamen Briefkopfs kann allerdings der Rechtsschein einer BGB-Ge­ sellschaft mit entsprechenden haftungsrechtlichen Folgen erzeugt werden. Zweck einer Bürogemeinschaft ist die gemeinsame Nutzung von Personal und von 432 Sachgegenständen (Büroräumen, technischen Geräten, Bibliothek) sowie die gegen­ seitige Vertretung in Urlaubs- und Krankheitsfällen. Insoweit kann sie BGB-Betriebs­ gesellschaft sein, wenn sie nicht bloße Rechtsgemeinschaft gem. §§ 741 ff. BGB ist. Wegen der rechtlichen Selbständigkeit der beteiligten Anwälte sind diese im Grund­ 433 satz untereinander zur Verschwiegenheit verpflichtet.1 Die Verbote der Vertretung widerstreitender Interessen nach der BRAO sind nicht einschlägig. Die Ausdehnung der für Sozien geltenden Verbote auf Mitglieder einer Bürogemeinschaft durch § 3 Abs. 2 S. 1 und § 3 Abs. 3 BORA ist rechtlich nicht haltbar (s. dazu § 27, Rn. 559 ff.).2

II. Scheingesellschaft Die Bildung einer Scheinsozietät oder das Auftreten als Scheinsozius ist berufsrecht­ 434 lich nicht verboten.3 Die Erzeugung des Rechtsscheins einer Personengesellschaft begründet eine Haftung der Scheingesellschafter für Berufsfehler der jeweiligen ande­ ren vermeintlichen Gesellschafter (nicht: der nicht existenten Gesellschaft4). Dies gilt auch für den scheinbaren Status eines einzelnen Anwalts als Mitglied einer beste­ henden Sozietät, sei es eines Angestellten, eines freien Mitarbeiters oder eines Büro­ gemeinschafters.5 Die Sozietät hat für dessen Verhalten auch dann einzustehen, 1 Deckenbrock NJW 2008, 3529, 3530. 2 Deckenbrock NJW 2008, 3529, 3530. 3 BGHZ (AnwS) 194, 79 = NJW 2012, 3102 Tz. 30 ff. m. Bespr. Hirtz NJW 2012, 3550 ff. Über­ zogen ist die Annahme von Deckenbrock/Meyer ZIP 2014, 701, 705, mit §§ 8 und 9 BORA sei die Scheinsozietät berufsrechtlich anerkannt und zugleich wettbewerbsrechtlich unbedenk­ lich. Zum UWG zweifelnd Kilian NZG 2016, 90, 94. 4 BGH NJW-RR 2012, 239 Tz. 23. 5 BGH NJW 2007, 2490 Tz. 20; BGH NJW 1999, 3040, 3042: Haftung des Scheinsozius für Veruntreuung des Kanzleiinhabers von Mandantengeld.

129

Teil 3 ­| Gemeinschaftliche Berufsausübung

wenn der Scheinsozius eine vorsätzliche unerlaubte Handlung begangen hat. Wie bei einem echten Sozius findet eine Zurechnung analog § 31 BGB statt, weil die Organ­ haftung unabhängig von Rechtsscheingesichtspunkten eingreift.6 Voraussetzung ist nur, dass der Scheinsozius das Mandat eigenverantwortlich bearbeitet hat. Auch dafür haben die Gesellschafter selbst mit ihrem Privatvermögen einzustehen.7 435

Bei einer GbR wird der Rechtsschein nach h. M. durch Briefkopf, Praxisschild und Stempel als Rechtscheinträgern erzeugt.8 Noch nicht abschließend entschieden ist, ob ein Scheinsozius, der sich von der Sozietät getrennt hat, analog §  130 HGB für Altverbindlichkeiten einzustehen hat.9 Einstehen muss er jedoch – wie ein ehemals echter Sozius  – für Neuverbindlichkeiten, wenn er nicht effektiv unterbindet, dass sein Name von möglichen Rechtsscheinträgern entfernt wird; ein solcher Rechts­ schein ist ihm zurechenbar.10

436

Bei einer Partnerschaftsgesellschaft ist in der Regel, sieht man von den Sachverhalten des § 15 Abs. 3 HGB ab, kein Raum für eine Rechtsscheinhaftung,11 weil die Rechts­ verhältnisse gem. § 15 Abs. 2 HGB im Register verlautbart werden. Allerdings kann es besondere Fälle geben, in denen ein konkret erzeugter Rechtsschein den § 15 Abs. 2 HGB überwindet,12 etwa bei hinweislosen Veränderungen im Rahmen langjähriger Vertragsbeziehungen oder bei Weglassen des Rechtsformzusatzes „PartG“ bzw. „PartGmbB“ auf Briefbögen (entgegen § 125a Abs. 1 S. 1 HGB) oder auf Vollmacht­ formularen. Geschützt ist stets nur berechtigtes Vertrauen, das zudem konkret entfal­ tet sein muss.13

437

Der Scheinstatus berechtigt als solcher nicht zu Handlungen für die Gesellschaft. So kann ein Scheinsozius entgegen der Ansicht des BAG14 keine Kündigung ausspre­ chen. Besonderheiten gelten auch für die Zurechnung nach § 85 Abs. 2 ZPO im Falle der Wiedereinsetzung nach Fristversäumung.

6 BGH NJW 2007, 2490 Tz. 22. 7 BGH NJW 2007, 2490 Tz. 29 f. 8 BGH MDR 1996, 966; Grunewald Festschrift P. Ulmer (2003), S. 141, 143 f.; Offermann-­ Burckart AnwBl 2014, 13, 23; Deckenbrock/Meyer ZIP 2014, 701, 703, 705, 706; ­Kilian NZG 2016, 90, 92. 9 Ablehnend OLG Saarbrücken NJW 2006, 2862, 2864; Deckenbrock/Meyer ZIP 2014, 701, 704. Zur Nachhaftung in der Insolvenz Wischemeyer/Honisch NJW 2014, 881 ff. 10 Deckenbrock/Meyer ZIP 2014, 701, 707. 11 A.A. Grunewald Festschrift P. Ulmer (2003), S. 141, 145; Deckenbrock/Meyer ZIP 2014, 701, 710. Zur Diskussion darüber auch Offermann-Burckart AnwBl 2014, 366, 374 f. (mit han­ delsrechtlich nicht überzeugenden Erwägungen zu „vertrauensbildenden Maßnahmen“ der Anwaltschaft und „überforderten“ Mandanten). 12 Zu den unklaren Einzelheiten Baumbach/Hopt, HGB, 37. Aufl. 2016, § 15 Rdn. 15; Krebs in MünchKommHGB, 4. Aufl. 2016, § 15 Rdn. 78. 13 S. zu unterschiedlichen Ansichten Deckenbrock/Meyer ZIP 2014, 701, 708. 14 BAG NJW 1997, 1867, 1868.

130

Sonstige Formen der Zusammenarbeit  ­|  § 24

III. EWIV Die  Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV) ist als Rechtsform 438 für die grenzüberschreitende Kooperation durch VO (EWG) Nr. 2137/85 zur Verfü­ gung gestellt worden.15 Die Vereinigung ist nach § 1 Abs. 2 des deutschen Ausführungsgesetzes Handelsge­ 439 sellschaft. Sie ist eine besondere Form der OHG.16 Mitglied können neben natürli­ chen Personen auch Sozietäten als solche sein. Sie müssen ihren Sitz in mindestens zwei verschiedenen EU-Staaten haben (Art. 4 Abs. 2 EWIV-VO) und dürfen nicht aus einem Drittstaat stammen (Art. 4 Abs. 1 EWIV-VO). Der Sitz der Gesellschaft, der zwingend in der EU liegen muss, bestimmt das ergänzend anwendbare nationale Recht.17 Der Geschäftsführer der EWIV muss nicht zwingend Gesellschafter sein. Die EWIV muss in das nationale Handelsregister eingetragen werden. Ihre Firma 440 muss zur Kenntlichmachung der Gesellschaftsform die Abkürzung „EWIV“ oder de­ ren Langfassung enthalten; weitere unionsrechtliche Vorgaben bestehen nicht, kön­ nen aber vom nationalen Recht aufgestellt werden.18 Es handelt sich nicht um eine Berufsausübungsgesellschaft (vgl. Art. 3 EWIV–VO). 441 Die EWIV darf als solche keine Rechtsberatung durchführen, auch wenn sie sonstige Verträge abschließen kann. Sie soll nur die wirtschaftlich Tätigkeit ihrer Mitglieder durch Kooperation erleichtern.19 Kasuistik: OLG Hamm NJW 1993, 1339 f.: Die beklagten Rechtsanwälte benutzten Briefbögen, auf denen u. a. der Hinweis „Im Verbund der IASW“ mit dem darunter stehenden Zusatz „Internationale Anwälte Steuerberater Wirtschaftsprüfer“ und in Klammern gesetzt „Europäische wirtschaft­ liche Interessenvereinigung“ aufgedruckt war. Die Rückseite enthielt die Überschrift „IASW internationale Anwälte Steuerberater und Wirtschaftsprüfer internationale Advocaten Samen­ werking EWIV“ und dann Angaben zu den einzelnen Mitgliedern aus Deutschland, Belgien, Frankreich, Griechenland und den Niederlanden mit Benennung von der EWIV selbst festge­ legter „Bezirke“. Die Unterlassungsklage der Rechtsanwaltskammer hatte aus mehreren Gründen Erfolg. Die Vorderseite erweckte durch den gewählten Zusatz irreführend den Eindruck internationaler Anwaltstätigkeit, obwohl nur eine internationale Anwaltszusammenarbeit bestand. Die An­ gabe „im Verbund“ erweckte ferner den unrichtigen Eindruck enger rechtlicher Verbindung 15 ABl. EG 1985 L 199, S. 1. Dazu EWIV-Ausführungsgesetz v. 14.4.1988, BGBl. I S. 514. 16 M. Roth in Baumbach/Hopt, HGB, 37. Aufl. 2016, Anh § 160 Rdn. 1, 10, 25. 17 M. Roth in Baumbach/Hopt, HGB37 Anh. § 160 Rdn. 20 f. 18 EuGH v. 18.12.1997 – C-402/96, NJW 1998, 972 Tz. 22. Die Firmenbildung der ersten der­ artigen EWIV, deren sämtliche Mitglieder in verschiedenen EG-Staaten ansässige Anwälte waren, war Gegenstand der registergerichtlichen Entscheidung AG München Rpfleger 1990, 76  f.  =  MDR 1990, 445; eine weitere Entscheidung zur Firmenbildung war OLG Hamm NJW 1993, 1339 f. 19 Zur anwaltlichen Zusammenarbeit in einer EWIV Zuck NJW 1990, 954 f.; Grüninger ­AnwBl 1990, 228 ff.; Grüninger DB 1990, 1449 ff.

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442

Teil 3 ­| Gemeinschaftliche Berufsausübung ähnlich einer Sozietät. Gegen § 1 UWG a. F. verstieß nach Auffassung des OLG die Rückseite der Briefbögen. Die Werbewirkung der Information über die Mitgliedschaft in einer EWIV durfte zwar genutzt werden. Jedoch war die Angabe von „Bezirken“ wettbewerbswidrig, weil ihr jeglicher Informationswert fehlte. Der Recht­suchende konnte daraus nicht einmal entneh­ men, in welcher Gemeinde der jeweilige Anwalt seinen Sitz hatte und vor welchem Gericht er auftreten konnte. Der Entscheidung dürfte heute nicht mehr zu folgen sein.

IV. Sonstige Kooperationen 443

Die permanente Zusammenarbeit insbesondere mit Berufen, die von §  59a BRAO nicht als sozietätsfähig angesehen werden, etwa im Baurecht mit Architekten oder Ingenieuren, wird berufsrechtlich nur erfasst, wenn der irreführende Eindruck einer gemeinschaftlichen Berufsausübung erweckt wird.20 Gesellschaftsrechtlich kann es sich bei einer Kooperation um eine Innengesellschaft nach §§ 705 ff. BGB handeln.

444

Denkbar ist eine Kooperation in Form eines Franchisesystems. Darauf basierte das Modell, das Gegenstand eines Betrugsstrafverfahrens vor dem BGH war. Die später insolvente Zentraleinheit, eine Rechtsanwalts-GmbH, hatte sich kapitalersetzende Darlehen von unternehmerisch selbständigen Partnerrechtsanwälten geben lassen, die in über Deutschland verteilten Niederlassungen tätig waren; die GmbH stellte die Büroräume zur Verfügung und hielt eine zentralisierte Verwaltungs- und Mahnabtei­ lung bereit.21

20 Vgl. BGH NJW-RR 2014, 611 Tz. 12 f. und 19. 21 BGH ZIP 2017, 370 Tz. 5 f.

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Teil 4 Stellung des Rechtsanwalts im System der Rechtspflege § 25 Berufspflichten

I. Aufgabe und personelle Ausrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . 445

II. Die Rechtsgrundlagen im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 III. Generalklausel des § 43 BRAO 450 IV. Grundpflichten des § 43a BRAO 1. Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . 451



2. Verschwiegenheitspflicht . . . . . . 452 3. Sachlichkeitsgebot . . . . . . . . . . . . 453 4. Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen . . . . . . . . . 454 5. Geldverwaltung . . . . . . . . . . . . . . 456 V. Qualität der Leistungserbringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457

I. Aufgabe und personelle Ausrichtung Aufgabe des Berufsrechts ist es zum einen, das Verhalten gegenüber Gerichten und 445 Behörden sowie gegenüber den Rechtsuchenden zu regeln. Dabei geht es u. a. um es­ sentielle Probleme wie Interessenkonflikte, verbotene Mandanten­unterstützung und berufliche Verschwiegenheit. Zum anderen wird das Verhalten der Anwälte unterein­ ander im Sinne eines „fair play“ angesprochen; der lautere Wettbewerb zwischen ih­ nen wird durch bereichsspezifische Regeln konkretisiert. In den Rechtsordnungen des anglo-ameri­ka­ni­schen Rechtskreises wird die Materie unter dem Leitbegriff der professional ethics oder der legal ethics behandelt. Die deutsche Berufsrechtsdiskus­ sion hält sich von dieser Begrifflichkeit zu Recht eher fern (s. dazu § 1, Rn. 8). Der Gegenstand der professional ethics ist jedoch als Angelegenheit des Berufsrechts kein Anachronismus. Nicht geregelt wird der Wettbewerb mit Rechtsberatern außerhalb der Anwaltschaft. 446 Für entsprechendes Satzungsrecht wäre ihnen gegenüber keine Regelungskompetenz gegeben. Die BRAO beschränkt ihren personellen Geltungsbereich ebenfalls auf die Anwaltschaft. Rechtsberater in speziellen Teilrechtsbereichen wie Steuerberater und Patentanwälte haben ihre eigenen Berufsgesetze und Berufsordnungen. Daneben tritt das RDG zur Abwehr rechtlich unerwünschten Wettbewerbs (§ 34, Rn. 866).

II. Die Rechtsgrundlagen im Überblick Die Berufspflichten des Anwalts ergeben sich aus verschiedenen Bestimmungen der 447 BRAO. Pflichten enthalten überdies die Verfahrensgesetze und das Strafgesetzbuch (§§ 203, 352, 356 StGB). Zentrale Bedeutung kam bis zur Novellierung der BRAO von 133

Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege

1994 der – auch weiterhin geltenden – Generalklausel des § 43 BRAO zu. Danach hat der Anwalt seinen Beruf gewissenhaft auszuüben und sich innerhalb und außerhalb des Berufes der Achtung und des Vertrauens, welches die Stellung des Anwaltes erfor­ dert, würdig zu erweisen. Diese weite Bestimmung ist in der Erkenntnis geschaffen worden, dass eine abschließende Regelung aller Berufspflichten praktisch unmöglich ist. Die Heranziehung einer Generalklausel ist vom Bundesverfassungsgericht ur­ sprünglich als formell ausreichende Rechtsgrundlage für Eingriffe in die Berufsaus­ übung akzeptiert worden.1 Ausgefüllt wurde sie über Jahrzehnte hinweg durch die von der Bundesrechtsanwaltskammer nach § 177 Abs. 2 Nr. 2 BRAO a. F. festgestellten Standesrichtlinien sowie durch vorkonstitutionelles Gewohnheitsrecht und durch Richterrecht der Ehrengerichte ( dazu auch § 1, Rn. 11 ff.). 448

Mit der 1987 erfolgten Außerkraftsetzung der Standesrichtlinien durch das BVerfG entstand ein Vakuum, das die Rechtsanwaltschaft vor das Problem stellte, den in der Übergangszeit bis zur Neuregelung des Berufsrechts noch gültigen Bestand des Stan­ desrechts zu ermitteln. Im Wesentlichen blieb nur der Rückgriff auf gesetzliche Rechtsgrundlagen, insbesondere die Generalklausel des § 43 BRAO. Das war eben­ falls problematisch, weil der Grundsatz „nullum crimen sine lege“ (Art. 103 Abs. 2 GG) nicht auf Kriminalstrafen beschränkt ist, sondern – mit gewissen Einschränkun­ gen – auf berufsgerichtliche Strafen bzw. Disziplinarstrafen erstreckt wird.2 Im Hin­ blick auf das Erfordernis tatbestandlicher Bestimmtheit konnte eine ehrengerichtli­ che Ahndung von Berufspflichtverletzungen vorübergehend nur bei Handlungen erfolgen, die mit der Pflicht zur gewissenhaften Berufsausübung unvereinbar waren und die die Achtung und das Vertrauen beeinträchtigten, welche die Stellung des Rechtsanwaltes erfordert.3

449

Die gesetzliche Neuregelung der BRAO von 1994 hat für eine Bestimmung von Grundpflichten (§ 43a BRAO) gesorgt, die ihrerseits auf der Grundlage der Ermäch­ tigungsnorm des § 59a BRAO durch Satzungsrecht verfeinert werden können. Weite­ re Vorschriften des formellen Gesetzesrechts, etwa über Werbung (§ 43b BRAO) oder Fachanwaltschaften (§ 43c BRAO), sind hinzugetreten. Andere bestehende Normen, etwa zu den Tätigkeitsverboten (§ 45 BRAO), sind erheblich umgestaltet worden.

III. Generalklausel des § 43 BRAO 450

§ 43 BRAO hat die Reform von 1994 überdauert und hat als Auffangtatbestand wei­ terhin Bedeutung.4 Aus dieser Generalklausel lassen sich Pflichten ableiten, die nicht ausdrücklich in der BRAO oder der Satzung benannt sind. Eine disziplinarische Sanktion ist mit einer Verletzung derartig begründeter Pflichten allerdings nur zu verbinden, wenn dem Bestimmtheitserfordernis dadurch Rechnung getragen wird, 1 BVerfGE 26, 186, 204; BVerfGE  66, 337, 355  f. Der Wandel kam mit BVerfGE 76, 171, 187 = NJW 1988, 191 ff.; vgl. dazu Zuck NJW 1988, 175 f. 2 BVerfGE 26, 186, 204. 3 Feuerich AnwBl. 1988, 502. 4 Bultmann AnwBl. 2003, 607; a. A. Prütting AnwBl. 1999, 362, 363.

134

Berufspflichten  ­|  § 25

dass der Pflichteninhalt anderweitig in Normen innerhalb oder außerhalb des Berufs­ rechts hinreichend konkretisiert ist.5 Dazu gehört die Verpflichtung, im Zivilprozess nicht wissentlich falsche Behauptungen zugunsten des Mandanten (vgl. § 138 Abs. 1 ZPO) aufzustellen.6 Hartnäckige Bummelei und Untätigkeit bei der Mandatsbear­ beitung ist ebenfalls unter § 43 BRAO zu subsumieren, auch wenn die Verletzung zi­ vilrechtlicher Pflichten grundsätzlich nicht anwaltsgerichtlich zu ahnden ist.7

IV. Grundpflichten des § 43a BRAO 1. Unabhängigkeit § 43a Abs. 1 BRAO hebt noch einmal hervor, dass die Rechtsdienstleistung des An­ 451 walts in völliger Unabhängigkeit zu erbringen ist. Damit ist freilich nichts darüber gesagt, von wem der Anwalt unabhängig sein soll und mit welchen Rechtsinstrumen­ ten die Unabhängigkeit gesichert werden soll. Näher dazu § 4, Rn. 65 ff. ferner § 27, Rn. 530 und 549. 2. Verschwiegenheitspflicht Zu den Generaltugenden gehört die Pflicht zu Verschwiegenheit. Sie wird in § 43a 452 Abs. 2 BRAO benannt, tritt damit aber in Konkurrenz zu der strafrechtlichen Vor­ schrift des § 203 StGB. Näher zur Interpretation der Verschwiegenheitspflicht § 26, Rn. 460 ff. 3. Sachlichkeitsgebot Gemäß § 18 Abs. 3 der früheren Standesrichtlinien stellten unsachliche Angriffe ge­ 453 gen die Person eines Kollegen in Wort oder Schrift einen Verstoß gegen die Pflicht zur Kollegialität dar. Das Gebot zur Sachlichkeit ist aus diesem Kontext herausgelöst und in § 43a Abs. 3 BRAO normiert worden (näher dazu § 28, Rn. 585 ff.). 4. Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen § 43a Abs. 4 BRAO (vor 1994: § 45 Nr. 2 BRAO) stellt ein Verbot der Vertretung wi­ 454 derstreitender Interessen auf.8 Es geht über die strafrechtliche Parteiverratsbestim­ 5 Grunewald/Piepenstock MDR 2000, 869, 871; Feuerich/Weyland/Träger, BRAO9 § 43 Rdn. 12. 6 Ebenso für Österreich OGH ÖJZ 2006, 159 (zur Abweisung einer gegen den Anwalt gerich­ teten Regressklage). 7 AnwGH Saarland NJW 2003, 1537, 1538; AnwGH Berlin v. 29.10.2015  – 1 AGH 8/15, BRAK-Mitt. 2016, 71 (LS). 8 Rechtsvergleichend zur Bewältigung von Interessenkonflikten Kilian WM 2000, 1366  ff.; Cornelius, Festschrift Kurt Bartenbach (2005), S.  3  ff. (auch zum kollisionsrechtlichen ­Problem in international agierenden Großkanzleien). Zum Kollisionsrecht der Berufsrechte unten § 40, Rn. 1057 ff.; Knöfel Grundlagen der internationalen Berufsausübung von Rechts­

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Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege

mung (§ 356 StGB) hinaus, die u. a. nur auf Vorsatztaten anzuwenden ist. Die Vor­ schrift des §  45 BRAO ist mit der Reform von 1994 hinsichtlich seiner weiteren Regelungen beibehalten und wesentlich verfeinert worden. Näher zu § 45 BRAO un­ ten § 27, Rn. 579 ff. Kasuistik:

455

KG NJW-RR 1995, 762 f.: In einem einstweiligen Verfügungsverfahren auf Unterlassung von Handlungen wurde der Kläger von Rechtsanwalt X. vertreten. Der Beklagte machte u. a. gel­ tend, der Anwalt verstoße durch sein Auftreten gegen das Betätigungsverbot aus § 45 Nr. 4 BRAO, da es im streitigen Verfahren auch um den Rechtsbestand und die Auslegung einer von ihm als Notar aufgenommenen Urkunde gehe. Das LG hatte den Anwalt als Prozessbevollmächtigten des Klägers zurückgewiesen und den Rechtsstreit gem. § 244 ZPO unterbro­ chen. Das KG hat der Beschwerde des Klägers stattgegeben. Für die Zurückweisung gebe es keine gesetzliche Grundlage. Zurückweisungen seien nur zulässig bei Verstößen gegen ein zeitlich beschränktes Vertretungsverbot (§ 114 Abs. 1 Nr. 4, § 114a Abs. 3 S. 2 BRAO), gegen ein als vorläufige Maßnahme verhängtes Berufs- oder Vertretungsverbot (§ 150 Abs. 1 S. 1, § 156 Abs. 2 BRAO) oder gegen ein vorläufiges gegenständlich beschränktes Vertretungsverbot (§ 114 Abs. 1 Nr. 4, § 161a BRAO). Diese Regelungen setzten eine anwaltsgerichtliche Entscheidung voraus. Eine analoge Anwendung des § 156 Abs. 2 BRAO auf die Fälle der §§ 45 ff. BRAO sei ohne einschränkendes Bundesgesetz (vgl. § 3 Abs. 2 BRAO) nicht zulässig. Folgerungen aus dem Verstoß gegen § 45 Nr. 4 BRAO seien nur im Rahmen der Würdigung des Vorbringens der von dem pflichtwidrig handelnden Anwalt vertretenen Partei möglich. Zur Wirksamkeit von Prozesshandlungen bis zur Zurückweisung nach §  156  Abs.  2 BRAO OLG Karlsruhe NJW-RR 1995, 626 f.

5. Geldverwaltung 456

Der Umgang mit Fremdgeld und Wertgegenständen von Mandanten, insbesondere die treuhänderische Verwaltung von Mandantengeldern auf Bankkonten, wird in § 4 BORA näher geregelt (s. dazu § 42, Rn. 1096 f.).

V. Qualität der Leistungserbringung 457

Bis 1994 befasste sich das Berufsrecht nicht mit der Qualitätssicherung und kannte insbesondere keine Fortbildungspflicht. Erzwungen wurde Fortbildung nur mittelbar über das Haftungsrecht, bei dessen Anwendung die Rechtsprechung von strengen Standards bezüglich Kenntnis der Gesetzesentwicklung und des aktuellen Standes der Rechtsprechung ausgeht.9 Am System des Haftungsrechts ändert sich auch in Zukunft nichts.

anwälten (2005), S. 435 ff.; Knöfel RIW 2008, 552, 553 f. Zur interprofessionellen Zusam­ menarbeit Deckenbrock BB 2002, 2453, 2458. 9 Nachweise bei Vollkommer/Greger/Heinemann Anwaltshaftungsrecht4 § 11.

136

Berufspflichten  ­|  § 25

Der Forderung nach einer gesetzlich normierten Fortbildungspflicht, wie sie zuvor 458 z. B. die ärztlichen Berufsordnungen eingeführt hatten, ist durch § 43a Abs. 6 BRAO entsprochen worden. Eine nähere berufsrechtliche Ausgestaltung in der BORA und eine Sanktion bei Verletzung der Fortbildungspflicht sollten nach dem RegE der BRAO-Novelle 2017 geschaffen werden. Der Rechtsausschuss des Bundestages hat diesen Regelungsvorschlag gestrichen, weil Junganwälte durch Fachanwaltslehrgänge bereits stark belastet seien. Die sanktionslose Fortbildungspflicht als Pathosnorm zu verspotten und sie wegen 459 Unbestimmtheit gar für verfassungswidrig zu halten,10 verkennt die Bedeutung von leges imperfectae generell und den von ihr ausgehenden sanften Druck zur gesetzge­ berischen Fortentwicklung im besonderen. Denkbar ist z. B. die Einführung eines Systems des Nachweises besuchter Fortbildungsveranstaltungen. Die Pflicht ist nicht unbestimmter als andere Pflichtentatbestände, die in der Vergangenheit für verfas­ sungskonform gehalten wurden. Ergänzt wird § 43b Abs. 6 BRAO durch § 43c Abs. 4 S. 2 BRAO, wonach eine Fachanwaltserlaubnis bei Unterlassung der in der Berufsord­ nung vorgeschriebenen Fortbildung widerrufen werden kann.

10 Vgl. Kleine-Cosack BRAO7 § 43a Rdn. 210.

137

§ 26 Schweigepflicht

I. Grundlagen des Berufsgeheimnisses 1. Parallelität von Strafrecht und Berufsrecht, verfassungsrechtliche Verankerung . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 2. Berufsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 3. Gesetzliche Regelung zur Einbeziehung externer Dienstleister 464 4. Differenzierung zwischen Berufsrecht und Strafrecht . . . . . . . . . . . 466

II. Recht zur Offenbarung 1. Offenbarungsrechte und Pflichten a) Befugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . 468 b) Gesetzliche Offenlegungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 2. Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 3. Eigeninteressen des Anwalts . . . 474 4. Outsourcing, Einschaltung externer Dienstleister . . . . . . . . . 478 5. Internetkommunikation . . . . . . . 484 III. Zeugnisverweigerungsrecht, Beschlagnahme- und Abhörfreiheit 1. Rechtsgrundlagen a) Strafprozessrecht . . . . . . . . . . . 486 b) Grundrechtsbetroffenheit . . . 491 2. Durchsuchung und Beschlagnahme



a) Verdacht gegen den Mandanten . . . . . . . . . . . . . . . 493 b) Verdacht gegen den Anwalt . . 497 c) Verteidigerpost, Verteidigungsunterlagen des Beschuldigten 502 3. Besonderheiten der Syndikusrechtsanwälte a) Nationales Recht . . . . . . . . . . . 504 b) Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . 507

IV. Honorarabtretung 1. Erfordernis ausdrücklicher Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . 508 2. Forderungsinkasso, § 49b Abs. 4 BRAO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 3. Zwangsvollstreckung gegen Verschwiegenheitspflichtige . . . . 513 V. Kanzleiveräußerung . . . . . . . . . . 514 VI. Postmortale Schweigepflichtentbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520 VII. Wahrung fremder Geheimnisse (Schweigepflicht des Mandanten) . . . . . . . . . . . . . . . . 522 VIII. Datenschutz 1. Auftragsverarbeitung . . . . . . . . . . 523 2. Auskunftspflicht gegenüber Datenschutzbeauftragten . . . . . . 527 3. Nutzung von Daten zur Mandatswerbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528

I. Grundlagen des Berufsgeheimnisses 1. Parallelität von Strafrecht und Berufsrecht, verfassungsrechtliche ­Verankerung 460

Die anwaltliche Berufsausübung setzt eine offene Kommunikation mit dem Mandan­ ten voraus, damit durch eine rückhaltlose Information die Basis für eine korrekte rechtliche Beurteilung geschaffen wird. Diese Erfassung des Sachverhalts gewährt dem Anwalt einen Einblick in die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Mandanten und ist deshalb auf eine Vertrauensgewährung durch den Mandanten an­ gewiesen. Durch den Faktor Vertrauen wird allerdings auch die fehlende oder gemin­ derte Kompetenz des Auftraggebers bei der Kontrolle der Leistungsqualität des Frei­ beruflers kompensiert. Die Verschwiegenheitspflicht gehört zu den strukturbildenden 138

Schweigepflicht  ­|  § 26

Grundpflichten, weil sie zwingende Voraussetzung für das Entstehen eines Vertrau­ ensverhältnisses zwischen Anwalt und Mandant ist.1 Die Vertrauensbeziehung unterliegt wegen der Einsichtnahme in die Privat- und 461 Wirtschaftssphäre des Mandanten dem durch Art. 2 Abs. 1 GG und Artt. 7 und 16 GRCh verfassungsrechtlich abgesicherten Geheimnisschutz, der zuvörderst eine Ver­ schwiegenheitspflicht des Anwalts bedeutet.2 Ob daraus zugleich eine eigenständige Rechtsposition des Berufsgeheimnisträgers, also ein Recht zur Verschwiegenheit er­ wächst, ist weniger eindeutig zu beantworten. Der Schutz der Vertrauensbeziehung berührt sich mit der Abwehr von Mandatskonflikten bei einer Doppelvertretung (dazu § 27, Rn. 531). Einfachgesetzlich ist die Schweigepflicht des Rechtsanwalts strafrechtlich und berufs­ 462 rechtlich normiert.3 Mit dem Straftatbestand des §  203 Abs.  1 Nr.  3 StGB über­ schneidet sich die in § 43a Abs. 2 BRAO statuierte und in § 2 BORA geringfügig kon­ kretisierte Pflicht zur Verschwiegenheit. Die Verschwiegenheitspflicht besteht nach der Rechtsprechung des BVerfG nicht allein im Interesse des Mandanten, sondern auch im beruflichen Interesse des Rechtsanwalts und überindividuell in der Siche­ rung seiner Funktion als Organ der Rechtspflege.4 Das ist eine Basis dafür, nicht nur die Binnenbeziehung zwischen Anwalt und Mandant zu regeln, sondern sie auch ge­ gen einen Zugriff von außen, etwa durch Überwachung zu sichern. Mit der Ver­ schwiegenheitspflicht soll ein Schweigerecht des Anwalts verbunden sein, das durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützt wird.5 2. Berufsrecht § 43a Abs. 2 S. 2 BRAO geht über den strafrechtlichen Bereich hinaus und bezieht die 463 Verschwiegenheitspflicht des Rechtsanwalts „auf alles, was ihm in Ausübung seines Berufes bekanntgeworden ist“. Diese ungeschickte Groteskformulierung wird durch § 43a Abs. 2 S. 3 BRAO eingegrenzt, indem offenkundige oder nach ihrer Bedeutung nicht der Geheimhaltung bedürftige Tatsachen ausgeklammert werden. Mit der Er­ 1 BVerfGE 110, 226, 252 = NJW 2004, 1305, 1309. 2 Zum anwaltlichen Berufsgeheimnis in der Rechtsprechung des EGMR Spielmann AnwBl 2010, 373 ff. 3 Der Verein Zürcherischer Rechtsanwälte hat wegen Besorgnis der Missachtung des Anwalts­ geheimnisses durch Gesetzgebung und Rechtsprechung eine spezielle Schriftenreihe initi­ iert, in der 1994 erste Titel erschienen sind (vgl. die Rezension von Zollinger SchwJZ 1995, 477 f.): Schluep Über Sinn und Funktion des Anwaltsgeheimnisses im Rechtsstaat; Krneta Der Anwalt als Organ einer juristischen Person; Vieli Der Anwalt als Partei im Zivilrecht. Zur Durchsuchung und zur Beschlagnahme von Papieren nach schweizerischem Verfas­ sungsrecht Mabillard SchwJZ 101 (2005), 209 ff. Zu gesetzlichen Neuregelungen Nater/Rauber SchwJZ 108 (2012), 16 f.; Nater/Rauber SchwJZ 111 (2015), 180 f. Rechtsvergleichend zum englischen und französischen Recht: Robert Magnus Das Anwalts­ privileg und sein zivilprozessualer Schutz, 2010. 4 BVerfGE 110, 226, 252 = NJW 2004, 1305, 1307; BVerwG NJW 2012, 1241 Tz. 29. 5 BVerfGE 110, 226, 252 = NJW 2004, 1305, 1307 (zu § 261 II Nr. 1 StGB); BVerwG NJW 2012, 1241 Tz. 28.

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Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege

weiterung werden u. a. Kenntnisse erfasst, die sich auf Dritte beziehen, also etwa auf den Gegner des eigenen Mandanten. Der sich darin niederschlagende ausufernde Da­ tenschutz ist zusätzlich dadurch zu begrenzen, dass ein Schutzbedürfnis in den Tatbe­ stand hineingelesen wird. Im Übrigen ist die Ausdehnung aber sinnvoll, weil sie dafür sorgt, dass die Persönlichkeitssphäre Dritter unbeeinträchtigt bleibt.6 Der Anwalt darf also z. B. keine Informationen weitergeben, die er aus Strafverfahrensakten über Geschädigte erlangt hat.7 3. Gesetzliche Regelung zur Einbeziehung externer Dienstleister 464

Durch das bei Drucklegung noch nicht ganz abgeschlossene Gesetzgebungsverfahren zu einem „Gesetz zur Neuregelung des Schutzes von Geheimnissen bei der Mitwir­ kung Dritter“ wird aller Voraussicht nach sowohl § 203 StGB umformuliert als auch § 43a Abs. 2 BRAO ergänzt und ein neuer § 43e BRAO geschaffen werden.8 Dadurch sollen die Berufsgeheimnisträger von dem rechtlichen Risiko entlastet werden, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen selbständige externe Dienstleister im Rahmen der Berufsausübung herangezogen werden dürfen. Mit den bis dahin geltenden Rege­ lungen für berufsmäßige Gehilfen des Berufsgeheimnisträgers waren diese Personen nicht eindeutig zu erfassen. Sie sind in die Strafbarkeitsanordnung einbezogen wor­ den. Der Berufsgeheimnisträger bleibt daneben strafrechtlich für deren sorgfältige Auswahl und Überwachung in Bezug auf die Vertrauenswürdigkeit verantwortlich.

465

Zugleich wird mit § 43e BRAO eine berufsrechtliche Regelung für die Inanspruch­ nahme von Dienstleistungen geschaffen. § 43a Abs. 2 BRAO wird um Bestimmungen ergänzt, die für die Belehrung und sonstige Anleitung von Personen gelten, die bei dem Rechtsanwalt beschäftigt sind, oder die zur Berufsvorbereitung (studentische Praktikanten, Referendare in der Ausbildungsstation) an seiner Tätigkeit mitwirken. Dadurch sind entsprechende Regelungen in der Berufssatzung (§ 2 Abs. 4-6 BORA) überflüssig geworden; der Gesetzgeber hat die Einfügung in das formelle Gesetz of­ fenbar für erforderlich gehalten, weil vom Regelungsgehalt auch die Mandanten be­ troffen sind, zu deren Lasten das Berufsrecht keine Normen schaffen kann. 4. Differenzierung zwischen Berufsrecht und Strafrecht

466

Die Differenzierung zwischen dem strafrechtlichen und dem berufsrechtlichen ­Geheimnisschutz ist wegen unterschiedlicher Reichweite der zur Offenbarung be­ rechtigenden Rechtfertigungsgründe zu beachten, damit der Kernbereich des Straf­ rechtsschutzes nicht aufgeweicht wird.9 Berufsrechtliche Wiederholungen sind als 6 A.A. KG NJW 2011, 324: Schutz von Gegnern des Mandanten oder sonstigen Dritten kein Normzweck der BRAO (daher Anwendung des BDSG). 7 So auch die Zürcherische Anwaltsaufsichtskommission (mit Billigung des Schweiz. BG), Bl. f. Zürch. Rspr. 1994, Nr. 93, S. 286 f. Für eine Anwendung des § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB auf bei einer Strafverteidigung erlangte Kenntnisse über Vorstrafen eines Zeugen OLG Köln NJW 2000, 3656. 8 Dazu RegE BT-Drucks. 18/11936 v. 12.4.2017. Zum RegE Grupp AnwBl 2017, 507 ff. 9 Davor warnt Rüpke NJW 2002, 2835 ff.

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Schweigepflicht  ­|  § 26

Anknüpfungspunkt für weitere mit der Geheimniswahrung aufgestellte Pflichten un­ vermeidlich. Die Einhaltung der berufsrechtlichen Vorschriften bedeutet zugleich, dass in dem entsprechenden Umfang Geheimnisse nicht unbefugt i. S. d. § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB offenbart werden. Informationen aus einem Mandatsverhältnis sind nicht dann schon offenkundig 467 i. S. d. § 43a Abs. 2 BRAO, wenn sie Gegenstand einer öffentlichen Gerichtsverhand­ lung waren. Sie dürfen auch dann nicht ohne Schweigepflichtentbindung offenbart werden, wenn der Anwalt in einem Rechtsstreit als Partei beteiligt ist, er als Partei vernommen wird und der Richter ihn zur Darlegung auffordert, sofern nicht die Grundsätze der Güter- und Pflichtenabwägung rechtfertigend eingreifen.

II. Recht zur Offenbarung 1. Offenbarungsrechte und Pflichten a) Befugnisse Zur Offenbarung beruflich anvertrauter Tatsachen kann der Rechtsanwalt im Einzel­ 468 fall befugt sein. § 2 Abs. 3 BORA nennt Gründe, die einen Verstoß gegen die berufs­ rechtliche Verschwiegenheitspflicht ausschließen sollen. Es handelt sich um eine le­ diglich deklaratorisch bedeutsame Aufzählung, die zum Teil  aus einer Güter- und Pflichtenabwägung abzuleiten ist. Diese Gründe schließen auch die Strafbarkeit aus. Aufgeführt sind die Einwilligung, die Wahrnehmung berechtigter Interessen und die Sozialadäquanz. Die Hinzuziehung externer Dienstleister wird in § 43e BRAO-E ge­ regelt. b) Gesetzliche Offenlegungspflichten Die Offenbarung von Tatsachen, die der Verschwiegenheitspflicht unterfallen, kann 469 gesetzlich verpflichtend begründet werden. Zur Verhinderung von Geldwäsche bestehen Informationspflichten gegenüber Straf­ 470 verfolgungsbehörden und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (Bafin). Die Bafin kann gem. § 44c Abs. 1 S. 1 KWG Auskünfte verlangen, wenn der Verdacht des Betriebs unerlaubter Bankgeschäfte oder Finanzdienstleistungen oder verbotener Ge­ schäfte nach §  3 KWG besteht. Dieser Auskunftsanspruch besteht auch gegenüber Rechtsanwälten.10 Die Verschwiegenheitspflicht sieht das BVerwG als eingeschränkt an, weil § 2 Abs. 3 BORA Ausnahmen durch andere Rechtsvorschriften zulasse,11 was allerdings eine nicht überzeugende Rechtsgrundlage ist. Gegenüber den Steuerbehörden hat der Anwalt die Empfänger von Bewirtungsauf­ 471 wendungen (§ 4 Abs. 5 EStG) zu offenbaren, wenn er seine Aufwendungen gewinn­ 10 BVerwG NJW 2012, 1241 Tz. 16 und 20. 11 BVerwG NJW 2012, 1241 Tz. 24 f.

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Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege

mindernd geltend macht.12 Mit der Schweigepflicht kann auch nicht die Führung eines Fahrtenbuchs nach verkehrswidriger Teilnahme am Straßenverkehr abgewehrt werden.13 2. Einwilligung 472

§ 2 Abs. 3 lit. a BORA sieht in der Einwilligung des Geheimnisherrn einen Rechtfer­ tigungsgrund. Damit wird für das deutsche Berufsrecht  – abweichend von einigen anderen europäischen Rechtsordnungen – die Disponibilität der Schweigepflicht an­ erkannt. Das ist freilich nicht ganz widerspruchsfrei mit der Ansicht zu vereinbaren, dass die Verschwiegenheitspflicht überindividuell die Funktion des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege sichern soll (s. oben Rn. 462).

473

Die Einwilligungsmöglichkeit, von der zuletzt der Gesetzgeber des Gesetzes zur Neu­ regelung des Schutzes von Berufsgeheimnissen ausgegangen ist,14 ist nicht ausrei­ chend, um eine Befugnis für die Mitwirkung externer Dienstleister zu begründen. Beispielsweise bei der Vernichtung von Altbeständen an Akten und anderen Daten­ trägern oder bei der Hinzuziehung von IT-Spezialisten ist eine umfassende Erreich­ barkeit der Betroffenen oder deren geschlossene Zustimmung nicht gewährleistet. Daher bedurfte es einer mandantenunabhängigen gesetzlichen Regelung in §  43e BRAO-E.15 3. Eigeninteressen des Anwalts

474

§ 2 Abs. 3 lit. b BORA nennt die Wahrnehmung berechtigter Interessen als weiteren Rechtfertigungsgrund. Im Honorarrechtsstreit kann der Anwalt seine Ansprüche in der Regel nur unter Preisgabe von Einzelheiten begründen, die unter die Verschwie­ genheitspflicht fallen. Gleiches gilt für die Abwehr gegen ihn erhobener Haftungs­ ansprüche und die Abwehr strafrechtlicher Ermittlungen, die auf eine Strafanzeige des ehemaligen Mandanten zurückgehen.

475

Der Anwalt darf Mandantengeheimnisse jedoch nur in dem Umfang offenbaren, wie es zur Aufklärung der Vorwürfe oder der Wahrnehmung zivilrechtlicher Ansprüche erforderlich ist.16 Kasuistik:

476

(a) KG NJW 1994, 462 f. m. Bespr. Berger MDR 2003, 970 ff.: Die im Arrestverfahren gegen den Mandanten wegen Honorarforderungen klagenden Anwälte begründeten den Arrestgrund (§ 917 Abs. 1 ZPO) mit der vom Mandanten im Beratungsgespräch erwogenen Möglichkeit, 12 BFH NJW 2004, 1614. 13 Vgl. OVG Lüneburg NJW 2001, 1620, 1621. 14 RegE BR-Drucks. 163/17 S. 14 f. 15 RegE BR-Drucks. 163/17 S. 15. 16 Dazu Stöber ZIP 2007, 1492  ff. Ebenso Zürcherische Aufsichtskommission, Bl.  f. Zürch. Rspr. 99 (2000) Nr. 14, S. 38, 41.

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Schweigepflicht  ­|  § 26 den einzigen wesentlichen Vermögenswert, ein Grundstück, treuhänderisch auf den Sohn zu übertragen, um das Grundstück dem Zugriff von Gläubigern zu entziehen, so wie zwei Jahre zuvor schon einmal Gesellschaftsanteile zum gleichen Zweck übertragen worden waren. Das KG sah in diesem Vortrag eine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht und des durch sie gesicherten Persönlichkeitsrechts und verneinte die Verwertbarkeit des Prozessvortrags unter Übertragung der zu den Beweisverwertungsverboten ergangenen Rechtsprechung (zweifelhaf­ tes Ergebnis). Kritisch dazu Chr.Berger MDR 2003, 970  ff. in Auseinandersetzung mit Evers NJW 2002, 3136 ff. Zu Beweisverwertungsverboten eingehend Ahrens Der Beweis im Zivilprozess, 2015, Kap. 6. (b) AG Bonn NJW-RR 2007, 355: Der Beklagte hatte als Anwalt von der klagenden Rechtsschutzversicherung einen Gebührenvorschuss erhalten, um zivilrechtliche Ansprüche des Mandanten zu verfolgen. Nach Regulierung der Angelegenheit und der Empfangnahme von Mandantengeld auf einem Fremdgeldkonto verlangte der Versicherer überzahltes Honorar zu­ rück sowie eine Abrechnung. Der Anwalt berief sich auf seine Verschwiegenheitspflicht.

477

Das AmtsG wies die Klage mangels Vorlage einer Entbindungserklärung des Versicherungs­ nehmers ab. Die Entscheidung beruht auch dann auf einer Fehlinterpretation der durch Anfor­ derung des Gebührenvorschusses erteilten ursprünglichen Entbindungserklärung, wenn man berücksichtigt, dass der Träger des Versicherungsunternehmens gewechselt hatte, wie durch Handelsregisterauszug nachgewiesen war.

4. Outsourcing, Einschaltung externer Dienstleister § 2 Abs. 3 lit. c BORA sieht in der Sozialadäquanz eine Rechtfertigung, die die Ar­ 478 beitsabläufe der Kanzlei einschließlich der Inanspruchnahme von Leistungen Dritter betrifft. Diese satzungsrechtliche Regelung hat sich als unzureichend erwiesen. Berufsgeheimnisträger sind auf die Mitwirkung anderer Personen angewiesen. So­ 479 weit sie als kanzleiinterne Mitarbeiter im Anwaltssekretariat mit Mandantengeheim­ nissen in Berührung kommen, werden sie herkömmlich als berufsmäßige Gehilfen in einem geschlossenen Geheimnisträgerkreis von der Geheimhaltungspflicht einge­ stuft. Externe Dienstleistungserbringer, die selbständig tätig sind, oder die in den Be­ trieb eines Dritten eingebunden sind, sind jedoch keine berufsmäßigen Gehilfen des Berufsgeheimnisträgers. Zahlreiche Tätigkeiten werden aus ökonomischen oder aus technischen Gründen 480 ausgelagert, oder es müssen Spezialisten z. B. für informationstechnische Leistungen hinzugezogen werden. Die Gesetzesbegründung für die Erstreckung der Geheimnis­ schutzregelung auf „mitwirkende Personen“ nennt dafür die Durchführung von Schreibarbeiten durch fremde Schreibbüros, die Verlagerung des Rechnungswesens, die externe Annahme von Telefonanrufen, die Aktenvernichtung durch gewerbliche Unternehmen, die Einrichtung und den laufenden Betrieb informationstechnischer Anlagen und Systeme, die Bereitstellung von informationstechnischen Anlagen zur externen Speicherung von Daten („Cloud“) und die Mitwirkung an der Erfüllung von Buchführungs- und steuerrechtlicher Pflichten.17 17 RegE BR-Drucks. 163/17 S. 34.

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Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege 481

§ 43e Abs. 1 BRAO-E begründet auf formell-gesetzlicher Ebene einen berufsrechtli­ chen Rechtfertigungsgrund für das Outsourcing, der von der Einwilligung des Man­ danten unabhängig ist.18 Der Zugang zu Tatsachen, die der Verschwiegenheitspflicht unterliegen, muss „erforderlich“ sein. An die Prüfung der Erforderlichkeit sollen strenge Maßstäbe angelegt werden.19 Dabei sind die Möglichkeiten der technischen Zugangsbeschränkung zu nutzen, etwa die Verschlüsselung von Daten.20

482

Ausgelagerte Dienstleistungen, die § 43e BRAO-E meint, sind mandatsunabhängige Tätigkeiten. Soll eine externe Person zur Bearbeitung eines einzelnen Mandats hinzu­ gezogen werden, etwa ein Sachverständiger, ein Detektiv oder ein Übersetzer, ist für die Beauftragung auch weiterhin die Einwilligung des Mandanten einzuholen.21

483

Der Anwalt hat die externen Dienstleister ebenso wie seine nichtanwaltlichen Mitar­ beiter über die Bedeutung der Schweigepflicht und die Strafbarkeit einer Pflichtverlet­ zung zu belehren und hat sie vertraglich in den Formen der §§ 126 und 126a BGB auf die Einhaltung der gesetzlichen Pflicht zu verpflichten. 5. Internetkommunikation

484

Streitig ist, ob es einen Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht des § 43a Abs. 2 S. 1 BRAO darstellt, wenn der Anwalt mit Mandanten per unverschlüsselter E-Mail kommuniziert, weil derartige Nachrichten unbefugt abgefangen werden können.22 Der Anwalt ist jedenfalls nicht zu einer Warnung des Mandanten vor den Risiken der Technik verpflichtet.

485

Der elektronische Verkehr mit Gerichten und Behörden unter Nutzung des besonde­ ren elektronischen Anwaltspostfachs wird über eine gesicherte Verbindung geführt (§ 15, Rn. 276).

III. Zeugnisverweigerungsrecht, Beschlagnahme- und Abhörfreiheit 1. Rechtsgrundlagen a) Strafprozessrecht 486

Mit den Vorschriften zur Verschwiegenheit und zum Geheimnisverrat korrespon­ diert das in den Verfahrensordnungen geregelte berufliche Zeugnisverweigerungs­ recht des Rechtsanwaltes (vgl. § 53 Abs. 1 Nr. 2 u. 3 StPO). Es wird durch die Bestim­ mung über die Beschlagnahmefreiheit (§ 97 Abs. 1 Nr. 1–3 StPO) ergänzt, die an das Zeugnisverweigerungsrecht anknüpfen. Damit verbunden ist, ob bzw. inwieweit An­ 18 RegE BR-Drucks. 163/17 S. 32 f. 19 RegE BR-Drucks. 163/17 S. 33 und 35. 20 RegE BR-Drucks. 163/17 S. 33. 21 RegE BR-Drucks. 163/17 S. 36. 22 Vgl. dazu Härting MDR 2001, 61, 62; Schweda NJW-aktuell 24/2016 S. 17.

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Schweigepflicht  ­|  § 26

waltskanzleien zur Sicherstellung schriftlicher oder elektronischer Unterlagen durch­ sucht werden dürfen (dazu auch § 36, Rn. 983). Das strafrechtliche Zeugnisverweigerungsrecht erstreckt sich auch auf „bekannt ge­ 487 wordene“ Tatsachen. Sie sind dem Anwalt nicht im Sinne eines Mitteilens in erkenn­ barer Erwartung des Stillschweigens anvertraut worden, sondern der Anwalt hat von ihnen in anderer Weise, jedoch in funktionalem Zusammenhang mit seiner Be­ rufsausübung Kenntnis erlangt. Abzugrenzen sind sie gegen Tatsachen, die er als Pri­ vatperson oder nur anlässlich seiner Berufsausübung in Erfahrung gebracht hat.23 Erfasst werden auch Tatsachen aus der zeitlichen Phase der Anbahnung des berufsbe­ zogenen Vertrauensverhältnisses.24 Eine akustische Wohnraumüberwachung nach § 100c StPO darf bei zur Zeugnisver­ 488 weigerung berechtigten Personen nicht durchgeführt werden (§ 100c Abs. 6 StPO). Nach §  160a Abs.  1 StPO sind Ermittlungsmaßnahmen gegen Strafverteidiger und Rechtsanwälte unzulässig, wenn sie Erkenntnisse erbringen würden, über die das Zeugnis verweigert werden dürfte; dennoch erlangte Erkenntnisse dürfen nicht ver­ wendet werden. Eine Ausnahme gilt jedoch nach § 160a Abs. 4 StPO für einige Straf­ tatbestände der zeugnisverweigerungsberechtigten Person.25 Wird ein Rechtsanwalt von Ermittlungsmaßnahmen nur betroffen, ist nach § 160a Abs. 2 StPO eine Verhält­ nismäßigkeitsprüfung anzustellen.26 Das Löschungsgebot des § 160a Abs. 1 S. 3 StPO hat Vorrang vor der Regelung des § 101 Abs. 8 StPO zur Telefonüberwachung.27 Zu­ fallsfunde dürfen nach §  108 StPO beschlagnahmt werden, jedoch dürfte §  160a Abs. 1 StPO insoweit ebenfalls Vorrang haben. Von der Schweigepflicht kann der Anwalt entbunden werden und darf dann nach 489 § 53 Abs. 2 StPO das Zeugnis nicht verweigern. Wird der Beratungsvertrag mit einer juristischen Person als Mandantin geschlossen, kann sich die Beratung gleichwohl auf deren Organmitglieder persönlich beziehen, so dass diese die Entbindungserklärung ebenfalls abgeben müssen.28 Bei der gewünschten Offenbarung wirtschaftlicher Ge­ heimnisse einer juristischen Person trifft dies aber nicht zu, so dass deren Insolvenz­ verwalter nach h. M. allein die Schweigepflichtenbindung aussprechen kann.29 Das zivilrechtliche Zeugnisverweigerungsrecht des § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO deckt sich 490 nicht völlig mit dem Anwendungsbereich des § 43a Abs. 2 BRAO. Wird ein Anwalt gem. §  158 Abs.  1 FamFG zum Verfahrensbeistand bestellt, sind dadurch erlangte 23 BGH NJW 2014, 1314 Tz. 6 m. w. N. 24 BGH NJW 2014, 1314 Tz. 8 und 10; BGH NStZ 2016, 740 Tz. 4. 25 S. dazu auch aus der Zeit vor Schaffung des § 160a StPO BVerfG NJW 2007, 2749, 2750 (zur Telefonüberwachung). 26 Zu § 160a StPO Winterhoff AnwBl 2011, 789 ff. Zu § 20u BKAG, der die Abwehr von Ge­ fahren des internationalen Terrorismus betrifft und dessen Verhältnismäßigkeitsprüfung an § 160a StPO angelehnt ist, s. BVerfG NJW 2016, 1781 Tz. 131 ff. und 257. S. auch BVerfG NJW 2007, 2752. 27 BGH NJW 2014, 1314 Tz. 12. 28 AG Bonn NJW 2010, 1390. 29 OLG Köln ZIP 2016, 331.

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Kenntnisse nicht in der spezifischen Eigenschaft als Rechtsanwalt erlangt; gleichwohl genießt er als Verfahrensbeistand das Zeugnisverweigerungsrecht.30 b) Grundrechtsbetroffenheit 491

Von einer Durchsuchung und Beschlagnahme betroffene Grundrechte sind neben Art.  13 GG31 das Recht auf ein faires staatliches Verfahren gem. Art.  2 Abs.  1 GG und  – hinsichtlich der Sicherstellung bzw. Beschlagnahme von Datenträgern mit elektronischen Dateien – das aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitete Recht auf informationelle Selbstbestimmung.32 Nur mittelbar betroffen ist die Be­ rufsausübungsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG.33

492

Anwendbar ist auch Art. 8 EMRK, der das Recht auf Achtung der Wohnung schützt (dazu § 35, Rn. 937 ff.).34 2. Durchsuchung und Beschlagnahme a) Verdacht gegen den Mandanten

493

In den Einzelheiten umstritten ist, inwieweit in Anwendung des § 97 StPO Beschlag­ nahmen stattfinden dürfen35 (vgl. auch § 148 Abs. 1 StPO). Aufzeichnungen, die in der Kommunikation zwischen Mandant und Verteidiger benutzt werden, sind auch dann von § 97 Abs. 1 Nr. 1 StPO erfasst, wenn der Anwalt für den rechtskräftig verur­ teilten Mandanten während dessen Vernehmung als Zeuge gegen einen Mittäter bei­ standleistend tätig wird, um auf der Basis der dabei gefertigten Notizen mittelbar ein Wiederaufnahmeverfahren vorzubereiten.36

494

Keineswegs darf der Rechtsanwalt Beschlagnahmen dadurch erleichtern, dass er zu beschlagnahmende Gegenstände ohne Wissen und Zustimmung des Mandanten frei­ willig zur Verfügung stellt und damit spätere Beschwerdemöglichkeiten vereitelt, oder dass er auf etwaige Rechtswidrigkeiten bei der Beschlagnahme nicht achtet und hinweist.

30 OLG Braunschweig FamRZ 2012, 1408, 1409. 31 BVerfG NJW 2008, 2422 Tz. 15; BVerfG NJW 2008, 1937; BVerfG NJW 2011, 2275 Tz. 18. 32 BVerfGE 113, 29, 47 f. = NJW 2005, 1917, 1919; BVerfG NJW 2010, 1740 Tz. 68. 33 BVerfGE 113, 29, 48 f. = NJW 2005, 1917, 1919; BVerfG NJW 2010, 1740 Tz. 15 und 64. 34 EGMR, 9.4.2009, Rs. 19856/04  – Kolesnichenko/Russland, NJW 2010, 2109; EGMR, 10.2.2009, Rs. 25198/02  – Iordachi/Moldau, NJW 2010, 2111 (Telefongespräche eines Rechtsanwalts); EGMR, 20.12.2016, Rs. 18700/09, Tz. 124 f. – Lindstrand Partners Advo­ katbyrå/Schweden, AnwBl 2017, 326 (eigenes Beschwerderecht der Anwälte). 35 Vgl. etwa LG Fulda NJW 2000, 1508; LG Bonn NJW 2002, 2261 (betr. Wirtschaftsprüfer); LG Bonn WuW/E DE-R 917 (Kartellverfahren gegen Duales System Deutschland – Der Grüne Punkt); LG Bonn WuW/E DE-R 1787 (kartellbehördliches Ordnungswidrigkeiten­ verfahren); Schuhmann wistra 1995, 50 ff.; Mehle/Mehle NJW 2011, 1639 ff.; Greven in Kar­ lsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl. 2013, § 97 StPO Rdn. 24. 36 BGH NJW 2001, 3793.

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Das BVerfG stellt detaillierte Anforderungen an die Begründung der richterlichen 495 Beschlüsse.37 Die Durchsuchung bei einer unverdächtigen Person (§ 103 StPO) stellt besondere Anforderungen an die Prüfung der Verhältnismäßigkeit.38 Durchsu­ chungsanordnungen dürfen nicht den Zugriff auf eine unübersehbare Zahl von Man­ dantenunterlagen ohne unmittelbaren Bezug zum Ermittlungsverfahren gegen einen einzelnen Mandanten ermöglichen.39 §§ 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO (Beschlagnahme sonstiger Gegenstände) 496 sollen wie § 97 Abs. 1 Nr. 1 und 2 allein das Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Berufsgeheimnisträger schützen. Wird eine Anwaltskanzlei vom Aufsichtsrat ei­ nes Unternehmens mit einer Untersuchung zu möglichen Pflichtverletzungen von Vorstandsmitgliedern beauftragt, besteht für dabei angefertigte Protokolle kein Be­ schlagnahmeverbot.40 b) Verdacht gegen den Anwalt Die Durchsuchung von Anwaltskanzleien und dort vorgenommene Sicherstellungen 497 und Beschlagnahmen kann auch auf Ermittlungsverfahren beruhen, die gegen einen Anwalt oder einen seiner Sozien als Berufsgeheimnisträger geführt werden. Das hat ebenfalls zu zahlreichen Entscheidungen des BVerfG geführt. Eine Durchsuchung muss erforderlich sein.41 Die Durchsuchung wegen einer Verkehrsordnungswidrig­ keit, gegen die sich der Anwalt mit dem Hinweis auf notwendigen Aktentransport zum Gericht verteidigt, ist unverhältnismäßig.42 Kasuistik: (a) BVerfG (Kammer) NJW 2002, 2090: Die Anwaltskanzlei war durchsucht worden, weil ein Fahrtenbuch oder Fahrtkostenabrechnungen aufgefunden werden sollten, um einen unbe­ kannten Kanzleimitarbeiter als Nutzer eines Tatfahrzeugs zu ermitteln. In der Entscheidung über die erfolglos gebliebene Verfassungsbeschwerde heißt es, dass der Schutz des Vertrauens­ verhältnisses zwischen Anwalt und Mandant nicht den Zweck hat, einen Rechtsanwalt vor Strafverfolgungsmaßnahmen zu schützen, der im Verdacht steht, bei Gelegenheit seiner Be­ rufsausübung eine Straftat begangen zu haben.

498

(b) BVerfG NJW 2005, 1917 (zuvor einstweilige Anordnung gem. § 32 BVerfGG, BVerfGE 105, 365 = NJW 2002, 2458) : Gegen den beschwerdeführenden Anwalt und Steuerberater war der Verdacht erhoben worden, an der Steuerverkürzung von Mandanten beteiligt gewesen zu sein. Beschlagnahmt worden waren bei einer Kanzleidurchsuchung Computer und Datensi­ cherungsbänder.

499

37 BVerfG NJW 2007, 1443 (Durchsuchung wegen Verdachts der versuchten Nötigung eines Strafrichters, der als früherer Rechtsanwalt den Angeklagten in einem früheren Verfahren verteidigt hatte); BVerfG NJW 2008, 2422 Tz. 16; BVerfG NJW 2008, 1937. 38 BVerfG NJW 2016, 1645 Tz. 12 f. – Fussballfan-Banner. 39 BVerfG NJW 2010, 2518 Tz. 69. 40 LG Hamburg ZIP 2011, 1025, 1027 – HSH-Nordbank. 41 Verneint in BVerfG NJW 2011, 2275 Tz.  23 (Verdacht der Gebührenüberhebung); OLG Rostock NJW 2013, 484, 485 (Berufsrechtsverstöße). 42 BVerfG NJW 2006, 3411, 3412.

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Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege Das BVerfG gab der Verfassungsbeschwerde statt. Betroffen seien das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Mandanten, gegen dessen Beeinträchtigung der Geheimnisträger recht­ lich vorgehen könne, obwohl er Mandantenrechte nicht unmittelbar im eigenen Namen geltend machen könne, weil unmittelbar Belange der Allgemeinheit betroffen seien, nämlich die Bereit­ schaft zur vertraulichen Kommunikation mit dem Anwalt. Betroffen sei ferner das Recht auf ein rechtsstaatliches faires Verfahren gem. Art. 2 Abs. 1 GG und das daraus resultierende Recht auf vertrauliche Kommunikation zwischen Rechtsanwalt als Strafverteidiger und Mandant. In Art. 12 Abs. 1 GG sei nicht eingegriffen worden, jedoch seien die Besonderheiten der mittelbar betroffenen beruflichen Tätigkeit des Anwalts als Organ der Rechtspflege zu berücksichtigen. Die Eingriffsintensität eines Datenzugriffs ergebe sich aus der überschießenden Streubreite verfah­ rensunerheblicher Daten und unbeteiligter Personen, die in Anwendung des Verhältnismäßig­ keitsprinzips zu einer regulierenden Beschränkung nötige. Versucht werden müsse eine Daten­ trennung im Stadium der Durchsicht gem. § 110 StPO, bevor über die Beschlagnahme endgültig entschieden werde. In Betracht zu ziehen sei ein ergänzendes Beweisverwertungsverbot. Zur Beschlagnahme eines Notebooks mit Verteidigungsunterlagen BVerfG (Kammer) NJW 2002, 1410.

500

(c) BVerfGE 110, 226 = NJW 2005, 1707: Gegen den Beschwerdeführer wurde ein Ermittlungs­ verfahren wegen des Verdachts der Geldwäsche geführt, weil er von der Schwester des von ihm verteidigten Mandanten ein Honorar in Höhe von 16 507 Euro erhalten hatte, das von einem von der Staatsanwaltschaft gepfändeten Konto abgehoben worden war und das aus den vom Mandanten begangenen Straftaten der Zuhälterei und des Menschenhandels stammen sollte; der ebenfalls wegen Geldwäsche verfolgten Schwester war dies bereits vorgeworfen wor­ den. Die ein Dreivierteljahr später angeordnete Durchsuchung der Kanzleiräume sollte dem Auffinden von Unterlagen zu dem Geldtransfer dienen. Der Straftatbestand der Geldwäsche – so das BVerfG – gefährde das Recht des Strafverteidigers, seine berufliche Leistung in angemessenem Umfang wirtschaftlich zu verwerten. Der Tatbe­ stand bedürfe im Hinblick auf Art. 12 I GG einer verfassungskonformen Reduktion der inneren Tatseite auf sichere Kenntnis von der Herkunft des bemakelten Geldes aus einer Katalogs­ traftat im Zeitpunkt der Empfangnahme. Für den Anfangsverdacht der Bösgläubigkeit des Verteidigers müssten angesichts der geringen Aussagekraft des objektiven Tatbestandes greifba­ re Anhaltspunkte sprechen, die der Richter eigenverantwortlich zu prüfen und im die Durchsu­ chung anordnenden Beschluss darzulegen habe. Indikatoren könnten etwa die außergewöhnli­ che Höhe eines Honorars oder die Art und Weise der Erfüllung der Honorarforderung sein.

501

(d) BVerfG NJW-RR 2005, 1289: Der frühere Mandant, der vom beschwerdeführenden Anwalt in einer Auseinandersetzung mit einer Berufsgenossenschaft vertreten worden und der an­ schließend auf Honorarzahlung verklagt worden war, hatte Herausgabe eines Bescheides der Berufsgenossenschaft aus den Handakten des Anwalts gefordert. Nach Abweisung der darauf gerichteten Zivilklage erstattete der Mandant Strafanzeige wegen Unterschlagung. Die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss zur Durchsuchung der Kanzlei hatte wegen unverhältnismäßigen Eingriffs in das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 I GG) und wegen des Eingriffs in die Daten von Nichtbeschuldigten (Art. 2 I i. V. m. Art. 1 I GG) Erfolg. Die etwaige Straftat der Unterschlagung habe angesichts der nicht erkennbaren Bedeu­ tung des Papiers nur geringes Gewicht. S. auch BVerfG NJW 2005, 3414.

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Schweigepflicht  ­|  § 26

c) Verteidigerpost, Verteidigungsunterlagen des Beschuldigten Nicht kontrolliert werden darf nach § 148 Abs. 1 StPO die Verteidigerpost an einen 502 Untersuchungshäftling. Geschützt sind aber nur Unterlagen, die unmittelbar der Vor­ bereitung der Verteidigung dienen.43 Ausgeschlossen ist auch  – vorbehaltlich der Ausnahmen nach § 148 Abs. 2 StPO – die Überwachung von Telefonaten des Beschul­ digten mit seinem selbst nicht tat- oder teilnahmeverdächtigen Verteidiger.44 Richtet sich das Strafverfahren gegen einen Strafverteidiger, dürfen dessen Schreiben an sei­ nen Mandanten im Haftraum beschlagnahmt und verwertet werden, ohne dass § 97 Abs. 1 oder § 148 StPO entgegenstehen.45 Aufzeichnungen des Beschuldigten, die seiner Verteidigung in dem gegen ihn laufen­ 503 den Strafverfahren dienen, dürfen  – über §  97 StPO hinausgehend  – nach Art.  6 Abs. 3 EMRK bzw. Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG nicht beschlagnahmt und anschließend zu seinen Lasten verwertet werden.46 3. Besonderheiten der Syndikusrechtsanwälte a) Nationales Recht Auf Syndikusrechtsanwälte finden gem. §  46c Abs.  1 BRAO die Vorschriften für 504 Rechtsanwälte Anwendung. Das schließt die Geheimhaltungspflichten und die beruf­ lichen Zeugnisverweigerungsrechte ein. Die Reform der Rechtsstellung von Syndici im Jahre 2015 hat aber erhebliche Einschränkungen der Betätigungsmöglichkeiten eingeführt. Durch § 46 Abs. 5 S. 1 BRAO ist die Befugnis zur Beratung und Vertre­ tung auf Rechtsangelegenheiten des Arbeitgebers beschränkt. § 46c Abs. 2 S. 1 BRAO engt dies für die gerichtliche Vertretung in Zivil- und Arbeitssachen noch weiter ein und Satz 2 beschränkt die Verteidigung und Vertretung in Straf- und Bußgeldverfah­ ren, die sich gegen den Arbeitgeber oder dessen Mitarbeiter richten. Dadurch verengt sich faktisch zugleich die Bedeutung der Geheimhaltungspflicht. Das strafrechtliche Zeugnisverweigerungsrecht ist Syndikusanwälten hinsichtlich dessen, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut worden oder bekanntgeworden ist, durch § 53 Abs. 1 Nr. 3 2.Hs. StPO genommen. Soweit ein Syndikusanwalt weisungsfrei arbeitet und echte Anwaltstätigkeit ausübt, 505 gilt § 97 Abs. 1 StPO auch für ihn, sofern er bei Aufbewahrung von Unterlagen in den Geschäftsräumen seines Arbeitgeberunternehmens für anwaltlichen Alleingewahr­ sam sorgt.47 Ähnlich verlangt das Schweizerische Bundesgericht eine saubere Tren­ nung von Anwaltsakten und Geschäftsakten bei Doppelfunktionen als Anwalt und als Mitglied des leitenden Organs einer Aktiengesellschaft (Verwaltungsrat), ermöglicht 43 BVerfG NJW 2010, 1740 Tz. 19 f. 44 BVerfG NJW 2012, 2791 Tz. 32. 45 BGH NJW 2009, 2690 Tz. 11 ff. m. Bespr. Ruhmannseder NJW 2009, 2647 ff.; Verfassungs­ beschwerde erfolglos, BVerfG NJW 2010, 2937 Tz. 11, dort in Tz. 17 auch zu Art. 8 Abs. 1 EMRK. 46 BVerfG NJW 1998, 1963, 1964. 47 Vgl. dazu Roxin NJW 1995, 17, 21 ff. (im einzelnen str.).

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aber zur Erfüllung der Herausgabepflicht von Gesellschaftsunterlagen an das Kon­ kursamt deren nachträgliche Trennung, notfalls durch abgedeckte Fotokopien.48 Kasuistik:

506

LG Frankfurt WM 1995, 47 f.: Der anwaltliche Verteidiger, ein Syndikusanwalt, wandte sich im eigenen Namen und im Namen des Beschuldigten gegen die richterliche Bestätigung der Beschlagnahme von Unterlagen, die in seinem Büro im Unternehmen seines Arbeitgebers sichergestellt worden waren. Er hatte die Unterlagen zeitlich nach der Mandatserteilung durch einen Mitarbeiter des Unternehmens erhalten, wie sich aus der datierten Vollmachtsurkunde ergab. Adressiert war der Übersendungsumschlag an die „Rechtsabteilung in.., z.Hd. Herrn (Rechtsanwalt) ...“ Die Unterlagen stammten aus einem anderen Geschäftsbereich des Unter­ nehmens. Die Beschwerdekammer bejahte den Zusammenhang der Übersendung mit der Mandatierung und dem Ermittlungsverfahren. Der Anwalt habe die Unterlagen in einem von ihm unter Ver­ schluss zu haltenden Schrank aufbewahrt, so dass sie ausschließlich seinem persönlichen Ge­ wahrsamsbereich zuzuordnen gewesen seien. Ein bloßes Verstecken wurde verneint, obwohl die Unterlagen schon 8 Monate unbearbeitet gelagert worden waren. Zur Verteidigertätigkeit eines Syndikusanwalts im kartellbehördlichen Ordnungswidrigkei­ tenverfahren und der Beschlagnahmefreiheit von Schriftstücken ab Eröffnung des Ermitt­ lungsverfahrens LG Bonn (29.9.2005) WuW/E DE-R 1787.

b) Unionsrecht 507

In dem spektakulären Fall „Akzo Nobel Chemicals“ hat der EuGH den Schutz der Vertraulichkeit der Kommunikation (legal priviledge) für unternehmensinternen Schriftwechsel mit Syndikusanwälten bei Aufklärung von Verstößen gegen das Uni­ onskartellrecht verneint. Die Schutzgewährung setze die Unabhängigkeit des Anwalts voraus, die bei einem Beschäftigungsverhältnis zwischen Anwalt und Mandant fehle (dazu § 16, Rn. 291 f.).49 Daran knüpfte das BSG mit seiner Entscheidung zur Ren­ tenversicherungspflicht der Syndikusrechtsanwälte an (näher dazu § 16, Rn. 293).50

IV. Honorarabtretung 1. Erfordernis ausdrücklicher Einwilligung 508

Gehäufte Rechtsprechung ist zur Zulässigkeit von Honorarabtretungen angefallen, die gem. § 402 BGB mit der Erteilung von Auskünften an den Zessionar verbunden sind. Sie ist durch vorangegangene Entscheidungen des BGH zur ärztlichen Schwei­

48 BGE 114 III 105, 108 f.; s. ferner BGE 112 I b 606. 49 EuGH v. 14.9.2010  – C-550/07 P, Slg. 2010 I-08301  =  NJW 2010, 3557 Tz.  43  f. und 56 f. = EuZW 2010, 778 m. Anm. Berrisch; Bespr. durch Moosmayer NJW 2010, 3548 ff., Schnichels/Resch EuZW 2011, 47 ff. und Mann DB 2011, 978 ff. 50 BSG NJW 2014, 2743.

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gepflicht beim Praxisverkauf und bei der Forderungszession51 vorbereitet worden. Danach soll eine stillschweigende Einwilligung des Patienten nicht bestehen; als er­ forderlich angesehen wird eine ausdrückliche Einwilligung.52 Darin liegt eine über­ zogene Reaktion auf das Volkszählungsurteil des BVerfG vom 15.12.1983 und dessen Betonung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung;53 die Zivilrechtspre­ chung hat sich verrannt. Als unwirksam ist sogar die aus prozesstaktischen Gründen erfolgte Abtretung einer Schadensersatzforderung gegen einen Werkunternehmer wegen entgangenen zahnärztlichen Gewinns angesehen worden, weil der Zessionar zum Nachweis des Schadens die Patientennamen benennen müsse.54 Kasuistik: (a) BGH NJW 1993, 1912 f.: Der klagende Rechtsanwalt hatte den geltend gemachten anwaltli­ chen Honoraranspruch von einem anderen Rechtsanwalt abgetreten erhalten und begehrte nunmehr Zahlung vom Schuldner. Der BGH wies ab. Die Abtretung von Honorarforderungen sei in der Regel nichtig, weil mit ihr zwangsläufig eine umfassende Informationspflicht nach § 402 BGB verbunden sei, die gegen § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB verstoße.

509

Ebenso BGH NJW 1993, 1638 f. = JZ 1994, 46 m. Anm. Mankowski; KG NJW 1992, 2771 f.; OLG Köln NJW 1992, 2772 f.; OLG Hamburg NJW 1993, 1335 f. In Österreich übernommen durch OGH JBl. 2001, 229, 231. (b) Anderer Ansicht: LG München I NJW 1992, 2165 f.: Die Klage eines Rechtsanwalts aus abgetretenem Anwaltshonorar hatte Erfolg. Die Offenbarung der zur Durchsetzung der Forde­ rung erforderlichen Informationen erfolge in befugter Weise. Auch ein Geheimnisträger nach § 203 Abs. 1 StGB könne seine Honoraransprüche gerichtlich geltend machen und müsse dann Geheimnisse aus dem Mandatsverhältnis offenbaren. Das sei mit der Abtretung einer Hono­ rarforderung an einen anderen Rechtsanwalt vergleichbar. Es stelle für den Schuldner einer Honorarforderung ein hinzunehmendes allgemeines Lebensrisiko dar, dass von ihm anver­ traute Geheimnisse den Bereich der an dem früheren Mandatsverhältnis beteiligten Personen verlasse, wenn er sich gegen die Forderung wende.

510

Derartige Abtretungen erfolgen u. U. zur Ermöglichung einer Zeugenaussage des ze­ 511 dierenden Rechtsanwalts. Wird die dafür notwendige Entbindung von der Schweige­ pflicht vom Mandanten verweigert, treffen den Mandanten Beweisnachteile.55 51 BGHZ (VIII.ZS) 115, 123, 125 = NJW 1991, 2955; BGHZ 116, 268, 272 = NJW 1992, 737; BGH NJW 1992, 2348, 2349; BGH NJW 1993, 2371; BGH NJW 1996, 773, 774. Kritisch dazu Berger NJW 1995, 1584 ff.; s. ferner Würz-Bergmann, Die Abtretung von Honorarfor­ derungen schweigepflichtiger Gläubiger, 1993. 52 Zur AGB-Kontrolle eines Einwilligungsformulars BGH NJW 2014, 141. Zur Erweiterung der Rechtsprechung auf die Abtretung von Provisionsansprüchen eines Versicherungsver­ treters BGH NJW 2010, 2509 Tz. 11. 53 BVerfGE 65, 1, 43 = NJW 1984, 419, 421 f. 54 BGH (X.ZS) NJW 1996, 775 f. Fortsetzung der Rspr. für Vergütungsforderungen über er­ brachte Pflegeleistungen durch OLG Hamm NJW 2007, 849, 850. Hingegen hindern das Bankgeheimnis und das BDSG nicht die Abtretung einer Darlehensforderung durch eine Bank an eine Inkassostelle, BGH NJW 2007, 2106 Tz. 18 (nur schuldrechtliche Verpflich­ tung) und Tz. 27 (§ 134 BGB unanwendbar). 55 A.A. OLG Köln NJW 1992, 2772 (weil schon die Abtretung gegen ein höherwertiges Inter­ esse des Mandanten verstoße).

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Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege

2. Forderungsinkasso, § 49b Abs. 4 BRAO 512

Die 1994 geschaffene und 2007 geänderte Regelung des § 49b Abs. 4 BRAO hat auf die überzogene BGH-Rechtsprechung reagiert und ihr für Rechtsanwälte einen Teil ihrer Schärfe genommen.56 Sie bringt die Zulässigkeit der Abtretung an einen anderen Rechtsanwalt zum Ausdruck. Der Zessionsanwalt ist nach Satz 4 zur Verschwiegen­ heit verpflichtet, obwohl zu ihm kein Mandatsverhältnis besteht. An Dritte darf nach Satz 2 eine Abtretung oder Inkassoermächtigung erfolgen, wenn eine schriftliche Ein­ willigung des Mandanten vorliegt57 oder die Forderung tituliert ist; damit wird die Forderungseinziehung durch Verrechnungsstellen ermöglicht (s. auch § 34, Rn. 897 und Rn. 917).58 Vor 2007 wurde dies praktisch dadurch vereitelt, dass zusätzlich ein vergeblicher erster Vollstreckungsversuch stattgefunden haben musste. 3. Zwangsvollstreckung gegen Verschwiegenheitspflichtige

513

Groteske weitere Folge des Rechtsprechungswandels sollten die Unpfändbarkeit we­ gen Unübertragbarkeit (§ 851 Abs. 1 ZPO) und nach einer darauf aufbauenden An­ sicht sogar ein Verbot der Forderungsangabe in einer eidesstattlichen Offenbarungs­ versicherung des Arztes (§ 807 ZPO) sein.59 Dem sind der BGH und der BFH nicht gefolgt. Honorarforderungen von Rechtsanwälten60 und Ärzten61 sind grundsätz­ lich pfändbar und gehören zur Insolvenzmasse. Die Benennung der jeweiligen (Dritt-) Schuldner aufgrund der Auskunftspflichten nach §§ 807, 836 Abs. 3 ZPO, § 97 Abs. 1 InsO betrifft keine überragend geheimhaltungsbedürftigen Daten. Bei Abwägung der jeweiligen Geheimhaltungsinteressen von Mandanten bzw. Patienten gegen die durch Art. 14 GG geschützten Befriedigungsinteressen haben die Gläubigerinteressen Vor­ rang, soweit Angaben zu den Schuldnernamen und zur Forderungshöhe für die For­ derungsdurchsetzung benötigt werden. Verwertet werden dürfen die Daten nur für die Vollstreckungsmaßnahmen.62

56 A.A. wohl Berger NJW 1995, 1406 f., der darin keine Dispensierung vom Erfordernis der Mandanteneinwilligung bei Zession an einen Rechtsanwalt sieht. 57 Dazu OLG Düsseldorf NJW 2009, 1614, 1615 (Abtretung des Vergütungsanspruchs gegen die Staatskasse); AG Karlsruhe MDR 2007, 496 (Abtretung an Verrechnungsstelle). 58 Zum vorangegangenen Streit über die Abtretung ohne Zustimmung des Mandanten BGH NJW 2007, 1196, 1197 = JZ 2007, 1057 m. Anm. Kühl. 59 So LG Memmingen NJW 1996, 793 f. 60 BGHZ 141, 173, 176 = NJW 1999, 1544, 1545 (Steuerberaterhonorar); BGH NJW-RR 2004, 54; BGH NJW 2004, 2015, 2017; BGH NJW 2010, 1380 Tz. 12; BFH NJW 2005, 1308. Zur unzulässigen Vollstreckung in das Anderkontos eines Abwicklers wegen Gläubigerforde­ rungen gegen den Rechtsanwalt OLG Nürnberg NJW-RR 2006, 1434. 61 BGH NJW 2005, 1505, 1506; BGH NJW 2009, 1603 Tz. 4; BGH NJW-RR 2011, 851 Tz. 8 und 10. 62 BGH NJW 2004, 2015, 2017; BGH NJW 2005, 1505, 1507.

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Schweigepflicht  ­|  § 26

V. Kanzleiveräußerung Erschwert wird durch die Rechtsprechung des BGH zum Erfordernis ausdrücklicher 514 Einwilligung die Veräußerung einer Anwaltspraxis. Zu ihr gehört nicht nur die ent­ geltliche Übertragung offener Honorarforderungen aus schwebenden Mandaten, sondern auch die Überlassung der zu führenden Handakten (§ 50 BRAO),63 die z. T. den Good will der Praxis repräsentieren. Hierauf ist § 134 BGB angewandt worden,64 der sich in dieser Kombination zur Grundlage eines reinen Reurechts wegen ent­ täuschter Vertragserwartungen65 entwickelt hat. Daraus erwachsen intrikate Proble­ me der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung.66 Einen Ausweg gegenüber der drohenden Anwendung des § 134 BGB i. V. m. § 203 515 Abs. 1 Nr. 3 StGB bietet die Veräußerung an einen bereits vorher als Vertreter bestell­ ten (§ 53 BRAO) oder als Mitarbeiter67 beschäftigten Rechtsanwalt. Dieser Weg wird faktisch wieder verschüttet, wenn man mit instanzgerichtlicher Rechtsprechung im Einzelfall prüfen will, zu welchen Akten der Vertreter oder freie Mitarbeiter jeweils befugten Zugang hatte.68 In Betracht kommt ferner die amtliche Bestellung des Erwerbers zum Abwickler, dem 516 alle anwaltlichen Befugnisse des früheren Rechtsanwaltes zustehen. Wird die Kanzlei aber nur aus Altersgründen aufgegeben, muss der Veräußerer den Abwicklungstatbe­ stand des § 55 Abs. 5 BRAO (Zulas­sungs­widerruf) durch Verzicht auf die eigene Zu­ lassung herbeiführen (§§ 14 Abs. 2 Nr. 4 BRAO), was zwar nach § 17 Abs. 2 S. 1 BRAO im Falle der Erlaubniserteilung durch die Landesjustizverwaltung nicht zum Verlust der Berufsbezeichnung führen muss, aber doch jegliche künftige anwaltliche Betäti­ gung ausschließt. Der Abwickler ist nach § 55 Abs. 3 BRAO berechtigt, Honorarfor­ derungen eines verstorbenen Rechtsanwalts geltend zu machen.69 Einen weiteren Weg hat der BGH gewiesen, indem er übergangsweise gebildete Schein­ 517 außensozietäten als ausreichend akzeptiert hat, die dem Erwerber ein uneinge­ schränktes Verfügungsrecht über die Akten gewähren sollen.70 Damit ist der Senat nicht nur stillschweigend von seiner Vorentscheidung zur beschränkten Aktenein­ sicht eines Vertreters71 abgerückt. Er konterkariert durch das Übergehen der Man­ danten auch den Ausgangspunkt der Anwendung des § 134 BGB i. V. m. § 203 Abs. 1 63 Sehr kritisch auch Michalski/Römermann NJW 1996, 1305, 1306  ff.; Messer Festschrift Brandner (1996), S. 715, 721 ff. 64 BGH NJW 2001, 2462, 2463 m. w. N.; KG NJW-RR 2001, 1215; OLG Naumburg NJW-RR 2002, 1285. Zur ärztlichen Patientenkartei BGH NJW 1992, 737. 65 Vgl. etwa das in BGH NJW 1996, 2087 (Steuerberaterpraxis) genannte Motiv. 66 S. dazu BGH NJW 2006, 2847; OLG Hamm NJW 2012, 1743. 67 Dazu BGH NJW 2001, 2462. 68 So KG NJW-RR 2001, 1215, 1216 (für einen Abwickler); OLG Rostock VersR 2006, 1263, 1264. Diese Rechtsprechung liegt auf der Linie von BGH (VIII. ZS) NJW 1995, 2026 (An­ waltspraxis), weicht aber von BGH NJW 2001, 2462 ab. 69 Zur Abtretung der Forderungen an ihn BGH NJW 1997, 188. 70 BGH NJW 2001, 2462, 2464 m. Bespr. Huffer NJW 2002, 1382 ff. 71 BGH NJW 1995, 2026.

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Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege

Nr. 3 StGB, indem mit stillschweigender Zustimmung der Mandanten zur Aktenein­ sicht durch Rechtsanwälte argumentiert wird, die neu aufgenommen werden. Die Rechtsprechung thematisiert im Übrigen nicht, in welchem Verhältnis das Selbstbe­ stimmungsrecht des Mandanten zum Eigentumsrecht des Freiberuflers und zu sei­ nem Recht auf Berufsfreiheit steht. Würden die einfachgesetzlichen Regelungen zur Schweigepflicht, die vom Mandantenwillen losgelöst sind (z. B. §§  43e Abs.  1, 49b Abs. 4, 55 Abs. 3 und 5 BRAO), auf die Vereinbarkeit mit dem Recht auf informatio­ nelle Selbstbestimmung überprüft und sodann gebilligt, würde dessen Verabsolutie­ rung ebenfalls einer realistischeren Sicht bei Praxis- und Kanzleiveräußerungen wei­ chen. Der österreichische OGH hat mit seiner differenzierenden Rechtsprechung von vornherein mehr Sinn für praktische Bedürfnisse gezeigt.72 Kasuistik:

518

(a) BGH (VIII.ZS) NJW 1995, 2026: Der Kläger verkaufte infolge alkoholbedingter gesund­ heitlicher Probleme seine Kanzlei an den Beklagten, der bereits früher als Rechtsanwalt tätig gewesen war, seinen Zulassungsort für die Übernahme jedoch ändern musste. Beabsichtigt war die amtliche Bestellung als Vertreter des Klägers. Die Honorarforderungen sollten ge­ sondert abgetreten werden. Der Beklagte gab die übernommene Kanzlei nach wenigen Wo­ chen wieder auf. Einige Zeit später wurde der Kläger in anderen Räumen und in einer anderen Kanzlei erneut anwaltlich tätig. Gestritten wurde um einzelne Kaufpreisteile. Der VIII. Zivilsenat sah den Vertrag wegen der mit der Abtretung der Honorarforderungen verbundenen Informationspflichten (§ 402 BGB) und der fehlenden Zustimmung der Man­ danten aus mehreren Gründen als nichtig an (§ 134 BGB; § 306 BGB a. F.; § 138 Abs. 1 BGB). Die Vertreterbestellung des Beklagten sollte den Kläger nur zur Offenbarung derjenigen Man­ dantengeheimnisse befugen, die dem Beklagten im Rahmen der Vertretertätigkeit bekannt wurden.

519

(b) BGH (IX.ZS) NJW 1995, 2915: Gestritten wurde um die Erfüllung von Gebührenforderungen, die im Rahmen eines Kanzleiübernahmevertrages abgetreten worden waren. Der Übernehmer war zuvor einige Wochen als freier Mitarbeiter und dann nach erfolgter Anwalts­ zulassung als allgemeiner Vertreter des Veräußerers tätig gewesen. Der IX. Zivilsenat nahm an, dass der Erwerber umfassende Kenntnisse der Angelegenheiten des Gebührenschuldners schon vor der Forderungsabtretung rechtmäßig erlangt hatte. Ebenso LG Bonn MDR 1995, 534, wo die Zessionarin zunächst als Referendarin und dann als Assessorin das zugrundeliegende Mandat bearbeitet hatte.

VI. Postmortale Schweigepflichtentbindung 520

Schwierigkeiten bereitet die Bestimmung des Trägers des Anwaltsgeheimnisses u. a. nach dem Tode des Mandanten.73 In kantonalen Anwaltsrechten der Schweiz findet sich die beachtenswerte Regelung, dass die Entbindung vom Anwaltsgeheimnis durch 72 So trotz gleichen Ausgangspunktes OGH JBl. 2001, 229, 231 (wegen Fortbestand des Un­ ternehmens und bloß interner Informationsweitergabe). 73 Vgl. dazu Kleine-Cosack BRAO7 § 43a Rdn. 32 m. w. N.

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Schweigepflicht  ­|  § 26

die anwaltliche Aufsichtskommission erfolgen kann, was im Übrigen auch beim Kon­ flikt mit dem Mandanten bedeutsam ist.74 Sieht man die zur Verschwiegenheitspflicht bestehenden Regelungen als spezialge­ 521 setzliche Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts an, ist die Ausge­ staltung des Geheimnisschutzes nach dem Tode des Mandanten in den Schutz des postmortalen Persönlichkeitsrechts eingebettet,75 dessen Wahrnehmung hinsichtlich ideeller Belange nicht den Erben, sondern gem. § 22 S. 3 und 4 KUG den nahen An­ gehörigen oder einem dazu eigens Berufenen zusteht.76 Eine zu erarbeitende Lösung muss verhindern, dass der Geheimnisschutz durch eine Prozesspartei bzw. einen Streitbeteiligten zu Lasten schutzwürdiger Interessen des Verstorbenen instrumenta­ lisiert wird.77

VII. Wahrung fremder Geheimnisse (Schweigepflicht des Mandanten) Untersteht der Mandant (z. B. als Arzt) einem Berufsgeheimnis, das er zur Wahrneh­ 522 mung eigener Interessen im Rahmen einer Güterabwägung durchbrechen darf, hat sich der mit der Prozessführung beauftragte Anwalt, dem das Geheimnis im Rahmen der Prozessinstruktion anvertraut wurde, an die durch den Grundsatz der Erforder­ lichkeit gezogenen Grenzen zu halten.78 Die Einbeziehung von Berufsgeheimnissen ergibt sich aus § 43a Abs. 2 S. 2 BRAO, der nicht auf die Person des Informanten ab­ stellt,79 sondern nur auf das Anvertrauen in Ausübung des Anwaltsberufes.

VIII. Datenschutz 1. Auftragsverarbeitung Nach § 43e Abs. 8 BRAO sollen Bestimmungen des Datenschutzrechts zum Schutz 523 personenbezogener Daten unberührt bleiben.80 Damit ist der Inhalt des § 2 Abs. 7 BORA in den Rang einer Parlamentsnorm erhoben worden. Das ist für die Einschal­ tung externer IT-Dienstleister bedeutsam, deren korrekte Beauftragung durch § 43e Abs. 1 BRAO ermöglicht werden soll (dazu oben Rn. 464 f.). Sie sind Auftragsverar­ beiter von Daten, für die der Anwalt verantwortliche Person ist.

74 Vgl. dazu die Erwägungen in Schwyz. Kantonsgericht SJZ 91(1995), 118. 75 So F. Bydlinski JBl. 1999, 553, 555. Wohl a. A. Bartsch NJW 2002, 861, 862 (keine Entbin­ dung durch Angehörige oder Erben). 76 BGHZ 143, 214, 226 = NJW 2000, 2195, 2199 – Marlene Dietrich; BGH NJW 2000, 2201, 2202 – Der blaue Engel; BGHZ 50, 133, 139 f. = NJW 1968, 1773, 1775 – Mephisto. 77 So zutreffend F. Bydlinski JBl. 1999, 553, 562. 78 So zum Anwaltsnotar BGH NJW-RR 2016, 754 Tz. 8. Instruktiv für das schweiz. Bankge­ heimnis SchwBG SchwJZ 91 (1995), 179. 79 Vgl. Kleine-Cosack BRAO7 § 43a Rdn. 13. 80 Zum Verhältnis zum BDSG Rüpke NJW 2008, 1121, 1122.

155

Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege 524

Im Unionsrecht sind Art. 16 und 17 der Richtlinie 95/46/EG81 in Verbindung mit der Richtlinie 2002/58/EG zu beachten, die durch die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) Nr. 2016/679/EU vom 27.4.201682 und die Richtlinie 2016/680/EU83, wei­ terentwickelt worden sind; die DSGVO wird ab dem 25.5.2018 wirksam. Zur Umset­ zung beider Unionsrechtsakte dient das Datenschutz-Anpassungs- und Umsetzungs­ gesetz (DSAnpUG-EU).84 Das BDSG tritt am 25.5.2018 außer Kraft.

525

Der EuGH hat die zitierten Normen der RL 95/46/EG auf Vorlage des BGH wegen des Forderungseinzugs von Telekommunikationsgebühren für Dritte unter Übermittlung von Verkehrsdaten ausgelegt. Die Auslegung hat über diese enge Fragestellung hinaus für die Auftragsdatenverarbeitung Bedeutung.85 Nach Art.  17 Abs.  3 RL 95/46/EG muss der Auftragsverarbeiter „auf Weisung“ des für die Verarbeitung Verantwortli­ chen handeln. Das hat der EuGH als ein Handeln „auf Anweisung und unter Kontrol­ le“ des Verantwortlichen definiert.86

526

Für die Auftragsverarbeitung von Daten treffen die Art. 24 ff. DSGVO (s. dazu auch deren Erwägungsgrund 81) detailliertere Regelungen. Sie decken sich weitgehend mit den Vorgaben des § 43e BRAO-E. Jedoch gehen die Anforderungen des Ergreifens geeigneter technischer und organisatorischer Sicherungsmaßnahmen sowie der sach­ gerechten Auswahl und Überwachung des Verarbeiters durch den Anwalt als des da­ tenschutzrechtlich Verantwortlichen (Artt. 25 Abs.  2, 28 DSGVO) wohl über die nationalen Erfordernisse hinaus. Zur Erfüllung der Verpflichtungen darf sich der An­ walt freilich auf eine Zertifizierung des Auftragsverarbeiters nach einem genehmigten Verfahren verlassen, und bei Abfassung des schriftlichen Vertrages mit dem Verarbei­ ter darf er sich auf von der EU-Kommission oder den Aufsichtsbehörden genehmigte Standardvertragsklauseln stützen (Art. 28 Abs. 5 und 6 DSGVO). 2. Auskunftspflicht gegenüber Datenschutzbeauftragten

527

Das Verhältnis zwischen anwaltlicher Schweigepflicht und Auskunftspflichten gegen­ über den Datenschutzbehörden87 war Gegenstand einer Entscheidung des KG.88 In einem Strafverfahren führte der anwaltliche Strafverteidiger zwei Briefe in die Haupt­ verhandlung ein, die ein mit dem Angeklagten im Streit lebender Zeuge an seine Hausverwaltung geschrieben hatte. Die Erlangung des Besitzes dieser Briefe hielt der Zeuge offenbar für rechtswidrig, weshalb er sich beim Berliner Datenschutzbeauf­ tragten beschwerte. Dessen an den Verteidiger gerichtetes Auskunftverlangen (§ 38 81 ABl. EG 1995 L 281, S. 31. 82 ABl. EU L 119 v.4.5.2016, S. 16. 83 ABl. EU L 119 v. 4.5.2016, S. 89. 84 RegE BR-Drucks. 110/17 v. 2.2.2017; Beschluss des BT-Innenausschusses, BT-Drucks. 18/12084. 85 Dazu Conrad/Fechtner CR 2013, 137 ff. 86 EuGH v. 22.11.2012 – C-119/12 Tz. 21 – Probst/mr.nexnet GmbH, CR 2013, 25 = NJW 2013, 989 (LS); nachfolgend BGH NJW 2013, 1092. 87 Kontrovers dazu Weichert NJW 2009, 550 ff. und Redeker NJW 2009, 554 ff. 88 KG NJW 2011, 324 m. Bespr. Wagner BRAK-Mitt. 2011, 2 ff.

156

Schweigepflicht  ­|  § 26

Abs.  3 S.  1 BDSG) kam der Verteidiger nicht nach, sondern berief sich auf seine Schweigepflicht, was zur Verhängung eines Bußgeldes (§  43 Abs.  1 Nr.  10 BDSG) führte. Das KG sah die Bestimmungen der BRAO (konkret § 43a Abs. 2) nicht als bereichsspezifische vorrangige Sonderregelung i. S. d. § 1 Abs. 3 S. 1 BDSG an. Das entspricht dem (später geschaffenen) Vorbehalt in § 43e Abs. 8 BRAO. Die gesetzliche Geheimhaltungspflicht des Anwalts soll sich nach Auffassung des KG aber gem. § 1 Abs. 3 S. 2 BDSG i. V. m. § 38 Abs. 3 S. 2 BDSG und § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB gegenüber dem Auskunftsverlangen durchsetzen. 3. Nutzung von Daten zur Mandatswerbung Erlangt ein Anwalt im Rahmen eines Mandatsverhältnisses über seinen Mandanten 528 die Daten anderer Personen (z. B. Namen und Anschriften), die einen gleichen Bera­ tungsbedarf wie der aktuelle Mandant haben, verstößt die Verwendung dieser Daten zur Werbung neuer Mandanten gegen § 28 Abs. 3 BDSG (s. auch § 29, Rn. 668).89

89 OLG Köln NJW 2014, 1820, 1821.

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§ 27 Interessenkonflikte



I. Mehrfachbekämpfung von Interessenkonflikten 1. § 43a Abs. 4 BRAO . . . . . . . . . . . 529 2. Parteiverrat, § 356 StGB . . . . . . . 534 3. Tätigkeitsverbote der §§ 45 f. BRAO a) Vorbefassung gem. § 45 BRAO . . . . . . . . . . . . . . . . 536 b) Beschränkung für Syndikusanwälte gem. § 46 BRAO . . . . 538 4. Beschränkungen der Strafverteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 5. Zulassungshindernisse . . . . . . . . 545 6. Beschränkter Unternehmensgegenstand von Rechtsanwalts­ kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . 548 7. Rechtsgebietsübergreifende Einbettung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549

II. Tätigkeitsverbot nach § 43a Abs. 4 BRAO 1. Dieselbe Rechtssache . . . . . . . . . . 552 2. Interessengegensatz . . . . . . . . . . . 556



3. Erstreckung des Verbots auf andere Anwälte . . . . . . . . . . . . . . . 559 4. Dispositionsbefugnis des Mandanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 567 5. Ergänzende Wirkung der Verschwiegenheitspflicht . . . . . . 569 6. Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen § 43a Abs. 4 BRAO a) Vertragsnichtigkeit, Honoraranspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570 b) Vertragsähnliche Haftung trotz Vertragsnichtigkeit . . . . 573 c) Weitere Wirkungen . . . . . . . . 574

III. Tätigkeitsverbote gem. § 45 BRAO 1. Tatbestände potentieller Interessenkollision . . . . . . . . . . . . 579 2. Normzweck der Inkompatibili­ tätsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . 582 3. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . 583 4. Geltungserstreckung . . . . . . . . . . 584

I. Mehrfachbekämpfung von Interessenkonflikten 1. § 43a Abs. 4 BRAO 529

§ 43a Abs. 4 BRAO bestimmt, dass der Rechtsanwalt keine widerstreitenden Interes­ sen vertreten darf.1 Es handelt sich um eine der Kardinalpflichten. Wie der Interes­ senwiderstreit zu bestimmen ist, legt die Norm nicht fest. In Übereinstimmung mit der in Deutschland herrschenden Meinung, die in manchen anderen europäischen Ländern nicht geteilt wird, geht § 3 Abs. 1 S. 1 BORA davon aus, dass der Konflikt dieselbe Rechtssache betreffen muss. § 43a Abs. 4 BRAO verpflichtet aber – anders als Art. 12 lit. c BGFA für die Schweiz – nicht ausdrücklich dazu, einen Konflikt zwischen den Interessen eines Mandanten und eigenen Interessen oder Interessen von Perso­ nen zu meiden, mit denen er privat in Beziehung steht.2

1 Statistische Angaben zur Häufigkeit bei Kilian AnwBl 2012, 495 f. 2 Dazu Aufsichtskommission Zürich Bl. f. Zürch. Rspr. 106 (2007) Nr. 24 = S. 119 (dort: Man­ dat zur Vermeidung einer Insolvenz oder einer Einzelzwangsvollstreckung in Gemälde, so­ dann eigenwirtschaftliche Aktivität); s. auch Aufsichtskommission Zürich Bl. f. Zürch. Rspr. 109 (2010) Nr. 54 = S. 213.

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Interessenkonflikte  ­|  § 27

Schutzzwecke des § 43a Abs. 4 BRAO sind nach der Gesetzesbegründung das Ver­ 530 trauensverhältnis zum Mandanten, die Wahrung der Unabhängigkeit des Rechtsan­ walts und die im Interesse der Rechtspflege gebotene Gradlinigkeit der anwaltlichen Berufsausübung.3 Die Abwehr von Interessenkonflikten wird danach mit der Siche­ rung der Unabhängigkeit des Anwalts verknüpft. Beide Schutzzwecke berühren sich, weil sie gemeinsam auf das Ziel loyaler Dienstleistungserbringung im ausschließli­ chen Interesse eines einzigen Mandanten gerichtet sind. Dieses Ziel kann sowohl durch die gleichzeitige oder sukzessive Wahrnehmung gegenläufiger Interessen für verschiedene Mandanten verfehlt werden, als auch durch Beachtung verborgen blei­ bender Eigeninteressen des Anwalts statt allein einer sachgerechten Mandatsaus­ übung. Flankiert werden die Tätigkeitsverbote durch die Verschwiegenheitspflicht (dazu 531 oben § 26, Rn. 460 ff.), die einen Wissenstransfer aus einem Mandat in ein anderes Mandat oder in die eigenwirtschaftliche Zweitbetätigung des Anwalts verbietet. Die Regeln gegen Interessenkonflikte wirken gegen das Risiko einer Berufsgeheimnisver­ letzung,4 auch wenn sie nicht den Zweck von Auffangtatbeständen zum Geheimnis­ schutz haben (s. unten Rn. 565). Aus § 43a Abs. 4 BRAO wurde vor Erlass des MediationsG abgeleitet, dass ein Rechts­ 532 anwalt im Anschluss an eine Tätigkeit als Mediator in derselben Rechtssache nicht eine der Parteien beraten oder vertreten durfte.5 Das ist nunmehr umfassender und spezialgesetzlich in § 3 Abs. 2 MediationsG geregelt. Das Tätigkeitsverbot wird auf andere Personen derselben Berufsausübungsgesellschaft oder einer Bürogemein­ schaft erstreckt (§ 3 Abs. 3 MediationsG), steht insoweit aber zur Disposition der be­ troffenen Parteien (§ 3 Abs. 4). § 43a Abs. 4 BRAO kann nicht auf Interessenkonflikte ausgedehnt werden, die sich 533 aus anderer außeranwaltlicher Tätigkeit ergeben.6 Diese Konfliktlage wird abschlie­ ßend durch die tatbestandlich geordneten Tätigkeitsverbote nach § 45 BRAO gere­ gelt. 2. Parteiverrat, § 356 StGB Die Einschränkung des § 43a Abs. 4 BRAO auf dieselbe Rechtssache ist im parallelen 534 Straftatbestand des § 356 StGB gegen Parteiverrat enthalten. Auch § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO nimmt darauf Bezug. Eine Parallelisierung der Interpretation ist rechtspolitisch 3 BT-Drucks. 12/4993 v. 19.5.1993 S. 27 a.E.; dies aufgreifend BGH NJW 2016, 2561 Tz. 6. S. dazu auch BVerfGE 108, 150 = NJW 2003, 2520, 2521; BGHZ 174, 186, 187 = NJW 2008, 1307 Tz. 12; BGH NJW 2012, 3039 Tz. 10. 4 Ebenso für die Schweiz Aufsichtskommission Zürich Bl. f. Zürch. Rspr. 109 (2010) Nr. 118  = S. 118, 119. 5 OLG Karlsruhe NJW 2001, 3197, 3198 (Vertretung im Scheidungsverfahren nach vorange­ gangenem Abschluss einer Scheidungsfolgenvereinbarung). Das war fragwürdig im Hin­ blick auf die Definition des Begriffs „Rechtssache“, vgl. dazu BGH NJW 2012, 3039 Tz. 7. 6 Vgl. dazu Knöfel NJW 2005, 6 ff.

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nicht zwingend geboten. Sie vernachlässigt für die nichtstrafrechtlichen Rechtsfolgen, dass aus den gewonnenen Einblicken in wirtschaftliche und rechtliche Unterneh­ mensstrategien von Mandanten nach einem Seitenwechsel des Anwalts Informationen zugunsten des früheren Gegners und nunmehrigen neuen Mandanten genutzt werden können, etwa bei den wiederkehrenden patentrechtlichen Auseinandersetzungen in der Telekommunikationsbranche. 535

§ 356 StGB beschreibt die Tathandlung mit einem abweichenden Wortlaut. Der An­ walt – ebenso ein anderer Rechtsbeistand – darf „bei den ihm in dieser Eigenschaft anvertrauten Angelegenheiten“ nicht beiden Parteien „durch Rat und Beistand pflichtwidrig“ dienen. Dieser sehr weite objektive Tatbestand wird durch die Bezug­ nahme auf „dieselbe Rechtssache“ wieder etwas eingeschränkt. In subjektiver Hin­ sicht erfordert § 356 StGB Vorsatz. 3. Tätigkeitsverbote der §§ 45 f. BRAO a) Vorbefassung gem. § 45 BRAO

536

Spezielle Tätigkeitsverbote benennt §  45 BRAO, der ausschließen will, dass der Rechtsanwalt in derselben Angelegenheit tätig wird, in der er bereits in anderer Funk­ tion tätig gewesen ist. Dadurch sollen Interessenkollisionen abgewehrt werden.7 Die Tätigkeitsverbote des §  45 BRAO sind aus der Sicht des anwaltlichen Berufsrechts formuliert worden. Sie können aber zusätzlich aus rechtlichen Gründen gerechtfertigt sein, die von einer Regelung für die vorbefasste Tätigkeit ausgelöst werden, etwa als Nachwirkung der notariellen Neutralitätspflicht.8

537

Die Tätigkeitsverbote des § 45 Abs. 1 und 2 BRAO werden durch § 45 Abs. 3 BRAO auf beruflich verbundene Rechtsanwälte erstreckt (dazu unten Rn. 584). Eine gleichar­ tige Erweiterung ist in § 43a Abs. 4 BRAO nicht enthalten, wird aber insoweit durch §  3 Abs.  2 und 3 BORA ausgesprochen.9 Das BVerfG hat in einem Beschluss von 2006 sogar gemeint, § 43a Abs. 4 BRAO erstrecke sich nach seinem Normzweck un­ geachtet des Wortlauts der Norm auch auf die Sozien des Anwalts,10 was rechtsme­ thodisch wenig überzeugend ist. § 3 Abs. 1 BORA greift auch die Verbote des § 45 BRAO auf, was in Verbindung mit den Erstreckungstatbeständen des § 3 Abs. 2 und 3 BORA für beruflich verbundene Rechtsanwälte eine besondere Belastung bedeutet (zu Einschränkungen im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG unten § 42, Rn. 1094).

7 BGH NJW 2011, 373 Tz. 10. 8 So zum Anwaltsnotar BGH NJW-RR 2016, 754 Tz. 8. Zur Abgrenzung der disziplinarrecht­ lichen Zuständigkeiten BGH (NotarS) NJW-RR 2013, 622 Tz. 12 ff. 9 § 3 BORA in der Neufassung von 2006 in Bezug auf die Sozienklausel als mehrfach frag­ würdig ansehend Kleine-Cosack AnwBl. 2006, 13, 14 ff. 10 BVerfG (Kammer) NJW 2006, 2469.

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Interessenkonflikte  ­|  § 27

b) Beschränkung für Syndikusanwälte gem. § 46 BRAO Für Syndikusrechtsanwälte spricht § 46 Abs. 5 S. 1 BRAO ein weitreichendes Tätig­ 538 keitsverbot aus, indem die Befugnis zur Beratung und Vertretung auf die Rechtsange­ legenheiten des Arbeitsgebers beschränkt wird. Diese Fassung hat die Norm erst mit der Syndikusnovelle von 2015 erhalten. Die bis zum 31.12.2015 geltende Regelung verbot ihm die Vertretung des Arbeitgebers (§ 46 Abs. 1 BRAO a. F.). Dass dies mit der Reform von 2015 genau entgegengesetzt geregelt und mit schwergewichtigen ab­ strakten Begriffen gerechtfertigt worden ist, zeigt die Ambivalenz und Fragwürdigkeit der die Verbote tragenden Wertungen. Die alte Regelung wurde als Ausschaltung ei­ nes Interessenkonflikts und als Sicherung der Unabhängigkeit qualifiziert,11 was sich auf das geltende Recht nicht ohne weiteres übertragen lässt. Kasuistik: BVerfG NJW 2002, 503: Die Verfassungsbeschwerdeführer sind Justitiare eines Mietervereins. Sie beraten dessen Mitglieder in Mietsachen. Die Anwaltskammer forderte sie auf, beratene Mitglieder wegen des Verbots gem. § 46 Abs. 2 Nr. 1 BRAO a. F. nicht anschließend in aus dem Beratungsgegenstand erwachsenden Rechtsstreitigkeiten zu vertreten. Der AnwGH bestätigte diese Ansicht, weil die Bf. in die Organisation des Mietervereins fest eingebunden und insoweit Weisungen unterworfen seien sowie ein festes Entgelt erhielten.

539

Das BVerfG missbilligte die Ableitung einer auf sachlichen Weisungen beruhenden Abhängig­ keit aus Organisationsstrukturen. Es fehle wegen der Personenverschiedenheit von Vertrags­ partner (Verein) und Nutznießer der Rechtsberatung (Mitglieder) an einer richtunggebenden Einflussnahme auf den Inhalt der Dienstleistung und an einer Rechenschaftspflicht. Auch bei typisierender Betrachtung fehle eine Gefahr von Interessenkollisionen.

In der Neufassung bewirkt §  46 BRAO einen Schutz der Rechtsanwälte vor uner­ 540 wünschter Konkurrenz. Für eine Sicherung der fachlichen Unabhängigkeit des Syndi­ kusrechtsanwalts besteht am ehesten im Verhältnis zum Arbeitgeber ein Bedürfnis. Sie wird in diesem Rechtsverhältnis aber bereits durch § 46 Abs. 4 S. 2 BRAO bewirkt, wonach sie vertraglich und tatsächlich gewährleistet sein muss. 4. Beschränkungen der Strafverteidigung Für den Anwalt als Strafverteidiger besteht gem. §§ 146, 146a Abs. 1 S. 1 StPO ein 541 Verbot der Mehrfachverteidigung (s. auch § 33, Rn. 846). Auch diese Norm hat zum Hintergrund, dass Interessenkonflikte ausgeschlossen werden sollen.12 Das Verfah­ rensrecht statt der BRAO trifft die Regelung, weil die nichtanwaltlichen Verteidiger einbezogen werden mussten. Das Verbot gilt nicht nur für den Wahlverteidiger, der gem. § 146a StPO zurückzu­ 542 weisen ist, sondern auch für Pflichtverteidiger. Grundsätzlich ist eine sukzessive Mehrfachverteidigung nicht verboten; sie begründet nur eine abstrakte Gefahr einer 11 Nur die Unabhängigkeit benennend BGHZ 141, 69, 75 = NJW 1999, 1715, 1716. S. auch AnwG Köln NJW-RR 2014, 1528, 1529. 12 BVerfGE 45, 354, 358; BVerfG (Kammer) NJW 2016, 2099 Tz. 23.

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Interessenkollision. Droht die konkrete Gefahr eines Konflikts, liegt ein wichtiger Grund i. S. d. §  142 Abs.  1 S.  3 StPO vor, der eine Pflichtverteidigerbestellung aus­ schließt oder zurückzunehmen gebietet.13 543

Ist der Rechtsanwalt an der Tat, die Gegenstand eines strafrechtlichen Verfahrens ist, selbst beteiligt, oder ist er der Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei verdäch­ tig, ist er gem. § 138a Abs. 1 Nr. 1 und 3 StPO in einem gesonderten Verfahren (§ 138c StPO) durch gerichtliche Anordnung auszuschließen. Dasselbe gilt nach § 138a Abs. 1 Nr. 2 StPO, wenn der Verteidiger Besuche in der Justizvollzugsanstalt zu Straftaten oder einer Gefährdung der Anstaltssicherheit missbraucht. Gem. § 46 Abs. 1 OWiG sind diese Vorschriften auch im Bußgeldverfahren anzuwenden. Das förmliche Aus­ schließungsverfahren ist auf Pflichtverteidiger ebenfalls anzuwenden.14 Kasuistik:

544

LG Hamburg NStZ 2001, 277: Der Anwalt war als Verteidiger eines Mandanten im Bußgeld­ verfahren tätig geworden, obwohl er nach § 138a Abs. 1 Nr. 1 StPO auszuschließen gewesen wäre. Der Mandant begehrte Erstattung der angefallenen Anwaltsgebühren nach §  464a Abs. 2 Nr. 2 StPO. Das LG verneinte die Erstattungsfähigkeit wegen Nichtigkeit des Anwaltsvertrages nach § 134 BGB. Wie im Falle des Verstoßes gegen § 146 StPO komme es dafür nicht auf einen vorherigen förmlichen Verteidigerausschluss an.

5. Zulassungshindernisse 545

Interessenkonfliktabwehr hat das Zulassungsrecht mit dem Versagungsgrund des § 7 Nr. 8 BRAO (erwerbswirtschaftlicher Zweitberuf) im Auge, der durch den entspre­ chenden Widerrufsgrund des § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO ergänzt wird (dazu eingehend oben § 17, Rn. 313 ff., ferner § 12, Rn. 233 ff.). Dort wird die Inkompatibilität der An­ waltszulassung mit einem Zweitberuf wegen der möglichen Gefährdung des Vertrau­ ens in die anwaltliche Unabhängigkeit und der Unvereinbarkeit mit der Stellung als Organ der Rechtspflege geregelt. Die Rechtspraxis sieht darin eine abstrakte Abwehr von Interessenkollisionen, die aufgrund der Tätigkeit im Zweitberuf nach dessen konkreter oder typischer Aufgabenstellung eintreten könnten. Es geht dabei um die mit der Lebenserfahrung begründete Befürchtung, dass aus der Anwaltstätigkeit er­ langtes Wissen unerlaubt ausgenutzt oder dass der Beratungsvertrag nicht loyal er­ füllt werden könnte.

546

Diese Regelung ist von § 43a Abs. 4 BRAO und § 45 BRAO abzugrenzen. Eine zweit­ berufliche erwerbswirtschaftliche Tätigkeit rechtfertigt die Versagung der Anwaltszu­ lassung nur, wenn sich die Gefahr einer Interessenkollision deutlich abzeichnet und ihr nur mit einer Berufswahlschranke begegnet werden kann.15 Anders als bei § 43a 13 BGH NJW 2003, 1331, 1332 (darauf erfolgreich gestützte Revision). 14 OLG Bamberg wistra 2016, 288. 15 BVerfGE 87, 287, 330 = NJW 1993, 317, 321 a.E.; BGH NJW 2004, 212; BGH NJW 2016, 2561 Tz. 22 f.

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Interessenkonflikte  ­|  § 27

Abs. 4 BRAO kommt es nicht auf die Vermeidung eines Konflikts in einer einzelnen Lebenssituation an, sondern auf den generellen Ausschluss von Konfliktlagen auf­ grund einer typisierenden prognostischen Bewertung. § 45 BRAO hat mit der Berufswahlbeschränkung gemein, dass Pflichtenkollisionen 547 abgewehrt werden sollen, die aus der Ausübung eines Zweitberufs resultieren, jedoch werden – weniger einschneidend – nur Tätigkeitsverbote für einzelne tatbestandlich fixierte Konfliktlagen ausgesprochen. 6. Beschränkter Unternehmensgegenstand von Rechtsanwalts­ kapitalgesellschaften § 59c Abs. 1 BRAO lässt die rechtliche Beratung und Vertretung durch eine GmbH zu, 548 wenn deren Satzung auf die Erbringung von Rechtsdienstleistungen gerichtet ist. Der BGH hat bisher offengelassen, ob daraus abzuleiten ist, dass der Kapitalgesellschaft die Ausübung sonstiger Tätigkeiten untersagt ist.16 Eine begrenzte Zulassung würde der Wertung des § 7 Nr. 8 BRAO in der Auslegung durch die aktuelle Rechtspraxis entsprechen. Aus einer Überschreitung des zulässigen (gegebenenfalls beschränkten) Gesellschaftszwecks würde keine Nichtigkeit verbotswidrig geschlossener Verträge folgen.17 7. Rechtsgebietsübergreifende Einbettung Eine Gesamtuntersuchung zur Behandlung von Interessenkonflikten im deutschen 549 Privatrecht bei bestehender Pflicht zur Wahrung von Fremdinteressen hat Kumpan im Jahre 2014 vorgelegt.18 In den Gesamtzusammenhang der dabei verfolgten Zwe­ cke und Regelungstechniken eingebettet ist der Konflikt zu betrachten, in den der Rechtsanwalt geraten kann. Die Regelung von Interessenkonflikten dient dem Schutz vor illoyaler Interessenwahrnehmung. Sie kann aber zusätzlich auch den übergeord­ neten Zweck verfolgen, die Unabhängigkeit des Interessenwahrers zu sichern, damit die Integrität wesentlicher Institutionen des Gemeinwesens geschützt wird.19 Interessenkonflikte lassen sich in abstrakte und konkrete Konflikte einteilen.20 Eine 550 abstrakte, formal-typisierende Betrachtung ohne Berücksichtigung des Einzelfalles wirkt präventiv und gewährleistet Rechtssicherheit, muss aber das Überschießen ei­ nes Verbots im Einzelfall in Kauf nehmen.21 Die Anknüpfung an einen typisierenden

16 BGH NJW 2016, 2561 Tz. 33; vgl. auch BGH NJW 2011, 3036 Tz. 9 (zur Rechtsanwalts GmbH & Co. KG). 17 BGH NJW 2016, 2561 Tz. 34. 18 Kumpan Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, 2014. 19 Kumpan a. a. O. S. 144, 157. Zur Unabhängigkeit speziell des Rechtsanwalts a. a. O. S. 158 ff., dabei zwischen § 43a Abs. 1 und Abs. 4 BRAO differenzierend. 20 Kumpan a. a. O. S. 41. 21 Kumpan a. a. O. S. 128, 622.

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Tatbestand lässt sich leichter umsetzen und kontrollieren als die Erforschung einer möglichen Pflichtverletzung in einem konkreten Konflikt (s. dazu auch § 3, Rn. 63).22 551

Weitere Systematisierungskriterien werden durch die Stichworte Konfliktoffenle­ gung, Konfliktvermeidung und Konfliktlösung bestimmt. Sie stufen die Eingriffstiefe unter dem Gesichtspunkt des Übermaßverbotes ab. Ungefragte Offenbarungen über­ winden die Informationsasymmetrie und ermöglichen dem Geschäftsherrn, selbst Schutzmaßnahmen zu ergreifen.23 Erscheint Selbstschutz nicht ausreichend, ist der Konflikt zu vermeiden, was in der schwächsten Ausprägung durch organisatorische Anforderungen wie z. B. das Errichten von Chinese walls oder durch besondere Kon­ trollmechanismen geschehen kann, in der strengsten Form durch Handlungsverbo­ te.24 Konfliktlösungen nach entstandenem Konflikt reichen, abhängig von der Schwe­ re des Konflikts, über prozedurale Vorgaben wie die Anwendung des Prioritätsprinzips bis zur Niederlegung eines Auftrags und zu weiteren Sanktionen.25

II. Tätigkeitsverbot nach § 43a Abs. 4 BRAO 1. Dieselbe Rechtssache 552

In § 43a Abs. 4 BRAO wird als weiteres Tatbestandsmerkmal hineingelesen, dass der Konflikt aus derselben Rechtssache resultieren müsse (zuvor Rn.  529  ff. und 534). Rechtssache kann jede Angelegenheit sein, die zwischen mehreren Beteiligten nach Rechtsgrundsätzen behandelt und erledigt werden soll.26

553

Unter derselben Rechtssache ist ein innerlich zusammenhängendes, einheitliches Le­ bensverhältnis zu verstehen.27 Er wird durch die notwendige einheitliche rechtliche Beurteilung des Tatsachenstoffs und die an ihm beteiligten Personen konstituiert. Sachverhaltsidentität ist nicht erforderlich; eine teilweise sachlich-rechtliche Deckung der übernommenen Mandate reicht aus.28

554

Die Einheitlichkeit des Lebenssachverhalts ist im Einzelfall schwierig zu beurteilen.29 Maßgebend soll der sachlich-rechtliche Inhalt der anvertrauten Angelegenheit sein, auch wenn das materielle Interesse Gegenstand verschiedener Ansprüche oder Ver­ fahren ist.30 Ein Indiz kann sein, dass erlangtes Wissen doppelt verwertet werden 22 Kumpan a. a. O. S. 152. 23 Kumpan a. a. O. S. 127, 230. 24 Kumpan a. a. O. S. 127, 231 ff. 25 Kumpan a. a. O. S. 127, 240 ff. 26 BGH NJW 2012, 3039 Tz. 7. 27 BGH NJW 2011, 373 Tz. 11 unter Bezugnahme auf die Strafrechtsprechung zu § 356 StGB; Kumpan a. a. O. S. 387. 28 BGH NJW 2013, 1247 Tz. 9 (gegenläufige Beratungspflichten gegenüber Pflichtteilsberech­ tigten und Nachlassschuldner). 29 Beispiele erörtert Offermann-Burckart AnwBl 2009, 729, 730  ff. und AnwBl. 2011, 809, 810 ff. Speziell zur einverständlichen Scheidung Schulz AnwBl 2009, 743 ff. 30 BGH NJW 2012, 3039 Tz. 7.

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Interessenkonflikte  ­|  § 27

könnte, was aber für sich genommen nicht ausreicht und die Erfassung der Einheit­ lichkeit eines historischen Lebenssachverhalts auch zeitlich zu weit ziehen würde. Rechtlich fragwürdig ist es, die Beschränkung eines verbotenen Interessenwider­ 555 streits auf die Vertretung in derselben Rechtssache dadurch auszuhebeln, dass die zeit­ gleiche Wahrnehmung von Mandaten für und gegen den Mandanten durch unter­ schiedliche Anwälte derselben Sozietät als Störung des Vertrauensverhältnisses angesehen wird, das dann zur Kündigung des Anwaltsvertrages wegen vertragswidri­ gen Anwaltsverhaltens gem. § 628 Abs. 1 S. 2 BGB berechtigen soll, was wiederum den Verlust des bisherigen Honoraranspruchs nach sich ziehen kann (dazu §  43, Rn. 1193 f.).31 2. Interessengegensatz Ob eine anwaltliche Tätigkeit widerstreitende Interessen gegnerischer Parteien be­ 556 trifft, ist ebenfalls nicht ohne Komplikationen zu beurteilen. Streitig ist, ob die Inter­ essen aus der Sicht eines vernünftigen Dritten zu bestimmen sind, oder ob bzw. in welchem Grad die subjektive Sicht der Parteien den Ausschlag gibt.32 Für eine rein objektive Bestimmung hat sich der BGH ausgesprochen.33 Gleichwohl will er wegen der Beurteilung nach den konkreten Umständen des Einzelfalles die konkrete Ein­ schätzung der betroffenen Mandanten hinsichtlich ihrer Interessen berücksichtigen; sie könne nicht abstrakt und verbindlich von Rechtsanwaltskammern oder Gerichten festgelegt werden.34 Das versteht der BGH als die Notwendigkeit, statt eines lediglich latenten Interessenkonflikts einen konkreten Konflikt feststellen zu müssen, was wie­ derum im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG eine Beachtung des Übermaßverbots be­ deute.35 Für die Einbeziehung der Sicht der Parteien spricht, dass sie es sind, deren Interessen gewahrt werden sollen.36 Jedoch muss es eine Grenze der Außerachtlas­ sung von Unvernunft und Verständnislosigkeit für komplexe Rechtslagen geben.37 Bei der Wahrnehmung gleichgerichteter Interessen ist zu bedenken, dass sich eine Lebenslage im Zeitablauf zu einer Interessenkonkurrenz ändern kann. 31 So aber BGH NJW 1985, 41, 42: Pflicht zur vorherigen Informierung des Mandanten ange­ nommen, Besonderheit des Sachverhalts waren herabsetzende Äußerungen über den Man­ danten („keinerlei Sachkunde“); ebenso BGH NJW 2008, 1307 Tz. 13 und 22 = JZ 2008, 689 m. krit. Anm. Grunewald und Bespr. Henssler/Deckenbrock NJW 2008, 1275 ff.; dem BGH zustimmend Kumpan Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 388. Unter Beru­ fung auf den BGH ohne Würdigung der Fallbesonderheiten OLG Frankfurt NJW 2016, 1599 Tz. 7 und 10 m. krit. Bespr. Offermann-Burckart NJW 2016, 1552 ff.: betr. Scheidungs­ verfahren und Verkehrsunfallabwicklung. 32 Dazu mit Nachweisen Offermann-Burckart AnwBl 2008, 447, 448 ff. und NJW 2010, 2489, 2490; s. auch KG NJW 2008, 1458, 1459. 33 BGH (AnwS) NJW 2012, 3039 Tz. 10 und 12 m. krit. Bespr. Henssler/Deckenbrock NJW 2012, 3265, 3267 ff. und Henssler AnwBl 2013, 668, 671 f. 34 BGH NJW 2012, 3039 Tz. 14. 35 BGH NJW 2012, 3039 Tz. 14. 36 Kumpan Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 30. 37 Ähnlich Offermann-Burckart AnwBl 2011, 809, 816; dort S. 817 ff. zu instruktivem Fallma­ terial.

