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German Pages 370 [376] Year 1950
COING Grundzüge der Rechtsphilosophie
Lehrbücher und Grundrisse der
Rechtswissenschaft
Neunzehnter Band
Berlin 1950
Walter de Gruyter & Co. vormals C . J . Gösdien'sdie Verlagshandlung - J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer - Karl J . Trübner - Veit & Comp.
GRUNDZÜGE DER RECHTSPHILOSOPHIE Von PROFESSOR DR. J U R .
HELMUT COING in Frankfurt am Main
Berlin 1950
Walter de Gruyter & Co. vormals G. J . Gösdien'sdie Verlagshandlung - J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer - Karl J . Trübner - Veit & Comp.
Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten
Copyright 1950 by Walter de Gruyter & Co. vormals G . ) . Gösdien'scbe Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp.
Berlin W 35, Genthiner Straße 13
ArchlT-Nr.: 230550/19 Gesamtherstellung: München 13, Sdiellingstraße 39.
M E I N E R LIEBEN FRAU
VORWORT Die folgenden Untersuchungen gehen von der Erfahrung aus, daß die Gestaltung des Rechtes zwar ein Gegenstand der menschlichen Freiheit, aber nicht des ungebundenen Beliebens ist. Dem Richter sowohl wie dem Gesetzgeber treten sittliche und sachliche Wesenszusammenhänge entgegen, in deren Grenzen allein eine sachgemäße Rechtsbildung möglich ist. Sie versuchen auf dieser Grundlage das Wesen und die Entstehungsbedingungen des Rechts zu klären. Sie wären in dieser Form nicht möglich gewesen ohne die großen Fortschritte, welche die Schwesterwissenschaft der Nationalökonomie in den letzten Jahrzehnten, insbesondere durch die Forschungen Eudcens und Röpkes gemacht hat. Ich sehe ihre grundlegenden Erkenntnisse in der Einsicht, daß es nicht eine notwendige Abfolge von Wirtschaftsformen gibt, sondern gewisse Grundformen der Wirtschaftsordnung, die in allen Epochen in der einen oder der anderen Weise wiederkehren. Aus dieser Einsieht ergeben sich zwei Folgerungen. Sie befreit uns von der Ansicht des Historismus, daß der Mensch in seiner sozialen Gestaltung unter notwendigen Entwicklungsgesetzen steht; sie kehrt damit zu Auffassungen zurück, die denen des 18. Jahrhunderts verwandt sind und gibt uns die Freiheit des Handelns im Bereich der Rechtspolitik wieder. Sie lehrt aber zum andern, daß die Gestaltung des Soziallebens nicht im Belieben des Menschen steht, sondern daß die Natur der Sache ihm nur die Wahl zwischen bestimmten Formen läßt, von denen jede gewisse notwendige und unvermeidliche Auswirkungen hat. Diese Einsichten sind für die Jurisprudenz von außerordentlicher Bedeutung. Die ethischen Grundlagen der Rechtsordnung konnten nur im Anschluß an die neueren philosophischen Forschungen auf dem Gebiet
VIII der Ethik geklärt werden, die das Wesen der einzelnen sittlichen Werte wieder deutlicher haben hervortreten lassen. Ähnliches gilt von der Strukturpsychologie hinsichtlidi der psychologischen Grundlagen des Rechts. Endlich können die soziologischen Bedingungen des Rechts nur mit Hilfe der Erkenntnisse herausgearbeitet werden, welche die moderne Soziologie erarbeitet hat. In allen diesen Fragen betritt der Jurist fremdes Gebiet. Der Gefahren des Irrtums, die darin liegen, bin ich mir bewußt. Aber sie müssen m. E. in Kauf genommen werden, wollen wir nicht überhaupt darauf verzichten, ein Gesamtbild des Rechtes unter Ausnutzung der juristischen Erfahrung selbst zu entwerfen. — Die Kritik, die mein Versuch über die „Obersten Grundsätze des Rechts" gefunden hat, habe ich sorgfältig geprüft. Besonders habe ich — das darf ich an dieser Stelle verehrungsvoll aussprechen — Eduard Spranger für die verständnisvolle und eingehende Kritik zu danken, die er mir brieflich ausgesprochen hat. Eine Rechtsphilosophie kann und darf politischen Fragen nicht ausweichen. Ich habe hier meine Aufgabe darin gesehen, scharf herauszuarbeiten, wieweit bestimmte ethische Einsichten uns führen und wo Probleme auftauchen, die nur empirisch durch Untersuchung und Verwertung sozialen Tatsachenmaterials geklärt werden können. N u r so ist es m. E. möglich, die der Rechtsphilosophie hier gezogenen Grenzen innezuhalten. — Eine geschichtliche Darstellung der Rechtsphilosophie oder der Naturrechtslehre zu geben, lag außerhalb meiner Absiditen. Ich wollte den Leser nur an die Probleme heranführen, die im Recht und in seiner Stellung im sozialen Leben begründet liegen. Auch der Anhang beansprucht keinerlei selbständige Bedeutung; er soll vor allem dem studentischen Leser eine kurze Orientierung bieten. Natürlich habe ich nicht darauf verzichtet, bei den Grundproblemen die Gedankengänge einzelner großer sozialphilosophischer Denker wiederzugeben; das geschah aber nur, um das Sachproblem selbst deutlicher hervortreten zu lassen, nicht in der Absicht historischer Darstellung. Wiesbaden, den 9. März 1949 Helmut C ο i η g
INHALT Erstes Kapitel: Philosophie und Rechtsphilosophie. I.Philosophie als Sinndeutung auf der Grundlage der Wissenschaft II. Rechtsphilosophie als Mittlerin zwischen Rechtswissenschaft und Philosophie III. Die wissenschaftsgeschichtliche Situation
Erster
1 3 8
Hauptteil:
Das Recht als Phänomen des sozialen Lebens. Zweites Kapitel: Sinngehalt und Erscheinungsformen des Redits. I. Sinngehalt II. Erscheinungsformen
15 37
Drittes Kapitel: D i e psychologischen Grundlagen des Rechts. I. Die Grundlagen im seelischen Aufbau der Einzelpersönlichkeit II. Gruppengeist und Rechtsbewußtsein
48 63
Viertes Kapitel: D a s Recht und die Formen menschlichen Zusammenlebens. I.Die soziologischen Grundformen II. Recht und Machtverhältnis III. Recht und Gemeinschaft IV. Recht und Kampf Anhang: Die Masse und das Recht
69 72 79 85 88
Zweiter
Hauptteil:
Die Gegebenheiten im Recht. Rechtsidee — Natur der Sache — Naturrecht. Fünftes Kapitel: Die Rechtsidee und die N a t u r der Sache. I. Wesen der Gerechtigkeit
93
1. Das Problem der Rechtsidee. 2. Die Iniragestellung der Rechtsidee: Skeptizismus und Relativismus. 3. Das Wesen der Gerechtigkeit.
II. Die Natur der Sache III. Die weiteren sittlichen Inhalte der Reditsidee
118 131
1. Der Personwert des Menschen. 2. Die Rangordnung der Güter. 3. Die Werte des Miteinander-Handelns.
IV. Das Wesen der Rechtsidee
147
Sechstes Kapitel: D a s Naturrecht und die Grundsätze der Gerechtigkeit. I. Die Möglichkeit und das Wesen des Naturredits II. Die Menschenrechte III. Die Grundsätze der Gerechtigkeit
151 170 179
1. Die iustitia commutativa. 2. Die iustitia protectiva. 3. Die soziale Gerechtigkeit. 4. Das gegenseitige Verhältnis dieser Grundsätze. 5. Die Grundsätze des Rechts Verfahrens.
IV. Naturrecht und Staatsordnung
200
1. Das Wesen des Staates. 2. Der gerechte Staat. 3. Der Rechtsstaat.
V. Naturrecht und Wirtschaftsordnung 1. Recht und Wirtschaft. 2. Reditsidee und Wirtschaft.
216
Inhalt
Dritter
XI
Hauptteil:
Das positive Recht und die Rechtswissenschaft. Siebentes Kapitel: Das positive Recht und seine Geltung. I. Die Rechtsgeltung und ihre Gründe
226
1. Der Begriff der Rechtsgeltung. 2. Die Reditsquellen. 3. Die Gründe der soziologischen Reditsgeltung. 4. Rechtsgeltung und NaturreAtsverstöße.
II. Recht und Richter
244
Achtes Kapitel: Die Rechtswissenschaft. I. Aufgabe und Methode
261
1. Ziel der Rechtswissenschaft. 2. Die Typen der Rechtswissenschaft. 3. Die Methode der Rechtswissenschaft.
II. Die ergänzenden Disziplinen: Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung 279
Schlußbemerkung
282
Anhang I—III
285
Stichwortverzeidinis
297
Literatur
301
ERSTES KAPITEL PHILOSOPHIE UND RECHTSPHILOSOPHIE
I. Das Ziel jeder Philosophie ist die Sinndeutung der menschlichen Existenz. Dem Menschen zu zeigen, worin der Sinn seines Lebens liegt, ist ihr eigentliches Anliegen. Die Ansatzpunkte, von denen die einzelnen Philosophen dabei ausgingen, sind denkbar verschieden. Es kann die Betrachtung des Aufbaus der Natur oder ihrer Entwicklung sein, wie in vielen Systemen der Antike oder in der Lebensphilosophie Bergsons; es kann die Person des Menschen sein, sein Glücksstreben, wie in der antiken Moralphilosophie, oder seine sittliche Bindung, wie im System Kants; es kann der geschichtliche Prozeß sein, wie bei Hegel, bei Marx und der positiven Philosophie Auguste Comtes: aber das Endziel ist immer das gleiche. Und noch ein zweites Moment verbindet die verschiedenen Systeme der Philosophie: der Ausgangspunkt ihrer Weltdeutung ist Wissen und Erkenntnis. Nicht auf der Grundlage göttlicher Offenbarung wie in der Theologie erfolgt die Deutung des Seins, auch nicht in sagenförmigen Gleichnissen wie im Mythos; Selbsterkenntnis des Menschen und die Erforschung der Welt, die ihn umgibt, ist das Fundament, auf dem philosophische Sinndeutung beruht. Damit tritt die Philosophie in enge Verbindung zur W i s s e n s c h a f t . Denn das Ziel der Wissenschaft ist die methodische Erkenntnis des Menschen und der Welt, in der er lebt; von ihren Ergebnissen muß die Philosophie ausgehen. Es ist kein Zufall, daß in der abendländischen Kultur Philosophie und Wissenschaft von Anfang
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Erstes Kapitel
an verbunden sind und daß ihre Ahnenreihe auf die gleichen Stammväter, auf die Naturphilosophen Ioniens, zurückführt. Sie sind im tiefsten miteinander verknüpft, und sie trennen sich im Grunde nur wegen der Beschränkung, die alle menschliche Tätigkeit als ihr Schicksal mit sich führt. Denn der letzte Antrieb des wissenschaftlichen Suchens, der Frage nach dem S e i n des Menschen und der Welt, ist die Unruhe um den S i n n dieser Welt; die Philosophie ist die Mutter der Wissenschaft, auch wenn diese sich im Prozeß der mensdilidien Geisteskultur von ihr abgelöst und ein Eigendasein gewonnen hat. Aber die Philosophie ist immer zugleich ein Schritt über die Wissenschaft hinaus. Wissenschaft ist beweisbare, logisch aufweisbare Erkenntnis: Erkenntnis der Natur, der Geschichte, des menschlichen Geistes. Sie kann und will nur feststellen, was ist, und sie bescheidet sich, wo ihre Erkenntnismethoden versagen. Die Philosophie will mehr: sie will über Sinn und Nicht-Sinn der erkannten Welt entscheiden. Sie muß deshalb über die Wissenschaft hinausgehen und aus der Erkenntnis Anhaltspunkte gewinnen, um ihre besondere Aufgabe zu lösen, um an das Erkennen das Deuten zu schließen. Sie vollendet damit die Wissenschaft, indem sie ihr zugleich ihren menschlichen Sinn zurückgibt; aber sie ist darum auch immer ein Wagnis, das vorwegnimmt, was methodisch zu erschließen und nachzuweisen noch nicht möglich ist und vielleicht niemals möglich sein wird. In der verschiedenen Zielsetzung von Philosophie und Wissenschaft liegt es begründet, daß die Philosophie ihre Antriebe durchaus nicht immer und notwendig der Wissenschaft entnehmen muß. Die Frage nach dem Sinn entsteht nicht nur für den Erkennenden; sie entsteht ebenso, ja noch brennender, für den handelnden und leidenden Menschen. Nicht nur was er weiß, auch was er erduldet und vollbringt, stellt den Menschen vor die Frage nach dem Warum; ja es stellt diese Frage eindringlicher, bitterer und dringender. Das Leben selbst, die Situation, in der der Mensch sich befindet, ist der erste Ausgangspunkt der Philosophie; die ruhige Erkenntnis, die wissenschaftliche Situation, in der der Forscher sich befindet, erst der zweite. In der Geschichte lösen beide einander ab. Neben einem Philosophen wie Kant, der von bestimmten Erkenntnisproblemen ausging, stehen Denker wie Karl Marx oder Rousseau, denen die soziale Situation des Menschen ihrer Zeit Anlaß zum Philosophieren wurde. In der Gegenr
I. Philosophie als Sinndeutung auf der Grundlage der Wissenschaft
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wart steht dem Existentialismus eine umfassende, aus den Wissenschaften entwickelte Ontologie gegenüber. Aber diese Tatsache löst die Verbindung zwischen Philosophie und Wissenschaft nicht auf; denn audi für den Philosophen, der von der Situation des Menschen selbst ausgeht, wird das Wissen seiner Zeit Mittel der Orientierung sein; er wird es benutzen, um seine Weltdeutung auszuführen und zu begründen. Beide, die Zielsetzung wie der methodische W e g der Philosophie über die Wissenschaft, bedingen, daß das Wagnis der Philosophie, das Wagnis einer Sinndeutung des Lebens, immer wieder unternommen werden muß. Die Situation, aus der der Mensch den Grundgegebenheiten seines Daseins gegenübertritt, ist eine andere für jede Generation; die wissenschaftliche Erkenntnis ist ein unendlicher Prozeß, der immer neue Tatsachen und immer neue Gesichtspunkte in den Blickpunkt des Menschen bringt. So kann das Überkommene niemals ganz genügen; die Entwicklung der Erkenntnis, die Gestaltung des menschlichen Daseins, stellen die Aufgabe jeweils neu, gälte es auch nur alte Erkenntnisse auch in einer veränderten Welt als wertvoll zu erweisen. Diese Einsicht bedeutet nicht notwendig den skeptischen Verzicht auf absolute Wahrheiten oder die Annahme eines undurchdringlichen Chaos als der wahren Natur der Welt. Es könnte durchaus sein, daß es konstante Elemente in der Welt des Menschen gibt, Grundphänomene, die immer wieder auftauchen; aber der Mensch muß sie immer auf neuen Wegen des Erlebens und Erkennens erfahren, und jedem Geschlecht kommen sie anders in Sicht. Die erkennende und deutende Aufgabe des Geistes erschöpft sich nie; erlahmen kann nur die Kraft, sie zu erfassen und zu lösen.
II. Die Rechtsphilosophie hat die grundsätzliche Fragestellung mit der allgemeinen Philosophie gemein; auch sie will letztlich eine Sinndeutung vornehmen und aus dieser Sinndeutung Ziele des Handelns ableiten. Aber im Gegensatz zur allgemeinen Philosophie erfaßt sie nur einen relativ kleinen Ausschnitt aus der Welt des Menschen. Nicht sein
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Erstes Kapitel
gesamtes Sein ist ihr Gegenstand, sondern nur die sozialen Ordnungen, die er sich gibt; der ganze weite Bereich des rein Persönlichen und damit die eigentliche Mitte des Lebens liegt außerhalb ihrer Fragestellung; nur der Makrokosmos des sozialen Lebens interessiert sie. Es ist natürlich, daß sie trotz dieser gegenständlichen Beschränkung ihre letzte Aufgabe, die der Sinndeutung, nur im Anschluß an die allgemeine Philosophie und aus deren Sicht heraus lösen kann; eine Rechtsphilosophie ohne die Grundlage einer allgemeinen Philosophie ist nicht denkbar. Im letzten müssen Rechtsphilosophie und Philosophie immer zusammenfallen. Die spezifische Aufgabe der Rechtsphilosophie kann nur darin liegen, zwischen ihrem besonderen Gegenstand, der Rechtsordnung, und der Philosophie eine Verbindung herzustellen; sie muß die besonderen Probleme eines eigenartigen Lebensbereiches aufgreifen und bis dahin weiterführen, wo sie in die allgemeinen Fragestellungen des Philosophen einmünden. Ihre Rolle ist also die eines Mittlers zwischen einem besondern Gebiet menschlicher Aktivität und der allgemeinen Deutung des menschlichen Lebens; sie gleicht insofern der Philosophie der Kunst, der Technik und ähnlichen vermittelnden Bereichen menschlichen Nachdenkens 1 . Diese Vermittlung wird notwendig, weil das Rechtsleben eine besondere, nur ihm eigentümliche Gesetzlichkeit aufweist und zu besonderen Fragestellungen führt, die nicht einfach durch Deduktionen aus philosophischen Prämissen gelöst werden können. Die Rechtsphilosophie kann deshalb, soll sie nicht an den Phänomenen des Lebens vorbeigehen, nicht nur ein deduktiver Anhang zur allgemeinen Philosophie sein; es bedarf vielmehr einer vermittelnden Disziplin, die aus der besonderen Kenntnis des Rechtslebens die aus ihm sich ergebenden philosophischen Fragen aufdeckt und damit das Recht für die Philosophie und andererseits die Philosophie für das Recht fruchtbar macht, die — in Personen gesprochen — den Juristen aus seiner technischen Berufsarbeit an den Punkt führt, wo er vor Grundfragen des Lebens steht, in denen er sich entscheiden muß, und die dem Philosophen die Problematik der Sache erschließt, die philosophischer Deutung harrt. Hierin liegt auch ihr besonderer erzieherischer Wert. Eine derartige Disziplin kann von zwei Ansatzpunkten aus in An1 Vgl. dazu R o t h a c k e r : Logik u. Systematik der Geisteswissenschatten, Handbuch der Phil. II, p. 19. Von älteren Darstellungen ausgezeichnet: S t a h l , Rechts- und Staatslehre, §§ 3—5.
11. Rechtsphilosophie als Mittlerin zwischen Rechtswissenschaft und Philosophie 5
griff genommen werden; sie kann von einer bestimmten philosophischen Deutung ausgehend die besondern Probleme des Rechts betrachten. Eine solche Lehre würde man treffend als „Rechts- und Staatslehre auf philosophischer Grundlage" bezeichnen, wie der große Rechtsphilosoph der preußischen Konversativen, Friedrich Julius Stahl, seine Rechtsphilosophie genannt hat. Sie kann aber ihren Ausgangspunkt auch von der Betrachtung des Rechts selbst nehmen und von da aus zu den philosophischen Fragen fortschreiten. Um diese Aufgabe zu erfüllen, muß sie zweierlei tun; sie muß zunächst das besondere Phänomen des Rechts in seinen wesenhaften, bleibenden Zügen ins Auge fassen, und sie muß von da aus zeigen, wo dieses Lebensphänomen sich mit anderen Grunderscheinungen des menschlichen Lebens berührt und in welcher Weise das geschieht. Verfolgt sie diesen Weg, so wird sie ganz von selbst auf die Grundfragen des menschlichen Seins stoßen, die immer wieder das Thema philosophischen Denkens gebildet haben. Auf diesem Wege bietet sich nun eine besondere Schwierigkeit. Wie alle Philosophie muß auch die Rechtsphilosophie ihren Weg über die Wissenschaft nehmen, und zwar über die, welche sich mit der Erkenntnis des Rechts beschäftigt, die Jurisprudenz also. Dabei zeigt sich aber, daß das Verhältnis von Wissenschaft und Philosophie auf diesem Gebiet besonders problematisch ist. Die Jurisprudenz, so wie sie ist, erweist sich, im Gegensatz zu anderen Wissenschaften, als wenig geeignet, den Ausgangspunkt für eine philosophische Betrachtung zu bilden. Was die Rechtsphilosophie braucht, ist eine Wissenschaft vom Recht als Phänomen des sozialen Lebens; was die Rechtswissenschaft aber bietet, ist die Darstellung einer ganz bestimmten positiven Rechtsordnung, und zwar in der Absicht ihrer praktischen Anwendung. Jede Rechtswissenschaft ist durch drei Momente ausgezeichnet; sie ist einer konkreten, geschichtlich einmaligen Rechtsordnung zugewandt, also einem unwiederholbaren, individuellen Gebilde im Rahmen des unendlichen sozialen Prozesses; sie ist insofern i d e o g r a p h i s c h im Sinne der Rickertschen Begriffsbildung. Sie ist zum anderen d o g m a t i s c h , insofern sie den Sinngehalt oder besser Sollensgehalt dieser spezifischen Ordnung in seinem Zusammenhang darlegt; sie ähnelt insoweit der Theologie, die das gleiche für eine bestimmte religiöse Offenbarung leistet, eine Ähnlichkeit, die in kritischer wie in
Erstes Kapitel
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analysierender Betrachtung immer wieder hervorgehoben ist1. Sie ist schließlich eine p r a k t i s c h e , a n g e w a n d t e Wissenschaft, insofern diese dogmatische Auslegung im Hinblick auf die Lösung konkreter sozialer Streitfälle oder auf die Klärung von Zweifeln über richtiges soziales Verhalten geschieht. Sie bietet also nicht jene Lehre vom Recht als Erscheinung schlechthin, jene Rechtsphänomenologie, welche die Rechtsphilosophie braucht. Diese Lücke kann auch die Rechtsgeschichte nur bedingt schließen. Die Rechtsgeschichte gibt eine Darstellung des Werdens der sozialen Institutionen im einzelnen und der Entwicklung des rechtswissenschaftlichen Denkens. Als geschichtliche Wissenschaft ist auch sie nur individuellen einmaligen Gebilden zugewandt und betrachtet sie in ihrer zeitlichen Abfolge: Das römische Recht zur Zeit der Klassiker etwa oder das sächsische Recht des 13. Jahrhunderts, wie es der Sachsenspiegel darstellt. Sie kommt, wie alle Geschichte, für eine philosophische Betrachtungsweise in erster Linie als Materialsammlung in Betracht, als eine Darstellung der Möglichkeiten des Menschen. Der letzteren bleibt die Aufgabe, aus dem, was die positive Rechtswissenschaft des geltenden Rechts und die Rechtsgeschichte ihr bietet, die Phänomenologie des Rechts erst selbst zu schaffen. Sie wird dabei über die eigentlich juristische Disziplin hinaus auch andere, vor allem die Soziologie und die politische und wirtschaftliche Geschichte heranziehen müssen. Es handelt sich für die Rechtsphilosophie also darum, aus dem Fluß der uns bekannten geschichtlichen Entwicklung, aus der Fülle der individuellen, einmaligen Bildungen, das Phänomen des Rechts als Typus sozialer Erscheinungen anschaulich herauszuarbeiten. Hierfür genügt es nicht, einen empirischen Allgemeinbegriff aus der äußeren Erscheinung des Rechts induktiv zu finden, also einen Begriff, dessen Merkmale sich in jeder individuellen historischen Rechtsorganisation wiederfinden. Derartige Versuche würden nur zu formalen Allgemeinbegriffen führen, für die etwa die Definition des Rechts, die Somlo2 gefunden hat, ein Beispiel bildet. Nach ihr ist das Recht ein Komplex von „Normen einer gewöhnlich befolgten, umfassenden und beständigen höchsten Macht", der „Rechtsmacht". Eine solche Defi1
Vgl. einerseits K a n t o r o w i c z , Kampf um die Rechtswissenschaft; andererseits R o t h a c k e r , Logik u. Systematik der Geisteswissenschaften, Handb. d. Phil. II, p. 22. » Juristische Grundlehre, p. 105; ähnlich J e 11 i η e k , Allgera. Staatslehre, p. 333.
II. Rechtsphilosophie als Mittlerin zwischen Rechtswissenschaft und Philosophie 7
nition bietet zwar den Vorteil, daß unter ihr Schema sich jede denkbare Rechtsordnung ohne große Schwierigkeit einordnen läßt. Aber sie ist für die philosophische Fragestellung unverwertbar. Sie ist rein formal und deshalb ungeeignet, die Fragen zu erschließen, an denen philosophisches Denken einsetzen und die Probleme weiterführen kann 1 . Die Rechtsphilosophie muß vielmehr nach einem i n h a l t l i c h e n , d e n W e s e n s g e h a l t des Rechts ausdrückenden Begriff des Rechts suchen. Das kann nur geschehen, indem sie den i d e a l e n T y p u s rechtlicher Ordnung aus der anschaulichen Fülle der Geschichte heraushebt. Sie darf also keinen Gattungsbegriff nach allgemeinen Merkmalen bilden, sondern sie muß das Phänomen des Rechts in seiner „allgemeinen Richtung durch den charakteristischen, die Sache am meisten ausdrückenden, also idealen Fall" bezeichnen2. Sie wird dabei sowohl die Erscheinungsform wie den Sinngehalt® der Rechtsordnung herauszuarbeiten haben. Daß solche Begriffsbildung überhaupt möglich ist, beruht logisch darauf, daß der Gattungsbegriff nicht die einzig mögliche Form der Begriffsbildung darstellt4, in der Sachgegebenheit aber darauf, daß in allem Wechsel des historischen Geschehens und in aller Mannigfaltigkeit menschlichen Strebens doch gewisse gleichbleibende Grundtendenzen des Menschen und gewisse Gleichartigkeiten der natürlichen Bedingungen, in denen sich das Leben abspielt, hervortreten. Es gibt gewisse „Grundrichtungen des Sinnes"8, und es gibt gewisse Konstanten der natürlichen Gegebenheiten. Das hat zur Folge, daß auch im sozialen Prozeß trotz aller individuellen Einmaligkeit der Gestaltungen im einzelnen gewisse Urphänomene erkennbar sind, Zusammenhänge und Strukturen, die in verschiedenartiger Abwandlung immer wieder auftauchen. Die Betrachtung des sozialen Lebens bestätigt, was auch die biologische Betrachtung lehrt: daß sich das Leben des Menschen — trotz aller individuellen Bildungen — in einem gewissen gegebenen Rahmen abspielt. Seine Gestaltungsmöglichkeiten sind offenbar nicht unbegrenzt. Das macht es 1 Hierzu genauer unten p. ' V g l . T r o e l t s c h , Der Historismus und seine Probleme. Ges. Schriften III, p. 566; V1 e r k a η d t , Gesellschaftslehre, p. 19/20. » Vgl. audi S c h 6 η f e 1 d : Rechtsperson und Re Vgl. Helrasoetk, Geschiditsphllosophle 1948, p. 44, 51.
III. Die wissenschaftsgesdiichtlidie Situation
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Ich kann diese Entwicklung hier nicht im einzelnen aufzeigen; einige Hinweise müssen genügen. Zunächst zerbrach der Methodenmonismus und die einseitige Vorherrschaft der naturwissenschaftlichen Methode; sie erwies sich den Tatsachen des geschichtlichen und sozialen Lebens nicht gewachsen, und sie wurde zum Teil aus der Naturwissenschaft selbst überwunden. Man denke an die Auseinandersetzungen Bergsons in seiner Evolution cr£atrice. Im einzelnen ist am eindruckvollsten vielleicht die Umgestaltung der Psychologie: die Begründung der geisteswissenschaftlichen, verstehenden Psychologie, die Entdeckung des mehrschichtigen Aufbaus der menschlichen Gefühle und Strebungen, die phänomenologische Durchforschung des Bewußtseins. Damit ist Aufbau und Gliederung des menschlichen Geistesund Seelenlebens, das Ineinandergreifen sehr verschiedener Komponenten gegenüber einer monistischen Betrachtung wieder deutlich geworden1. Obwohl sich im einzelnen uns alles anders darstellt, ist es doch wieder möglich geworden, an frühere Auffassungen anzuknüpfen. Es ist vielleicht bezeichnend, daß ein Buch wie Nohls „Ethische Grunderfahrungen" an die platonische Lehre von der Struktur der menschlichen Seele anknüpfen kann. Aber auch in den Sozialwissenschaften hat sich, zum Teil ganz unabhängig davon, etwas Ähnliches vollzogen. Hervorzuheben ist hier zunächst die Entwicklung der Soziologie. Wenn Simmel und Vierkandt wieder versucht haben, sozusagen eine S t a t i k des gesellschaftlichen Lebens zu schaffen, so stehen sie damit im Grunde der naturrechtlichen Betrachtungsweise näher als der entwicklungsgeschichtlichen Comtes. In die gleiche Richtung weist die moderne nationalökonomische Forschung. Hier ist vor allem auf die grundlegenden Arbeiten E u c k e n s zu verweisen, die jedenfalls für die deutsche Wissenschaft der nationalökonomischen Theorie ihren Platz gegenüber der rein historischen Betrachtungsweise wieder zurückerobert haben. Seine idealen Typen der Wirtschaftsordnung beruhen auf der Einsicht, daß im Wirtschaftsleben trotz aller Entwicklung und trotz allem Wechsel gewisse Grundstrukturen immer wiederkehren, die eine deutlich erkennbare Eigengesetzlichkeit besitzen. — Ihren deutlichsten Ausdruck hat die Betrachtungsweise der Wissenschaft der Gegenwart in der Lehre vom schichtweisen Aufbau des 1
Vgl. etwa Rothackers Schieten der Persönlichkeit, oder Leracbs Aufbau des Charakters.
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Erstes Kapitel
gesamten Seins, der Welt wie des Menschen, gefunden 1 . Danach wirken strukturell ganz verschiedene Arten des Seins nebeneinander, aber nicht beziehungslos, sondern so, daß immer die eine auf der anderen aufruht, die höhere die niedere benutzt und formt und doch zugleich in ihrer Existenz von der niederen abhängig und bestimmt ist. So liegen im Menschen die Schichten des Geistigen und Seelischen über denen der organisch-körperlichen Existenz, die ihrerseits wieder stofflich-chemische Prozesse zur Grundlage hat. Im Prozeß des Lebens wirken verschiedene, aber in sich erkennbare Tendenzen ineinander. Jede dieser Schichten hat ihre eigene Gesetzlichkeit, und eine durchgehende Struktur beherrscht wiederum den ganzen Aufbau. Diese Auffassung begründet die Notwendigkeit, sich dem Sein mit ganz verschiedenen, den jeweilig zu erfassenden Schichten angepaßten Methoden zu nähern, also den Pluralismus der Methode und Begriffsbildung 2 . Sie erklärt zugleich das Bestreben, die bleibenden Strukturen zu erfassen, die sich in den einzelnen Schichten aufweisen lassen. Auch in der deutschen Rechtswissenschaft hat sich diese Änderung der wissenschaftlichen Haltung seit langem bemerkbar gemacht. Das hat sich in einem zunehmenden Interesse für die bleibenden Strukturund Wesenszusammenhänge im Recht gezeigt, das sich schon vor der großen Erschütterung unserer Rechtsordnung durch die politischen Katastrophen bemerkbar gemacht hat. Reinachs phänomenologische Untersuchung der Rechtsbegriffe8, Erich Kaufmanns Untersuchung des Begriffes der Gleichheit, Leibholz' Studien zur Repräsentation und Gerhart Husserls rechtsphilosophische und dogmatische Arbeiten 4 sowie diejenigen W . Schönfelds wiesen diese Richtung. Die Erforschung rechtlich bedeutsamer, dauernder Gegebenheiten steht in diesen Arbeiten im Vordergrund. Gleichzeitig ist der Einfluß der neukantischen Philosophie auf die Rechtswissenschaft zurückgegangen. Indem diese Philosophie die Klärung des m e n s c h l i c h e n D e n k e n s ü b e r die Dinge (an Stelle der Klärung der Dinge selbst) zur eigentlichen Aufgabe der Philosophie erhebt und ihr Ziel darin sieht, die letzten, 1 Vgl. dazu N. Hartmann, Ethik, p. 503/04, Problem des Gelstigen Seins, 57 ff., Jasper», Philosophie I 104/05, 167 ff. • Vgl. dazu Nie. Η a r t m a η η , Ontologie, p. 8 ff., J a s ρ e r s , Philosophie 1932,1 p. 104/05; 167 ff., 186 ff. 1 Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung 1913. < Rechtskraft und Rechtsgeltung 1925; Recht und Welt.
III. Die wissensdiaftsgeschiditliche Situation
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selbst nicht mehr ableitbaren l o g i s c h e n Bedingungen u n s e r e s D e n k e n s über die Welt aufzudecken, führt sie in Anwendung auf das Recht notwendig von den moralischen und tatsächlichen Phänomenen des sozialen Lebens fort, die den Inhalt der Rechtsordnung bestimmen; was sie aufgedeckt hat, sind letzte Allgemeinbegriffe und rein logische Beziehungen innerhalb der Rechtsordnung; darüber war ihr aber außer Sicht genommen, was eigentlich dem Gehalt nach das Wesen des Rechtes ausmacht1. In der gleichen Richtung wirkte die überscharfe Entgegensetzung von Sein und Sollen bei den Neukantianern. Sie beruhte auf einer unbegründeten Verengung des Seinsbegriffes auf das (kausal erforschbare) reale Sein und ist durch die ontologischen Forschungen, insbesondere Nie. Hartmanns, überwunden 8 . Damit stellt sich uns die Aufgabe, zu einer inhaltlichen Betrachtung des Rechts nach seinen bleibenden Wesenszügen zurückzukehren. Wir müssen dazu zunächst das Recht ins Auge fassen, wie es sich unserer Erfahrung als unreduzierbares Phänomen eigener Art im sozialen Leben darstellt. Der Begriff „Recht" — das haben gerade die Untersuchungen der Neukantianer, insbesondere diejenigen Stammlers, deutlich werden lassen — ist keine letzte, Bewußtseinsinhalte ordnende, formale Kategorie unseres Denkens, sondern bezeichnet ein Urphänomen des sozialen Lebens. Man kann ihn nur klären, indem man dieses Phänomen nach seinen Wesenszügen umschreibt. In diesem Sinne ist unsere Untersuchung phänomenologisch8. Der Lösung dieser Aufgabe soll der erste Hauptteil dienen. Er berücksichtigt die psychologischen Grundlagen und die soziologischen Bedingungen des Rechts, um die Stellung des Phänomens „Recht" im ganzen der sozialen Welt deutlicher werden zu lassen. Hinter dieser ersten Aufgabe taucht jedoch die weitere Frage auf, ob in die Rechtsbildung nicht gewisse andere Gegebenheiten des menschlichen Seins hineinwirken und welche Bedeutung sie für das Recht besitzen. Es handelt sich dabei 1 Typisch dafür sind die Arbeiten τοπ Kelsen und in ihren Prämissen die Rechtsphilosophie Rudolf Stammlers. Wegen der Auseinandersetzung im einzelnen darf idi auf den Anhang I und II •erweisen. —Allgemein vgl. etwa E. K a u f m a n n s Kritik der neukantischen Rechtsphilosophie, 1921. * Vgl. Nie. Hartmann, Ontologie, p. 57 ff. ' Vgl. dazu die Erörterung bei V l e r k a n d t , GesellsAaftslehre, 2. Aufl., p. 19/20, audi D e l V e c c h l o , LehrbuA der Rechtsphilosophie, p. 3.
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Erstes Kapitel: III. Die Wissensdiaftsgeschichtliche Situation
um die schon im Vorwort gestreifte Frage, ob wir in der Rechtsschöpfung beliebig verfahren können oder auf gewisse vorgegebene Gesetzlichkeiten ethischer und sachlicher Art stoßen. Ihrer Klärung dient der zweite Teil der Arbeit; er hatte sich dabei mit dem ethischen Skeptizismus auseinanderzusetzen, der einen Teil dieser Gegebenheiten, nämlich die ethischen, seiner Existenz nach leugnet. A u s der so gewonnenen Einsicht zieht der dritte Teil gewisse Folgerungen für die Lehre vom positiven Recht und die Methode der Rechtswissenschaft. Die Schlußbemerkung nimmt noch einmal die Anfangsfrage auf, welchen Sinn wir dem Recht zumessen dürfen.
Erster Hauptteil Das Recht als Phänomen des sozialen Lebens ZWEITES KAPITEL SINNGEHALT UND ERSCHEINUNGSFORMEN DES RECHTS
I. Das Recht kann als Werk des Menschen nur aus menschlichen Zielsetzungen verstanden werden. Die Natur begreifen wir, indem wir ihre einzelnen Erscheinungen auf eine zureichende Ursache zurückführen; geistige Gebilde verstehen wir, indem wir ihren Sinngehalt begreifen. Zwischen jedem verursachenden Umstand und dem Inhalt einer geistigen Schöpfung steht ein schöpferisches Wirken des menschlichen Geistes; mag der Mensch noch so sehr sich in seinem Handeln und Schaffen von den Umständen bestimmen lassen: niemals führt eine einfache kausale Determination von objektiven Umständen zu einem bestimmten geistigen Werk; immer liegt eine menschliche Zielsetzung dazwischen1, die im Willen und Streben des Menschen begründet ist. Um die Besonderheit des Rechts als soziales Phänomen zu verstehen, muß man deshalb den typischen Zielsetzungen nachgehen, die der Mensch mit dem Recht verfolgt. Das Recht kann nur aus seinem typischen Sinngehalt verstanden werden2. Der allgemeine Charakter des Rechts wird dadurch bestimmt, daß 1 Das hat vor allem B e i g s o n in glänzender Form herausgearbeitet. Vgl. das erste Kapitel seiner „Evolution criatrice". * Mit diesem Ausgangspunkt setze ich midi in Gegensatz zur Lehre Stammlers und zu der sog. Reinen Rechtslehre, wie sie vor allem Kelsen vertritt, und die das Recht allein von seiner logisdien Form her erfassen will. Vgl. dazu Anhang I.
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Zweites Kapitel
es verbindliche O r d n u n g s o z i a l e r B e z i e h u n g e n innerhalb einer Gruppe von Menschen und durch diese Gruppe ist1. Für das Verständnis seiner Besonderheit ist es zunächst wichtig hervorzuheben, daß es mancherlei Arten von Ordnungen gibt, auch unter Menschen, auch wenn man also von der „Ordnung in der Natur", einer metaphysischen Ordnung der Dinge, einer Ordnung der ethischen Werte u. ä. absieht. Auch die Spielregeln eines sportlichen Wettkampfes, die Regeln eines Tanzes, die Aufstellung von Truppen für eine militärische Operation, von Menschenmassen für eine Demonstration, stellen eine Ordnung zwischen Menschen her. Gemeinsam ist allen Ordnungen, daß sie die relative Stellung der einzelnen Glieder der von ihr Ergriffenen zueinander festlegen. Das kann im Raum selbst geschehen, indem jeder seinen Platz zugewiesen erhält; in diesem Sinne sprechen wir etwa von Sitzordnung im Theater oder von der Ordnung eines Festzuges; es gibt aber auch nicht-räumliche Ordnungen wie die Spielregeln eines Wettkampfes. In jedem Falle ist die Ordnung als solche eine ideale; aber eine räumliche Ordnung stellt sich im Räume sinnlich dar, die unräumliche dagegen nicht. Die erstere ordnet die Dinge im Raum, die zweite Beziehungen, die selbst nicht räumlicher Natur sind. Die Rechtsordnung gehört zur zweiten Kategorie; sie ist ideale Ordnung, welche nicht-räumliche geistige Beziehungen, nämlich soziale Beziehungen, ordnet. Ontologisch gesehen gehört die Rechtsordnung also zum i d e a l e n S e i n , genau so wie etwa die Lehrsätze der Mathematik und der Logik2. Man darf die Rechtsordnung nicht mit den Vorstellungen verwechseln, welche die Menschen sich davon machen. Das Recht ist da, es besteht als soziale Ordnung, auch wenn in einem bestimmten Zeitpunkt niemand es denkt, genau so wie eine Sonate von Beethoven „da ist", auch wenn sie in einem bestimmten Momente niemand spielt8. 1 Dies wäre als eine logische Definition des Rechts — dazu D e l V e c c h l o , Rechtsphilosophie, p. 225 — oder als ein „empirischer Gattungsbegriff" — dazu P. L. L a n d s b e r g , Einführung in die philosophische Anthropologie, p. 15 — anzusehen; nicht als eine Wesensumschreibung, die erst aus dem Gehalt des Rechts gefunden werden muß. ' Vgl. zum Problem des idealen Seins im allgemeinen: N. H a r t m a n n , Ontologie, p. 1S5. 244. — Zum ontolog. Charakter des Rechts selbst näher unten p. J Vgl. dazu Η u s s e r 1, Rechtskraft und Rechtsgeltung, p. 6 ff. Eine Verkennung der Seinsqualität des Rechtes ist es auch, wenn man wie Isay, Rechtsnorm und Entscheidung, p. 29, das Recht mit der „Gesamtheit der Entscheidungen" gleichsetzt. Das ist es genau so wenig, wie eine Sonate gleich der Gesamtheit ihrer Aufführungen ist.
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Die Rechtsordnung trägt ferner den Charakter einer d a u e r n d e n Ordnung. Sie will die sozialen Beziehungen, die sie regelt, endgültig und „ein für allemal" regeln1. W a s rechtlich festgesetzt ist, soll unwandelbar sein; man soll sidi darauf verlassen können. Wir werden diesen Wesenszug noch genauer ins Auge zu fassen haben. Die Rechtsordnung wird endlich in der Regel eine a b s t r a k t e Ordnung sein; d. h. sie bezieht sich nicht auf einen bestimmten, in Raum und Zeit einmaligen Sachverhalt, sondern sie regelt in allgemeiner Form typische, unregelmäßig im sozialen Leben wiederkehrende Fälle. Das Kaufrecht des BGB bezieht sich nicht allein auf den Kauf eines Buches, den der Staatsanwalt X in der Y-Buchhandlung zu Ζ am soundsovielten vorgenommen hat, sondern auf Käufe schlechthin. Das gilt wenigstens von Gesetzen und Gewohnheitsrechtssätzen. Sie beziehen sich auf abstrakte, nicht auf konkrete Tatbestände. Das ist ein außerordentlich wesentlicher Zug. Die Rechtsordnung interessiert sich nicht für Individualitäten, sondern nur für das Typische, nicht für den Kaufmann Müller, sondern für den Kaufmann schlechthin, für den Bezieher eines Einkommens von 1551 bis 1750 Mark usw. Was sie im Auge hat, sind typische, wiederkehrende Beziehungen. Sie regelt zwar das soziale Leben, aber sie ergreift es nur in einer abstrakten, typischen Form. Freilich ist nicht alle rechtliche Ordnung in diesem Sinne abstrakt. Es gibt auch konkrete rechtliche Regelungen: so etwa wenn zwei Staaten einen Vertrag schließen, um eine zwischen ihnen schwebende Schadensersatzfrage oder Grenzfrage zu regeln. Dann haben wir eine rechtliche Ordnung vor uns, die nur eine individuelle soziale Beziehung regelt (diese allerdings dauernd). Das Recht ist schließlich eine Ordnung, die sich nicht aus den Dingen selbst ergibt2. Die Rechtsordnung gleicht weder den Ordnungen, die wir in der toten Natur vorfinden, etwa dem natürlichen System der Elemente oder der Anordnung der Kristalle, noch den Ordnungen, die wir im Geistigen, in der Welt der Werte, vorfinden, wenn wir etwa den Gegensatz zwischen Wahrhaftigkeit und Lüge, Zuverlässigkeit und Wortbruch, Schönheit und Häßlichkeit ins Auge fassen. Das Recht ist vielmehr eine Ordnung, die auf menschlichem » Vgl. dazu näher H u s s e r l , Welt und Redit, 122/23. * Wenn sie audi in ihnen bis zu gewissem Grade vorgebildet ist — dazu vgl. unten Kap. 5. 2 Coing, Rechtsphilosophie
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Willensentschluß und menschlicher Satzung beruht. Wir können feststellen, wann und wie es gesetzt wurde. Das Recht ist eine Befehlsordnung, deren Verbindlichkeit allerdings letztlich auf ihrer Übereinstimmung mit ethischen Normen beruht 1 . Als solche wendet sich das Recht an den menschlichen Willen. Es wird durch menschliche Willensentscheidungen vollzogen. Die Rechtsordnung stellt sich in der Wirklichkeit nicht automatisch her, wie ein Naturgesetz, sondern nur durch menschliche Entscheidungen, welche sie ausführen, anwenden und in der konkreten Wirklichkeit zur Geltung bringen. Insofern wir solche Sätze, die sich an den menschlichen Willen wenden, Normen nennen, besteht die Rechtsordnung aus Normen; insofern uns diese Normen als verpflichtendes Sollen entgegentreten, ist das Recht eine Sollensordnung 2 . Auf welchem Grunde die bindende Kraft der Rechtsordnung beruht, das wird uns später noch ausführlich beschäftigen 3 ; einstweilen können wir uns darauf beschränken festzustellen, daß die Rechtssatzung regelmäßig von anerkannten sozialen Autoritäten ausgeht und ihr Ansehen in geschichtlich frühen Zeiten vor allem auf der Autorität der Gruppe und ihrer Götter, auch auf magischen Vorstellungen, später in stärkerem Maße auf ethischen Vorstellungen und hochreligiösen Bindungen zu beruhen scheint. Durch seinen Charakter als Ordnung steht das Recht im Gegensatz zu allen Zuständen, die Unordnung und Willkür bedeuten, vor allem dem Krieg in seiner extremen Form des totalen Kampfes mit allen Mitteln und dem gewaltsamen inneren politischen Kampf, dem Bürgerkrieg und der Revolution. In solchen Situationen sagen sich die Menschen von allem los, was bindet; das Recht verliert seine Herrschaft und Zufall und Willkür, regellose Gewalt regieren. Darum kann die permanente Revolution eine soziale Lebensform sein; zur Rechtsordnung kann sie nicht werden. Fragen wir uns nach dem spezifischen Sinn und Anwendungsbereich der Rechtsordnung, so treten uns vor allem die folgenden Ziel1 Ε m g e spricht der Rechtsordnung qua Befehlsordnung den Charakter echten Sollens ab. Arch. {. Rechts- u. Wirtschaftsphilosophie, XVII, p. 552. Ich vermag diese Auffassung nicht zu teilen. Er selber begründet es mit einer Unterstellung; ebenda p. 549, 559. * Insofern sind die Feststellungen der Reinen Rechtslehre unanfechtbar; nur daß die Reine Rechtslehre dieses Sollen in Gegensatz zu einem (zu eng gefaßten) Seinsbegriff stellt. Vgl. dazu die kurze, aber treffende Klarstellung bei Η u s s e r 1, Rechtskraft usw., p. 41. * Vgl. unten Kap. 7, Das Problem der Rechtsgeltung.
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Setzungen entgegen: Sicherheit und Friede, Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit. Die Rechtsordnung ist Friedensordnung. Das zeigen uns vor allem ihre Anfänge. Der Friede und das Recht kommen gemeinsam; das Recht bringt den Frieden, und Herstellung des Friedens ist Voraussetzung für die Entfaltung des Rechtes. Überall, wo Recht sich entwickelt, löst es den gewaltsamen Kampf ab und setzt eine friedliche Lösung an seine Stelle. Rechtsverfahren tritt an Stelle von Selbsthilfe. In diesem Sinn kann man sagen, daß das Verbot der Eigenmacht der Beginn und die dauernde Grundlage der Rechtsordnung ist. Der Beginn der Rechtsentwicklung bei den Germanen, Römern und Griechen, aber auch bei den Arabern, ist die allmähliche Überwindung der Blutrache und Blutfehde. Sie wird zunächst an gewisse Formen gebunden 1 und dann durch S ü h n e v e r t r ä g e ersetzt, deren Abschluß schließlich erzwungen wird. Selbst das moderne Privatrecht, bei dem uns heute der Gedanke an gewaltsame Auseinandersetzungen so fern liegt, geht in seinen geschichtlichen Grundlagen zum Teil auf solche Sühneverträge zurück. Der geschichtliche Vorläufer des modernen Schadensersatzanspruches ist die Bußzahlung; die Buße aber wiederum ist ursprünglich Ablösung der Rache. Ein Hauptproblem der mittelalterlichen Rechtsentwicklung ist die Überwindung der Fehde 2 ; ihr dient die Landfriedensgesetzgebung und die Ausbildung des Besitzprozesses im kanonischen Recht. Es ist typisch, wenn das letztere erklärt, daß zurückgegeben werden muß, was durch Eigenmacht erlangt ist — ehe überhaupt die Rechtslage verhandelt wird. Mit dem „Ewigen Landfrieden" von 1495 setzt die Entwicklung des gemeinen Reichsrechtes in Deutschland ein. Die s t a a t s r e c h t l i c h e O r d n u n g des politischen Lebens setzt an die Stelle des gewaltsamen Kampfes um die Macht eine Friedensordnung, die die politische Auseinandersetzung an bestimmte friedliche Formen bindet. Oft ist sie das Ergebnis schließlicher Verständigung nach vorangegangener kriegerischer Auseinandersetzung gewesen. Die Ordnung der römischen Republik war das Ergebnis der Kämpfe zwischen Patriziat und Plebs. Das moderne demokratische Verfassungsrecht entstand aus den englischen Bürgerkriegen, in denen sich 1 Hierin sieht audi Η ο r ν a t h , ReAtssoziologie, p. 149 Anm. 2, den „Keim des Reditsgedankens". * Vgl. etwa T h i e m c : Friede und Recht im mittelalterlichen Reich, Leipzig 1945.
2*
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Krone und Bürgertum, Hochkirche und Freikirchen auseinandergesetzt hatten. Es ersetzt den Bürgerkrieg durch den rechtlich geordneten Wahlkampf. Die Geschichte der totalitären Staaten der Gegenwart lehrt, daß umgekehrt da, wo diese Verfassung verlassen wird, Verfolgung, Verschwörung und Revolution, also gewaltsamer Kampf um die Macht, nicht fern sind. Sie zeigt uns also die Entwicklung im umgekehrten Sinn. Die gleiche Tatsache zeigt die Geschichte des römischen Reiches; mit dem Ende der republikanischen Verfassung begann ein bewaffneter Kampf um die Macht, und da Augustus keine Staatsverfassung schuf, welche die Nachfolge regelte, begann dieser Kampf nach dem Tode des jeweiligen Prinzeps häufig neu. Dem modernen Beobachter wird die Verbindung von Friede und Recht vor allem am V ö l k e r r e c h t deutlich. Den Frieden zu schaffen und zu sichern, ist sein Kernproblem. Was das Völkerrecht bisher erreicht hatte — auch das ist durch die moderne politische Entwicklung bedroht —, war eine gewisse Formalisierung des Krieges: die Bindung an bestimmte Formen bei der Kriegserklärung, die Einhaltung gewisser Grenzen bei den kriegerischen Handlungen selbst, sowie gegenüber der Zivilbevölkerung. Worum immer wieder gerungen wurde, war die Bindung des Rechtes zum Kriege an bestimmte Gründe. Seit einer Generation etwa hat nun eine Phase begonnen, für welche der Kellog-Pakt charakteristisch ist. Der Krieg soll überhaupt überwunden und durch Rechtsverfahren ersetzt werden. Das erst wäre die Vollendung des Völkerrechts. Der Kampf um den Frieden und der Kampf um die Aufrichtung des Rechtes sind hier untrennbar verbunden. Aber auch das moderne A r b e i t s r e c h t zeigt uns ein ähnliches Bild. Es versucht, die Kämpfe zwischen Arbeiterschaft und Unternehmertum an gewisse Regeln zu binden (z. B. dadurch, daß nur bestimmte Streiks für rechtmäßig erklärt werden) und sie einzuschränken, indem es Tarifverträge begünstigt und evtl. Ausgleichsstellen für die streitenden Parteien zur Verfügung stellt. Der wirtschaftlidie Kampf durch Streik und Aussperrung soll nach Möglichkeit durch rechtliche Verfahren ersetzt werden. Rechtshilfe soll an die Stelle von Selbsthilfe treten. Das Ergebnis der geschichtlichen Betrachtung wird durch einen Blick auf den inneren Aufbau der Rechtsordnung bestätigt. Das Ziel des Rechtes ist die friedliche Schlichtung von Interessenkonflikten.
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Dies scharf gesehen zu haben, ist eines der Vorzüge des antiken römischen Rechts. Mit Recht ist von diesem Gesichtspunkt aus die Rechtstheorie der sog. Interessenjurisprudenz entwickelt worden1. Streit zu schlichten, ist die Grundaufgabe des Richters, das erste Ziel sowohl der allgemeinen Rechtsordnung wie häufig der Verträge. Hierdurch bestimmt sich der G e g e n s t a n d d e s R e c h t s , der Umkreis der sozialen Vorgänge, die vom Recht geordnet werden. Die Rechtsordnung greift da ein, wo ein Interessenkonflikt vorliegt, an dem die Gemeinschaft (Gruppe) Anteil nehmen muß, weil er zu einer Gefahr für den Frieden innerhalb der Gruppe werden kann, mag dieser Konflikt zwischen Einzelnen oder Gruppen bestehen. Wenn die U N Satzung ein völkerrechtliches Verfahren für alle Streitfälle vorsieht, „the continuance of which is likely t o e n d a n g e r t h e m a i n t e n a n c e o f i n t e r n a t i o n a l p e a c e a n d s e c u r i t y " , so findet darin ein charakteristisches Prinzip der Rechtsbildung seinen Ausdruck. Auf die gleiche Weise hat audi die Entwicklung der anderen Rechtsgebiete begonnen. Hierdurch grenzt sich das Gebiet des Rechts von dem des gesellschaftlichen Brauches und der gesellschaftlichen Sitte ab. Auch die Tatsache, daß der Rechtsforderung grundsätzlich genügt ist, wenn ihr durch ä u ß e r e s Verhalten gehorcht wird — im Gegensatz zur Moral —, hängt mit dieser Tatsache zusammen. Den öffentlichen Frieden bricht die Gewalttat, nicht die Gesinnung allein. Das zweite Ziel der Rechtsordnung ist S i c h e r h e i t . Die Sicherheit, die das Recht gewährt, ist in seiner U n v e r b r ü c h l i c h k e i t begründet. W a s rechtlich festgelegt ist, soll der Willkür entzogen sein; weder der, der das Recht setzt, noch der, an den es sidh wendet, darf es verletzen. Es soll dauern; man kann sich darauf verlassen. Man kann damit als einer festen Größe rechnen, die der Veränderung entzogen ist. Der Mensch kann sich darauf einrichten; er kann sein Leben im Schutze dieser Ordnung aufbauen 2 . W i r hatten die Tendenz des Rechtes zur Dauer schon hervorgehoben. Sie hat in Rechtsurkunden und Gesetzen selbst immer wieder ihren Ausdrude gefunden. Besonders deutlich ist die Sprache der mittelalterlichen Pri1
Vgl. etwa H e c k ;
112, p. 17.
Gesetzesauslegung und lnteressenjurisprudenz.
Ardb. f. d . ziv. Praxis
* Eine tiefgehende Untersuchung über das Vertrauen auf das Bestehende, auf die Kontinuität, als durchgehende Erscheinung im menschlichen Dasein, z. B . im Verhältnis zur Natur bei C . A . Emge, Sicherheit u. Gereditigkeit, p . 8 ff.
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vilegien; immer wieder wird hier betont, daß die Verleihung fest und sicher sein soll und von jedem zu beachten sei. So heißt es etwa in einer Privilegienbestätigung für Frankfurt „ . . . und haben darumb mit wolbedachtem Mute, gutem Rate und rechter Wissen in und yren Nachkommen die vorgeschriebenen Brieve, Gnade und Friheite . . . und alle andere yre Gnade, Rechte, Fryheite und Gewonheite, aide und nuwe, . . . gnadicleich vernewet, bestetigt und bevestet und in die auch von newes in Kraft diess Brieffs und Romischer kungleicher Machtvollkommenheyt und meynen Sätzen und wollen daß es fürbasz mere daby bliben, und der auch gebruchen und geniesen sollen und mögen, von aller meyncleich ungehindert. Und gebieten darumb allen und iglichen Fürsten, geistlichen und werntlichen, Graven, Fryen, Rittern, Knechten, Landrichtern, Richtern, Amptleuten, Bürgermeistern, Raten und Gemeynden und allen unsern und des Reiches Untertanen und Getruwen ernstlich und vesticleich mit diesem Brieff, das sy die vorgenanten Schöffen, Rate und Bürgere... zu Frankenfurt by den vorgenanten Gnaden und Fryheiten getrulich handhaben, sdiirmen und getrulich belieben lassen, by unseren und des Reiches Hulden" 1 . Aber auch im Vertragsrecht tritt dieser Zug hervor. Deutlich unterscheidet sich das Stadium unverbindlicher Vorverhandlungen und Besprechungen vom rechtlich bindenden Vertrag. Erst mit seinem Abschluß tritt die Bindung ein; nun liegen die Dinge fest; man weiß, was man zu tun und zu lassen hat, was man sicher vom anderen erwarten kann. Nun gibt es kein Zurück mehr; der Vertrag ist der Willkür der Parteien entzogen; man kann mit ihm rechnen. Das gleiche gilt vom verkündeten Rechtssatz; er bindet auch den rechtsetzenden Herrscher selbst. Mit Recht hat die moderne allgemeine Rechtslehre dieses Problem der Selbstbindung des Gesetzgebers immer wieder behandelt 2 . Im alten Recht ist diese Wirkung an die feierliche Form, an Gebärde und gesprochene Wortformel geknüpft; das formelle Wort bindet den Mann, wie es im Gebet die Gottheit bindet und im Zauberspruch übermenschliche Kräfte verpflichtet. Anrufung der Gottheit und Eidschwur können hinzutreten. Mitteis hat den altrömischen Formelvertrag der Sponsio damit in Verbindung gebracht, und nach 1 Aus der Frankfurter Privilegienbestätigung durch Sigismund 1414: Facta et Privilegia 1728, p. 256-58. ' Vgl. etwa Somlo, Jur. Grundlehre, p. 308.
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dem mittelalterlichen Recht war die beschworene Schuld von besonderer Wirkung. All das hängt mit der Unverbrüchlichkeit der eingegangenen Rechtsverpflichtung zusammen. Das gewöhnliche W o r t kann die gewaltige Bannwirkung nicht hervorrufen, wie sie die rechtliche Verpflichtung in sich trägt. Besonderer, sinnfälliger und erprobter Formen bedarf es, und die Götter selber wachen über die Sicherheit des gegebenen Wortes. Aber auch ausdrücklich heben Vertragsurkunden die unverbrüchliche Dauer des geschlossenen Vertrages hervor. In den alten ägyptischen (demotischen) Kaufverträgen heißt es: „Du hast gegeben; mein Herz ist mit dem Gelde zufrieden. Ich habe es Dir gegeben, Dir gehört es. Ich habe ihren (der Kaufsache) Preis in Silber von Dir empfangen, vollzählig ohne irgendeinen Rest. Mein Herz ist damit zufrieden. Ich habe dieserhalb kein Wort der Welt an Dich zu richten, noch soll es irgendein Mensch der Welt können. Dein ist es von dem heutigen Tage auf i m m e r w ä h r e n d e Z e i t e n und es steht weder mir noch jemandem andern außer Dir zu, von dem heutigen Tage fürderhin über die Sache zu schalten. W e r ihretwegen (der Kaufsache wegen) gegen Dich auftreten wird in meinem Namen oder in dem Namen irgend jemandes in der Welt, den entferne ich von Dir 1 ." Wenn auch die Formeln sich präzisieren und abschleifen, so finden sich doch in den Kaufurkunden der Römer und Griechen ebenso wie des Mittelalters die Grundgedanken dieses Formulars immer wieder. Der Käufer soll die Kaufsache für immer haben; niemand soll sie ihm streitig machen; weder der Verkäufer noch seine Erben werden ihn in seinem Besitz stören; auf ewig verzichten Sie auf die Sache2. Deutlich kommt in all diesen Klauseln zum Ausdruck, daß der Vertrag ewige und unverbrüchliche Wirkungen haben soll. Im modernen Geschäftsverkehr sind diese feierlichen Formeln verschwunden; übrigens nicht durchaus zum Vorteil des Rechts. Das moderne Recht entbehrt der Würde; es ist allzu billig geworden und spricht die Phantasie der Menschen nicht mehr an. Es entspricht nun einmal der menschlichen Natur — auch beim modernen Menschen —, daß feierliche Akte ihm größeren Eindruck machen, fester in seinem Gedächtnis haften als formloses alltägliches Geschäftsgebaren oder formlose Unterhaltungen. Form und 1 8
Vgl. Rabel. Haftung des Verkäufers, p. 38/39. Vgl. Rabel. I . e . p. 3 9 8 .
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W ü r d e sind geeignet, ihm die endgültige, bindende W i r k u n g des Rechtsaktes vor Augen zu führen und einzuprägen. Das Militär wußte, warum es an der Förmlichkeit des Fahneneides festhielt, obwohl die Rechtstheorie ihn für bedeutungslos für die Existenz des Soldatenverhältnisses erklärte. Darum sollte auch die Reditsordnung nicht leichthin auf Äußerlichkeiten verzichten, auf denen ein großer Teil seiner faktischen W i r k u n g und Geltung beruht. Im Stil der völkerrechtlichen Urkunden hat sich denn auch diese Feierlichkeit zum Teil noch erhalten. „S. M. der König von Preußen, . . . S. M. der König von Bayern usw. . . . schließen e i n e n e w i g e n B u n d zum Schutze des Bundesgebietes" lautete die Präambel zur Verfassung des Deutschen Kaiserreiches, die auf einem völkerrechtlichen Vertrag beruhte. Auch in den Verfassungsurkunden, in denen sich ein Volk sein Grundgesetz gibt, wird häufig die Unverbrüchlichkeit und ewige Dauer des Rechtes betont. Der hervorstechendste Z u g des sog. Naturrechts als des Rechtes κατ' έξοχη ν ist seine ewige Dauer im Wechsel der Zeiten. Unverjährbar und unveräußerlich nennt die französische Erklärung der Menschenund Bürgerrechte die Grundrechte des Menschen. In der modernen Rechtstheorie tritt dieser Wesenszug als Prinzip der R e c h t s s i c h e r h e i t hervor. Es wird von der Interessenjurisprudenz mit Recht auf die menschlichen „Kontinuitäts"- und „Stabilitätsinteressen" zurückgeführt, die sich jeder unkonsentierten Änderung bestehender Rechtspositionen entgegensetzen. Rechtssicherheit bedeutet, daß einmal begründete Rechte, Macht- und Besitzpositionen 1 unangefochten und unbeeinträchtigt bestehen bleiben, daß einmal gefällte Rechtsentscheidungen aufrechterhalten werden. Der Rechtssicherheit dienen alle Veranstaltungen, die der Klarstellung und Erhaltung bestehender Rechte dienen, wie etwa die Einrichtung der Grundbücher und der öffentlichen Register, das Erfordernis urkundlicher Festlegung u. ä., prozessuale Institutionen wie die Rechtskraft, privatrechtliche wie das Festhalten am Wortlaut einer einmal abgegebenen Rechtserklärung oder einem im Rechtsverkehr betätigten Verhalten. Auf der Sicherheit des Rechtes beruht zu großen Teilen seine wohltätige Wirkung. Immer strebt der Mensch danach, dauernde Ver1
Vgl. dazu M . W e b e r , Wirtschaft und Gesellschaft, 413.
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hältnisse und Einrichtungen zu schaffen, in deren Schutz er leben kann; er will seine Existenz dem dauernden Wechsel entreißen, sie in feste und geordnete Bahnen lenken und sich dem Ansturm des immer Neuen entziehen. Diese Gewißheit und Berechenbarkeit soll das Recht ihm bieten. Damit hängen zwei geschichtlich feststellbare Erscheinungen zusammen. Die erste ist die große Bedeutung von Zeitablauf und Tradition für die Festigkeit des Redites. W a s lange besteht, hat für den Menschen den Charakter des Vertrauten und Sicheren, also gerade dessen, was er im Rechte sucht1. Je länger ein Recht besteht, desto mehr wird es seiner Aufgabe, Rechtssicherheit zu geben, gerecht werden können, um so sicherer werden sich die Menschen in seinem Schutze fühlen. Junges Recht, das eben erst entstanden ist, ist sozusagen gar kein Recht; erst was Generationen besteht, wird wirklich als dauernde Ordnung empfunden2. Das hatte die historische Rechtsschule richtig erkannt. Ein Ausspruch von Thomas, einem Freunde Jacob Grimms, bringt insofern eine typische Juristenhaltung zum Ausdruck: „Ich neige jederzeit zum Erhalten und halte das Zerstören jedenfalls für eine Impietät, die durch Not entschuldigt, aber nie gerechtfertigt werden kann." Die Geschichte der großen Rechtsvölker zeigt einen traditionellen konservativen Zug. Die Römer haben ihr Recht aus den unscheinbaren Anfängen der Zwölftafelgesetzgebung entwickelt; die römischen Juristen legten ängstlichen Wert darauf, die Tradition nicht abreißen zu lassen; wenn irgend möglich, wurde das Neue mit alten Formen und Gedanken verknüpft. Es war im Grunde keine Täuschung, wenn der Spätzeit das alte Ius civile der Volksgesetze, das Ius honorarium der Prätoren und das Werk der klassischen Rechtswissenschaft als Einheit, als das Ius erschien. Es hing alles in sich traditionsmäßig zusammen. Nirgends war eine grundsätzliche Reform, die mit dem Alten aufräumte und völlig Neues an die Stelle setzte. Im Bereich des Staatsrechts bietet die Politik des Augustus mit ihrer fast ängstlichen Anknüpfung an das Hergebrachte eine Parallele. Erst die hellenisch beeinflußte Spätzeit beginnt mit dem rechtlichen Experimentieren. 1 Georg Jellinek hat aus dieser Tatsache in seiner Theorie von der normativen Kraft des Faktischen das Recht überhaupt ableiten wollen. V g l . Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., p. 337—39. 1 V g l . Riezler: Rechtsgefühl, p. 127.
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Das gleiche Bild bietet die englische Geschichte. Der moderne Parlamentarismus Englands wuchs aus dem mittelalterlichen Ständestaat hervor; das englische Common Law geht in ununterbrochener Rechtsbildung auf das Mittelalter zurück. Die Rezeption des römischen Rechts wurde abgewehrt. Audi hier hat man am Gebäude des Rechts wohl an- und neugebaut. Aber nie wurde ein völliger Neubau aufgeführt. Das scheint sich auch auf die amerikanischen Juristen übertragen zu haben. Sie haben das Common Law rezipiert; selbst in den früher spanischen und französischen Staaten, mit Ausnahme des Privatrechts in Louisiana, ist es angenommen worden, und auch die amerikanische Verfassung steht schon über fünf Generationen in Kraft. In Deutschland haben nur die Generationen vor der französischen Revolutionszeit in mancher Hinsicht eine solche Rechtsverfassung gekannt. Das war das „gute alte Recht", das die württembergischen Stände aus einem richtigen Gefühl für Rechtskontinuität so hartnäckig gegen die Versuche der Krone verteidigten, eine neue Ordnung ohne Beachtung der alten, sozusagen aus dem Nichts, aus eigener Machtvollkommenheit zu schaffen. Das war es, was der Freiherr vom Stein den reformeifrigen Rheinbundfürsten entgegenhielt. Seitdem entbehren wir der Wohltat lang dauernder Institutionen. Welche Umwälzungen haben seit der Französischen Revolution stattgefunden! Man denke an den Reichsdeputationshauptschluß mit seiner Neuverteilung von Land und Macht, an die Auflösung der feudalen Gesellschaftsordnung, an die Umwälzungen im Gefolge der Industriewirtschaft, an das Unrecht von 1866, den ersten Weltkrieg und den Sturz der Monarchien, den Nationalsozialismus, den zweiten Weltkrieg und das Besatzungsrecht. Dazu kommt die ständig wachsende Aktivität des modernen Verwaltungsstaates, der fast ununterbrochen reformiert, eingreift, verändert und umformt. Das ist kein Klima, in dem Recht und Rechtssicherheit gedeihen können. Denn das ist die zweite geschichtliche Erfahrung. Häufige Änderungen — mögen es wohl begründete und materiell gerechtfertigte Reformen oder mögen es gewaltsame Umstürze sein, die in das Recht eingreifen — sind der Rechtsentwicklung ungünstig. Sie lassen jenes Gefühl der Geborgenheit und des Zutrauens nicht aufkommen, das die Rechtssicherheit ausmacht. W o begründete Rechte immer wieder
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dem Eingreifen einer — noch so wohlberatenen — Gesetzgebung ausgesetzt sind, können sich diese Empfindungen weder bilden noch Bestand haben. Das war das Schicksal der altgriechischen Stadtstaaten in ihrer späteren Entwicklung; sie kannten keine Rechtssicherheit mehr. Darum gibt es auch im kontinentalen Europa seit der Französischen Revolution nur noch kurze Epochen der Rechtssicherheit; darum fehlt den kontinentalen Völkern im Gegensatz zu den Angelsachsen das Gefühl der Rechtssicherheit und ist es so schwer, unter ihnen einen Rechtsstaat wirklich zu begründen. Hierin liegt auch die Antagonie von Recht und Verwaltung zum Teil begründet 1 . Die Verwaltung will mit der Zeit gehen; sie will verändern, sich neuen Situationen schnell anpassen. Sie ist beweglich, ungebunden und von Zweckmäßigkeitsideen beherrscht. Überkommene Rechte werden ihr leicht eine lästige Schranke. Sie ist fortschrittlich, das Recht konservativ. Darum geht überall da, wo die Verwaltung, der Verwaltungsstaat und das verwaltungsmäßige Denken vordringt, das Recht zurück. Der moderne Staat bietet dafür überall bedenkliche Beispiele, auch in England und Amerika. Es ist bezeichnend, wenn Roscoe Pound klagt: „Wir gelangten bald zu einer Rechtswaltung durch Ausschüsse mit ungenau bestimmten Befugnissen, unbegrenzt in ihrem freien Ermessen und allzu wenig durch gerichtlichen Einspruch gehemmt 2 ." Andererseits liegt in dem Traditionalismus naturgemäß auch die Gefahr der Erstarrung. Weil das Recht darauf gerichtet ist, im Wechsel zu beharren und das Bestehende zu konservieren, ist es stets in Gefahr, dem sich wandelnden Leben gegenüber schnell zu veralten und ungerecht zu werden. Die Kunst der großen Rechtsvölker hat denn auch nicht darin bestanden, ihr Recht starr zu bewahren, sondern es ohne Bruch fortzuentwickeln und den sich vollziehenden Änderungen durch vorsichtige Erweiterung und Reform im einzelnen gerecht zu werden, veraltete Formen und Institutionen abzustoßen oder umzuformen und neue zu entwickeln. Geschieht das nicht, so tritt jener Zustand ein, daß Gesetz und Rechte sich wie eine ewige Plage forterben und das überkommene Recht nur noch als Last und sinnlos gewordene 1 Mit Recht bezeichnet Husserl nur das richterliche Urteil, nicht den Verwaltungsakt als Rechtsverwirklidiung; letzterer bewegt sich nur innerhalb der Rechtsordnung. Vgl. Recht u. Welt, p. 149. * Geist des Gemeinen Rechts, p. 9, Dt. Ausgabe 1947.
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Tradition empfunden wird, wie es in Frankreich im 18. Jahrhundert der Fall war 1 . Dazu kommt etwas anderes. Das Recht lehnt sich an eine soziale Autorität an; es bedarf, um vollkommen zu sein, der ihm dienenden Macht. D a aber das Recht andererseits der Sicherheit des Bestehenden dient, kehrt sich leicht das Verhältnis von Macht und Recht um: nicht die Macht dient dem Recht, sondern das Recht konserviert einmal bestehende Machtverhältnisse. Ordnung, Friede und Sicherheit machen nicht nur Wesenszüge des Rechts aus; sie können audi im Interesse arrivierter Machthaber liegen. Das Recht leistet der Macht zunächst den Dienst, daß es eine klare und feste O r g a n i s a t i o n schafft. Aber auch als inneren Frieden und Sicherheit garantierende Ordnung kann das Recht ein Instrument der Machtbehauptung sein2 und ist es in der Geschichte vielfach gewesen3. Franz Oppenheimer hat die Entstehung der staatlichen Rechtsordnung überhaupt auf die Konservierung eroberter Klassenherrschaft zurückgeführt 4 . Das ist in dieser Allgemeinheit wohl übertrieben5. Aber es stimmt für viele geschichtliche Vorgänge, und die Gefahr, daß die Rechtsordnung zum Instrument der Mächtigen wird, das Recht nur sanktioniert, was die Mächtigen wünschen, besteht immer. Keine Rechtsordnung ist von dieser Gefahr befreit und rein. Dabei ist nicht an Willküransprüche unter dem Druck der Macht zu denken, obwohl auch sie in der Geschichte des Rechts wohl häufiger sind als die Juristen gerne zugeben möchten, sondern daran, daß schon bei der Rechtsbildung die Machtinteressen sich durchsetzen. — Es ist daher begreiflich, daß die Rechtstheorie immer wieder — und besonders die scharfsichtige moderne Rechtstheorie® — das Recht einfach als Ausdrud< von Machtverhältnissen, als Niederschlag von Machtentscheidungen aufgefaßt hat und sich damit begnügt hat, diese hinzunehmen. Aber gerade in dem Widerspruch, den diese Auffas1 Vgl. dazu die ausgezeichnete Schilderung bei T o c q u e v i l l e : L'ancien rigirae et Ia Revolution, die vor allem deutlich werden läßt, wie die alten Vorrechte des Adels ihren Sinn verlieren, weil er keine politischen Funktionen mehr hat. ! Dazu S p r a n g e r , Lebensformen 2, p. 79. * Karl Marx hat im Reiht nur den Ausdruck der Klassenherrschaft gesehen. 4 System der Soziologie II, 239 ff. ' Vgl. die Kritik bei Vierkandt, Gesellschaftslehre 2, p. 471. ' So der Positivismus in seinen verschiedenen Formen, audi die Interessenjurisprudenz, auch die reine Reditslehre.
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sungen immer wieder gefunden haben, ebenso wie in dem Widerspruch, welchem die Erstarrung und Machtverfestigung im Recht immer begegnet ist, zeigt sich, daß der Mensch vom Recht noch etwas anderes, noch mehr erwartet, als nur Ordnung und Sicherheit — mögen sie inhaltlich beschaffen sein, wie immer sie wollen1. Mag dem Staate, wie Goethe es klassisch formuliert hat, nur daran liegen, daß der Besitz gewiß und sicher sei, die Menschen haben stets danach gefragt, ob mit Recht besessen werde. Darin zeigen sich nun die weiteren Tendenzen, von denen wir zu Anfang gesprochen haben: die Tendenz zur Verwirklichung sittlicher Werte. Obenan steht hier die Gerechtigkeit2. Daß Recht und Gerechtigkeit verbunden sind, zeigen schon die sehr alten Vorstellungen, die das Recht mit der Gottheit in Verbindung bringen. Wenn die Griechen die Göttinnen Themis und Dike verehren, so zeigt sich darin nicht nur der geweihte, sondern auch der sittliche Charakter des Rechts. Noch stärker ist die Versittlichung des Rechtes bei den Juden vorangeschritten. Nur deshalb kann Gott ihnen als Hüter des Rechts erscheinen und der Psalmist ausrufen: „Der Herr ist gerecht und hat Gerechtigkeit lieb" (11. Psalm, Vers 7), ein Wort, das Jahrtausende später der Sachsenspiegier wieder in die Einleitung zu seinem Rechtsbuch gesetzt hat. Aber auch aus anderen Kulturkreisen tritt uns die Vorstellung entgegen, daß die Gottheit Setzung des Rechts um der Gerechtigkeit willen verlangt. „Auf Befehl des Schamach, des großen Richters Himmels und der Erde, möge meine Gesetzgebung im Lande erstrahlen" heißt es im Vorspruch zum Codex Hamurapi. — Auch das Ethos des Richters, der das Recht handhabt und verwirklicht, erscheint von jeher mit der Gerechtigkeit verbunden. Die Beispiele wären zahllos. „Equal Iustice under law" steht am Gebäude des amerikanischen Supreme Court; der Richter im Athen der klassischen Zeit leistete seinen Eid dahin, daß er richten wolle nach den Gesetzen 1 Es gibt freilich in jedem Recht Materien, in denen nur der Ordnungsgedanke eine Rolle spielt: z. B. Verkehrsregelung, aber auch Altersgrenzen usw. Vgl. dazu C . S c h m i t t , Gesetz und Urteil, p . 49. Hier hat das „bloße Entschiedensein" Bedeutung, das „wie" ist gleichgültig. 1 Übrigens sollte man den Gegensatz von Gerechtigkeit und Rechtssicherheit nicht überspannen. In der Gerechtigkeit selbst liegt ein Zug des Berechenbaren, daher Sicheren. Vgl. unten p. 112. Ε m g e , Sicherheit und Gerechtigkeit, will beide aui eine Wurzel zurückführen: die Forderung des gesetzmäßigen Verhaltens. Das gelingt aber nur, weil er einen formalen Begriff der Gerechtigkeit zugrunde legt.
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des Volkes von Athen und gerechtester Überzeugung 1 . Feuerbach sagt in seiner Ansbacher Ansprache: „Der Ungehorsam ist dem Richter eine heilige Pflicht, wo der Gehorsam Treubruch sein würde, gegen die Gerechtigkeit, in deren Dienst er allein gegeben ist." Schon diese Tatsache sollte skeptisch machen gegenüber der Behauptung, daß die Rechtsbildung nur als Verfestigung von Klasseninteressen erfolge. Aber dagegen spricht auch die genauere Betrachtung der Rechtsgeschichte. Überall sehen wir hier a u c h sittliche Motive mit am Werk. Wenn die Prätoren eine Reihe von sorgfältig ausgearbeiteten neuen Klagetypen zur Verfügung stellten, wenn die römischen Juristen der klassischen Zeit die Konsequenzen der bona fides oder des DolusVerbotes im einzelnen entwickelten, so stand dahinter der Wunsch nach einer sachgerechten Entscheidung des Einzelfalles. Wenn man der Entwicklung des modernen Zivilrechts in einem beliebigen Kulturlande in Einzelfragen nachgeht, was findet man anderes als den immer erneuten Versuch, für immer neue und immer etwas anders gelagerte Fälle eine billige Entscheidung zu finden? Man nehme etwa die Entwicklung der deutschen Rechtsprechung, die sich an den Gedanken des Rechtsscheins anlehnt, z. B. hinsichtlich des Aussdilusses der Anfechtung bei der Gesellschaftsgründung, und man wird als Motiv kaum etwas anderes finden als eben das Interesse an einer sachgemäßen, billigen Lösung des Einzelfalles. Es wäre eine lohnende Aufgabe, zu studieren, in welcher Hinsicht die moderne Rechtsprechung in den Ländern des Kontinents Rechtssätze in Abweichung von oder in Ergänzung zu den Gesetzen gebildet hat: ich glaube, man würde überall das gleiche Motiv feststellen können. — In der Entwicklung des Rechts spielen also nicht nur Machtbegründung und Machtumwälzung eine Rolle. Hier urteilen viele nur zu sehr aus der Betrachtung des eigentlich politischen Rechts. In der Fortbildung des Rechts sind mindestens ebenso sehr sittliche Motive wirksam gewesen. In der Entwicklung des römischen Vertragsrechts hat sich nach dem treffenden Ausdruck eines führenden deutschen Romanisten der Gedanke der bona fides als schöpferische Kraft erwiesen2. Von 1
Vgl. L i ρ s i u s , Das Attische Recht und ReAtsveriahren I, 152. * Vgl. K u n k e l , Festgabe für Paul Kosdiai&er I.
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diesen Gedanken aus und von dem Dolus- (Arglist-) Verbot her ist das römische Vertragsrecht im Laufe der Zeit auf völlig neue Grundlagen gestellt worden. Die mittelalterliche und neuzeitliche Jurisprudenz hat diese Gedanken weitergeführt; überall im modernen Privatrecht finden wir ihre Spuren. Neben Gerechtigkeit und Billigkeit treten hier also weitere sittliche Vorstellungen auf den Plan: Treue und Redlichkeit. Ein großer Teil der Arbeit der modernen zivilistischen Wissenschaft besteht geradezu darin, festzulegen, welche Pflichten sich im Rahmen der Gesetze im Einzelfall aus diesen Grundwerten des Privatrechts ergeben. Betritt man den Bezirk des öffentlichen Rechts, so zeigen sich auch hier sittliche Kräfte am A u f b a u der Rechtsordnung beteiligt. D a s Prozeßrecht ist, je mehr es sich entwickelt hat, unter dem Einfluß sittlicher Motive ausgestaltet. Unabhängigkeit und Gerechtigkeit des Richters sind seine Grundlagen. Ebenso steht es mit dem Straf- und Verwaltungsrecht. Hier tritt uns vor allem der sittliche Gedanke der Achtung vor der Persönlichkeit entgegen. Er ist dem Rechte auch sonst nicht fremd. Schon im altnordischen Recht begegnet im Zusammenhang mit dem Rechtsfrieden die „Mannheiligkeit", die Unantastbarkeit des im Redhitsfrieden Stehenden 1 . Ist damit noch die einfache Achtung des Lebens des Rechtsgenossen gemeint, so ist die Geschichte des öffentlichen Rechts durchzogen vom Kampfe um die F r e i h e i t . W o zum erstenmal der Gedanke einer rechtlichen Beschränkung der Staatsgewalt auftaucht, in den Stadtstaaten Griechenlands, da geschieht das, weil man der W i l l k ü r entgegentreten und das gerechte Gesetz, den νόμος, an die Stelle setzen will. Der Gedanke der Gerechtigkeit — als Widerspiel der Willkür — ist hier von A n f a n g an mit dem sittlichen Gedanken der persönlichen und politischen Freiheit verbunden. In der Verfassung der römischen Republik sind die gleichen Motive wirksam, und die römische Oberschicht hat den Verlust der libertas niemals ganz verwunden. D a s gleiche Bild zeigt die moderne Entwicklung des öffentlichen Rechts. A m Anfange dieser Entwicklung steht die Erklärung der Menschenrechte. F r e i h e i t und G l e i c h h e i t werden für alle Menschen gefordert. „ W e hold these truths to be self-evident, that all 1 Vgl. dazu etwa J. Grimm, Vorrede zu Thomas' Oberhof; S c h r ö d e r , Deutsche Reditsgesdiichte, 3. Aufl., p. 76.