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Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege 557

Ein Interessenkonflikt, der zur Niederlegung des Mandats führen würde, kann nicht dadurch provoziert werden, dass dem gegnerischen Prozessbevollmächtigten der Streit verkündet wird.38 Kasuistik:

558

LAG Köln NZA-RR 2001, 253: Der Betriebsrat eines Unternehmens begehrte vom Arbeitgeber Erstattung der Kosten, die für anwaltliche Vertretung in einem Verfahren auf Ersetzung der Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung seines Vorsitzenden angefallen waren. Der Anwalt war bereits zuvor von dem betroffenen Betriebsratsvorsitzenden für dasselbe Verfah­ ren mandatiert worden. Das LAG bejaht wegen eines strukturellen Gegensatzes der Interessen von Betriebsrat und Mitglied einen Konflikt i. S. d. § 43a Abs. 4 BRAO und sah deshalb den Anwaltsvertrag zwi­ schen Betriebsrat und Anwalt gem. § 134 BGB als nichtig an. Trotz unterschiedlicher Motivationen derartiger Mandanten einen Interessengegensatz vernei­ nend BAG NJW 2005, 921, 922 m. Bspr. Kleine-Cosack AnwBl. 338 ff.

3. Erstreckung des Verbots auf andere Anwälte 559

§ 45 Abs. 3 BRAO erstreckt die Tätigkeitsverbote des § 45 Abs. 1 und 2 BRAO auf die Sozien des von dem Konflikt betroffenen Rechtsanwalts und auf die in sonstiger Wei­ se – etwa im Rahmen einer Bürogemeinschaft – mit ihm verbundenen oder verbun­ den gewesenen Rechtsanwälte. §  43a Abs.  4 BRAO kennt eine solche Erweiterung nicht. Für eine Analogie innerhalb des formellen Gesetzes fehlt es an der Vorausset­ zung einer Gesetzeslücke; die weitere Verfeinerung hat der Gesetzgeber dem Sat­ zungsgeber überlassen.39 § 3 Abs. 1 S. 1 BORA wiederholt das Verbot des § 43a Abs. 4 BRAO; § 3 Abs. 2 S. 1 BORA erweitert es dann auf Angehörige derselben Berufsaus­ übungsgesellschaft oder Bürogemeinschaft „gleich welcher Rechts- oder Organisati­ onsform“. §  3 Abs.  3 BORA nimmt eine nochmalige Erstreckung vor, diesmal auf Angehörige einer Berufsausübungs- oder Bürogemeinschaft, in die der vom Konflikt betroffene Anwalt hineinwechselt. Von beiden Formen der Erweiterung können die betroffenen Mandanten – wenig lebensnah40 – Befreiung erteilen, was wiederum mit den Schutzzwecken gedanklich kaum vereinbar ist. Sachgerechte Ergebnisse im Hin­ blick auf Art. 12 Abs. 1 GG lassen sich damit nicht erzielen.

560

Die Systematik des § 3 BORA beruht auf der Unterscheidung zwischen dem mit der Sache befassten und dem mit ihr nicht befassten Anwalt. Wie § 43a Abs. 1 BRAO gilt § 3 Abs. 1 BORA nur für den Einzelanwalt, der mit der Sache befasst ist oder war. § 3 Abs. 2 BORA bindet dann auch die Sozietätsmitglieder des mit der Sache befassten Anwalts, obwohl sie an der Bearbeitung nicht beteiligt waren, weil der Informations­ 38 BGH NJW 2013, 1078 Tz. 15. Zur Zulässigkeit der Streitverkündung an den Anwaltsgegner BGH VersR 2011, 687 Tz. 14. 39 Ebenso Maier-Reimer NJW 2006, 3601, 3602 und 3603. A.A. Kumpan Der Interessenkon­ flikt im deutschen Privatrecht, S. 400. 40 Die Befreiungsmöglichkeit wird allerdings gelegentlich praktiziert, dazu Kilian AnwBl 2012, 597 f.

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Interessenkonflikte  ­|  § 27

fluss leicht herstellbar ist. § 3 Abs. 3 BORA gilt nur für den von § 3 Abs. 1 BORA er­ fassten Anwalt, der mit der Sache befasst war. Wechselt er die Sozietät, erstreckt sich das Verbot auch auf seine neuen Sozien. Hingegen gilt dies nicht, wenn ein Anwalt, der vom Verbot nur kraft des § 3 Abs. 2 BORA betroffen war, in eine neue Sozietät wechselt.41 Stellt sich der Konflikt erst nachträglich heraus, müssen sämtliche parallel oder zeit­ 561 lich versetzt laufenden Mandate niedergelegt werden (§ 3 Abs. 4 BORA). Die Vermei­ dung dieser Situation setzt in Büros mit einer Vielzahl von Rechtsanwälten erhebli­ chen vorsorgenden Organisationsaufwand voraus, der in überörtlichen Sozietäten noch einmal gesteigert ist. Es müssen dafür nicht nur Mandantenlisten, sondern auch Gegnerlisten geführt werden. Den Kanzleiwechsel hatte der BGH erheblich erschwert, indem er aus § 43a Abs. 4 562 BRAO und dessen Verfeinerung durch § 3 Abs. 3 BORA den Zwang zur weitreichen­ den Mandatsniederlegung durch die gesamte neue Sozietät ableitete.42 Dies sollte auch für einen Scheinsozius der früheren Sozietät gelten. Der BGH hat dem Ver­ trauen in die Integrität der Rechtspflege den Vorrang vor den beruflichen Entwick­ lungsmöglichkeiten des Wechslers eingeräumt. Gemessen am Wortlaut des Rege­ lungsgehalts des § 43a Abs. 4 BRAO und unter Berücksichtigung der weitergehenden Regelung des § 45 Abs. 3 BRAO, also eines formellen Gesetzes, stellt dies eine unzu­ lässige Rechtsfortbildung des Regelungsgehalts des §  43a Abs.  4 BRAO durch Sat­ zungsrecht dar. Der Sicht des BGH ist das BVerfG nicht gefolgt, soweit der wechselnde Anwalt weder 563 in der bisherigen, noch in der neuen Kanzlei mit der Betreuung konkret betroffener Mandate befasst war. § 43a Abs. 4 BRAO müsse angesichts zunehmender Anwaltsmo­ bilität wegen der Berufsausübungsfreiheit wortlautgemäß auf den Einzelanwalt bezo­ gen werden.43 Für die Vermeidung der Verletzung widerstreitender Interessen kom­ me es auf konkret erkennbare Gefährdungen an, nicht aber auf die Vermutung oder den Anschein pflichtwidrigen Verhaltens.44 Zu treffen sei eine Einzelfallentscheidung unter Berücksichtigung konkreter Mandanteninteressen. Über den Einzelanwalt hin­ ausreichende Verbote seien unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit auszu­ tarieren,45 wofür entscheidend ist, welcher Informationsfluss zwischen den Rechts­ anwälten nach Organisation und Ausgestaltung ihrer Rechtsbeziehungen im Einzelfall stattfindet.46 41 Maier-Reimer NJW 2006, 3601, 3604; Deckenbrock AnwBl 2009, 170, 175 f. Diese Rechtsla­ ge wurde vom LG Karlsruhe übersehen, AnwBl 2017, 91 = BeckRS 2016, 20274 (jedoch im Ergebnis richtig entschieden). 42 BGH NJW 2001, 1572, 1573; aufgehoben durch BVerfGE 108, 150 = NJW 2003, 2520, nach vorangegangener einstweiliger Anordnung in NJW 2001, 1562, dazu Kleine-Cosack AnwBl. 2003, 539 ff. und Kilian BB 2003, 2189 ff. 43 BVerfG NJW 2003, 2520 f. 44 BVerfG NJW 2003, 2520, 2522. 45 BVerfG NJW 2003, 2520, 2522. 46 BVerfG NJW 2006, 2469, 2470 m. Bespr. Saenger/Riße MDR 2006, 1385 ff.

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Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege 564

Ebenfalls einer durch Art. 12 Abs. 1 GG gebotenen interpretatorischen Einschrän­ kung bedarf § 3 Abs. 3 BORA, soweit er die Auslegung zulässt, dass nicht der vom Ursprungskonflikt betroffene Anwalt des § 3 Abs. 1 S. 1 BORA die Kanzlei wechselt, sondern ein Anwalt, für den als Angehörigen derselben Kanzlei die Erstreckung des § 3 Abs. 2 S. 1 BORA gilt.47

565

Verfassungswidrig dürfte auch die Erstreckung des Tätigkeitsverbots durch § 3 Abs. 2 S. 1 BORA auf Mitglieder einer Bürogemeinschaft sein. Teilhaber einer Bürogemein­ schaft übernehmen nicht gemeinsam ein Mandat. Das Verbot der Wahrnehmung wi­ derstreitender Interessen darf auch nicht als Tatbestand zur vorbeugenden Abwehr künftiger Schweigepflichtverletzungen interpretiert werden, weil die Gelegenheit be­ stehen könnte, widerrechtlich in fremde Handakten Einblick zu nehmen (s. auch oben Rn. 531).48

566

§ 3 BORA gilt nicht für den Wechsel nichtanwaltlicher Mitarbeiter wie Referendare oder Assessoren, desgleichen nicht für Anwälte mit ausländischer Zulassung aus in­ ternationalen Sozietäten. 4. Dispositionsbefugnis des Mandanten

567

Das Einverständnis der Mandanten schließt die Geltung des Verbots nicht aus, weil nicht nur der Schutz des Mandanten, sondern auch der Schutz von Allgemeininteres­ sen bezweckt ist. § 43a Abs. 4 BRAO steht also nicht zur Disposition der Mandan­ ten.49 Der Wille der Parteien bestimmt allerdings mit darüber, ob ein Interessenge­ gensatz besteht.50

568

Diese Auslegung folgt vermeintlich den vom Gesetzgeber formulierten Normzwe­ cken. Überzeugend ist die Annahme eines über den Mandantenschutz hinausrei­ chenden Interesses jedoch nicht; die Normzwecke werden hinsichtlich der daraus folgenden Ergebnisse fehlgedeutet. Das Konfliktverbot ist ein Instrument zur Siche­ rung der Loyalitätspflicht des Anwalts gegenüber seinem Mandanten.51 An deren Beachtung besteht zwar auch ein Interesse der Allgemeinheit, weil davon die Struktur der Rechtspflege betroffen ist und deshalb der Schutz nicht allein dem Vertragsrecht überlassen bleiben kann. Das so definierte Interesse der Allgemeinheit deckt sich aber inhaltlich mit dem Mandanteninteresse und begründet keine zusätzlichen Pflichten 47 AnwGH München NJW 2012, 2596, 2598 (mit zutreffendem Hinweis auf den durch die Fluktuation innerhalb der Anwaltschaft eintretenden „Schneeballeffekt“). Kritisch auch Henssler AnwBl 2013, 668, 674. S.  dazu ferner Kumpan Der Interessenkonflikt im deut­ schen Privatrecht, S. 408 ff. 48 Zutreffend gegen diese Deutung Deckenbrock NJW 2008, 3529, 3532; Deckenbrock AnwBl 2009, 170, 177. 49 BVerfG NJW 2003, 2520, 2521; BGH NJW 2016, 2561 Tz. 12; AnwGH München NJW-RR 2005, 1225, 1226; BAG NJW 2005, 921, 922. S. auch Kumpan Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 130. 50 Henssler NJW 2001, 1521, 1522; Kleine-Cosack AnwBl. 2005, 338, 339. Für eine noch wei­ tergehende Einschränkung des Verbots wohl Grunewald AnwBl. 2005, 437 ff. 51 So für die Schweiz Schiller SJZ 109 (2013), 576, 578.

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Interessenkonflikte  ­|  § 27

des Anwalts, die mit dem Schutz des Mandanten konkurrieren oder ihn übersteigen. Deshalb müsste die Entbindung durch den Mandanten zulässig sein. Das Berufsrecht muss auch an dieser Stelle von abstrakten Begriffen ohne präzise inhaltliche Vorstel­ lungen entschlackt werden. 5. Ergänzende Wirkung der Verschwiegenheitspflicht Auch bei fehlendem rechtlichen Interessengegensatz kann die Verschwiegenheits­ 569 pflicht (§ 43a Abs. 2 BRAO) ein Hindernis bilden.52 Chinese Walls kann es bei Gel­ tung eines Mandats für alle Angehörigen einer Gesellschaft jedenfalls an demselben örtlichen Kanzleistandort nicht geben. 6. Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen § 43a Abs. 4 BRAO a) Vertragsnichtigkeit, Honoraranspruch Der Verstoß gegen § 43a Abs. 4 BRAO zieht ebenso wie der Verstoß gegen Einzelvor­ 570 schriften, die bestimmte Interessenkollisionen ausschließen sollen, regelmäßig die Anwendung des §  134 BGB und damit die Nichtigkeit des Anwaltsvertrages nach sich.53 Der Anwalt hat daher keinen vertraglichen Vergütungsanspruch nach RVG, und zwar selbst dann nicht, wenn die Beratung für den Mandanten nutzbar bleibt.54 Das wirkt sich auf die Anwendung von Kostenerstattungsvorschriften aus. Macht man zusätzlich ein Verschulden zur Voraussetzung,55 kann es in den Erstreckungs­ fällen des § 3 Abs. 2 BORA an diesem subjektiven Erfordernis fehlen; Nachforschun­ gen nach etwaigen Mandaten, die von ehemaligen Sozien für Gegner wahrgenommen wurden, sind nicht anzustellen.56 In Betracht zu ziehen ist allerdings ein bereicherungsrechtlicher Vergütungsanspruch, 571 wenn der Verstoß gegen §  43a Abs.  4 BRAO nur fahrlässig begangen wurde, weil § 817 S. 2 BGB dann nicht anwendbar ist.57 Der Höhe nach ist der Bereicherungsan­ spruch auf die übliche, die angemessene oder die vom Vertragspartner ersparte Ver­ gütung gerichtet, die wiederum in erster Linie nach dem RVG zu bemessen ist.58

52 Dazu Henssler NJW 2001, 1521, 1523; Kleine-Cosack AnwBl. 2003, 539, 546; Offermann-Burckart AnwBl. 2005, 312, 318; Cornelius Festschrift Bartenbach S. 3, 8 ff. 53 BGH NJW 2016, 2561 Tz. 12. 54 BGH NJW 2016, 2561 Tz. 11; KG NJW 2008, 1458, 1459 (gespaltene Honorarforderung). 55 So LG Karlsruhe AnwBl 2017, 91 = BeckRS 2016, 20274. 56 LG Karlsruhe AnwBl 2017, 91 (Entscheidung wäre jedoch statt dessen mit Unanwendbar­ keit des § 3 Abs. 2 BORA zu begründen gewesen). 57 BGH NJW 1999, 1715, 1717; BGH NJW 2011, 373 Tz. 20 (jedoch nicht aus GoA); Deckenbrock Anm. zu BGH NJW 2016, 2561, AnwBl 2016, 595; Deckenbrock AnwBl. 2010, 221, 226. 58 BGH NJW 2011, 373 Tz.  19. Im Widerspruch dazu ders. Senat, BGH NJW 2013, 3725 Tz. 14.

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Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege 572

Sind beide Mandate schon abgerechnet, kommt eine Rückabwicklung beider Vergü­ tungszahlungen in Betracht, wenn der Rechtsgedanke des §  654 BGB angewandt wird, wonach ein Entgeltanspruch im Falle eines Treubruchs verlustig gehen soll.59 b) Vertragsähnliche Haftung trotz Vertragsnichtigkeit

573

Die Nichtigkeit des Anwaltsvertrages stellt den Mandanten im Falle eines Beratungs­ fehlers nicht schutzlos. Einen etwaigen Schaden kann der Mandant auf der Grundlage des gesetzlichen Schuldverhältnisses aus § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB ersetzt verlangen. c) Weitere Wirkungen

574

Der durch § 43a Abs. 4 BRAO geschützte (erste) Mandant kann die Einhaltung der Norm gestützt auf einen nachvertraglichen oder einen gesetzlichen (§  823 Abs.  2 BGB) Unterlassungsanspruch erzwingen.60

575

Im Falle einer strafrechtlichen Verurteilung wegen Parteiverrats kann die Entziehung der Anwaltszulassung gem. § 14 Abs. 2 Nr. 2 BRAO in Betracht kommen.61

576

Die Vermeidung eines Interessenkonflikts zwischen Streitgenossen rechtfertigt die Beauftragung getrennter Prozessvertreter, deren Gebühren der Gegner im Falle des Unterliegens zu erstatten hat. Fehlt es jedoch an einem derartigen Konflikt, kann die­ ses Vorgehen Ausdruck eines Rechtsmissbrauchs sein, der im Kostenfestsetzungsver­ fahren eingewandt werden kann.62

577

Keine Auswirkung hat die Nichtigkeit des Anwaltsvertrages auf die erteilte Prozess­ vollmacht.63 Kasuistik:

578

KG MDR 1999, 1402: In einer einverständlichen Scheidungsangelegenheit hatte der Rechts­ anwalt beide Eheleute zur Beratung empfangen. Die Parteien schlossen privatschriftlich einen Scheidungsfolgenvergleich ab. Das Amtsgericht ging von einem Tätigkeitsverbot des Rechts­ anwalts aus und wies ihn als Prozessvertreter eines Ehepartners zurück. Wegen fehlender Ver­ tretung bejahte es ferner eine Unterbrechung des Scheidungsverfahrens nach §  244 Abs.  1 ZPO. Das KG hielt einen Verstoß gegen § 43a Abs. 4 BRAO und § 356 StGB für nicht ausgeschlossen, verneinte aber Auswirkungen auf die Wirksamkeit von Prozesshandlungen, so dass keine Verfahrensunterbrechung bestehe.

59 Deckenbrock AnwBl 2010, 221, 228. Allgemein zu § 654 BGB BGH NJW-RR 2009, 1710 Tz. 9, jedoch mit Hinweis auf Rechtsanwälte. 60 Vgl. OLG Hamburg NJW-RR 2002, 61, 63 (Urheberrechtssache, dort jedoch Verneinung eines Rechtsverstoßes). 61 BGH (AnwS) NJW-RR 2012, 189 Tz. 6. 62 OLG Karlsruhe NJW 2015, 1698 Tz. 17. 63 BGH NJW-RR 2010, 67 Tz. 12.

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Interessenkonflikte  ­|  § 27

III. Tätigkeitsverbote gem. § 45 BRAO 1. Tatbestände potentieller Interessenkollision §  45 BRAO enthält einen Katalog von Sachverhalten, die eine Inkompatibilität bei 579 einem Rollenwechsel des Anwalts vorsehen. Die vier Tatbestände des §  45 Abs.  1 BRAO betreffen eine vorherige nichtanwaltliche Tätigkeit in der Justiz, als Angehöri­ ger des öffentlichen Dienstes oder als Notar (Nr.1 und 2), eine Tätigkeit als amtlich oder privat bestellter Vermögensverwalter (Nr. 3) oder eine sonstige berufliche Tätig­ keit (Nr. 4)64. Drei dieser Tatbestände stellen auf eine Tätigkeit „in derselben Rechts­ sache“ ab, was in gleicher Weise interpretiert werden soll, wie dasselbe Merkmal in § 356 StGB.65 § 45 Abs. 2 BRAO will nach einer vorangegangenen Tätigkeit in anwaltlicher Funkti­ 580 on die erneute nichtanwaltliche Befassung mit Sachverhalten ausschließen, in denen das anwaltliche Wissen ausgenutzt werden kann. Nr. 1 untersagt, sich nach Tätigkeit gegen den Träger eines Vermögens zum Verwalter dieses Vermögens bestellen zu las­ sen. Nr. 2 enthält eine konturenlose Generalklausel (dazu auch § 36, Rn. 971).66 Zu beachten sind daneben Spezialtatbestände außerhalb des Berufsrechts, etwa in 581 den Gemeindeordnungen, die ebenfalls Interessenkonflikte ausschalten wollen (s. oben § 4, Rn. 73 ff.). Als Mitglied eines Gläubigerausschusses im Insolvenzverfahren ist ein Anwalt gem. § 70 InsO zu entlassen, wenn er pflichtwidrig die im Ausschuss gewonnenen Informationen ausnutzt, um seinem zu den Gläubigern gehörenden Mandanten einseitige Vorteile zu verschaffen.67 2. Normzweck der Inkompatibilitätsvorschriften Die Vorschrift des § 45 BRAO ist lex specialis zu § 43a Abs. 4 BRAO.68 Sie soll die 582 Unabhängigkeit des Rechtsanwalts sichern und damit einen Gemeinwohlbelang ver­ folgen. Die Zielrichtung ist insoweit identisch mit der schärfer wirkenden Sperre des Zugangs zum Anwaltsberuf gem. §§ 7 Nr. 8, 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO.69 Mit dem Verbot der Fallgruppe vorheriger Tätigkeit im öffentlichen Dienst (Absatz 1 Nr.  1) sollen beim rechtsuchenden Publikum der Eindruck einer zu großen Staatsnähe und die Gefahr von Interessenkollisionen vermieden werden.70 Außerdem soll das Vertrauen 64 Dazu OLG Köln NJW-RR 2008, 933, 935. Nichtgeltung für Rechtsanwalt als von der Kom­ munalaufsicht eingesetzter Staatsbeauftragter, BGH NJW-RR 2007, 1506, 1507. 65 BGH (AnwS) NJW-RR 2008, 795 Tz. 8; BGH (AnwS) NJW 2015, 567 Tz. 11; OVG Lüne­ burg NJW 2009, 2759. Zum Konflikt bei Tätigkeit von Rechtsanwälten im Aufsichtsrat ein­ gehend Ziemons ZGR 2016, 839 ff. 66 Dazu OLG Köln NJW-RR 2008, 933, 934 f. 67 BGH ZIP 2008, 652 Tz. 7. 68 OVG Bautzen NJW 2003, 3504. 69 BGH VersR 2000, 595, 597 (zu § 46 BRAO); OVG Bautzen NJW 2003, 3504 (zu § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO). 70 BGH (AnwS St) NJW 2015, 567 Tz. 12.

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Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege

der Öffentlichkeit in die neutrale und objektive Amtsführung gesichert werden.71 Für die Anwendung des § 45 BRAO bedarf es – anders als bei § 43a Abs. 4 BRAO – keiner tatsächlichen Feststellungen eines konkret gegebenen Interessengegensatzes.72 Die Tätigkeitsverbote knüpfen abstrakt an eine Vorbefassung des Anwalts an.73 3. Rechtsfolgen 583

Verstöße gegen die Spezialvorschrift begründen die Nichtigkeit des Anwaltsvertra­ ges.74 Sie lassen aber die Wirksamkeit einer Prozessvollmacht und der verbotswidrig vorgenommenen Prozesshandlungen unberührt.75 Die anwaltliche Aktivität ist aller­ dings zurückzuweisen. Wird der Anwalt nach einer kollidierenden Vorbefassung als Betreuer vorgeschlagen, hat das Gericht von einer Bestellung abzusehen.76 Wegen der Nichtigkeit des Anwaltsvertrages entstehen keine Gebührenansprüche des An­ walts.77 4. Geltungserstreckung

584

Die speziellen Verbote des §  45 Abs.  1 und 2 BRAO werden zur Vermeidung von Umgehungen durch § 45 Abs. 3 BRAO auf Anwälte erstreckt, die mit dem Verbots­ adressaten zur gemeinschaftlichen Berufsausübung verbunden sind. Im Interesse der Berufsausübungsfreiheit ist diese Erstreckung eng auszulegen (s. zuvor Rn. 562 ff.).78 Insbesondere ist die Möglichkeit der Befreiung durch Zustimmung der betroffenen Parteien, die in § 3 Abs. 2 S. 2 BORA enthalten ist, aus verfassungsrechtlichen Grün­ den auf § 45 Abs. 3 BRAO anzuwenden.79

71 BGH NJW 2015, 567 Tz. 15. 72 OVG Bautzen NJW 2003, 3504. Ebenso zu § 46 BRAO a. F. BGHZ 141, 69, 79 = NJW 1999, 1715, 1717 = VersR 2000, 595, 597. 73 BGH NJW 2015, 567 Tz. 12; BGH NJW 2016, 1235 Tz. 16. 74 BGHZ 134, 230, 234 = NJW 1997, 946; BGH NJW 2011, 373 Tz. 9 und 16 (zu § 45 I Nr. 1 BRAO, vorangegangene Notartätigkeit); BGH NJW 2016, 2561 Tz. 30 (zu § 45 I BRAO). 75 BGH VersR 2010, 670 Tz. 7 und 11; OLG Schleswig MDR 2002, 1459 f.; OLG München NJW-RR 2010, 131, 132; OVG Bautzen NJW 2003, 3504, 3505. 76 BGH NJW 2014, 935 Tz. 9 f.; BGH NJW 2016, 1235 Tz. 15. 77 BGH VersR 2000, 595, 596 (Honorarforderung eins Syndikusanwalts gegen ehemaligen Arbeitgeber). Zur Berücksichtigung im Kostenfestsetzungsverfahren OLG Celle NJW 2017, 1557 Tz. 3 m. Anm. Zimmermann. Anwendung des § 134 BGB unter Ausdehnung der Verbote durch § 45 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 Nr. 1 BRAO auf Sozien des betroffenen Anwalts verneint von OLG Schleswig MDR 2002, 1459, 1460. 78 OLG Schleswig MDR 2002, 1459, 1460 (dort ein besonders krasser Fall: Tätigkeitsverbot für einen Sozius wegen ehrenamtlicher Tätigkeit als Richter am Anwaltsgericht); Kleine-Cosack AnwBl. 2003, 539, 543. 79 Henssler AnwBl 2013, 668, 676; Deckenbrock NJW 2015, 522, 525 f. A.A. BGH (AnwS) NJW 2015, 567 Tz.  15, u. a. mit der (nichtverfassungsrechtlichen) Begründung, das Satzungs­ recht könne § 45 III BRAO nicht ändern.

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§ 28 Sachlichkeitsgebot

I. Entwicklung der Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585

II. Rechtfertigung mit der anwaltlichen Funktion . . . . . . . 588 III. Überzogene Meinungsäußerungsfreiheit der Anwälte 592 IV. Abgrenzung zu anderen Schutzmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . 594



V. Anwendung des Sachlichkeitsgebots 1. Prozessbezogenheit einer Äußerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598 2. Disziplinarrecht und Strafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 606 3. Nichtstrafbare Sachlichkeitsverstöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 608

I. Entwicklung der Rechtsgrundlagen Das Sachlichkeitsgebot war rechtlicher Ausgangspunkt der Entscheidung BVerfGE 76, 585 171 aus dem Jahre 1987 zur Rechtsnormqualität der Standesrichtlinien. § 1 Abs. 1 S. 2 der Standesrichtlinien statuierte vor 1994 die Geltung des Sachlichkeitsgebots. Es war zugleich als Kollegialitätspflicht gesondert aufgeführt. Unsachliche Angriffe gegen die Person eines Kollegen in Wort oder Schrift wurden als Verstoß gegen die Pflicht zur Kollegialität angesehen, weil persönliche Auseinandersetzungen der Sache selbst nicht nützen. Behauptungen der Gegenpartei durften gleichwohl zur Wahrnehmung der Mandanteninteressen auch mit harten und scharfen Formulierungen zurückgewiesen werden.1 Waren Angriffe gegen die Person des gegnerischen Anwalts ausnahmsweise im berechtigten Mandanteninteresse erforderlich, musste die betreffende Behauptung in sachlicher Form vorgetragen und jede überflüssige Schärfe vermieden werden.2 Das Sachlichkeitsgebot ist als kardinale Berufspflicht auch weiterhin Bestandteil des 586 Berufsrechts.3 § 43a Abs. 3 S. 1 BRAO besagt, dass sich der Rechtsanwalt bei seiner Berufsausübung nicht unsachlich verhalten darf. Die Bestimmung der Reichweite des Gebots ist das eigentliche Problem. In § 43a Abs. 3 S. 2 BRAO heißt es etwas konkre­ tisierend, unsachlich sei insbesondere ein Verhalten, bei dem es sich um die bewusste Verbreitung von Unwahrheiten oder um solche herabsetzende Äußerungen handelt, zu denen andere Beteiligte oder der Verfahrensverlauf keinen Anlass gegeben haben. Die BORA enthält sich jeglicher Aussage zum Sachlichkeitsgebot. Welche Sachverhalte zu bewerten sind, zeigt beispielhaft die „Dextro Energen“-Ent­ 587 scheidung des BVerfG vom 15.3.1989,4 in der es zwar nur um die Geltung des Sach­ 1 RGZ 140, 392, 400/401. 2 EGH 24, 135. 3 Zum rechtspolitischen Bedürfnis vgl. Wimmer NJW 1989, 1772, 1775; Zuck JZ 1989, 353, 356. 4 BVerfG (Kammer) NJW 1989, 3148 = AnwBl 1989, 339 f. Einschlägig ist auch BVerfG AnwBl 1990, 519, 520; Kopfschütteln muss die Sachverhaltsbewertung durch das Ehrengericht aus­ lösen.

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Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege

lichkeitsgebots während der Übergangszeit bis zu einer Neuregelung ging, die aber doch auch das Drängen nach großzügigerer Betrachtung erkennen lässt: Ein Anwalt hatte an den Landgerichtspräsidenten eine Packung Traubenzucker mit der Bitte übersandt, sie dem „vollkommen überlasteten Kollegen beim Amtsgericht S. zur phy­ sischen Stärkung zu überreichen und diese Maßnahme durch einige die physische Stärkung bewirkende Worte zu flankieren“; einige Tage später erschien darüber ein Bericht in der Tagespresse. Den Prüfungsmaßstab entnahm das BVerfG seiner Grund­ satzentscheidung vom 14.7.1987, wonach in der Übergangszeit eine Verletzung des Sachlichkeitsgebots erst bejaht werden dürfe, wenn die herabsetzende Handlung nach Inhalt oder Form als strafbare Beleidigung zu bewerten sei, ohne durch die Wahrneh­ mung berechtigter Interessen gedeckt zu sein, oder wenn der Anwalt bewusst Un­ wahrheiten verbreite oder ohne Anlass neben der Sache liegende Herabsetzungen äußere. Im Ergebnis hat das BVerfG die Übersendung des Traubenzuckers unter den gegebenen Umständen nicht beanstandet; der Anwalt habe seine sachlich berechtigte Kritik lediglich in satirische Form gekleidet.5 Die Betonung der Besonderheiten der Übergangszeit ist in späteren Kammerentscheidungen schlichtweg ignoriert worden, ohne durch eine Senatsentscheidung gedeckt zu sein.6

II. Rechtfertigung mit der anwaltlichen Funktion 588

Was die Beteiligten der Rechtspflege an Schärfe der beruflichen Kritik u. U. vertragen müssen, geht bei Äußerungen über andere Prozessbeteiligte (Parteien, Zeugen, Sach­ verständige etc.) häufig zu weit. Sie empfinden die Würze anwaltlichen Vortrags, mit der Einsatzfreudigkeit und vermeintliche Leistungsfähigkeit demonstriert werden soll, die aber auch Ausdruck pharisäerhafter Selbstgerechtigkeit sein kann, häufig zu Recht als unangemessen. Der Anwaltszwang wird u. a. mit der Notwendigkeit einer Versachlichung des Streits und einer Verminderung der Emotionen im Sachvortrag gerechtfertigt. Diese Bewertung muss in die Interpretation des berufsrechtlichen Sachlichkeitsgebotes übernommen werden. Zu beachten ist dabei, dass die Prozessbe­ teiligten dem Sachvortrag zwangsweise ausgesetzt sind.

589

Auffallend ist die Gereiztheit, mit der Anwälte und Gerichte wechselseitig auf kriti­ sche Äußerungen reagieren. Sie kann den Blick für die sachangemessene Behandlung einer Rechtsangelegenheit verstellen. Die Einhaltung des Sachlichkeitsgebots verhin­ dert ein gegenseitiges Aufschaukeln der beruflichen Emotionen.

590

Beispielhaft ist der Ausgangssachverhalt in VGH München NJW 1995, 2940 f. zu nen­ nen. Eine Strafkammer hatte die Bestellung eines Wahlverteidigers zum Pflichtvertei­ diger verweigert und in den Gründen des Beschlusses ausgeführt, der Rechtsanwalt sei nicht in der Lage, den Angeklagten sachgerecht zu verteidigen, versuche das Ver­ 5 Unsachlich demgegenüber die sexistische und diskriminierende Äußerung, der Kopf der Volljuristinnen der Bezirksregierung diene „in erster Linie für die gestalterische Arbeit von Friseuren und Kosmetikern“, jedoch gleichwohl gebilligt von AnwG Köln NJW-RR 2015, 1013, 1015. 6 So etwa von BVerfG NJW-RR 2010, 204 Tz. 26.

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Sachlichkeitsgebot  ­|  § 28

fahren zu torpedieren und vermöge nicht, das Verfahren unter Wahrung der strafpro­ zessualen Rechte des Angeklagten zu Ende zu bringen. Gegen diese als herabsetzend empfundenen Formulierungen begehrte der Rechtsanwalt Unterlassung und Wider­ ruf. Der VGH entschied darüber nicht selbst, weil er die strafrechtliche Fachgerichts­ barkeit nach Maßgabe der StPO als zuständig ansah. Heftige innerprozessuale Kritik kann durchaus sachgerecht sein, etwa die Bezugnah­ 591 me auf Alkoholismus eines Richters in einem gegen ihn gerichteten schriftlichen Be­ fangenheitsantrag.7 Dasselbe gilt für die Äußerung des Verdachts, ein Schriftsatz sei von Richter und Gegenanwalt in einer gemeinsamen Skatrunde verfasst worden.8

III. Überzogene Meinungsäußerungsfreiheit der Anwälte Eine grundlegend falsche Sicht auf das Sachlichkeitsgebot tritt in der Kammerrecht­ 592 sprechung des BVerfG zutage, indem dort einseitig die Meinungsäußerungsfreiheit des Anwalts hervorgehoben und deren konkrete Ausformung auf eine Stufe mit der Wahrnehmung dieses Rechts in anderen gesellschaftlichen Zusammenhängen9 ge­ stellt wird. Negativer Höhepunkt einer geradezu grotesken Einseitigkeit ist der Be­ schluss des BVerfG vom 29.6.2016 zur „durchgeknallten Staatsanwältin“;10 er hat je­ des Augenmaß verloren. Der Anwalt hatte gegenüber einem Journalisten geäußert, die das Ermittlungsverfahren führende Staatsanwältin, die gegen seinen Mandanten einen Haftbefehl beantragt hatte, sei eine „dahergelaufene“, durchgeknallte“, „wider­ wärtige, boshafte, dümmliche“, „geisteskranke“ Staatsanwältin. Das BVerfG hat die strafgerichtliche Verurteilung wegen Verletzung des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG aufgehoben. Auch der Anwalt dürfe in seiner Berufsausübung bis zur Grenze der Formalbeleidi­ gung und der Schmähkritik gehen, wobei an das Vorliegen dieser Ausnahmen „stren­ ge Maßstäbe anzuwenden“ seien.11 Art. 5 Abs. 1 GG verkommt damit zu einem Be­ leidigungsprivileg für Rechtsanwälte. Die verfassungsrechtliche Zulassung wüster Beschimpfungen von Verfahrensbeteilig­ 593 ten hat ein unerträgliches Ausmaß erreicht. Sie steht in krassem Widerspruch zur Qualifizierung des Anwalts als Organ der Rechtspflege, die bei Anwendung des Art. 5 Abs. 2 GG zu berücksichtigen ist. Verfehlt wäre es, die Äußerungsfreiheit des Anwalts vor Gericht auf eine Stufe zu stellen mit der Äußerungsfreiheit des Mandanten bzw. mit der Grenzziehung, die für den Erlass einer Sanktion wegen Ungebühr gegen die Naturalpartei gem. § 178 GVG gesetzt wird.12 Wohltuend ist demgegenüber die Sicht 7 AnwG Koblenz NJW-RR 2015, 1085, 1086 f. 8 AnwG Frankfurt AnwBl 2016, 930. Zur Äußerung des Verdachts der Rechtsbeugung AnwG Karlsruhe AnwBl 2017, 330. 9 Außerhalb der beruflichen Sphäre lag der Fall BVerfG NJW 2012, 3712 – rechtsextrem. 10 BVerfG NJW 2016, 3362. Scharfe Kritik daran durch Ladeur AfP 2016, 402 ff. 11 BVerfG NJW 2016, 3362 Tz. 13. In gleicher Weise schon zuvor BVerfG GRUR 2013, 1266 Tz. 15 und 17 – Winkeladvokat (gegen OLG Köln GRUR-RR 2012, 401). 12 Beispielhaft dazu OLG Karlsruhe MDR 2016, 1287 („Wenn ich die zwei Fratzen da drüben sehen muss …“).

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Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege

des EGMR, der die Rolle der Anwälte – verbal etwas missglückt – als Mittler zwischen Öffentlichkeit und Justiz betont hat.13

IV. Abgrenzung zu anderen Schutzmechanismen 594

Ob gegen das Gebot der Sachlichkeit verstoßen worden ist, beschäftigt nicht nur die Rechtsanwaltskammern in Disziplinarverfahren, sondern auch die Strafgerichte we­ gen des Vorwurfs der Beleidung oder der üblen Nachrede und die Zivilgerichte wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Zu unterscheiden sind dabei Äuße­ rungen innerhalb und außerhalb gerichtlicher oder behördlicher Verfahren. Ehren­ kränkende Äußerungen, die der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in einem Verwaltungsverfahren, einem Gerichtsverfahren oder dessen konkreter Vorbereitung dienen, können in aller Regel nicht mit Ehrenschutzklagen abgewehrt werden.14 Die Parteien und ihre Anwälte sollen alles vortragen dürfen, was sie zur Wahrung der Rechte der Parteien für erforderlich halten. Die Richtigkeit der Ausführungen soll nur dort geprüft werden, nicht aber in einem zusätzlichen Verfahren, in dem zivilrechtli­ che Abwehransprüche geltend gemacht werden.15

595

Außerhalb eines Verfahrens, etwa gegenüber den Medien, genießt der Anwalt kein weitergehendes Privileg als die Naturalpartei, auch wenn er in beruflicher Funktion Mandanteninteressen wahrnimmt.16 Für die Wiedergabe des vom Mandanten ge­ schilderten Sachverhalts kann der Mandant als Störer (Unterlassungsschuldner) zu­ sätzlich verantwortlich sein.17

596

Soweit grundsätzlich ein Abwehranspruch besteht, hängt dessen Prüfung u. a. davon ab, ob eine Tatsachenbehauptung oder eine Meinungsäußerung vorliegt. Die Verwen­ dung eines rechtlichen Fachbegriffs deutet auf die Kundgabe einer Rechtsauffassung hin, die als Meinungsäußerung einzustufen ist, sofern sie nicht nach dem Kontext beim Adressaten den Eindruck einer dem Beweis zugänglichen Tatsachenmittei­ lung18 hervorruft.19 Meinungsäußerungen sollen selbst bei scharfer und überzoge­ ner Formulierung nur unter engen Voraussetzungen als rechtswidrige Schmähkritik angesehen werden dürfen.20 13 EGMR v. 21.3.2002  – Rs. 31611/96 Tz.  45  – Nikula/Finnland; EGMR v. 23.4.2015  – Rs. 29369/10 Tz. 132 und 148 – Morice/Frankreich, NJW 2016, 1563; EGMR v. 12.1.2016 – Rs. 48074/10 Tz. 40 – Rodriguez Ravelo/Spanien, AnwBl 2016, 353. Zu Unrecht kritisch dazu Schmitt-Leonardy AnwBl 2016, 528, 530  f. S.  auch EGMR v. 30.6.2015  – Rs. 39294/09 Tz. 50 f. – Peruzzi/Italien, AnwBl 2015, 710. 14 BGH NJW 2005, 279, 280 f. – Foris. 15 BGH NJW 2005, 279, 281. Näher dazu Ahrens Festschrift Deutsch II (2009), S. 701, 715 f. 16 BGH NJW 2005, 279, 281. Ebenso für die Schweiz: BG v. 5.9.2014 – 2 C 1138/2013, SJZ 110 (2014), 610. 17 BGH NJW 2005, 279, 281. 18 Beispiel: LG Hildesheim NJW-RR 2004, 1418, 1419. 19 BGH NJW 2005, 279, 282 m. w. N. 20 BGH NJW 2005, 279, 283.

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Sachlichkeitsgebot  ­|  § 28

Der gefestigten Rechtsprechung des BGH zur Begrenzung des zivilrechtlichen Ab­ 597 wehrrechtsschutzes zuwider hat die Strafgerichtsbarkeit die Tatbestände der §§ 185 ff. StGB gelegentlich angewandt. Dafür kann das zeitliche Nacheinander der Verfahren allein keine Rechtfertigung bieten. Allenfalls kommt in Betracht, dass jeweils die Pro­ zessrelevanz der Ehrverletzung zu verneinen war und deshalb eine wechselseitige Be­ einflussung des Ausgangsverfahrens und des Strafverfahrens nicht in Betracht kam.

V. Anwendung des Sachlichkeitsgebots 1. Prozessbezogenheit einer Äußerung Dem Privileg des Anwalts, die Rechtsposition des Mandanten auch mit starken, ein­ 598 dringlichen Ausdrücken und sinnfälligen Schlagworten unterstreichen zu dürfen21, sind Grenzen gesetzt. Eine Behauptung muss mit Blick auf die konkrete Prozess­ situation zur Rechtswahrung geeignet und erforderlich erscheinen sowie der Rechts­ güter- und Pflichtenlage angemessen sein.22 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit schließt die Zulässigkeit von Äußerungen aus, die in keinem inneren Zusammenhang zur Ausführung oder Verteidigung der geltend gemachten Rechte stehen oder deren Unhaltbarkeit ohne weiteres auf der Hand liegt.23 Ehrverletzende Äußerungen, die lediglich der Stimmungsmache gegen andere Prozessbeteiligte dienen, sind nicht von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG gedeckt.24 Dies ergibt sich aus § 43a Abs. 3 S. 2 BRAO. In Anwendung dieser Grundsätze ist es erlaubt, auf der Grundlage objektiver Indizien 599 innerprozessual den Vorwurf des Prozessbetruges zu erheben.25 Wird der gegneri­ sche Anwalt jedoch schriftsätzlich als „Meisterbetrüger Dr. …“ bezeichnet, dient dies ausschließlich der Diffamierung der Person.26 Erst recht gilt dies für gleichartige Äu­ ßerungen in einem Newsletter. Nicht zu beanstanden ist der Vorwurf der Rechtsun­ kenntnis gegenüber dem gegnerischen Anwalt.27 Grenzwertig ist die Verhängung einer Geldbuße für die Äußerung in einem behördlichen Verfahren über die Gewäh­ rung von Sozialhilfe, er, der Anwalt, habe noch nie gewusst, „was Sie überhaupt noch mit Rechtsordnung zu tun haben“.28 Fehlende Prozesserheblichkeit der Äußerung nach Inhalt oder Form rechtfertigt ein 600 nachträgliches strafrechtliches Vorgehen. Unter denselben Voraussetzungen sollte aber auch eine zivilrechtliche Durchsetzung von Unterlassungs- und Beseitigungs­ ansprüchen parallel zum Ausgangsverfahren gestattet werden, wenn von der Ehrver­ 21 BVerfG NJW 1991, 2074, 2075. 22 BVerfG NJW 1991, 29; BVerfG NJW 1991, 2074, 2075. Ebenso für die Schweiz: BGE 131 IV S. 154, 157 f. 23 BVerfG NJW 1991, 2074, 2075. 24 OLG München NJW-RR 2001, 765, 766. 25 Vgl. BGH AnwBl 2015, 442 (dort jedoch nicht belegbarer Vorwurf). 26 OLG Frankfurt GRUR-RR 2014, 391, 392 = WRP 2014, 1098 – Meisterbetrüger. 27 AnwG Hamburg NJW-RR 2009, 846, 847. 28 AnwG Köln BRAK-Mitt. 2009, 87.

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letzung eine Person betroffen ist, die im Ausgangsverfahren keine eigenen Verfah­ rensrechte besitzt.29 Das BVerfG hat nämlich als einen Grund für die Hinnahme drastisch formulierter Rechtswahrnehmungen im kontradiktorischen Zivilprozess genannt, dass der Prozessgegner verfahrensmäßig erwidern könne und daher nicht schutzlos gestellt sei.30 Grobem Äußerungsverhalten sind insbesondere Zeugen und Sachverständige31 ausgesetzt, ohne dass ihnen verfahrensinhärente Rechtsschutz­ möglichkeiten zur Verfügung stehen. Kasuistik:

601

(a) BVerfG NJW 1999, 2262: Der Beschwerdeführer (Bf.) hatte als Rechtsanwalt Kanzleiräume angemietet und dafür die Bestellung eines dinglichen Vorkaufsrechts vereinbart, dessen Ein­ tragung auf Veranlassung des Vermieters durch einen Notar vorbereitet werden sollte. Dessen Entwurf war für den Bf. nachteilig. Der Bf. erläuterte seine rechtlichen Einwände in einem zweiseitigen Schreiben, das vor einer Zusammenfassung über das weitere Vorgehen den Satz enthielt: „Sie werden verstehen, dass wir diesen Vertragsentwurf unmöglich als ausgewogene Arbeit eines unparteiischen Notars akzeptieren können“. Die Verurteilung des Bf. wegen Beleidigung war auf den vom Bf. erhobenen Vorwurf des Verstoßes gegen die notarielle Berufspflicht zur Unparteilichkeit gestützt worden. Das BVerfG hob wegen Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG auf, weil die Auslegung des beanstandeten Satzes, der die inhaltliche Kritik pointiert zusammengefasst habe, unberechtigt aus dem Kon­ text gelöst und zudem die Qualität als Werturteil statt als Tatsachenbehauptung verkannt wor­ den sei.

602

(b) BVerfG NJW 2000, 199: Der Bf. war als Verteidiger in einem Ermittlungsverfahren wegen Urheberrechtsverletzung durch Vertrieb von Computerprogrammen tätig gewesen. Nachdem die beschlagnahmte Computeranlage von einem Sachverständigen ergebnislos geprüft, von der Staatsanwaltschaft freigegeben, vom Anwalt abgeholt sowie das Ermittlungsverfahren einge­ stellt worden war, nahm sich noch am Tage der Einstellungsmitteilung ein anderer Staatsanwalt der Sache an, der eine Manipulation der Festplatte vermutete und daraufhin Durchsuchungsund Beschlagnahmebeschlüsse für die Anwaltskanzlei und die Mandantenwohnung erwirkte, wobei er sich auf Feststellungen des Sachverständigen stützte. In der Beschwerde gegen diese Beschlüsse formulierte der Bf.: „Nach den Ausführungen in den angefochtenen Beschlüssen muss davon ausgegangen werden, dass die Staatsanwaltschaft gegenüber dem Amtsgericht die behaupteten Tatsachen vorgetäuscht hat und das Amtsgericht den Behauptungen leider Glau­ ben geschenkt hat“. Die Verurteilung wegen übler Nachrede (§  186 StGB) wurde darauf ge­ stützt, dass die inkriminierten Äußerungen sachlich falsch gewesen seien und dem Staatsanwalt unberechtigt ein Verbrechen nach § 344 Abs. 1 StGB vorgeworfen worden sei. Das BVerfG hob wegen Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG auf, weil der wertende Charakter der Äußerung verkannt worden sei.

603

(c) OLG München NJW-RR 2001, 765: Der Antragsgegner im Verfahren der einstweiligen Ver­ fügung hatte in einem zivilprozessualen PKH-Verfahren gegen eine dritte Person, an dem der Antragsteller, ein Rechtsanwalt, weder als Partei noch als Prozessbevollmächtigter beteiligt war, über den Antragsteller u. a. behauptet, dieser sei geistesgestört und postulationsunfähig und hatte dazu auf andere Aktenvorgänge Bezug genommen. 29 So im Ergebnis OLG München NJW-RR 2001, 765, 766. 30 BVerfG NJW 1991, 2074, 2075. 31 So im Fall OLG Hamm NJW-RR 2003, 1196, 1197.

178

Sachlichkeitsgebot  ­|  § 28 Das OLG gab dem Verfügungsantrag auf Unterlassung statt, weil die Person des Antragstellers für die Gewährung der PKH ohne Bedeutung sei und eine Wiederholung des Vortrags im or­ dentlichen Verfahren nach eventueller Gewährung der PKH drohe. (d) OLG Jena NJW 2002, 1890: Der Angeklagte hatte sich als Verteidiger eines später wegen Geiselnahme verurteilten Mandanten gegen den von ihm als überhöht empfundenen Strafantrag des Staatsanwalts mit dem Satz gewandt, die Stellung eines derartigen Antrags zu DDR-Zeiten hätte nach der Wiedervereinigung eine Anklage wegen Rechtsbeugung ausge­ löst.

604

Das OLG verwarf die Revision gegen die Verurteilung wegen Beleidigung, die in dem haltlosen Vorwurf der Rechtsbeugung zu sehen sei, und zog eine Parallele zum Sachlichkeitsgebot des § 43a Abs. 3 S. 1 BRAO. Zum Vorwurf der „dilatorischen Verfahrensführung“ eines Strafrichters und damit schlussfol­ gernd verbunden der willkürlichen Verfahrensterminierung, den eine Verteidigerin erhoben hatte, AG Marburg NJW 2004, 1541. (e) EGMR v. 21.3.2002 – Rs. Nr. 43718/98 – Wingerter, NJW 2003, 877: Der Beschwerdeführer war gem. § 114 Abs. 1 Nr. 1 BRAO durch das AnwG verwarnt worden. Als Verteidiger eines Ausländers, der freigesprochen worden war, weil es für die Verfolgung eines Urkundendelikts an einer deutschen Zuständigkeit fehlte, hatte der Bf. im Kostenfestsetzungsverfahren zur Be­ gründung des Reisekostenansatzes vorgebracht, die Mannheimer Justiz und die ortsansässi­ gen Rechtsanwälte seien der Schwierigkeit des Falles nicht gewachsen und völlig unfähig ge­ wesen. Die Rechtsmittel in der Disziplinargerichtsbarkeit blieben ebenso erfolglos wie eine Verfassungsbeschwerde.

605

Der EGMR erklärte die Beschwerde für unzulässig. Der Eingriff in die Freiheit der Meinungs­ äußerung (Art. 10 EMRK) sei gerechtfertigt gewesen. Die bewusste Verunglimpfung der Jus­ tizbehörden in einem Rundumschlag sei über berechtigte Kritik hinausgegangen, nachdem eine etwaige angespannte Verfahrenssituation mit dem Freispruch abgeklungen gewesen sei. Die besondere Stellung der Rechtsanwälte in der Rechtspflege weise diesen eine zentrale Posi­ tion zwischen Öffentlichkeit und Gerichten zu, was die üblichen Beschränkungen für Mitglie­ der von Anwaltskammern bei ihrer Berufsausübung rechtfertige. S. zur Rechtsprechung des EGMR auch unten § 35, Rn. 935 ff.

2. Disziplinarrecht und Strafbarkeit Abzulehnen ist die Ansicht, das Sachlichkeitsgebot des § 43a Abs. 3 BRAO sei erst 606 dann verletzt, wenn durch das Verbreiten bewusster Unwahrheiten oder nicht indu­ zierter herabsetzender Äußerungen eine strafbare Beleidigung begangen wird (s. dazu auch § 31, Rn. 724).32 Gerichtliche Verfahren sind keine Spielwiese, auf der sich Anwälte unter dem Schutz der Restriktionen austoben dürfen, die zur Sicherung von Verfahrensinstituten erforderlich sind. Letztlich hängt die Vorverlagerung der dis­ ziplinarisch zu ahndenden Unsachlichkeit vor den Strafbarkeitsbereich aber weitge­ hend davon ab, wie der Rechtfertigungsgrund des § 193 StGB gehandhabt wird. Nur 32 So aber – für den Regelfall – AnwGH Saarland NJW-RR 2002, 923, 924 m. w. N.; AnwGH Celle NJW-RR 2012, 750, 752 = AnwBl 2011, 959, 960; AnwGH Hamm AnwBl 2016, 521 („Die jüdische Karte“). Diese Wertung wird durch das BVerfG begünstigt; vgl. BVerfG NJW 2008, 2424 f. (im konkreten Fall jedoch mit zutreffendem Ergebnis).

179

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wenn er bei Beurteilung der Erforderlichkeit herabsetzend wirkender Anwaltsäuße­ rungen zurückhaltend eingesetzt und damit die Strafbarkeit bejaht wird, gleichen sich das Sachlichkeitsgebot und die Beleidigungstatbestände an. So kann es keine Recht­ fertigung dafür geben, die Tätigkeit von Richtern, die einem Antrag auf Durchfüh­ rung eines Klageerzwingungsverfahrens in eigener Sache des Anwalts nicht stattgege­ ben hatten, mit dem verbrecherischen Agieren von Roland Freisler, dem Präsidenten des NS-„Volksgerichtshofs“, zu vergleichen.33 607

Eine besondere Form der Verletzung des Sachlichkeitsgebots ist der Versuch, eine Mandantenforderung mit Drohungen durchsetzen zu wollen (dazu § 31, Rn. 727 und § 43, Rn. 1214 f.).34 3. Nichtstrafbare Sachlichkeitsverstöße

608

Gleichwohl bleiben Anwendungsfälle der Unsachlichkeit außerhalb des Strafbarkeits­ bereichs denkbar. Wie die Zürcherische Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte zutreffend angenommen hat, können auch wiederholt vorgekommene unnötig pole­ mische, aggressive und völlig deplazierte Angriffe in Verwaltungsverfahren verbun­ den mit dem Androhen des Gangs in die Öffentlichkeit und dem Androhen von Dienstaufsichtsbeschwerden den Vorwurf berufswidriger Unsachlichkeit begrün­ den.35 Ein derartiges Verhalten stellt nicht zwangsläufig eine strafbare Herabsetzung anderer Beteiligter dar.

609

Der Rat an den Mandanten zu einem „robusten“ Gespräch, nämlich bei zukünftigen tätlichen Angriffen des Gegners mit einem tätlichen Gegenangriff zu reagieren, ist als Aufforderung zur Selbstjustiz außerhalb der Rechtsordnung ein Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot.36

610

Vorsätzlich falscher Vortrag in einer Vielzahl standardisierter Antwortschreiben auf urheberrechtliche Abmahnungen verstößt gegen § 43a Abs. 3 S. 2 BRAO. Die Norm ist allerdings keine Marktverhaltensregel i. S. d. § 3a UWG (ex § 4 Nr. 11), so dass da­ rüber kein Wettbewerbsprozess geführt werden kann.37 In der Regel wird es auch an einer geschäftlichen Handlung i. S. d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG fehlen.38

611

Die Verletzung des Sachlichkeitsgebots kann zugleich eine Verletzung des Anwalts­ vertrages bedeuten. Erleidet der Mandant dadurch einen Vermögensschaden, haftet der Anwalt (dazu § 43, Rn. 1214 f.).

33 LG München AnwBl 2016, 522; nach Aufhebung durch OLG München AnwBl 2016, 767 erneute Verurteilung durch eine andere Strafkammer, LG München AnwBl 2017, 328. 34 Dazu Donath/Mehle NJW 2009, 2363 f. und 2509 f. m. w. N. 35 Beschl. v. 3.9.1998, Bl. für Zürch. Rspr. 98 (1999) Nr. 55 = S. 273, 275. 36 AnwG Köln NJW-RR 2015, 1331, 1332. 37 OLG Köln WRP 2013, 656, 658 (im Ergebnis in der Revisionsinstanz bestätigt, BGH NJW 2013, 2756 – standardisierte Mandatsbearbeitung). 38 BGH NJW 2013, 2756 Tz. 17 ff.

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§ 29 Werbung

I. Abkehr vom traditionellen Werbeverbot . . . . . . . . . . . . . . . . 612



3. Französisches Recht . . . . . . . . . . . 633 4. Österreichisches Recht . . . . . . . . 636

II. Rechtfertigung freiberuflicher Beschränkungen der Werbung 616



V. Gesetzliche Regelung in Deutschland 1. Der Ansatz der BRAO: Informationswerbung . . . . . . . . . 640 2. Fehlende Anpassung an RL 2006/123/EG . . . . . . . . . . . . . . 643

III. Ergänzende Anwendung des UWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 619 IV. Werbefreiheit und Restriktionen in ausländischen Rechtsordnungen 1. Restriktionsrechtfertigungen im Recht der US-Staaten a) Beschränkung auf Irreführungsabwehr? . . . . . . . . . . 626 b) Weitergehende Rechtfertigungsgründe . . . . . . . . . . 628 2. ABA Model Rules . . . . . . . . . . . . . 630



VI. Modalitäten der Werbung 1. Grundsatz: Zulässigkeit von Werbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 648 2. Informationswerbung . . . . . . . . . 649 3. Werbung um konkrete Mandate 664 4. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . 670 VII. Satzungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . 671

I. Abkehr vom traditionellen Werbeverbot Die Standesrichtlinien der Rechtsanwälte gingen in der Fassung von 1973 von einem 612 weitreichenden Verbot der Werbung aus. Die Möglichkeiten einer Lockerung des be­ rufsrechtlichen Verbots sind ab Ende der 80er Jahre lebhaft diskutiert worden.1 Eine parallele Entwicklung war mit graduellen Abstufungen in der Anwaltschaft anderer europäischer Staaten zu beobachten. Erfasst wurden davon auch andere freie Berufe, die traditionell ebenfalls von einem strikten Werbeverbot ausgingen. Das grundsätz­ liche Verbot ist inzwischen beseitigt. Noch immer nicht völlig gelöst ist das Problem, welche Einzelanforderungen an die Zulässigkeit der Werbung von Freiberuflern zu stellen s#ind. Welche Beschränkungen fortgelten dürfen, bedarf stets einer verfas­ sungsrechtlichen und unionsrechtlichen Rechtfertigung. Die rechtspolitische Initialzündung für eine Lockerung des Verbots ging vom US- 613 Recht aus.2 Alsbald danach haben sich auch andere ausländische Berufsrechte vom 1 Vgl. dazu etwa Löwe AnwBl. 1989, 545 ff.; de Lousanoff ZZP 1989, 240, 241 m. w. N.; Eich MDR 1989, 4 (insbesondere Nachweise in Fn. 4). 2 Bates v. State Bar of Arizona 433 U.S. 748 (1976) betr. Preiswerbung von Anwälten. Weitere bedeutende Entscheidungen des US Supreme Court, zu denen zahlreiche einschlägige Ent­ scheidungen anderer Gerichte hinzutreten, sind: Ohralik v. Ohio State Bar Ass’n, 436 U.S. 447 (1978 = 98 S.Ct. 1912 (Bemühen um Mandatserteilung bei einem Verkehrsunfallop­ fer im Krankenhaus); In re Primus, 436 U.S. 412 (1978) = 98 S.Ct. 1893 (Suche nach einer klagewilligen Person für einen Musterprozeß durch den Anwalt einer Civil Rights Organisa­ tion); Zauderer v. Office of Disciplinary Counsel, 471 U.S. 626 (1985) = 105 S.Ct. 2265 (ge­

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Grundsatz des Werbeverbots entweder abgekehrt3 oder ihn doch erheblich durch­ brochen.4 Auflockerungstendenzen wurden in Deutschland aus verschiedenen Quellen gespeist. Neben der Anwendung des Rechts der Meinungsäußerungsfreiheit auf Werbung („commercial speech“) waren dies die Zulassung von Werbung im ­ärztlichen Bereich für gewerbliche Leistungserbringung von Sanatorien und ver­ gleichbaren Einrichtungen und das Informationsbedürfnis potentieller Mandanten hinsichtlich spezialisierter Leistungen verbunden mit einem zunehmenden Marke­ tingbedürfnis der Anwälte bei stark gestiegenen Anwaltszahlen und dadurch ver­ schärftem Konkurrenzdruck. Kasuistik:

614

EGMR v. 24.2.1994 – Rs. 8/1993/403/481, Serie A Bd. 285 S. 21 Nr. 54 – Fall Casado Coca, Österr. JZ 1994, 636 ff.: Der Beschwerdeführer eröffnete 1979 seine Anwaltspraxis in Barcelona. Er veröffentlichte regelmäßig Ankündigungen über seine Tätigkeit in einer Reihe örtlicher ­Zeitungen und schickte Rundbriefe an Unternehmen, in denen er seine Dienste anbot. Der Rat der Standesvertretung der Anwälte (Junta de Govern del Colegio de Abogados) erteilte 1981 im Rahmen eines Disziplinarverfahrens zwei Verweise und eine Verwarnung. Wegen ei­ ner späteren weiteren Anzeige im Informationsorgan einer Grund- und Hausbesitzervereini­ gung mit kurzer Angabe von Name, Anwaltsbezeichnung, Büroadresse und Telefonnummer wurde 1983 eine weitere Verwarnung erteilt, die der Rat der nationalen Standesvertretung (Consejo general de la Abogacía) bestätigte und gegen die der Anwalt erfolglos die Verwal­ tungsgerichte sowie den Verfassungsgerichtshof anrief; der Verfassungsgerichtshof hielt Art. 20 der span. Verfassung (Freiheit der Meinungsäußerung) für unanwendbar auf Werbe­ ankündigungen. Der EGMR wandte Art. 10 EMRK auf kommerzielle Ankündigungen (Werbe­an­zei­gen) an, verneinte aber eine Verletzung dieser Bestimmung. Das Ziel der die Disziplinarmaßnahme tragenden Standesvorschriften (Art. 31 des Statuts der spanischen Standesvertretung und des Statuts der Standesvertretung von Barcelona), die Interessen der Öffentlichkeit zu schützen und gleichzeitig die Achtung der Mitglieder der Anwaltschaft zu sichern, sei als solches be­ zielte Zeitungswerbung mit Suche nach klagewilligen Opfern im Dakon Shield-Fall); In re R.M.J., 455 U.S. 191 (1982) = 102 S.Ct. 929 (Rundschreiben an potentielle Mandanten); Sha­ pero v. Kentucky Bar Ass’n, 486 U.S. 466 (1988) = 108 S.Ct. 1916 = 100 L.Ed. 2d 475 (geziel­ tes Ansprechen potentieller Mandanten durch Rundschreiben zwecks Beratung in einer be­ stimmten Fallsituation). Eingebettet sind die Entscheidungen in das umfassendere Problem, ob Wirtschaftswerbung („commercial speech“) in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit einbezogen ist. 3 Zum niederländischen Recht: OLG Düsseldorf NJW 1994, 869 f. (zu einer Broschüre) unter Hinweis auf die niederländische VO zur Regelung der Werbung v. 25.11.1988, u. a. mit Be­ schränkung der Werbung gegenüber Nichtmandanten und der Bezeichnung als Fachmann ohne Zustimmung der Anwaltskammer. 4 Zum Zürcherischen Recht: Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte, Bl. für Zürcheri­ sche Rechtsprechung 1995 Nr. 31 = S. 99 ff. m. w. N. (zur Versendung einer Kanzleibroschü­ re anlässlich der Eröffnung eines Zweigbüros). Gewürdigt wird die Aufdringlichkeit der Werbung unter Berücksichtigung von Anlass und Verbreitungsweise sowie Inhalt und Form. Zum Kanton Obwalden: Anwaltsaufsichtskommission des Obergerichts Obwalden, SchwJZ 91 (1995), 31, 32. Zu den Lockerungen der englischen Solicitors’ Practice Rules in den Jahren 1984 und 1987 vgl. National Consumer Council, Ordinary Justice, S. 136 ff.

182

Werbung  ­|  § 29 rechtigt: Anwälte hielten in ihrer Eigenschaft als Organe der Gerichtsbarkeit ein Monopol inne und stünden in Bezug auf ihr mündliches Vorbringen vor Gericht im Genuss der Immunität; ihr Verhalten müsse diskret und ehrenhaft sein und der gebotenen Würde entsprechen, womit die Beschränkung öffentlicher Ankündigungen traditionellerweise gerechtfertigt werde. Die Beanstandung der Veröffentlichung sei unter Berücksichtigung des im Bereich des unfairen Wettbewerbs bestehenden innerstaatlichen Ermessensspielraums verhältnismäßig gewesen, obwohl es sich um eine objektiv wahre Ankündigung gehandelt habe. Die Verände­ rungen der Vorschriften über Anwaltswerbung in den Mitgliedsstaaten des Europarates zeig­ ten die Komplexität des Problems. Die anwaltlichen Standesvertretungen und die innerstaatli­ chen Gerichte könnten besser als ein internationales Gericht das richtige Gleichgewicht zwischen den Erfordernissen einer geordneten Rechtspflege, der Würde des Standes, des Rechts zum Empfang von Informationen über rechtlichen Beistand und der Möglichkeiten zur Ankündigung der anwaltlichen Praxis herstellen. Ebenso EGMR v. 23.10.2007 – Rs. 7969/04 – Brzank/Deutschland, GRUR-RR 2009, 173, 174.

Das absolute Werbeverbot hatte durch die Entscheidung des BVerfG vom 14.7.1987 615 (BVerfGE 76, 196) gegen die Rechtsverbindlichkeit der Standesrichtlinien seine recht­ liche Grundlage verloren. In der Übergangszeit nach Erlass dieser Entscheidung, als die Standesrichtlinien nur insofern noch fortgalten, als es dafür ein unabweisbares Rechtspflegebedürfnis gab, haben tastende Öffnungsversuche stattgefunden. Sie fan­ den 1994 ihren Niederschlag in § 43 b BRAO, der sachliche Unterrichtung über die Anwaltstätigkeit erlaubt, die nicht auf Mandatsgewinnung im Einzelfall gerichtet ist.

II. Rechtfertigung freiberuflicher Beschränkungen der Werbung Zu begründen ist, warum keine Werbemethoden angewandt werden sollen, wie sie in 616 der gewerblichen Wirtschaft praktiziert werden. Werbung ist charakteristisch für kaufmännisch-erwerbswirtschaftliche Betätigung. Eine allein auf eigene Gewinnma­ ximierung ausgerichtete Denkweise soll vom Anwaltsberuf wie von den anderen ver­ kammerten freien Berufen ferngehalten werden, um das Bewusstsein zu stützen, dass ein fremdnütziger Einsatz für Interessen der Leistungsempfänger geschuldet ist.5 Werbung birgt überdies die Gefahr von Desinformation in sich, wenn sie sich auf hochdifferenzierte Dienstleistungen in akademischen Berufen bezieht. Soweit in der Übergangszeit nach der Verfassungsgerichtsentscheidung vom 14.7.1987 617 angenommen wurde, vor Art. 12 Abs. 1 GG habe nur das Verbot irreführender und aufdringlicher, nämlich gezielter oder auf sensationelle oder reklamehafte Herausstel­ lung gerichteter Werbung Bestand,6 beruht dies auf der Normenvakanz in diesem Zeitraum. Bei geeigneter gesetzlicher Grundlage können auch Verhaltensweisen ab­ gewehrt werden können, die eine Gefährdung der professionellen Einstellung zum Anwaltsberuf bedeuten.

5 Vgl. in diesem Sinne für die Arztwerbung BVerfG NJW 2011, 2636 Tz. 42. 6 Mayen NJW 1995, 2317, 2319. Ähnlich die Formulierungen des Wettbewerbssenates in BGH NJW 1993, 1331, jedoch auf einen Sachverhalt der Übergangszeit bezogen.

183

Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege 618

Der Text des Regierungsentwurfes zu § 43b BRAO sah vor, dass Werbung nur erlaubt sein solle, soweit sie nicht „reklamehaft“ ist. Die amtliche Begründung bezog die Ein­ schränkung in erster Linie auf die Form und auf den Werbeträger. Aber auch inhalt­ lich richtige, jedoch mit aggressiven Methoden oder den Mitteln des Kapitaleinsatzes verbreitete Werbeaussagen über die anwaltliche Tätigkeit sollten damit abgewehrt werden.7 Der Rechtsausschuss ersetzte die Formulierung durch die klarstellend ge­ meinten Tatbestandsmerkmale „in Form und Inhalt sachlich“, um das vom RegE ver­ folgte Sachlichkeitsgebot besser zu verwirklichen.8

III. Ergänzende Anwendung des UWG 619

Nicht übersehen werden darf, dass das Werbeverhalten der Rechtsanwälte wegen der Wettbewerbsrelevanz zusätzlich und unmittelbar, also nicht nur wegen der Verlet­ zung von Berufsrecht unter dem Aspekt des Wettbewerbsvorsprungs durch Rechts­ verstoß (heute: §  3a UWG),9 an den Maßstäben des UWG zu messen ist.10 Aller­ dings kann das Berufsrecht, weil konkreter ausformuliert, eher schärfer sein.

620

Was durch § 43b BRAO und die BORA ausdrücklich erlaubt wird, kann über §§ 3 und 5 UWG nicht für unlauter erklärt werden, sofern nicht zusätzliche Unlauterkeitsas­ pekte hinzutreten. Das wäre etwa der Fall, wenn in einer an sich erlaubten Praxisbro­ schüre die Fotos der Anwälte und der nichtanwaltlichen Mitarbeiter ohne Funktions­ angabe abgedruckt werden. Die Sekretärinnen erscheinen dann als anwaltliche Sachbearbeiterinnen, wodurch über die Größe des Anwaltsbüros irregeführt wird.11 Dafür ist § 5 UWG einschlägig.12 Kasuistik:

621

(a) BGH NJW 1991, 2641 ff.: Die beklagten Rechtsanwälte hatten zu einer Vernissage in ein Hotel eingeladen. In der Einladung, die auch an Nichtmandanten versandt wurde, wurde da­ rauf hingewiesen, dass bei dieser Gelegenheit ein neuer, als freier Mitarbeiter tätiger Kollege mit seinem Konzept zur „Chefberatung für den Mittelstand“ vorgestellt werde. Darauf wurde als besonderes Leistungsangebot der Kanzlei gestützt, dass sie „die Rechtsberatung durch eine betriebswirtschaftliche Unternehmensberatung“ abrunden könne. Der Wettbewerbssenat des BGH betonte den Unterschied zwischen Anwaltstätigkeit und rein geschäftsmäßiger Einstellung zur Berufsausübung mit in den Vordergrund tretendem gewerb­ lichen Gewinnstreben. Im unaufgeforderten Ansprechen von Nichtmandanten sah der Se­ 7 BT-Drucks. 12/4993, S. 28. 8 BT-Drucks. 12/7658, S. 8, 48. Ebenso OLG Frankfurt/M. NJW 1996, 1065, 1066. 9 Gegen eine automatische Anwendung des § 1 UWG von 1909 H. Büttner Festschrift Vier­ egge (1995), S. 99, 109. 10 So zutreffend H. Büttner Festschrift Vieregge (1995), S. 99, 107; ablehnend Kleine-Cosack NJW 1994, 2249, 2255 (4 vor a). 11 Zu einem solchen Sachverhalt die Anwaltsaufsichtskommission des Obergerichts Obwal­ den, SchwJZ 91 (1995), 31, 34. 12 Beispiele einschlägiger Rechtsprechung: BGH GRUR 2013, 950 Tz. 16 f. – auch zugelassen beim OLG Frankfurt; OLG Hamm NJW 2013, 2038 – Online-Scheidung.

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Werbung  ­|  § 29 nat eine berufswidrige Werbung. Berufswidrig und irreführend sei die Werbung auch, weil sie auf selbstgerechter, nicht überprüfbarer Wertung beruhe, die die Gefahr unrichtiger Erwar­ tung als naheliegend erscheinen lasse, weil die anwaltliche Leistung – anders als eine rechts­ förmlich erworbene Qualifikation  – von den Rechtsuchenden in der Regel nur schwer ein­ schätzbar sei. Irreführend sei schließlich die Ankündigung als neuer Kollege. Damit werde das Verständnis verbunden, ihm komme ein gleichrangiger Status als Sozius zu, oder er sei so in die Anwaltskanzlei eingebunden, dass er in entsprechendem Umfang wie die anderen Kollegen zur Erteilung von Rechtsrat zur Verfügung stehe, was eine Aussage über die Größe des präsen­ ten Mitarbeiterstammes der Kanzlei und damit über ihre Leistungsfähigkeit treffe; tatsächlich stand er nur auf Abruf und bei speziellem Bedarf zur Verfügung. (b) LG Hamburg NJW 1991, 2296 f.: Die klagende Anwältin verlangte von dem 1988 gegründe­ ten und ca. 50 Rechtsanwältinnen umfassenden „Anwältinnenverein Norddeutschland e. V.“, in dem Branchen-Telefonbuch „Gelbe Seiten“ keine Anzeigen abdrucken zu lassen mit dem Inhalt: Anwältinnenverein Norddeutschland e.V. Sie suchen die richtige Anwältin? Rufen Sie uns an. Der Verein hatte einen telefonischen Vermittlungsdienst installiert, der Rechtsanwältinnen mit jeweils individuell ausgewiesenen Spezialgebieten auf der Basis einer Liste nachwies. Bis 1990 waren auf der Liste rund 200 Rechtsanwältinnen geführt, die teils auf schriftliche Nachfrage ihre Spezialgebiete angegeben hatten, teils aber auch ohne ihr Wissen oder ohne ausdrückliche Zustimmung aufgenommen worden waren. Für den im Übrigen kos­ tenlosen Vermittlungsservice zahlten lediglich die Vereinsmitglieder mit ihrem Jahresbeitrag von 300 DM. Nach einem zwischenzeitlich gefassten Mitgliederbeschluss sollten künftig nur noch Anwältinnen auf der Liste geführt werden, die entweder Vereinsmitglied waren oder die sich an den Kosten mit einer Gebühr von jährlich 400 DM beteiligten.

622

Die Wettbewerbsklage hatte Erfolg. Ein Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs – so ein damals im UWG erforderliches Tatbestandsmerkmal – ergebe sich daraus, dass das Werbe- und Ver­ mittlungsverhalten des Vereins geeignet sei, durch Zuführen von Mandanten den wirtschaftli­ chen Umsatz der ihm angehörenden oder Gebühren entrichtenden Rechtsanwältinnen zu för­ dern. Irregeführt werde über die quantitative Grundlage der erteilten Auskunft; die Liste stütze sich nur auf eine kleine Auswahl aus den 1845 in Norddeutschland und davon 748 in Hamburg zugelassenen Rechtsanwältinnen (Stand 1990). Zu befürchten sei auch eine Markt­ störung infolge zu erwartender Nachahmung durch aus dem Boden schießende Vereine mit selektiv gestalteten Vermittlungslisten regional oder lokal beschränkten Zuschnitts. (c) BVerfG (Kammer) NJW 1993, 3129: Der Beschwerdeführer führte auf seinen Briefbögen rechts oben über der Angabe der Kanzleianschrift und von Telefon- und Telefaxnummer den Vermerk „In Bürogemeinschaft mit Steuerberater W“, der grafisch nicht hervorstach. Links oben waren der Name des Beschwerdeführers und die Angabe Rechtsanwalt in Großbuchsta­ ben blickfangartig gedruckt. Die Rüge der Kammer Oldenburg wurde vom EGH aufrechter­ halten. Die Angabe eines zweiten Namens erwecke trotz der Angabe „Bürogemeinschaft“ den irreführenden und Wettbewerbsvorteile verschaffenden Anschein gemeinschaftlicher Berufs­ ausübung, da nur der kundige Leser zwischen einer Sozietät und einer Bürogemeinschaft zu unterscheiden wisse.

623

Die Verfassungsbeschwerde wurde mangels grundsätzlicher Bedeutung und mangels beson­ ders schweren Nachteils nicht zur Entscheidung angenommen. (d) BGH NJW 1997, 2681 – Die Besten II: Die Rechtsanwaltskammer klagte gegen den Verlag des Nachrichtenmagazins Focus wegen der Veröffentlichung einer Rankingliste der „500 bes­ ten Anwälte“. Ein Presseorgan, das im redaktionellen Teil Freiberufler namentlich und bildlich aufgrund abwegig zusammengestellter Qualitätsprüfungen oder wechselseitiger Belobigungen

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624

Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege vorstellt, macht objektiv unrichtige Angaben (damals Verstoß gegen § 1 UWG von 1909 be­ jaht).

625

(e) OLG Bremen GRUR-RR 2007, 209: Der Beklagte warb in großformatiger Anzeige u. a. mit der Aussage „Erster Fachanwalt für Erbrecht in Bremerhaven“. Das OLG sah darin nicht eine bloße (insoweit zutreffende) Aussage über die zeitliche Reihenfolge der Fachanwaltsanerken­ nung, sondern eine irreführende Qualitätsbehauptung.

IV. Werbefreiheit und Restriktionen in ausländischen Rechtsordnungen 1. Restriktionsrechtfertigungen im Recht der US-Staaten a) Beschränkung auf Irreführungsabwehr? 626

Das Berufsrecht der einzelnen US-Staaten kämpfte trotz der verfassungsrechtlichen Leitentscheidungen des US Supreme Court (dazu oben Rn.  613) lange Zeit mit dem  Problem, welche Restriktionen fortgelten sollten. Es ging um die Reichweite von Verboten, durch die das gezielte Ansprechen potentieller Mandanten untersagt wird, auch wenn die Aussagen nicht irreführend sind („not false or misleading“). Spektakuläre Formen der Werbung um Mandantschaft wie der „selbstlose“ Medien­ auftritt nach einem Flugzeugabsturz mit dem öffentlichen Angebot, den Absturz­ opfern zu ihrem Recht verhelfen zu wollen, sind nur eine besonders grelle Facette dieses Vorgehens. Als Beispiel für den Konflikt selbst innerhalb des Supreme Court in der seinerzeitigen personellen Zusammensetzung eignet sich der Shapero-Fall von 1988.13

627

Der Fall Shapero betraf das Aussenden eines Rundbriefes mit individueller Anspra­ che solcher Adressaten, gegen die eine besondere Hypothekenvollstreckungsklage erhoben worden war; sie sollten durch zutreffende Angaben („truthful and nondecep­ tive letters“) unter Hinweis auf einen speziellen aufschiebenden Rechtsbehelf und un­ ter Einschaltung des werbenden Anwalts vor einem drohenden Verlust ihres Hauses bewahrt werden. Die Mehrheitsmeinung des Supreme Court hielt die Zustimmungs­ verweigerung der Kentucky Bar Association im Rahmen einer Präventivkontrolle für verfassungswidrig, obwohl eingeräumt wurde, dass ein persönlicher Werbebrief ein erhöhtes Risiko vorsätzlicher oder versehentlicher Täuschung begründe; unter Um­ ständen überschätze der Empfänger des Briefes die Vertrautheit des Anwalts mit dem Rechtsproblem oder überbewerte die Bedeutung des Problems oder werde bei un­ sorgfältiger Adressatenauswahl zu der fehlerhaften Annahme eines für ihn gar nicht existierenden Rechtsproblems verleitet. Derartige Fehldeutungsrisiken sollen jedoch hinzunehmen sein. Andererseits wird eine abzuwehrende Irreführung schon dann angenommen, wenn ein Werbebrief triviale oder wenig informative Tatsachen über­ mäßig betont14 oder wenn den angeschriebenen Opfern eines spektakulären Unfalls

13 Shapero v. Kentucky Bar Association 486 U.S. 466 (1988). 14 So in Re R.M.J. 455 U.S. 191 (1982).

186

Werbung  ­|  § 29

oder Unglücks die feste Überzeugung des Anwalts von der Haftungsverantwortung des Verursachers vermittelt wird.15 b) Weitergehende Rechtfertigungsgründe Die im Fall Shapero dissentierenden Richter kritisierten in der von Richterin O’Con- 628 nor verfassten Begründung die gesamte bisherige Rechtsprechungslinie, die vorrangig und eindimensional auf Irreführungsschutz abstellte. Sie berücksichtige nicht die be­ rechtigten Anliegen zur Regulierung der Anwaltswerbung, die mit von Laien nur schwer zu evaluierenden Dienstleistungen zu tun habe und deshalb besonderen Ge­ fahren des Fehlverständnisses ausgesetzt sei. Die Preiswerbung beispielsweise für ei­ nen günstigen Festpreis einer „Routine“-Dienst­leistung im Falle einverständlicher Scheidung verleite zu Fehlvorstellungen, weil der Routinecharakter eines Sachverhalts erst erkennbar sei, wenn dessen Details anwaltlich ermittelt worden sind. Der Man­ dant könne den Routinecharakter selbst nicht richtig einschätzen. Sein Anwalt gerate dann in Versuchung, nach frühzeitiger Festlegung auf ein Honorar, das angesichts unvorhergesehener zeitraubender Tätigkeitserfordernisse zu niedrig bemessen sei, die schwierigen Besonderheiten des konkreten Falles aus ökonomischen Gründen zu ignorieren und somit nicht gewissenhaft zu arbeiten. So untergrabe auch eine wahre Werbung die hohen ethischen Standards der Berufsausübung, an deren Geltung ein öffentliches Interesse bestehe. Die Zugehörigkeit zur Anwaltschaft ziehe die ethische Verpflichtung nach sich, die 629 Verfolgung eigennütziger wirtschaftlicher Interessen jenseits von Gesetzesbefehlen oder der Wirkung der Marktkräfte durch berufliche Verhaltensstandards zu zügeln. Zu ihnen sollten u. a. Werbebeschränkungen gehören, die dem Anwalt als tagtägliche Mahnung dienen, die anwaltliche Berufsausübung nicht als Handelsgewerbe zu be­ trachten, selbst wenn es für den Eintritt der angestrebten Wirkung keine Garantie gebe. Allerdings dürften diese Standards wegen ihrer wettbewerbsbeschränkenden Wirkung nicht gedankenlos beibehalten und gegen Kritik abgeschirmt werden. 2. ABA Model Rules Die American Bar Association hat zeitlich nach der Shapero-Entscheidung ihre Mo­ 630 del Rules of Professional Conduct in Bezug auf Werbung und direktes Ansprechen möglicher Mandanten zum wiederholten Male neu gefasst. Die aktuellen Rules sind nachfolgend als Beispiel für das ständige Bemühen um die angemessene Lösung des auch in Europa brisanten Problems wiedergegeben. Rule 7.2 Advertising

631

(a) Subject to the requirements of Rules 7.1 and 7.3, a lawyer may advertise services through written, recorded or electronic communication, including public media.

15 So im New Yorker Fall Re von Wiegen 470 N.  E. 2d 838, 847 (1984); cert. denied 472 U.S. 1007 (1985) = 105 S.Ct. 2701 = 86 L.Ed. 2d 717.

187

Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege (b) A lawyer shall not give anything of value to a person for recommending the lawyer’s ser­ vices except that a lawyer may (1) pay the reasonable costs of advertisements or communications permitted by this Rule; (2) pay the usual charges of a legal service plan or a not-for-profit or qualified lawyer referral service. A qualified lawyer referral service is a lawyer referral service that has been approved by an appropriate regulatory authority; (3) pay for a law practice in accordance with Rule 1.17; and (4) refer clients to another lawyer or a nonlawyer professional pursuant to an agreement not otherwise prohibited under these Rules that provides for the other person to refer clients or customers to the lawyer, if (i) the reciprocal referral agreement is not exclusive, and (ii) the client is informed of the existence and nature of the agreement. (c) Any communication made pursuant to this rule shall include the name and office address of at least one lawyer or law firm responsible for its content.

632

Rule 7.3 Solicitation of Clients (a) A lawyer shall not by in‑person, live telephone or real-time electronic contact solicit profes­ sional employment when a significant motive for the lawyer’s doing so is the lawyer’s pecuniary gain, unless the person contacted: (1) is a lawyer; or (2) has a family, close personal, or prior professional relationship with the lawyer. (b) A lawyer shall not solicit professional employment by written, recorded or electronic com­ munication or by in‑person, telephone or real-time electronic contact even when not other­ wise prohibited by paragraph (a), if: (1) the target of the solicitation has made known to the lawyer a desire not to be solicited by the lawyer; or (2) the solicitation involves coercion, duress or harassment. (c)  Every written, recorded or electronic communication from a lawyer soliciting professional employment from anyone known to be in need of legal services in a particular matter shall include the words “Advertising Material” on the outside envelope, if any, and at the beginning and ending of any recorded or electronic communication, unless the recipient of the commu­ nication is a person specified in paragraphs (a)(1) or (a)(2). (d)  Notwithstanding the prohibitions in paragraph (a), a lawyer may participate with a prepaid or group legal service plan operated by an organization not owned or directed by the lawyer that uses in‑person or telephone contact to solicit memberships or subscriptions for the plan from persons who are not known to need legal services in a particular matter covered by the plan.

3. Französisches Recht 633

Das französische Berufsrecht der Avocats hat sich in seiner ersten Neufassung von 1991 für eine vorsichtige Modernisierung des Rechts der Werbung entschieden, die noch stark dem traditionellen Verbotsdenken verhaftet blieb. Das Dekret n° 2005-790 vom 12.7.2005 relatif aux règles de déontologie de la profession d‘avocat i. d. F. des 188

Werbung  ­|  § 29

Dekret n° 2014-1251 vom 28.10.2014, das wiederum durch eine aufhebende Ent­ scheidung des Conseil d’Etat vom 9.11.2015 modifiziert worden ist, ist deutlich groß­ zügiger. Es bestimmt: Art. 15 (konsolidierte Version vom 21.11.2016):

634

La publicité et la sollicitation personnalisée sont permises à l‘avocat si elles procurent une in­ formation sincère sur la nature des prestations de services proposées et si leur mise en œuvre respecte les principes essentiels de la profession. Elles excluent tout élément comparatif ou dénigrant. La sollicitation personnalisée prend la forme d’un envoi postal ou d’un courrier électronique adressé au destinataire de l’offre de service, à l’exclusion de tout message textuel envoyé sur un terminal téléphonique mobile. Elle précise les modalités de détermination du coût de la prestation, laquelle fera l‘objet d‘une convention d‘honoraires.

Ergänzt wird Art. 15 durch Art. 10 des Règlement Intérieur National (RIN) in der 635 Fassung des Conseil National des Barreaux. 4. Österreichisches Recht In Österreich ist die Werbung unter dem Titel „Rechtsanwalt und Öffentlichkeit“ in 636 den Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes (RL-BA) geregelt. Sie sind durch die Satzung des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages festgelegt, die die Rechtsqualität einer Verordnung hat. § 47 RL-BA

637

(1) Der Rechtsanwalt wirbt vornehmlich durch die Qualität seiner anwaltlichen Leistung. (2) Werbung ist zulässig, sofern sie wahr, sachlich, in Einklang mit Ehre und Ansehen des Standes, den Berufspflichten sowie der Funktion des Rechtsanwaltes im Rahmen der Rechts­ pflege ist. (3) Unzulässig ist insbesondere 1. Selbstanpreisung durch marktschreierische Werbung; 2. Werbung im Vergleich und unter Bezugnahme auf eine individualisierte andere Rechtsan­ waltskanzlei; 3. Mandatsakquisition unter Ausnützung einer Zwangssituation; 4. Überlassung von Vollmachtsformularen an Dritte zwecks Weitergabe an einen unbestimm­ ten Personenkreis; 5. Nennung von Klienten ohne deren Einwilligung; 6. das Anbieten oder Gewähren von Vorteilen für Mandatszuführungen. § 48 RL-BA

638

Der Rechtsanwalt hat in zumutbarer Weise dafür zu sorgen, dass standeswidrige Werbung für ihn durch Dritte, insbesondere durch Medien, unterbleibt.

189

Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege 639

§ 49 RL-BA Im Umgang mit Medien hat der Rechtsanwalt die Interessen seines Klienten, Ehre und Anse­ hen des Standes, sowie die Berufspflichten zu beachten. Im Rahmen eines Mandats veranlasste Veröffentlichungen in Medien sind mit ausdrücklicher Zustimmung des Klienten zulässig, so­ weit sie nach sorgfältiger Erwägung des Rechtsanwaltes im Interesse des Klienten sind.

V. Gesetzliche Regelung in Deutschland 1. Der Ansatz der BRAO: Informationswerbung 640

§ 43b BRAO gestattet Werbung, soweit sie über die berufliche Tätigkeit in Form und Inhalt sachlich unterrichtet und nicht auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichtet ist. § 59b Abs. 2 Nr. 3 BRAO ermöglicht nähere Werberegelungen in der von der Satzungsversammlung zu beschließenden Berufsordnung. Die BORA verfeinert die Anforderungen an Werbung und sonstige Formen kommunikativer Außendar­ stellung in ihren §§ 6 bis 10 (dazu unten § 42, Rn. 1099 ff.).

641

In gleicher Weise sind den Steuerberatern durch Einfügung des § 57a StBerG im Jah­ re 1994 Werbemöglichkeiten eröffnet worden.16 In Auseinandersetzung mit §  57 StBerG hat das BVerfG schon 1995 bekräftigt,17 dass das dort genannte Verbot be­ rufswidriger Werbung dem Gesetzesvorbehalt des Art.  12 Abs.  1 S.  2 GG genüge. Dasselbe gilt für § 43b BRAO, der ein allgemeines Gesetz i. S. d. Art. 5 Abs. 2 GG ist.18 Allerdings kann die Normanwendung durch die Gerichte gegen Art. 12 GG oder ge­ gen Art. 5 Abs. 1 GG verstoßen.19

642

Dass das BVerfG häufig Art. 12 Abs. 1 GG statt Art. 5 Abs. 1 GG als Grundrechtsmaß­ stab herangezogen hat, ist eine Kuriosität seiner Rechtsprechung. Sie steht mit der weiten Anwendung des Art. 5 Abs. 1 GG auf sonstige geschäftliche Werbung durch das BVerfG nicht in Einklang. Die Wahl des Grundrechts ändert aber nichts am Er­ gebnis der vorzunehmenden Prüfungen.20 In einer Entscheidung vom 5.3.2015 hat das Gericht sich in erster Linie zur Anwendung des Art. 5 Abs. 1 GG auf § 43b BRAO geäußert und dabei unter den Begriff der Werbung i. S. d. § 43b BRAO nicht nur her­ kömmliche Werbeformen wie Anzeigen und Broschüren subsumiert, sondern ebenso das Marketing sowie die gesamte Öffentlichkeitsarbeit eines Rechtsanwalts,21 was in dieser Weite noch am ehesten eine ausschließliche Prüfung anhand des Art. 12 Abs. 1 GG nahelegen würde. 16 Vgl. dazu BGH GRUR 1995, 494, 495; OLG Dresden WRP 1995, 956 f. = NJW-RR 1996, 36; OLG Nürnberg WRP 1995, 510 f. Zur Abschwächung des berufsrechtlichen Werbeverbotes der Ärzte vgl. Laufs NJW 1995, 1595  f. m. w. N.; Landesberufsgericht für Heilberufe bei dem OVG Koblenz NJW 1995, 1633 ff. 17 BVerfG WRP 1996, 190, 191. 18 BVerfG WRP 2015, 562 Rdn. 24. 19 Zu Art. 5 I GG: BVerfG WRP 2015, 562 Rdn. 26. 20 Eingehend dazu Ahrens in Harte/Henning, UWG, 4. Aufl. 2016, Einl G Rdn. 70 f. 21 BVerfG WRP 2015, 562 Rdn. 28 – Schockbilder auf Werbetassen.

190

Werbung  ­|  § 29

2. Fehlende Anpassung an RL 2006/123/EG Die Vorschrift des Art. 43b BRAO ist nicht überprüft worden, nachdem die Dienst­ 643 leistungsrichtlinie 2006/123/EG22 erlassen worden war. Art. 24 der RL 2006/123/EG handelt von der kommerziellen Kommunikation für reglementierte Berufe.23 Art. 24 Abs. 1 RL bestimmt, dass die Mitgliedstaaten sämtliche absoluten Verbote der 644 kommerziellen Kommunikation für reglementierte Berufe aufzuheben haben. Dem entspricht § 43b BRAO als Gesetzesnorm. Art. 24 Abs. 2 RL 2006/123/EG lautet:

645

Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die kommerzielle Kommunikation durch Angehörige reglementierter Berufe die Anforderungen der berufsrechtlichen Regeln erfüllt, die im Ein­ klang mit dem Gemeinschaftsrecht je nach Beruf insbesondere die Unabhängigkeit, die Würde und die Integrität des Berufsstandes sowie die Wahrung des Berufsgeheimnisses gewährleisten sollen. Berufsrechtliche Regeln über die kommerzielle Kommunikation müssen nicht diskri­ minierend, durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt und ver­ hältnismäßig sein.

Der Begriff „kommerzielle Kommunikation wird in Art. 4 Nr. 12 der Richtlinie defi­ 646 niert. Er umfasst nicht nur die klassische Werbung, sondern auch andere Werbefor­ men sowie die Übermittlung von Informationen mit dem Ziel, neue Kunden zu ge­ winnen.24 § 43b BRAO wird nicht dem Gebot gerecht, dass die nationale Umsetzung von Richt­ 647 linien der EU für Klarheit im Wortlaut zu sorgen hat. Das Erfordernis und die Beach­ tung einer richtlinienkonformen Auslegung müssen aus den Begründungen einschlä­ giger Judikate erkennbar werden. Dem trägt der BGH Rechnung.25

VI. Modalitäten der Werbung 1. Grundsatz: Zulässigkeit von Werbung Ungeachtet der auch hier befürworteten Beschränkung von Werbung ist von der 648 Grundaussage auszugehen, dass Werbung zulässig ist und restringierende Anforde­ rungen daher nicht von einem Verbot her gedacht werden dürfen; nicht die Gestattung der Anwaltswerbung bedarf der Rechtfertigung, sondern deren Einschränkung.26 22 ABl. EU 2006 Nr. L 376 S. 36. 23 Dazu EuGH v. 5.4.2011  – C-119/09  – Société fiduciere nationale d’expertise comptable, EuZW 2011, 681 Tz. 25 ff. 24 EuGH v. 8.4.2011 – C-119/09 Tz. 32 f., Slg. 2001, I-2551 = EuZW 2011, 681 = AnwBl 2011, 492. 25 BGHZ 199, 43 = NJW 2014, 554 Tz. 14 ff. – Kommanditistenbrief; ebenso OLG Köln NJW 2014, 1820, 1822 f. 26 Vgl. BGHZ 147, 71, 74 = NJW 2001, 2087 – Anwaltswerbung II; BGH NJW 2001, 2886, 2887 – Anwaltsrundschreiben; Becker-Eberhard Festschrift Fezer (2016), S. 329, 333.

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Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege

2. Informationswerbung 649

Was als zulässige Informationswerbung und was als rechtswidrige gezielte Mandats­ werbung zu qualifizieren ist, hat der Anwaltssenat des BGH zunächst mit wolkigen Formulierungen zu ertasten versucht,27 die sich für eine berechenbare Rechtsanwen­ dung wenig eigneten.28 Ältere Entscheidungen sind stets kritisch darauf zu überprü­ fen, ob sie noch von dem Eindruck geprägt sind, dass jegliche Werbung mit berufli­ cher Motivation von vornherein berufswidrig sei.29

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Vielfältig sind die Werbesachverhalte in Bezug auf Inhalt und eingesetztes Medium sowie Adressaten. Dies gilt schon für die einfachste Form der Werbung durch Anga­ ben auf den Briefbögen mit Hinweisen auf Spezialkenntnisse, Titel, Kooperationen, Nebentätigkeiten und Mitgliedschaften. Das Auslegen und Verteilen von Praxisbro­ schüren und Visitenkarten betrifft weitere Druckwerke, zu denen verschiedenartige Zeitungsanzeigen, allgemeine Informationsangaben über die Kanzlei in Hörfunk und Fernsehen oder durch Plakatanschlag, Telefonbuch- und Branchenbucheintragun­ gen, Publikationen in Fachzeitschriften sowie die redaktionelle Zusammenarbeit mit Journalisten verschiedener Medien treten können.

651

Mandate können durch Anwaltssuchdienste vermittelt werden. Rundbriefe und Fest­ tagsgrüße können sich an Mandanten richten; direkt angesprochen werden können aber auch Nichtmandanten. Aufmerksamkeit kann durch Vorträge, Seminare und Informationsveranstaltungen ebenso erregt werden wie durch Büroempfänge, Ver­ nissagen und Werbegeschenke. Zu den traditionellen Werbeelementen gehören die äußere Gestaltung und die Benennung des Büros oder des Bürogebäudes. Kasuistik:

652

(a) BGH NJW 1993, 1331  f.: Die beklagten Rechtsanwälte betrieben ihre Anwaltspraxis im grenznahen Bereich zu den Niederlanden. Bei der Mandantenberatung auftretende Fragen zum niederländischen Recht ließen sie in ständiger Zusammenarbeit mit einer niederländischen Anwaltskanzlei von den niederländischen Kollegen gutachterlich klären. Auf diese Zu­ sammenarbeit wiesen sie in den Briefbögen im Anschluss an die Angaben zu ihrer Kanzlei mit dem Zusatz hin: „Kooperationspartner Advocatenkantoor Ge. & Partners B.V., E. (Niederlan­ de)“. Der Wettbewerbssenat sah darin eine erlaubte Informationswerbung, weil durch den Koope­ rationshinweis darüber aufgeklärt werde, dass ein rascher Informationsaustausch mit kundi­ 27 BGH NJW 1990, 1739, sprach u. a. von „planvoll angelegtem Verhalten“, das aber doch nach „objektiven Kriterien“ bestimmt sein soll; genannt wurde ein Verbot der Eigenbewertung von Leistungen und des Einsatzes von Werbemitteln, die für die gewerbliche Wirtschaft typisch sind. Unbeanstandet blieb, dass der Vorsitzende eines Haus- und Grundeigentü­ mervereins auf den Vereinsbriefbögen mit dem Zusatz Rechtsanwalt und Notar genannt wurde. 28 Zweifel an der Tragfähigkeit der Unterscheidung hegten auch Everling, Gutachten zum 58. DJT, C 65, und Kewenig JZ 1990, 782, 788. 29 Gegen diese Einstellung BVerfG NJW 2003, 1307 (zur Aussage „optimale Interessenwah­ rung“ auf Homepage der Anwaltskanzlei); s. auch BVerfG NJW 2000, 1635, 1636 (Anzei­ genblattwerbung mit dem Slogan „Ihre Rechtsfragen sind unsere Aufgabe“).

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Werbung  ­|  § 29 gen Anwälten aus dem fremden Rechtskreis hergestellt werde. Mit dem Begriff Kooperation verbinde der Verkehr die Vorstellung von einer Zusammenarbeit ohne bestimmte gesell­ schaftsrechtliche Verpflichtungen als Partner einer Anwaltssozietät oder einer EWIV. – Der Senat wies zugleich auf die fließenden Grenzen zwischen erlaubter Informationswerbung und verbotener reklamehafter Selbstanpreisung hin. Die Darstellung des Dienstleistungsangebots müsse eine der Sache nach angemessene Form finden. Je geringer der sachliche Wert der ange­ priesenen Information sei, der sich nach dem Informationsbedürfnis der rechtsuchenden Öf­ fentlichkeit richte, desto zurückhaltender müsse der werbende Hinweis gestaltet sein. Zur Information über die Zusammenarbeit mit einer französischen Anwaltssozietät vgl. OLG Hamm NJW 1993, 1338. (b) BVerfG (Kammer) NJW 1992, 1613  f.: Die Beschwerdeführerin hatte sich an der Anwalts-Suchservice-Informationsdienst für anwaltliche Dienstleistungen GmbH beteiligt. Die GmbH benannte Rechtsuchenden auf Anfrage kostenlos einen Rechtsanwalt, der nach seinem Kanzleisitz und seinem überwiegenden Tätigkeitsgebiet in Betracht kam. Die Beschwerdefüh­ rerin wurde ihren zutreffenden Angaben zufolge mit dem Tätigkeitsschwerpunkt „Familiensa­ chen“ geführt, wofür sie neben einer einmaligen Aufnahmegebühr von 50 DM einen monatlichen Beitrag von 30 DM entrichtete. Der EGH hatte den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die von der Kammer erteilte Rüge mit der Begründung zurückgewiesen, die entgeltliche Aufnahme in das Verzeichnis komme der Zahlung standeswidriger Vermittlungsprovisionen gleich.

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Die Kammer sah in der Teilnahme an dem Anwaltssuchservice keinen Verstoß gegen das aus der Generalklausel des § 43 BRAO herleitbare Werbeverbot. Es werde keine gezielte Werbung im Sinne eines unaufgeforderten direkten Herantretens an potentielle Mandanten betrieben. Die Angabe der Tätigkeitsbereiche entspreche einem Informationsbedürfnis der Rechtsuchen­ den, das in gleicher Weise von den durch die Rechtsanwaltskammern und örtlichen Anwalts­ vereine geführten Listen mit Spezialgebietsangaben befriedigt werde, die ebenfalls ausschließ­ lich auf Selbsteinschätzung beruhten. Da keine weiteren Qualifikationshinweise gegeben würden, sei eine Irreführung wegen Verwechslung mit einer Fachanwaltschaft ausgeschlossen. Die Entscheidung gibt eine Antwort auf eine nicht gestellte Frage, äußert sich hingegen nicht zu dem Problem des gewerblichen Vermittlungsdienstes und der Gefahr des Zutreibens von Mandanten durch die GmbH. Zur Zulässigkeit eines Zahnarztsuchservice BVerfG NJW 2002, 1864. (c) OLG Karlsruhe WRP 1991, 816 f.: Die beklagten Rechtsanwälte hatten mehrfach Zeitungsinserate aufgegeben, in denen sie auf ihre Praxis hinwiesen. Das OLG sah darin nach Inhalt, Gestaltung und Plazierung der Anzeigen eine berufswidrige Werbung, weil diese nicht vor­ rangig durch den Zweck sachlicher Information des Publikums, etwa über Art und Umfang der anwaltlichen Tätigkeit, bestimmt gewesen seien, sondern wie Werbung umsatzorientierter Gewerbebetriebe gezielt der Umsatzförderung durch Akquisition von Mandanten gedient hät­ ten. Das ergebe sich aus dem Anzeigenumfeld, nämlich der Werbung eines Brillenfachgeschäf­ tes, eines Friseursalons und eines Schreibwarenladens, aus der Verwendung reklamehafter Gestaltungselemente, nämlich einer von oben nach unten abnehmenden graufarbigen Unter­ legung der Anzeige und der Paragraphenstilisierung auf einem hingeworfenen Blatt Papier sowie aus der den Werbeeffekt erhöhenden mehrfachen Anzeigenschaltung innerhalb eines kurzen Zeitraums.

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Das Entscheidungsergebnis ist heute nicht mehr vertretbar. (d) OLG Frankfurt/M. WRP 1996, 567 = NJW 1996, 1065: Anlässlich der Zulassung eines neu­ en Anwalts zur Rechtsanwaltschaft veröffentlichte seine Kanzlei auf der ersten Seite des Lokal-

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Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege teils der N-Presse eine Anzeige der Größe 21,1 cm x 16 cm, in der die gesamte überörtliche Sozietät umfassend vorgestellt wurde. Das OLG sah die Anzeige als berufswidrig und daher gegen §§ 43b BRAO, 1 UWG a. F. verstoßend an, weil die Dienstleistungen mit kommerziellen Werbemethoden anreißerisch herausgestellt wurden. Diese Bewertung wurde auf die Pla­ zierung der Anzeige im redaktionellen Teil gestützt, also außerhalb des Anzeigenteils und/ oder der Rubrik „Geschäftliche Empfehlungen“. Das Ergebnis ist heute nicht mehr vertretbar.

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(e) OLG Nürnberg NJW 1993, 1338: Erfolglos blieb der Unterlassungsantrag gegen eine 13 x 7 cm große Stellenanzeige in einer Tageszeitung, mit der eine Büroassistentin zur Mitarbeit in der „stark expandierenden Steuerkanzlei“ gesucht wurde. Der Hinweis auf die Expansion sei als Informationswerbung noch zulässig, weil damit der Grund des Stellenangebotes erläutert werde (Steuerberaterfall). Zur Zulässigkeit derartiger Stellenanzeigen s. ferner BVerfG WRP 1996, 192  f.; BGH GRUR 2003, 503.

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Teil der werbenden Öffentlichkeitsarbeit sind die Herausstellung von Fachanwaltsbe­ zeichnungen und die Angabe von Tätigkeits- und Interessenschwerpunkten (dazu § 30, Rn. 685 ff., 700 ff.).30 Die nach Leistungsstand und Leistungsnachweis gestuften Bezeichnungen dürfen nach Maßgabe der BRAO und der BORA geführt werden, auch wenn ihnen von der Bevölkerung falsche Bedeutung der jeweiligen Leistungsin­ halte zugeordnet werden. Zur Führung einer Fachanwaltsbezeichnung bedarf es einer rechtlichen Grundlage, die Inhalt und Nachweis der Qualifikation festlegt.31 Ohne Anerkennung in einem förmlichen Verfahren stellt das Führen einer solchen Be­ zeichnung eine irreführende Werbung dar.32 Neben diesen Angaben kommen auch andere und/oder detailliertere Beschreibungen in Betracht, etwa zu den Gegenstän­ den steuerrechtlicher Dienstleistungen.33 Die Angabe des Interessenschwerpunkts „Sportrecht“ darf mit dem Hinweis auf eigene Erfolge im Hochleistungssport verbun­ den werden.34 Kasuistik:

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(a) OLG Karlsruhe GRUR 1992, 180 f.: Der Beklagte hatte, nachdem er als Regierungspräsident in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden war, die Eröffnung seiner Anwaltskanzlei in einer Anzeige bekanntgegeben und darin die Bezeichnung „Regierungspräsident i.e.R.“ ver­ wendet. Das OLG sah darin einen sachbezogenen Hinweis auf die frühere Tätigkeit mit Informations­ wert für das Publikum, der nicht irreführend war.

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(b) BVerfG (Kammer) NJW 1992, 1614: Die beschwerdeführenden Rechtsanwälte hatten in ei­ nem Formularschreiben an sämtliche Unternehmensberater ihres Bezirks unter Hinweis auf die Tätigkeitsschwerpunkte der einzelnen Sozien eine Zusammenarbeit angeregt und dafür eine Rüge des Kammervorstandes erhalten. Die Verfassungsbeschwerde blieb erfolglos, weil es 30 Dazu BVerfG NJW 2001, 2620 (Qualifikationsleiter). 31 BGH NJW 1990, 1719, 1720. 32 BVerfG (Kammer) NZA 1993, 693. 33 BVerfG (Kammer) NJW 2001, 2620. 34 BVerfG (Kammer) NJW 2003, 2816, 1817.

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Werbung  ­|  § 29 sich bei dem unaufgeforderten Dienstleistungsangebot an einen unbekannten Personenkreis um eine gezielte Werbung gehandelt hatte. (c) KG NJW 1995, 2298 f.: Der beklagte Rechtsanwalt hielt baurechtliche Seminare ab. 1992 wandte er sich mit einem Schreiben unaufgefordert an die nicht zu seiner Mandantschaft ge­ hörende B.-GmbH. Der Briefbogen wies das zweifarbig gestaltete Logo des Beklagten auf. Der Text sollte auf ein näher bezeichnetes Baurechtsseminar aufmerksam machen und enthielt den Hinweis auf eine beabsichtigte Erörterung einer „Fülle raffinierter Vertragsbestimmungen“ auf der Basis einer 250 Seiten starken Checkliste zur täglichen Verwendung am Arbeitsplatz der Unternehmensmitarbeiter. Auszüge aus dieser Liste waren beigefügt. Angeboten wurde ferner eine kostenlose Rechtsberatung über Baurechtsprobleme für alle Seminarteilnehmer.

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Das KG gab der Wettbewerbsklage eines konkurrierenden Rechtsanwalts statt. Es sah in der Seminarankündigung durch Einzelschreiben gegenüber Unternehmen und sonstigen nicht zur Mandantschaft gehörenden Dritten einen Verstoß gegen § 43b BRAO, weil sich der Beklag­ te reklamehaft selbst herausgestellt habe. Die Werbung gleiche derjenigen für Ratgebersachbü­ cher. Das Entscheidungsergebnis ist heute nicht mehr vertretbar.

Das in der Werbung zu beachtende Sachlichkeitsgebot verlangt keine Beschränkung 661 auf die Mitteilung nüchterner Fakten.35 Überschritten sein soll die durch Art.  43b BRAO unter Beachtung des Verfassungsrechts gezogene Grenze, wenn die Werbung nicht das Interesse des rechtsuchenden Bürgers beachtet und „ein reklamehaftes An­ preisen in den Vordergrund stellt“, das „mit der eigentlichen Leistung des Anwalts nichts mehr zu tun hat und sich nicht mit dem unabdingbaren Vertrauensverhältnis im Rahmen eines Mandats vereinbaren lässt“.36 Unter Benennung dieses Prüfkriteriums hat das BVerfG eine Verfassungsbeschwerde 662 nicht zur Entscheidung angenommen, die sich gegen reißerische Werbegeschenke richtete. Die RAK hielt im Ausgangsverfahren die Verteilung von Werbetassen für unvereinbar mit § 43b BRAO, die mit körperlichen Züchtigungsmaßnahmen und Ge­ waltszenen bebildert waren und unter denen die Kontaktdaten des Anwalts angege­ ben waren. Als Verstoß hat es der AnwGH von Nordrhein-Westfalen angesehen, mit reißerischen oder sexualbezogenen Anzeigen Aufmerksamkeit zu erregen.37 Ein Glückwunschschreiben zur Konfirmation mit dem Angebot eines Honorarerlas­ 663 ses als Geschenk ist als Verstoß gegen § 43b BRAO anzusehen.38 Sympathiewerbung durch Hinweis auf Sponsorleistungen des Anwalts soll hingegen berufsbezogen und daher verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig sein,39 ebenso eine sachliche Ban­

35 BGH NJW 2005, 1644, 1645 (Homepageangabe: „optimale Interessenvertretung“); BGH NJW 2010, 1968 Tz. 22 – EKW-Steuerberater. 36 BVerfG (Kammer) NJW 2003, 2816, 1817; BVerfG WRP 2015, 562 Rdn. 24. 37 AnwGH NRW v. 3.6.2016 – 2 AGH 1/16, NJW-Spezial 2016, 542 f. Ähnlich OLG Olden­ burg NJW 2001, 2026, 2027 („Wenn der Steuerfahnder 3 x klingelt“). 38 OLG Celle NJW 2002, 1210, 1211. 39 BVerfG NJW 2000, 3195, 3196 m. Bespr. Ahrens NJW 2000, 3188 f.

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Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege

denwerbung an einer Eislauffläche zur Unterstützung einer Marketingaktion von Ge­ werbetreibenden.40 3. Werbung um konkrete Mandate 664

Verboten wird durch § 43b BRAO die Werbung um eine konkrete Mandatserteilung, etwa nach spektakulären Unfällen, was im US-Recht treffend als „Ambulance Cha­ sing“ bezeichnet wird. Auch insoweit fällt die Grenzziehung allerdings schwer, wenn sich etwa das Leistungsangebot auf konkrete Massensachverhalte wie die gescheiterte Kapitalanlage in eine bestimmte Publikumsgesellschaft bezieht.

665

Werbung dient der Gewinnung neuer Mandanten. Das unaufgeforderte Herantreten an potentielle Mandanten verwirklicht nicht schon aus diesem Grund das missglückt formulierte Verbot des § 43b BRAO, das sich gegen Werbung um die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall richtet.41 So dürfen etwa Anleger eines wegen Vermögenslo­ sigkeit geschlossenen Fonds zu einer Informationsveranstaltung eingeladen wer­ den.42 Unerheblich ist, ob schon ein konkreter Beratungsbedarf besteht, den der An­ walt zum Anlass der Werbemaßnahme nimmt.43 Anderenfalls wäre zudem die Selbstorganisation gemeinschaftlicher Interessenwahrnehmung von Mandanten er­ schwert.

666

Unrichtig ist die Auffassung, das Verbot der Werbung um ein konkretes Mandat sei einschränkend dahin auszulegen, dass der Rechtsanwender eine Beeinträchtigung von Gemeinwohlgründen im Einzelfall feststellen müsse.44 Die generelle Abwägung hat der Gesetzgeber verfassungskonform getroffen. Was sich als Auslegung geriert, ist in Wirklichkeit die partielle Derogation einer gesetzgeberischen Entscheidung. Sie wäre unter dem Gesichtspunkt richtlinienkonformer Auslegung hinzunehmen, wenn ein solches Ergebnis aus Art. 24 RL 2006/123/EG in Verbindung mit Erwägungsgrund 100 abzuleiten wäre, wie der BGH angenommen hat.45 Das ist jedoch nicht der Fall. Der BGH reduziert das Verbot der Werbung um ein konkretes Mandat inhaltlich auf den Schutz der Entscheidungsfreiheit vor Belästigung, Nötigung und Überrumpelung.46

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Als eindeutig verletzt angesehen wurde das Verbot bei unaufgeforderter Übersen­ dung eines Vollmachtformulars.47 Davon wiederum zu differenzieren ist die Bereit­ 40 AnwG Hamm NJW-RR 2002, 1065. 41 Vgl. BGH NJW 2001, 2886, 2887 – Anwaltsrundschreiben; BGH NJW 2002, 2642, 2644 – Vanity-Nummer; OLG München NJW 2002, 760, 761. 42 OLG Naumburg NJW 2003, 3566, 3567; s. auch OLG Naumburg NJW 2008, 445, 446. 43 OLG Hamburg NJW 2004, 1668, 1669. 44 So aber BGHZ 199, 43  =  NJW 2014, 554 Tz.  14  – Kommanditistenbrief m. Bespr. Kleine-Cosack NJW 2014, 514 ff.; BGH WM 2015, 221 Tz. 11; KG NJW GRUR-RR 2010, 437, 438 m. Anm. Menebröcker = NJW 2011, 865, 866 m. Anm. Degen. 45 BGH NJW 2014, 554 Tz. 14 ff. – Kommanditistenbrief; BGH WM 2015, 221 Tz. 11; so wohl auch OLG Köln NJW 2014, 1820, 1822 f. 46 Vgl. BGH NJW 2014, 554 Tz. 21. Die Vergleichbarkeit mit prekärer finanzieller Situation verneint OLG Jena NJW-RR 2006, 708, 710. 47 OLG Hamburg NJW 2005, 2783, 2785.

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Werbung  ­|  § 29

stellung eines Formulars auf der Homepage, das heruntergeladen werden kann. Eine verbotene gezielte Ansprache im Einzelfall sollte das Verteilen von Werbeflyern vor einem Hotelkonferenzzimmer darstellen, in dem eine Gesellschafterversammlung unter Teilnahme von Personen mit konkretem Beratungsbedarf stattfindet.48 Diese Sachverhalte sind nach der Entscheidung „Kommanditistenbrief “ des BGH (zuvor Rn. 647) wohl anders zu beurteilen. Daten über potentielle Mandanten, deren Herausgabe der Anwalt für einen Mandan­ 668 ten gegen eine Kapitalanlagegesellschaft erstritten hat, dürfen von ihm wegen §  28 Abs. 3 BDSG nicht für die eigene Mandatswerbung eingesetzt werden, indem diese Personen mit parallelem Beratungsbedarf von ihm angeschrieben werden. Allerdings dürfen die Daten zur Organisation einer Interessengemeinschaft unter Federführung durch den Mandanten genutzt werden.49 Überhaupt kann Datenbeschaffung über potentielle Mandanten zur Vorbereitung gezielter Werbeansprache gegen deren Recht auf informationelle Selbstbestimmung verstoßen.50 Das Schüren von Ängsten über die Werthaltigkeit einer Kapitalanlage durch das Äu­ 669 ßern von Verdächtigungen gegen eine Gesellschaft in Schreiben an Anleger zu deren Gewinnung als Mandanten greift in das Recht am Unternehmen ein51 und verstößt auch gegen § 43b BRAO. 4. Rechtsfolgen Berufswidrige Werbung kann disziplinarrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Irre­ 670 führende Werbung begründet Unterlassungsansprüche gem. § 5 UWG für die in § 8 Abs. 3 UWG aufgeführten Unterlassungsgläubiger. Verstöße gegen einzelne berufs­ rechtliche Normen über die anwaltliche Außendarstellung sind zudem über §  3a UWG zu verfolgen, sofern es sich um Marktverhaltensregeln handelt. Hingegen führt ein Verstoß gegen ein Werbeverbot nicht zur Nichtigkeit eines daraufhin zustande gekommenen Anwaltsvertrages mit Konsequenzen für den Honoraranspruch.52

VII. Satzungsrecht Die BORA hält sich mit Aussagen zur Abgrenzung rechtmäßiger und rechtswidriger 671 Werbung zurück und geht über die Regelung des § 43b BRAO nur sehr beschränkt hinaus (dazu unten § 42, Rn. 1100 ff.).

48 OLG München NJW 2006, 517, 518. 49 OLG Köln NJW 2014, 1820, 1821. 50 OLG Naumburg NJW 2003, 3566, 3567; OLG Jena NJW-RR 2006, 708, 710. 51 OLG Saarbrücken MDR 2008, 295, 296. 52 A.A. mit haltloser Begründung AG Weilheim NJW 2013, 243. Allgemein zur Auswirkung von Wettbewerbsverstößen auf Vertragsverhältnisse Ahrens in Harte/Henning, UWG, 4. Aufl. 2016, Einl. G Rdn. 147 ff.

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Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege 672

Umkämpft war ursprünglich die Haltung zur Werbung in den Medien. Nach einem Vorschlag sollte bezahlte Werbung in Radio, Fernsehen, Kino und auf öffentlichen Plakatflächen untersagt werden. Das hat ebenso wenig eine Mehrheit gefunden wie der Vorschlag eines Verbots der Werbung in elektronischen Medien schlechthin; es hätte heute die kuriose Konsequenz, dass Angaben im Internet, z. B. die Einrichtung einer Homepage, unzulässig wären.

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Zulässig ist Werbung mittels Praxisbroschüren, Rundschreiben und vergleichbarer Informationsmittel. Eine Beschränkung der Verteilung, etwa durch ein Verbot der Aussendung an unbekannte Personen, ist bewusst nicht aufgestellt worden.

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§ 30 Fachanwaltschaften

I. Spezialisierung als Marktbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 674

II. Gesetzesentwicklung nach den Standesrichtlinienbeschlüssen des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 677 III. Fachanwälte und Schwerpunktangaben 1. Materielle Zulassungskontrolle und Selbsteinschätzung . . . . . . . . 685





2. Qualifikationsanforderungen a) Theoretische Kenntnisse . . . . 687 b) Praktische Erfahrungen . . . . . 689 c) Fachgespräch . . . . . . . . . . . . . . 691 d) Syndikusanwälte . . . . . . . . . . . 692 3. Zulassungsverfahren . . . . . . . . . . 693 4. Fortbildungspflicht . . . . . . . . . . . 697 5. Tätigkeits- und Interessenschwerpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . 700 6. Experte, Spezialist . . . . . . . . . . . . 710

I. Spezialisierung als Marktbedürfnis Schon vor der Etablierung zahlreicher Fachanwaltschaften hatte im ausgehenden 674 20. Jahrhundert faktisch eine Bildung von Schwerpunkten der Tätigkeit nach Berei­ chen des materiellen Rechts stattgefunden. Im Zentrum standen Mandate aus dem Bereich des Zivil- und Strafrechts mit unterschiedlichen Akzentuierungen. Andere Rechtsgebiete hatten nur unzureichend das ihnen gebührende Interesse gefunden, selbst wenn bereits damals eine Dokumentation des angesammelten Fachwissens durch Führen der Bezeichnung „Fachanwalt für …“ gestattet war. So stand auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts der kleinen Zahl häufig beschäftigter Spezialisten eine Mehrheit von Anwälten gegenüber, die nur hin und wieder eine entsprechende Ver­ tretung übertragen erhielten. Manche Dienstleistungssektoren sind den Anwälten in ihrer breiten Mehrheit faktisch entglitten und sind nur mühsam zurückzuerobern. So wird die Steuerberatung seit langem weitgehend von Steuerberatern betrieben, die ihrer beruflichen Ausbildung nach akademische Ökonomen sind.1 Auch das Sozial­ versicherungsrecht hat in der Vergangenheit – u. a. wegen früher unattraktiver Ge­ bühreneinnahmen – wenig Beachtung gefunden. Spezialisierungen sind bei Abwägung von Aufwand und Ertrag nur attraktiv, wenn 675 der Anwalt gehäuft einschlägige Mandatserteilungen in Aussicht hat. Sie zu erlangen setzt im allgemeinen entsprechende Hinweise in der Öffentlichkeit voraus, die jedoch vor 1987 durch das anwaltliche Werbeverbot untersagt waren. Lediglich für bestimm­ te Sondergebiete (Steuerrecht, Verwaltungsrecht, Arbeitsrecht, Sozialrecht) war die Bezeichnung „Fachanwalt für …“ als Marketinginstrument standesrechtlich zugelas­

1 Nach Schlütter AnwBl. 1987, 379, standen zum Referenzzeitpunkt seiner Untersuchung ca. 2000 auf Steuerrecht spezialisierte Anwälte 45 000 nichtjuristischen Beratern (Steuerbera­ tern und Wirtschaftsprüfern) gegenüber.

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Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege

sen.2 Einer Ausweitung stand das unbewältigte Problem entgegen, die besonderen Fachkenntnisse qualifiziert nachzuweisen. Für den entsprechend befähigten Anwalt birgt die Führung einer Fachgebietsbezeichnung das Risiko in sich, dass er von Recht­ suchenden fälschlich für ungeeignet gehalten wird, andere Mandate zu bearbeiten. 676

In Betracht kommen kann auch, von der Anwaltstätigkeit ausgehend Zusatzqualifika­ tionen in anderen Berufsgebieten zu erwerben. Die Voraussetzungen der Zulassung zur Steuerberaterprüfung werden eigenständig durch das Steuerberatungsgesetz fest­ gelegt. Die 1990 verschärfte berufspraktische Voraussetzung (§ 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG) hat den Zulassungserwerb für Rechtsanwälte erschwert.3

II. Gesetzesentwicklung nach den Standesrichtlinienbeschlüssen des BVerfG 677

Nach der Grundsatzentscheidung des BVerfG vom 14.7.1987 zu den Standesrichtlini­ en (BVerfGE 76, 171 und 196) war in Streit geraten, ob die Rechtsanwaltskammern überhaupt noch eine Kompetenz besitzen, Fach­an­waltsbezeichnungen zu verleihen. Die einzelnen Kammern verfolgten eine unterschiedliche Praxis und die Entschei­ dungen der Ehrengerichtshöfe, die insoweit vom BGH nicht für beschwerdefähig an­ gesehen wurden,4 widersprachen sich.5 Im Petitionsausschuss des Deutschen Bun­ destages hatte sich die Koalitionsmehrheit noch am 25.10.1989 gegen eine erweiterte Zulassung der Kennzeichnung von Spezialanwälten (z. B. als „Anwalt für Familien­ recht“) ausgesprochen.6 Als Reaktion auf die BGH-Entscheidung hat der Bundestag anlässlich der Novellierung der Bundesnotarordnung im Oktober 1990 überraschend eine gesetzliche Regelung über das Führen von Fachanwaltsbezeichnungen für die bisher schon bekannten Rechtsgebiete beschlossen.7 Die Qualifikationsanforderun­ gen sollten durch Rechtsverordnung geregelt werden. Wegen anderweitiger Streitig­ keiten über die Zuständigkeitsverteilung beim Erlass von Rechtsverordnungen kam es zu einer Blockade des Inkrafttretens dieses Gesetzes. Die Regelung wurde dann wegen ihrer Dringlichkeit durch das Fachanwaltsbezeichnungsgesetz v. 27.2.1992 (BGBl. I 369) ersetzt.

678

Die BRAO-Novelle von 1994 hat die Rechtsgrundlagen von 1992 aufgehoben. An de­ ren Stelle ist § 43c BRAO getreten, der die Befugnis zur Verleihung, zur Rücknahme oder zum Widerruf und zur Führung von Fachanwaltsbezeichnungen regelt (zur Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung § 29, Rn. 657). Zuständig ist die Rechts­ 2 Vgl. die Fachanwaltsrichtlinien der Bundesrechtsanwaltskammer v. 10.10.1986, BRAK-Mitt. 1986, 198 ff. Sie wurden erlassen, weil der Gesetzgeber nicht zur Kodifizierung von Fachan­ waltschaften zu bewegen war. 3 Vgl. dazu BFH NJW 1995, 2127 f. Zur Zulassung eines Rechtsreferendars zur Steuerberater­ prüfung BFHE 178, 518 = NJW 1996, 952 (LS). 4 Vgl. dazu Zuck BRAK-Mitt. 1989, 122. 5 Eingehend dazu Kleine-Cosack AnwBl. 1989, 536 ff. 6 Vgl. „Woche im Bundestag“ v. 2.11.1989, S. 69. 7 BGBl. 1991 I 150.

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Fachanwaltschaften  ­|  § 30

anwaltskammer, der die entsprechenden Sachkenntnisse nachzuweisen sind. Über die seit langem anerkannten Bezeichnungen für die Sachgebiete Verwaltungsrecht, Steuerrecht, Arbeitsrecht und Sozialrecht ist die kurios formulierte Norm des § 43c Abs. 1 S. 2 BRAO nicht hinausgegangen, hat aber auf die Möglichkeit der Erweiterung des Katalogs durch Satzungsrecht verwiesen. § 59b Abs. 2 Nr. 2 a BRAO sieht vor, dass die Berufsordnung weitere Rechtsgebiete bestimmen kann, in denen Fachanwaltsbe­ zeichnungen verliehen werden können. Die Satzung hat auch Einzelheiten des Ver­ fahrens sowie besondere Berufspflichten im Zusammenhang mit der Führung einer Fachanwaltsbezeichnung zu regeln. Nunmehr sieht die Fachanwaltsordnung i. d. F. vom 1.3.2016 insgesamt 23 Fachan­ 679 waltsbezeichnungen vor, nämlich für die Fachgebiete Verwaltungsrecht, Steuerrecht, Arbeitsrecht, Sozialrecht, Familienrecht, Strafrecht, Insolvenzrecht, Versicherungs­ recht, Medizinrecht, Miet- und Wohnungseigentumsrecht, Verkehrsrecht, Bau- und Architektenrecht, Erbrecht, Transport- und Speditionsrecht, gewerblicher Rechts­ schutz, Handels- und Gesellschaftsrecht, Urheber- und Medienrecht, Informations­ technologierecht, Bank- und Kapitalmarktrecht, Agrarrecht, Internationales Wirt­ schaftsrecht, Vergaberecht sowie Migrationsrecht (§ 1 FAO). Der Zuschnitt einzelner Fachgebiete ist wegen der Zusammenfügung heterogener Rechtsgebiete und daraus resultierender unüberschaubarer Größe als wenig geglückt anzusehen. Die Befugnis zur Führung von Fachanwaltsbezeichnungen, die der Regelung über 680 Werbung (§ 43b BRAO) vorgeht, ist durch § 43c Abs. 1 S. 3 BRAO auf drei Fachgebie­ te beschränkt.8 Damit soll sichergestellt werden, dass der Fachanwalt sein Wissen in den benannten Fachgebieten aktuell halten kann. Eine überwiegende praktische Tä­ tigkeit in allen Fachgebieten wird dadurch freilich nicht gesichert.9 Kasuistik: (a) BGH NJW 1995, 1424 f.: Der als Rechtsanwalt zugelassene Antragsteller begehrte vergeb­ lich die Erlaubnis zur Führung der Bezeichnung „Fachanwalt für Steuerrecht“. Zum Nachweis seiner besonderen theoretischen Kenntnisse fügte er eine Bescheinigung der deutschen An­ waltsakademie über seine Teilnahme an dem in acht dreitägigen Teillehrgängen veranstalteten Intensivlehrgang „Steuerrecht“ bei. Die abschließenden Klausuren zu den Themen Abgaben­ ordnung/Finanzgerichtsordnung und Umsatzsteuer waren mit ausreichend bewertet worden, die Tests über Einkommensteuer und Gewerbesteuer/Körperschaftssteuer mit nicht ausreichend. Zwar war nicht geregelt, wie viele Klausuren für einen Erfolg der Lehrgangsteilnahme „ausreichend“ sein mussten, doch wurden zwei erfolgreiche Klausuren angesichts weiterer nicht abgedeckter Steuerrechtsbereiche, dar­unter Bewertungsrecht sowie Buchführung und Bilanzen, nicht als hinreichender Kenntnisnachweis akzeptiert. Einbezogen in die Einzelfall­ prüfung wurde auch, dass die Bescheinigung über einen zweiten Klausurtest wiederum nur zwei ausreichende von vier geschriebenen Klausuren erbrachte. Die Führung eines Fachge­

8 Beschränkung auf damals zwei Fachanwaltstitel vereinbar mit Art. 12 Abs. 1 GG: BVerfG NJW 2005, 3558 f.; BGH NJW 2005, 1711, 1712. 9 BVerfG NJW 2015, 394 Tz.  23. Werbung mit theoretischen Kenntnissen eines vierten Fachanwaltstitels untersagt AnwG Köln NJW-RR 2016, 1462 als Verstoß gegen § 43b BRAO (Aufrechterhaltung einer Rüge).

201

681

Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege spräches vor dem Fachausschuss zur endgültigen Befähigungsbeurteilung war nicht obligato­ risch.

682

(b) BGH NZA 1995, 751: Der Antragsteller begehrte die Führung der Fachanwaltsbezeichnung für Arbeitsrecht unter Vorlage einer Liste über von ihm bearbeitete arbeitsrechtliche Fälle und eines Zertifikats des „Forum-Instituts für Management“ über die Teilnahme an einem zwölftä­ tigen Vorbereitungslehrgang. Der Antrag wurde abgelehnt, nachdem sich der zuständige Prü­ fungsausschuss in einem Fachgespräch davon überzeugt hatte, dass die fachlichen Kenntnisse nicht vorhanden waren. Der Anwaltssenat billigte, dass die Anwaltskammer den Nachweis besonderer, das durch­ schnittliche Maß übersteigender Kenntnisse im Arbeitsrecht unter Heranziehung der im Fach­ gesprächsprotokoll niedergelegten umfangreichen Kenntnislücken verneint hatte. Offengelas­ sen hatte der Senat dabei, ob die vom Antragsteller vorgelegten Unterlagen für sich allein hätten ausreichen können, den Nachweis zu führen, und ob die Ladung zum Fachgespräch rechtlich einwandfrei verfügt worden war. Der ordnungsgemäße Ablauf des Fachgesprächs war im Wege einer Zeugenbeweisaufnahme durch den EGH festgestellt worden.

683

(c) OLG Stuttgart WRP 1992, 350 f.: Der beklagte Rechtsanwalt hatte bei seiner Rechtsanwalts­ kammer im Februar 1989 beantragt, ihm zu gestatten, die Bezeichnung „Fachanwalt für Ver­ waltungsrecht“ zu führen; zu diesem Zeitpunkt erfüllte er die materiellen Voraussetzungen. In der Folgezeit führte er die Fachanwaltsbezeichnung bereits ohne entsprechende Genehmigung. Nach dem Urteil des LG musste er dies gem. § 3 UWG a. F. (= § 5 UWG n.F.) unterlassen, solange die formelle Genehmigung der Rechtsanwaltskammer nicht vorlag. Mit der Berufung argumentierte der Beklagte, die Erteilung der Genehmigung sei von der Rechtsanwaltskam­ mer solange verzögert worden, bis der BGH mit Beschluss vom 14.5.1990 (NJW 1990, 1719) feststellte, dass es für die Verleihung von Fachanwaltsbezeichnungen an einer gesetzlichen Grundlage fehle; bei rechtzeitiger Entscheidung hätte er Bestandsschutz genossen. Das OLG hielt gleichwohl daran fest, dass ein Rechtsanwalt eine Fachanwaltsbezeichnung nicht ohne Genehmigung durch die Rechtsanwaltskammer führen dürfe.

684

(d) BVerfG NJW 1992, 493: Der Beschwerdeführer hatte bei seiner Rechtsanwaltskammer ver­ geblich die Genehmigung beantragt, die Bezeichnung „Fachanwalt für Strafrecht“ führen zu dürfen, die es damals noch nicht gab. Das BVerfG sah die gesetzliche Grundlage für ein Verbot, eine Fachanwaltsbezeichnung ohne Genehmigung zu führen, in der Generalklausel des § 43 BRAO. Die Bezeichnung als „Fachanwalt“ erwecke den Eindruck einer Qualifikation, die in einem formalisierten und Mindeststandards gewährleistenden Anerkennungsverfahren er­ worben worden sei. Darüber dürfe nicht irregeführt werden. Mangels derartigen Verfahrens für einen „Fachanwalt für Strafrecht“ beruhe die Führung dieser Bezeichnung auf bloßer Selbsteinschätzung. Der Gesetzgeber sei nicht verpflichtet, ein förmliches Prüfungsverfahren für einen „Fachan­ walt für Strafrecht“ einzuführen, da es in seinem berufspolitischen Ermessen liege, ob er be­ stimmte Qualifikationen schaffen und damit das Berufsbild des Rechtsanwaltes als eines Ver­ treters in allen Rechtsangelegenheiten verändern wolle. Die Nichtzulassung der gewünschten Bezeichnung verstoße auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, da die bestehenden Fachanwaltsbe­ zeichnungen für Steuer-, Sozial-, Arbeits- und Verwaltungsrecht auf einer Spezialisierung nur eines Teils der Anwaltschaft beruhen, während Zivil- und Strafrecht zur juristischen Allge­ meinpraxis gehöre.

202

Fachanwaltschaften  ­|  § 30

III. Fachanwälte und Schwerpunktangaben 1. Materielle Zulassungskontrolle und Selbsteinschätzung Die Führung einer Fachanwaltsbezeichnung setzt gem. § 2 Abs. 1 FAO die Erbrin­ 685 gung besonderer theoretischer und praktischer Leistungsnachweise gegenüber der Anwaltskammer in einem formalisierten Zulassungsverfahren (§§ 22 ff. FAO) voraus. An die Erbringung des doppelten Nachweises von Kenntnissen einerseits und prakti­ schen Erfahrungen andererseits ist ein strenger Maßstab anzulegen, weil Berechti­ gung und Glaubwürdigkeit eines Fachhinweises nur gewährleistet sind, wenn Kennt­ nisse und Erfahrungen auf dem Fachgebiet überdurchschnittlich sind.10 Dies ist inzwischen in die Formulierung des § 2 Abs. 2 FAO eingegangen. Auf prozesstakti­ sche Erfahrungen kommt es nur an, soweit die Erfahrung nach den rechtlichen Grundlagen ausdrücklich vor Gerichten gesammelt sein muss, was für Syndikusan­ wälte ein bedeutsames Hindernis sein kann.11 Eine Bezeichnung kraft Selbsteinschätzung (z. B. „Fachanwalt für Europarecht“12) ist 686 nicht zulässig.13 Freilich gestattet § 59b Abs. 2 Nr. 3 BRAO, in der Berufsordnung zu regeln, welche Angaben über selbst benannte Interessenschwerpunkte zulässig sein sollen. Darin ist die gesetzliche Wertung enthalten, dass die Angabe von Interessen­ schwerpunkten nicht schlechthin als verbotene Werbung zu qualifizieren ist. Aus der Zulassung von Angaben über Interessenschwerpunkte kann nicht der Schluss gezo­ gen werden, die Benennung von Tätigkeitsschwerpunkten sei rechtswidrig.14 Teilbe­ reiche der Berufstätigkeit dürfen gem. § 7 BORA angegeben werden (näher dazu un­ ten § 42, Rn. 1111 ff.), wenn der Anwalt theoretische Kenntnisse besitzt und auf dem benannten Gebiet in erheblichem Umfang tätig gewesen ist. Jedoch darf die Art der Benennung keine Gefahr der Verwechslung mit einer Fachanwaltschaft hervorrufen (§ 7 Abs. 2 BORA). Die Abgrenzung zu den Fachanwaltsbezeichnungen mit präven­ tiver Qualifikationskontrolle im Zulassungsverfahren und die Verankerung des Un­ terschiedes im Bewusstsein der rechtsuchenden Bevölkerung dürfte noch für eine längere Übergangszeit schwer fallen.

10 BGH NJW 1995, 2117, 2118; BGH NZA 1995, 751. Zu den zulässigen Prüfungsanforde­ rungen für die Erlangung der Facharztanerkennung VGH München NJW 1996, 1614 ff. 11 Vgl. BGH NJW 1995, 2118. 12 Vgl. dazu LG Münster NJW 1990, 262, im HS-Verfahren bestätigt durch OLG Hamm NJW 1990, 2392 f. 13 EGH Berlin NJW 1990, 996 m. w. N.; vgl. auch BGH NJW 1990, 1719 und 1739 a.E. zur Wettbewerbswidrigkeit der Angabe von Fantasie-Fachanwaltstiteln auf einem Anwaltspor­ tal LG Frankfurt NJW-RR 2012, 1395. 14 BGH NJW 2001, 1138, 1139.

203

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2. Qualifikationsanforderungen a) Theoretische Kenntnisse 687

Die Voraussetzungen der Verleihung einer Fachanwaltsbezeichnung sind in der Fachanwaltsordnung (FAO) geregelt. Für die Vermittlung der notwendigen theoreti­ schen Kenntnisse gibt es zahlreiche Veranstalter mit und ohne Bezug zur organisier­ ten Anwaltschaft. Auf welche Rechtsgebiete sich das Wissen zu erstrecken hat, regeln die §§ 8 bis 14p FAO. Der Nachweis theoretischer Kenntnisse ist nicht deshalb ent­ behrlich, weil der Antragsteller in dem Fachgebiet intensiv tätig war.15 Er kann aber durch ein Fachgespräch mit dem Fachausschuss der RAK (§ 7 Abs. 1 FAO) geführt werden. Auf dessen Durchführung hat der Antragsteller ein subjektives Recht.16

688

Die besonderen theoretischen Kenntnisse hat der Antragsteller in der Regel durch die Teilnahme an einem anwaltsspezifischen Lehrgang nachzuweisen,17 der mindestens 120 Zeitstunden dauern sowie drei schriftliche Aufsichtsarbeiten um­fassen muss (§§ 4 Abs. 1, 4a Abs. 1 FAO). Die Rechtsanwaltskammer kann Klausuren nicht neu bewerten und entgegen dem Lehrgangsveranstalter als „bestanden“ qualifizieren.18 Offen gelassen hat der BGH, ob eine Überprüfung in einem Zivilrechtsstreit mit dem Lehrgangsveranstalter in Anwendung der für eine staatliche Prüfungsbehörde gelten­ den Kontrollmaßstäbe möglich ist.19 b) Praktische Erfahrungen

689

Schwierigkeiten kann der Erwerb der besonderen praktischen Erfahrungen bereiten, der auf der persönlichen und weisungsfreien Bearbeitung einer größeren Zahl von Fällen beruhen muss (§ 5 FAO). Die jeweiligen Fallzahlen dürften zeitnah nur in grö­ ßeren Kanzleien zu erreichen sein.20

690

Der Erwerb besonderer praktischer Erfahrungen ist durch Vorlage von Listen, auf Anforderung mit anonymisierten Arbeitsproben, zu erbringen.21 Die Zahl der bear­ beiteten Fälle schwankt in den einzelnen Fachgebieten (vgl. § 5 FAO).22 Die persön­ liche Bearbeitung der Fälle hat innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren vor der Antragstellung zu erfolgen (§  5 Abs.  1 FAO mit Verlängerungsmöglichkeit nach

15 AnwGH NRW NJW 2007, 1471, 1472; AnwGH Berlin ZIP 2012, 994 = NJW-RR 2012, 748. 16 AnwGH NRW NJW 2007, 1471, 1472; AnwGH Berlin ZIP 2012, 994, 995 = NJW-RR 2012, 748, 750. 17 Zum Nachweis ohne Lehrgangsteilnahme in Ausnahmefällen BGH NJW 2000, 3648; BGH NJW 1999, 2677, 2678. 18 BGH (AnwS) NJW 2008, 3496 Tz. 11. 19 BGH NJW 2008, 3496 Tz. 11. 20 Zu empirischen Ermittlungen Kilian AnwBl 2013, 875 ff. 21 Zur Nachprüfung BGH NJW 2004, 2748. 22 Zu den Gegenständen im Arbeitsrecht BGH NJW 2001, 976.

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Abs. 3).23 Der BGH hat diese Fristbemessung als verfassungskonform angesehen.24 Persönliche Bearbeitung erfordert, dass sich der Anwalt inhaltlich – etwa durch An­ fertigen von Vermerken oder Schriftsätzen oder durch Teilnahme an Gerichts- und anderen Verhandlungen – mit der Sache befasst und nicht nur im Hintergrund unter­ geordnet mitgewirkt hat.25 Dies gilt auch für angestellte und frei mitarbeitende An­ wälte; deren Tätigkeit, die nicht schon durch Verwendung eines eigenen Briefkopfs oder in ähnlicher Weise hervortritt, ist gem. §  6 FAO nachzuweisen.26 Durch Ge­ wichtung bearbeiteter Fälle nach Bedeutung, Umfang und Schwierigkeit kann die je­ weils benötigte Fallzahl variiert werden (§ 5 Abs. 4 FAO).27 Streitig kann werden, in welchem Umfang angrenzende Fachgebiete Stoff für Fallmaterial bieten.28 c) Fachgespräch In bestimmten Fällen kann gem. § 7 FAO ein Fachgespräch vor dem zuständigen Aus­ 691 schuss der Rechtsanwaltskammer verlangt werden. Ein Fachgespräch darf nicht ange­ ordnet werden, wenn und soweit der Nachweis der Kenntnisse und Erfahrungen gem. §  6 FAO bereits durch geeignete Unterlagen geführt worden ist.29 Ist ein Fachge­ spräch zulässig, dürfen sich dessen Themen nur auf die Schließung der Lücken in den Theorienachweisen erstrecken.30 Das Ergebnis eines zu Unrecht angeordneten Fach­ gesprächs darf in der Regel nicht nachteilig verwertet werden.31 Ein Fachgespräch kann nur den Nachweis theoretischer Kenntnisse ersetzen, nicht aber den Nachweis praktischer Erfahrungen.32 d) Syndikusanwälte Syndikusanwälten wurde die Erlangung der Fachanwaltsbefähigung zunächst da­ 692 durch erschwert, dass praktische Erfahrungen nicht anhand von Fällen nachgewiesen werden konnten, die sie als Syndikus für ihren Arbeitgeber bearbeitet hatten; derarti­ ge Erfahrungen waren, so der Einwand, nicht als weisungsfreier unabhängiger Anwalt 23 Die Frist auch bei Teilzeittätigkeit von Müttern als verfassungskonform ansehend BGH (AnwS) NJW 2009, 2381 Tz. 10. 24 BGH (AnwS) NJW-RR 2014, 502 Tz. 7 (zum Arbeitsrecht). 25 BGHZ 183, 73 = NJW 2010, 377 Tz. 13. 26 BGH NJW-RR 2012, 296 Tz. 14. 27 Dazu BGHZ (AnwS) 197, 118 = NJW 2013, 1599 Tz. 20 ff.; BGH NJW-RR 2014, 502 Tz. 23. 28 Vgl. dazu BGH (AnwS) NJW-RR 2014, 752 Tz. 13 ff. (Sozialversicherungsrecht und Ar­ beitsförderungsrecht für Arbeitsrecht); BGH (AnwS) NJW-RR 2014, 751 Tz. 9 (Strafvoll­ zugsrecht für Verwaltungsrecht); BGH (AnwS) NJW-RR 2015, 253 Tz. 11 (Versicherungs­ recht für Verkehrsrecht); BGH (AnwS) NJW-RR 2015, 745 Tz. 10 (Telekommunikationsrecht für Urheber- und Medienrecht). 29 BGH NJW 2003, 741, 742; BGH NJW 2005, 2082, 2083; AnwGH Nürnberg NJW-RR 2004, 1213, 1214. Zur geringen Zahl durchgeführter Fachgespräche Hommerich/Kilian AnwBl 2011, 683 ff. 30 BGH NJW-RR 2008, 927 Tz. 14. 31 BGHZ 142, 97 = NJW 1999, 2677, 2678; BGH NJW 2005, 2082, 2083. 32 BGH NJW 2007, 2125 Tz. 14.

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erworben.33 Der BGH hat seine Rechtsprechung jedoch alsbald gelockert und zu­ nächst judiziert, dass die Bewertung nicht schematisch erfolgen dürfe; eine erhebliche Zahl nicht unbedeutender Mandate, die im Rahmen selbständiger anwaltlicher Tätig­ keit bearbeitet worden sei, könne durch Fälle aus der Syndikuspraxis ergänzt wer­ den.34 Seit der Entscheidung vom 13.1.200335 kam es nur noch auf die Weisungsfrei­ heit an. § 5 FAO ist dem angepasst worden. Mit der Neuregelung der Rechtsstellung des Syndikusrechtsanwalts im Jahre 2016 (dazu § 16, Rn. 294 ff.) ist die Erbringung des Leistungsnachweises nicht leichter geworden. 3. Zulassungsverfahren 693

Innerhalb der letzten sechs Jahre vor Beantragung einer Fachanwaltsbezeichnung muss der Antragsteller drei Jahre als Rechtsanwalt tätig gewesen sein (§ 3 FAO).36

694

Die Rechtsanwaltskammer hat über einen Zulassungsantrag binnen drei Monaten zu entscheiden. Verzögerte Bearbeitung begründet einen Amtshaftungsanspruch.37

695

Erlischt eine Anwaltszulassung, erlischt auch die Befugnis zum Führen der Fachan­ waltsbezeichnung, ohne dass ein Widerruf der Erlaubniserteilung zu erfolgen hat; der Verwaltungsakt der Erlaubniserteilung erledigt sich durch den Verzicht auf die Zulas­ sung „auf andere Weise“ (§ 32 Abs. 1 S. 1 BRAO, § 43 Abs. 2 VwVfG).38 Im Falle einer Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft ist mangels gesetzlicher Regelung dieses Falles der Fachanwaltstitel neu zu verleihen, ohne dass die Qualifikationserfordernis­ se erneut nachzuweisen sind.39 Notwendig ist nur die zwischenzeitliche Erfüllung der Fortbildungspflicht.

696

Verzichtet der Anwalt auf den Titel, darf kein Widerruf der Befugnis zur Titelführung ausgesprochen werden. Dafür fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage.40 4. Fortbildungspflicht

697

Den zugelassenen Fachanwalt trifft gem. §  15 FAO eine gesteigerte Fortbildungs­ pflicht.41 Die Teilnahme an Fort­bildungsveranstaltungen von 15 Zeitstunden jährlich als Hörer oder Dozent oder eigene Publikationstätigkeit sind erforderlich; 5 Zeitstun­ 33 BGH NJW 2000, 1645 m. Bspr. Posegga MDR 2003, 609 ff. 34 BGH NJW 2001, 3130, 3131; BGH NJW 2010, 377 Tz. 17. 35 BGH NJW 2003, 883, 884. 36 Zur Wartefrist BGH NJW 1999, 2678, 2679; BGH NJW 2000, 2588, 2589; BGH NJW 2005, 1943 f. 37 LG Köln NJW 2011, 3380, 3381. 38 BVerfG NJW 2015, 394 Tz. 25; BGH NJW-RR 2013, 177 Tz. 4; BGH NJW-RR 2017, 249 Tz. 10, 13 und 31. 39 BVerfG NJW 2015, 394 Tz. 25 (gegen BGH NJW-RR 2013, 177). Zu Modalitäten einer et­ waigen abweichenden gesetzlichen Neuregelung BVerfG NJW 2015, 394 Tz. 31. 40 BGH v. 20.6.2016 – AnwZ (Brfg) 56/15, MDR 2016, 1175 (dort: Verzicht wegen Nichterfül­ lung der Fortbildungspflicht). 41 Dazu Möller NJW 2014, 2758 ff.

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den können im Selbststudium mit Lernerfolgskontrolle absolviert werden. Mit 15 Zeit­ stunden pro Jahr ist die Gesamtdauer der Fortbildung niedrig festgelegt. Bei einem Verstoß gegen die Fortbildungspflicht kann das Führen der Bezeichnung gem. § 43c Abs. 4 S. 2 BRAO, § 25 FAO widerrufen werden.42 So wie der Erwerb der Fachanwaltsbezeichnung an ein formalisiertes Verfahren ge­ 698 bunden ist, darf auch die Erfüllung der Fortbildungspflicht formalisiert und an die Fortbildungsmittel der entweder dozierenden oder der hörenden Teilnahme an an­ waltlichen Fortbildungsveranstaltungen oder an das wissenschaftliche Publizieren gebunden werden.43 Das Einstellen von Beiträgen auf einer eigenen Homepage ist keine wissenschaftliche Publikation.44 Damit stellt sich der Autor nicht einer kriti­ schen Fachöffentlichkeit, die ein gewisses inhaltliches Niveau gewährleistet.45 Ein Fachanwalt hat keinen Anspruch auf verbindliche Vorabentscheidung über die 699 Anerkennung eines Seminars als ausreichende Fortbildungsveranstaltung. Dafür fehlt ein gesetzlich vorgesehenes Feststellungsverfahren.46 Widerrufen werden kann die Fachanwaltsbezeichnung nicht schon bei jedem fehlenden Nachweis der Fortbil­ dung, auch wenn er unaufgefordert zu erbringen ist. Die RAK kann Gelegenheit zum Nachholen versäumter Fortbildungen im Folgejahr geben.47 Zu berücksichtigen sind auch Nachweise, die erst im gerichtlichen Verfahren über einen Widerruf vorgelegt werden.48 Ob ein besuchtes Seminar eine geeignete Fortbildungsveranstaltung war, kann wegen des Ermessenscharakters von Widerrufsentscheidungen im Hinblick auf künftige gleichartige Veranstaltungen Gegenstand einer gerichtlichen Feststellung ge­ macht werden.49 5. Tätigkeits- und Interessenschwerpunkte Schwerpunktangaben können sich entweder auf die bisherige Tätigkeit des Anwalts 700 oder  – wesentlich unverbindlicher  – auf seine rechtlichen Interessen50 („Möchte­ gern-Anwalt“) beziehen (dazu auch § 42, Rn. 1111). Diese Angaben können auch ne­ ben die Kundgabe von Fachanwaltsbezeichnungen treten. Damit wird der Bereich berufsrechtlich erlaubter Werbung umschreibend bestimmt.51 Die Unterscheidung

42 BGH NJW 2001, 1571; BGH NJW 2001, 1945; BGH NJW 2016, 2666 Tz. 7; AnwGH Bayern NJW 2002, 2041, 2042. Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des § 15 FAO BVerfG MDR 2002, 299. 43 BGH NJW 2016, 2666 Tz. 15. 44 BGH NJW 2016, 2666 Tz. 16 und 18. 45 BGH NJW 2016, 2666 Tz. 18. 46 BGH AnwBl. 2016, 766. 47 Vgl. BGH NJW 2013, 175 Tz. 9 und 12; BGH NJW-RR 2016, 1459 Tz. 10. 48 BGH (AnwS) NJW 2013, 2364 Tz. 12. 49 BGH NJW-RR 2016, 1459 Tz. 15 ff. 50 Zur unzureichenden Regelung der Benennung von Interessenschwerpunkten BVerfG NJW 2001, 3324, 3325. 51 BGH NJW 2001, 1138, 1139.

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von Interessen- und Tätigkeitsschwerpunkten darf nicht durch eine Verkürzung der Benennung (etwa: „Schwerpunkte“) Irreführungen über die Qualifikation auslösen.52 701

Die Zahl der Angaben zu Interessen- und Tätigkeitsschwerpunkten war zunächst nach § 7 Abs. 1 S. 1 BORA a. F. begrenzt.53 Zulässig waren höchstens drei Tätigkeits­ schwerpunkte und insgesamt höchstens fünf Tätigkeits- und Interessenschwerpunk­ te. Die Angabe von Tätigkeitsschwerpunkten setzte eine mindestens zweijährige nachhaltige Tätigkeit seit der Zulassung auf dem betreffenden Gebiet voraus. Der Sat­ zungsgeber hat den Streit um die Restriktionen durch eine Neufassung des § 7 BORA unter Verzicht auf Zahlen sowie die Erwähnung von Interessenschwerpunkten berei­ nigt. Fachanwälte dürfen unabhängig von der Angabe ihrer Fachanwaltsbezeichnung zusätzlich Teilbereiche der Berufstätigkeit benennen.54 Kasuistik:

702

(a) BGH ZIP 1996, 435 = NJW 1996, 852: Die beiden beklagten Rechtsanwälte, die seit 1990 bzw. 1991 zugelassen sind, hatten seit 1993 in ihrem gemeinsamen Kanzleibriefkopf Tätigkeitsschwerpunkte angegeben, nämlich Baurecht, Umweltrecht, Beamtenrecht für den Be­ klagten zu 1), Wirtschaftsrecht, Arbeitsrecht, Europarecht für den Beklagten zu 2). Dagegen wandte sich die Rechtsanwaltskammer erfolglos mit ihrer UWG-Klage. Der BGH verneinte einen Verstoß gegen § 43b BRAO i. V. m. § 1 UWG a. F. (= § 3a UWG n.F.), weil er in der Angabe der Tätigkeitsschwerpunkte eine sachgerechte Information des rechtssu­ chenden Publikums und nicht ein unaufgefordertes werbendes Herantreten an potentielle Mandanten sah. Tätigkeitsschwerpunkte brauchten als Hinweis auf einen objektiven und nachprüfbaren Sachverhalt nicht mit der Bezeichnung „Interessenschwerpunkte“ versehen zu werden, die eher für einen Berufsanfänger und dessen Hinweis auf z. B. eine wissenschaftliche Betätigung geeignet seien. Verneint wurde auch eine wegen Verwechslung mit der Fachan­ waltsqualifikation befürchtete Irreführung gem. § 3 UWG a. F. (= § 5 UWG n.F.). Ebenso BGH GRUR 1995, 422 (Tätigkeitsschwerpunkte eines Regierungspräsidenten im einst­ weiligen Ruhestand: Baurecht, Umweltrecht, Immissionsschutzrecht, Abfallrecht und Was­ serrecht).

703

(b) BGH NJW 1992, 45: Der Antragsteller führte auf den Briefbögen seiner Sozietät hinter seinem Namen die Bezeichnung „Strafverteidiger“. Die Antragsgegnerin (RAK) forderte ihn zur Unterlassung auf. Der Antrag, die Weisung für rechtswidrig zu erklären, blieb erfolglos. Der Anwaltssenat des BGH sah in der Bezeichnung eine berufswidrige Werbung. Werbung sei ein Verhalten, das darauf angelegt ist, andere dafür zu gewinnen, die Leistung desjenigen, für den geworben wird, in Anspruch zu nehmen; darum handle es sich, wenn sich jemand mit positiven Bewertungen der eigenen Fähigkeiten und Leistungen oder mit Aufforderungen zur Inanspruchnahme der Leistungen an das Publikum wende. Werbung sei dem Rechtsanwalt 52 Vgl. dazu BGH NJW 2001, 1138 (zur damaligen Fassung des § 7 Abs. 1 BORA), mit Zu­ rückhaltung bestätigt durch BVerfG NJW 2001, 2461. Zur wettbewerbsrechtlichen Abwehr der Werbung OLG Düsseldorf NJW 2002, 2184, 2185; OLG Düsseldorf MDR 2000, 607, 608 f. – Dinslakener Anwaltskrieg. 53 Verfassungsrechtlich war die Norm umstritten; dazu AnwG Freiburg NJW 2000, 1655 (be­ jahend); AnwG München NJW 2000, 1047 (verneinend). 54 BVerfG NJW 2001, 1926, 1927, unter Aufhebung von OLG Nürnberg NJW 2000, 1648.

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Fachanwaltschaften  ­|  § 30 nicht schlechthin untersagt. Sie werde aber berufswidrig entweder durch die eingesetzten Werbemittel, insbesondere durch den Einsatz für die gewerbliche Wirtschaft typischer Werbemittel wie Inserate oder Rundfunk- und Fernsehwerbung oder durch den Inhalt der Werbung. Vermieden werden müsse, dass durch reklamehaftes Sich-Herausstellen mit unüber­ prüfbaren Werbeaussagen und Selbsteinschätzungen bei den Rechtssuchenden unrichtige Erwartungen in Bezug auf die angebotenen Leistungen entstehen. Dazu gehörten auch zusätz­ liche Berufsbezeichnungen, die sich der Rechtsanwalt eigenmächtig – aufgrund bloß eigener Einschätzung seiner Qualifikation – zulege, und die als Hinweis auf Spezialkenntnisse verstan­ den werden können. Bereits die Angabe eines Tätigkeitsbereiches sei direkte, gezielte Mandats­ werbung. Gleicher Ansatz in einem UWG-Prozess OLG Düsseldorf NJW 1992, 844 f. für den Briefkopfzu­ satz „Transport- und Versicherungsvertragsrecht“, mit dem zusätzlichen Hinweis, darunter werde im Verkehr eine Fachanwaltsbezeichnung verstanden; aufgehoben von BVerfG (Kammer) NJW 1995, 712 wegen unverhältnismäßiger Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit, weil der Hinweis auf einen Tätigkeitsschwerpunkt keine gezielte Werbung im Sinne eines unaufgeforderten direkten Herantretens an potentielle Mandanten sei, und zurückverwiesen zur Prüfung einer Irreführung durch die grafische Gestaltung. (c) BVerfG (Kammer) NJW 1995, 775 f.: Die Beschwerdeführer hatten bei ihrer Anwaltskam­ mer 1990 und anschließend vor dem EGH vergeblich beantragt, ihnen die Führung der Be­ zeichnungen „Fachanwalt für Arztrecht“ bzw. „Fachanwalt für Arztrecht und Wettbewerbs­ recht“, hilfsweise „Fachanwalt für Arztrecht und gewerblichen Rechts­schutz“, ganz hilfsweise die Führung der Gebietsangaben „Arztrecht“ bzw. „Arzt- und Wettbewerbsrecht“ bzw. „ge­ werblicher Rechtsschutz“ zu gestatten. Die Verfassungsbeschwerde führte zur Aufhebung und Zurückverweisung an den EGH.

704

Das BVerfG sah die Werbung mit selbstgewählten Tätigkeitsschwerpunkten als solche nicht als berufswidrig an. Sie war zwar nicht genehmigungsbedürftig; entschieden werden musste aber über die insoweit begehrte Unbedenklichkeitsbescheinigung. (d) BGH NJW 1994, 141: Den Rechtsanwälten wurde standeswidrige Werbung zur Last gelegt. Zwei Rechtsanwälte der gemeinsam betriebenen Kanzlei waren zur Führung von Fachanwalts­ bezeichnungen berechtigt. Die beiden anderen gaben als Tätigkeitsschwerpunkte jeweils „Fa­ milienrecht“ und „Verkehrsrecht“ an. Entsprechend ließen sie sich in das Branchen-Telefon­ buch der Telekom unter der Rubrik „Rechtsanwälte“ eintragen. Der BGH hat den aus Rechtsgründen erfolgten Freispruch des EGH bestätigt.

705

In der wahrheitsgemäßen Angabe der Tätigkeitsbereiche sah der Anwaltssenat keine gezielte Werbung, weil die Initiative zur Kontaktaufnahme dem Rechtsuchenden überlassen bleibe. Eine Irreführung erfolge nicht, weil ein Rechtsuchender nicht annehmen „könne“, es handle sich um einen Fachanwalt mit geprüfter Qualifikation auf dem betreffenden Rechtsgebiet. Ein Widerspruch zu der andersartigen „Straf­ver­tei­diger“-Ent­scheidung desselben Senats (BGH NJW 1992, 45) wurde zwischen den Zeilen verneint. Ebenso BGH (Anwaltssenat) NJW 1994, 2035 f. (e) BVerfG (Kammer) NJW 1994, 123: Der EGH hatte den beschwerdeführenden Rechtsanwalt zu einer Geldbuße verurteilt, der für ein kostenlos verteiltes Anzeigenblatt Artikel über Fragen des Miet-, Ehe- und Partnerschaftsrechts verfasste und sich in der Überschrift als „Experte für Partnerschaftsfragen und Mietrecht“ bezeichnen ließ. Außerdem hatte er in seiner Kanzlei für ein Magazin ein Interview gegeben, in dessen Veröffentlichung er als „Mietrechtsspezialist“ und „Rechtsanwalt“ vorgestellt wurde. Die Verfassungsbeschwerde hatte teilweise Erfolg.

209

706

Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege Die Kammer sah keine Pflicht zur Kontrolle und Unterbindung des auf das Interview zurück­ gehenden werbenden Presseartikels, weil der Artikel der Information diente und nicht auf Werbung zielte. Nicht beanstandet wurde die Bewertung der Anzeigenblattbezeichnung als berufswidrige Werbung; die Bezeichnung sei Ausdruck einer vagen, mangels überprüfbarer Kriterien keiner Kontrolle zugänglichen subjektiven Bewertung ohne Informationscharakter.

707

(f) BGH NJW 1994, 2284: Der im UWG-Prozess beklagte Rechtsanwalt führte auf dem Brief­ kopf seiner Kanzlei den Zusatz „Strafverteidigungen“. Der BGH sah darin eine sachgerechte Information des rechtsuchenden Publikums und kein wettbewerbswidriges reklamehaftes Sich-Herausstellen (Abgrenzung zu BGHZ 115, 105 = NJW 1991, 2641 – betriebswirtschaftliche Unternehmensführung). Die Benennung eines Tätigkeits­ bereiches seine keine Berühmung besonderer Befähigung, so dass darin nicht die Behauptung einer rechtsförmlich erworbenen Qualifikation als Fachanwalt zu sehen sei.

708

(g) OLG Frankfurt/M. NJW 1996, 1065, 1066: Für einen Berufsneuling wurden in der Zulassungsanzeige seiner überörtlichen Sozietät „Tätigkeitsschwerpunkte“ angegeben. Das OLG sah dies als irreführend an, weil der Berufsanfänger noch nicht über besondere anwaltliche Erfahrungen verfüge, die vom Publikum unter dieser Bezeichnung erwartet würden. Zutref­ fend sei demgegenüber die Bezeichnung „Interessen­schwer­punkte“.

709

Der mit anwaltsrechtlichen Gepflogenheiten unvertraute Verkehr kann auch mehr als zwei Jahrzehnte nach Zulassung differenzierender Bezeichnungen die Angabe von Fachanwaltschaften, Tätigkeitsschwerpunkten und Interessenschwerpunkten nicht auseinanderhalten. Das wird erst nach massiver Aufklärung der rechtsuchenden Be­ völkerung durch die Anwaltskammern gelingen. Mit Inkrafttreten des die Rechtsord­ nung bewusst gestaltenden Berufsrechts ist indes eine rechtliche Vorgabe geschaffen worden, die zum Übergehen eines entgegenstehenden tatsächlichen Verständnisses des Verkehrs berechtigt und die die Anwendung des wettbewerbsrechtlichen Irrefüh­ rungsverbots (§ 5 UWG) ausschließt. 6. Experte, Spezialist

710

Ein neues Problem taucht für das Nebeneinander von Fachanwaltsbezeichnungen und ähnlich klingenden Tätigkeitsschwerpunkten auf: Mit der Einführung des Fachanwalts für Strafrecht erlangt die Tätigkeitsangabe „Straf­ver­teidigung“ irrefüh­ renden Charakter, weil bei sinngleichen Gebietsangaben nur noch der gute Kenner des anwaltlichen Berufsrechts den Unterschied zwischen Fachanwaltsbezeichnung und Angabe eines Tätigkeitsschwerpunktes auseinanderzuhalten vermag. Der Wett­ bewerbssenat des BGH hat allerdings die Konkurrenz der Angabe verwaltungsrecht­ licher Tätigkeitsschwerpunkte und der Bezeichnung Fachanwalt für Verwaltungs­ recht zugelassen.55 Sie wurde jedoch nur unter dem Aspekt abschließender Regelung der Bestimmungen über die Fachanwaltsbezeichnungen geprüft; außerdem waren einzelne Gebiete des besonderen Verwaltungsrechts benannt, nicht schlechthin nur ein Tätigkeitsschwerpunkt „Verwaltungsrecht“.

55 BGH GRUR 1995, 422, 423 – Kanzleieröffnungsanzeige = NJW-RR 1994, 1480 ff.

210

Fachanwaltschaften  ­|  § 30

In die vorstehenden Abgrenzungen ist die Bezeichnung „Spezialist für …“ nicht ein­ 711 zuordnen (dazu auch § 42, Rn. 1113 ff.). Der Rechtsverkehr wird darin einen besseren Fachanwalt sehen, die Selbstbewerbung als Spezialist also als oberste Stufe der drei­ stufigen Qualifikationsleiter56 ansehen.57 Die zulässige Bezeichnung der Tätigkeits­ schwerpunkte darf nicht nur personenbezogen verwendet werden, sondern nach § 7 Abs. 3 BORA auch für Berufsausübungsgemeinschaften.58 Nicht untersagt werden kann die Verwendung berechtigt geführter akademischer 712 Grade (dazu § 42, Rn. 1133) oder von Bezeichnungen ausgeübter öffentlicher Ämter, die auf Fachkompetenz schließen lassen.59 Die Bezeichnung „Mediator“ wird durch § 7 BORA zugelassen.60

56 OLG Karlsruhe NJW 2009, 3663, 3664 – Spezialist für Zahnarztrecht. Gegen die bildliche Vorstellung von einer Stufenleiter Kleine-Cosack AnwBl. 2005, 593, 601. In ihr drücken sich jedoch sachverhaltsbezogene Leistungsmerkmale aus. 57 Im wesentlichen untersagt von AnwGH Celle NJW 2004, 1536 – Spezialist für Verkehrs­ recht, aufgehoben durch BVerfG NJW 2004, 2657, 2658 (mit eigenständigen Tatsachenfest­ stellungen, die allerdings darauf abstellten, dass es damals keinen Fachanwalt für Verkehrs­ recht gab); dazu Offermann-Burckart NJW 2004, 2617  ff. Keine Verletzung des Art.  10 EMRK durch die Untersagung der Bezeichnung „Verkehrsrechtsspezialist“: EGMR v. 23.10.2007 – Rs. 2357/05 – Heimann/Deutschland, GRUR-RR 2009, 175, 176. Vgl. auch die arztrechtliche Entscheidung derselben Kammer des BVerfG NJW 2002, 1331 – Knie- und Wirbelsäulenspezialist. Weitere Folgeprobleme: AnwG Freiburg ZIP 2006, 255 („Insolvenz­ verwalter“); BGH AnwBl 2017, 201 (Fachanwalt für Erbrecht als „Spezialist“). 58 S. auch BGH NJW 2001, 1573, 1574 – Kanzleibezeichnung. 59 AnwG Hamm BRAK-Mitt. 1999, 275: „Stadtdirektor a.D.“ (bejaht); AnwGH Rhein­ land-Pfalz NJW 2001, 1586: „Diplom-Wirtschaftsjurist (SWA)“ (verneint, da Verleihung durch private Akademie). 60 So bereits ohne rechtliche Regelung BGH NJW 2002, 2948.

211

§ 31 Straftatbestände

I. Parteiverrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . 713



V. Gebührenüberhebung . . . . . . . . . 723

II. Begünstigung, Strafvereitelung . 718

VI. Ehrdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 724

III. Vermögensdelikte . . . . . . . . . . . . 720

VII. Sonstiges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 725

IV. Geldwäsche . . . . . . . . . . . . . . . . . . 721

I. Parteiverrat 713

Strafrechtlich geregelt ist die Pflicht, in derselben Rechtssache nicht mehreren Betei­ ligten mit gegensätzlichen Interessen durch Rat oder Beistand zu dienen (Parteiverrat bzw. Prävarikation genannt, § 356 StGB). Der Straftatbestand ist rechtspolitisch um­ stritten.1 § 43a Abs. 4 BRAO stellt ergänzend ein Tätigkeitsverbot der Vertretung wi­ derstreitender Interessen auf, das über die strafrechtliche Parteiverratsbestimmung hinausgeht (näher dazu § 27, Rn. 534). Mit der strafrechtlichen Vorschrift kommen Anwälte mit geringer Berufserfahrung besonders leicht in Konflikt, weil sie die Reich­ weite der Norm unterschätzen. Selbst wenn das Ermittlungsverfahren gem. §  153a StPO eingestellt wird, schmerzen doch die empfindlichen Geldzahlungsauflagen. Kasuistik:

714

(a) BGH NJW 1994, 2302: Der angeklagte Anwalt hatte in einem Strafverfahren in der Beru­ fungsinstanz vor dem LG verteidigt. Während des Verfahrens war ihm bekannt geworden, dass sein Sozius Strafantrag für die Geschädigte gestellt hatte. Der Sozius hatte dabei eine Vollmachtsurkunde vorgelegt, in der die Rechtsanwälte der Praxis genannt waren, darunter der Angeklagte. Das LG hat den Angeklagten vom Vorwurf des Parteiverrats freigesprochen. Nach den Urteilsfeststellungen war ausschließlich der Sozius mit der Wahrnehmung der Inte­ ressen der Geschädigten beauftragt worden; er war auch allein für sie tätig geworden. Der BGH sah die Mandatsbeschränkung auf nur ein Mitglied der Sozietät im Hinblick auf § 356 StGB als rechtlich unbedenklich an. Sie stehe in Einklang damit, dass mehrere Beschul­ digte von jeweils anderen Anwälten einer Sozietät verteidigt werden können (vgl. § 146 StPO). Die Benennung des Angeklagten in der Vollmachtsurkunde lasse keine abschließende Aussage über die Reichweite des Mandats zu.

715

(b) BayObLG NJW 1995, 606 f.: Der angeklagte Rechtsanwalt hatte ein Mandat wegen eines Verkehrsunfalls erhalten, bei dem die Beifahrerin des Mandanten verletzt worden war. Zu­ nächst war ein Strafbefehl gegen den Mandanten ergangen; der dagegen vom Angeklagten eingelegte Einspruch wurde nach Akteneinsicht zurückgenommen. Als der Haftpflichtversi­ cherer des Mandantenfahrzeugs die Regulierung von Schadensersatzansprüchen der Beifahre­ rin ablehnte, übernahm der Angeklagte auf Bitten seines bisherigen Mandanten die anwaltli­ che Vertretung. Das BayObLG hat § 356 StGB abweichend vom freisprechenden Amtsgericht 1 Für eine Abschaffung Schlosser NJW 2002, 1376, 1381; Henssler/Deckenbrock MDR 2003, 1085, 1090.

212

Straftatbestände  ­|  § 31 bejaht. Dieselbe Rechtssache sei schon deshalb betroffen gewesen, weil der jeweils anvertrau­ te Sachverhalt identisch gewesen sei. Ein Interessengegensatz bestand, obwohl die Beifahrerin einen Direktanspruch gegen den Versicherer des Schädigers hatte (§ 3 Nr. 1 PflVG). Dieser Anspruch lässt Ansprüche gegen den Schädiger selbst nicht entfallen. Dessen objektives Inter­ esse ist darauf gerichtet, eventuelle Ersatzansprüche möglichst gering zu halten, selbst wenn der Ex-Mandant im konkreten Fall eine Regulierung durch den Versicherer wünschte. Hinzu kommt, dass ein Versicherungsnehmer Obliegenheiten gegenüber dem Versicherer zu erfüllen hat, etwa bei der Sachverhaltsaufklärung. (c) BGH NJW 1999, 3568: Der angeklagte Rechtsanwalt hatte einen Vertrag über laufende Rechtsberatung mit der Immobiliengesellschaft X geschlossen. Während der Vertragslauf­ zeit wurde auf Rat des Angeklagten eine Ausgründung vorgenommen; an dieser Gesellschaft und einer weiteren Neugründung waren der Angeklagte und sein Sozius als Gesellschafter beteiligt. Aus Vertragsbeziehungen der Gesellschaften untereinander, bei deren Abschluss der Angeklagte für X beratend tätig gewesen war, entstanden nach Beendigung des Beratungs­ mandats Rechtsstreitigkeiten, in denen der Angeklagte für „seine“ Unternehmensträger als Verkehrsanwalt Schriftsätze gegen die X für den auswärtigen Prozessanwalt fertigte; dabei han­ delte er nicht als Organ „seiner“ Gesellschaften.

716

Der BGH bejahte § 356 StGB, weil der Angeklagte beiden Parteien als Dritter Beistand geleistet hatte, obwohl er wegen seiner Gesellschafterstellung am Ausgang der Prozesse ein eigenes wirtschaftliches Interesse hatte. Weder die Stellung als faktischer Geschäftsführer noch als Ge­ sellschafter sollten dazu führen, die Beistandleistung als außerberuflich und nichtanwaltlich anzusehen; die Grenze von rein gesellschaftsinternem Handeln zum Handeln mit Außenwir­ kung sei überschritten gewesen. (d) OLG Karlsruhe NJW 2002, 3561 m. krit. Bspr. Henssler/Deckenbrock MDR 2003, 1085 ff.: Der Angeklagte hatte zunächst mit beiden Eheleuten eine Besprechung über die gewünschte einverständliche Scheidung geführt und danach die Ehefrau außergerichtlich und gerichtlich gegen den Ehemann vertreten, bis er auf Aufforderung der Anwaltskammer das Mandat nie­ derlegte.

717

Das OLG verneinte eine Pflichtwidrigkeit mangels Interessengegensatzes der Parteien, der nicht abstrakt und von der objektiven Interessenlage her bestimmt werden dürfe. Ein Interes­ senkonflikt schließe gleichgerichtete Interessen nicht aus, wie sie bei subjektiver Betrachtung im Falle einverständlicher Scheidung vorliegen könnten. Allerdings entfalle die Pflichtwidrig­ keit nicht wegen des Einverständnisses einer Partei mit der späteren Vertretung der anderen Partei; Rechtsgut des § 356 StGB sei nicht der Schutz des Auftraggebers, sondern das Ansehen der Anwaltschaft als Organ der Rechtspflege. Zur Bestimmung des Schutzzwecks ebenso BVerfG NJW 2001, 3180, 3181.

II. Begünstigung, Strafvereitelung In Konflikt geraten kann der Rechtsanwalt als Strafverteidiger mit den Tatbeständen 718 der Begünstigung (§ 257 StGB) und der Strafvereitelung (§ 258 StGB), die im Span­ nungsverhältnis zu StPO-Normen stehen.2 Der Anwalt darf keine „Beweisquelle 2 Eingehend dazu BGH NJW 2000, 2433, 2434 ff.; Beulke Die Strafbarkeit des Verteidigers, 1989; ihm zustimmend Geerds JZ 1989, 1054.

213

Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege

trüben“,3 also keine Beweismittel verfälschen.4 Der verbale Hinweis an den Man­ danten, er müsse nur noch einen Freund davon „überzeugen“, dass er der Fahrer des Tatfahrzeugs war, stellt eine mittelbare psychische Beihilfe zur Falschaussage dar.5 Kasuistik:

719

BGH NJW 1993, 273 = JR 1994, 114 ff. m. Anm. Beulke: Der angeklagte Rechtsanwalt war Ver­ teidiger eines Mandanten, der sich der Strafverbüßung durch die Flucht nach Spanien und Tanger entzog. Der Anwalt legte zur Erlangung eines Vollstreckungsaufschubs für seinen Man­ danten ärztliche Atteste eines spanischen Arztes über eine schwere Nierenerkrankung vor, die unrichtig waren, wie der Anwalt erkannte, als er den Mandanten in Tanger besuchte. Später versicherte der Anwalt der sachbearbeitenden Staatsanwältin mehrfach nachdrücklich die schwere Erkrankung, wobei er seine Besuchsbeobachtungen verschwieg. In einer sofortigen Beschwerde gegen die Anordnung des Verfalls der zur Außervollzugsetzung des Haftbefehls gestellten Sicherheitsleistung legte er – eine Fälschung billigend in Kauf nehmend – zweimal die Fotokopie einer Sterbeurkunde eines spanischen Krankenhauses vor, einmal mit Beglaubi­ gungsvermerk der Deutschen Botschaft in Madrid. Bei allen Attesten und Urkunden handelte es sich um Totalfälschungen des Mandanten. Der BGH hob die Verurteilungen wegen Strafvereitelung und Urkundenfälschung auf. Zu § 258 StGB betonte der BGH, dass der Verteidiger keine Beweismittel verfälschen und keine verfälschten Beweismittel verwenden dürfe, es aber am direkten Vorsatz fehle, wenn er die Richtigkeit tatsächlicher Behauptungen für nicht ausgeschlossen halte. Zu § 267 StGB verlangt der BGH eine Bestimmung des dolus eventualis unter Berücksichtigung des Verteidigerdi­ lemmas bei Vorlage der vom Mandanten zur Verfügung gestellten Beweismittel. Zur Auskunft über Telekommunikationsdaten eines Strafverteidigers wegen Verdachts der Strafvereitelung BVerfG NJW 2006, 3197.

III. Vermögensdelikte 720

Als Vermögensstraftat des Anwalts kommt in erster Linie Untreue in Betracht, aber auch Unterschlagung. Untreue stellt es z. B. dar, Fremdgelder auf ein häufig debitori­ sches Geschäftskonto des Anwalts einzuziehen, ohne dass anderweitige Liquidität besteht.6 Falschbehauptungen können versuchten Prozessbetrug darstellen. Die un­ richtige Behauptung, es gebe gerichtliche Entscheidungen zu einer bestimmten Rechtsauffassung, erfüllt diesen Tatbestand aber nicht, weil das Gericht zur eigenver­ antwortlichen Rechtsermittlung verpflichtet ist.7

Allgemein zu Strafbarkeitsgefährdungen von Beratern Wessing NJW 2003, 2265 ff.; Otto JZ 2001, 436 ff. 3 Vgl. die Formulierung in BGH NJW 2000, 2433, 2436. 4 Zur Anstiftung zur Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung AnwGH Saarbrü­ cken MDR 2001, 1197. 5 OLG Bamberg NJW 2006, 2935, 2936. 6 BGH NJW 2015, 1190 Tz. 17. 7 OLG Koblenz NJW 2001, 1364.

214

Straftatbestände  ­|  § 31

IV. Geldwäsche Das Verbot der Geldwäsche ist im GwG auf der Grundlage der Richtlinie 2005/60/EG 721 sowie der Richtlinie 2006/70/EG geregelt. Daraus ergeben sich Pflichten für den An­ walt. Neben die besonderen Pflichten bei Planung und Durchführung bestimmter Geschäfte (§ 2 Abs. 1 Nr. 7 GwG) treten allgemeine Sorgfaltspflichten gem. § 3 Abs. 2 GwG.8 Die Verletzung der Pflichten ist nach § 17 GwG bußgeldbewehrt. § 261 StGB enthält einen Straftatbestand. Der Tatbestand der Geldwäsche (§ 261 StGB)9 kann von einem Strafverteidiger durch 722 Entgegennahme eines Honorars verwirklicht werden, das aus einer im Tatbestand genannten Katalogstraftat stammt.10 Zur Entschärfung des Tatbestandes hat das BVerfG wegen der Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) eine verfassungskon­ forme Reduktion vorgenommen und für die innere Tatseite verlangt, dass der Vertei­ diger bei Entgegennahme des Honorars sichere Kenntnis über die Herkunft aus einer Katalogstraftat hat.11 Die Mitwirkung des Anwalts an der Verschaffung bemakelten Vermögens kann § 261 StGB verwirklichen.12

V. Gebührenüberhebung Strafbar ist es, vorsätzlich Gebühren über den geschuldeten Betrag hinaus zu erheben 723 (§ 352 StGB, Gebührenüberhebung), wobei mangels besonderer Vereinbarung die ge­ setzlichen Gebührentatbestände des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) maß­ gebend sind. Der Tatbestand ist nicht schon deshalb verwirklicht, weil eine Honorar­ vereinbarung unwirksam ist.13 Der Schutzzweck des §  352 StGB ist dann nicht berührt, weil sich der Anwalt zur Honorarberechnung gar nicht auf die gesetzliche Vergütungsordnung stützt.14 § 352 StGB ist aber gegeben, wenn entgegen § 15 Abs. 2 RVG in derselben Angelegenheit zweifach Gebühren verlangt werden.15

8 Dazu Donath/Mehle NJW 2008, 650 f. S. auch EGMR v. 6.12.2012 – Rs. 12323/11 – Michaud, NJW 2013, 3423. 9 Abdruck der Geldwäscherichtlinie 2001/07/EG in NJW 2002, 804 ff. 10 BGH NJW 2001, 2891, 2892; OLG Hamburg NJW 2000, 673 ff. (mit Einschränkung durch verfassungskonforme Auslegung) m. abl. Bespr. Schaefer/Wittig NJW 2000, 1387; OLG Frankfurt NJW 2005, 1727; Katholnigg NJW 2001, 2041 ff.; Scherp NJW 2001, 3242 ff. 11 BVerfG NJW 2005, 1707, 1708; BVerfGE 110, 226 = NJW 2004, 1305, 1311 = JZ 2004, 670 m. Anm. Wohlers und Bspr. v.Galen NJW 2004, 3304 ff., Barton JuS 2004, 1033 ff.; BVerfG NJW 2015, 2949 Tz. 45 ff. 12 Näher dazu BGH NJW 2010, 3730 Tz.  85 m. Bespr. Rübenstahl/Stapelberg NJW 2010, 3692 ff. 13 OLG Braunschweig NJW 2004, 2606. 14 BGH NJW 2006, 3219 Tz. 9 ff. 15 BGH NJW 2006, 3219 Tz. 19 (noch zu § 13 I BRAGO).

215

Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege

VI. Ehrdelikte 724

Verletzungen des Persönlichkeitsrechts der gegnerischen Partei, ihres Prozessbevoll­ mächtigten, der Richter oder Dritter durch Äußerungen des Anwalts können strafund zivilrechtlich verfolgt werden, sofern sie nicht durch die Wahrnehmung der Funktion als Anwalt gerechtfertigt sind (dazu auch § 28, Rn. 598 und § 36, Rn. 962). Dafür ist das Sachlichkeitsgebot zu beachten (s. § 28, Rn. 585 ff.).

VII. Sonstiges 725

Strafbar sein kann die Instrumentalisierung der Strafverteidigung zur Propagierung extremistischer Ansichten im Einklang mit dem Angeklagten, jedoch ohne Bezug zur Verteidigung, etwa die Verwirklichung des Tatbestandes der Volksverhetzung.16

726

Strafbar ist die Veröffentlichung des Wortlauts amtlicher Schriftstücke aus einem Strafverfahren, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen ist (§ 353d Nr. 3 StGB). Nicht dazu gehören Schriftstücke aus einem Strafvollstreckungsverfahren.17 Wird eine Wiederaufnahme betrieben, wird das Verfahren mit der Wiederaufnahmeanordnung (§ 370 Abs. 2 StPO) in den früheren Stand zurückversetzt. Gesichert werden durch die Strafvorschrift nicht nur Interessen des Beschuldigten (Vermeidung einer Prangerwirkung) und Persönlich­ keitsrechte Dritter, sondern auch die Unbefangenheit des Gerichts, insbesondere der Laienrichter, und der Zeugen.18

727

Drohungen mit der Bloßstellung eines Gegners zur Durchsetzung einer Forderung des Mandanten können als Nötigung zu werten sein.19 In Betracht kommt auch die Beteiligung an einer Erpressung (§ 253 StGB), wenn eine unstreitig geschuldete Räu­ mung und Herausgabe eines Mietobjekts für den Mieter von der Erfüllung einer For­ derung abhängig macht, die der Vermieter unstreitig nicht schuldet.20

728

Wegen falscher Verdächtigung (§ 164 StGB) ist der Anwalt strafbar, wenn er in einer Strafanzeige wesentliche Tatsachen verschweigt.21

16 BGH NJW 2000, 2217; BGH NJW 2002, 2115. 17 LG Hamburg NJW 2013, 3458, 3461 – Fall Mollath m. Anm. Busch. 18 BVerfG NJW 2014, 2777 Tz. 26 ff. 19 So im Ausgangsfall der Entscheidung EGMR NJW 2008, 2322. Zur Verletzung des Sach­ lichkeitsgebots durch Drohungen oben § 28, Rn. 607. 20 OLG Frankfurt NJW 2015, 3584 – „Auszug nur gegen Geld“. S. auch BGH NJW 2014, 401 Tz. 45 ff. (Drohung gegenüber juristischen Laien mit Strafanzeige in anwaltlichem Mahn­ schreiben). 21 BVerfG NJW 2008, 570, 571.

216

§ 32 Gebührenrecht

I. Tatbestandliche Festlegung, Preiswettbewerb . . . . . . . . . . . . . 729



V. Zeitgebühren, Pauschalgebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 771

II. Honorarvereinbarungen 1. Generelle Regelung . . . . . . . . . . . 732 2. Außergerichtliche Beratung und Vertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 736 3. Fehlerhafte Vereinbarungen . . . . 738 4. Angemessenheit der vereinbarten Honorarhöhe a) Gesetzliche Kontrollnormen 740 b) Verfassungsrechtliche Parameter der Kontrolle . . . . 741 c) Sittenwidrigkeitsprüfung . . . . 743 d) Kostengünstige Erstberatung, Pro bono-Beratung . . . . . . . . . 745

VI. Einzelfragen (Berechnung, Festsetzung, Durchsetzung) 1. Berechnung, Festsetzung . . . . . . 774 2. Außergerichtliche Tätigkeit, Anrechnungen . . . . . . . . . . . . . . . 779 3. Prozesskostenhilfe, Beratungshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . 782 4. Durchsetzung der Honorarforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 784

III. Erfolgshonorar, Ergebnisbeteiligung (quota litis) 1. Traditionelles Verbot . . . . . . . . . . 747 2. Lockerungen im Ausland a) USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 748 b) England und Wales . . . . . . . . . 749 c) Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . 752 d) Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 753 e) Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . 754 f) Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 755 g) Sonstige . . . . . . . . . . . . . . . . . . 756 3. Lockerung in Deutschland . . . . 757

VIII. Kostentragung durch Rechtsschutzversicherung, Prozessfinanzierer 1. Rechtsschutzversicherer . . . . . . . 797 2. Kostentragung durch Prozessfinanzierer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 803

IV. Gesetzliche Gebühren 1. Streitwertabhängige Gebühren . 762 2. Rahmengebühren . . . . . . . . . . . . . 767

VII. Entgeltliche Mandatsvermittlung, Gebührenteilung 1. Verbot entgeltlicher Vermittlung 788 2. Anwaltliche Zusammenarbeit . . 792

IX. Kostenerstattung 1. Prozessualer Erstattungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 807 2. Materiell-rechtlicher Erstattungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 810 X. Anwaltsinkasso . . . . . . . . . . . . . . 812 XI. Kollektiver Rechtsschutz unter Zentrierung auf einen Kläger . 813

Spezialliteratur: Enders, Das RVG für Anfänger, 17. Aufl. 2016; Gerold/Schmidt, Rechtsan­ waltsvergütungsgesetz, 22. Aufl. 2015; Harbauer, Rechtsschutzversicherung: ARB, 8. Aufl. 2010; Hartung/Schons/Enders, RVG, 3. Aufl. 2017; Looschelders/Paffenholz, ARB, 2014; Mayer/ Kroiß, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 6. Aufl. 2013; Riedel/Sußbauer, Rechtsanwaltsvergü­ tungsgesetz, 10. Aufl. 2015; Schneider/Wolf, AnwaltKommentar RVG, 8. Aufl. 2017; van Bühren/Plote, ARB, 3. Aufl. 2013.

I. Tatbestandliche Festlegung, Preiswettbewerb Die Gebührenerhebung der Rechtsanwälte und ihrer Berufsausübungsgesellschaften 729 richtet sich nach gesetzlichen Tatbeständen, die vorwiegend im RVG und seinem Ver­ 217

Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege

gütungsverzeichnis geregelt sind (§ 1 Abs. 1 S. 1, § 2 RVG). Hinzu treten die Vergü­ tungsgrundsätze des § 49b BRAO, des BerHG, der §§ 21 f. BORA. Die CCBE-Stan­ desregeln für grenzüberschreitende Tätigkeit befassen sich unter Nr. 3.3 und 3.4 mit Gebühren. Erfasst werden vom RVG nur anwaltstypische Tätigkeiten, von denen § 1 Abs. 2 RVG wiederum einige ausnimmt, wie z. B. die als Betreuer, Insolvenzverwalter oder Testamentsvollstrecker.1 Ausgenommen ist auch die Tätigkeit des Syndikus­ rechtsanwalts. 730

Nach § 49b Abs. 1 S. 1 BRAO, der durch § 21 BORA für das Rechtsverhältnis zu Drit­ ten ergänzt wird, dürfen die sich aus dem RVG ergebenden Gebühren und Auslagen – von Sonderfällen abgesehen – nicht unterschritten werden.2 Es findet also – vorbe­ haltlich des §  4 Abs.  1 S.  1 RVG (außergerichtliche Beratung)  – kein ruinöser Preiswettbewerb statt. Das Verbot der Gebührenunterschreitung soll Gefährdungen der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege entgegenwirken3 und einen Preiskrieg mit daraus resultierendem unsachlichen Werben um Praxis ver­ meiden.4 Bestrebungen der EU-Kommission sind indes darauf gerichtet, Preiswett­ bewerb für anwaltliche Dienstleistungen zu erzwingen. Der EuGH hat den bisherigen Versuchen widerstanden, dafür das Unionskartellrecht und die Dienstleistungsfrei­ heit zu instrumentalisieren (s. dazu § 37, Rn. 1001 und § 41, Rn. 1080 ff.).

731

Die Ausgestaltung der gesetzlichen Gebührenregelung hat einerseits dem Justizge­ währungsanspruch Rechnung zu tragen, der den Zugang zu den Gerichten umfasst, andererseits – für die Gerichtsgebühren – den verfassungsrechtlichen Grundsätzen für Gebührenregelungen5 und  – für die Anwaltsgebühren  – der Berufsfreiheit der Rechtsanwälte.6 Gebühren dürfen nicht außer Verhältnis zum wirtschaftlichen Wert für die Prozessbeteiligten stehen, erlauben aber eine pauschalierende Anknüpfung an den Streit- oder Geschäftswert. Bei anwaltlichen Leistungen muss die Gebühr nicht deren Wert im Einzelfall entsprechen, jedoch muss der Anwalt aus seinem Gebühren­ aufkommen nach einer Mischkalkulation sowohl seinen Kostenaufwand als auch sei­ nen Lebensunterhalt bestreiten können.7

1 Zur Nichtgeltung des § 4a RVG für Hochschullehrer OLG Düsseldorf NJW-RR 2016, 313 Tz.  23. Zur Anwendung des RVG auf einen anwaltlichen Verfahrenspfleger kraft §  1835 Abs. 3 BGB BGH NJW 2011, 453 Tz. 13 f.; BGH NJW 2012, 3307 Tz. 7. Zur Anwendung auf einen anwaltlichen Berufsbetreuer gem. §§ 1835 III, 1908i I 1 BGB BGH NJW 2007, 844 Tz. 14. 2 Dazu BGH (AnwS) NJW 2009, 534 Tz. 19. 3 BGH NJW 1980, 2407, 2408 (Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB); NJW 1982, 2329, 2330 (Standesverstoß). 4 BGH NJW 1982, 2329, 2330. 5 BVerfGE 85, 337, 345 und 348 = NJW 1992, 1673. 6 BVerfG NJW 1992, 1673, 1674; BVerfG FamRZ 2006, 24, 25; BVerfG NJW 2007, 1445, 1446 (niedrige Streitwertfestsetzung zum Schutz der Staatskasse in PKH-Fällen); BVerfG NJW 2007, 2098 Tz. 65 f. (zur Kappung des Gegenstandswertes bei 30 Mio. Euro). 7 BVerfG NJW 1992, 1673, 1674.

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Gebührenrecht  ­|  § 32

II. Honorarvereinbarungen 1. Generelle Regelung Gebührenvereinbarungen, deren Höhe dann oftmals über die gesetzlichen Gebühren 732 hinausgeht, sind gem. § 3a Abs. 1 S. 1 RVG zulässig. Davon ausgenommen ist der im Rahmen der Prozesskostenhilfe beigeordnete Anwalt (§ 3a Abs. 3 S. 1 RVG). § 3a Abs. 1 S. 2 RVG bestimmt, dass derartige Vereinbarungen zur Wirksamkeit der 733 Textform und der Fixierung in einer gesonderten Urkunde bedürfen.8 Die Verein­ barung darf nicht in der Vollmachtsurkunde enthalten sein und muss deutlich als Vergütungsvereinbarung bezeichnet sein.9 Die räumliche Trennung von anderen Vereinbarungen soll den Mandanten davor schützen, unbemerkt eine Honorarabrede zu treffen;10 eine bestimmte Gestaltung der Trennung ist nicht vorgeschrieben.11 Das Formerfordernis des § 3a Abs. 1 RVG gilt auch für den Schuldbeitritt eines Drit­ ten.12 Der Mandant muss auf die fehlende Kostenerstattungspflicht des Gegners oder der Staatskasse für den die gesetzlichen Gebühren überschreitenden Anteil hingewie­ sen werden. Soweit Beratungshilfe bewilligt wird, kann der Anwalt gegen den Rechtsuchenden 734 nach § 8 Abs. 2 BerHG nur die Beratungshilfegebühr (§ 44 S. 2 RVG) geltend machen. Wird Beratungshilfe verweigert oder eine Bewilligung nachträglich wieder aufgeho­ ben, ist eine Vergütung nach den allgemeinen Vorschriften des RVG geschuldet. Da­ mit ist auch eine Vergütungsvereinbarung anzuwenden, sofern der Anwalt auf diese Möglichkeiten hingewiesen hat (§ 8a Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 4 S. 1 BerHG). Honorarvereinbarungen unterliegen der AGB-Kontrolle. Sie dürfen nicht gegen das 735 Transparenzgebot der §§ 305 Abs. 2 Nr. 2, 307 Abs. 1 S. 2 BGB verstoßen, was der Fall ist, wenn der Mandant den Eindruck gewinnen kann, die Vereinbarungshöhe ent­ spreche dem Gebührensatz des Vergütungsverzeichnisses zum RVG.13 2. Außergerichtliche Beratung und Vertretung Die Vergütung für außergerichtliche Beratung (Rat oder Auskunft), die Ausarbeitung 736 eines schriftlichen Gutachtens und die Tätigkeit als Mediator sollen nach § 34 Abs. 1 RVG vorrangig zum Gegenstand einer Vereinbarung gemacht werden, soweit es nicht darum geht, die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels zu prüfen (dazu Teil  2 Ab­ schnitt 1 VergVerz RVG). Die Vereinbarung nach § 34 RVG kann formfrei geschlos­ sen werden (§ 3a Abs. 1 S. 4 RVG), allerdings nur, wenn sie sich nicht zugleich auf

8 OLG München NJW 1993, 3336. Zum Ersatz von „Spesen“ BVerfG NJW 2002, 3314. 9 Dazu BGH NJW 2009, 3301 Tz. 10. 10 BGH NJW 2016, 1596 Tz. 17. 11 BGH NJW 2016, 1596 Tz. 18. 12 BGH NJW-RR 2017, 124 Tz. 7. 13 OLG Frankfurt MDR 2010, 176.

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Tätigkeiten erstreckt, die die Voraussetzungen eines anderen gesetzlichen Gebühren­ tatbestandes erfüllen.14 737

Mangels Vereinbarung erhält der Anwalt Gebühren nach den § 612 Abs. 2 oder § 632 Abs. 2 BGB. Gegenüber Verbrauchern (§ 13 BGB) ist statt dessen die Rahmengebüh­ renvorschrift des §  14 Abs.  1 RVG anzuwenden; zusätzlich gilt die Deckelung auf 250 Euro für eine Beratung und auf 190 Euro für ein erstes Beratungsgespräch. 3. Fehlerhafte Vereinbarungen

738

Entspricht die Honorarvereinbarung nicht den Anforderungen des § 3a Abs. 1 S. 1 und 2 RVG  – dies gilt auch für Erfolgshonorarvereinbarungen (dazu nachfolgend Rn. 757 ff.) – wird der Vertrag nicht nach § 134 BGB nichtig, jedoch kann der Anwalt keine höheren Gebühren als die gesetzlichen verlangen (§ 4b S. 1 RVG).15 Die Vergü­ tung ist dadurch nach oben gedeckelt, während sie unterhalb der gesetzlichen Vergü­ tung fortgilt.16 Hat der Mandant bereits mehr gezahlt, steht ihm ein Bereicherungs­ ausgleich zu.17

739

Auf den Fall einer rechtswidrigen Gebührenunterschreitung (§ 49b Abs. 1 S. 1 BRAO) ist §  4b RVG nicht ohne weiteres zu übertragen.18 Ein darauf gerichteter Vertrag dürfte deshalb nichtig sein.19 4. Angemessenheit der vereinbarten Honorarhöhe a) Gesetzliche Kontrollnormen

740

§3a Abs.  2 S.  1 RVG bestimmt, dass ein unangemessen hohes Erfolgshonorar im Rechtsstreit auf den angemessenen Betrag bis zur Höhe der gesetzlichen Vergütung herabgesetzt werden darf, und § 4 Abs. 1 S. 2 RVG verlangt, dass eine erfolgsunabhän­ gige, unterhalb der gesetzlichen Vergütung bleibende Honorarvereinbarung für Bera­ tung in außergerichtlichen Angelegenheiten in einem angemessenen Verhältnis zu Leistung, Verantwortung und Haftungsrisiko stehen muss. Damit wird eine richterli­ che Kontrolle der Honorarvereinbarung eröffnet.20 Sie ist aber nicht der Ermessens­ kontrolle nach § 315 Abs. 3 S. 2 BGB gleichgestellt. Über diese gesetzlichen Tatbestän­ 14 BGH NJW 2016, 1596 Tz. 9. 15 Zur früheren Nichtigkeit bei Verstoß gegen das Verbot des Erfolgshonorars BGH NJW 2004, 1169, 1170; BGH VersR 2010, 667 Tz. 14. 16 BGHZ 201, 334 = NJW 2014, 2653 Tz. 31 f. m. Anm. v.Seltmann (dort für Erfolgshonorar­ vereinbarungen); BGH NJW 2015, 1093 Tz. 13; BGH NJW 2016, 1596 Tz. 21; BGH NJW 2016, 1391 Tz. 8; BGH AnwBl 2016, 692 = VersR 2016, 1139 Tz. 12. Zur fehlerhaften Er­ folgshonorarvereinbarung ebenso OLG Düsseldorf NJW-RR 2016, 313 Tz. 26. 17 BGH NJW 2016, 1391 Tz. 9. 18 BGH NJW 2015, 1093 Tz. 13. 19 Fölsch MDR 2016, 133, 136. 20 Noch zur BRAGO: BGHZ 162, 98, 106 ff. = NJW 2005, 2142, 2143 f. (Pauschalhonorar ei­ nes Strafverteidigers).

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de hinausgehend soll auf Vergütungsabreden §138 Abs.1 und 2 BGB angewandt werden können (dazu nachfolgend Rn. 743).21 b) Verfassungsrechtliche Parameter der Kontrolle Die Überprüfung der Angemessenheit eines vertraglich vereinbarten Honorars und 741 eine damit verbundene Reduzierung durch richterlichen Gestaltungsakt hat nach An­ sicht des BVerfG im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG zu respektieren, dass der Vertrag durch den darin verkörperten übereinstimmenden Willen der Parteien regelmäßig einen sachgerechten Interessenausgleich darstellt.22 Die Parteien bewerten mit der Vereinbarung eines Zeithonorars den für die Bearbeitung nötigen Arbeitsaufwand. Demgegenüber beruhen die gesetzlichen Gebühren auf einer Mischkalkulation, die im Wege einer Quersubventionierung weniger lukrative durch gewinnträchtige Man­ date sichert.23 Die Deckelung einer Abrechnung nach Zeitaufwand durch Festlegung einer Obergrenze des Fünffachen der gesetzlichen Gebühren, die der BGH24 und die Instanzrechtsprechung befürwortet hatten, wandle das Stundenhonorar in ein Pau­ schalhonorar um. Sie habe nur Bestand, wenn sie durch Gemeinwohlbelange gerecht­ fertigt sei, nämlich einen Schutz des Mandanten oder den Justizgewährungsan­ spruch.25 Auch angesichts dieser Schutzgüter komme eine einseitige pauschale Belastung des Rechtsanwalts nicht in Betracht; eine tatsächliche Vermutung für eine korrekturbedürftige Äquivalenzstörung der Honorarvereinbarung dürfe nicht prakti­ ziert werden.26 Der BGH hat die Kappungsgrenze bei Pauschalhonoraren und bei Zeithonoraren 742 trotz der Entscheidung des BVerfG nicht völlig aufgegeben. Der Anwalt soll im Ein­ zelfall die – fortgeführte – tatsächliche Vermutung der Unangemessenheit eines Pau­ schalhonorars entkräften müssen.27 Auch ein Zeithonorar sei im Hinblick auf den Stundensatz und die Bearbeitungszeit unter Würdigung der Besonderheiten des Ein­ zelfalles auf seine Angemessenheit zu prüfen, die aber erst bei einem unerträglichen Missverhältnis zu verneinen sei.28 c) Sittenwidrigkeitsprüfung Für die Kontrolle von Vergütungsabreden mittels § 138 Abs. 1 BGB kommt es ebenfalls 743 darauf an, dass zwischen Leistung und Gegenleistung ein auffälliges Missver­hältnis 21 BGHZ 144, 343, 345 = NJW 2000, 2669, 2671; BGH ZIP 2016, 2479 Tz. 14 und 17. Allge­ mein zum groben Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung BGH NJW 2014, 1652 Tz. 10. 22 BVerfG NJW-RR 2010, 259 Tz. 14 und 27; Bespr. Kilian BB 2009, 2098 ff. 23 BVerfG NJW-RR 2010, 259 Tz. 17 (zum Zeithonorar für eine Strafverteidigung). 24 BGHZ 162, 98 = NJW 2005, 2142 m. Bespr. Lutje NJW 2005, 2490 ff. 25 BVerfG NJW-RR 2010, 259 Tz. 18, 20 und 25. 26 BVerfG NJW-RR 2010, 259 Tz. 27 ff. 27 BGH NJW 2010, 1364 Tz. 48; BGH ZIP 2016, 2479 Tz. 19 und 28 f. 28 BGH NJW 2010, 1364 Tz. 73, 85 und 87; BGH NJW 2011, 63 Tz. 33; ebenso OLG Düssel­ dorf NJW 2011, 3311, 3312.

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besteht. Weitere Umstände müssen aber hinzutreten, die dann erst die Sittenwidrigkeit begründen. Das sind – bezogen auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses – insbesonde­ re eine verwerfliche Gesinnung oder die Ausbeutung der schwierigen Lage oder Uner­ fahrenheit des Mandanten für das eigene unangemessene Gewinnstreben.29 Bezugs­ punkt der Prüfung des Äquivalenzverhältnisses ist die objektive Marktangemessenheit des vereinbarten Honorars.30 Für § 3a Abs. 2 RVG sollen demgegenüber nicht die Maß­ stäbe des Marktes ausschlaggebend sein, sondern die Angemessenheit des Honorars unter Berücksichtigung der Schwierigkeit, des Umfangs der Sache, deren Bedeutung für den Auftraggeber und das von ihm angestrebte Ziel sowie die Erreichung des tat­ sächlichen und rechtlichen Erfolgs.31 744

Diese feinsinnige Differenzierung zwischen Angemessenheitsprüfung und Sittenwid­ rigkeitsfeststellung ist wenig überzeugend und kaum praktikabel. Rechtsfolge der An­ wendung des § 138 Abs. 1 BGB ist die Nichtigkeit der Honorarabrede, nicht aber eine Herabsetzung auf die angemessene Höhe. Jedoch soll ein Anspruch auf die gesetzli­ chen Gebühren bestehen,32 was jedoch nur im Rahmen der Anwendung von Berei­ cherungsrecht denkbar ist. d) Kostengünstige Erstberatung, Pro bono-Beratung

745

Das Verbot der Unterschreitung gesetzlicher Gebühren schließt eines kostenlose Erstberatung nicht aus (dazu § 42, Rn. 1134); für außergerichtliche Beratung gibt es nämlich keine gesetzlichen Gebühren.33

746

So wie Nicht-Anwälten gem. § 6 RDG eine unentgeltliche Rechtsberatung erlaubt ist, sollten auch Rechtsanwälte befugt sein, für Pro bono-Projekte eine kostenlose Vertre­ tung zu übernehmen. Die Gegenleistung besteht in der werblichen Ausnutzbarkeit dieser Sponsorleistung.34

III. Erfolgshonorar, Ergebnisbeteiligung (quota litis) 1. Traditionelles Verbot 747

Um der honorarbedingten Unabhängigkeitsgefährdung35 entgegenzuwirken, enthielt § 93 Abs. 2 S. 5 der Rechtsanwaltsgebührenordnung vom 21.4.1944 die ausdrückliche Regelung, dass die Vereinbarung eines Erfolgshonorars un­wirk­sam ist. Die Bundes­ 29 BGH NJW-RR 2017, 377 Tz. 17 m. w. N. S. auch BGH NJW 2003, 3486 (Siebzehnfaches der gesetzlichen Gebühren); BGH NJW-RR 2004, 1145, 1147. 30 BGH NJW-RR 2017, 377 Tz. 18 f. 31 BGH NJW-RR 2017, 377 Tz. 28 f. 32 BGH NJW-RR 2017, 377 Tz. 29. 33 OLG Stuttgart NJW 2007, 924, 925; LG Essen NJW-RR 2014, 379, 380; Fölsch MDR 2016, 133, 135. 34 Näher dazu Bälz/Moelle/Zeidler NJW 2008, 3383 ff. 35 Zu dieser Qualifizierung BGH VersR 2010, 667 Tz. 22.

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rechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) übernahm dieses Verbot zwar nicht aus­ drücklich, jedoch galt es der Sache nach grundsätzlich fort,36 was sich mit Art.  IX Abs. 1 S. 2 KostÄndG von 1957 hätte begründen lassen. Darüber hinaus ergab sich das Verbot der Vereinbarung von Erfolgshonoraren oder Streitanteilen (quota litis) aus § 52 Abs. 1 der Grundsätze des anwaltlichen Standesrechts. Die BRAO-Novelle von 1994 hat mit § 49b Abs. 2 BRAO a. F. ausdrücklich ein gesetzliches Verbot der Vereinbarung eines Erfolgshonorars oder der Beteiligung an dem erstrittenen Betrag (quota litis genannt) aufgestellt.37 2. Lockerungen im Ausland a) USA In den USA sind seit langem Erfolgshonorarvereinbarungen und Vereinbarungen 748 über die Beteiligung an einer erstrittenen Forderung bekannt.38 Diese verbreiteten, jedoch auch dort nicht uneingeschränkt zulässigen39 Formen der Berechnung der Anwaltsvergütung (contingent fees; Werbespruch: „no win, no fee“) werden mit der Erweiterung des Zugangs zu den Gerichten für mittellose Parteien gerechtfertigt40 (vor dem Hintergrund des dortigen Prozesskostensystems), sind aber zugleich mit­ verantwortlich für Auswüchse im deliktischen Schadensersatzprozess. Die Sentenz von der Verbesserung des „access to justice“ vernebelt die korrumpierenden Wirkun­ gen des Gebührensystems. b) England und Wales Unter dem Eindruck vermeintlich positiver Wirkungen dieser Praxis ist in England 749 und Wales 1995 eine begrenzte Zulassung des Erfolgshonorars für Solicitor erfolgt; sie ging auf den Courts and Legal Services Act 1990 zurück. Ein Erfolgshonorar (condi­ tional fee) darf seither vor allem bei Klagen wegen Personenschäden (personal injury) vereinbart werden; die Regelung weicht jedoch vom US-amerikanischen Erfolgsho­ norar ab. Ab dem Jahr 2000 erlaubte der Access to Justice Act 1999 die Weiterwälzung des Erfolgsanteils auf die unterlegene Prozesspartei und dehnte die betroffenen Rechtsgebiete aus. Seit dem 1.4.2013 gilt die auf der Grundlage des Act von 1990 erlassene Damages-­ 750 Based Agreements Regulation. Ein Bericht von Lord Justice Jackson aus dem Jahre 36 BGH NJW 1981, 998, 999. 37 Zur Anwendung der Regelung BGH NJW 2009, 3297 Tz. 15. 38 Dazu sowie zu England und Wales Kilian, Der Erfolg und die Vergütung des Rechtsanwalts, 2003 (Rezension: Bruns ZZP 119 [2006], 251 ff.); Kilian VersR 2006, 751 ff. 39 Ausschluss von contingent fees vor allem in Scheidungssachen (öffentliche Interessen am Fortbestand der Ehen involviert) und in Strafsachen. Maine war der letzte US-Staat, der 1965 das generelle Verbot von contingent fees aufhob, die ursprünglich in den USA insge­ samt als ungesetzlich betrachtet wurden. 40 Zu contingent fees Hazard/Koniak Law and ethics of lawyering, Westburg/New York (1990), S. 502 ff.

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2010, der die Praxis der Conditional Fee Agreements heftig kritisierte, hatte die Regu­ lation vorbereitet, die eine wesentliche Reform enthält. Damages-Based Agreements (DBA) dürfen in Zivil- und Wirtschaftssachen für die erste Instanz einen Erfolgsan­ teil bis 50 % der Schadenssumme vorsehen, jedoch in Streitsachen wegen Personen­ schäden nur bis 25 % und in Arbeitsrechtsstreitigkeiten bis 35 %. Die Erfolgssumme tritt an die Stelle der Berechnung eines Zeithonorars, so dass es keine Mischfinanzie­ rung gibt. Bei Klagabweisung hat der Mandant seinem Solicitor nur Auslagen und sonstige Nebenkosten zu erstatten. Der verloren gegangene Erfolgsanteil kann nicht vom unterlegenen Gegner zurückgeholt werden; er muss Verfahrenskosten auf der Basis einer hypothetischen Zeithonorarvergütung erstatten. Die Honorarabrechnung ist unter eine strenge Gerichtskontrolle gestellt worden. Barrister dürfen ebenfalls DBA abschließen, allerdings wird deren Zustimmungsbereitschaft als gering einge­ schätzt. 751

Die Mängel der Praxis zu den bis 2013 möglichen Conditional Fee Agreements ver­ deutlicht das Verfahren Naomi Campbell v. Mirror Group Newspapers Ltd., das Aus­ gangspunkt für ein Verfahren der Mirror Group gegen das United Kingdom vor dem EGMR war.41 Ausgangspunkt waren zwei Verfahren vor dem House of Lords (jetzt: Supreme Court). In dessen erster Entscheidung vom 6.5.2004 wurde MGN zu Scha­ densersatz und zur Tragung der Prozesskosten der Klägerin verurteilt, weil die Zei­ tung „Mirror“ Einzelheiten zu einer Drogentherapie von Naomi Campbell veröffent­ licht hatte.42 In der zweiten Entscheidung ging es um die Tragung der Prozesskosten in Höhe von mehr als 1 Mio. brit. Pfund. Davon entfielen allein auf die Instanz vor dem House of Lords 594.470 brit. Pfund, eingeschlossen darin ein Erfolgshonorar von 288.468 brit. Pfund. MGN berief sich erfolglos auf die Unverhältnismäßigkeit der Höhe des Erfolgshonorars angesichts der Vermögenverhältnisse der Klägerin und auf eine Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit (Art.  10 EMRK). Die dagegen ge­ richtete Beschwerde zum EGMR wegen Verletzung des Art.  10 EMRK war erfolg­ reich. Der EGMR anerkannte zwar, dass das Ziel, mit einer Erfolgshonorarvereinba­ rung den Zugang zur Justiz zu ermöglichen, durch Art.  6 EMRK gedeckt sei,43 verneinte aber einen fairen Ausgleich mit dem Recht aus Art. 10 EMRK.44 Dafür wies der EGMR auf die innerhalb Englands geführte Reformdiskussion und auf die im Ja­ ckson-Report angeführten Mängel der Conditional Fee Agreements hin. Zu ihnen gehöre das Erpressungspotential gegen den betroffenen Beklagten und die Rosinenpi­ ckerei der Anwälte bei der Auswahl der Verfahren. Pikant erschien dem EGMR auch die Bewertung des Erfolgshonorars als Zugangshilfe zur Justiz angesichts der Vermö­ gensverhältnisse der Klägerin als Supermodel.

41 EGMR v. 18.1.2011 – Rs. 39401/04, in deutscher Fassung abgedruckt in NJOZ 2012, 335, Leitsätze in NJW 2012. 753. 42 Campbell v. MGN Ltd. [2004] 2 WLR 1232. 43 EGMR NJOZ 2012, 335 Tz. 196. 44 EGMR NJOZ 2012, 335 Tz. 199 und 219.

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c) Frankreich Andere europäische Staaten haben sich mit dem Erfolgshonorar in unterschiedlichen 752 Versionen angefreundet.45 In Frankreich galt bis 1991 ein absolutes Verbot der Ver­ einbarung von Erfolgshonorar oder einer quota litis.46 Durch Art.  10 des Gesetzes no. 71-1130 vom 31.12.1971 in der Fassung des Gesetzes no. 91-647 vom 10.7.199147 ist insofern eine vorsichtige Lockerung eingetreten, als eine ergebnisabhängige Ver­ gütung zugelassen wurde. Nach wie vor darf der Anwalt aber nicht ausschließlich das Prozesserfolgsrisiko tragen (Art. 10 Abs. 3 S. 1).48 Dem entspricht Art. 10 Abs. 4 des Dekrets no. 2005-790 vom 12.7.2005 zum Berufsrecht der Anwaltschaft in der Fas­ sung des Dekrets no. 2007-932 vom 15.5.2007. d) Italien In Italien darf der Anwalt nicht am streitgegenständlichen Anspruch beteiligt werden 753 (quota litis-Verbot). Das wurde früher aus Art. 2233 Abs. 3 Codice civile abgeleitet,49 der jedoch im Jahre 2006 einen anderen Inhalt bekam. Das Verbot ist nunmehr in Art. 25 Abs. 2 der Berufsordnung für Rechtsanwälte vom 31.1.2014 (Codice deonto­ logico forense) enthalten. Die Bestimmung, deren Nichteinhaltung mit der Untersa­ gung der Berufstätigkeit von zwei bis sechs Monaten bestraft werden kann, lautet: „Vereinbarungen, durch die der Rechtsanwalt einen Teil des Prozess- bzw. Anspruchs­ gegenstandes als Vergütung ganz oder teilweise vorsieht, sind verboten“. Anders als die Gebührenordnung von 1994 sieht das Ministerialdekret no. 55 vom 10.3.201450 zum Gebührenrecht nicht mehr vor, dass Mindestgebühren zu erheben sind. e) Österreich In Österreich folgt ein Verbot der quota litis-Vereinbarung aus § 879 Abs. 2 Nr. 2 AB­ 754 GB.51 Eine darauf gerichtete Vereinbarung ist wegen Sittenwidrigkeit nichtig.52 Das Verbot betrifft die ausschließliche Orientierung der Höhe des Honorars an einem Teil des erstrittenen Betrages.53 § 879 Abs. 2 Nr. 2 ABGB wird durch § 16 RAO, der eine freie Honorarvereinbarung zulässt, nicht derogiert.54 Das Verbot soll verhindern, 45 Dazu Kilian AnwBl 2006, 515, 518 ff. 46 Caron/Diemunsch in Raymond Martin, Déontologie de l’Avocat, 11. Aufl. 2013, Rdn. 418, 422. 47 S. dazu Metzger AnwBl 2011, 763. 48 Caron/Diemunsch in Raymond Martin, Déontologie de l’Avocat11 Rdn. 382. 49 Cian/Trabucchi Commentario breve al Codice Cicile, Art. 2233 C.C. Anm. IV 1. Die Vor­ schrift erhielt 2006 eine anderen Inhalt. 50 Gazz. Uff. 2.4.2014, n. 77. 51 Dazu Pilshofer Grundlagen und Grenzen freier Honorarvereinbarungen im Anwaltsberuf, Wien 2011. 52 Zu den Auswirkungen auf die Prozesskostenfinanzierung durch Dritte Parzmayr/Schobel ÖJZ 2011, 533 ff. 53 OGH v. 26.4.2006 – 7 Ob 8/06m. 54 OGH v. 26.4.2006 – 7 Ob 8/06m.

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dass der Rechtsanwalt bei der Entscheidung für die Prozessführung seine wirtschaftli­ chen Interessen in den Vordergrund stellt und dabei das Wissens- und Erfahrungsge­ fälle zum Mandanten ausnutzt.55 Andere Formen der Erfolgshonorarvereinbarung sind von dem Verbot nicht betroffen. Zulässig sind die Vereinbarung eines Pauschal­ honorars als Prozentsatz des gesamten Streitwerts56 oder der Ankauf der im Streit be­ fangenen Sache durch den Rechtsanwalt unabhängig von einer Honorarforderung.57 f) Schweiz 755

Das Bundesgesetz über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (Anwaltsge­ setz, BGFA) vom 23.6.2000 bestimmt unverändert in Art.  12 lit. e BGFA, dass vor Beendigung eines Rechtsstreits keine Beteiligung am Prozessgewinn als Ersatz für ein Honorar vereinbart werden darf. Ebenfalls verboten ist eine Verpflichtung zum Ho­ norarverzicht für den Fall eines ungünstigen Prozessausgangs. Sonstige Verbote er­ folgsunabhängiger Honorarvereinbarungen sind nicht vorgesehen, so dass ein Hono­ rarzuschlag für den Fall eines Erfolges vereinbart werden darf.58 g) Sonstige

756

Zu weiteren Staaten nach dem Stand von 2003 vgl. den Überblick von Kilian.59 3. Lockerung in Deutschland

757

Auch unter Geltung des strikten Verbots nach § 49b Abs. 2 BRAO a. F. waren Verein­ barungen mit ausländischen Mandanten nicht schlechthin unwirksam. Die Vereinba­ rung eines Erfolgshonorars zwischen der obsiegenden ausländischen Partei und ih­ rem ausländischen Prozessbevollmächtigten für die Führung eines Auslandsprozesses sollte der Anerkennung des Urteils im Inland nicht wegen Verstoßes gegen den ordre public (§ 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO) entgegenstehen.60

758

Das BVerfG hat das strikte Verbot des Erfolgshonorars durch eine Entscheidung vom 12.12.2006 gelockert und im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG Ausnahmen verlangt, die besonderen Umständen in der Person des Mandanten Rechnung tragen.61 Als Reak­ tion darauf ist § 49b Abs. 2 S. 1 BRAO angepasst worden und erlaubt die Vereinba­ rung eines Erfolgshonorars nach Maßgabe des RVG; Erfolgshonorar wird dabei un­ 55 OGH v. 19.9.2000 – 10 Ob 91/00f; dem folgend VfGH v. 24.9.2008 – B 330/07. 56 OGH v. 16.11.2005 – 8 Ob 101/05v. 57 OGH v. 4.10.2004 – 14 Bkd 3/04. 58 Schiller SchwJZ 100 (2004), 353, 359; Nater SchwJZ 109 (2013) 245, 247. Zur vorangegan­ genen Regelung im Kanton Zürich: Aufsichtskommission Bl. für Zürch. Rspr. 99 (2000) Nr. 13 = S. 35 ff. 59 Kilian AnwBl 2003, 452, 463. 60 BGHZ 118, 312, 332 ff. = NJW 1992, 3096, 3101 m. Bespr. Bungert ZIP 1992, 1707, zum Erfolgshonorar 1721 ff. Zur ökonomischen Analyse Baetge RabelsZ 73 (2009), 669 ff. 61 BVerfG NJW 2007, 979 m. Bespr. Kleine-Cosack NJW 2007, 1405 ff. = JZ 2007, 680 m. Anm. Zuck.

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glücklich legaldefiniert und sowohl auf die Erfolgsabhängigkeit als auch auf die Abführung eines Teils des erstrittenen Betrages als Honorar bezogen. § 4a Abs. 1 RVG gestattet die Vereinbarung im Einzelfall, wenn der Mandant anderenfalls von der Rechtsverfolgung abgehalten würde, wobei die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Beratungs- und Prozesskostenhilfe außer Betracht bleibt.62 Für den Fall eines Misserfolgs darf die gesetzliche Vergütung bis auf Null reduziert 759 werden, wenn für den Fall des Erfolgs ein Zuschlag auf die gesetzliche Vergütung vorgesehen wird. Die Kalkulationsgrundlagen, die Vergütungsbedingungen und ein Vergleich mit den gesetzlichen Gebühren müssen in die Vereinbarung aufgenommen werden (§  4a Abs.  2 und 3 RVG). Verstößt die Erfolgshonorarvereinbarung gegen Formvorschriften, ist nicht §  125 BGB anzuwenden sondern §  4b RVG (zuvor Rn. 738). Trifft ein Rechtsanwalt eine Erfolgshonorarvereinbarung, ohne dass die gesetzlichen 760 Voraussetzungen gegeben sind, macht er sich nicht wegen Gebührenüberhebung gem. § 352 StGB strafbar (s. dazu § 31, Rn. 723). Bei Verletzung der Aufklärungs- und Informationspflichten des §  4a Abs.  1 RVG kommt eine Betrugsstrafbarkeit in Be­ tracht.63 Unzulässig ist nach § 49b Abs. 2 S. 2 BRAO die Übernahme der zu erstattenden Kos­ 761 ten des Gegners oder des angerufenen Gerichts. Der BGH sieht in einer solchen Übernahme von Rechtsverfolgungskosten bei erfolgloser Tätigkeit eine Gefährdung der anwaltlichen Unabhängigkeit bei der Mandatsbearbeitung.64

IV. Gesetzliche Gebühren 1. Streitwertabhängige Gebühren Das RVG bemisst die Vergütung, sofern nicht – wie im Strafverfahren – etwas anderes 762 vorgesehen ist, gemäß § 2 Abs. 1 nach einem Gegenstandswert, dem tabellenmäßig (vgl. § 13 RVG) ein Gebührenbetrag zugeordnet ist. Damit erhält der Anwalt feste Gebühren, die sich nicht nach dem Arbeitsaufwand im Einzelfall, sondern nach dem Wert der Angelegenheit richten und die summenmäßig fixiert sind. In gerichtlichen Verfahren wird der Gegenstandswert den Wertvorschriften entnom­ 763 men, die für Gerichtsgebühren gelten (§ 23 Abs. 1 S. 1 RVG). Die Gerichtsgebühren richten sich gem. § 3 Abs. 1 GKG nach Streitwerten. Für bürgerliche Rechtsstreitigkei­ ten verweist § 48 Abs. 1 GKG auf die die Zuständigkeit betreffenden Streitwertfestset­ zungen der §§ 3 ff. ZPO; jedoch sind Sonderregelungen des GKG (z. B. für Mietsa­ chen, § 41 GKG) zu beachten. 62 Zu Einzelheiten Blattner AnwBl 2012, 562 ff. Formulierungsvorschlag für eine Vereinba­ rung: Mayer AnwBl 2008, 473, 478. 63 BGH NJW 2014, 3669 Tz. 21 ff. 64 BGH NJW 2016, 3104 Tz. 16. Zum Rechtsmissbrauch nach § 8 IV UWG bei Kostenfreistel­ lung des Mandanten LG Berlin MMR 2017, 276 (n. rkr.).

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Gegen die gerichtliche Streitwertfestsetzung kann der Rechtsanwalt aus eigenem Recht vorgehen, wenn er beschwert ist. Das trifft in der Regel nur zu, wenn er die Heraufsetzung des Wertes begehrt, um damit seinen Gebührenanspruch zu erhöhen (§ 32 Abs. 2 RVG). Das Vorgehen im eigenen Namen muss kenntlich gemacht wer­ den, was bei Gebührentragungspflicht des eigenen Mandanten das Mandatsverhältnis belasten kann.

765

Die Kostenfreiheit mancher Behörden gem. § 2 GKG gilt nur für die Gerichtsgebüh­ ren; der Rechtsanwalt braucht die Prozessvertretung nicht umsonst zu übernehmen, wie Behördenmitarbeiter manchmal verkennen. Wie viele Anwaltsgebühren zu wel­ chem Bruchteil (1,0; 1,3; 1,5 etc.) anfallen, richtet sich gem. § 2 Abs. 2 RVG nach dem Vergütungsverzeichnis, das dem RVG als Anlage 1 beigefügt ist. Es ist nach Tatbe­ ständen gegliedert, die in den einzelnen vierstelligen Verzeichnisnummern und in Vorbemerkungen formuliert sind. Für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten ist Teil 3 des Vergütungsverzeichnisses maßgebend (Nr. 3100 ff.).

766

Der Abgeltungsbereich der einzelnen Gebühren wird durch §  15 RVG bestimmt. Streitig wird dabei leicht, ob eine Tätigkeit dieselbe Angelegenheit i. S. d. § 15 Abs. 2 RVG betrifft, für die eine Gebühr nur einmal verlangt werden kann (zur Anwendung des § 352 StGB s. § 31, Rn. 723).65 Wird ein Rechtsstreit an ein untergeordnetes Ge­ richt zurückverwiesen, ist das Verfahren dort ein neuer Rechtszug (§ 21 RVG). Eine bereits entstandene Verfahrensgebühr ist anzurechnen (Vorbem. 3 IV RVG Verg­ Verz), jedoch nur, wenn derselbe Anwalt tätig wird.66 2. Rahmengebühren

767

Vor allem in Strafsachen gelten für Wahlverteidiger Rahmengebühren. Satzrahmen sind aber auch für andere Tätigkeiten als die des Strafverteidigers vorgesehen. Sie können auch in Kombination mit streitwertabhängigen Gebühren vorkommen.

768

Angegeben sind die Rahmensätze in den Tatbeständen des Vergütungsverzeichnisses. Zu den Rahmengebühren gehört die wichtige Geschäftsgebühr gem. Nr. 2300 Verg­ Verz RVG (0,5 bis 2,5), deren Abgrenzung zu Nr. 2301 (nur 0,3 für Schreiben einfa­ cher Art) streitträchtig ist. Für den Strafverteidiger ist der Umfang des Rahmens in den Nrn. 4100 ff. VergVerz RVG niedergelegt. Unterschieden werden für ihn Grund­ gebühren, Verfahrensgebühren und Terminsgebühren.

769

Für Pflichtverteidiger gelten feste Sätze (Nr. 4100 ff. VergVerz RVG). Auch der Pflicht­ verteidiger hat aber einen Honoraranspruch gegen den Beschuldigten in Höhe der Gebühren eines gewählten Verteidigers, soweit der Beschuldigte wirtschaftlich zur Zahlung imstande ist (§ 52 RVG). Soweit die Staatskasse Gebühren bezahlt hat, ent­ fällt der Anspruch (§ 52 Abs. 1 S. 2 RVG). Der Honoraranspruch gegen den Staat trägt 65 Beispielhaft dazu BGH GRUR-RR 2008, 460 Tz. 8; BGH GRUR-RR 2010, 270 Tz. 23 ff.; BGH NJW 2011, 3167 Tz. 8 ff.; BGH GRUR-RR 2011, 389 Tz. 8 ff.; BGH NJW 2016, 1245 Tz. 15; OLG Stuttgart Rpfleger 2016, 679. 66 BGH NJW-RR 2017, 374 Tz. 9 ff.

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Gebührenrecht  ­|  § 32

dem Umstand Rechnung, dass der Pflichtverteidiger gem. § 49 Abs. 1 BRAO als Pri­ vatperson zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben beruflich in Pflicht genommen wird, wodurch in die freie wirtschaftliche Betätigung im Sinne einer Berufsausübungsregel (Art. 12 Abs. 1 GG) eingegriffen wird.67 Ansprüche der Staatskasse gegen den Man­ danten können nicht gegengerechnet werden.68 Der gerichtlich bestellte oder beige­ ordnete Anwalt kann gem. § 51 Abs. 1 RVG eine über die gesetzlichen Gebühren hi­ nausgehende Pauschgebühr aus der Staatskasse verlangen, wenn die Pflichtverteidigung einen besonderen Umfang hat oder eine besondere Schwierigkeit bietet; darauf ist bei langer Verfahrensdauer ein Vorschuss zu zahlen. Bei der Entscheidung über die Pau­ schgebühr und die Vorschussbewilligung ist das Zumutbarkeitskriterium unter Be­ rücksichtigung von Art. 12 Abs. 1 GG auszulegen.69 In allen Fällen erfolgt die Ausfüllung des Gebührenrahmens unter Heranziehung der 770 Kriterien des § 14 RVG. Der Rechtsanwalt hat die Gebühr im Einzelfall unter Berück­ sichtigung aller Umstände nach billigem Ermessen zu treffen. Die Ermessensaus­ übung ist nicht unbillig, wenn sich die Festsetzung innerhalb eines Toleranzrahmens von 20 % bewegt.70 Eine Gebühr von mehr als 1,3 kann bei Ausfüllung des Rahmens nach Nr. 2300 VergVerz RVG nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war.71 Die Toleranzrechtsprechung ist im Bereich von 1,3 bis 2,5 ebenfalls anwendbar, gilt aber nicht für Überwindung der Voraussetzungen für die Grenzziehung von 1,3.72 Die Ermessensausübung gilt auch im Verhältnis zu erstat­ tungspflichtigen Dritten, soweit sie nicht zu einem unbilligen Ergebnis führen (§ 14 Abs.  1 S.  4 RVG).73 Dabei wird nicht zwischen prozessualen und materiell-rechtli­ chen Erstattungsansprüchen unterschieden.74 Kommt es zum Streit über die Ange­ messenheit der vom Anwalt berechneten Gebühren, kann das angerufene Gericht ein kostenfreies Gutachten des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer einholen, §  14 Abs. 2 RVG.

V. Zeitgebühren, Pauschalgebühren § 4 Abs. 2 RVG gestattet die Vereinbarung von Pauschalvergütungen und von Zeitver­ 771 gütungen, die unter den gesetzlichen Gebühren liegen. Pauschalvergütungen werden für die laufende Beratung eines ständig vertretenen Mandanten berechnet. Sie müs­ sen in angemessenem Verhältnis zur Leistung des Anwalts stehen, ohne dass dies im

67 BVerfG (Kammer) NJW 2009, 2735 Tz. 18. 68 BVerfG NJW 2009, 2735 Tz. 19 f. 69 BVerfG NJW 2011, 3079 Tz. 18 f. 70 BGH NJW 2012, 2813 Tz. 10. 71 BGH NJW 2012, 2813 Tz. 8; BGH GRUR 2014, 206 Tz. 23 f. – Einkaufskühltasche; BGH ZIP 2016, 237 Tz. 23. 72 BGH NJW 2012, 2813 Tz. 11. 73 BGH NJW 2012, 2813 Tz. 10. 74 BGH ZIP 2016, 237 Tz. 27.

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Gesetzeswortlaut ausdrücklich ausgesprochen ist, da anderenfalls ein normzweck­ widriges Gebührendumping eintritt.75 772

Zeitgebühren nach Stundensätzen sind international üblich und gelten vielfach wegen des idealiter direkten Bezugs zum Umfang der konkret erbrachten Dienstleistung – ohne Liquidation der in Streitgebühren enthaltenen Quersubventionen – als beson­ ders gerecht. Freilich ist die Erforderlichkeit des Zeitaufwands von der jeweiligen Er­ fahrung des Anwalts abhängig und für den Mandanten nicht direkt nachprüfbar.76 Es wäre auch allzu naiv anzunehmen, dass sich nicht Zeitaufwand mit Seitenblick auf den gesetzlichen Gebührentatbestand – durchaus ohne Mandantentäuschung – produzie­ ren und zum laienhaft prüfbaren Nachweis in entsprechend beschriebenes Papier mit wissenschaftlicher Aufblähung umsetzen ließe. Stundenansätze müssen dann auf ih­ ren sinnvollen Aufwand kontrolliert werden.77 Ein Nachteil der aufwandsorientierten Anwaltshonorierung besteht in der schweren Kalkulierbarkeit der anfallenden Kosten bei Abschätzung des Prozessrisikos.78

773

Nicht beanstandet hat die Rechtsprechung eine Rechtsberatung über eine Anwaltshot­ line.79 Die telefonische Beratung über eine Mehrwertdiensttelefonnummer verstößt nicht gegen ein gesetzliches Verbot, auch wenn eine schriftliche Gebührenvereinba­ rung nicht getroffen werden kann, es gegenüber einem Verbraucher theoretisch zu einer Gebührenüberschreitung des Maximalbetrages von 250 Euro (vgl. § 34 Abs. 1 S. 3 RVG) kommen kann, der Forderungseinzug durch einen Dritten, nämlich den Telefondienstleister erfolgt und bei einem anonymen Anruf ein Interessenkonflikt nach § 43a Abs. 4 BRAO nicht völlig auszuschließen ist. Die Vergütung der Vermitt­ lungsleistung an den Telefondienstleister ist keine Provision i. S. d. § 49b Abs. 3 S. 1 BRAO.

VI. Einzelfragen (Berechnung, Festsetzung, Durchsetzung) 1. Berechnung, Festsetzung 774

Die Geltendmachung der Vergütung setzt gem. § 10 RVG eine detaillierte und unter­ zeichnete Berechnung gegenüber dem Mandanten voraus. Anzugeben sind u. a. der Gegenstandswert für davon abhängige Gebühren, die jeweils angewandten Gebüh­ rentatbestände und Nummern des Vergütungsverzeichnisses und die Auslagen. Da­ mit wird die Überprüfbarkeit der Rechnung durch den Mandanten sichergestellt. 75 Vgl. dazu BGH NJW 2009, 534 Tz. 20; OLG Köln GRUR 2006, 348 (Ergebnis zweifelhaft). 76 Zu den Überprüfungsschwierigkeiten und Beanstandungen von Mandanten in Zürich s. Späh SchwJZ 91 (1995), 397, 403 f. 77 Vgl. beispielhaft BGH NJW 2011, 63; OLG Düsseldorf NJW-RR 2007, 129, 131; OLG Schleswig AnwBl 2009, 554, 555 f.; OLG Düsseldorf NJW 2012, 621. 78 Hau JZ 2011, 1047, 1048. 79 BGHZ 152, 153, 160 ff. = NJW 2003, 819, 820 f.; BGH NJW 2005, 1266, 1267 – Steuerbera­ ter-Hotline; BGH NJW-RR 2006, 215, 216. S. auch BGH NJW 2006, 2767 Tz. 13 (Konse­ quenzen für einen Anspruch aus § 945 ZPO).

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Gebührenrecht  ­|  § 32

Fällig wird die Vergütung, wenn der Auftrag erledigt oder die Angelegenheit beendet ist, in gerichtlichen Verfahren u. U. auch schon früher (§ 8 Abs. 1 RVG). Die Verjäh­ rung wird für die Dauer eines gerichtlichen Verfahrens gehemmt (näher: § 8 Abs. 2 RVG). Der Rechtsanwalt hat einen gesetzlichen Anspruch auf Vorschuss, §  9 RVG. Seine 775 Notwendigkeit ergibt sich daraus, dass § 8 Abs. 1 RVG die Fälligkeit des Gebührenan­ spruchs erst nachträglich eintreten lässt. § 9 RVG ist eine Spezialregelung gegenüber der allgemeinen Vorschussregelung des Auftragsrechts (§ 669 BGB). Vorschüsse sind spätestens mit Beendigung des Mandats unverzüglich abzurechnen und ein Gutha­ ben des Mandanten ist auszukehren (§ 23 BORA). Vorschüsse sind keine dem Anwalt anvertrauten fremden Vermögenswerte i. S. d. § 43a Abs. 5 S. 1 BRAO, denn sie sind zur Nutzung im eigenen Interesse des Anwalts bestimmt.80 Gegen einen bei Auftragserteilung unerkannt geschäftsunfähigen Mandanten stehen 776 dem Anwalt die üblichen Gebühren auf der Grundlage der GoA oder des Rechts der ungerechtfertigten Bereicherung zu.81 Zur Honorierung bei Kündigung des Vertra­ ges s. unten § 43, Rn. 1193 ff. Die Höhe der Vergütung für gerichtliche Vertretung kann in dem vereinfachten Ver­ 777 fahren des § 11 RVG festgesetzt werden.82 Dieser Weg scheidet gem. § 11 Abs. 5 RVG aus, wenn die Einwendung erhoben wird, der Rechtsanwalt habe seinen Auftrag schuldhaft schlecht erfüllt. Erbringt der Anwalt eine unzureichende oder pflichtwidrige Leistung, kann der Ver­ 778 gütungsanspruch aus einem Dienstvertrag nicht gekürzt werden, weil dieser Ver­ tragstyp keine Gewährleistungshaftung kennt. Vielmehr steht dem Mandanten ein Schadensersatzanspruch zu (dazu § 45, Rn. 1294).83 2. Außergerichtliche Tätigkeit, Anrechnungen Für die außergerichtliche Tätigkeit der Beratung und der Gutachtenerstattung ist § 34 779 RVG zu beachten. Die zusätzliche Vertretung außerhalb eines gerichtlichen Verfah­ rens lässt die Gebühr gem. VergVerz RVG Nr. 2300 entstehen, also eine Geschäftsge­ bühr mit dem Regelsatz 0,5 bis 1,3. Auf sie ist die Gebühr nach § 34 RVG anzurech­ nen. Deren Gegenstandswert richtet sich nach den Wertvorschriften, die für ein entsprechendes gerichtliches Verfahren gelten. Die Wertfestsetzung erfolgt gegebe­ nenfalls nach § 34 RVG. Eine vorgerichtlich entstandene Geschäftsgebühr gem. Nr. 2300 ist nach Vorbemer­ 780 kung 3 Abs. 4 S. 1 VergVerz RVG zur Hälfte, höchstens jedoch bis 0,75 auf die Verfah­ 80 AnwGH NRW NJW-RR 2013, 624. 81 BGH NJW 2005, 3786. 82 Zur Entschädigung gem. §  198 GVG wegen Verfahrensverzögerung OLG Zweibrücken NJW 2017, 1328 m. Anm. Toussaint. 83 BGH NJW 2004, 2817.

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Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege

rensgebühr eines nachfolgenden gerichtlichen Verfahrens anzurechnen.84 Die An­ rechnungsvorschrift betrifft nur das Innenverhältnis des Anwalts zum Mandanten, nicht aber das Verhältnis zu einem erstattungspflichtigen Dritten. Daher ist die Ver­ fahrensgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren auch dann in voller Höhe anzusetzen, wenn schon eine Geschäftsgebühr entstanden war. § 15a Abs. 2 RVG stellt lediglich sicher, dass ein Dritter nicht mehr zu erstatten hat, als der Anwalt seines Gegners von diesem verlangen kann.85 781

Der Mandant kann den nicht anrechenbaren Rest der Geschäftsgebühr von seinem Gegner erstattet verlangen, wenn ein materiell-rechtlicher Kostenerstattungsan­ spruch besteht, etwa als Schadensersatzanspruch wegen Verzuges86 oder aus De­ likt87. Dieser Anspruch ist im Prozess gesondert geltend zu machen. Eine Festsetzung im Kostenfestsetzungsverfahren nach § 104 ZPO kommt nicht in Betracht. 3. Prozesskostenhilfe, Beratungshilfe

782

Gesondert geregelt ist die Vergütung für im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordne­ te Rechtsanwälte (§§ 45 ff. RVG). Anspruchsgegner ist die Staatskasse. Für vom Ge­ genstandswert abhängige Gebühren gilt gem. § 49 RVG eine eigenständige, nämlich niedrigere Gebührentabelle. Die Reduzierung der Gebührensätze im Falle der Bei­ ordnung im Wege der Prozesskostenhilfe (§ 49 RVG) verstößt jedenfalls dann nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG, wenn sich der Anwalt freiwillig zur Übernahme der Vertre­ tung bereiterklärt.88

783

Über die außergerichtliche Beratungshilfe gibt es ein Spezialgesetz (BRHG). Ergän­ zend gelten § 44 RVG und die Nrn. 2500 ff. VergVerz RVG. 4. Durchsetzung der Honorarforderung

784

Gem. § 49b Abs. 4 BRAO darf der Anwalt seine Honorarforderung auch ohne Zu­ stimmung des Mandanten an einen Anwalt abtreten, damit dieser die Forderung beit­ reibt.89 Mit Zustimmung des Mandanten ist die Abtretung auch an Nicht-Anwälte zulässig.90 Die Abtretung erfasst nicht die Ausübung des Leistungsbestimmungs­ rechts nach § 14 RVG.91 Zulässig ist die Abtretung an eine anwaltliche Verrechnungs­ stelle auch dann, wenn sich die Honorarforderung aufgrund einer Prozesskostenhil­ febewilligung gegen den Staat richtet.92 84 Beispiel: BGH NJW 2011, 2509 Tz. 14. 85 BGH NJW 2010, 1375 Tz. 16 und 21. 86 BGH NJW-RR 2016, 511 Tz. 12. 87 BGH NJW 2011, 2509 Tz. 13 f.; BGH NJW 2016, 1245 Tz. 9. 88 BVerfG NJW 2007, 1063, 1064. 89 BGH ZIP 2007, 683 Tz. 17 ff. 90 Zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit BGH NJW-RR 2008, 1647 Tz. 10 f. (im Rah­ men der Prüfung rückwirkender Anwendung der Norm); BGH NJW-RR 2008, 490 Tz. 5. 91 BGH NJW-RR 2008, 490 Tz. 11. 92 OLG Hamm MDR 2008, 654.

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Gebührenrecht  ­|  § 32

Ein ehemaliger Anwalt kann auch nach seinem Ausscheiden aus der Anwaltschaft 785 Rechnungen unterzeichnen und an die Auftraggeber versenden, wenn der bestellte Abwickler insoweit nicht tätig wird.93 Der Kanzleisitz begründet keinen besonderen Gerichtsstand des Erfüllungsortes 786 (§ 29 ZPO) für die Honorarforderung.94 Hingegen wird dadurch die internationale Zuständigkeit gem. Art.  7 Nr.  1 b Brüssel Ia-VO begründet.95 Eine Anwalts-GbR kann für die Durchsetzung einer Honorarforderung keine Prozesskostenhilfe erhal­ ten. Dies scheitert an § 116 S. 1 Nr. 2 ZPO, weil es dafür an einem Allgemeininteresse fehlt.96 Hat sich der Anwalt nicht durch Vorschusszahlungen gesichert, werden Zahlungen 787 des Mandanten in der finanziellen Krise insolvenzrechtlich anfechtbar, soweit es sich nicht um ein privilegiertes Bargeschäft handelt.97

VII. Entgeltliche Mandatsvermittlung, Gebührenteilung 1. Verbot entgeltlicher Vermittlung Unzulässig ist die Partizipation an Anwaltsgebühren oder die Gewährung sonstiger 788 Vorteile als Gegenleistung für die Vermittlung von Mandanten (§  49b Abs.  3 S.  1 BRAO; dazu auch oben § 4, Rn. 82). Damit soll nach der Gesetzesbegründung ein Wettbewerb um den Ankauf von Mandaten ausgeschlossen werden.98 Dem ist der BGH gefolgt.99 Näher liegt es jedoch, den Normzweck zumindest auch darin zu se­ hen, dass eine Vermittlung uninteressant gemacht werden soll, die verborgene Inter­ essenkollisionen zum Nachteil des Mandanten nach sich ziehen kann.100 Die anwalt­ liche Gegenleistung muss sich auf ein konkret vermitteltes Mandat beziehen.101 Kasuistik: BGH NJW 2016, 3105: Die klagenden Anwälte, die sich auf die Abwicklung von Verkehrsunfällen spezialisiert hatten, wehrten sich gegen einen belehrenden Hinweis ihrer Kammer. sie boten ihren Mandanten an, Kosten für Reparatur, Sachverständige und Abschleppunterneh­ men in Höhe der geschätzten Haftungsquote zu übernehmen, und zwar unabhängig von ei­

93 BGH NJW-RR 2004, 1144, 1145. 94 BGH NJW 2004, 54 m. Bespr. Balthasar JuS 2004, 571 ff.; BGH NJW-RR 2004, 932. 95 OLG Karlsruhe NJW 2008, 85, 86 (noch zu Art. 5 Nr. 1 lit. b der früheren Fassung). 96 BGH ZIP 2011, 540 Tz. 9 f. 97 Näher dazu BGH NJW 2006, 2701 Tz. 32 ff.; BGH NJW 2008, 659 Tz. 22 f. 98 RegE BT-Drucks. 12/4993 S. 31. 99 BGH NJW 2016, 3105 Tz. 18. 100 Grunewald, Festschrift Hartung (2008), S. 9 ff., hält den Normzweck für unklar; dort auch zu verschiedenen Vermittlungsformen. Zur Nichtigkeit eines Kooperationsmodells zwi­ schen Zahnarzt und Dentallabor, bei dem der Zahnarzt für die Zuweisung von zahntech­ nischen Leistungen eine Gegenleistung erhielt, s. BGH GRUR 2012, 1051 Tz. 23 i. V. m. 31. 101 Vgl. BVerfG NJW 2008, 1298 Tz. 24.

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789

Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege ner Vermittlung durch derartige Unternehmer. Die Beanstandung der Leistungsübernahme auf Empfehlungen solcher Unternehmer hin hatte Bestand (Tz. 19).

790

An der Provisionszahlung für die Vermittlung eines konkreten Mandats fehlt es, wenn ein Internetportal gegen eine einzelfallbezogene Transaktionsgebühr die Mög­ lichkeit bietet, einen Vertreter für eine Terminswahrnehmung zu finden. Darin liegt keine Beteiligung am wirtschaftlichen Ergebnis der anwaltlichen Tätigkeit.102 Die Versteigerung anwaltlicher Beratungsleistungen auf einer Internetplattform gegen eine vom Höchstgebot abhängige Provision verstößt nicht gegen das Vermittlungs­ verbot, weil die Provisionszahlung nicht für ein konkret vermitteltes Mandat er­ folgt.103

791

Vermittlungsaktivitäten können auch aus anderen Gründen rechtswidrig sein, etwa wenn sie Rechtsberater unlauter beeinflussen, für ihre Mandanten nicht ausschließ­ lich in deren Interesse tätig zu werden, sondern dazu verleiten können, der Aussicht auf einen lukrativen Gewinn im Rahmen eines Gewinnspiels den Vorrang zu ge­ ben.104 2. Anwaltliche Zusammenarbeit

792

Gebührenteilungsvereinbarungen zwischen erstinstanzlich tätigen Anwälten sind nach § 49b Abs. 3 S. 2–5 BRAO nicht untersagt, wenn dadurch Leistungen honoriert werden, die über die bloße Führung des Schriftverkehrs zwischen Mandant und aus­ wärtigem Prozessbevollmächtigtem (Verkehrsgebühr, VergVerz RVG Nr. 3400) hin­ ausgehen. Satz 4 schließt allerdings aus, dass die Leistung des Beratungsanwalts in der Mandatserteilung zu sehen ist; eine Verknüpfung von Gebührenteilungsvereinbarung und Mandatserteilung ist gesetzlich unzulässig, dürfte in der Praxis aber durch ge­ konnte Formulierungskunst gleichwohl hergestellt werden. § 49b Abs. 3 S. 6 BRAO schließt Gebührenteilungsvereinbarungen mit Prozessbevollmächtigten aus, die beim BGH zugelassen sind.

793

Gebührenteilungsvereinbarungen unter Anwälten stellten früher eine Reaktion auf das Lokalisationsprinzip dar. War ein Zivilprozess aufgrund der Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit vor einem auswärtigen Gericht zu führen, musste ein dort zu­ gelassener Prozessanwalt beauftragt werden. Trotz Wegfalls der an das Gericht des Zulassungsortes gebundenen Postulationsbefugnis wird eine Zusammenarbeit mit einem am Gerichtsort ansässigen Anwalt zur Verminderung von Reisetätigkeit auch weiterhin praktiziert. Hat die Partei an ihrem Heimatort einen Beratungsanwalt ein­ geschaltet, wird dieser die Schriftsätze selbst einreichen, dem örtlichen Prozessanwalt aber die Terminswahrnehmung übertragen.

102 OLG Karlsruhe WRP 2013, 940. 103 BVerfG NJW 2008, 1298 Tz. 24 – Anwaltsdienste bei Ebay; bestätigt für Zahnarztleistun­ gen in BVerfG GRUR 2011, 530 Tz. 31. 104 BGH NJW 2009, 3097 Tz. 11.