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men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness 1 ." Auf der Grundlage dieser Ideen hat sich die gesamte rechtliche Entwicklung des modernen Staates in Verfassungsund Verwaltungsrecht vollzogen. Auf ihnen beruht die Demokratie; auf ihnen beruht der Rechtsstaat. Das gesamte Verwaltungsrecht steht im Zeichen der Freiheitsidee und des Gedankens der Achtung vor der Person des Bürgers. Die großartige Rechtsprechung des französischen Conseil d'Etat ist von dem Bestreben beherrscht, die Grenzlinie zwischen den Interessen einer wirksamen, zweckmäßigen Verwaltung und persönlicher Freiheit immer wieder und immer genauer zu ziehen. Im angloamerikanischen Rechtskreis hat das gleiche Streben an mittelalterliche Institutionen angeknüpft; tatsächlich lebt in vielen Privilegien und Freiheiten des Mittelalters der gleiche Freiheitsgedanke. Heinrich Mitteis hat gezeigt, wie im Lehnrecht der Treuegedanke willkürbegrenzend und rechtsschöpferisch gewirkt hat 2 . — Endlich ist auch das moderne Arbeitsrecht nicht nur klassenkämpferisch erstritten, obwohl diese Komponente gewiß nicht übersehen werden darf, sondern auch unter dem Zwang der inneren Gerechtigkeit der Sache der Arbeiterschaft geschaffen worden. Im Strafrecht spielt von alters her der Gedanke der gerechten Sühne, des Einstandes von Schuld und Strafe, eine entscheidende Rolle. Gewiß haben sich alle diese Entwicklungen nicht in einem luftleeren Raum und nicht ohne Beteiligung gesellschaftlich-politischer Kräfte vollzogen. Sicher waren es häufig bestimmte Schichten, die diese sittlichen Ideen, etwa die der Freiheit, durchsetzten und gewiß haben sie, indem sie dafür kämpften, zugleich a u c h materielle Interessen verteidigt 3 . Trotzdem wäre die Rechtsgeschichte, wären die Tausende von Rechtsentscheidungen im einzelnen ebenso wie die Reformen im großen ohne die Mitwirkung jener sittlichen Motive unbegreiflich. Dabei haben wir in unserem Überblick nur einige sittliche Leitmotive der Rechtsbildung hervorheben können. Welch ein Kosmos sittlicher Vorstellungen am Aufbau einer Rechtsordnung beteiligt ist, kann erst Declaration of Independence. Vgl. Lehnrecht und Staatsgewalt, p. 14, p. 43ff. Aber nicht a l l e i n . Das zu behaupten, ist der Fehler mandier Vertreter der lnteressenjurisprudenz. Dafür typisch Ehrlich, der die allgemeinen Rechtsgrundsätze schlechthin als sozialpolitische Forderungen von Klassen, Ständen usw. bezeichnet. Arch. f. d. ziv. Praxis 115, 360. — Hier liegt eine monistische Betrachtungsweise vor. 1
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die Analyse eines Einzelrechtes zeigen, wie sie etwa Fritz Schulz für das römische Recht in klassischer Weise durchgeführt hat 1 . In der Rechtsbildung erweisen sich also sehr verschiedene Faktoren als wirksam. Gerichtet auf Entscheidung friedensgefährdender Konflikte, ist die Rechtsordnung unter dem Einfluß sehr heterogener Motive gebildet: Sicherheitsstreben, Machtverfestigung und sittliche Motive wie Gerechtigkeit, Treue und Freiheit wirken kaum entwirrbar in der Bildung des Rechtes nebeneinander und ineinander. Es ist daher verständlich, daß das Recht dem philosophischen Betrachter in seiner Motivierung als etwas Schillerndes und Schwankendes erscheint2, als ein komplexes, nicht aus einer Grundtendenz des Menschen allein zu verstehendes Gebilde, und es ist kein Wunder, daß sich, im Laufe der Geistesentwicklung so verschiedene Grundauffassungen über das Recht haben bilden können. Die meisten dieser Theorien, soweit sie sich überhaupt mit dem I n h a l t der Rechtsordnung befassen, heben einseitig ein bestimmtes Moment hervor, das an und für sich für das Verständnis des Rechtes wesentlich ist, nur nicht einseitig betont werden darf. Es zeigt sich in dieser Erscheinung der auch sonst in der Interpretation geistiger Gebilde hervortretende Zug des menschlichen Geistes zum Monismus, zu einheitlicher Ableitung und Erklärung, der so häufig das menschliche Denken in die Irre führt. Eine Gruppe von Theorien hat vor allem den Macht- und Ordnungsgedanken betont; das Recht ist ihnen in erster Linie verfestigte und ordnende Macht. Hierher gehören die Lehren der Sophisten ebenso wie die der Theoretiker des absoluten Herrschertums, z. B. Hobbes 8 oder Donoso Cortez 4 oder die soziologischen Auffassungen von Karl Marx oder Fr. Oppenheimer, aber auch die christliche Rechtslehre, soweit sie von der Notwendigkeit der Rechtsordnung im Sündenstand ausgeht, d. h. vor allem im Luthertum 5 . Eine andere stellt den Sicherheitsgedanken zusammen mit der durch ihn geschützten Idee der Freiheit in den Vordergrund. Diesen Gedanken läßt schon Piaton in seiner Politeia in den Mittelpunkt stellen: das Recht sei im Grunde ein 1 Fr. S c h u l z , Prinzipien des römisdien Redits. * Vgl. S p r a n g e r , Lebensformen 2, p. 331 ff. ' Vgl. dazu die kurze, aber treffende Schilderung bei D e l V e c c h i o , p. 8 0 - 8 3 . 4 Vgl. dazu C a r l S c h m i t t , Politische Theologie, 2. Aufl., 4. Kap. ' Dazu Τ r ο e 11 s c h , Histor. Zeits&r. 106, 251 u. 256.
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Sicherheitsvertrag1. Das gleiche geschieht dann vor allem bei den Naturrechtslehrern der Aufklärungszeit. Bei ihnen dient der Sozialvertrag, der die Rechtsordnung begründet, vor allem der Sicherung von Freiheit und Eigentum 2 . Audi Kant betont diesen Zug, wenn er das Recht auffaßt als den „Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann" 3 . Der Gedanke der Gerechtigkeit endlich tritt bei Plato und Aristoteles, bei Cicero und dann vor allem in der christlichen Naturrechtslehre, z. T. auch der der Reformatoren, in den Vordergrund. In Wahrheit gehören a l l e diese Züge in ein Wesensbild 4 des Rechts. Das Recht ist seinem Gegenstand nach die Friedensordnung einer bestimmten Gruppe; es entscheidet soziale Interessenkonflikte; seinen Zielen nach ist es sowohl an der Herstellung von Sicherheit für einmal geschaffene Verhältnisse wie an den sittlichen Zielen der Gerechtigkeit, Redlichkeit und Freiheit orientiert. In einem voll entwickelten Recht klingt das alles zusammen zu einem vollen, lebensvollen Akkord. Das Recht ist nicht nur Machtordnung, aber es ist auch nicht reine Gerechtigkeit: die Idee der Gerechtigkeit wirkt hier nicht frei wie in einer sittlichen Persönlichkeit, sondern eingebunden in den Körper einer Friedensordnung, die mit zahllosen materiellen, höchst irdischen Interessen verknüpft ist und die ihr eigenes Wesen und Schwergewicht besitzt. Vergleicht man verschiedene geschichtliche Rechtsordnungen, so kann man feststellen, daß bestimmte Wesenszüge des Rechts in einzelnen Rechten besonders hervortreten. Man könnte danach eine Reihe von Typen aufstellen, an deren einem Ende Rechtsordnungen stehen würden, die sich im wesentlichen darauf beschränken, gewisse formale Spielregeln für den Austrag sozialer Konflikte festzulegen, während am andern Ende ein am materiellen Gerechtigkeitsgedanken orientiertes Recht stehen würde. Ein Beispiel für das erste würden etwa die rechtlichen Zustände bilden, wie sie uns die Isländersagas schildern5, ein Beispiel für das letztere das Zivilrecht der westeuropäischen 1 Politeia II, 358/59. * Vgl. etwa Pufendorf, De officio Hominis ac civis I 6—8, II. 6 ff. 3 Metaphysische Anfangsgründe d. Rechtslehre, Königsberg 1794, Einl. p. X X X I I I . 4 Die folgenden Abschnitte bringen im Gegensatz zu der Ausgangsdefinition p. 16 eine Wesensumsdireibung des Rechts.
• V g l . dazu A . Heusler, Das Strafrecht der Isländersagas.
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Staaten. Dazwischen würden Friedensordnungen, wie die mittelalterlichen Landfrieden, ja das mittelalterliche Recht überhaupt 1 , stehen, die in erster Linie an Friede und Sicherheit orientiert sind 2 . Aber auch wenn man einen Querschnitt durch ein bestimmtes Recht legt, kann man feststellen, daß die einzelnen Rechtsgebiete sehr verschiedenen Typen zuzuordnen wären. So ist etwa im modernen Recht das bürgerliche Recht in erster Linie an Sicherheit und Gerechtigkeit (Billigkeit) orientiert, während das Staatsrecht einer modernen Demokratie eher eine politische Friedensordnung ist, die bestimmte Spielregeln für einen friedlichen Kampf um die Macht im Staate festlegt. Auch das derzeitige deutsche Arbeitsrecht (nach Beseitigung der verbindlichen Schiedssprüche), soweit es nicht Einzelvertragsrecht ist, beschränkt sich auf die Festlegung gewisser Regeln für den Austrag der Arbeitskämpfe (Regelung des Streikrechts u. ä.). Im Strafrecht tritt der Gegensatz von Ordnungs- und Gerechtigkeitsgedanke in der Unterscheidung von Ordnungs- (Verwaltungs-) und Justizstrafrecht hervor 3 . Das völkerrechtliche Kriegsrecht war bis zum ersten Weltkrieg ebenfalls nur ein „Spielregel"-Recht; es hat sich inzwischen zur Friedensordnung entwickelt. Dagegen hat es Regeln von materiellem Gerechtigkeitsgehalt erst in geringem Umfang entwickelt; eine solche könnte man etwa in dem Nationalitätenprinzip oder in der AtlantikCharter sehen, insofern hier ein Maßstab dafür geschaffen ist, was den einzelnen Völkern zukommt 4 . Die einzelnen an der Rechtsbildung beteiligten Tendenzen können im Gegensatz zueinander stehen. So geht etwa im Besitzprozeß das Friedensinteresse dem an der materiellen Gerechtigkeit vor; das gleiche gilt bei der prozessualen Rechtskraft im Verhältnis von Sicherheit und Gerechtigkeit. Daraus entsteht die Frage nach einer H i e r a r c h i e 1 Vgl. Fehr, Deutsche Rechtsgeschichte, 4. Aufl., p. 142. * Diese Aufreihung nach Typen, die nach der jeweils vorherrschenden i n n e r e n Tendenz einer Rechtsordnung gebildet sind, ist zu unterscheiden von einer anderen, die sich nach dem Grade der p r a k t i s c h e n W i r k s a m k e i t bilden läßt. Hierbei würde eine durch Zwang gesicherte Rechtsordnung (wie etwa das moderne private Vertragsrecht, soweit Sachleistungen in Frage stehen) am einen, eine Rechtsordnung, die ohne gesicherten Rechtsschutz dasteht und deshalb mehr als ideale Ordnung wirkt (wie das Völkerrecht), am anderen Ende der Reihe stehen. » Neuerdings audi im Wirtschaftsrecht, dazu E. S c h m i d t , S J Z 48, 225 fi. ' Daher ist es bei Diskussionen über das Recht nicht unwesentlich zu wissen, welches Rechtsgebiet — Privatrecht oder Staatsrecht z. B. — jeder vor Augen hat; häufig erklären sich daraus die sehr verschiedenen Positionen.
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zwischen den verschiedenen im Recht wirksamen Tendenzen. Eine solche Rangfolge läßt sich, wenn man die einzelnen verfolgten Ziele isoliert nebeneinander stellt, nach den uns gegebenen Vorzugsgefühlen verhältnismäßig leicht bilden. Es scheint in abstracto evident, daß eine Friedensordnung höher zu werten ist als bloße Spielregeln für den Kampf, Sicherheit wiederum höher als bloßer Nicht-Kampf, Gerechtigkeit schließlich höher als sie alle. Trotzdem zeigt die Betrachtung der Rechtswirklidikeit, daß sich alle jene Tendenzen im lebendigen Recht nebeneinander behaupten. Es ist zwar so, daß die Gerechtigkeit als sittliches Motiv in die Rechtsordnung eingehen und diese organisieren kann; aber die Rechtsordnung behält dabei doch ihren höchst irdischen Charakter als Friedens- und Interessenordnung. Die Gerechtigkeit verwirklicht sich hier eben i η einer solchen Friedens- und Machtordnung, d. h. diese läßt sich wohl bis zu gewissem Grade von der Gerechtigkeit umformen, aber sie bewahrt doch ihr eigenes Gepräge 1 . Bildlich gesprochen: die sittlichen Motive leben gewissermaßen in dem Körper der Friedensordnung: sie formen und gestalten ihn wie ein lebendiger Geist, aber nicht ohne Widerstand zu finden und nicht ohne an die Begrenztheit dieses Körpers gebunden zu sein2. Am besten verdeutlicht sich das Verhältnis vielleicht, wenn man auch hier den Gedanken der S c h i c h t u n g verwendet. Die Friedensordnung, die Sicherheit bietende Machtordnung sind die unteren Schichten, denen die „Gerechtigkeits"-Schicht auflagert, die unteren formend und doch zugleich an sie gebunden. Trotz des Wertvorzuges der Gerechtigkeit besteht also auch eine Abhängigkeit, die sozusagen von unten nadi oben geht. Im Recht regiert der Geist nicht im freien, leichten Raum der Gedanken. Metaphysisch-theologisch zeigt sich hier die Erdenschwere und Erdgebundenheit allen Rechtes: es reicht wohl in das Reich des Idealen hinein, aber es ist zugleich der irdischen Wirklichkeit des Menschen fest und unabtrennbar verhaftet, seiner Welt unlösbar verbunden 3 . 1
Zu dem ähnlichen Verhältnis von Sittlichkeit und Gesellschaftsmoral vgl. S c h e 1 e r , Formalismus in der Ethik, p. 179—181. * Das zeigt sich auch in der Bindung an die logische Struktur des Rechtes. Vgl. dazu den folgenden Abschnitt. ' Wo das Ubersehen wird, wo man versucht, das Recht ohne Rücksicht auf die Welt, in der es funktioniert, an einer abstrakten Gerechtigkeitsidee zu orientieren — wo man sozusagen einige Schichten überspringen will —, wird leicht das Gegenteil eintreten: es werden im Effekt Ungerechtigkeiten entstehen. Die sog. Kxiegsverbrecherprozesse nach dem letzten Krieg sind dafür m. Ε. ζ. T. ein Beispiel.
II. Erscheinungsformen des Rechts
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II. Der Jurist des europäischen Kontinents ist gewohnt, sich die Rechtsordnung als ein System von ineinandergreifenden, präzisen und umfassenden Gesetzen vorzustellen, und zweifellos ist audi die europäische Rechtstheorie von dieser Vorstellung in starkem Maße beeinflußt. In Wahrheit ist dieses System auch in Europa relativ neu und, wenn man die Rechtsgeschichte oder das Recht außerkontinentaler Völker betrachtet, eher die Ausnahme als die Regel. Es ist in Europa kulturell ein Ergebnis der Aufklärung und hängt politisch mit dem System der Gewaltenteilung und dem Aufstieg der Legislative, des Parlamentes zusammen. Erst seit dem Rationalismus der Aufklärung und der Französischen Revolution, also seit etwa 150 Jahren, herrscht dieses System in Europa vor. Das Recht ist kodifiziert; alle wesentlichen Grundsätze sind in abstrakt gefaßten Gesetzbüchern niedergelegt; die Tätigkeit des Juristen besteht in der Anwendung von Gesetzen; die Rechtsentwicklung vollzieht sich vor allem in Gesetzesreformen und ihrer Vorbereitung. Der Reditsverfassung des Gesetzesrechtes pflegt man die des Gewohnheitsrechtes gegenüber zu stellen. Aber dieser Gegensatz ist weder erschöpfend noch ausschließlich1. Zunächst ist Gewohnheitsrecht kein einheitlicher Begriff; es fallen sehr verschiedene Typen der Reditsverfassung darunter, je nachdem ob es sich um ein einfaches Volksrecht oder ein entwickeltes, wissenschaftlich durchgearbeitetes Recht handelt. Und dann gibt es neben Gewohnheitsrecht und Gesetzesrecht noch andere Typen: das angloamerikanische Riditerrecht vor allem und als Übergangsform vom Gesetzesrecht die Rechtsverfassung, die entsteht, wenn das Recht auf der Grundlage sehr alter Kodifikationen ruht, die längst von Wissenschaft und Judikatur überwuchert und verändert sind2. Die Herrschaft des Gewohnheitsrechtes charakterisiert sich negativ dadurch, daß Kodifikationen fehlen. Die Rechtsgrundsätze werden 1 V g l . zum Thema der Erscheinungsform, der Verfassung des Rechts M . W e b e r , Wirtschaft u. Gesellschaft, p. 403—12. * Ich schließe den Zustand persönlich bestimmter GerechtigkeitspHege — von M . Weber sog. „Kadijustiz" — aus, da sie eben keine Rechtspflege darstellt. Dazu unten p. 42. V g l . Wirtschaft und Gesellschaft, p. 470/71.
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gehandhabt, wie sie in Überzeugung und Ü b u n g des Volkes oder auch in den Maximen von Judikatur und Wissenschaft zum Ausdruck kommen 1 . Zwischen den beiden Formen der Herrschaft des Gewohnheitsrechtes, zwischen Volksrecht und Juristenrecht, wie die historische Schule sagte, besteht ein erheblicher Unterschied. Bei der ersten Form lebt dasRedit unmittelbar in der Ü b u n g und Überzeugung des Volkes. Alle Rechtsgenossen kennen und üben das Recht. D a s ist natürlich nur in relativ unkomplizierten und übersichtlichen sozialen Verhältnissen möglich, wo Recht und Leben sich für alle gleich abspielen und allen bekannt sind. Es ist daher die Rechtsverfassung früher Zeiten; wenn das soziale Leben sich differenziert, kann es sich nur noch im Rahmen bestimmter sozialer Kreise, die durch Beruf und Siedlung verbunden sind, halten: als Recht bestimmter Dörfer, bestimmter Handwerkszweige usw. Für das Recht im ganzen kommt früher oder später der Zeitpunkt, wo es sich aus der Volksüberzeugung ablöst und wo Kenntnis und Handhabung des Rechtes auf einen bestimmten Teil des Volkes übergeht, wo also das Juristenrecht beginnt. Die Rechtskundigen übernehmen Pflege und Fortbildung des Rechts; sie repräsentieren gewissermaßen das Gesamtvolk. D a s hat die historische Schule vollkommen richtig gesehen 2 . Wenn etwa im mittelalterlichen Deutschland Eike von Repgow das Recht seines Gaues aufzeichnet, wenn in einzelnen Städten, wie Magdeburg, die Schöffensprüche gesammelt werden, so sind das Anzeichen für diesen Prozeß des Herauswachsens einer besonderen Schicht von Rechtskundigen aus dem Gesamtvolk. D a s Schöffenrecht, das „Honoratiorenrecht", wie M. Weber es genannt hat, kann eine Vorstufe zum Juristenrecht sein 3 . Je mehr Wissenschaft, Kultur und soziale Differenzierung fortschreiten, um so mehr wandelt sich der Charakter des Gewohnheitsrechtes. So ist das heutige englische Common Law zwar weitgehend Gewohnheitsrecht, aber von jenem Volksrecht der Anfänge ähnlich weit entfernt wie das kontinentale Gesetzesrecht. Eine eigenartige Form hat das Recht im angloamerikanischen Rechtskreis angenommen. Es zeichnet sich dadurch aus, daß die richter1 1
Das letztere kann als Gewohnheitsrecht im strengen Sinne nicht gelten. Vgl. dazu Kap. 7. Vgl. etwa die klassische Darstellung bei S a ν i g η y , System des heutigen römischen Rechts
I § 14. • Wirtschaft und Gesellschaft, p. 408.
II. Erscheinungsformen des Redits
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liehe Entscheidung eine besondere Bedeutung durch das System der binding force of decided cases gewonnen hat, das Prinzip des „stare decisis". In diesem System besitzt die gerichtliche Entscheidung gewisser Obergerichte nicht nur Rechtskraft im Einzelfall, sondern bindet auch andere Gerichte in gleichen Fällen. Dadurch werden die Rechtsgrundsätze, auf denen eine solche Entscheidung beruht, die rationes decidendi, zu bindenden Rechtsregeln. Das Gewohnheitsrecht lebt also sozusagen in bindenden Präzedenzien, eine eigenartige Verbindung von Gewohnheitsrecht und Richterrecht ist geschaffen. Ein letzter Typus des Rechtszustandes bildet sich da, wo ein Rechtssystem, das sich ursprünglich an Kodifikationen angelehnt hat, im Laufe der Zeit durch Gerichtspraxis und Wissenschaft in starkem Maße umgebildet hat. Dies war die Lage des römischen Rechts zur Zeit der Klassik; zu den sehr alten und lückenhaft gewordenen Volksgesetzen war das Edikt der Prätoren getreten und beide waren wiederum von der Wissenschaft fortentwickelt worden. Den Juristen der Spätzeit erschien das alles als Einheit, als Jus; in Wirklichkeit lagen Rechtsschichten sehr verschiedenen Alters übereinander und war Volksrecht, und Amtsrecht erst durch die Wissenschaft fortentwickelt und zu einem Ganzen geworden. Ein ähnlicher Zustand bildete sich in Westeuropa heraus, als die Justinianische Kodifikation in der Rezeption wieder Geltung erlangt hatte und nun von Praxis und Wissenschaft völlig veränderten kulturellen und sozialen Verhältnissen angepaßt wurde. Das Postglossatorenrecht und der „Usus modernus pandectarum" stellten einen Zustand dar, wo zwar eine Kodifikation als Grundlage da war, aber neben und über ihr wissenschaftliche Tradition und Gerichtsbrauch das wirklich geltende Recht darstellten. Betrachtet man den Rechtszustand in den Ländern, die umfassende Kodifikationen aus dem 19. Jahrhundert besitzen, so wird man annehmen dürfen, daß jedenfalls da, wo die Rechtsprechung nicht wie im Strafrecht durch ein Analogieverbot gehemmt ist, eine ähnliche Entwicklung im Gange ist, wenn auch vielleicht nicht im gleichen Ausmaß. Es ist jedenfalls bemerkenswert, wie schon das halbe Jahrhundert, das seit Inkrafttreten des B G B vergangen ist, das deutsche bürgerliche Recht gewandelt hat; wer es heute nach Lehrbüchern aus dem Jahre 1900 studieren wollte, würde keine Vorstellung von dem tatsächlich lebendigen Recht erhalten. Auch bei diesem letzten Typus
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spielt die Anlehnung an wissenschaftliche und judizielle Autoritäten eine große Rolle — man denke an die Responsa der römischen Juristen —, aber ohne daß in der Regel eine rechtliche Bindung an sie besteht 1 . Die geschilderten Typen der Rechtsverfassung besitzen, vom Recht her gesehen, keine innere Notwendigkeit, wenn es auch Materien geben mag, die sich eher für eine Kodifikation eignen, andere, die besser in einem Zustande ungebundener Rechtsbildung sich entwickeln. Von entscheidendem Einfluß sind vielmehr die kulturellen und vor allem die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse. Weder das römische noch das englische Recht sind denkbar ohne eine selbstbewußte und einflußreiche, auch sozial relativ einheitliche Schicht von Juristen und ohne die freiheitliche aristokratische Tradition ihrer Staaten. Die römische Gerichtsverfassung war für die Entwicklung eines wissensdiaftlichen Rechtes günstiger als etwa die athenische mit ihren großen Geschworenengerichten. Umgekehrt scheinen umfassende Kodifikationen im allgemeinen — soweit sich darüber überhaupt allgemeine Beobachtungen machen lassen — nicht nur eine gewisse Affinität zum Rationalismus zu haben, zu dem Vertrauen der Vernunft zu sich selbst, auch komplizierte soziale Verhältnisse vorausschauend und vollständig ordnen zu können 2 , sondern auch zur politischen Machtkonzentration 3 . Kodifikationen setzen nicht nur eine starke politische Zentralgewalt voraus, um solche Werke unternehmen und durchsetzen zu können; sie gewährleisten auch die Unterordnung der Justiz und Verwaltung unter die Legislative und damit unter den oder die Herrscher; sie stärken also dessen Autorität und müssen ihm willkommen sein. Dieser Gesichtspunkt zeigt sich bei Kodifikationen großer Alleinherrscher in Kommentierungsverboten, wie sie Justinian, oder in Bestimmungen wie Art. 4 Code civil, den Napoleon erlassen hat. Es spielt aber auch bei der Vorliebe der Aufklärung für Kodifikationen eine Rolle; sie stand der ständischen Unabhängigkeit, die etwa die französischen Parlamente im 18. Jahrhundert besaßen, nicht allzu freundlich gegenüber. In der modernen Demokratie sichert das System des Gesetzesrechts die Suprematie des Parlamentes als des Trägers der 1
Eine Ausnahme bieten die spätrömisAen sog. Citiergesetze. Ein Zutrauen, das den Männern der historisAen SAule z. B. fehlte. * Vgl. im selben Sinne: M . W e b e r , WirtsAaft und GesellsAaft, p. 488. 1
II. Erscheinungsformen des Rechts
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legislativen Gewalt. Freiheitliche, vor allem aristokratisch regierte Staatswesen scheinen dagegen — soweit entwickeltere Gesellschaftsformen in Betracht kommen — das freier sich entwickelnde Gewohnheits- oder Juristenrecht zu begünstigen: Rom und England sind Beispiele dafür; es dürfte kein Zufall sein, daß mit dem Prinzipat in Rom nicht nur die Fortentwicklung des prätorischen Edikts aufhörte, sondern auch der Kreis der Juristen mit Responsionsrecht beschränkt und kontrolliert wurde. Freilich gibt es, vor allem in frühen Entwicklungen, auch Beispiele von Kodifikationen freiheitlicher A r t ; so waren die zwölf Tafeln als Einschränkung der Adelsherrschaft gedacht. — Es ist nicht zu verwundern, daß das sehr verschiedene Bild, welches die Rechtsordnung in ihren Erscheinungsformen bieten kann, ebenfalls dazu beigetragen hat, gegensätzliche Anschauungen über das Recht hervorzurufen. So hat eine Rechtstheorie wie die reine Rechtslehre, die das Recht als ein System hierarchisch gegliederter Normen auffaßt wohl nur angesichts eines voll kodifizierten Rechtes entwickelt werden können, wie es das kontinental-europäische ist. Andererseits hängt jene behavioristische Richtung, die das Recht im Verhalten der Richter sucht, mit dem System des amerikanischen Richterrechts zusammen. Welches Bild aber die Rechtsordnung auch ihrer äußeren Erscheinung nach bietet, ihr Wesen ist stets das gleiche. Immer handelt es sich um eine Summe von Grundsätzen, die die in einer konkreten Gemeinschaft auftauchenden Interessenkonflikte entscheiden und sich zu einer umfassenden Ordnung zusammenschließen 1 . Diese Grundsätze sind im Gesetzesrecht im Gesetz verbindlich festgelegt; im Gewohnheitsrecht und Richterrecht manifestieren sie sich in Gerichtsurteilen und wissenschaftlichen Darstellungen. Solche Grundsätze mögen mehr oder weniger klar ins Bewußtsein getreten sein, sie mögen mehr oder weniger abstrakt und allgemein, mehr oder weniger umfassend gefaßt 1 Auch die — charismatisch legitimierten — Rechtsweisungen eines berufenen ReAtskünders in primitiven Entwicklungsstuten dürften sich an überkommene Traditionsregeln angeschlossen haben; dafür spricht, daii es sich regelmäßig um erfahrene Alteste handelt. Der Mangel der Begründung des Spruches, den Max Weber (Wirtschaft u. Gesellschaft, p . 403) besonders hervorhebt, spricht nicht dagegen. Auch die römischen Klassiker gaben regelmäßig ihrer Entscheidung keine Begründung, D a s hängt mehr mit der Rechtsvertassung zusammen. M . E. überschätzt M . Weber hier d a s irrationale Moment, das wohl mehr für die Autorität des Spruches als für seine Entstehung von Bedeutung war. Andererseits gibt es natürlich auch eine Streitentsdieidung durch rein persönliche, ungebundene Gerechtigkeit. Sie liegt aber außerhalb des Rechts. V g l . unten K a p . 5. I V .
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sein; kein Recht ist ohne sie denkbar. W o sie fehlen, mag persönliche (etwa patriarchalische) Gerechtigkeitsübung bestehen; von Recht kann man da noch nicht sprechen. Die Rechtsprechung besteht in der Entscheidung des Einzelfalles aus Grundsätzen, selbst wenn Fall und Regel im Einzelfall neu sind; darum ist sie eben Rechtsprechung. Auch das Case Law entscheidet so; auch ein primitives Schöffenrecht — mag es noch so wenig in der Lage sein, Rechtsprinzipien abstrakt zu formulieren — befolgt gewisse Regeln, Regeln des Verfahrens und Regeln der Beurteilung. Noch ein zweites ist dem Recht in allen seinen Erscheinungsformen eigen: es gerät, solange die Kulturentwicklung überhaupt andauert, niemals völlig in Stillstand, sondern ist im Zustande ständiger, leichter Veränderung und Wandlung an der einen oder anderen Stelle1. Sachverhalte werden neu in ihrer Eigenart gesehen und daher anderen Regeln unterstellt. Neue Sachverhalte müssen alten Regeln untergeordnet werden oder für sie neue Grundsätze gefunden werden. Die Tragweite bestehender 2 Grundsätze klärt sich; sie werden erweitert oder eingeschränkt usw. Dieser Prozeß ständiger leiser Bewegung des lebendigen, angewandten Rechts vollzieht sich unter einer Kodifikation ebenso wie im Gewohnheitsrecht; kein noch so eigenmächtiger Gesetzgeber kann sie ausschalten. Kodifikation und lebendiges Recht werden sich niemals vollkommen decken. — Gehen wir von den Erscheinungsformen des Rechtes auf seine sprachlich-logische Struktur über, so zeigt sich, daß jedes Recht etwas fortgeschrittener Stufe sich in einer t e c h n i s c h e n S p r a c h e ausdrückt. Es bedarf besonderer Bezeichnungen für die sozialen Vorgänge, die Gegenstände, die Formen der Rechte und ihrer Geltendmachung. Dem dient die R e c h t s s p r a c h e . Sie wächst aus der allgemeinen Umgangssprache heraus, durch Bedeutungswandel und neue Wortformung. Das ist naturgemäß ursprünglich ein volkstumsgebundener Prozeß; erst in weiteren Entwicklungsstufen kann es zur Übernahme fremder Rechtsausdrücke wie fremder Rechtsinstitutionen kommen. Das Vorhandensein einer eigenen Rechtssprache ist der Ausdruck einer besonderen rechtlichen Begriffsbildung. Die moderne Philosophie 1 Vgl. dazu audi Μ. Weber, p. 403/04 für die Epoche der charismatischen Rechtsweisung. « Eine ausgezeichnete Darlegung dieses Phänomens bei E. Levy: INTRODUCTION TO LEGAL REASONING.
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hat gezeigt, daß es sehr verschiedene Formen der Begriffsbildung gibt, abhängig von dem Gegenstand, den der Mensch erfassen will, und dem Ziel, das er damit verfolgt. Es sei nur an den Gegensatz naturwissenschaftlicher und historischer Begriffsbildung erinnert1. Auch die juristische Begriffsbildung folgt eigenen Gesetzen. Das Recht bedarf besonderer Begriffe zunächst zur Erfassung der sozialen Wirklichkeit, die es ordnen soll — genau wie die Naturwissenschaft sich für ihre Erfassung der Welt ihre Begriffe formt. Gegenstände, soziale Vorgänge und Zustände, Handlungen und Gruppen müssen nach Merkmalen voneinander abgegrenzt und bezeichnet werden, damit sie geordnet werden können. So unterscheidet man etwa bewegliche und unbewegliche Sachen, Res mancipi, einen Geschäftsvorgang wie den Kauf, eine soziale Gemeinschaft wie die Ehe, eine Handlung wie den Diebstahl oder eine Gruppe von Aufwendungen im Haushalt und Geschäft als „abzugsfähige Ausgaben". Der Zweck dieser Begriffsbildung ist jedesmal die Zusammenfassung und Abgrenzung von Gegenständen, Handlungen usw. im Hinblick auf bestimmte rechtliche Regeln. Man faßt die Handlungen, Geschäfte u. ä. zusammen, die der gleichen, und zwar einer anderen Regelung unterliegen als andere, vielleicht verwandte Handlungen. So wird der Kauf in seiner Eigenart von anderen Verträgen unterschieden, weil er besondere rechtliche Regeln verlangt. Diese Zwecksetzung kann dazu führen, daß die juristische Begriffsbildung sich erheblich von der natürlichen Anschauung unterscheidet. So können bestimmte Rechte — etwa im ehelichen Güterrecht—als Grundstücke behandelt werden, Personen als Sachen usw. Die Grundlage der juristischen Begriffsbildung ist eben nicht die natürliche Anschauung 2 ; sie will nicht die Wirklichkeit adäquat beschreiben, sondern sie will Interessen und Handlungen b e w e r t e n 3 , und zwar nach der Grundregel der Gerechtigkeit: g l e i c h e Fälle g l e i c h , verschiedene verschieden bewerten. Der Jurist muß daher unter Wertgesichtspunkten zusammenfassen und trennen. Wenn er etwa den Begriff des Diebstahls genauer nach seinen Merkmalen festlegen will, so kommt es ihm darauf an, herauszu1 Z . B . Gattungsbegriffe, Begriff der individuellen Totalität. Vgl. dazu T r o e l t s c h , Ges. Schriften III, 36. ' Obwohl sie nidit ohne Bedeutung ist: dazu Kap. VIII, I. 3 Vgl. dazu die Ausführungen R i e z l e r s , Arch. f. Redits- u. Wirtschaftsphilosophie 17, 271/72 über „Identität" im Recht.
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arbeiten, welche Merkmale für die B e w e r t u n g einer Handlung oder Sache von Bedeutung sind. S ο unterscheidet er fahrlässige und vorsätzliche Tötung, schuldhafte und unverschuldete Vertragsverletzung, bewegliches und unbewegliches Vermögen. Auch die Fortschritte der juristischen Begriffsbildung liegen in dieser Richtung einer immer mehr verfeinerten Herausarbeitung derjenigen Merkmale, die für die Wertung bedeutsam sind und an welche die Wertung daher anknüpft. Eine zweite Gruppe von juristischen Begriffen umschreibt die vorhandenen rechtlichen Institutionen, die gegebenen Rechtsmittel, Klageformen, Urteile, die rechtlich bedeutsamen Handlungen und ihre Formen. Rei vindicatio, Anefang, Vollstreckungsgegenklage und Zwischenurteil sind Beispiele. Eine dritte Gruppe von Begriffen wird für die zusammenfassende Bezeichnung von Rechtswirkungen notwendig. D a s Recht muß die bestehenden Rechtsverhältnisse ordnen und nach ihren Wirkungen gegeneinander abgrenzen. Derartige Begriffe sind Eigentum, Forderung, possessio, Mortgage, Vorerbe usw. Sie werden in jedem wissenschaftlich durchgebildeten Recht vorhanden sein. Bei ihrer Ausprägung macht sich die Gegenständlichkeit unseres Denkens bemerkbar; meist werden diese Begriffe körperlich-räumlich gefaßt, und man redet von der Übertragung, Belastung eines Rechtes, als wäre es ein raumerfüllendes Etwas. Die juristische Begriffsbildung liefert also eine Reihe von Begriffen, welche die Sachverhalte der sozialen Welt für die Zwecke der Rechtsordnung umschreiben. Obwohl diese Begriffsbildung einer besonderen Zielsetzung dient, sind die allgemeinen Vorstellungen, welche in einer bestimmten Kultur zu einem gegebenen Augenblick herrschen, für die Bildung des rechtlichen Denkens nicht bedeutungslos. Am deutlichsten zeigt sich dies bei den rechtlichen Begriffen von Verursachung und Verantwortlichkeit. Es macht naturgemäß einen sehr großen Unterschied, ob in einer Zeit die Auffassung vorherrscht, daß die gesamte Umwelt des Menschen von dämonischen Kräften durchwaltet sei, deren Wirken für unberechenbar gehalten wird, oder ob sie von dem modernen naturwissenschaftlichen Weltbild ausgeht, wonach die Welt in einer Vielzahl isolierbarer Kausalabläufe sich entwickelt. N u r auf dem Boden der letztgenannten Vorstellungen konnten die modernen juristischen Lehren von der Handlung und dem Schadensersatz entwickelt werden. Die juristische Begriffsbildung vollzieht sich mithin
II. Erscheinungsformen des Rechts
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nicht unabhängig von den Vorstellungen, in denen eine Zeit im allgemeinen ihr Weltbild ausdrückt; sie dient nur im Rahmen dieser allgemeinen Begriffswelt besonderen technischen Zwecken. Die Grade der Abstraktheit und Feinheit der juristischen Begriffsbildung sind naturgemäß in den einzelnen Rechten und Kulturen sehr verschieden. Primitives Recht bezeichnet Handlungen nach einem typischen konkreten Vorgang, nicht nach allgemeinen Merkmalen; so sprechen etwa die zwölf Tafeln von dem Fall „si telum manu fugit magis quam iecit", um den Fall fahrlässiger Tötung zu bezeichnen. Rechtswirkungen werden in Verträgen nicht mit einem zusammenfassenden technischen Begriff bezeichnet, sondern einzeln aufgezählt. Die Formulare der Notare haben diese Einzelklauseln oft bis in fortgeschrittene Zeiten bewahrt. Eine der großen Leistungen der römischen Jurisprudenz bestand in der Überwindung dieser Form von Jurisprudenz und der begrifflichen Zusammenfassung der Rechtswirkungen. Der Begriff pignus oder emptio venditio bedeutete ganz bestimmte rechtliche Wirkungen, deren Aufzählung es im einzelnen nicht bedurfte. Ebenso werden in einem begrifflich durchgebildeten Recht nun die rechtlich relevanten Handlungen nicht nach einem typischen — gewissermaßen stellvertretend gebrauchten — konkreten Vorgang, sondern nach allgemeinen Merkmalen umschrieben. Der Grad der Abstraktion, der damit erreicht wird, kann natürlich sehr verschieden sein. In den modernen kontinentaleuropäischen Kodifikationen, den Erben des Naturrechts der Aufklärung, ist er sehr viel größer als etwa im klassischen Recht der Römer. In gewissem Umfange ist aber jedes wissenschaftlich durchdachte Recht abstrakt begrifflich durchgebildet. Der Fortschritt der juristischen Begriffsbildung bedeutet eine große innere Wandlung des Rechts. Die sozialen Vorgänge werden immer schärfer in ihrer (rechtlich bedeutsamen) Eigenart beschrieben. Das ermöglicht es, immer abstraktere Regeln zu bilden und damit immer mehr Einzelfälle mit wenigen abstrakten Regeln zu erfassen. Das gibt auch der Rechtsfindung ein anderes Gepräge. Die Aufgabe, den konkreten Einzelfall nach seinen charakteristischen allgemeinen Merkmalen unter die abstrakte Regel zu bringen, die Aufgabe der juristischen Subsumtion, tritt stärker hervor und wird nachprüfbar. Das logische Element in der Tätigkeit des Richters erhält eine größere
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Bedeutung; es kann der Anschein entstehen, als habe er nichts zu tun, als einen konkreten Fall unter die ihn mit Sicherheit umfassende Regel einzuordnen. Tatsächlich war das in Zeiten stark begrifflich gerichteter Rechtswissenschaft wie im 18. und 19. Jahrhundert die vorherrschende Vorstellung und der Wunsch der politischen Theoretiker. Die verfassungsrechtliche Formel: der Richter ist dem Gesetz unterworfen, geht z. T. auf diese Vorstellung zurück; auch der Satz „nulla poena sine lege" hat ursprünglich, z. B. bei Beccaria, diesen Sinn; der Richter soll nur subsumieren, nicht selbst werten. Die streng logische Gestaltung der Rechtswissenschaft schien nicht nur eine ungeheure Sicherheit und Berechenbarkeit der rechtlichen Entscheidung zu ermöglichen, sondern auch die völlige Unterordnung des Richters unter das Gesetz. Die Praxis hat freilich diese Vorstellung als irrig erwiesen, und es ist in Deutschland das geschichtliche Verdienst der F r e i r e c h t s s c h u l e 1 , diese Illusion enthüllt und die durch die logische Form nur verdeckte Willens- und Wertentscheidung in jedem rechtlichen Urteil aufgedeckt zu haben — eine echte Tat des späten 19. Jahrhunderts, das uns so viele psychologische Zusammenhänge mutig entdeckt hat. Der Grund dieser Illusion liegt darin, daß das juristische Denken nicht allein logischen Gesetzen folgt, wie etwa die Mathematik, sondern letzten Endes immer wertbezogen bleibt. Wir sahen, daß die Einteilungen der Gegenstände und Vorgänge des sozialen Lebens, die der Jurist vornimmt, unter Wertgesichtspunkten erfolgt, um Gleiches gleich zu behandeln. Aber auch die begriffliche Ordnung der Rechtsmittel und Rechtswirkungen dient letzten Endes der Erleichterung und Durchführung von Wertentscheidungen. Welche Wirkungen einem bestimmten Rechtsakt zukommen, welche Rechtspositionen er begründet, hängt immer von Wert- und Zweckgesichtspunkten ab. Ob man dem Gläubiger ein dingliches Recht oder nur ein obligatorisches Recht gibt, das ist für den Gesetzgeber keine Frage des logischen Zusammenhangs, sondern eine Entscheidung über den Schutz bestimmter Interessen, die sich ihrerseits nach der Bewertung dieser Interessen richtet. Die juristischen Begriffe, soweit sie nicht selbst Wertbegriffe sind, die sog. juristische Logik, haben also nur sekundäre Bedeutung: 1
Vgl. über sie Anhang II
II. Erscheinungsformen des Rechts
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sie erleichtert die Fixierung und Durchsetzung von Wertentscheidungen; aber sie kann diese nicht ersetzen. Sie ist nicht autonom, sondern heteronom; nicht sie, sondern die Wertentscheidungen sind es, in denen juristische Grundsätze wie juristische Einzelentscheidungen ihren zureichenden Grund haben. Auch die sog. juristische Subsumtion ist daher nicht ein rein logischer Vorgang, eine bloß erkenntnismäßige Einordnung eines Einzelvorganges in ein allgemeines Schema, sondern dient der Übertragung einer grundsätzlichen Entscheidung über Interessenkonflikte auf den Einzelfall. Die rein logische Tätigkeit der Subsumtion genügt daher nicht; der Richter muß die W e r t e n t s c h e i d u n g des Gesetzgebers im Einzelfall wiederholen. D a z u ist ihm die Subsumtion ein Hilfsmittel; aber sichere Einordnung des Einzelfalles ist nur möglich, wenn der Richter sich die W e r t entscheidung des Gesetzgebers klar gemacht hat und danach den ihm vorliegenden Interessenkonflikt entscheidet. Die rein logischen Auslegungsregeln wie singularia non sunt extendenda, lex posterior derogat priori usw. stehen immer unter dem Vorbehalt, daß das Ergebnis den Wertungen und praktischen Zielen des Gesetzgebers entspricht. W a n n extensiv, wann restriktiv auszulegen, wann Analogie anzuwenden ist, das ergibt sich erst aus Werturteilen über den Einzelfall im Vergleich mit den grundsätzlichen Wertungen der Rechtsordnung. Der Jurist distinguiert Fälle, weil sie Merkmale aufweisen, die eine verschiedene Wertung bedingen; generalisiert Regeln, wenn er merkt, daß andere Fallgestaltungen unter Wertgesichtspunkten gleich liegen. Die juristische Logik ist wertgebunden; die juristische Begriffsbildung dient der Ordnung des sozialen Lebens nach bestimmten Wertvorstellungen, aber sie hat letztlich kein eigenes Recht. Die juristische Dogmatik legt einmal getroffene praktische Entscheidungen für die Einzelfälle des Lebens aus; aber sie bildet kein in sich geschlossenes und in sich ruhendes logisches System 1 . Für das Wesen des Rechts gibt die abstrakt-begriffliche Sprache des entwickelten Rechtes einen bedeutsamen Hinweis. Sie führt mit aller Deutlichkeit noch einmal vor Augen, daß R e c h t O r d n u n g d u r c h a b s t r a k t e G r u n d s ä t z e u n d R e g e l n i s t , eine Ordnung, die viele Fälle erfassen will und die sich deshalb an das 1
Vgl. dazu unten Kap. 8.