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Gebührenrecht  ­|  § 32

Worauf sich die Teilung beziehen kann, richtet sich zunächst einmal nach den jeweils 794 anfallenden Anwaltsgebühren: Ein in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten bestellter Prozessbevollmächtigter erhält gem. VergVerz RVG Nr. 3100 und 3104 i. V. m. Vor­ bem 3 Abs. II und III eine Verfahrensgebühr von 1,3 für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information sowie für die Vertretung in einem Verhandlungs-, Er­ örterungs- oder Beweisaufnahmetermin eine Termins­gebühr von 1,2. Erfolgt die Einschaltung eines weiteren Anwalts zur Wahrnehmung eines auswärti­ 795 gen Termins im (gegebenenfalls auch stillschweigenden) Einverständnis mit dem Mandanten,105 fällt ihm gegenüber eine dem Verkehrsanwalt zustehende Gebühr der Nr. 3401 VergVerz RVG an. Bei Beauftragung eines Terminsvertreters im eigenen Na­ men des vom Mandanten beauftragten Prozessbevollmächtigten, wird der Termins­ vertreter in Untervollmacht und damit als Erfüllungsgehilfe tätig.106 Eine Verkehrs­ anwaltsgebühr ist dann nicht zu berechnen.107 §  22 BORA sieht in der hälftigen Teilung aller anfallenden gesetzlichen Gebühren eine angemessene Honorierung i. S. d. § 49b Abs. 3 S. 2 und 3 BRAO. Statt hälftiger Teilung aller anfallenden Gebüh­ ren wird der Terminsvertreter jedoch nicht selten nur mit der Terminsgebühr vergü­ tet, die er aus dem Honorar des Hauptbevollmächtigten erhält. Seine Entschädigung richtet sich nach der internen Vereinbarung zwischen ihm und dem Prozessbevoll­ mächtigten.108 Die interne Aufgabenverteilung ändert nichts daran, dass den für den Termin bestell­ 796 ten Anwalt im Haftungsfall die volle Verantwortung für fehlerhafte Prozessführung gegenüber dem Mandanten trifft (s. auch § 45, Rn. 1282).109

VIII. Kostentragung durch Rechtsschutzversicherung, ­Prozessfinanzierer 1. Rechtsschutzversicherer Die Rechtsschutzversicherung ist eine Schadensversicherung, deren Leistung sich 797 nach der Höhe der zur Führung von Rechtsstreitigkeiten oder einer außergerichtli­ chen Beratung notwendigen Aufwendungen, insbesondere der Rechtsanwaltsgebüh­ ren richtet. Diese Kosten bilden den Schaden, dessen Deckung der Versicherer ver­ traglich übernimmt und von dem er den Versicherungsnehmer freizustellen hat,110 was durch Zahlung gem. § 267 BGB erfolgen kann. Der Deckungsumfang wird für 105 Dazu BGH NJW 2001, 753, 754; BGH NJW-RR 2002, 1288, 1289. 106 BGH NJW 2001, 753, 754; BGH NJW-RR 2002, 1288, 1289. 107 Zu beachten sind allerdings vom Mandanten zu begleichende fiktive Reisekosten des Hauptbevollmächtigten. 108 BGH NJW 2001, 753, 754. 109 So noch zum früheren System der Teilung zwischen Beratungsanwalt (Hausanwalt) des Mandanten und Prozessanwalt BGH NJW 1988, 3013, 3014; BGH NJW 1988, 1079, 1082; BGH NJW 2006, 3496 Tz. 10 ff. (grundsätzlich keine gegenseitige Überwachungspflicht). 110 BGH NJW 2016, 61 Tz. 30.

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bestimmte Lebensbereiche vereinbart, was zugleich den Umfang der Versicherungs­ prämie bestimmt. Geregelt ist die Versicherungsart in §§ 125 ff. VVG auf der Grund­ lage der unionsrechtlichen Richtlinie 87/344/EWG. 798

Die Freistellungsverpflichtung umfasst die Befreiung von unbegründeten Ansprü­ chen.111 Sie kann in der Abwehr einer Gebührenforderung bestehen, indem der Ver­ sicherungsnehmer auf Kosten des Versicherers gegen eine Honorarforderung vertei­ digt wird.112 Das zwingt den versicherten Mandanten gegebenenfalls, über das Honorar einen Rechtsstreit mit seinem Anwalt zu führen.113 Eine Schuldbefreiung tritt nur ein, wenn die Geldzahlung den Anwalt erreicht, nicht aber durch eine Zah­ lung an den Versicherungsnehmer, auf die dessen Gläubiger im Wege der Einzel­ zwangsvollstreckung oder ein Insolvenzverwalter zugreift.114 Der Rechtsschutzversi­ cherer kann nach § 86 VVG, § 280 Abs. 1 BGB Regress gegen den Anwalt nehmen, wenn dieser eine von vornherein aussichtslose Klage erhebt, dies sogar ungeachtet einer eigenen früheren Deckungszusage.115

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Der Versicherungsnehmer darf nach § 127 VVG nicht in der freien Anwaltswahl be­ einträchtigt werden. Das schließt nicht aus, ein finanzielles Anreizsystem anzubieten, bei dem der Versicherer bei Beauftragung eines von ihm vorgeschlagenen Anwalts ei­ nen Rabatt gewährt.116 Dies entspricht der Rechtsprechung des EuGH.117 Der Versi­ cherungsvertrag darf vorsehen, dass für die außergerichtliche Wahrnehmung der Inte­ ressen des Versicherungsnehmers nur die Kosten eines vom Versicherer ausgewählten Mediators übernommen werden und dass einem Gerichtsverfahren eine vergebliche Mediation vorangegangen sein muss.118 Eine Umgehung des § 127 VVG ist gegeben, wenn der Versicherer die bei einem Inkassounternehmen anfallenden Kosten zu de­ cken verspricht, in seinen AGB aber vorsieht, dass dem Inkassounternehmer eine Voll­ macht eingeräumt wird, den Mandatsvertrag mit dem Anwalt zu schließen.119

800

Der Versicherungsschutz besteht nur für rechtliche Interessen des Versicherungsneh­ mers und eventuell mitversicherter Personen, nicht aber für Ansprüche anderer Per­ sonen, die der Versicherungsnehmer im eigenen Namen kraft Abtretung oder Er­ mächtigung (bei gewillkürter Prozessstandschaft) geltend macht. Der Versicherer soll 111 BGH NJW 2016, 61 Tz. 31. 112 BGH NJW 2016, 61 Tz. 35; dem folgend OLG Düsseldorf VersR 2017, 31, 32. 113 BGH NJW 2016, 61 Tz. 44 ff. 114 BGH NJW 2014, 3030 Tz. 27 ff. 115 OLG Düsseldorf NJW 2014, 399, 400; KG NJW 2014, 397, 398. 116 BGH NJW 2014, 631 Tz. 26 ff. Zu Österreich ebenso OGH ÖJZ 2014, 460 (dort: zum psy­ chischen Druck auf den Versicherungsnehmer). Zur umstrittenen Beurteilung von sog. Rationalisierungsabkommen zwischen Anwalt und Versicherer u. a. wegen Gebührenun­ terschreitung Terriuolo AnwBl 2016, 468 ff. 117 EuGH v. 26.5.2011 – C-293/10 – Stark/DAS, NJW 2011, 3077 Tz. 33; EuGH v. 7.11.2013 – C-442/12 – Sneller/DAS, NJW 2014, 373 Tz. 27; s. auch EuGH v. 10.9.2009 – C-199/08 – Eschig/UNIQA, NJW 2010, 355 Tz.  50; EuGH v. 7.4.2016  – C-460/14  – Massar/DAS, EuZW 2016, 399 Tz. 23 ff. (zur Vertretung in arbeitsrechtlichen Verwaltungsverfahren). 118 BGH WM 2016, 1242 Tz. 6 f. 119 AG Ebersberg NJW 2014, 1461, 1462.

236

Gebührenrecht  ­|  § 32

nicht mit einem Kostenrisiko belastet werden, für das er keine Prämien erhalten hat.120 Eingetreten sein muss der Versicherungsfall nach Vertragsabschluss. Die zeit­ liche Einordnung des Versicherungsfalls richtet sich nach dem Tatsachenvortrag im Prozess.121 Vertritt sich ein rechtsschutzversicherter Rechtsanwalt selbst, kann er da­ für vom Versicherer Gebühren und Auslagen verlangen.122 Macht der Mandant die Verfolgung von Ansprüchen von einer Deckungszusage sei­ 801 ner Rechtsschutzversicherung abhängig, darf der Anwalt erst tätig werden, wenn die Zusage vorliegt.123 Für die Korrespondenz mit dem Versicherer stehen dem Anwalt allenfalls dann Gebühren zu, wenn er insoweit beauftragt worden ist und auf dadurch entstehende Gebühren hingewiesen hat.124 Soweit ein selbständiger Honoraranspruch auf Einholung einer Deckungszusage bejaht wird,125 muss ein Schuldner des Man­ danten, der sich im Verzug befindet, für diese Rechtsverfolgungskosten einstehen, soweit sie erforderlich sind.126 Vergleiche, die der Anwalt für den rechtsschutzversicherten Mandanten abschließt, 802 dürfen nicht zu Lasten des Versicherers vereinbar werden, indem im Kostenpunkt Zugeständnisse gemacht werden, die nicht dem Ergebnis in der Hauptsache entspre­ chen, weil der Mandant dort Vorteile erlangen möchte, die durch ein Nachgeben bei der ihn selbst nicht belastenden Kostenregelung erkauft werden.127 2. Kostentragung durch Prozessfinanzierer Die gewerbliche Drittfinanzierung von Prozesskosten gegen prozentuale Beteiligung 803 am Streiterfolg ist eine in Deutschland Ende des letzten Jahrhunderts aufgekommene Abwandlung der Quota-litis-Vereinbarung mit Rechtsanwälten.128 Der Prozessfi­ nanzierer prüft die Erfolgsaussichten und die Bonität des Anspruchsgegners. Wirt­ schaftlich lohnend ist die Kostenfinanzierung für den Finanzierer erst ab Streitwerten 120 BGH NJW 2014, 1813 Tz. 32. 121 BGH NJW 2014, 2042 Tz. 16. 122 BGH NJW 2011, 232 Tz. 19. 123 OLG Düsseldorf VersR 2010, 1503, 1504. 124 OLG Düsseldorf VersR 2010, 1503, 1504. Gleichlaufende Tendenz in BGH NJW 2012, 919 Tz. 10 (ohne abschließende Antwort). 125 Offen geblieben in BGH NJW 2012, 919, jedoch in Tz. 9 gegenteilige Tendenz erkennen lassend; Bespr. Möller NJW 2015, 216 ff. 126 BGH NJW 2012, 919 Tz. 18 und 20. 127 BGH NJW 2011, 2054 Tz. 12. Bespr. der Problematik mit einzelnen Fallgestaltungen durch Obarowski NJW 2011, 2014 ff. 128 Zum Gesamtbild der Instrumente fremder Kostenfinanzierung s. die empirische Untersu­ chung von Kilian, Die Drittfinanzierung von Rechtsverfolgungskosten, 2014. Aus der Li­ teratur zur rechtlichen Einordnung der Prozessfinanzierung gegen Beteiligung am Streit­ erfolg: Gleußner Festschrift Vollkommer (2006), S. 25 ff.; Frechen/Kochheim NJW 2004, 1213 ff. Zu Österreich: Wagner JBl. 2001, 416 ff. Zur Prozessfinanzierung in Großbritannien Schramm/Cooper PHI 2017, 28 f.; zu einem spektakulären Rechtsstreit mit einem Finanzierer Harcus Sinclair v. Buttonwood Legal ­Capital Ltd. [2013] EWHC 1193 (Ch).

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Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege

von etwa 100 000 Euro. Im Jahre 2010 gab es noch 14 Anbieter.129 Seither ist deren Zahl zurückgegangen.130 804

Die Minderung des Streitertrags kann der Mandant nicht auf der Grundlage eines materiell-rechtlichen Erstattungsanspruchs ausgleichen. Die Einbuße aufgrund der Vereinbarung dieser Rechtsverfolgungskosten ist ein freiwilliges Vermögensopfer. Dessen Übernahme ist angesichts der alternativen Möglichkeiten einer Finanzierung des Rechtsstreits durch einen Kredit oder einer Beantragung von Prozesskostenhilfe in der Regel nicht erforderlich.131

805

Beteiligt sich ein prozessbevollmächtigter Rechtsanwalt an einem Prozessfinanzierer, kann in dessen Einschaltung eine Umgehung des § 49b Abs. 2 BRAO i. V. m. § 4a RVG (Beschränkung der Vereinbarung von Erfolgshonoraren) zu sehen sein, die die an­ waltliche Unabhängigkeit beeinträchtigt.132 Der Ankauf und die Abtretung einer (Schadenersatz-)Forderung durch einen Rechtsanwalt innerhalb einer Mandatsbezie­ hung soll ebenfalls eine Umgehung dieser Bestimmungen bedeuten.133 Das ist zwei­ felhaft, weil mit einer Vollabtretung die Mandatsbeziehung endet.

806

Die vereinbarten Quoten der Beteiligung am Erfolg schwanken. Sie können bei Ver­ stoß gegen §  138 Abs.  1 BGB zur Herabsetzung der Quote führen.134 Ob ein Leis­ tungsmissverhältnis besteht, hängt vom übernommenen individuellen Risiko ab,135 darüber hinaus aber auch vom Aufwand des Finanzierers in Relation zum als absolu­ ter Betrag erzielbaren Erfolg.

IX. Kostenerstattung 1. Prozessualer Erstattungsanspruch 807

Kosten wegen der Beauftragung eines Rechtsanwalts sind vom Gegner des Mandan­ ten zu tragen, wenn im Rahmen eines Prozessrechtsverhältnisses ein prozessualer Er­ stattungsanspruch nach §§  91, 92 ZPO i. V. m. einem Kostenfestsetzungsbeschluss (§ 104 ZPO) besteht, oder wenn der Mandant einen materiell-rechtlichen Anspruch hat. Materiell-rechtliche Anspruchsgrundlagen können sich aus Vertrag, insbesonde­ re wegen Schadensersatzes nach einer Leistungsstörung (u. a. Verzug mit einer Forde­ rung) oder aus einem gesetzlichen Schuldverhältnis (GoA, Delikt) ergeben. Der ma­

129 Kallenbach AnwBl 2010, 352 f. 130 Budras AnwBl 2012, 341 f. 131 Rensen MDR 2010, 182, 183. 132 OLG München NJW 2012, 2207, 2208; zurückhaltend jedoch OLG München NJW-RR 2015, 1333 Tz. 34 ff. Zu dem Verbot Kilian NJW 2010, 1845 ff. 133 S. den Fall OLG Frankfurt NJW 2011, 3724 (dort: Mandatsbeziehung nur angenommen wegen fehlender Tatbestandsberichtung des erstinstanzlichen Urteils). 134 OLG München NJW-RR 2015, 1333 Tz. 48. 135 OLG München NJW-RR 2015, 1333 Tz. 43 f.

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Gebührenrecht  ­|  § 32

teriell-rechtliche Kostenerstattungsanspruch kann über den prozessualen Anspruch hinausgehen.136 Die prozessuale Kostenerstattung ist auf das zur Rechtsverfolgung oder Rechtsvertei­ 808 digung Notwendige (§ 91 Abs. 1 S. 1 ZPO) beschränkt. Die Notwendigkeit wird mit den gesetzlichen Gebühren des RVG gleichgesetzt (§ 91 Abs. 2 S. 1 ZPO).137 Das ist unabdingbar mit dem in Deutschland geltenden Prinzip verbunden, dass der Unter­ liegende dem Obsiegenden im Grundsatz sämtliche Prozesskosten zu erstatten hat.138 Zu den typischen Konstellationen nicht erforderlicher Erzeugung von Anwaltsgebüh­ 809 ren gehört die überflüssige Beauftragung mehrerer Anwälte durch einfache Streitge­ nossen. Im Verkehrsunfallprozess hat der beklagte Schädiger die Führung des Prozes­ ses dem Haftpflichtversicherer zu überlassen und hat deshalb grundsätzlich keinen Anlass, einen eigenen Prozessbevollmächtigten zu beauftragen.139 In anderen Fällen steht es den Streitgenossen zwar grundsätzlich frei, sich von je einem eigenen Anwalt vertreten zu lassen, doch gibt es dafür Ausnahmen, weil im Rahmen des Prozess­ rechtsverhältnisses jede Partei nach Treu und Glauben verpflichtet ist, die Kosten ih­ rer Prozessführung niedrig zu halten.140 Es muss deshalb ein sachlicher Grund für eine getrennte Prozessführung bestehen, der gegeben ist, wenn die Interessen nicht gleichgerichtet sind.141 Das ist in Haftungsfällen, die mehrere Anwälte einer Sozietät betreffen, der Fall, wenn in deren Innenverhältnis eine von § 426 Abs. 1 BGB abwei­ chende Ausgleichungspflicht besteht. 2. Materiell-rechtlicher Erstattungsanspruch Höhere Aufwendungen aus einer Honorarvereinbarung, z. B. Zeithonorare, können 810 in  besonderen Fällen über einen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch ­ersetzt verlangt werden.142 Das ist aber jedenfalls auf komplexe oder schwierige Rechtsmaterien oder auf Angelegenheiten mit geringem Streitwert beschränkt, wenn anderenfalls ein (eventuell spezialisierter) Anwalt nicht zu finden ist.143 Der materi­ ell-rechtliche Kostenerstattungsanspruch ist nämlich ebenfalls durch die Merkmale der Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit begrenzt, wobei es auf die Sicht des (geschä­

136 BGHZ 111, 168, 171. 137 BGH VersR 2016, 727 Tz. 56. 138 Dazu Hau JZ 2011, 1047, 1049 f. 139 BGH NJW-RR 2004, 536; BGH NJW 2013, 2826 Tz. 7. 140 BGH NJW 2013, 2826 Tz. 10. 141 BGH NJW 2013, 2826 Tz. 12 f. 142 BGH VersR 2016, 727 Tz. 58. S. auch OLG Koblenz NJW 2009, 1153, 1154 (zur Schadens­ berechnung gegen einen Testamentsvollstrecker). 143 BGH VersR 2016, 727 Tz. 58 (dort verneint wegen der Höhe der gesetzlichen Gebühren). Dazu auch Hau JZ 2011, 1047, 1052 f.; Saenger/Uphoff NJW 2014, 1412, 1413 ff.; Mediger MDR 2017, 245 ff.

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Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege

digten) Gläubigers nach dem Standard einer vernünftigen, wirtschaftlich denkenden Person ankommt.144 Der Gläubiger trägt dafür die Darlegungs- und Beweislast.145 811

Werden Ansprüche in zwei Angelegenheiten zerlegt, obwohl es ursprünglich eine einheitliche Angelegenheit war (vgl. § 15 Abs. 2 RVG), fehlt es für den dadurch be­ wirkten erhöhten Gebührenumfang an der Erforderlichkeit.146 Gerät ein Schuldner in Verzug, ist die Beauftragung eines Rechtsanwalts auch in einfach gelagerten Fällen zulässig.147

X. Anwaltsinkasso 812

Für das Inkasso von Forderungen sind parallel zu den Regulierungen für Inkassoun­ ternehmen durch das RDG (s. dazu § 34, Rn. 913 ff.) Informationspflichten für den Forderungseinzug durch Anwälte aufgestellt worden (§ 43d BRAO).

XI. Kollektiver Rechtsschutz unter Zentrierung auf einen Kläger 813

Kollektivverfahren sind in unterschiedlichen Varianten denkbar. Sie sind für Abwehr­ ansprüche, die von einem Verbandskläger geltend gemacht werden, im Recht gegen unlauteren Wettbewerb seit mehr als einem Jahrhundert bekannt (vgl. §  8 Abs.  3 UWG) und durch das UKlaG auf weitere Materien erstreckt worden. Die EU-Kom­ mission will Schadensersatzklagen einbeziehen und favorisiert eine Verfahrensgestal­ tung durch Repräsentativkläger, die den Schadensersatz im eigenen Namen geltend machen und eine erfolgreich eingeklagte Schadensersatzsumme an die Geschädigten auskehren müssen. Für die Einbeziehung der Geschädigten in solche Verfahrensge­ staltungen sind Opt-in- und Opt-out-Lösungen denkbar. Rechtspolitisch unproble­ matisch ist demgegenüber die Geltendmachung durch Drittkläger, die aufgrund von gegebenenfalls treuhänderischen Forderungsabtretungen in gebündelter Weise vor­ gehen; dafür muss gegebenenfalls das RDG novelliert werden (s. dazu § 34, Rn. 903 ff.). Wegen der Bedenken gegen Repräsentativklagen148 auf Schadensersatz favorisiert die Bundesregierung die Beschränkung auf ein Musterfeststellungsverfahren.

144 BGH NJW 2011, 3557 Tz. 20; BGH ZIP 2016, 237 Tz. 8; BGH VersR 2016, 727 Tz. 55 (stg. Rspr.). 145 BGH NJW 2011, 3657 Tz. 20. 146 BGH NJW 2011, 3657 Tz. 25. 147 BGHZ 127, 348, 353; BGH ZIP 2016, 237 Tz. 9 ff. 148 Eingehend dazu u. a. Ahrens WRP 2015, 1040 ff. Zu den schon derzeit erkennbaren Miss­ bräuchen bei parallelen Kapitalanleger-Massenklagen s. LG Lüneburg ZIP 2014, 1537, 1541. Das dort praktizierte Copy und Paste-Vorgehen ohne individuellen Prozessvortrag, ja sogar ohne Kontakt des Prozessanwalts mit dem jeweiligen Mandanten zwecks Sachver­ haltsaufnahme, hat der Autor dieses Werkes als Berichterstatter in Kapitalanlagefällen gleichfalls beobachtet.

240

§ 33 Regelungen der Verfahrensgesetze

I. Beistand und Vertretung als historischer Gegensatz . . . . . . . 815

II. Zivilprozessordnung 1. Stellvertretung, standardisierte Vollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 818 2. Anwaltszwang a) Anwaltsbeiordnung . . . . . . . . 823 b) Wegfall des Anwalts . . . . . . . . 827 c) Rederecht der Naturalpartei 829 3. Zeugnisverweigerungsrecht des Anwalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 830 4. Anwalt als Zustellungsadressat . 831



5. Terminsverlegung . . . . . . . . . . . . 839 6. Prozesskostenhilfe . . . . . . . . . . . . 840

III. Strafprozessordnung 1. Selbständige Stellung des Strafverteidigers . . . . . . . . . . . . . . 841 2. Notwendige Verteidigung, Wahlverteidiger . . . . . . . . . . . . . . 843 3. Privilegien des Verteidigers . . . . 851 4. Prozesskostenhilfe . . . . . . . . . . . . 854 5. Strafvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . 855 IV. Gerichtsverfassungsrecht (GVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 856

Einzelne Normen der verschiedenen Verfahrensgesetze regeln die jeweilige Stellung 814 des Anwalts in prozessualer Hinsicht. Exemplarisch soll dies hier für den Zivilprozess und für das Strafverfahren dargestellt werden.

I. Beistand und Vertretung als historischer Gegensatz Der historische Gegensatz zwischen der Tätigkeit eines Vertreters (Anwalts, Prokura­ 815 tors) und der eines Beistands (Advokaten), den insbesondere das kanonische Recht betont hatte, war in den deutschen Staaten schon lange vor Schaffung der reichsein­ heitlichen Rechtsanwaltsordnung von 1878 überwunden.1 Ansatzweise, freilich wohl ohne echte gedankliche Kontinuität, lebt die Zweiteilung fort in den unter­ schiedlichen Grundverständnissen von der Funktion des Rechtsanwalts im Zivil- und Strafprozess. Während der Anwalt im Zivilverfahren typischerweise anstelle und im Namen einer 816 Partei Prozesshandlungen vornimmt und entgegennimmt,2 also als deren Stellver­ treter handelt, begreift die h. M. den Anwalt im Strafverfahren gerade nicht als einsei­ tigen Interessenvertreter des Beschuldigten sondern als Beistand (dazu unten Rn. 841).3 Nicht zufällig spricht § 137 Abs. 1 S. 1 StPO davon, dass sich der Beschul­ digte „des Beistandes eines Verteidigers bedienen“ könne, während die vom Anwalts­ zwang handelnde Vorschrift des § 78 Abs. 1 S. 1 ZPO besagt, dass sich die Parteien 1 Rosenberg/Schwab/Gottwald Zivilprozessrecht17 § 28 Rdn. 1. 2 Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald Zivilprozessrecht17 § 53 Rdn. 1 ff. (generell zum Prozessbe­ vollmächtigten). 3 OLG Hamburg NJW 1998, 621, 622;  Roxin/Schünemann Strafverfahrensrecht, 29. Aufl. 2017, § 19 Rdn. 3 ff. (mit Darstellung abweichender Auffassungen); Hannich in Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl. 2013, vor § 137 StPO Rdn. 4.

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Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege

„durch einen beim Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten vertreten lassen müssen“, und § 85 Abs. 1 S. 1 ZPO den Prozesshandlungen des Be­ vollmächtigten die gleichen verpflichtenden Wirkungen beimisst, „als wären sie von der Partei selbst vorgenommen“. Allerdings kennt die ZPO im Parteiprozess ebenfalls den Beistand, der nicht Prozessbevollmächtigter ist (§ 90 ZPO). Auf den Anwalt ist die Regelung ausnahmsweise anwendbar, soweit er im Scheidungsverfahren gemäß § 138 Abs. 1 S. 1 FamFG von Amts wegen beigeordnet worden ist. Nicht zu verwech­ seln ist damit die Beiordnung nach § 121 ZPO oder nach § 78b Abs. 1 ZPO, die gera­ de zur Tätigkeit als Prozessbevollmächtigter erfolgt. 817

Aus der Beistandleistung ist abgeleitet worden, dass der Verteidiger nicht ausschließ­ lich im Interesse des Beschuldigten tätig werde, sondern auch im Interesse der am Prinzip des Rechtsstaats ausgerichteten Strafrechtspflege, und dass er das Verfahren deshalb nicht zu prozesszweckwidrigen Zielen benutzen dürfe.4 Diese bedenklich weite abstrakte Formulierung ist nur dann zu akzeptieren, wenn sie allein dazu dient, bestimmte Missbräuche abzuwehren, etwa Strategien, mit denen die Wahrheitser­ mittlung durch Beeinträchtigung berechtigter Interessen von Zeugen gefährdet wird.

II. Zivilprozessordnung 1. Stellvertretung, standardisierte Vollmacht 818

Mit der Stellvertretung im Zivilprozess sind Vorschriften verbunden, die mit der Pro­ zessvollmacht zu tun haben (§§ 80 ff. ZPO). An Erteilung und Nachweis der Prozess­ vollmachten werden in den einzelnen Verfahrensordnungen unterschiedliche Anfor­ derungen gestellt.5

819

Die Prozessvollmacht ist von dem zugrundeliegenden Geschäftsbesorgungsvertrag unabhängig (Ab­straktionsprinzip), so dass mögliche Mängel des Grundgeschäfts auf die Prozessvollmacht grundsätzlich nicht durchschlagen (s. auch §  43, Rn.  1198).6 Der durch § 81 ZPO standardisierte Umfang der Prozessvollmacht verhindert rechts­ geschäftliche Beschränkungen seitens des Mandanten im Außenverhältnis, soweit nicht § 83 ZPO etwas anderes anordnet.

Zu kuriosen Schlussfolgerungen daraus für die Bestimmung des Kostenschuldners der Ak­ tenversendungspauschale (KV-GKG Nr.  9003) gemäß §  56  Abs.  2 GKG vgl. Lappe NJW 1996, 1187; LG Koblenz NJW 1996, 1223. 4 OLG Hamburg NJW 1998, 621, 622. 5 Vgl. dazu Karst NJW 1995, 3278. 6 BGH NJW 1993, 1926; OLG Hamm NJW 1992, 1174, 1175. Anders LG Frankenthal VersR 1996, 777, für die Prozessvollmacht des Geschädigten als Element des Vollzuges der gegen das RBerG verstoßenden Forderungseinziehung durch einen Unfallhelferring. Zur Wirk­ samkeit von Prozesshandlungen trotz Weisungswidrigkeit BAG NJW 2017, 1498 Tz. 13 m. Anm. Fölsch.

242

Regelungen der Verfahrensgesetze  ­|  § 33 Kasuistik: (a) BGH NJW 1993, 1926: Der Beklagte hatte von der klagenden Gemeinde durch notariellen Vertrag, den der erst- und zweitinstanzlich für die Klägerin tätig gewordene Prozessbevoll­ mächtigte beurkundet hatte, zwei Grundstücke erworben. Die Klägerin übte ein vertragliches Rücktrittsrecht wegen Nichterfüllung einer vom Beklagten übernommenen Bauverpflichtung aus und verlangte Rückauflassung. Der Prozessbevollmächtigte hatte mit der Mandatsüber­ nahme möglicherweise gegen § 45 Nr. 4 BRAO a. F. verstoßen (jetzt: § 45 I Nr. 2 BRAO). Der BGH sah die Klage auch dann als wirksam erhoben an, wenn der vorinstanzliche Prozessbe­ vollmächtigte gegen das gesetzliche Verbot verstoßen hatte.

820

Ebenso OLG Hamm NJW 1992, 1174 f. für den Verstoß des Anwaltsnotars gegen § 14 Abs. 1 S. 2 BNotO, der weiterreichende Wirkung hat. – Auch andere Rechtshandlungen bleiben wirk­ sam. Vielfach wird der Geschäftsbesorgungsvertrag als nichtig gemäß § 134 BGB angesehen; OLG Hamm a. a. O. (b) BGH NJW 2001, 1356: Der erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte hatte einen OLG-An­ walt mit der fristwahrenden Berufungseinlegung beauftragt, obwohl die damalige Liquidato­ rin der klagenden Mandantin während des erstinstanzlichen Verfahrens angeblich erklärt hat­ te, dass die Sache mit Abschluss des ersten Rechtszuges erledigt sein solle. Das OLG hatte die Berufung durch Prozessurteil als unzulässig verworfen und die Kosten der zweiten Instanz dem Berufungsanwalt auferlegt.

821

Die Revision der Klägerin war wegen Verstoßes des Berufungsurteils gegen § 83 ZPO erfolg­ reich (c) BGH NJW 2001, 2095: Der OLG-Anwalt teilte dem Berufungsgericht mit, dass er den Auftrag zur Berufungseinlegung von einem „Anwalt“ erhalten habe, dessen Zulassung schon während des erstinstanzlichen Verfahrens nicht mehr bestanden habe. Nach erfolgloser Frist­ setzung für die Beibringung einer Prozessführungsgenehmigung durch die Partei (§ 89 ZPO) wurde die Berufung als unzulässig verworfen. Die Revision blieb erfolglos.

822

2. Anwaltszwang a) Anwaltsbeiordnung Soweit Anwaltszwang herrscht (dazu § 44, Rn. 1217 ff.), ist die Möglichkeit der Bei­ 823 ordnung eines Rechtsanwalts durch das Prozessgericht vorgesehen (§ 78b ZPO, Not­ anwalt), sofern das Betreiben der Sache nicht aussichtslos oder mutwillig erscheint. Beigeordnet werden kann oder muss ein Anwalt auch, wenn einer Partei Prozesskos­ tenhilfe bewilligt wird (§ 121 ZPO).7 Die Beiordnung eines Notanwalts hat zu erfolgen, wenn die Partei nachweist, dass sie 824 keinen zur Vertretung bereiten Anwalt gefunden hat.8 Sie kommt nicht in Betracht,

7 Dazu BVerfG NJW 2011, 2039 (sozialgerichtliches Verfahren); OLG Zweibrücken NJW 2010, 541 (Gewaltschutzantrag); OLG Karlsruhe NJW 2009, 2897 (Vaterschaftsfeststellung auf Antrag des Kindes). 8 BAG NJW 2008, 1339 Tz. 2; BAG NJW 2015, 1712. Zum Umfang der vorherigen Recherchen der Partei OVG Lüneburg NJW 2005, 3303, 3304.

243

Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege

wenn ein Rechtsmittel oder Rechtsbehelf aussichtslos ist.9 Zuständiges Prozessge­ richt ist im Rechtsmittelverfahren das Gericht, bei dem das Verfahren läuft oder an­ hängig gemacht werden soll.10 War bereits ein Anwalt mandatiert, darf die Partei den Beendigungsgrund für die Mandatsniederlegung nicht zu vertreten haben.11 Das ist der Fall, wenn die Partei den Inhalt der Revisionsbegründung mit eigenen Vorstellungen erzwingen will.12 825

Wird ein angestellter Anwalt beigeordnet, darf der Arbeitgeber mit dem Mandanten keinen Anwaltsvertrag neben und zusätzlich zur Beiordnung schließen, ohne den Mandanten darüber aufzuklären, dass dieser dann vergütungspflichtig wird. Dem Honoraranspruch steht ein Schadensersatzanspruch gem. § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB ent­ gegen.13

826

Möglich ist die Beiordnung einer Berufsausübungsgesellschaft (unten Rn. 840). b) Wegfall des Anwalts

827

Für den Anwaltsprozess ist der Wegfall des Anwalts geregelt (§ 244 ZPO); ein vorläu­ figes Tätigkeitsverbot nach §§ 150 Abs. 1, 155 Abs. 3 BRAO führt zu einer Unterbre­ chung nach § 244 ZPO auch dann, wenn das Gericht davon nichts weiß (dazu auch § 17, Rn. 324).14

828

Der Tod der anwaltlich vertretenen Partei lässt demgegenüber keine Unterbrechung des Verfahrens eintreten, erlaubt aber dessen Aussetzung (§§ 246, 239 ZPO).15 c) Rederecht der Naturalpartei

829

Trotz Anwaltszwangs ist die Partei nicht mundtot.16 Ihr ist in der mündlichen Ver­ handlung das Wort zu gestatten (§ 137 Abs. 4 ZPO). Geständnisse und andere tat­ sächliche Erklärungen des Anwalts kann sie sofort widerrufen oder berichtigen (§ 85 Abs. 1 S. 2 ZPO). In der Beweisaufnahme muss das Gericht den Anwälten gestatten, unmittelbar Fragen an Zeugen, Sachverständige oder die vernommene Partei zu stel­

9 BAG NJW-RR 2007, 187 Tz. 7; BAG NJW 2008, 1339 Tz. 4; BAG NJW 2017, 1498 Tz. 8. 10 BVerwG NJW 2013, 711 Tz. 8. 11 BGH WM 2014, 425 Tz. 9; BGH NJW 2016, 81 Tz. 5 12 BGH WM 2014, 425 Tz. 12. Ähnlich der Entpflichtungssachverhalt in BVerwG NJW 2011, 1894 Tz. 9. 13 BGH VersR 2010, 1502 Tz. 8 f. 14 OLG Hamm NJW 2008, 3075, 3076. 15 Will nach Aussetzung des Rechtsstreits wegen Todes einer anwaltlich vertretenen Prozess­ partei deren Streitgenosse die Verfahrensaufnahme auf der Grundlage eines titulierten An­ spruchs gegen den Rechtsnachfolger zwangsweise durchsetzen, so muss die Zwangsvoll­ streckung berücksichtigen, dass die Beauftragung des Anwalts ein Vertrauensverhältnis voraussetzt, BGH NJW 1995, 463, 464. 16 Dazu Stackmann JuS 2008, 509 ff.

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Regelungen der Verfahrensgesetze  ­|  § 33

len (§§ 397 Abs. 2, 402, 451 ZPO), während die Parteien keinen Anspruch auf direkte Fragestellung haben. 3. Zeugnisverweigerungsrecht des Anwalts Vom beruflichen Zeugnisverweigerungsrecht u. a. des Anwalts handelt § 383 Abs. 1 830 Nr. 6 ZPO.17 4. Anwalt als Zustellungsadressat Mit dem Anwalt befasst sich die ZPO schließlich im Zustellungswesen (grundsätzlich 831 nur Zustellung an den Prozessbevollmächtigten im anhängigen Verfahren, §  172 ZPO, § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG;18 Zustellung von Anwalt zu Anwalt, § 195 ZPO). Für die Rechtzeitigkeit fristgebundener Prozesshandlungen kommt es nur auf die Zustel­ lung an den Prozessbevollmächtigten an; eine Zustellung an dessen Mandanten ist prozessual wirkungslos und dient nur der informellen Unterrichtung.19 An den bloß unterbevollmächtigten Terminsvertreter kann nicht nach § 172 Abs. 1 S. 1 ZPO zuge­ stellt werden.20 Kasuistik: (a) BGH NJW 1995, 537: Die Anwälte, die für die Klägerin Revision eingelegt hatten, hatten das Mandat niedergelegt. Eine weitere mit der Revisionsbegründung beauftragte Kanzlei zeigte an, die Klägerin wegen Differenzen über die Art der Bearbeitung nicht mehr zu vertre­ ten, reichte wegen verweigerter erneuter Verlängerung der Begründungsfrist aber doch am letzten Tag der Frist den von der Klägerin beanstandeten Begründungsschriftsatz ein; Grundlage dieser Tätigkeit war § 87 Abs. 2 ZPO, wonach der Bevollmächtigte trotz eigener Mandatskündigung bis zur Bestellung eines neuen Prozessbevollmächtigten zu Prozesshand­ lungen befugt ist. Die Klägerin beantragte, nachdem zwei weitere Kanzleien die Übernahme der Vertretung abgelehnt hatten, die Beiordnung eines Notanwalts zur Ergänzung der Revisi­ onsbegründung nach ihren eigenen Vorstellungen. Der BGH lehnte die Bestellung ab. Der BGH-Anwalt trage die alleinige Verantwortung für die Fassung der Revisionsbegründung. Damit sei unvereinbar, eine von einer nicht postulati­ onsfähigen Partei verfasste Rechtsmittelbegründung über einen Notanwalt in das Revisions­ verfahren einzuführen. Zur eigenständigen Prüfung der Revisionsaussichten durch einen BGH-Anwalt s. auch OLG Karlsruhe VersR 1995, 537 ff.

17 Näher dazu Ahrens Der Beweis im Zivilprozess Kap. 34 § 123 IV. 18 BFH NJW 1996, 870, 871 wendet den dem § 176 ZPO nachgebildetem § 53 Abs. 2 FGO i. V. m. § 8 Abs. 4 VwZG in der Weise an, dass bei Zweifeln an der Vollmacht eine Direktzu­ stellung an den Kläger zugelassen wird. Das kann Irrtum über die Notwendigkeit von Maß­ nahmen gegen den Ablauf von Rechtsmittelfristen erzeugen und ist insoweit rechtsstaats­ widrig. 19 BVerfG NJW 2017, 318 Tz. 15 und 19; BGH NJW-RR 2016, 897 Tz. 7. 20 BGH NJW-RR 2007, 356 Tz. 6.

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Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege 833

(b) BGH NJW-RR 1995, 1016: Die Berufung in einem Zivilprozess war mangels rechtzeitiger Begründung vom OLG verworfen worden. Zuvor hatte das OLG den Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts (§ 78b ZPO) zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde blieb erfolglos. Der BGH billigte die Würdigung des OLG, dass die Partei die ihr zumutbaren Anstrengungen zur Suche eines vertretungsbereiten Rechtsanwaltes dem Gericht nicht nachgewiesen und auch die Gründe der Mandatsniederlegung der ursprünglich beauftragten Anwälte nicht dar­ gelegt hatte.

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(c) OLG Karlsruhe MDR 1995, 531 f.: Die Prozessbevollmächtigten hatten die Niederlegung des Mandats dem Landgericht schriftsätzlich angezeigt. Ein zwei Monate später erlassener Beweisbeschluss wurde ihnen gemäß § 87 Abs. 1 ZPO zugestellt, da zwischenzeitlich noch kein anderer Rechtsanwalt seine Bestellung zum Prozessbevollmächtigten angezeigt hatte. Der Rechtsstreit endete ohne Bestellung eines neuen Prozessbevollmächtigten. Die früheren Pro­ zessbevollmächtigten beantragten im Verfahren nach § 19 BRAGO u. a. die Festsetzung einer Beweisgebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO. Das OLG entsprach dem Begehren, weil die Anwälte sich als trotz Ende des Mandats noch wirksam bestellte Bevollmächtigte mit dem Beweisbeschluss auseinandergesetzt und ihn mit einem Vertreter des Mandanten erörtert hatten.

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Schwierigkeiten bereitet gelegentlich die Beurteilung, wann ein Rechtsanwalt Pro­ zessbevollmächtigter und damit Zustellungsadressat ist. Kasuistik:

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BGH NJW 1995, 1225: Das FamG hatte dem anwaltlich nicht vertretenen Antragsgegner im Rahmen des Scheidungsverfahrens gemäß § 625 ZPO a. F. (= § 138 I FamFG) einen Anwalt als Beistand beigeordnet. Das Urteil über die Ehescheidung, die Verteilung der elterlichen Sorge und die Zahlung nachehelichen Unterhalts wurde dem Anwalt des Antragsgegners, nicht aber ihm selbst zugestellt. Nach Versäumung der Berufungsfrist und erfolglosem Wie­ dereinsetzungsantrag vor dem OLG verneinte der BGH die Wirksamkeit der Zustellung, weil der nach § 625 ZPO beigeordnete Anwalt gem. § 90 ZPO nur die Stellung eines Beistandes habe, solange ihm keine Prozessvollmacht erteilt sei und er keine Vertretung angezeigt habe. Er könne keine Prozesshandlungen im Namen der Partei vornehmen; Zustellungen dürften an die Partei selbst erfolgen.

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In gleicher Weise ist die Zustellung im Eilverfahren problematisch, wenn für den An­ tragsgegner der erlassenen Beschlussverfügung ein Anwalt zuvor eine Schutzschrift hinterlegt hatte. Bedeutung erlangt die Frage, ob der Schutzschriftanwalt Zustellungs­ adressat ist, bei der Beurteilung der rechtzeitigen Vollziehung von Unterlassungsver­ fügungen durch Parteizustellung nach §§ 929 Abs. 2, 936 ZPO.

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Seit der Zulassung überörtlicher Sozietäten ist das Folgeproblem aufgetaucht, ob de­ ren außerhalb des Gerichtsbezirks zugelassenen Sozien bestellte Prozessbevollmäch­ tigte i. S. d. § 172 ZPO sind. Das war unter Geltung der gerichtsgebundenen Zulas­ sung mit Postulationsbeschränkung auf den Ort der Zulassung zu verneinen.21 Heute kommt es auf die Auslegung der erteilten Prozessvollmacht an. Denkbar ist 21 Vgl. zu § 176 ZPO a. F. KG NJW 1994, 3111, 3112; Boin MDR 1995, 882. Dagegen sprach auch die Zuweisung der Fristenkontrolle durch BGH NJW 1994, 1878.

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Regelungen der Verfahrensgesetze  ­|  § 33

deren Beschränkung auf die Anwälte eines bestimmten Kanzleistandortes, doch wird das im Zweifel nicht gewollt sein, weil der Mandant auch die Vorteile einer überörtli­ chen Sozietät in Anspruch nehmen will (z. B. Spezialisierung der Anwälte, auswärtige Terminswahrnehmung, Haftung; s. dazu § 20, Rn. 347; § 22, Rn. 369 f. und 393 ff.). Erkennbaren Missbräuchen durch Zustellung von Anwalt zu Anwalt (§§  191, 172 ZPO) an einem nicht betroffenen Kanzleistandort kann notfalls mit § 242 BGB be­ gegnet werden. 5. Terminsverlegung Eine Terminsverlegung auf Antrag des Anwalts setzt gem. § 227 Abs. 1 S. 1 ZPO einen 839 erheblichen Grund voraus. Die Verhinderung darf nicht verschuldet sein.22 Eine ärztliche Bescheinigung über einen krankheitsbedingten Hinderungsgrund muss so detailliert sein, dass das Gericht die Verhandlungsunfähigkeit selbst beurteilen kann.23 Lehr- und Vortragstätigkeit des Anwalts ist kein Verlegungsgrund, weil der Anwalt rechtzeitig für eine Vertretung sorgen kann.24 Eine grippebedingte plötzli­ che Verhandlungsunfähigkeit verlangt zumutbare Anstrengungen zur Information des Gerichts, etwa durch einen Telefonanruf.25 6. Prozesskostenhilfe Durch die Gewährung von Prozesskostenhilfe sollen unbemittelte Personen den be­ 840 mittelten Personen weitgehend gleichgestellt werden.26 Auch sie müssen aber das Kostenrisiko wägen und können nicht die Beiordnung eines Anwalts für ein Verfah­ ren ohne Anwaltszwang verlangen, wenn eine bemittelte Person den Ausgang eines Musterverfahrens abwarten würde.27 Die Beiordnung eines Anwalts an die bedürf­ tige Partei sieht § 121 Abs. 1 ZPO vor. Beigeordnet werden kann nicht nur ein Einzel­ anwalt, sondern auch eine Rechtsanwaltssozietät (generell zu Berufsausübungsgesell­ schaften §§ 19 ff., Rn. 333 ff.), sei es in der Rechtsform einer BGB-Gesellschaft,28 sei es in anderer Gesellschaftsform wie der Partnerschaftsgesellschaft (vgl. § 7 Abs. 4 S. 1 PartGG), der Kapitalgesellschaft (vgl. § 59l BRAO)29 oder einer in das Partnerschafts­ register eingetragenen LLP oder vergleichbar partnerschaftsähnlichen Gesellschaft aus einem anderen EU-Staat.30

22 BVerwG NJW 2001, 2935. 23 BVerwG NJW 2001, 2735, 2736. 24 Vgl. OVG Berlin-Brandenburg NJW 2013, 3739, 3740. 25 BGH NJW 2009, 687 Tz. 11. 26 BVerfG (Kammer) NJW 2010, 988 Tz. 9. 27 BVerfG NJW 2010, 988 Tz. 10 f. 28 Dazu BGH NJW 2009, 440 Tz. 9 m. Anm. Horn. 29 So schon vor Schaffung dieser Norm OLG Nürnberg NJW 2002, 3715. 30 Zur Registereintragung als Voraussetzung der Postulationsfähigkeit Henssler NJW 2009, 3136, 3137 f.

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Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege

III. Strafprozessordnung 1. Selbständige Stellung des Strafverteidigers 841

Im Strafverfahren hat der Verteidiger  – er ist nicht zwingend, aber doch zumeist Rechtsanwalt – als Prozessbeteiligter eine gegenüber dem Beschuldigten (begrenzt) verselbständigte Stellung.31 So ist er bei der Wahrnehmung von Rechten nicht von dessen Willen abhängig, sondern kann der Entlastung dienende Beweisanträge stel­ len oder beantragen, den psychischen Zustand des Beschuldigten begutachten zu las­ sen.32 Allerdings hat der Verteidiger nur zugunsten des Beschuldigten sprechende Umstände geltend zu machen.33

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Von Sonderfällen abgesehen kann er weder im Ermittlungsverfahren noch in der Hauptverhandlung wie ein Vertreter an die Stelle des Beschuldigten treten (vgl. z. B. Anwesenheitspflicht des Angeklagten, §  230 StPO; Fragerecht, §  240 Abs.  2 StPO; Recht zur Abgabe von Erklärungen, § 257 StPO; Schlussvortrag, § 258 Abs. 3 StPO; dagegen jedoch die Vertretungsregelung des § 234 StPO). Ungeachtet der Ahndung unberechtigten Fernbleibens des Angeklagten darf das Recht zur Verteidigung (Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK) nicht dadurch beeinträchtigt werden, dass der in der Berufungs­ instanz erschienene Verteidiger nicht gehört wird.34 2. Notwendige Verteidigung, Wahlverteidiger

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Von der Verteidigung handelt zusammenfassend ein ganzer Abschnitt der StPO, der sich u. a. mit dem Erfordernis der Mitwirkung eines Verteidigers (§ 140, notwendige Verteidigung35) sowie seiner Wahl (§ 137) und eventuellen gerichtlichen Bestellung (§ 141) befasst. Zur Verteidigerbestellung s. auch § 44, Rn. 1223.

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Das Recht des Beschuldigten auf einen Wahlverteidiger seines Vertrauens ist verfas­ sungsrechtlich durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip36 und menschenrechtlich durch Art. 6 Abs. 1 EMRK37 garantiert. Bei der Auswahl des Pflichtverteidigers hat das Gericht das Interesse des Beschuldigten an der Verteidi­ gung durch einen Anwalt seines Vertrauens zu berücksichtigen.38 Die Bestellung eines Pflichtverteidigers ist nach § 143 StPO, darüber hinausgehend auch aus wichti­ 31 Vgl. BVerfGE 39, 156, 165; Hannich in Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl. 2013, vor § 137 StPO Rdn. 4. 32 Roxin/Schünemann Strafverfahrensrecht29 § 19 Rdn. 11. 33 Roxin/Schünemann Strafverfahrensrecht29 §  19 Rdn.  11 und 15; Hannich in Karlsruher Kommentar zur StPO vor § 137 Rdn. 3 f. 34 EGMR v. 21.1.1999 – 26103/95 – van Geysegham/Belgien, NJW 1999, 2353 Tz. 33 f. 35 Zum Zeitpunkt der Bestellung des Pflichtverteidigers BGH NJW 2000, 3505, 3508; BGH NJW 2002, 975, 977; BGH NJW 2002, 1279, 1280; Mehle NJW 2007, 969 ff. Zur Schwierig­ keit der Rechtslage KG NJW 2008, 3449. 36 BVerfGE 110, 226, 253 = NJW 2004, 1305, 1308; BVerfG NJW 2006, 1503. 37 EGMR v. 27.11.2008 – 36391/02 – Salduz/Türkei, NJW 2009, 3707 Tz. 54 f. (schon bei erster polizeilicher Vernehmung). 38 BVerfG NJW 2001, 3695, 3696; OLG Jena NJW 2009, 1430, 1431.

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Regelungen der Verfahrensgesetze  ­|  § 33

gem Grund, zu widerrufen, wenn der Zweck der Pflichtverteidigung ernsthaft gefähr­ det ist, etwa wegen Besorgnis der Versäumung einer Revisionsbegründungsfrist durch mangelnde Aktivität des Verteidigers.39 Der Pflichtverteidiger hat gegen seine Entpflichtung kein eigenes Beschwerderecht.40 Die Bestellung eines Pflichtverteidigers bei Unterbringung in einem psychiatrischen 845 Krankenhaus hängt von der Verteidigungsfähigkeit des Untergebrachten im Hinblick auf seine Erkrankung ab.41 Einem Pflichtverteidiger, der das Gericht zu spät über einen Widerruf seiner Zulassung wegen Vermögensverfalls informiert, können die durch Aussetzung der Verhandlung entstandenen Mehrkosten auferlegt werden (§ 145 Abs. 4 StPO).42 Zur Vermeidung von Interessenkollisionen stellt die StPO das Verbot gleichzeitiger 846 Verteidigung mehrerer Beschuldigter (§ 146)43 auf (s. dazu § 27, Rn. 541). Zurück­ gehend auf die Terrorismusprozesse der 70er Jahre regelt sie den Ausschluss von der Verfahrensmitwirkung (§§ 138a ff.).44 Ein Verteidiger, der durch die Art der Verteidigung die Laienrichter ängstigt, kann 847 wegen versuchter Strafvereitelung von der Mitwirkung am Verfahren ausgeschlossen werden.45 Kasuistik: (a) BGH NJW 1996, 406: Der Angeklagte hatte eine bestellte Verteidigerin und einen Wahlver­ teidiger. Das Strafurteil war dem Wahlverteidiger später als der bestellten Verteidigerin zugestellt worden. Bei der Berechnung der Revisionsbegründungsfrist für die Erhebung einer formellen Rüge verließ sich der Angeklagte in Anwendung des § 37 Abs. 3 StPO auf die förm­ liche Zustellung an den Wahlverteidiger.

848

Der BGH sah die Zustellung an den Wahlverteidiger als unwirksam an, weil sich keine Zustellungsvollmacht (§ 145a Abs. 1 StPO) bei den Akten befand und auch das Sitzungsprotokoll keine in der Hauptverhandlung mündlich erteilte Vollmacht beurkundet hatte. Das bloße Auf­ treten als Verteidiger in der Hauptverhandlung genüge nicht den Anforderungen an eine Zu­ stellungsbevollmächtigung. Wegen des durch die förmliche Zustellung gesetzten Rechtsscheins wurde jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. (b) BGH NJW 2002, 1436: Dem Wahlverteidiger war im Zeitpunkt der Hauptverhandlung mit notwendiger Verteidigung gem. §  140 Nr.  1 StPO wegen Vermögensverfalls die Zulassung bestandskräftig entzogen worden. Er hatte am Schluss der Hauptverhandlung nach Rückspra­ che mit dem Angeklagten einen Rechtsmittelverzicht erklärt. 39 KG NJW 2008, 3652, 3653. 40 OLG Hamburg NJW 1998, 621. 41 BVerfG NJW 2009, 3153 (LS). 42 BVerfG NJW 2009, 1582 Tz. 15. 43 Daraus folgt kein Verbot der Absprache einer Verteidigerstrategie, OLG Düsseldorf NJW 2002, 3267. Zur Zulässigkeit sukzessiver Mehrfachverteidigung OLG Jena NJW 2008, 311. 44 Die §§ 138a ff. StPO gelten auch für Pflichtverteidiger, BGH NJW 1996, 1975. 45 BGH NJW 2006, 2421 – Fall Zündel m. Bespr. Böhm NJW 2006, 2371 ff. (Vorinstanz: OLG Karlsruhe JZ 2006, 1129).

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Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege Der BGH sah die Prozesserklärung ausnahmsweise als unwirksam an, obwohl der Grund des Zulassungswiderrufs ohne Einfluss auf die konkrete Verteidigungstätigkeit gewesen war.

850

(c) OLG Köln NJW 2005, 3588: In einem Fall mit notwendiger Verteidigung entfernten sich die verteidigenden Anwälte aus der laufenden Hauptverhandlung, um damit u. a. gegen den Umfang der Vernehmung von Zeugen zu protestieren. Die Strafkammer trennte das Verfah­ ren gegen die betroffenen Angeklagten ab und legte den Anwälten gem. § 145 Abs. 4 StPO die Kosten auf. Das OLG bejahte ein pflichtwidriges Entfernen ohne gerichtliche Zustimmung und verneinte die von den Anwälten behauptete Existenz eines „prozessualen Notwehrrechts“.

3. Privilegien des Verteidigers 851

Der Verteidiger hat das Recht zur Akteneinsicht46 und zur Besichtigung der Beweis­ stücke (§  147) sowie zum grundsätzlich nicht beschränkbaren schriftlichen und mündlichen Verkehr mit dem in Haft befindlichen Beschuldigten (§ 148).

852

§ 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO berechtigt den Rechtsanwalt zur Zeugnisverweigerung über beruflich anvertraute Tatsachen, was in § 97 StPO durch ein Beschlagnahmeverbot bezüglich schriftlicher Mitteilungen und Aufzeichnungen ergänzt wird. Zur Be­ schränkung der Durchsuchung von Anwaltskanzleien oben § 26, Rn. 493 ff. Ein Ver­ teidiger, der zugleich Mitbeschuldigter ist, ist nach §§ 146, 146a StPO zurückzuwei­ sen.47

853

Dem Verteidiger ist die Anklageschrift zuzustellen; die Pflicht zur zusätzlichen Mit­ teilung an den Angeklagten ist eine Ordnungsvorschrift, deren Nichtbeachtung nicht per se eine Verletzung rechtlichen Gehörs bedeutet.48 4. Prozesskostenhilfe

854

Für das Klageerzwingungsverfahren des § 172 StPO verweist dessen Abs. 3 S. 2 Hs. 2 auf die Möglichkeit der Prozesskostenhilfe nach §§ 114 ff. ZPO, was die Anwaltsbei­ ordnung nach §  121 ZPO einschließt.49 Hingegen wird keine Verweisung auf die Vorschrift des § 78b ZPO ausgesprochen. Umstritten ist deshalb, ob die Beiordnung eines Notanwalts in Betracht kommt.50

46 Dazu EGMR NJW 2002, 2013, 2015; EGMR NJW 2002, 2015, 2017; EGMR NJW 2002, 2018, 2019; BVerfG NJW 2012, 141 Tz. 30 (zur Aktenüberlassung in die Kanzlei). Hingegen steht dieses Recht nicht dem Beschuldigten zu, RGSt 72, 268, 275; KK/Pfeiffer Einl. Rdn. 73. Zum Recht auf Hinzuziehung von Hilfspersonen OLG Brandenburg JR 1996, 169, 170 f. m. Anm. Krack. 47 OLG Celle NJW 2001, 3564. 48 BVerfG NJW 2002, 1640. 49 Zur Pflichtverteidigerbestellung bei Beiordnung eines Anwalts für den verletzten als Ne­ benkläger OLG München NJW 2006, 789, 790. 50 Ablehnend OLG Hamm NJW 2008, 245, 246. Für analoge Anwendung des § 78b ZPO OLG Bamberg NJW 2007, 2274, 2275.

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Regelungen der Verfahrensgesetze  ­|  § 33

5. Strafvollzug Die Vollzugsbehörde darf bei einem Verteidigerbesuch in der Haftanstalt anordnen, 855 dass eine Trennscheibe eingesetzt wird, um die konkrete Gefahr einer Geiselnahme des Verteidigers zur Freipressung des Strafgefangenen zu verhindern.51

IV. Gerichtsverfassungsrecht (GVG) Prozessuales Fehlverhalten, das auf die Störung eines ordnungsgemäßen Verhand­ 856 lungsablaufs zielt,52 kann als Ungebühr vor Gericht nach § 178 GVG vom erkennen­ den Gericht mit einer Ordnungsstrafe belegt werden (s. auch §  36, Rn.  985). Die ­Missachtung von Anordnungen zur Aufrechterhaltung der Ordnung kann Ord­ nungsmaßnahmen wegen Ungehorsams nach §  177 GVG auslösen. Rechtsanwälte sind davon als bei der Verhandlung Beteiligte nicht betroffen.53 Werden Rechtsan­ wälte aber wegen anwaltlichen Fehlverhaltens vom Gericht zurückgewiesen, sind sie Nichtbeteiligte und fallen dann unter §§  177, 178 GVG.54 Eine Entscheidung des EGMR55 zum Fall eines Rechtsanwalts aus Zypern hat Zweifel geweckt, ob das Ge­ bot der Unparteilichkeit des Richters der Verhängung einer Ordnungsstrafe durch das erkennende Gericht entgegensteht (dazu § 35, Rn. 942).56

51 BGH NJW 2004, 1398. 52 Hingegen geht es nicht um den Schutz der persönlichen Ehre eines Richters, BerlVerfGH NJW-RR 2000, 1512, 1513. 53 Zur Verurteilung eines angeklagten Rechtsanwalts BerlVerfGH NJW-RR 2000, 1512, 1513. 54 OLG Hamm BRAK-Mitt. 2003, 241, 243. 55 EGMR NJW 2006, 2901 Tz. 123 ff. – Kyprianou. 56 Verneint für § 178 GVG von Kissel NJW 2007, 1109 ff.

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§ 34 Marktregulierung durch das Rechtsdienstleistungsgesetz



I. Schutz der Rechtspflege, Konkurrenzabwehr 1. Dienstleistungsverbot des RDG 857 2. Konkurrenzschutz zu Gunsten der Rechtsanwälte a) Zulässige Normzwecke . . . . . 866 b) Abwehransprüche . . . . . . . . . . 869 c) Sicherstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen . . . . . . . 870 3. Vorläufer: RBerG . . . . . . . . . . . . . 872





II. Rechtsfolgen des Verbotsverstoßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 879 III. Verbotsfreie Betätigungen 1. Thematisch beschränkte Rechtsdienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . 882 2. Altruistische Rechtsberatung . . . 891 3. Interessenvereinigungen . . . . . . . 897 4. Verbrauchervereinigungen und andere öffentlich anerkannte Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 900 5. Kollektive Rechtsdurchsetzung von Schadensersatzforderungen 902 IV. Dienstleistung durch registrierte Personen



1. Rechtsbeistände für besondere Rechtsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . 907 2. Registrierungsverfahren, Sachkundenachweis a) Materielle Prüfungen . . . . . . . 910 b) Aufsichtsmaßnahmen der Justiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 911 c) Bußgeldtatbestände . . . . . . . . 912 3. Inkassodienstleistungen a) Begriffsdefinition . . . . . . . . . . 913 b) Schutzbedarf, Informationspflichten aa) Überhöhte Beitreibungskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . 914 bb) Schuldnerinformation . . . 915 cc) Geheimhaltungsinteres­ sen des Schuldners . . . . . . 917 c) Vergütung registrierter Inkassodienstleister . . . . . . . . 918 4. Inkassoanwälte . . . . . . . . . . . . . . . 919 5. Prozessvertretung . . . . . . . . . . . . 920 V. Grenzüberschreitende Rechtsdienstleistungen . . . . . . . . . . . . . 924

Spezialliteratur: Deckenbrock/Henssler, Rechtsdienstleistungsgesetz, 4. Aufl. 2015; Kleine-­ Cosack, Rechtsdienstleistungsgesetz, 3. Aufl. 2014.

I. Schutz der Rechtspflege, Konkurrenzabwehr 1. Dienstleistungsverbot des RDG 857

Flankiert werden die Normen, die sich mit der Stellung des Rechtsanwaltes befassen, durch das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) vom 12.12.20071, das 2013 und 2017 teilweise novelliert worden ist. Das RDG regelt die Befugnis, außergerichtliche Rechtsdienstleistungen zu erbringen (§ 1 Abs. 1 S. 1 RDG). Seine Normzwecke be­ stimmt § 1 Abs. 1 S. 2 RDG: Es dient dem Schutz der rechtsuchenden Bevölkerung sowie dem Schutz des Rechtsverkehrs und der Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen. 1 BGBl. 2007 I S. 2840.

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Marktregulierung durch das RDG ­|  § 34

Was eine Rechtsdienstleistung ist, definiert § 2 RDG als „Tätigkeit in konkreten frem­ 858 den Angelegenheiten, sobald sie eine rechtliche Prüfung im Einzelfall erfordert“. Das verfeinert der BGH zu „jeder konkreten Subsumtion eines Sachverhalts unter die maßgeblichen Bestimmungen, die über eine bloß schematische Anwendung von Rechtsnormen ohne weitere rechtliche Prüfung hinausgeht“, wobei die Schwierigkeit der Rechtsprüfung unerheblich sein soll.2 Besorgung einer fremden Rechtsangele­ genheit ist auch das Entwerfen von Schriftsätzen im bloßen Innenverhältnis zu dem Betroffenen. Von den Regelungen des RDG ist die Berufstätigkeit inländischer Rechtsanwälte 859 nicht berührt, weil Regelungen anderer Gesetze über die Befugnis zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen nach §  1 Abs.  2 RDG unberührt bleiben. Grenzüber­ schreitend tätige ausländische Rechtsanwälte sind damit ebenfalls ausgeklammert, soweit sie die Anforderungen des EuRAG oder des § 206 BRAO (näher dazu § 37, Rn. 1002 ff. und § 38, Rn. 1029 f. und 1047 ff.) erfüllen. Für alle übrigen Rechtsdienstleister stellt §  3 RDG ein grundsätzliches Verbot der 860 selbständigen Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen auf. Es wird aber durch Erlaubnistatbestände durchbrochen. Sie betreffen einzelne gesetzliche Be­ freiungen gem. §§ 2 Abs. 3, 5 – 8 RDG sowie Dienstleistungen registrierter Personen nach § 10 RDG auf bestimmten Rechtsgebieten. Kasuistik: (a) BAG NJW 1993, 2701 (Vorinstanz LAG Hamm NZA 1992, 905): Der Kläger war Gläubiger des Schuldners W, der die Wirtschaftsberatungsgesellschaft WTG mit der Schuldenregulierung beauftragt hatte. Zur Durchführung der Gläubigerbefriedigung und zur Sicherung ihrer Honorarforderung ließ sich die WTG den pfändbaren Teil des gegenwärtigen und künftigen Lohnes des W abtreten. Die Beklagte wurde als Arbeitgeberin des W nach einer Lohnpfän­ dung des Klägers aufgrund eines Vollstreckungstitels gegen W im Wege der Drittschuldnerkla­ ge in Anspruch genommen (§§ 829, 832 ZPO). Sie zahlte wegen der Zweifel über die Gläubi­ gerstellung (Kl. oder WTG) den pfändbaren Lohnanteil auf ein Sperrkonto bei ihrer Hausbank und wurde nunmehr auf Freigabe des Sperrkontos verklagt. Die Klage war erfolgreich, weil die prioritätsältere Lohnabtretung des W an die WTG nach § 134 BGB i. V. m. Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG nichtig war und deshalb die zeitlich nachfolgende Lohnpfändung durchgriff. Die ge­ schäftsmäßige Regulierung fremder Schulden sei wegen der typischerweise damit verbunde­ nen Rechtsbesorgung (Schuldenerlass, vergleichsweise Erledigung der Schulden) erlaubnis­ pflichtig. Der Abschluss eines entgeltlichen Schuldenregulierungsvertrages zwischen der WTG und dem W war deshalb unwirksam, auch wenn nicht der W selbst, sondern nur die WTG gegen das Verbotsgesetz verstoßen hatte. Nur so konnte dessen Zweck erreicht werden, eine unsachgemäße Beratung und Vertretung der Rechtssuchenden zu verhindern. Die Unwirk­ samkeit betraf nicht nur den Geschäftsbesorgungsvertrag, sondern auch die zur Durchfüh­ rung der Schuldenregulierung erfolgte Forderungsabtretung.

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(b) OLG Stuttgart NJW 1992, 3051 f.: Der Bußgeldbescheid der Staatsanwaltschaft warf dem Betroffenen vor, nach dessen Verzicht auf die Anwaltszulassung im Verlaufe eines Ehrenge­ richtsverfahrens Rechtsbesorgung ohne Erlaubnis in der Kanzlei seines vormaligen Sozius als

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2 BGH GRUR 2016, 1189 = WRP 2016, 1232 Tz. 23 – Rechtsberatung durch Entwicklungsin­ genieur.

253

Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege „Sachbearbeiter“ fortgesetzt und selbständig Mandanten betreut zu haben. Er habe u. a. Mandanten vor Gericht vertreten und sich dort und in Schriftsätzen als „Assessor“ bezeichnet. Das Amtsgericht hatte ihn freigesprochen, weil er weder auf dem Praxisschild, noch auf den Briefbögen der Kanzlei verzeichnet und auch nicht am Gewinn beteiligt war, also nur unselb­ ständig als Angestellter Rechtsangelegenheiten besorgte. Das OLG gab der Rechtsbeschwerde statt. Ob ein Assessor bei einem Rechtsanwalt erlaubter­ weise nach Art. 1 § 6 Abs. 1 Nr. 2 RBerG tätig sei oder selbst geschäftsmäßig fremde Rechtsan­ gelegenheiten besorge, entscheide sich nach den tatsächlichen Umständen des Handelns, nicht nach der äußeren Form der Tätigkeit. Insbesondere das Auftreten als Strafverteidiger belege die selbständige und eigenverantwortliche Mandantenbetreuung. Diese Rechtsprechung hat auch unter Geltung des RDG Bedeutung.

863

(c) BGH NJW 2007, 596 – Schulden Hulp: Es ging – in einen UWG-Prozess eingebettet – um die Geltung des RDG für den deutschen Vorsitzenden einer niederländischen Schuldnerberatungsstiftung; der Vorsitzende hatte seinen Wohnsitz in den Niederlanden. Von dort aus wurde im Internet für deutsche Schuldner die Prüfung der gegen sie gerichteten Forderungen zur Vorbereitung von Verbraucherinsolvenzverfahren angeboten (zum notwendigen Ver­ such der Einigung mit den Gläubigern vgl. § 305 Abs. 1 InsO). Außerdem war im Auftrag eines in Deutschland wohnenden Schuldners Schriftverkehr mit einer in Deutschland ansässigen Steuerberaterin geführt worden. Der BGH klammerte Rechtsbesorgung, die ausschließlich im Ausland stattfindet, aus dem Geltungsbereich des damaligen RBerG aus. Dies treffe selbst dann zu, wenn der inländische Auftraggeber sich im Ausland über einen Inlandssachverhalt beraten lasse und anschließend dem Rat entsprechend im Inland tätig werde.3 Der Versand von Schreiben ins Inland an inländische Gläubiger und die Werbung dafür unterstellte der BGH jedoch dem RBerG.4 Der Sitz des Rechtsberaters im Ausland sei wegen der Gefahr einer Umgehung des deutschen Beratungsverbots irrelevant.

864

(d) BGH NJW-RR 2016, 693: Die Beklagte befasste sich mit der Geltendmachung der Ansprüche von Versicherungsnehmern aus gekündigten Lebens- und Rentenversicherungsverträgen. Formal kam der Anwaltsvertrag zwischen den rechtsschutzversicherten Versicherungs­ nehmern (als Kunden der Beklagten) und dem jeweils mandatierten Rechtsanwalt zustande, doch steuerte die Beklagte aufgrund der Vertragsvereinbarung die Auswahl und Beauftragung der Rechtsanwälte und entschied in Abstimmung mit ihnen über die zu ergreifenden Maßnah­ men. Deshalb sah der BGH die Rechtsanwälte als bloße Erfüllungsgehilfen der Beklagten an, so dass § 3 RDG verwirklicht sei.

865

(e) LG Hamburg NJW-RR 2016, 61: Die Rechtsanwaltskammer Hamburg klagte gegen eine Gesellschaft, die Dienstleistungen für Angehörige der rechts- und steuerberatenden Berufe durch pensionierte Richter anbot. Beworben wurde u. a. die Bewertung von Chancen und Risiken des Prozessstoffes und die Optimierung der eingeschlagenen Taktik und Strategie. Das LG verneinte eine telelogische Reduktion des § 1 RDG; Rechtsuchende i. S. d. Gesetzes seien nicht nur Bürger, sondern auch Rechtsabteilungen und Rechtsanwälte, zudem sei Schutzzweck nicht nur der Schutz der Rechtsuchenden. Die Erteilung taktischer Ratschläge nach rechtlicher Prüfung im konkreten Einzelfall sei nicht als Erstattung wissenschaftlicher Gutachten i. S. d. § 2 III RDG befreit. Die Auslegung des LG im Hinblick auf die Schutzzwecke des RDG ist nicht überzeugend.

3 BGH NJW 2007, 596 Tz. 19. 4 BGH NJW 2007, 596 Tz. 23.

254

Marktregulierung durch das RDG ­|  § 34

2. Konkurrenzschutz zu Gunsten der Rechtsanwälte a) Zulässige Normzwecke Aufgabe des RDG kann es nur sein, für eine funktionierende Rechtspflege zu sorgen. 866 Schutz der Rechtsanwälte vor lästiger Konkurrenz ist in einer Marktwirtschaft kein legitimes rechtspolitisches Ziel. Unter der Geltung des Vorgängergesetzes, des RBerG, hat die Rechtsprechung das zum Teil  anders gesehen.5 Faktisch bewirkt das RDG gleichwohl Konkurrenzschutz zu Gunsten der Rechtsanwälte. Der Wettbewerbsschutz wird durch das Verbot des § 3 RDG und das Registrierungserfordernis des § 10 RDG bewirkt. Versteckter Konkurrenzschutz ist gelegentlich von der Rechtsprechung praktiziert 867 worden. Verschiedene Verfahrensordnungen (§ 138 Abs. 1 StPO, § 67 Abs. 1 VwGO, § 40 Bundesdisziplinarordnung, § 22 Abs. 1 S. 1 BVerfGG) gestatten Universitätspro­ fessoren der Rechtswissenschaft die gerichtliche Vertretung von Rechtsuchenden. Sie sind insoweit Rechtsanwälten gleichgestellt. Zur Minimierung dieser Konkurrenz sind verschiedene Argumentationen vertreten worden. Härteste Waffe war die Be­ hauptung eines Betätigungsverbots unter Missachtung der verfahrensrechtlichen Er­ laubnisvorschriften.6 Subtiler sind Benachteiligungen wie die Verneinung der Er­ stattungsfähigkeit des Honorars im Kostenerstattungsverfahren als nicht notwendig (vgl. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO)7 oder die Honorarfestsetzung unterhalb der RVG-Sätze. Kasuistik: OLG Düsseldorf MDR 1995, 423  f.: Der im Strafverfahren von einem Hochschullehrer (vgl. § 138 I StPO) verteidigte Angeklagte wurde freigesprochen. Der Bezirksrevisor wandte sich gegen eine Festsetzung der Auslagen unter analoger Anwendung der BRAGO, also des Vor­ läufers des RVG. Das OLG bejahte, dass die Wahl eines Hochschullehrers als Verteidiger einer zweck­ent­ sprechenden Rechtsverteidigung diente und die Honoraraufwendungen notwendige Auslagen i. S. d. § 464 II StPO waren, ohne dass § 464a II Nr. 2 StPO eine Sperrwirkung entfaltet. Der Höhe nach sei die Erstattung der üblichen Vergütung (§ 612 II BGB) notwendig, die sich nach dem Entgelt für gleiche oder ähnliche Dienstleistungen richte, das seinerseits unter analoger Anwendung der BRAGO zu bestimmen sei, wie § 408 AO und Art. IX KostÄndG deutlich mache. Entgegen anderslautenden Entscheidungen sei eine Reduzierung der BRAGO-Sätze nicht vorzunehmen.

5 So etwa OLG Köln VersR 1994, 197 f. mit der Aussage, die Beschränkung der Rechtsbesor­ gungserlaubnis sei „ersichtlich im Interesse der Anwaltschaft“ erfolgt. Demzufolge wird als Schutzzweck nicht nur genannt, die Rechtssuchenden und den Rechtsverkehr vor ungeeig­ neten und unzuverlässigen Rechtsbesorgern zu bewahren, sondern auch „den Anwaltsstand und andere zugelassene Rechtsvertreter“ zu schützen. Ausdrücklich ablehnend BGH NJW 2001, 3541, 3543. 6 So auf der Grundlage des Art. 1 § 1 Abs. 1 S. 1 RBerG VGH Mannheim NJW 1991, 1195 f. 7 Vgl. LG Münster MDR 1995, 1175.

255

868

Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege

b) Abwehransprüche 869

Da das RDG keinen wettbewerbsregelnden Charakter zugunsten einzelner Anwälte hat, steht einem einzelnen Rechtsanwalt keine verwaltungsgerichtliche Klagebefugnis die Erteilung einer objektiv rechtswidrigen behördlichen Rechtsdienstleistungser­ laubnis zu.8 Das Verbot des § 3 RDG ist allerdings eine das Marktverhalten betref­ fende Norm i. S. d. § 3a UWG.9 Deshalb können sowohl Anwaltvereine (§ 8 Abs. 2 Nr. 2 UWG), Anwaltskammern (§ 8 Abs. 2 Nr. 4 UWG) und einzelne in ihrer Wettbe­ werbsstellung betroffene Anwälte (§§ 8 Abs. 2 Nr. 1, 2 Nr. 3 UWG) die unerlaubte Rechtsberatung zivilrechtlich mit den Mitteln des UWG bekämpfen (dazu nachfol­ gend Rn. 880). c) Sicherstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen

870

Zu Recht wird freilich beanstandet, die mit der Anwaltschaft konkurrierenden Rechtsberater unter günstigeren wettbewerblichen Rahmenbedingungen agieren zu lassen, etwa in Bezug auf die Honorarbemessung (Gebührenhöhe, Erfolgshonorar, quota litis) oder die Berufswerbung. Soweit ein Markt reguliert ist, müssen die Vor­ schriften für alle Marktteilnehmer gleichermaßen gelten. Das ist jedoch nur ein Pro­ blem der Berufausübung, nicht der Zulassung zum Beruf. Hinsichtlich der Vergütung registrierter Personen sorgt § 4 Abs. 2 RDGEG grundsätzlich für Gleichbehandlung. Die Unterschreitung der Gebühren des RVG ist ebenso untersagt wie die Vereinba­ rung eines Erfolgshonorars, soweit dies nicht durch das RVG gestattet ist. Vor Erlass des RDG und seines Einführungsgesetzes wurde eine entsprechende Regelung dem Art. IX Abs. 1 S. 2 KostÄndG v. 26. 7. 1957 entnommen. Kasuistik:

871

KG NJW 2001, 3132: Der Antragsgegner im Eilverfahren, ein Diplomkaufmann, besaß eine Erlaubnis zur Betätigung als Rechtsbeistand in Nachlassangelegenheiten. Er schrieb im Rah­ men der Erbenermittlung einen potentiellen Miterben und Mandanten der den Verfügungsan­ trag stellenden Rechtsanwälte an und bot konkrete Leistungen wie den Entwurf eines Erbscheinsantrags und die Abgabe der Erbschaftssteuererklärung an. Das KG sah darin eine wettbewerbswidrige Werbung zur Erlangung eines konkreten Mandats. Ein Rechtsbeistand sei in seinen Werbemöglichkeiten in gleicher Weise begrenzt wie Rechtsanwälte durch §  43b BRAO.

3. Vorläufer: RBerG 872

Durch das RDG wurde das Rechtsberatungsgesetz (RBerG) vom 13.12.1935 (ur­ sprünglich Rechtsberatungsmissbrauchsgesetz tituliert) aufgehoben; dem RBerG war seinerseits eine Regelung in § 35 Abs. 3 GewO vorangegangen. Das RBerG untersagte 8 So zum RBerG BVerwG NJW 1989, 1175. 9 BGH NJW-RR 2016, 1056 Tz. 12 – Schadensregulierung durch Versicherungsmaklerin m. Bespr. Johnigk GRUR 2016, 1135 ff.; BGH GRUR 2016, 1189 Tz. 15 – Rechtsberatung durch Entwicklungsingenieur.

256

Marktregulierung durch das RDG ­|  § 34

unerlaubte geschäftsmäßige Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten (in Öster­ reich „Winkelschreiberei“ genannt10), die auch dann rechtswidrig war, wenn sie un­ entgeltlich erfolgte. Das RBerG war seiner Tendenz nach ein antiliberales Gesetz aus der Zeit des Natio­ 873 nalsozialismus.11 Es hatte ursprünglich die Aufgabe, eine Berufsordnung der Rechts­ beistände zu bilden. Zugleich war es gegen aus der Anwaltschaft vertriebene jüdische Rechtsanwälte gerichtet.12 Unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes und des Schutzes von Interessen der Rechtspflege war eine gesetzliche Regelung der Er­ bringung von Rechtsdienstleistungen zwar notwendig. Deshalb erfolgte nach dem Krieg keine vollständige Aufhebung als nationalsozialistisches Gesetz. Dringend ge­ boten war jedoch längst eine Gesamtrevision, die die Grundtendenz des ursprüngli­ chen Gesetzes beseitigte. Untersagt wurden z. B. Tätigkeiten, die keine besondere ju­ ristische Qualifikation erfordern,13 was bereits zu einer Beanstandung durch den EuGH geführt hatte. Einzelne Sachverhalte zeigen eine groteske Übersteigerung der – damals zudem nicht klar bestimmten – Schutzzwecke. Kasuistik: (a) OLG Koblenz MDR 1993, 1129: Der Beklagte hatte einige Semester Jura studiert. Er be­ zeichnete sich als Unternehmensberater und vertrat einen Bekannten gegen dessen Arbeitge­ ber bei einem Streitwert von ca. 1000 DM gegen ein Entgelt von 250 DM beim Arbeitsgericht. Dazu fertigte er Schriftsätze und nahm zwei Gerichtstermine wahr. Während des Rechtsstreits wandte er sich unmittelbar an den Arbeitgeber und verlangte unter Androhung eines Kon­ kursantrags sowie einer Meldung beim Landesarbeitsamt Zahlung; überdies trat er mit einer Anzeige an die Steuerfahndung heran. Ein Rechtsanwalt klagte auf Unterlassung geschäftsmä­ ßiger Betätigung in Vollmacht Dritter als Rechtsbeistand. Das OLG bejahte einen Verstoß gegen Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG. Der Unterlassungsanspruch sei nach §§ 823 Abs. 2, 1004 BGB und nach § 1 UWG gegeben. Die Wiederholungsabsicht und

10 Vgl. etwa OGH ÖBl. 2004, 20. 11 Henssler DB 1995, 1549. 12 König Rechtsberatungsgesetz (1993), S. 19 m. w. N. Auf den zweiten Zweck weist in OLG München WRP 1995, 1046, 1047 bzgl. der 5. AusführungsVO zum RBerG die dort beklag­ te Luxemburger Inkassogesellschaft hin. Vgl. auch OLG Hamm NJW 1951, 815, das aber – eher naiv – eine „ausgesprochene nationalsozialistische Tendenz“ des Gesetzes insgesamt verneint, weil die Einschränkung der Gewerbefreiheit auf dem Gebiet der Rechtsberatung schon vor 1933 angestrebt worden sei. 13 Vgl. nur die aufhebenden Entscheidungen BVerfG NJW 2002, 1190, 1191 (Hinweis auf Unwirksamkeit eines Kreditvertrages); BVerfG NJW 2002, 3531, 3532 (Beschaffung von Informationen für Grundstücksrestitution); BVerfG NJW-RR 2004, 1570, 1571 (Hinweis des Inkassounternehmens an Schuldner auf Rechtslage); BGH NJW 1998, 3563, 3564 – Ti­ telschutzanzeigen für Dritte; BGH NJW 2000, 2108 (Beauftragung eines Kfz-Sachverstän­ digen durch Werkstatt und Weiterleitung des Gutachtens an Versicherung, demgegenüber jedoch BGH NJW 2003, 1938); BGH NJW 2000, 2277, 2278 – Rechtsbetreuende Verwal­ tungshilfe; BGH NJW 2001, 3541, 3542 (Rechtsbesorgung durch Ehefrau); BGH NJW 2003, 3046, 3048  – Erbenermittler; BGH NJW 2005, 968 und 969 (Testamentsvollstre­ ckung).

257

874

Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege damit die Geschäftsmäßigkeit folge aus den Umständen des Einzelfalles; es habe sich nicht nur um eine bloße Gefälligkeits- und Gelegenheitsvertretung gehandelt.

875

(b) OLG Frankfurt EWiR Art. 1 RBerG 4/92, S. 1225 f.: Der Antragsgegner warb in Zeitungsan­ zeigen damit, dass er für Interessenten konkret einschlägige Schmerzensgeld­urteile heraussuche. Das OLG gab dem Unterlassungsantrag in eingeschränkter Form statt. Das selbständige Aufsuchen einschlägiger Gerichtsentscheidungen für konkrete Rechtsangelegenheiten sei un­ erlaubte Rechtsberatung, es sei denn, das Angebot richte sich ausschließlich an Angehörige rechtsberatender Berufe im Rahmen deren Befugnis zur Rechtsberatung.

876

(c) OLG Karlsruhe GRUR 1991, 619 ff. (zuvor entschiedener Parallelrechtsstreit der Rechtsanwaltskammer BGH NJW 1989, 2125 = GRUR 1989, 437 – Erbensucher): Das beklagte Unter­ nehmen, eine GmbH, hatte sich auf die Erbensuche im In- und Ausland spezialisiert und verfügte über genealogische Büros in vielen europäischen Ländern und in Übersee. Es bot – an die erfolgreiche Suche anschließend  – Dienstleistungen zur Realisierung von Erbansprüchen einschließlich der Vertretung der Erben an, die es selbst oder durch andere erbringen wollte; der Geschäftsführer war als Rechtsbeistand zugelassen. Der klagende Anwaltsverein sah in der beworbenen Tätigkeit einen Verstoß gegen das RBerG und das UWG. Konkret ging es um einen Anlassfall, in dem das Unternehmen 20% Erfolgshonorar verlangt hatte. Das Gericht bejahte eine unzulässige rechtsbesorgende Tätigkeit. Ein Unternehmen, das im Rahmen einer einem Dritten geschuldeten Geschäftsbesorgung einen Rechtsanwalt oder Rechtsbeistand zur Rechtsbesorgung einschalte, werde gegenüber dem Auftraggeber selbst rechtsbesorgend tätig. Das beklagte Unternehmen selbst verfügte (noch) nicht über eine Er­ laubnis zur Rechtsbesorgung. Dem OLG genügte nicht, dass für die untersagte Tätigkeit der Geschäftsführer einsprang, der seinerseits rechtmäßig als Rechtsbeistand tätig werden durfte.

877

(d) OLG Köln WRP 1995, 864 ff. = GRUR 1996, 218 ff.: Der Verfügungsbeklagte hatte für einen Verlag eine Titelschutzanzeige geschaltet, um für zwei mögliche Programmzeitschriftentitel den Prioritätsstichtag zu sichern. Werktitel genießen bei hinreichender Unterscheidungskraft wie Unternehmenskennzeichen Schutz gegen Verwechslungsgefahr ab dem Tag der ersten In­ benutzungnahme. Titelschutzanzeigen in einschlägigen Publikationsorganen sind ein übliches Mittel, um die Inbenutzungnahme auf einen Zeitpunkt vor dem erstmaligen Erscheinen des Zeitungs- oder Zeitschriftentitels auf dem Lesermarkt vorzuverlegen. Das OLG hat in der einfachen Tätigkeit der Anzeigenschaltung, die in Parallele zur Anmel­ dung einer Firmenänderung im Handelsregister gesetzt wurde, eine Wahrnehmung fremder Interessen auf rein rechtlichem Gebiet gesehen. Daraus ergab sich der Unterlassungsanspruch aus § 1 UWG i. V. m. Art. 1 § 1 RBerG.

878

(e) BVerfG NJW 2007, 2391: Der Verfassungsbeschwerdeführer wandte sich gegen die Zahlung einer Geldbuße wegen Verstoßes gegen das RBerG. Er hatte eine Bürgerinitiative gegen die Beschilderung eines größeren Gebietes als Parkscheibenzone gegründet und verteilte „Anti-Strafzettel“ an PKW-Fahrer, die einen Verwarnungszettel erhalten hatten. Darin wurden detaillierte Hinweise zur Verteidigung gegen ein Bußgeldverlangen der Gemeinde mit einem Muster für einen Einspruch gegeben. Das BVerfG sah in der Auslegung des Anti-Strafzettels als rechtliche Beratung eine unzureichende Ausschöpfung des Sinngehalts und verwies auf das durch das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckte Vorgehen als Maßnahme des Bürgerprotests.

258

Marktregulierung durch das RDG ­|  § 34

II. Rechtsfolgen des Verbotsverstoßes Fehlt die Befugnis zur Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen, ist ein 879 gleichwohl geschlossener Geschäftsbesorgungsvertrag gem. § 134 BGB nichtig. Zur Durchsetzung des Verbotszwecks erfasst die Nichtigkeit auch eine dem Rechtsdienst­ leister erteilte Vollmacht einschließlich einer Prozessvollmacht gem. §§ 78 ff. ZPO mit den besonderen Auswirkungen auf Drittbetroffene.14 Gegen den unerlaubt tätigen Rechtsdienstleister kann unter den Voraussetzungen der 880 §§ 9 und 20 RDG durch eine Untersagungsentscheidung im objektiven Verletzungs­ verfahren oder durch Verhängung eines Bußgeldes vorgegangen werden. Effektiver ist der Erlass einer wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsentscheidung gem. §  3a UWG i. V. m. § 3 RDG15 im Verfahren der einstweiligen Verfügung oder im ordent­ lichen Verfahren. Damit ist die Vollstreckung gem. § 890 ZPO verbunden (s. dazu auch § 10, Rn. 213 ff.). Kasuistik: BGH NJW-RR 2016, 693: Die Beklagte schloss mit Versicherungsnehmern, die an ihren Verträ­ gen nicht mehr festhalten wollten, zwei alternativ angebotene Geschäftsbesorgungsverträge ab, nämlich entweder einen Kaufvertrag mit Abtretungsvereinbarung, durch den die Vertragsrech­ te des Versicherungsnehmers an die Beklagte übertragen wurden, oder einen Prozessbetreuungsvertrag. Der Prozessbetreuungsvertrag sah zwar vor, dass zwischen dem Versicherungs­ nehmer und einem Anwalt ein eigenständiges Mandatsverhältnis begründet werden sollte. Gleichwohl bejahte der BGH den Verstoß gegen § 3 RDG i. V. m. § 4 Nr. 11 UWG a. F. (jetzt: § 3a UWG), weil die Beklagte entscheidenden Einfluss auf die Anspruchsdurchsetzung hatte und der Anwalt der Sache nach als bloßer Erfüllungsgehilfe der Beklagten einzuordnen sei.

881

III. Verbotsfreie Betätigungen 1. Thematisch beschränkte Rechtsdienstleistungen Bestimmte Tätigkeiten fallen nicht unter das Verbot des § 3 RDG. Von vornherein 882 ausgeklammert werden die in § 2 Abs. 3 RDG aufgeführten Tätigkeiten, indem sie negativ als Nichtdienstleistung definiert werden. Dazu gehören u. a. die Erstattung wissenschaftlich begründeter Gutachten (Nr.  1), die Betätigung als Schiedsrichter oder als Entscheider in Schlichtungsstellen (Nr. 2), die Mediation und vergleichbare Formen alternativer Streitbeilegung (Nr. 4) und die Darstellung von Rechtsfragen in den Medien (Nr. 5). Immerhin musste unter der Geltung des RBerG die erlaubnisfreie publizistische Aufbereitung fiktiver Rechtsfälle in den Medien zur breiten Vermitt­ lung von Rechtskenntnissen erst erstritten werden.16 14 BGHZ 154, 283, 286 f.; BGH NJW-RR 2010, 67 Tz. 10. 15 Vgl. beispielhaft BGH GRUR 2012, 79 Tz. 12 (noch zu § 4 Nr. 11 UWG). 16 BVerfG NJW 2004, 672; BVerfG NJW 2004, 1855, 1856 f.; BGH NJW 2002, 2877 – Bürger­ anwalt; BGH NJW 2002, 2879 – Wie bitte?!; BGH NJW 2002, 2880 – WISO; BGH NJW 2002, 2882 – Wir Schuldenmacher; BGH NJW 2002, 2884 – Ohne Gewähr.

259

Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege 883

Rechtsdienstleistungen, die nur eine Nebenleistung zu einem anderen Berufs- oder Tätigkeitsfeld bilden, werden durch § 5 RDG freigestellt; sie müssen nach Inhalt und Umfang für die Erbringung der Haupttätigkeit erforderlich sein. Ausdrücklich bejaht das Gesetz dies für die Testamentsvollstreckung, die Haus- und Wohnungsverwal­ tung und die Fördermittelberatung. Zweck der Vorschrift ist es, diejenigen nicht in ihrer Berufsausübung zu behindern, die in einem nicht spezifisch rechtsdienstleisten­ den Beruf tätig sind, die aber wegen des sachlichen Zusammenhangs mit der Haupt­ tätigkeit und unter Berücksichtigung der dafür erworbenen Rechtskenntnisse die Nebenleistung erbringen können.17

884

Nicht unumstritten ist, ob die Erbringung von Rechtsdienstleistungen durch Ein­ schaltung eines Rechtsanwalts als Subunternehmer erlaubnisfrei ist. Der BGH hat dies verneint.18 Kasuistik:

885

(a) OLG Frankfurt GRUR 1993, 162: Ein Hausverwalter, der einen Vermieter im Rahmen der übertragenen Hausverwaltung, insbesondere auch bei dem Verlangen auf Mieterhöhung, rechtlich berät und vertritt, verstößt nicht gegen das RBerG i. V. m. § 1 UWG a. F. Solche Tätig­ keiten gehören zum anerkannten, herkömmlichen Berufsbild des Hausverwalters und sind erforderlich, um die eigentliche Hausverwaltertätigkeit sachgemäß auszuüben.

886

(b) OLG Bamberg NJW 1996, 854 f.: Der beklagte Abschleppunternehmer schleppte aufgrund vertraglicher Vereinbarung mit der Klinikenverwaltung der Universität Würzburg unerlaubt bzw. behindernd abgestellte PKW ab. Zur Erfüllung seiner Werklohnansprüche ließ er sich in einem Rahmenvertrag mit der Verwaltung die Erstattungsansprüche des Freistaates Bayern gegen die Kfz-Halter an Erfüllungs Statt abtreten. Das OLG bejahte eine erlaubnispflichtige Rechtsbesorgung.

887

(c) BGH NJW 1995, 3122 ff.: Der Kläger, ein als Energieberater selbständiger Diplomingeni­ eur, nahm die beklagte Stadt aufgrund eines Beratungsvertrages auf Honorarzahlung in An­ spruch. Gegenstand des Auftrags war die Überprüfung der von 1977 bis 2029 laufenden Konzessionsverträge der Stadt mit dem Energieversorgungsunternehmen RWE zwecks Erhöhung der Konzessionsabgabe. Die von ihm entworfenen Schreiben übernahm die Stadt im wesentli­ chen. Im Ergebnis führten die wechselvollen und nicht nur unter Einbeziehung des Klägers geführten Verhandlungen zu einer Erhöhung der Konzessionsabgabe. Der Honorarforderung, die vertragsgemäß als prozentualer Anteil des erwirtschafteten Erhöhungsanteils berechnet werden sollte, hielt die Stadt u. a. die Unwirksamkeit des Vertrages wegen Verstoßes gegen das RBerG entgegen. Der BGH sah den Vertrag gem. § 134 BGB als nichtig an, weil das Schwergewicht der Beratung nicht auf wirtschaftlichem, sondern auf rechtlichem Gebiet gelegen habe.

17 BGH GRUR 2016, 1189 Tz. 32 – Rechtsberatung durch Entwicklungsingenieur. S. auch – noch zum RBerG – BGH NJW 2007, 842 Tz. 20 (Prüfung u. a. der Wirtschaftlichkeit einer Architektenleistung unter Einbeziehung der Förderfähigkeit mit öffentlichen Mitteln). 18 BGH NJW 2008, 3069 Tz. 18; BGH NJW 2009, 3242 Tz. 23 f.; dem folgend OLG Düsseldorf GRUR-RR 2011, 8, 10; OLG Bremen NJW 2012, 81 (rechtspolitisch befremdlich); a. A. Kleine-Cosack NJW 2010, 1553 ff; Kleine-Cosack AnwBl 2017, 590, 591.

260

Marktregulierung durch das RDG ­|  § 34 (d) BGH ZIP 2012, 478: Der klagende Autovermieter verlangte von dem beklagten Kfz-Haft­ pflichtversicherer aus abgetretenem Recht des durch einen Verkehrsunfall geschädigten Mie­ ters Ersatz restlicher Mietwagenkosten. Der BGH bejahte entgegen der Vorinstanz die Wirk­ samkeit der Abtretung und damit die Aktivlegitimation. Die Abtretung sei bei unstreitigem Haftungsgrund durch § 5 RDG gedeckt (Tz. 15).

888

(e) BGH NJW-RR 2016, 1056 = GRUR 2016, 820 m. Bespr. Johnick GRUR 2016, 1135 ff. und Armbrüster ZIP 2017, 1 ff. (Aufhebung von OLG Köln GRUR-RR 2014, 292): Die beklagte Versicherungsmaklerin vermittelte Verträge an Versicherungsgesellschaften und befasste sich daneben im Auftrag der Versicherer mit Schadensregulierung. Ein von ihr vermitteltes Textil­ reinigungsunternehmen wurde wegen eines Schadensfalles von einem Kunden in Anspruch genommen. Die klagende Rechtsanwaltskammer beanstandete ein Schreiben der Beklagten an diesen Kunden, in dem unter Hinweis auf gerichtliche Entscheidungen nur eine reduzierte Zeitwertentschädigung angekündigt wurde. Der BGH bejahte zwar einen sachlichen Zusam­ menhang mit der Haupttätigkeit, verneinte aber, dass Schadensregulierung im Auftrage des Versicherers als Nebenleistung zum Tätigkeitsbild eines Versicherungsmaklers (§  59 Abs.  3 VVG) gehört; der Versicherungsmakler sei treuhänderischer Sachwalter des Versicherungs­ nehmers.

889

(f) BGH GRUR 2016, 1189 – Rechtsberatung durch Entwicklungsingenieur: Der Betreiber eines Ingenieurbüros meldete als Vertreter von Unternehmen deutsche und europäische Patente, Gebrauchsmuster und Marken an, ohne Miterfinder zu sein. Der BGH gewährte den Unter­ lassungsanspruch gem. § 3a UWG i. V. m. § 3 RDG. Die Richtlinie 2005/29/EG stand trotz ih­ rer Vollharmonisierung des lauterkeitsrechtlichen Verbraucherschutzes nicht entgegen, weil die Dienstleistungen gegenüber Unternehmern erbracht wurden und weil die Richtlinie spezi­ fische Regeln für reglementierte Berufe (wie die der Rechts- und Patentanwälte) zur Gewähr­ leistung strenger Integritätsstandards unberührt lässt. Im Verhältnis zur (Haupt-)Tätigkeit ei­ nes Entwicklungsingenieurs stelle die mit Erfüllung erheblicher rechtlicher Anforderungen verbundene Anmeldung gewerblicher Schutzrechte keine untergeordnete Nebenleistung i. S. d. § 5 RDG dar.

890

2. Altruistische Rechtsberatung Für die Anwendung des Verbots geschäftsmäßig erbrachter Leistungen auf der 891 Grundlage des RBerG sollte es unerheblich sein, ob die Beratung unentgeltlich erfolg­ te. Der pensionierte Braunschweiger OLG-Richter Kramer erstritt vor dem BVerfG, dass altruistische Dienstleistungen einschließlich der Prozessvertretung (dort: nach § 138 Abs. 2 StPO) unter Beachtung der Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG zu würdigen sei.19 Dem trägt §  6 Abs.1 RDG Rechnung und erlaubt unentgeltliche Rechtsdienstleistungen. Wegen der Beschränkung des sachlichen Anwendungsbe­ reichs des RDG auf außergerichtliche Leistungen bleibt die Entscheidung des BVerfG für Prozessvertretungen weiterhin bedeutsam. Insoweit ist allerdings § 79 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zu beachten, der das bürgerschaftliche Engagement in Form unentgeltlicher Vertretung ebenfalls erlaubt. Außerhalb enger persönlicher Beziehungen ist die Freistellung auf Personen beschränkt, die die notwendige Sachkunde besitzen, in der Regel also das Assessorexamen und damit die Befähigung zum Richteramt besitzen

19 BVerfG NJW 2004, 2662 und erneut NJW 2006, 1502 Tz. 23 ff.

261

Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege

(§ 6 Abs. 2 RDG).20 Bei sich nachträglich erweisender fehlender Qualifikation kann die Betätigung untersagt werden (§ 9 RDG); innerhalb enger persönlicher Beziehun­ gen kommt es darauf allerdings nicht an. Kasuistik:

892

OLG Oldenburg NJW 1992, 2438: Der Bußgeldbescheid legte dem Betroffenen zur Last, ge­ schäftsmäßig fremde Rechtsangelegenheiten dadurch besorgt zu haben, dass er für seine Mutter in drei Mietprozessen vor dem AG Osnabrück als deren Prozessbevollmächtigter auftrat. Die Rechtsbeschwerde gegen den Freispruch durch das AG hatte teilweise Erfolg, wenngleich im Ergebnis ein unvermeidbarer Verbotsirrtum bejaht wurde. Auch derjenige, der aufgrund einer engen verwandtschaftlichen oder sonstigen persönlichen Beziehung zu einem Dritten rechtsbesorgend tätig werde, sei nur dann von der Erlaubnispflicht befreit, wenn er infolge der engen Beziehung ein eigenes Interesse an der Entscheidung der Rechtsangelegenheit habe. Da­ für reiche die Mutter – Kind – Beziehung allein nicht aus. Vielmehr müssten eigene wirtschaft­ liche Interessen oder familiäre Beistandspflichten hinzutreten. Die Entscheidung ist wegen § 6 RDG heute überholt.

893

Unentgeltlichkeit bedeutet, dass auch kein Dritter für die Dienstleistung eine Vergü­ tung erhalten darf. Kasuistik:

894

OLG Hamburg VersR 2013, 1278: Der Beklagte war als ehemaliger Rechtsanwalt für einen befreundeten Rechtsanwalt tätig, der bei einem Unfall so schwer verletzt worden war, dass sein Betreuer die Bestellung eines amtlichen Vertreters beantragte. Bevor dies erfolgte, nahm der Beklagte in verschiedenen Zwangsvollstreckungssachen und Familiensachen Dienstleistun­ gen vor, die an den verunglückten Rechtsanwalt zu vergüten waren. Das OLG bejahte die Ent­ geltlichkeit. Offen blieb die streitige Frage, ob mit der 2008 erfolgten Neufassung des § 79 ZPO die Untervertretung durch nichtanwaltliche Kanzleimitarbeiter schlechthin ausgeschlossen ist, oder ob dies nur der Fall ist, wenn der Untervertreter faktisch weisungsunabhängig agiert.

895

Unter §  6 RDG kann auch die unentgeltliche Rechtsberatung durch Studenten der Rechtswissenschaft im Rahmen ihrer Ausbildung fallen, wenn die Beratung durch eine zum Richteramt befähigte Person angeleitet wird. Kasuistik:

896

OLG Brandenburg NJW 2015, 1122: Das OLG hat im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbar­ keit die Eintragung eines studentischen Vereins in das Vereinsregister abgelehnt, der die studentische Rechtsberatung gegenüber Nichtmitgliedern zum Satzungszweck erhoben hatte. Unrichtig hat das OLG § 7 RDG als lex specialis gegenüber § 6 RDG qualifiziert und in § 6 RDG zusätzlich materiell-rechtliche Anforderungen hineingelesen (Verschwiegenheitspflicht, Datenschutz, Vermeidung von Interessenkonflikten sowie – besonders absurd im Rahmen des § 6 – Umgang mit Mandantengeldern).

20 Dazu OLG Frankfurt WRP 2015, 1246, 1248 = GRUR-RR 2015, 474, 475.

262

Marktregulierung durch das RDG ­|  § 34

3. Interessenvereinigungen Vereinigungen zur Wahrnehmung gemeinsamer beruflicher oder anderer Interessen 897 sowie Genossenschaften und deren Prüfverbände oder ähnliche Einrichtungen sind gem. § 7 RDG erlaubnisfrei, wenn sie ihren Mitgliedern im Rahmen ihres satzungs­ mäßigen Aufgabenbereichs durch eine qualifizierte Person Rechtsdienstleistungen erbringen und diese Leistungen nicht die Oberhand gewinnen gegenüber den übri­ gen satzungsmäßigen Aufgaben.21 Die Leistung kann auch in einem Inkasso beste­ hen, so etwa bei ärztlichen Privatverrechnungsstellen; deren Sonderstellung gegen­ über registrierten Inkassodienstleistern ist rechtspolitisch fragwürdig, weil die Rechtsaufsicht ineffektiv ist. Kasuistik: (a) BGH NJW 1994, 1658  f.  – Genossenschaftsprivileg: Die beklagte GmbH ist eine 100%ige Tochter eines genossenschaftlichen Prüfungsverbandes i. S. d. § 54 GenG. Zu den satzungs­ mäßigen Aufgaben der Beklagten gehört u. a. die außergerichtliche Rechtsvertretung der Ver­ bandsmitglieder und der Beistand beim Inkasso von Geschäftsforderungen. Der BGH sah diese Tätigkeit durch das Genossenschaftsprivileg des § 3 Nr. 7 RBerG gedeckt an, der auch genossenschaftliche Prüfverbände vom Erlaubniszwang befreie. Die steuerrechtlich veranlass­ te Auslagerung der erlaubten Beratungstätigkeit auf eine vom Prüfverband gesellschaftsrecht­ lich voll beherrschte Tochter – GmbH entziehe diese nicht der Privilegierung.

898

Nicht gelten ließ der BGH im Ergebnis das Argument der klagenden Rechtsanwaltskammer, das RBerG diene nicht nur dem Verbraucherschutz, sondern solle auch die Belange der Rechts­ anwaltschaft wahren, die durch den im Rechtsverkehr entstehenden Eindruck beeinträchtigt würden, traditionelle Aufgaben der Rechtsanwälte dürften auch durch juristische Personen wahrgenommen werden. (b) BVerfG NJW 2007, 2389: Ein Verein zur Förderung des Berufsbildes der Heilpraktiker wandte sich im Interesse von zwei Patienten zweier Vereinsmitglieder an die private Kran­ kenversicherung der Patienten, um die abgelehnte Kostenerstattung durchzusetzen. Gefor­ dert wurde eine Übersendung der Gutachten, auf die der Versicherer die Erstattungsablehnung gestützt hatte und drohte die Erhebung einer Klage durch einen konkret benannten Anwalt an. Gestritten wurde um die medizinische Notwendigkeit der Heilbehandlung und die richtige Anwendung des Gebührenverzeichnisses der Heilpraktiker. Gegen das darauf gestützte Unter­ lassungsurteil wegen eines UWG-Verstoßes in Verbindung einem Verstoß gegen das RBerG wurde erfolgreich Verfassungsbeschwerde erhoben. Das BVerfG sah die Durchsetzung von Berufsinteressen der Verbandsmitglieder als durch Art. 2 Abs. 1 GG gedeckt an und verlangte eine Abwägung gegen die Schutzzwecke des RBerG.

899

4. Verbrauchervereinigungen und andere öffentlich anerkannte Stellen Aus dem Katalog der von § 8 RDG freigestellten öffentlichen oder öffentlich aner­ 900 kannten Stellen sind neben den Wohlfahrtsverbänden (Nr.  5) die öffentlich geför­ derten Verbraucherzentralen (Nr.  4) hervorzuheben. Auch für sie gilt, dass sie die Rechtsdienstleistung durch qualifiziertes Personal erbringen müssen. Wegen der Be­ schränkung des Geltungsbereichs des RDG auf außergerichtliche Rechtsdienstleis­ 21 Vgl. dazu BGH GRUR 2012, 79 Tz. 17 – Rechtsberatung durch Einzelhandelsverband.

263

Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege

tungen besteht bei der Prozesstätigkeit der Verbraucherverbände nach wie vor recht­ liche Unsicherheit. Dies gilt zwar nicht für die ausdrücklich von § 8 Abs. 2 Nr. 3 UWG oder § 3 Abs. 1 Nr. 1 und 4 UKlaG anerkannte Klagebefugnis, wohl aber für die ge­ meinschaftliche Geltendmachung abgetretener Forderungen als Sammelkläger (s. nachfolgend Rn. 903). § 79 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 ZPO gestattet nämlich nur im Parteipro­ zess, also vor dem Amtsgericht, dass Verbraucherverbände Forderungen von Ver­ brauchern einziehen. Kasuistik:

901

OLG Köln WRP 1996, 330 ff.: Die beklagte Verbraucherorganisation wurde auf Unterlassung der Rechtsbesorgung in Anspruch genommen, nachdem die Mitarbeiterin einer Beratungs­ stelle für eine Interessentin einen abwehrenden Brief an die Rechtsanwältin eines Fotoge­ schäftes geschrieben hatte. Die Interessentin hatte dort ein Fotoalbum zur Hand genommen, wobei mehrere weitere Alben zu Boden gefallen waren. Dafür verlangte der Geschäftsinhaber Ersatz in Höhe von 43,60 DM. In dem Antwortschreiben der Beratungsstelle wurde die Inter­ essenwahrnehmung unter Beifügung einer Vollmacht angezeigt. Das OLG sah den Aufgaben­ bereich der Verbraucherorganisation als überschritten an, da es nicht um spezifischen Ver­ braucherschutz gegangen sei; Art. 1 § 3 Nr. 8 RBerG sei daher nicht einschlägig.

5. Kollektive Rechtsdurchsetzung von Schadensersatzforderungen 902

Die EU-Kommission befürwortet für bestimmte Verletzungen von Unionsrecht die Schaffung von Regelungen über Kollektivschadensersatz, wie u. a. aus einer Empfeh­ lung der Kommission an die Mitgliedstaaten vom Juni 2013 hervorgeht.22 Zwar steht die deutsche Bundesregierung diesem Ansinnen zurückhaltend gegenüber, will aber doch ein kollektives Feststellungsverfahren schaffen.

903

Zahlungsklagen externer Kollektivkläger, die die Schadensersatzberechtigten reprä­ sentieren, die aber aus eigenem Recht der Kläger und in Verfolgung eigener Interes­ sen erhoben werden, stehen berechtigte Einwände entgegen.23 Rechtspolitisch un­ problematisch sind demgegenüber Forderungsabtretungen gleichartig Geschädigter an einen externen Rechtsträger zur gebündelten Anspruchsdurchsetzung. Die Rechts­ praxis bereitet diesem Vorgehen aber in Verkennung des rechtspolitischen Gesamtzu­ sammenhangs Hindernisse, die zumeist aus dem RDG hergeleitet werden. De lege lata gilt der kollektive Forderungseinzug als Inkassodienstleistung, sofern der neue Rechtsträger damit ein eigenständiges Geschäft betreibt (§ 2 Abs. 2 S. 1 RDG). Das ist  zumindest dann zu verneinen, wenn die Schadensersatzgläubiger im Wege der Selbstorganisation für die konkrete Rechtsdurchsetzung eine Rechtsverfolgungsge­ sellschaft24 gründen.25 § 7 Abs. 1 Nr. 1 RDG ist in diesen Sachverhalten in der Regel nicht hilfreich, weil es keine weiteren satzungsmäßigen Aufgaben gibt, die neben der Rechtsdurchsetzung vorrangig verfolgt werden. Kollektive Rechtsverfolgung mittels der Abtretungslösung sollte durch eine RDG-Änderung freigestellt werden. 22 Dok. 2013/396/EU, ABl. EU Nr. L 201 v. 26.7.2013 S. 60. 23 Näher dazu Ahrens WRP 2015, 1040, 1045 f. 24 Dazu Mann NJW 2010, 2391 ff. 25 Anders – zum RBerG – BGH NJW 2011, 2581 Tz. 12 ff.

264

Marktregulierung durch das RDG ­|  § 34 Kasuistik: (a) BGH NJW 1995, 516 – Girmes/Effecten-Spiegel (Vorinstanz OLG Düsseldorf ZIP 1993, 347; erfolglose Verfassungsbeschwerde BVerfG NJW 2000, 1251) mit Besprechung Gehrlein NJW 1995, 487 ff.: Beklagt war der Herausgeber der Börsenzeitschrift Effecten-Spiegel, die sich als Organ zur Wahrung von Kleinaktio­närsinteressen versteht. Klägerin war eine als eingetragener Ver­ ein agierende Schutz­gemeinschaft der Kleinaktionäre. Der Beklagte hatte sich die Stimmrechtsvertretung von Kleinaktionären für eine außerordentliche Hauptversammlung der vom Konkurs bedrohten Girmes AG übertragen lassen und mittels seiner Sperrminorität das schon publizistisch bekämpfte geplante Sanierungskonzept, nämlich die Herabsetzung des Grundkapitals, zu Fall gebracht. Für den durch den Konkurs entstandenen Aktionärsverlust wurde nunmehr Schadensersatz begehrt. Der klagende Verein sollte das Prozessrisiko tragen und machte die zur Einziehung an ihn abgetretenen Schadensersatzansprüche von Mitglie­ dern und Nichtmitgliedern im eigenen Namen geltend. Das wirtschaftliche Interesse verblieb aber bei den Aktionären, an die die erfolgreich erlangten Schadensersatzbeträge auszukehren waren. Das OLG hatte die Prozessführungsbefugnis des klagenden Vereins verneint. Der BGH hat die Revision nicht angenommen, jedoch die Klage wegen fehlender Aktivlegitimation als unbegründet statt als unzulässig abgewiesen, weil die Forderungsabtretung wegen Verletzung des RBerG gemäß § 134 BGB nichtig gewesen sei. Eine behördliche Erlaubnis zur Rechtsbesor­ gung war nicht nach Art. 1 § 7 RBerG entbehrlich, da es sich bei den vertretenen Kleinaktio­ nären nicht um eine berufsständische oder ähnliche Gruppierung handelte; der Besitz von Aktien ist eine Anlageform, nicht aber eine berufsspezifische Eigenschaft.

904

(Im Parallelverfahren eines einzelnen Aktionärs, BGHZ 129, 136, 172 = NJW 1995, 1739, ist die Treuepflicht von Minderheitsaktionären gegenüber Mitaktionären und die Möglichkeit der Haftung für treuwidriges Verhalten u. a. nach § 826 BGB bejaht worden.) (b) BGH NJW 2007, 593: Für Verbraucherschutzverbände ohne Inkassoerlaubnis hat der BGH – gestützt auf eine weite Auslegung des Art. 1 § 3 Nr. 8 RBerG – eine Befugnis zur Erhe­ bung von Sammelklagen aus abgetretenem Recht bejaht, vorausgesetzt sie seien effektiver als Individualklagen geschädigter Verbraucher, etwa wegen Nutzung aussagekräftiger und reprä­ sentativer Informationen oder wegen gründlicherer Ausschöpfung des Beweispotentials.26 An der grundsätzlichen Erlaubnispflicht hat der BGH freilich festgehalten.

905

(c) OLG Köln v. 11.3.2015 – 13 U 149/13, EWiR 2016 S. 191 (rkr.): Kapitalanleger hatten ein Geschädigtenkonsortium in der Rechtsform einer GbR gegründet, um gegen eine Sparkasse Ansprüche wegen fehlerhafter Anlageberatung geltend zu machen. Die behaupteten Ansprü­ che wegen Beteiligung an einem Immobilienfonds brachten sie in die GbR ein. Nach der Schadensquote sollten sich die Kostenbeiträge und die Erlösbeteiligung der Gesellschafter richten. Das Landgericht hatte den Gesellschaftsvertrag wegen § 3 RDG i. V. m. § 134 BGB als nichtig und die GbR als nicht parteifähig angesehen. Das OLG verneinte vor allem die Anwendung des § 2 Abs. 2 RDG, nämlich sowohl die Fremdheit der Forderung (trotz eigener Rechtssubjektivi­ tät der GbR) als auch das Vorliegen eines eigenständigen Geschäfts.

906

Anders das Ergebnis in BGH NJW 2011, 2581 Tz. 12 ff.

26 BGH NJW 2007, 593 Tz. 16 f.

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Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege

IV. Dienstleistung durch registrierte Personen 1. Rechtsbeistände für besondere Rechtsgebiete 907

Die Justizverwaltung kann natürlichen und juristischen Personen eine Erlaubnis zur Rechtsdienstleistung erteilen (§ 10 Abs. 1 RDG). Die Berechtigten werden gemeinhin als Rechtsbeistand bezeichnet. Die zulässigen offiziellen Berufsbezeichnungen sind § 11 Abs. 4 RDG zu entnehmen (Inkasso, Rentenberater).

908

Vor 1980 war die Erlaubnis gegenständlich unbeschränkt. Aufgrund der Neuregelung im RBerG wurde der Beruf des Vollrechtsbeistands geschlossen.27 Seither durfte die Erlaubnis nur noch in tatbestandlich abgestecktem Rahmen erteilt werden.28 Die alten Erlaubnisinhaber genießen aber Bestandsschutz. Natürliche Personen können als Vollrechtsbeistände gem. § 209 BRAO Mitglied einer Rechtsanwaltskammer sein.

909

Die Nachfolgeregelung des § 10 Abs. 1 RDG bezieht sich auf Inkassodienstleistungen (Nr. 1), auf Teilbereiche des Sozialversicherungsrechts (Nr. 2) sowie auf Rechtsbesor­ gung in einem ausländischen Recht und – mit weiteren Einschränkungen – im Recht der Europäischen Union und des EWR (Nr. 3). Die Erteilung der Erlaubnis darf nicht von einer Bedürfnisprüfung abhängig gemacht werden.29 2. Registrierungsverfahren, Sachkundenachweis a) Materielle Prüfungen

910

Die Erteilung der Erlaubnis für Inkassounternehmen und andere Rechtsbeistände er­ folgt in einem Registrierungsverfahren der nach Landesrecht als zuständig bezeichne­ ten Justizbehörde. Dort ist die besondere Sachkunde (§ 11 RDG) nachzuweisen (§ 12 Abs. 1 Nr. 2 RDG). Weitere Registrierungsvoraussetzungen sind gem. § 12 Abs. 1 Nr. 1 RDG persönliche Eignung und Zuverlässigkeit, also typische gewerberechtliche An­ forderungen. Nachgewiesen werden muss zudem der Abschluss einer Berufshaft­ pflichtversicherung mit einer Mindestversicherungssumme von 250 000 Euro für je­ den Versicherungsfall (§ 12 Abs. 1 Nr. 3 RDG). b) Aufsichtsmaßnahmen der Justiz

911

Das Registrierungsverfahren dient zugleich der fortlaufenden Kontrolle zur Einhal­ tung der Anforderungen des RDG. Die zuständige Justizbehörde kann Auflagen er­ teilen oder den Betrieb des Unternehmens untersagen (§ 13 Abs. 2 RDG) oder sie kann die Registrierung widerrufen, wenn die Erteilungsvoraussetzungen nicht mehr gegeben sind (§ 14 RDG). 27 Zur Vereinbarkeit mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit (Art.  12  I GG) BVerfG NJW 1988, 545, 547. 28 Zur verfassungsrechtlich gebotenen Erweiterung auf das Teilgebiet der Versicherungs­ beratung BVerfG NJW 1988, 543 ff. 29 BVerwGE 2, 85 = NJW 1955, 1532.

266

Marktregulierung durch das RDG ­|  § 34

c) Bußgeldtatbestände Die Registrierungsbehörde ist zuständig für die Verhängung von Bußgeldern bis zu 912 einer Höhe von 50 000  Euro, wenn Registrierungserfordernisse oder nachträgliche Auflagen nicht erfüllt sind (§ 20 RDG). 3. Inkassodienstleistungen a) Begriffsdefinition Besondere praktische Bedeutung hat das Registrierungsverfahren für Inkassounter­ 913 nehmen. Wann der Einzug von Forderungen eine Rechtsdienstleistung darstellt, de­ finiert § 2 Abs. 2 RDG. Der Forderungseinzug muss als eigenständiges Geschäft be­ trieben werden und entweder eine formell oder wirtschaftlich fremde Forderung betreffen. Formal fremd bleibt die Forderung beim Einzug aufgrund einer Inkasso­ vollmacht oder einer Inkassoermächtigung. Kritischer zu betrachten sind Forderun­ gen, die zwar formal abgetreten worden sind und deshalb dem Inkassogläubiger zu­ stehen, die jedoch auf fremde Rechnung eingezogen werden. Das ist der Fall, wenn der Inkassounternehmer das Bonitätsrisiko des Schuldners auf den Zedenten abwäl­ zen kann, indem er bei Uneinbringlichkeit der Forderung beim Zedenten aufgrund von Rückabwicklungsklauseln oder Garantiepflichten wirtschaftlich Rückgriff neh­ men kann.30 Dieser Sachverhalt wird vom RDG erfasst. Anders ist nur der echte Forderungskauf zu beurteilen, wie er beim echten Factoring gegeben ist. Ebenfalls ausgenommen ist die verdeckte Sicherungszession. Damit der weiterhin zum Forde­ rungseinzug berechtigte Altgläubiger nicht mit dem RDG kollidiert, gilt ihm gegen­ über die abgetretene Forderung nicht als fremd (§ 2 Abs. 2 S. 2 RDG). b) Schutzbedarf, Informationspflichten aa) Überhöhte Beitreibungskosten Vorkommen und Abwicklung von Inkassodienstleistungen weisen eine große soziale 914 und wirtschaftliche Bandbreite auf. Unter den Schuldner befinden sich häufig Perso­ nen, die ihre finanziellen Verpflichtungen nicht ordnen können, sich dann aber auch nicht gegen Übervorteilungen unseriöser Inkassounternehmen bei der Berechnung von Nebenforderungen wegen Verzugs mit der Hauptforderung zur Wehr setzen und die Übervorteilungen unter Umständen nicht einmal erkennen. Die Verschärfung der Aufsichtsmaßnahmen durch die Reform des RDG von 2013 sollte Missständen be­ gegnen. Sie scheint aber im Hinblick auf die Berechnung überhöhter Beitreibungs­ kosten nicht viel genützt zu haben.31

30 BGH NJW 2012, 2435 Tz. 27; BGH NJW 2013, 59 Tz. 14 und 18 f.; BGH WM 2013, 1559 Tz. 3 f.; BGH NJW 2014, 847 Tz. 18; BGH NJW 2015, 397 Tz. 7. 31 Instruktiv dazu Jäckle NJW 2016, 977 ff.

267

Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege

bb) Schuldnerinformation 915

Teil  der Schutzmaßnahmen in der RDG-Novelle von 2013 war die Einfügung des §  11a RDG. §  11a RDG begründet verschiedene Informationspflichten gegenüber Schuldnern, die von dem Forderungseinzug als natürliche Personen außerhalb ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Sphäre betroffen sind. Mit dieser Norm soll Transparenz beim Forderungseinzug gewährleistet werden.32 Ermöglicht wer­ den soll die Abwehr der Durchsetzung zweifelhafter Forderungen, deren Eintreibung mangels Informationen über Auftraggeber, Forderungsgrund und Nebenkosten bei verunsicherten Privatpersonen zu unbegründeten Zahlungen führen kann.33 Selbst die Schlüssigkeitsprüfung im gerichtlichen Verfahren stellt nach Einschätzung des Gesetzgebers häufig kein Korrektiv dar.34

916

Der Gesetzgeber hat zur Beschreibung der relevanten Schuldner den Begriff „Pri­ vatperson“ verwendet. Dieser Begriff deckt sich weitestgehend mit dem Begriff des Verbrauchers i. S. d. § 13 BGB. Die sprachliche Abweichung beruht darauf, dass auch Privatpersonen geschützt werden sollen, gegen die Forderungen aus einem nichtge­ schäftlichen Kontakt erhoben werden.35 Es handelt sich aber gleichwohl um die Ge­ währleistung von Verbraucherschutz.36 cc) Geheimhaltungsinteressen des Schuldners

917

Freiberufler wie z. B. Ärzte, die als Gläubiger der einzuziehenden Honorarforderung einer Schweigepflicht unterliegen, dürfen ihre Forderungen nicht ohne Zustimmung der Patienten zum Inkasso an Dritte übergeben. Dasselbe gilt für Rechtsanwälte (§ 49b Abs. 4 S. 2 BRAO). Für Anwälte erlaubt allerdings § 49b Abs. 4 S. 1 BRAO die Abtretung von Vergütungsforderungen oder die Übertragung zur Einziehung an an­ dere Rechtsanwälte, die dann ihrerseits in gleichem Maße wie der beauftragte Rechts­ anwalt der Verschwiegenheitspflicht unterliegen (§  49b Abs.  4 S.  4 BRAO; s. dazu oben § 26, Rn. 512). Eine vergleichbare Regelung enthält § 64 Abs. 2 StBerG für Steu­ erberater. Im Rahmen dieser gesetzlichen Regelungen ist die Einwilligung der Man­ danten nicht erforderlich.37 c) Vergütung registrierter Inkassodienstleister

918

Welche Kosten registrierte Inkassodienstleister berechnen dürfen, regelt das Einfüh­ rungsgesetz zum RDG. Die Vergütung richtet sich grundsätzlich nach dem RVG (§ 4 Abs.  1 RDGEG). Sie ist dem Gläubiger beim Einzug nichttitulierter Forderungen gem. § 4 Abs. 5 S. 1 RDGEG bis zur Höhe der einem Rechtsanwalt zustehenden Ge­ bühren vom Schuldner zu erstatten. Durch RechtsVO sollten auf der Ermächtigungs­ 32 RegE zum Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken, BT-Drucks. 17/13057 S. 11. 33 RegE zum Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken, BT-Drucks. 17/13057 S. 17. 34 RegE zum Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken, BT-Drucks. 17/13057 S. 17. 35 RegE zum Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken, BT-Drucks. 17/13057 S. 19. 36 Vgl. RegE zum Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken, BT-Drucks. 17/13057 S. 9. 37 BVerwG NJW 2013, 327 Tz. 23 (zu § 64 II StBerG).

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Marktregulierung durch das RDG ­|  § 34

grundlage des § 4 Abs. 5 S. 2 RDGEG Gebührenhöchstsätze festgelegt werden, die der Gläubiger von einer Privatperson als Schuldner maximal verlangen darf. Eine ent­ sprechende VO ist wegen verfassungsrechtlicher Bedenken nicht erlassen worden;38 mit der BRAO-Novelle 2017 ist die Verordnungsermächtigung aufgehoben wor­ den.39 Voraussetzung einer Erstattung des dem Rechtsdienstleister zu zahlenden Honorars ist im Übrigen jedoch, dass überhaupt ein materiell-rechtlicher Erstat­ tungsanspruch unter dem Gesichtspunkt des Verzugsschadensersatzes besteht. Nicht nur dieses Erfordernis handhaben die Inkassodienstleister in ihrer gerichtlich weitge­ hend unkontrollierten Praxis offenbar großzügig zu ihren Gunsten; sie scheinen auch die Tatbestandsvoraussetzungen des Vergütungsverzeichnisses zum RVG zu ignorie­ ren.40 4. Inkassoanwälte Werden Inkassodienstleistungen von Rechtsanwälten erbracht, haben sie gem. § 43d 919 BRAO dieselben Informationspflichten zu erfüllen wie die nach § 10 RDG registrier­ ten Rechtsdienstleister aufgrund der Regelung des § 11a RDG; die Normzwecke sind identisch.41 Die vom Gesetzgeber aufgestellten Informationspflichten über Gläubi­ ger und Zusammensetzung der Forderungen sollten für einen seriösen Anwalt eine Selbstverständlichkeit darstellen. Völlig verfehlt ist die Bewertung, der Anwalt werde dadurch „zum Diener zweier Herren“ gemacht und die Verschwiegenheitspflicht wer­ de ausgehöhlt.42 5. Prozessvertretung Unter Geltung des RBerG war unsicher, ob Inkassounternehmen befugt sind, von 920 ihnen zur Einziehung erworbene Forderungen gerichtlich mit Hilfe eines Rechtsan­ waltes geltend zu machen. Das Thema wurde wechselvoll behandelt. Der BGH hat – in kaum verständlicher Abgrenzung zur Rechtsprechung des BVerwG43  – für die ordentliche Gerichtsbarkeit Klarheit geschaffen und die Befugnis zur gerichtlichen Geltendmachung – u. a. unter Hinweis auf nicht näher spezifizierte verfassungsrecht­ liche Bedenken (Art.  14 GG, Art.  12 Abs.  1 GG)  – be­jaht.44 Faktisch bestand An­ waltszwang vor dem Amtsgericht, denn zur Vermeidung einer unerlaubten Rechtsbe­ ratung musste sich das Inkassounternehmen beim Forderungseinzug auch dort anwaltlich vertreten lassen.

38 RegE der BRAO-Novelle 2017, BR-Drucks 431/16 v. 12.8.2016, S. 261; Bundesregierung zu einer kleinen Anfrage, BT-Drucks. 18/11714 S. 2. 39 Dazu RegE BR-Drucks. 431/16 S. 261 f. 40 Dazu Jäckle NJW 2016, 977 ff. 41 RegE zum Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken, BT-Drucks. 17/13057 S. 12. 42 So Härting AnwBl. 2013, 879. Ähnlich die Stellungnahmen von DAV und BRAK, vgl. den Bericht von Wagner AnwBl. 2014, 912. 43 BVerwG NJW 1991, 58. 44 BGH (XI.ZS) NJW 1994, 997, 998 f. und NJW 1996, 393.

269

Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege 921

Das Auftreten der Inkassounternehmen als Kläger wurde parallel zur Schaffung des RDG durch § 79 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 S. 2 Nr. 4 ZPO klar geregelt. Parteien, die eine abgetretene Geldforderung zum Zwecke der Einziehung auf fremde Rechnung gel­ tend machen, müssen sich auch im Parteiprozess grundsätzlich durch einen Rechts­ anwalt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Sie sind als registrierte Inkassodienst­ leister jedoch ausdrücklich befugt, im Mahnverfahren bis zur Abgabe an das Streitgericht und im Vollstreckungsstadium außerhalb streitiger Verfahren die Forde­ rung zu verfolgen. Kasuistik:

922

(a) OLG Köln (19.ZS) VersR 1991, 1076 f.: Die X-Bank hatte dem Beklagten ein Darlehen ge­ währt. Nach erfolglosem Rückzahlungsbegehren trat die Bank alle derzeitigen und zukünfti­ gen Ansprüche aus dem Ratenkreditvertrag zum Forderungseinzug – also nicht etwa an Erfül­ lungs statt – an das klagende Inkassounternehmen ab, das den Darlehensrückzahlungsanspruch nach Fehlschlag einer Tilgungsvereinbarung im eigenen Namen gerichtlich geltend machte. Das Gericht sah die Klage mangels Prozessführungsbefugnis als unzulässig an. Das Inkassoun­ ternehmen habe nach Art. 1 § 1 Abs. 1 Nr. 5 RBerG die abgetretene Forderung nur außerge­ richtlich geltend machen dürfen. Zur Prozessführung sei es auch nicht unter zusätzlicher Beauftragung eines Rechtsanwaltes befugt gewesen. Das RBerG bezwecke neben dem Schutz der Allgemeinheit vor unzuverlässigen Rechtsberatern und unqualifizierter Beratung auch den Schutz davor, dass die Prozessführung wesentlich durch geschäftliche Interessen und ein über­ steigertes Gewinnstreben von Inkassogesellschaften bestimmt werde, das über die normale Risikobereitschaft von Mandanten und Anwälten hinausgehe. Es liege nahe, dass ein Inkas­ sounternehmen aus Gewinnstreben Forderungen gerichtlich geltend mache, die die anonym bleibende Partei selbst nicht ausklagen würde.

923

(b) OLG Köln (20.ZS) VersR 1994, 197 f.: Wiederum ging es um die gerichtliche Geltendmachung einer Forderung durch ein zur außergerichtlichen Einziehung befugtes Inkassounternehmen unter Einschaltung eines Anwalts. Das Gericht hat mit der Entstehungsgeschichte der Norm argumentiert, die erst seit 1980 eine Beschränkung auf „außer­ge­richt­liche“ Tätigkeit von Inkassounternehmen vorsieht. Vor der Neufassung sei nur der unmittelbare Verkehr des Inkassobüros mit Gerichten, nicht aber die gerichtliche Anspruchsverfolgung unter Einschal­ tung eines Rechtsanwalts untersagt gewesen. Eine Absicht zum Entzug der bis dahin unbestrit­ tenen Prozessführungsbefugnis war nicht erkennbar. Einen Konflikt mit Schutzzwecken des RBerG hat das Gericht verneint. Das zugelassene Inkassounternehmen dürfe bereits im Rah­ men seiner außergerichtlichen Rechtsverfolgung Verfügungen über die Forderungen treffen, also z. B. Ratenzahlung oder Erlass vereinbaren. Die gerichtliche Geltendmachung vergrößere diesen Einfluss nicht. Ebenso wenig bestehe die Gefahr unzureichender Informierung des An­ walts durch die Zwischenschaltung des Inkassounternehmens, das dem Anwalt den Sachver­ halt aus zweiter Hand liefere.

V. Grenzüberschreitende Rechtsdienstleistungen 924

Rechtsdienstleistungen werden auch grenzüberschreitend erbracht. Insbesondere für Inkassounternehmen ist dies eine Versuchung, den Anforderungen des territorial auf Deutschland beschränkten RDG auszuweichen (s. zuvor Rn. 863). Die räumliche Ab­ grenzung des Geltungsbereichs regelt seit der Reform des RDG von 2017 dessen § 1 270

Marktregulierung durch das RDG ­|  § 34

Abs.  2. Rechtsdienstleistungen, die von Nichtanwälten aus dem Ausland erbracht werden, ohne dass sich der Dienstleister nach Deutschland begibt, werden nur dann noch vom RDG erfasst, wenn Gegenstand der Dienstleistung deutsches Recht ist.45 Die Neuregelung will nicht sämtliche rein schriftlichen Tätigkeiten freigeben, die 925 vom Ausland her erbracht werden.46 Inkassodienstleister sollen gegenüber inländi­ schen Schuldnern grundsätzlich die Informationspflichten des § 11a RDG erfüllen.47 Nicht sachgerecht war das im Regierungsentwurf enthaltene doppelt einschränkende 926 Kriterium, wonach von der Dienstleistung ein Rechtsverhältnis zwischen Auftragge­ ber und einer „anderen Person oder Stelle“ – gemeint gewesen sein dürfte eine deut­ sche Behörde wie z. B. das Finanzamt, dem gegenüber eine Steuererklärung durch einen im Ausland ansässigen Steuerberater abgegeben wird48 – betroffen sein muss­ te und dieses Rechtsverhältnis dem deutschen Recht unterfallen musste. Auch wenn in den Inkassofällen das Rechtsverhältnis des Gläubigers zu seinem Schuldner nach den maßgeblichen IPR-Regeln, also vor allem der ROM I-VO, nicht dem deutschen Recht, sondern einem ausländischen Sachstatut folgt, bedarf der im Inland ansässige Schuldner des Schutzes; es darf nur auf die Ansässigkeit des Schuldners im Inland oder die Prozessführung in Deutschland ankommen. Ob die Neufassung des §  1 Abs. 2 RDG durch den Rechtsausschuss insoweit eine Änderung erbracht hat, ist sehr ungewiss. Die gelegentliche Erbringung einzelner Dienstleistungen aus dem Ausland im Inland 927 regelt § 15 RDG, der 2017 neu gefasst worden ist (s. zur territorialen Reichweite auch §  40, Rn.  1057). Dieser Sachverhalt muss der Dienstleistungsfreiheit des Art.  56 AEUV Rechnung tragen. Konkretisierendes sekundäres Unionsrecht gibt es dazu nur sehr begrenzt. Die Richtlinien über die Dienstleistungsfreiheit und die Niederlas­ sungsfreiheit der Rechtsanwälte mit den Umsetzungen im EuRAG sind für andere Rechtsdienstleister nicht einschlägig. Der Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit des Art. 56 AEUV kann gerechtfertigt sein. 928 Für das RBerG hat der EuGH bereits in der Rechtssache „Reisebüro Broede“ aner­ kannt, dass der Schutz der Mandanten und der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege rechtfertigende Gründe des Allgemeininteresses sind.49 Für den Schutz der Schuld­ ner von einzuziehenden Forderungen kann nichts anderes gelten.

45 Fassung der Norm durch den Rechtsausschuss abweichend vom RegE; BT-Drucks. 18/11468 v. 21.3.2017. Zum Kollisionsrecht des RDG in der Fassung des RegE näher Ahrens Festschrift Geimer II (2017), S. 1, 7 ff. 46 Begründung zu § 1 RegE-RDGÄndG, BR-Drucks. 431/16 S. 244 unter b aa. 47 Begründung zu § 1 RegE-RDGÄndG, BR-Drucks. 431/16 S. 244 unter b bb. 48 So der Fall EuGH v. 17.12.2015 – Rs. C-342/14 – X-Steuerberatungsgesellschaft/Finanzamt Hannover Nord, NJW 2016, 857, der den Anlass für die Regelung bildete. Die Entschei­ dung ist zu §  3a StBerG ergangen, dessen Konstruktion derjenigen des §  15 RDG ent­ spricht. 49 EuGH v. 12.12.1996 – Rs. C-3/95, Slg. 1996, I-6511 Tz. 36 – Reisebüro Broede/Sandker; dazu Schlussantrag des Generalanwalts Fennelly Tz. 28 und 30.

271

Teil 4 ­|  Der Rechtsanwalt im System der Rechtspflege 929

Die nationalen Rechtfertigungsgründe sind ihrerseits durch das unionsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip begrenzt. Betroffen ist davon die Forderungseinziehung nach Anspruchsabtretung an einen Kollektivkläger. Die Geltendmachung von Scha­ densersatzforderungen aus unerlaubter Handlung z. B. wegen Bildung eines Preiskar­ tells darf nicht wegen eines angeblichen Erfordernisses der Sicherung eines eventuel­ len Prozesskostenerstattungsanspruchs als nichtig bewertet werden, wie es das OLG Düsseldorf getan hat.50 Die Nichtigkeit der Zession ist eine überschießende Sankti­ on; ersatzweise kommt als milderes Mittel die Einräumung eines Erstattungsan­ spruchs gegen den oder die tatsächlichen Rechtsträger in Betracht.51

50 OLG Düsseldorf JZ 2015, 726 Tz. 115 ff. m. Anm. Armbrüster = NZKart 2015, 201, 204 m. Bespr. Hempel NJW 2015, 2077 ff. 51 So zutreffend Stadler JZ 2014, 613, 621.

272

Teil 5 Verfassungsrecht, EMRK, Unionsrecht § 35 Rechtspflegenormen in GG, EMRK und GRCh

I. Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . 930

II. EMRK 1. Schutz der Mandanten, Schutz der Anwälte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 932 2. Rechtsprechung des EGMR a) Berufliche Äußerungen des Anwalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 935 b) Werbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 936

c) Kanzleidurchsuchung, Beschlagnahme, Überwachung der ­Kommunikation . . . . . . . . 937 d) Disziplinarmaßnahmen, Schutz vor Beiordnung . . . . . 941 e) Recht auf ein faires Verfahren, Recht auf Verteidigung . . . . . 944 III. Grundrechtecharta der EU . . . . 947

I. Grundgesetz Normen des GG befassen sich – von der Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeit 930 abgesehen (konkurrierende Zuständigkeit des Bundes, Art.  74 Abs.  1 Nr.  1 GG)  – nicht expressis verbis mit dem Rechtsanwalt, anders als mit der rechtsprechenden Gewalt. Sie wird durch Art. 92 GG den Richtern anvertraut, deren Unabhängigkeit durch Art. 97 GG gesichert wird. Vereinzelt wird in der verfassungsrechtlichen Ver­ bürgung des rechtlichen Gehörs zugleich eine institutionelle Garantie der unabhän­ gigen Rechtsanwaltschaft gesehen, weil ihre Mitwirkung Voraussetzung funktionie­ render Rechtspflege sei.1 Dem ist das Bundesverfassungsgericht zu Recht nicht gefolgt.2 Das Justizgrundrecht des rechtlichen Gehörs würde sonst zur Grundlage einer Zwangsbeteiligung der Anwaltschaft an staatlichen Verfahren ausgeformt, was zwar für die Anwaltschaft eine wirtschaftlich interessante Argumentationsfigur ist, aber auch den Interessenstandpunkt verdeutlicht. Ungeachtet des Schweigens des Grundgesetzes besteht in Rechtsprechung und Lehre 931 darüber Übereinstimmung, dass Stellung und Tätigkeit des Rechtsanwalts durch ver­ schiedene Bestimmungen auch verfassungsrechtlich abgesichert sind.3 Dazu ist eine Vielzahl von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ergangen, die teils eigene Rechtspositionen des Anwalts, teils Rechtspositionen seines Mandanten betra­ fen. Sie befassen sich sowohl mit berufsrechtlichen Fragen als auch mit der Stellung 1 Krämer NJW 1995, 2313, 2316 f. unter Berufung auf Adolf Arndt in NJW 1959, 6 ff. und 1297  ff., in der Argumentation dann jedoch sogleich auf das Rechtsstaatsprinzip auswei­ chend. 2 BVerfGE 31, 364, 370; BVerfGE 54, 100, 117 = NJW 1980, 1943. 3 Schier AnwBl. 1984, 410 ff. mit umfangreichen Nachweisen der Rechtsprechung.

273

Teil 5 ­|  Verfassungsrecht, EMRK, Unionsrecht

des Rechtsanwalts im gerichtlichen Verfahren.4 Dabei hatte die Bewältigung der Terrorismusprozesse in den 70er Jahren einen nicht unerheblichen Anteil am Ent­ scheidungsaufkommen.

II. EMRK 1. Schutz der Mandanten, Schutz der Anwälte 932

Wenn anwaltliches Verhalten fachgerichtlich kontrolliert wird, sind dabei nicht nur die Grundrechte des Grundgesetzes zu beachten, sondern auch die Normen der EMRK in ihrer Auslegung durch den EGMR. Wie bei Anwendung des Grundgesetzes ist zwischen dem Rechtsschutz des Anwalts aufgrund eigener Rechte und seinem mit­ telbaren Schutz als Reflex von Rechten des Mandanten zu unterscheiden. Die EMRK kann den Anwalt unmittelbar schützen, wenn er sich z. B. auf die Meinungsäuße­ rungsfreiheit (Art. 10 EMRK) oder den Schutz der Wohnung (Art. 8 EMRK), zu der die Geschäftsräume gezählt werden, stützt.

933

Die Rechtsvergleichung zeigt, dass das Recht auf anwaltliche Vertretung ganz über­ wiegend nur Teil des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs ist, so dass auf die Ge­ staltung des Verfahrens und seine Garantien abzustellen ist.5 In  Europa kennt le­ diglich Art. 24 Abs. 2 der spanischen Verfassung von 1978 ein allgemeines Recht auf den Beistand eines Anwalts.

934

Für den Bereich der Strafverteidigung legt Art. 6 Abs. 3 lit. c der Europäischen Men­ schenrechtskonvention (EMRK) fest, dass jeder Angeklagte das Recht zur Selbst­ verteidigung hat oder das Recht auf Beistand eines Wahlverteidigers bzw. mangels eigener Mittel auf Beistand eines im Interesse der Rechtspflege erforderlichen Pflicht­ verteidigers. Über den strafrechtlichen Bereich hinaus ergeben sich aus der Position des Mandanten Folgerungen aus Art. 6 Abs. 1 EMRK. 2. Rechtsprechung des EGMR a) Berufliche Äußerungen des Anwalts

935

Erklärungen des Anwalts im Verfahren unterliegen dem Gebot der Sachlichkeit (§ 28, Rn. 585 ff.). Sie müssen und dürfen aber auch in aller Deutlichkeit Kritik an Amts­ handlungen enthalten, ohne dass der Anwalt deshalb einer Disziplinarmaßnahme ausgesetzt ist. Der Anwalt genießt einen erhöhten Schutz für seine beruflichen Äuße­

4 Überblick bei Jarass/Pieroth GG, 14. Aufl. 2016, Art. 12 Rdn. 62-67 u. Art. 103 Rdn. 45 f.; Scholz in: Maunz/Dürig Art. 12 GG (Stand 2016) Rdn. 414; Schier Festschrift Ostler (1983), S. 76 ff. (ebenfalls in AnwBl 1984, 410 ff.). 5 Schwab/Gottwald Verfassung und Zivilprozess, in Habscheid (Hrsg.), Effektiver Rechts­ schutz und verfassungsmäßige Ordnung, S. 3, 46.

274

Rechtspflegenormen in GG, EMRK und GRCh  ­|  § 35

rungen in amtlichen Verfahren.6 Anwendbar ist Art. 10 EMRK aus der Position des Anwalts.7 In Betracht kommt aber auch eine Verletzung des Rechts des Mandanten auf ein faires Verfahren nach Art. 6 Abs. 1 EMRK. b) Werbung Werbung von Anwälten in Tageszeitungen ist an Art. 10 EMRK gemessen worden.8

936

c) Kanzleidurchsuchung, Beschlagnahme, Überwachung der ­Kommunikation Die Durchsuchung einer Anwaltskanzlei, die Beschlagnahme elektronisch gespei­ 937 cherter Dateien und die Telefonüberwachung unterliegen einer Kontrolle nach Art. 8 EMRK (s. auch § 26, Rn. 486 ff.).9 Kasuistik: (a) EGMR v. 3.7.2012, NJW 2013, 3081 – Robathin/Österreich: Im Zuge eines Strafverfahrens gegen einen Wiener Rechtsanwalt wegen des Verdachts schweren Diebstahls, Betrugs und Un­ treue zum Nachteil zweier Mandanten wurden die Kanzleiräume des Beschuldigten durch­ sucht. Die Daten aus der EDV-Anlage der Kanzlei wurden insgesamt auf Datenträger kopiert und anschließend versiegelt. In der richterlich angeordneten Entsiegelung (der Beschuldigte wurde wegen eines Teils der Verdachtsgründe verurteilt) sah die Rechtsanwalts­ kammer einen Eingriff in die berufliche Verschwiegenheitspflicht. Der EGMR bejahte wegen der Durchsuchung und der Beschlagnahme der elektronisch gespeicherten Daten eine Verlet­ zung des Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) und beanstandete, dass die Beschlagnahme über den Datenbestand hinausging, der die betroffenen Mandanten betraf.

938

(b) EGMR v. 3.9.2015, AnwBl 2015, 895 – Sérvulo Associados/Portugal: In der portugiesischen Anwaltskanzlei, deren Mitglied ein Ministerium bei einem U-Boot-Kauf beraten hatte, wur­ den wegen des Verdachts der Geldwäsche und des Insiderhandels fast 90.000 Computerdateien und 30.000 E-Mails beschlagnahmt, die anhand von 35 teils sehr weiten Suchbegriffen wie „Gegenleistung“ und „Finanzierung“ ausgeforscht worden waren. Der Ermittlungsrichter ordnete die Löschung von 850 Dateien an, die nicht im Zusammenhang mit den verdächtigen Personen standen. Der EGMR verneinte einen Verstoß gegen Art. 8 EMRK.

939

(c) EGMR v. 19.12.2006, NJW 2007, 3409 – Oferta Plus/Moldau: Die Beschwerdeführerin, ein staatliches Energieunternehmen, lag im Streit mit dem Finanzministerium wegen der Bezah­ lung importierter elektrischer Energie. Während eines gerichtlichen Verfahrens über die Er­ bringung der Finanzleistung durch den Staat, in dem die Beschwerdeführerin später erfolg­

940

6 EGMR v. 21.3.2002  – Rs. 31611/96  – Nikula/Finnland Tz.  46; EGMR v. 28.10.2003  – Rs. 39657/98  – Steur/Niederlande Tz.  36  ff., NJW 2004, 3317; EGMR v. 23.4.2015  – Rs. 29369/10 – Morice/Frankreich Tz. 132 ff., NJW 2016, 1563. 7 EGMR – Nikula/Finnland Tz. 44 ff. 8 So in der Entscheidung österr. VfGH JBl. 2008, 578, 579. 9 EGMR v. 16.10.2007 – Rs. 74336/01 – Wieser u. Bicos Beteiligungen/Österreich, NJW 2008, 3409 Tz. 45 ff.; EGMR v. 21.10.2010 – Rs. 43757/05 – Xavier Da Silveira/Frankreich; EGMR v. 10.2.2009 – Rs. 25198/02 – Iordachi/Moldau, NJW 2010, 2111; EGMR v. 27.4.2017 – Rs. 73607/13 – Sommer/Deutschland, AnwBl 2017, 666.

275

Teil 5 ­|  Verfassungsrecht, EMRK, Unionsrecht reich blieb, wurde gegen ihren Direktor ein Ermittlungsverfahren wegen Veruntreuung von Staatsvermögen geführt und der Direktor in Haft genommen. Der EGMR bejahte objektive Verdachtsmomente für die Befürchtung, dass die Kommunikation zwischen dem Häftling und seinem Verteidiger abgehört zu werden drohte und sah darin eine Verletzung des Art. 34 EMRK, der das Recht auf Individualbeschwerde garantiert.

d) Disziplinarmaßnahmen, Schutz vor Beiordnung 941

Droht ein Anwalt mit der Einschaltung der Bildzeitung, um den behaupteten Scha­ densersatzanspruch des Mandanten durchzusetzen, und wird er deshalb wegen Nöti­ gung verurteilt, liegt darin trotz der Offenheit des Rechtswidrigkeitsurteils (§  240 Abs. 2 StGB) kein Verstoß gegen Art. 6 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren), Art. 7 EMRK (keine Strafe ohne Gesetz) oder Art.  10 EMRK (Meinungsäußerungsfrei­ heit).10 Disziplinarverfahren im Anschluss an rechtskräftig abgeschlossene Strafver­ fahren verstoßen nicht gegen das Doppelbestrafungsverbot (Art. 4 Protokoll Nr. 7 zur EMRK).11 Wendet sich der Anwalt gegen den Ausspruch des Verbots einer weiteren Berufsausübung, erfolgt die Kontrolle des EGMR nach Art.  6 Abs.  1 EMRK unter dem Gesichtspunkt einer Streitigkeit über zivilrechtliche Ansprüche.12 Eine über­ mäßig lange Dauer des Disziplinarverfahrens verstößt gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK.13 Kasuistik:

942

(a) EGMR v. 15.12.2005, NJW 2006, 2901 – Kyprianou/Zypern: Während eines Kreuzverhörs, das der beschwerdeführende Anwalt als Verteidiger in einem Verfahren wegen Mordes durch­ führte, entspann sich über den Inhalt der Fragen ein Disput mit dem Gericht, der sich hoch­ schaukelte. Das Gericht verhängte gegen den Anwalt umgehend wegen Ungebühr vor Gericht (contempt of court) eine sofort vollzogene Haftstrafe von fünf Tagen. Der EGMR sah Art. 6 I EMRK als verletzt an. Ob der Schutz der Autorität des Gerichts durch das Recht zur Bestrafung wegen contempt of court in den Common Law-Systemen mit Art. 6 I EMRK vereinbar ist, ließ das Gericht offen, beanstandete aber die Eile des Strafgerichts in Verbindung mit den pro­ tokollierten, persönliche Betroffenheit erkennbar machenden Äußerungen der Richter. Zu­ gleich sah der EGMR das Recht der Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 10 EMRK) des Anwalts als verletzt an, das im Hinblick auf den Anspruch seines Mandanten auf ein faires Verfahren zu interpretieren sei. Die harte Strafe gegen den Anwalt sei unverhältnismäßig gewesen. S. dazu auch § 33 IV.

943

(b) EGMR v. 18.10.2011, NJW 2012, 3566 – Graciani-Weiss/Österreich: Der beschwerdeführen­ de Rechtsanwalt wurde gegen seinen Willen zum Sachwalter (Betreuer) einer geisteskranken Person mit dem Aufgabenbereich der Einkommensverwaltung und der Vertretung vor Behör­ den und Gerichten bestellt. Er sah darin eine unzulässige Zwangsarbeit i. S. d. Art. 4 EMRK. Der EGMR verneinte den Verstoß, weil die Wahl des Anwaltsberufs die angeordnete Übernah­ me von Sachwalterschaften umschlossen habe und der zugewiesene Aufgabenbereich nicht außerhalb der normalen Tätigkeit eines Anwalts gelegen habe. Eine Diskriminierung (Art. 14

10 EGMR v. 8.1.2009 – Rs. 18397/03 – Witt/Deutschland, NJW 2008, 2322. 11 EGMR v. 19.2.2013 – Rs. 47195/06 – Müller-Hartburg/Österreich, NJW 2014, 1791 Tz. 63. 12 EGMR NJW 2014, 1791 Tz. 39. 13 EGMR NJW 2014, 1791 Tz. 56 ff.

276

Rechtspflegenormen in GG, EMRK und GRCh  ­|  § 35 EMRK) gegenüber anderen Personen mit juristischer Ausbildung, jedoch ohne Anwalts- oder Notarzulassung, sei aus rechtfertigenden Sachgründen zu verneinen.

e) Recht auf ein faires Verfahren, Recht auf Verteidigung Art. 6 Abs. 1 EMRK gewährleistet dem Bürger ein faires Verfahren und berührt inso­ 944 weit mittelbar die Stellung des Rechtsanwalts. Dies gilt insbesondere für die Formu­ lierung von Pflichten im Umgang mit dem Gericht. Art. 6 Abs. 1 EMRK verpflichtet weder zur Gewährung von Prozesskostenhilfe in Zi­ 945 vilsachen noch zur Einrichtung eines Rechtsmittelzuges. Wenn aber beides im natio­ nalen Recht vorgesehen ist, muss eine Partei ihre Rechte effektiv nutzen können. Ein beigeordneter Rechtsanwalt ist zwar nicht verpflichtet, entgegen seiner Überzeugung von der fehlenden Erfolgsaussicht ein gerichtliches Verfahren zu beantragen oder ein Rechtsmittel einzulegen, muss den Mandanten aber so belehren, dass dieser nicht im Ungewissen über die Gründe bleibt, wenn die Rechtsprechung zur Zulässigkeit des Rechtsmittels Auslegungsschwierigkeiten und Widersprüche aufweist.14 Kasuistik: EGMR v. 21.1.1999, ÖJZ 1999, 737 – van Geysegham/Belgien: Die Angeklagte war wegen Ein­ fuhr von Kokain erstinstanzlich verurteilt worden. In der Berufungsinstanz blieb sie abwesend, war jedoch durch einen Verteidiger vertreten, der Verfolgungsverjährung geltend ma­ chen wollte. Das Auftreten des Verteidigers in Abwesenheit der Angeklagten wurde nicht zugelassen und das Rechtsmittel verworfen. Der EGMR sah darin den Entzug des Rechts auf Verteidigung und folglich eine Verletzung von Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK.

946

III. Grundrechtecharta der EU Art. 47 Abs. 2 S. 2 GRCh gewährleistet das Recht jeder Person, „sich beraten, vertei­ 947 digen und vertreten“ zu lassen. Der Berater muss nicht notwendig ein Rechtsanwalt sein, doch kann der zuständige Gesetzgeber diese Eingrenzung vorsehen, soweit sie erforderlich ist.15 Art. 47 Abs. 2 GRCh garantiert zudem ein faires Verfahren. Mittel­ bar wirken sich die zugunsten der Träger des Unionsgrundrechts bestehenden Ge­ währleistungen auf die Tätigkeit der Rechtsanwälte aus. Ergänzend kommt für Strafund Bußgeldverfahren Art.  48 Abs.  2 GRCh hinzu, der jedem Angeklagten die Achtung der Verteidigungsrechte garantiert, was im Einklang mit der textlich um­ fangreicheren Vorschrift des Art. 6 Abs. 3 EMRK zu interpretieren ist.

14 EGMR v. 22.3.2007, Rs. 59519/00 – Staroszczyk/Polen, NJW 2008, 2317 Tz. 125, 127, 133 und 135. Zum Vorwurf der Untätigkeit eines gerichtlich bestellten Verteidigers für einen Sicherungsverwahrten EGMR v. 9.5.2007  – Rs. 12788/04  – Homann/Deutschland, NJW 2008, 2320, 2321. Zur Störung des Vertrauens in diesen Fällen Lam/Meyer-Mews NJW 2012, 177 ff. 15 Jarass Grundrechtecharta, 2. Aufl. 2013, Art. 47 Rdn. 46.

277

Teil 5 ­|  Verfassungsrecht, EMRK, Unionsrecht 948

Die Rechtsposition der Rechtsanwälte selbst können die Unionsgrundrechte der Art. 7 (Schutz der Wohnung), Art. 11 Abs. 1 (Meinungsäußerungsfreiheit), Art. 15 Abs. 1 (Berufsfreiheit) und Art. 16 (Unternehmerische Freiheit) betreffen.

949

Zur Auslegung des Mindestgehalts der GRCh ist die Rechtsprechung des EGMR zu Normen der EMRK mit gleicher Bedeutung und Tragweite heranzuziehen (vgl. Art.  52 Abs.  3 GRCh). Die Rechtsprechung des EuGH hat sich vor Schaffung der GRCh bereits auf die EMRK gestützt. Kasuistik:

950

EuGH v. 26.6.2007 – C-305/05, NJW 2007, 2387: Die EU-Richtlinie zur Bekämpfung der Geldwäsche verpflichtet zur Unterrichtung von Behörden über Tatsachen, die Indiz für eine Geld­ wäsche sein könnten. Davon sind Rechtsanwälte begrenzt freigestellt, soweit sie nicht selbst Beteiligte sind. Ein belgisches Gericht wollte im Vorabentscheidungsverfahren geklärt sehen, ob die Richtlinie in Bezug auf verbleibende Pflichten der Rechtsanwälte wegen Verstoßes gegen Art. 6 I EMRK nichtig sei. Der EuGH sah durch den Umfang der Freistellung das Recht der Mandanten auf ein faires Verfahren als ausreichend gewährleistet an.

278

§ 36 Relevante Normen des GG

I. Rechtsstaatsprinzip als Grundlage freier Advokatur . . . 951

II. Freiheit der Berufswahl und Berufsausübung 1. Berufswahl a) Weite Auslegung des Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . 954 b) Zulassung zur Anwaltschaft . . 955 c) Justizverwaltungsakte der Bestellung von Anwälten für Rechts­pflegeaufgaben . . . . . . . 958 2. Berufsausübung a) Berufsausübungsrechte als Reflex von Mandantenbedürfnissen . . . . . . . . . . . . . . 961 b) Persönliche Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 962 c) Beschränkung der Verteidigerrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 964 d) Durchsuchung der Kanzlei, Telefonüberwachung . . . . . . . 966 e) Werbebeschränkungen . . . . . 967

f) Recht der Berufsausübungsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . 970 g) Beschränkung nichtanwaltlicher Tätigkeiten zur Vermeidung von Interessenkonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . 971 h) Vergütungsbegrenzungen . . . 972 i) Auslegung von Straftatbeständen . . . . . . . . . . . . . . . . . 973 III. Rechtspositionen des Mandanten mit Wirkung für den Anwalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 974 IV. Verfassungsrechtliche Ebenen des beruflichen Geheimnisschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 983 V. Sitzungspolizeiliche Maßnahmen 1. Ordnungsmaßnahmen . . . . . . . . 985 2. Sicherheitsvorkehrungen (­Durchsuchung der Person) . . . . 986

I. Rechtsstaatsprinzip als Grundlage freier Advokatur Der Anspruch natürlicher und juristischer Personen auf effektive Justizgewährung 951 wird gegenüber Hoheitsträgern auf Art. 19 Abs. 4 GG gestützt. Im Zivilprozess wird er aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleitet und führt über die Rüge einer Verletzung des Art. 2 Abs. 1 GG zur Möglichkeit einer Verfassungsbeschwer­ de.1 Die Grundrechtsträger sind zur Wahrnehmung ihrer Rechte auf die Beratung und 952 Vertretung durch unabhängige und qualifizierte Rechtskundige angewiesen, damit der Prozessstoff sachkundig gesichtet und aufbereitet den Gerichten und Behörden präsentiert wird.2 Damit dient der Rechtsanwalt nicht nur dem Individualinteresse seines Mandanten, sondern auch dem Allgemeininteresse an einer funktionstüchti­ gen Justiz, indem richterliche Arbeitskraft nicht unnötig gebunden wird.3 In die­ sem Rechtsstaatsbezug der anwaltlichen Tätigkeit findet die Qualifizierung des 1 BVerfGE 80, 103, 107. S. auch BVerfGE 39, 156, 163 (Recht auf Wahlverteidiger). 2 BVerfGE 63, 266, 284 – Anwaltszulassung; Gaier BRAK-Mitt. 2006, 2. 3 Ahrens ZZP 115 (2002), 281, 289 f., 296 ff.; Gaier BRAK-Mitt. 2006, 2, 3.

279

Teil 5 ­|  Verfassungsrecht, EMRK, Unionsrecht

Rechtsanwalts als unabhängiges Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO) ihre verfassungs­ rechtliche Rechtfertigung (s. oben § 3, Rn. 43 ff.).4 953

Auch wenn der Rechtsanwalt selbst aus dem Rechtsstaatsprinzip keine individuellen Rechte herleiten kann, zeigt dessen objektiv-rechtliche Bedeutung dennoch auch zu seinen Gunsten Wirkung bei der Interpretation des Grundrechts der Berufsfrei­ heit.5 Ebenso ergeben sich Reflexwirkungen aus den subjektiven Rechten des Man­ danten, soweit dieser Anspruch auf anwaltlichen Beistand geltend machen kann (dazu nachfolgend Rn. 976).

II. Freiheit der Berufswahl und Berufsausübung 1. Berufswahl a) Weite Auslegung des Art. 12 Abs. 1 GG 954

Zentrale Bedeutung kommt Art. 12 Abs. 1 GG zu, soweit es um die Freiheit der Be­ rufswahl geht.6 Die Berufswahlfreiheit ist nicht nur für fixierte überkommene Be­ rufsbilder gewährleistet, sondern nimmt deren Wandel und die Entwicklung neuer Betätigungen auf.7 b) Zulassung zur Anwaltschaft

955

Die Anwendung der Tatbestände, aus denen sich trotz grundsätzlicher Zulassungs­ freiheit ein Hindernis für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft oder ein Grund gegen den Fortbestand der Zulassung ergibt, ist an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen. Allerdings unterliegt die Zuwahl des Anwaltsberufs als Zweitberuf nur einer abgeschwächten Kontrolldichte. Dazu gibt es zahlreiche Entscheidungen des BVerfG (s. oben §  12, Rn. 240; § 17, Rn. 311 und 313).

956

Das früher in § 7 Nr. 3 BRAO enthaltene absolute und lebenslange Verbot der Wie­ derzulassung eines Anwaltsbewerbers, der gem. §§  114  Abs.  1 Nr.  5 BRAO wegen schuldhafter Verletzung seiner Berufspflichten aus der Rechtsanwaltschaft ausge­ schlossen worden ist, hat das BVerfG als Eingriff in die Berufswahlfreiheit für verfas­ sungswidrig gehalten. Sobald zu erwarten ist, dass der Bewerber keine Gefahr mehr für die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege darstellen wird, was im Zeitpunkt der Ausschlussentscheidung nicht auf Dauer prognostiziert werden kann, müsse ihm die Chance eines Neubeginns eröffnet werden.8

4 Ahrens ZZP 115 (2002), 281, 284 ff.; Gaier BRAK-Mitt. 2006, 2, 4 f. S. auch BVerfG NJW 2005, 1917, 1919. 5 BVerfGE 110, 226, 264 – Geldwäsche. 6 Schier AnwBl. 1984, 410, 413. 7 BVerfG NJW 2004, 2725, 2727. 8 BVerfGE 72, 51, 63 f.

280

Relevante Normen des GG  ­|  § 36

Die Freiheit der Berufswahl ist auch betroffen, wenn unter Verstoß gegen den Grund­ 957 satz der Verhältnismäßigkeit die Anwaltszulassung sofort zurückgenommen wird, weil der Anwalt der Pflicht zur Anbringung eines Praxishinweisschildes sowie zur Installation eines Telefonanschlusses als Bestandteil der Kanzleipflicht (§ 27 BRAO) nicht nachgekommen ist.9 Um diese Freiheit ging es schließlich, als die Nichtzulas­ sung auf den Versagungsgrund der Unwürdigkeit (§ 7 Nr. 5 BRAO) gestützt wurde und im Rahmen der Gesamtwürdigung das aktive Eintreten für eine verfassungs­ feindliche Partei nachteilig berücksichtigt wurde, obwohl es nicht den Tatbestand des strafbaren Bekämpfens der freiheitlich demokratischen Grundordnung (§  7 Nr.  6 BRAO) erfüllte. c) Justizverwaltungsakte der Bestellung von Anwälten für Rechtspflege­ aufgaben Die Betätigung als Insolvenzverwalter ist nicht mehr eine bloße Nebentätigkeit der 958 Berufsausübung von Rechtsanwälten, sondern sie ist zu einem spezialisierten eigen­ ständigen Beruf auf einem neuen Markt geworden (s. oben § 6, Rn. 136 ff.).10 Das BVerfG hat daher die Nichtberücksichtigung von Rechtsanwälten als Bewerbern um eine Insolvenzverwaltertätigkeit auf der Stufe vorgelagerter Auswahlverfahren, näm­ lich der Führung einer Insolvenzverwalterliste durch das Insolvenzgericht, als Ver­ stoß gegen die Berufswahlfreiheit gewertet; erzwungen wurde damit ein willkürfreies Vorauswahlverfahren.11 Damit wird aber nur eine faire Chance eröffnet, bei Eig­ nung selbst berücksichtigt zu werden,12 nicht jedoch ein Recht zur Anfechtung der späteren Bestellung eines Konkurrenten.13 Dem übergangenen Prätendenten bleibt allenfalls die Möglichkeit, einen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit dieses Justizverwaltungsaktes zu stellen (vgl. §§ 23 ff. EGGVG) oder eine Amtshaftungskla­ ge gem. Art. 34 GG, § 839 BGB zu erheben,14 um die pflichtgemäße Ausübung des richterlichen Auswahlermessens15 überprüfen zu lassen. Der Ausschluss juristischer Personen vom Amt des Insolvenzverwalters (§ 56 Abs. 1 959 S. 1 InsO) ist vom BVerfG als Verfolgung eines legitimen Zwecks angesehen worden, nämlich als Sicherstellung einer effektiven gerichtlichen Aufsicht über eine natürliche Person, die kontinuierlich im Interesse der Gläubiger und der Wahrung des Rechts­ friedens tätig wird, wodurch eine wirkungsvollen Zwangsvollstreckung bereitgestellt werde.16 In gleicher Weise wird man die Zugangschancen für Prätendenten der Bestellung 960 zum Berufsbetreuer zu organisieren haben. 9 BVerfGE 72, 26, 32 f. 10 BVerfG NJW 2004, 2725, 2727; BVerfG NJW 2016, 930 Tz. 33 ff. 11 BVerfG NJW 2004, 2725, 2727. 12 BVerfG NJW 2006, 1613 Tz. 31 und 43. 13 BVerfG NJW 2006, 2613 Tz. 47 f. 14 BVerfG NJW 2006, 2613 Tz. 57. 15 Vgl. dazu BVerfG NJW 2006, 2613 Tz. 31 und 40. 16 BVerfG NJW 2016, 930 Tz. 42 ff., 49 m. krit. Bespr. Kleine-Cosack ZIP 2016, 741 ff.

281

Teil 5 ­|  Verfassungsrecht, EMRK, Unionsrecht

2. Berufsausübung a) Berufsausübungsrechte als Reflex von Mandantenbedürfnissen 961

Die Freiheit der anwaltlichen Berufsausübung ist tangiert, soweit einem Anwalt Betä­ tigungen verwehrt oder Befugnisse entzogen werden, die nach dem Bilde des §  3 BRAO und des §  138 Abs.  1 StPO zu den anwaltlichen Berufsaufgaben gehören.17 Dabei werden diese Berufsaufgaben durch die Bedürfnisse der Mandanten in einem Rechtsstaat festgelegt; diese Bedürfnisse sind ihrerseits verfassungsrechtlich verbürgt und erlangen damit mittelbar Bedeutung für die Stellung des Anwalts. b) Persönliche Verantwortlichkeit

962

Straf- und zivilrechtlich darf nicht davon ausgegangen werden, dass ein Anwalt sich in seiner Funktion als Rechtsanwalt und Vertreter des Mandanten Informationen zu eigen macht, die er vom Mandanten erhalten hat und zu dessen Gunsten verbreitet. Unterlassungsansprüche gegen den Anwalt persönlich sind deshalb nicht begründet. Dies gilt auch dann, wenn der Anwalt erklärt, er halte Mandantenäußerungen für wahrheitsgemäß und zweifle nicht an der Glaubwürdigkeit.18

963

Umgekehrt stehen dem Anwalt seinerseits in der Regel keine Abwehransprüche zu gegen Äußerungen des gegnerischen Mandanten, soweit diese der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in einem schwebenden Gerichtsverfahren oder dessen kon­ kreter Vorbereitung dienen; damit soll dessen Recht auf effektiven Rechtsschutz ge­ wahrt werden.19 Nicht in anwaltlicher Funktion handelt ein Rechtsanwalt, wenn er unwahre Tatsachenbehauptungen in einer Fachzeitschrift aufstellt, sei es auch im Rahmen verkappter Veröffentlichung eines Rechtsgutachtens für seinen Mandan­ ten.20 c) Beschränkung der Verteidigerrechte

964

Um einen Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG ging es in den Entscheidungen zur Entziehung oder Einschränkung der Verteidigerbefugnisse.21 Der Ausschluss eines Rechtsan­ walts von der Verteidigung gegen den Willen des Mandanten (s. dazu § 33, Rn. 844) stellt einen so schwerwiegenden Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung dar, dass er spezieller gesetzlicher Regelung bedarf; die §§ 1 und 3 Abs. 1 BRAO als Leitvor­

17 Vgl. BVerfGE 22, 114, 119; BVerfGE 34, 293, 299; BVerfGE 38, 105, 119. 18 BVerfG NJW 1996, 3267; KG NJW 1997, 2390 (Presseerklärung). Anders – ohne Abgren­ zung zur älteren Entscheidung – bei Versand eines Rechtsgutachtens für den Mandanten BVerfG NJW 2008, 358 (unrichtiges Zitat über angebliche Prozessfinanzierungskritik in dem Branchenblatt markt-intern). 19 BVerfG NJW-RR 2007, 840, 841. 20 OLG Frankfurt MDR 2000, 1219. 21 BVerfGE 22, 114; BVerfGE 34, 293 (Fall Schily).

282

Relevante Normen des GG  ­|  § 36

schriften für den Anwaltsberuf eignen sich nicht als Eingriffstatbestand.22 Die Aus­ gestaltung einer speziellen Norm muss zudem beachten, dass der Eingriff nur zulässig ist, wenn er durch die Umstände des besonderen Falles zwingend geboten ist, um ein höherwertiges Rechtsgut zu schützen.23 Als verfassungskonform hat sich das Verbot der Mehrfachverteidigung (§ 146 StPO) 965 erwiesen, das vollständig vor Interessenkollisionen schützt, ohne – wie zwangsläufig eine einzelfallbezogene Ausschließungsregelung  – nach verdeckten Interessenkon­ flikten forschen zu müssen.24 Die gleichfalls gerechtfertigte Beschränkung der Zahl der Wahlverteidiger (§ 137 Abs. 1 S. 2 StPO) soll die Aufrechterhaltung einer wirksa­ men Strafrechtspflege sichern.25 d) Durchsuchung der Kanzlei, Telefonüberwachung Näher dazu § 26, Rn. 493 und unten Rn. 983.

966

e) Werbebeschränkungen Die weitreichenden traditionellen Werbeverbote der freien Berufe, die auch in ande­ 967 ren Staaten Geltung hatten, sind – ausgehend von Liberalisierungen in der Rechtspre­ chung des US Supreme Court – seit Ende der 80er-Jahre u. a. in Deutschland beseitigt worden, ohne dass eine Gleichstellung mit der Werbefreiheit gewerblicher Berufe und deren alleinige Kontrolle auf Grundlage des UWG an deren Stelle getreten ist. Zur Begründung wurde auch das Informationsbedürfnis der Werbeadressaten angeführt. Damit ist die Außendarstellung des Anwalts durch werbende Kommunikation er­ möglicht worden (zur Werbung eingehend § 29, Rn. 640 ff. und 648 ff.). Die verfassungsrechtliche Kontrolle der fachgerichtlichen Anwendung des §  43b 968 BRAO betont nicht den Beschränkungscharakter des Normwortlauts („nur erlaubt“), sondern das darin liegende Bekenntnis, dass Werbung erlaubt ist, wenn sie über die berufliche Tätigkeit in Form und Inhalt sachlich unterrichtet.26 Zur Durchsetzung der geänderten Bewertung berufsrechtlicher Werberestriktionen hat das BVerfG selbst in Kammerentscheidungen, in denen Verfassungsbeschwerden nicht zur Ent­ scheidung angenommen wurden, weiterführende Begründungen mit Hinweisen auf das Recht zu sachangemessener Information gegeben.27 Das ist zugleich Indiz für die Unsicherheit bei der Ziehung einer neuen Grenzlinie erlaubter und nach wie vor verbotener Berufswerbung im Gefolge des Wertungsumbruchs.

22 BVerfGE 22, 114, 120; BVerfGE 34, 293, 299 ff. Darauf geht die Regelung der §§ 138a ff. StPO zurück; vgl. dazu Roxin/Schünemann Strafverfahrensrecht, 29. Aufl. 2017, §  19 Rdn. 48 ff. 23 BVerfGE 22, 114, 123. 24 BVerfGE 39, 156, 165. 25 BVerfGE 39, 156, 163 f. 26 Vgl. nur BVerfGE 82, 18, 28 = NJW 1990, 2122, 2123; BVerfG NJW 2003, 2816, 2817. 27 z. B. in BVerfG NJW 2003, 1307; NJW 2000, 1635, 1636.

283

Teil 5 ­|  Verfassungsrecht, EMRK, Unionsrecht 969

In nicht überzeugender und auch nicht näher begründeter Abgrenzung zu Art.  5 Abs. 1 S. 1 GG entnimmt das BVerfG den Maßstab für die Kontrolle regulierender Werbebeschränkungen durch die Berufsrechte der Freiberufler (für Anwälte: § 43b BRAO, §§ 6 und 7 BORA) und durch deren fachrichterliche Anwendung ausschließ­ lich dem Art. 12 Abs. 1 GG.28 Für die Prüfung der Zulässigkeit von Anwaltswerbung ist indes das Grundrecht der Meinungsfreiheit gleich bedeutsam. Das ist unter Art. 10 EMRK anerkannt. Für Art. 11 GRCh (Freiheit der Meinungsäußerung) ist die Kon­ kurrenz mit Art. 16 GRCh (Unternehmerische Freiheit) noch nicht geklärt.29 f) Recht der Berufsausübungsgesellschaften

970

Um Berufsausübung geht es auch bei den gesellschaftsrechtlichen Formen der ge­ meinsamen Betätigung mit anderen Anwälten oder den Angehörigen anderer Berufe. Einschlägige Restriktionen sind vom BVerfG zum Teil  aufgehoben worden (näher dazu § 19, Rn. 337 f.; § 21, Rn. 368; § 23, Rn. 414). g) Beschränkung nichtanwaltlicher Tätigkeiten zur Vermeidung von ­Interessenkonflikten

971

Umstritten ist das 1994 geschaffene Tätigkeitsverbot des § 45 Abs. 2 Nr. 2 BRAO für nachfolgende nichtanwaltliche zweitberufliche Tätigkeit (dazu § 27, Rn. 580) sowohl hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenz des Bundes als auch der Rechtfertigung durch Gemeinwohlanforderungen.30 h) Vergütungsbegrenzungen

972

Die Anwendung von Vergütungsregelungen darf die Berufsausübung nicht zu einem unzumutbaren wirtschaftlichen Opfer werden lassen (dazu auch § 32, Rn. 731 und 769 f.). Das ist der Fall, wenn einem Pflichtverteidiger die Kosten von Reisen nicht erstattet werden, die für eine sachgerechte Verteidigung notwendig sind.31 Dabei ist zu berücksichtigen, dass die gerichtliche Bestellung zum Verteidiger eines besondere Form der Indienstnahme Privater zu öffentlichen Zwecken darstellt, der sich der 28 BVerfGE 71, 162, 173 f. (Arztwerbung) = NJW 1986, 1533; BVerfGE 85, 248, 257 (Arztwer­ bung) = NJW 1992, 2341 (dort jedoch ergänzend zu Art. 5 I 1 GG a. a. O. 263); BVerfGE 94, 372, 389 (Apothekenwerbung) = NJW 1996, 3067 f.; BVerfG NJW 1997, 2510 – Briefbogen­ logo; BVerfG NJW 2000, 1635  – Ihre Rechtsfragen sind unsere Aufgaben; BVerfG NJW 2000, 3195 – anwaltliches Sponsoring m. Bespr. Ahrens NJW 2000, 3188 f.; BVerfG NJW 2003, 1307 – optimale Interessenvertretung; BVerfG NJW 2003, 2816 – Anwaltswerbung mit Sporterfolgen; zuletzt BVerfG NJW 2011, 3147 Tz. 20 – Zahnärztehaus. Kritisch dazu Ahrens in Harte/Henning, UWG, 4. Aufl. 2016, Einl. G Rdn. 39 und 70 f. 29 Jarass Grundrechtecharta, 2. Aufl. 2013, Art. 11 Rdn. 6, Art. 15 Rdn. 4 f., Art. 16 Rdn. 5, bejaht Idealkonkurrenz. 30 Ablehnend Kleine-Cosack BRAO7 § 45 Rdn. 41 f.; bejahend OLG Köln NJW-RR 2008, 933, 934. Zur Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes Feuerich/Weyland/Träger BRAO9 §  45 Rdn. 35. 31 BVerfG NJW 2001, 1269; BVerfG NJW 2005, 1264, 1265.

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Relevante Normen des GG  ­|  § 36

Rechtsanwalt gem. §  49 BRAO in der Regel nicht entziehen kann.32 Bei besonders umfangreichen oder besonders schwierigen Verfahren muss die im Interesse des Ge­ meinwohls erfolgende Begrenzung des Vergütungsanspruchs die Grenze der Zumut­ barkeit wahren. Das ist auch bei der Entscheidung über die Gewährung33 eines an­ gemessenen Vorschusses zu beachten. i) Auslegung von Straftatbeständen Gestützt auf Art. 12 Abs. 1 GG hat das BVerfG den Straftatbestand der Geldwäsche 973 (§ 261 StGB) hinsichtlich der inneren Tatseite reduziert. Der Strafverteidiger muss bei Entgegennahme des Honorars sicher wissen, dass die vom Mandanten (unmittelbar oder über Dritte) geleistete Zahlung aus einer Katalogstraftat herrührt (s. dazu § 31, Rn. 721 f.).34 Zur Begünstigung und zur Strafvereitelung s. § 31, Rn. 718.

III. Rechtspositionen des Mandanten mit Wirkung für den Anwalt Der Rechtsanwalt kann daran partizipieren, dass der Mandant ein verfassungsrecht­ 974 lich abgesichertes Recht auf anwaltliche Vertretung oder auf Beistand hat. Soweit je­ weils ein Recht auf Rechtsbeistand besteht und die Tätigkeit damit zu den Berufsauf­ gaben des Rechtsanwaltes gehört, genießt der Anwalt eigenen verfassungsrechtlichen Schutz durch Art. 12 Abs. 1 GG.35 Der zugehörige Grundrechtsschutz des Mandan­ ten wird zumeist aus Art. 2 Abs. 1 GG abgeleitet.36 Hingegen ergibt sich nichts aus Art. 103 Abs. 1 GG, der nach ständiger Rechtsprechung nur das rechtliche Gehör als solches, nicht jedoch gerade durch Vermittlung eines Rechtsanwaltes gewährleis­ tet.37 Das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 2, 3 GG) mit dem daraus abzuleitenden Recht 975 auf ein faires Verfahren und die Verbürgung der Würde der Person (Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG) gebieten es, den Einzelnen im gerichtlichen Verfahren nicht zum bloßen Objekt der richterlichen Entscheidung zu machen, sondern ihm aktiven Einfluss auf das Ver­ fahren und sein Ergebnis zu gewähren.38 Zur sachgerechten Wahrnehmung der pro­ zessualen Rechte müssen ihm schon aus Gründen der Chancen- und Waffengleich­ heit unabhängige und von ihm selbst gewählte Rechtskundige zur Verfügung stehen, zu denen er Vertrauen haben kann.39 Dies gilt sogar für einen Zeugen, der zwar kein 32 BVerfG NJW 2001, 1269; BVerfG NJW 2005, 3699. 33 BVerfG NJW 2005, 3699. 34 BVerfGE 110, 226, 266 = NJW 2005, 1707, 1708. 35 BVerfGE 38, 105, 119. 36 Vgl. nur BVerfGE 39, 156, 163. 37 BVerfGE 9, 124, 132; BVerfGE 31, 297, 301; BVerfGE 38, 105, 118; BVerfGE 39, 156, 168. A.A. Schneider S. 45 ff. m. w. N.; Zuck JZ 1989, 353, 354 (II). 38 Vgl. BVerfGE 9, 85, 95; BVerfGE 26, 66, 71; BVerfGE 38, 105, 111, 115; BVerfGE 39, 156, 168; BVerfG (Kammer) NJW 1993, 2301. 39 BVerfGE 38, 105, 111; BVerfGE 63, 266, 284; BVerfG NJW 1996, 709 ff. (DDR-Zulassun­ gen).

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Teil 5 ­|  Verfassungsrecht, EMRK, Unionsrecht

selbständiges Verfahrensziel verfolgt, aber doch eigene, rechtlich geschützte Interes­ sen haben kann,40 wozu – als Bestandteil des Persönlichkeitsrechts – das Recht zur Geheimhaltung eigener etwaiger Verfehlungen gehört.41 Kasuistik:

976

(a) BVerfG (Kammer) NJW 1993, 2301 ff.: Die Beschwerdeführerin hatte durch ihren Verteidi­ ger beantragt, die wegen mehrerer Betrugsstraftaten verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren nach 2/3 Verbüßung auszusetzen. Der Verteidiger bat ausdrücklich um Mittei­ lung der Stellungnahmen von Justizvollzugsanstalt und StA sowie um Terminsladung zu der mündlichen Anhörung. Die Strafvollstreckungskammer entsprach dem nicht, sondern ver­ warf den Antrag wegen schlechter Sozialprognose. Das OLG verwarf das dagegen eingelegte Rechtsmittel. Auf Gegenvorstellung hin blieb es bei seiner Entscheidung und verneinte in Übereinstimmung mit der überwiegenden Meinung ein Anwesenheitsrecht des Verteidigers bei der Anhörung des Verurteilten nach § 454 Abs. 1 S. 1 StPO. Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. Das BVerfG leitete aus dem im Rechtsstaatsprinzip enthaltenen Recht auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG) nach einem Vergleich mit der Judikatur zum Recht des Zeugen auf Rechtsbeistand bei seiner Vernehmung ab, dass dem Strafgefangenen das Recht zuzubilligen sei, zur Wahrnehmung der ihm eingeräumten prozessualen Rechte zur mündli­ chen Anhörung im Entlassungsverfahren einen Verteidiger seines Vertrauens hinzuzuziehen. Daraus folge zwar nicht schlechthin die Pflicht des Gerichts zur amtlichen Benachrichtigung des Verteidigers von dem Termin, wohl aber bei kurzfristiger Terminierung der Anhörung, die eine Eigenvorsorge des Strafgefangenen ausschließe.

977

(b) BSG NJW 1996, 677 f.: In einem Verfahren um Leistungen zur beruflichen Rehabilitation gegen die beklagte Bundesanstalt für Arbeit beantragte der Prozessbevollmächtigte des Klägers vergeblich die Aufhebung des sehr kurzfristig (17 Tage) anberaumten Verhandlungstermins vor dem LSG wegen einer zeitgleichen Pflichtverteidigung in einem Schöffengerichtstermin. Ein Befangenheitsantrag gegen den Senatsvorsitzenden blieb erfolglos, führte aber zu einem weiteren Befangenheitsantrag gegen die am Ablehnungsbeschluss beteiligten Richter. Am Tage vor dem Verhandlungstermin teilte der Anwalt mit, der Schöffengerichtstermin sei in Abspra­ che der beteiligten Strafgerichte durch einen Termin vor einer Großen Strafkammer mit unab­ weisbar notwendiger fortgesetzter Verhandlung ersetzt worden, an dem er ebenfalls als Pflicht­ verteidiger teilzunehmen habe. Im gleichwohl durchgeführten Verhandlungstermin vor dem LSG wurde der zweite Ablehnungsantrag für begründet erklärt. Sodann wurden der Kanzlei des Anwalts die Niederschrift über die dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richter, die Verhandlung der Ablehnungsanträge und die Verlegung des Verhandlungstermins von 10.15 Uhr auf 12.00 Uhr per Telefax übermittelt. Nach Verkündung des Beschlusses über den Ablehnungsantrag wurde in neuer Besetzung zur Sache verhandelt. Der Kläger rügte vor dem BSG die Verletzung rechtlichen Gehörs. Das BSG bejahte eine Pflicht zur Terminsverlegung und daraus folgend eine Verletzung der § 227 Abs. 1 ZPO, § 202 SGG, da die Kollision mit dem Strafkammertermin einen wichtigen Grund dargestellt habe. Die Nichtverlegung habe nicht nur das rechtliche Gehör des Klägers verletzt, sondern auch den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG), weil die Verfahrensgestaltung nicht in angemessenem Verhältnis zum Verfahrensziel gestanden

40 BVerfGE 38, 105, 112, 114; BVerfG NJW 1993, 2301. 41 BVerfGE 38, 105, 114.

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Relevante Normen des GG  ­|  § 36 habe. Verletzt sei überdies das allgemeine Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren, das u. a. Rücksichtnahme auf Verfahrensbeteiligte in einer konkreten Situation erfordere. Zur Abstimmung des Strafgerichts mit dem verhinderten Pflichtverteidiger BGH NJW 1992, 849; s. ferner OLG Düsseldorf NJW 1995, 473. (c) BayObLG NJW 1995, 3134: Der Betroffene war wegen zweier Verkehrsordnungswidrigkeiten zu einer Geldbuße verurteilt worden. In der Hauptverhandlung war er ohne seine Verteidigerin erschienen, die kurz nach Beginn der Verhandlung dem Gericht hatte mitteilen lassen, sie habe auf der Fahrt zur Sitzung einen Verkehrsunfall erlitten und könne nicht teil­ nehmen. Die erbetene Verfahrensaussetzung lehnte das Gericht ab. Die Rechtsbeschwerde hat­ te Erfolg.

978

Das Gericht sah in dem Verhandeln trotz der bekannten überraschenden Verhinderung der Verteidigerin einen Verstoß gegen Art. 2 GG i. V. m. dem aus dem Rechtsstaatsprinzip folgen­ den Anspruch auf ein faires Verfahren. Allerdings gehöre zur Rechtsstaatlichkeit auch die Durchführbarkeit und die Beschleunigung des Verfahrens; ohne Anhaltspunkte für die Un­ freiwilligkeit des Ausbleibens des Verteidigers müsse deshalb ein Termin nicht ausgesetzt oder der Verhandlungsbeginn aufgeschoben werden.

Die Herstellung von Chancen- und Waffengleichheit gebietet in gerichtlichen Verfah­ 979 ren ohne Anwaltszwang nicht, einer armen Partei in jedem Falle einen Rechtsanwalt beizuordnen, selbst wenn der Gegner anwaltlich vertreten ist. Maßgebend ist viel­ mehr die Gesamtkonstruktion des Rechtsschutzes;42 das BVerfG hat ihn im So­ zialgerichtsverfahren auch ohne Beiordnung eines Armenanwalts als ausreichend gewährleistet angesehen.43 Verfassungsrechtlich zulässig war auch der fakultative Ausschluss einer Prozessvertretung durch Rechtsanwälte in Arbeitsrechtsstreitigkei­ ten mit einem Streitwert unter 300,  – DM durch §  11 Arbeitsgerichtsgesetz vom 3.9.1953, wodurch sozial schwache Arbeitnehmer begünstigt werden sollten.44 Die Versagung von Beratungshilfe für einen Widerspruch gegen die Kürzung von 980 Leistungen nach SGB II hat das BVerfG demgegenüber – abhängig von den Umstän­ den des Einzelfalles – als Verstoß gegen die Rechtswahrnehmungsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 und 3 GG) bewertet.45 Die Einschaltung eines Rechtsanwaltes kann durch Kostenerstattungsverweigerun­ 981 gen für den Mandanten wirtschaftlich erschwert sein. Für Bagatellverfahren in Buß­ geldsachen hat der Gesetzgeber zur Verhinderung vorgeblicher Missbräuche bei der Einschaltung von Rechtsanwälten, zu der es freilich ohne vorangegangene Fehlent­ scheidung der Verwaltungsbehörde nicht kommt, den § 109a OWiG erlassen. Nach dessen Absatz 1 findet eine Erstattung der Anwaltskosten im Wesentlichen nur statt, wenn die Beauftragung des Anwalts wegen der schwierigen Sach- oder Rechtslage geboten war. Diese Restriktion darf nicht willkürlich angewandt werden.

42 BVerfGE 9, 124, 130 f. S. auch BVerfG NJW 1989, 3271 zur begehrten Beiordnung eines Anwaltes im Konkursverfahren für einen Prozesskostenhilfe beantragenden Gläubiger. 43 BVerfGE 9, 124. 44 BVerfGE 31, 297. 45 BVerfG NJW 2009, 3417 Tz. 29.

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Teil 5 ­|  Verfassungsrecht, EMRK, Unionsrecht Kasuistik:

982

BVerfG (Kammer) NJW 1994, 1855 f.: Der Verfassungsbeschwerdeführer hatte trotz sofortigen und zutreffenden Hinweises auf monatelange Verdeckung eines Verkehrszeichens durch im Auftrage der Stadt Bonn aufgestellte Container ein Bußgeld von 10 DM erhalten, obwohl das Vorbringen ohne nennenswerten Aufwand zu überprüfen war. Dagegen ließ er durch einen Anwalt Einspruch einlegen. Das trotz Vorlage von Fotografien ebenso uneinsichtige AmtsG teilte zunächst die beabsichtigte Verfahrenseinstellung (§ 47 Abs. 2 OWiG) ohne Auslagener­ stattung mit. Die Hauptverhandlung musste mehrfach ausgesetzt werden, weil die Verwaltungsangestellte, die die Anzeige auf Weisung ihres Ausbilders aufgenommen hatte, nicht zur Zeugenvernehmung erschien. Verweigert wurde die Erstattung der Auslagen von inzwischen angefallenen 1179,33 DM Anwaltsgebühren. Das BVerfG hob die Versagung als unverständ­ lich und daher willkürlich auf.

IV. Verfassungsrechtliche Ebenen des beruflichen Geheimnisschutzes 983

Der Schutz der vertraulichen Kommunikation zwischen Anwalt und Mandantschaft steht bei Beschlagnahmen von Kanzleiunterlagen auf dem Spiel (dazu Rn.  486, 493 ff.). Elektronisch gesicherte Dateien können wegen der Streubreite der Speiche­ rung auch unbeteiligte Dritte betreffen. Gewährt wird verfassungsrechtlicher Schutz nicht über Art. 12 Abs. 1 GG, sondern über das Recht auf informationelle Selbstbe­ stimmung der Mandanten (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) und über das Recht auf ein rechtsstaatlich faires Verfahren (Art.  2 Abs.  1 GG).46 Damit der von einer Durchsuchung betroffene Anwalt diese Rechtsverletzungen mit der Verfassungsbe­ schwerde geltend machen kann (vgl. die Beschränkung des § 90 Abs. 1 BVerfGG), hat das BVerfG den überindividuellen Charakter der Rechtspositionen und die Wahrung des objektiven Verfassungsrechts betont.47 Die Durchsuchung einer Anwaltskanzlei kann auch gegen Art. 13 GG verstoßen, wenn sie in unverhältnismäßiger Weise dem Auffinden von Unterlagen bei dem beschuldigten Anwalt dient.48 Beim Abhören des Verteidigergesprächs im Besucherraum einer Justizvollzugsanstalt wegen des Ver­ dachts der Geldwäsche durch den Verteidiger hat das BVerfG der Verfassungsbe­ schwerde hingegen u. a. auf Art. 12 Abs. 1 GG gestützt stattgegeben, weil der Anwalt gehindert werde, die Mandanteninteressen wirksam zu vertreten.49

984

Auskunft über Telekommunikationsdaten gem. § 100g StPO kann bei Verdacht einer versuchten Strafvereitelung des Anwalts (§ 258 StGB) verlangt werden. Auch wenn es nur um die Verbindungsdaten und nicht um Kommunikationsinhalte geht, wird das Fernmeldegeheimnis tangiert (Art. 10 GG).50

46 BVerfG NJW 2005, 1917, 1918 f. 47 BVerfG NJW 2005, 1917, 1918; BVerfG (Kammer) NJW-RR 2005, 1289, 1290. 48 BVerfG NJW-RR 2005, 1289, 1290. 49 BVerfG (Kammer) NJW 2006, 2974, 2975. 50 BVerfG (Kammer) NJW 2006, 3197.

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Relevante Normen des GG  ­|  § 36

V. Sitzungspolizeiliche Maßnahmen 1. Ordnungsmaßnahmen § 178 GVG erlaubt die Verhängung von Ordnungsmaßnahmen, u. a. von Ordnungs­ 985 geldern, gegen ungebührliches Verhalten vor Gericht, wenn dessen Rechtspflegeauf­ gabe beeinträchtigt wird (s. dazu §  33, Rn.  856). Schutzgut ist ein geordneter, die Sachlichkeit der gerichtlichen Verhandlung gewährleistender Verfahrensablauf (zum Sachlichkeitsgebot § 28, Rn. 585 ff.).51 Sollen Äußerungen von Verfahrensbeteiligten geahndet werden, sind deren Recht auf Meinungsfreiheit und das Recht, sich ohne Furcht vor Rechtsnachteilen im Prozess behaupten zu dürfen (als Folge des Rechts­ staatsprinzips), zu beachten.52 Ein Verfahrensbeteiligter darf dabei auch starke, ein­ dringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen.53 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zwingt allerdings dazu, die Sanktion angemessen nach dem An­ lass auszurichten, insbesondere zu berücksichtigen, welcher Grad an Störung einge­ treten ist und ob es sich bei der Störung um eine Spontanreaktion auf ein aus Sicht des Betroffenen beanstandungswürdiges Fehlverhalten der Gegenseite oder des Gerichts handelt; zudem hat einer Sanktionsverhängung eine Ermahnung vorauszugehen.54 2. Sicherheitsvorkehrungen (Durchsuchung der Person) § 176 GVG ermöglicht sitzungspolizeiliche Anordnungen des Gerichtsvorsitzenden. 986 Einlasskontrollen vor Betreten des Gerichtssaals einschließlich der Anordnung einer Durchsuchung auf mitgeführte Gegenstände können sich auch gegen Strafverteidiger richten. Die Freiheit der Berufsausübung beschränkt sich insoweit auf die Abwehr übermäßiger und unzumutbarer Belastungen.55 Der Strafverteidiger genießt als Organ der Rechtspflege bis zum Beweis des Gegenteils einen staatlichen Vertrauens­ vorschuss.56 Es bedarf daher der Darlegung eines die Durchsuchungsanordnung rechtfertigenden sachlichen Grundes. Der Umfang einer Durchsuchung (z. B. Einsatz von Detektoren, Abtasten der Kleidung, Öffnen der Schuhe) muss dem Maß der an­ genommenen Gefahr entsprechen und insoweit unumgänglich sein.57 Dazu kann die konkrete Befürchtung gehören, der Strafverteidiger werde von Dritten unter Druck gesetzt, dem Angeklagten anlässlich der Hauptverhandlung Gegenstände zu überlassen, die einer Gefangenenbefreiung dienen könnten.

51 BVerfG NJW 2007, 2839, 2840. 52 BVerfG NJW 2007, 2839, 2840. 53 BVerfG NJW 2007, 2839, 2840. 54 BVerfG NJW 2007, 2839, 2840. 55 BVerfG NJW 2006, 1500. 56 BVerfG NJW 2006, 1500. 57 BVerfG NJW 2006, 1500.

289

§ 37 Dienstleistungsfreiheit

I. Bedeutung der Grundfreiheiten für Rechtsanwälte 1. Verfeinerung der Grundfreiheiten durch sekundäres Unionsrecht . 987 2. Fortbestehende Bedeutung des Primärrechts a) Grenzüberschreitende Gesell­ schaftsbildungen . . . . . . . . . . . 990 b) Konkurrenz durch nichtanwaltliche Dienstleister . . . . 991

II. Dienstleistungsanforderungen des sekundären Unionsrechts 1. Dienstleistungsrichtlinie 77/249/EWG . . . . . . . . . . . . . . . . . 994 2. Nationale Transformation der RL 77/249/EWG a) RADG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 995 b) Kritik des EuGH am RADG: Einvernehmen, Lokalisation 996 c) Weitere EuGH–Kritik . . . . . . 998 aa) Französische Restriktionen: Staatsangehörigkeit, Einvernehmen, Lokalisation. . . . . . . . . . . . 998





bb) Italienische Mindestgebührenregelung . . . . . . . 1001 3. Aktueller Stand des deutschen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1002 4. Anwendungsprobleme a) Fehlender Einvernehmensanwalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1007 b) Kostenrecht . . . . . . . . . . . . . . . 1008 c) Selbstvertretung . . . . . . . . . . . 1009 d) Missbrauch durch verkappte Niederlassung . . . . . . . . . . . . . 1010 5. Grenzüberschreitende Dienstleistungen ohne physische Präsenz im Inland . . . . . . . . . . . . 1013

III. Weitere EU-Richtlinien mit Bezug zur Anwaltschaft 1. Richtlinie 2006/123/EG a) Geltungsbereich . . . . . . . . . . . 1016 b) Regelungsmaterien . . . . . . . . . 1017 c) Nationale Umsetzung . . . . . . . 1018 2. Richtlinie 2013/36/EG zur Änderung der Richtlinie 2006/36/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1019

I. Bedeutung der Grundfreiheiten für Rechtsanwälte 1. Verfeinerung der Grundfreiheiten durch sekundäres Unionsrecht 987

Zu den gesetzlichen Vorschriften, die die Stellung des Rechtsanwaltes betreffen, gehö­ ren die Niederlassungs- und die Dienstleistungsfreiheit der Europäischen Union gem. Artt. 49 und 56 AEUV (ex Artt. 43, 49 EGV).1 Die Anwendung des primären Uni­ onsrechts ist wegen des Interpretationsspielraums und dessen notwendige Konkreti­ sierung durch den EuGH ein zeitraubender Prozess. Durch sekundäres Unionsrecht wird die Rechtsanwendung erleichtert. Zur Förderung des freien Dienstleistungsver­ kehrs für Rechtsanwälte ist zunächst die Richtlinie 77/249/EWG vom 22.3.19772 erlassen worden. Später ist die allgemeine Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG vom 12.12.20063 hinzugetreten, deren Konkurrenzverhältnis zu den anwaltsspezifi­ 1 Eingehend dazu Everling, Gutachten zum 58. DJT, C 18 ff. S. ferner Hofmann Internationales Anwaltsrecht, 1991, mit Rezension Gornig RabelsZ 59 (1995), 349 ff. 2 ABl. EG 1977 Nr. L 78 S. 17. 3 ABl. EU 2006 Nr. L 376 S. 16.

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Dienstleistungsfreiheit  ­|  § 37

schen Richtlinien unklar ist (s. auch unten Rn. 1016).4 Die Richtlinie 2006/123/EG betrifft u. a. die rein inländische Dienstleistungserbringung, z. B. die Anforderungen an die zulässige Anwaltswerbung, so dass § 43b BRAO richtlinienkonform auszule­ gen ist (s. dazu § 29, Rn. 643 ff.).5 Sie hat aber möglicherweise auch Auswirkung auf die Niederlassungsfreiheit. Die Richtlinie über die grenzüberschreitende Niederlassung von Rechtsanwälten ist 988 am 16.12.1998 erlassen worden.6 Sie erleichtert die ständige Ausübung des Berufs von Rechtsanwälten, die in einem anderen EU-Staat als dem Staat der angestrebten Niederlassung ihre Berufsqualifikation erworben haben und in ihrem Heimatstaat schon zugelassen sind. Für zuwandernde Anwaltsbewerber mit ausländischem Dip­ lom gilt die Diplomanerkennungsrichtlinie 2005/36/EG,7 die an die Stelle der Dip­ lomanerkennungsrichtlinie 89/48/EWG8 getreten ist (dazu §  38, Rn.  1035). Die Diplomanerkennungsrichtlinie 2005/36/EG ist durch die Richtlinie 2013/55/EG zur Anerkennung von Berufsqualifikationen9 noch einmal verändert worden. Die Um­ setzung der Richtlinien ist in Deutschland heute im Gesetz über den Europäischen Rechtsanwalt (EuRAG) geregelt. Welche Konsequenzen aus dem primären und dem sekundären Unionsrecht für den 989 Abbau berufsrechtlicher Beschränkungen der Tätigkeit ausländischer Rechtsanwälte zu ziehen sind, ist in der Vergangenheit in den EU-Staaten Gegenstand zäher Diskus­ sionen und hinhaltender nationaler Gesetzgebung gewesen. Der EuGH musste dazu häufig Stellung nehmen. Zu unterscheiden ist bei allen Regelungen zwischen bloßer Dienstleistung über die Grenze hinweg von einem heimatlichen Kanzleisitz aus und der Niederlassung im Ausland unter Begründung eines dortigen Kanzleisitzes. 2. Fortbestehende Bedeutung des Primärrechts a) Grenzüberschreitende Gesellschaftsbildungen Besondere Probleme werfen multinationale und transnationale Sozietäten auf.10 Ihre 990 Zulässigkeit ist anerkannt, hängt aber vom Stand des Gesellschaftsrechts der Europä­ ischen Union ab. b) Konkurrenz durch nichtanwaltliche Dienstleister Die Dienstleistungsfreiheit des Art. 56 AEUV gilt nicht nur für Rechtsanwälte, son­ 991 dern auch für grenzüberschreitende Rechtsbesorgung durch andere Personen. Damit unterliegen die Begrenzungen des RDG der unionsrechtlichen Kontrolle. 4 Vgl. BGH NJW 2013, 2674 Tz. 41. 5 BGH NJW 2014, 554 Tz. 14 ff. – Kommanditistenbrief. 6 ABl. EG 1998 Nr. L 77 S. 36, letzte Änderung ABl. EU Nr. L 158 S. 368, 375. 7 ABl. EU 2005 Nr. L 255 S. 22. 8 ABl. EG 1989 Nr. L 19 S. 16. 9 ABl. EU L 354 v. 28.12.2013, S. 132, Berichtigung L 268 v. 15.10.2015, S. 35 und Berichti­ gung L 95 v. 9.4.2016, S. 20. 10 Vgl. dazu Nerlich Mitt. dt. Patentanwälte 1995, 92 ff.

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Teil 5 ­|  Verfassungsrecht, EMRK, Unionsrecht Kasuistik:

992

EuGH NJW 1991, 2693 (Säger/Dennemeyer): Die beklagte Dennemeyer & Co. Ltd., eine engli­ sche Gesellschaft mit Sitz in Großbritannien, informiert Inhaber von Patenten über die Fälligkeit der zu entrichtenden Patentgebühren, deren Zahlung zur Aufrechterhaltung deutscher Patente erforderlich ist. Sie ist international und auch in Deutschland tätig. Der klagenden Patentanwalt Säger sah darin einen Verstoß gegen Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG i. V. m. § 1 UWG. Zur Patentüberwachung werden in Deutschland vielfach Patentanwälte eingeschaltet. Das OLG München hatte nach Art. 234 Abs.3 EGV (jetzt: Art. 267 AEUV) die Frage vorgelegt, ob die Dienstleistungsfreiheit Art. 49 EGV (jetzt: Art. 56 AEUV) einer nationalen Regelung ent­ gegen steht, die es einem in einem anderen Mitgliedsstaat tätigen Unternehmen verbietet, für Patentinhaber im Inland Dienstleistungen zu erbringen, weil diese Tätigkeit nach der nationa­ len Regelung an besondere Qualifikationen geknüpft ist.11

993

Der EuGH sieht in einer nationalen Regelung, die die Ausübung von Dienstleistun­ gen durch Unternehmen eines anderen Mitgliedsstaates von einer behördlichen Er­ laubnis und bestimmten Qualifikationen abhängig macht, eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit. Die Aufstellung besonderer Anforderungen kann durch all­ gemein geltende zwingende Gründe des Allgemeininteresses zum Schutze der Dienst­ leistungsempfänger gerechtfertigt sein, soweit nicht bereits Rechtsvorschriften im Niederlassungsstaat des Leistungserbringers diesem Allgemeininteresse Rechnung tragen. Die Anforderungen dürfen nicht über das Maß hinausgehen, das zum Errei­ chen der Schutzziele erforderlich ist. Eine derartige Unverhältnismäßigkeit hat der EuGH im Fall „Säger/Dennemeyer“ angenommen, weil die geschäftsmäßige Aus­ übung der angebotenen Dienstleistung für Patentrechtsinhaber nicht die Qualifikati­ on als Patentanwalt voraussetze.12

II. Dienstleistungsanforderungen des sekundären Unionsrechts 1. Dienstleistungsrichtlinie 77/249/EWG 994

Die Dienstleistungsrichtlinie für Rechtsanwälte will die Erbringung einzelner Dienst­ leistungen über die Grenze hinweg bei Beibehaltung der Kanzlei im Heimatstaat der Zulassung erleichtern, dabei aber auch Bedürfnissen des Rechtsverkehrs im ausländi­ schen Dienstleistungsstaat Rechnung tragen. Dienstleistung umschließt die Vertre­ tung und Verteidigung im Bereich der Rechtspflege oder vor Behörden unter den Bedingungen, die für einen im Empfangsstaat niedergelassenen Rechtsanwalt gelten, ohne dass ein Wohnsitz begründet werden muss oder die Zugehörigkeit zu einer dor­ tigen Berufsorganisation zur Voraussetzung gemacht werden darf (Art. 4 Abs. 1 RL 77/249).13 Dabei ist die Berufsbezeichnung des Herkunftsstaates zu führen (Art.  3 11 ABl. EG 1990 Nr. C 105/11 f. Dazu sowie zu einer weiteren Fallgestaltung Everling, Gutach­ ten zum 58. DJT, C 53. 12 EuGH NJW 1991, 2693. 13 Zur unmittelbaren Anwendung der Grundfreiheit bei Patentanwälten gegen solche Rest­ riktionen EuGH v. 13.2.2003 – C-131/01 – Kommission/Italien, RIW 2003, 380. Zum Zu­ gang zu einem Router des französischen Anwaltsnetzwerks als Voraussetzung für elektro­

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Dienstleistungsfreiheit  ­|  § 37

RL 77/249). Zu beachten sind die Berufsrechtsbestimmungen des Empfangsstaates neben denen des Herkunftsstaates (Art. 4 Abs. 2 und 4 RL 77/249; s. dazu auch § 38, Rn. 1022; § 40, Rn. 1059 ff.). Die Eigenschaft als Rechtsanwalt ist der zuständigen Stel­ le des Empfangsstaates nachzuweisen (Art. 7 Abs. 1 RL 77/249). Die Bindung der Tä­ tigkeit an ein Einvernehmen mit einem bei einem angerufenen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt darf zur Voraussetzung gemacht werden (Art. 5 RL 77/249). 2. Nationale Transformation der RL 77/249/EWG a) RADG Der deutsche Gesetzgeber hat die anwaltsspezifische Dienstleistungsrichtlinie zu­ 995 nächst durch das RechtsanwaltsdienstleistungsG (RADG) vom 16.8.198014 umge­ setzt. Danach war die Tätigkeit eines Rechtsanwalts aus einem anderen EG-Staat in gerichtlichen und bestimmten behördlichen Verfahren generell, nämlich auch jen­ seits des Anwaltszwangs, an ein Einvernehmen mit einem in der Bundesrepublik Deutschland niedergelassenen Rechtsanwalt gebunden (sog. „Gouvernan­ten­klausel“). b) Kritik des EuGH am RADG: Einvernehmen, Lokalisation Der EuGH hat in seiner Entscheidung vom 25.2.1988 (Kom­mis­sion/Deutschland) die 996 deutsche Regelung in ihrer konkreten Ausgestaltung als nicht ordnungsgemäße Um­ setzung der Richtlinie angesehen.15 Soweit das deutsche Recht für die Vertretung in Rechtsstreitigkeiten keinen Anwaltszwang vorschreibe, sei von vornherein kein All­ gemeininteresse erkennbar, das die Einvernehmensregelung rechtfertige.16 Im Er­ gebnis gehe das deutsche Recht über das hinaus, was zur sachgerechten Wahrneh­ mung der Mandanteninteressen „unter Wahrung der Erfordernisse einer geordneten Rechtspflege“ erforderlich sei. Dies gelte u. a. sowohl für das Gebot ständiger Anwe­ senheit des deutschen Rechtsanwalts in der mündlichen Verhandlung als auch für dessen zusätzliche Bestellung zum Prozessbevollmächtigten oder Verteidiger.17 Die vom deutschen Anwalt zu übernehmende Verantwortung bestehe nur gegenüber dem Gericht (vgl. Art. 5 der Richtlinie), beziehe sich hingegen nicht auf den Mandan­ ten; mangelnde Kenntnisse des deutschen Rechts fielen in den Bereich der Verant­ wortung des dienstleistenden ausländischen Anwalts gegenüber seinem Mandan­ ten.18 Den nötigen Kontakt zwischen Gericht und ausländischem Anwalt sowie dessen Mandant zu sichern, sei beim heutigen Stand des Verkehrs- und Fernmelde­ wesens auch ohne Zwischenschaltung eines deutschen Rechtsanwaltes gewährleis­ nische Schriftsatzübermittlung EuGH v. 18.5.2017 – C-99/16 – Lahorgue/Ordre des avocats du barreau de Lyon. 14 BGBl. I S. 1453. 15 EuGH v. 25.2.1988 – Rs. 427/85, Slg. 1988, 1154 = NJW 1988, 887 = JZ 1988, 506 m. Anm. Bleckmann = EuR 1988, 179 m. Anm. Zuck; Anm. Commichau IPRax 1989, 12 ff.; gegen die Schlussfolgerungen von Bleckmann Everling, Gutachten zum 58. DJT, S. C 43. 16 EuGH NJW 1988, 887 Tz. 13 ff. 17 EuGH NJW 1988, 887 Tz. 26. 18 EuGH NJW 1988, 887 Tz. 27.

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Teil 5 ­|  Verfassungsrecht, EMRK, Unionsrecht

tet.19 Lediglich für den Kontakt mit Gefangenen seien insbesondere aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit stärkere Restriktionen zulässig.20 Der EuGH ging davon aus, dass der dienstleistende ausländische Anwalt den im Aufnahmestaat geltenden Berufs- und Standesregeln unterliege. Wie mögliche Kollisionen mit ent­ sprechenden Regeln im Herkunftsland zu lösen sind, wurde nicht angedeutet. 997

Erledigt hat sich die Kritik des EuGH an der uneingeschränkten Anwendung des frü­ heren Lokalisationsprinzips. Diese Regelung war nach Ansicht des EuGH auf eine Dauertätigkeit zugeschnitten und durfte – gemessen am Inhalt der heutigen Art. 56 f. AEUV  – nicht auf zeitlich begrenzte Tätigkeiten ausländischer dienstleistender Rechtsanwälte übertragen werden; lediglich für spezialisierte Rechtsanwaltschaften wie die beim BGH, die zahlenmäßig beschränkt sei und besondere Erfahrung oder Kompetenz voraussetze, gelte etwas anderes. c) Weitere EuGH–Kritik aa) Französische Restriktionen: Staatsangehörigkeit, Einvernehmen, ­Lokalisation

998

Deutschland war nicht der einzige Mitgliedstaat, der die Dienstleistungsrichtlinie 77/249/EWG zu restriktiv umgesetzt hatte. In der Rechtssache C- 294/89 des EuGH21 ging es um ein Vertragsverletzungsverfahren der Kommission gegen Frankreich. In Frankreich wurden nur die Staatsangehörigen anderer Mitgliedsstaaten als Rechtsan­ wälte zugelassen, die in ihrem Heimatland ihre Anwaltstätigkeit unter einer der in Art.  1 Abs.  2 der Richtlinie 77/249 aufgeführten Bezeichnung ausübten. Dadurch wurden französische Staatsangehörige, die in einem anderen Mitgliedsstaat als Frank­ reich befugt eine Tätigkeit als Rechtsanwalt ausübten, von der Inanspruchnahme der Freizügigkeit ausgeschlossen, was der EuGH beanstandet hat.

999

Weiterhin musste nach den französischen Vorschriften der dienstleistende Rechtsan­ walt zur Prozessvertretung in Zivilsachen ohne Anwaltszwang sowie für Tätigkeiten vor nicht zur Rechtspflege gehörenden Einrichtungen und Behörden im Einverneh­ men mit einem französischen Anwalt handeln. Diese Art der Einvernehmensrege­ lung verstieß gegen Art. 5 der Richtlinie.

1000

In Zivilsachen mit Anwaltszwang vor dem Tribunal de grande instance musste der dienstleistende Anwalt zur Prozessvertretung oder zur Vornahme von Verfahrens­ handlungen einen französischen Rechtsanwalt hinzuziehen, der im Gerichtsbezirk zugelassen war. Diese dem deutschen Lokalisationsprinzip vergleichbare Regelung wurde ebenfalls beanstandet, weil sie nur für eine Dauertätigkeit der niedergelasse­ nen Rechtsanwälte im Gerichtsstaat Bedeutung habe, nicht aber für den zeitlich be­ grenzt tätigen Dienstleister. Die Einvernehmensregelung der Richtlinie solle nur dem angerufenen Gericht Gewähr dafür bieten, dass der dienstleistende Rechtsanwalt tat­ 19 EuGH NJW 1988, 887 Tz. 28. 20 Zu Einschränkungen EuGH NJW 1988, 887 Tz. 32. 21 EuGH v. 10.7.1991, NJW 1991, 3084 Tz. 12, 19 f., 35.

294

Dienstleistungsfreiheit  ­|  § 37

sächlich Unterstützung von einem beim Gericht zugelassenen Rechtsanwalt bekom­ me und dadurch in der Lage sei, das geltende Verfahrensrecht und die geltenden Be­ rufs- und Standesregeln voll und ganz einzuhalten. bb) Italienische Mindestgebührenregelung In der Rechtssache „Cipolla“ hat der EuGH zu einem italienischen Verbot der Unter­ 1001 schreitung von Mindestgebühren Stellung genommen. Das Verbot beschränke zwar die Möglichkeit ausländischer Anwälte, den einheimischen Anwälten durch niedrige­ re Honorarforderungen wirksame Konkurrenz zu machen und mit diesem Wettbe­ werbsmittel die Erschwerung des Aufbaus eines Mandantenstamms auszugleichen.22 Der Schutz der Dienstleistungsempfänger und der Schutz einer geordneten Rechts­ pflege könnten aber als zwingende Gründe des Allgemeininteresses den Eingriff in die Grundfreiheit rechtfertigen. Der Ausschluss von Billigangeboten durch die Pflicht zur Berechnung von Mindesthonoraren sei geeignet, das Risiko eines Verfalls der Qualität der Rechtsberatung zu mindern; die Beurteilung der Beratungsqualität sei für den Mandanten wegen einer Asymmetrie der Information auf dem Markt anwaltlicher Dienstleistungen erschwert.23 Im Jahre 2011 hat der EuGH entschieden, dass die Fle­ xibilität des italienischen Gebührensystems keine Beschränkung des Marktzugangs für dienstleistende ausländische Rechtsanwälte bewirkt.24 Einer erneuten Befassung mit der staatlichen Festlegung von Mindestgebühren durch das spanische Anwaltsge­ bührenrecht ist der EuGH im Jahr 2016 in den Rechtssachen „Eurosamientos“ und „de Bolós Pi“ ausgewichen, indem er die dortigen Vorlegungsfragen zu Art. 56 AEUV ungeachtet deren Verbindung mit der Richtlinie 2006/123/EG unbeantwortet gelas­ sen hat, weil es sich um rein innerspanische Sachverhalte gehandelt habe.25 3. Aktueller Stand des deutschen Rechts Konsequenzen sind aus der gegen Deutschland ergangenen Entscheidung des EuGH 1002 durch das ÄndG zum RADG von 1990 gezogen worden.26 Seit Schaffung des Eu­ RAG vom 9.3.2000 sind die Reglungen für dienstleistende Rechtsanwälte in §§ 25 ff. EuRAG enthalten. Der dienstleistende europäische Rechtsanwalt wurde durch das RDAGÄndG von der 1003 Beachtung des Lokalisationsprinzips befreit, was mit dessen genereller Aufhebung zwischenzeitlich obsolet geworden ist. Vor dem BGH ist er in Zivilsachen nicht zu einer Vertretung befugt (§ 27 Abs. 1 S. 2 EuRAG), jedoch kann der BGH-Anwalt dem Dienstleister den Sachvortrag überlassen. Auf die Herstellung eines Einvernehmens 22 EuGH NJW 2007, 281 Tz. 59 – Cipolla/Portolese. 23 EuGH NJW 2007, 281 Tz. 64 und 67 f. 24 EuGH v. 29.3.2011 – C-565/08, NJW 2011, 1575 Tz. 53 m. Anm. Henssler. 25 EuGH v. 8.12.2016 – C-532/15 – Eurosamientos / Arcelor Mittal Zargoza und C-538/15 – de Bolós Pi / Urbaser Tz.  43 und 45 (ebenso in Tz.  54 zu den Vorlagefragen zu Art.  47 Grundrechtecharta). 26 BGBl.  I  1990 S.  479; Entwurf der BReg.: BT-Drucks. 11/4793 v. 15.6.1989; Ausschuss­ empfehlung BT-Drucks. 11/5952.

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Teil 5 ­|  Verfassungsrecht, EMRK, Unionsrecht

mit einem deutschen Rechtsanwalt ist der Dienstleister nur noch angewiesen, soweit Anwaltszwang gilt, der Mandant also nach dem maßgeblichen Verfahrensgesetz der Vertretung oder Verteidigung durch einen Rechtsanwalt bedarf. 1004

Das Einvernehmen ist vor der ersten Handlung des Dienstleisters herzustellen und nachzuweisen (§ 29 Abs. 1 EuRAG). Es gilt dann fort, bis mit Wirkung für die Zu­ kunft dem Gericht oder der Behörde ein Widerruf angezeigt wird. Handlungen ohne rechtzeitigen Nachweis sind unwirksam (§ 29 Abs. 3 EuRAG).

1005

Zwischen dem Mandanten und dem Einvernehmensanwalt kommt ohne gesonderte Vereinbarung kein Vertragsverhältnis zustande (§  28 Abs.  3 EuRAG). Die Qualität der Dienstleistung hat der Einvernehmensanwalt mangels Vertragsbeziehung zu dem Mandanten nicht zu überwachen. Er soll lediglich darauf hinwirken, dass der dienst­ leistende Anwalt die Erfordernisse der Rechtspflege beachtet (§  28 Abs.  2 S.  2 Eu­ RAG). Auch gilt er als Zustellungsbevollmächtigter, wenn kein sonstiger Zustellungs­ bevollmächtigter benannt worden ist (§  31 Abs.  2 EuRAG). Hat der Anwalt ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach bei der Bundesrechtsanwaltskammer ein­ richten lassen (§  27a EuRAG), kann ein Zustellungsbevollmächtigter entbehrlich werden, wenn ein Gericht oder eine Behörde darauf wegen Nutzung der elektroni­ schen Zustellung verzichtet hat (§ 31 Abs. 3 EuRAG). Besonderheiten gelten bei der Verteidigung von Mandanten, die in Haft sind (§ 30 EuRAG).

1006

Der ausländische Anwalt hat grundsätzlich dieselben Rechte und Pflichten wie ein inländischer Anwalt (§ 27 EuRAG). Er unterliegt der Aufsicht durch die zuständige Rechtsanwaltskammer (§  32 EuRAG) und untersteht der Anwaltsgerichtsbarkeit (§§ 33 f. EuRAG). Durch die BRAO-Novelle 2017 ist das Erfordernis der Berufshaft­ pflichtversicherung abgeschwächt worden. Der dienstleistende europäische Anwalt muss nach §  27 Abs.  3 EuRAG nur eine „angemessene“ Versicherung unterhalten. Wenn er den Mandanten entsprechend belehrt, darf er sogar ganz auf den Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung verzichten. Was angemessen ist, wird nach oben hin durch die Anforderungen für inländische Rechtsanwälte gem. §  51 BRAO be­ grenzt.27 4. Anwendungsprobleme a) Fehlender Einvernehmensanwalt

1007

Handelt der ausländische dienstleistende Anwalt im Anwaltsprozess ohne Nachweis des Einvernehmens mit einem in Deutschland zugelassenen Anwalt, sind seine Pro­ zesshandlungen gem. § 29 Abs. 3 EuRAG unwirksam; es fehlt ihm die Postulationsfä­ higkeit. Mangels Postulationsfähigkeit kann z. B. ein Rechtsmittel nicht wirksam ein­ gelegt werden. Der Nachweis setzt nicht ein separates Schreiben voraus, sondern kann z. B. auch durch Mitunterzeichnung des Einvernehmensanwalts auf einem Rechtsmittelschriftsatz erbracht werden.28 27 RegE BR-Drucks. 431/16 v. 12.8.2016, S. 185. 28 BAG NJW 2013, 1620 Tz. 22.

296

Dienstleistungsfreiheit  ­|  § 37

b) Kostenrecht Die Erstattung von Kosten eines ausländischen Dienstleisters als Prozessvertreter der 1008 obsiegenden Prozesspartei auf der Grundlage des § 91 ZPO darf die unterlegene Pro­ zesspartei nicht durch Mehrkosten unzumutbar belasten. Der EuGH hat durch Urteil vom 11.12.2003, gestützt auf Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 77/249/EWG, die Begren­ zung auf diejenigen Kosten gebilligt, die bei Vertretung durch einen im Gerichtsstaat niedergelassenen Anwalt angefallen wären.29 Erstattungsfähig sind aber die zusätz­ lichen Kosten des deutschen Einvernehmensanwalts30 und gegebenenfalls die Um­ satzsteuer in Höhe des Mehrwertsteuersatzes am Sitz des Empfängers der Dienstleis­ tung.31 c) Selbstvertretung Eingebettet in eine Kostenerstattungsfrage hat sich der EFTA-Gerichtshof mit der 1009 Selbstvertretung eines deutschen Anwalts in Liechtenstein befasst. Das Unionsrecht der Dienstleistung gilt ebenfalls in den Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) und wird insoweit auch vom EFTA-Gerichtshof überprüft. Der Gerichtshof hat die Auffassung zurückgewiesen, dass Erbringer und Empfänger der anwaltlichen Dienstleistung zwei verschiedene Personen sein müssen; vielmehr sei ein ausländi­ scher Rechtsanwalt zur Eigenvertretung zugelassen.32 Deshalb kann er auch Ersatz der für seine Tätigkeit angefallenen Gebühren verlangen.33 Die vom liechtensteini­ schen Recht verlangte jährliche Erneuerung einer Meldung zum Nachweis der Eigen­ schaft als Rechtsanwalt im Heimatstaat hat der Gerichtshof als Übermaßvorschrift angesehen, die mit Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie unvereinbar sei. Die Nichteinhaltung der Meldevorschrift sei im Übrigen ohne Einfluss auf die Forderung des Anwaltsho­ norars.34 d) Missbrauch durch verkappte Niederlassung Vom Status des dienstleistenden Anwalts ist der Status des in der Bundesrepublik 1010 Deutschland niedergelassenen ausländischen Anwalts zu unterscheiden. Fraglich kann werden, nach wieviel Dienstleistungen eine verschleierte Niederlassung vor­ liegt.35 Dafür kommt es nach § 25 Abs. 1 S. 2 EuRAG auf Kriterien wie Dauer, Häufig­ keit, regelmäßige Wiederkehr und Kontinuität an.

29 EuGH v. 11.12.2003 – C-289/02, NJW 2004, 833 Tz. 31. 30 EuGH NJW 2004, 833 Tz. 39 f.; OLG München NJW-RR 2004, 1508 unter Abkehr von ei­ gener vorangegangener Rechtsprechung. 31 OLG München MDR 2004, 841. 32 EFTA v. 27.11.2013 – E-6/13, NJW 2014, 987 Tz. 35. 33 EFTA NJW 2014, 987 Tz. 36. 34 EFTA NJW 2014, 987 Tz. 60 und 68. 35 Vgl. die Anm. von Commichau IPRax 1989, 12, 14; Everling EuR 1989, 338, 353 f., Everling Gutachten zum 58. DJT, C 31 ff.

297

Teil 5 ­|  Verfassungsrecht, EMRK, Unionsrecht 1011

Im Falle einer verschleierten Niederlassung kann sich der ausländische Anwalt nicht mehr auf die Dienstleistungsfreiheit berufen. Er ist vom Gericht zurückzuweisen. Kasuistik:

1012

BVerfG NJW 2014, 619: Die deutsche Zulassung zur Rechtsanwaltschaft des Prozessvertreters vor dem BVerfG war 2003 aus gesundheitlichen Gründen (§ 14 II Nr. 3 BRAO) widerrufen worden. Im Jahre 2012 war der Prozessvertreter in Rumänien als Avocat zugelassen worden. Er hatte einen Kanzleisitz in Rumänien und einen Zweitkanzleisitz in Bonn, von wo aus er in einer Vielzahl von Fällen aufgetreten war. Das BVerfG verneinte die Postulationsfähigkeit.

5. Grenzüberschreitende Dienstleistungen ohne physische Präsenz im Inland 1013

Dienstleistungen können auch rein schriftlich oder per Internet vom Ausland her erbracht werden. Diese Form der Leistungserbringung hat der EuGH für den Fall ei­ ner Steuerberatung nicht den Beschränkungen des § 3a StBerG unterworfen, der mit § 15 RDG inhaltlich übereinstimmte (dazu oben § 34, Rn. 924 ff.).36 Ob sich aus der Entscheidung Konsequenzen für Rechtsanwälte ergeben, ist nicht auf den ersten Blick erkennbar.

1014

Eine spezifische (sektorale) Dienstleistungsrichtlinie ist für Steuerberater nicht erlas­ sen worden. Die allgemeine Dienstleistungsrichtlinie 2006/36/EG ist deshalb auf Steuerberater grundsätzlich anwendbar. Deren Anwendungsbereich beschränkt sich aber auf Dienstleistungen, für die sich der ausländische Dienstleister auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland begibt, wie Art. 5 RL 2006/36 zu entnehmen ist.37 Daher bleibt eine unionsrechtliche Kontrolle der Regulierung von Beratungen im Wege der Fernkommunikation auf Anwendung des Primärrechts gem. Art. 56 AEUV beschränkt.38 Diese Überlegung lässt sich nicht auf Rechtsanwälte übertragen, weil die für sie geltende spezifische Richtlinie 77/249/EWG keine sachliche Einschrän­ kung enthält und deshalb auch reine Internetdienstleistungen erfasst.

1015

Inwieweit die E-Commerce-Richtlinie 2000/31/EG39 und deren Umsetzung im Tele­ mediengesetz (TMG) auf Rechtsdienstleistungen im Internet anzuwenden ist, so dass Meldepflichten des RDG nicht anwendbar wären und Maßnahmen gegen Dienste­ anbieter aus anderen Mitgliedstaaten auf die Verfolgung verbraucherschädigenden Verhaltens beschränkt blieben (§ 3 Abs. 5 S. 1 Nr. 3 TMG), ist ungeklärt. Entsprechen­ den Stimmen in der Literatur40 ist der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur ­Umsetzung der Änderungsrichtlinie zur Berufsqualifikationsanerkennungsrichtlinie 2013/55/EU nicht gefolgt.41 Der Regierungsentwurf hat auf die seltsame Konsequenz aufmerksam gemacht, dass dann innerhalb der ausschließlich über Fernkommunika­ tion erfolgenden Beratung ein Rechtsgefälle zwischen telefonischer, schriftlicher oder 36 EuGH NJW 2016, 857. 37 EuGH NJW 2016, 857 Tz. 35. 38 EuGH NJW 2016, 857 Tz. 40 f. 39 ABl. EG 2000 Nr. L 178 S. 1. 40 Deckenbrock in Deckenbrock/Henssler, RDG, 4. Aufl. 2015, § 1 RDG Rdn. 44 f. m. w. N. 41 Begründung zu Art. 6 (RDG), BT-Drucks. 18/9521 S. 206.

298

Dienstleistungsfreiheit  ­|  § 37

elektronischer Kommunikation eintrete und hat es als Vorteil gepriesen, dass derarti­ ge Dienstleistungen durch die gleichzeitig beabsichtigte IPR-Regelung des § 1 Abs. 2 RDG teilweise, freilich losgelöst von der Verwendung des Internet, aus dem territori­ alen Anwendungsbereich des RDG (s. dazu oben § 34, Rn. 924 ff.) ausgeklammert würden. § 1 Abs. 2 RDG ist mit einer Umformulierung durch den Rechtsausschuss des Bundestages42 2017 Gesetz geworden.

III. Weitere EU-Richtlinien mit Bezug zur Anwaltschaft 1. Richtlinie 2006/123/EG a) Geltungsbereich Über die spezifischen Richtlinien zur Erleichterung grenzüberschreitender Dienst­ 1016 leistungen der Rechtsanwälte und über die grenzüberschreitende Niederlassung (dazu nachfolgend § 38, Rn. 1020 ff.) hinausgehend enthält das Unionsrecht mit der Richtlinie 2006/123/EG vom 12.12.200643 Normen, die sich allgemein mit der Er­ bringung von Dienstleistungen befassen und zum Teil  auch für die Angehörigen reglementierter Berufe gelten. Sie betreffen sowohl die Erbringung einzelner gele­ gentlicher Dienstleistungen als auch die dauernde Niederlassung. Ihr Regelungsge­ halt beschränkt sich nicht auf die Tätigkeit ausländischer Rechtsanwälte in einem anderen Mitgliedstaat, sondern gilt – nach freilich umstrittener Ansicht44 – ebenso für die Berufsausübung durch inländische Rechtsanwälte (Werberestriktionen entge­ gen § 43b BRAO, multidisziplinäre Zusammenarbeit). b) Regelungsmaterien Die Richtlinie 2006/123 schreibt vor, dass für behördliche Verfahren über die Aus­ 1017 übung einer Dienstleistungstätigkeit ein elektronischer Kommunikationsweg ein­ zurichten ist (Art. 8 Abs. 1), dass eine Residenzpflicht nicht verpflichtend gemacht werden darf (Art. 14 Abs. 1 lit. b), dass den Dienstleistungsempfängern diverse Infor­ mationen über den Dienstleistungserbringer zur Verfügung zu stellen sind (Art. 22), u. a. über den Zugang zu im Niederlassungsstaat geltenden berufsrechtlichen Regeln, dass Berufshaftpflichtversicherungen aus anderen Staaten als dem Niederlassungs­ staat bei Vergleichbarkeit des Deckungsschutzes ausreichend sind (Art.  23 Abs.  2), dass kommerzielle Kommunikation (also Werbung) nicht absolut verboten ist, son­ dern nur bestimmten Restriktionen zum Schutz von Rechtspflegebedürfnissen unter­ worfen werden darf (Art. 24) und dass die partnerschaftliche Ausübung multidiszip­ linärer Tätigkeiten nicht grundsätzlich verboten werden darf, jedoch bei Angehörigen reglementierter Berufe die gleichzeitige Einhaltung der verschiedenen Standesregeln 42 BT-Drucks. 18/11468 v. 21.3.2017. 43 ABl. EU 2006 Nr. L 376 S. 36. 44 S. dazu Schiff EuZW 2015, 855 ff. (Geltung der RL nur, soweit auch die Grundfreiheit des Art. 49 AEUV sachlich reicht).

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Teil 5 ­|  Verfassungsrecht, EMRK, Unionsrecht

und der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit national gesichert werden kann (Art. 25 Abs. 1 Unterabs. 2 lit. a). c) Nationale Umsetzung 1018

Deutschland hat diese Anforderungen im Bereich der Justiz u. a. in der BRAO und im RDG umgesetzt,45 allerdings nicht unter voller Beachtung aller unionsrechtlicher Vorgaben. Im Wesentlichen erschöpft sich die nationale Regelung in Vorgaben für die fristgebundene Abwicklung von Verwaltungsverfahren über Genehmigungen im Zu­ sammenhang mit der Anwaltstätigkeit, in der Festlegung einer Zuständigkeit von Verstößen gegen die Dienstleistungs-InformationspflichtenVO (nämlich der RAK) und in der Eröffnung des Zugangs ausländischer Insolvenzverwalter zur Insolvenz­ verwaltervorauswahlliste (Art. 102a InsO). Mit der Novelle des EuRAG von 2017 ist durch Einfügung eines neuen § 27 Abs. 3 das Erfordernis einer Berufshaftpflichtver­ sicherung abgeschwächt worden. 2. Richtlinie 2013/36/EG zur Änderung der Richtlinie 2006/36/EG

1019

Von sehr geringer Bedeutung für Rechtsanwälte ist die Richtlinie 2013/36/EG vom 20.11.201346 mit ihren detaillierten Regelungen zu einem  Europäischen Berufsaus­ weis. Dieser Ausweis wird für Rechtsanwälte gem. Erwägungsgrund 4 als entbehrlich angesehen, weil bereits mit der sektoralen Dienstleistungsrichtlinie 77/249/EWG eine passende Bescheinigung des Herkunftsstaates zum Nachweis der erworbenen Berufs­ qualifikation eingeführt worden sei. Zu den Anforderungen an die Berufsqualifikati­ on s. § 38, Rn. 1036 f.

45 S. dazu RegE BT-Drucks. 17/3356 v. 21.10.2010. 46 ABl. EU 2013 Nr. L 354 S. 132.

300

§ 38 Zuwanderung ausländischer Rechtsanwälte und ­Anwaltsbewerber



I. Inlandsniederlassung 1. Entwicklung der Niederlassungsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1020 2. Rechtsprechung des EuGH a) Luxemburger Restriktionen: Sprachkenntnisse, wiederkehrende Nachweise . . . . . . . . 1024 b) Italien: Abwehr von Rechtsmissbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . 1028 3. Transformation im EuRAG . . . . 1029 4. Rechtsanwaltsgesellschaften . . . . 1031

II. Zulassung aufgrund einer Diplomanerkennung 1. Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 1032 2. Umsetzung in das nationale Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1039 3. Eignungsprüfungen . . . . . . . . . . . 1043 III. Zusätzliche Niederlassungserleichterungen: GATS, §§ 206 f. BRAO . . . . . . . . . . . . . . 1047

I. Inlandsniederlassung 1. Entwicklung der Niederlassungsregelung Erste Vorschläge für eine Niederlassungsrichtlinie hat 1992 der Rat der europäischen 1020 Anwaltschaften (CCBE) gemacht.1 Die EG-Kommission hat 1994 einen Richtlini­ envorschlag vorgelegt.2 Danach sollte nach dreijähriger Tätigkeit in einem anderen Mitgliedsstaat die grundsätzliche Berechtigung zur Zulassung im Gastland unter der dortigen Anwaltsbezeichnung bestehen. Dieser Entwurf ist vom Deutschen Anwalts­ verein und vom Rechtsausschuss des Bundestages heftig kritisiert worden.3 Die deutsche Justizministerkonferenz hat sich im Herbst 1995 im Interesse des Verbrau­ cherschutzes dagegen ausgesprochen, Anwälten aus anderen EU-Staaten vom ersten Tag an eine Zulassung zur Rechtsberatung im Recht des Aufnahmestaates zu gewäh­ ren und sie nach Ablauf einer Übergangszeit voll in die Rechtsanwaltschaft des Auf­ nahmestaates zu integrieren.4 Die Vollversammlung der CCBE hat im November 1995 als Kompromiss vorgeschlagen, grundsätzlich vom Erfordernis einer Eignungs­ prüfung auszugehen, davon aber nach fünfjähriger effektiver und regelmäßiger Tätig­ keit im Aufnahmestaat und zusätzlichen Nachweisen dispensieren zu können. Erlas­ sen wurde die Niederlassungsrichtlinie 98/5/EG5 am 16.2.1998.

1 Vgl. dazu Wackie Eysten EuZW 1993, 721, 724. 2 Ratsdok. 6263/95, ABl. EG Nr.C 128 v. 24.5.1995 S. 6 ff. = BR-Drucks. 218/95. 3 S. dazu auch Rabe NJW 1995, 1403. 4 Sitzungsbericht in ZRP 1996, 28. 5 ABl. EG Nr. L 77 S. 36.

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Teil 5 ­|  Verfassungsrecht, EMRK, Unionsrecht Kasuistik:

1021

EuGH NJW 1996, 579 ff. (Gebhard/Consiglio dell’Ordine degli Avvocati e Procuratori di Milano) m. Anm. Ehlers/Lackhoff JZ 1996, 467 ff. und Bespr. Ewig BRAK-Mitt. 1996, 13 ff.: Der deutsche Staatsangehörige Gebhard war seit 1977 in Stuttgart als Rechtsanwalt zugelassen und dort in einer Kanzlei als freier Mitarbeiter tätig; eine eigene Kanzlei besaß er in Deutschland nicht. Seit 1978 wohnte er mit seiner italienischen Ehefrau und seinen drei Kindern in Italien, wo er auch sein Einkommen in vollem Umfang versteuerte. Der Vorstand der Anwaltskammer Mai­ land hatte gegen ihn ein Disziplinarverfahren eingeleitet, weil er in Italien unter Verstoß gegen das dortige Gesetz Nr. 31 vom 9. 2. 1982 über den freien Dienstleistungsverkehr von EG-An­ gehörigen einer dauernden Berufstätigkeit in einer von ihm eingerichteten Kanzlei und unter Verwendung der Bezeichnung „avvocato“ nachgehe. Der EuGH entschied auf Vorlage des Consiglio Nazionale Forense. Der EuGH grenzte vorübergehende Dienstleistungserbringung und Niederlassung unter Be­ rücksichtigung der Dauer, Häufigkeit, regelmäßigen Wiederkehr und Kontinuität der Tätigkeit ab. Ein Dienstleister kann sich im Aufnahmestaat mit der für die Erbringung seiner Leistung erforderlichen Infrastruktur einschließlich eines Büros, einer Praxis oder einer Kanzlei aus­ statten. Der Gerichtshof bejahte, dass der Angehörige eines Mitgliedsstaates, der in stabiler und konti­ nuierlicher Weise eine Berufstätigkeit in einem anderen Mitgliedsstaat ausübt, indem er sich von einem Berufsdomizil aus an die Angehörigen dieses Staates wendet, nach den Vorschriften über das Niederlassungsrecht und nicht nach denen über Dienstleistungen zu beurteilen ist. Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit richtet sich grundsätzlich nach den Bedingungen des Aufnahmestaates, doch müssen nationale Regelungen, die die Ausübung der grundlegenden Freiheiten des EGV behindern, nichtdiskriminierend angewandt werden, durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, sowie zur Zielverwirklichung geeignet und erforderlich sein. Die Gleichwertigkeit der Diplome müsse berücksichtigt und gegebe­ nenfalls eine vergleichende Prüfung der im Aufnahmestaat geforderten Kenntnisse und Qua­ lifikationen mit denjenigen des Betroffenen vorgenommen werden. BGH NJW 1990, 272 hatte ebenfalls dem EuGH zur Vorabentscheidung die Frage vorgelegt, ob die Niederlassungsfreiheit es nicht gebiete, einen ausländischen Rechtsanwalt, der im Aufnah­ mestaat bereits mehrjährig tätig ist, dort auch unabhängig von den Zulassungsregeln des Auf­ nahmestaates zur Rechtsanwaltschaft zuzulassen.6 Darauf hat der EuGH durch Urteil vom 7.5.1991 – C-340/89, NJW 1991, 2073 Tz. 16 ff., geantwortet, dass bei einer Zulassungsentscheidung die im Herkunftsstaat erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten, die durch ein Diplom bescheinigt werden, auf ihre Gleichwertigkeit mit den Leistungsanforderungen im Nie­ derlassungsstaat zu prüfen und zu berücksichtigen sind.

1022

Die Richtlinie 98/5/EG erleichtert die ständige Ausübung des Rechtsanwaltsberufes in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen, in dem die Berufsqualifikation er­ worben wurde. Sie betrifft (nur) Personen, die in ihrem Herkunftsstaat bereits als Rechtsanwalt zugelassen sind7 und berechtigt gem. Art.  5 Abs.  1 zur Beratung im Recht des Herkunftsstaates, des Unionsrechts und des Rechts des Aufnahmestaates. Auszuüben ist die Tätigkeit unter der ursprünglichen Berufsbezeichnung (home tit­ 6 Der Sachverhalt wich etwas ab von demjenigen der Entscheidung EuGH v. 19.1.1989 – Rs. 292/88, AnwBl. 1989, 337 ff. 7 EuGH v. 13.11.2003 – C-313/01 – Morgenbesser/Consiglio Nazionale Forense, EuZW 2004, 61 Tz. 45 und 55.

302

Zuwanderung ausländischer Rechtsanwälte und ­Anwaltsbewerber  ­|  § 38

le-Anwalt, Art. 4 Abs. 1). Der ausländische Anwalt hat trotz grundsätzlicher Vollhar­ monisierung das Berufsrecht sowohl seines Herkunftsstaates als auch das des Auf­ nahmestaates zu beachten (Art. 6 Abs. 1). Schon vor seiner vollständigen Eingliederung unterliegt er dem Disziplinarrecht des Aufnahmestaates. National darf auch für ab­ hängig beschäftigte Anwälte die Vermeidung von Interessenkonflikten zur Sicherung der Unabhängigkeit geregelt werden (zum angestellten Anwalt § 6, Rn. 111 ff.).8 Nach mindestens dreijähriger effektiver und regelmäßiger Beratung im Recht des 1023 Aufnahmestaates kann sich der ausländische Anwalt im Aufnahmestaat vollständig in die dortige Anwaltschaft eingliedern lassen (Art. 10 Abs. 1); er wird dann im Auf­ nahmestaat zum Rechtsanwaltsberuf unter dessen Berufsbezeichnung zugelassen. Eine vorzeitige Eingliederung ist nach Ablegung einer Prüfung möglich (Art.  10 Abs. 3). Die Richtlinie schließt nicht aus, dass der Zuwanderer nach dem Recht des Aufnahmestaates schon vor der Eingliederung Mitglied einer Rechtsanwaltskammer werden muss.9 2. Rechtsprechung des EuGH a) Luxemburger Restriktionen: Sprachkenntnisse, wiederkehrende Nachweise Die Niederlassungsrichtlinie 98/5/EG stellt eine Vollharmonisierung dar, so dass die 1024 Mitgliedstaaten – von den Ausnahmen der Art. 6 und 8 der Richtlinie abgesehen – keine strengeren nationalen Anforderungen aufstellen dürfen.10 Luxemburg hat die Richtlinie zunächst erfolglos insgesamt angegriffen11 und u. a. gel­ 1025 tend gemacht, die Tätigkeit im Recht des Aufnahmestaates widerspreche den Interes­ sen des Verbraucherschutzes und einer geordneten Rechtspflege. Das hat der EuGH nicht gelten lassen. Der zuwandernde Rechtsanwalt müsse unter seiner heimatlichen Berufsbezeichnung tätig werden, so dass das Land des Qualifikationserwerbs erkenn­ bar sei; außerdem sei der Zuwanderer kumulativ den Berufsregeln des Aufnahme­ staates einschließlich des Nachweise einer Berufshaftpflichtversicherung unterwor­ fen.12 Es folgte dann das Verfahren „Wilson/Ordre des Avocats du Barreau de Luxembourg“. 1026 Dort hat der EuGH zunächst geklärt, dass die effektive Rechtsbehelfsmöglichkeit ge­ gen eine ablehnende Entscheidung über einen Niederlassungsantrag zu einem unab­ hängigen und unparteilichen Gericht führen müsse, das nicht mehrheitlich mit kon­ kurrierenden Anwälten des Niederlassungsstaates besetzt ist.13 Unzulässig sei es, die 8 EuGH v. 2.12.2010 – C-225/09 – Jakubowska/Maneggia, NJW 2011, 1199 Tz. 58 f. und 61. 9 EuGH v. 3.2.2011 – C-359/09 – Ebert, NJW 2011, 1273 Tz. 36 ff. m. Bespr. Frenz/Wübbenhorst NJW 2011, 1262 ff. 10 EuGH v. 19.9.2006  – C-506/04, NJW 2006, 3697 Tz.  66  – Wilson; EuGH v. 2.12.2010  – C-225/09 – Jakubowska/Maneggia, NJW 2011, 1199 Tz. 55; EuGH v. 17.7.2014 – C-58 und 59/13, NJW 2014, 2849 Tz. 38 f. – Torresi m. Bespr. Lörcher. 11 EuGH v. 7.11.2000 – C-168/98, NJW 2001, 137. 12 EuGH NJW 2000, 137 Tz. 34 ff. 13 EuGH NJW 2006, 3697 Tz. 57.

303

Teil 5 ­|  Verfassungsrecht, EMRK, Unionsrecht

Niederlassung von einer vorherigen Überprüfung der Sprachkenntnisse abhängig zu machen. Der Mandant werde auf eventuelle Unzulänglichkeiten der Sprachbeherr­ schung durch die Berufsbezeichnung des Herkunftsstaates aufmerksam gemacht und vor Gericht könne der Einvernehmensanwalt für einen Ausgleich fehlender Sprach­ fertigkeiten sorgen. Zudem verpflichteten die Standesregeln des Rates der Anwalt­ schaften der Europäischen Union (CCBE), die in die nationalen Berufsregeln integ­ riert seien, zur disziplinarrechtlich gesicherten Abstandnahme von der Bearbeitung von Fällen, für die die eigenen Sprachkenntnisse nicht ausreichten.14 1027

In einem weiteren, ebenfalls am 19.9.2006 entschiedenen Verfahren hat der EuGH erneut drei luxemburgische Regelungen für unionsrechtswidrig erklärt, nämlich wie­ derum die vorherige Sprachprüfung, ferner die Untersagung von Tätigkeiten in Be­ zug auf die Domizilierung von Gesellschaften und schließlich die Verpflichtung, die Fortdauer der Eintragung in das Anwaltsregister des Herkunftsstaates jährlich wie­ derkehrend nachzuweisen.15 b) Italien: Abwehr von Rechtsmissbrauch

1028

In dem Verfahren „Torresi“ hatte der EuGH über den Vorwurf eines Rechtsmiss­ brauchs durch Umgehung des italienischen Vorbereitungsdienstes zu entscheiden. Eine nicht unerhebliche Zahl italienischer Absolventen der universitären Juristenaus­ bildung ließ sich sofort nach dem italienischen Examen in Spanien als Abogado zu und kehrten mit diesem Anwaltstitel kurze Zeit später nach Italien zurück (ein durch Änderungen in Spanien heute nicht mehr attraktiver Weg). Darin sah der EuGH kei­ nen Rechtsmissbrauch der Niederlassungsrichtlinie.16 3. Transformation im EuRAG

1029

Umgesetzt worden ist die Niederlassungsrichtlinie in Deutschland durch die §§ 2 ff. EuRAG. Nach deren allgemeinen Bestimmungen hat der ausländische Anwalt jähr­ lich eine Bescheinigung der im Herkunftsstaat zuständigen Stelle über seine dortige Zugehörigkeit zum Rechtsanwaltsberuf vorzulegen (§ 6 Abs. 2 EuRAG), was freilich nach dem Luxemburg betreffenden Urteil des EuGH vom 19.9.2006 in der Rechtssa­ che C-193/05 unionsrechtswidrig ist (zuvor Rn. 1027). Vom Nachweis einer inländi­ schen Berufshaftpflichtversicherung ist der Anwalt befreit, wenn er eine gleichwertige Versicherung im Herkunftsstaat abgeschlossen hat und darüber jährlich einen Nach­ weis führt (§ 7 EuRAG).

1030

Die Eingliederung aufgrund einer dreijährigen Tätigkeit regeln die §§ 11 f. EuRAG, die Zulassung nach kürzerer Tätigkeit im deutschen Recht die §§ 13 ff. EuRAG. Das Erfordernis dreijähriger Tätigkeit auf dem Gebiet des deutschen Rechts hat der BGH

14 EuGH NJW 2006, 3697 Tz. 70 und 73 f. 15 EuGH v. 19.9.2006 – C-193/05, BB 2006, 2150 = NJW 2006, 3701 (LS). 16 EuGH, C-58 und 59/13, NJW 2014, 2849 Tz. 49 ff.

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Zuwanderung ausländischer Rechtsanwälte und ­Anwaltsbewerber  ­|  § 38

für einen österreichischen Syndikusanwalt mit Beschäftigung in einer deutschen Un­ ternehmensniederlassung verneint.17 4. Rechtsanwaltsgesellschaften Rechtsanwaltskapitalgesellschaften, die als solche zur Beratung und Vertretung zuge­ 1031 lassen sind (vgl. § 59c BRAO für Deutschland), können für sich ebenfalls das Recht der Niederlassungsfreiheit des Art.  49 AEUV in der Auslegung gesellschaftsrecht­ licher Urteile des EuGH18 in Anspruch nehmen, wenn sie ihren Sitz in einem ­Mitgliedstaat der EU, des EWR oder der Schweiz haben. Gem. Art. 54 Abs. 1 AEUV stehen Gesellschaften mit satzungsmäßigem Sitz, Hauptverwaltung oder Hauptnie­ derlassung innerhalb der EU denjenigen natürlichen Personen gleich, die EU-Bürger sind. Für die Registrierung der Zweigniederlassung einer deutschen Anwalts-GmbH bei der Anwaltskammer Straßburg hat die französische Cour de Cassation dies posi­ tiv entschieden.19

II. Zulassung aufgrund einer Diplomanerkennung 1. Unionsrecht Die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen im Hinblick auf die nach § 4 1032 BRAO notwendige Befähigung zum Richteramt gem. § 5 DRiG war ursprünglich so erschwert, dass die Beachtung der Niederlassungsfreiheit erst nach langwieriger Pro­ zessführung erzwungen werden konnte. Kasuistik: (a) EuGH NJW 1991, 2073  f. (Vlassopoulou/Land Baden-Württemberg): Der griechischen Rechtsanwältin Vlassopoulou war vom Justizministerium Baden-Württemberg 1988 die Zu­ lassung zur Rechtsanwaltschaft verweigert worden, da sie nicht die gem. § 4 BRAO erforderli­ che Befähigung zum Richteramt erworben habe und die Niederlassungsfreiheit des Art.  43 EGV (ex Art. 52, heute Art. 56 AEUV) nicht das Recht gewähre, aufgrund einer in Griechen­ land erworbenen beruflichen Qualifikation den Beruf in Deutschland auszuüben. Neben ih­ rem griechischen Diplom hatte sie in Tübingen einen deutschen Doktorgrad erworben und war seit 1983 in einer deutschen Anwaltskanzlei tätig gewesen. Der EuGH hat die Niederlassungsfreiheit dahin ausgelegt, dass bei Anwaltsbewerbern aus an­ deren EG-Staaten die im Herkunftsland erworbenen Diplome mit den im Aufnahmestaat ge­ forderten Voraussetzungen zu vergleichen seien, wobei Art und Dauer des Studiums sowie der praktischen Ausbildung Rückschlüsse auf das Maß der im Diplom bescheinigten Kenntnisse und Fähigkeiten eröffneten. Dies gilt auch für einen im Aufnahmestaat vorgeschriebenen be­ ruflichen Vorbereitungsdienst bzw. ein Berufspraktikum. Entsprechen sich die Diplome nur teilweise, so können Nachweise verlangt werden, dass fehlende Kenntnisse und Fähigkeiten 17 BGH (AnwS) NJW 2011, 1517 Tz. 13 ff. 18 S. dazu Grunewald/Müller NJW 2005, 465 ff. 19 Cour de Cassation, 1ère Ch., 3.7.2008, No. 06-20514, Bulletin des Arrêts 2008 I, No. 187 S. 159 m. Bespr. Schmidt-Kessel/Kopp GPR 2008, 221 ff.

305

1033

Teil 5 ­|  Verfassungsrecht, EMRK, Unionsrecht vom Bewerber erworben wurden. Die Mitgliedsstaaten dürfen festlegen, welche Kenntnisse und Fähigkeiten zur Berufsausübung notwendig sind. Die Vergleichsprüfung muss einer ge­ richtlichen Überprüfung auf Einhaltung des Gemeinschaftsrechts zugänglich sein.

1034

(b) EuGH, 13.11.2003, C-313/01, EuZW 2004, 61 – Morgenbesser/Consiglio Nazionale Forense: Die französische Klägerin hatte in Frankreich das Diplom einer maîtrise en droit erworben. Nach achtmonatiger Tätigkeit in einer Pariser Anwaltskanzlei ohne Funktion als stagiaire wechselte sie in ein Anwaltsbüro in Genua und beantragte vergeblich, in das Register der praticanti, also der Rechtsanwaltsanwärter eingetragen zu werden. Die Tätigkeit als praticante stellt den praktischen Teil der für eine Anwaltszulassung zu absolvierenden Ausbildung dar. Der EuGH bestätigte, dass die Niederlassungsrichtlinie 98/5/EG nur den im Herkunftsstaat bereits voll qualifizierten Rechtsanwalt betrifft (Tz.  45 und 55). Der EuGH hat jedoch die Grundfreiheit des damaligen Art. 43 EG als verletzt angesehen, weil die italienische Behörde nicht die durch Diplom und die gewonnene Berufserfahrung auf eine zumindest teilweise Gleichwertigkeit mit dem innerstaatlichen italienischen Diplom geprüft hatte.

1035

Zur Erleichterung der Anerkennung von Hochschulabschlüssen hat die EU zunächst am 21.12.1988 die Diploman­ er­ kennungsrichtlinie 89/48/EWG erlassen.20 Sie ist durch die Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen21 erheblich umgestaltet worden.