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Typische, allgemein Wiederkehrende in den sozialen Vorgängen hält. Das hat zur Folge, daß das Recht zwar für viele individuelle Fälle Geltung beanspruchen kann, daß aber keiner dieser Fälle in der Rechtsordnung ganz aufgeht. Die Rechtsordnung — und mit ihr der Richter — sieht von dem Interessenkonflikt, der ihm unterbreitet wird, immer nur einen Ausschnitt, nie die ganze Fülle menschlicher Beziehungen und menschlichen Seins1. Der Richter, der über einen Vertrag urteilt, sieht in den Parteien nur die „Vertragschließenden", welch ärmlicher Ausschnitt! Was sie sonst sind, was sie menschlich bedeuten usw., spielt für ihn keine Rolle; nicht einmal, wie sich der Vertrag für das Gesamtvermögen der Beteiligten auswirkt, was die Zahlung dem einen, was sie dem anderen bedeutet, interessiert ihn in der Regel. Diese Beschränkung ist notwendig; nur so ist abstrakte, allgemeine Regelung und nur so ist, wie später zu zeigen sein wird, Freiheit möglich. Aber sie kann auch zu tragischen Ergebnissen führen, besonders im Strafrecht, wenn über die Tat ohne Rücksicht auf die Person des Täters abgeurteilt wird. Der Prozeß eines Oscar Wildes etwa läßt diese ganze Tragik zum Ausdruck kommen, auch wenn man von der besonderen Persönlichkeit des — offenbar unzulänglichen — Richters in seinem Prozeß absieht. Das Recht ist von unpersönlichem Schematismus untrennbar; auch seine Gerechtigkeit kann nur im Schema, in der abstrakten Ordnung wirken.
DRITTES KAPITEL DIE PSYCHOLOGISCHEN GRUNDLAGEN DES RECHTES
I. Die moderne Psychologie scheidet im Aufbau des menschlichen Seelenlebens die bewußte ich-hafte Persönlichkeit von der Schicht, besser gesagt, den Schichten der Tiefenperson 2 . Erstere charakterisiert 1
Ein derartiger „Ausschnitt" liegt immer vor, wenn wir fremde Menschen nach abstrakten Maßstäben beurteilen. Vgl. Th. L i t t , Individuum und Gemeinschaft 1, p. 14ff. * Der folgende Abschnitt lehnt sich eng an die Erkenntnisse an, die E. R o t h a c k e r in seinem Werke „Schichten der Persönlichkeit" entwickelt hat. Zitiert ist durchgehend nach der 4. Aufl., Bonn 1948.
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sich durch das wache Selbstbewußtsein, die gespannte Aufmerksamkeit des Ichs, die sich auf Vorgänge der Innen- und Außenwelt richten kann, diese gleich einem Lichtstrahl für Augenblicke erhellend; durch den bewußten Willen, der steuert, Ziele setzt und zwischen verschiedenen Motiven entscheidet; durch Erinnerung und Zukunftsbewußtsein, welche von der Verhaftung an den Augenblick befreien; durch die vom Gegenwärtigen abstrahierende, objektivierende und eben dadurch Distanz schaffende Intelligenz1. In ihr liegt begründet, daß der Mensch ein vernunftbestimmtes, unter den andrängenden Motiven auswählendes Wesen ist, nicht instinktbeherrscht wie das Tier. Die Persönlichkeitsschicht ist über die Tiefenperson gefügt, aus der sie lebt: in dieser sind die Schichten der vitalen Lebensvorgänge, der animalischen Instinkte und Reaktionen, des kindlichen spielerischen Verhaltens und endlich die des Seelischen, des höheren Gefühlslebens zu unterscheiden2. Bei einer solchen Gliederung muß man die psychischen Quellen des Rechtes offenbar zunächst in der Persönlichkeitsschicht suchen. Das Recht ist vorausschauende, wertende Ordnung des sozialen Lebens; es gehört in den weiteren Bereich bewußter Lebens- und Daseinsgestaltung durch den Menschen. Das Recht wächst dem Menschen nicht aus Instinkten zu; die soziale Ordnung der menschlichen Gemeinschaften stellt sich nicht durch Instinkthandlungen her, wie bei den kollektiv lebenden Tieren, etwa den Ameisen. Sie muß durch bewußte Entscheidungen geschaffen und aufrechterhalten werden; diese Entscheidungen erfolgen, wie wir sahen, nach bestimmten Zielsetzungen und unter Zurückdrängung anderer Motive; sie sind Ausdruck der menschlichen Freiheit, der Spontaneität seines Lebens gegenüber der Instinktgebundenheit des Tieres oder dem Wachstum der Pflanzen. Das gilt ebenso für die Ziele des Friedens, der Machtverfestigung und Sicherheit wie für das Sittliche der gerechten Gestaltung. Die historische Rechtsschule brauchte insofern ein falsches Bild, wenn sie die Entwicklung des Rechtes einem organischen Prozeß verglich; sie übersah, daß alle sog. „Rechtsentwicklung" durch eine Vielzahl spontaner menschlicher Entscheidungen zustandekommt, Entscheidungen von Gesetzgebern, Richtern, Urkundenverfassern und Gelehrten. Das Recht ist ein Teil der > Vgl. Rothadcer, p. 13-15, 56-57, 59. « Rothacker, p. 63 Anm. 7; ferner 19, 23; 37/38; 65—69. 4 Coing, Rechtsphilosophie
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Daseinsvorsorge des Menschen und der menschlichen Gruppen. Erfahrungen werden dabei verwertet; die Zukunft abwägend berücksichtigt; ohne Erinnerung und Zukunftsbewußtsein wäre es nicht vorzustellen. Die rechtliche Begriffsbildung ist ein Werk der mensdilidien Intelligenz, die sich vom erlebten Vorgang des Augenblicks trennen und daraus allgemeine Vorstellungen ablösen kann. Sie mag noch so primitiv sein; sie setzt immer die Fähigkeit voraus, einen sozialen Vorgang in der Erinnerung zu behalten und in seinen typischen Wesenszügen zu erfassen. Das alles erweist das Recht als Werk der bewußten Person des Menschen. Es ist insofern wohl begründet, daß das Recht sich auch an diese Schicht des Menschen hält. Das entwickelte Recht wendet sich an den bewußten, denkenden Menschen, der vorsorgend und verantwortlich handelt. Es erwartet, daß die Menschen so handeln und beurteilt sie danach1. Die rechtlichen Sdiuldmaßstäbe von Vorsatz und Fahrlässigkeit sind im Grunde genommen Anforderungen, an den Menschen. Juristische Denkfiguren wie der bonus pater familias erheben geradezu den Typus der bewußten idh-haften Persönlichkeit, die über das Gefühls- und Triebleben sich erhebt, zum rechtlich verpflichtenden Ideal. Aber diese Tatsache schließt nicht aus, daß in das Recht seinem Inhalt nach Einflüsse aus den Schichten der Tiefenperson einfließen. Genau wie der Mensch selbst aus den Tiefen der Seele heraus lebt2, gestaltet er auch sein Recht inhaltlich aus dieser dunklen Welt des Emotionalen, Gefühlsmäßigen heraus. Der Vorgang der Rechtsbildung ist bewußte Entscheidung. Welchen Inhalt der Mensch aber seiner Sozialordnung gibt, welche Bestrebungen er hemmt, welche er fördert, das ergibt sich aus dem Fühlen und den Strebungen, die in seiner Seele lebendig sind, ihrer Stärke und Rangordnung. Sie geben erst das Material, aus dem die bewußte Entscheidung auswählt, das sie formt und gestaltet, und die Stärke der Triebe und Gefühle ist auf den Inhalt der Entscheidung von Einfluß. Insofern kann auch die Rechtsordnung nur aus dem Inhalt des Fühlens und Wollens des Menschen verstanden werden, genau wie sonstige Sdiöpfungen seines Geistes. 1 Vgl. zu diesem ganzen Fragenkomplex die zusammenfassende Studie von W e 1 ζ e 1, Persönlichkeit und Sdiuld, Zeitsdlr. f. d. gesamte Strafredbtswissensdiaft 60, 435 fi. • R o t h a c k e r , p. 10/11.
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Damit entsteht die Frage, welche Gefühle, Instinkte und Strebungen es sind, die auf die Formung des Rechtes Einfluß gewinnen, also das Problem der tieferen psychologischen Grundlagen des Rechtsinhaltes. Hier wird man nun geneigt sein, auf ein moralisches Gefühl, das sog. R e c h t s g e f ü h l , zu verweisen, und namentlich die Juristen haben das audi getan 1 . Aber wie immer man auch das Rechtsgefühl umschreiben mag, als Gefühl für das, was Recht sein soll, oder dafür, daß das geschehen soll, was dem Recht entspricht2 oder als Gefühl der Achtung vor fremdem Recht und der Persönlichkeit des andern 3 , es zeigt sich sofort, daß dieser Hinweis nicht genügt. Entweder — so wenn man Riezlers Definition folgt — erweist sich nämlich dieses Rechtsgefühl als eine höchst komplexe Erscheinung, in der sich noch sehr verschiedene Gefühlskomponenten unterscheiden lassen, oder es ist — so wenn man Hoche folgt 4 — ein moralisches Gefühl, das zwar bei der Entstehung des Rechtes als Wertgefühl eine entscheidende Rolle spielt, das aber für sich allein auch nicht die einzige gefühlsmäßige Grundlage der Rechtsordnung darstellt. Ebenso steht es mit dem Begriff des Rechtsbewußtseins. Hier tritt das eben Gesagte sogar noch deutlicher hervor. Das W o r t ist nicht e i n d e u t i g ® . An und für sich bedeutet der Ausdruck Rechtsbewußtsein — rein sprachlich gesehen — bewußt gemachtes Rechtsgefühl, Rechtsgefühl, das in seinen Anforderungen ins Bewußtsein gehoben ist. Aber wenn man vom Rechtsbewußtsein eines Volkes oder einer Epoche spricht, dann meint man damit die Fülle der verschiedenen Wertvorstellungen, die der sozialen Organisation des betreffenden Volkes zugrunde liegen: persönliche Freiheit etwa, Vertragsautonomie, Gleichheit, Volksherrschaft, Religions- und Meinungsfreiheit usw.® In den modernen Verfassungen pflegen sie in den Grundrechtsartikeln Ausdruck zu finden. Aber das ist keineswegs notwendig so. Im Gegen1 Eine zusammenfassende Darstellung bietet R i e ζ 1 e r : Das Rechtsgefühl. Reditspsychologische Betrachtungen, 2 . Aufl. München 1946. Hier auch sorgfältige und erschöpfende weitere Literaturhinweise.
S o R i e z 1 e r , p. 8. ' So H o c h e , Das Rechtsgefühl in Justiz u. Politik, p. 12. 4 Besonders scharf im selben Sinne Η u s s e r 1, nach dem es kein Rechts-, sondern nur ein Gerechtigkeitsgefühl gibt. Recht u. W e l t . Husserl Festschrift, p. 147/48. 5 V g l . Riezler, p. 23. ' In diesem weiteren Sinne soll das Rechtsbewußt sein hier verstanden sein. — Richtig: I s a y , Rechtsnorm und Entscheidung, p. 120. I . spricht allerdings vom Rechtsgefühl. 1
4*
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teil, es gibt Epochen, die durchaus nicht in der Lage gewesen wären, das soziale Wertsystem, aus dem sie lebten, sich mit letzter Klarheit zum Bewußtsein zu bringen und grundsätzlich zu formulieren. Trotzdem haben sie aus einem solchen Wertsystem gelebt und aus ihm ihre Ordnungen geschaffen. Für diesen Zustand fehlt es an einer adäquaten Bezeichnung. Der Ausdruck Rechtsgefühl ist zu eng1. Besser wäre der alte Ausdruck Volksgeist im Recht; aber er ist zu unbestimmt. Man müßte von einem „unterbewußten Rechtsbewußtsein" sprechen, was aber paradox und logisch wie sprachlich unmöglich ist. Was in solchen Epochen ins B e w u ß t s e i n tritt, ist eben nicht das der Rechtsordnung zugrunde liegende Wertsystem; das kann man noch nicht zum Ausdruck bringen; es ist vielmehr die einzelne Rechtsregel und Rechtsformalität. Das Rechtsbewußtsein solcher Epochen ist ein Wissen darum, wie man es immer gehalten, ein Rechtswissen also, das sich an die konkreten individuellen Rechtsverhältnisse anschließt. Dagegen verliert sich in späten, entwickelten Epochen, weil die Lebensverhältnisse zu kompliziert werden, gerade dieses Rechtswissen der Allgemeinheit; es wird das Vorrecht der Spezialisten, der Juristen. Was jetzt Inhalt des Rechts b e w u ß t s e i n s wird, das sind im wesentlichen die Grundwerte, auf denen das Recht mit seinen tausend Einzelregeln beruht 2 . Daneben treten nur noch einzelne Grundregeln sowie eine ziemlich zufällige Auswahl von Einzelregeln in das Rechtsbewußtsein des einzelnen, die überdies stark von seiner sozialen Stellung abhängig ist. Das Wort Rechtsbewußtsein bezeichnet also auf den verschiedenen Kulturstufen — auch abgesehen von sonstigem Inhaltswandel — etwas grundlegend Verschiedenes und bedarf der genaueren Präzisierung. Hier soll es im Sinne der Moderne als Bewußtsein von den die Rechtsordnung organisierenden Werten und den sich daraus ergebenden Grundregeln verstanden werden3. Das so verstandene Rechtsbewußtsein kann man aber nicht auf eine einzige Komponente zurückführen; hier spielt vielmehr eine Fülle von psychischen Strömungen eine Rolle. Sie sollen zunächst ins Auge gefaßt werden. 1
Vgl. unten p. 54. * Übrigens ist diese Trennung ein gefährlicher Zustand für das Redit. Der Allgemeinheit geht leidit der Sinn für den Wert der einzelnen Rechtsinstitutionen verloren, deren Zusammenhang mit den Grundwerten sie nicht sieht; der Jurist sieht umgekehrt allzuviel auf die einzelne Institution, nicht auf deren moralischen Sinn. * Im gleichen Sinne Frz. K l e i n , Die psychischen Quellen des Reditsgehorsams, p . 47 β .
I. Die Grundlagen im seelischen Aufbau der Einzelpersönlichkeit
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Dabei ist zwischen denjenigen Strebungen und Wertgefühlen zu unterscheiden, die sich als die treibenden, organisierenden Kräfte der r e c h t l i c h e n O r d n u n g sozialer Vorgänge darstellen, und solchen, die diesen V o r g ä n g e n u n d Gegebenheiten s e l b s t zugrunde liegen und damit naturgemäß auf den Inhalt des Rechtes im einzelnen Einfluß nehmen. Daß es überhaupt so etwas wie Recht gibt, beruht auf anderen psychischen Grundlagen als die spezifische Ausgestaltung einer bestimmten Materie, etwa des Ehrensdiutzes usw. Die ersteren bedingen die allgemeinen Grundtendenzen des Rechtes, von denen im vorigen Kapitel die Rede war; die letzteren leben in dem sozialen Geschehen, das Stoff und Materie der Rechtsordnung bildet. Fassen wir zunächst die ersteren ins Auge, so ist der Wunsch nach Ordnung, nach Friede und Sicherheit tief im Seelenleben des Menschen begründet. Vor allem der letztere hängt, wie schon mehrfach hervorgehoben, mit dem Grauen des Menschen vor der Ungewißheit seiner Existenz zusammen, dem Unberechenbaren, Unvorhersehbaren, dem er ausgeliefert ist. Der Mensch möchte sich selbst und sein Glück festigen und sichern, den Zufall und das Schicksal ausschalten. Dem will die Rechtssicherheit dienen, soweit Gefahren aus dem sozialen Leben in Betracht kommen. Sie soll die Gewalt bannen, die Gewalt von oben, den Despotismus, und die Gewalt von unten, die Revolution, welche die soziale Existenz des Menschen bedrohen. Das Recht hängt insofern mit dem allgemeinen Lebensgefühl des Menschen zusammen, mit der allgemeinen Lebensangst des Menschen, die sich als Einengung des Lebensgefühls darstellt1. Das Recht soll helfen, sie zu überwinden. Dem entspricht auf der anderen Seite, daß ein überhöhtes Lebensgefühl, eine starke Vitalität, das Recht als lebensermüdend und -tötend empfinden kann, als eine Einrichtung, in deren Schatten sich der Starke und Gesunde nicht entwickeln kann, in deren Schutz man nur dem Schicksal auszuweichen versuche. Die Stimmung des „Wer dem Tod ins Angesicht schauen kann . . . " verzichtet auf das Recht und empfindet es fast als Erniedrigung des Menschen2. 1
Vgl. dazu L e r s c h , Der Aufbau des Charakters, Leipzig 1938, p. 59. ' Auf anderen Gründen beruht es, wenn der Existentialismus das Recht nicht positiv bewertet. Es ist hier wohl die Tatsache, daß sich das Recht zwischen den Menschen und sein Schicksal schiebt und so ein Hindernis für ihn wird, zu sid> selbst zu kommen. Dazu H e i d e g g e r , Sein und Zelt,
p. 282ß.
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Komplex ist das Verhältnis des Rechts zum menschlichen Machtstreben. Einerseits kann rechtliche Ordnung eine Beschränkung der Macht bedeuten: so wirkt das Verfassungsrecht als Begrenzung der Macht des Monarchen, das Sklavenrecht des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts in Rom als Begrenzung der Gewalt des Dominus. Aber das Recht kann auch Machtpositionen sanktionieren oder legitimieren; dann sichert es die Macht und dient dem Machtwillen des Menschen 1 . Insofern ist auch das Streben nach Sicherung der Macht ein wesentlicher psychologischer Faktor der Rechtsbildung. Die sittlichen Tendenzen im Recht wurzeln zunächst im Rechtsgefühl. Sein Wesen möchte ich mit H o c h e in dem Gefühl der „Achtung vor dem subjektiven Recht im anderen", in dem „gefühlsmäßigen Respekt vor den Ansprüchen, die der fremden Persönlichkeit in einem Gegenseitigkeitsverhältnis zustehen", erblicken2. Es ist, wie Hoche richtig hervorhebt, dem Gefühl des Taktes, der Rücksicht und auch dem der Achtung nahe verwandt. Es ist auf den Wert der Gerechtigkeit gerichtet und bildet als moralisches Gefühl die höchste emotionale Instanz und die sittlich höchststehende seelische Kraft in der Gestaltung des Rechtes. Freilich fordert es Gerechtigkeit nicht nur für andere, sondern auch für den Träger selbst; es steht insofern im engen Zusammenhang mit dem Selbstwertgefühl des Menschen und den Ansprüchen, die er daraus erhebt. Darum drängt verletztes Rechtsgefühl zu Sühne und Rache, die nur eine „Projektion der Persönlichkeitsvorstellung nach außen" ist®. Das Rechtsgefühl verlangt also Beachtung des eigenen Rechtes, aber es begrenzt auch die selbst erhobenen Ansprüche, indem es auch den andern achtet und gelten läßt. Es wirkt im Gewissen. Es reagiert mit Unlustgefühlen nicht nur bei der Verletzung der Rechtsposition des Trägers selbst, sondern ebenso bei der Verletzung des Rechtes in der Person eines anderen. Die großen Kämpfe um das Recht bieten Beispiel für beides. Freilich beschränkt sich die Anteilnahme an der Verkümmerung fremden Rechts entwicklungsgeschichtlich zunächst auf die Angehörigen der eigenen Gruppe 4 . Cha1 Zwischen den höchsten Zielen des Rechtes und dem Machtstreben besteht freilich ein Gegensatz. Dazu unten p. 71 £f. 1 H o c h e , Rechtsgefühl, p. 12; dort audi p. 17—23 Ausführungen über Verbreitung und Stärke des Rechtsgefühls. 3 Μ e ζ g e r , Strafredit, p. 10. ' Dazu unten p. 64.
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rakteristisch für das Rechtsgefühl ist ein starker Zug zur Gleichheit1; es verlangt, daß gleiche Fälle gleich behandelt werden; es fordert Gleichbehandlung auch für Personen, soweit nicht Unterschiede des Ranges aus anderen Wertvorstellungen heraus anerkannt werden2. Die Reaktionen des Rechtsgefühls sind heftig; es setzt große seelische Energien in Bewegung. Das zeigt sich überall dort, wo um das Recht gekämpft wird; es ist eine alte Erfahrung der politischen Propaganda, daß man im Kampf nach Möglichkeit das Rechtsgefühl für sich mobilisieren muß. Gehen wir nun zur Betrachtung der seelischen Quellen des Rechtsstoffes im einzelnen über, so stoßen wir auf die ganze Fülle des menschlichen Strebens und Wertfühlens. Denn w a s das Recht organisiert, sind die menschlichen Interessen; ihre Gegensätze sollen sie entscheiden und überbrücken. Diese menschlichen Interessen aber, welche im sozialen Leben miteinander ringen, gehen auf die gefühlsbetonten, emotionalen Strebungen des Menschen zurück. Es sind„Begehrungen", die „den Interessen zugrunde liegen"8. Sie alle, soweit sie überhaupt in die soziale Welt hineinwirken und das Verhalten des Menschen in der Gemeinschaft bestimmen, sind für das Recht von Bedeutung. Das gilt für die animalischen Triebe des Menschen ebenso wie für sein geistiges Fühlen und Streben. Sie erschöpfend aufzählen, hieße eine umfassende Darstellung des menschlichen Gefühlslebens geben. Nur einzelne können hervorgehoben werden. Wir erwähnten schon das M a c h t s t r e b e n des Menschen; ihm steht ebenso wichtig für die Gestaltung der Gruppe der D r a n g z u r U n t e r o r d n u n g gegenüber. Das A n s c h l u ß b e d ü r f n i s des Menschen ist eine Grundlage der Gruppenbildung. Für eine Institution wie die Ehe kommen andere seelische Faktoren hinzu4. Für die Herausbildung einer Eigentumsordnung ist die F r e u d e a m B e s i t z von entscheidender Bedeutung. Der Einordnung in die Gruppe setzt sich das angeborene 1
Dazu Riezler, 1. c. p. 105. ' Das Rechtsgefühl verlangt also nicht Gleichheit an sich; Nivellierung und Neid liegen nicht mit ihm auf einer Ebene; vgl. dazu Η ο c h e, p. 2 und 23, obwohl sich hinter der Gleichheitsforderung häufig audi Neidgefühle verbergen. Vgl. B r i n c k m a n n , Soziolog. Theorie der Revolution, p. 9. R a d b r u c h , Vorschule der Rechtsphilosophie, p. 24. • H e c k , Arch. f. d. ziv. Praxis 112, p. 245. — Hede will übrigens das Rechtsgefühl als Lustgefühl bei Befriedigung der eigenen Begehrungen durch das Recht verstehen, was sicher zu eng ict. Vgl. 1. c. * Vgl. dazu V i e r k a n d t , Gesellsdiaftslehre 2, p. 188, 450.
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Verlangen nach F r e i h e i t gegenüber 1 . Dazu treten die geistigen Gefühle des Menschen, sein S t r e b e n nach der V e r w i r k l i c h u n g s i t t l i c h e r W e r t e , das E r g r i f f e n s e i n durch das H e i l i g e und das S c h ö n e . Sie alle wirken als Bestrebungen in das soziale Leben hinein und bestimmen damit auch das Redit, das auf sie Rücksicht nehmen muß, in seinem Inhalt. Eine zentrale Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem Instinkt der Selbstbehauptung und dem Selbstwert-, dem Persönlichkeitsgefühl des Menschen zu. Der Selbstbehauptungswille geht mit in das Sicherheitsverlangen ein, auf dem das Recht mit beruht; aber die Rechtsordnung nimmt auch sonst an vielen Stellen auf ihn Rücksicht, wie z. B. Notwehr- und Notstandsrecht bezeugen. Das Selbstgefühl bestimmt, wie schon gezeigt, den Charakter der ursprünglichen Reaktion auf die Rechtsverletzung: die Rache. Die Rechtsverletzung wird ursprünglich stets als Persönlichkeitsverletzung empfunden. In diesem Sinne steht, wie Ulrich Stutz es formuliert hat, am Anfang stets die Missetat 2 . Die Ausgleichung, die die Rechtsverletzung erfährt, ist daher Befriedigung des Rachewillens. Das Selbstwertgefühl begründet ferner das Ehrverlangen des Menschen, dessen Schutz ein ewiges Thema der Rechtsordnung ist. Das Persönlichkeitsgefühl ist aber darüber hinaus für den gesamten Aufbau des Rechtes von entscheidender Bedeutung, weil es die Maßstäbe für Gleichheit und Ungleichheit der Menschen gibt und damit das Rechtsgefühl an einen Punkt von grundlegender Wichtigkeit ergänzt und konkretisiert. Das Gefühl für den eigenen Wert oder Unwert kann sich an sehr verschiedenen Umständen messen: an körperlicher Stärke, an edler Abkunft, an Macht und Reichtum, an religiöser Weihe, an geistig-moralischen Vorzügen. Diese Maßstäbe werden sich für die ganze Rechtsordnung als bedeutsam erweisen, für den politischen Aufbau, die gesellschaftliche Gliederung, die Festlegung der Bußen bei Verletzungen usw.8 Endlich stehen Machtstreben und Freiheitsdrang des Menschen mit dem Instinkt der Selbstbehauptung und dem Selbstwertgefühl in engem Zusammen1
Vgl. dazu R o t h a c k e r , p. 26/27 über das biogenetische frühe Auftreten des Freiheits-
triebes. 1
Zeitsdir. der Savigny-Stiftung, German. Abt. Bd. 49. 10. ' Die Abstufung der Wergelder in den germanischen Volksrechten der Völkerwanderungszeit ist dafür charakteristisch.
I. Die Grundlagen im seelischen Aufbau der Einzelpersönlidikeit
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hang; es ist eine ganze Gruppe von unter sidi verwandten Strebungen, die hier für die Formung der Rechtsordnung bedeutsam werden. Ebenso große Bedeutung wie das Selbstgefühl des einzelnen Menschen und die mit ihm zusammenhängenden Triebe und Strebungen besitzt das G r u p p e n g e f ü h l für den Aufbau der Rechtsordnung. Der Mensch ist ein Gruppenwesen; den isolierten Menschen, den die Naturrechtslehre der Aufklärung zum Ausgangspunkt ihrer Rechts- und Gesellschaftslehre machte, gibt es nicht1. Der Mensch lebt in Gruppen mit anderen Menschen zusammen. Ursprünglich geht er ganz in dieser Gruppe auf. Sein Selbstgefühl wurzelt vollkommen im Gefühl der Zugehörigkeit zu seiner Gruppe. „Das germanische Individuum", sagt Groenbech2, „ . . . existiert nur als Repräsentant, nein, als Personifikation eines Ganzen . . . je mehr die Seele in Bewegung gesetzt wird, desto mehr geht die Persönlichkeit in die Sippe auf." Ähnliche Feststellungen trifft Kö h i e r 8 für die Israeliten der vorprophetischen Zeit. „Für die alttestamentarische Offenbarung gehört der Mensch ohne weiteres zu den soziologischen Größen; es gibt Menschen nur in der Mehrzahl; Ein Mensch ist kein Mensch; Mensch ist der Mensch immer nur inmitten und als Glied einer Gruppe 4 ." Später erst bildet sich das individuelle Selbstgefühl des einzelnen, von dem eben die Rede war. Aber auch dann fühlt sich der einzelne weiter als Glied der Gruppe. Die Gruppe ist in ihm selbst lebendig; er fühlt sie als Teil seiner selbst, lebt in ihr und mit ihr. Das gilt besonders von den Massen, in denen auch in Zeiten entwickelter individueller Kultur sich das Kollektivbewußtsein besonders stark zu erhalten pflegt. Die Anforderungen der Gruppe wirken in der Seele des Einzelmenschen als Sollen; ihre Behauptung in der Welt fühlt er als seine Sache, der er sich opfern kann, ohne sich zu verlieren, ja sogar indem er sich erfüllt 5 . Konflikte zwischen Individuum und Gemeinschaft können sich in der Seele des Menschen selbst vollziehen, aber auch das Aufgehen des Selbst in der Gemeinschaft als höchste Ausweitung und Vollendung des Ichs erlebt werden. 1 Vgl. V i e r k a n d t , Gesellschaftslehre, 158/59. Übrigens audi schon Pudita, Gewohnheitsrecht 1828. p. 134. 1 Kultur und Religion der Germanen I, 30. * Theologie des Alten Testamentes, p. 113. 4 Beide Zitate nach Mensching: Soziologie der Religion, p. 162. » Vgl. dazu Litt, Individuum und Gemeinschaft, X. Aufl., p. 90/91, 106, 100.
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Drittes Kapitel
Diese Tatsache ist für den Aufbau der Rechtsordnung von größter Wichtigkeit. Daß der Mensch sich als Glied einer Familie, einer Kirche, eines Volkes fühlt, deren Interessen er als die seinen empfinden kann, hat den größten Einfluß auf die Gestaltung des sozialen Lebens und des Rechtes. Daß dieses Gruppengefühl die Beschränkungen, welche die Rechtsordnung dem einzelnen und seinen Strebungen auferlegt, zum guten Teil überhaupt erst für den einzelnen erträglich und damit möglich macht, wird weiter unten zu erörtern sein. Hier ist hervorzuheben, daß dieses Gruppenbewußtsein des Menschen auch auf die inhaltliche Gestaltung seines Rechtsbewußtseins starken Einfluß besitzt. Der Lebensdrang, der Existenzwille der verschiedenen Gruppen gehen damit als legitime Forderungen in das Rechtsbewußtsein ein 1 . Die Ansprüche, die ein Verband gegenüber einem anderen erhebt, etwa ein Staat gegenüber einem anderen, eine Kirche gegenüber dem Staat, werden in der gleichen Stärke als Rechtsforderungen erlebt wie die Ansprüche, die das Individuum selbst zu stellen hat. Man denke an Frankreichs Willen zur Rückgewinnung von Elsaß-Lothringen, an die italienische Irredenta und die unheilvolle Rolle, welche die zwischen Deutschland und Polen strittigen Gebiete gespielt haben. Die Verletzung des „Lebensrechtes" der Gruppe oder ihre Kränkung wird als persönliche Unbill gefühlt und ruft die gleichen Forderungen nach Sühne und Rache hervor wie die Verletzung des einzelnen. Ja, es ist eine auffallende Erscheinung, daß — jedenfalls in der gegenwärtigen Welt — die Regungen des nationalen Selbstgefühls und Selbstbehauptungswillens in der Regel weit elementarer, ungehemmter und gewaltsamer zu sein pflegen, als die Reaktionen des Durchschnittsmenschen unserer Tage bei einer Verletzung der eigenen Person. Während etwa das Duell, der Kampf wegen Verletzung der persönlichen Ehre, mehr und mehr als unberechtigtes Residuum früherer Entwicklungsstufen empfunden wird, ist der Wille der Völker, für die Selbstbehauptung oder die Ehre der Nation zu fechten, wenn auch nicht ungebrochen, so doch noch viel stärker vorhanden 2 . Ebenso werden Verletzungen der eigenen Gruppe von innen her als Rechtsbruch empfunden und rufen in der gleichen Weise Rache und Sühneverlangen 1 Mail denke an die berüchtigte Maxime: Recht ist, was dem Volke nützt 1 — Vgl. audi die Schilderung bei Riezler, Rechtsgefühl, p. 55 ff. * Vgl. dazu die Bemerkungen b e i V i e r k a n d t , Gesellsdiaftslehre, 2. Aufl., p. 356, 366, 368.
I. Die Grundlagen im seelischen Aufbau der Einzelpersönlichkeit
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hervor; man denke nur an die geradezu an das Hysterische grenzende Erregung, die in Kriegszeiten, wenn das Gruppengefühl besonders stark lebendig und reizbar ist, Verratsfälle und vor allem der Verdacht des Verrates in den Völkern der Gegenwart hervorrufen. Das prägt sich im Rechtsbewußtsein und in der Rechtsordnung aus. In keinem Strafrecht fehlen die Bestimmungen über Hoch- und Landesverrat, und die Strafen sind hier regelmäßig hoch, meist die höchsten, die überhaupt vorhanden sind. Auch hier machen die modernen Nationen keine Ausnahme; man denke an die Welle von Bestrafungen, welche nach dem letzten Krieg gegen Kollaborateure und Quislinge in allen Ländern begannen, die längere Zeit besetzt gewesen waren, wobei man sich keineswegs auf Politiker beschränkte, sondern auch Geschäftsleute usw. heranzog. Das ist alles rein rational nicht zu begreifen; verständlich wird es erst aus den elementaren Regungen des Gruppengeistes, der auch den modernen Menschen viel stärker beherrscht, als er sich selber zugibt und als es nach den sozusagen offiziellen Kulturidealen, die er aufstellt und als befolgenswert ansieht, scheinen könnte. In diesem Punkte ist der moderne Mensch dem Primitiven noch außerordentlich nah. Freilich darf nicht übersehen werden, daß es ein Gruppengefühl schlechthin nicht gibt, dieses vielmehr nur in bestimmten historischen Konkretisierungen sichtbar wird. Dabei sind es in den verschiedenen Epochen und Völkern sehr verschiedene Gruppen gewesen, die der Intensität des Gefühls nach den Menschen am stärksten ergriffen. So ist das Zusammengehörigkeitsgefühl der Großfamilie im modernen Europa ständig zurückgegangen, während es jahrhundertelang von der größten Bedeutung war. W a s die großen Verbände angeht, so war im 16. und 17. Jahrhundert die Gemeinschaft der Konfession viel stärker als die der Nationen. Heute ist es umgekehrt 1 . Andererseits hat sich die Stärke des Nationalgefühls gegenüber dem Klassengefühl der Arbeiterschaft in geradezu überraschender Weise bewiesen. Auch diese Schwankungen sind natürlich für das Rechtsbewußtsein höchst bedeu1 Leider ist es auch die Geschichte der Kriege und Verfolgungen und ihrer Motive, an denen man die Stärke des Gruppengeistes und die Art der Gruppe, in welcher er wirksam wird, ablesen kann; ein Zeichen für die Gewalttätigkeit seiner Regungen. Die relative Humanität des 18. Jahrhunderts war vermutlich z. T . dadurch bedingt, daß die konfessionellen Gemeinschaften ihre trennende Macht zu verlieren begannen, während die der Nationen noch nicht aufgestiegen war.
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Drittes Kapitel
tungsvoll; die Rechtsbestimmungen gegenKetzer, über die der moderne Mensch sich gewöhnlich hoch erhaben dünkt, stehen mit denen über Hochverrat im Grunde auf einer Stufe: es ist der Gruppenfeind, der in beiden Fällen vernichtet wird 1 . Zusammenfassend kann man sagen, daß das Selbstgefühl der Gruppe, das in der Seele des Einzelmenschen lebendig ist, sich genau so wie der Selbstbehauptungswille des einzelnen im Rechtsbewußtsein ausprägt 2 . Das Rechtsbewußtsein ist nun natürlich nicht das Bewußtsein von der bloßen Existenz all dieser für das soziale Leben bedeutsamen Strebungen und Instinkte. Wäre es nur das, so würde es mit dem Selbstbewußtsein überhaupt nahezu zusammenfallen. Charakteristisch für das Rechtsbewußtsein ist vielmehr, daß es all diesen Strebungen im Hinblick auf das Zusammenleben in der Gruppe eine bestimmte Bedeutung verleiht, daß es sie aufnimmt, b e w e r t e t u n d b e g r e n z t . Das Rechtsbewußtsein ist ein W e r t b e w u ß t s e i η , ein Wissen um die Existenz von bestimmten Werten im sozialen Leben, und ein R a n g b e w u ß t s e i n , das diese Werte gliedert, hierarchisiert und damit festlegt, weither Wert im sozialen Leben den Vorrang haben soll. Wenn etwa das Interesse der Gruppe mit dem Selbstbehauptungs- und -entfaltungswillen des Individuums zusammenstößt, sei es im Kriege, sei es etwa im Bereich des wirtschaftlichen oder wissenschaftlichen Lebens, dann muß das Rechtsbewußtsein angeben, welches Interesse, welches Wollen den V o r r a n g hat. Welcher Instanz entnimmt nun das Rechtsbewußtsein diese Bewertung? Welche Tendenzen sind maßgebend dafür, ob ein menschlicher Instinkt, ein menschliches Wollen vom Rechtsbewußtsein gehemmt oder gefördert wird? Hier kommen zunächst die schon erwähnten Grundtendenzen in Betracht, der Friedens- und Sicherheitswille. Sie bewerten unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung von Gewalt die Stabilität der bestehenden Verhältnisse. Dazu tritt das 1 Vgl. über den Zusammenhang des Einflusses der Masse, in der der Gruppengeist lebendig bleibt, mit der Kirche als Zwangsanstalt und der Ketzerverfolgung jetzt M e n s c h i n g , Soziologie der Religion, p. 217 ff., 227. 1 Die Rolle von Individualgefühl und Gruppengefühl (von ihm Gemeingefühl genannt) hat I s a y richtig gesehen (Rechtsnorm usw., p. 88 ff.); er verkennt aber die Bedeutung der Gerechtigkeit als des primär intendierten Wertes beim Rechtsgefühl.
I. Die Grundlagen im seelischen Aufbau der Einzelpersönlidikeit
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Rechtsgefühl mit seiner Tendenz, jedem Menschen und jeder Erscheinung des sozialen Lebens mit der Achtung zu begegnen, die ihr gebührt, jedem das Seine zu geben. Das Rechtsgefühl bedarf aber weiterer Maßstäbe. Diese entnimmt es dem allgemeinen s i t t l i c h e n B e w u ß t s e i n . D a s Rechtsgefühl ist nicht isoliert; es steht im lebendigen Zusammenhang mit dem gesamten sittlichen Wertbewußtsein. Dadurch erhält es erst Maßstäbe und Bestimmtheit. Die Wertung des Rechtsbewußtseins steht also in enger Beziehung zum s i t t l i c h e n B e w u ß t s e i n , wie es dem Menschen im G e w i s s e n 1 individuell lebendig wird. Darum ist die Rechtsentscheidung so oft Gewissensentscheidung. Im Gewissen tritt dem einzelnen — allerdings an die konkrete Situation gebunden — sein sittliches Bewußtsein und in ihm die Rangordnung der Werte entgegen, deren Verwirklichung er emotionell erstrebt. Es verpflichtet ihn, die Auswahl unter den andrängenden Motiven, die ihm wesensgemäß — im Gegensatz zum instinktbeherrschten Tier — möglich ist 2 , in einem bestimmten Sinn zu vollziehen, nämlich eben im Sinne der von ihm erlebten Rangordnung dem höchst bewerteten Motiv den Vorzug zu geben. Die Rangordnung der Werte, die im Gewissen des einzelnen lebendig wird, geht auch in sein Rechtsbewußtsein ein. Wie jenes entscheidet, welche Strebungen im Leben des einzelnen prävalieren sollen, so dieses darüber, welche Bestrebungen im sozialen Leben den Vorrang haben sollen. Es ist daher nicht zufällig, daß es Zeiten und Denker gab, die Gerechtigkeit und persönliche Sittlichkeit gleichsetzten. So meint der alttestamentarische Begriff der Gerechtigkeit nicht nur die Rechtlichkeit im sozialen Leben, sondern das sittliche Leben überhaupt, so hat Piaton in der Politeia den sittlichen Aufbau der Persönlichkeit zu der Gerechtigkeit im Staat in Parallele gebracht und beides als Gerechtigkeit bezeichnet3. Trotzdem kann man Rechtsbewußtsein nicht einfadi mit sittlichem Bewußtsein, aktualisiertes Rechtsbewußtsein mit Gewissen gleichsetzen. Zwar haben beide gemeinsam, daß sie sich erst am konkreten Einzelfall, in der individuellen Situation, entzünden; aber inhaltlich sind sie verschieden. Das Rechtsbewußtsein erscheint gegenüber dem sittlichen Bewußtsein als etwas Abgeleitetes, Sekun' Im selben Sinne Frz. K l e i n : Die Grundlagen usw., p. 32. * Dazu R o t h a c k e r , p. 76; audi W e 1 ζ e 1 , 1. c. p. 433 ff. J Vgl. Politeia IV 441 e und 443 d.
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Drittes Kapitel
däres — wiewohl geschichtlich wohl beide sich aus einer gemeinsamen Wurzel herausdifferenziert haben 1 . Das sittliche Bewußtsein erscheint in ihm wieder, aber sozusagen abgelenkt, auf eine besondere Aufgabe bezogen und nur ausschnittsweise2. Sittliches Bewußtsein und Gewissen beziehen sich auf das individuelle Leben in seiner Totalität, das Rechtsbewußtsein nur auf das Zusammenleben in einer bestimmten Gruppe. Das Gewissen ist auf die Verwirklichung des höchsten sittlichen Wertes schlechthin, von dem das Individuum ergriffen ist, in seinem Leben gerichtet; das Rechtsbewußtsein beruht ausschließlich auf der Gerechtigkeit, ihrem Streben, jeden und alles in der sozialen Gemeinschaft nach seinem Werte gelten zu lassen. Es entnimmt dem Gewissen, dem sittlichen Bewußtsein, das darin zur Erscheinung kommt, nur die Bewertungen, die es für diese Aufgabe braucht; mehr geht in das Rechtsbewußtsein nicht ein. Ferner ist das Rechtsbewußtsein nur auf die Gruppenexistenz des Menschen gerichtet: es unterliegt daher auch anderen Ablenkungen als das sittliche Bewußtsein. Während letzteres leichter durch Wünsche des Individuums getäuscht wird — die unserem Bewußtsein dann in idealisierter Form erscheinen, eine häufige Form der Selbsttäuschung! —, ist ersteres eher durch Gruppeninteressen gefährdet, die im Gewände absoluter, sittlicher Interessen auftreten, übrigens auch ohne alle sittliche Verbrämung kraft ihrer machtvollen Unterstützung durch das Gruppengefühl sich gegenüber Wertungen des sittlichen Bewußtseins durchsetzen, ähnlich wie es Triebe und Neigungen im Einzelmenschen gegenüber dem Spruch des Gewissens tun. Schließlich ist die Gerechtigkeit mit ihrem Bestreben, die sittliche Rangordnung auch im sozialen Leben zu wahren, nicht das einzige Motiv, das im Rechtsbewußtsein mitspricht; wir sahen, wie daneben auch der Wille zum Frieden und zur Sicherung des Bestehenden eine Rolle spielt; dieses Motiv muß eine weitere Ablenkung bedingen; es verengert gewissermaßen das Tor, durch welches das sittliche Bewußtsein in das Rechtsbewußtsein einströmen kann. Nur soweit der Friedens- und Sicherheitswille es zulassen, kommen mit der Gerechtigkeit die sittlichen Maßstäbe zur Geltung. Das Rechtsbewußtsein des Menschen entnimmt also dem Vgl. dazu unten p. 66. 1 Vgl. hierzu S c h e l e r s Ausführungen über die Bildung der Gesellschaftsmoral, die in einem ähnlichen Verhältnis zum sittlichen Bewußtsein steht: Formalismus usw., p. 179—181.
II. Gruppengeist und Rechtsbewußtsein
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sittlichen Bewußtsein seine Maßstäbe, aber nicht ausschließlich. Neben den eigentlich sittlichen Wertungen gehen auch ganz andere Tendenzen in das Rechtsbewußtsein ein.
II. Wir haben bisher die psychologischen Grundlagen des Rechtsbewußtseins in der Seele des Einzelmensdien deutlich zu machen versucht. Allein diese Untersuchung würde unvollständig und falsch sein, wenn wir nicht des ungeheuren Einflusses gedächten, den der Geist der Gruppe auf die Formung des Rechtsbewußtseins besitzt. Der Gruppengeist ist im einzelnen lebendig, und die Interessen der Gruppe werden, wie wir sahen, vom Individuum als die Seinen empfunden. Aber sein Einfluß reicht weiter. Denn auch die Wertungen, mit deren Hilfe das Rechtsgefühl sich in bestimmten Maßstäben konkretisiert und mit denen es die sozialen Kräfte hierarchisiert und ordnet, übernimmt das Individuum zunächst von der Gruppe, in der es lebt1. Der Mensch wird in bestimmte Gruppen hineingeboren, wächst in ihnen auf und bildet sein eigenes Wertgefühl, indem er die Wertungen, die er in seiner Familie, seiner Kirche, seinem Volk usw. vorfindet, zunächst übernimmt, so wie er auch die Sprache, die Sitten und Gewohnheiten dieser Gemeinschaft übernimmt 2 . Die Menschen, die vor ihm in den Gemeinschaften lebten, haben einen Bestand an sittlichen Urteilen und Wertungen und ein Rechtsbewußtsein geschaffen, das ihren Tod überdauert, das von Generation zu Generation weitergegeben wird, bis die Tradition an einer Stelle abreißt. In diese Überlieferung wächst der junge Mensch hinein, übernimmt sie und macht sie zu der Seinen. Sein eigenes Wertfühlen wird durch die vorgefundenen Weisungen geformt, in bestimmte Richtungen gedrängt; manches wird entwickelt, manches gehemmt, manches vernachlässigt. Es mag manchen „Raffael ohne Hände" im Sinne Lessings geben, der sein Eigentlichstes nie entdeckt. Die meisten werden die so übernommenen Wertvorstellungen nie überprüfen, viele einige, keiner alle. Die meisten werden sie als ' Vgl. Κ 1 e i η , 1. c. p. 35/36. Klein bezieht sich auf die „zivilisierte" Gesellschaft: aber für die Primitiven gilt es erst recht. * Vgl. dazu L i t t : Individuum und Gemeinschaft, p. 44.
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Drittes Kapitel
selbstverständliche Tradition ansehen, ohne sie selbst nachzuerleben; andere werden sie aus eigenem Erleben selbst als richtig nachvollziehen; wenige werden sich endgültig auflehnen, um sie zu verwerfen. Im übrigen hat auch die Übernahme als Tradition ihren großen Wert; mag sie auch einzelne überlegene Geister hemmen, so trägt sie doch die Menge und hebt sie auf einen höheren Durchschnitt in ihrem sozialen Verhalten, als sie vermutlich von sich aus erreichen würde. So lebt das Rechtsbewußtsein in der Gruppe mit leichten Oscillationen fort, bis große äußere Erschütterungen des sozialen Gefüges die Tradition unterbrechen oder — seltener — eine radikale Überprüfung der Überlieferung aus neu erlebten Werteinsichten erfolgt, jenes: Ihr habt gehört — ich aber sage E u c h . . . Es ist also die Gruppe, in der das Rechtsbewußtsein lebendig ist und von der das des einzelnen geformt wird, das Volk, die Kirche, der Staat, in welchem der einzelne lebt und aufwächst. Als Gruppenwertung wird es — wie die Gruppenmoral, auf der es beruht — auch vom einzelnen erlebt, als Urteil der „anderen", der Zuschauer, wie es Vierkandt plastisch geschildert hat 1 . Den Wünschen und Strebungen der einzelnen tritt es als Werturteil des „Man" gegenüber: man wird sagen . . . , man tut das nicht; man sollte das tun. D a s ist nun von außerordentlicher Bedeutimg. Die Anforderungen, die das Rechtsbewußtsein stellt, werden damit nämlich als Auffassungen und Anforderungen der Gruppe empfunden und entlehnen von ihr ihre Kraft. Sie erscheinen also nicht nur als Forderungen eines autonomen Rechtsgefühls, sondern auch als solche der Gruppe, an deren Existenz und Kraft sie gebunden sind. Gruppenbewußtsein und Rechtsbewußtsein sind verbunden 2 . Es ist daher kein Wunder, daß in geschichtlich frühen Zeiten das Rechtsbewußtsein, wo wir es uns noch deutlich machen können, an die Gruppe (den Stamm oder das Volk) gebunden erscheint. Die rechtlichen Wertungen und Bindungen gelten nur innerhalb der Gruppe. Das kommt darin zum Ausdruck, daß der Fremde, der nicht zur Gruppe gehört, nicht als Rechtsgenosse gilt. Ihm gegenüber gelten keine Rechtspflichten; denn er gehört nicht zur Gruppe. Erst die Aufnahme als Gastfreund eines Gliedes der Gruppe kann ihm den RechtsGesellsdiaftslehre 2, p. 407; vgl. auch L i t t , p. 37/38, 146. * Vgl. dazu audi Ν ο h 1, Die ethisdicn Grunderfahrungen, p. 16 (über die Rolle τοη Autorität und Tradition). 1
II. Gruppengeist und Reditsbewußtsein
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schütz verleihen; als Fremder ist er rechtlos. Das gleiche gilt für den, den die Gruppe ausstößt, den Geächteten, Friedlosen. Auch er lebt ohne Recht; denn die Gebote der Gruppe schließen ihn nicht ein. Die gleiche Bindung an die Gruppe tritt uns in den frühen Kulturen im Bereich der Religion und der Moral entgegen. Dem gruppengebundenen Recht entspridit die Gruppenmoral und die Volksreligion 1 . Beide sind ebenfalls an bestimmte Gruppen gebunden. Die Götter sind Familien-, Stammes- oder Staatsgötter; die Familie, der Stamm, die Polis ist Trägerin des Kultus. Die Moral ist das Gesetz der Gruppe. Die Gruppenmoral bestimmt den Inhalt der Rechtsordnung. Das Recht kann nur verbieten, was die Gruppenmoral verdammt2. Es läßt sich hier — mit allem Vorbehalt, der solchen Schemata zukommt — eine in gewissem Sinne typische Entwicklung feststellen 3 . In der ältesten Zeit sind, namentlich soweit das öffentliche Strafrecht in Frage steht, vor allem die Tabu-Vorstellungen der Gruppe maßgebend. Sie rufen Vorschriften hervor, welche die Gemeinschaft vor dem gefährlichen Einfluß dämonischer Mächte sichern sollen. W e r sie übertritt, muß entweder zum Schutz der Gruppe vernichtet — dies scheint der ursprüngliche Sinn der Ordale gewesen zu sein4 — oder einem Entziehungs- und Reinigungverfahren unterworfen werden5. Ebenso sind im Vertragsrecht und Verkehrsrecht, soweit ein solches existiert, magische Vorstellungen wirksam. Die Vertragsbindung wird sowohl innerhalb der Gruppe wie im Zwischengruppenverkehr durch magische Praktiken und Gebrauch von Zauberformeln hergestellt. Religiöse Vorstellungen, Gruppenmoral und Rechtsvorschriften stehen auf dieser Stufe noch im ungeschiedenen Zusammenhang. Auf einer folgenden Stufe tritt gegenüber der ersten eine Versittlichung ein. Tabu-Vorschriften und magische Vorstellungen treten im Rechtsleben zurück, wenn sie auch noch lange fortwirken. Im eigentlichen Sinne sittliche Vorstellungen beginnen sich zu bilden und im Recht — wie in der Religion — wirksam zu werden. Das Recht erscheint Vgl. dazu M e n s c h i n g , Soziologie der Religion, 1. Kap. * Das hat — Kr die Moderne — besonders scharf M. E. Mayer in „Rechtsnormen und Kulturnormen" betont, wo er nachweist, daß die von Binding als Voraussetzung der Strafgesetze angenommenen Normen nicht Rechtssätze, sondern Gebote des Kulturbewußtseins der Nation seien. ' Vgl. das Schema der Religionsentwiddung bei M e n s c h i n g , Soziologie der Religion, p. 2 0 - 2 2 . 4 Vgl. dazu L 4 v y - B r ü h l : La mentality primitive (Paris 1922), p. 265 fl., 275 ff. ' Dazu M e n s c h i n g , op. cit. p. 71. 1
5 Coing, Reditsphilosophie
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Drittes Kapitel
jetzt, wie die Moral, als sittliche Vorschrift der Götter. Aber wie diese noch nationale Götter sind, so werden auch die Rechts- und Moralvorschriften noch als spezifisch nationales Gut empfunden; sie sind der Gruppe (dem Stamm, der Polis) gegeben; auf sie beschränkt sich ihre Geltung. In den großen Kulturen kommt dann aber ein Zeitpunkt, an dem diese Verbindung gelöst wird. D a s Heilige, das Sittliche und das ihm verbundene Rechtliche treten dem Menschen nun „absolut", losgelöst aus der Bindung an Gruppe und Gruppengeist, in ihrer überwältigenden Größe gegenüber. Eine Dissoziation tritt ein; die Werte, die bisher ungeschieden sich dem Bewußtsein als eine Einheit darstellten, werden in ihrer Besonderheit erkannt; ihre Einzigartigkeit wird dem Menschen bewußt, und mit Staunen erkennt er ihre Unabhängigkeit von der Existenz der Gruppe. Es sind große Genien, die die Menschheit diesen Schritt tun lassen; es sind die großen Epochen in der Entwicklung der Kulturen, in denen das geschieht. Hierher gehört in der Religionsgeschichte das Werk der israelitischen Propheten 1 . Hierher gehört in der griechischen Geschichte die Gestalt des Sokrates, der die absolute Moral erkennen lehrt 2 . Wir kennen auch sonst derartige Dissoziationen, Trennungen von Gefühlen, die bisher ungesondert im Bewußtsein nebeneinander standen. Sie sind wohl ein notwendiger Vorgang in der Selbsterfassung des Menschen, die sich in jeder Kulturentwicklung vollzieht und in der er erst seiner wahren Kräfte und Aufgaben sich bewußt wird. Rudolf Otto hat in seinem klassischen Buch über das Heilige geschildert, wie das Gefühl für das Heilige sich geschichtlich aus der Verbindung mit anderen, ihm benachbarten Gefühlen, der Scheu vor den Toten, der Furcht vor dem Unheimlichen, löst und dann in seiner überwältigenden Größe rein erscheint. „Wie alle anderen seelischen Urelemente taucht es zu seiner Zeit in der Entwicklung menschlichen Geisteslebens auf und ist dann einfach da. Auftauchen kann es zweifellos erst, wenn gewisse Bedingungen erfüllt sind: Bedingungen der körperlichen Organentwidclung, der Fähigkeiten der Reizbarkeit und Spontaneität, der übrigen seelischen Kräfte, des allgemeinen Gefühlslebens . . . Aber solche Bedingungen sind Bedingungen, nicht Ursachen oder Elemente. U n d 1 M e n s c h i n g , Soziologie der Religion, 108. * Eine allgemeine Theorie dieses Vorgangs bietet G . S i m m e 1: Lebensanschauung, 2. K a p . : „Die Wendung zur Idee" (1918).
II. Gruppengeist und Rechtsbewußtsein
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diese Tatsache anerkennen . . . heißt vom sensus numinis nur dasselbe behaupten, was v o n a l l e n a n d e r e n U r e l e m e n t e n u n s e r e s S e e l i s c h e n a u c h g i l t . . . alle höheren Erkenntnisvermögen und Kräfte der Seele t r e t e n . . . entwicklungsmäßig zu ihrer Zeit auf, sind aber jeder für sich ein Neues, Unableitbares . . , 1 " Ähnlich hat Ernst Troeltsch den Sachverhalt formuliert. Er hat davon gesprochen, daß alle logischen und ethischen Einsichten und Evidenzen geschichtlich aus gewissen psychologischen und sprachlichen Vorstufen und Vorbereitungen herauswachsen. Das sei nicht zu erklären, „ohne die Begriffe e i n e r u n b e w u ß t e n u n d v o r b e w u ß t e n D u r c h d r i n g u n g des Psychologischen m i t L o g i s c h e m u n d W e r t h a f t e m , das e r s t an b e stimmten Reifepunkten seine Selbständigkeit e r k e n n t u n d s i c h d a n n a u f s i c h s e l b e r s t e l l t . Dabei bleiben dann im praktischen Leben und Denken eine Menge von Mischzuständen ü b r i g . . " z . Aber die neuen Werte, dürfen wir hinzufügen, sind dem Menschen nun doch aufgegangen, haben ihn ergriffen und werden ihn nicht mehr völlig loslassen. Die Entdeckung der absoluten Moral und die Herauslösung der sittlichen Gebote aus Gruppenreligion und Gruppenmoral kann nicht ohne bedeutsame Rückwirkungen auf die Entwicklung des Rechts und des Rechtsbewußtseins bleiben. Die Überwindung der Gruppenreligion und der auf ihr beruhenden Moral bedeutet zunächst eine Krise des Rechtsbewußtseins. Das Recht, das bisher als göttliche Satzung erschien, stellt sich plötzlich als eine menschliche Schöpfung heraus, die allem Anschein nach dem Belieben der Herrschenden entspringt. Skeptische Analyse tritt an die Stelle scheuer Achtung; das Recht büßt notwendig an innerer Autorität ein. Dann aber folgt eine neue Wendung. Mit der Entdeckung der absoluten Moral treten auch die absoluten sittlichen Grundlagen des Rechtes ins Bewußtsein. Es entsteht nun die Idee einer volks- und zeitüberlegenen Rechtsordnung; es erscheint der Gedanke des N a t u r r e c h t s , das für alle Menschen, Zeiten und Völker gilt, wie die absolute Moral oder die absolute Religion, weil es auf zeitüberlegenen sittlichen Werten, Gerechtigkeit, Treue usw. beruht. Typisch ist in dieser Hinsicht die Entwicklung in Griechenland 1 R. O 11 ο , Das Heilige, 23.—25. Aufl., p. 151. Die Sperrung rührt von mir her. « T r o e l t s c h , Ges. Schriften, III, p. 92.
5*
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Drittes Kapitel: II. Gruppengeist und Reditsbewußtsein
gewesen1. Dem Zerbrechen der überlieferten Volksmoral folgt die skeptische Rechtsauffassung des Sophismus, die im Recht z. T . nur das Gebot des jeweils Mächtigen gesehen hat. Sokrates stellt ihrer Skepsis seine absolute Ethik gegenüber. Auf den Grundlagen seiner Lehren entwickelt sich nun der Gedanke des φύσει δικαιόν, des seinem Wesen nach Gerechten, das in Gegensatz zur Satzung der Polis — dem Μοει δικαιόν — tritt. Aristoteles hat diese Lehre zum erstenmal deutlich entwickelt; in voller Ausbildung erscheint sie bei den Stoikern. Hier ist das Naturrecht das allen Menschen gegebene Weltgesetz; es gilt für alle Menschen und Völker, weswegen denn auch der sie alle umfassende Weltstaat — die civitas maxima — den Stoikern als das Naturgemäße erscheint2. Dem umfassenden Recht entspricht der umfassende Staat. — Mit diesem Gedanken hat das Recht den Anschluß an die Entwicklung der Moral gefunden; es gründet sich nun auf deren absolutes Gebot, nicht auf die Satzung der Gruppe. Die Naturrechtsidee ist die Parallele der absoluten Sittlichkeit auf dem Gebiete des Rechts; in ihr wird auch das Recht absolut. Die gleiche Entwicklung kann sich aber auch im Anschluß an die Entwicklung der Religion vollziehen. Auch der Übergang von der Stufe der Volksreligion zur Hochreligion ist dadurch gekennzeichnet, daß an die Stelle einer gruppenverbundenen Gottesvorstellung die Idee des einzigen Gottes tritt, der alle Zeiten und Völker regiert. Sein Gebot gilt für alle Menschen; es begründet damit nicht nur eine absolute Moral, sondern auch Rechtsgrundsätze, die über dem Willen aller Regierungen stehen. Es ist daher innerlich begründet, daß im europäischen Kulturkreis die Naturrechtsidee sich schon früh mit der christlichen Morallehre verbunden hat 3 . Nun ist aber das Recht positive Satzung einer Gemeinschaft. Es kann sich niemals im gleichen Sinne von der Gruppe lösen, wie die Moral; es kann nur in einem Universalstaat universelle Geltung erreichen. Das Naturrecht kann das positive nicht im gleichen Sinne ersetzen wie die absolute Moral die Volksmoral. Daher bedeutet die Entstehung der absoluten Moral zugleich einen Schritt in Richtung 1 In der westeuropäischen Kultur lagen die Dinge insofern anders, als in ihr von Anfang an eine Hochreligion mit absoluter Sittlichkeit, das Christentum, wirksam war. 1 Vgl. B a r t h - G o e d e c k e - M e y e r : Die Stoa, p. 101 über die Lehren des Chrysippos. * Vgl. dazu T r o e l t s c h : Histor. Zeitsdir., Bd. 106, p. 250 8 . ; R o m m e n , Die ewige "Wiederkehr des Naturrechts 2, p. 39fi.
Viertes Kapitel: I. Die soziologischen Grundformen
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auf eine Trennung von Recht und Moral. Trotzdem ist es nicht ohne Bedeutung, daß nun absolut gedachte sittliche Vorschriften im Rechtsbewußtsein wirksam werden. Wenn das Recht auch nicht ohne weiteres Universalrecht werden kann, so befreit es sich jetzt doch von der strengen Bindung an die Gruppe. Audi der Fremde tritt jetzt in seinen Schutz, und der Widerspruch zwischen dem Rechtsgedanken und der Rechtlosigkeit einzelner Klassen beginnt bewußt zu werden. Es ist in diesem Zusammenhang interessant, daß in der Entwicklung des römischen Rechts der Gedanke der bona fides als Grundlage der Vertragsbindung vielleicht zuerst im Fremdenprozeß hervorgetreten und zu rechtlicher Bedeutung gelangt ist1. Wenn wir von der Bedeutung der absoluten Moral für das Rechtsbewußtsein sprechen, darf man freilich nicht übersehen, daß audi sie für das Rechtsbewußtsein nur von Bedeutung ist, soweit sie ganze Völker und Schichten ergreift. Das kann aber nicht ohne die Vermittlung sozialer Tradition und Autoritäten geschehen; audi unter der Herrsdiaft einer absoluten Moral wird also das Rechtsbewußtsein im wesentlichen durch Tradition, nicht nur durch freie individuelle Gewissensentscheidung geprägt. Es ist mehr das Ethos im Sinne Schelers, die praktische Moralität 2 , als die reine Sittlichkeit, die das Rechtsbewußtsein prägt 3 . Dazu kommt, daß in den Massen das Kollektivgefühl stets lebendig bleibt und ihr Rechtsbewußtsein daher auch stets mehr oder weniger gruppengebunden geblieben ist.
VIERTES KAPITEL DER SOZIOLOGISCHE STANDORT DES RECHTES
I. Die Soziologie hat im menschlichen Zusammenleben gewisse typische Formen herausgearbeitet und unterschieden. Es handelt sich dabei um ideale Typen, die im Wege ideierender Abstraktion aus der 1 Dies ist immet noch die herrschende Lehre. Vgl. dazu A r a n g i o - R u i z , Festgabe für Kosdjaker, II, 159 Anm. 28. 1 Vgl. Formalismus usw., p. 310. * Ebenso F r z . K l e i n , Grundlagen des Reditsgehorsams usw., p. 47.
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Viertes Kapitel
Fülle der konkreten geschichtlichen Formen des Miteinanderlebens der Menschen gewonnen sind. Für die Rechtsphilosophie entsteht damit die Frage, ob das Recht sich gegenüber diesen verschiedenen Formen sozusagen neutral verhält, sich also gleichmäßig entwickeln kann, einerlei welche Form des Zusammenlebens vorherrscht oder ob bestimmte Formen der Rechtsentwicklung günstig, andere ihr abträglich sind. Mit dieser Frage verbindet sich die andere, ob das Zusammenleben unter einer Rechtsordnung die einzig mögliche Form des Zusammenlebens darstellt oder ob daneben anders gestaltete Formen denkbar sind. Die Lösung dieser beiden Fragen wird viel zur Klärung der Rolle, die das Recht in der Geschichte gespielt hat und spielt, beitragen können. £s handelt sich dabei nicht um eine vollständige Rechtssoziologie, sondern nur um eine Untersuchung der Grundformen des menschlichen Zusammenlebens in ihrer Bedeutung für das Recht mit dem Ziel, die allgemeine Bedeutung des Rechts im menschlichen Dasein zu erhellen. Es ist wichtig, für diesen Zweck die wesentlichen Charakterzüge des Rechts noch einmal hervorzuheben: die unpersönliche Ordnung, das Ziel der Friedenswahrung, des Ausschlusses von Gewalt, der Sicherheit, der in dieser Ordnung wirkenden Gerechtigkeit, die darin enthaltene Tendenz zur Bewahrung des eigenen Ichs wie des eigenen Rechtes unter Geltenlassen und Anerkennung der fremden Persönlichkeit und ihres Rechtes. Die Formen des Zusammenlebens werden von den einzelnen Soziologen in verschiedener Weise abgegrenzt; dabei machen sich aber doch, soweit überhaupt konkrete historische Formen zugrunde liegen, gewisse Grundtypen bemerkbar, die mit gewissen Differenzen und unter verschiedener Abgrenzung im einzelnen wiederkehren1. Ich schließe mich im folgenden, da dem Nichtfachmann eine eigene Systematik nicht möglich ist, an die Einteilung und Charakteristik an, die V i e r k a n d t in seiner Gesellschaftslehre2 entwickelt hat. Er arbeitet folgende Grundtypen heraus: die Gemeinschaft, das Anerkennungsverhältnis (die Gesellschaft), das Machtverhältnis, das Kampfverhältnis. Die G e m e i n s c h a f t ist „die engste Form der sozialen Verbundenheit"3. Ihr Urtyp ist die Familie. In ihr erlebt jeder 1 Eine Ubeisidit über die verschiedenen Einteilungen bei S o t o l i n : Society, Culture, and Personality. Α System of General Sociology. New York 1947, 110—118. ' 2. Aufl. 1928. » p. 209.
I. Soziologische Grundformen
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Genosse die Gruppe und ihre Angelegenheiten als Teil seines Ichs. Diese Gemeinschaftsgesinnung ist kein Phänomen eines Augenblicks, sondern sie ist dauernd und beständig. Unter den Gliedern der Gemeinschaft herrschen gemeinsames Wollen und gemeinsame Interessen, die Gesinnung der Zuneigung, Hilfsbereitschaft und Liebe gegenüber dem Genossen, der Hingabe an die Gemeinschaft selbst1. Bei dem Urtyp der Gemeinschaft (der von Vierkandt sog. „vollen Gruppengemeinschaft") kennen die Glieder einander persönlich und leben miteinander; daneben stehen andere (sog. abstrakte) Formen der Gemeinschaft, bei denen diese persönliche Lebensgemeinschaft fehlt, die Gemeinschaft vielmehr gegenständlich begrenzt ist und die gefühlsmäßige Verbundenheit sich nur in bestimmten Anlässen und Beziehungen aktualisiert, bei denen sich dann die Glieder „wie eine große Familie" fühlen. Solche Gemeinschaften stellen die modernen Nationen und Klassen, die antike Polis, die mittelalterliche Stadt, die Kirchen usw. dar. Von wesentlich anderer Struktur ist das A n e r k e n n u n g s v e r h ä l t n i s oder die Gesellschaft. Hier stehen die beteiligten Menschen (oder Gruppen) sich ohne die gefühlsmäßige Verbundenheit der Gemeinschaft gegenüber; sie sind frei und unabhängig voneinander und schließen sich nur vertragsmäßig zur Erreichung gemeinsamer Zwecke zusammen, wobei der Vertrag die Verbindung unter ihnen herstellt. Hier herrschen die Individualinteressen vor, wenn audi bezüglich gemeinsamer Ziele im Vertrage ein gleichgerichtetes Wollen hergestellt wird. Die Partner erkennen sich gegenseitig an; aber ihre Beziehungen bleiben zweckgebunden und kühl. Redlichkeit und Gerechtigkeit sind die vorherrschenden Tugenden. Die Beziehungen der wirtschaftenden Subjekte in der freien Marktwirtschaft sind der Prototyp dieser Form des Zusammenlebens2. Das M a c h t v e r h ä l t n i s 3 beruht auf der Herrschaft des Einen über den Anderen oder eine Gruppe von Anderen. Die Interessen der Beteiligten stehen hier im Gegensatz; der Wille zur Herrschaft und der zur Unterordnung stehen sich gegenüber; zwischen den Beteiligten herrscht Ungleichheit; der Herrschende wird höher bewertet. Sofern überhaupt ein sittliches Verhältnis sich herstellt, ent1
V i e r k a n d t , p. 255-58. Vgl. V i e r k a n d t , p. 255—58; V. folgt hier weitgehend Toennies. » Dazu jetzt DE JOUVENEL: DU POUVOIR. 1
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Viertes Kapitel
wickelt sich beim Herrschenden Sicherheit, Bestimmtheit und Stärke, beim Beherrschten Gefühle der Treue und Anhänglichkeit. Die feudale Gesellschaft, das absolute Herrsdiertum, die militärische Organisation bieten Beispiele. Es umfaßt sowohl legitime Herrschaft1 wie Gewaltherrschaft, sofern sie nur stabilisiert ist. Das K a m p f v e r h ä l t n i s endlich beruht auf dem Willen zur gegenseitigen Schädigung. Die Interessen der Beteiligten sind auch hier entgegengesetzt; Ablehnung, ja Haß herrschen gesinnungsmäßig vor; höchstens die Tugend der Tapferkeit und des Heroismus können sich entwickeln und gegenseitig Anerkennung finden. Gedacht ist hier z. B. an das Verhältnis kriegführender Nationen, sofern sie sich als solche noch anerkennen (im Gegensatz zum Vernichtungskrieg)2. Zu betonen ist, daß es sich um ideale Typen handelt, die im geschichtlichen Leben nebeneinander stehen und sich gegenseitig durchdringen. So entsteht Gesellschaft regelmäßig im Rahmen einer unpersönlich gewordenen Gemeinschaft, etwa einer Nation3. Auch kann eine konkrete Verbindung sich von der einen Form in eine andere entwickeln: etwa eine Ehe, die als vertragliche Beziehung begründet war, in eine echte Gemeinschaft4. Andererseits kann ein Zusammenleben äußerlich als etwas anderes erscheinen als es in Wahrheit ist: eine Familie, die auf den ersten Blidc sich als Gemeinschaft darstellt, ist in Wahrheit ein Machtverhältnis, in dem die Familienangehörigen dem Vater ausgeliefert sind und dies auch empfinden5.
II. Betrachtet man die vier Typen, so kann man nicht übersehen, daß eine enge Verbindung zwischen dem Recht und dem Typ der Gesellschaft besteht. Der Unpersönlichkeit der Beziehungen, die hier vorherrscht, ist die Unpersönlichkeit der schematischen Rechtsordnung ' Zu diesem Begriff vgl. das Buch von F c i r e c o : Macht, Dt. Ausgabe, p. 45 fl. ' V i e r k a n d t . l . c. — S o r o k i n gliedert in Familistic type, Mixed (contractual) type und Compulsory type. Der erste entspricht in etwa der Gemeinschaft, der zweite der Gesellschaft, der dritte umfaßt sowohl das Herrschafts- wie das Kampfverhältnis, vgl. Opus cit. p. 100—110. * Vierkandt, 1. c. p. 317/18. 1 Vgl. Sorokin, p. 110. • Sorokin, p. 107, spricht hier mit Recht von „pseudofamilistic type".
Recht- und Maditverhältnis
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adäquat. D e r Tendenz zur Bewahrung des eigenen Ichs, zur Freiheit des einzelnen Gliedes kommt die Friedens- und Sicherungstendenz des Rechtes entgegen. Eine typische Rechtsinstitution, der Vertrag, erscheint als Mittel der Zusammenarbeit u n d der Vergesellschaftung; Vertragstreue u n d Redlichkeit als die typischen Tugenden. So erscheint die Rechtsordnung als die O r d n u n g des Zusammenlebens in der G e s e l l s c h a f t κατ έξοχην. Sorokin bezeichnet seinen der Gesellschaft entsprechenden Mixed (contractual) type als „the lawyers paradise" 1 . Es ist gewiß kein Zufall, d a ß die geistige Bewegung, deren Ideal die Herstellung der reinen Gesellschaft war, die A u f k l ä r u n g , mit ihrer Naturrechtslehre, am meisten zur Verreditlichung des gesamten sozialen Lebens getan hat. W e n i g e r einfach ist dagegen das Verhältnis des Rechtes zum Machtverhältnis. Eine Affinität besteht insofern, als die Rechtsordnung selbst geschichtlich weitgehend, wenn auch nicht ausschließlich, im Rahmen von Machtverhältnissen ausgebildet u n d durchgesetzt worden ist u n d zu ihrer Aufrechterhaltung einer gewissen Machtentfaltung bedarf. Zwar ist die Theorie, d a ß alle Rechtsordnung ursprünglich zur Sicherung gewaltsamer Eroberung auferlegt sei, in dieser Ausschließlichkeit nicht zu halten; wir haben daneben auch Fälle föderativen Zusammenschlusses als Grundlage gemeinsamer rechtlicher Ordnung. Aber es ist zweifellos, daß Machtverhältnisse bei der Begründ u n g u n d Durchsetzung des Rechts eine entscheidende Rolle gespielt haben; die auferlegte Friedensordnung ist aus der Rechtsgeschichte nicht wegzudenken. M a n denke an die Rechtsverfassung des römischen Reiches oder an die Überwindung der Fehden durch das absolute Fürstentum. A u d i das System der Gesellschaft bedarf irgendeiner Form der Machtkonzentration zur Aufrechterhaltung der sie ordnenden Rechtssatzung. Auf der anderen Seite hat die Macht selber ein Interesse an der Ausbildung einer Rechtsordnung; denn diese stabilisiert erst den geschaffenen Zustand. Friede u n d Sicherheit unter den Untertanen liegen im Interesse der Macht; der Herrscher kann U n ordnung u n d Selbsthilfe im sozialen Leben schon aus dem Interesse der eigenen Sicherheit nicht dulden 2 . Die Macht ist daher in der Regel 1
Society etc. p. 104. ' Audi die modernen revolutionären Diktaturen dulden „revolutinäre" Aktionen nur In der Form angeordneter und geleiteter Exzesse 1
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bereit, Ordnung und Sicherheit zu gewähren, soweit die Beziehungen der Untertanen untereinander in Betracht kommen. Sie gewähren also den elementaren Tendenzen im Recht Befriedigung. Die Verfechter des Absolutismus in der Reditstheorie haben daher stets den Ordnungs- und Sicherheitsgedanken im Recht besonders betont, so z. B. Hobbes1. Die gleichen Gesichtpunkte gelten aber auch für die höchste Tendenz der Rechtsbildung, die Gerechtigkeit. Das Verhältnis der Macht zu ihr kommt am deutlichsten in dem bekannten Wort zum Ausdrude: Iustitia fundamentum regnorum. Es besagt, daß Gerechtigkeit gegenüber den Untertanen die Grundlage der Machterhaltung ist; die Gerechtigkeit wird also letzten Endes nicht nur um ihrer selbst willen, sondern auch zwecks Erhaltung der Herrschaft ausgeübt; darum ist dieses Wort auch das typische Argument desjenigen, der n u r das Recht auf seiner Seite hat, unter tyrannischen Regimen. Man hofft, unter diesem Gesichtspunkt auch den Tyrannen für Gerechtigkeitserwägungen zu gewinnen. Daher wird die Macht auch bereit sein, unter den Untertanen gerechtes Redit und gerechte Rechtsfindung herzustellen, und dies ist — audi abgesehen von politischen Erwägungen — für gute Herrscher seit den Tagen des Altertums ein Hauptanliegen ihrer Regententätigkeit gewesen. Die Rechtsordnung entwickelt sich dann im Schatten der Macht und unter ihrem Schutze. Charakteristisch ist allerdings, daß die Geltung des Rechtes sich auf die Verhältnisse der U n t e r t a n e n selbst beschränkt: ihr Verhältnis zum Herrscher bleibt dagegen im allgemeinen das der ungeregelten, unbeschränkten Herrschaft und steht außerhalb des rechtlich geordneten Raumes. D a s e i g e n t l i c h e M a c h t v e r h ä l t n i s b l e i b t a l s o u n g e r e g e l t . Es ist das Bild, das uns schon die Monarchien der altorientalischen Geschichte bieten und das im römischen Prinzipat und im Absolutismus der Neuzeit wiederkehrt. Otto Mayer hat ihn plastisch geschildert: „Dem Untertanen gegenüber hat seine (sei. des Fürsten) Macht keine rechtlichen Grenzen; was er will, ist verbindlich. Von Hoheitsrechten ist nur dem Namen nach die Rede. Es gibt keinen Mißbrauch mehr und gibt keine beschränkenden Jura quäsita. Die Verantwortlichkeit vor Gott und seinem Gewissen einerseits, die vernünftige 1 Grundgesetz des Naturrechts: „ut quisque vi tarn et membra sua, quantum potest, tueatur". De Cive I, 7; Tgl. auch VI, 10 u. 13.
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Erwägung des Zweckmäßigen und Tunlidben andererseits, wohl auch noch vielfach, wenn auch uneingestanden, die Macht des Hergebrachten sind seine einzigen Schranken. D a s R e c h t h a t n i c h t s d a m i t zu tun1." Die Problematik des Machtverhältnisses im Hinblick auf die Rechtsbildung liegt aber noch in zwei weiteren Umständen. Einmal: die Macht ist jeder Beschränkung abgeneigt; sie hat eine Tendenz zu ungemessener Ausdehnung. Goethe hat ihr in den berühmten Versen aus dem Faust klassischen Ausdruck verliehen: „Die wenig Bäume, nicht mein eigen, verderben mir den Weltbesitz." Die Macht widerstrebt jeder endgültigen Bindung. Solche Bindung muß sie aber in Kauf nehmen, sobald sie eine Rechtsordnung einführt; jedes Recht als f i x i e r t e Ordnung muß die Macht notwendig in ihrer Handlungsfreiheit begrenzen und beschränken. Insoweit stehen Macht und Recht in einem unversöhnlichen Gegensatz und Spannungsverhältnis. Das Machtverhältnis kann seinem eigentlichen Wesen nach nidit zum Rechtsverhältnis werden. Dies tritt vor allem in Erscheinung, wenn der Machtträger in der Ausübung des eigentlichen Kerns seiner Machtstellung, seiner Befehlsgewalt, zugunsten seiner Untertanen beschränkt werden soll. Um diese Frage sind in der Geschichte die heftigsten Kämpfe ausgefochten worden. Man denke an den Kampf um die Beschränkung der königlichen Prärogative in England oder an das Widerstreben der preußischen Könige, selbst eines nicht besonders willensstarken Herrschers, wie Friedrich Wilhelm IV. es war, gegen die Verleihung einer Verfassung, der „papierenen Urkunde" zwischen König und Volk. Aber dieses Widerstreben der Macht gegen die Bindung macht auch die Geltung der Rechtsordnung problematisch, soweit sie sich nur auf die Verhältnisse der Untertanen untereinander bezieht (ganz abgesehen davon, daß diese gegenüber dem Herrscher nicht besteht). Das gilt bereits für die Herstellung von Ordnung und Sicherheit. Carl Schmitt hat darauf hingewiesen, daß der Begriff Ordnung zwei Elemente umschließt, Entscheidung und Norm, und daß im Ausnahmezustand, wenn die letzten Entscheidungen um die Ordnung 1
Otto M a y e r , Deutsdies Verwaltungsredit, 3. Aufl. I, 39. Sperrung von mir.
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fallen, die persönliche Entscheidung wieder hervortritt und sich von der gewöhnlichen Bindung an die Norm befreit 1 . Es zeigt sich also, daß die Ordnung seitens der Macht nicht nur durch die Rechtsordnung, sondern auch durch persönliche Entscheidung gewahrt werden kann und daß diese Form der Ordnung eigentlich dem Wesen der Macht eher entspricht. Das gleiche gilt aber auch für die Pflege der Gerechtigkeit. Man muß die an das Recht gebundene Gerechtigkeitspflege, die „justice under law", von der persönlichen Gerechtigkeitspflege unterscheiden, bei der der Herrscher nach seinem persönlichen Gerechtigkeitsgefühl ohne Bindung an die Rechtsordnung entscheidet2. Man kann nun sagen, daß da, wo ein Machtverhältnis besteht, der Machthaber — von der Gefahr der Willkür ganz abgesehen — eine natürliche Tendenz hat, gegenüber den Unterworfenen in dieser persönlichen Weise, ohne Bindung an das Recht zu entscheiden, zum mindesten sich die Möglichkeit dazu neben der normalen Rechtsentscheidung vorzubehalten. So wissen wir aus dem römischen Prinzipat selbst von sog. guten Kaisern, wie Hadrian, daß sie gelegentlich Prozesse unter Abweichung vom geltenden Recht entschieden haben 3 . Beim neuzeitlichen Absolutismus zeigt sich die gleiche Tendenz in der sog. Kabinettsjustiz, wie sie noch Friedrich der Große in Anspruch nahm, ja sogar als Regentenpflicht empfand. Es ist bekannt, wie schwer es selbst bei pflichtbewußten Herrschern gewesen ist, den Verzicht auf diese Kabinettsjustiz zu erreichen. Es ist damit gar nicht gesagt, daß diese persönliche Art der Gerechtigkeitspflege immer unangemessen gewesen ist. Im Gegenteil, sie kann der schemagebundenen Rechtspflege sogar im Einzelfall überlegen sein; aber sie steht in einem Wesensgegensatz zum Recht; und das gilt es hier herauszuarbeiten. Die gleiche, persönliche Überlegenheit über die Rechtsordnung zeigt sich auch im Gnadenrecht des Herrschers. Die Gnade ist zwar keine persönliche Gerechtigkeitspflege; sie steht über aller Gerechtigkeit 4 . Aber sie greift in die Rechtspflege ein. Es ist bezeichnend, daß wir audi sie als Vorrecht des Herrschers sowohl im Prinzipat, in der dementia der Kaiser, wie im modernen Fürstenstaat finden5. 1 Politische Theologie, p. 19. * Vgl. oben p. 37 Anm. 2. ' Vgl. seine Entscheidung D 5. 2. 28. 4 Vgl. dazu die Darstellung G r e w e s : Gnade u. Recht, insbes. p. 41 u. 118. » Vgl. G r e w e , p. 65 ff.