1036

Die Richtlinie 2005/36 legt u. a. fest, nach welchen Vorschriften Berufsqualifikationen des Herkunftsstaates eines Bewerbers beim Zugang zu einem reglementierten (auch freien) Beruf in einem anderen Mitgliedstaat anzuerkennen sind (Art.  1 und 13 Abs. 1), soweit nicht in einem anderen Unionsrechtsakt speziellere Regelungen fest­ gelegt sind (Art.  2 Abs.  3).22 Die Anerkennung durch den Aufnahmestaat ermög­ licht es dem Bewerber, denjenigen vergleichbaren Beruf im Aufnahmestaat auszu­ üben, für den die Qualifikation im Herkunftsstaat erworben wurde; die begünstigte Person wird damit denselben Voraussetzungen wie ein Inländer unterworfen (Art. 4 Abs. 1, 13 Abs. 1). Weicht bei Juristen das Recht des Herkunftsstaates von dem Recht des Aufnahmestaates in für die Beratung wesentlichen Punkten ab, kann der Aufnah­ mestaat einen höchstens dreijährigen Anpassungslehrgang oder eine Eignungsprü­ fung vorschreiben (Art. 14 Abs. 1 und 3 Unterabs. 1).

1037

Die Änderungsrichtlinie 2013/55/EG23 verpflichtet für den Bereich der Anerkennung juristischer Qualifikationen zur Prüfung, ob Defizite durch Berufspraxis oder Weiter­ bildungsmaßnahmen voll ausgeglichen sind, ehe eine Eignungsprüfung auferlegt werden darf.

20 Zur sachlichen Anwendung auf juristische Diplome EuGH v. 7.9.2006 – C-149/05 – Price, EuZW 2007, 94 Tz. 57. 21 ABl. EU 2005 Nr. L 255 S. 22. 22 Zur Teilanerkennung EuGH v. 19.1.2006 – C-330/03 – Colegio de Ingenieros de Caminos, Canales y Puertos, NJW 2006, 13333 Tz. 20. 23 ABl. EU 2013 Nr. L 354 S. 132.

306

Zuwanderung ausländischer Rechtsanwälte und ­Anwaltsbewerber  ­|  § 38 Kasuistik: EuGH v. 22.12.2010 – C-118/09 – Koller, NJW 2011, 833 m. Bespr. Frenz/Wübbenhorst NJW 2011, 2849  ff.: Der Kläger hatte in Österreich das Jurastudium mit einem Magister abge­ schlossen. Nach weiteren drei Jahren juristischer Ausbildung an der Universität Madrid hatte er aufgrund dortiger Ergänzungsprüfungen den Titel des Licenciado en Derecho erlangt und wurde darauf gestützt als spanischer Abogado zugelassen. In Österreich beantragte er als­ dann die Zulassung zur Eignungsprüfung als Rechtsanwalt, verbunden mit dem Antrag, ihm sämtliche Prüfungsfächer wegen seines österreichischen Studiums zu erlassen. Das wurde ab­ gelehnt wegen fehlender praktischer Tätigkeiten als Anwaltsbewerber in Österreich. Der EuGH verneinte dieses Erfordernis in Anwendung der RL 89/48/EG in der geänderten Fas­ sung der RL 2001/19/EG.

1038

2. Umsetzung in das nationale Recht Die Diplomanerkennungsrichtlinie ist in Deutschland durch Gesetz vom 6. 7. 1990 1039 (RAEigG) umgesetzt worden.24 Auf dessen Grundlage ist die EignungsprüfungsVO (EigPV) v. 18.12.199025 erlassen worden. Mit welchem Unverständnis und Wider­ standswillen diese Regelung in einem Einzelfall angewandt worden ist, zeigt der Fall eines schwedischen Privatdozenten, der das erste Staatsexamen in Deutschland abge­ legt hatte.26 Nachfolgeregelung sind die §§ 16 ff. EuRAG. Sie sind 2017 neu gefasst worden. Als Reaktion auf die Rechtsprechung des EuGH in den Sachen Vlassopoulou und 1040 Morgenbesser hat der Rechtsausschuss des Bundestages in den Regierungsentwurf des 2. Justizmodernisierungsgesetzes von 200627 §  112a DRiG eingearbeitet, der die Gleichwertigkeitsprüfung für juristische Universitätsabschlüsse aus anderen Staaten der EU, des EWR und der Schweiz als Voraussetzung der Zulassung zum juristischen Vorbereitungsdienst regelt.28 In dem Umfang, in dem die Gleichwertigkeit verneint wird, muss der Antragsteller eine deutschsprachige Eignungsprüfung ablegen. An die Seite des § 112a DRiG tritt für die Beamtenlaufbahnen des Bundes der § 18 BBG, der die Anerkennung der Laufbahnbefähigung aufgrund der Richtlinie 2005/36/EG und aufgrund in Drittstaaten erworbener Berufsqualifikationen in Verbindung mit der ergänzenden LBAV des Bundesinnenministeriums regelt. Für diejenigen Personen, die ihre ausländische Berufsausbildung zum europäischen 1041 Rechtsanwalt bereits vollständig abgeschlossen haben, gelten in Nachfolge zur EigPV die §§ 16 ff. EuRAG. Sie ermöglichen denjenigen Personen die Ablegung einer Eig­ 24 BGBl.  I S.  1349, zurückgehend auf den Entwurf v. 21.12.1989, BT-Drucks. 11/6154 mit Bericht des Rechtsausschusses v. 16.3.1990, BT-Drucks. 11/6721. Kritisch zu der Umset­ zung hinsichtlich der Art der vorgesehenen Prüfung Kewenig JZ 1990, 782, 784. 25 BGBl. I 1990 S. 2881. 26 VG Düsseldorf NJW 1997, 339. 27 RegE BT-Drucks. 16/3038 v. 19.10.2006; Gesetz: BGBl. I 2006, 3416. 28 Die Bezugnahme des Ausschussberichts auf die Entscheidung Kranemann des EuGH v. 17.3.2005 – C-109/04, NJW 2005, 1481, ist insofern unergiebig, als es dort nur um die Er­ stattung von Reisekosten für eine ausländische Referendarstation ging. Zur Bedeutung der Gleichwertigkeit BGH (XII.ZS) MDR 2017, 426 Tz. 20.

307

Teil 5 ­|  Verfassungsrecht, EMRK, Unionsrecht

nungsprüfung, die als zuwanderungswillige ausländische Rechtsanwälte ihre Zulas­ sung als deutscher Rechtsanwalt losgelöst von der Absolvierung einer dreijährigen Berufsausübung im deutschen Recht beantragen wollen. Allein mit der erfolgreichen Gleichwertigkeitsprüfung nach §  112a DRiG ist die Zulassung als inländischer Rechtsanwalt nicht zu erlangen.29 Besonderheiten sieht § 16 Abs. 2 EuRAG für Be­ werber vor, die ihre Berufsausbildung als europäischer Rechtsanwalt nicht überwie­ gend in der EU oder den gleichgestellten Staaten (EWR, Schweiz) ausgeübt haben. 1042

Aufgrund des 2017 geänderten § 16 EuRAG ist ein Antrag nicht mehr primär auf die Ablegung einer Eignungsprüfung zu beziehen, sondern auf die Feststellung der Gleich­ wertigkeit der erlangten ausländischen Berufsqualifikation. Eine Eignungsprüfung darf das Landesjustizprüfungsamt (§ 18 EuRAG) dann nur noch unter den Vorausset­ zungen des § 16a Abs.3 EuRAG auferlegen, wenn nämlich Ausbildungsunterschiede zu den Wissensanforderungen an deutsche Rechtsanwälte nicht durch Berufspraxis oder Weiterbildungsmaßnahmen ausgeglichen wurden. 3. Eignungsprüfungen

1043

Die Eignungsprüfung gem. § 112a Abs. 3 DRiG dient der Beurteilung, ob der Bewer­ ber voraussichtlich die Fähigkeit besitzt, den juristischen Vorbereitungsdienst erfolg­ reich abschließen zu können.

1044

Die Eignungsprüfung gem. § 16a Abs. 3 EuRAG ermöglicht beruflichen Zuwande­ rern aus einem anderen EU-Staat30 mit dortiger Anwaltszulassung die frühzeitige Zulassung zur Rechtsanwaltschaft in Deutschland, sofern sie nach Auffassung des Landesjustizprüfungsamtes erforderlich ist (s. zuvor Rn. 1042). Sie dient der Feststel­ lung beruflicher Kenntnisse des Antragstellers und seiner Fähigkeit, den Anwalts­ beruf in Deutschland auszuüben. Dabei muss dem Umstand Rechnung getragen ­werden, dass der Antragsteller bereits eine berufliche Qualifikation für den Rechtsan­ waltsberuf erworben hat (§ 17 EuRAG). Die zu erbringenden Leistungen beschreiben die §§ 20 f. EuRAG. Einzelne Prüfungsleistungen können nach § 21 Abs. 2 EuRAG (Fassung von 2017) erlassen werden. Aus Art. 101 f. AEUV ergibt sich nicht, dass die Zusammensetzung des Prüfungsausschusses nicht auf Rechtskundige des Aufnahme­ staates beschränkt sein darf.31 Kasuistik:

1045

(a) VGH Baden-Württemberg NJW 2005, 3656 = BRAK-Mitt 2006, 45 m. Anm. Eichele: Ein Österreicher mit juristischem Universitätsabschluss aus Österreich hatte nach Erwerb eines Master of Laws in New York das Bar Examn abgelegt und knapp zwei Jahre als Attorney at Law in den USA gearbeitet. Danach wechselte er nach England, arbeitete dort knapp ein Jahr als Associate und legte dann den Eignungstest (Qualified Lawyers Transfer Test) ab. Er wurde

29 BGH (AnwS) NJW 2009, 1822 Tz. 16. 30 Zu dieser Begrenzung BVerwG AnwBl 2000, 256, 267. 31 EuGH v. 17.2.2005 – C-250/03 – Mauri, NJW 2005, 963 Tz. 37 = EuZW 2005, 273 m. Anm. Eichele.

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Zuwanderung ausländischer Rechtsanwälte und ­Anwaltsbewerber  ­|  § 38 daraufhin als Solicitor zugelassen und begehrte, zur Eignungsprüfung in Deutschland zuge­ lassen zu werden, was ihm verweigert wurde. Der VGH hat der Berufung des Klägers nicht stattgegeben, weil er den Zugang zum europäi­ schen Anwalt des Solicitor nicht aufgrund einer Berufstätigkeit erlangt habe, die er innerhalb der dreijährigen Mindestzeit des § 16 Abs. 2 EuRAG a. F. mehrheitlich in der EU verbrachten hatte. § 16 Abs. 1 und 2 EuRAG a. F. erfassten den atypischen Fall nicht. Die Rechtsanwendung durch den VGH verkannte normzweckwidrig, dass der Kläger mit seinem österreichischen Juraexa­ men weit mehr Kenntnisse einer europäischen Rechtsordnung aufzuweisen hatte als ein Be­ werber, der „glatt“ die Voraussetzungen des § 16 Abs. 2 EuRAG a. F. erfüllte, was wiederum ein Beispiel für von der Rechtspraxis künstlich aufgebaute Zulassungshindernisse gibt. Vergleichbar unbefriedigend AnwGH Naumburg NJW 2006, 3725, 3729. Zur Diplomanerken­ nung in einem vergleichbaren Sachverhalt als Voraussetzung des Notarberufs BVerwG NJWRR 2010, 1504. (b) EuGH v. 10.12.2009  – C-345/08  – Pésla / Justizministerium Mecklenburg-Vorpommern, NJW 2010, 137: Der Kläger hatte sein Jurastudium an der Universität von Poznán abgeschlos­ sen und in der Universität Frankfurt/Oder im deutsch-polnischen Studiengang zwei akademische Grade erworben. Sein Antrag, die Gleichwertigkeit der Ausbildung gem. §  112a DRiG festzustellen und ihn zum Referendardienst zuzulassen, wurde abgelehnt.

1046

Der EuGH stelle fest, dass Art. 45 AEUV (ex Art. 39 EG) nicht verlange, niedrigere Anforde­ rungen an die juristischen Kenntnisse des Bewerbers zu stellen als an Absolventen der deut­ schen universitären Ausbildung, dass aber eine teilweise Anerkennung nachgewiesener Quali­ fikationen so zu handhaben ist, dass die rechtliche Möglichkeit nicht rein fiktiv bleibt.

III. Zusätzliche Niederlassungserleichterungen: GATS, §§ 206 f. BRAO Die Niederlassung ausländischer Rechtsanwälte aus Drittstaaten außerhalb der EU, 1047 des EWR und der Schweiz kann auch auf Grundlage des § 206 BRAO erfolgen. § 206 Abs.  1 BRAO handelt von Anwälten aus Staaten der Welthandelsorganisation. Sie dürfen sich in Deutschland unter ihrer heimischen Berufsbezeichnung zur Rechts­ besorgung im Recht ihres Herkunftsstaates und im Völkerrecht niederlassen, müssen allerdings zuvor in die örtlich zuständige Rechtsanwaltskammer aufgenommen ­worden sein (§ 206 Abs. 1 BRAO). Die Regelung des § 206 Abs. 1 BRAO ist im Zu­ sammenhang mit der Ratifizierung des Übereinkommens vom 15.4.1994 zur Errich­ tung der Welthandels­organisation (WTO) zu sehen,32 zu dem die Übereinkommen GATS33 und TRIPS gehören. Notwendig ist nach § 206 Abs. 1 BRAO der Erlass einer Rechtsverordnung des BMJV, 1048 durch die die Äquivalenz der ausländischen Ausbildung und der dortigen Anwalts­ befugnisse mit denjenigen deutscher Rechtsanwälte festgestellt wird. Das ist durch 32 WTO-Gesetz v. 30.8.1994, BGBl. II 1995, S. 1438; RegE BT-Drucks. 12/7655 (neu). 33 Zu den Auswirkungen von GATS auf Rechtsanwälte: Errens EuZW 1994, 460 ff. (rechts­ vergleichend); Ewig NJW 1995, 434 ff. Zur Ablehnung eines US Patent Agent BGH GRUR 2005, 313, 314.

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Teil 5 ­|  Verfassungsrecht, EMRK, Unionsrecht

die VO zur Durchführung des § 206 BRAO vom 18.7.2002 geschehen.34 In ihrer An­ lage 135 sind die Staaten mit den dortigen Anwaltsbezeichnungen aufgeführt, die die Voraussetzungen erfüllen. 1049

Bei Angehörigen aus Staaten außerhalb der WTO muss gem. § 206 Abs. 2 BRAO zu­ sätzlich die Gegenseitigkeit verbürgt sein und die Beratungsbefugnis ist auf das Recht des Herkunftsstaates beschränkt. Die Erfüllung des Gegenseitigkeitserfordernisses muss zuvor durch RechtsVO des Bundesjustizministeriums festgestellt worden sein.36 Für Anwälte aus WTO-Staaten wird auf die Verbürgung der Gegenseitigkeit als eigenständiges Tatbestandserfordernis verzichtet, weil sie sich indirekt aus dem General Agreement on Trade in Services (GATS) ergibt; dieses Dienstleistungsab­ kommen umfasst auch Leistungen der freien Berufe.

34 BGBl. I 2002 S. 2886. 35 Zuletzt aktualisiert durch VO v. 12.11.2015, BGBl. I S. 2074. 36 Erfolgt für Serbien durch Anlage 2 zur zitierten Verordnung BRAO§206DV.

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§ 39 Grenzüberschreitende Tätigkeit deutscher Rechtsanwälte

I. Kanzleipflicht . . . . . . . . . . . . . . . . 1050

III. Inländerdiskriminierung . . . . . . 1055

II. Ausländische Niederlassungserfordernisse, Berufsregeln . . . . . 1054

I. Kanzleipflicht Die in § 37, Rn. 987 ff. und § 38, Rn. 1020 ff. beschriebenen Regelungen befassen sich 1050 mit dem ausländischen Rechtsanwalt, der in Deutschland agieren will. Die umge­ kehrte Situation, das Tätigwerden deutscher Rechtsanwälte im Ausland, war durch Bestimmungen der BRAO erheblich erschwert. Erleichterungen sind erstmals durch das BRAO-Änderungsgesetz vom 13. 12. 1989 gewährt worden. Aufgrund des § 29a Abs. 1 BRAO darf ein deutscher Rechtsanwalt seither in anderen Staaten – ohne Be­ schränkung auf die EU – zusätzlich Kanzleien einrichten und unterhalten, was nicht mit der Bildung einer Zweigkanzlei oder der Gründung einer Auslandssozietät zu verwechseln ist. Sofern der Anwalt für Gerichte und Parteien ohne Behinderungen erreichbar ist, wird 1051 er von der Residenzpflicht befreit. Will er seine Kanzleien ausschließlich in anderen Staaten einrichten, wird er von der deutschen Kanzleierrichtungspflicht befreit (dazu § 15, Rn. 274), sofern nicht überwiegende Interessen der Rechtspflege entgegenstehen (§  29a Abs.  2 BRAO). Die Befreiung ist Voraussetzung dafür, dass die deutsche ­Anwaltszulassung fortbestehen darf, also nicht gemäß § 14 Abs. 3 Nr. 1 BRAO wider­ rufen wird.1 Gem. § 30 Abs. 1 BRAO hat der von der Kanzleierrichtungspflicht be­ freite Rechtsanwalt aber einen im Inland mit Geschäftssitz ansässigen Zustellungsbe­ vollmächtigten zu bestellen, der selbst nicht Rechtsanwalt sein muss. Die Doppelzulassung darf nicht mit der Begründung versagt werden, es existiere 1052 schon eine Zulassung in einem anderen EG-Staat, die eine weitere Kanzleierrichtung und Zulassung ausschließe. Kasuistik: EuGH NJW 1985, 1275 (Fall Klopp): Die Pariser Standesorganisation (Ordre des Avocats au barrau de Paris) hatte dem in Düsseldorf als Rechtsanwalt zugelassenen Bewerber, der auch die Voraussetzungen für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft in Frankreich erfüllte, wegen fortbestehender Berufsausübung in Deutschland die Zulassung in Paris verweigert. Der EuGH verwies auf die modernen Kommunikationsmittel, die eine tatsächliche doppelte Kanz­ 1 Bei der Anwendung des Befreiungstatbestandes ist Art. 56 AEUV (ex 49 EGV bzw. Art. 59) zu beachten; vgl. die van Binsbergen-Entscheidung des EuGH v. 3.2.1974 – Rs. 33/74, Slg. 1974, 1299 = NJW 1975, 1095.

311

1053

Teil 5 ­|  Verfassungsrecht, EMRK, Unionsrecht leiführung unter Beachtung der Interessen einer geordneten Rechtspflege ermöglichten. Daher verstieß die Verweigerung der Zweitzulassung gegen die Niederlassungsfreiheit (Art. 47 AEUV, ex 43 EG = ex Art. 52).

II. Ausländische Niederlassungserfordernisse, Berufsregeln 1054

Deutsche Bewerber um eine Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat der EU, des EWR-Abkommens oder der Schweiz müssen gegebenenfalls die ausländische Eig­ nungsprüfung ablegen. In den WTO-Staaten, die die völkerrechtlichen Verpflichtun­ gen des GATS-Abkommen erfüllt haben, können deutsche Rechtsanwälte Dienstleis­ tungen nach den einschlägigen Ausführungsregelungen erbringen.

III. Inländerdiskriminierung 1055

Für den grenzüberschreitend niedergelassenen Rechtsanwalt hatte die BRAO Durch­ brechungen der früheren Vorschriften über die Residenzpflicht und das Zweigstellen­ verbot vorgesehen. Dies hatte die Vorstellung aufkommen lassen, der Fortbestand derartiger Beschränkungen für den allein im Inland zugelassenen und tätigen Rechts­ anwalt verstoße als umgekehrte Diskriminierung gegen den allgemeinen Gleichheits­ satz (Art. 3 Abs. 1 GG).2 Versuche, nationales Recht für nationale Sachverhalte eu­ roparechtlich „aus­zuhebeln“, hat der EuGH schon in anderen Rechtsbereichen ständig zurückgewiesen.3 Daran hat auch der BGH festgehalten, wie beispielhaft die Zu­ rückweisung des Begehrens zeigt, das inzwischen beseitigte Lokalisationsprinzip (ge­ nauer: die lokalisierte zivilprozessuale Postulationsfähigkeit des § 78 ZPO a. F.) durch Gewährung einer Simultanzulassung bei einem zweiten Landgericht unter Berufung auf Unionsrecht in Verbindung mit Art.  3 Abs.  1 GG zu durchbrechen.4 Zu ver­ wirklichen ist der Gleichbehandlungsgrundsatz nach deutscher Auffassung nur für Recht aus derselben Normerzeugungsquelle. Eine andere Frage ist, ob eine derartige Ungleichbehandlung rechtspolitisch erwünscht sein kann.

1056

Die Nichtheranziehung ausländischer Dienstleister zum Kammerbeitrag stellt keine Inländerdiskriminierung dar.5

2 Vgl. etwa Bleckmann JZ 1988, 509, 510; Hofmann Internationales Anwaltsrecht, S. 181. 3 Zur Nichtanwendbarkeit von Gemeinschaftsrecht auf Sachverhalte mit reinem Inlandsbezug und zur Inländerdiskriminierung vgl. nur Everling, Gutachten zum 58. DJT, C 41  ff. und 57 ff. mit teilw. Nachw. der Rspr. des EuGH. 4 BGH NJW 1990, 108  f. Das BVerfG hat die gegen eine gleichartige BGH-Ent­schei­dung (BGH BRAK-Mitt. 1989, 156 f.) gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, BVerfG NJW 1990, 1033. 5 VG Aachen NJW-RR 2010, 638, 639 (für Steuerberater).

312

§ 40 Berufsrechtliche Normen für grenzüberschreitende ­Dienstleistungen (CCBE)



I. Kumulative Rechtsanwendung statt öffentlichen-rechtlichen ­Kollisionsrechts 1. Besonderheiten des öffentlichen Rechts a) Territoriale Beschränkung der Berufsrechte . . . . . . . . . . . . . . . 1057 b) Pflichtenverdoppelung . . . . . . 1059 c) Doppelte disziplinarische Ahndung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1062 2. Konfliktlagen

a) Einfluss übergeordneter Allgemeininteressen . . . . . . . . 1064 b) Interessenkonflikte . . . . . . . . . 1065 c) Verschwiegenheitspflicht . . . . 1068 d) Werbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1069 e) Lösungsgesichtspunkte . . . . . 1070 II. Einheitsrecht 1. Rechtliche Verbindlichkeit der CCBE-Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . 1072 2. Gegenstand einzelner Regeln . . . 1076

I. Kumulative Rechtsanwendung statt öffentlichen-rechtlichen ­Kollisionsrechts 1. Besonderheiten des öffentlichen Rechts a) Territoriale Beschränkung der Berufsrechte Die Berufsordnungen der europäischen Anwaltschaften sind von nationalen Traditi­ 1057 onen der Berufsausübung geprägt und unterscheiden sich nicht unerheblich in ihrem Inhalt. Als Teil des öffentlichen Rechts ist die Geltung der jeweiligen Normen territo­ rial auf das Gebiet des Zulassungsstaates beschränkt.1 Im Ausland vorgenommene Wettbewerbshandlungen wie z. B. Werbung, die an das Inland adressiert ist, für die Erbringung von Dienstleistungen im Ausland können deshalb nicht als Verstoß gegen § 3a UWG i. V. m. einer inländischen Berufsrechtsnorm angesehen werden (s. auch § 34, Rn. 926).2 Welche auslandsbezogenen Sachverhalte die jeweilige öffentlich-rechtliche Norm er­ 1058 fassen will, ist durch Auslegung zu bestimmen. Versuche des Aufbaus eines internati­ onalen öffentlichen Rechts mit Anknüpfungspunkten für universal oder zumindest einseitig geltenden Verweisungsnormen auf ein nationales Sachrecht als Pendant zum Internationalen Privatrecht sind eher als gescheitert zu betrachten. Dies gilt sowohl allgemein für entsprechende Vorschläge von Neumeyer aus den 20er und 30er Jahren

1 Zu einem Sachverhalt der Rüge eines in Neuseeland tätigen deutschen Anwalts wegen Ver­ letzung der Schweigepflicht AnwGH Hamburg BRAK-Mitt. 2010, 142. 2 So zutreffend für einen gleichartigen österreichisch-englischen Sachverhalt zum österr. UWG OGH v. 21.11.2006 – 4 Ob 62/06f, MMR 2007, 360, 361.

313

Teil 5 ­|  Verfassungsrecht, EMRK, Unionsrecht

des 20. Jahrhunderts3 als auch für neuere Anregungen mit spezifischer Ausrichtung auf das anwaltliche Berufsrecht4. b) Pflichtenverdoppelung 1059

In Anerkennung dieser Auffassung sieht das Unionsrecht vor, dass der grenzüber­ schreitend dienstleistende europäische Rechtsanwalt kumulativ sowohl das Berufs­ recht seines Herkunftsstaates als auch das Berufsrecht des Empfängerstaates der Leis­ tung zu beachten hat (s. oben §  37, Rn.  994).5 Das kann zu Kollisionen der vom Anwalt zu beachtenden Pflichten führen, die vorrangig durch das Zurücktreten einer der konkret betroffenen Normen beteiligter Berufsrechte zu lösen sind. (s. auch unten Rn. 1070 f.)

1060

Zu beachten ist die Rangordnung der Rechtsquellen. Vorrang hat das formelle Geset­ zesrecht vor den berufsständischen Normen, das sich insbesondere bei Auftreten vor Gericht über das anzuwendende Prozessrecht durchsetzen wird. Letztlich muss eine Pflichtenkollision aber im Einzelfall auf der Ebene der Verschuldensbeurteilung ge­ löst werden; dabei zu beachten ist die Unmöglichkeit einer Pflichterfüllung bei gleich­ zeitiger Pflichtverletzung einer anderen Norm.

1061

Eine Verdoppelung der Pflichten kann nicht nur bei grenzüberschreitender Dienst­ leistung eintreten, sondern auch rein innerstaatlich, wenn der Anwalt zwei verschie­ denen Berufsrechten unterworfen ist, z. B. gleichzeitig als Notar oder als Steuerbera­ ter. § 118a Abs. 1 BRAO sieht dafür vor, dass der Schwerpunkt der Berufsausübung das zuständige Verfahren bestimmt. Ausgenommen von dieser Regel ist die Aus­ schließung aus dem Beruf (§ 118a Abs. 1 S. 2 BRAO).6 Wie im traditionellen engli­ schen Kollisionsrecht wird der Konflikt also über eine Regelung der Verfahrenszu­ ständigkeit gelöst. c) Doppelte disziplinarische Ahndung

1062

Die internationale Geltung zweier Disziplinarrechte ist in Art. 7 Abs. 1 der Nieder­ lassungsrichtlinie 98/5/EG ausdrücklich vorgesehen, auch wenn Art. 7 Abs. 2 ff. Vor­ kehrungen für eine Koordination des Vorgehens durch behördliche Informations­

3 Zuletzt Karl Neumeyer Internationales Verwaltungsrecht, Band IV 1936. Kritisch dazu unter Einbeziehung aktueller Literaturstimmen P.M. Huber in Kindler/Lorenz (Hrsg.), Einhun­ dert Jahre Institut für Rechtsvergleichung an der Universität München – Kaufrecht und Kol­ lisionsrecht von Ernst Rabel bis heute (Vortrag anlässlich 100-Jahrfeier des Instituts für Rechtsvergleichung der Universität München, im Druck). 4 Hellwig BRAK-Mitt. 2002, 52, 59; Knöfel AnwBl. 2003, 3, 4, 7, der die Unterschiedlichkeit zum IPR allerdings nicht leugnet; Knöfel Grundfragen der internationalen Berufsausübung von Rechtsanwälten (2005), S.  435  ff. und 947. Zutreffend gegen eine kollisionsrechtliche Einordnung des § 27 Abs. 2 EuRAG Knöfel RIW 2008, 552, 555. 5 Unterschiede zeigt Hellwig auf, BRAK-Mitt. 2009, 50 ff. 6 Näher Franz Festschrift Rieß (2002), S. 875, 887.

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Berufsrechtliche Normen für grenzüberschreitende ­Dienstleistungen (CCBE)  ­|  § 40

pflichten trifft. Die ältere Dienstleistungsrichtlinie 77/249/EWG bringt denselben Regelungsgehalt in Art. 7 Abs. 2 etwas weniger deutlich zum Ausdruck. Eine doppelte Sanktionsverhängung unterhalb des stets zu ermöglichenden Aus­ 1063 schlusses aus beiden Anwaltschaften würde bei Geltung des Grundsatzes ne bis in idem vermieden. Er ist in Art. 50 GRCh normiert, ist dort aber auf Strafverfolgungen beschränkt und kann allenfalls auf Bußgeldsanktionen wegen Ordnungswidrigkeiten ausgedehnt werden. Es bleibt nur eine Verfahrenskoordination, wie sie auch im In­ land für das Verhältnis von Straf- und Disziplinarverfahren vorgesehen ist (vgl. § 115b BRAO).7 2. Konfliktlagen a) Einfluss übergeordneter Allgemeininteressen Die Konfliktlagen sind erstmalig von Hellwig beschrieben worden.8 Sie betreffen ins­ 1064 besondere Unterschiede der Definition von Interessenkonflikten, der Bedeutung der Verschwiegenheitspflicht und der Zulässigkeit werbender Angaben. Hinter der be­ rufsrechtlichen Ausformung einschlägiger Regeln stehen divergierende grundsätzli­ che Ansichten darüber, ob die Pflichten des Anwalts allein vom vertraglichen Man­ datsverhältnis her mit entsprechenden Dispositionsbefugnissen des Mandanten (z. B. bei der Schweigepflicht) konzipiert werden, oder ob wegen der Funktion des Anwalts im Rechtspflegesystem Allgemeininteressen den Dispositionsrechten des Mandanten übergeordnet sein können. b) Interessenkonflikte Interessenkonflikte werden in Deutschland auf dieselbe Rechtssache bezogen (§ 27, 1065 Rn.  529 und 552). Ihre Definition kann andernorts aber auch rein wirtschaftliche Konflikte einbeziehen. Auch kann trotz engeren Verständnisses ausgeschlossen sein, dass zeitlich parallel Mandate über getrennte Rechtssachen für und gegen denselben Auftraggeber wahrgenommen werden. Ob ein Interessenkonflikt besteht, kann be­ schränkt auf den das Mandat bearbeitenden Anwalt zu beurteilen sein. Das daraus folgende Verbot der Mandatswahrnehmung kann aber auch auf die Kollegen dersel­ ben Berufsausübungsgesellschaft erstreckt werden, wobei die kanzleibezogene Zu­ rechnung einer Mandatsbearbeitung wiederum auf örtliche oder zumindest einzel­ staatliche Kanzleistandorte beschränkt sein kann, was von der Zulassung rein intern wirkender Geheimnisschranken („Chinese Walls“) abhängt. Dieses Zurechnungsproblem stellt sich insbesondere bei den nicht seltenen Wechseln 1066 einzelner Anwälte (Partner, Angestellte mit oder ohne Zulassung am Standort) zu einer anderen Berufsausübungsgesellschaft. Das BVerfG hat sich mit der rechtsfort­ bildenden Erweiterung des Verbots auf die Angehörigen derselben Berufsausübungsoder Bürogemeinschaft durch § 3 Abs. 2 S. 1 BORA befasst (dazu § 27, Rn. 537; § 42, 7 Näher dazu Franz Festschrift Rieß, S. 875, 883 ff. 8 Hellwig BRAK-Mitt. 2002, 52 ff.

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Teil 5 ­|  Verfassungsrecht, EMRK, Unionsrecht

Rn. 1094), der den Wissenstransport verhindern soll. § 3 Abs. 3 BORA dehnt diese Erstreckung dann noch weiter auf den Fall eines Sozietätswechsels aus. Zum Schutz der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) darf die Rechtsfortbildung des Satzungsrechts nicht weiter reichen, als es der parlamentarische Gesetzgeber anordnen dürfte, wenn er selbst die Materie regelnd aufgreifen würde. Die Verbotserstreckung müsse, so das BVerfG, durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sein und dürfe den Umfang des Rechtfertigungsgrundes nicht überschreiten. Zudem müsse ein an­ gemessenes Verhältnis zwischen Eingriffszweck und Eingriffsintensität gewahrt wer­ den. Das BVerfG hat die Regelungsbefugnis darüber hinaus auf die Vermeidung der Vertretung widerstreitender Interessen im konkreten Fall beschränkt. Irrelevant seien bloße abstrakte Vermutungen über einen Interessenwiderstreit oder die bloße Zielset­ zung, den Anschein pflichtwidrigen Verhaltens abzuwehren. 1067

Insbesondere beim (§ 3 Abs. 3 BORA) ist diese Einengung der Kanzleizurechung von Wissen zu beachten, damit ein Kanzleiwechsel nicht faktisch dadurch vereitelt wird, dass die neue Gesellschaft den Wechsler ablehnt, weil sie gezwungen wäre, bisher ge­ führte Mandate niederzulegen (s. auch unten § 42, Rn. 1094).9 c) Verschwiegenheitspflicht

1068

Für die Verschwiegenheitspflicht (dazu § 26, Rn. 460 ff.; § 42, Rn.1091 f.) stellt sich die Frage, ob der Mandant den Anwalt wirksam von der Verschwiegenheitspflicht entbin­ den kann, was wiederum prozessual auf seine Pflichten zur Sachverhaltsaufklärung gegenüber dem Prozessgegner durchschlägt, weil eine Nichtentbindung als Beweis­ vereitelung gewertet werden kann und daher für den Mandanten mit Nachteilen bei der Beweiswürdigung verbunden ist. Anwaltliche Vertraulichkeitspflichten, wie sie Frankreich kennt, können mit dem gesetzlichen Anspruch des Mandanten auf In­ formationserteilung (vgl. § 666 BGB) kollidieren. Die Verschwiegenheitspflicht steht zudem in Konflikt mit Meldepflichten nach der Geldwäscherichtlinie der EU; die Richtlinie hat nicht zu einer Vollharmonisierung geführt, so dass nationalstaatliche Unterschiede fortbestehen können. Anwaltliche Informationspflichten zu Lasten des Mandanten können sich aber auch aus anderen Regelungen ergeben. d) Werbung

1069

Werbende Angaben (dazu § 29, Rn. 640 ff.; § 42, Rn. 1099 ff.) betreffen u. a. die Zuläs­ sigkeit des Hinweises auf Interessengebiete oder auf Tätigkeitsgebiete oder die Selbst­ einschätzung als Experte bzw. Spezialist mangels gleichlautender Fachanwaltschaften oder sogar neben ihnen.

9 BVerfGE 108, 150, 168 = NJW 2003, 2520, 2522; s. ferner BverfG v. 20.6.2006 – 1 BvR 594/06, AnwBl. 2006, 580.

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Berufsrechtliche Normen für grenzüberschreitende ­Dienstleistungen (CCBE)  ­|  § 40

e) Lösungsgesichtspunkte Die Reichweite der jeweiligen konkreten (öffentlich-rechtlichen) Berufsregel ist durch 1070 Auslegung entsprechend ihrer Ordnungsfunktion zu bestimmen.10 Kein Hinweis ist dafür dem Unionsrecht zu entnehmen. Der Formulierung in Art. 4 Abs. 2 Richtlinie 77/249/EWG, der grenzüberschreitend tätige Rechtsanwalt habe die Standesregeln des Aufnahmestaates „neben“ den im Herkunftsstaat geltenden Regeln zu beachten, ist kein „Rücktrittsbefehl“ an das Recht des Herkunftsstaates zu entnehmen.11 Die Richtlinie befasst sich mit Erleichterungen der Dienstleistungserbringung, nicht aber mit der Kollision des Inhalts der kumulativ anzuwendenden Berufsrechte. Unbrauch­ bar sind auch starre globale Aussagen, die auf den Vorrang des „strengeren“ Rechts oder des Rechts des Tätigkeitsstaates abstellen.12 Während bei gerichtsbezogenen Dienstleistungen die lex fori des Gerichts in der Re­ 1071 gel (allerdings nicht uneingeschränkt) die Konfliktlösung bestimmen wird, ist ein Über­ gewicht des einen oder anderen Berufsrechts bei reiner Beratungstätigkeit grundsätzlich nicht erkennbar. In diesen Fällen muss für Pflichten, die die Rechtsstel­ lung des Mandanten berühren, eine Lösung aus dem Mandatsverhältnis bzw. der da­ rauf anwendbaren Rechtsordnung (lex contractus) gefunden werden. Demgegenüber ist für den werbenden Auftritt des Anwalts in Einklang mit dem Unionsrecht (Art. 6 Abs. 1 ROM II-VO) auf das Recht des angesprochenen Marktes abzustellen.

II. Einheitsrecht 1. Rechtliche Verbindlichkeit der CCBE-Regeln Der Rat der europäischen Rechtsanwaltschaften ist bemüht, für grenzüberschreitende 1072 Dienstleistungen Einheitsrecht zu entwickeln. Diesbezügliche Regeln sind im Code of Conduct der CCBE (Stand 2006) aufgeführt. § 29 BORA, der sie für verbindlich er­ klärt hatte, ist wieder aufgehoben worden.13 Das war aus kartellrechtlicher Vorsicht nicht von der Hand zu weisen, weil es sich um Verbandsregeln handelt, die nicht einer staatlichen Kontrolle unterliegen (näher dazu unten § 41, Rn. 1085). Die Ermächti­ gungsnorm des § 59b Nr. 9 BRAO erlaubt den Beschluss von Satzungsbestimmungen für besondere Berufspflichten im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr. Sie müssen aber in der BORA selbst formuliert, also von der Satzungsversammlung der BRAK beschlossen worden sein. Verblieben sind die §§ 29a und 29b BORA für grenzüberschreitende Zusammenar­ 1073 beit mit ausländischen Anwälten. § 29b BORA betrifft die Honorartragung bei Ein­ schaltung eines ausländischen Anwalts und begründet die Pflicht, den Kollegen zu informieren, wenn er – sehr vage formuliert – eine „sich aus der Einschaltung“ erge­ 10 S. dazu Münchener Kommentar zum BGB/Sonnenberger 5. Aufl., Einl. IPR Rdn. 389. 11 Im Ergebnis ebenso Knöfel AnwBl. 2003, 3, 8 f. m. Nachw. der gegenteiligen Ansicht. 12 Dazu auch Knöfel AnwBl. 2003, 3, 10 f., 12 f. 13 Dazu Hellwig AnwBl 2011, 713 ff.

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Teil 5 ­|  Verfassungsrecht, EMRK, Unionsrecht

bende eigene Verbindlichkeit bezüglich der Zahlung des Honorars oder der Auslagen nicht übernehmen will. Das greift die CCBE-Regel Nr. 5.7 auf, die die Haftung für Honorarforderungen unter Kollegen behandelt. 1074

Das AmtsG Aachen hat 1997 aus der CCBE-Regel 5.7 abgeleitet, der dort beklagte belgische Rechtsanwalt sei wegen der Regel verpflichtet, das Strafverteidigerhonorar eines deutschen Rechtsanwalts zu zahlen, weil der belgische Anwalt den „Auftrag“ zur Verteidigung seines in Deutschland in Untersuchungshaft einsitzenden Mandan­ ten per Telefax erteilt und keine anderweitige Vereinbarung getroffen habe.14 Maß­ gebend kann dafür jedoch weder sein, was die CCBE-Regel besagt, noch was § 29b BORA als Informationspflicht bestimmt. Die Auslegung von Vertragserklärungen einschließlich eines schlüssigen Erklärungsverhaltens richtet sich nach dem anwend­ baren Vertragsrecht, das durch IPR-Regeln zu bestimmen (vgl. dazu Art. 10 Abs. 1 i. V. m. Art. 4 Abs. 1 lit. b und Art. 6 Abs. 1 und 4 lit. a ROM I-VO); dieses Recht kann nicht durch die BORA normativ verändert werden. Anwendbares Sachrecht ist regel­ mäßig das Recht des Kanzleistandortes.15 Bei Anwendung deutschen Sachrechts folgt eine Haftung weder aus § 311 Abs. 2 oder 3 BGB noch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 29b BORA.16

1075

Die CCBE-Regeln haben das Konfliktpotential divergierender nationaler Berufsre­ geln nicht ausräumen können. Sie können trotz rechtlicher Unverbindlichkeit als „soft law“ bzw. Verkehrsanschauung bei der richterrechtlichen Ausbildung von Stan­ dards des formellen Rechts herangezogen werden. 2. Gegenstand einzelner Regeln

1076

Die Regeln legen im Abschnitt 1 unter Nr. 1.4 den persönlichen Anwendungsbereich fest auf Rechtsanwälte, die unter die Richtlinie 77/249/EWG oder die Richtlinie 98/5/ EG (s. zu ihnen oben § 37, Rn. 994 ff.; § 38, Rn. 1020 ff.) fallen. Sachlich sollen sie nach Nr.  1.5 auf grenzüberschreitende Tätigkeiten des Rechtsanwalts innerhalb der EU und des EWR angewandt werden, ohne dass es dafür auf einen physischen Grenz­ übertritt des Rechtsanwalts ankommen soll.

1077

Allgemeine Grundsätze enthält Abschnitt 2. Sie betreffen in Nr. 2.1.1 die Unabhängig­ keit gegenüber sachfremden Einflüssen aufgrund eigener Interessen des Anwalts oder der Einflussnahme Dritter. Nr. 2.3.1 behandelt das Berufsgeheimnis als Pflicht im In­ teresse der Rechtspflege und des Mandanten. Die Achtung des Berufsrechts anderer Anwaltschaften spricht Nr. 2.4 an. Persönliche Werbung will Nr. 2.6 über jegliche Art von Medien gestatten, soweit die Information nicht irreführend ist sowie  – eher nichtssagend  – die „Verschwiegenheitspflicht und andere Grundwerte der Anwalt­ schaft“ wahrt. Interessen des Mandanten haben im Rahmen gesetzlicher und berufs­

14 AG Aachen BRAK-Mitt. 1998, 51. 15 MünchKommBGB/Martiny, Band 10 IPR I, 6. Aufl. 2015, Art. 4 ROM I-VO Rdn. 71 und Art. 6 ROM I-VO Rdn. 19. 16 A.A. Valdini MDR 2016, 677, 679.

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Berufsrechtliche Normen für grenzüberschreitende ­Dienstleistungen (CCBE)  ­|  § 40

rechtlicher Vorgaben nach Nr. 2.7 den Vorrang vor Interessen des Rechtsanwalts oder der Berufskollegen. Das Verhalten gegenüber den Mandanten behandelt der Abschnitt 3 mit Aussagen 1078 u. a. zu Beginn und Ende des Mandats, zu Interessenkonflikten, zu Quota-litis-Ver­ einbarungen und anderen Honorarfragen und zur Absicherung der Folgen von Be­ rufsfehlern durch eine Berufshaftpflichtversicherung. Abschnitt 4 betrifft das Verhalten gegenüber Gerichten und Schiedsgerichten und 1079 Abschnitt 5 das Verhalten gegenüber Berufskollegen.

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§ 41 Unionskartellrecht, Art. 101 AEUV

I. Anwaltskammern als Unternehmensvereinigungen . . 1080

II. Verbotsfreiheit der Satzungsnormen bei staatlicher Rückbindung i­ hrer Geltung . . . 1082

III. Regelsetzung mangels Hoheitsaktes 1. Kontrollmaßstab . . . . . . . . . . . . . 1083 2. CCBE-Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . 1085

I. Anwaltskammern als Unternehmensvereinigungen 1080

Rechtsanwälte sind Unternehmer im Sinne des funktionalen Unternehmensbegriffs, den das Kartellrecht zugrunde legt. Damit sind sie Normadressaten des nationalen Rechts und des Unionsrechts gegen Wettbewerbsbeschränkungen, wie es im GWB und in den Art. 101 f. AEUV (ex Art. 81 f. EG) enthalten ist. Anwaltsorganisationen können selbst dann als Unternehmensvereinigungen qualifiziert werden, wenn sie als öffentlich-rechtliche Körperschaften verfasst sind und hoheitliche Handlungen vor­ nehmen können. Darüber sind zunächst im nationalen Kartellrecht gegen Ärzte und Apotheker Entscheidungen ergangen.1 Der öffentlich-rechtliche Charakter von Be­ rufskammern ändert nichts daran, dass es sich um Organe zur Regelung einer wirt­ schaftlichen Tätigkeit handelt. Auch das BVerfG hat in seiner Entscheidung zur Nich­ tigerklärung des §  13 BORA gleichlautend gewertet mit der Aussage, dass eine Rechtssetzung durch Berufsverbände besondere Gefahren in sich berge, da sie sich bei der Schaffung von Satzungsrecht typischerweise von Verbandinteressen leiten lie­ ßen.2

1081

Der EuGH ist dieser lebensnahen Erkenntnis zunächst im Jahre 2002 in den Fällen „Wouters“3 und „Arduino“4 und dann 2007 im Fall „Cipolla“5 gefolgt. Der Staat hat auf die Zusammensetzung der Leitungsorgane, die nur mit Berufsangehörigen besetzt sind, keinen Einfluss, so dass Kammerbeschlüsse den Willen der Vertreter des Berufsstandes zum Ausdruck bringen, die Berufsangehörigen bei ihrer Wirtschaftstä­ tigkeit zu einem bestimmten Verhalten zu veranlassen.6 1 Dazu eingehend Oehlers Die Kammern freier Berufe als Unternehmensvereinigungen, 1996, § 1. 2 BVerfGE 101, 312, 323. 3 EuGH v. 19.2.2002 – C-309/99 – Wouters, NJW 2002, 877 Tz. 58 m. Bespr. Henssler JZ 2002, 983 ff. 4 EuGH v. 19.2.2002 – C-35/99 – Arduino, NJW 2002, 882 = JZ 2002, 453 m. Anm. Schlosser. Zu beiden Entscheidungen Lörcher NJW 2002, 1092; Kilian WRP 2002, 802. 5 EuGH v. 5.12.2006 – C-94/09 und C-202/04, NJW 2007, 281 – Cipolla. Zu dieser Rechtspre­ chung erneut Kilian AnwBl. 2007, 645. 6 EuGH NJW 2002, 877 Tz. 61. Ebenso EuGH v. 28.2.2013 – C-1/12 – Ordem dos Técnicos Oficiais de Contas (OTOC), EuZW 2013, 386 Tz. 36 ff. (zur Fortbildungspflicht von Buch­ haltern) m. Bespr. Nowag (2015) 36 E.C.L.R. S. 39 ff.

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Unionskartellrecht, Art. 101 AEUV ­|  § 41

II. Verbotsfreiheit der Satzungsnormen bei staatlicher Rückbindung ­ihrer Geltung Aus der Qualifizierung der Kammern als Unternehmensvereinigungen ergibt sich die 1082 grundsätzliche Möglichkeit, deren Beschlüsse kartellrechtlich zu kontrollieren. Der EuGH hat freilich die hoheitliche Befugnis der Mitgliedstaaten respektiert, die Staats­ verwaltung so zu organisieren, dass öffentlich-rechtliche Berufskammern als eine Ebene der mittelbaren Verwaltung gebildet werden dürfen; das ist eine organisa­ torische Ausgestaltung der mitgliedstaatlichen Hoheitsrechte.7 Notwendig ist dafür zweierlei: Der Mitgliedstaat muss bei der Übertragung von Rechtssetzungsbefugnis­ sen Kriterien des Allgemeininteresses und wesentliche Grundsätze festlegen, die bei der Schaffung von Satzungsrecht zu beachten sind, und der Staat muss die Letztent­ scheidungsbefugnis behalten. Das ist in Deutschland der Fall (§ 59b BRAO = parla­ mentarische Ermächtigungsgrundlage, § 191e BRAO = Rechtsaufsicht des Bundes­ justizministeriums).

III. Regelsetzung mangels Hoheitsaktes 1. Kontrollmaßstab Werden die Kriterien zur Qualifizierung als Hoheitsakt nicht erfüllt, bedeutet die An­ 1083 wendung der Art. 101 AEUV nicht automatisch ein Verbot berufsregelnder Satzungs­ beschlüsse. Zu überprüfen ist im Sinne einer immanenten Normschranke des Art. 101 Abs. 1 AEUV, welche Art wettbewerbsbeschränkender Wirkung eintritt, ob eine legi­ time Zielsetzung verfolgt wird und ob die Beschränkungswirkung notwendig mit der Zielsetzung zusammenhängt; respektiert wird insbesondere die Möglichkeit, durch die Schaffung von Berufspflichten den Dienstleistungsempfängern und der Rechts­ pflege die Gewähr für die Beachtung von Integrität und Erfahrung unter ausschließ­ licher Wahrnehmung der Mandanteninteressen zu bieten.8 Auf dieser Linie hat der EuGH seine Rechtsprechung fortgesetzt. Für den italieni­ 1084 schen Berufsverband der Geologen, für den eine Zwangsmitgliedschaft besteht, hat der EuGH im Jahre 2013 entschieden, dass aus der Festlegung von Mindestgebühren nicht automatisch ein Verbot des Kartellbeschlusses folge, wenn mit den Honorarbe­ stimmungen Qualitätsgarantien für die Verbraucher geologischer Dienstleistungen verbunden sind.9 Die staatliche spanische Gebührenordnung für Rechtsanwälte ist 2016 u. a. unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen Art. 101 f. AEUV geprüft und gebilligt worden. Trotz staatlicher Kontrolle können von berufsständischen Ver­ einigungen getroffene Beschlüsse gegen das Unionskartellrecht verstoßen, wenn der

7 EuGH NJW 2002, 877 Tz. 67 i. V. m. 54 f. 8 EuGH NJW 2002, 877 Tz. 97 und 100, ferner 102. 9 EuGH v. 18.7.2013  – C-136/12  – Consiglio Nazionale die Geologi, WuW/E EU-R 2844 Tz. 53 ff.

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Teil 5 ­|  Verfassungsrecht, EMRK, Unionsrecht

Mitgliedstaat solche Entscheidungen begünstigt oder ihre Auswirkungen verstärkt; dasselbe gilt für die Unterstützung von Missbrauchsverhalten.10 2. CCBE-Regeln 1085

Den CCBE-Regeln (zuvor § 40, Rn. 1072) fehlt eine staatliche Rückbindung, so dass sie nicht als Hoheitsakt qualifiziert werden können.11 Sie müssen deshalb nicht kar­ tellrechtlich unwirksam sein, doch hat die Prüfung anhand der genannten Kriterien für jede einzelne Regel zu erfolgen.

10 EuGH v. 8.12.2016  – C-532/15  –  Eurosaneamientos / Arcelor Mittal Zaragoza und C-538/15 – de Bolós Pi/Urbaser, NZKart 2017, 24 Tz. 41; ebenso schon früher in der An­ waltssache EuGH v. 17.2.2005 – C-250/03 – Mauri, NJW 2005, 963 Tz. 29. 11 Ebenso Kilian WRP 2002, 802, 808.

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§ 42 Berufspflichten kraft Satzungsrechts

I. Qualität der Rechtsquelle . . . . . 1086



II. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1089 III. Allgemeine Pflichten (§§ 2–5) 1. Verschwiegenheitspflicht . . . . . . 1091 2. Widerstreitende Interessen . . . . . 1093 3. Geldverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . 1096 4. Kanzleipflicht . . . . . . . . . . . . . . . . 1098 IV. Außendarstellung, Werbung . . 1099 1. Werbung a) Ergänzung zu § 43b BRAO . . 1100 b) Werbung durch Dritte, Presseinformationen . . . . . . . 1104 c) Kollegenschelte als Mandatswerbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1107 d) Internetauftritt mit redaktionellem Inhalt . . . . . . . . . . . . . . 1110 2. Qualifikationsangaben . . . . . . . . 1111 3. Gemeinschaftliche Berufsausübung und andere Arten der ­Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . 1120 4. Kanzleibezeichnungen a) Kontinuitätsbedürfnisse . . . . . 1121 b) Kurzbezeichnungen . . . . . . . . 1122 5. Briefbögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1129 6. Titel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1133 7. Honorarwerbung . . . . . . . . . . . . . 1134



V. Berufspflichten in Zusammenhang mit der Mandatswahrnehmung 1. Mandanteninformation zur Mandatsbearbeitung . . . . . . . . . . 1135 2. Beachtung der Funktion des Gegenanwalts . . . . . . . . . . . . . . . . 1137 3. Mitwirkung an Zustellungen . . . 1140 4. Prozess- und Beratungskostenhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1143

VI. Pflichten gegenüber Gerichten und Behörden 1. Akteneinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . 1145 2. Robenzwang . . . . . . . . . . . . . . . . . 1146 3. Verkehr mit Untersuchungs- und Strafgefangenen, Beweismittel­ manipulation . . . . . . . . . . . . . . . . 1153 4. Versäumnisurteil . . . . . . . . . . . . . 1155 VII. Anwaltshonorar . . . . . . . . . . . . . 1157 VIII. Pflichten gegenüber RAK, Berufskollegen und Mitarbeitern 1. Melde- und Auskunftspflichten 1159 2. Kollegialitätspflichten . . . . . . . . . 1160 3. Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1162 4. Vergütungsbeteiligungen . . . . . . 1164 IX. Fachanwaltsordnung . . . . . . . . . 1165

I. Qualität der Rechtsquelle Die Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) ist ihrer Qualität nach materielles 1086 Recht. Insofern unterscheidet sie sich von ihrer Vorgängerin, der Sammlung von Standesrichtlinien. Allerdings handelt es sich bei der BORA nicht um formelles, also vom Parlament erzeugtes Recht, sondern um von der Satzungsversammlung der BRAK geschaffene Rechtsnormen. Diese Rechtsetzungsbefugnis bedarf einer vom Parlament geschaffenen Ermächtigungsrundlage, die Gegenstand und Umfang der Satzungskompetenz regelt. § 59b BRAO bildet diese Grundlage. Rechtsverbindlichkeit erlangen die anwaltlichen Satzungsnormen erst mit ihrer Ge­ 1087 nehmigung durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (§ 191e BRAO). Die Genehmigung gilt als erteilt, wenn das Ministerium die Satzung oder Teile davon nicht innerhalb eines Prüfungszeitraums von drei Monaten aufhebt. 323

Teil 5 ­|  Verfassungsrecht, EMRK, Unionsrecht 1088

Die Satzungsversammlung ist bei der BRAK eingerichtet und hat nur die Aufgabe der Gesetzgebung von Regeln der BORA (§ 191a BRAO). Sie geht aus Wahlen der Kam­ mermitglieder hervor. Eine Wahlperiode beträgt gem. § 191b Abs. 3 i. V. m. § 68 Abs. 1 BRAO vier Jahre. In den bisherigen Perioden der Satzungsgebung ist die BORA mehrfach geändert worden. Einzelne Regeln sind vom Bundesjustizministerium und vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben worden.

II. Überblick 1089

Eingeleitet wird die BORA in § 1 durch ein erneutes Bekenntnis zur Freiheit der Ad­ vokatur. Das stellt inhaltlich eine Wiederholung der Einleitungsnormen der BRAO dar, ergänzt um den Begriff der selbstbestimmten Tätigkeit (Abs. 1), den Hinweis auf die Mitwirkung an der Verwirklichung des Rechtsstaats (Abs. 2) und die Benennung der Aufgaben der Konfliktvermeidung und Streitschlichtung sowie der Bewahrung der Mandanten vor Fehlentscheidungen der Gerichte und Behörden.

1090

Der Hauptteil der BORA gliedert sich in neun Abschnitte. Hervorzuheben sind die Abschnitte über allgemeine Berufs- und Grundpflichten, über Berufspflichten im Zu­ sammenhang mit der Werbung, über Pflichten bei der Durchführung des Mandats von dessen Beginn bis zur Beendigung, über die Vergütung, über Pflichten gegen der RAK, deren Mitglieder und gegenüber Mitarbeitern sowie Berufspflichten bei beruf­ licher Zusammenarbeit.

III. Allgemeine Pflichten (§§ 2-5) 1. Verschwiegenheitspflicht 1091

§ 2 BORA verfeinert die Regelung des § 43a Abs. 2 BRAO zur Verschwiegenheits­ pflicht (dazu § 26, Rn. 460 ff.). Betont wird, dass ein Verstoß dagegen nicht vorliegt, wenn der Mandant einwilligt, womit für deutsche Rechtsanwälte explizit von der Möglichkeit einer Entbindung von der Schweigepflicht ausgegangen wird. Ebenfalls benannt wird das Recht zur Wahrnehmung eigener berechtigter Interessen, etwa zur Durchsetzung von Honoraransprüchen oder zur Abwehr von Haftungsansprüchen. Dabei handelt es sich nur um eine deklaratorische Formulierung, denn dieses Recht besteht auch unabhängig von einer entsprechenden Satzungsregel. Zutreffend wird ferner darauf Bezug genommen, dass die Inanspruchnahme von Leistungen Dritter im Rahmen der Arbeitsabläufe der Kanzlei sozialadäquat ist. Dass die Übergabe von Akten im Rahmen einer Kanzleiübertragung eigentlich ebenfalls sozialadäquat ist und früher mit einer stillschweigenden Einwilligung gerechtfertigt wurde, hat sich der Satzungsgeber angesichts entgegenstehender, jedoch verfehlter Rechtsprechung des BGH nicht als Rechtfertigungsgrund zu formulieren getraut.

1092

Rechtlich erheblich ist, dass der Rechtsanwalt seine Mitarbeiter und sonstige Perso­ nen, deren Tätigkeit er in Anspruch nimmt, ausdrücklich und sogar schriftlich zur Verschwiegenheit anzuhalten hat. Das ist folglich zu dokumentieren. Entsprechend 324

Berufspflichten kraft Satzungsrechts  ­|  § 42

ist §  43e BRAO-E für die Einschaltung externer Dienstleister ausgestaltet worden (dazu § 26, Rn. 478 ff.). 2. Widerstreitende Interessen § 3 BORA greift § 43a Abs. 4 BRAO auf (dazu § 27, Rn. 552 ff.). Abgestellt wird bei der 1093 Bestimmung des Interessenwiderstreits sehr eng auf dieselbe Rechtssache (dazu oben §  40, Rn.  1065), was in einigen anderen EU-Staaten anders gesehen wird. Ausge­ schlossen wird die treuhänderische Verwahrung oder Verwaltung von Vermögens­ werten des Mandanten und / oder des Anspruchsgegners in einem laufenden Mandat zugunsten beider Parteien.1 Wird ein Interessenwiderstreit nachträglich offenbar, hat der Anwalt das Mandat niederzulegen (§ 3 Abs. 4). Rechtlich problematisch ist die Erweiterung des auf den Einzelanwalt bezogenen Ver­ 1094 bots durch §  3 Abs.  2 BORA auf die weiteren Anwälte der Berufsausübungsgesell­ schaft oder der Bürogemeinschaft und noch weitergehend durch § 3 Abs. 3 BORA auf Sachverhalte eines Kanzleiwechsels. Das BVerfG hat dieser – gemessen an Art. 43a BRAO – rechtsfortbildenden Erweiterung des Verbots Zügel angelegt, sie aber grund­ sätzlich unbeanstandet gelassen (dazu oben §  27, Rn.  537; §  40, Rn.  1066).2 Das Verbot muss unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit austariert werden. Aufgrund einer Aufhebung des § 31 BORA a. F. ist es seit dem 1.1.2008 erlaubt, den 1095 Beruf in mehreren rechtlich selbständigen Sozietäten auszuüben, die zu einer sog. „Sternsozietät“ verbunden sind. Dabei handelt es sich trotz des Begriffs nicht um eine Berufsausübungsgesellschaft, die gemeinsam ein Mandat bei gemeinsamer Haftung annimmt und ausführt.3 Von §  3 BORA werden die Anwälte dadurch nicht be­ freit.4 Jedoch „vermittelt“ der Mehrfachsozius, der nicht mit der Sache befasst ist, den anderen, rechtlich selbständigen Sozietäten kein Tätigkeitsverbot wegen eines Interessenkonflikts.5 3. Geldverkehr § 4 BORA schließt an § 43a Abs. 5 BRAO an. Fremdgelder sind unverzüglich an den 1096 Berechtigten weiterzuleiten oder auf Anderkonten zu verwalten;6 dasselbe gilt für geldwerte Urkunden. Die Verwaltung wird näher spezifiziert. Aus der Gesetzeslage ergibt sich, dass der Anwalt Forderungen des Mandanten mangels besonderer Abrede auf ein eigenes Konto statt auf ein Treuhandkonto (Anderkonto) einziehen darf. Da­ 1 Zur gleichwohl bestehenden Möglichkeit der Vereinbarung einer Anwaltstreuhand zu Gunsten des Anspruchsgegners Kähler/Neumann NJW 2016, 1121 ff. 2 BVerfGE 108, 150, 164  ff.  =  NJW 2003, 2520, 2522; BVerfG (Kammer) NJW 2006, 2469, 2470. 3 Quaas NJW 2008, 1697, 1699. Zur Versicherung Laschke AnwBl 2009, 546 f. 4 Quaas NJW 2008, 1697, 1700. 5 Richtig Deckenbrock AnwBl 2009, 170, 176. 6 AnwGH Celle BRAK-Mitt. 2008, 172 (Verstoß durch Einziehung eines Verrechnungsschecks auf ein debitorisches Konto).

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Teil 5 ­|  Verfassungsrecht, EMRK, Unionsrecht

mit drohen dem Mandanten Gefahren, weil die Guthabenforderung wirtschaftlich zum Vermögen des Anwalts gehört und in der Insolvenz kein Aussonderungsrecht besteht. Der Mandant hat nur einen Auszahlungsanspruch nach § 667 BGB.7 1097

Verboten ist die Verrechnung eigener Forderungen mit dem Fremdgeldauszahlungs­ anspruch des Mandanten, wenn der Betrag zweckgebunden an Dritte auszuzahlen ist (§  4 Abs.  3 BORA). Dabei handelt es sich um einen Treuhandauftrag, der nur mit Zustimmung des Anwalts zustande kommt. Erhält der Anwalt für einen in Untersu­ chungshaft sitzenden Mandanten Finanzmittel zur Stellung einer Kaution, darf er über die Mittel nicht außerhalb des dadurch festgelegten Treuhandzwecks verfü­ gen.8 Zusätzliche vertragliche Pflichten übernimmt er mit dem Empfang des Geldes nicht.9 4. Kanzleipflicht

1098

Die Kanzleierrichtungspflicht des § 27 Abs. 1 BRAO konkretisiert § 5 BORA in Über­ einstimmung mit der Rechtsprechung zur Pflicht, die für die Berufsausübung erfor­ derlichen sachlichen, personellen und organisatorischen Voraussetzungen vorzuhal­ ten (dazu auch § 15, Rn. 267 f.). Dies soll auch für die Errichtung einer Zweigstelle gelten.

IV. Außendarstellung, Werbung 1099

Der Abschnitt 2 des Hauptteils fasst verwandte Themen zusammen: anwaltliche Wer­ bung im engeren Sinn, die Darstellung der eigenen Qualifikation und die Verwen­ dung von Bezeichnungen und Angaben insbesondere auf Briefbögen oder durch an­ dere Kundgaben. Eine abschließende Regelung allein zulässiger Formen und Inhalte der Werbung ist darin nicht zu sehen.10 Wenn man in Zweifel zieht, dass den berufs­ rechtlichen Normen ein regulierender Gehalt zuzumessen ist,11 sind sie deshalb we­ gen ihres Hinweischarakter doch nicht überflüssig. 1. Werbung a) Ergänzung zu § 43b BRAO

1100

§ 6 BORA schließt an § 43b BRAO an, dessen Regelung oben in § 29, Rn. 640 ff. ein­ gehend dargestellt worden ist. Hier geht es nur um einige Ergänzungen, die durch § 6 BORA bedingt sind. Geworben werden darf mit Erfolgs- und Umsatzzahlen,12 so­ 7 LG Gießen ZIP 2012, 1725, 1726. 8 BGH NJW 2009, 840 Tz. 13 ff. 9 BGH NJW 2009, 840 Tz. 11 und 17. 10 Ähnlich Becker-Eberhard Festschrift Fezer (2016), S. 329, 335 f. 11 So Becker-Eberhard AnwBl 2017, 148, 154. 12 Zu Erfolgsangaben eines auf Studienzulassungsklagen spezialisierten Anwalts OLG Frank­ furt NJW 2000, 1652 f.

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Berufspflichten kraft Satzungsrechts  ­|  § 42

fern diese nicht irreführend sind.13 Hinweise auf Mandanten sind gem. §  6 Abs.  2 S.  2 BORA ebenfalls zulässig, wenn die Mandanten dazu ihre Zustimmung erteilt haben; ohne Zustimmung wäre die Schweigepflicht verletzt. Die Angabe der Unternehmensnamen von Gegnern ist von § 6 BORA nicht betrof­ 1101 fen.14 Sie kann jedoch die Verletzung des Unternehmenskennzeichens (Name, Fir­ ma) oder eines Unternehmerpersönlichkeitsrechts bedeuten.15 Das soll bei bloßer Benennung als Prozessgegner eines Rechtsstreits nicht der Fall sein.16 Kasuistik: OLG Frankfurt ZIP 2016, 637 = WRP 2016, 108: Der beklagte Rechtsanwalt bot seine Leistung im Internet unter einer Domain an, die aus dem Namen der klagenden Kapitalanlagegesellschaft und dem Zusatz „-schaden“ bestand. Der Beklagte wollte damit etwaige Geschädigte als Mandanten gewinnen. Das OLG verneinte ein konkretes Wettbewerbsverhältnis (§§  8 Abs. 1, 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG) für einen Unterlassungsanspruch aus UWG u. a. wegen Verstoßes gegen § 43b BRAO i. V. m. § 3a UWG. Ebenso verneinte es mangels Schmähung einen An­ spruch aus § 824 I und § 823 I BGB (Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH anhängig unter I ZR 217/15).

1102

Ebenso OLG Frankfurt WRP 2017, 338.

Eine ähnliche Variante der Mandatsakquise ist das Keyword-Advertising, bei dem in 1103 Suchmaschinen der Name oder die Marke eines Unternehmens, etwa einer Kapital­ anlagengesellschaft, als Keyword für das gleichzeitige Erscheinen einer anwaltlichen Werbeanzeige zusammen mit dem Aufrufen des Suchworts erscheint. Wenn in der Anzeige Werbetexte erscheinen wie z. B. „Krise bei …“ oder „Schadensersatz für …“ wird die Werbefunktion der Marke17 oder des Unternehmenskennzeichens beein­ trächtigt, so dass eine Kennzeichenverletzung (§ 14 oder § 15 MarkenG) gegeben sein kann.18 b) Werbung durch Dritte, Presseinformationen Anwaltliche Werbung kann im Gewande anwaltlich initiierter Presseberichterstat­ 1104 tung zu wettbewerblicher Haftung führen. Partiell wird diese Gestaltung zudem be­ rufsrechtlich erfasst. § 6 Abs. 3 BORA stellt das Verbot auf, an der Werbung Dritter mitzuwirken, deren Inhalt dem Anwalt selbst verboten wäre. Zum rechtlichen Prob­ lem kann das berufsrechtliche Verbot im Hinblick auf die Aussendung von Pressein­ formationen werden, weil das BVerfG die wettbewerbsrechtliche Verantwortung des Informanten für den daraus von der Presse in eigener Verantwortung erzeugten Text erheblich eingeschränkt hat. Die Erteilung von Informationen mit Werbeeffekten ist 13 Beispiel: BGH NJW 2009, 534 Tz. 31. 14 Zur Zulässigkeit von Gegnerlisten gem. Art. 12 I GG BVerfG NJW 2008, 838, 839. 15 Dazu Schmitt-Gaedke/Arz WRP 2012, 1492 ff. 16 BVerfG NJW 2008, 838, 840. 17 Grundlegend dazu EuGH GRUR 2010, 445 Tz. 91 ff. – Google France. 18 Vgl. dazu Scheuerl WRP 2015, 1072 ff.

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Teil 5 ­|  Verfassungsrecht, EMRK, Unionsrecht

als solche auch gegenüber der Presse zulässig.19 Sie darf nicht davon abhängig ge­ macht werden, sich den Pressebericht zur Genehmigung vorlegen zu lassen.20 1105

Dritte dürfen nicht für Werbeaktivitäten vorgeschoben werden, die dem Anwalt selbst untersagt sind. Untersagt ist allerdings nur das Mitwirken an derartiger Werbung. Die passive Hinnahme fremder Werbung (bloßes Dulden) wird nicht erfasst. Das Veran­ lassen einer Presseberichterstattung über eine Vernissage anlässlich einer Büroeröff­ nung wäre nicht zu rechtfertigen, wenn nicht der veranstaltende Anwalt darauf hin­ weisen dürfte. Kasuistik:

1106

BGH NJW 2016, 3373 – Im Immobiliensumpf: Der Kläger, ein mit dem Immobilienrecht befass­ ter Berliner Rechtsanwalt und Notar, nahm einen Berliner Berufskollegen, der sich mit Kapi­ talanlagen befasste, auf Unterlassung einer Äußerung in Anspruch, die dieser unter Ausnut­ zung seiner medialen Kontakte in die Süddeutsche Zeitung lanciert hatte. Darin ging es unter der Überschrift „Im Berliner Sumpf. Weitere Notare lassen wegen Beurkundung fragwürdiger Immobilien Ämter ruhen“ um die Rolle des Klägers als Notar bei der Beurkundung angeb­ lich betrügerischer Immobiliengeschäfte. Der BGH bejahte ein Wettbewerbsverhältnis, weil der Beklagte seine Medienkontakte ausge­ nutzt hatte, um durch die Berichterstattung potentielle Mandanten auf seine anwaltlichen Dienstleistungen aufmerksam zu machen. In den Äußerungen sah der BGH ein abträgliches Werturteil, das nach § 4 Nr. 7 UWG a. F. und nunmehr § 4 Nr. 1 UWG n.F. auch unter Beach­ tung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit rechtswidrig sei.

c) Kollegenschelte als Mandatswerbung 1107

Der werbende Kampf um die Erlangung einer größeren Zahl gleichartiger Mandate, etwa in Kapitalanlagesachen, kann auch im Hinweis auf (vermeintliche) Regress­ ansprüche der Werbeadressaten gegen deren bisherigen Rechtsanwalt bestehen. Wäh­ rend Negativbewertungen nach allgemeinem Deliktsrecht bis zur Grenze der Schmäh­ kritik hingenommen werden müssen, ist im Recht gegen unlauteren Wettbewerb die Grenze zu einer rechtswidrigen geschäftlich schädigenden Herabsetzung gem. §  4 Nr. 1 UWG (ex § 4 Nr. 7) auch unter Anwälten früher überschritten.21 Allerdings ist bei Anwendung dieser Norm Art. 5 Abs. 1 GG zu berücksichtigen.22 Deshalb kann auf einer Homepage der Vorwurf gegenüber abmahnenden Anwälten erhoben wer­ den, sie legten bei behaupteten Urheberrechtsverletzungen in der Regel „horrende

19 BVerfGE 85, 248, 257 = NJW 1992, 2341, 2342 – ärztliche Duldung von Drittveröffentli­ chungen (Fall Hackethal); BVerfG (Kammer) NJW 2000, 1635 – Prinz der Anwälte. Gene­ rell zur Haftung von Presseinformanten Ahrens in Gloy/Loschelder/Erdmann, Handbuch des Wettbewerbsrechts, 4. Aufl. 2010, § 69 Rdn. 91 ff. 20 BVerfG WRP 1996, 190, 191 (Verbot unverhältnismäßig da unzumutbar). Zum Duldungs­ verbot der ärztlichen Berufsordnungen Piper Festschrift Brandner (1996), S. 449, 460 f. 21 S.  dazu BGH GRUR 2016, 710 Tz.  38  ff.  – Im Immobiliensumpf; OLG Köln GRUR-RR 2016, 417 Tz. 13 ff. = WRP 2016, 891 – Werbung für Anwaltsregress. 22 BGH GRUR 2016, 710 Tz. 43 ff. (auch zur Abgrenzung gegen Art. 11 GRCh).

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Berufspflichten kraft Satzungsrechts  ­|  § 42

Streitwerte“ zugrunde; dieser Meinungskampf kann im Streit von Anwälten nicht über das UWG unterbunden werden.23 Einschlägig sein kann ferner § 4 Nr. 2 UWG (ex § 4 Nr. 8), wenn im Anwaltswettbe­ 1108 werb unrichtige Tatsachenbehauptungen aufgestellt werden, die potentiellen Man­ danten unter Ausnutzung medialer Kontakte auf die eigene anwaltliche Dienstleis­ tung aufmerksam machen sollen.24 Vergleichende Gegenüberstellung der eigenen gehobenen Leistungsfähigkeit mit dem 1109 „nur durchschnittlichen Wissen“ anderer, mittelbar erkennbarer Kanzleien wird in der Regel gegen die Anforderungen des § 6 Abs. 2 UWG verstoßen.25 Unklar ist, ob das Berufsrecht einen Vergleich schlechthin untersagen dürfte, also strenger als das auf Unionsrecht beruhende UWG gestaltbar wäre. d) Internetauftritt mit redaktionellem Inhalt Die anwaltliche Homepage ist ein Telemedium i. S. d. § 2 Abs. 1 S. 3 Rundfunkstaats­ 1110 vertrag (RStV). Werden dort journalistisch-redaktionell gestaltete Informationen hochgeladen, kann deren Inhalt u. U. ein Gegendarstellungsverlangen begründen (§ 56 Abs. 1 RStV).26 Zum Telemediengesetz s. § 43, Rn. 1188. 2. Qualifikationsangaben § 7 Abs. 1 S. 1 BORA lässt es zu, dass unabhängig von Fachanwaltsbezeichnungen 1111 Angaben über besondere Kenntnisse gemacht werden, wenn diese aufgrund Ausbil­ dung, Berufstätigkeit, publizistischer Tätigkeit oder in sonstiger Weise erworben wurden. Der Wettbewerbssenat des BGH hat in den 90-er Jahren die aus Mandanten­ sicht verwirrenden Bezeichnungsabstufungen „Interessengebiet – Tätigkeitsschwer­ punkt – Fachanwalt“ zugelassen (dazu auch § 30, Rn. 700 ff.).27 Diese Sprossenleiter der Qualifikation hat sich im Rechtsverkehr nicht durchsetzen können.28 Deshalb ist § 7 BORA im Jahre 2006 neu gefasst worden und spricht in § 7 Abs. 1 BORA nur noch von qualifizierenden Zusätzen. Die Angabe von Interessengebieten wird davon nicht erfasst. Unklar ist das Verhältnis des § 7 Abs. 1 S. 1 BORA zu den in § 7 Abs. 1 S. 2 BORA 1112 angesprochenen qualifizierenden Zusätzen, die der Anwalt nur führen darf, wenn er 23 OLG Köln NJW-RR 2011, 1062, 1063. 24 Vgl. BGH GRUR 2016, 710 Tz. 22 (dort jedoch Werturteil abgegeben). 25 Vgl. dazu OLG Jena NJW 2005, 2089, 2090. S. auch OLG Braunschweig NJW-RR 2003, 686, 687 und OLG Frankfurt NJW 2005, 1283: „Sachvortrag häufig dürftig und keine Vertretung in den mündlichen Verhandlungen“; in beiden Entscheidungen ging es allerdings nur um fehlende Sachlichkeit ohne Bezugnahme auf § 6 UWG. 26 OLG Bremen NJW 2011, 1611, 1612. 27 BGH GRUR 1996, 365, 366; BGH WRP 1997, 719, 720; BGH (AnwS) NJW 1997, 2682, 2683 („Forderungseinzug“). 28 BGH NJW 2015, 704 Tz. 10 – Spezialist für Familienrecht.

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Teil 5 ­|  Verfassungsrecht, EMRK, Unionsrecht

„zusätzlich“ (zu Satz 1 des § 7 Abs. 1) über entsprechende theoretische Kenntnisse verfügt und auf dem benannten Gebiet in erheblichem Umfang tätig gewesen ist. 1113

Von § 7 Abs. 1 S. 2 BORA nicht erfasst wird die Angabe „Experte/Spezialist“.29 Derar­ tige Zusätze dürfen nicht zu Irrtümern über berufsrechtlich geregelte Qualifikations­ angaben führen,30 insbesondere nicht zu Verwechslungen mit Fachanwaltsbezeich­ nungen.31 Das Führen entsprechender Angaben kann berufsrechtlich geregelt werden, muss also nicht der Verfolgung als UWG-Verstoß überlassen bleiben.32

1114

Die Bezeichnung „Spezialist für Verkehrsrecht“ konnte zu einer Zeit, als es noch kei­ nen Fachanwalt für dieses Gebiet gab, nach Auffassung des BVerfG keine Verwechs­ lung begründen.33 Das ist bei der Angabe „Spezialist für Familienrecht“ anders.34 Allerdings ist eine Selbsteinschätzung als Spezialist gegebenenfalls objektiv richtig, so dass die Messlatte für die Irreführungsquote höher anzulegen und außerdem eine Interessenabwägung vorzunehmen ist.35 Wie ein solcher Qualitätsnachweis wem ge­ genüber und mit welchen Mitteln geführt werden soll, bleibt allerdings rätselhaft Der Begriff „Vorsorgeanwalt“ ist mit einer Fachgebietsbezeichnung nicht zu verwechseln. Wie jedoch dafür die Nachweise des § 7 Abs. 1 S. 2 BORA erbracht werden sollen, ist damit noch nicht gesagt.36

1115

Umstritten ist, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen neben dem Titel für ein Fachanwaltsgebiet die Selbstbezeichnung als Spezialist für dasselbe Gebiet oder für ein Teilgebiet daraus geführt werden darf. Der Anwaltssenat des BGH hat die Ver­ wendung der Bezeichnung „Spezialist für Erbschaftssteuerrecht“ durch einen Fachan­ walt für Erbrecht wegen dessen besonderer Kenntnisse und praktischer Erfahrungen gestattet, jedoch mangels besonderer zusätzlicher Nachweise nicht die Zusatzbezeich­ nung „Spezialist für Erbrecht“.37

1116

In Konkurrenz zur Vergabe von Fachanwaltstiteln kann die Zertifizierung der Quali­ fikation durch Private treten; eine amtliche Verleihung wird dadurch nicht sugge­ riert.38 Es müssen aber zur Vermeidung einer Irreführung über den Grad der Qua­

29 BVerfG NJW 2015, 704 Tz.  10. Zum Spezialisten auch Berlit Festschrift Ahrens (2016), S. 43 ff. Zum Experten KG MDR 2012, 794. 30 BGH NJW 2007, 2334, 2335. 31 Daher eine Werbung mit dem Abschluss der theoretischen Prüfung für Fachanwaltstitel ablehnend AnwG Köln v. 20.1.2016 – 3 AnwG 14/15 R. 32 BVerfG NJW 2010, 3705 Tz. 11 f. (betr. Zusätze zur Berufsbezeichnung „Steuerberater“). 33 BVerfG NJW 2004, 2656, 2658. Kein Verstoß gegen Art. 10 EMRK, EGMR v. 23.10.2007 – Rs. 2357/05 – Heimann/Deutschland, GRUR-RR 2009, 175, 176. 34 BGH NJW 2015, 704 Tz. 18. 35 BGH NJW 2015, 704 Tz. 20. 36 Unbeachtet gelassen von AnwGH NRW NJW 2013, 318, 319. 37 BGH NJW 2017, 669 Tz. 15 f. m. krit. Bespr. Engelke AnwBl 2017, 276 ff. 38 BGH NJW 2012, 235 Tz. 12 – zertifizierter Testamentsvollstrecker m. Bespr. Rott AnwBl 2012, 131 ff. und Huff AnwBl 2012, 135 ff.; a. A. AnwGH NRW BRAK-Mitt. 2011, 154, 155. Zur Zertifizierungswerbung einer Zahnarztpraxis BVerwG NJW 2010, 547.

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Berufspflichten kraft Satzungsrechts  ­|  § 42

lifikation ausreichende praktische und theoretische Kenntnisse zur Voraussetzung gemacht werden. Missglückt ist der Text des §  7 Abs.  3 BORA, der die Bezeichnungsregelungen bei 1117 gemeinschaftlicher Berufsausübung oder bei anderer beruflicher Zusammenarbeit für entsprechend anwendbar erklärt. Zu entnehmen ist dieser Norm nur ein weiterer Hinweis auf das Irreführungsverbot; erkennbar muss sein, auf welchen Anwalt sich die jeweilige Qualifikation bezieht. Für Mediatoren aus der Anwaltschaft ordnet § 7a BORA an, dass die Zulassungsvor­ 1118 aussetzungen nach § 5 Abs. 1 MediationsG erfüllt sein müssen. §  7 BORA ist eine Marktverhaltensregelung, deren Missachtung als UWG-Verstoß 1119 gem. § 3a UWG (ex § 4 Nr. 11) verfolgt werden kann.39 3. Gemeinschaftliche Berufsausübung und andere Arten der Z ­ usammenarbeit § 8 BORA schränkt die Kundgabe der beruflichen Zusammenarbeit ein. Hingewiesen 1120 werden darf nur auf eine Sozietät, was wohl mit Berufsausübungsgesellschaft gleich­ zusetzen ist, und auf die in § 59a BRAO zugelassene Zusammenarbeit mit Patentan­ wälten, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern, und zwar beides auch bei zulässiger internationaler Zusammenarbeit. Zu erweitern ist dies auf andere verfassungsrecht­ lich zulässige Formen interprofessioneller Zusammenarbeit (s. dazu § 19, Rn. 337 f.). Die Kundgabe anderer Formen der Zusammenarbeit erlaubt § 8 S. 2 BORA, wenn nicht der unrichtige Eindruck einer Berufsausübungsgesellschaft erweckt wird. Da­ von werden in § 59a Abs. 3 BRAO genannten Bürogemeinschaften ebenso erfasst wie die EWIV oder andere Netzwerke. 4. Kanzleibezeichnungen a) Kontinuitätsbedürfnisse Früher war als Kanzleiangabe nur die Nennung des bürgerlichen Namens der dort 1121 tätigen Anwälte gestattet, weil die persönliche Leistungserbringung in den Vorder­ grund gestellt werden sollte. Die im Handelsrecht erlaubte Herausstellung personen­ übergreifender Kontinuität eines Unternehmens galt als gewerbetypisch verpönt, weil Freiberufler kein Gewerbe im Sinne des Handelsrechts betreiben. Der Auftritt von Anwaltskanzleien am Dienstleistungsmarkt ist aber ebenfalls auf eine derartige Iden­ tifizierung durch die rechtsuchende Bevölkerung angewiesen, und zwar unabhängig von der jeweiligen personellen Zusammensetzung einer Berufsausübungsgesellschaft. § 10 Abs. 4 BORA verdeutlicht dies, indem dort der Hinweis auf ausgeschiedene An­ wälte zugelassen wird, sofern das Ausscheiden kenntlich gemacht wird. Die Beschrän­ kung der Kennzeichnung auf die Angabe des bürgerlichen Namens der aktuell akti­ ven Rechtsanwälte einer Kanzlei war spätestens seit Zulassung der Rechtsberatung durch Kapitalgesellschaften ein Anachronismus. 39 BGH NJW 2015, 704 Tz. 8.

331

Teil 5 ­|  Verfassungsrecht, EMRK, Unionsrecht

b) Kurzbezeichnungen 1122

Kurzbezeichnungen lässt § 9 BORA heute zu.40 Sie müssen nicht aus einem bürgerli­ chen Namen gebildet werden; auch das Firmenrecht des HGB ist mit der Reform von 1999 insoweit liberalisiert worden. Sie dürfen auf den Namen eines ausgeschiedenen Rechtsanwalts lauten41 oder eine Sachbezeichnung enthalten, etwa eine beschreiben­ de Angabe wie „interjus“, „Die Landanwälte“, „Telekanzlei L & Partner“42 oder die Verwendung des Zusatzes „Legitas“ als gemeinsamer Begriff für eine Kooperation selbständiger Anwaltskanzleien43.

1123

Bei Kooperationen darf nicht der irreführende Eindruck einer einzigen Berufsaus­ übungsgesellschaft erzeugt werden, wodurch Angaben über Berufsqualifikationen, die nur für die Kooperation insgesamt zutreffen, fälschlich auf den die Kurzbezeich­ nung verwendenden Anwalt bezogen werden.44 Bildsymbole sollten ebenfalls ak­ zeptiert werden.

1124

Die Bezeichnung eines Gebäudes als „Haus der Anwälte“ in Parallele zu dem Begriff „Ärztehaus“ stellt keine irreführende Behauptung dar, sämtliche im Gebäude ansässi­ gen Anwaltskanzleien seien Teil einer Kooperation.45 Zulässig sind auch geographi­ sche Zusätze wie „Kanzlei-Niedersachsen“, wenn die Verwendung nicht als Behaup­ tung einer Allein- oder Spitzenstellung verstanden werden kann.46

1125

Grundsätzlich möglich ist die Eintragung einer Dienstleistungsmarke, die auch unter Verwendung des bürgerlichen Namens eines Anwalts gebildet werden kann.47

1126

Die Wahl eines Gattungsbegriffs als Domain einer Internetadresse ist von der Wettbe­ werbsrechtsprechung akzeptiert worden;48 darin wird keine Behinderung von Wett­ bewerbern gesehen. Daher dürfen auch Kombinationen des Begriffs Rechtsanwalt mit lokalisierenden Zusätzen benutzt werden.49

40 Vgl. dazu BGH NJW 2002, 608 – CMS; BGH NJW 2004, 1099 – KPMG; BGH NJW 2004, 1651  – artax; BGH NJW 2005, 1770  – K-Associates. Zur Irreführung über die Zahl der Anwälte OLG Karlsruhe NJW-RR 2012, 817, 818 – & Associates. 41 BGH NJW 2002, 2093, 2095 – Vossius. In der Tendenz wohl anders OLG Hamm NJW-RR 2010, 420 (dort: völliger Wechsel der Gesellschafter). 42 AnwG Hamburg NJW 2000, 2867, 2868. 43 AnwGH Hamburg NJW 2004, 371. 44 Dazu BGH NJW-RR 2014, 611 Tz. 13 ff. – Kooperation mit Wirtschaftsprüfer. 45 A.A. LG Osnabrück NJW-RR 2011, 840, 841. 46 OLG Celle K&R 2012, 123. Für „Bodenseekanzlei“ nicht überzeugend eine Spitzenstel­ lungsbehauptung bejahend OLG Stuttgart NJW 2006, 2273, 2274. 47 Vgl. dazu HABM (jetzt: EuIPO) GRUR-RR 2006, 332 (im konkreten Fall Zurückweisung des Eintragungsantrags „Schweizer Rechtsanwälte“, weil der bürgerliche Name „Schweizer“ in dieser Reihung als geographische Angabe missverstanden werde). 48 BGH NJW 2001, 3262, 3264 f. – Mitwohnzentrale.de 49 Ebenso für Österreich OGH ÖBl. 2006, 272 – rechtsanwaelte.at.

332

Berufspflichten kraft Satzungsrechts  ­|  § 42 Kasuistik: (a) OLG Brandenburg NJW-RR 2016, 698: Das OLG hat die Registereintragung einer aus drei Rechtsanwälten bestehenden Partnerschaft mit dem Kennzeichen „H & E Rechtsanwalts- und Steuerkanzlei Partnerschaftsgesellschaft“ abgelehnt, weil die Angabe „Kanzlei“ im Singular irreführend sei; die drei Gesellschafter seien auf zwei Kanzleien in unterschiedlichen Orten verteilt.50

1127

Die Entscheidung geht von einer unrichtigen Verkehrsauffassung aus. Der Verkehr versteht das gewählte Kennzeichen als Kombination einer Namensangabe mit einer Sachangabe über die Erbringung von Rechts- und Steuerberatungsdienstleistungen, nicht aber als Aussage über die Zahl von Kanzleistandorten, abgesehen davon dass eine solche Zahlenangabe für den Ver­ kehr völlig belanglos wäre. Diese Auffassung wird von dem gesellschaftsrechtlichen Umstand mitgeprägt, dass nur eine einzige Außengesellschaft existiert, die zudem auch einkommen­ steuerrechtlich trotz mehrerer Kanzleistandorte nur einen einzigen Betrieb führt.51 (b) OLG Rostock NJW-RR 2006, 784; BVerfG NJW 2006, 1499: Eine Anwaltspartnerschaft woll­ te ihre Registereintragung in die Bezeichnung „J & Partner Rechtsanwälte und Steuerberatung“ ändern, obwohl ihr kein Steuerberater angehörte. Das OLG hat das mit Billigung des BVerfG wegen Verstoßes gegen die Firmenwahrheit verweigert, weil der Verkehr den Zusatz „Steuerberatung“ als einen Zusammenschluss von Rechtsanwälten und Steuerberatern verste­ he und die Bezeichnung „Steuerberater“ von Rechtsanwälten trotz ihrer Befugnis zur Steuer­ beratung nicht geführt werden dürfe, sofern dafür die Voraussetzungen nach dem StBerG nicht erfüllt sind.

1128

In Kontrast dazu hat BGH NJW 2013, 1373 – Steuerbüro den zusätzlichen Hinweis als objek­ tiv richtig angesehen und im Falle einer gleichwohl eintretenden Fehlvorstellung des Verkehrs eine Interessenabwägung gefordert. Unzulässig sei aber die Eintragung ins Telefonbuch in der Rubrik „Steuerberater“.

5. Briefbögen Briefbögen müssen gem. § 10 BORA identifizierende Angaben über die Kanzlei und 1129 die dort tätigen Anwälte enthalten.52 Das Verlangen des §  10 Abs.  2 BORA nach Angabe jedes Anwalts mit Vor- und Nachname führt zu technischen Schwierigkeiten und Lesbarkeitsproblemen bei überörtlich tätigen Anwaltskanzleien mit einer Viel­ zahl von Anwälten.53 Das berechtigte Informationsbedürfnis der Bevölkerung kann auch durch einen entsprechend umfassenden Internetauftritt befriedigt werden,54 auf den dann allerdings hingewiesen werden muss. Für ein engeres Verständnis des § 10 Abs. 2 BORA fehlen berechtigte Allgemeininteressen. Dies deckt sich auch mit dem Erfordernis, mittels namentlicher Benennung aller Anwälte die Abschätzung möglicher Interessenkonflikte zu ermöglichen.55

50 OLG Brandenburg NJW-RR 2016, 698. 51 BFH ZIP 2016, 2116 Tz. 14 und 28. 52 Vgl. dazu BGH (AnwS) NJW-RR 2006, 181, 182. 53 Zur Verfassungskonformität BVerfG NJW 2002, 2163; BGH NJW 2002, 1419. 54 Zutreffend AnwGH Hamburg NJW 2001, 2553, 2554. 55 Vgl. BVerfG NJW 2009, 2587 Tz. 10.

333

Teil 5 ­|  Verfassungsrecht, EMRK, Unionsrecht 1130

Irreführend ist der Kopfleistenzusatz „& Collegen“, wenn nicht mindestens zwei wei­ tere Anwälte genannt werden.56 Es soll durch §  10 Abs.  1 S.  2 BORA Transparenz über die Größe der Kanzlei und die Zahl möglicher Haftungsschuldner verschafft werden.57 Hinweise auf Selbstverständlichkeiten sind ebenfalls irreführend, wenn sie den Eindruck eines Alleinstellungsmerkmals erzeugen, etwa der hervorgehobene Hinweis auf die Zulassung bei OLG, LG und AG.58 Die Gestaltung des Briefkopfes darf nicht zu Fehlverständnissen über die Zuordnung von Qualifikationsangaben wie z. B. Fachanwaltsbezeichnungen zu einzelnen Anwälten führen.59

1131

Als irreführend hat es der I. Zivilsenat des BGH angesehen, durch eine Kurzbezeich­ nung den Schein einer interprofessionellen Sozietät zu erwecken, obwohl nur eine Bürogemeinschaft bestehend aus Rechtsanwälten und einem Wirtschaftsprüfer und Steuerberater gebildet worden war.60 Das Ergebnis dieser Entscheidung ist fragwür­ dig, weil von einer gemeinsamen Kurzbezeichnung nicht eine Anlockwirkung für den Abschluss eines übergreifenden Beratungsvertrages ausgeht. Jedenfalls wird man da­ raus nicht ableiten dürfen, dass die Benennung eines Anwalts auf dem Briefbogen oder dem Kanzleischild einer Anwaltssozietät ohne Kenntlichmachung seiner Stel­ lung als Nichtgesellschafter (= Scheinsozius) eine irreführende Behauptung darstellt.

1132

§ 10 BORA verpflichtet nicht dazu, sämtliche Standorte der Kanzleiniederlassungen anzugeben.61 6. Titel

1133

Die Führung ausländischer akademischer Titel ist ein Werbemittel, das Beschränkun­ gen unterliegt. Zu beachten ist die Strafvorschrift des § 132a Abs. 1 Nr. 1 StGB. Irre­ führend und damit gegen § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 UWG verstoßend ist die Titelführung, wenn die verleihende ausländische Universität nicht angegeben62 und damit der Eindruck eines inländischen Titels hervorgerufen wird. Inländische Titel werden nach Erfahrung des Verkehrs nur in Würdigung besonderer wissenschaftlicher oder fachlicher Leistungen vergeben; ob diese Einschätzung auf einen ausländischen Titel zutrifft, ist der Eigenbeurteilung der angesprochenen Verkehrskreise zu überlassen.

56 BGH NJW 2007, 3349 Tz. 7; verfassungsrechtlich nicht beanstandet, BVerfG NJW 2008, 502. 57 BVerfG NJW 2008, 502. 58 OLG Bremen WRP 2013, 933 Tz. 14 (wegen Abschaffung der Singularzulassung). 59 OLG Köln NJW-RR 2012, 818, 819 (zu § 5 UWG). 60 BGH NJW-RR 2014, 611 Tz. 13 m. krit. Bespr. Markworth AnwBl 2014, 797 ff. 61 BGH WRP 2013, 57 Tz. 22. 62 OLG Stuttgart GRUR-RR 2014, 454, 456. Zur verfassungsrechtlichen Kontrolle der Unter­ lassungsentscheidung BW StGH GRUR 2016, 1198 – Ehrengrade. Zur Führung eines aus­ ländischen Doktorgrades in der verliehenen Textform KG v. 29.4.2016 – 5 U 142/15.

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Berufspflichten kraft Satzungsrechts  ­|  § 42

7. Honorarwerbung Werbung mit den Kosten einer anwaltlichen Beratung (eingehend zu den Gebühren 1134 § 32, Rn. 729 ff.) muss die Vorgaben des RVG und des § 49b Abs. 1 BRAO beachten. Eine angegebene Pauschalvergütung muss in angemessenem Verhältnis zu Leistung, Verantwortung und Haftungsrisiko stehen (vgl. § 4 Abs. 1 S. 2 RVG).63 Für ein erstes Beratungsgespräch mit Verbrauchern erhält der Anwalt mangels Honorarvereinba­ rung Gebühren nach dem BGB (übliche Vergütung gem. § 612 Abs. 2), jedoch höchs­ tens 190 Euro (§ 34 Abs. 1 S. 1 RVG). Eine Werbung für eine kostenlose Erstberatung von Verbrauchern wird dadurch nicht ausgeschlossen (s. dazu auch § 32, Rn. 745).64 § 4 RVG ist darauf nicht anzuwenden.65

V. Berufspflichten in Zusammenhang mit der Mandatswahrnehmung 1. Mandanteninformation zur Mandatsbearbeitung Die dienstvertraglich bestehende Verpflichtung zur zeitnahen Mandatsbearbeitung 1135 einschließlich der Beantwortung von Mandantenanfragen spricht mit deklaratori­ scher Bedeutung § 11 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 BORA an und erhebt sie damit in den Rang einer auch disziplinarisch relevanten Pflicht. Auf den vertragsrechtlichen An­ spruch des Mandanten aus § 666 BGB auf umfassende Information bezieht sich die Pflicht des § 11 Abs. 1 S. 2 BORA zur Kenntnisgabe aller wesentlichen empfangenen oder versandten Schriftstücke. Die Herausgabe von Handakten kann unter den Vor­ aussetzungen des §  50 Abs.  3 und 4 BRAO verweigert werden (dazu auch §  43, Rn. 1210). Auch in diesem Fall kann aber ein berechtigtes Informationsinteresse des Mandanten bestehen, das dann gem. § 17 durch Überlassung von Kopien befriedigt werden muss, sofern es nicht gerade auf Originale ankommt, etwa zum Zwecke der Beweisführung durch Urkundenvorlage in einem laufenden gerichtlichen Verfahren (vgl. § 420 ZPO). Eine Mandantenanfrage liegt dann vor, wenn aus der Äußerung des Mandanten deut­ 1136 lich wird, dass er eine Antwort des Anwalts erwartet.66 Die Antwort muss nach einer den Umständen des Einzelfalles anzupassenden Prüfungs- und Überlegungsfrist er­ folgen.67

63 OLG Hamm NJW 2004, 3269 (dort verneint für Rahmen von 10 bis 50 Euro bei arbeits­ rechtlicher Beratung); Verfassungsbeschwerde nicht angenommen, da Verfügungsurteil, BVerfG NJW 2004, 3768). 64 AnwGH Hamm v. 9.5.2015 – 1 AGH 3/14, AnwGH Hamm AnwBl 2016, 767, 768. 65 OLG Stuttgart WRP 2007, 204, 206 (dort: Pauschalpreis von 20 Euro). 66 BGH NJW-RR 2016, 1146 Tz. 13. 67 BGH NJW-RR 2016, 1146 Tz. 15.

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Teil 5 ­|  Verfassungsrecht, EMRK, Unionsrecht

2. Beachtung der Funktion des Gegenanwalts 1137

§ 12 BORA verbietet den direkten Kontakt mit dem Gegner des Mandanten oder ei­ nem anderen Beteiligten unter Ausschaltung der für diese Personen tätigen Anwälte, sofern nicht Gefahr im Verzuge ist.68 Ein Übergehen gegnerischer Anwälte würde den Prozess der Rechtsverwirklichung empfindlich stören und die Funktion des An­ walts als Organ der Rechtspflege missachten. Geschützt wird der Mandant gegen die Gefahr einer Überrumpelung und Übervorteilung.69 Der BGH hat als Schutzzweck allerdings auch den Schutz vor Eingriffen in das Mandatsverhältnis und den Schutz der Rechtsprechung vor unmittelbar übersandten Einlassungen der Naturalpartei ge­ sehen.70 Das Verbot gilt selbstverständlich nicht für den anwaltlich vertretenen Man­ danten selbst.71

1138

Der Verstoß gegen § 12 BORA kann auch fahrlässig begangen werden.72 Von fehlen­ der Erreichbarkeit des gegnerischen Anwalts kann nicht schon deshalb ausgegangen werden, weil auf ein Faxschreiben in einer nicht als eilbedürftig bezeichneten Sache nicht binnen weniger Tage eine Antwort eingegangen ist und der Versuch einer tele­ fonischen Kontaktaufnahme fehlgeschlagen war.73 § 12 BORA gilt auch für Anwälte, die zum Insolvenzverwalter bestellt sind und für die Insolvenzmasse Forderungen einziehen, auch wenn die Tätigkeit des Insolvenzverwalters ein eigenständiger Beruf ist.74 Sie betrifft aber nicht die Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Schuld­ ners.75

1139

§ 12 BORA ist keine das Marktverhalten regelnde Norm, so dass ein Verstoß nicht als Wettbewerbsverletzung gem. § 3a UWG verfolgt werden kann.76 Wird ein Vergleich ohne Mitwirkung des Prozessbevollmächtigten einer Partei geschlossen, zieht der Verstoß gegen § 12 BORA nicht über § 134 BGB die Unwirksamkeit des Vertrages nach sich.77 3. Mitwirkung an Zustellungen

1140

Gem. § 14 BORA hat der Anwalt an ordnungsgemäß erfolgten Zustellungen durch Abgabe eines korrekt datierten Empfangsbekenntnisses mitzuwirken. Ungeschriebe­ ne Voraussetzung ist selbstverständlich, dass sich die Bevollmächtigung des Anwalts 68 Ebenso Art. 12 lit. a BGFA in der Schweiz; Aufsichtskommission Bl. für Zürch.Rspr. 112 (2013) Nr. 25 = S. 94 f. 69 BVerfG NJW 2009, 829 Tz. 48 und 51; BVerfG NJW 2001, 3325, 3326; BVerfG NJW 2009, 829 Tz. 48; BGH NJW 2015, 3241 Tz. 15; BGH NJW-RR 2015, 3241 Tz. 15; BGH NJW-RR 2016, 124 Tz. 13. 70 BGH (VI. ZS) NJW 2011, 1005 Tz. 6. 71 BGH NJW 2011, 1005 Tz. 6. 72 BGH NJW-RR 2016, 124 Tz. 17. 73 AnwG Hamburg v. 29.3.2016 – III AnwG 10/15. 74 BGH NJW 2015, 3241 Tz. 19 f. und 27. 75 BGH NJW 2015, 3241 Tz. 30. 76 OLG Nürnberg NJW 2005, 158, 159; AnwGH Hamm v. 11.9.2015 – 2 AGH 3/15. 77 BGH WM 2004, 1341, 1343.

336

Berufspflichten kraft Satzungsrechts  ­|  § 42

auf diese Empfangnahme bezieht. Zu beachten ist der standardisierte Umfang der Prozessvollmacht im Außenverhältnis für alle Prozesshandlungen gem. § 81 ZPO. Der BGH hat die Bedeutung des § 14 BORA für Zustellungen von Anwalt zu Anwalt 1141 gem. § 195 ZPO relativiert. Dafür fehle es an einer Ermächtigungsgrundlage in § 59b Abs.  2 BRAO.78 Die BRAO-Novelle von 2017 hat Abhilfe geschaffen und §  59b Abs.  2 Nr.  8 BRAO ergänzt. Die 6. Satzungsversammlung hat im Vorgriff auf den schwebenden Gesetzgebungsvorschlag am 21.11.2016 einen Vorratsbeschluss gefasst und in § 14 S. 1 BORA die Pflicht zur Entgegennahme ordnungsgemäßer Zustellun­ gen von Gerichten, Behörden und Rechtsanwälten sowie zur unverzüglichen Ertei­ lung eines datierten Empfangsbekenntnisses geregelt. Zustellungen haben in einem anhängigen Verfahren gem. § 172 ZPO an den bestell­ 1142 ten Prozessbevollmächtigten zu erfolgen (s. dazu auch § 33, Rn. 831 ff.). Im Einzelfall kann zweifelhaft sein, ob eine Empfangsvollmacht besteht, etwa wenn Arrest- oder Verfügungsbeschlüsse fristgerecht durch Zustellung gem. § 929 Abs. 2 ZPO vollzogen werden sollen. Dann hat der zustellende Anwalt den für seinen Mandanten sichersten Weg zu gehen, nämlich vorsorglich doppelt zuzustellen. 4. Prozess- und Beratungskostenhilfe Zur Übernahme der Prozessvertretung ist der aufgrund gesetzlicher Vorschrift beige­ 1143 ordnete Anwalt (vgl. z. B. § 78b ZPO – Notanwalt, § 121 ZPO (dazu § 33, Rn. 824) – Vertretung einer armen Partei) gem. §  49 BRAO verpflichtet (zur Vergütung §  32, Rn. 782). Ebenso ist er verpflichtet, die Rechtsberatung zu den Bedingungen des Be­ ratungshilfegesetzes durchzuführen (§ 49a BRAO). Das entspricht seiner Funktion als Organ der Rechtspflege. Die Ablehnung der Beratungshilfe ist nur unter den Voraus­ setzungen des § 16a BORA gestattet. Aus dem Katalog der von der Satzungsversamm­ lung beschlossenen Ablehnungsgründe hat das Bundesjustizministerium drei Tatbe­ stände im Wege der Rechtsaufsicht gestrichen. Auf die Möglichkeit der Prozesskostenhilfe oder der Beratungskostenhilfe hinzuwei­ 1144 sen, ist der Anwalt gem. § 16 BORA verpflichtet. Erfüllt der Anwalt seine Hinweis­ pflicht nicht, ist darin zugleich eine Pflichtverletzung gem. § 280 Abs. 1 BGB zu sehen, so dass seinem Honoraranspruch ein Schadensersatzanspruch des Mandanten in glei­ cher Höhe entgegensteht.79

VI. Pflichten gegenüber Gerichten und Behörden 1. Akteneinsicht Als Organ der Rechtspflege genießt der Anwalt eine privilegierte Stellung bei der Ge­ 1145 währung von Akteneinsicht, die auch in seiner Kanzlei stattfindet. Die Originalakten 78 BGH (AnwS) NJW 2015, 3672 Tz. 9 m. Anm. Möller. 79 OLG Celle NJW-RR 2010, 133/134.

337

Teil 5 ­|  Verfassungsrecht, EMRK, Unionsrecht

darf er dem Mandanten nicht überlassen, wohl aber Ablichtungen und Vervielfälti­ gungen, soweit dies nicht gesetzlich ausgeschlossen ist (§ 19 Abs. 2 BORA). 2. Robenzwang 1146

Das Tragen der Anwaltsrobe als Amtstracht ist formell-gesetzlich nicht geregelt, ent­ sprach aber bis Ende der 60er Jahre einer gefestigten hundertjährigen Übung80 und war in einzelnen Bundesländern durch Verwaltungsvorschriften verpflichtend festge­ legt. Das Land Niedersachsen beispielsweise hat darüber die konkretisierende AV des Justizministeriums vom 30.5.197881 erlassen, die nicht zwischen Amtsgerichten und Landgerichten unterscheidet. Eine besondere anwaltliche Berufstracht ist weltweit bekannt. Als das Nichttragen der Robe zum Prüfstein einer fortschrittlichen Gesin­ nung erhoben wurde, stellte das BVerfG 1970 fest, dass eine entsprechende Verpflich­ tung jedenfalls in öffentlichen Verhandlungen der Landgerichte und höherer Gerich­ te bestehe, und zwar aufgrund Bundesgewohnheitsrechts, das das GVG ergänzt.82 Fraglich kann allenfalls sein, ob das formelle Bundesrecht durch die Ermächtigungs­ norm des § 59b Abs. 2 Nr. 6 lit. c BRAO das Bundesgewohnheitsrecht abgelöst hat. Das ist aber zweifelhaft, weil es sich nicht um eine inhaltliche Regelung handelt, son­ dern mit § 59b BRAO nur der Weg zu einer berufsrechtlichen Regelung durch Sat­ zungsrecht freigemacht wird. Mehrere Bundesländer haben zur Amtstracht Regelun­ gen in ihre Ausführungsgesetze zum GVG aufgenommen.

1147

Der Anwalt soll durch die Robe im gerichtlichen Verfahren aus dem Kreis der übrigen Teilnehmer herausgehoben und als Organ der Rechtspflege sichtbar gemacht wer­ den.83 Die Bedeutung der Anwaltsroben wie der Richterroben darf nicht mythisch überhöht werden. Gerichtsverhandlungen sind allerdings kein Ort zum provokanten oder pubertären Ausleben von Bekleidungsphobien, etwa dem Erscheinen mit offe­ nem Hemd oder mit T-Shirt unter offener Robe. In der Amtstracht findet, was auch heute noch kulturelle Bedeutung hat, das Ethos der Rechtsinterpreten seinen äußeren Ausdruck. Sie kennzeichnet äußerlich das Bemühen, die Subjektivität des Rechtsan­ wenders zurücktreten zu lassen und huldigt den Prinzipien der Sachlichkeit, der Ra­ tionalität sowie der Verallgemeinerungsfähigkeit bei der Rechtsanwendung.

1148

Zur Tragung der Robe ist der in Deutschland zugelassene Anwalt gem. § 20 S. 1 BORA verpflichtet, wenn auch nur im Rahmen des Üblichen. Der Trotzhaltung einzelner Anwälte, die das Tragen der Roben verweigert haben, trägt § 20 S. 2 BORA in der Weise Rechnung, dass vor dem Amtsgericht in Zivilsachen der Robenzwang verneint wird. 80 Vgl. dazu Leutheußer Die Rechtsanwälte (1992), S. 197, mit vergleichendem Überblick zu den europäischen Gewohnheiten, S. 209 ff. 81 NdsRpfl. 1978, 161 f. 82 BVerfGE 28, 21, 28 = NJW 1970, 851, 853. Ebenso OLG München NJW 2006, 3079, 3080; VG Berlin NJW 2007, 793, 794 (zur Allgemeinverfügung der Berliner Senatsverwaltung für Justiz über die Amtstracht aus Robe, weißer Krawatte und weißer oder unauffällig gefärbter Bluse bzw. Hemd). 83 BVerfGE 28, 21, 32 = NJW 1970, 851, 852; AnwGH Hamm WRP 2015, 1275.

338

Berufspflichten kraft Satzungsrechts  ­|  § 42 Kasuistik: OLG Braunschweig NJW 1995, 2113 – Braunschweiger Robenstreit mit Bespr. Riemer DRiZ 1995, 481 f.: Ein Richter des AG Braunschweig hatte aufgrund Absprache aller Zivilrichter des AG im Februar 1995 zwei Rechtsanwälte gem. § 176 GVG von der Prozessführung ausgeschlossen. Das Befangenheitsgesuch des Beklagten gegen diesen Richter wurde als unbegründet zurück­ gewiesen. Das OLG hat im Tragen der Amtstracht ein Erkennbarmachen der Funktion als Organ der Rechtspflege gesehen, mit dem zugleich das Zurücktreten der Person hinter dem Dienst an Gesetz und Recht verdeutlicht werde.

1149

Die äußere Gestaltung der Robe hat dem Sinn des Robentragens zu entsprechen und 1150 muss deshalb von werbenden Zusätzen, etwa einer im Rückenbereich eingestickten, weithin sichtbaren Internetadresse frei bleiben.84 Ob der Ausschluss eines nicht korrekt gekleideten Rechtsanwalts als Prozessbevoll­ 1151 mächtigter gem. §  176 GVG zulässig ist, ist umstritten.85 Jedenfalls ist dafür das Prinzip der Verhältnismäßigkeit unter Berücksichtigung effektiver alternativer Diszi­ plinarmöglichkeiten zu wahren. Kasuistik: OLG München NJW 2006, 3079: Eine große Strafkammer des Landgerichts hatte einen Vertei­ diger zurückgewiesen, der zu mehreren Hauptverhandlungsterminen in provokanter Weise mit weißem T-Shirt unter offener Robe erschienen war, und hatte einen anderen Rechtsan­ walt als Pflichtverteidiger bestellt.

1152

Das OLG billigte die Zurückweisung nach § 176 GVG und sah in untergesetzlichen landes­ rechtlichen Regelungen der Justizverwaltung eine inhaltliche Konkretisierung des bundesein­ heitlichen Gewohnheitsrechts, das selbständig neben dem Berufsrecht steht und der Aufrecht­ erhaltung einer äußeren Verhandlungsordnung dient.

3. Verkehr mit Untersuchungs- und Strafgefangenen, Beweismittel­ manipulation Anders als früher die Standesrichtlinien enthält die BORA keine Regelungen über das 1153 Verhalten des Anwalts in Bezug auf das Strafverfahren. Die Standesrichtlinien wie­ derholten mit deklaratorischer Bedeutung, dass der Anwalt im Verkehr mit Untersu­ chungs- und Strafgefangenen den Zweck der Haft nicht gefährden und dass er keine Beweismittel verwenden darf, die die Wahrheit verfälschen. Das sind strafbare Hand­ lungen, die keiner Erwähnung in der BORA bedürfen.

84 BGH (AnwS) NJW 2017, 407 Tz. 15. Kritisch zur vorangegangenen Entscheidung des Anw­ GH Kleine-Cosack DRiZ 2016, 182, 184. 85 Verneint von LAG Niedersachsen AnwBl 2008, 883, 884 (Auftreten ohne Robe). Bejaht von LG Mannheim NJW 2009, 1094 (krawattenloser Nebenklägervertreter). Ablehnend Kleine-Cosack DRiZ 2016, 182, 184 f. BVerfG NJW 2012, 2570 hat die Zurückweisung eines Verteidigers nach § 176 GVG wegen geringer Intensität des Eingriffs in Art. 12 Abs. 1 GG unbeanstandet gelassen.

339

Teil 5 ­|  Verfassungsrecht, EMRK, Unionsrecht 1154

Ebenfalls nicht aufgenommen worden ist ein Verbot, Sicherheitsleistungen aus eige­ nen Mitteln aufzubringen, das als abstrakte Vorkehrung gegen die Gefahr einer Ver­ fälschung der Wahrheitsermittlung verstanden werden könnte. 4. Versäumnisurteil

1155

Nach den Standesrichtlinien hatte der Anwalt die Pflicht, im Hinblick auf etwaige Terminzwänge des Gegenanwalts pünktlich erscheinen. Unzulässig war es, gegen eine Partei ein Versäumnisurteil zu erwirken, die von einem im gleichen Landgerichtsbe­ zirk zugelassenen Anwalt vertreten wurde, es sei denn, der Antrag auf Erlass eines solchen Urteils war rechtzeitig vorher angedroht worden. Das gleiche sollte gelten, wenn ein Kollege aus einem anderen Landgerichtsbezirk sein Erscheinen im Termin angekündigt hatte.

1156

Der BGH hat die standesrechtliche Vorschrift als rechtlich wirkungslos bewertet.86 Das BVerfG hat danach von derselben Auffassung ausgehend einer Verfassungsbe­ schwerde gegen die Verhängung einer Rüge für die Erwirkung eines Versäumnisur­ teils gegen die anwaltlich vertretene Partei stattgegeben.87 Gleichwohl ist später eine darauf bezogene Pflicht in § 13 BORA aufgenommen worden. Das BVerfG hat diese Norm wegen fehlender Ermächtigungsgrundlage in § 59b BRAO und wegen Versto­ ßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG aufgehoben und dabei auf die dem Mandanten drohen­ den Nachteile hingewiesen, die durch abweichend von der ZPO aufgestellte zusätzli­ che Anforderungen ausgelöst werden können.88

VII. Anwaltshonorar 1157

Die Zulässigkeit einer Vergütungsvereinbarung regelt §  3a RVG (näher: §  32, Rn.  732  f.). Die gesetzlichen Gebühren nach den Tatbeständen des RVG dürfen grundsätzlich nicht unterschritten werden (§ 49b Abs. 1 S. 1 BRAO), soweit dies nicht unter den Bedingungen des § 3a RVG im Wege einer Vereinbarung zugelassen ist. In Ergänzung dessen untersagt § 21 BORA die Unterschreitung der gesetzlichen Gebüh­ ren auch im Verhältnis zu Dritten, die anstelle des Mandanten die Honorarzahlung übernehmen. Davon werden die Rechtsschutzversicherer erfasst. Insoweit bewirkt die Norm einen Schutz des Anwalts vor wirtschaftlicher Macht der Versicherer. Ander­ weitige Regelungen in § 21 Abs. 2 BORA hat das Bundesjustizministerium im Wege der Rechtsaufsicht aufgehoben.

1158

Die Gebührenteilungsregelung des § 49b Abs. 3 BRAO wird in § 22 BORA durch die Regelung ergänzt, dass die Teilung sich auf die Gesamtheit der angefallenen Gebüh­

86 BGH NJW 1991, 42, 43; ebenso OLG Köln VersR 1994, 242. S. auch OLG Düsseldorf MDR 2012, 556. 87 BVerfG (Kammer) NJW 1993, 121, 122. 88 BVerfG NJW 2000, 347, 348 f.

340

Berufspflichten kraft Satzungsrechts  ­|  § 42

ren ohne Rücksicht auf deren Erstattungsfähigkeit bezieht (zur anwaltlichen Gebüh­ renteilung § 32, Rn. 792 ff.).

VIII. Pflichten gegenüber RAK, Berufskollegen und Mitarbeitern 1. Melde- und Auskunftspflichten Gem. §  24 Abs. 1 BORA ist der Rechtsanwalt verpflichtet, diverse Informationen zu 1159 erteilen, die sich auf die Registrierung bei der RAK beziehen. § 24 Abs. 2 BORA wie­ derholt die Auskunftspflichten des § 56 BRAO. 2. Kollegialitätspflichten Besondere Kollegialitätspflichten kennt die BORA – abweichend von § 18 der frühe­ 1160 ren Standesrichtlinien – nicht mehr. Die Beachtung der Regeln kollegialer Höflichkeit ist allein eine Frage der anwaltlichen Moral, die in der Berufsordnung nicht zu regeln ist. Sie hätte gegenüber widerstreitenden Interessen des Mandanten ohnehin zurück­ zutreten. Als Residuum der Kollegialitätspflicht kann man allerdings die Regel des § 25 BORA begreifen, die unter der Überschrift „Streitigkeiten unter Kollegen“ den Grundsatz aufstellt, dass Behauptungen über Berufspflichtverstöße zwischen Anwäl­ ten vertraulich zu erfolgen haben, sofern nicht Interessen des Mandanten oder eigene Interessen eine andere Reaktion erfordern. Der Kollegialitätspflicht wurde unter Geltung der Standesrichtlinien entnommen, 1161 dass ein Vertagungsbegehren dem auf der Gegenseite stehenden Kollegen frühzeitig zur Kenntnis zu geben sei, um unnötige Arbeit und Zeitverlust zu vermeiden. Eine Pflicht, einem gegnerischen Vertagungs- oder Fristverlängerungsantrag zu entspre­ chen, bestand allerdings nicht. Die BORA hat eine solche Regel nicht übernommen. Sie würde mit Mandanteninteressen so häufig kollidieren, dass ihr ohnehin keine konkrete Bedeutung beizumessen wäre. 3. Mitarbeiter § 26 BORA stellt den Grundsatz auf, dass Rechtsanwälte nur zu angemessenen Bedin­ 1162 gungen beschäftigt werden dürfen, und nennt dafür verschiedene Kriterien. Vertrags­ rechtliche Ansprüche ergeben sich aus dieser Berufsregel für den angestellten Anwalt nicht (oben § 6, Rn. 115). Er ist auf vertragsrechtliche Kontrollmechanismen, insbe­ sondere nach § 138 BGB, angewiesen. Auszubildende hat der Anwalt nach §  28 BORA so beruflich einzusetzen, dass die 1163 Erreichung des Ausbildungsziels realisierbar ist.

341

Teil 5 ­|  Verfassungsrecht, EMRK, Unionsrecht

4. Vergütungsbeteiligungen 1164

§ 27 S. 1 BORA stellt ein Verbot der Beteiligung Dritter am wirtschaftlichen Ergebnis der anwaltlichen Tätigkeit auf. Die Regel ist an sich falsch in diesen Regelungszusam­ menhang eingebunden, weil sie die Unabhängigkeit des Anwalts sichert und als abs­ trakte Gefährdungsnorm der Vermeidung von Interessenkollisionen dient.89 Ver­ hindert werden sollen „Kryptosozietäten“ mit Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Gewinnpools mit größeren Unternehmen, Versicherungen oder Verbänden wie dem ADAC. Sie ist aber wohl in den Abschnitt über Mitarbeiter hineingeraten, weil das Verbot nicht für Mitarbeitervergütungen gelten soll. Mitarbeiter sind auch angestellte Anwälte und Anwälte als freie Mitarbeiter (zu ihnen § 6, Rn. 107 ff.).90 Ebenfalls – und wiederum systemwidrig im Regelungszusammenhang – sind weitere Leistungen vom Verbot ausgenommen, nämlich Leistungen im Zusammenhang mit der Über­ nahme der Kanzlei und Leistungen anlässlich einer gesellschaftsrechtlichen Ausein­ andersetzung oder einer Abwicklung der beruflichen Zusammenarbeit.

IX. Fachanwaltsordnung 1165

Die Fachanwaltsordnung ist ebenfalls Satzungsrecht. Ihr Inhalt ist im Zusammen­ hang mit der Darstellung der Fachanwaltschaften behandelt (oben § 30, Rn. 679 ff.).

89 BGH NJW 2007, 2856 Tz. 16. 90 BGH NJW 2007, 2856 Tz. 12.

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Teil 6 Mandant und Rechtsanwalt Literatur: Borgmann/Jungk/Schwaiger, Anwaltshaftung, 5. Aufl. 2014; Diller, Berufshaftpflicht­ versicherung der Rechtsanwälte, 2. Aufl. 2017; Fahrendorf/Mennemeyer, Die Haftung des Rechtsanwalts, 8. Aufl. des von Rinsche begründeten Werkes, 2010; G.Fischer/Vill/D.Fischer/ Rinkler/Chab, Handbuch der Anwaltshaftung, 4. Aufl. 2015; Vollkommer/Greger/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, 4. Aufl. 2014.

§ 43 Anwaltsvertrag



I. Geschäftsbesorgungsvertrag, Verbraucherschutz 1. Dienstvertragsrecht . . . . . . . . . . . 1166 2. Verbrauchervertrag a) AGB-Kontrolle . . . . . . . . . . . . 1168 b) Fernabsatzgeschäft . . . . . . . . . 1169 c) Internationale Zuständigkeit 1170 3. Vertragswirksamkeit . . . . . . . . . . 1171 4. Einbeziehung Dritter in den Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1172

II. Verweisung auf das Auftragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1175 III. Vertragsschluss 1. Freiheit der Mandatsübernahme, Kontrahierungszwang . . . . . . . . . 1182



2. Formerfordernisse . . . . . . . . . . . . 1185 3. Vertragsbezogene Informationspflichten außerhalb der Rechtsberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1188

IV. Beendigung des Anwaltsvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1189

V. Verjährung des Vergütungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1199

VI. Beiderseitige Vertragspflichten 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1200 2. Einzelne Anwaltspflichten a) Umfassende Belehrung . . . . . 1201 b) Besonders wichtige Pflichten 1202 c) Rahmen des geltenden Rechts 1212

I. Geschäftsbesorgungsvertrag, Verbraucherschutz 1. Dienstvertragsrecht Grundlage der Beziehung zwischen Anwalt und Mandant ist der zwischen ihnen ge­ 1166 schlossene Anwaltsvertrag. Dessen Inhalt ist nicht spezialgesetzlich geregelt. Er lässt sich in die bestehenden Vertragstypen des BGB einordnen. Im Regelfall der Rechts­ beratung und der Prozessvertretung wird der Anwaltsvertrag als dienstvertraglicher Geschäftsbesorgungsvertrag (§§  611  ff., 675 Abs.  1 BGB) zu qualifizieren sein; der Anwalt schuldet nur bestimmte Dienste, nicht aber den Eintritt eines bestimmten Erfolges wie z. B. den Gewinn eines Prozesses.1 Die Tätigkeiten sind auf die Erbrin­ 1 BGH NJW 1965, 106; BGH NJW 1985, 2642; Vollkommer/Greger/Heinemann Anwaltshaf­ tungsrecht4 § 1 Rdn. 4.

343

Teil 6 ­|  Mandant und Rechtsanwalt

gung von Diensten höherer Art gerichtet. Sie werden aufgrund besonderen Vertrau­ ens übertragen,2 und sind regelmäßig persönlich zu erbringen (dazu auch § 5, Rn. 90). 1167

Werkvertraglichen Charakter kann die Geschäftsbesorgung haben, wenn ein Vertrag oder AGB zu entwerfen sind oder wenn ein Rechtsgutachten zu erstatten ist. In bei­ den Vertragsvarianten geht es um die Leistung rechtlichen Beistands (§  3 Abs.  1 BRAO). Anwaltsfremde Tätigkeiten scheiden hingegen aus. 2. Verbrauchervertrag a) AGB-Kontrolle

1168

Beim Abschluss des Vertrages mit einem Verbraucher kann Verbrauchervertragsrecht zur Anwendung kommen. Das hat der EuGH für die Klauselrichtlinie 93/13/EWG3 angenommen; im Verhältnis zwischen Rechtsanwälten und Verbrauchern als Man­ danten bestehe eine Ungleichheit, die es rechtfertige, den Rechtsanwalt als Gewerbe­ treibenden i. S. d. Art. 2 lit. c RL 93/13/EWG zu qualifizieren.4 Ein anwaltlicher For­ mularvertrag, dessen Klauseln nicht auf bindenden Rechtsvorschriften (vgl. Art.  1 Abs. 2 RL 93/13/EWG) beruht, unterliegt deshalb der Kontrolle nach §§ 305 ff. BGB. b) Fernabsatzgeschäft

1169

Nicht auszuschließen ist auch, dass die weit gefasste Verbraucherrechterichtlinie 2011/93/EG anzuwenden ist, die in den §§ 312 ff. BGB umgesetzt ist.5 Dies würde bei Abschluss des Anwaltsvertrages außerhalb der Kanzleiräume (§ 312b BGB) oder im Internet (§ 312c BGB) zur Anwendung des gesamten Katalogs der §§ 312 ff. BGB, insbesondere der dortigen Informationspflichten, zwingen und ein Widerrufsrecht nach § 312c Abs. 1 BGB begründen.6 Dagegen spricht allerdings, dass die Vertrags­ durchführung nicht allein von der Fernkommunikation abhängt und zudem eine in­ dividuelle, auf den Einzelfall bezogene Dienstleistung zu erbringen ist, was mit der Situation der Ausnahmenorm des § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB vergleichbar ist.7 c) Internationale Zuständigkeit

1170

Ist ein Vertrag grenzüberschreitend mit einem Verbrauchermandanten geschlossen worden, sind bei einer streitigen Abwicklung des Vertrages die Zuständigkeitsvor­ 2 BGH NJW 1987, 315, 316. 3 ABl. EG v. 21.4.1993 Nr. L 95 S. 29. 4 EuGH v. 15.1.2015 – C-537/13 – Siba, NJW 2015, 1289 Tz. 23 m. Anm. Kaufhold. 5 Vgl. dazu Ernst NJW 2014, 817 ff. Zur weiten Auslegung des Begriffs Dienstleistungen in Art. 2 Nr. 6 VerbrRRL BGHZ 123, 380, 385 (zu Art. 5 des Europ. Übereinkommens über das auf Schuldverträge anwendbare Recht). 6 Dazu mit Musterformulierungen Härting NJW 2016, 2937 f. S. ferner Bräuer AnwBl 2015, 970 ff. 7 AG Berlin-Charlottenburg NJW-RR 2016, 184, 185. Für Anwendung der RL bei standardi­ sierter Leistungserbringung AG Düsseldorf AnwBl 2017, 92.