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Durch diesen Vorbehalt persönlicher Entscheidungen im Einzelfall bekommt die Geltung der Rechtsordnung, selbst soweit die Beziehungen der Untertanen untereinander in Frage stehen, etwas Prekäres, während sich das Machtverhältnis selbst der rechtlichen Bindung ganz entzieht. — Das zweite Moment, das die Problematik des Verhältnisses zwischen Recht und Macht begründet, liegt darin, daß im Recht eine Tendenz zur Gleichheit, ein egalitärer Zug liegt, während das Machtverhältnis typischerweise wertmäßige Verschiedenheit zwischen Machtträger und Unterworfenen voraussetzt. Der Herrscher ist von Gottes Gnaden; der Feudalherr ist anderen Standes und daher kraft Abstammung dem Leibeigenen unendlich überlegen; die Erobererschicht besseren Blutes und daher von edlerem Rang als der unterworfene Helot. Immer wieder finden wir in typischen Machtverhältnissen diese bewußte Setzung von Rangunterschieden, die Nietzsche für den Ursprung aller moralischen Wertung überhaupt erklären wollte1. N u n sind Wertdifferenzierungen an sich nicht schlechthin unvereinbar mit dem Recht, und geschichtlich hat das Recht häufig der Festigung und Sicherung solcher Wertunterscheidungen gedient. Aber es liegt, wie später noch genauer darzustellen sein wird, in der obersten, eigentlich sittlichen Schicht des Rechtes ein Zug dazu, nur sittlich gerechtfertigte Unterscheidungen anzuerkennen; nicht aber mehr oder weniger willkürlich gesetzte, wie es Standes- oder Rassenwertungen sind. Soweit das Recht derartige Unterscheidungen also festhält, tritt es in einen gewissen Widerspruch mit sich selbst, ein Widerspruch, der, wenn er auf einer gewissen Stufe der Entwicklung einmal ins Bewußtsein getreten ist, sich nidit mehr auslöschen läßt. Das zeigt die Geschichte von Institutionen wie Sklaverei und Leibeigenschaft, an deren rechtlicher Rechtfertigung immer wieder Zweifel auftauchen 2 . Zusammenfassend läßt sich sagen, daß das Machtverhältnis seinem Wesen nach in einem gewissen Gegensatz zur Rechtsordnung steht. W o es rein auftritt, muß das Recht weichen. Nur in abgeschwächten Formen ist es dem Recht zugänglich. Dann verliert es aber seine Fülle und tritt unter die Beschränkung des Rechts. Das ist der Zustand, den 1
Vgl. Genealogie der Moral, 1. Abhandlung. Vgl. etwa die Stelle aus dem Sadisenspiegel III, 42: Do man oudi redit erst satzte, dö en was niechein dienstmann, und da waren alle lüte vrie. 1
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man im politischen Bereich charakteristischerweise die „Rule of Law" genannt hat, wo die Herrschaft gewissermaßen beim Recht selbst liegt. Die typischen Machtverhältnisse sind das aber eben n i c h t . Besonders deutlich wird der Gegensatz im römischen Staatsrecht der Republik. Das militärische Kommando ist unbeschränkt; aber in der Stadt Rom selbst herrscht das Recht; domi wird keine unumschränkte Gewalt geduldet. Im geschichtlich-politischen Leben haben sich solche Machtbeschränkungen im Grunde nur da als möglich erwiesen, wo die Macht als eine von allen Rechtsgenossen übertragene und in ihrem Namen ausgeübte betrachtet wird. Das war der Fall in der griechischen Polis (wo derselbe Gedanke wie der der Rule of Law übrigens in der Herrschaft des νόμος in Erscheinung tritt); das gilt für die magistratische Gewalt im republikanischen Rom und das gilt für den modernen Rechtsstaat. Hier ist die politische Gewalt vom Volk übertragen und darum auch gegenüber dem Volk durch das Recht begrenzt. Es entbehrt daher nicht der inneren Folgerichtigkeit, wenn die Naturrechtslehre der Aufklärungszeit, die auf eine Beschränkung der Staatsmacht abzielte, mit der Lehre vom Staatsvertrag alle bestehende Gewalt als auf freiwilligen Zusammenschluß und vertragliche Übertragung gegründet angesehen hat. Soweit es sich um soziale Machtverhältnisse außerhalb der politischen Sphäre handelt, wie Sklaverei, Leibeigenschaft, Familiengewalt usw., tritt die Unterwerfung unter das Recht ein, sobald sie dem allgemeinen staatlichen Recht unterstellt und durch dieses begrenzt werden. Das ist für die patria potestas in Rom ζ. B. erst außerordentlich spät geschehen. Freilich gewinnt diese Beschränkung erst Bedeutung, wenn die Rechtsgemeinschaft sich auch um die Einhaltung der so gezogenen Grenzen kümmert. Am wirkungsvollsten geschieht das, wenn der Unterworfene selbst die allgemeinen Gerichte anrufen kann. Darum hat die Abdrängung der untertänigen Bauern vom Landrecht und von den allgemeinen Gerichten im Spätmittelalter die Rechtsstellung der Bauern in Deutschland so entscheidend verschlechtert. Daraus ergibt sich, wie gefährlich jede echte Machtkonzentration, jede wirkliche Machtbildung für die Existenz des Rechtes ist, mag sie politisch, militärisch oder wirtschaftlich begründet sein 1 . Sie gefährdet 1 Man denke an die modernen Kartelle oder an den Großgrundbesitz der sog. Potentiores in der ausgehenden Antike.
III. Recht und Gemeinschaft
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in jedem Falle jenen für das Recht förderlichen Zustand des Gleichgewichts, den Macaulay für das mittelalterliche England so klassisch beschrieben hat: „no man was altogether above the restraints of law; and no man was altogether below its protection1."
III. Nicht ohne Spannungen ist auch das Verhältnis zwischen dem Recht und der soziologischen Form der Gemeinschaft. Das wird vor allem deutlich, wenn man die Urform der Gemeinschaft, die volle oder persönliche Gemeinschaft ins Auge faßt. Zunächst ist das Recht seinem Wesen nadi der Gemeinschaft genau so wenig adäquat wie dem Machtverhältnis. Die Gemeinschaft beruht in ihrem Prototyp, der Familie, auf engem persönlichem Zusammenleben. Die Ordnung, die sich in ihr herstellt, ist persönlich; sie formt sich aus dem Schwergewicht der einzelnen Persönlichkeiten, die die Gemeinschaft bilden; sie ist nicht notwendig festgelegt. Die Gesinnungen, die sie beherrschen, sind gegenseitige Achtung, Zuneigung und Liebe. Diese, nicht gesetzliche Schranken, bewahren vor Ausnutzung von Überlegenheit, wie sie andererseits Ungleichheiten und Unterordnung willig ertragen, ja gar nicht als solche ins Bewußtsein treten lassen. Das Recht dagegen ist eine schematische Ordnung, abstrakt und unpersönlich, auf typische Fallgestaltungen, nicht auf Individualitätenzugeschnitten. Sein oberstes Prinzip ist die kühleTugend der Gerechtigkeit, über welche die Wärme der Liebe und Zuneigung weit hinweggeht; sein Hauptanliegen ist Sicherheit; aber dafür ist in der echten Gemeinschaft gar kein Raum. Schließlich: Das Recht zwingt; Gemeinschaft ist freiwillig. Daher ist die Gemeinschaft für das Recht im Grunde unfaßbar. Was ihr Wesen ausmacht, läßt sich weder in abstrakten Regeln erfassen noch erzwingen. W o das Recht auf Gemeinschaftsverhältnisse stößt, da kann es daher im wesentlichen nichts tun, als dem Leben der Gemeinschaft unter Verzicht auf Normierung im einzelnen freien Raum lassen. Das • History of England I, 25.
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zeigt sich besonders deutlich im Eherecht1. Mag auch die Zurückhaltung des staatlichen Rechts in frühen Zeiten, wie wir sie etwa im römischen Recht finden, eher auf dem Gesamtcharakter des Staates beruhen, der eben erst wenige Aufgaben übernommen hat und übernehmen kann, so ist es doch bezeichnend, wenn die gleiche Zurückhaltung im modernen Recht wiederkehrt. So wenn wir etwa im BGB lesen, daß die Ehegatten einander zur „ehelichen Lebensgemeinschaft" verpflichtet sind. Damit verzichtet das Gesetz bewußt auf eine Normierung im einzelnen und verweist statt dessen einfach auf das Wesen der Gemeinschaft selbst. Ähnliches kehrt häufig dort wieder, wo das Recht es mit einer echten Gemeinschaft zu tun hat. So muß sich z. B. im Kirchenrecht die Rechtsordnung darauf beschränken, die historisch zufällige Gemeinde abzugrenzen, und ihr das Ziel zuweisen, echte Gemeinde Christi zu werden. Jene echte Gemeinschaft aber, die den Leib Christi bildet, entzieht sich rechtlicher Fixierung und kann rechtlich-organisatorisch nicht geschaffen werden. Möglich ist dem Recht allerdings, die enge Verbundenheit der Glieder der Gemeinschaft in ihren Beziehungen zu Dritten, die außerhalb der Gemeinschaft stehen, zu berücksichtigen. Darauf gehen die Bestimmungen des deutschen Rechts über die gesamte Hand zurück; sie gestatten eine Verfügung über Gemeinschaftsgut nur, wenn alle Gemeinschafter zusammenwirken, und verbieten die einseitige Veräußerung eines Anteils durch einen Gemeinschafter. Die Tendenzen der Gemeinschaft und die des Rechtes stehen sogar in einem gewissen Gegensatz. Das Recht zielt im ganzen auf Bewahrung des einzelnen für sich; darauf geht sowohl die im Recht vorherrschende Sicherheitstendenz wie die Gerechtigkeit, welche jedem das Seine gibt. Das Recht will in einer gegebenen Gruppe jedem Gliede seinen Besitz, seine Ehre, seine Macht usw. wahren 2 . Echte Gemeinschaft charakterisiert sich aber gerade dadurch, daß diese Wahrung erlangter Positionen k e i n e Rolle spielt; Neigung und Hingabe herrschen vor, und echte Gemeinschaftserlebnisse sind gerade dadurch bestimmt, daß der einzelne in der Gemeinschaft aufgeht, mit ihr ver1 Vgl. die heute noch lesenswerte Darstellung bei Savigny, System I, 344, wonach die Familienbeziehungen „nur teilweise dem Rechtsgebiet" angehören. 1 Es spricht nicht gegen diesen Satz, daß auf einer gewissen Stufe der rechtlichen Entwicklung nur Gruppen (etwa die Sippen) als eigentliche Rechtssubjekte erscheinen, z. B. als Träger der Rachepflicht und des Rechts auf Buße. Hier ist die öffentliche Rechtsordnung beim wesentlichen noch eine Ordnung „zwischen Sippen".
III. Recht und Gemeinschaft
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schmilzt, sein Ich zum Ganzen erweitert. Darin gerade liegt das Erhebende und Befreiende der Gemeinschaft. W o das Recht abtrennt und besondert, da schmilzt die Gemeinschaft über alles Trennende hinweg zur Einheit zusammen. Wahre Gemeinschaft kann darum nicht bestehen, wo jeder einzelne auf seinem Recht besteht und keine Fähigkeit zur Hingabe, auch über rechtliche Verpflichtung hinaus, aufbringt. Rechtsgesinnung und Gemeinschaftsgesinnung sind verschieden. Daher kann das Recht die Gemeinschaft zerstören. Sein Vordringen ist ein Zeichen für den Verfall der Gemeinschaft. Da wo das Recht in die Gemeinschaft eindringt, wo es die Befugnisse des einzelnen genau abzugrenzen und festzulegen beginnt, da wird die Gemeinschaft entweder zum Vertrage oder zu einem rechtlich beschränkten (unechten) Machtverhältnis denaturiert. Ein deutliches Beispiel bietet die moderne Ehe. Die Aufklärungsjurisprudenz hat den Versuch gemacht, die Ehe auf ein rein rechtliches Schema zu bringen; das Ergebnis war die Annahme eines Vertragsverhältnisses, in dem das Wesen der Ehe als Gemeinschaft völlig verkannt wurde; Kants Definition der Ehe in seinen metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre1 ist ein erschreckendes Zeugnis davon. Je mehr diese Vertragsauffassung von der Ehe, die auch in das allgemeine Landrecht Eingang fand, sich durchsetzte, um so mehr verlor die moderne Ehe an Substanz. — Dasselbe Bild bietet die Entwicklung des Gesellschaftsrechtes sowohl im römischen wie im deutschen Recht des Mittelalters. In beiden steht am Anfang echte Hausgemeinschaft, die wirkliche Gemeinschaft war; je mehr die rechtliche Festlegung der gegenseitigen Rechte und Pflichten fortschreitet, desto mehr geht der Charakter der Gemeinschaft verloren. Die societas des klassischen Rechtes weist nur noch geringe Spuren aus ihrer Herkunft aus einer Erbengemeinschaft auf. Aber auch die spätmittelalterliche Handelsgesellschaft ist keine volle Gemeinschaft mehr. — Die Auflösung der feudalen Gutsherrschaft seit der französischen Revolution hat nicht nur ein Machtverhältnis, sondern in vielen Fällen auch ein echtes patriarchalisches Gemeinschaftsverhältnis aufgelöst. Die Reformgesetze sind deshalb vielfach getadelt worden — so in der Kritik des Freiherrn v. Marwitz gegenüber Stein —, weil sie kalte und unpersönliche Rechtsbeziehungen an Stelle der Gemeinschaft gesetzt 1 Ausgabe Königsberg 1797, p. 107. Danadi ist die Ehe „wechselseitige Verbindung zweier Personen verschiedenen Geschlechtes zum lebenswierigen Besitz ihrer Geschlechtseigensdiaften".
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Coing, Rechtsphilosophie
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hätten. Der gleiche Gedanke bestimmte Friedrich Wilhelm IV., die Einführung einer Verfassung abzulehnen; er wollte das persönliche Verhältnis zu seinem Volk nicht durch Rechtsbeziehungen ersetzen. Auch dem modernen Arbeitsrecht hat man ähnliche Vorwürfe gemacht. Dem ist man seitens der Reformer mit dem Vorwurf falscher Romantik an die Adresse der Konservativen begegnet. Die Berechtigung dieser Kritiken hängt davon ab, wieweit vorher wirklich eine Gemeinschaft bestanden hat. Im ganzen dürfte das eben doch nicht der Fall gewesen und daher das Eingreifen des Rechtes berechtigt gewesen sein. In den Fällen, wo eine Gemeinschaft wirklich bestand, gilt freilich auch hier: Der Fortschritt der rechtlichen Fixierung begleitet den Verfall der Gemeinschaft. Aber auch das Umgekehrte läßt sich mit einem gewissen Recht sagen: die volle Gemeinschaft bedarf des Rechtes nicht; darum drängt sie es zurück, wo sie herrscht. Es ist charakteristisch, daß man sich, wenn man die innere Struktur, die Regelung des Lebens der frühen römischen Familie untersuchen will, auf Sitte und Brauch verwiesen sieht. Die Rechtsüberlieferung zeigt uns nur die uneingeschränkte Gewalt des pater familias; die Begrenzungen, denen auch diese Gewalt vermutlich unterlag und die sie erst eigentlich lebendig und plastisch machen, ergeben sich nur aus der rechtlich nicht fixierten Sitte. Die enge Gemeinschaft der Familie formt sich ohne Eingreifen des Rechtes der Stadt. — Es ist daher vielleicht doch nicht nur ein Zufall, sondern deutet auf einen inneren Strukturzusammenhang, wenn in der modernen Politik der diktatorischen Staaten immer wieder der Gemeinschaftsgedanke — hier der der Volksgemeinschaft — gegen den Rechtsgedanken ausgespielt wurde und man im Namen der „Gemeinschaft" über die Rechtspositionen des einzelnen hinwegschritt. Man denke an die Testamentskontrolle im Interesse der Volksgemeinschaft. Hier hat sich die Propaganda, wie so oft, einen tatsächlich bestehenden Gegensatz zunutze gemacht. Das Heuchlerische dieser Redeweise lag darin, daß eine echte und volle Gemeinschaft zwischen den Gliedern eines Millionenvolkes gar nicht hergestellt werden kann; eine solche Gemeinschaft kann sich wohl in Augenblicken aktualisieren, aber niemals das gesamte Leben aller ihrer Glieder umfassen 1 : daher war hier die 1 T r o e l t s c h würde insoweit von einem „soziologischen Naturgesetz" gesprochen haben. Vgl. Histor. ZeitsAr. 106, 237/38.
III. Redit und Gemeinschaft
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Niederreißung der Rechtsschranken innerlich unbegründet und diente in Wahrheit ganz anderen Zielen, nämlich der Begründung einer immer schrankenloseren Macht der politischen Führung. Man benutzte den Gemeinschaftsgedanken, um das Recht zugunsten der Macht zu schwächen, ohne wirklich eine Gemeinschaft begründen zu können oder dies auch nur zu wollen I — Damit wird nun auch deutlich, wo die Existenzberechtigung des Rechts auch innerhalb der Gemeinschaft liegt und inwiefern das Recht auch ihr dienen kann. Es gibt keine irdische Gemeinseihaft, in welcher die Person ihrer Mitglieder völlig und ohne jede Ausnahme aufgeht; es bleiben regelmäßig gewisse persönliche Interessen bestehen, die nicht vergemeinschaftet werden, in denen sich vielmehr der einzelne in seiner Besonderheit, als Individuum fühlt 1 . Hierin liegt nun die Möglichkeit eines Eingreifens für das Recht; es kann diese — persönlich bleibenden — Interessen beschützen. Ein Beispiel bietet das eheliche Güterrecht. Wenn die Vermögensangelegenheiten der Gatten nicht zur Gemeinschaftsangelegenheit werden, dann ist es Aufgabe des Rechtes, diese Vermögensinteressen sicherzustellen, und zwar in erster Linie die des schwächeren Teils, also regelmäßig der Frau, der aus der Gemeinschaft Gefahren drohen. Diese Aufgabe sehen wir vom römischen Dotalrecht der klassischen Zeit gelöst; während die persönlichen Angelegenheiten der Gatten gemeinschaftlich werden und das Recht darüber nichts Näheres sagt (außer daß es die Gemeinschaft bestätigt), wird durch minutiöse Einzelvorschriften für die Wahrung der Rechte der Frau auf dem — vereinzelt gebliebenen, nicht vergemeinschafteten — Gebiet der Vermögensangelegenheiten gesorgt. Hier schiebt sich das Recht also zugunsten eines individuell gebliebenen Interesses in die Gemeinschaft hinein. Den gleichen Vorgang kann man im modernen bürgerlichen Recht in der Sorge um die Erhaltung der individuellen Entscheidung der Kinder in Dingen des Glaubens beobachten; auch hier handelt es sich um streng persönlich bleibende Dinge. Dieser Rechtsschutz wird notwendig, weil die Gemeinschaft für den schwächeren Teil stets große Gefahren in sich schließt; gerade weil sie auf bedenkenloser Hingabe beruht, ist sie der Gefahr des Mißbrauches ausgesetzt, der dann auch die persön» Vgl. V i e r k a n d t , GesellsAaftslehre 2, p. 209. 6*
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Viertes Kapitel
lieh gebliebenen Interessen der einzelnen Glieder der Gemeinschaft gefährden kann. Je beschränkter also die Sphäre ist, in der die Gemeinschaft sich auswirkt, je mehr individuelle Interessen bestehen bleiben, um so bedeutsamer wird die Aufgabe des Rechtes im Rahmen der Gemeinschaft. In den großen und daher notwendig „abstrakten" Gemeinschaften der Nation oder der Kirche ist daher der Raum der Rechtsordnung weit und bedeutend. Je mehr sich im Rahmen solcher Gemeinschaften eine Gesellschaft entwickelt, um so mehr bedarf sie des Rechtes. Der einzelne führt hier eine Doppelexistenz: als privates Glied der Gesellschaft und als Glied der Gemeinschaft. Wie scharf beide Sphären sich abgrenzen, hat sich beispielsweise in der Unmöglichkeit gezeigt, die Kameradschaft der Soldaten im Kriege auf das „zivile Leben" zu übertragen. Es zeigte sich, daß beide Sphären eigenen Gesetzen unterliegen. Daraus erklärt sich aber auch, daß im Laufe der Entwicklung der Raum des Rechtes sich ausdehnt, wenn der einzelne sich seiner Sonderstellung und Sonderinteressen innerhalb der Gemeinschaft bewußt wird; je weniger er in der Gemeinschaft aufgeht, um so mehr wird er rechtlichen Schutz wünschen. Das Recht geht mit dem Fortschreiten des Individualismus Hand in Hand. — Eingreifen muß und kann das Recht schließlich da, wo eine Gemeinschaft sich auflöst. Hier muß es dafür sorgen, daß die nun notwendig werdende Teilung im Sinne der bisher bestehenden Gemeinschaft erfolgt. Die Grundsätze der Gemeinschaft gehen daher hier in das Recht ein. Auch bei einer Vermögensgemeinschaft muß die Rechtsordnung sorgen, daß Gewinne und Verluste gemeinsam getragen werden, daß jeder seinen Teil daran trägt und erhält. Dies führt zu besonderen Rechtsgrundsätzen, von denen später eingehend zu handeln sein wird. Hier wirkt das Recht als Sanktion der Gemeinschaft; aber sein Eingreifen bleibt ein Widerspruch zum Geist der Gemeinschaft; es sollte eigentlich nicht nötig sein, daß eine solche Regelung besteht. Die rechtlich geregelten Gemeinschaften sind keine echten, vollen Gemeinschaften mehr. Typischerweise erfolgt dies Eingreifen daher erst bei Auflösung der Gemeinschaft. Ein Beispiel bieten die Personalgesellschaften des Handelsrechtes. Bei persönlichen Gemeinschaften ist dem Recht nicht einmal diese Sanktion möglich; hier bleibt die Auflösung der Gemeinschaft die einzige Sanktion. —
IV. Recht und Kampf
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IV. Das K a m p f v e r h ä l t n i s steht in klarem Gegensatz zum Wesen des Rechts, soweit es auf gewaltsame Schädigung und Vernichtung des Gegners gerichtet ist1. Das ist mit der Friedenstendenz des Rechtes unvereinbar. Gewaltsamer Kampf ist dem Recht nur in seiner primitivsten Form, als „Spielregel-Recht", zugänglich2 und droht außerdem ständig, auch diese Ansätze einer rechtlichen Regelung zu vernichten. Das gilt besonders von den nationalen Massenkriegen der Gegenwart. Für sie gilt nicht nur der Satz: inter arma silent leges; sie erschüttern vielmehr auf lange Sicht die Rechtsgesinnung und stellen die Möglichkeit des Rechts in Frage. Das liegt nicht nur daran, daß der einzelne im Krieg an Gewalt und Rechtlosigkeit gewöhnt wird; es ist vor allem darin begründet, daß der Krieg den kollektiven Selbsterhaltungswillen und die kollektiven Haß- und Rachegefühle ungeheuer stärkt und damit die Bereitschaft zum Gelten-lassen anderer Nationen, zu Gerechtigkeit und zur Bindung an Rechtsprinzipien in den Völkern vernichtet. — Aber ein Kampf kann audi mit friedlichen Mitteln geführt werden: man denke an den innerpolitischen Kampf in demokratischen Staaten und an die modernen Arbeitskämpfe. Eine eigenartige Form des „friedlichen" Kampfes bietet ferner der Wettbewerb innerhalb einer freien Marktwirtschaft. In all diesen Fällen ist der Friedensforderung des Rechtes Genüge getan. Trotzdem ist das Recht audi in diesen Fällen, abgesehen von dem Gewaltverbot, darauf beschränkt, Spielregeln aufzustellen und deren Erhaltung zu garantieren. Es kann weder die Sicherheit eines Besitzstandes garantieren3 noch kann es für ein materiell gerechtes Ergebnis sorgen. Das erste zeigt sich, um ein praktisches Beispiel zu geben, z. B. darin, daß es gegen Schädigung durch Wettbewerb in der freien Marktwirtschaft keine Unterlassungsklage gibt4. Das Recht muß sich auf Einhaltung der Spielregeln, auf Verhinderung unlauterer Mittel beschränken. Das gleiche gilt für den Wahlkampf in einer Demokratie. Der Verzicht auf eine materiell gerechte Lösung 1 Ebenso Η ο r ν a t h : Rechtssoziologie, p. 162. Dort in Teil II, 2. Abschnitt eine eingehendere Untersuchung über Kampfbeziehung und Recht. * Vgl. oben p. * Diese erhebliche Einschränkung der Eigentumsgarantie durch den Wettbewerb wird in der Kritik des liberal-kapitalistischen Wirtsdiaftsrechtes meist übersehen. * Etwa im Sinne der in Analogie zu § 1004 BGB entwickelten Klage zum Schutze des eingerichteten Geschäftsbetriebes im deutschen Recht.
Viertes Kapitel
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zeigt sich hier z. B. darin, daß in einer Demokratie nicht nach bestimmten persönlichen Kriterien festgelegt ist, wer Präsident oder Abgeordneter wird. Die demokratische Rechtsordnung macht gar nicht den Versuch, den Würdigsten von sich aus zu bestimmen. Der Fürst in der monarchischen Staatsordnung ist dagegen der von Gott Ausgewählte und als solcher an äußeren Kriterien erkennbar. Auch die Rechtsordnung einer Wettbewerbswirtschaft legt nicht — etwa nach Prüfung der Eignung — fest, wer was produzieren soll und darf (wie das jede Planwirtschaft tut); sie gibt nur Chancen und überwacht die Kampfesweise. Ebensowenig kann und will sie das Ergebnis, die Reichtumsverteilung, selbst bestimmen. Überall wo das Recht den friedlichen Kampf zuläßt, muß es also in gewissem Sinn darauf verzichten, seine höchsten Ziele zu verwirklichen: Gerechtigkeit und Sicherheit. Wo es diese Ziele erreichen will, muß es den Kampf ausschalten und selbst bestimmen, was sonst Ergebnis des Kampfes war. Gerechte Wirtschaft setzt Leitung und Planung voraus; garantierte wirtschaftliche Sicherheit, Berufsprivilegien und Beschränkungen. Wenn wir trotzdem, gerade in der abendländischen Kultur, verhältnismäßig häufig ein Kampfverhältnis in die Rechtsordnung übernommen sehen, so geschieht es, weil damit ein anderes hohes Gut gewonnen wird: die F r e i h e i t . Denn nur um dieses Preises willen, nur wenn man das Risiko von Wettbewerb und friedlichem Kampf in Kauf nimmt, kann man Freiheit haben. Wer Sicherheit und audi wer eine von Menschen verwirklichte umfassende Gerechtigkeit will, der muß auf die Freiheit verzichten. Man kann unter Menschen nicht Piatos Republik und persönliche Freiheit zugleich haben1. Das ist die Lehre der Geschichte. Mit der Aufgabe der Freiheit aber droht Erstarrung und Verlust des Lebens. Wo wir ein Kampfverhältnis im Recht finden, handelt es sich also nicht notwendig um eine primitive Gestalt des Rechtes: es kann auch ein bewußter Verzicht auf die volle Verwirklichung des Rechtsgedankens zugunsten der Freiheit sein. — Zusammenfassend läßt sich sagen: Das Verhältnis der einzelnen Formen des menschlichen Zusammenlebens zum Recht ist verschieden. Der Rechtsbildung am günstigsten ist das Bestehen einer „G e s e 11 s c h a f t " von gleichgeordneten, gleich mächtigen und unabhängigen Gliedern. Dies gilt auch für die Beziehungen unter Gruppen. Das 1
Vgl. unten.
IV. Redit und Kampf
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Völkerrecht ist unter den Auspizien des Gleichgewichts der Mächte ausgebildet worden; unter der Vorherrschaft einer Vormacht wäre es, wie die Geschichte des Altertums zeigt, kaum entstanden. Das Bestehen eines M a c h t v e r h ä l t n i s s e s begünstigt die Bildung und Durchsetzung der Rechtsordnung unter den Machtunterworfenen; es setzt aber, solange es sein ursprüngliches Wesen bewahrt, der Ausdehnung dieser Rechtsordnung unübersteigbare Schranken, insofern die Macht selbst der Begrenzung und Beschränkung widerstrebt. Das Machtverhältnis selbst ist dem Recht unzugänglich; es kann dem Recht nur unterworfen werden, wenn es sich seiner ursprünglichen unbegrenzten Natur begibt und den Charakter anvertrauter Macht annimmt. Die volle, persönliche G e m e i n s c h a f t steht in einem Ausschließungsverhältnis zum Recht; wo sie herrscht, bedarf es des Rechtes nicht. Ihr Verhältnis zur Außenwelt vermag das Recht ihrem Wesen entsprechend zu regeln; die inneren Beziehungen der Gemeinschafter sind ihm unzugänglich. Nur wo im Schöße der Gemeinschaft persönliche Interessen bestehen bleiben oder sich herausbilden oder wo die Gemeinschaft gelöst wird, ist Raum für das Recht. Fortschreitende Verrechtlichung ist ein Anzeichen für den Zerfall der Gemeinschaft. Im K a m p f v e r h ä l t n i s endlich kann sich das Recht nur bilden, soweit es Spielregeln festlegt. Es widerstrebt der Friedenstendenz im Recht, wenn es zur Gewaltanwendung führt. Friedlich ausgetragenen Kampf kann das Recht in Kauf nehmen, um die Freiheit zu erhalten; auch das bedeutet aber Verzicht auf Erreichung voller Sicherheit und Gerechtigkeit. Das Zusammenleben unter Rechtsgesetzen ist weder geschichtlich noch soziologisch die einzige Form, in der Menschen miteinander existieren können und existiert haben. Daneben stehen die lebensfüllenden persönlichen Gemeinschaften, daneben steht die persönliche Macht 1 , daneben stehen Kampf und Gewalt. Das Recht versteht sich nicht von selbst. Es muß geschaffen und erhalten werden. Dafür lassen sich gewisse günstigste soziologische Bedingungen aufzeigen. Ausgeglichenheit von Macht und Besitz innerhalb einer Rechtsgemeinschaft begünstigt das Recht, ebenso wie exorbitante Machtüberlegenheit einer Klasse oder große Unterschiede des Besitzes sein Bestehen gefährden. W o eine besitzlose Masse wenigen Riesenvermögen gegenübersteht, ist die Rechtsordnung gefährdet. Die Reichen werden sich ihr nicht fügen; 1
Keine Rechtsordnung kann sie ganz zum Versdiwinden bringen.
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Viertes Kapitel
die Masse nimmt kein Interesse an ihr, weil sie nichts zu verlieren hat. Die Geschichte des Unterganges der römischen Republik bietet ein Beispiel dafür. Die Staatsmacht muß stark genug sein, um sich gegenüber Interessentengruppen zu behaupten; aber sie muß zugleich als öffentlicher Dienst und nicht als Herrschaft, die sich selbst genügt und Zweck ist, aufgefaßt werden. Negativ müssen Kampf und gewaltsame Auseinandersetzungen fehlen, seien es Kriege unter den Völkern, seien es Bürgerkriege und Revolutionen. Nimmt man hinzu, daß das Recht noch bestimmte psychologische Bedingungen, einen ungebrochenen Sinn für Freiheit, Ordnung und Gerechtigkeit, voraussetzt, so wird verständlich, daß die Existenz des Rechtes in der W e l t der Geschichte immer prekär gewesen ist: es sind nur seltene Epochen, die im Schutz des Rechts sicher gelebt haben. — ANHANG Ein besonderes Problem bilden für die Erhaltung des Rechts die proletarischen Massen der modernen Gesellschaft. Die Soziologie bezeichnet mit dem Ausdruck Masse verschiedene Tatbestände. Es scheint mir notwendig zu unterscheiden: 1. Die Masse im Sinne einer zu gemeinsamer Aktion bereiten Menschenansammlung, wie sie bei Demonstrationen, Versammlungen, revolutionären Aktionen in Erscheinung tritt. V o n ihrer Beobachtung ging Le Bon in seinen Studien aus. Sie kann wegen ihrer Neigung zu Exzessen und Gewalt für den augenblicklichen Bestand der Rechtsordnung bedrohlich werden, ist aber für Entwicklung und Bestand des Rechts auf lange Sicht hin ohne Bedeutung, da es sich bei ihren Handlungen immer nur um Einzelaktionen handelt. 2. Die Masse im Sinne der — normalen — Majorität innerhalb einer Gesellschaft, welche nicht fähig ist, die tragenden Kulturideen in eigenem Denken und Erleben zu erfassen, welche vielmehr ohne eigenen Standpunkt aus Tradition und Konvention heraus und daher ohne eigentliche Freiheit lebt 1 . Von ihr sagt Otto V e i t mit Recht: „Die Zugehörigkeit zur Masse ist gradweise abgestuft. Niemand steht ganz außerhalb und keiner gehört der Masse vollständig an. Freilich 1 Zu ihrer Charakterisierung in religiöser Hinsicht vgl. M e n s c h i n g , gion, 134/35.
Soziologie der Reli-
Anhang: Die Masse und das Recht
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sind die Gradabstufungen so weit gespannt, daß der großen Mehrzahl derer, die fast vollständig Massenmensdien sind, eine Minderheit von Menschen gegenübersteht, die fast vollständig als selbständige Persönlichkeiten gelten können 1 ." Die Masse in diesem Sinn ist für die Rechtsbildung keineswegs ohne weiteres negativ zu bewerten. Im Gegenteil, sie ist Träger der für die Rechtserhaltung unentbehrlichen Tradition. Gerade in ihr, z. B. in bäuerlichen Schichten, kann das Recht jene beharrende Festigkeit gewinnen, die es notwendig braucht, um gegen Willkür und bürokratische Reformlust gesichert zu sein. Andererseits ist die Masse in diesem Sinne den letzten sittlichen Anliegen des Rechts naturgemäß weniger zugänglich. Genau so wie gegen Willkür kann sie auch gegen eine Fortbildung des Rechts im Sinne ethisdier Werte stehen. 3. Eigentlich problematisch ist dagegen die Stellung des Rechts, wo die traditionslosen, ohne innere und konventionelle Bindungen lebenden Massen der modernen Zivilisation das Gepräge der Gesellschaft bestimmen 2 . Die Gefahr, welche die Existenz dieser Massen für das Recht bedeutet, liegt darin begründet, daß sie traditionslos und ohne Individualität, besitzlos und aus ihrer Not heraus radikal ist 3 . Der Mangel an Individualität, Tradition und Besitz macht sie für die Segnungen eines rechtlich geordneten und gesicherten Zustandes unempfindlich; das Recht ist für sie uninteressant und auf keinen Fall ein Gegenstand der Hingabe. Der Radikalismus löscht die Achtung vor den Rechten anderer aus. Das letztere gilt nicht etwa nur vom fremden Eigentum; es gilt genau so z. B. von den Rechten des Angeklagten im Strafprozeß. Es ist erstaunlich, wie gleichmütig der moderne Massenmensch auch elementare Rechtsverletzungen auf diesem Gebiete hinnimmt. In jedem Falle steht dem Massenmenschen das praktische Ergebnis, insbesondere materieller und wirtschaftlicher Art, höher als die Einhaltung des Rechts. In einer Gesellschaft, die im wesentlichen aus solchen Massen besteht, sind die Bedingungen für die Herstellung des Rechts naturgemäß ungünstig. Die FluAt vor der Freiheit, p. 45. * Masse im Sinne von Ortiga y Gassets Aufstand der Massen; vgl. auA die Charakterisierung b e i M e n s c h i n g , Soziologie der Religion, p. 13S/36. * Es wäre übrigens durchaus falsch, mit dieser Masse die Industriearbeiterschaft gleichzusetzen. Die Gesdüchte der letzten Jahrzehnte zeigt, daß große Teile des wirtschaftlich gefährdeten mittleren Bürgertums viel eher dem Massenmensdien zuneigen, als namentlich die organisierte Arbeiterschaft. 1
Zweiter Hauptteil Die Gegebenheiten im Recht: Rechtsidee — Natur der Sache — Naturrecht FÜNFTES
KAPITEL
DIE RECHTSIDEE UND DIE NATUR DER SACHE
Das Recht ist eine Schöpfung des Mensdien. Aber es ist keine beliebige Schöpfung. Es steht nicht im freien Raum. Es dient bestimmten Zwecken. Es hat einen bestimmten Kreis von Gegenständen, den es zu ordnen hat, zur Materie. Damit entsteht die Frage, ob in diesen Gegebenheiten, den Zwecken und der Materie des Rechts Gesetzlichkeiten bestehen und feststellbar sind, an welche das Recht, wenn anders es seinen Zweck nicht verfehlen soll, gebunden wäre. Diese Gesetzlichkeiten wären dem Recht vorgegeben1. Sie würden in die inhaltliche Gestaltung des Rechtes hineinwirken. Ihre Erkenntnis würde den notwendigen Inhalt eines seinen eigenen Zwecken entsprechenden Rechtes erkennen lassen; sie würde zum mindesten die Grenzen des Bezirkes deutlich werden lassen, innerhalb dessen es ein solches Recht geben kann. Die Frage ist, ob solche Gesetzlichkeiten bestehen. Soweit die Zwecke des Rechts in Frage stehen, läuft diese Frage auf das Problem hinaus, ob der Mensch bei der Schaffung des Rechts beliebig und frei verfahren kann und darf oder ob sein Wollen in erkennbarer Weise sittlich gebunden ist. Die Analyse des Rechts als sozialen Phänomens 1 Mit Recht spricht Η u s s e r 1, Rechtskraft und Rechtsgeltung, p. 9, von „vorrechtlichen Sachverhalten" und ihren Wesenszusammenhängen.
Die Reditsidee und die Natur der Sadie
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hat ergeben, daß im Rechtsleben bestimmte ethische Forderungen auftauchen; die Frage ist, ob diese Feststellung einer genaueren Analyse standhält, und ob sich der Inhalt dieser ethischen Zielsetzungen in gültiger Weise festlegen läßt. Die Grundfrage, die hier entsteht, geht dahin, ob es so etwas wie ein Reich sittlicher Werte und Gesetze gibt, die dem Menschen erkennbar sind, die sein Handeln bestimmen und einen Teil der Welt bilden, in der er lebt, und welche Folgerungen sich daraus für das Recht als soziale Ordnung ergeben. Soweit die Materie der Rechtsordnung, das soziale Leben also, in Betracht kommt, lautet die Frage, ob sie beliebig formbar ist oder ob sie bereits eine gewisse Eigenstruktur aufweist. Die Frage nach der Existenz solcher Gesetzlichkeiten kann nicht a limine abgewiesen werden; gibt es doch große Wissenschaftszweige, die sich mit ihnen beschäftigen. Die Nationalökonomie und die Soziologie sind auf die Erkenntnis solcher Gesetzmäßigkeiten im sozialen Leben gerichtet; audi die Psychologie, sofern sie das Handeln des Menschen zu verstehen sucht, sucht nach Gesetzmäßigkeiten in seinem Leben und Verhalten. Der erste Anschein spricht jedenfalls eher dafür, daß das Recht es audi bezüglich seiner Materie nicht mit einem beliebig formbaren Stoff zu tun hat, sondern daß dieser Stoff schon in bestimmter Weise vorgeformt ist. Zum gleichen Ergebnis führt die Betrachtung des Ganges der Rechtsentwicklung selbst. Diese weist eine eigentümliche Folgerichtigkeit auf, die uns in der juristischen Problemgeschichte entgegentritt. Die Rechtseinsichten von Wissenschaft und Judikatur weisen in ihrer Entwicklung eine bestimmte, immanente Logik und Kontinuität auf, auch da, wo der Grundsatz des „Stare decisis" nicht gilt. Die Art und Weise, wie die Folgerungen aus dem Gedanken der bona fides, der Lehnstreue, der Idee der persönlichen Freiheit oder dem Wesen bestimmter Institutionen gezogen worden sind, zeigt über lange Zeiträume hinweg eine erstaunliche Konsequenz. Das zeigt jede nähere Beschäftigung mit der Entwicklung einer bedeutenden Judikatur oder mit der Problemgeschichte der Rechtswissenschaft. Diese innere Konsequenz deutet darauf hin, daß hier ein Zusammenhang in der Sache selbst liegt. Der menschliche Geist handelt bei der Rechtsbildung zwar schöpferisch, aber nicht beliebig. Er folgt offenbar gewissen Zusammenhängen, die ihm in den Problemen selbst entgegentreten. Das ist nicht nur der Eindruck eines nachträglidi konstruierenden Beobachters; es
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Fünftes Kapitel
entspricht auch dem Gefühl der Handelnden selbst. Der Richter, der einen Prozeß entscheidet, hat nicht das Gefühl, „irgendeine" Lösung gesetzt zu haben, sondern die von der Sache vorgezeichnete. Darauf beruht die eigentümliche Gewißheit echter Rechtsentscheidung. Die Sprache selber drückt das aus. W i r sprechen davon, daß wir eine rechtliche Entscheidung „gefunden" haben; wir reden von „Rechtsfindung". Diese Redeweise deutet an, daß die Entscheidung im Grunde schon vorgegeben ist; wir müssen sie nur entdecken. Judikatur und Rechtswissenschaft entscheiden nicht frei im Sinne willkürlicher Ungebundenheit; und zwar nicht nur da, wo sie eine klare positive Regel anwenden, sondern auch da, wo sie eine Generalklausel handhaben oder eine Gesetzeslücke schließen. Ihre Tätigkeit gleicht der des erkennenden Wahrheitsforschers; von ihren Einsichten wird ihre Entscheidung bestimmt. Diese Einsichten aber gehen auf sachliche und sittliche Zusammenhänge. W . G. B e c k e r hat dem Naturrecht eine symptomatische Bedeutung beigelegt; wo man sich auf es berufe, da sei das ein Symptom für die Vornahme einer Rechtsbesserung 1 . Aber auch solche rechtsbessernden Entscheidungen erwachsen aus einem bestimmten Problemzusammenhang; sie sind nicht frei gefunden, sondern aus Sacheinsichten gefunden und verweisen darum auf einen überpersönlichen objektiven Zusammenhang. Tatsächlich zeigt die Geistesgeschichte, daß man nach solchen Gesetzlichkeiten in beiden Richtungen immer gesucht hat, solange die Menschen über das Recht nachdenken. Soweit die sittlichen Ziele des Rechts in Frage stehen, hat man nach dem sittlichen Urbild und Vorbild alles Rechtes gefragt; das Problem, das hier auftaucht, ist die Frage nach der R e c h t s i d e e . Hinsichtlich der Materie des Rechts hat man nach einer natürlichen, im sozialen Leben selbst erkennbaren Ordnung des Zusammenlebens der Menschen gefragt. Am tiefsinnigsten ist diese Frage von der christlichen Sozialphilosophie gestellt worden; sie erblickte im sozialen Leben und seinen Instituten eine Verwirklichung der Gedanken Gottes, der Schöpfungsordnung, die Gott der Welt gesetzt hat 2 . Aber auch außerhalb der christlichen Philosophie ist diese Frage aufgenommen worden. Der Gedanke eines ordre naturel, den die Aufklärung mit Bezug auf die Wirtschaft vertrat, 1 1
Vgl. Arch. f. d. ziv. Praxis, 150, 121. Vgl. dazu R o m m e n , Die ewige Wiederkehr des Naturredits, 2. Aufl., p. 41 ff.