344

Anwaltsvertrag  ­|  § 43

schriften der Art.  17  ff. Brüssel Ia-VO bzw. der Art.  15  ff. LugÜ zu beachten.8 Es kommt nach Art. 17 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO bzw. Art. 15 Abs. 1 lit. c LugÜ darauf an, ob der Anwalt seine berufliche Tätigkeit in dem Mitgliedstaat des Verbraucher­ wohnsitzes ausübt oder sie darauf ausrichtet. Die Vornahme der Dienstleistung reicht auch ohne Niederlassung im Wohnsitzstaat des Verbrauchers aus.9 Mit dem Merk­ mal „Ausrichten“ wird der elektronische Geschäftsverkehr erfasst, in dem der Vertrag z. B. über eine Homepage angebahnt wird.10 3. Vertragswirksamkeit Der Anwaltsvertrag darf nicht auf einen Verstoß gegen fundamentale berufliche 1171 Pflichten des Anwalts gerichtet sein. Anderenfalls kann der Vertrag wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot gem. § 134 BGB nichtig sein, auch wenn der Verstoß nur vom Anwalt selbst, nicht aber vom Mandanten begangen werden kann.11 Im Einzelfall ist zu prüfen, ob es der Zweck der berufsrechtlichen Verbotsnorm gebietet, die zivilrechtliche Nichtigkeitsfolge auszulösen.12 Bejaht hat der BGH dies vor allem für Tätigkeitsverbote, die der Eindämmung von Interessenkollisionen und der Siche­ rung des Vertrauens in die Rechtspflege dienen, so nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 BRAO13, nach §  45 Abs.  1 Nr.  1 BRAO14 und nach §  43a Abs.  4 BRAO15 (dazu oben §  27, Rn. 570 und 583). Die Nichtigkeit des Vertrages stellt den Mandanten haftungsrecht­ lich nicht schutzlos. Sein etwaiger Schadensersatzanspruch ergibt sich dann aus § 311 Abs. 1 Nr. 1 BGB.16 4. Einbeziehung Dritter in den Vertrag Die Pflichten aus dem Anwaltsvertrag bestehen grundsätzlich nur gegenüber dem 1172 Mandanten. Mandatsbeziehungen und daraus folgende, gesamtschuldnerisch zu er­ füllende Honoraransprüche können zu mehreren Personen gleichzeitig begründet werden, etwa zu Ehepartnern über § 1357 BGB.17 Eine Einbeziehung Dritter ist unter den beschränkten Voraussetzungen des Vertrages 1173 mit Schutzwirkung für Dritte möglich (dazu § 45, Rn. 1307 ff.). Der begünstigte Per­ sonenkreis wird abgegrenzt durch die Kriterien der Leistungsnähe, des Einbezie­ hungsinteresses, der Erkennbarkeit für den Anwalt und der Schutzbedürftigkeit.18 8 OLG München MDR 2016, 609. 9 Staudinger in Rauscher (Hrsg.) EuZPR Band 1, 4. Aufl., Art. 17 Brüssel Ia-VO Rdn. 12. 10 So im Fall OLG München MDR 2016, 609. 11 BGH NJW 2016, 2561 Tz. 10. 12 BGH NJW 2016, 2561 Tz. 9. 13 BGHZ 141, 69, 79. 14 BGH WM 2010, 2374 Tz. 16. 15 BGH NJW 2016, 2561 Tz. 7. 16 BGH NJW 2016, 2561 Tz. 13. 17 OLG Düsseldorf VersR 2011, 757 (dort: Abwehr einer Räumungsklage betreffend die ehe­ liche Wohnung). 18 Nachweise bei Palandt/Grüneberg, BGB, 76. Aufl. 2017, § 328 Rdn. 16 ff.

345

Teil 6 ­|  Mandant und Rechtsanwalt

Das ist in Betracht zu ziehen, wenn Familienangehörige durch eine Maßnahme be­ günstigt werden sollen.19 1174

Gibt der Anwalt im Rahmen des Mandats eine Erklärung gegenüber einem Dritten ab, ist damit in der Regel nicht der Abschluss eines eigenständigen Beratungs- oder Auskunftsvertrages bezweckt.20 Das kann jedoch im Einzelfall anders sein, etwa wenn der Dritte für den Mandanten eine Kaution stellen soll.21

II. Verweisung auf das Auftragsrecht 1175

Die Qualifizierung als Geschäftsbesorgungsvertrag bedeutet, dass über die Verwei­ sung des § 675 Abs. 1 BGB auch Auftragsvorschriften anzuwenden sind, soweit nicht berufsrechtliche Spezialvorschriften Vorrang haben.

1176

Zu § 663 BGB (Anzeigepflicht bei Vertragsablehnung) ist § 44 BRAO eine vorrangige Vorschrift, die jedoch mit § 663 BGB inhaltlich weitgehend übereinstimmt.

1177

§ 664 BGB wird von § 675 BGB nicht in Bezug genommen. Die dort genannte Über­ tragung auf einen Dritten wäre ohnehin eine unzulässige Substitution. Sie darf nicht mit der Beteiligung eines Dritten an der Erfüllung des Anwaltsvertrages verwechselt werden. Die Bestellung eines Vertreters ist in § 53 BRAO geregelt, die Bestellung eines Kanzleiabwicklers in § 55 BRAO. Von der Wirkung einer Vertretung auf den Vergü­ tungsanspruch handelt § 5 RVG.

1178

Zu beachten ist das Weisungsrecht des Mandanten gem. § 665 BGB, das jedoch kei­ nen Vorrang vor den Berufspflichten des Anwalts hat. Dem Weisungsrecht des Man­ danten steht die Pflicht des Anwalts zur Seite, den Mandanten über Handlungsmög­ lichkeiten und Risiken aufzuklären, die den Mandanten zur sachgerechten Beurteilung seiner Weisungsmöglichkeiten instand setzen (unten Rn. 1203, 1206, 1209).

1179

Besondere Bedeutung hat § 666 BGB, der den Anwalt zur Auskunft und Rechenschaft verpflichtet. Die Pflicht zur Herausgabe des aus der Geschäftsbesorgung Erlangten bezieht sich auch auf empfangene Fremdgelder, für die jedoch § 43a Abs. 5 S. 2 BRAO eine Spezialvorschrift enthält. Zurückbehaltungsrechte und Aufrechnungsbefugnisse sind dadurch nicht ausgeschlossen. Für die Herausgabe von Handakten gilt die Son­ derregelung des § 50 Abs. 3 BRAO (dazu § 42, Rn. 1135; § 43, Rn. 1211).

1180

Die Vorschusspflicht des § 669 BGB bezieht sich nur auf Aufwendungen. Sie ist zu trennen von der Vorschusspflicht für die Vergütung und die Auslagen des Anwalts, die sich aus § 9 RVG ergibt. Der Aufwendungsersatzanspruch ergibt sich aus § 670 BGB; darauf nimmt § 11 Abs. 1 S. 1 RVG Bezug, soweit Aufwendungen zu den Kosten eines gerichtlichen Verfahrens gehören. Einschlägig ist die Regelung etwa, soweit der Anwalt einen Prozesskostenvorschuss aus eigenen Mitteln einzahlt. 19 BGH NJW 1988, 200; BGH NJW 1995, 51. 20 BGH NJW 1972, 678; BGH NJW 2004, 3630. 21 BGH NJW 2004, 3630; BGH NJW-RR 2007, 267.

346

Anwaltsvertrag  ­|  § 43

Das Erlöschen des Vertrages bei Tod des Beauftragten gem. § 673 BGB wird im Inte­ 1181 resse des Mandanten durch die Regelung des §  55 BRAO verdrängt, wonach von Amts wegen ein Abwickler zu bestellen ist (dazu § 6, Rn. 125).

III. Vertragsschluss 1. Freiheit der Mandatsübernahme, Kontrahierungszwang Der Anwalt ist trotz § 44 S. 1 BRAO grundsätzlich in seiner Entscheidung frei, ob er 1182 ein Mandat übernehmen will. Es besteht kein Kontrahierungszwang. Wird der An­ walt in seiner beruflichen Stellung beauftragt, muss er die Ablehnung eines Vertrags­ antrags allerdings unverzüglich erklären. Die Ablehnung bedarf keiner Begründung. Bei verspäteter Ablehnung haftet der Anwalt gem. § 44 S. 2 BRAO auf Schadensersatz, eine Form der culpa in contrahendo.22 Es handelt sich um Ersatz des negativen In­ teresses. Sorgfältig zu bestimmen ist, wer Vertragspartner auf anwaltlicher Seite wird, weil sich 1183 daraus Konsequenzen für die Haftung wegen eines Beratungsfehlers ergeben. Der Be­ griff der „Sozietät“ meinte früher die als Berufsausübungsgesellschaft allein zur Ver­ fügung stehende BGB-Gesellschaft. Er wird heute aber pauschalierend auch auf ande­ re Gesellschaftsformen angewandt. Seit der höchstrichterlichen Anerkennung der GbR als Personengesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit23 kann die GbR selbst Vertragspartner eines anwaltlichen Beratungsvertrages sein24 und dies auch dann, wenn ihr neben Rechtsanwälten Mitglieder anderer Berufsgruppen angehören, die damit die Verpflichtung zur Erbringung anwaltlicher Beratungsleistungen über­ nehmen (dazu § 22, Rn. 367).25 Mit einem angestellten Anwalt kann ein Anwaltsvertrag zustande kommen, wenn der 1184 Anwalt im Wege der Prozesskostenhilfegewährung beigeordnet wird. Die öffent­ lich-rechtliche Beiordnung lässt die zivilrechtliche Gestaltung des Rechtsverhältnisses unberührt.26 Wird der beigeordnete Anwalt nach der Bestellung mit dem Einver­ ständnis des Mandanten tätig, kommt spätestens dadurch mit ihm persönlich ein An­ waltsvertrag zustande, aus dem er haftet.27 Ein schon zuvor mit dem Arbeitgeber geschlossener Anwaltsvertrag wird dadurch nicht ohne weiteres obsolet, so dass auch der Arbeitgeber gem. § 278 BGB für Fehler des angestellten Anwalts haftet.28 Dassel­ be gilt für eine Haftung des Arbeitgebers nach § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB auf Befreiung

22 Vollkommer/Greger/Heinemann Anwaltshaftungsrecht4 § 4 Rdn. 15. 23 BGHZ 146, 341 = NJW 2001, 1056. 24 BGH NJW 2012, 2435 Tz. 15. 25 BGH NJW 2011, 2301 Tz. 10 f.; BGH NJW 2012, 2435 Tz. 15. Noch offen gelassen in BGH NJW 2009, 1597 Tz. 10. 26 BGH-NJW-RR 2005, 494, 495; BGH NJW 2011, 229 Tz. 6. 27 BGH NJW-RR 2005, 494, 497. 28 BGH NJW-RR 2005, 494, 495.

347

Teil 6 ­|  Mandant und Rechtsanwalt

von dessen Honoraranspruch, wenn der Angestellte nicht über eine notwendige Be­ schränkung der Mandatsbeziehung aufgeklärt hat.29 2. Formerfordernisse 1185

Der Anwaltsvertrag unterliegt keinem Formerfordernis. Der Vertrag kann auch still­ schweigend geschlossen werden.30 Bei Tätigkeiten des Anwalts in weiteren berufli­ chen oder gesellschaftlichen Funktionen, etwa als Vorsitzender eines Aufsichtsrats oder als Vereinsvorstand, kann nachträglich zweifelhaft werden, ob die übernomme­ ne Aufgabe ihren Schwerpunkt in der typischen Rechtsbetreuungspflicht des §  3 Abs. 1 BRAO hat. Im Zweifel ist bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles davon auszugehen, dass derjenige, der die Dienste eines Rechtsanwalts in Anspruch nimmt, ihn auch in dieser Eigenschaft beauftragen will.31

1186

Regelmäßig wird sich der Anwalt eine schriftliche Vollmacht ausstellen lassen. Sie wird im Falle der Erteilung einer Prozessvollmacht (dazu § 33, Rn. 818 f.) deren stan­ dardisierten Umfang wiedergeben, wird aber weitergehend auch eine Geldempfangs­ vollmacht umfassen.

1187

Für Vergütungsvereinbarungen gelten Formvorschriften (§§  3a, 4, 4a RVG), deren Nichtbeachtung die Rechtsfolge des § 4b RVG auslöst (dazu oben § 32, Rn. 738). 3. Vertragsbezogene Informationspflichten außerhalb der ­Rechtsberatung

1188

Den Anwalt treffen diverse Informationspflichten, die vielfach schon im Stadium der Vertragsanbahnung zu erfüllen sind. Zu unterrichten hat er über seine Person und die Kanzlei als Dienstleistungserbringer oder über den abzuschließenden Anwaltsver­ trag.32 Sie ergeben sich gegenüber Verbrauchern aus §  312a Abs.  2 BGB i. V. m. Art. 246 Abs. 1 EGBGB und bei Mandatsanbahnung außerhalb der Kanzlei aus § 312b BGB sowie aus § 312c BGB (Fernabsatz; dazu oben § 43, Rn. 1169). Gegenüber jedem potentiellen Dienstleistungsempfänger folgen Informationspflichten aus der DL-In­ foV; z. T. sind sie unaufgefordert mitzuteilen (z. B. zur Berufshaftpflichtversiche­ rung33), z. T. erst nach Aufforderung. Beim Betreiben einer Website sind Informati­ onen aufgrund des Telemediengesetzes bereitzuhalten (s. auch § 42, Rn. 1110).34 Zur Vergütung sind ebenfalls Informationen zu erteilen (§  4a RVG, §  16 BORA, §  12a ArbGG).

29 BGH NJW 2011, 229 Tz. 8 und 11. 30 Vgl. BGH NJW 1998, 3486. 31 BGH NJW 1998, 3486. 32 Näher dazu Jungk AnwBl 2015, 724, 726 ff. 33 Zur fehlenden Angabe des räumlichen Geltungsbereichs der Versicherung OLG Hamm GRUR-RR 2013, 339, 340. 34 Zur Anwendung auf Social-Media-Präsenz Haug NJW 2015, 661 ff.

348

Anwaltsvertrag  ­|  § 43

IV. Beendigung des Anwaltsvertrages Der Vertrag endet durch Kündigung seitens des Anwalts oder des Mandanten. § 626 1189 BGB betrifft die fristlose Kündigung aus wichtigem Grund. § 627 BGB verzichtet je­ doch auf dieses Erfordernis für den Anwaltsvertrag. Rechtsberatung gehört zu den Diensten höherer Art, die ein besonderes Vertrauensverhältnis erfordern.35 Der Fortbestand des Vertrauensverhältnisses ist dafür unentbehrlich. Rechtsfolge der be­ rechtigten Kündigung ist die Auflösung des Vertrages mit sofortiger Wirkung. Ausgeschlossen ist die Kündigung durch den Anwalt ohne wichtigen Grund zur Un­ 1190 zeit, weil sichergestellt werden soll, dass sich der dienstberechtigte Mandant die Dienste anderweitig beschaffen kann (§ 627 Abs. 2 S. 1 BGB). Auf die Rechtsberatung trifft dies zu, wenn Termine oder Fristabläufe unmittelbar bevorstehen und ein Verle­ gungs- oder Fristverlängerungsantrag erfolglos geblieben ist.36 Die unzeitgemäße Kündigung ist zwar regelmäßig nicht unwirksam, jedoch setzt sich der kündigende Anwalt der Schadensersatzhaftung nach §  627 Abs.  2 S.  2 BGB aus. Ein wichtiger Grund ist u. a. gegeben, wenn das Berufsrecht eine unverzügliche Beendigung des Mandatsverhältnisses erfordert (z. B. §§ 43a Abs. 4, 45 bis 47 BRAO, § 3 BORA).37 Schadensersatzpflichtig macht sich der Anwalt auch in diesen Fällen, wenn er den vorhersehbaren Berufsrechtskonflikt nicht rechtzeitig geprüft und dem Mandanten mitgeteilt hat. Ist der Anwalt im gerichtlichen Verfahren als Prozessvertreter (§ 48 Abs. 1 BRAO) 1191 oder als Verteidiger (§ 49 Abs. 1 BRAO) beigeordnet worden, unterliegt der Anwalts­ vertrag einem Kontrahierungszwang. Eine beliebige jederzeitige Kündigung ist dann nicht möglich, sondern nur eine richterliche Aufhebung der öffentlich-rechtlichen Beiordnung aus wichtigem Grund (§§ 48 Abs. 2, 49 Abs. 2 BRAO i. V. m. der jeweili­ gen Prozessrechtsnorm). Diese prozess- und berufsrechtliche Regelung hat Vorrang vor §  627 BGB.38 Eine der fortbestehenden Beiordnung zuwider ausgesprochene Kündigung ist gem. § 134 BGB unwirksam. Handelt es sich um ein Dauerberatungsmandat mit im Voraus vereinbarter fester 1192 Höhe des Entgelts, ist ein dauerndes Dienstverhältnis i. S. d. § 627 Abs. 1 BGB gege­ ben. Dann ist trotz der Erbringung von Diensten höherer Art eine fristlose Mandats­ kündigung ohne wichtigen Grund (§ 626 BGB) ausgeschlossen.39 Im Falle wirksamer fristloser Kündigung tritt der missliche Honorarverlust nach 1193 § 628 BGB ein (s. auch § 27, Rn. 555); das Honorar ist auf einen der bisherigen An­ waltstätigkeit entsprechenden Teil herabzusetzen. Diese Norm wird durch das RVG 35 Zur Anwendung des § 627 BGB auf den Anwaltsvertrag MünchKommBGB/Henssler6 § 627 Rdn. 2 und 22. 36 MünchKommBGB/Henssler6 § 627 Rdn. 33. 37 MünchKommBGB/Henssler6 § 627 Rdn. 36. 38 Gaier/Wolf/Göcken/Vorwerk, Anwaltliches Berufsrecht (2010) § 48 BRAO Rdn. 6; unent­ schieden von MünchKommBGB/Henssler6 § 627 Rdn. 7. 39 OLG Hamm NJW-RR 1995, 1530, 1531 f.

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Teil 6 ­|  Mandant und Rechtsanwalt

nicht ausgeschlossen.40 §  628 Abs.  1 S.  1 BGB geht dem §  3a Abs.  2 RVG (ex §  3 Abs.  3 BRAGO) vor.41 §  15 Abs.  4 RVG (ex §  13 Abs.  4 BRAGO) bestimmt aller­ dings, dass bei vorzeitiger Beendigung des Auftrags bereits entstandene Gebühren geschuldet sind, soweit das RVG nicht im Einzelfall etwas anderes bestimmt. Das trägt der besonderen Berechnungsweise der Gebühren Rechnung, die im Vergü­ tungsverzeichnis zum RVG auf einzelne Tätigkeiten abstellt. Besonderheiten gelten bei der Vereinbarung von Vergütungen oberhalb der gesetzlichen Gebühren oder bei Vereinbarung eines Erfolgshonorars (dazu § 32, Rn. 732 und 759 ff.).42 1194

Bei Kündigung des Mandats durch den Anwalt – z. B. zur Vermeidung unqualifizier­ ter Weisungen – ohne vorangegangene Vertragswidrigkeit des Mandanten droht nach § 628 Abs. 1 S. 2 BGB der völlige Honorarverlust, wenn die bisherigen Anwaltsleis­ tungen für den Mandanten kein Interesse haben. Das kann der Fall sein, wenn der Prozessbevollmächtigte gewechselt werden muss und die Gebühren für den neuen Rechtsanwalt noch einmal entstehen.43 Dasselbe gilt, wenn der Mandant wegen ver­ tragswidrigen Verhaltens des Anwalts kündigt,44 was auch gegeben ist, wenn der Anwalt nicht vorvertraglich darauf hinweist, dass er häufig eine Partei vertritt, die der Mandant als Partei mit entgegengesetzten Interessen ansieht (zum Interessenwider­ streit i. S. d. § 43a Abs. 4 BRAO näher § 27, Rn. 552 ff.).45

1195

Der Honorarstreit wird in den Fällen des § 628 Abs. 1 BGB durch die Frage beherrscht, ob der Kündigende oder der Kündigungsempfänger durch vertragswidriges Verhal­ ten Anlass zur Kündigung gegeben hat. Ein Rechtsanwalt kann das Mandat z. B. nie­ derlegen, wenn ein Gebührenvorschuss trotz Androhung der Kündigungsfolge nicht bezahlt wird,46 oder wenn der Mandant ihn unberechtigt eines Fehlverhaltens be­ schuldigt47 oder unrichtige bzw. unvollständige Informationen erteilt. Rechtswidri­ ge oder berufsrechtswidrige Weisungen des Mandanten berechtigen nicht ohne wei­ teres zu einer Kündigung.48

1196

Umgekehrt gibt z. B. die Untätigkeit des Anwalts Anlass zu einer Kündigung durch den Mandanten.49 Nicht ausreichend ist die Androhung der Mandatsniederlegung durch den Anwalt, wenn die Drohung unter Berücksichtigung der Mittel-Zweck-Re­ lation nicht rechtswidrig ist.50 Wird der Anwalt in Untersuchungshaft genommen,

40 So noch zur BGH NJW 1987, 315, 316. 41 So zur entsprechenden Vorschrift des § 3 Abs. 3 BRAGO BGH NJW 1987, 316. 42 S. dazu MünchKommBGB/Henssler6 § 628 Rdn. 14 ff. 43 Vgl. BGHZ 174, 186, 192 = NJW 2008, 1307 Tz. 17; BGH NJW-RR 2012, 294, 295; BGH NJW 2009, 3297 Tz. 35; OLG Karlsruhe VersR 1995, 537, 539 (im Streitfall jedoch Interesse an Revisionsbegutachtung bejaht); näher MünchKommBGB/Henssler6 § 628 Rdn. 34 f. 44 Dazu BGH NJW 2014, 317 Tz. 10 ff. m. krit. Anm. Deckenbrock. 45 BGH NJW 2008, 1307 Tz. 13 und 22. 46 BGH NJW 2008, 659, 661; BGH NJW-RR 2017, 374 Tz. 8 47 Dazu OLG Karlsruhe MDR 2010, 415. 48 MünchKommBGB/Henssler6 § 628 Rdn. 25. 49 OLG Rostock NJW-RR 2009, 492, 493; OLG Düsseldorf VersR 2012, 108. 50 Vgl. BGH NJW 2002, 2774, 2775.

350

Anwaltsvertrag  ­|  § 43

weil er im Verdacht steht, Gelder anderer Mandanten veruntreut zu haben, darf der Mandant wegen Zerstörung des Vertrauensverhältnisses kündigen.51 Kasuistik: BGH NJW 1995, 1954: Der sein restliches Honorar begehrende Rechtsanwalt war seinerzeit vom Beklagten beauftragt worden, eine Forderung von ca. 760 000 DM einzuklagen. Ein Jahr nach der Mandatierung wurde gegen den Kläger ein Strafverfahren wegen Verdachts der Untreue, des Betruges und der Urkundenfälschung zum Nachteil anderer Mandanten ein­ geleitet, in dessen Verlauf der Kläger kurzzeitig in Untersuchungshaft genommen wurde. Da­ raufhin kündigte der Beklagte das Mandat wegen positiver Vertragsverletzung und beauf­ tragte eine anderen Rechtsanwalt mit seiner Vertretung. Später wurde der Kläger zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt.

1197

Der BGH bejahte, dass i. S. d. § 628 Abs. 1 S. 2 BGB der klagende Anwalt die Kündigung des Mandanten durch vertragswidriges Verhalten veranlasst hatte und die bis dahin erbrachten Leistungen wegen der Notwendigkeit anderweitiger Mandatierung nutzlos geworden waren. Obwohl sich die Straftaten nicht gegen den Beklagten gerichtet hatten, begründete doch der schuldhaft erregte Verdacht schwerwiegender Straftaten zum Nachteil von Mandanten (­dringender Tatverdacht des §  112 StPO!) und damit der Verdacht mangelnder beruflicher Zuverlässigkeit und Redlichkeit eine schwerwiegende Störung des Vertrauensverhältnisses zum Beklagten. Sie war vertragswidrig, weil der Kläger als Prozessbevollmächtigter auch Ver­ mögensinteressen des Beklagten zu wahren hatte (vgl. den wegen § 83 Abs. 1 ZPO nach außen unbeschränkbaren § 81 Halbs. 4 ZPO).

Die Kündigung des Anwaltsvertrages hat nach Maßgabe des § 87 ZPO zunächst kei­ 1198 nen Einfluss auf eine bestehende Prozessvollmacht (s. auch § 33, Rn. 819). Die Voll­ macht gilt dann insbesondere noch für Zustellungen (§ 176 ZPO),52 nicht hingegen für § 85 Abs. 2 ZPO.53

V. Verjährung des Vergütungsanspruchs Gebührenforderungen aus typischer Anwaltstätigkeit (Rechtsberatung) verjähren 1199 gem. § 195 BGB nach einer Frist von drei Jahren. Die Fälligkeit richtet sich nach § 8 RVG, dessen Absatz 2 eine eigene Hemmungsregelung für die Tätigkeit in einem ge­ richtlichen Verfahren trifft. Sofern der Anwalt von seinem Anspruch auf Vorschuss gem. § 9 RVG Gebrauch gemacht hat, trifft ihn die Verjährungsregelung nur wegen eines etwaigen Restanspruchs.

51 BGH NJW 1995, 1954, 1955. 52 BGH NJW 1980, 999. 53 BGH VersR 1983, 540; BGH NJW 1980, 999. Dann ist aber das Eigenverschulden der Partei zu prüfen.

351

Teil 6 ­|  Mandant und Rechtsanwalt

VI. Beiderseitige Vertragspflichten 1. Überblick 1200

Der Anwaltsvertrag regelt Rechte und Pflichten der Parteien. In der Regel werden dies folgende Pflichten sein:54 ȤȤ Vergütungspflicht des Mandanten (dazu auch § 43, Rn. 1180 und 1193 ff.), ȤȤ Aufklärungspflicht des Anwaltes, ȤȤ Rechtsprüfungspflicht des Anwaltes, ȤȤ Beratungs- und Belehrungspflicht des Anwaltes, ȤȤ Bindung an Weisungen des Mandanten mit der Ausweichmöglichkeit zur Nichtan­ nahme oder Niederlegung des Mandats.55 2. Einzelne Anwaltspflichten a) Umfassende Belehrung

1201

Die einzelnen Pflichten des Anwalts sind in zahlreichen Entscheidungen herausgear­ beitet worden, in denen es zumeist um die Haftung des Anwalts ging.56 Aussagen zu Pflichten im Umgang mit Fristen werden insbesondere in Entscheidungen zur Wie­ dereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233 ZPO) getroffen (dazu § 44, Rn. 1238 ff. und 1267 ff.). Der Anwalt hat den Mandanten umfassend und möglichst erschöpfend zu belehren. Zielsetzung ist dabei, dem Mandanten eine Grundlage für die eigene Ent­ scheidung zu vermitteln. Zu belehren ist nach § 49b Abs. 5 BRAO – mit haftungs­ rechtlicher Bedeutung  – vor Übernahme des Auftrags über die anwaltliche Vergü­ tung, soweit sie sich nach dem Gegenstandswert richtet;57 Mandanten sollen vor Fehl­ vorstellungen über die Gebührenhöhe bewahrt werden. b) Besonders wichtige Pflichten Besonders wichtige Pflichten sind:58

1202

ȤȤ Er muss den Sachverhalt durch Befragung des Mandanten vollständig feststellen (dazu § 44, Rn. 1263). Er darf sich nicht ohne weiteres mit den vom Auftraggeber erteilten Informationen begnügen, wenn nach den Umständen des Einzelfalles für 54 Vollkommer/Greger/Heinemann Anwaltshaftungsrecht4 §§ 10-15. 55 OLG Karlsruhe VersR 1995, 537, 539 (Verweigerung der Revisionsdurchführung nach ein­ gehender Begutachtung); Borgmann/Jungk/Schwaiger Anwaltshaftung5 § 22 Rdn. 143. 56 So z. B. BGH NJW 1991, 2079 f.; BGH NJW 1993, 2676; BGH NJW 1993, 1779, 1780; BGH NJW 1995, 449, 450; BGH NJW 1997, 2168, 2169; BGH NJW 1999, 1391; BGH NJW 2007, 2485 Tz. 10; BGH NJW 2008,1307; BGH NJW-RR 2008, 1235; vgl. ferner die Aufstellung bei Palandt/Grüneberg76 § 280 BGB Rdn. 66 ff. 57 BGH NJW 2006, 371 Tz. 6 (zur Darlegungs- und Beweislast Tz. 12). 58 Henssler JZ 1994, 178 ff.

352

Anwaltsvertrag  ­|  § 43

eine zutreffende rechtliche Einordnung die Kenntnis weiterer Tatsachen erforder­ lich und deren Bedeutung für den Mandanten nicht ohne weiteres ersichtlich ist.59 Zur weiteren Erforschung des Sachverhalts ist er von sich aus nicht ver­ pflichtet.60 Die persönliche Ermittlung beschränkt sich allgemein jedoch auf die Beiziehung und Lektüre von Korrespondenzen, Gerichtsakten und sonstigen schriftlichen Unterlagen einschließlich der Augenscheinseinnahme von Beweis­ stücken in der Kanzlei.61 Der Richtigkeit tatsächlicher Angaben des Mandanten darf der Anwalt vertrauen.62 ȤȤ Er hat dem Mandanten die Risiken und Handlungsalternativen aufzuzeigen und 1203 die nach vorausgegangener Beratung getroffene Entscheidung des Mandanten zu beachten. Zu warnen hat er vor Gefahren durch Fristablauf (Verjährung, Aus­ schlussfristen).63 ȤȤ Er muss sich über neue Gesetze64 und Entscheidungen der Obergerichte, auch aus 1204 neuester Zeit, informieren. In erster Linie ist dies auf die höchstrichterliche Recht­ sprechung auszurichten, auch wenn Judikatur von Instanzgerichten oder Stimmen im Schrifttum entgegenstehen;65 veröffentlichte Instanzrechtsprechung und das Schrifttum sind also nur im beschränkten Maße heranzuziehen.66 Auf den Fortbe­ stand höchstrichterlicher Rechtsprechung darf der Anwalt in der Regel vertrauen, insbesondere wenn sie gefestigt ist.67 Strengere Anforderungen sind insoweit je­ doch zu stellen, wenn ein Rechtsgebiet ersichtlich in der Entwicklung begriffen und (gegebenenfalls weitere) höchstrichterliche Rechtsprechung zu erwarten ist,68 oder wenn höchstrichterliche Entscheidungen zu dem betreffenden Rechtsproblem feh­ len. Gehören mandatsbezogene Rechtskenntnisse nicht zum präsenten Wissen des Anwalts, hat er sie sich umgehend zu verschaffen, wenn er an der Übernahme des Mandats festhalten will.69 In eine Spezialmaterie muss er sich einarbeiten.70 ȤȤ Bei der Vertragserfüllung hat der Anwalt das Gebot des sichersten und gefahr­ 1205 losesten Weges zu befolgen.71 Dieser Superlativ ist allerdings fragwürdig.72 Zur 59 BGH NJW 2002, 1413; BGH ZIP 2006, 1050 Tz. 22; BGH NJW 2010, 1760 Tz. 1761. 60 BGH VersR 2007, 947, 948. 61 BGH NJW 1981, 2741, 2743; Borgmann/Jungk/Schwaiger Anwaltshaftung5 § 18 Rdn. 29 f. 62 BGH NJW 1994, 2293. 63 BGH NJW 2010, 1760, 1761. 64 BGH NJW 1971, 1704; BGH NJW 1978, 1486; BGH NJW 2006, 501, 502. 65 BGH NJW 1993, 3323, 3324 = JR 1994, 503 m. Anm. Henssler. 66 BGH NJW 2001, 675, 678. 67 BGH NJW 1993, 3323, 3324. 68 BGH NJW 2001, 675, 678. 69 Vgl. BGH NJW 2004, 3487; BGH NJW 2006, 501, 502. 70 BGH NJW 2006, 501, 502. 71 BGH NJW 1990, 2128, 2129; BGH NJW 1991, 2079, 2080; BGH NJW 1993, 1779, 1780; BGH NJW 1995, 2551, 2552; BGH NJW 1996, 48, 51; BGH NJW-RR 2008, 1235 Tz. 17; BGH NJW 2009, 2949 Tz. 9; BGH ZIP 2006, 1050 Tz. 14; BGH NJW 2012, 2523 Tz. 10; BGH NJW 2012, 2435 Tz. 22. Vom „relativ sichersten Weg“ spricht BGH NJW 2011, 2889 Tz. 14. 72 Zu den Bedenken Borgmann/Jungk/Schwaiger Anwaltshaftung5 § 21 Rdn. 131 und 142.

353

Teil 6 ­|  Mandant und Rechtsanwalt

prozessualen Vorbereitung von Schadensersatzprozessen und des dort zu erbrin­ genden substantiierten Vortrags ist häufig die Einleitung eines selbständigen Be­ weisverfahrens (§§ 485 ff. ZPO) geboten.73 1206

ȤȤ Bei Erteilung eines Auftrags zur Prozessführung hat der Anwalt die Erfolgsaussich­ ten der Rechtsverfolgung oder der Rechtsverteidigung unter Einbeziehung der Be­ weisrisiken zu prüfen und dem Mandanten mitzuteilen, insbesondere wenn der Prozessverlust in hohem Maße wahrscheinlich ist.74 Die Führung eines von vorn­ herein aussichtslosen Prozesses ist auch dann fehlerhaft, wenn der Mandant rechts­ schutzversichert ist; es kann zu einem Regress des Versicherers kommen (§  32, Rn. 798);75 der Mandant ist auf die Wahrscheinlichkeit des Prozessverlustes klar hinzuweisen.76 Zu belehren ist über die Kosten, wenn der Mandant darüber mög­ liche Fehlvorstellungen hegt.77 Dass bei nach dem Gegenstandswert zu erheben­ den Gebühren auf diesen Umstand hinzuweisen ist, folgt bereits aus § 49b Abs. 5 BRAO. Wird die Pflicht verletzt, hat dies nicht nur disziplinarrechtliche Folgen, sondern begründet auch einen Schadensersatzanspruch gem. § 311 Abs. 2 BGB.78

1207

ȤȤ Angriffs- und Verteidigungsmittel müssen fristgerecht vorgetragen werden.79 Flüchtet der Anwalt aus taktischen Gründen in die Säumnis, muss er gegen das Versäumnisurteil Einspruch einlegen, um Sachverhalt nachtragen zu können, der anderenfalls präkludiert wäre.80 Bei Unklarheit über den Anspruchsgegner ist al­ len potentiellen Schuldnern der Streit zu verkünden.81 Bei der Entscheidung über die Annahme eines vom Gericht vorgeschlagenen Vergleichs ist über die Vor- und Nachteile umfassend zu beraten.82

1208

ȤȤ Auf rechtliche Gesichtspunkte, die das Gericht übersehen haben könnte, ist hinzu­ weisen.83 Der BGH beschränkt die Aufgabe des Anwalts also entgegen der Parö­ mie „da mihi facta, dabo tibi jus“ nicht darauf, den relevanten Tatsachenstoff vor­ zutragen. Vielmehr müsse der Anwalt wegen des auch bei Richtern begrenzten menschlichen Erkenntnisvermögens nach Kräften dem Aufkommen von Irrtü­ mern und Versehen des Gerichts durch rechtliche Stellungnahmen und Hinweise auf höchstrichterliche Entscheidungen entgegenwirken.84

73 BGH NJW 1993, 2676, 2677. 74 BGHZ 89, 178, 182; BGH NJW 1984, 791, 792 f.; BGH NJW 1997, 2168, 2169. 75 OLG Düsseldorf MDR 2016, 1176; OLG Hamm MDR 2016, 1295. 76 BGH NJW 2012, 2435 Tz. 22. 77 BGH NJW 1998, 3486, 3487. 78 BGH NJW 2007, 2332 Tz. 10 und 17. 79 BGH WM 2013, 1754 Tz. 8. 80 BGH NJW 2002, 290, 291. 81 BGH NJW-RR 2005, 1585. 82 BGH NJW 2002, 292; BGH NJW 2009, 1589 Tz. 7; BGH NJW 2010, 1357; BGH NJW 2016, 3430 Tz. 8. 83 BGH NJW 1988, 3013, 3016; BGH NJW 1995, 1419, 1420; BGH NJW-RR 2007, 1553 Tz. 14; BGH NJW 2010, 73 Tz. 7; BGH NJW 2013, 2036 Tz. 4. 84 BGH NJW 2009, 987 Tz. 8; BGH NJW 2010, 73 Tz. 7; BGH NJW 2016, 957 Tz. 8 m. Anm. Borgmann.

354

Anwaltsvertrag  ­|  § 43

ȤȤ Besondere Anforderungen gelten für die Rechtsmittelinstanz. Über mögliche 1209 Rechtsmittel ist der Mandant zum Abschluss der Instanz zu informieren.85 Dafür reicht ein einfacher Brief; bei Schweigen des Mandanten braucht der Anwalt keine Nachfrage zu halten, sofern sich nicht wegen konkreter Anhaltspunkte aufdrängt, dass der Informationsfluss gestört sein könnte.86 Die Pflicht zur Information über Rechtsmittelmöglichkeiten schließt keine Pflicht zur Beratung über die Erfolgsaus­ sichten ein, es sei denn, der Anwalt äußert sich dazu von sich aus.87Auf eine er­ kennbare Divergenz des Urteils zu höchstrichterlicher Rechtsprechung ist aber je­ denfalls hinzuweisen.88 Ein Hinweis auf ein aussichtsreiches Rechtsmittel ist ferner geschuldet, wenn der Anwalt nicht sachgerecht gearbeitet und dadurch das unrichtige Urteil verschuldet hat.89 Vor einer Rechtsmittelrücknahme hat der An­ walt die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels unabhängig von einem Anraten des Rechtsmittelgerichts zu prüfen;90 außerdem hat er die Weisung des Mandanten einzuholen.91 Der Anwalt trägt die Verantwortung der korrekten Adressierung der Rechtsmittelschrift, insbesondere bei Spezialzuständigkeiten92 oder bei der Konzentration von Zuständigkeiten, und hat die speziellen Anforderungen an eine Berufungsbegründung93 oder eine Nichtzulassungsbeschwerde zu erfüllen. Zu beachten ist, dass das Berufungsgericht den Wert des Beschwerdegegenstandes nach eigenem Ermessen ohne Bindung an den in erster Instanz festgesetzten Streit­ wert bestimmt, so dass es geboten sein kann, vorsorglich Berufung einzulegen.94 Bei der Fristenberechnung kommt es für den Ablauf der Rechtsmittelfrist auf die am Gerichtsort maßgebliche Feiertagsregelung an.95 Rechtsmittelfristen dürfen bis zum letzten Tag ausgenutzt werden, auch wenn für die minderbemittelte Partei ein Prozesskostenhilfeantrag zu stellen ist.96 ȤȤ Die selbstverständliche Pflicht zur Führung von Handakten wird seit der Novelle 1210 von 1994 in § 50 BRAGO gesetzlich vorausgesetzt. Zur Aufbewahrung ist der An­ walt grundsätzlich sechs Jahre ab Mandatsende verpflichtet (§ 50 Abs. 2 S. 1 BRAO). Die Pflicht zur Herausgabe von Handakten ist nicht nur eine zivilrechtliche, son­ dern auch eine berufsrechtliche Pflicht (dazu § 42, Rn. 1135);97 der Herausgabe­ anspruch des Mandanten folgt aus § 667 BGB und berufsrechtlich aus § 50 Abs. 2

85 BGH NJW 2003, 2022, 2023; BGH NJW 2003, 2986, 2987; BGH NJW-RR 2007, 1553 Tz. 12. 86 BGH NJW 2006, 2779 Tz. 3. 87 BGH NJW 2003, 2022, 2023. 88 BGH NJW-RR 2007, 1553 Tz. 12. 89 BGH NJW-RR 2007, 1553 Tz. 12. 90 BGH NJW 2013, 2036 Tz. 4. 91 BGH NJW 2015, 770 Tz. 21. 92 BGH NJW 2011, 3306. 93 BGH NJW-RR 2015, 757 Tz. 5. 94 BGH NJW 2012, 2523 Tz. 10. 95 OLG Koblenz NJW-RR 2017, 254 Tz. 7. 96 BGH NJW 2017, 1179 Tz. 11. 97 BGH AnwBl 2014, 179 (LS); AnwGH NRW AnwBl 2015, 897 (LS).

355

Teil 6 ­|  Mandant und Rechtsanwalt

S. 1 BRAO.98 Auf elektronisch geführte Akten sind die Regelungen für Papierak­ ten entsprechend anzuwenden (§ 50 Abs. 4 BRAO). Zur Erfüllung des Herausgabe­ anspruchs bei elektronischer Aktenführung sind relevante Schriftstücke auszudru­ cken. Urkunden und vergleichbare Gegenstände (z. B. Beweismaterial) sind neben elektronischen Akten gesondert zu verwahren; Papierdokumente sind im Original zu erhalten und dürfen nicht nach dem Einscannen vernichtet werden. Durch das Zurückbehaltungsrecht des Anwalts kann die Erfüllung von Gebühren- und Aus­ lagenerstattungsansprüchen mittelbar erzwungen werden (§ 50 Abs. 1 BRAO). Das Zurückbehaltungsrecht des §  50 BRAO geht über §  273 BGB hinaus. Es besteht aber nur an Geschäftspapieren, die für das konkrete Mandat erlangt wurden.99 1211

ȤȤ Im Rahmen von Vollstreckungen, Schadensregulierungen oder sonstigen Inkas­ sotätigkeiten empfangene Gelder sind an den Mandanten auszukehren. Dem Man­ danten steht nur ein schuldrechtlicher Verschaffungsanspruch aus § 667 BGB zu, wenn die Gelder über ein normales Geschäftskonto des Anwalts statt über ein Treuhandkonto (Rechtsanwalts­ander­konto) eingezogen wurden (zum Insolvenzri­ siko § 42, Rn. 1096).100 Zusagen gegenüber Dritten zur Erfüllung von Mandanten­ verpflichtungen können eine selbständige Garantiehaftung des Anwalts begrün­ den.101 c) Rahmen des geltenden Rechts

1212

Die Wahrung der Mandanteninteressen darf nur im Rahmen des geltenden Rechts erfolgen. Die darüber in § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO a. F. bis 1994 enthaltene Bestimmung ist als selbstverständlich entfallen.102 Verlangen kann der Mandant also nur die Durchsetzung von Ansprüchen, die ihm rechtlich zustehen. Unterlässt der Anwalt Maßnahmen, die rechtlich nicht gedeckt sind, verletzt er allein dadurch noch nicht das ihm übertragene Mandat mit der Konsequenz einer Schadensersatzverpflich­ tung.103 Die Vollstreckung aus einem rechtskräftigen Versäumnisurteil, das der ma­ teriellen Rechtslage nicht entspricht, ist freilich rechtlich einwandfrei, solange nicht ausnahmsweise § 826 BGB eingreift.104 Der Mandant kann als rechtlicher Laie u. U. berechtigt darauf vertrauen, dass der Anwalt einem gesetzlichen Verbot durch geeig­ nete Rechtsgestaltung wirksam ausweichen kann.105

98 Mit der Neufassung des § 50 BRAO von 2017 erledigt sich berufsrechtlich der Rückgriff auf § 43 BRAO (so noch BGH NJW-RR 2015, 186 Tz. 13 f.). 99 BGH NJW 1997, 2945 f. Zum Zurückbehaltungsrecht eines Steuerberaters an Unterlagen des Rechtsanwalts OLG München NJW 2012, 1404. 100 BGH NJW 1996, 1543. 101 Vgl. OLG Düsseldorf NJW-RR 1996, 631. 102 Borgmann/Jungk/Schwaiger Anwaltshaftung5 § 22 Rdn. 148. 103 BGH NJW 1996, 48, 49. 104 BGH NJW 1996, 49. 105 BGH NJW 1992, 1159, 1160 (Gründung einer ärztlichen GmbH, die gegen das ärztliche Werbeverbot und das Verbot der Einrichtung einer Zweitpraxis verstieß).

356

Anwaltsvertrag  ­|  § 43 Kasuistik: OLG Köln NJW 1996, 472 f.: Der Mandant des angeklagten Rechtsanwaltes hatte ein Haus er­ worben, das von einem ausländischen Botschaftsrat und dessen Familie als Mieter bewohnt wurde. Der Mieter, der gem. § 18 GVG i. V. m. Art. 31 des Wiener Übereinkommens über dip­ lomatische Beziehungen nicht der deutschen Gerichtsbarkeit unterworfen war, befand sich seit neun Monaten mit der Miete in Höhe von 27 000 DM in Rückstand und bewohnte das Haus trotz ordnungsgemäßer Kündigung und Zusage der Räumung weiter. Vor der Eigentumsum­ schreibung und nach Besitzübertragung suchte der Mandant den Rat des Angeklagten, der ihm riet, das Haus in Ausübung eines angeblichen Selbsthilferechts gem. § 229 BGB gewalt­ sam zu räumen und das Mobiliar unterzustellen. Der Angeklagte sowie der Mandant und wei­ tere Hilfspersonen führten diesen Rat in Abwesenheit der Mieter aus.

1213

Das OLG bejahte den Tatbestand der Nötigung und des Hausfriedensbruchs und verneinte die Voraussetzungen des § 229 BGB. § 229 BGB ersetze nur Maßnahmen, die auch durch staat­ liche Organe zur Sicherung des gefährdeten Anspruchs getroffen werden könnten. Die Annah­ me eines unvermeidbaren Verbotsirrtums erfordere bei einem Rechtsanwalt eine strenge Prü­ fung der Rechtslage. S. auch § 31, Rn. 727.

Die häufig zu beobachtende Vollmundigkeit anwaltlichen Prozessvortrags mit subtil 1214 herabsetzenden Formulierungen über den Gegner des Mandanten kann eine Verlet­ zung des Anwaltsvertrages, nämlich einer Pflicht zur „mo­der­a­ten Prozessführung“, mit daraus folgender Schadensersatzverpflichtung bedeuten, wenn dem Mandanten Nachteile entstehen. Kasuistik: OLG Köln VersR 1995, 1098 f.: Der Kläger war in herausgehobener Stellung mit Prokuraertei­ lung bei einer AG angestellt. Er wurde zudem bei einem Schwesterunternehmen zum Vor­ standsmitglied bestellt. Sowohl gegen die spätere Abberufung als Vorstandsmitglied und die Kündigung des zugehörigen Dienstvertrages als auch gegen die fristlose Kündigung des Anstellungsvertrages als Prokurist klagte er vor der ordentlichen Gerichtsbarkeit bzw. vor der Arbeitsgerichtsbarkeit jeweils unter Inanspruchnahme der Dienste des nunmehr beklagten Rechtsanwaltes. Das LAG löste das Arbeitsverhältnis mangels einer den Betriebszwecken dienlichen Zusammenarbeit auf und führte aus: Die Einstellung des Klägers zu seiner Arbeit­ geberin sei beeinträchtigt, weil diese den Kläger als für leitende Funktionen ungeeignet an­ sah. Der Kläger habe in dem Verfahren um die Abberufung als Vorstandsmitglied zweitins­ tanzlich den Aufsichtsratsvorsitzenden als offensichtlich überfordert bezeichnet und ihm „diffuses Gerede“ vorgeworfen; ferner habe er ausführen lassen, das Schwesterunternehmen spiele mit falschen Karten, lege es darauf an, den Kläger zu diffamieren, zu verunglimpfen und zu diskriminieren, es entblöde sich nicht, es habe in einer jeder Beschreibung spottenden Wei­ se in eine Rechtsposition des Klägers eingegriffen und sich in Beleidigung und Herabwürdi­ gung der Persönlichkeitsstruktur ergangen und sich in übler Weise um eine Stimmungsmache bemüht. Das OLG verneinte eine Pflichtverletzung des beklagten Anwalts, weil dieser an einen ent­ sprechenden erstinstanzlichen Prozessvortrag angeknüpft hatte, dessen Formulierungen der Kläger nicht erkennbar missbilligt hatte und die für ihn auch keinen Anlass zu der Weisung gegeben hatte, in der Berufungsinstanz größere Zurückhaltung zu üben.

357

1215

§ 44 Anwalt als Prozessvertreter



I. Anwaltszwang 1. Gesetzliche Regelungen . . . . . . . 1216 a) Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . 1217 b) Strafprozess . . . . . . . . . . . . . . . 1223 c) Arbeitsgerichtsprozess, Sozialgerichtsprozess . . . . . . . 1228 d) Verwaltungs- und Finanzgerichtsprozess . . . . . . . . . . . . 1229 2. Rechtspolitik a) Anwaltszwang . . . . . . . . . . . . . 1231 b) Struktur des Prozessrechts . . . 1232

II. Zurechnung des Anwaltsverhaltens gegenüber der Partei 1. Stellvertretung . . . . . . . . . . . . . . . 1233 2. Verschulden im Zivilprozess a) Zurechnung des Anwaltsverschuldens . . . . . . . . . . . . . . 1234 b) Fehler des Personals . . . . . . . . 1236 3. Organisationsvorkehrungen des Anwalts a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 1237 b) Generelle Anweisungen, Einzelweisungen aa) Fristennotierung und Fristenkontrolle. . . . . . . . . 1238



bb) Ausgangskontrolle . . . . . . 1239 cc) Insbesondere Telefaxsendungen . . . . . . . . . . . . . 1242 c) Fristverlängerungen . . . . . . . . 1245 d) Erkrankung des Prozessbe­ vollmächtigten . . . . . . . . . . . . 1248 e) Einzelanweisungen, sonstige Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . 1249 4. Arbeitsgerichtsbarkeit, öffent­ lich-rechtliche Gerichtsbarkeiten 1255 5. Strafprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1258 6. Insolvenzrecht . . . . . . . . . . . . . . . 1261

III. Sachverhalts- und Beweisermittlung des Anwalts 1. Informationspflicht des Mandanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1262 2. Nachermittlungen des Anwalts 1263 3. Zeugenbefragung . . . . . . . . . . . . . 1265 IV. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Fristversäumung 1. Verschuldenszurechnung . . . . . . 1267 2. Verschuldensprüfung . . . . . . . . . 1268 3. Wiedereinsetzungsantrag . . . . . . 1272 4. Glaubhaftmachung . . . . . . . . . . . 1275

I. Anwaltszwang 1. Gesetzliche Regelungen 1216

Bei bestimmten Gerichten müssen sich die Parteien durch einen zugelassenen Anwalt vertreten lassen (sog. Anwaltszwang). Die Regelungen sind für die einzelnen Ge­ richtsbarkeiten und die Instanzen nicht einheitlich. a) Zivilprozess

1217

Im Zivilprozess besteht gem. §  78 Abs.  1 ZPO grundsätzlich Anwaltszwang (dazu auch § 33, Rn. 823 ff.) vor den Landgerichten und allen höheren Gerichten, darüber hinaus vor den beim Amtsgericht gebildeten Familiengerichten (§ 23b GVG) für die wichtigsten Familiensachen (§  114 FamFG). Darauf bezieht sich die Bezeichnung „Anwaltsprozess“ im Unterschied zum „Parteiprozess“. Ausnahmen gelten nach § 78 Abs. 3 ZPO u. a. für Prozesshandlungen, die vor dem Urkundsbeamten der Geschäfts­ 358

Anwalt als Prozessvertreter  ­|  § 44

stelle vorgenommen werden können. Das ist wegen § 920 Abs. 3, § 936 ZPO u. a. für das Arrest- und das einstweilige Verfügungsverfahren bedeutsam, solange ohne mündliche Verhandlung entschieden wird (vgl. §  921 Abs.  1 ZPO),1 aber auch für Prozesskostenhilfegesuche (§ 117 ZPO), Verweisungsanträge (§ 281 Abs. 2 ZPO) und für das selbständige Beweisverfahren (§ 486 Abs. 4 ZPO). Der Anwaltszwang bewirkt eine Postulationsbeschränkung; nur der Anwalt kann 1218 wirksam Prozesshandlungen vornehmen, insbesondere Anträge stellen. Das BVerfG rechtfertigte den Anwaltszwang in Verbindung mit dem damals noch bestehenden Lokalisationszwang, der die Postulationsfähigkeit zugleich örtlich beschränkte, 1993 mit mehreren Regelungszwecken: der Erleichterung der Terminierung für die Ge­ richte, der Verbindung von Gericht und Anwaltschaft zu einer vertrauensvollen Zu­ sammenarbeit und der Gewährleistung eines flächendeckenden Angebots anwaltli­ cher Dienstleistungen durch Verhinderung einer Zusammenballung der Mandate bei einer kleinen Zahl „ambulant“ tätiger Anwälte.2 Die Terminsverfügbarkeit werde zwar auch durch die Auslastung des Anwalts bestimmt. Er sei aber bei bundesweiter Tätigkeit ohne Bindung an einen Gerichtsbezirk für Termine noch weniger erreich­ bar. Moderne Kommunikationstechnik mit technischer Erreichbarkeit eines weit ent­ fernt wohnenden Anwalts erspare keine mündlichen Verhandlungen. Diese Gründe sind mit der Aufhebung des Lokalisationszwangs obsolet geworden. Zu rechtfertigen ist der Anwaltszwang heute nur noch mit einer – typisiert bejahten – 1219 Befähigung allein der Anwaltschaft zum sachgerechten Prozessvortrag und gleichzei­ tiger Bindung an das anwaltliche Berufsrecht als Organ der Rechtspflege. Die Unterzeichnung bestimmender Schriftsätze durch einen postulationsfähigen An­ 1220 walt, der den Schriftsatzinhalt verantwortet, muss aus dem Schriftsatz hervorgehen, notfalls im Wege der Auslegung.3 Das kann bei Unterzeichnung durch einen ande­ ren Anwalt als dem maschinenschriftlich angegebenen Anwalt zu Problemen führen. Die Rechtsprechung hat in wenig überzeugender Weise zwischen der Unterzeichnung in Vertretung (i.V.) und der Unterzeichnung als angeblicher Bote (i.A.) differen­ ziert.4 Das Auslegungsergebnis muss bei einer Rechtsmittelschrift bis zum Ende der Rechtsmittelfrist hinreichend erkennbar sein.5 Wird auf Briefbogen der deutschen Zweigniederlassung einer Limited Liability Partnership englischen Rechts, die weder in das deutsche Partnerschaftsregister eingetragen noch als Rechtsanwaltsgesellschaft zugelassen ist, eine Berufung unter Hinweis auf die Funktion des Unterzeichners als 1 Dazu OLG Hamm MDR 2008, 708, 709. 2 BVerfG (Kammer) NJW 1993, 3192. 3 KG MDR 2008, 535, 536. 4 BGH NJW 1988, 210; BGH NJW-RR 2016, 1336 Tz. 6. Kritisch dazu Deichfuß NJW 2016, 3132 ff. Zur strafrechtlichen Revisionsbegründungsschrift BGH NJW 2014, 3320 Tz.  19  f. Gegen überspannte Anforderungen dort BVerfG NJW 2016, 1570 Tz. 25 (jedoch mit Billigung der Differenzierung i.V. und i.A.). 5 BGH NJW 2013, 237 Tz. 14 und 16 (Auslegung dort durch BGH anstelle des Berufungsge­ richts, was die ganze Verworrenheit und Widersprüchlichkeit der Rechtsprechung belegt).

359

Teil 6 ­|  Mandant und Rechtsanwalt

Rechtsanwalt eingelegt, ergibt eine vernünftige Auslegung, das der postulationsfähige Anwalt das Rechtsmittel im eigenen Namen eingelegt hat.6 1221

Der Anwalt muss den Schriftsatz selbst verantworten, d. h. der Schriftsatz muss das Ergebnis seiner eigenen geistigen Leistung sein.7 Insoweit unterliegt er bei Ände­ rung von Schriftsatzentwürfen des Mandanten keinen Weisungen.8 Kasuistik:

1222

OLG Brandenburg MDR 1995, 1262 f.: Der vor dem LG nicht anwaltlich vertretene Beklagte hatte sich persönlich zur Klagebegründung geäußert und Urkunden vorgelegt, deren Inhalt weiteren Sachvortrag des Klägers erforderlich machte und eine entsprechende Auflage des Gerichts auslöste. Im Verhandlungstermin erschien nur der Prozessbevollmächtigte des Klä­ gers. Er beantragte  – vergeblich  – ein Versäumnisurteil; das Vorbringen des Beklagten im Anwaltsprozess war seines Erachtens nicht zu berücksichtigen und die Urkunde habe nicht die Klageforderung betroffen. Die sofortige Beschwerde blieb erfolglos. Der Anwaltszwang verbiete es nicht, Urkunden, die von der nicht anwaltlich vertretenen Partei in den Prozess eingeführt worden seien, bei der gem. § 331 ZPO anzustellenden Schlüssigkeitsprüfung zu berücksichtigen. Urkunden könnten nach §§ 142, 134 ZPO ohne anwaltliche Mitwirkung niedergelegt werden; auch könne die Na­ turalpartei über Tatsachen selbständig Erklärungen abgeben. Weder durch den Anwaltszwang noch durch den Beibringungsgrundsatz sei das Gericht zur Zugrundelegung erkennbar un­ richtigen Vorbringens verpflichtet. Dem stünden die Wahrheitspflicht, das Gerechtigkeitsge­ bot und das Rechtsstaatsprinzip entgegen.

b) Strafprozess 1223

Im strafrechtlichen Verfahren bestimmt § 140 StPO, unter welchen Voraussetzungen die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig ist (dazu auch § 33, Rn. 843). Dies ist beispielsweise der Fall, wenn wegen der Schwere des Delikts die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Landgericht oder dem Oberlandesgericht stattfindet und damit nur eine Tatsacheninstanz gegeben ist, oder wenn – unabhängig von der Festlegung des Eingangsgerichts  – dem Beschuldigten eine Straftat der schwersten Kategorie, nämlich ein Verbrechen zur Last gelegt wird. Verteidiger wird überwie­ gend ein Rechtsanwalt sein; allerdings kann der Beschuldigte auch andere Personen wie z. B. Rechtslehrer an deutschen Hochschulen als Verteidiger wählen (§ 138 StPO). Zweckmäßig ist die Beauftragung eines Verteidigers auch dann, wenn kein Fall not­ wendiger Verteidigung gegeben ist, weil nur der Verteidiger befugt ist, das Recht auf Akteneinsicht auszuüben (vgl. § 147 Abs. 1, § 385 Abs. 3 StPO).

1224

Revisionsanträge und deren Begründung müssen von einem Rechtsanwalt oder sonst befugten Verteidiger unterzeichnet werden (§ 345 Abs. 2 StPO). Damit soll gewähr­ 6 BGH NJW 2009, 3162 Tz. 6 und 8 f. m. Bespr. Henssler NJW 2009, 3136 ff. und Schnabl Anw­ Bl 2010, 394 ff. 7 BGH NJW 2008, 1311 Tz. 5. 8 BAG NJW 2014, 247 Tz. 10; LG Göttingen MDR 2009, 1075, 1076. Dazu Ullrich MDR 2009, 1017 ff.

360

Anwalt als Prozessvertreter  ­|  § 44

leistet werden, dass der Begründungsinhalt von einer sachkundigen Person stammt und gesetzmäßig und sachgerecht formuliert worden ist. Wie im Zivilprozess muss sich aus dem Schriftsatz erkennen lassen, dass der Unterzeichner die volle Verantwor­ tung für den Inhalt übernimmt.9 Will der Verletzte gegen die ablehnende Haltung der Staatsanwaltschaft die Erhebung 1225 der öffentlichen Klage erzwingen, muss ein darauf gerichteter Antrag auf gerichtliche Entscheidung von einem Rechtsanwalt unterzeichnet sein (§ 172 Abs. 3 S. 2 StPO). Wird ein Entschädigungsanspruch für Strafverfolgungsmaßnahmen nach dem StrEG 1226 geltend gemacht, für den das Verfahren in mehrere getrennte Abschnitte gegliedert ist, befindet nach der Entscheidung des Strafgerichts über den Grund des Anspruchs die Justizverwaltung im Betragsverfahren über dessen Höhe. Der dagegen eröffnete Rechtsweg führt wegen der Qualität des Anspruchs als besonderer Aufopferungsan­ spruch gem. § 13 Abs. 1 S. 3 StrEG vor die Zivilkammer des LG und unterliegt dem Anwaltszwang des § 78 Abs. 1 ZPO.10 Kasuistik: BGH NJW 1993, 3275 ff.: Der wegen umfangreichen Drogenhandels Angeklagte hatte im Er­ mittlungsverfahren einen Wahlverteidiger bestellt, sah das Vertrauensverhältnis am fünften Hauptverhandlungstag aber als unwiderruflich gestört, weil der Verteidiger einen seit dem ersten Verhandlungstag gewünschten Beweisantrag auf Einholung eines graphologischen Gutachtens über behauptete Manipulationen der Verfahrensakten verweigere, und bestellte unter Entzug des Mandats einen neuen Wahlverteidiger. Der Strafkammervorsitzende bestell­ te den früheren Wahlverteidiger daraufhin zum Pflichtverteidiger. Dieser beantragte am nächsten Verhandlungstag erfolglos seine Entpflichtung, weil ihm der Angeklagte in der Ge­ richtsöffentlichkeit Parteiverrat vorgeworfen habe und er deshalb gegen den Angeklagten we­ gen Ehrverletzung Strafanzeige erstattet habe.

1227

Der BGH sah die Bestellung zum Pflichtverteidiger als frei von Ermessensfehlern. Der vom Angeklagten vorgebrachte Misstrauensgrund sei nicht gerechtfertigt gewesen, weil der Vertei­ diger den vorgebrachten Verdacht durch Akteneinsicht auf Plausibilität geprüft habe und der Angeklagte den von ihm gewünschten Beweisantrag auch selbst habe stellen können. Jedoch habe die Ablehnung der Entpflichtungsaufhebung unter Nichtberücksichtigung der vom Pflichtverteidiger erstatteten Strafanzeige das Recht des Angeklagten auf wirksame Verteidi­ gung (Art. 6 Abs. 3 lit.c EMRK) und auf ein faires Verfahren verletzt, weil der Angeklagte in dieser neuen Situation keinen Beistand mehr habe erwarten können. Anhaltspunkte dafür, dass der Pflichtverteidiger seinerseits mit der Strafanzeige unter Verletzung seiner Pflichten aus § 49 Abs. 1 BRAO und als Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO) verfahrensfremde Zwecke verfolgt habe, seien nicht zu erkennen gewesen.

c) Arbeitsgerichtsprozess, Sozialgerichtsprozess Anwaltszwang besteht im arbeitsgerichtlichen Verfahren grundsätzlich vor den Lan­ 1228 desarbeitsgerichten und dem Bundesarbeitsgericht, nicht aber in erster Instanz (§ 11 ArbGG). Zulässig ist statt dessen aber auch die Vertretung durch Verbandsvertreter 9 OLG Hamm NJW 2004, 1189. 10 BGH NJW-RR 1993, 1021, 1022 = VersR 1994, 495.

361

Teil 6 ­|  Mandant und Rechtsanwalt

(Gewerkschaften, Arbeitgebervereinigungen). In der Sozialgerichtsbarkeit besteht das Vertretungserfordernis nur vor dem Bundessozialgericht (§  166 Abs.  1 SGG). Auch dort sind Verbandsvertreter zugelassen (§ 166 Abs. 2 SGG). d) Verwaltungs- und Finanzgerichtsprozess 1229

In der Verwaltungsgerichtsbarkeit herrscht in erster und zweiter Instanz kein An­ waltszwang. Hingegen müssen sich die Parteien im Verfahren vor dem Bundesver­ waltungsgericht von einem Rechtsanwalt oder einem Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule vertreten lassen (§ 67 Abs. 1 VwGO). Zu beachten ist, dass in Sonderver­ fahren wie den im BauGB geregelten Baulandsachen die Regelungen der ZPO gelten können (vgl. § 221 BauGB, § 78 ZPO mit Ausnahmen in § 222 Abs. 3 S. 2 BauGB).11

1230

In finanzgerichtlichen Verfahren besteht kein Anwaltszwang. Ebenso wie im Verwal­ tungsstreitverfahren darf das Gericht jedoch einem Beteiligten einen Anwalt beiord­ nen, wenn dafür Bedarf besteht. 2. Rechtspolitik a) Anwaltszwang

1231

Der Anwaltszwang ist nicht unumstritten. Seine Gegner sehen darin eine ungerecht­ fertigte Bevormundung und Beschränkung der freien Entfaltung der Persönlichkeit, da der Bürger die betreffende Streitigkeit nicht eigenverantwortlich durchführen kön­ ne.12 Demgegenüber wird von den Befürwortern auf die Notwendigkeit des Schut­ zes prozess- und rechtsunerfahrener Parteien, auf die Versachlichung des Rechts­ streits wegen mangelnder persönlicher Beziehung des Anwalts zum Streitstoff sowie auf die wünschenswerte Kontrolle des Gerichts durch die anwaltliche Überwachung des Verfahrens hingewiesen.13 Der bundesrechtliche Anwaltszwang kann nicht über eine landesverfassungsrechtliche Grundrechtsnorm wie etwa ein Grundrecht auf ein faires Verfahren außer Kraft gesetzt werden.14

11 Vgl. OLG Hamm NJW 1996, 601 (Anwaltszwang für Berufungseinlegung in Grenzrege­ lungsverfahren). 12 Bergerfurth Anwaltszwang, S. 16/17 m. w. N. in Fn. 65; kritisch zu Berechtigung und Um­ fang des Anwaltszwangs auch Graef ZRP 1995, 450, 452; Jauernig NJW 1975, 2300 und Stürner JZ 1986, 1089 ff. Zur Verfassungsmäßigkeit des Anwaltszwangs Bern, in Prütting, Deutsche Anwaltschaft, S. 150 ff., zu seiner Ausdehnung Eichner, ebenda, 130 ff.; ebenso Bern S. 50 f. Zur Vereinbarkeit mit Art.  6  I EMRK Schwab/Gottwald, in Effektiver Rechtsschutz und verfassungsmäßige Ordnung (Hrsg. Habscheid), S. 3, 46. 13 Stein/Jonas/Jacoby ZPO23 §  78 Rdn.  13; Vollkommer Die Stellung des Anwalts im Zivil­ prozess, S. 32. 14 So zu Art. 52 IV Bbg. Verfassung Brandb. VerfGH NJW 1995, 1018, 1019.

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Anwalt als Prozessvertreter  ­|  § 44

b) Struktur des Prozessrechts Von der Bestimmung der Rolle des Anwaltes hängt ab, wie weit das Verfahrensrecht 1232 unter Zurückdrängung richterlicher Aktivität vom Prinzip der Parteiherrschaft und Parteiverantwortung ausgehen darf.15 Bekennt man sich zu einer dialoggebundenen Prozessstruktur, wie sie den deutschen Zivilprozess kennzeichnet, ist die Dialogfähig­ keit der Parteivertreter eine Grundvoraussetzung für die Teilung der Verfahrensver­ antwortung im juristischen Erkenntnisprozess (s. auch § 3, Rn. 46).16

II. Zurechnung des Anwaltsverhaltens gegenüber der Partei 1. Stellvertretung Gemäß § 85 Abs. 1 ZPO sind die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Pro­ 1233 zesshandlungen für die Partei in gleicher Weise verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen worden wären. Der Anwalt handelt somit in unmittelba­ rer Stellvertretung. Der Begriff Prozesshandlung ist umfassend zu verstehen. Er meint jede Handlung, die das Betreiben des Verfahrens einschließlich der Entscheidung und deren Durchführung oder die Beendigung betrifft.17 2. Verschulden im Zivilprozess a) Zurechnung des Anwaltsverschuldens Insbesondere bei Versäumung von Fristen wird eine Wiedereinsetzung in den vori­ 1234 gen Stand gem. § 233 ZPO (dazu unten Rn. 1267 ff.) nur gewährt, wenn die Partei kein Verschulden an der Fristversäumung trifft und ihr auch kein fremdes Verschul­ den zuzurechnen ist. Das Verschulden des (wirksam) Bevollmächtigten18 steht dem Verschulden der Partei 1235 gleich (§  85 Abs.  2 ZPO). Schuldhaftes Fehlverhalten des Anwalts wird der Partei auch bei leichter Fahrlässigkeit und ohne Exkulpationsmöglichkeit zugerechnet.19 Die Verschuldenszurechnung gilt überdies für den nichtanwaltlichen Bevollmächtig­

15 Vgl. dazu Stürner JZ 1986, 1089, 1092 ff. 16 Näher dazu Ahrens Festschrift 300 Jahre OLG Celle (2011), S. 257, 262 ff. 17 Vgl. Baumbach/Lauterbach/Hartmann ZPO, 75. Aufl. 2017, Grdz. § 128 Rdn. 46; s. auch BGH VersR 1993, 121. 18 Voraussetzung ist beim Anwalt, dass der Mandatsvertrag zustande gekommen ist, BGH FamRZ 1996, 408, 409; BGH NJW-RR 2015, 753 Tz. 17. Geltung des § 85 Abs. 2 ZPO auch im Verwaltungsstreitverfahren der anwaltlichen Berufsgerichtsbarkeit, BGH NJW-RR 2017, 442 Tz. 7. Geltung auch im Verwaltungsstreitverfahren der Anwaltsgerichtsbarkeit, BGH NJW-RR 2017, 442 Tz. 7. 19 BGH VersR 1978, 521, 522; Stein/Jonas/Jacoby ZPO7 §  85 Rdn.  34. Für die Bildung von Ausnahmen bei grundsätzlicher Zustimmung Bern in Prütting, Deutsche Anwaltschaft, S. 223.

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Teil 6 ­|  Mandant und Rechtsanwalt

ten, der in die Kommunikation mit dem Rechtsanwalt eingeschaltet ist.20 Die Ver­ schuldenszurechnung endet aber mit dem Ende des Mandats, auch wenn die erteilte Außenvollmacht noch fortdauert.21 Ebenso endet sie mit dem Erlöschen der An­ waltszulassung.22 b) Fehler des Personals 1236

Nicht einzustehen hat die Partei für Verschulden von Hilfspersonen des Rechtsan­ walts, insbesondere des Büropersonals23, weil es für §  233 ZPO keine dem §  278 BGB entsprechende Zurechnungsvorschrift gibt. Anwaltliche Mitarbeiter und Refe­ rendare, die nur vorbereitende und unselbständige Tätigkeiten ausführen, werden wie Büropersonal eingestuft. Hingegen führt die eigenverantwortliche Mandatsbear­ beitung durch einen Rechtsanwalt im Angestelltenstatus oder als freier Mitarbeiter, der damit als Vertreter des mandatierten Rechtsanwalts tätig wird, zu einer Verschul­ denszurechnung.24 Die Fehler von Hilfspersonen können allerdings auf ein Organi­ sationsverschulden des Rechtsanwaltes selbst zurückzuführen sein, wenn er keine ausreichenden Vorkehrungen zur Vermeidung von Büroversehen getroffen hat. 3. Organisationsvorkehrungen des Anwalts a) Überblick

1237

Typische vom Anwalt zu erfüllende Organisationsanforderungen betreffen die Fristen­ erfassung und Fristenkontrolle, die Ausgangskontrolle von Schriftsätzen (Unterschrift vorhanden?, richtiges Gericht?), Botendienste und die Reichweite sowie Effizienz der Delegation routinemäßig zu bearbeitender Verrichtungen auf geschultes, als zuverläs­ sig erprobtes und sorgfältig überwachtes Personal. Bei überörtlichen Sozietäten trifft die Verantwortlichkeit den postulationsfähigen Rechtsanwalt, der die Partei vor Ge­ richt vertritt.25 b) Generelle Anweisungen, Einzelweisungen aa) Fristennotierung und Fristenkontrolle

1238

Rechtsanwälte müssen sicherstellen, dass Fristen ordnungsgemäß in einen Fristenka­ lender (einschließlich einer Vorfrist)26 eingetragen und beachtet werden.27 Die Be­ 20 BGH VersR 1995, 931, 932 (dort: die Mutter des Beklagten, die einen RA mit dem Ein­ spruch gegen ein VU beauftragen sollte). 21 BGH NJW 2008, 2713 Tz. 13 f. 22 BGH NJW-RR 2008, 1290 Tz. 9 (dort: unwirksame Berufungsbegründung aus prozessua­ len Gründen im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht berücksichtigungsfähig). 23 BGH NJW-RR 1992, 1019; BGH NJW 2012, 1021 Tz. 14. 24 BGH NJW 2004, 2901, 2902; OVG Schleswig NJW 2008, 3800. 25 BGH NJW 1994, 1878, 1879 (mit Hinweis auf örtlich unterschiedliche Feiertagsregelungen). 26 BGH NJW 2014, 3452 Tz. 15. 27 BGH NJW 2015, 2038 Tz. 7.

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rechnung und Notierung von Rechtsmittelfristen darf einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft überlassen werden.28 Notwendig ist aber eine Gegenkontrolle. Insbesondere müssen Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert werden und die Handakte muss durch Erledigungsvermerke erkennen lassen, dass die Fristen in den Kalender eingetragen worden sind.29 Da für den Fristenlauf die Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses und nicht der auf dem Dokument angebrachte Eingangsstempel maßgebend ist, muss über das Datum der Unterzeichnung ein Vermerk in den Handakten angefertigt werden.30 Wird die Handakte dem Rechtsanwalt im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfah­ renshandlung zur Bearbeitung vorgelegt, hat er die Einhaltung seiner Anordnungen eigenverantwortlich zu prüfen,31 und zwar am Tag der Vorlegung.32 bb) Ausgangskontrolle Rechtsanwälte müssen ferner sicherstellen, dass fristwahrende Schriftsätze rechtzeitig 1239 gefertigt und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingehen.33 Dazu müssen ein Verfahren zur rechtzeitigen Aktenvorlage34 und eine wirksame generelle Ausgangskontrolle geschaffen werden. Zu ihr gehört die Anordnung, dass die Erledi­ gung am Abend eines jeden Arbeitstages durch eine dazu beauftragte Bürokraft an­ hand eines Fristenkalenders nochmals selbständig überprüft wird.35 Fristen dürfen im Kalender erst gestrichen werden, nachdem sich die für die Kontrolle zuständige Bürokraft anhand der Akte selbst vergewissert hat, dass zweifelsfrei nichts mehr zu veranlassen ist.36 Wird durch die Kanzleiorganisation sichergestellt, dass ein fristwahrender Schriftsatz 1240 in ein Postausgangsfach als letzter Schritt des internen Ablaufs eingelegt und von dort unmittelbar zum Briefkasten gebracht wird, ist eine zusätzliche Ausgangskontrolle entbehrlich.37 Zur Ausgangskontrolle gehört es, fristwahrende Schriftsätze auf das Vorhandensein der notwendigen Unterzeichnung zu überprüfen.38 Auch die ausrei­ 28 BGH NJW 2010, 3585 Tz. 7; BGH NJW-RR 2014, 698 Tz. 7; BGH NJW 2014, 3452 Tz. 8; strenger: BGH NJW 2013, 1309 Tz. 7 (Fristenverfügung durch den Anwalt selbst). 29 BGH NJW 2008, 1670 Tz. 6; BGH NJW-RR 2014, 698 Tz. 7. 30 BGH NJW-RR 2010, 417 Tz. 9. 31 BGH NJW 2008, 3439 Tz.  7; BGH NJW-RR 2012, 293 Tz.  11; BGH NJW-RR 2014, 698 Tz. 7; BGH NJW 2014, 3452 Tz. 8 und 11; nicht ganz übereinstimmend BGH NJW 2011, 1600 Tz. 9. 32 BGH NJW 2007, 1599 Tz. 6. 33 BGH NJW-RR 2012, 427 Tz. 9; BGH NJW 2014, 3159 Tz. 7; BGH NJW 2015, 253 Tz. 8; BGH NJW 2015, 2041 Tz. 8; BGH NJW 2016, 1740 Tz. 14. 34 BGH NJW-RR 2012, 427 Tz. 9; BGH NJW 2015, 2041 Tz. 8. 35 BGH NJW 2010, 3585 Tz. 7; BGH NJW 2012, 1021 Tz. 17; BGH NJW-RR 2015, 442 Tz. 8; BGH NJW 2015, 253 Tz. 8 f.; BGH NJW 2015, 2041 Tz. 8; BGH NJW 2016, 873 Tz. 8; BAG NJW-RR 2016, 2522 Tz. 22. 36 BGH NJW-RR 2012, 427 Tz. 9, BGH NJW 2015, 253 Tz. 8; BGH NJW 2015, 2041 Tz. 8. 37 BGH NJW 2016, 1740 Tz. 14. 38 BGH NJW 2014, 2961 Tz.  9. Zur Nichtunterzeichnung wegen vermeintlichen Doppels BGH NJW 2016, 718 Tz. 12.

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Teil 6 ­|  Mandant und Rechtsanwalt

chende Frankierung von Briefpost ist zu kontrollieren.39 Sind wegen unterschiedli­ cher Arbeitszeiten zwei Büroangestellte für die Fristenkontrolle zuständig, müssen die Verantwortungsbereiche eindeutig zeitlich abgegrenzt sein.40 1241

Wird ein elektronischer Kalender geführt, darf die Überprüfungsmöglichkeit nicht hinter derjenigen einer manuellen Kalenderführung zurückbleiben.41 Eingaben in den EDV-Kalender müssen durch Ausgabe der Einzeleintragung über den Drucker oder durch Ausgabe eines programmierten Fehlerprotokolls kontrolliert werden.42 Fristen dürfen bei der Löschung als erledigt nicht aus der Sichtmöglichkeit verschwin­ den. Tritt eine Störung des Computers ein, ist eine zusätzliche Fristensicherung erfor­ derlich, namentlich eine Umstellung auf eine manuelle Kontrolle.43 cc) Insbesondere Telefaxsendungen

1242

Gehäuft fällt Rechtsprechung zur Wiedereinsetzung nach Fristüberschreitung wegen missglückter Faxsendungen an. Der Anwalt hat die generelle oder im Einzelfall erfor­ derliche Weisung zu erteilen, dass der Sendebericht abzuwarten und darauf zu über­ prüfen ist, ob die Übermittlung an das richtige Gericht im vollständigen Umfang er­ folgreich durchgeführt worden ist.44 Erst danach darf die Frist gestrichen werden.45 Vermieden werden müssen Fehler bei der Ermittlung der richtigen Faxnummer, in­ dem ein Abgleich anhand einer zuverlässigen Quelle erfolgt.46 Wird eine hinrei­ chend konkrete Einzelanweisung zum Faxversand erteilt, kommt es auf allgemeine Anweisungen nicht an, etwa wenn im Einzelfall die Bürokraft beauftragt wird, sich beim Empfänger telefonisch nach dem Eingang des vollständigen Schriftsatzes zu er­ kundigen.47 Übernimmt der Anwalt im Einzelfall die Faxübermittlung selbst, muss er auch für die Übermittlungskontrolle sorgen.48

1243

Mit der Faxsendung ist so rechtzeitig zu beginnen, dass mit dem Abschluss der voll­ ständigen Übertragung (einschließlich der Schriftsatzunterschrift) vor 24 Uhr unter normalen Umständen zu rechnen ist.49 Für Störungen des Empfangsgeräts im Ge­

39 BGH NJW-RR 2016, 1526 Tz. 13. 40 BGH NJW 2007, 1453 Tz. 14. 41 BGH NJW 2015, 253 Tz. 10; BGH NJW 2015, 2038 Tz. 8. 42 BGH NJW 2010, 1363 Tz. 12. Kritisch dazu Jungk AnwBl 2016, 592. 43 BGH NJW 2015, 2038 Tz. 10. 44 BGH NJW 2007, 2778 Tz. 6; BGH NJW 2008, 2508 Tz. 11; BGH NJW-RR 2011, 138 Tz. 12; BGH NJW-RR 2014, 998 Tz. 17; BGH NJW 2014, 1390 Tz. 8; BGH NJW-RR 2016, 1262 Tz. 9; BGH 21.3.2017 – X ZB 7/15, juris Tz. 16. 45 BGH NJW-RR 2011, 138 Tz.  13; BGH NJW-RR 2016, 636 Tz.  7; BGH NJW 2016, 874 Tz. 12; BGH NJW 2016, 1740 Tz. 8; BAG NJW 2016, 2522 Tz. 22. 46 BGH NJW 2014, 1390 Tz. 8 (mit Hinweisen auf Differenzen zwischen den BGH-Senaten in Tz. 9); BGH NJW-RR 2016, 952 Tz. 8; BGH NJW 2016, 3667 Tz. 8 ff.; BGH NJW-RR 2017, 306 Tz. 22. 47 BGH NJW 2016, 1742 Tz. 12; BAG NJW 2016, 2522 Tz. 22. 48 BGH NJW 2016, 1740 Tz. 9. 49 BVerfG NJW 2006, 829; BGH NJW 2014, 2047 Tz. 8.

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richt ist der Absender nicht verantwortlich.50 Bleiben Anwählversuche erfolglos, muss über das Internet eine etwaige weitere Faxnummer des Gerichts ermittelt wer­ den.51 Eine Beschwerde ist gegebenenfalls beim Beschwerdegericht einzulegen.52 Fristen dürfen zwar bis zum letzten Tag voll ausgeschöpft werden, erfordern aber we­ gen des dadurch gesteigerten Risikos einer Fristversäumung die Anwendung erhöhter Sorgfalt. Das zwingt jedoch nicht dazu, das private Faxgerät im Laufe des letzten Ta­ ges der Frist auf seine Funktionstüchtigkeit zu überprüfen.53 Künftiger elektronischer Schriftsatzversand wird die technischen Probleme der 1244 Faxübermittlung entfallen lassen. c) Fristverlängerungen Wird eine Fristverlängerung beantragt, muss das beantragte Fristende im Kalender 1245 als vorläufig gekennzeichnet werden.54 Der Verlängerungsantrag darf auch noch am letzten Tag der Frist gestellt werden; eine telefonische Nachfrage muss nicht erfol­ gen.55 Den Eingang des Verlängerungsantrags bei Gericht muss der Anwalt ebenso wenig wie bei fristwahrenden Schriftsätzen überwachen.56 Wird eine Einzelanwei­ sung zur Absendung eines Fristverlängerungsantrags nur mündlich erteilt, muss si­ chergestellt werden, dass der Auftrag nicht vergessen wird; dafür genügt es regelmä­ ßig, dass die präzise Anweisung mit der Aufforderung verbunden wird, den Auftrag sofort und vor allen anderen Aufgaben zu erledigen.57 Mit der Bewilligung eines ersten Antrags auf Verlängerung einer Berufungsbegrün­ 1246 dungsfrist darf der Anwalt auch dann rechnen, wenn er einen der dafür im Gesetz genannten Gründe (§ 520 Abs. 2 S. 3 ZPO) nicht besonders substantiiert darlegt, son­ dern sich z. B. allgemein auf Arbeitsüberlastung beruft.58 Auf die Bewilligung einer kurzen zweiten Fristverlängerung darf bei Einverständnis des Gegners ebenfalls ver­ traut werden.59 Den Verlängerungsantrag muss der Anwalt auf korrekte Adressierung an das zu­ 1247 ständige Gericht hin überprüfen.60 Auf die Weiterleitung eines falsch adressierten 50 BGH NJW 2014, 2047 Tz. 8. 51 BGH NJW 2012, 3516 Tz. 11 m. Anm. Jungk; BGH v. 26.1.2017 – I ZB 43/16 Tz. 13, AnwBl 2017, 557. Zur Suche nach einem anderen Faxgerät bei Störung der Sendefunktion BVerfG NJW 2006, 829. 52 BGH NJW 2012, 3516 Tz. 10. 53 BGH NJW-RR 2017, 253 Tz. 12 f. 54 BGH NJW 2011, 1598 Tz. 12 und 16; BGH NJW 2013, 2821 Tz. 9. 55 BGH NJW 2010, 1610 Tz. 10. 56 BGH NJW 2014, 226 Tz. 8 f.; BGH NJW 2015, 3519 Tz. 10. 57 BGH NJW 2016, 1740 Tz. 12. Ebenso für die Fristnotierung BGH NJW 2009, 1083 Tz. 16. 58 BGH NJW 2010, 1610 Tz. 7 und 9 m. w. N.; BGH NJW 2013, 2035 Tz. 11; BGH NJW 2014, 226 Tz. 7. Generelle Arbeitsüberlastung ist kein Wiedereinsetzungsgrund, VGH München NJW 1998, 1507, 1508. 59 BGH NJW 2013, 3181 Tz. 10. 60 BGH NJW 2014, 3159 Tz. 9.

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Schriftsatzes an das richtige Gericht im ordentlichen Geschäftsgang des Empfangsge­ richts, der die Justiz nicht zusätzlich belastet,61 darf der Anwalt zwar vertrauen, doch muss auch dann der rechtzeitige Eingang erfolgen.62 d) Erkrankung des Prozessbevollmächtigten 1248

Streng sind die Anforderungen an Vorkehrungen zur Bewältigung von Krankheitsfäl­ len, die insbesondere Einzelanwälte an der Erfüllung von Fristen hindern.63 Für eine unvorhergesehene Erkrankung, die am letzten Tag einer Frist eintritt, muss der ­Anwalt zwar nicht vorsorglich einen Vertreter bestellen,64 doch muss er zumutbare Maßnahmen auch in dieser Situation ergreifen.65 Deshalb fehlt es nur dann an einem Verschulden, wenn er weder kurzfristig einen Vertreter einschalten, noch einen Frist­ verlängerungsantrag stellen konnte.66 Dafür muss er einen Notfallplan haben.67 Kann die Möglichkeit eines krankheitsbedingten Ausfalls vorhergesehen werden, etwa weil der Anwalt mit einer Verschlechterung des Zustandes rechnen musste, muss er sich darauf vorbereiten.68 Dies gilt insbesondere für eine Krankheit, die zwar nur spora­ disch und anfallartig zu einem akuten Krankheitszustand führt, die aber hinsichtlich dieser Folge bekannt ist.69 e) Einzelanweisungen, sonstige Maßnahmen

1249

Erteilt der Anwalt einer qualifizierten und zuverlässigen Bürokraft eine konkrete Ein­ zelanweisung, muss er sich anschließend nicht vergewissern, ob die Weisung ausge­ führt worden ist.70 Dies gilt grundsätzlich auch für mündliche Weisungen, wobei dann aber Vorkehrungen getroffen werden müssen, dass die Erledigung nicht verges­ sen wird.71

61 Dazu BGH NJW 2011, 683 Tz. 18. 62 BGH NJW 2013, 2053 Tz. 13; BGH NJW 2014, 3159 Tz. 13. Zum Vertrauendürfen bei Ein­ richtung eines Postaustauschfaches an einem anderen Gericht BGH, Beschl. v. 29.3.2017 – XII ZB 567/16. 63 Dazu der Überblick bei Toussaint NJW 2014, 200 ff. 64 BGH NJW 2015, 171 Tz. 18. 65 BGH NJW-RR 2017, 306 Tz. 14 und 22. Ebenso zur plötzlichen, unvorhersehbaren Arbeits­ überlastung BGH NJW 2013, 2035 Tz. 7 f. und zur Information über eine plötzliche Ver­ handlungsunfähigkeit bei bevorstehendem Verhandlungstermin BGH NJW 2009, 687 Tz. 11. 66 BGH NJW 2014, 228 Tz. 11; BGH NJW 2015, 171 Tz. 19. Fehlendes Verschulden angenom­ men in BGH NJW 2009, 3037 Tz. 10. 67 Vgl. BGH NJW 2014, 228 Tz. 11. 68 BGH NJW 2011, 1601 Tz. 18; BGH NJW-RR 2014, 701 Tz. 9 f.; BGH NJW-RR 2016, 574 Tz. 7. 69 BGH VersR 2007, 520; BGH NJW-RR 2016, 574 Tz. 7. 70 BGH NJW 2010, 2286 Tz. 11; BGH NJW 2010, 2287 Tz. 6; BGH NJW 2012, 3309 Tz. 7; BGH NJW 2016, 1740 Tz. 12. 71 BGH NJW 2010, 2286 Tz. 12; BGH NJW 2014, 700 Tz. 11.

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Ist ein Schriftsatz vor dem Absenden noch zu korrigieren, muss der Anwalt die Alt­ 1250 fassung nicht als ungültig kennzeichnen.72 Unschädlich ist die Unterzeichnung des hinsichtlich der Faxnummer noch zu korrigierenden Schriftsatzes vor Ausführung der Korrektur, wenn eine zuverlässige Bürokraft beauftragt worden ist.73 Unterbleibt die Unterzeichnung eines bestimmenden Schriftsatzes, weil der Anwalt statt dessen eine Schriftsatzanlage unterzeichnet hat, ist die übliche büromäßige Unterschriften­ kontrolle nicht geeignet, diesen Fehler aufzufangen.74 Eine mittellose Partei ist bis zur Entscheidung über ihren Prozesskostenhilfeantrag im 1251 Regelfall schuldlos an der Wahrung der Rechtsmittelfrist gehindert, wenn ihr Rechts­ anwalt nicht bereit ist, die Rechtsmittelbegründung ohne Bewilligung der Prozesskos­ tenhilfe einzureichen.75 Erteilt ein Rechtsanwalt der Vorinstanz einen Rechtsmittelauftrag, muss er sich verge­ 1252 wissern, dass der beauftragte postulationsfähige Anwalt den Auftrag übernimmt.76 Kasuistik: (a) BGH NJW 1996, 853: Dem erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Klägerin, der über einen Verkehrsanwalt instruiert wurde, war das Urteil am 7.3. zugestellt worden. Der Verkehrsanwalt hatte das Urteil am 10.3. erhalten. Er unterrichtete den Berufungsanwalt über das Zustellungsdatum und nannte den 10.3., so dass erst verspätet am 10.4. Berufung eingelegt wurde. Die Sekretärin des Verkehrsanwaltes hatte das zunächst richtig diktierte Zu­ stellungsdatum 7.3. – an einen Diktatfehler glaubend – in 10.3. abgeändert. Der BGH billigte die Annahme eines Anwaltsfehlers; der Anwalt habe das diktierte Zustellungsdatum vor der Unterschrift überprüfen müssen.

1253

(b) BGH NJW 1996, 997 f.: Der Berufungsschriftsatz gegen das Urteil des LG Berlin war vom Anwalt fälschlich an das LG Berlin adressiert worden und deshalb erst verspätet an das KG gelangt. Der Anwalt war in den sechs Monaten zuvor einer sich ständig steigernden Überlastung mit Auswirkungen auf seine physische Konstitution ausgesetzt gewesen, nachdem zu­ nächst der langjährige Bürovorsteher der Kanzlei und dann überraschend einer der vier Sozien verstorben waren. Schließlich starb der Schwiegervater des Anwalts, was zu persönlichem Ein­ satz bei der Sicherung des Fortbestehens von dessen Bauunternehmen zwang. Ersatzkräfte mussten erst langsam eingearbeitet werden und boten zunächst keine Entlastung.

1254

Der BGH bejahte die persönliche anwaltliche Verantwortung für das richtige Adressieren der Rechtsmittelschrift. Krankheitsbedingte Fristversäumung entlaste nur bei plötzlich auftre­ tender Erkrankung ohne Möglichkeit rechtzeitiger Vorsorge. Hier sei die körperliche Überan­ strengung nicht unvorhersehbar gewesen. – Es handelt sich in der Tat um einen klassischen Fall des Übernahmeverschuldens.77 Ebenso BGH NJW 1996, 1540, 1541. Zur unaufschiebbaren und unvorhersehbaren Nothilfe BGH VersR 1985, 47 und VersR 1981, 839. 72 BGH NJW 2014, 700 Tz. 13. 73 BGH NJW 2010, 2287 Tz. 7. 74 BGH NJW 2012, 856 Tz. 9 und 15. 75 BGH NJW 2012, 2041 Tz. 15 f.; BGH NJW-RR 2016, 507 Tz. 10. 76 BGH NJW 2014, 2656 Tz. 14. 77 Vgl. Deutsch Allgemeines Haftungsrecht Rdn. 383.

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4. Arbeitsgerichtsbarkeit, öffentlich-rechtliche Gerichtsbarkeiten 1255

Der Grundsatz der unmittelbaren Stellvertretung und das aus ihm abgeleitete Prinzip, dass die Partei sich das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen muss, gilt nicht nur im Zivilprozess, sondern auch in den Verfahren vor den Arbeits-, Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichten.78 Die Heranziehung eines Prozessbe­ vollmächtigten soll nicht zu einer Verschiebung des Prozessrisikos zu Lasten des Geg­ ners führen.79

1256

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist für den Verwaltungsgerichtsprozess in § 60 Abs. 1 VwGO normiert. Auch diese Vorschrift gewährt eine Wiedereinsetzung nur dann, wenn die Fristversäumung ohne Verschulden erfolgte. Über § 173 VwGO wird § 85 Abs. 2 ZPO entsprechend angewandt mit der Folge, dass der Partei das Ver­ schulden ihres Anwaltes wie eigenes Verschulden zugerechnet wird.80 Dies geschieht auch dann, wenn es um höchstpersönliche Rechte wie etwa das Recht auf Kriegs­ dienstverweigerung oder das Asylrecht81 geht, obwohl der Bürger insoweit keine Möglichkeit hat, seinen Anwalt in finanziellen Regress zu nehmen.

1257

Diese Grundsätze gelten auch für eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt im Ver­ waltungsverfahren (Wie­dereinsetzung in den vorigen Stand nach § 32 Abs. 1 S. 1 Vw­ VfG). § 32 Abs. 1 S. 2 VwVfG bestimmt ausdrücklich, dass ein Verschulden des Ver­ treters dem Bürger wie eigenes Verschulden zugerechnet wird.82 5. Strafprozess

1258

Im Strafprozess erfolgt hingegen keine Zurechnung des Verteidigerverschuldens beim Angeklagten, wenn durch einen Fehler des Anwaltes eine Frist nicht eingehalten worden ist.83 Wenn § 44 S. 1 StPO davon spricht, dass nur bei fehlendem Verschul­ den eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, so ist dies dahin auszulegen, dass nur ein eigenes Verschulden des Angeklagten (Mandanten) eine Wiedereinsetzung verhindert.

1259

Bei einem Mitverschulden des Angeklagten an der Fristversäumung hat die Recht­ sprechung allerdings eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verweigert.84 Ein 78 BGHZ 66, 122, 125; BFH DB 1983, 1131, 1132; BVerwG NJW 1982, 2458, 2459; BAG NJW 2009, 2841 Tz. 43 ff. 79 BVerwG NVwZ 1982, 35. 80 Kopp/Schenke VwGO, 20. Aufl. 2014, § 60 Rdn. 20 m. w. N. der Rechtsprechung; M.Redeker in Redeker/von Oertzen VwGO, 16. Aufl. 2014, §  60 Rdn.  3, 8; Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 60 Rdn. 14. Kritisch dazu Stürner JZ 1986, 1089, 1092. 81 BVerfGE 60, 253, 299 = NJW 1982, 2425, 2429. 82 Vgl. dazu Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 17. Aufl. 2016, §  32 Rdn.  33; Stelkens/ Bonk/Sachs VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 32 Rdn. 10, 16. 83 BVerfG (Kammer) NJW 1995, 2544, 2545; BVerfG (Kammer) NJW 1994, 1856; BGHSt 14, 306, 308; BGHSt 14, 330, 332; BGHSt 25, 89, 92; Maul in Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl. 2013, § 44 Rdn. 30; Roxin/Schünemann Strafverfahrensrecht, 29. Aufl. 2017, § 22 Rdn. 19. 84 BGHSt 25, 89, 93; vgl. dazu die Kritik bei Janknecht NJW 1973, 1890.

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derartiges Mitverschulden des Mandanten ist z. B. angenommen worden, wenn der Verteidiger dem Angeklagten als unzuverlässig bekannt gewesen ist,85 der Verteidi­ ger dem Angeklagten mitgeteilt hat, er werde nicht weiter für ihn tätig werden, oder aber wenn der Verteidiger dem Mandanten erklärt hat, er könne in der zu Verfügung stehenden Zeit das Rechtsmittel nicht mehr begründen.86 Im Ergebnis bedeutet dies, dass dem Mandanten hier eine – eingeschränkte – Pflicht zur Überwachung sei­ nes Verteidigers auferlegt wird. Besonders kritisch würdigt das Bundesverfassungsge­ richt die Aufstellung von Sorgfaltsanforderungen, die bei summarischen Verfahren (z. B. im Strafbefehlsverfahren) nach Fristversäumung den erstmaligen Zugang zum Gericht verwehren.87 Die Privilegierung des Angeklagten gilt nicht für die sonstigen eventuell an einem 1260 Strafprozess Beteiligten, wie etwa den Nebenkläger, den Privatkläger oder den An­ tragsteller eines Klageerzwingungsverfahrens und auch nicht im strafrechtlichen An­ nexverfahren (Adhäsionsverfahren) nach §§ 464b, 464 Abs. 3 StPO.88 Diese Beteilig­ ten müssen sich ein Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten analog § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen. 6. Insolvenzrecht Im Insolvenzverfahren ist § 85 Abs. 2 ZPO gem. § 4 InsO auf Verfahrenshandlungen 1261 anwendbar. Kommt es jedoch auf die Richtigkeit eines Vermögensverzeichnisses (§ 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO) an, kann die Redlichkeit des Schuldners bei Zusammenstel­ lung der Angaben nur nach seinen eigenem Verhalten beurteilt werden.89

III. Sachverhalts- und Beweisermittlung des Anwalts 1. Informationspflicht des Mandanten Im Vordergrund der Sachverhaltsermittlung steht die Informationspflicht des Man­ 1262 danten. Aufgrund des Anwaltsvertrages ist der Mandant verpflichtet, von sich aus wahrheitsgemäß alles an Umständen mitzuteilen, was nach seinen Kenntnissen und seinem Verständnis für den Anwalt zur Durchführung des Mandats von Bedeutung sein könnte.90 Der Rechtsanwalt darf sich auf die Vollständigkeit und Richtigkeit der ihm von seiner Partei erteilten Informationen verlassen. Er ist grundsätzlich nicht verpflichtet, eigene Ermittlungen und Prüfungen über deren Richtigkeit anzustel­ len.91 85 BGHSt 25, 89, 93. 86 BGHSt 14, 306, 308. 87 BVerfG NJW 1975, 1355; BVerfG (Kammer) NJW 1995, 2545. 88 Maul in Karlsruher Kommentar zur StPO7 § 44 StPO Rdn. 34. 89 BGH NJW 2011, 1229 Tz. 8 f. 90 Borgmann/Jungk/Schwaiger Anwaltshaftung5 §  17 Rdn.  9  f.; Vollkommer/Greger/Heinemann Anwaltshaftungsrecht4 § 10 Rdn. 2. 91 BGH NJW 1985, 1154, 1155.

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2. Nachermittlungen des Anwalts 1263

Auf der Grundlage der vom Mandanten erteilten Informationen hat der Anwalt den Sachverhalt von sich aus weiter aufzuklären und zu vervollständigen (s. dazu auch oben § 43, Rn. 1202). Ausmaß und Intensität der Aufklärungspflicht hängen von dem jeweiligen Einzelfall ab.92 Der BGH fordert, dass durch Befragen des Mandanten alle tatsächlichen Umstände, auf die es für die rechtliche Beurteilung ankommen kann, aufzuklären sind.93 Die anwaltliche Pflicht zur persönlichen Ermittlung beschränkt sich im allgemeinen auf die Beiziehung und Lektüre von Korrespondenz, Gerichtsak­ ten und sonstigen schriftlichen Unterlagen, so dass er weder Beweismittel zu beschaf­ fen, noch Zeugen oder Sachverständige vorab zu befragen oder eine Ortsbesichtigung vorzunehmen hat.94 Eine Augenscheinseinnahme beschränkt sich im Regelfall auf Beweisstücke, die dem Anwalt in seiner Kanzlei vorgelegt werden.95 Unter besonde­ ren Umständen kann einem Anwalt in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren die Pflicht obliegen, selbst beim Arbeitgeber Erkundigungen einzuholen.96

1264

Auf die Angaben des Mandanten darf der Anwalt ausnahmsweise nicht bei sog. Rechtstatsachen und rechtlichen Wertungen vertrauen, sondern muss den Mandan­ ten befragen und sich einschlägige Unterlagen vorlegen lassen.97 Dazu gehört die Urteilszustellung, über deren Zeitpunkt er im Hinblick auf Rechtsbehelfsfristen gege­ benenfalls durch Rückfragen eine Klärung herbeiführen muss.98 Sind Rechtsver­ hältnisse an Grundstücken erheblich, muss der Anwalt regelmäßig das Grundbuch einsehen oder eine entsprechende Auskunft einholen.99 3. Zeugenbefragung

1265

Keine einheitliche Auffassung besteht in Europa darüber, ob bzw. unter welchen Um­ ständen ein Anwalt potentielle Zeugen außergerichtlich über den Inhalt einer mögli­ chen Aussage befragen darf.100 Zur Ermittlung des Sachverhalts ohne Einflussnahme auf den Zeugen kann dies zulässig sein. Der Code of Conduct für das Verhalten der Prozessvertreter im Verfahren vor dem  Europäischen Einheitlichen Patentgericht lässt diese Möglichkeit zu. Allerdings darf der Anwalt den Zeugen nicht beeinflussen, 92 Borgmann/Jungk/Schwaiger Anwaltshaftung5 § 18 Rdn. 16. 93 BGH NJW 1961, 601, 602; BGH NJW 1985, 1154, 1155. 94 BGH NJW 1981, 2741, 2743; Vollkommer/Greger/Heinemann Anwaltshaftungsrecht4 § 10 Rdn. 27. 95 BGH NJW 1981, 2741, 2743. 96 BGH NJW 1983, 1665. 97 BGH NJW 2000, 730, 731. 98 BGH VersR 1995, 931, 932; BGH VersR 1994, 1344. 99 Vollkommer/Greger/Heinemann Anwaltshaftungsrecht4 § 10 Rdn. 29. 100 Zur Schweiz: Aufsichtskommission Zürich, Bl. für Zürch. Rspr. 1993 Nr. 70 S. 257 (Befra­ gung zulässig vor Erlangung der Zeugenfunktion); Aufsichtskommission Zürich Bl. für Zürch. Rspr 106 (2007) Nr.  35  =  S.  161 und 164; Aufsichtskommission Zürich, Bl. für Zürch. Rspr. 113 (2014) Nr. 57 S. 182 ff; Schw. BG, 4.10.2010, 2 C_8/2010, berichtet von Felber SchwJZ 107 (2011), 12 f.; Nater SchwJZ 102 (2006), 256 ff.

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eine wahrheitswidrige Aussage zu machen; das wäre eine berufswidrige und auch strafbare Anstiftung zur Falschaussage.101 In Bezug auf das Strafverfahren hat sich Beulke für eine intensivere Ausnutzung der 1266 Möglichkeiten zur Sachverhaltsaufklärung ausgesprochen.102 Er zählt es zu den wich­ tigsten Aufgaben des Anwalts, auf den Gang der Ermittlungen bestimmend hinzuwir­ ken, damit alle dem Täter günstigen Umstände tatsächlich ermittelt werden. Hierzu solle er durch geeignete Beweisanträge oder durch das Herbeischaffen von Beweismit­ teln gem. § 245 StPO beitragen. Auch gehörten eigene Ermittlungen des Verteidigers zu dessen Tätigkeitsfeld.103 Beulke sah einen Grund für die übliche Zurückhaltung in § 6 der früheren Standesrichtlinien, die dem Verteidiger nur dann ein Recht zur außer­ gerichtlichen Befragung von Zeugen einräumten, wenn dies zur pflichtgemäßen Sach­ verhaltsaufklärung, Beratung oder Vertretung notwendig ist. Selbstverständlich darf der Anwalt nicht den Sachverhalt verfälschen, etwa zur Falschaussage anstiften.

IV. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Fristversäumung 1. Verschuldenszurechnung Hat der Rechtsanwalt im Zivilprozess schuldhaft eine Frist versäumt, kann die Partei 1267 keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. §  233 ZPO erwirken (s. oben Rn. 1234). Das gilt auch für nichtvermögensrechtliche Verfahrensarten, insbesondere für Familien- und Kindschaftssachen,104 ohne dass dies vom BVerfG beanstandet wurde.105 2. Verschuldensprüfung Die Wiedereinsetzungsregelungen aller Verfahrensordnungen beruhen auf einer Ab­ 1268 wägung der Erfordernisse der Rechtssicherheit gegen die Verwirklichung materieller Gerechtigkeit; Eckpunkte sind die Garantie effektiven Rechtsschutzes, die Verwirkli­ chung von Einzelfallgerechtigkeit und die Anforderungen an das rechtliche Gehör.106 Das bestimmt die Entlastungsmöglichkeiten. Bei der Prüfung von Wiedereinsetzungsanträgen wird über die Schuldlosigkeit der 1269 Fristversäumung entschieden. Hier fällt permanent umfangreiche Rechtsprechung zum Anwaltsverschulden an, das nach § 276 BGB Vorsatz und Fahrlässigkeit umfasst und in der zweiten Alternative Außerachtlassen der für eine Prozessführung erfor­ 101 Dazu und zur Taktik des Anwalts Ullrich NJW 2014, 1341 ff. 102 Beulke Der Verteidiger im Strafverfahren (1980), S. 43/44. 103 Beulke Der Verteidiger im Strafverfahren, S. 44; s. ferner Wohlers in Systematischer Kom­ mentar zur StPO, 5. Aufl. 2016, vor § 137 StPO Rdn. 57 ff. m.w. N. 104 BGH NJW 1979, 1414, 1415. 105 BVerfGE 35, 41 = NJW 1973, 1315; s. ferner BVerfGE 60, 253, 299 = NJW 1982, 2425, 2429. 106 BVerfG (Kammer) NJW 1992, 711.

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derlichen Sorgfalt eines ordentlichen Rechtsanwalts bedeutet.107 Unter der früher geltenden Fassung des § 233 Abs. 1 ZPO kam es auf die Hinderung der Fristwahrung infolge „unabwendbaren Zufalls“ an, was vom BGH als „äußerste, nach den Umstän­ den mögliche Sorgfalt“ interpretiert wurde. Nach der gesetzlichen Herabsetzung des Maßstabes warnte auch der BGH vor einer Überspannung der Sorgfaltsanforderun­ gen.108 Das BVerfG hat in gleicher Weise gemahnt. Übersteigerungen verstoßen ge­ gen den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechts­ staatsprinzip), weil sie den Zugang zu einer Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren.109 1270

Verzögerungen der Briefbeförderung oder Briefzustellung durch die Deutsche Post AG, die nicht selten Gegenstand von Entscheidungen waren, dürfen nicht als Ver­ schulden angerechnet werden.110 Gleichgestellt sind Kurierdienste.111 Auf die Aus­ lieferung von Postsendungen im Bundesgebiet am folgenden Werktag darf man nicht vertrauen, wenn besondere Umstände wie ein Streik für die Verlängerung der Post­ laufzeiten sprechen. Dann müssen zumutbare andere sichere Übermittlungswege wie die Benutzung eines Faxgerätes benutzt werden.112

1271

Ein Zurechnungszusammenhang des Anwaltsfehlers mit der Fristversäumung kann fehlen, wenn das unzutreffend angerufene Rechtsmittelgericht wesentlich zu einer Fristversäumung beigetragen hat, indem es einen Hinweis auf eine von ihm frühzeitig erkannte funktionelle Unzuständigkeit unterlassen hat. Ein Gericht ist zwar nicht ver­ pflichtet, zur Entlastung von Anwälten frühzeitig seine Zuständigkeit zu prüfen. Hat es die Unzuständigkeit aber erkannt – und wie im Streitfall sogar in einem Aktenver­ merk niedergelegt – gebietet es die aus dem Grundsatz eines fairen Verfahrens abzu­ leitende prozessuale Fürsorgepflicht, auf den erkannten Mangel hinzuweisen.113 Un­ terbleibt dies, ist Wiedereinsetzung zu gewähren, weil sich das Verschulden des Prozessbevollmächtigten „nicht mehr ausgewirkt“ hat.114 In Widerspruch dazu hat 107 BGH NJW 1985, 1710, 1711 (mit missverständlicher Bezugnahme auf „übliche“ Sorgfalt; vgl. zur Erforderlichkeit im Unterschied zur Üblichkeit Deutsch Allgemeines Haftungs­ recht Rdn. 377 f.). 108 Vgl. nur BGH NJW 1985, 1710, 1711; später ebenso BGH NJW 2014, 700 Tz. 13; BGH NJW 2016, 3312 Tz. 4 (auch Art. 103 I GG benennend). Borgmann/Jungk/Schwaiger Anwaltshaf­ tung5 § 26 Rdn. 32 werfen dem BGH vor, er hielte sich selten an das eigene Postulat. 109 BVerfG (Kammer) NJW 1996, 309; BVerfG (Kammer) NJW 1995, 249; BVerfG NJW 2008, 2167 Tz. 22. Dem folgen z. B. BGH AnwBl 2011, 223 Tz. 14; BGH NJW-RR 2012, 252 Tz. 6; BGH NJW 2014, 700 Tz. 5; BGH NJW-RR 2014, 701, Tz. 6; BGH NJW 2014, 2961 Tz. 5; BGH NJW 2015, 3519 Tz. 10; BGH NJW-RR 2016, 126 Tz. 8. 110 BVerfG (Kammer) NJW 1995, 2546 f.; BVerfG NJW 2001, 744, 745; BGH NJW 2007, 2778 Tz. 13; BGH NJW 2016, 3312 Tz. 5; BGH NJW-RR 2016, 1526 Tz. 10; BGH NJW 2016, 2750 Tz. 7; BGH NJW 2016, 3789 Tz. 23. 111 BVerfG NJW 2000, 2657, 2658 (Kurierdienst des Berliner Anwaltsvereins). 112 BGH NJW 2016, 2750 Tz. 10; BGH NJW 2016, 3789 Tz. 24. 113 BGH NJW 2011, 683 Tz. 18 f. 114 BGH NJW 2011, 683 Tz. 20; BGH NJW-RR 2016, 1340 Tz. 12. S. auch BVerfG NJW 2005, 2137, 2138, wegen stark verzögerter Weiterleitung einer beim iudex a quo eingelegten so­ fortigen Beschwerde (Wiedereinsetzung notwendig).

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der X. Zivilsenat des BGH angenommen, dass die fristgerecht erkannte unvollständi­ ge Faxübermittlung nicht zu einem Telefonanruf oder einer Faxmitteilung der Ge­ schäftsstelle nötige.115 3. Wiedereinsetzungsantrag Kann der Rechtsanwalt erkennen, dass eine Frist versäumt worden ist, etwa durch 1272 Nachfrage nach dem Ausbleiben einer Fristverlängerungsbewilligung oder durch den Hinweis des Gegenanwalts auf einen Schriftsatzmangel,116 muss er fristgerecht (§ 234 ZPO) einen Wiedereinsetzungsantrag stellen.117 Ist die Mittellosigkeit einer Partei kausal für die Versäumung der Berufungsfrist, muss die Partei den Wiedereinset­ zungsantrag gleich nach Beseitigung des Hindernisses stellen.118 Der Wegfall kann auch in einer Änderung der Vermögensverhältnisse bestehen.119 Gibt das Gericht einen Hinweis, dass es die Bewilligungsvoraussetzungen für die Gewährung von Pro­ zesskostenhilfe als nicht gegeben sieht, muss von diesem Zeitpunkt an mit der Ableh­ nung des Antrags gerechnet werden, so dass die Frist für die Stellung des Wiederein­ setzungsantrags und für die Nachholung der versäumten Prozesshandlung zu laufen beginnt.120 Tatsachen, die für die Wiedereinsetzung von Bedeutung sind, sind grundsätzlich in­ 1273 nerhalb der Antragsfrist (§§ 234 Abs. 1, 236 Abs. 2 S. 1 ZPO) vorzutragen.121 Unkla­ re oder ergänzungsbedürftige Angaben, die einer Aufklärung durch richterlichen Hinweis gem. § 139 ZPO bedürfen, können noch nach Ablauf der Antragsfrist erläu­ tert oder vervollständigt werden.122 Ohne Anhaltspunkte für Unklarheiten oder Lü­ cken ist davon auszugehen, dass erforderliche organisatorische Maßnahmen gefehlt haben.123 Hat das Gericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen, ohne einen nach § 139 ZPO gebotenen Hinweis zu geben, kann der ausgebliebene ergänzende Vortrag noch im Rechtsbeschwerdeverfahren erfolgen.124 Der Beschwerdeführer muss – wie bei einer Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs – mit der Beschwerde­ begründung darlegen, was er bei rechtzeitigem Hinweis im Einzelnen vorgetragen hätte und wie er weiter vorgegangen wäre.125 Wiedereinsetzungsvoraussetzungen sind von Amts wegen zu prüfen und können nicht unstreitig gestellt werden.126 115 BGH, 21.3.2017 – X ZB 7/15, juris Tz. 14. 116 BGH NJW 2015, 3519 Tz. 10 f.; BGH NJW-RR 2016, 376 Tz. 11. 117 BGH NJW 2015, 3519 Tz. 15 f. 118 BGH NJW-RR 2015, 753 Tz. 10; BGH NJW-RR 2016, 507 Tz. 17. 119 BGH NJW-RR 2015, 753 Tz. 11. 120 BGH NJW 2009, 854 Tz. 11; s. auch BGH NJW 2017, 1179 Tz. 11. 121 BGH NJW 2013, 3181 Tz. 14. 122 BGH NJW 2013, 3181 Tz. 14; BGH NJW 2014, 1390 Tz. 14; BGH NJW 2016, 874 Tz. 8; BGH NJW-RR 2016, 1262 Tz.  11; BGH NJW 2016, 3312 Tz.  7; BGH NJW 2016, 3789 Tz. 31; BGH NJW-RR 2017, 306 Tz. 21. 123 BGH NJW 2014, 1390 Tz. 14; BGH NJW-RR 2014, 701 Tz. 13. 124 BGH NJW-RR 2016, 952 Tz. 14. 125 BGH NJW-RR 2016, 952 Tz. 14; BGH NJW 2016, 874 Tz. 9. 126 BGH NJW-RR 2017, 306 Tz. 11.

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Teil 6 ­|  Mandant und Rechtsanwalt 1274

Wird die Wiedereinsetzung umgehend nach Eingang des Antrags verweigert, sind neue Gründe, die noch rechtzeitig innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist im Rahmen einer Gegenvorstellung nachgeschoben werden, im Rechtsbeschwerdeverfahren zu berücksichtigen.127 4. Glaubhaftmachung

1275

Die den Wiedereinsetzungsantrag stützenden Tatsachen, also die Angaben über die Versäumungsgründe und die dagegen getroffenen büromäßigen Vorkehrungen, sind glaubhaft zu machen (§ 236 Abs. 2 S. 1 ZPO), was nicht volle richterliche Überzeu­ gung von der Richtigkeit, sondern nur überwiegende Wahrscheinlichkeit des Vor­ bringens bedeutet.128 In Wiedereinsetzungsanträgen begegnen die Gerichte langjäh­ rig tätigen und höchst zuverlässigen sowie fortlaufend überwachten anwaltlichen Mitarbeitern, die einzig in dem zur Entscheidung anstehenden Ausnahmefall versagt haben. Der Glaubhaftmachung dienende eidesstattliche Versicherungen (§ 294 Abs. 1 ZPO) – hinzu kommen anwaltliche Versicherungen129 – werden wohl typischerweise vom anwaltlichen Arbeitgeber vorformuliert und von dem betreffenden Mitarbeiter ohne Widerstand unterzeichnet, schon um eigene Versagensgefühle zu kompensie­ ren. Die Gegenreaktion der daran insgeheim zweifelnden Gerichte besteht in dem „Aufdecken“ immer neuer versäumter anwaltlicher Organisationsanforderungen, die ihrerseits den Vorwurf einer Überspannung der Verschuldensvoraussetzungen auslö­ sen.

1276

Die Glaubhaftmachung muss insbesondere die Themen der Büroorganisation umfas­ sen (s. zuvor Rn. 1237 ff.).130 Ungeachtet der Vorbehalte gegen die vielfältigen Versi­ cherungen über das vom Büropersonal im allgemeinen beachtete Höchstmaß an Sorgfalt hat der BGH den Satz aufgestellt, dass grundsätzlich von dem anwaltlich als richtig oder an Eides Statt versicherten Vorbringen in einem Wiedereinsetzungsan­ trag ausgegangen werden dürfe.131

1277

Wenn ein fristgebundener Schriftsatz verloren gegangen ist, muss nicht glaubhaft ge­ macht werden, wo und auf welche Weise es zum Verlust gekommen ist, sondern nur, dass dies außerhalb des Verantwortungsbereichs des Anwalts geschehen ist.132

1278

Abzugeben ist die Versicherung durch den mandatsbearbeitenden Rechtsanwalt.133 Die Glaubhaftmachung kann sich nur auf eigene Handlungen und Wahrnehmungen beziehen.

127 BGH NJW 2010, 2811 Tz. 13. S. auch BGH NJW 2017, 1554 Tz. 9. 128 BVerfG (Kammer) NJW 1995, 2545, 2546; BGH FamRZ 1996, 408, 409; BGH NJW-RR 2016, 952 Tz. 10; BGH NJW-RR 2017, 306 Tz. 12. 129 BVerfG (Kammer) NJW 1995, 2544, 2545; BGH NJW-RR 2016, 1526 Tz. 14. 130 Vgl. dazu Koch NJW 2016, 2994 ff. 131 BGH WM 2015, 411 Tz. 14; a. A. VGH München NJW 2011, 3177 Tz. 8. 132 BGH NJW 2015, 2266 Tz. 11; BGH NJW-RR 2016, 1402 Tz. 8. 133 BGH NJW-RR 2016, 1526 Tz. 14.

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§ 45 Schadensersatzhaftung

I. Haftung für vertragliche oder deliktische Pflichtverletzung . . 1279



II. Zurechnung fremden Verschuldens . . . . . . . . . . . . . . . . 1281



III. Ersatzfähiger Schaden, Kausalität der Pflichtverletzung, ­Mitverschulden 1. Schutzbereich der Vertragspflichten, Zurechnungszusammenhang a) Beachtung der Reichweite des Auftrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1283 b) Tätigkeit eines nachfolgenden Anwalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1284 c) Interferierende Gerichtsfehler 1285 2. Schaden, Beweislastverteilung im Regressprozess . . . . . . . . . . . . . . . 1287 3. Feststellung der Kausalität, Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1290

4. Mitverschulden . . . . . . . . . . . . . . 1293 5. Folgen der Haftung für die Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1294 6. Schmerzensgeld . . . . . . . . . . . . . . 1295

IV. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1297

V. Summenmäßige Haftungsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . 1304

VI. Haftung gegenüber Dritten . . . 1307 VII. Haftungsschuldner . . . . . . . . . . . 1315 VIII. Regressprozess . . . . . . . . . . . . . . 1319 IX. Deckungsschutz durch Vermögensschadenshaftpflichtversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . 1323 X. Dienstleistungshaftung nach EU-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1326

I. Haftung für vertragliche oder deliktische Pflichtverletzung Für die Verletzung von Haupt- oder Nebenpflichten haftet der Anwalt dem Mandan­ 1279 ten nach den allgemeinen Regeln auf Schadensersatz.1 Das ist in der Regel eine Haf­ tung gem. §§ 675 Abs. 1, 280 Abs. 1 BGB. Jedoch kommt wegen eines anwaltlichen Fehlers auch eine Haftung aus Delikt in Betracht, etwa wegen einer Persönlichkeits­ rechtsverletzung,2 wegen einer Freiheitsentziehung oder wegen einer Eigentums­ verletzung. Die Verletzung vorvertraglicher Pflichten kann eine Haftung nach § 311 Abs. 2 BGB oder § 44 BRAO begründen. Zivilrechtlich haften kann auch der Strafver­ teidiger.3 Abwegig ist es, aus einer markanten prognostischen Erklärung des An­ walts über den Erfolg seines Vorgehens ein Garantieversprechen und damit eine Ga­ rantiehaftung abzuleiten.4

1 Vollkommer/Greger/Heinemann Anwaltshaftungsrecht4 § 1 Rdn. 1 f., § 7 und § 8. Zur Haftung englischer Anwälte vgl. Dietlmeier Die Haftung englischer Rechtsanwälte für Fahrlässigkeit (Professional Negligence), 1994, mit kritischer Rezension von Kessel NJW 1995, 1411. 2 OLG Celle NJW 2012, 1227, 1228 (dort: unautorisierte Erklärung des Strafverteidigers in der Hauptverhandlung zur Tat eines prominenten Adligen). 3 Dazu Krause NStZ 2000, 225 ff. 4 Vgl. OLG Frankfurt NJW 2007, 1467, 1468.

377

Teil 6 ­|  Mandant und Rechtsanwalt 1280

Grundlage der Haftung ist der Gedanke, dass dem Anwalt Schutzpflichten für die (Vermögens-)Interessen des Mandanten obliegen. Die Haftung ist nicht nur um der nachtatlichen Schadensüberwälzung willen angeordnet. In ihr wird auch der Gedan­ ke der Spezial- und Generalprävention zur Sicherung anwaltlicher Kompetenz wirk­ sam. Die Rechtsprechung hat den Haftungsmaßstab immer sehr hoch angesetzt.5

II. Zurechnung fremden Verschuldens 1281

Fehlverhalten von juristischen und sonstigen Mitarbeitern wird dem Anwalt haf­ tungsrechtlich nach §  278 BGB zugerechnet.6 Häufig wird bei Fehlverhalten der Angestellten zugleich ein eigenes Organisations- und Überwachungsverschulden des Anwalts vorliegen.7 Haben sich mehrere Anwälte in einer Sozietät zusammenge­ schlossen oder erwecken sie nach außen hin diesen Anschein, so haften sie für die Fehler auch nur eines der Sozien gesamtschuldnerisch.8 Eine Gesamtschuld schei­ det jedoch aus, wenn ein Einzelmandat gewollt war,9 was im Falle der Beiordnung im Wege der Prozesskostenhilfe einer rechtzeitigen Klärung bedarf (dazu §  33, Rn. 840).

1282

Zwei nebeneinander beauftragte und voneinander unabhängig tätige Rechtsanwälte haben, auch wenn sie voneinander wissen, eigenständige Pflichten- und Verantwor­ tungsbereiche; keiner ist in seinem Pflichtbereich als Erfüllungsgehilfe des anderen i. S. d. § 278 BGB tätig.10 Wird zur Durchführung eines Mandats ein fremder Anwalt befugt eingeschaltet, zu dem ein selbständiges Vertrauensverhältnis herzustellen ist, gilt § 664 Abs. 1 S. 2 BGB (Beschränkung auf Übertragungsverschulden) trotz Nicht­ erwähnung in § 675 BGB entsprechend (s. auch § 32, Rn. 795).11

5 Vollkommer/Greger/Heinemann Anwaltshaftungsrecht4 § 17 Rdn. 10. 6 BGH NJW-RR 2005, 494, 495; BGH NJW 2011, 229 Tz. 11. 7 Borgmann/Jungk/Schwaiger Anwaltshaftung5 § 56 Rdn. 14 und § 58. 8 Stg. Rspr., BGHZ 56, 355 = NJW 1971, 1801 f; BGHZ 70, 247, 248 f. = NJW 1978, 996; BGH NJW 1990, 827, 828/829; Vollkommer/Greger/Heinemann Anwaltshaftungsrecht4 § 4 Rdn. 7. 9 Borgmann/Jungk/Schwaiger Anwaltshaftung5 § 36 Rdn. 9. Zu strafrechtlichen Konsequen­ zen BGH NJW 1994, 2302. 10 BGH NJW 1993, 2676, 2677. 11 Zu den umstrittenen Einzelheiten Borgmann/Jungk/Schwaiger Anwaltshaftung5 §  38 Rdn. 54 ff.

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Schadensersatzhaftung  ­|  § 45

III. Ersatzfähiger Schaden, Kausalität der Pflichtverletzung, ­Mitverschulden 1. Schutzbereich der Vertragspflichten, Zurechnungszusammenhang a) Beachtung der Reichweite des Auftrags Der Anwalt hat (nur) für solche Nachteile einzustehen, die im Schutzbereich der ver­ 1283 letzten vertraglichen Pflichten liegen.12 Zu ersetzen sind solche Schadensfolgen, zu deren Abwendung die verletzte Vertragspflicht übernommen wurde.13 Vorgänge, die in keinem inneren Zusammenhang zu der dem Anwalt übertragenen Aufgabe stehen, brauchen von ihm nicht darauf untersucht zu werden, ob sie Anlass zur Ertei­ lung eines Hinweises an den Mandanten geben.14 Jedoch muss der Anwalt auch im Rahmen eines eingeschränkten Mandats vor Gefahren warnen, die sich aufdrängen, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass sich der Mandant der Gefahr nicht be­ wusst ist.15 b) Tätigkeit eines nachfolgenden Anwalts Der haftungsrechtliche Zurechnungszusammenhang kann fehlen, wenn der Mandant 1284 den Schaden endgültig erst durch sein eigenes unsachgemäßes Verhalten herbeiführt, für das es keinen vernünftigen nachvollziehbaren Grund gibt, etwa indem er den Rat eines neuen Anwalts über Maßnahmen zur Verhinderung der Schadensenstehung missachtet.16 Die Einschaltung eines neuen Anwalts zur Prüfung von Schadenser­ satzansprüchen gegen den ursprünglichen Anwalt unterbricht den Zurechnungszu­ sammenhang nicht, wenn der neue Anwalt den Schaden noch abwenden könnte, es sei denn, dieser Anwalt trifft seinerseits eine völlig sachfremde Entscheidung, so dass es bei wertender Betrachtung an einem inneren Zusammenhang mit dem ursprüng­ lichen Fehler mangelt.17 Vielmehr besteht grundsätzlich ein Haftungsanspruch ge­ gen beide nacheinander tätige Anwälte.18 c) Interferierende Gerichtsfehler Tritt der Verlust eines Prozesses ein, weil das Gericht einen Fehler begangen hat, kann 1285 dies gleichwohl zu einer Haftung des Prozessanwalts führen, wenn er es unterlassen hat, durch geeignete Maßnahmen auf eine Änderung der richterlichen Überzeu­

12 BGH NJW 2005, 3071, 3072. 13 BGH NJW 1996, 48, 51; NJW 1995, 449, 451. 14 BGHZ 128, 358, 361 = NJW 1995, 958 (Steuerberaterhaftung); BGH NJW 2002, 1117, 1118. 15 BGH NJW 2002, 1117, 1118 (dort: Verjährung); BGH NJW-RR 2008, 1235 Tz. 16 (Verjäh­ rung). 16 BGH NJW 1994, 2822, 2823. 17 BGH NJW 2002, 1117, 1120. 18 BGH NJW-RR 2005, 1146, 1147.

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gungsbildung hinzuwirken. Der Urteilsschaden ist dem Anwalt dann haftungsrecht­ lich zuzurechnen.19 1286

Unhaltbar ist demgegenüber die Begründung der Kammerentscheidung BVerfG NJW 2002, 2937, 2938, die Haftbarkeit des Anwalts wegen Perpetuierung eines Ge­ richtsfehlers durch ein eigenes Unterlassen sei wegen Nichtberücksichtigung der ­Berufsausübungsfreiheit bedenklich.20 Die haftungsrechtliche Schadensverteilung zwischen Anwalt und Mandant ist keine Frage des Art. 12 Abs. 1 GG, sondern der richtigen Bestimmung der Zurechnung des Schadens durch Bildung des geschuldeten beruflichen Sorgfaltsmaßstabs. Nur wenn der Eintritt des Urteilsschadens beim Man­ danten mangels Zurechnung nicht auf den Anwalt verlagert wird, verwirklicht sich nach dem Grundsatz casum sentit dominus ein allgemeines Lebensrisiko des Man­ danten. Ein doppelter Fehler aus der Gerichtssphäre und der Anwaltssphäre entlastet den Anwalt nach allgemeinen Haftungsgrundsätzen nicht. Eine Zurechnung unter­ bleibt nur, wenn der Schadensbeitrag des Gerichts weit überwiegt,21 oder wenn der Fehler des Anwalts schlechthin ungeeignet war, die gerichtliche Fehlentscheidung hervorzurufen.22 2. Schaden, Beweislastverteilung im Regressprozess

1287

Der zu ersetzende Schaden kann darin liegen, dass der Mandant durch das Fehlver­ halten des Anwalts einen Prozess verliert, den er bei sachgemäßer anwaltlicher Ver­ tretung gewonnen hätte. Die aufgrund eines Fehlers verlorene Forderung muss aller­ dings auch tatsächlich durchsetzbar, also werthaltig sein.23 Zum Schaden gehören die Kosten des verlorenen Prozesses. Deren unmittelbare Tragung durch den Anwalt wegen fehlerhafter Prozessführung kann das Gericht des Hauptprozesses (Vorprozes­ ses) nicht anordnen. Für die Schadensfeststellung gilt § 287 ZPO.24

1288

Der im Regressprozess zu führende „hypothetische Inzidentprozess“ hat nicht darauf abzustellen, wie der Vorprozess voraussichtlich geendet hätte oder tatsächlich ent­ schieden worden ist; vielmehr hat das Regressgericht selbst zu beurteilen, welches Urteil richtigerweise hätte ergehen müssen.25 Der Verlust einer tatsächlichen oder rechtlichen Position, deren Erhalt der Mandant von Rechts wegen nicht beanspru­

19 BGHZ 174, 205 Tz. 15 = NJW 2008, 1309; BGH NJW 2009, 987 Tz. 7, 14 und 21; BGH NJW 2010, 3576 Tz. 20; BGH VersR 2010, 253 Tz. 7 und 15; BGH VersR 2011, 803 Tz. 20. 20 Davon abgerückt BVerfG NJW 2009, 2945, 2946. Sehr kritisch schon Medicus AnwBl 2004, 357 ff. 21 BGHZ 174, 205 Tz. 18 = NJW 2008, 1309; BGH NJW 2009, 987 Tz. 21. 22 BGH VersR 2010, 253 Tz. 17. 23 BGH VersR 2005, 510, 511; BGHZ 171, 261 Tz. 35 = NJW 2007, 2485 Tz. 35; BGH NJW-RR 2014, 172 Tz. 8. 24 BGH NJW 2002, 292, 294; BGH NJW 2011, 2649 Tz. 19; BGH NJW 2012, 2435 Tz. 36. 25 BGH NJW 1996, 48, 49, BGHZ 133, 110, 115; BGH NJW 2000, 730, 732; BGH NJW 2001, 146, 148; BGH NJW-RR 2005, 1146, 1147; BGH NJW 2005, 3071, 3072; BGH NJW 2013, 540 Tz. 13 und 26.

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chen kann, stellt keinen ersatzfähigen Schaden dar (normativer Schadensbegriff).26 Nur wenn eine Behördenentscheidung mit Geltung eines Ermessensspielraums her­ beizuführen war, ist auf die mutmaßliche Entscheidung abzustellen, was aber wiede­ rum nicht gilt, wenn das Ermessen auf Null reduziert und daher nur eine einzige rechtmäßige Beurteilung möglich war.27 Damit nicht zu verwechseln ist die Frage, von welcher Rechtslage der Rechtsberater bei der von ihm zu erfüllenden Beratung auszugehen hat. Zu ihr gehört die einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung im Bearbeitungszeitpunkt.28 Im Regressprozess ist von dem Sachverhalt auszugehen, der dem Gericht des Vorpro­ 1289 zesses bei pflichtgemäßem Anwaltsverhalten unterbreitet und von diesem Gericht aufzuklären gewesen wäre; die Darlegungs- und Beweislast des Vorprozesses ist zu beachten.29 Da es nicht darum geht, welche Tatsachen im Vorprozess mutmaßlich festgestellt worden wären, sondern welche Beweiserhebungen aus der Sicht des Re­ gressrichters erforderlich sind, soll er sogar auf verwertbare Beweismittel zugreifen dürfen, die im Vorprozess nicht berücksichtigungsfähig gewesen wären, etwa das Zeugnis des damaligen Gegners.30 Die unzutreffende Pauschalität dieser Begrün­ dung des BGH ist allerdings durch die ebenso verwirrende Aussage zurückgenom­ men worden, dass keine Beweismittel verwertet werden dürfen, die bei pflichtgemä­ ßem Anwaltsverhalten nicht zur Verfügung standen, so dass u. U. Beweislosigkeit eingetreten wäre.31 Gilt für den fehlerhaft geführten Vorprozess der Amtsermitt­ lungsgrundsatz, ist dieser Grundsatz nicht in den Regressprozess zu übernehmen.32 § 287 ZPO gilt auch für die Beweisführung.33 3. Feststellung der Kausalität, Beweislast Ob eine Pflichtverletzung Konsequenzen für den eingetretenen Schaden des Man­ 1290 danten hatte, wie sich also die Vermögenslage bei pflichtgemäßem Handeln des ­Anwalts entwickelt hätte, ist eine Frage nach dem Ursachenzusammenhang. Die Kau­ salität zwischen Pflichtverletzung und behauptetem Schaden gehört zur haftungsaus­ füllenden Kausalität und unterliegt damit den Beweiserleichterungen des §  287 ZPO.34 Daher ist das Beweismaß gegenüber §  286 ZPO auf überwiegende Wahr­ scheinlichkeit reduziert. Zudem sind die Anforderungen an die Darlegungslast her­ 26 BGHZ 145, 256, 262; BGH NJW 2005, 1935, 1936; BGH NJW 2005, 3071, 3073; BGH NJW 2013, 540 Tz. 28. Allgemein dazu Ahrens Festschrift Danzl (Wien 2017), S. 1 ff. 27 BGH NJW 1996, 842, 843. S. zur Ermessensproblematik auch Ganter NJW 1996, 1310 ff. 28 BGH NJW 2001, 146, 148. 29 BGHZ 133, 110, 111 ff. = NJW 1996, 2501; BGH NJW 2000, 730, 732; BGH NJW-RR 2004, 1649. 30 BGHZ 163, 223, 228 = NJW 2005, 3071, 3072 (mit Selbstzitaten, die nicht zutreffen). 31 BGHZ 163, 223, 230 = BGH NJW 2005, 3071, 3073. 32 BGHZ 133, 110, 114 = NJW 1996, 2501, 2502 (gegen BGH NJW-RR 1987, 898, 899). 33 BGHZ 133, 110, 113; BGH NJW 2001, 2169, 2170. 34 BGH NJW 2000, 509; BGH NJW 2000, 730, 732; BGH VersR 2005, 510, 511; BGH NJW 2008, 2041 Tz. 21; BGH NJW 2015, 770 Tz. 24. Allgemein dazu Ahrens Der Beweis im Zi­ vilprozess, Kap. 17 Rdn. 29, 36 und 41.

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abgesetzt.35 Die Beurteilung der Kausalität wäre anderenfalls als anspruchsbegrün­ dende Voraussetzung grundsätzlich vom Geschädigten zu beweisen, der demzufolge das Risiko der Unaufklärbarkeit des Ursachenzusammenhangs zu tragen hätte.36 1291

Für die Verletzung von Aufklärungs-, Warnungs- oder Beratungspflichten geht die Rechtsprechung nicht nur zum Kauf- und Werkvertragsrecht, sondern auch für die rechtliche Beratung von der Vermutung aus, dass sich der Mandant beratungsgerecht verhalten hätte, sofern bei sachgerechter Aufklärung eine bestimmte Reaktion im Hinblick auf die Interessenlage oder andere objektive Umstände aus der Sicht eines vernünftig urteilenden Menschen eindeutig nahelag.37 Bis zu der Entscheidung BGHZ 123, 311 = NJW 1993, 3259 sah die Rechtsprechung darin eine Beweislastum­ kehr.38 Da die Vermutung aber auf Erfahrungssätzen über typische Lebensumstände in der Person des Mandanten beruht, wird sie im Interesse angemessener Risikover­ teilung zwischen rechtlichem Berater und Mandant nunmehr nur noch als Anwen­ dungsfall des Anscheinsbeweises qualifiziert.39 Der Rechtsberater kann deshalb die Vermutung erschüttern, indem er Tatsachen darlegt und beweist, die darauf schließen lassen, dass sich der Mandant über einen vertragsgerechten Rat hinweggesetzt hät­ te.40 Die Vermutung greift nicht ein, wenn der Mandant mehrere Handlungsalterna­ tiven gehabt hat.41 Zu der Frage, wie sich der Mandant verhalten hätte, kann dieser gem. § 287 Abs. 1 S. 3 ZPO als Beweisführer vernommen werden.42

1292

Gesondert behandelt wird der Fall, dass dem Anwalt nicht unzureichende Beratung, sondern schlichte Untätigkeit bei der Interessenwahrnehmung vorgeworfen wird. In bewusster Abkehr von der Arzthaftungsrechtsprechung gilt auch hier selbst bei gro­ ben beruflichen Fehlern keine Beweislastumkehr.43 Allerdings können im Einzelfall Beweiserleichterungen nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises in Betracht kommen.

35 BGH NJW 2000, 730, 732; BGH ZIP 2006, 1050 Tz. 25 und 29. 36 BGHZ 123, 311, 313 = NJW 1993, 3259; BGHZ 126, 217, 221 f. = NJW 1994, 3295, 3298. 37 BGH NJW 1993, 3259, 3260; BGH NJW 1994, 3295, 3298; BGH NJW 2005, 784, 785; BGH NJW-RR 2005, 3275, 3276; BGH NJW-RR 2007, 569 Tz.  23; BGH NJW-RR 2008, 1235 Tz. 19; BGH NJW 2012, 2435 Tz. 36. 38 Vgl. zuletzt BGH NJW 1990, 2127, 2128; ausdrücklich aufgegeben vom jetzt allein zustän­ digen IX.ZS, BGH NJW 1993, 3259, 3260. 39 BGH NJW 1993, 3259 f.; BGH NJW 1994, 3298; BGH NJW 2000, 1572, 1573; BGH NJW 2002, 292, 294; BGH NJW 2009, 1141 Tz. 18; BGH NJW 2012, 2435 Tz. 36; BGH NJW 2015, 770 Tz. 26; BGH VersR 2016, 727 Tz. 23 ff. (ausdrücklich trotz abweichender Recht­ sprechung in Kapitalanlagefällen); dazu Ahrens Der Beweis im Zivilprozess Kap. 10 Rdn. 26. 40 BGH VersR 1995, 212, 214; BGH NJW 2007, 2485 Tz. 44; BGH NJW 2008, 2041 Tz. 20. 41 BGH ZIP 2006, 1050 Tz. 26; BGH NJW-RR 2007, 569 Tz. 23; BGH NJW 2012, 2435 Tz. 36; BGH VersR 2016, 727 Tz. 26; dazu Ahrens Der Beweis im Zivilprozess Kap. 10 Rdn. 31. 42 BGH NJW 2005, 3275, 3277; BGH NJW 2015, 770 Tz. 24. 43 BGH NJW 1994, 3295, 3298.

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4. Mitverschulden Den Mandanten trifft keine Obliegenheit, die Leistung des Anwalts zu überprüfen.44 1293 Weiß der Mandant aber von der Fehlerhaftigkeit der anwaltlichen Rechtsberatung und können die Auswirkungen auf die Schadensentstehung noch beeinflusst werden, trifft ihn eine Obliegenheit zur Schadensabwehr (§ 254 BGB). Hat er die Kenntnis durch einen zweiten Anwalt erlangt, dessen Mandat sich auch auf die Schadensab­ wehr erstreckt, ist das dabei auftretende Fehlverhalten des zweiten Anwalts dem Man­ danten nach § 254 Abs. 2 S. 2, § 278 BGB zurechenbar.45 Grundsätzlich erfüllt der Mandant aber durch die Beauftragung eines zweiten Anwalts keine Obliegenheit ge­ genüber dem ersten Anwalt.46 Eine Zurechnung des Verschuldens des zweiten An­ walts findet nicht statt, wenn dieser denselben schadensverursachenden Fehler wie der erste Anwalt begangen hat, sich der Mandant aber darauf verlassen durfte, dass der erste Anwalt seine Vertragspflichten sachgerecht erfüllt hatte.47 5. Folgen der Haftung für die Vergütung Die haftungsbegründende Vertragsverletzung des Anwalts lässt den Gebührenan­ 1294 spruch nicht automatisch entfallen. Die entstandenen Gebühren können aber einen Teil des Schadens bilden. Der Anspruch ist dann gegebenenfalls auf Freistellung vom Honoraranspruch gerichtet (s. dazu § 32, Rn. 778). 6. Schmerzensgeld Zur Rechtsfolge der vertraglichen Anwaltshaftung aus §§ 675 Abs. 1, 280 Abs. 1 BGB 1295 kann auch die Zahlung von Schmerzensgeld gehören, wenn eines der Rechtsgüter des § 253 Abs. 2 BGB infolge des Anwaltfehlers beeinträchtigt worden ist. Insbesondere das Rechtsgut Freiheit kann Gegenstand des Schutzes durch anwaltliches Handeln sein, etwa wenn der Mandant in Untersuchungshaft genommen, eine Haftverscho­ nung versagt oder eine Unterbringung angeordnet wird.48 Die Vermeidung einer Gesundheitsschädigung in Form langanhaltender Schlaflosigkeit, Erschöpfungszu­ ständen, Verzweiflung und Dauerpanik wegen existenzbedrohender Vermögenshaf­ tung des Mandanten, die der Anwalt wegen fehlerhafter Bearbeitung eines Versiche­ rungsmandats nicht abgewehrt hat, fällt indes nicht in den Schutzbereich der vertraglichen Anwaltshaftung.49

44 BGH NJW-RR 2005, 1435; BGH NJW 2009, 1141 Tz. 21; BGH NJW 2012, 2435 Tz. 48 f. Zu einer Ausnahme BGH NJW 1997, 2168, 2170. 45 BGH NJW 1994, 2822, 2824; BGH NJW 1994, 1211, 1212. 46 BGH NJW-RR 2005, 1146, 1147. 47 BGH NJW 1994, 2822, 2824; BGH NJW 1994, 1211, 1212; BGH NJW 1993, 1779, 1781. 48 BGH VersR 2010, 211 Tz. 15. 49 BGH NJW 2009, 3025 Tz. 14 = JZ 2011, 524 m. krit. Anm. Schiemann.

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Teil 6 ­|  Mandant und Rechtsanwalt Kasuistik:

1296

KG NJW 2005, 1284: Die beklagte Anwältin hatte versäumt, rechtzeitig einen Antrag auf Verlegung des Termins zur strafrechtlichen Hauptverhandlung gegen den Mandanten zu stellen. Der Verhandlungstermin fiel zeitlich mit dessen geplanter Eheschließung im Ausland zusam­ men. Einem dann wenige Tage vorher gestellten Verlegungsantrag wurde nicht stattgegeben. Zu diesem Zeitpunkt war der Angeklagte schon ausgereist. Bei seiner Rückkehr wurde er für mehr als zwei Monate inhaftiert. Über das Verhaftungsrisiko hatte die Anwältin ebenfalls nicht aufgeklärt. Sie wurde zur Zahlung von 7000 Euro Schmerzensgeld verurteilt.

IV. Verjährung 1297

Schadensersatzansprüche des Mandanten verjähren nach den Vorschriften des BGB. Die Verjährungsfrist beträgt gem. §  195 BGB drei Jahre. Ihr Lauf setzt gem. §  199 Abs. 1 die Entstehung des Anspruchs (Nr. 1) sowie Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis (Nr.  2) der den Anspruch begründenden Umstände voraus. Dies gilt auch dann, wenn der Anwaltsvertrag ausnahmsweise ein Werkvertrag ist.50 Ansprü­ che wegen unterschiedlicher Pflichtverstöße mit unterschiedlichen Schadensfolgen verjähren selbständig voneinander.51

1298

Entstehungszeitpunkt des Schadensersatzanspruchs bei Versäumung einer Rechtsbe­ helfsfrist ist der Fristablauf.52 Dasselbe gilt für die versäumte Klagerhebung zur Hemmung des Laufs einer Verjährungsfrist.53 Die erforderliche Prozesshandlung kann bis zum letzten Tag des Fristenlaufs vorgenommen werden; der Schaden tritt somit erst mit vergeblichem Ablauf dieses Tages ein.54 Fällt der nächste Tag in ein neues Kalenderjahr, beginnt die Verjährungsfrist des Haftungsanspruchs frühestens am 31. Dezember dieses Kalenderjahres zu laufen (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB).

1299

Für fehlerhafte vorprozessuale Beratung in Bezug auf einen Rechtsstreit kann der Zeitpunkt der Klagerhebung maßgebend sein, wenn die Klage von vornherein aus­ sichtslos ist und deshalb zu einer Kostenbelastung führen muss.55

1300

Die den Lauf der Verjährungsfrist begründende Kenntnis oder grob fahrlässige Un­ kenntnis der haftungsbegründenden Umstände wird nicht schon durch den ungüns­ tigen Ausgang eines Rechtsstreits vermittelt. Vielmehr muss der mit dem Wissen ei­ nes juristischen Laien ausgestattete Mandant erkennen bzw. erkennen können, dass der Rechtsberater vom üblichen Vorgehen abgewichen ist oder Maßnahmen zur Schadensvermeidung unterlassen hat.56 Wird das Mandat aufgrund des anwaltli­ 50 BGH NJW 1996, 661, 662. 51 BGH, 2.2.2017 – IX ZR 91/15 = ZIP 2017, 617 Tz. 11 f. 52 Vgl. BGH NJW 2012, 673 Tz. 13. 53 BGH NJW 2012, 673 Tz. 14. 54 BGH NJW 2012, 673 Tz. 14. 55 BGH (X.ZS) GRUR 1995, 344, 346 (betr. Patentanwaltshaftung); BGH (IX.ZS) VersR 2011, 756 Tz. 10. 56 BGH NJW 2014, 993 Tz. 15; BGH NJW 2014, 1800 Tz. 8.

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Schadensersatzhaftung  ­|  § 45

chen Rats fortgesetzt, tritt selbst dann keine verjährungsbegründende Kenntnis ein, wenn das Gericht oder der Gegner auf eine Fristversäumung hingewiesen haben.57 Die frühere Spezialvorschrift des § 51b BRAO a. F. (ex § 51 BRAO a. F.) ist mit der 1301 Neuordnung des Verjährungsrechts im Jahre 2004 aufgehoben worden. Durch sie wurde der Anwalt begünstigt, weil es auf eine Kenntnis des Geschädigten nicht an­ kam. Eine Hemmung der vertraglichen Ersatzansprüche analog §  852 Abs.  2 BGB hatte der BGH abgelehnt.58 Die Rechtsprechung hatte als Gegengewicht gegen die Sonderverjährungsvorschrift einen Ausgleich geschaffen durch die Erfindung eines sekundären Schadensersatzanspruchs. Er verlängert indirekt die faktisch oftmals un­ verhältnismäßig kurze Regresszeitspanne. Der Anwalt sollte verpflichtet sein, auf eine eigene Pflichtverletzung und daraus möglicherweise resultierende Schadensersatzan­ sprüche vor Ablauf der Verjährung des Primäranspruchs hinzuweisen. Verletzt er diese Hinweispflicht schuldhaft, obwohl er zu einer Prüfung des Primäranspruchs begründeten Anlass hatte, musste er den Mandanten so stellen, als ob die Verjährung des Primäranspruchs nicht eingetreten wäre. Dieser Anspruch verjährte dann nach § 51b BRAO.59 Diese Hinweispflicht ist mit der Beseitigung der Norm ebenfalls ge­ genstandslos geworden. Die Erhebung einer Verjährungseinrede ist treuwidrig, wenn der Anwalt den Gläubi­ 1302 ger von der rechtzeitigen Einklagung der Regressforderung abgehalten hat, indem er den Eindruck späterer Erfüllung der noch vom Ausgang eines anderen Verfahrens abhängigen Forderung erweckt hat. Das folgt aber noch nicht aus einem bloßen Schweigen des Anwalts auf die Erhebung eines Haftungsanspruchs.60 Die Erklärung eines Verjährungsverzichts durch den Anwalt einer Anwaltssozietät 1303 wirkt grundsätzlich auch gegenüber den übrigen Angehörigen der Sozietät, sofern eine Einschränkung nicht aus besonderen konkreten Umständen hervorgeht.61 Aus dem bei Abgabe der Verzichtserklärung verwendeten Briefbogen kann sich ergeben, dass die Erklärung nicht mit Wirkung für ein ausgeschiedenes Sozietätsmitglied er­ folgt.62

V. Summenmäßige Haftungsbeschränkung Enorme Haftungsdrohungen vor allem aus wirtschaftsrechtlichen Mandaten, die sich 1304 für überörtliche Sozietäten noch einmal vervielfachen, haben die Anwaltschaft nach einer sachgerechten Begrenzung ihres Berufsrisikos suchen lassen. Sie kann entweder in gesellschaftsrechtlicher Form durch personenmäßige Konzentration der Haftung, 57 BGH NJW 2014, 993 Tz. 17. 58 BGH NJW 1996, 48, 50; BGH NJW 1990, 326, 327. 59 BGHZ 94, 380 = NJW 1985, 2250, 2252 f.; BGH NJW 1988, 265, 266; BGH NJW 1996, 48, 50 f.; BGH NJW 1996, 661, 662; BGH VersR 2016, 727 Tz. 85 ff. 60 BGH NJW-RR 2011, 208 Tz. 19. 61 BGH ZIP 2006, 1050 Tz. 39. 62 BGH ZIP 2006, 1050 Tz. 39.

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Teil 6 ­|  Mandant und Rechtsanwalt

durch Wahl der Form der Kapitalgesellschaft für die Berufsausübung und/oder durch rechtsgeschäftliche Vereinbarung über Haftungshöchstsummen bewirkt werden (dazu auch § 22, Rn. 395 und 400; § 23, Rn. 421). § 8 Abs. 2 PartGG sieht die Konzen­ trationsmöglichkeit auf die tätig werdenden Partner als zulässig an. 1305

Eine summenmäßige Haftungsbeschränkung kann für fahrlässig verursachte Schäden durch Einzelvereinbarung getroffen werden, darf aber die Mindestversicherungssum­ me nicht unterschreiten (§ 52 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BRAO). Eine Vereinbarung durch AGB gestattet § 52 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BRAO bei einer Mindesthaftung des Einzelanwalts in Höhe des Vierfachen der Mindestversicherungssumme von 250 000 Euro (§ 51 Abs. 4 S. 1 BRAO). Diese Regelung verstößt nach umstrittener Ansicht gegen die EG-Ver­ braucherschutzrichtlinie über AGB-Klauseln (RL 93/13/EWG) vom 5.4.1993,63 soweit der Mandant Verbraucher ist.64 Durch Individualvereinbarung i. S. d. §  305b BGB kann eine noch weiter gehende Beschränkung auf die Mindestversicherungssumme getroffen werden. Kasuistik:

1306

OLG München WRP 1996, 46 ff.: Der beklagte Rechtsanwalt beriet ständig die klagende Filmgesellschaft, die 1991 den Spielfilm „Sch.“ produzierte, der sich mit dem Presseskandal von 1983 um Beschaffung und Veröffentlichung der gefälschten Hitlertagebücher für die Zeit­ schrift „Stern“ befasste. Aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen hatte der Spielfilm Abstand zu halten vom Zeitschriftentitel „Stern“. Während der Dreharbeiten war die Rechtsfrage zu beantworten, ob die geplante Benennung der Spielfilmzeitschrift mit dem Titel „Express“ Bedenken begründete. Das wurde vom Beklagten verneint. Der Verlag der Boulevardzeitung „Kölner Express“ erwirkte später eine Unterlassungsverfügung, was zu Nachdreharbeiten mit Kosten von ca. 920 000 DM führte, für die der Beklagte haften sollte. Er berief sich auf die 1981 individualvertraglich vereinbarte Haftungsbegrenzung für Vermögensschäden von 200 000 DM pro Versicherungsfall. Die Klägerin wollte die Vereinbarung nach Treu und Glau­ ben dahin ausgelegt sehen, dass die Haftung summenmäßig bis zur Höhe der vom Beklagten abgeschlossenen Berufshaftpflichtversicherung reiche (1991: 1 Mio. DM). Das OLG verneinte diese Auslegung.

VI. Haftung gegenüber Dritten 1307

Grundsätzlich kommt als Anspruchsinhaber nur der Mandant und Auftraggeber des Anwalts in Betracht. Dies folgt aus der vertraglichen Einordnung der Haftung. Im Einzelfall kann der Vertrag aber Schutzwirkung zugunsten eines Dritten entfalten und berechtigt diesen dann selbständig zur Geltendmachung von Schadensersatzan­ sprüchen (s. auch oben § 43, Rn. 1172 ff.),65 etwa wenn die Fehlberatung im Auftrag 63 ABl. EG vom 21. 4. 1993 Nr. L 95, S. 29. 64 Verstoß bejahend Graf v. Westphalen ZIP 1995, 546, 547  f.; verneinend Niebling AnwBl. 1996, 20, 22. 65 BGH NJW 1988, 200, 201 = JZ 1988, 656 m. Anm. Giesen; BGH NJW 1995, 2551, 2552; BGH NJW 1995, 51, 52; BGH NJW 2004, 3630, 3632; BGH NJW-RR 2017, 52 Tz. 12 (dort: Steuerberater).

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Schadensersatzhaftung  ­|  § 45

eines Mietervereins zum Nachteil eines Vereinsmitglieds erfolgt.66 Der zwischen Mandant und Anwalt geschlossene Beratungsvertrag hat aber im allgemeinen keine Schutzwirkung zu Gunsten des Vertreters oder Organwalters des Mandanten zur Ab­ wehr spätere Vermögenseinbußen des Vertreters, etwa infolge einer Inanspruchnah­ me durch den Vertretenen.67 Die Gefahr einer Binnenhaftung des Dritten als Vertre­ ter gegenüber dem von ihm vertretenen Mandanten begründet für sich genommen kein Näheverhältnis, wie es zur Bejahung einer Schutzwirkung erforderlich ist.68 Kasuistik: BGH NJW 1995, 2551: Der Beklagte war vom Erblasser mit der anwaltlichen Prüfung des Entwurfs eines notariellen Testaments beauftragt worden, das eine hälftige Erbeinsetzung je­ weils der Witwe und des einzigen – wegen einer Behinderung versorgungsbedürftigen – Kin­ des vorsah. Der Beklagte übersah, dass die Kommanditbeteiligungen des Erblassers im Werte von 14 Mio. DM nach dem Inhalt der Gesellschaftsverträge zwar auf die Erben übergingen, es jedoch den übrigen Gesellschaftern erlaubt war, den Ausschluss solcher Erben zu beschlie­ ßen, die weder Mitgesellschafter noch Abkömmlinge waren; der dadurch ausgelöste Abfindungsanspruch war ohne Berücksichtigung des Firmenwertes zu errechnen. Die Witwe er­ hielt auf diese Weise statt 7 Mio. DM nur ca. 2,3 Mio. DM Abfindung, was u. a. durch eine Einsetzung des Kindes zum Alleinerben und die Anordnung eines Vermächtnisses für die Ehefrau im Werte des hälftigen Nachlasses zu vermeiden gewesen wäre.

1308

Der BGH bejahte einen Beratungsvertrag (Anwaltsdienstvertrag, §§  675, 611 BGB) mit Schutzwirkung zugunsten der Erben. Er ist zu bejahen, wenn nach den ausdrücklichen Er­ klärungen oder nach dem schlüssigen Verhalten der Vertragsparteien bestimmten oder we­ nigstens objektiv abgrenzbaren Dritten Schutzrechte aus dem Vertrag zustehen sollen (§ 328 BGB).

In Betracht kommen kann ein selbständiger Auskunftsvertrag mit dem Dritten, etwa 1309 wenn dieser zwecks Entlassung des Mandanten aus der Untersuchungshaft eine Bar­ kaution stellt und sich vorher beim Strafverteidiger nach den damit verbundenen Ri­ siken erkundigt.69 Sonstigen Dritten außerhalb der Vertragsbeziehung erwachsen vertragsähnliche An­ 1310 sprüche u. U. aus einer Sachwalterhaftung, die – völlig unabhängig von der Anwalts­ haftung – auf die Figur der culpa in contrahendo gestützt entwickelt worden ist und heute auf § 311 BGB zu stützen ist. Der BGH macht dafür aber zur Voraussetzung, dass der Anwalt in besonderem Maße Vertrauen in Anspruch genommen hat;70 eine Tendenz in Richtung auf eine Berufshaftung in Parallele zum angloamerikanischen

Rechtsvergleichend mit dem deutschen Recht die Begründung von Lord Goff in der engli­ schen Entscheidung White v. Jones [1995] 1 All E.R. 691, H.L. = 2 W.L.R. 187; vgl. dazu W. Lorenz JZ 1995, 317 ff. und Kessel NJW 1996, 30 ff. 66 OLG Düsseldorf VersR 2010, 213. 67 BGH NJW 2016, 3432 Tz. 24 (Fall des b.-w. Ministerpräsidenten Mappus). 68 BGH NJW 2016, 3432 Tz. 28. 69 BGH NJW 2004, 3630, 3632. Eingehend zur Auskunftshaftung BGH NJW 1992, 2080, 2082. 70 BGH NJW 1989, 293, 294; BGH NJW 1992, 2080, 2083.



387

Teil 6 ­|  Mandant und Rechtsanwalt

Recht ist darin nicht zu sehen.71 Eine Eigenhaftung des anwaltlichen Geschäftsfüh­ rers einer Rechtsanwalts-GmbH wegen Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens ist im Regelfall nicht begründet.72 1311

Schließlich ist ausnahmsweise an eine deliktische Haftung des Anwaltes gegenüber Dritten zu denken, etwa wegen unberechtigter Vollstreckungsmaßnahmen oder un­ berechtigter Verfahrenseinleitung,73 wobei wegen Kanalisierung der Haftung auf den Mandanten nur eine Vorsatzhaftung in Betracht kommen sollte.74 § 826 BGB ist in Ausnahmefällen einschlägig, etwa wenn tatsächliche oder rechtliche Behauptun­ gen „ins Blaue hinein“ aufgestellt werden,75 oder wenn der Anwalt leichtfertig mit „räuberischen“ Aktionären bei der Erhebung von Anfechtungsklagen zusammen­ wirkt.76 Gleichgestellt ist eine Haftung aus §  823 Abs.  2 BGB i. V. m. §  263 StGB, wenn der Anwalt in einer Vielzahl von Fällen unberechtigte Forderungen des Man­ danten geltend macht und damit strafbare Beihilfe zum Betrug leistet.77

1312

Der X. Zivilsenat des BGH hat in einer Sache wegen unberechtigter Schutzrechtsver­ warnung eine Deliktshaftung aus § 823 Abs. 1 BGB für fahrlässiges Verhalten des An­ walts gegenüber dem Abgemahnten bejaht.78 Diese Rechtsprechung ist abzulehnen. Der BGH hat in der Außerachtlassung wesentlicher Gesichtspunkte bei der Beratung des Mandanten ein Unterlassungsverhalten gesehen, das wegen einer deliktischen Garantenstellung eine Haftung gegenüber dem aus dem Schutzrecht des Mandanten verwarnten Dritten begründe.79 Wenn der Anwalt den Mandanten bei unklarer Rechtslage zutreffend aufgeklärt habe, entfalle eine Haftung, weil die Verwarnung dann auf einer Entscheidung des Schutzrechtsinhabers beruhe, für den sich der An­ walt erkennbar nicht in eigener Sache äußere; damit verletze er gegenüber dem Ver­ warnten keine Garantenpflicht, wenn die Verwarnung objektiv unberechtigt sei.80

1313

Die vom BGH bejahte deliktische Haftung gegenüber Dritten steht in Widerspruch zu den Begrenzungen, die für die Sachwalterhaftung sowie die Haftung aus einem Ver­ 71 Emmerich JuS 1989, 324; vgl. auch Vollkommer/Greger/Heinemann Anwaltshaftungsrecht4 § 5 Rdn. 36, § 7 Rdn. 1. 72 OLG Nürnberg NJW-RR 2009, 140. 73 Zur Anwaltshaftung aus § 826 BGB wegen Erhebung einer aktienrechtlichen Anfechtungs­ klage und Rücknahme gegen Abfindungszahlung BGH NJW 1992, 2821 ff. Zur Haftung wegen sittenwidriger öffentlicher Zustellung trotz Kenntnis einer zustellungsfähigen An­ schrift OLG Düsseldorf NJW-RR 2000, 875. 74 A.A. Vollkommer/Greger/Heinemann Anwaltshaftungsrecht4 § 8 Rdn. 6. Zur Haftung we­ gen unberechtigter Vollstreckungsmaßnahmen Vollkommer/Greger/Heinemann Anwalts­ haftungsrecht4 § 8 Rdn. 2 ff. 75 BGH NJW 1986, 180, 182; BGH NJW 1988, 556; BGH NJW 1992, 2080, 2083 (zur Steuer­ beraterhaftung bei leichtfertigen Äußerungen). 76 BGH NJW 1992, 2821, 2822. 77 AG Karlsruhe EWiR § 823 BGB 1/10 S. 17. 78 BGH NJW 2016, 2110  – unberechtigte Schutzrechtsverwarnung II (Vorinstanz: OLG Frankfurt NJW-RR 2013, 507) = GRUR 2016, 630 m. abl. Anm. Keller; Bespr. Chab AnwBl 2016, 514 f.; Müller ZIP 2016, 1368 ff. 79 BGH NJW 2016, 2110 Tz. 16 f. und 10 f. 80 BGH NJW 2016, 2110 Tz. 22 f.

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Schadensersatzhaftung  ­|  § 45

trag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter gelten. Die Entscheidungsbegründung ist auch nicht konsistent. Schon der Ausgangpunkt, die Haftung für ein Unterlassen, stimmt mit deliktsrechtlichen Wertungen nicht überein. Bejaht man unzutreffend eine deliktische Pflicht, kann diese nicht durch vollständige Beratung des Mandanten entfallen, wenn der Anwalt anschließend der gleichwohl erteilten Weisung des Man­ danten zum Ausspruch der Verwarnung folgt; der Entschluss des Mandanten ist kein intervenierendes Ereignis, das die eigene Deliktshaftung entfallen lassen könnte. Schließlich ist Art. 12 Abs. 1 GG nicht bedacht worden, der einer nicht kalkulierbaren Dritthaftung wegen sorgfaltswidriger Beratung entgegensteht. Kasuistik: LG Bonn NJW-RR 2008, 1576: Die anwaltliche Drohung gegenüber einem Achtjährigen, er habe mit einer Äußerung in der Schulklasse eine strafbare Verleumdung zu Lasten des unter­ nehmerisch tätigen Mandanten begangen, die bei Nichtunterzeichnung einer Unterwer­ fungserklärung zu einem Gerichtsverfahren führen werde, hat das LG als Persönlichkeits­ rechtsverletzung gewertet, die einen Kostenerstattungsanspruch wegen der anwaltlichen Verteidigungskosten begründe.

1314

VII. Haftungsschuldner Wer Haftungsschuldner ist, richtet sich zunächst einmal danach, wer Vertragspartner 1315 des Beratungsvertrages ist (dazu oben § 43, Rn. 1183). Ist eine GbR Partner des Ver­ trages, haften deren Gesellschafter akzessorisch analog §  128 HGB. Das trifft auch diejenigen Sozien, die in eigener Person die vertraglich geschuldete Beratung gar nicht erbringen dürfen (dazu § 22, Rn. 368; § 19, Rn. 342).81 Haben angestellte Rechtsanwälte oder freie Mitarbeiter den ihnen zurechenbaren An­ 1316 schein gesetzt, Mitglied der Anwaltssozietät zu sein, haften sie für Fehler bei rechts­ beratender oder rechtsvertretender Tätigkeit in gleicher Weise wie echte Gesellschaf­ ter akzessorisch zur Sozietät.82 Umgekehrt haftet die Sozietät auch für Fehler und unerlaubte Handlungen des Scheinsozius.83 Bei der Haftung einer Partnerschaftsge­ sellschaft wird eine Rechtsscheinhaftung kaum in Betracht kommen, weil die Regis­ tereintragung gem. § 15 Abs. 2 HGB maßgebend ist, die nur ausnahmsweise durch einen Rechtsschein überwunden werden kann. Ist ein Schriftsatz von einem Verkehrsanwalt entworfen worden, muss der Prozessan­ 1317 walt den Schriftsatz zwar sachlich überprüfen, nicht aber die Tätigkeit des Verkehrs­ anwalts hinsichtlich der Tatsachensammlung überwachen.84

81 BGH NJW 2012, 2435 Tz. 69 ff. 82 BGH ZIP 2012, 28 Tz. 22; BGH NJW 2011, 3718 Tz. 24. Zur Beschränkung auf anwaltsty­ pische Tätigkeit BGH NJW 2008, 2330 Tz. 10. 83 BGHZ 172, 169 Tz. 20; BGH ZIP 2012, 28 Tz. 22. 84 BGH VersR 2007, 946 Tz. 11.

389

Teil 6 ­|  Mandant und Rechtsanwalt 1318

Wird eine Einzelpraxis in eine Anwalts-GbR eingebracht, geht eine Haftung des Ein­ zelanwalts nicht nach § 28 Abs. 1 HGB auf die GbR über, weil Rechtsanwälte kein (Handels-)Gewerbe betreiben (§ 2 Abs. 2 BRAO). Eine analoge Anwendung hat der BGH abgelehnt.85

VIII. Regressprozess 1319

Der Mandant hat ein pflichtwidriges Verhalten des Rechtsanwalts darzulegen und zu beweisen. Das gilt auch für negative Tatsachen wie das Fehlen eines gebotenen Warn­ hinweises.86 Der Rechtsanwalt hat dann aber den Gang der Besprechung im Einzel­ nen zu schildern und insbesondere konkrete Angaben dazu zu machen, welche Be­ lehrungen und Ratschläge er erteilt und wie der Mandant darauf reagiert hat.87 In Ermangelung sonstiger Beweismittel ist über den tatsächlichen Inhalt des Beratungs­ gesprächs eine beiderseitige Parteianhörung vorzunehmen, entweder auf der Grund­ lage des § 141 ZPO oder des § 448 ZPO.88

1320

Erhebt der Mandant einen Vorwurf wegen der Prozessführung, kann er entweder geltend machen, der Prozess habe gar nicht erst eingeleitet werden dürfen, weil er nicht gewinnbar gewesen sei, oder er behauptet, der Prozess wäre bei pflichtgemäßem Vorgehen des Anwalts gewonnen worden. Da sich die beiden Sachverhaltsalternati­ ven wechselseitig ausschließen, handelt es sich um unterschiedliche Streitgegenstän­ de.89 Das hat Auswirkungen auf den beabsichtigten Wechsel des Vorwurfs in der Berufungsinstanz.90

1321

Der Erlass eines Grundurteils im Haftungsprozess (§  304 ZPO) über den Vorwurf pflichtwidriger Prozessführung bei Durchsetzung eines Anspruchs setzt voraus, dass die Existenz dieses Anspruchs bereits feststeht.91

1322

Gegen eine negative Entscheidung muss der Mandant nicht auf eigene Kosten ein Rechtsmittel einlegen, wenn er geltend machen will, der Prozess sei erstinstanz­ lich falsch geführt worden. Will der Anwalt einwenden, der damit bereits eingetre­ tene  Schaden lasse sich in der Rechtsmittelinstanz beseitigen oder verringern, hat er  dem Mandanten eine Kostenübernahmeerklärung zu erteilen.92 Der Mandant 85 BGH ZIP 2012, 28 Tz. 20. 86 BGH NJW 2008, 371 Tz. 12; BGH NJW 2011, 2889 Tz. 10. Von „normaler“ sekundärer Darlegungslast ausgehend BGH NJW 2012, 2435 Tz. 23; zum Unterschied Ahrens Der Be­ weis im Zivilprozess Kap. 9 Rdn. 97. 87 BGHZ 171, 261 = NJW 2007, 2485 Tz. 12; BGH NJW 2011, 2889 Tz. 10. 88 BGH NJW 2011, 2889 Tz. 19. Allgemein dazu Ahrens Der Beweis im Zivilprozess Kap. 40 Rdn. 42 ff. 89 BGH NJW-RR 2008, 1235 Tz. 24; BGH NJW-RR 2008, 1508 Tz. 34 f.; BGH NJW 2011, 3653 Tz. 13. 90 BGH NJW 2011, 3653 Tz. 14. 91 BGH NJW 2015, 3453 Tz. 10. 92 BGH NJW 2000, 3560, 3562; BGH NJW 2006, 288 Tz. 9 f.

390

Schadensersatzhaftung  ­|  § 45

muss das Rechtsmittel nicht im Hinblick auf §  254 Abs.  2 BGB auf eigenes Risiko einlegen.93

IX. Deckungsschutz durch Vermögensschadenshaftpflichtversicherung Haftungsansprüche gegen den Anwalt werden als Vermögensschaden durch seine Be­ 1323 rufshaftpflichtversicherung (dazu auch § 14, Rn. 256 ff.) im Rahmen der vereinbarten Höchstsumme gedeckt, sofern es sich nicht um eine Vorsatztat handelt. Neben den Vorschriften der §§ 100 ff. VVG für Haftpflichtversicherungen allgemein gelten we­ gen §§ 51 und 51a BRAO die besonderen Vorschriften der §§ 113 ff. VVG für Pflicht­ versicherungen. Daneben sind die vereinbarten Versicherungsbedingungen zu be­ achten. Ausgeschlossen wird durch die Versicherungsbedingungen der Deckungsschutz bei 1324 Schadensverursachung durch wissentliches Abweichen von Gesetz, Vorschrift, An­ weisung oder Bedingung des Auftraggebers oder durch sonstige willentliche Pflicht­ verletzung. Damit werden § 81 Abs. 1 und § 103 VVG (jeweils: vorsätzliche Herbei­ führung des Versicherungsfalls) modifiziert, indem der Vorsatz eigenständig definiert wird. Wissentlich handelt der Anwalt, der die verletzte Pflicht positiv kennt und sich bewusst darüber hinwegsetzt; bedingter Vorsatz reicht nicht.94 Der Ausschluss des Deckungsschutzes für vorsätzliche Verletzung der Pflichten des 1325 Beratungsvertrages belastet nach üblichen AGB-Vereinbarungen auch die Sozien des Verletzers. Dafür ist Voraussetzung, dass die Berufsangehörigen nach außen ihren Beruf gemeinschaftlich ausüben, ohne dass sie durch einen Gesellschaftsvertrag ver­ bunden sein müssen.95 Der Rechtsschein einer Sozietät ist also ausreichend.96 Die versicherungsrechtlichen Grundsätze über die Stellung als Repräsentant des Versi­ cherungsnehmers reichen indes nicht zum Ausschluss des Deckungsschutzes.97

X. Dienstleistungshaftung nach EU-Recht Losgelöst vom Erfordernis einer Vertragsbeziehung und orientiert an der EG-Richt­ 1326 linie zur verschuldensunabhängigen Produkthaftung sollte die unionsrechtliche Dienstleistungshaftung ausgestaltet sein, die die EG-Kommission am 9.11.1990 in ei­ nem Vorschlag für eine Richtlinie über die Haftung bei Dienstleistungen formuliert

93 BGH NJW 2006, 288 Tz. 9. 94 BGH NJW-RR 2001, 1311, 1312; BGH NJW 2006, 289 Tz. 26; OLG Köln VersR 2002, 560, 561. 95 BGH NJW 2011, 3303 Tz.  20 (Steuerberater); BGH NJW 2011, 3718 Tz.  14 (angestellte Anwältin). 96 BGH NJW 2011, 3718 Tz. 23 f. 97 BGH NJW 2011, 3303 Tz. 29 f.

391

Teil 6 ­|  Mandant und Rechtsanwalt

hat.98 Sie hätte zwar grundsätzlich auch Rechtsanwälte betroffen, wäre aber doch we­ gen der Schadensdefinition ihres Art. 4, der an Personen- und Sachschäden anknüpf­ te, für Rechtsanwälte ohne größere Bedeutung geblieben, weil es in der Anwaltshaf­ tung vorrangig um primäre Vermögensschäden geht. Der heftige Widerstand gegen den völlig unangemessenen Vorschlag hat zunächst zur Rücknahme des Entwurfs geführt, den Regelungswunsch selbst aber nicht zum Erliegen gebracht.

98 Abl. EG 1991 Nr. C 12, S. 8 ff. Rechtsvergleichend dazu Deutsch/Taupitz (Hrsg.), Haftung der Dienstleistungsberufe, Hei­ delberg 1993.

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Sachregister Die Zahlen verweisen auf die Randnummern des Buches

ABA 80 Abgeordnetenmandat 71 Abhören, s. Telefonüberwachung Abogado  95, 1028 Abwickler der Kanzlei  127 f., 129, 195, 321, 516, 1177, 1181, s. auch Insol­ venzverwalter Advokat 815 Akteneinsicht  517, 1145 Alternative Business Structures  427 Amtlich bestellter Vertreter –– Bestellung  125, 1181 –– Vergütung 129 Amtsähnliche Stellung  43, s. auch ­Organ der Rechtspflege Amtstracht  278, 1146 ff. Anderkonto, s. Treuhandkonto Angestellter Rechtsanwalt, s. Arbeitneh­ mer-Rechtsanwalt Anschuldigungsschrift 208 Anwalts-AG  219, 425 f., 548 Anwaltsakademie, s. Deutsche An­ waltsakademie Anwaltsgebühren, s. Gebührenanspruch des Rechtsanwalts Anwaltsgeheimnis, s. Schweigepflicht Anwaltsgerichtsbarkeit, s. Berufsge­ richtsbarkeit Anwalts-GmbH  392, 410, 416 ff., 548 –– Berufspflichten 422 –– Beteiligungsverbot 420 –– Disziplinarrecht 422 –– Einpersonen-GmbH 419 –– Firma 424 –– Geschäftsführer  418, 421 –– Gesellschafter 417 –– Gesellschaftszweck 548 –– Haftung 421 –– interprofessionell 417 –– Kammermitgliedschaft 416 –– mehrstöckige Gesellschaft  420

–– Mindestversicherungssumme 310, 421 –– Pflichtversicherung 421 –– Postulationsfähigkeit 423 –– Regelungsbedarf 414 f. –– Registereintragung 416 –– Strafverteidigung 423 –– Unternehmergesellschaft (UG) 419 –– Zulassung zur Rechtsberatung  398, 416 Anwaltsinkasso  812, 919 Anwaltsinstitut, s. Deutsches Anwaltsin­ stitut Anwaltskollektive der DDR  152 Anwaltsnotar  130, 419, 536, 579, s. auch Notariat Anwaltsprozess, s. Anwaltszwang Anwaltsrobe, s. Amtstracht Anwaltssuchservice  83, 653 Anwaltsverein, s. Deutscher Anwaltsver­ ein Anwaltsversorgung, s. berufsständische Versorgungswerke Anwaltsvertrag –– AGB-Kontrolle  735, 1168, 1305 –– Auftragsrecht 1175 ff. –– Auskunftspflicht 1179 –– Belehrungspflicht 1201 –– mit Berufsausübungsgesell­ schaft 1183 –– Dienstvertragsrecht 1166 –– Einbeziehung Dritter  1172 ff., 1307 ff. –– Erfüllungsgehilfen  1184, 1282 –– Fernabsatzvertrag  1169, 1188 –– Fernkommunikation  1015, 1169 –– Formerfordernisse 1185 ff. –– Geschäftsbesorgungsvertrag 15, 1166, 1175 –– Haftung für Fehlleistungen, s. Rechts­ anwaltshaftung

393

Sachregister

–– Herausgabepflichten  1135, 1179, 1211 –– Honorarvereinbarung, s. Gebühren­ anspruch –– internationale Zuständigkeit  1170 –– Internet 1015 –– Kontrahierungszwang  1176, 1182, 1191 –– Kündigung  555, 776, 1189 ff., 1193 ff. –– „moderate Prozessführung“ 1214 f. –– mit Nichtanwälten als Sozien  342, 1183 –– Nichtigkeit  123, 544, 570, 583, 670, 1171 –– Parteien  342, 367, 1172, 1183 f., 1315 –– persönliche Leistungserbringung  90, 1166 –– Pflichten des Mandanten  1200, 1262 –– Pflichten des Rechtsanwalts  90, 1201 ff., 1237 ff., 1263 ff. –– und Prozessvollmacht, s. dort –– mit Schutzwirkung für Dritte  1173, 1307 ff. –– Tod des Anwalts  321, 1181 –– Verbrauchervertrag  1168 ff., 1188 –– Vergütungspflicht des Mandan­ ten 1200 –– Verletzung des Sachlichkeitsge­ bots 611 –– Vertragsablehnung  1176, 1182 –– Vertragspartnerbestimmung 367, 1183, 1315 –– Vertragspflichten 1200 ff. –– Vollmacht 1186 –– Vorschussanspruch 1180 –– Weisungsrecht des Mandanten  1178, 1194 f., 1200 –– Widerrufsrecht 1169 –– Wirkung für Sozien  341, 348, 370, 1183 –– Zurückbehaltungsrecht 1179 Anwaltsverzeichnisse 171 Anwaltswahl, freie, s. Rechtsschutzversi­ cherung Anwaltswechsel, s. Anwaltsvertrag (Kün­ digung) Anwaltszwang  144, 588, 823, 827, 996, 1003, 1216 ff. –– Arbeitsgerichtsprozess 1228 394

–– Beiordnungsmöglichkeit, s. Beiord­ nung –– und Einvernehmensregelung, s. dort –– Finanzgerichtsverfahren 1230 –– und Rechte der Partei im Verfahren, s. Naturalpartei –– rechtspolitischer Ausblick  1231 f. –– Sozialgerichtsprozess 1228 –– Strafprozess 1223 ff. –– Verwaltungsgerichtsprozess 1229 –– Zivilprozess 1217 ff. –– Zweck 1218 Arbeitnehmer-Rechtsanwalt 104 ff., 348, 352, 373 –– Angestelltenverhältnis 111 ff., 306 –– Anwaltsgebühren 122 –– Arbeitsgerichtsbarkeit 373 –– Arbeitsvertrag 119 –– Beiordnung  825, 1184 –– Eigenverantwortlichkeit  119, 1236 –– Ergebnisbeteiligung  109, 1164 –– und Freiberuflichkeit  105 –– als freier Mitarbeiter  104, 434 –– Haftung und Versicherung  116, 118, 395 –– Höchstarbeitszeit 117 –– Kanzleipflicht 267 –– nichtanwaltlicher Arbeitgeber  341 –– Rechtsscheinhaftung, s. dort –– Scheinselbständigkeit 108 –– Scheinsozius  113, 434, s. auch dort –– Syndikusrechtsanwalt, s. dort –– Trainee 104 –– Vergütung  113 ff., 1162 –– als Vertreter  122 f. –– Weisungsgebundenheit 111 –– Wettbewerbsverbot 120 f. –– Zulassung zur Rechtsanwalt­ schaft 119 Armenanwalt, s. Prozesskostenhilfe Auflösung der Berufsausübungsgesell­ schaft 363 –– Ausgleichsanspruch 363 –– Kanzeleiname 365 –– Kommunikationsmittel, Verbleib  363 –– Realteilung des Mandanten­ stamms 363 Auftragsrecht 1175 ff.

Sachregister

Auslagerung von Dienstleistungen  464, 473, 478 ff., 523 ff. Ausland –– Tätigwerden deutscher Anwäl­ te 1050 ff. Ausländische Rechtsanwälte –– Dienstleistungsrichtlinie, s. dort –– „Gouvernantenklausel“, s. Einverneh­ mensanwalt –– Niederlassungsfreiheit in der EU, s. dort –– Niederlassung in Deutschland, s. Zu­ wanderung –– aus Staaten der EU, s. Europäischer Anwalt –– aus Staaten des EWR  331 f., 1047 –– aus WTO-Staaten  332, 1047 Auslandskanzlei  274 f., 1050 Außendarstellung, s. Werbung; Kanzlei­ pflicht Auswärtige Sprechtage, s. Zweigstelle Auszubildende 1163 Avocat 94 Avvocato 95

Barrister  60, 96 Bedürfnisprüfung 226 Befangenheitsantrag 591 Beiordnung  823 ff., 979 –– angestellter Anwalt  825, 1184 –– Aufhebung 1191 –– Berufsausübungsgesellschaft 409, 826, 840 –– interprofessionelle Sozietät  342 –– im Klageerzwingungsverfahren  854 –– Kontrahierungszwang 1191 –– Notanwalt  824, 832 f., 854 –– öffentlich-rechtliches Verhält­ nis  1184, 1191 –– als Pflichtverteidiger, s. Strafverteidi­ gung –– Prozesskostenhilfe  782, 823, 840, 1184, 1281 –– im Scheidungsverfahren  816 –– Syndikusrechtsanwalt 296 –– als Zwangsarbeit  943 Beistand –– Gegensatz zur Vertretung  815 –– öffentlich-rechtliches Verhältnis  816

–– im Strafverfahren  816, 841 –– des Zeugen  42 –– im Zivilverfahren  490, 816, 836 Belehrung durch Rechtsanwaltskam­ mer 203 f. Beratungshilfe  729, 782, 980, 1143 f. Berufs- und Vertretungsverbot  201 f., 307, 323, 941, s. auch Vertretungsver­ bot Berufsausübungsfreiheit, s. Freiheit Berufsausübungsgesellschaft (Einzelthe­ men) –– Anwaltsnotar 131 –– Auflösung, s. dort –– Ausscheiden von Gesellschaf­ tern  363, 376, 377, 389, 391 –– Beiordnung  826, 840 –– Fremdbeteiligung  341, 387, 410, 414, 420, 427 ff., 430 –– Gewinnbeteiligung  72, 362, 364 –– Haftungsbeschränkung  361, 393 ff. –– interprofessionell  335, 337 f., 339 f., 341 f., 415, 417, 1016, 1120, 1131, 1183 –– Kanzleiwechsel 562 ff. –– Kommunikationsverbindungen 382 –– Kurzbezeichnung, Logo  1122 ff., 1131 –– nachvertragliches Wettbewerbsver­ bot 381 –– Name  346, 365, 387, 411, 424, 1121 –– Organhaftung 434 –– Prozesskostenhilfe 840 –– Realteilung des Mandanten­ stamms 377 ff. –– Rechtsformwechsel 404 –– Registeröffentlichkeit 384 –– Sternsozietät 1095 –– Versorgungsanspruch des Ausschei­ denden 375 f. –– vertraglicher Regelungsbedarf  362 ff. –– Vertragskündigung 376 –– Wahlmöglichkeiten 356 Berufsausübungsgesellschaft (Formen) –– Anwalts-AG 358 –– Anwalts-GmbH  19, 358, 392, 416 ff., 840, s. auch dort 395

Sachregister

–– BGB-Gesellschaft  17 f., 356, 367 ff., 435, 840, s. auch dort –– GmbH Co. KG  410 –– historische Entwicklung  143 ff. –– Kapitalgesellschaft allgemein  149, 411 ff., 427 ff. –– Kryptosozietäten 1164 –– LLP  19, 359, 385, 840 –– Niederlassungsfreiheit  428, 1031 –– Partnerschaftsgesellschaft  18, 357, 383 ff., 840, s. auch dort Berufsausübungsgesellschaft (generell) 17 ff., 101 ff., 333 ff., 341, 360, 970 –– Regelungsbedarf 362 ff. Berufsausübungsverbot  309, 328 –– bei vorübergehender Beschäftigung im öffentlichen Dienst  311 Berufsbezeichnung „Rechtsanwalt“ 265 Berufsbild  93 ff., 97 ff., 961 Berufsethik  8, 445, 628 f. Berufsgeheimnis, s. Schweigepflicht Berufsgerichtsbarkeit 184 ff. –– Anklagemonopol der Staatsanwalt­ schaft 208 –– anwendbares Verfahrensrecht  187 –– Aufbau 184 f. –– Disziplinarsanktionen 201 –– Disziplinarverfahren  184, 208 ff. –– Ergänzung durch Zivilgerichte  213 ff. –– und ordentliche Gerichtsbarkeit  184, 189 –– personelle Besetzung  185 –– Rechtsmittel  191, 211 –– Rechtsweg 193 ff. –– Verfahrenskosten 197 –– und Verwaltungsgerichtsbar­ keit 189 f. –– verwaltungsrechtliches Verfah­ ren  191 ff., 254 f., 322 –– Vollstreckung 212 Berufshaftpflichtversicherung  22, 175, 256 ff., 310, 397, 400 ff., 1017, 1323 ff. –– Anspruchsabwehr 259 –– Auskunftspflicht der RAK  175 –– Deckungssumme 310 –– dienstleistender europäischer RA 1006 –– Direktanspruch  175, 261 –– Einbeziehung der Gesellschafter  371 396

–– Freistellungsanspruch 260 –– Jahreshöchstleistung 400 –– Mindestversicherungssumme 256, 400 –– Nichtzahlung der Prämien  257, 310 –– Obliegenheitsverletzung 261 –– Pflicht zur Deckungsvorsorge  256, 397, 400 ff., 1006, 1323 –– Verfügungsbeschränkung zugunsten des Gläubigers  260, 401 –– Wegfall und Zulassungswiderruf  310, 322 –– wissentliche Pflichtverletzung  402, 1324 f. Berufsordnung (BORA) 9, 109, 179, 269 f., 335 f., 433, 462, 465, 559 ff., 570, 586, 620, 640, 671, 729, 969 1066 f., 1072 f., 1086 ff. –– Geldverkehr, s. dort –– Werbung  640, 671 ff., 1099 ff. –– s. auch Berufspflichten Berufspflichten, anwaltliche  339 f., 445 ff. –– Aufgaben des Berufsrechts  445 –– Aufklärung, Beratung, War­ nung 1291 –– gegenüber Auszubildenden  1163 –– Belehrung des Mandanten  1201 ff. –– Bindung an geltendes Recht  1212 –– Bummelei  450, 1196 –– disziplinarische Verfolgung bei Ver­ stoß  198, 203 ff. –– europäische, s. CCBE –– Feststellung der Rechtslage  1204 –– Feststellung des Sachverhalts  1202, 1263 ff. –– Fristenberechnung 354 –– Fristenwahrung  354, 1207 –– und Gegenanwalt  1137 ff. –– Generalklausel  448, 450 –– Grundpflichten (Kardinalpflichten) 337, 449, 451 ff., 529, 586 –– Haftung bei Verstoß –– in interprofessioneller Sozietät  337, 339 f. –– Kollegialitätspflichten 1160 f. –– Kollisionsrecht  454, 1057 ff., 1070 f.

Sachregister

–– „moderate Prozessführung“ 1214 f. –– Pflichtenverdoppelung des europ. RA  1006, 1022, 1059 ff., 1070 f., 1075 –– Prüfung der Erfolgsaussichten  1206 –– und RAK  1159 –– Rechtsgrundlagen 447 ff. –– Rechtsmittelprüfung 1209 –– Sachlichkeitsgebot, s. dort –– „sicherster Weg“ 1205 –– StGB 447 –– Übernahme einer Sicherheitsleis­ tung 1154 –– Unterscheidung berufsrechtlicher u. zivilrechtlicher Pflichten  1135, 1210 –– Versäumnisurteil 1154 f. –– Wiederzulassung nach Verstoß, s. dort –– zivilrechtliche Reaktion (UWG) 213 ff. Berufsqualifikation –– Anerkennung  329, 1019, s. auch ­Diplome Berufsrecht –– Aufgaben 445 –– Gemeinwohlbelange 5 ff. –– historische Entwicklung  143 ff., 931, 815, 846 –– Regelungsmaterien  4 ff., 9 ff., 14 ff. –– Regelungstechnik 63 f. –– Syndikusrechtsanwalt 296 –– territoriale Reichweite  1057 ff. Berufsständische Versorgungswer­ ke  110, 216 ff. –– Befreiung von Mitgliedschaft  221 –– Bemessungsgrundlage 218 –– Berufsunfähigkeit 224 –– Besserstellung von Ledigen  222 –– Hinterbliebenenversorgung 222 –– Kindererziehungszeiten 223 –– Mindestversorgungsabgabe 221 –– Vorstand einer Anwalts-AG  219 –– s. auch Rentenversicherung Berufsunwürdigkeit  232, 313 Berufswahlfreiheit, s. Freiheit der Be­ rufswahl

Beschlagnahme  415, 486, 496, 602, 852, 937, 939, 983 –– Anwalt als Beschuldigter  497 –– von Mandantenunterlagen  498 f. BGB-Gesellschaft  17f., 356, 367 ff., 435, 443, 840 –– akzessorische Gesellschafterhaf­ tung 1315 –– Allgemein/Bedeutung  356, 367 –– Ausscheiden eines Gesellschaf­ ters 362 –– Haftung  369 f., 396 –– Handelndenhaftung 396 –– Kündigungsbeschränkung 376 –– Neugesellschafter 370 –– Prozesskostenhilfe 372 –– als Rechtssubjekt  1183 –– Verpflichtung aus Mandatsverträ­ gen  367, 370 –– Vertretungsbefugnis 367 –– s. auch Berufsausübungsgesellschaft BGH-Anwalt  59, 284 ff. –– Auswahlverfahren 285 –– Bedürfnisprüfung 285 –– Mindestalter  59, 284 –– numerus clausus  285 –– Sachvortrag durch dienstleistenden Rechtsanwalt 1003 –– Singularzulassung 285 –– System der Generalanwälte  286 –– Verbot der Gebührenteilung  792 BRAK, s. Bundesrechtsanwaltskammer Briefbogen  275, 347, 436, 623, 1099, 1129 ff. Briefkopf, Gestaltung des –– allgemeine Anforderungen –– Irreführungsverbot  348, 351 f., 1130 f. –– bei Sozietäten  275, 436 –– Zweigstelle 274 Bundesministerium der Justiz  172, 180 f., 276, 1087 f. –– Aufsicht über Bundesrechtsanwalts­ kammer  181, 1082, 1157 Bundesrechtsanwaltskammer 167, 171 f., 178, 182, 1082, 1088 –– Beiträge 276 –– BRAK-Mitteilungen  174, 178, 193 397

Sachregister

–– elektronische Anwaltsverzeichnis­ se 171 –– Organe 178 –– rechtlicher Status  167 –– Satzungsgebungskompetenz 179, 1088 Bürogemeinschaft  431 ff., 565, 1131 –– Scheinsozietät, s. Scheinsozius

CCBE  729, 1020, 1072 ff., 1085

Code of Conduct, Verfahren vor EPG 1265 contempt of court  942 contigent fees, s. Erfolgshonorar

Datenschutz  523 ff., 668 –– Auskunft gegenüber Datenschutzbe­ auftragten 527 –– Datennutzung zur Werbung  528, 668 –– DSGVO 524 –– Outsourcing, s. Auslagerung von Dienstleistungen Dauerberatungsmandat 1192 DDR –– Enquete-Kommission SED-Dikta­ tur 154 –– RAG  155 f., 343 –– Stellung der Rechtsanwälte  88, 153 –– Zulassung zur Rechtsanwaltschaft in der  157, 163 ff. DDR-Juristen 88 –– Berufsunwürdigkeit 163 –– Informelle Mitarbeiter, Stasi  161, 164 –– Zulassungsüberprüfung 158 ff. Deregulierung  48 ff., 616 –– DIHK 50 –– Monopolkommission  49, 429 –– Reduzierung auf Erwerbswirt­ schaft 616 Deutsche Anwaltsakademie  183 Deutscher Anwaltstag  183 Deutscher Anwaltsverein  183 Deutsches Anwaltsinstitut  178, 183 Dienstleistender europäischer Rechtsan­ walt –– ohne physische Inlandsprä­ senz 1013 ff. –– verkappte Niederlassung  1010 ff. 398

–– s. auch Europäischer Anwalt Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) 250, 987, 1014 Dienstleistungs-InfoVO  15, 1018, 1188 Dienstleistungsmarke 1125 Dienstleistungsrichtlinie –– allgemeine  58, 643 ff., 666, 987, 1016 f., 1019 –– sektorale  329, 987, 994 ff. Dienstvertrag, s. Anwaltsvertrag Diplome –– Anerkennung ausländischer  1021, 1032 ff. –– Fall Morgenbesser  1034 –– Fall Pésla  1046 –– Fall Vlassopoulou  1033 –– Vergleichsprüfung  1042, 1046 Diplom-Jurist –– i. d. DDR  159 –– als Titel  227 Disziplinargerichtsbarkeit, s. Berufsge­ richtsbarkeit Disziplinarrecht –– Ausschließung aus der Anwalt­ schaft  307, 321 f. –– außerberufliches Fehlverhalten  199 –– Belehrung  199, 203 f. –– Berufsgerichtsbarkeit  198, 201, 208 ff. –– Disziplinargewalt der Rechtsanwalts­ kammer  198 ff., 203 ff. –– und EMRK  941 f. –– europäischer RA  1022, 1062 f. –– nullum crimen sine lege  448 –– paralleles Strafverfahren  210 –– Rechtsschutz  206 f., 211 –– Rüge  200, 205 ff. –– Sachlichkeitsgebot, 594, 606, s. auch dort –– Sanktionsmöglichkeiten  198, 201, 213, 450 –– Sanktionsmöglichkeiten des Kam­ mervorstands 200 –– Straftaten, s. dort –– bei Werbung  671 –– s. auch Berufspflichten Domain  382, 1126

Sachregister

Doppelzulassung  210, 1052 f. Durchsuchung von Kanzleiräu­ men  493 ff., 497 ff., 602, 852, 937, 948, s. auch Beschlagnahme

E-Commerce-Richtlinie 1015 Effektiver Rechtsschutz  963, 975, 1269 EFTA-Gerichtshof  291, 1009 EGMR/EMRK  158, 312, 492, 503, 593, 605, 614, 751, 842, 844, 856, 932, 934 ff., 969, 1227 Eignungsprüfung –– Bewerber ohne ausländische Zulas­ sung  229, 329, 330, 1043 –– für deutsche Rechtsanwälte  1054 –– und Zulassung ausländischer Rechts­ anwälte  229, 331 f., 1039 ff., 1044 ff. Eingliederung europäischer Anwäl­ te  1022 f., 1029 f. „Einheitsjurist“ 228 Einigungsvertrag  155, 343 Einkommensteuer  374, 380 Einvernehmensanwalt  995, 1005, 1007 Einvernehmensregelung  994, 996, 1003 elektronische Akte, s. Handakte elektronisches Postfach  172, 276 f., 485, 1005 Englisches Recht  60 –– Alternative Business Structures, s. dort –– anwaltlicher Status  60, 96 –– Damages-based Agreements  750 –– Erfolgshonorar 749 ff. –– Fall Naomi Campbell  751 –– Kapitalgesellschaft 412 –– Law Society  96 –– Legal Services Act  427, 749 –– Legal Services Board  60 –– LLP, s. dort –– s. auch Barrister Entbindung von der Schweigepflicht, s. Schweigepflicht Entschädigungsanspruch für Strafverfol­ gungsmaßnahmen 1226 Erfolgshonorar, s. Gebührenanspruch des RA EuRAG  329 ff., 1002, 1029 f.

Europäische Menschenrechtskonven­ tion, s. EGMR/EMRK Europäische Wirtschaftliche Interessen­ vereinigung (EWIV) 20, 438 ff., 652, 1120 Europäischer Anwalt –– Berufshaftpflichtversicherung 258, 1006 –– dienstleistender 994 ff. –– Disziplinarrecht  1006, 1062 f. –– Erlangung der Rechtsanwaltsbefähi­ gung im Ausland  1022 –– Gleichwertigkeitsprüfung der Kennt­ nisse, s. Diplome; Europarecht –– niedergelassener  1020 ff., s. auch Zu­ wanderung –– Postulationsfähigkeit 1007 –– Selbstvertretung 1009 –– als Syndikusrechtsanwalt  292 –– Zulassung in Deutschland, s. Zuwan­ derung Europäischer Gerichtshof f. Menschen­ rechte (EGMR) Europäischer Wirtschaftsraum, s. EWR Europarecht/Unionsrecht  2, 31 ff., 58 f., 188, 250, 507, 524 ff., 797, 987 ff., 991 ff., 1080 ff. –– Auswirkung auf Tätigkeit von EU-Anwälten, s. Europ. Anwalt –– Datenschutz 524 ff. –– Dienstleistungsfreiheit, s. dort –– Dienstleistungshaftungsrichtlinie (Entwurf) 1336 –– Diplomanerkennungsrichtlinie 1035 –– und Einvernehmensregelung, s. dort –– Erhöhung des Konkurrenzdrucks in Deutschland 730 –– Fall Gebhard  1021 –– Gesellschaftsrecht  406, 428, 990, 1031 –– grenzüberschreitende Rechtsbera­ tungstätigkeit, s. Europ. Anwalt –– Hochschulabschlüsse, Anerkennung ausländischer 1039 ff. –– Inländerdiskriminierung, s. dort –– IPR 428 –– kommerzielle Kommunikation  645 f. –– Kostenerstattung 1008 399

Sachregister

–– multi- und transnationale Sozietäten, Einfluss auf  428 –– Niederlassungsfreiheit, s. dort –– Preiswettbewerb 730 –– s. auch Dienstleistungsfreiheit; Nie­ derlassungsfreiheit EWR 331 f. Experte, s. Fachanwaltsbezeichnung

Fachanwaltsbezeichnung –– –– –– –– ––

Erlöschen der Zulassung  695 Experte  706, 1113 Fachanwaltsordnung  9, 679, 687 Fachgespräch  682, 691 fachliche Anforderungen/Befähi­ gung 681 –– förmliches Zulassungsverfahren  657, 683 f., 685 f., 693 ff., 707 –– Fortbildungspflicht 697 ff. –– Interessenund Tätigkeitsschwerpunk­ te  657, 700 ff., 708 f., 1111 –– Klausuren 688 –– als Mittel der Außendarstellung  657, 680 –– praktische Erfahrung  113, 689 f. –– Qualifikationsangaben 1111 ff. –– Qualifikationsleiter 711 –– Rechtsgrundlagen 677 f. –– Satzungsrecht (FAO) 679, 1165 –– Selbsteinschätzung des Rechtsan­ walts 686 –– Spezialisierungsbedürfnis 673 ff. –– Spezialist  706, 711, 1113 ff. –– Syndikusrechtsanwalt  685, 692 –– theoretische Ausbildung  687 ff. –– zahlenmäßige Begrenzung  680 –– zulässige Rechtsgebiete  679 –– Zulassungsverfahren 693 ff. –– Zuständigkeit der Rechtsanwaltskam­ mer  678, 688 Fachanwaltsordnung, s. Fachanwaltsbe­ zeichnung Faires Verfahren  941, 944, 950, 975, 978 Fernabsatzvertrag, s. Anwaltsvertrag Forderungsabtretung  79, 508 ff., 519, 784, 805 –– an Inkassounternehmen  512, 913 Fortbildungspflicht, anwaltliche

400

–– allgemeine 458 f. –– im Berufsrecht, Vorwort –– Fachanwalt 697 ff. Franchisesystem 444 Französisches Recht  94, 286, 385, 633, 998 ff. –– anwaltlicher Status  94 –– berufsrechtliche Regelung der Rechts­ anwaltswerbung 634 –– Erfolgshonorar 752 –– Kapitalgesellschaft 412 –– quota litis-Verbot  752 –– Société Civile Professionelle (SCP) 385 –– Vertraulichkeitspflichten 1068 –– Verweigerung der Zweitzulassung (Fall „Klopp“) –– Werbung 633 ff. Freiberuflichkeit, s. Rechtsanwalt; Freie Berufe Freie Berufe –– angestellter Anwalt  104 ff. –– gemeinsame Berufsausübung  383 –– rechtliche Bindungen  1 ff. –– Rechtsanwaltsstand als freier Be­ ruf  40, 65, 143, 1089 –– Unionsrecht 2 Freier Mitarbeiter  107 ff., 1164 Freiheit der Berufsausübung  547, 564, 731, 769, 953, 958, 961 ff., 970 Freiheit der Berufswahl  546, 954 ff., 958 Fremdgeld  720, 1096 f., 1211, s. auch Geldverkehr Fristenberechnung, s. Berufspflichten u. Organisation der Kanzlei Funktionsfähige Rechtspflege  53, 240

GATS  332, 1047 ff.

Gebührenanspruch des Rechtsanwalts –– Abgeltungsbereich der Gebühren  766 –– Abtretung 784 –– Angemessenheitskontrolle 740 ff. –– Anrechnung d. Geschäftsge­ bühr 780 f. –– Anwaltshotline 773 –– Äquivalenzstörung 741 –– ausgeschiedener Anwalt  785

Sachregister

–– Auskunft, Rat  736, 745 –– außergerichtliche Tätigkeit  736, 779, 783 –– Begutachtung durch die Rechtsan­ waltskammer 170 –– Beratungshilfe  734, 783, 980 –– Berechnung 774 –– Bereicherungsrecht  571, 776 –– Beteiligung als Gegenleistung für Mandatsvermittlung 788 ff. –– Beteiligung Dritter am Honorar  336, 790, 1164 –– Erfolgshonorar  738, 747 ff., 805 f. –– Erfüllungsort 786 –– Ermessen bei Festsetzung  770, 784 –– Fälligkeit 774 –– fehlerhafte Honorarvereinbarung  738 –– Festpreis 762 –– Gebührenteilungsvereinbarung, s. dort –– Gebührenüberhebung 723 –– Gebührenunterschreitung (Dumping) 730, 739, 745, 1157 –– gerichtliche Festsetzung  777 –– trotz Haftung  1294 –– Honorarvereinbarung  732 ff., 738, 1134, 1157, 1187 –– und Justizgewährung  731, 972 –– Kollektivklagen 813 –– Kostenbefreiung von Behörden  765 –– Kostenerstattung, 981 f., s. auch dort –– Kündigung des Anwaltsvertra­ ges  555, 776, 1193 ff. –– Mindestgebühr  1001, 1084, 1157 –– bei Nichtigkeit des Vertrages  570 f., 583 –– ordre public  757 –– Pauschalvergütung  741 f., 771, 1134 –– Pflichtverteidigung 769 –– bei positiver Vertragsverletzung  778 –– Preiswettbewerb  730, 1134 –– pro bono-Beratung  746, 1134 –– Prozessfinanzierung, s. dort –– Prozesskostenhilfe, s. dort –– Quersubvention 741 f. –– quota litis  757 ff. –– Rahmengebühren 767 ff. –– Rechtsgrundlagen 729

–– Rechtsschutzversicherung, s. dort –– Rückzahlung des Honorars  572, 738 –– Sittenwidrigkeit 743 f. –– Streitwertabhängigkeit  762 ff., 810 –– (Streit-)Wertfestsetzung  764, 779 –– Terminsgebühr 794 –– übliche Vergütung  737, 776, 1134 –– Unpfändbarkeit 513 –– Verfahrensgebühr  766, 794 –– und Verfassung  731, 972 –– Verjährung  774, 1199 –– Verkehrsanwalt  355, 795 f. –– Verrechnungsstelle  512, 784 –– Vertretertätigkeit  122 f., 1177 –– Vorschuss  775, 787, 1180 –– Zeitvergütung  741 f., 771 ff., 810 –– s. auch RVG Gebührenteilungsvereinbarung –– horizontal  792, ff, 1158 –– vertikal 792 Gebührenüberhebung, s. Gebührenan­ spruch des RA Gebührenunterschreitung, s. Gebühren­ anspruch des RA Gegenanwalt 1137 ff. –– Umgehung 1134 Geheimnisschutz, s. Schweigepflicht Geldbuße als Disziplinarsanktion  201 Geldverkehr  456, 775, 1096 f., 1179, 1211 Geldwäsche, s. Strafbarkeit Gemeinwohlinteresse  5 ff., 53, 616, 666, 1064 Genossenschaftsprivileg, s. RDG Gerichtsgebühren 731 Gerichtsverfassungsgesetz  593, 856, 978 f., 985, 1146, 1151 f. Gesamtschuld, s. Rechtsanwaltshaftung Geschäftsbesorgungsvertrag, s. Anwalts­ vertrag Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), s. BGB-Gesellschaft  367 ff. Gewerbeausübung 356 Gewinnbeteiligung 109 Gewohnheitsrecht –– Robenzwang, s. dort Glaubhaftmachung, s. Wiedereinsetzung „Gouvernantenklausel“, s. Einverneh­ mensanwalt 401

Sachregister

Grundpflichten, berufsrechtliche, s. Be­ rufspflichten Grundrechtecharta (GRCh) 32, 461, 947 ff., 969

Haftpflichtversicherung, s. Rechtsan­

waltshaftung; Berufshaftpflichtversi­ cherung Haftung, s. Rechtsanwaltshaftung Haftungsbeschränkung –– Kanalisierung auf Sachbearbei­ ter  369, 395 f. –– kraft Gesellschaftsrechts  361, 369, 395 ff., 399 ff. –– summenmäßige  397, 403, 1304 f. Handakten  514, 1210 –– elektronische Akte  1210 –– Herausgabe  501, 1135, 1179, 1210 –– Zurückbehaltungsrecht  1179, 1210 HGB  38, 120 f., 357, 370, 383 f., 390, 392 ff., 410, 411, 435 f., 439, 1121, 1315 Hilfspersonen des Rechtsanwalts –– Einstehen der Partei für Verschulden von  118, 1236 Hochschuldiplome, Anerkennung, s. Diplome Homepage 672 –– Informationspflichten 1188 –– Rundfunkstaatsvertrag 1110 –– Telemediengesetz 1188 Honorarabtretung, s. Schweigepflicht Honorarpfändung, s. Schweigepflicht Honorarrechtstreit –– Offenbarung anvertrauter Tatsa­ chen  474, 476, s. auch Schweigepflicht

Immunität von Rechtsanwälten  594 f.,

598, 724, 962 f., 1312 f. –– nach spanischem Recht  614 Imperatives Mandat  81, s. auch Schrift­ satzverantwortung Informationspflicht des Mandan­ ten 1262 Informationspflichten des An­ walts  1068, 1135 f., 1159, 1188 –– Belehrung des Mandanten  1201 –– zur Berufshaftpflichtversiche­ rung 1188 402

–– –– –– ––

Homepage 1188 Mandantenanfrage 1136 gegenüber RAK  1159 Übersendung von Schriftstü­ cken 1135 –– zur Vergütung  1188 –– zur zuständigen RAK  1159 Inkassounternehmen  799, 913 ff. –– Anwaltsinkasso  812, 919 –– Einziehung erworbener Forderun­ gen 913 Inkompatibilitäten  67 ff., 234 ff., 582 –– gewerblicher Zweitberuf  234 ff., 582 –– öffentlicher Dienst  67, 582 Inländerdiskriminierung 1055 f. Inlandsniederlassung ausländischer Rechtsanwälte, s. Zuwanderung Insolvenzverwalter  128, 136 ff., 195, 729, 958 ff. –– Amtshaftungsanspruch wg. Nichtbe­ stellung 958 –– Auswahlliste 138 –– Bestellung  136, 141 –– höchstpersönliche Ausübung  139, 959 –– Justizverwaltungsakt  138, 958 –– Konflikt mit Kanzleiabwickler  195 –– Registrierung 138 –– selbständiger Beruf  136, 958 Interessenkonflikte  73, 131, 154, 422, 454, 529 ff., 971, 1065 ff., 1093 ff., 1194 –– außeranwaltliche Tätigkeit  533 –– dieselbe Rechtssache  529, 534, 552 ff., 579, 715, 1065, 1093 –– Einwilligung des Mandanten  567 ff., 584, 717 –– Interessengegensatz 556 ff. –– internationale Sozietät  566 –– Kanzleiwechsel 562 f. –– Mandantsvermittlung 788 ff. –– Mediation 532 –– Parteiverrat  534 f., 713 ff. –– Rechtsfolgen  570 ff., 1194 –– Rechtsvergleichung 1065 –– Scheidungssachverhalte 717 –– Schutzzwecke 530 –– Strafverteidigung  541 ff., 841 –– Streitgenossen 576

Sachregister

–– Syndikusrechtsanwalt 538 –– Tätigkeitsverbot gem. § 45 BRAO  131, 449, 536 ff., 579 ff., 820, 1171 –– und Unabhängigkeit  549 ff., s. auch dort –– Verbotserstreckung auf Bürogemein­ schaftsmitglied 433 –– Verbotserstreckung auf Sozi­ en  559 ff., 584, 1066 f., 1094 –– Verhältnis zu Zulassungshindernis­ sen 545 ff. –– und Verschwiegenheit  531, 565, 569 Interessenschwerpunkte, s. Fachanwalts­ bezeichnung Internationale Zuständigkeit, s. Anwalts­ vertrag Interprofessionelle Zusammenarbeit 337 f., 340, 415, 417, 454, 1120, 1315 IPR der Berufsrechte, s. Berufspflichten (Kollisionsrecht) Irreführungsverbot, s. Werbung; unlau­ terer Wettbewerb Italienisches Recht  753, 1001 –– anwaltlicher Status  95 –– Dienstleistungs- und Niederlassungs­ freiheit 250 –– Mindestgebühren  753, 1001 –– quota litis-Verbot  753 –– Verbot der Abtretung von geltend ge­ machten Forderungen  78

Justiz, Zugang zur  748, 751

Justizgewährungsanspruch  731, 923 Justizverwaltung 958

Kanzlei –– Abwicklung schwebender Angelegen­ heiten, s. Abwickler –– Durchsuchung, s. dort –– Errichtung im Ausland  274 f., 1050 –– Irreführung 1127 f. –– Kurzbezeichnung (Name) 1122 f. –– mehrere  343 f., 348, 355, 1050, 1127, 1132 –– ordnungsgemäße Einrichtung  268 –– Standort, s. Kanzleisitz –– Verkauf, Verpachtung  16, 72, 336, 514 ff.

–– als Zustellungsort  324 –– Zweigkanzlei 269 ff. Kanzleierrichtungspflicht  267 f., 320, 1098 –– des Arbeitnehmer-Rechtsanwalts  267 –– Befreiung  273, 320 –– Befreiung bei Auslandsniederlas­ sung  274, 320, 1051 –– inhaltliche Ausgestaltung  268, 957, 1098 –– Normzweck 268 –– und überörtliche Sozietäten  272, 274, 343 f., s. auch dort –– Syndikusrechtsanwalt 296 –– s. auch Zweigstelle Kanzleikauf  16, 72, 336, 514 ff. Kanzleisitz 1132 –– im Ausland  274 f., 1050 ff. Kartellrecht  2, 33, 35, 188, 190, 429, 730, 929, 1001, 1080 ff. –– als Begrenzung des Satzungs­ rechts  1080, 1083 ff. –– Deregulierung, s. dort –– Fall Wouters  429, 1081 Klageerzwingungsverfahren  854, 1225 Kollegialitätspflichten 445 Kollektiver Rechtsschutz  873, 900, 902 ff., 929 Kommerzielle Kommunikation, s. Wer­ bung; Europarecht Kommunale Tätigkeiten –– Vertretungsverbot  73 ff., 581 Kommunikationsmittel, moderne  268, 1218 Konkurrenz der Anwälte  57, 91 f., 445 Konkurrenzschutz  540, s. auch Deregu­ lierung; Rechtsdienstleistungsgesetz Kontrahierungszwang, s. Anwaltsver­ trag; Beiordnung Kooperationen  101, 431 ff., 443 f., 652, 1120, 1123 Körperschaft des öffentlichen Rechts, s. BRAK; RAK Kostenerstattung  123, 781, 929, 981 f., 1008 f. –– materiell-rechtlicher Anspruchs  781, 810 f. –– prozessualer Anspruch  807 ff., 1008 403

Sachregister

–– bei Selbstvertretung  1009 –– s. auch Gebührenanspruch des Rechtsanwalts

Law Society, s. englisches Recht Leistungsfähigkeit, geistige und körper­ liche  231, 304 Liste der zugelassenen Rechtsanwäl­ te 171 LLP  19, 359, 385, 406 ff., 1220 –– Beiordnung 840 –– Deliktshaftung 407 –– Gesellschafterhaftung 407 –– hybride Gesellschaftsform  407 –– Postulationsfähigkeit 409 –– Registereintragung  407, 408, 1220 Lokalisationsprinzip  271, 279, 343, 793, 997, 1055, 1218 Luxemburger Recht  1025 ff. –– Fall Wilson  1026 Mandant –– und Einvernehmensanwalt  1005 –– publizistische Verwertung des Fal­ les 80 –– Verfassungsrechte mit Sekundärnut­ zen des Anwalts  953, 961 –– Weisungsrecht des M. 1178, 1203, 1206, 1209 Mandantengelder, s. Geldverkehr Mandanteninteressen, sachgerechte Wahrnehmung  56, 62, 545, 788, 791, 1212, 1214 f. –– und anwaltliche Gewinninteressen  53 –– Gebührenteilungsvereinbarung s. dort –– und Inkompatibilitätsregelungen  545 –– und Prinzip der Singularzulassung, s. dort –– Wahrung durch Pflicht des Rechtsan­ walts zur Unabhängigkeit, s. Unab­ hängigkeit Mandantenschutzklausel 381 Mandanten(stamm) –– Verpachtung  16, 72 –– Vermittlung 82 Mandat –– Kündigung, s. Anwaltsvertrag Mandatsvermittlung, entgeltliche  82, 383, 653, 788 ff. 404

Mandatsvertrag, s. Anwaltsvertrag Marke 1125 Marktwirtschaft  52, 55, 616 Mediation/Mediator  532, 712, 736, 799, 882, 1118 Mehrfachverteidigung, s. Strafverteidi­ gung Meinungsäußerungsfreiheit  592, 598, 969 –– Art.10 EMRK  614, 935 f., 941 –– commercial speech  613 –– GRCh 948 –– Prozesserheblichkeit 599 f. Mindestversicherungssumme 256, 310

Naturalpartei

–– Rederecht 829 ne bis in idem  941, 1063 Nichtigkeit –– des Anwaltsvertrages, s. Anwaltsver­ trag –– der Honorarvereinbarung  738 Niederländisches Recht  412, 613 Niederlassung ausländischer Rechtsan­ wälte, s. Zuwanderung Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) 251, 329, 987 –– Fall Klopp  1053 –– Fall Wilson  1026 Niederlassungsrichtlinie  250, 329, 429 f., 988, 1020 ff. –– Umgehung nationaler Zulassungsre­ gelung  1010, 1028 Notanwalt –– Beiordnung  823 f., 832 f., 854, 1143 Notar(iat) 39, 130 ff., 226, s. auch An­ waltsnotar Numerus clausus (Bedürfnisprüfung) 133, 226

Oberlandesgericht, Rechtsanwalt beim

–– Zulassungsvoraussetzungen 282 f. Öffentliche Klage, Erhebung der  208 Öffentlicher Dienst, Zweitberuf Ordnungsmaßnahmen des Ge­ richts  856, 985 f. Organ der Rechtspflege, s. Rechtsanwalt

Sachregister

Organisation der Kanzlei  1237 ff., 1273 –– Arbeitsüberlastung 1248 –– Ausgangskontrolle  1237, 1239 ff. –– Computerstörung 1241 –– Einzelanweisungen 1249 –– elektronischer Fristenkalender  1241 –– elektronischer Schriftsatzver­ sand 1244 –– Erkrankungsvorsorge 1248 –– Faxgerätstörung 1243 –– Faxsendungen 1242 ff. –– Fristenberechnung 354 –– Fristenkontrolle 1238 –– Fristverlängerung 1245 ff. –– Rechtsmittelauftrag 1252 ff. –– s. auch Wiedereinsetzung Österreichisches Recht  636 ff., 754 –– Erfolgshonorar 754 –– quota litis  754 –– Rechtsanwaltspartnerschaft 385 –– Richtlinien für die Berufsaus­ übung 636 ff. –– Werbung 637 f. Outsourcing, s. Auslagerung von Dienst­ leistungen

Parteiprozess  996, 1217 Parteiverrat  447, 454, 579 Partnerschaftsgesellschaft 383 ff. –– Abfindung 391 –– Abgrenzung zur BGB-Gesell­ schaft  387, 392 –– Abgrenzung zur LLP  407 f. –– akzessorische Gesellschafterhaf­ tung 393 –– Anteilsübertragung 391 –– ausländische, s. LLP –– Ausscheiden eines Gesellschaf­ ters  389, 391 –– Beiordnung 840 –– mit beschränkter Berufshaf­ tung  399 ff., 436 –– Dezernatsverteilung 395 –– Erbfall 391 –– Geschäftsführung 388 –– Gesellschafterbestand 389 –– Haftung 393 ff. –– Haftung gem. § 28 HGB  394 –– Handelndenhaftung 396

–– –– –– –– –– –– –– –– –– –– ––

interprofessionell 405 Liquidation 390 Namensführung 387 Partnerschaftsregister 384 f. Partnerschaftsvertrag 387 Rechtsfigur 383 Rechtsformwechsel  392, 404 Rechtsformzusatz 436 Registereintragung 384 f. Vertretung 388 Zulassung zur Rechtsanwalt­ schaft 398 –– s. auch Berufsausübungsgesellschaft Patentanwalt  333, 339 Personalakte, s. Rechtsanwaltskammer Persönliche Leistungserbringung  90, 1166 Pflichtversicherung, s. Berufshaftpflicht­ versicherung Pflichtverteidiger, s. Strafverteidigung Positive Vertragsverletzung, s. Rechtsan­ waltshaftung Postulationsfähigkeit  279, 324, 326, 409, 423, 1007, 1012, 1218, 1220 Prävarikation, s. Parteiverrat Praxisschild –– Erfordernis 268 Preiswettbewerb  730, 1001 Provisionszahlungen –– für Mandatsvermittlung (Schlep­per­ dien­ste) 82, 788 Prozessfinanzierung 803 ff. Prozesshandlungen des Rechtsan­ walts  323 f., 455, 578, 583, 816, 1233 –– Stellvertretung der Partei  1233 –– Terminsvertreter 831 Prozesskostenhilfe  342, 731, 782, 804, 823, 840, 854, 945, 979, 1144, 1217, 1251 –– Anwaltsgebühren 782 –– Berufsausübungsgesellschaften 840 –– für BGB-Gesellschaft  372, 786, 840 –– im Klageerzwingungsverfahren  854 Prozesspartei, s. Naturalpartei Prozessvollmacht  324, 576, 818 ff., 836, 848, 1198 –– Erteilung 836 –– Kündigung des Anwaltsvertra­ ges 1198 405

Sachregister

–– Nichtigkeit des Anwaltsvertrages  576, 819 –– standardisierter Umfang  25, 819 –– und Zulassungswiderruf  324, 822

Qualifikationsangaben, s. Fachanwalts­

bezeichnung Qualifizierte Signatur  484 Qualitätssicherung  457 ff., 993 –– s. auch Fortbildungspflicht quota litis, s. Gebührenanspruch des RA

Rat der europäischen Anwaltschaften, s.

CCBE Realteilung, s. Berufsausübungsgesell­ schaft Recht auf Verteidigung  946 Rechtliches Gehör, Recht auf  853, 930, 944, 974, 976 f. Rechtsanwalt –– als Abgeordneter  71 –– Aufklärungspflicht gegenüber Man­ dant, s. Informationspflichten –– ausländischer dienstleistender RA, s. europ. RA –– ausländischer niedergelassener, s. eu­ rop. RA –– Beiordnung, s. dort –– als Beistand, s. dort –– Berufsbezeichnung 265 –– Berufsbild  93 ff., 97 ff., 961 –– Bestellung zum Pflichtverteidiger, s. Strafverteidigung –– Beteiligung an Prozessfinanzierer  805 –– Einzelanwalt 101 –– freier Beruf, s. dort –– Führung von Handakten, s. Handak­ ten –– Gemeinwohlorientierung, s. Gemein­ wohlinteresse –– gesellschaftliche Tätigkeit  86 –– Gesetzgebungskompetenz des Bun­ des 930 –– grenzüberschreitende Tätig­ keit 1050 ff. –– Informationspflichten, s. dort –– Inkassoanwalt 919 –– Inkompatibilitäten, s. dort –– und Justiz  76

406

–– –– –– –– –– –– ––

kommunales Mandat  73 ff. Konkurrenzverhältnis 91 f. als Minister  71 f. Mitarbeiter 1162 Niederlassung im Ausland  1054 und Notartätigkeit, s. Anwaltsnotar Organ der Rechtspflege  40, 43 ff., 61, 153, 614, 730, 817, 986, 1143, 1145, 1219 –– Orientierung an höchstrichterlicher Rechtsprechung 1204 –– persönliche Leistungserbringung  90, 1177 –– Pflichtmitgliedschaft in berufsständi­ scher Versorgungseinrichtung, s. dort –– (Rechts-)Stellung 76 –– Ruhestand 264 –– Sachverhaltsermittlung, Pflicht zur, s. Berufspflichten –– Schutz vor Konkurrenz, s. RDG –– Selbstvertretung 1009 –– Spezialisierung  98 ff., 347, 675 –– Steigende Anwaltsdichte  91 –– und Steuerberatertätigkeit  676, 1128 –– als Subunternehmer des Nichtan­ walts 119 –– Titelschutz 265 f. –– Tod  125, 321, 1181 –– Unabhängigkeit, s. dort –– als Verbraucher  142 –– verfassungsrechtliche Stellung  951 ff. –– als Vertreter des Mandanten  842, 974 f. –– Vertreterbestellung 124 f. –– aus WTO-Staaten  332, 1047 ff. –– Wahrung von Mandanteninteressen, s. Mandanteninteressen –– zweitberufliche Tätigkeit, s. Zulassung Rechtsanwaltschaft –– Ausschluss, s. Disziplinarrecht u. Zu­ lassung –– Ausschluss und Wiederzulassung, s. Wiederzulassung –– Widerruf der Zulassung, s. Zulassung Rechtsanwaltshaftung  573, 1279 ff. –– AGB-Kontrolle (Verbraucherschutz­ richtlinie), s. Anwaltsvertrag –– angestellter Rechtsanwalt  118 –– Anscheinsbeweis 1291 f.

Sachregister

–– Anspruchsberechtigte, s. Anwaltsver­ trag –– Anspruchsgrundlagen 431 –– aufeinanderfolgende RAe  1293 –– Berufshaftpflichtversicherung, s. dort –– und Berufsrecht  397 –– Beweislastumkehr 1291 –– Beweislastverteilung im Regresspro­ zess 1288 –– Darlegungslast 1319 f. –– Deliktshaftung  407, 421, 1279, 1311, 1314 –– Dienstleistungshaftungsrichtlinie (EU-Entwurf) 1336 –– Erfüllungsgehilfen  1184, 1281 –– ersatzfähiger Schaden  1288 –– Feststellung nach § 287 ZPO  1287, 1289 f. –– Fortbildungspflicht 1204 –– Garantiehaftung 1279 –– Gebührenanspruch 1294 –– Gerichtsfehler und Zurech­ nung  1208, 1285 f. –– Gesamtschuld  342, 348, 1284 –– Haftpflichtversicherung, s. Berufshaft­ pflichtversicherung –– Haftung analog § 130 HGB –– Haftung gem. § 25 HGB  394 –– Haftung gem. § 28 HGB  370, 394, 1318 –– Haftungsbeschränkung, s. dort –– Haftungsmaßstab 1280 –– Haftungsschuldner 1315 ff. –– hypothetischer Inzidentprozess  1288 –– bei interprofessioneller Sozietät  1315 –– IPR 407 –– Kausalität 1290 –– mangelnde Sachverhaltsermitt­ lung  1202, 1263 –– Mitverschulden des Mandan­ ten  1293, 1322 –– normativer Schaden  1288 –– gegenüber Nichtvertragspart­ nern  1172 ff., 1307 ff. –– Organhaftung 434 –– Organisations- und Überwachungs­ verschulden, s. Organisation d. Kanz­ lei –– Parteianhörung 1319

–– –– –– –– –– –– –– –– –– ––

Prävention 1280 des Prozessanwalts  796, 1282, 1317 Rechtsmittelprüfung 1209 Rechtsscheinhaftung, s. dort Regressprozess 1288 f.,1319 ff. Sachwalterhaftung  573, 1310 Schadensersatz 1287 Schadensumfang Schmerzensgeld 1295 f. Schutzbereich der Pflichten  1283, 1295 f. –– in der Sozietät –– Streitgegenstand 1320 –– Übernahmeverschulden 1204 –– Übertragungsverschulden 1282 –– bei unberechtigter Schutzrechtsver­ warnung 1312 f. –– Verjährung 1297 ff. –– Vermutung beratungskonformen Ver­ haltens 1291 –– Verschuldenszurechnung 1234, 1281 f. –– verteidigende Offenbarung anvertrau­ ter Tatsachen, s. Schweigepflicht –– bei Vertragsnichtigkeit  573 –– bei Vertragspflichtverletzung  1214 –– vorvertragliche Pflichten  825, 1279 –– Zurech­nungszusammenhang  1284 –– wegen Zwangsvollstreckung  1212, 1311 –– s. auch Wiedereinsetzung; Haftungs­ beschränkung Rechtsanwaltskammer –– Aufgaben 170 ff. –– Aufnahme ausländischer Rechtsan­ wälte 994 –– Aufsichtsmaßnahmen 170 –– Auskunftserteilung, Befugnis zur  175 –– Auskunftspflicht des RA  176 –– Begutachtung von Anwaltsgebüh­ ren  170, 770 –– Beitragspflicht  166, 168, 194, 196, 1056 –– Belehrung, missbilligende –– Beratung  170, 203 –– Juristenausbildung 168 –– Mitgliedschaft der Berufsausübungs­ gesellschaften 416 –– Öffentlichkeitsarbeit 174 407

Sachregister

–– öffentlich-rechtliche Körper­ schaft  166, 189 –– Organe 169 –– Personalakten  173, 177, 192, 207 –– rechtlicher Status  166 –– Rechtsschutz  204, 255 –– Rügerecht  198, 205 –– Streitigkeiten mit Kammermitglie­ dern 182 –– als Unternehmensvereinigung i.S.d. GWB 1080 ff. –– Verleihung der Fachanwaltsbezeich­ nung, s. Fachanwaltsbezeichnung –– Verschwiegenheitspflicht 176 –– Zulassungsverfahren, s. Zulassung –– Zwangsmitgliedschaft 166 –– s. auch Bundesrechtsanwaltskammer Rechtsanwaltskollektiv (in der DDR) 152, 155 Rechtsanwaltskosten –– Erstattung  123, 570, 733, 781, 807 ff., 981, 1314 Rechtsanwaltstätigkeit –– Befugnis zur Aufnahme, s. Zulassung –– beratende 97 –– Spektrum der Betätigung  97 ff. –– Spezialisierung 98 Rechtsanwaltstätigkeit, grenzüberschrei­ tende –– deutscher Rechtsanwälte  1050 ff. –– europäische Standesregeln, s. CCBE –– Inländerdiskriminierung s. dort Rechtsaufsicht 180 f. Rechtsberatung, unerlaubte –– verbotsfreie Betätigungen, s. RDG –– wettbewerbliche Rahmenbedingun­ gen 870 –– zivilrechtliches Vorgehen gegen uner­ laubte R. 869 –– s. auch RDG Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) 27 f., 123, 147, 325, 446, 813, 857 ff., 1015, 1018 –– altruistische Rechtsberatung  862, 891 ff. –– außergerichtliche Tätigkeit  857 –– Bedürfnisprüfung bei Registrie­ rung 909 408

–– Berufshaftpflichtversicherung Regist­ rierter 910 –– Beschränkung der Dienstleistungs­ freiheit  928, 991, 1018 –– Bußgeld 912 –– Definition 858 –– Energieberater 887 –– Forderungszession 913 –– Genossenschaftsprivileg 897 f. –– Hausverwaltung 885 –– Inkassoanwalt 919 –– Inkassounternehmen  897, 899, 909 f., 913 ff. –– internationaler Anwendungsbe­ reich  863, 924 ff. –– im Internet  1015 –– kollektive Rechtsdurchset­ zung  902 ff., 929 –– und Konkurrenzschutz  866 f. –– als Nebenleistung  883 –– Normzwecke  857, 866 ff. –– Privatverrechnungsstellen 897 –– Prozessvertretung durch Inkassoun­ ternehmen 920 ff. –– Rechtsanwalt als Subunternehmer ei­ nes Nichtanwalts  119, 884 –– und Rechtsanwaltstätigkeit  859 –– Rechtsaufsicht  911, 914 –– Rechtsbeistand  871, 907 –– Rechtsberatungsgesetz  147, 861, 872 ff., 922 –– Rechtsfolgen  119, 861, 879 ff., 912 –– Rechtsfragenerörterung in Medi­ en 882 –– registrierte Personen  806, 907 ff. –– Sachkundeerfordernis  891, 910 –– Schadensregulierung 888 f. –– Schuldenregulierung  861, 863 –– Schuldnerinformation 915 f. –– studentische Rechtsberatung  895 f. –– Unionsrecht 991 ff. –– verbotsfreie Betätigung  882 ff. –– Verbotsgrundsatz 860 –– Verbraucherorganisationen 900 f., 905 –– Vergütung von Rechtsdienstleis­ tern  868, 870, 914, 918 –– wissenschaftliche Gutachten  865, 882

Sachregister

Rechtslehrer an deutschen Hochschu­ len  312, 867 f., 1223 –– Benachteiligungen als Schutz vor Konkurrenz 867 –– als Prozessvertreter  867 –– und Rechtsanwaltstätigkeit  67, 312 –– als Verteidiger  26, 868 Rechtsmittel  354, 1209 –– Belehrung des Mandanten  1209 –– Fristenausnutzung 1209 –– Prüfung d. Erfolgsaussichten  1209 Rechtspflegeinteressen 1171 Rechtsscheinhaftung  434 ff., 1316 –– des angestellten Anwalts  434 –– Rechtsscheinträger 435 –– gegen das Register  436 –– Scheingesellschaft 434 ff. –– Scheinsozius, s. dort –– s. auch Registerpublizität Rechtsschutzversicherung  23, 797 ff., 1157 –– Anwaltsauswahl und Mandanteninte­ ressen  23, 84, 799 –– Deckungszusage 801 –– EU-Richtlinie 797 –– Freistellungsanspruch 798 –– Prämiendifferenzierung 799 –– Regress gegen RA  798 –– Schadensversicherung 797 –– Vergleich, Angemessenheit  802 –– versicherte Person  800 Rechtsstaatsprinzip  951 ff., 975 f., 978, 1269 Referendar  115, 232, 465, 519, 566, 1236 –– Vertretung des Rechtsanwalts durch 122 Registerpublizität  408, 416 –– § 15 HGB  436, 1316 –– konkreter Rechtsschein s. Rechts­ scheinhaftung Regressprozess, s. Rechtsanwaltshaftung Rentenversicherung, Deutsche –– Mitwirkung im Zulassungsverfah­ ren 253 –– Versicherungspflicht  110, 221, 507 Residenzpflicht 1051 Richteramt, Befähigung zum  226 ff., 230, 234, 321, 891, 895

Robenzwang, s. Amtstracht Rüge der Rechtsanwaltskammer –– formelle Rüge  205 ff. –– missbilligende Belehrung  203 f. Rundfunkstaatsvertrag, s. Homepage RVG  21, 122, 415, 571, 723, 729 ff., 782 f., 1134, s. auch Gebührenan­ spruch

Sachlichkeitsgebot  453, 585 ff.

–– Beschimpfung der Justiz  587, 591 ff., 604 –– Disziplinarrecht 606 –– Drohung  607, 1314 –– Kollegenbeschimpfung 599 –– Meinungsäußerungsfreiheit  592, 596, 598 –– Pflicht zur moderaten Prozessfüh­ rung 1214 –– Selbstjustiz  609, 1213 –– Vermögensschaden d. Mandan­ ten  611, 1214 f. –– vorsätzlich falscher Vortrag  610 –– Zeugen- und Sachverständigen­ schutz 600 Sachverhaltsermittlung  1202, 1263 Satzungsrecht  11, 63 f. –– Ermächtigungsgrundlage 13 –– wettbewerbsbeschränkende Wirkung, s. Kartellrecht –– s. auch Berufsordnung Satzungsversammlung  179, 1086 ff. Schadensersatzanspruch, s. Rechtsan­ waltshaftung Scheinsozius  348, 352, 369, 434 ff., 517, 1131 –– Befugnisse 437 –– s. auch Rechtsscheinhaftung Schlepperdienste gegen Provision  82 Schlichtungsstelle  182, 1089 Schmerzensgeld 1295 f. Schriftsatzverantwortung  832, 1220 f., 1224 Schutzschriftanwalt 837 Schweigepflicht –– Abtretung von Honorarforderun­ gen  508 ff., 917 –– akustische Wohnraumüberwa­ chung 488 409

Sachregister

–– Allgemein  447, 452, 460 ff., 565, 1091 –– BDSG 527 –– Berufsgeheimnis des Mandanten  522 –– berufsmäßige Gehilfen  479 –– Berufsrecht  462 f., 467 –– Bürogemeinschaft  433, 565 –– Datenschutz 523 ff. –– Durchsuchung der Kanzlei, s. dort –– Einwilligung  472 f., 508, 517, 1064 –– Entbindung  489, 511, 1068 –– externe Dienstleister  464 f., 478 ff., 523 ff. –– Forderungsinkasso  512, 917 –– Forderungspfändung 513 –– und Interessenkonflikt  531, 565, 569 –– Internetkommunikation 484 f. –– in interprofessioneller Sozietät  337 –– Kanzleiverkauf  16, 514 ff. –– in Kapitalgesellschaft  415 –– Offenbarungsbefugnis  468, 474 ff., 1091 –– Offenbarungspflicht  469 ff., 513 –– Offenkundigkeit des Geheimnis­ ses 467 –– Outsourcing von Dienstleistungen, s. Auslagerung –– postmortale Entbindung  520 f. –– Strafrecht  462, 464, 466 –– verfassungsrechtlicher Schutz  983 f. –– Verpflichtung Externer  483 –– Verpflichtung der Mitarbeiter  1092 –– Verteidigerpost 502 –– Vertreterbestellung 518 –– Vorstand der RAK  176 –– Wissenstransfer 531 –– Zeugnisverweigerung  486 ff., 830 Schweizerisches Recht  268, 505, 529, 613 –– Abtretung von Forderungen, Verbot der 79 –– Anwaltsgeheimnis, Entbindung vom 520 –– Berufspflichtverletzung durch politi­ sche Betätigung  89 –– Erfolgshonorar 755 410

–– Interessenkonflikt 529 –– Schweigepflicht  463, 505 –– Werbung 613 Selbständiges Beweisverfahren  1205, 1217 Selbstverwaltung der Anwaltschaft, s. Rechtsanwaltskammer Singularzulassung 282 f. Société Civile Professionelle, s. franz. Recht Sozialgerichtsverfahren 1228 Sozialversicherungsrecht  24, 110 Sozietät –– Auflösung, s. Berufsausübungsgesell­ schaft –– Begriff  103, 334, 1183 –– Haftung, s. Rechtsanwaltshaftung –– multinationale (transnationale) 350 –– überörtliche, s. dort –– unechte, s. Scheinsozius –– s. auch Berufsausübungsgesellschaft Sozietätswechsel 1066 f. Sozius –– Erstreckung von Tätigkeitsverboten auf, s. Interessenkonflikte –– unechter, s. Scheinsozius Spanisches Recht  614, 933 Spezialisierung 347 Spezialist, s. Fachanwaltsbezeichnung Staatsanwaltschaft  208, 1225 –– Erhebung der öffentlichen Klage  208 Staatskasse  769, 784 Standesrecht, s. Berufsrecht Standesrichtlinien  12 f., 447 f., 453, 585, 612, 615, 677, 1153, 1155 f., 1161 –– europäische, s. CCBE Stellvertretung  818, 1177, 1233 –– Abgrenzung zur Botenschaft  1220 –– Arbeitsgerichtsbarkeit 1255 –– Klageerzwingung 1225 –– öffentlich-rechtliche Gerichtsbarkei­ ten 1255 –– und Pflicht zur persönlichen Leis­ tungserbringung 1177 –– bei Prozesshandlungen  1220 –– Prozessvertreter 1282 –– Strafprozess  842, 854, 1225 f., 1258, s. auch Beistand Sternsozietät 1095

Sachregister

Steuerberater  333, 917, 1014, 1131 –– Berufsausschluss 308 –– Vormachtstellung bei Steuerbera­ tung 99 –– Werbemöglichkeiten 641 Steuerberatung  676, 1128 Steuerrecht  110, 116, 175, 177, 345, 374, 380, 424, 471 StPO  26, 493 ff., 502 ff., 541 ff., 590, 841 ff., 1223 ff. Straftaten des Rechtsanwalts  307, 327 f., 447, 713 ff., 973 –– Aussagedelikt  202, 718, 1266 –– Begünstigung  543, 718 f., 973 –– Beleidigung  594, 597 ff., 604, 724 –– Betrug 1311 –– falsche Verdächtigung  728 –– Gebührenüberhebung  723, 760 –– Geldwäsche  34, 470, 500, 721 f., 939, 950, 973 –– Hausfriedensbruch 1213 –– Hehlerei 543 –– Nötigung  607, 727, 1213 –– Parteiverrat  34, 447, 454, 534 f., 579, 713 ff. –– Schweigepflichtverletzung  34, 447, 462, 464, 515 –– Strafvereitelung  543, 718 f., 847, 973, 1153 –– Untreue  34, 328, 720, 775, 1196 f. –– Veröffentlichung amtlicher Schriftstü­ cke 726 –– Volksverhetzung 725 –– Vorsatzerfordernisse  719, 973 –– s. auch Wiederzulassung Strafverteidigung  541 ff., 817, 841 ff., 1223 ff. –– Anwalts-GmbH 423 –– Ausschluss des Verteidigers  543 f., 846 f., 964 –– Beschränkung der Zahl der Wahlver­ teidiger 846 –– Beweismittelmanipulation 1153, 1266 –– Haftsachen  855, 1153 –– Kaution 1154 –– Mehrfachverteidigung  846, 965 –– notwendige Verteidigung  843 f., 1223

–– –– –– –– –– –– ––

Pflichtverteidiger  590, 769, 845, 1227 Privilegien 851 ff. Revisionsschriftsatz 1224 Strafvollzug  543, 855 Verteidiger als Mitbeschuldigter  852 Verteidigerpost 502 Wahlverteidiger  542, 590, 844, 848, 1227 Streitwert als Gebührengrundlage, s. Ge­ bührenanspruch Struktur des Prozessrechts, Funktion des RA  46, 1232 Syndikusrechtsanwalt  81, 119, 235, 253, 287 ff., 341, 538, 692, 729 –– Arbeitsvertrag  297, 300 –– Befreiung von Rentenversiche­ rung 293 –– Befugnisse  301, 538 ff. –– Beiordnung 296 –– Berufsbezeichnung 266 –– Berufshaftpflichtversicherung 296 –– Berufsrecht 296 –– Beschlagnahmeprivileg  290, 291, 301, 504 ff. –– Dienstleistung für Arbeitgeber  301, 504 –– Doppelzulassung als niedergelassener RA 295 –– europäischer Rechtsanwalt  292 –– Fachanwaltschaft 692 –– Kanzleipflicht 267 –– legal privileges  291, 301, 504, 506 f. –– Postulationsfähigkeit 291 –– Rechtsstellung 296 –– selbständiger Typus  294 f. –– Tätigkeitsverbot (§ 46 BRAO) 288, 538 ff. –– Titelschutz 266 –– Titelwunsch  266, 287 –– Titularzulassung 302 –– Unabhängigkeit  267, 290 f., 297 –– Versorgungswerk der RAe  293, 302 –– Weisungsfreiheit 297 –– Zulassungsverfahren  289, 298 f. –– Zulassungsvoraussetzungen  297, 300

Tätigkeitsschwerpunkte, Angabe von, s. Fachanwaltsbezeichnung; Werbung

411

Sachregister

Tätigkeitsverbot der Vertretung wider­ streitender Interessen, s. Interessen­ konflikte Telefonüberwachung  488, 940, 984 Telemediengesetz  37, 1015, 1100, 1188 Terminkollision des Anwalts  839, 977, 1161 Treuhandkonto  1093, 1096, 1211 Tod der Partei  828

Überörtliche Sozietät  269, 271, 272,

343 ff., 838, 1237 Unabhängigkeit, berufliche  40, 65 f., 451, 507, 530, 549 ff., 730, 747 –– Darlehen des Mandanten  78 –– Erfolgshonorar s. dort –– Gefährdung durch Gebührenunter­ schreitung 1157 –– von gesellschaftlichen Gruppen  85 ff., 111 –– Inkompatibilität mit beamteter Pro­ fessorenstellung 247 –– Mandatsvermittlung  82, 788 –– Provisionszahlung 82 –– Prozessfinanzierung 805 –– quota litis s. dort –– Rechtsschutzversicherung  799, 1157, s. auch dort –– Syndikusrechsanwalt, s. dort –– im Verhältnis zum Mandanten  77 ff. –– im Verhältnis zum Staat  65 f., 111, 154 –– Verwertung der Mandantenstory  80 Unionsrecht, s. Europarecht; Kartellrecht United Kingdom, s. englisches Recht Universitätsprofessor, s. Rechtslehrer an deutschen Hochschulen Unlauterer Wettbewerb  36, 213 ff., 270, 347, 442, 445, 610, 617, 619 ff., 670, 703, 709, 813, 869, 880, 1109, 1123 ff., 1130 f., 1139 –– und unerlaubte Rechtsberatung  869 –– s. auch Werbung Unterbrechung d. Verfahrens  324, 326, 828 Untreue, s. Straftaten US-Recht  613, 626 ff., 748, 967 –– ABA-Model Rules  630 ff.

412

–– –– –– ––

American Bar Association (ABA) 80 Erfolgshonorar 748 Kapitalgesellschaft 412 Werbung  613, 967

Verbandsvertreter, Vertretung

durch 1228 Verbraucher  142, 182 –– RA als Verbraucher –– Verbrauchermandant 737 Verbraucherzentralen, Rechtsberatung durch 900 Vereidigung 262 Vereinigtes Königreich, s. United King­ dom Verfassungsrecht  29 f., 42, 54, 190, 218, 256, 279, 413, 461 f., 501, 503, 508, 513, 546 f., 556, 592 f., 598, 616 f., 641 f., 731, 741, 758, 769, 844, 930 ff., 951 ff., 1156, 1286 Vergütung, s. Gebührenanspruch Verjährung –– des Haftungsanspruchs  1297 ff. –– des Honoraranspruchs  774, 1199 Verkehrsanwalt  355, 1317 Vermögensverfall, s. Zulassung (Wider­ ruf) Versäumnisurteil  326, 1155, 1156, 1207, 1212, 1222 –– Antrag auf Erlass  1222 Verschwiegenheitspflicht, s. Schweige­ pflicht Versorgungswerke der Anwaltschaft  110 Verteidiger im Strafverfahren, s. Straf­ verteidigung Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, s. Anwaltsvertrag Vertragspartner s. Anwaltsvertrag Vertreter, amtlich bestellter, s. dort Vertretung, s. Hilfspersonen des Rechts­ anwalts; Stellvertretung Vertretungsverbot  74 f., 201, 455, 533, 537, 827 –– Syndikusanwalt, s. dort –– s. auch Tätigkeitsverbot

Welthandelsorganisation (WTO), s.

GATS Werbung, anwaltliche  1099 ff.

Sachregister

–– mit akademischen Graden  712, 1133 –– allgemeine Dienstleistungsrichtli­ nie 643 ff. –– Auflockerung des Werbeverbots und gesetzliche Neuregelung  612 ff., 967 –– ausländische Rechte  613, 630 ff., 1069 –– und Berufsausübungsfreiheit –– commercial speech  613 –– durch Dritte  1104 ff. –– Entscheidungsfreiheit d. Werbeadres­ saten, Beeinträchtigung  666 –– Erfolgszahlen 1100 –– Fachanwaltsbezeichnung  657, 680 –– Gegnernamen 1101 f. –– Größenangaben 1130 –– Honorarwerbung 1134 –– Informationswerbung, erlaub­ te  640 ff., 649, 968 –– Interessenschwerpunkt  657, s. auch Fachanwaltsbezeichnung –– Internet  1110, 1126 –– Irreführung  625 f., 710, 1117 –– Kanzleistandorte 1132 –– Keyword-Advertising 1103 –– Kollegenkritik 1107 –– Mandantenbenennung 1100 –– Mandatswerbung, gezielte  621, 632, 664 ff. –– Meinungsäußerungsfreiheit  936, 969 –– Nutzung von Mandantendaten  528, 668 –– Preiswerbung 1134 –– Presseinformation 1105 f. –– Qualitätsanpreisungen 1111 ff. –– Rechtsfolgen der Berufswidrig­ keit 670 –– Sachlichkeitsgebot 661 f. –– Satzungsrecht  671 ff., 1099 ff. –– Schüren von Ängsten  669 –– Sponsoring 663 –– Tätigkeitsschwerpunkt 657 –– Unionsrecht 1016 –– und unlauterer Wettbewerb  1117, 1119 –– Verbotsrechtfertigungen 628 f. –– vergleichende Werbung  1109 –– Verschuldensbegriff 1267 ff. –– Werbesachverhalte  621, ff., 650 ff., 658 ff.

–– zulässige Medien  618, 650, 672 f., 703 –– Zuordnung der Qualifikationsanga­ ben zum Anwalt  1130 Wettbewerb der Anwälte, s. Deregulie­ rung; Konkurrenzschutz Widerstreitende Interessen, s. Interes­ senkonflikte Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand  1201, 1238 ff., 1267 ff. –– Arbeitsgerichtsprozess 1255 –– Familiensachen 1267 –– bei Fristversäumung durch Rechtsan­ walt  25, 259, 437, 1233 ff., 1267 –– Glaubhaftmachung 1275 ff. –– Insolvenzrecht 1261 –– mitwirkende Gerichtsfehler  1271 –– im Strafverfahren  1258 f. –– Verschuldensmaßstab 1269 –– im Verwaltungsgerichtsverfah­ ren 1255 ff. –– Verzögerung des Briefverkehrs  1270 –– Wiedereinsetzungsantrag 1272 ff. –– Zurechnung von Personalfeh­ lern  118, 1236 –– s. auch Organisation der Kanzlei Wiederzulassung  322, 327 f., 956 –– und Fachanwaltsbezeichnung  695 Wirtschaftsprüfer  54, 333, 1131 –– Rechtsberatung durch  861 Wohnraumüberwachung, akusti­ sche 488

Zeithonorar, s. Gebührenanspruch Zertifizierung nach ISO  9000 ff. 1116 Zeuge  600, 1265 Zeugenbeistand 42 Zeugnisverweigerungsrecht  486 ff., 830, 852 ZPO  25, 118, 215, 348, 437, 450, 513, 818 ff., 921, 1222, 1229, 1235 f. Zulassung zur Rechtsanwaltschaft  69, 226 ff. –– Anspruch 226 –– der Anwalts-GmbH  256, 416 –– des Arbeitnehmer-Rechtsanwalts  119 –– Bedürfnisprüfung 226 –– Befähigung zum Richteramt  227 –– Berufshaftpflichtversicherung, s. dort –– Berufsunwürdigkeit 232 413

Sachregister

–– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– ––

und Berufswahlfreiheit  955 ff. beim BGH  284 ff. für Diplom-Juristen  227 Eignungsprüfung für ausländische Rechtsanwälte, s. dort faktische Möglichkeit der Berufsaus­ übung  236 f., 240, 248, 314, 317 Fortbestand bei Auslandskanz­ lei 1050 „gehobene Stellung“ im Zweitbe­ ruf 240 Ge­richts­ge­bun­den­heit, s.­ Lo­ka­li­sa­ tions­prin­zip Inkompatibilitäten 233 ff. Interessenkonfliktabwehr 545 Leistungsfähigkeit, körperliche, s. dort Nebentätigkeitsgenehmigung 237, 240, 248, 311, 314 und Niederlassungsfreiheit, s. dort beim Oberlandesgericht  150, 282 f. öffentlicher Dienst  69, 240, 246 ff., 311 pensionierter Richter  280 Rechtslehrer an deutschen Hochschu­ len, s. dort Rechtsschutz  191, 252, 255, 322 Rentenversicherungsträger, Mitwir­ kung 253 Richter als Angehöriger  280 f. Rücknahme  263, 303 Singularzulassung 282 f. sofortige Vollziehung d. Wider­ rufs  322 f., 326 „Staatsnähe“ 240, 244, 249, 319 Straftaten 307 Titularzulassungen  234, 302 Überprüfung von DDR-Rechtsanwäl­ ten 158 ff. Vereidigung 262 Verfahren  252 ff., 321 f. Vermögensverfall  305 f., 845 Versagungsgründe 230 ff. Verwaltungsverfahren 254 Verzicht 264

414

–– Wegfall der Haftpflichtversiche­ rung 310 –– Widerruf  250 f., 263, 303, 307, 320, 322, 326, 1012 –– Wiederzulassung  322, 327 f. –– Wirkung des Zulassungsent­ zugs  321 ff., 822, 827, 849 –– Zulassungsbeendigung  263 f., 321, 822 –– Zulassungshindernisse 230 ff. –– Zulassungsurkunde 262 –– Zuwanderung 329 –– Zweitberuf  233 ff., 311 f., 313 ff., 545 –– s. auch Syndikusrechtsanwalt; zuwan­ dernder Anwalt Zurückweisung des Anwalts  201, 323, 455, 544, 593, 1011, 1151 f. –– s. auch Berufsverbot, Vertretungsver­ bot Zusammenarbeit mehrerer RAe –– Allgemeines 333 ff. –– mit Angehörigen anderer Beru­ fe  333 ff., 337, 339 f., s. auch interpro­ fessionelle Zusammenarbeit –– s. auch Berufsausübungsgesellschaft; Kooperation Zustellung –– Adressat 831 ff. –– im Eilverfahren  837 –– Empfangsbekenntnis 1141 –– Mitwirkungspflicht des Empfän­ gers 1140 ff. –– bei überörtlicher Sozietät  348, 838 Zustellungsbevollmächtigter 1005 Zuwandernder Anwalt  330 f., 1010, 1020 ff. –– Disziplinarrecht des Aufnahmestaa­ tes 1022 –– Eingliederung  1022 f., 1029 f. –– home-title-Anwalt 1022 Zweigstelle  177, 269 ff., 343, 353, 1098 –– s. auch Kanzleipflicht Zweitberuf –– gewerblicher 233 ff. –– öffentlicher Dienst  246 ff., 311 f.