I . W e s e n der Gerechtigkeit
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liegt in der gleichen Richtung. In der praktischen Jurisprudenz ist der gleiche Gesichtspunkt unter der bescheideneren Bezeichnung „Natur der Sache" hervorgetreten. Auf beide Gesichtspunkte stützt sich der Gedanke, daß es gewisse Rechtssätze gibt, welche über alles positive Recht hinweg für alle Völker und Zeiten gelten; es ist der Gedanke des φύσει δικαιόν, des Naturrechts. Man hat es sowohl aus bestimmten ethischen Forderungen, wie aus der Natur der Sache entwickelt. Schon in der Antike steht neben gewissen ethischen Prinzipien der Gedanke, daß Institute wie der Eigentumserwerb durch Okkupation, der Kauf usw. natürlichen Rechtes wären. — Dieser Problemkreis soll im folgenden erörtert werden. Den Ausgangspunkt bildet die Frage nach dem sittlichen Zweck des Rechts, die Frage nach der Rechtsidee. Ihre Erörterung führt von selbst zu der Frage einer natürlichen Ordnung der Dinge im sozialen Leben hinüber. Beide münden in die Frage nach der Möglichkeit und dem möglichen Inhalt eines natürlichen Rechts.
I. 1. Die Lehre von der Rechtsidee geht auf die platonische Philosophie zurück. Für Piaton sind die Ideen ideale Wesenheiten, welche allem realen, in der Erfahrung gegebenen Sein als Urbilder zugrunde liegen. Sie sind das eigentliche, wahre Sein, demgegenüber die erfaßbare Realität ein Sein geringerer Dignität ist. Der Mensch kann die Ideen denkend erfassen; denn er hat sie, bevor er seine irdische Existenz begann, geschaut und trägt davon eine unauslöschliche Erinnerung in sich. Zu den Ideen gehört — wie die reinen mathematischen Formen — audi das Wesen des Guten und Gerechten. Unseren subjektiven Meinungen darüber liegt die Erinnerung an die Idee selbst zugrunde; im dialektischen Gespräch über unsere Vorstellungen von dem, was gerecht ist, können wir den wahren Inhalt der Idee wiederfinden; unsere Erkenntnis davon ist daher — nach einem späteren Ausdruck1 — a priori, von früher her. Eine solche Wieder» Vgl. K r a n z , Grieth. Philosophie, p. 153/54.
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Fünftes Kapitel
besinnung auf die Idee des Gerechten ist der Inhalt des platonischen Dialogs über den Staat. Diese platonische Ideenlehre ist später von der christlichen Philosophie aufgenommen worden. Die Ideen werden hier zu Gedanken Gottes. In der Moderne aber hat sich eine Loslösung des Wortes Idee von seinem metaphysischen Hintergrund vollzogen1. Unter den Juristen ist es insbesondere üblich geworden, mit dem Ausdruck Rechtsidee das ethische Ziel des Rechts, insbesondere die Gerechtigkeit, zu bezeichnen. Dieser Sprachgebrauch hat an und für sich etwas Mißliches; denn das Wort Idee läßt sich von seinem ursprünglichen metaphysischen Sinn als Wesen, Entwicklungsziel und ideales Urbild einer Erscheinung zugleich im Grunde nicht ablösen. Wenn es hier trotzdem beibehalten wird, geschieht es, um den Anschluß an den oben erwähnten Sprachgebrauch zu wahren; es soll darunter also der ethische, für die Ausgestaltung der Rechtsordnung normative Gehalt des Rechts verstanden werden. Die Umschreibung des Wesens des Rechtes, die wir im zweiten Kapitel vorgenommen haben, hat uns gezeigt, daß die Verwirklichung sittlicher Gedanken an der Rechtsbildung maßgebenden Anteil hat. W i r haben von den Forderungen nach Gerechtigkeit, Gleichheit, Freiheit gesprochen und gezeigt, daß aus ihnen die höchste Schicht des Rechtes erwächst. Damit taucht die Frage auf, ob wir diesen sittlichen Forderungen einen eindeutigen Gehalt abgewinnen und unter ihnen einen bestimmten Zusammenhang feststellen können. Das wäre offenbar die notwendige Voraussetzung dafür, daß bestimmte ethische Ziele und Inhalte als notwendig mit dem Recht verbunden erwiesen werden könnten. W i r müssen also versuchen, das Wesen der hier erscheinenden sittlichen Werte, insbesondere das der Gerechtigkeit, zu klären. 2. W i r stehen damit vor einem Problem, das weit über die Rechtsphilosophie hinausgeht; es handelt sich um eine jener Fragen, von denen wir eingangs gesprochen haben 2 , in denen das Nachdenken über das Recht in allgemein-philosophische Fragen einmündet. Es ist die Frage, ob es gültige sittliche Einsichten gibt oder nicht, ja, ob es überhaupt so etwas wie einen eigenen Bereich des Sittlichen gibt, 1 Vgl. dazu den Artikel Idee bei Brugger, Philos. Wörterbuch. * Oben p. 4.
I.Wesen der Gerechtigkeit
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welcher nicht nur Ausdruck bestimmter anderer Triebe oder Instinkte ist. Es ist das Problem der Geltung der ethischen Werte. Die Tatsache, daß wir hier vor einem allgemein philosophischen Problem stehen, erweist sich sofort darin, daß alle die Fragestellungen, welche sich in der Philosophie an die Existenz des Sittlichen knüpfen, auch im Rahmen der Rechtsphilosophie an dieser Stelle von Bedeutung werden. Genau so wie der philosophische Skeptizismus die Eigenständigkeit und die Gültigkeit wahrhaft sittlicher Werte im allgemeinen in Zweifel gezogen hat, genau so ist auch in der Rechtstheorie die Rechtsidee immer wieder in Frage gestellt worden. Es sind die gleichen Grundpositionen, die hier wie dort eine Rolle spielen; es ist nötig, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, ehe wir unsere Grundfrage weiter verfolgen können. Es ist zunächst notwendig, das Problem zu präzisieren. Jeder Begriff, den wir bilden, geht seinem Inhalt nach auf einen Gegenstand; mit jeder Aussage, die wir von einem Gegenstand machen (Urteil), schreiben wir einem Gegenstand eine bestimmte Eigenschaft zu oder verneinen, daß ihm diese Eigenschaft zukommt. Erfaßt der Begriff die wirklichen Erscheinungsmerkmale oder inneren Wesenszüge des gemeinten Gegenstandes, schreibt das Urteil ihm Eigenschaften zu, die er wirklich besitzt, so sind sie richtig. Jeder Mensch, der die erforderliche Denkfähigkeit besitzt und sich auf den betreffenden Gegenstand konzentriert, müßte zum gleichen Ergebnis kommen. Die Begriffe und Aussagen (Urteile) sind gültig. Unser Problem ist, ob es möglich ist, auch über sittliche Sachverhalte solche Begriffe und Urteile gültig zu bilden. Das ist mit verschiedener Begründung geleugnet worden. Es lassen sich dabei zwei grundsätzliche Auffassungen unterscheiden. Nach der ersten — radikaleren — haben sittliche Begriffe und Urteile überhaupt keinen Gegenstand; sie gehen ins Leere. Denn was wir sittlich nennen, sind in Wahrheit Gegebenheiten ganz anderer Art, etwa ein verkappter Wille zur Selbstbehauptung, zur Macht oder eine Gewohnheit, die wir angenommen haben. Wenn wir etwa vom Wesen des Gerechten sprechen, so unterliegen wir einer Täuschung; in Wahrheit gibt es so etwas gar nicht. W i r können diese Auffassungen als ethischen Skeptizismus oder Nihilismus bezeichnen. Die zweite Auffassung leugnet die Eigenexistenz des Sittlichen nicht; aber sie bestreitet,
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Fünftes Kapitel
daß sich davon gültige Begriffe bilden lassen, daß sich gültige Aussagen darüber machen lassen, was gerecht usw. ist. Werturteile, sagt sie, sind nicht wissenschaftlich beweisbar; es besteht keine logische Nötigung, sie anzunehmen; noch radikaler: sie sind eine bloße Faktizität: Sie besitzen also keine allgemeine Geltung, sondern sagen im Grunde nur etwas über die persönliche Auffassung des Urteilenden aus, besagen, daß e r so urteilt. Sie sind (nach Radbruchs Formulierung) Bekenntnisse, nicht Erkenntnisse 1 . Es ließe sich also nur eine Art (statistischer) Topik der möglichen Werturteile aufstellen. Das ist die Auffassung des R e l a t i v i s m u s 2 . Skeptizismus wie Relativismus münden in der Regel, wenn auch nicht ausnahmslos, methodisch im juristischen Positivismus; die positiv gegebene Norm erscheint ihnen als das letzte und wahrhaft faßbare Element des Rechtes; nach ihrer Richtigkeit zu fragen, ist sinnlos. Der juristische Nihilismus tritt seit alters als eine Theorie der „Enthüllung" auf. Die sittlichen Wertgefühle, das vorgebliche Streben nach Gerechtigkeit sind nur eine Täuschung, bestenfalls eine subjektiv geglaubte Selbsttäuschung. In Wahrheit gibt es das gar nicht, und hinter dem Recht stecken ganz andere menschliche Zielsetzungen, insbesondere das Machtstreben (Machttheorien). In dieser Form führt schon Piaton diese Theorie in seinem Dialog über die Gerechtigkeit, in der Politeia, ein. Ihr Verfechter, Thrasymachos, kann es gar nicht erwarten, bis er den Zuhörern seine enthüllende und ihre ethischen Illusionen zerstörende Auffassung vortragen kann; er überfällt sie geradezu damit; die Weise, wie der Skeptiker mit einer gewissen Freude am scharfsinnigen Zerstören bisher geglaubter Wahrheiten vorgeht, ist hier geradezu klassisch festgehalten. Trasymachos führt aus, das Recht sei nichts als eine Satzung des Mächtigen; was ihm, dem Herrscher nütze, das proklamiere er als gerecht (τό τον κρείττονος ονμφερόν I, 339) und setze es als Recht. Die angebliche Gerechtigkeit des Untertanen sei nichts als die Befolgung dieser Gesetze (I 340 b) — hier erscheint der Positivismus — und im übrigen nur ein Zeichen der Schwäche. Denn man könne ruhig und ' Rechtsphilosophie, p. 2. * Vgl. zum Relativismus in der Rechtswissenschaft die kritische Darstellung von Ε m g e : Uber das Grunddogma des rechtsphilosophischen Relativismus, 1916, insbesondere die Zusammenstellung, p. 16-22.
I.Wesen der Gerechtigkeit
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ungestraft Verbrechen und Ungesetzlichkeiten begehen, wenn man nur die Macht besäße (I 344). In dieser letzten Auffassung tritt uns bereits die für den juristischen Nihilismus charakteristische Kapitulation vor der Macht entgegen. Eine sittliche Grundlage des Rechts wird als inexistent abgelehnt; die politische Macht aber, da real und wirksam, als wahre und zureichende Ursache des Rechtes anerkannt. Diese Theorie ist mit gewissen Varianten immer wieder vertreten worden: Leugnung der Gerechtigkeit, Anerkennung der Macht als Inhalt des Rechts, und als Folgerung daraus, die Anerkennung jeder, von einer sozialen Autorität gesetzten Norm als Recht, gleich welchen Inhalt sie besitzt, sind ihre charakteristischen Zeichen. Wenn etwa Kelsen in seiner Reinen Rechtslehre (1934) erklärt, die Gerechtigkeit sei reine Ideologie, das Streben danach in Wahrheit Macht- und Glücksstreben 1 , der Inhalt der Rechtsnormen sei beliebig2, die Rechtsordnung nichts anderes als organisierte Macht3, so haben wir im Grunde die gleiche Auffassung vor uns 4 . Auch von politischen Zynikern ist diese Auffassung immer wieder vertreten worden; die nationalsozialistische Formel: Recht ist, was dem Volke nützt, d. h. seiner Macht und Wohlfahrt, war im Grunde eine ähnliche nihilistische Konzeption, die den sittlichen Gehalt des Rechtes leugnete. Auch die Hegelsdie Formel, die Weltgeschichte ist das Weltgericht, kann, wenn man sie von ihrem metaphysischen Hintergrund ablöst, zum rechtlichen Nihilismus werden. Aus anderen Gesichtspunkten kommt die Theorie des historischen Materialismus zu einer Ablehnung der Rechtsidee. Karl Marx hat, so sehr er die Wirksamkeit der Klasseninteressen in der Rechtsordnung betonte, nicht die eben geschilderte — man möchte fast sagen primitive—Machttheorie vertreten. Er betrachtet den geschichtlichen Wechsel der Rechtsformen, in denen die menschliche Gesellschaft lebt, und kommt im Gegensatz zu Hegel, der in jeder geschichtlichen Stufe eine « p. 13/14. » p . 28.
» p. 70. ' Wenn der juristisdie Nihilismus zum Positivismus führt, so darf man nidit umgekehrt folgern, daß jeder Positivismus auf juristischem Nihilismus beruhe. So läßt z. B. die sog. Interessenjurisprudenz, welche ebenfalls grundsätzlich positivistisch eingestellt ist, zwar das Recht aus einem Kampf von Interessen hervorgehen, räumt aber ein, daß unter diesen Interessen auch gewisse „ethische Interessen" eine Rolle spielen. Hier kann man daher nicht mehr von Nihilismus sprechen. 7 Coing, Rechtsphilosophie
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Phase im Prozeß der Bewußtwerdung des Weltgeistes sah, zu dem Ergebnis, daß dieser Wechsel durch Änderungen in der ö k o n o m i s c h e n Struktur der Gesellschaft bedingt sei. Kausal für die Rechtsentwicklung ist nicht eine in den Menschen bewußt werdende R e c h t s i d e e , sondern kausal sind die ökonomischen Verhältnisse, unter denen sie leben. Das ist die Lehre vom sog. „juristischen Überbau". „In der gesellschaftlichen Produktion...", sagt er in der klassischen Darstellung seiner Lehre in dem Vorwort zur „Kritik der politischen Ökonomie", wo er seinen geistigen Werdegang schildert, „gehen die Menschen bestimmte notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, die Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprechen. Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt..." In dieser Lehre ist kein Platz für eine Rechtsidee, weil das Recht gewissermaßen nur eine Funktion des wirtschaftlichen Prozesses ohne wirkliche Eigenständigkeit ist. Es kann daher keine allgemeingültigen Vernunftwahrheiten geben, wie überhaupt nicht die Ideen, sondern die wirtschaftlichen Verhältnisse der Schlüssel zur Geschichte sind. Die Existenz der Rechtsidee wird daher konsequenterweise von der orthodox-marxistischen Theorie geleugnet1. Eine letzte Gruppe von nihilistischen Theorien, die freilich in erster Linie auf Ethik und Gesellschaftsmoral und erst in zweiter Linie auf das Recht und seine Entwicklung gerichtet sind, könnte man als psychologische Reduktionstheorien bezeichnen. Gemeinsam ist ihnen, daß sie die höheren sittlichen Bestrebungen des Menschen entwicklungsgeschichtlich auf primitivere Strebungen und Instinkte zurückzuführen versuchen und ihnen hierdurch ihre Eigenbedeutung nehmen. Typisch für diese Auffassung sind die Lehren von Spencer, Nietzsche und 1 Vgl. z. B. die offiziöse Schrift: Geschichte der komm. Partei der Sowjetunion, Berlin 1947, p. 156 u. 165. — Eine andere Frage ist, wieweit K. Marx in seiner Lehre von der klassenlosen Gesellschaft nicht doch eine Art Naturrechtslehre entwickelt. Vgl. dazu E . T r o e l t s c h , Ges. Schriften III, p. 149 u. 334; Troeltsdi bejaht die Frage. Η. Μ i 11 e i s . Ober das Naturredit, weist p. 31 auf die enge Beziehung zwischen Sozialismus und Naturrecht im allgemeinen hin, ohne auf Marx speziell einzugehen.
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Freud. Spencer erklärt die Entstehung der Vorstellung von der Gerechtigkeit in der Weise, daß Handlungen, die wir heute als gut oder gerecht bezeichnen, in der Urzeit von den andern gelobt wurden, weil sie ihnen nützlich erschienen; so seien die Begriffe „gerecht" und „gut" entstanden; sie beruhten also eigentlich auf der Kategorie des Nützlichen 1 . Sehr viel tiefer greift die Theorie, die Nietzsche in der „Genealogie der Moral" mit all der ihm eigenen Brillanz entwickelt hat. Er geht von der sprachgeschichtlichen Tatsache aus, daß in den indogermanischen Sprachen die Worte, welche auf entwickelter Kulturstufe sittliche Werte bezeichnen, ursprünglich sich auf körperlich-seelische Vorzüge wie Kraft, Mut, edle Abkunft usw. beziehen. Er folgert daraus, daß die heute sog. moralischen Werte ursprünglich eine Wertsetzung der adeligen Herrenschicht, der Eroberer, gewesen seien, welche darin ihrem vitalen Kraft- und Überlegenheitsgefühl Ausdruck verliehen. Mut, Kraft, Macht und Ehre waren ihre Leitwerte. Die heutige „moralische" Bedeutung sei erst durch eine Umwertung zustande gekommen, welche die Unterworfenen aus Ressentiment, aus unterdrücktem Machtwillen vorgenommen hätten. Sie hätten in einem „Sklavenaufstand in der Moral" ihr eigenes Verhalten, nämlich die niedrige Demut, das Mitleid usw. als das eigentlich Wertvolle hingestellt und die bisherigen Werte „abgewertet". Insbesondere das Christentum habe zu dieser Wertfälschung beigetragen. — Damit verlieren die moralischen Wertungen ebenfalls ihren eigenen Sinn; sie sind im Grunde nur versteckter Machtwille und Geltungsdrang der Unterdrückten, der Schlechtweggekommenen. — Freud endlich sieht in den Wertvorstellungen, die im sittlichen Bewußtsein der Gesellschaft lebendig sind, „Triebsublimierungen", d. h. Umformungen und Ablenkungen des primitiven Selbstbehauptungs- und Sexualtriebes, welche die Gesellschaft, also die Gruppe, im Interesse ihrer Existenz vorgenommen hat. So hat sie etwa den Sexualtrieb aus ökonomischen Gründen in Arbeitsenergie umzuformen versucht. Aus der Unterdrückung der ursprünglichen Triebe erwächst freilich das „Unbehagen in der Kultur" 2 . 1 Im Grunde kehrt hier in etwas anderer Form der Gedanke wieder, den Plato den Thrasymadios aussprechen läßt. ' V o r l e s u n g e n z u r E i n f ü h r u n g i n d i e P s y c h o a n a l y s e , Berlin 1933, insbes. p. 16/17, 157/156; 349; T o t e m u n d T a b u , 1912. Hier audi Freuds Theorie des G e w i s s e n s , das er aus der Gefühlsambivalenz in der Einstellung zum Vater ableitet.
7·
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Fünftes Kapitel
Spezifisch juristisch ist die Theorie von Georg Jellinek. Er führt unsere Vorstellungen von dem, was Recht ist, auf die Gewohnheit zurück. „Der Ursprung der Überzeugung von dem Dasein normaler Verhältnisse liegt in seinem bestimmten psychologisch bedingten Verhalten des Menschen zu den faktischen Vorgängen. Der Mensch sieht das ihn stets Umgebende, das von ihm fortwährend Wahrgenommene, das ununterbrochen von ihm Geübte nicht nur als Tatsache, sondern auch als Beurteilungsnorm an, an der er Abweichendes prüft, mit der er Fremdes richtet." So können etwa die Befehle eines Priesters, ursprünglich aus Furcht befolgt, durch wiederholte Befolgung zum sittlichen Gebot werden 1 . Das ist die berühmte (und ebenso oft falsch zitierte) Lehre von der n o r m a t i v e n K r a f t d e s F a k t i s c h e n . Der kritische Einwand, der gegen alle diese Theorien zu erheben ist, geht dahin, daß sie den Tatbestand, den es zu erklären gilt, das Rechtsleben also, in unzulässiger Weise vereinfachen. Sie unterliegen dabei einem Bestreben, das kennzeichnend für das menschliche Denken ist, das aber unser Denken schon oft in die Irre geführt hat: dem Zug zum Monismus, dem Bestreben, die beunruhigende Vielfalt der Erscheinungen auf e i n e Ursache zurückzuführen. Das geschieht sowohl in der Machttheorie, wie in den Reduktionstheorien wie im materialistischen Historismus und in der Lehre Jellineks. Einmal ist es die Macht, dann das Ressentiment der Unterdrückten, dann die ökonomischen Bedingungen oder die Gewohnheit, die als „wahrer" und einziger Bildungsfaktor des Rechts erscheinen. Damit werden sie aber dem Phänomen selbst nicht gerecht. Die Vielfalt widerstreitender Tendenzen, die das Leben auch des Rechtes ausmacht, entgeht ihnen. Ein an sich wirksamer Faktor wird absolut gesetzt. Das erweist sich, sobald man an Einzelzüge der Entwicklung herantritt. Die Machttheorie wird nie erklären können, warum die Macht sich so gerne als Recht tarnt (was alle Tyrannen gerne getan haben; man denke auch an die „gerechten" Kriege), wenn das Gerechtigkeitsgefühl keine Macht in der menschlichen Seele ist. Vor allem aber muß sie vor den Einzelheiten der Rechtsgeschichte versagen. Die Entwicklung der römischen bonae fidei-Kontrakte, die Rechtsprechung zu § 242 oder § 826 BGB, die „Erfindung" der Theorie von der ungerechtfertigten Bereicherung werden nie ohne Rückgang auf ethische Vorstellungen, nie aus reinem • Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl. Neudruck 1922, p. 338/39.
I.Wesen der Gerechtigkeit
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Machtwillen oder Klasseninteresse zu erklären sein. Das gleiche gilt vom Vorgang der Urteilsfindung überhaupt1. Die Machttheorie erweist sich damit als eine grobe Verallgemeinerung, und das gleiche gilt von den Reduktionstheorien und der des historischen Materialismus. Im einzelnen ist zu ihnen noch folgendes zu sagen. Der historische Materialismus beruht, sofern er das Redit für eine bloße Funktion der ökonomischen Bedingungen erklärt, auf einer Verkennung der seelischen Kausalität. Er übersieht, daß in jeder A n p a s s u n g eines Organismus wie eines geistigen Wesens an äußere Bedingungen ein Stüde Spontaneität steckt, eine eigenständige geistige Leistung; von einfach mechanischer Determinierung kann hier nicht die Rede sein. Es gilt hier, was Bergson in so glänzender Weise gegen die kausale Anpassungslehre Darwins zum Begriff der Anpassung (adaptation) ausgeführt hat2. Die Tatsache, daß das Recht sich an ökonomische Bedingungen anpaßt, schließt also nidit aus, daß im Recht eine besondere Tendenz des Geistes sich ausdrückt. Es folgt daraus noch nicht, daß mit dem sich anpassenden Recht keine eigenen Tendenzen verfolgt werden, daß das Recht nicht versucht, innerhalb der gegebenen wirtschaftlichen Verhältnisse Gerechtigkeit zu schaffen und auch diese Verhältnisse selbst umzuformen. Was die psychologischen Reduktionstheorien angeht, so ist vor allem hervorzuheben, daß die entwiddungsgesdhichtliche Genese eines Organs oder Gefühls noch nichts über den Wert der damit ermöglichten Einsichten besagt3. Im übrigen haben auch sie, wenn sie den Eigenwert der sittlichen Gefühle leugnen, zunächst den gegebenen Befund gegen sich. Die sittlichen Gefühle sind da und wirksam. Statt schlicht von diesem Befund auszugehen, müssen die Reduktionstheorien ihn durch komplizierte Hypothesen erklären, die im einzelnen nicht beweisbar sind. Das gilt vor allem von den Theorien Freuds. Aber auch Nietzsches Theorie von der Umwertung aus Ressentiment ist unzulänglich. Nietzsche übersieht, daß auch hinter solchen Werten, wie 1
Für das angloamerikanische Redit hat R. P o u n d diese grundlegende Tatsache hervorgehoben und begründet. Vgl. The Formative Era of American Law, 1936. * Evolution criatrice, 1. Kap. Bergson stellt hier gegenüber: die „Anpassung" einer Menge Wasser, die ich in ein Glas gieße, an die Form dieses Glases (mechanische Anpassung) und die „Anpassung" einer Tierart an Umweltbedingungen (spontane Anpassung). — Vgl. audi Troeltsdi, Histor. Zeitsthr. 106, p. 239. * Vgl. audi das Zitat aus O t t o , Das Heilige, oben p . 66.
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die Demut es ist, echtes eigenartiges Erleben, nicht nur Ressentiment, steht. — Auch die Theorie von der normativen Kraft des Faktischen hebt einen Umstand hervor, der für die Rechtsbildung an sich wichtig ist, — wir haben bereits davon gesprochen1 —, aber nicht ausreicht, um alle Erscheinungen zu erklären. Die sittlichen Grundsätze, auf denen z. T. auch das Recht beruht, sind nicht allein durch Gewohnheit zu erklären. Gerade die Jurisprudenz, in der sich die lebendige Fruchtbarkeit eines ethischen Gedankens, wie etwa der T r e u e , sozusagen täglich bewährt, ist ein Beweis dafür, daß sittliche Werte ein eigenes Leben haben, Quelle immer neuer Erkenntnisse sind, wie es eine bloße Gewohnheit nicht sein kann. Jellinek hat mit seiner Theorie eine richtige Beobachtung aus dem Bereich des Staatslebens2 in unzulässiger Weise verallgemeinert. Diese Kritik darf aber nicht dazu führen, nun in den entgegengesetzten Fehler zu verfallen, und das Recht rein spiritualistisch, allein aus der Ethik zu erklären und die übrigen Elemente seines Aufbaus zu übersehen. Auch die Theorien des juristischen Nihilismus enthalten sehr wesentliche Einsichten in das Wesen des Rechts; ihr Fehler liegt nur darin, daß sie Teilwahrheiten verabsolutieren und die sittlich höchsten Tendenzen im Recht übersehen. Jedes positive Recht enthält a u c h Machtsicherung und ist auch Ausdruck von Machtverhältnissen. Jedes positive Recht ist in Gefahr, Klasseninteressen zu dienen, und es ist ihr häufig erlegen. Klasseninteresse und Klassenbewußtsein sind nicht nur schwer zu überwindende Hemmnisse bei der Durchsetzung gerechter Regelung; sie begründen auch immer wieder die Gefahr der unbewußten Ablenkung des Rechtsgefühls und werden so eine Gefahrenquelle für die Rechtsprechung. Diese Gefahr zu kennen, ist daher für jeden Richter von höchster Bedeutung; nur so kann er ihr durch Selbstkontrolle zu begegnen versuchen. Für die geschichtliche Erkenntnis der Rechtsentwicklung ist die Beobachtung des Verhältnisses von Recht und Wirtschaftsleben unentbehrlich: nur daß hier eben ein Streiten und Miteinanderringen verschiedener Tendenzen, wirtschaftlichen Wollens und rechtlichen Wollens vorliegt und nicht eine einseitige Determination in einer Richtung. Was endlich die 1 Oben p. 25. * Genauer aus dem Problemkieis der Legitimität, dazu unten p. 207, Anm. 1.
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psychologischen Theorien angeht, so vermitteln die Auffassungen Freuds — mögen sie auch im einzelnen bestreitbar sein — doch eine im großen und ganzen richtige Konzeption von der Zähmung der einzelnen durch die Gruppe, und Nietzsches Lehren behalten insofern recht, als sie das immer mögliche komplizierte Ineinanderwirken sehr verschiedener Motive auch in scheinbar eindeutig ethischen Forderungen deutlich machen. Um die komplizierte Motivation menschlicher Wünsdie, auch ethischer, zu wissen, zu wissen, daß audi hinter rechtlichen und ethischen Bestrebungen nicht nur bewußt ( d a s hat man von jeher gewußt), sondern auch u n b e w u ß t sehr andere Motive stecken können, ist für die Rechtswissenschaft und Praxis von allerhöchster Bedeutung 1 . — Der R e l a t i v i s m u s leugnet wie gesagt die Existenz sittlichen Strebens und sittlicher Werte, auch des Gerechtigkeitsstreb ens als solchem nicht; was er aber — in verschiedenem Ausmaße — leugnet, ist teils die eindeutige Erkennbarkeit der sittlichen Werte, teils die Existenz allgemein gültiger Kriterien für die Richtigkeit und Überlegenheit bestimmter Werte über andere sittliche Werte. Auch hier lassen sich verschiedene Auffassungen abgrenzen. Zunächst ist hier der auf Kant zurückgehenden Auffasung 2 zu gedenken, wonach sich allgemeingültige Aussagen nur über die Form des Sittengesetzes, nicht aber über den Inhalt der sittlichen Wertvorstellungen machen lassen. Sie beruht auf der Auffassung, daß das gesamte Gefühlsleben des Menschen seinem Inhalt nach von sinnlichen Reizen, also von der Wirkung empirisch gegebener Gegenstände abhängig sei und daß die Welt der Gefühle, einschließlich der ethischen Gefühle, weder einen umschreibbaren Gehalt noch eine feststellbare Gliederung aufwiese 3 und führt daher zu dem Bestreben, die Rechtsphilosophie auf die Untersuchung der reinen F o r m des Rechtes zu beschränken. Das hat namentlich in der neukantischen Rechtsphilosophie eine Rolle gespielt4. Sie übersieht, daß auch im mensch1
Vgl. z.B. das oben über das Verhältnis von Gleidiheitsforderung und Neid Gesagte, Oben p.55. Uber ihre weiteren geschiditlichen Ursprünge vgl. S c h e 1 e r , Der Formalismus in der Ethik, p. 62-64, 269. 1 Vgl. etwa S t a m m l e r s Ausspruch, die Seele sei .ein unmeßbar und unerkennbar wogendes Meer". Richtiges Recht, p. 148. Auch K e l s e n , Reine Rechtslehre, p. 14. 4 Vgl. dazu Anhang III. 1
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liehen Gefühlsleben sidi ganz verschiedene Gruppen von Gefühlen unterscheiden lassen und daß die Gefühlsinhalte, und zwar gerade die ethischen, dem Menschen ohne Rücksicht auf äußere Erfahrung gegeben sind. Sie dürfte durch die Forschungen der Phänomenologie und der modernen Psychologie überwunden sein 1 . Nicht ohne geistesgeschichtlichen Zusammenhang mit dieser Ansicht, aber von größerem Einfluß auf die Gegenwart sind die Lehren der Verantwortungsethik, wie sie namentlich Max W e b e r vertreten hat. Danach kann wohl eine Vielheit ethischer Werte unterschieden und beschrieben werden; aber unter diesen Werten besteht nicht nur keine Rangordnung, sondern sie widersprechen einander. Der einzelne kann sidi nur unter eigener persönlicher Verantwortung zwischen ihnen und für einen persönlich gewählten Höchstwert entscheiden. Objektive Kriterien für die Richtigkeit seiner Wahl gibt es nicht. Max Weber hat sehr plastisch von einem Polytheismus der Werte gesprochen, bei dem man sich für einen Gott entscheiden müsse 2 . In der Rechtswissenschaft ist diese Auffassung vor allem in den Lehren der Freirechtsschule zutage getreten. Eine gewisse Einschränkung dieser Lehre gegenüber bedeutet die Lehre R a d b r u c h s , die man als s y s t e m a t i s c h e n R e l a t i v i s m u s bezeichnen könnte. Radbruch erkennt zunächst, was von großer Wichtigkeit, die Existenz der Gerechtigkeit als eines — wenn auch formalen 3 — so doch allgemein verbindlichen Wertes an 4 ; im übrigen sieht er zwar die Existenz verschiedener, möglicherweise für das Recht bedeutsamer Hödistwerte nebeneinander (Person, Gemeinschaft, Kultur); aber er erkennt, daß das Wertreich keine unbeschränkte Wahl offenläßt, daß vielmehr nur eine begrenzte Anzahl von Höchstwerten existiert und daß jede Entscheidung für einen von ihnen bestimmte systematisch erfaßbare Konsequenzen nach sich zieht5. Damit ist — gegenüber dem schlechtsinnigen Polytheismus Max Webers — anerkannt, daß im Wertreich durchgehende Zusammenhänge existieren, 1 Vgl. die Kritik bei S c h e 1 e r , 1. c. p. 49 ff., 58 f., 78 ff., 159, auch Ν ο h 1 , EthisAe Grunderfahrungen, p. 102 ff. • Vgl. Wissenschaft als Beruf, 3. Aufl., p. 32. — Vgl. audi R a d b r u c h , Rechtsphil., p. 28. • Dazu vgl. unten p, 118, Anm. 1. 4 Vgl. Vorschule der Rechtsphilosophie, p. 23 ff. ' M. Weber hat ahnliche Gedanken ausgesprochen — vgl. etwa 1. c. p. 31/32 —; aber niemals in der systematischen Schärfe und Klarheit durchgeführt wie Radbruch. Vgl. schon Rechtsphilosophie, 1. Aufl., p . 9 4 f f .
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die erkennbar sind und die die menschliche Entscheidungsfreiheit einschränken1. Eine letzte Schattierung des Relativismus endlich ist der H i s t o r i s m u s . Er geht von der Erkenntnis aus, daß sich die sittlichen Vorstellungen des Menschen in den einzelnen Kulturen und Epochen jeweils verschieden ausformen und dementsprechend audi nur im Rahmen dieser Kulturen und Epochen Geltung besitzen. Zugrunde liegt hier weiter die Einsicht, daß alle sittlichen und rechtlichen Gebote an eine bestimmt gestaltete, so nicht wiederholbare Situation gebunden sind. In diesem Sinn hat Riezler von der Relativität allen Rechtes gesprochen: „Sie (sei. die Relativität) kann . . . nur bedeuten, daß alles Recht, sei es positives Recht oder Rechtsideal, . . . in Beziehung steht zu bestimmten geschichtlichen, politischen, sozialen, wirtschaftlichen, kurz empirischen Voraussetzungen, und daß es, da diese Voraussetzungen nicht überall und nicht zu allen Zeiten die gleichen sind, selbst bei den verschiedenen Völkern . . . verschieden und einem ständigen Wechsel unterworfen ist; negativ ausgedrückt, daß es kein von soldier Bezogenheit freies allgemeingültiges positives Recht, aber auch kein allgemeingültiges, also .absolutes* Rechtsideal geben kann 2 ." Nach dieser Auffassung kann es jeweils nur im Rahmen einer Kultur zu einer individuell gestalteten Ausprägung des Sittlichen, zu einer „Kultursynthese" (Troeltsch) kommen. Solche Kultursynthese hat als individuelle Bildung nur einen relativen Wert 3 . Jede Kultur verdient als individuelle Gestaltung gleiche Beachtung: alle Epochen sind in diesem Sinne gleich nahe zu Gott. Wiederum muß sidi letzten Endes der einzelne zwischen ihnen entscheiden. Der Historismus verneint also, daß es eine zeitüberlegene inhaltliche Ausprägung des Sittlichen oder Rechtlichen gibt. Höchstens eine formale Idee des Sittlichen kann es im absoluten Sinne geben; der Inhalt ist notwendig situationsbedingt und verschieden. Der Relativismus dieser Anschauungen geht also sehr verschieden weit. Während die eine Auffassung nur die W a h l zwischen verschiedenen, inhaltlich fest umschriebenen Höchstwerten offen läßt, ist die ι Dazu jetzt Vorschule der Rechtsphilosophie, p. 27 (§ 8 III). * Festgabe für Wenger I, 24. Im gleichen Sinne schon seine Kritik von Reinachs a priori'scher Rechtslehre, Archiv für Rechts- u. Wirtschaftsphilosophie, 17, 264 ff., insbes. p.278. ' Für Troeltsch hängt sie freilich wegen des göttlichen Urgrundes der Geschichte mit dem Absoluten zusammen. Vgl. Troeltsch, Ges. Schriften, p.211.
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andere (im Extrem) bereit, jede historisch wirksame Wertanschauung als berechtigt anzuerkennen bzw. geneigt, alle Wertungen für schlechthin subjektiv zu erklären. Der Relativismus stützt sich auf eine Reihe von Tatsachen: Die Schwierigkeit objektiver Feststellung von sittlichen Inhalten, die Situationsgebundenheit ethischer Forderungen, wie sie vor allem in der geschichtlichen Verschiedenheit der Moralsysteme in Erscheinung tritt, der Kampf der verschiedenen ethischen Ideale in der Gegenwart und die Tatsache des Wertkonflikts 1 . Um zu diesen Fragen Stellung zu nehmen, ist es notwendig, auf die Frage einzugehen, auf welchem Wege wir überhaupt Kenntnis von ethischen Forderungen erlangen. Zu sittlicher Erkenntnis gelangen wir durch Nachdenken über den Inhalt unseres sittlichen Gefühls, mit dem treffenden Ausdruck Diltheys, durch eine „Analyse des moralischen Bewußtseins". Wir werden dabei die geschichtlichen Formen der Ethik, wie sie uns die Geistesgeschichte bietet, zu Hilfe nehmen können; das Entscheidende ist, sich über den Gehalt des eigenen sittlichen Fühlens klar zu werden 2 . Alle ethische Erkenntnis muß sich „auf die im Fühlen und Vorziehen erfolgende Werterfahrung" stützen 3 . In unserem sittlichen Bewußtsein sind uns bestimmte geistige Sachverhalte gegeben, Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit, Treue; wir nennen sie W e r t e 4 . Sie bilden einen eigenen Bereich des idealen Seins; denn audi hier muß zwischen unseren Vorstellungen und Gefühlen und dem Sachverhalt, auf den sie gerichtet sind, unterschieden werden. Die Werte sind keine bloßen Bewußtseinserscheinungen; sie sind unabhängig von einem sie auffassenden Bewußtsein 6 . Die Analyse des sittlichen Bewußtseins ergibt, daß wir es im Sittlichen nicht mit einem einzigen Wert, etwa dem Guten, zu tun haben, sondern mit einer Vielheit von spezifischen und verschiedenen sittlichen Werten; wir müssen, bildlich gesprochen, von einem Reich 1 D. h. der Erscheinung, daß in einer bestimmten Situation mehrere Werte an den Menschen herantreten und Befolgung verlangen, z. B. Wahrheitspflicht und Nächstenliebe bei der Frage der Unterrichtung von Kranken. * Vgl. dazu Ν ο h 1, Die sittlichen Grunderfahrungen, p. 11. a S dl e 1 e r , Formalismus usw., p.338. ' Vgl. dazu S c h e 1 e r , Der Formalismus in der Ethik usw., 2. Aufl., p. 11, 30, 33, 45, 357; N . H a r t m a n n , Ethik, 1. Aufl., p. 27. ' Vgl. S c h e l e r . l . c. p. 276. Dazu das oben p. 16 über das Sein des Rechts Gesagte.
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der sittlichen Werte sprechen1, das nur in unserem sittlichen Gefühl aulgetan ist. Diese Möglichkeit, zu sittlicher Erkenntnis zu gelangen, bietet nun gewisse, unvermeidbare Schwierigkeiten. Sie besitzt nicht die Exaktheit naturwissenschaftlicher Methoden und das Zwingende einer logischen oder mathematischen Deduktion. Es handelt sidi ja darum, eigene Bewußtseinsinhalte aufzuweisen, darzulegen und zu beschreiben; nur aus dem eigenen Wertfühlen kann sich letzten Endes eine Evidenz ergeben. Es fehlt die Möglichkeit der Nachprüfung im Experiment; die letzte Instanz ist das menschliche Erleben. Die Möglichkeit von Täuschungen ist daher relativ groß. Audi die allgemeine Meinung, der consensus omnium, ist kein sicheres Kennzeichen; er kann in die Irre gehen. Man braudit in dieser Hinsicht gar nicht auf die soziologische Erfahrungstatsache zu verweisen, daß gerade die Masse der Menschen häufig höheren Werteinsichten nicht zu folgen vermag 2 ; es genügt für den Juristen, die Judikatur des Reichsgerichts zum Begriff der „guten Sitten" ins Auge zu fassen. Das Reichsgericht hat diesen Begriff mit Hilfe der Formel, maßgebend sei „das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden", umschrieben. Darin liegt einmal der consensus omnium (als subjektives Element); aber audi eine Bezugnahme auf evidente sittliche Begriffe, insofern nur das Urteil der „billig und gerecht Denkenden" in Betracht kommt (objektives Element3). In unserem Zusammenhang ist nun interessant, daß das Reichsgericht, als nach dem ersten Weltkrieg sich jemand auf das Absinken der allgemeinen Moralbegriffe berufen wollte, erklärt hat, diese Änderung der allgemeinen Auffassung müsse gegenüber dem festliegenden Inhalt von dem, was billig und gerecht sei, unbeachtlich sein (RGZ 120, 144). Dieses Urteil zeigt, daß der consensus omnium nicht immer maßgebend sein kann. Es macht aber auf der anderen Seite audi deutlich, daß es doch so etwas wie eine allgemeingültige Einsicht in den Inhalt sittlicher Werte gibt und daß wir im praktischen Leben auch unbefangen davon ausgehen. Die oben gekennzeidinete Meinung, 1
Vgl. dazu H a r t m a n n , Ethik passim; S c h e 1 e r , 1. c. p. 104 ff.; Nohl, opus d t . * Vgl. darüber M e n s c h i n g , Soziologie der Religion, p. 132 ff.; O i t i g a y G a s s e t , Aufstand der Massen, p. 7. ' Vgl. RGZ 48, 114; ständige Rechtsprechung. In ähnlicher Weise ist in den Nürnberger Prozessen von allgemeinen Rechtsgrundsätzen ausgegangen, die in allen zivilisierten Völkern Geltung erlangt hätten, z. B. Nürnberger Urteil (Baden-Badener Ausgabe), p. 61, bezüglich des Kriegsrechts.
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daß über Fragen des sittlichen Gehalts überhaupt eine Erkenntnis von einiger Gewißheit unmöglich, daiß hier schlechthin nur ein subjektives Meinen möglich sei, ist unbegründet. Gewiß ist sittliche Einsicht nie vollkommen vom subjektiven Erleben ablösbar (denn dieses ist der einzige Zugang, den wir zur Welt des Sittlichen besitzen), gewiß wird deshalb eine Aussage über den Inhalt sittlicher Werte nie die Exaktheit naturwissenschaftlidier Erkenntnis erreichen, wird die Bedeutung der „persönlichen Gleichung" bei ihr stets erheblich sein, aber ein Kern von objektiv richtigen Aussagen über den Inhalt der einzelnen sittlichen Werte wird möglich sein. Es wäre sonst eine Verständigung unter Menschen — namentlich verschiedener Kulturen — überhaupt nicht denkbar. Letzten Endes zeigt sich auch im Sittlichen genau wie im Bereich der sinnlichen Wahrnehmungen, daß den Menschen ein im großen und ganzen gleicher Bereich des Seins aufgetan ist. Wir dürfen also davon ausgehen, daß die einzelnen sittlichen Werte, wie sie uns im sittlichen Bewußtsein gegeben sind, mit einem gewissen Grad von objektiver Richtigkeit umschreibbar sind. Es bleibt die beunruhigende Erscheinung, daß wir in der Geschichte zu verschiedenen Zeiten und in den verschiedenen Kulturen verschiedene Werte als H ö c h s t werte proklamiert finden und daß auch in der Gegenwart verschiedene Werte fordernd vor uns stehen, ohne daß wir ihnen allen Genüge tun können. Wir finden etwa in der Welt Homers oder in der Rechtsordnung der Isländersaggas ganz andere Wertvorstellungen als in der christlichen Kultur des Abendlandes. Sind hier die Eigenschaften des Kriegers Mut, Stärke, Ehre und edle Abkunft die höchsten Werte, so finden wir dort Achtung der Menschenwürde in allen Menschen, Demut vor Gott und Liebe zu allen Menschen als die höchsten sittlichen Forderungen. Vor einem ähnlichen Konflikt standen wir, als der Nationalsozialismus seine sog. völkische Weltanschauung gegenüber der christlichen proklamierte. Hier entsteht zunächst die Frage, ob diese Wertauffassungen einander wirklich gleichwertig sind. Gewiß: als Werte stellen sich beide dar, sowohl Mut und Stärke wie Demut und Liebe. Die Frage ist, ob sie einander gleich sind oder ob hier ein Rangordnung besteht. Auch hier sind wir wiederum auf eine Nachprüfung unseres Werterlebens angewiesen. Und wiederum dürfen wir keine exakte Antwort in jedem Einzelfall erwarten. Trotzdem ist so viel gewiß, daß nicht alle sittlichen Werte
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gleichwertig sind. Der bloße physische Mut und die körperliche Stärke sind Vorzüge, die gegenüber den eigentlich geistig-sittlichen Werten zurücktreten; auch die Ehre ist nicht das höchste Gut; das Bewußtsein, recht gehandelt zu haben, steht höher als der äußere Ruf. Diese Rangordnung der Werte bestätigt im großen auch die Kulturgeschichte; denn worin sehen wir den Fortschritt des Menschen, wenn nicht in der Entfaltung seiner geistig-sittlichen Fähigkeiten? Die geschichtliche Erfahrung zeigt denn auch die Erscheinung, daß man von einer einmal erreichten Stufe geistig-sittlicher Erkenntnis sozusagen nicht mit gutem Gewissen zurück kann. Der Prozeß der Gewinnung höherer geistigsittlicher Einsichten ist irreversibel. Sind sie einmal entdeckt, kann man höhere Werte nicht mehr ignorieren. Man hat mit Recht von dem Gesetz der „Unwiederherstellbarkeit der ethischen Primitivstadien" gesprochen1. Der Versuch gewisser Schichten innerhalb des Nationalsozialismus, eine Art primitiver Stammesethik wiederherzustellen, war deshalb auch eine innere Unmöglichkeit; er konnte niemals zu einer echten Rückbildung des ethischen Bewußtseins im Sinne einer stammesgebundenen Ethik führen 2 . Die Rangordnung der Werte, die uns erkennbar ist, genügt also, um uns die großen Stufen im Wertreich deutlich werden zu lassen; sie genügt, um die These des radikalen Historismus von der grundsätzlichen Gleichwertigkeit aller geschichtlich wirksamen sittlichen Vorstellungen auszuschließen. Es bleibt die Erscheinung des Wertkonfliktes innerhalb der geistigsittlichen Werte selbst, etwa zwischen dem humanistischen Ideal der Selbstentwidclung und Selbstbildung und dem der tätigen Nächstenliebe. Beide sind in der praktischen Durchführung schwer vereinbar; wir sind gezwungen, zwischen ihnen zu wählen, uns für eins zu entscheiden. Das ist nicht wegzuleugnen. Die sittliche Entscheidung kann aus dem sittlichen Leben nidit fortgedacht werden. A b e r e s w ä r e f a l s c h , die D i n g e so a n z u s e h e n , als ob d a b e i u n sere E n t s c h e i d u n g den b e t r e f f e n d e n W e r t e n erst i h r e n W e r t v e r l i e h e . So ist es nicht. Daß wir entscheiden 1 So Μ e η s c h i η g , 1. c. p. 254. * Es ist bezeichnend für diesen Sachverhalt, daß Hitler selbst diese Versuche wohl nicht ernst nahm — man braucht nur seine höchst verachtungsvollen Bemerkungen über das Volk in „Mein Kampf" nachzulesen. Der Versuch war letztlich nicht ehrlich gemeint. — Ahnlich liegen die Dinge, soweit das Wertverhältnis zwischen Volk und Einzelperson in Frage steht.
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müssen, liegt an der Begrenzung unseres Lebens; wir können nicht das ganze Wertreich gleichmäßig verwirklichen, die ganze Menschheit in unser Tun aufnehmen. Unser Los ist die Beschränkung1. Deshalb behalten aber die Werte, für die wir uns nicht entscheiden, ihren Wert; daß wir ihnen nicht folgen, ist unsere Schuld. Die Tatsache, daß wir als Individuen wählen müssen, berührt also den Wertcharakter der anderen Werte (auch für uns) nicht2. — Außerdem ist zu beachten, daß nicht alle ethischen Werte so ausschließlich sind, daß sie uns zu solcher Entscheidung zwängen. Es gibt eine Reihe elementarer sittlicher Forderungen, besonders für unser Verhalten gegenüber den Mitmenschen, die durchaus n e b e n anderen, lebensfüllenden Werten erfüllt werden können; und dahin gehören gerade die Werte, mit denen es das Recht zu tun hat: Gerechtigkeit, Treue zum gegebenen Wort, Redlichkeit usw.8. Was endlich die Situationsgebundenheit der ethischen Forderungen angeht, so ist richtig, daß unser sittliches Gewissen uns keine abstrakten Anweisungen gibt, sondern uns den Weg im Einzelfall, in der konkreten Situation weist. Aber wir dürfen nicht übersehen, daß das menschliche Leben so geartet ist, daß es eine gewisse Typik der Situationen aufweist. Der Historismus übersieht, daß es nicht nur Entwicklung, sondern auch Grundphänomene gibt, die immer wiederkehren. Es ist möglich, den Inhalt der sittlichen Werte mit Rücksicht auf solche typischen Situationen zu beschreiben und damit — ohne ihn freilich zu erschöpfen — ein Wesensbild von ihm zu geben, das selbst über die individuelle Situation hinausgeht. In dieser Weise kann ich etwa den Begriff des Gerechten, jedenfalls in seinem Kern, bestimmen. — Damit kehren wir zu unserem eigentlichen Problem, der Frage nach dem sittlichen Gehalt des Rechtes, der Rechtsidee, zurück. Es hat sich gegenüber den Lehren des Relativismus gezeigt, daß objektive sittliche Erkenntnis möglich ist, in gewissem Umfange auch hinsichtlich der Rangordnung sittlicher Werte. Aus dieser allgemeinen Erkenntnis gilt es nun, die Folgerungen für unser spezifisches Problem zu ziehen. — 1
Audi Christus weist uns nidit an „alle Menschen", sondern an unseren N ä c h s t e n I • Vgl. dazu Nohl, op. d t . , p. 130/31. * Hierauf hat vor allem T r o e l t s c h hingewiesen; Ges. Schriften III, 197, 203 und 706; ahnlich R a d b r u c h , Vorschule der Rechtsphilosophie, p. 23 S.
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Im Mittelpunkt der sittlichen Werte im Recht steht, wie wir gesehen haben, die Gerechtigkeit. Ihr hat sich unsere Untersuchung jetzt zuzuwenden. 3. Die Gerechtigkeit als objektiver Wert 1 ist auf unsere Einstellung und unser Verhältnis zum Mitmenschen gerichtet. Sie fordert uns auf, ihn in der gleichen Weise gelten zu lassen, wie audi wir selbst leben und uns entfalten wollen. Das bedeutet zunächst eine gewisse Selbstbeherrschung; ich kann nicht einfach jedem meiner Wünsche und jeder meiner Launen nachgeben; ich muß auf den andern, sein Dasein, sein Lebensrecht, Rücksicht nehmen; hierin liegt die Verwandtschaft von subjektiver Gerechtigkeit (als persönlicher Tugend) mit Rücksichtnahme und Takt. Die Gerechtigkeit verpflichtet, den andern grundsätzlich als gleichberechtigtes Wesen von eigenem Wert a n z u e r k e n n e n . G. Del Vecchio bringt daher die Gerechtigkeit geradezu zusammen mit der Setzung des andern als Subjekt im Sinne eines Fichteschen Idealismus2. Insofern ähnelt sie der Menschlichkeit, und man hat mit Recht gesagt, die Humanität sei die Grundlage allen Rechtes3. Ich darf daher den andern nicht verletzen, weder persönlich noch in seinem Besitz, und sollte ich das doch tun, muß ich die Verletzung wieder ausgleichen. Hier tritt ein Zug hervor, der für die Gerechtigkeit charakteristisch ist. Die Gerechtigkeit hat für die Art des Geltenlassens, die Art und Weise, w i e ich meine Achtung des andern betätigen soll, einen bestimmten M a ß s t a b 4 . Das unterscheidet sie charakteristisch von der Humanität, die im Sinne des „homo sum, humani nil alienum mihi puto" ein weiteres, entgegenkommendes Verstehen und Geltenlassen einschließt. Die Gerechtigkeit fordert G l e i c h h e i t . Ich soll den andern so behandeln, wie er mich; von ihm nichts erwarten, was ich ihm nicht auch zu leisten bereit bin. W a s Du nicht willst, das man Dir tut, das füg' audi keinem andern zu, gebietet die Gerechtigkeit, und: Alles nun, was Ihr wollt, daß die Leute es Euch tun sollen, das tut Ihr ihnen auch. Der Leistung soll eine Gegenleistung entsprechen; der Verletzung Sühne und Ersatz. Die Grenze zwischen dem andern 1 Vgl hierzu N. H a r t m a n n , Ethik, p. 381 ff.; zusammenfassende Darstellung, audi der geschichtlich wichtigen Lehrmeinungen bei G. D e l V e c c h i o , Die Gerechtigkeit, Basel 1940. » 1. c. p. 45/46. — Vgl. F i c h t e , Grundlage des Naturredits (1796), p. 19. • Albert S c h w e i t z e r , Kultur und Ethik, p. 261 und p. X X I . ' Das hebt besonders Ε m g e , Sicherheit und Gerechtigkeit, p. 18 ff., hervor.
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und mir soll nicht ohne ein Äquivalent verschoben werden. Darin kommt die Gleichheit zwischen uns zum Ausdruck; ich behandele ihn, wie ich selbst behandelt werden möchte. Ich achte ihn damit als Person wie ich mich selbst als Person achte 1 . Hierin kommt ein weiteres Merkmal der Gerechtigkeit zum Ausdruck; sie verlangt, daß ich dem anderen gebe, was ihm zukommt: τά προσήκοντα sagt Piaton, suum cuique tribuere Ulpian ( D 1. 1. 10). D e r Maßstab hierfür ist wiederum die Gleichheit; ich fordere nichts, was ich nicht auch leiste. Die Forderung, jedem das Seine zu geben, tritt auch in der Gruppe hervor, wenn einer als Leitender anderen übergeordnet ist. Dann soll er jedem geben, was ihm zukommt, keinen .bevorzugen, alle grundsätzlich gleich behandeln, nur da differenzieren, wo entsprechende Leistungen vorliegen — genau wie im Verhältnis gleichgeordneter Gegenseitigkeit. Die Gerechtigkeit schließt mit diesen Forderungen eine bestimmte A r t der Einstellung zum Mitmenschen aus: die willkürliche, launenhafte Behandlung und die Gewalt 2 . W i l l k ü r ist der gerade Gegensatz zur Gerechtigkeit. Willkürlich behandeln, bedeutet, n i c h t nach festem Maßstab handeln, nicht Leistung mit Leistung vergelten, sondern ohne sachlichen Grund, einmal gut, einmal schlecht behandeln, je nach Laune. Die Gerechtigkeit ist folgerichtig und stetig 8 , die Laune inkonsequent. Sic volo, sic iubeo, stat pro ratione voluntas, sagt die Willkür, während die Gerechtigkeit für ihr Verhalten einen Grund angeben kann, der in dem Verhalten des anderen selbst liegt. Die Laune aber bindet sich an keinen Maßstab; sie bevorzugt oder benachteiligt, belohnt oder straft unberechenbar, differenziert, wie sie will, und nach Merkmalen, die niemand erwarten kann, weil sie keine Beziehung zur Sache haben. Die Gerechtigkeit ist daher b e r e c h e n b a r und s i c h e r , die W i l l k ü r nie. Der Günstling wird befördert, weil er angenehm ist, nicht weil er etwas leistet; der unbequeme Mahner übergangen, obwohl er weit tüchtiger ist. Darin liegt zugleich eine Mißachtung, ein Nichtbeachten des menschlichen Eigenwertes desjenigen, der so behandelt wird. M a n hat es nicht nötig, ihn ernst zu nehmen, zu bedenken, was er kann und leistet; man springt mit ihm • Vgl. dazu D e l V e c c h i o , p. 68, und H. M i t t e l s , Über das Naturretht. Deutsche Akademie der Wissenschaften. Vorträge und Schriften, H. 26, p. 34. 1 Vgl. dazu insbes. D a r m s t a e d t e r , S J Z 4 8 , 430. » Das hebt mit Recht Μ i 11 e i s hervor, 1. c. p. 31; 34/39.
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um, als zähle das nicht — als sei er eine Sache, kein Mensch wie wir. W e n man willkürlich behandelt, den achtet man nicht als sidi gleich. Im Gegensatz zur Gerechtigkeit steht ferner alle Maßlosigkeit. So die Rache; sie ist maßlos. Ihr Ziel ist im Grunde die Vernichtung des gehaßten Gegners; nicht eher gibt sie Ruhe. Darum steht sie im Gegensatz zur Gerechtigkeit. Gerechtigkeit vergilt, aber sie rächt sich nicht. Aus diesem Grund sind in der Seele des Menschen alle Erregungszustände der Verwirklichung der Gerechtigkeit abträglich: Zorn, W u t und Aufregung schließen sie aus. Ruhe und Sachlichkeit setzt sie voraus; „sine ira et studio" muß sie zu Werke gehen. W e r gerecht sein will, muß überlegen, was dem anderen zukommt, abwägen, was er getan und geleistet hat, im Gegenseitigkeitsverhältnis oder in der Gemeinschaft. Danach bestimmt sich, was ihm zukommt. Die Gerechtigkeit fordert also eine bestimmte Seelenverfassung und eine bestimmte Einstellung zum andern: sie soll objektiv und sachlich sein. Sachlich nicht im Sinne der Mißachtung als Sache, sondern im Sinne des Erkenntnisvorganges, der Wahrheitsforschung, die einen Zusammenhang erforscht, d. h. ganz auf den Gegenstand eingestellt ist, ganz bestrebt, ihn aufzufangen. Alle emotionalen Beziehungen, die zur Person des andern bestehen, sollen deshalb unterdrückt werden. W e r liebt oder haßt, ist ein schlechter Richter. Hier taucht der Zusammenhang zwischen Gerechtigkeitsverwirklichung und Erkenntnis, Erforschung der Wahrheit auf, der für die Tätigkeit des Richters und ihre Regeln, den Prozeß und sein Recht, so grundlegend sind. Voraussetzung gerechten Handelns ist objektives Erkennen der Wahrheit; um jemand das Seine zu geben, muß ich wissen, was er ist und tut. — Aber die Gerechtigkeit hat nicht nur ihre Gegenbilder in Rache, Zorn und Willkür; es gibt auch Werte, die sie überwinden, die ein Verhalten fordern, welches die Gerechtigkeit hinter sich läßt 1 . W i r erwähnten schon die milde Humanität; über sie hinaus geht die Gnade und vor allem die Liebe. Die Gnade hebt Sühne auf, die nach der Gerechtigkeit verdient ist; sie annulliert sie aus einer unendlichen Überlegenheit über alles Menschliche hinaus, einer Anteilnahme von oben her. Sie läßt das Maß der Gerechtigkeit hinter sich und ist recht 1 Dieser Sachverhalt kann verwechselt werden: so wenn der Rationalismus der Aufklärung die Gnade als Willkür bekämpft.
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eigentlich übermenschlich und göttlich1. Die Liebe aber gibt über alles Verdienst und Maß; sie mißt nicht, sie rechnet nicht; sie gibt und vereinigt, wo die Gerechtigkeit trennt und distanziert. In warmer Zuneigung umfaßt sie das ganze Wesen des andern, wo der Gerechte kühl und sachlich zu erkennen und urteilen versucht, und sich darum in erster Linie an objektiv feststellbare Handlungen und Leistungen hält. Auf diesen Wert der Gerechtigkeit ist die oberste Schicht der Rechtsbildung gegründet2. Aber wie wir bereits hervorgehoben haben, findet die Gerechtigkeit in der Sicherheit gewährenden Friedensordnung bereits ein geprägtes Material vor; sie kann nicht vollkommen frei wirken; sie ist an die Eigenschaften gebunden, die dieses Material mit sich bringt — so wie im Kunstwerk die künstlerische Idee nicht ohne Rücksicht auf die Eigenart des Werkstoffes verwirklicht werden kann. Die Gerechtigkeit formt das Recht im Sinne der Gleichheit, der gleichen Beachtung aller, der Behandlung aller nach ihren Leistungen; sie will Willkür von allen bannen, jedem das Seine geben. Dem setzt sich die Sozialordnung mit ihren Eigentümlichkeiten entgegen. Das ist zunächst die Beschränkung ihrer sachlichen Zuständigkeit. Sie beschäftigt sich grundsätzlich nur mit dem Ausschnitt aus dem Tun des Menschen, der sozial relevant ist 3 . Sie findet weiter ihre Schranken daran, daß das Recht eine abstrakte Ordnung ist, die an typische Fälle anknüpft und in welche die Ganzheit einer Persönlichkeit niemals eingeht 4 . Damit tritt die Gerechtigkeit des Rechts in Gegensatz zur persönlichen Gerechtigkeit. Die Gerechtigkeit des Rechts knüpft, stärker als persönliche Gerechtigkeit es tun muß, nur an einzelne Taten und Handlungen an. Der kühle, berechenbare Charakter der Gerechtigkeit tritt stärker in ihr hervor. Die Gerechtigkeit des Rechts ist abstrakt; sie zieht vom konkreten Fall immer nur einen Ausschnitt typischer Umstände in Rechnung, die übrigen übersieht sie, während persönliche Gerechtigkeit in dieser Hinsicht freier ist. Das ist nur deshalb erträglich, weil die Rechtsordnung es im allgemeinen mit Handlungen und 1
Vgl. dazu G r e w t , Gnade und Recht, 11, 41.
* Vgl. oben p. 36. * Vgl. dazu oben p. 21. 4 Vgl. N. H a r t m a n n , Ethik, p. 475; audb oben p. 17.
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Äußerungen des Menschen zu tun hat, in die relativ wenig von seiner Persönlichkeit eingeht. Ähnlich steht es mit dem Gegensatz von Gerechtigkeit und Billigkeit. Das Wort „billig" wird sehr verschieden verstanden und deckt sehr verschiedene Tatbestände. In der Rechtsprechung erscheint es z. T. einfach als andere Bezeichnung für bestimmte Anforderungen der Gerechtigkeit 1 ; daneben hat es aber einen eigenen Sinn. W i r nennen eine Entscheidung billig, wenn sie — über die Grundsätze der Rechtsordnung hinaus — die besonderen Umstände des Falles, die persönlichen Verhältnisse der Beteiligten im Einzelfall berücksichtigt. Indem sie über die Grundsätze hinausgeht, in der rechtliche Gerechtigkeit erscheint, nähert sie sich der freien persönlichen Gerechtigkeit. — Eine weitere Schranke ist die Sicherheitstendenz im Recht; das Recht sichert zunächst einmal bestehende Verhältnisse. Das engt den Raum der Gerechtigkeit ein. Rechtliche Gerechtigkeit gilt stets im Rahmen einer sozialen Macht- und Besitzordnung, die selbst zunächst einmal hingenommen ist, wie sie ist, und die der Umformung im Sinne der Gerechtigkeit zähen Widerstand entgegensetzt. Hierin liegt die tiefe Kluft zwischen juristischer und sozialer Gerechtigkeit, hieran hat sich immer wieder der Kampf gegen das Recht im Namen der Rechtsidee entzündet2. Aber auch an Einzelproblemen zeigt sich dieses Hemmnis. Das klassische Beispiel ist die Rechtskraft der sachlich unrichtigen Entscheidung: hier siegt das Interesse an Friede und Sicherheit über die Gerechtigkeit. Es liegt eben — das wird später noch zu erörtern sein — in dem Gerechtigkeitsverlangen ein gewisses anarchisches Element. Das Verlangen nach Gerechtigkeit kann nie zur Ruhe kommen; die Sozialordnung aber verlangt Ruhe und Befriedung. Die Spannungen, die hier bestehen, treten in der Rechtsgeschichte immer wieder hervor; sie machen einen Teil ihrer Bewegung aus. Überall, wo der Gedanke der Billigkeit sich gegen das strenge Recht durchsetzt, bricht der Gedanke der freien Gerechtigkeit durch die Schranken, die ihm die sichernde Ordnung gesetzt hat. Überall, wo sich das Naturrecht gegen die positive Ordnung erhebt, tritt er zum Kampf gegen die Fesseln der starren Friedensordnung an. Ein letztes Moment muß noch hervorgehoben werden. Die Rechtsordnung ist eine Ordnung der Gruppe; sie gilt im Unterordnungs1 Vgl. M. R ü m e l i n , Die Billigkeit im Recht; I s a y, Rechtsnorm und Entscheidung 116 ff » Vgl. dazu Μ i 11 e i s , 1. c. 13.
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Verhältnis zwischen Machtträger und Unterworfenen. Deshalb tritt hier weniger der Gegenseitigkeitscharakter der Gerechtigkeit hervor als die Forderung nach gleicher Behandlung. Die Formel der juristischen Gerechtigkeit lautet deshalb: gleiche Fälle gleich behandeln; Unterscheidungen, die sachlich nicht geboten sind, vermeiden, Diskriminierungen unterlassen. Der Gleichheitsgedanke im Sinne einer egalitären Behandlung aller Bürger tritt scharf hervor. Er wird durch den abstrakten Charakter der Rechtsordnung verstärkt: der Gedanke der Gleichheit geht der Forderung nach einer individualisierenden Gerechtigkeit vor. Die rechtliche Gerechtigkeit ist also in vieler Hinsicht fragwürdig und problematisch. Nicht nur daß die Gerechtigkeit selbst nicht der letzte Wert im Reich des Sittlichen ist: er kann in der Rechtsordnung auch stets nur in sehr begrenztem Umfang verwirklicht werden. Juristische Gerechtigkeit ist notwendigerweise eine höchst fragmentarische Gerechtigkeit. Sie ist niemals das letzte Wort, sondern immer etwas Vorläufiges. Im Grunde gilt von jedem Richterspruch, was von dem Richter der Nathanschen Fabel gesagt wird: So lad ich über 1000, 1000 Jahre Sie wiederum vor diesen Stuhl, Da wird ein weis'rer Mann auf diesem Stuhle sitzen, Als ich: und sprechen. G e h t l . . . Mit den Spannungen, die in der juristischen Gerechtigkeit zutage treten, haben wir bereits ein letztes Problem berührt, das mit der Idee der Gerechtigkeit selbst verknüpft ist. Im Wesen der Gerechtigkeit liegt eine Antinomie, die freilich erst deutlich in Erscheinung tritt, wenn es sich nicht um das schlichte Gegenseitigkeitsverhältnis handelt, sondern wenn im Überordnungsverhältnis einer über mehrere urteilen muß (also gerade in der Lage, in der der Richter sich typischerweise befindet). Es ist der Gegensatz zwischen der Forderung nach G l e i c h h e i t und der nach i n d i v i d u e l l e r G e r e c h t i g k e i t . Die Gerechtigkeit verlangt, daß ich jedem das Seine gebe; das kann nur individuell bemessen sein; nur der kann mir und meinem Tun gerecht werden, der mich in meiner individuellen Besonderheit ganz erfaßt hat, und das ist das tiefste Anliegen der Gerechtigkeit.
I.Wesen der Gerechtigkeit
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Würdigt man aber jede Handlung aus der Gesamtheit ihrer konkreten Bedingungen und ihres individuellen Ursprungs, so gibt es überhaupt keine vergleichbaren Handlungen und Ereignisse: denn alles soziale Geschehen ist einmalig und einzig in seiner Art 1 . Dann bleibt also überhaupt kein Raum für die Gleichheit. Gleichheit ist nur denkbar, wo gleiche, vergleichbare Handlungen vorliegen. Sie zwingt also dazu, eine Reihe der individualisierenden Merkmale auszuscheiden und nur den typischen Gehalt der Handlungen usw. zu erfassen. Aber selbst wenn man so vorgeht, wenn man also auf das Typische abstellt, ergeben sich bestimmte Unterschiede in der Fallgestaltung oder der Beschaffenheit der Personen, die auch der Wille zur Gleichheit nicht übersehen kann; in diesen Fällen muß audi er differenzieren, will er nicht gröblich gegen die Forderung nach dem „Suum cuique" verstoßen. Bei der Beurteilung eines Vertrages kann ich hinsichtlich der Personen davon abstrahieren, daß auf der einen Seite der Pianist X, auf der anderen Seite der Maler Y beteiligt sind; wenn aber einem Erwachsenen ein Kind von zehn Jahren gegenüberstand, so kann ich das nicht übersehen. Darum lautet die Forderung der Gleichheit nicht starr: allen das Gleiche, sondern: Gleiche Fälle gleich behandeln. Das ist ein Kompromiß zwischen der generalisierenden Gleichheit und der individualisierenden Gerechtigkeit. Aber hier entsteht nun die schwierige Frage: wo liegen die Maßstäbe dafür, wann etwas gleich und wann es differenziert behandelt werden muß. Diese Frage läßt sich nicht mehr aus der Gerechtigkeit allein beantworten; hier läßt uns die Gerechtigkeit im Stich. Sie enthält dafür nur negativ den Maßstab, daß die Differenzierung nicht willkürlich sein darf; positiv gibt sie uns keine Antwort; sondern verweist uns auf das Wesen der Dinge selbst. Die Differenzierung soll, so fordert sie, s a c h l i c h begründet sein; sie soll sich aus der Sache selbst ergeben, nicht willkürlich vom Menschen gesetzt sein. Die Rechtsidee erweist sich hier als offen; sie gibt uns keine in sich geschlossene Wertung. In dieser Frage weist uns die Rechtsidee vielmehr selbst an jenen anderen Komplex von Phänomenen weiter, der der zweite Ansatzpunkt für die Suche nach dem Urbilde des Rechtes war: die Natur der 1 Dtcs hebt T r o e l t s c h nilt R e i t als entscheidenden Faktor im Begriff des Historisdi Individuellen hervor, Ges. Sdiriften, p. 120.
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Sache. Ihr muß sich auch unsere Darstellung nun zuwenden1. Die Frage ist, ob wir in der Natur der Sache eine Ergänzung und einen Maßstab der Gerechtigkeit finden, die es erlaubt, rein aus der Sacherkenntnis, ohne weitere Wertungen einzuführen, die Fragen, welche die Gerechtigkeit offen ließ, zu beantworten, oder ob auch sie uns auf weitere Wertungen verweist. Im ersten Fall könnten wir die Prüfung der Rechtsidee mit der Betrachtung der Gerechtigkeit abschließen; andernfalls würde die Wertfrage erneut vor uns aufstehen.
II. Wenn der Jurist von der „Natur der Sache" spricht, so meint er zunächst nichts anderes, als was der Ausdrude seinem wörtlichen Sinn nach zu besagen scheint. Er denkt an die Beschaffenheit der Gegenstände, welche im sozialen Leben, etwa im Wirtschaftsverkehr, eine Rolle spielen. So spricht er etwa von beweglichen und unbeweglichen Sachen und begründet aus ihrer Natur etwa verschiedene Formen der Besitzübergabe. Wenn der altrömische Eigentumsprozeß regelmäßig Gegenwart der umstrittenen Sache in jure forderte, so waren Grundstücke „ihrer Natur nach" davon ausgeschlossen. Oder wir sprechen von Sachen, die ihrer Natur nach sich nicht für eine Hinterlegung eignen (vgl. § 383 B G B ) , ihrer Natur nach zum Verbrauch bestimmt sind usw. Aber der Sinn des Ausdrucks geht über die Wortbedeutung hinaus. Nehmen wir das eben gebrauchte Beispiel vom Vertrag, an dem ein Jugendlicher beteiligt ist. Auch hier fordert die „Natur der Sache" eine andere Behandlung, als wenn nur Erwachsene beteiligt sind. Aber damit ist hier etwas anderes gemeint als in den obigen Beispielen. Genauer gesehen sind es zwei Dinge, deren Natur hier eine Rolle spielt. Einmal die Eigenart des Geschäftsverkehrs, an Intelligenz, Vorsicht und Erfahrung gewisse Anforderungen zu stellen; zum andern die Natur des Kindes, dem es an dieser intelligenten Übersicht 1 Man hat aus diesem Grunde die Gerechtigkeit häufig als „formal" bezeichnet, so R a d b r u c h , Vorschule, p. 25; T r o e l t s c h , Ges. Schritten, p. 197; D e l V e c c h i o , p. 68 u. passim. Ich möchte lieber davon sprechen, daß die Gerechtigkeit „offen" ist. Die Bezeichnung „formal" — abgesehen von ihrer Mehrdeutigkeit — bringt nicht zum Ausdruck, daß die Gerechtigkeit durchaus einen positiven Inhalt hat, ein sehr deutlidi umrissenes Verhalten vom Menschen fordert und anderes ausschließt, z. B . die Willkür.
II. Die Natur der Sache
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und Erfahrung eben gebricht. Damit erhält der Begriff der „Natur der Sache" eine erheblich weitere Bedeutung. Er umschließt einmal die N a t u r d e s M e n s c h e n , seine natürlichen Fähigkeiten, Triebe, Willensziele usw., so wie sie bei den verschiedenen Altersstufen in Erscheinung treten. Er begreift darüber hinaus aber auch die eigenartige S a c h g e s e t z l i c h k e i t in sich, die den einzelnen Tätigkeitsbereichen und Gemeinschaften des Menschen eigen ist. Beides bedarf genauerer Erläuterung 1 . Der Mensch ist der Mittelpunkt der Rechtsbildung. Seine leibseelische Beschaffenheit spielt auf allen Rechtsgebieten eine entscheidende Rolle. Seine Geburt, seine Entwicklung, die Schutzbedürftigkeit des Kindes, die Trennung der Geschlechter, alle seine Triebe und Leidenschaften, die Organisation und Inhalte seines Geisteslebens: das alles ist für das Recht von höchster Bedeutung. Ohne Fähigkeit und Willen des Menschen zum Besitz, zur selbständigen Daseinsvorsorge und zur eigenen Lebensgestaltung wäre eine Institution wie das Eigentum nicht denkbar, ohne Ehrgefühl gäbe es keinen Ehrenschutz, ohne persönliche geistige Schöpfungen kein Urheberrecht und kein Patentrecht. — Aber audi die Eigenart des seelischen Geschehens im einzelnen kann von Bedeutung sein; man denke nur an den psychologischen Tatbestand des Irrtums. Mit Recht stellt Flume fest, daß dieser „psychologische Tatbestand" eine „entscheidende juristische Relevanz" hat 2 . Audi Schuld und Vorsatz sind dem Rechte vorgegebene Sachverhalte3. Von entscheidender Bedeutung ist endlich das Streben des Menschen nach Gemeinschaft und Zusammenarbeit. Ebenso bedeutsam ist die Beschaffenheit der Umwelt des Menschen. W i r haben den Unterschied zwischen beweglichen und unbeweglichen Sachen erwähnt. Dazu kommt aber vieles andere bis hin zu der Tatsache des Wechsels von Tag und Nacht, im Grunde alles, was das Dasein des Menschen beeinflußt: die Knappheit der Lebensgüter, die Notwendigkeit, sie in Arbeitsteilung zu gewinnen usw. Von besonderer Bedeutung ist die Technik mit ihren eigenartigen Sachgesetzen. 1 Eine etwas eingehendere Darstellung findet sich bei Eugen Η u b e r , Recht und Rechtsverwirklichung, p. 281—319. Huber spricht hier von „Realien der Gesetzgebung". — Vgl. femer R e g e l s b e r g e r , Pandekten I, 68 ff.; D e r n b u r g , Pandekten I, 87. Ablehnend: I s a y , Rechtsnorm u. Entsdieidg. p. 78 f. — Neuerdings R a d b r u c h , Festschrift f. Laun, 157 fi. ' Eigensdiaftsirrtum und Kauf, p. 32. • Vgl. dazu W e 1 ζ e 1, SJZ 48, 371.
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Richtig hat M. E. Mayer hervorgehoben, daß aus dem Umgang des Mensdien mit den Dingen, insbesondere mit technischen Maschinen u. ä. auch besondere Verhaltensregeln hervorwachsen, deren Beachtung im Zusammenleben verlangt werden muß und die daher zu Rechtspflichten werden1. In wievielen Fällen der Fahrlässigkeit ist die verletzte Norm im Grunde eine solche Regel des technischen Verhaltens; man denke an Verkehrsunglüdce, Betriebsunfälle u. ä. Hier besteht die Schuld des Täters in der Regel darin, daß er solche aus der Natur der Sache sich ergebenden Klugheitsregeln unbeachtet gelassen hat, etwa in der Garage geraucht hat u. ä. Mit dem bisher Betrachteten hängt ein Drittes eng zusammen: die Sachgesetzlichkeit der einzelnen Tätigkeitsbereiche. Es ist uns bereits eine Eigenart des Geschäftsverkehrs entgegengetreten; aber das ist durchaus nicht die einzige, die im Rechtsleben eine Rolle spielt. Wenn wir z. B. im § 354 des Handelsgesetzbuches lesen: „Wer in Ausübung seines Handelsgewerbes einem anderen Geschäfte besorgt oder Dienste leistet, kann dafür auch ohne Verabredung Provision . . . fordern", so ist das aus der „Natur der Sache", nämlich der Natur des kaufmännischen Geschäftsverkehrs abgeleitet. Der Kaufmann ist homo ceconomicus; es kann nicht erwartet werden, daß er ohne Entgelt tätig wird; damit muß man rechnen; es liegt in der Natur der Sache, entspricht der Natur des kaufmännischen Verkehrs. Der geschäftliche Verkehr ist eben ein Austausch wirtschaftlicher Werte; Schenkungen sind ihm fremd. Ebenso spielt aber die Eigengesetzlidikeit anderer Lebensbereiche eine Rolle. So ist z. B. für das Familienrecht das Wesen der Ehe von Bedeutung, für das Beamtenrecht das Wesen des Staatsdienstes, für das Militärrecht das Wesen des Heeres mit seiner eigentümlichen Hierarchie und der strengen Unterordnung des einzelnen unter das Ganze. Das Kirchenrecht kann ohne das Wesen religiösen Erlebens und religiöser Gemeinschaft nicht verstanden werden. Überall tritt uns die „Natur der Sache" entgegen. Soziologie, Sozialpsychologie und Nationalökonomie erforschen sie. Aber nicht nur die Lebensbereiche im ganzen, wie der wirtschaftliche Geschäftsverkehr, die Ehe oder das religiöse Leben, weisen ihre eigene Gesetzlichkeit auf, sondern auch bestimmte einzelne Vorgänge, 1
Vgl. Rechtsnormen und Kulturnormen, p. 79.
II. Die Natur der Sadie
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ein bestimmter Typ von Geschäften etwa. Das Pfandgeschäft hat, abgesehen von der rechtlichen Konstruktion im einzelnen, eine ganz bestimmte wirtschaftliche Struktur. Geldkredit wird gegen Sachsicherheit gegeben; typische Interessen treten auf: der Gläubiger will Sicherung und möglichst leichte Verwertung des Pfandes; der Schuldner schonsame Verwendung und Begrenzung seines Verlustes 1 . Entsprechendes gilt von der Miete, dem Kauf usw. Die Sachmängelhaftung etwa erwächst aus der Rücksicht auf gewisse typische Erwartungen des Käufers. Ähnliches findet sich in allen Rechtsgebieten. Betrachten wir etwa die Organisation der Jusitz. Die Stellung des Richters fordert gesicherte Unabhängigkeit. Denn der Richter muß imparteiisch sein. Ein Richter, der mit einer Partei verwandt ist, darf in der Sache nicht entscheiden. Das liegt in der Natur der Dinge. Dasselbe können wir aber auch von der Organisation der wissenschaftlichen Forschung sagen. Die Wahrheit kann man nur selbst suchen und finden; befehlen läßt sie sich nicht. Das ist die „Natur" des wissenschaftlichen Erkenntnisvorganges, welche das Recht berücksichtigen muß. Auch hier, bei typischen Einzelvorgängen, finden wir also die „Natur der Sache". Letzten Endes beruht diese „Natur der Sache" im sozialen Leben auf der Natur des Menschen2 und der Welt, in der er lebt. Ich habe an anderer Stelle skizziert, wie sich daraus das soziale Leben entwickelt8 ; ich will mich hier auf Andeutungen beschränken. Der Mensch verwirklicht im sozialen Leben die verschiedenen Tendenzen, die in ihm lebendig sind: seine einfachen Triebe und Instinkte, wie die nach Nahrung und Wohnung, seine vitalen Bestrebungen nach Macht und Einfluß, Ehre und Freiheit, seine geistigen Zielsetzungen: er sucht die Wahrheit, das Schöne, das Heilige. Er sucht Gesellung und Gemeinschaft. Alle diese Tendenzen haben ihr besonderes Gepräge; sie formen den Menschen, wie Spranger das in seinen „Lebensformen" geschildert hat, und sie formen die Eigengesetzlichkeit der einzelnen sozialen Bereiche. Bei der charakteristischen Gesetzlichkeit, die so entsteht, spielt die Welt, in der der Mensch lebt, und ihre Bedingungen eine entscheidende Rolle. Die Gesetzlichkeit des Wirtschaftslebens z. B., welche > Vgl. darüber H e c k , Sachenrecht, § 76 Nr. 9 und 10. 1 Gustav Hugo gab daher in seinem „Lehrbuch des Naturrechts" eine ganze „Juristische Anthropologie" 1 ' Vgl. Oberste Rechtsgrundsätze, 1. Kapitel.
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die Nationalökonomie untersucht, wird erst dadurch möglich, daß der homo ceconomicus seine Bedürfnisse aus einem Gütervorrat befriedigen muß, der im Verhältnis zum Bedarf knapp ist und dessen Gewinnung und Verwertung Arbeitsteilung erfordert. — Überblickt man diesen Tatbestand, so sieht man, daß sich der so bescheiden klingende Begriff „Natur der Sache" zu der Vorstellung einer durchgehenden Ordnung der sozialen Dinge zu erweitern scheint. Den Dingen selbst scheint eine Ordnung innezuwohnen 1 , die die Gerechtigkeit nur zu erkennen und zu berücksichtigen braucht, um sicherzugehen. Die Frage nach dem Maßstab, mit der die Erörterung der Rechtsidee schließen mußte, scheint hier ihre Antwort zu finden; die Natur der Sache scheint der „offenen" Gerechtigkeit die fehlenden Maßstäbe zu geben, so daß sich die Rechtsidee zur geschlossenen Ordnung erweitern würde, indem sie uns auf die in den Dingen liegende Ordnung selbst verweist. Die Gerechtigkeit bestünde dann darin, die Menschen und die sozialen Vorgänge in der Rechtsordnung so zu ordnen, ihnen den Platz zuzuweisen, der ihnen nach der ewigen Seinsordnung selbst zukommt. Die Aufgabe des gerechten Gesetzgebers würde sich aus der der Entscheidung in eine solche der Erkenntnis verwandeln: Das Naturredit, zu dem sich die Rechtsidee erweitern würde, wäre eine Spiegelung der Ordnung, die in den Menschen und Dingen selber liegt. Die Erkenntnis des wahren Seins würde den Gesetzgeber instand setzen, jedem das Seine zu geben. Diese Verbindung des Gerechtigkeitsgedankens mit dem einer ewigen Seinsordnung ist in der Tat geschichtlich früh vollzogen worden. Wir finden ihn bei den Stoikern in der Lehre von der lex aeterna, dem durchgehenden göttlichen Weltgesetz, das, von der menschlichen Vernunft erkannt, den Inhalt der lex naturalis ausmacht. „Lex est ratio summa i n s i t a i n n a t u r a quae iubet ea quae facienda sunt, prohibetque contraria. Eadem ratio quom est in hominis mente confirmata et confecta, lex est. Itaque arbitrantur prudentiam esse legem, cuius ea vis est ut recte facere iubeat, vetet delinquere . . . " (Cicero de Legibus I. 6. 18). „A lege ducendum est iuris exordium; ea est enim naturae vis, ea mens ratioque prudentis, ea iuris atque iniuriae regula" (1. c. 19). Diese lex aeterna begründet das moralische Gesetz, 1
„Die Lebensverhältnisse tragen, wenn auch mehr oder weniger entwickelt, ihr Maß und ihre Ordnung in sich", D e r n b u r g , Pandekten 3. Aufl. I, 87.
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aber auch das, was dem Menschen entspricht und zukommt. D a h e r kann denn auch der Gedanke aufkommen, das Recht aus der N a t u r des Menschen, seiner Bestimmung zur Gemeinschaft 1 zu erklären: „Natura enim iuris . . . ab hominis repetenda natura 2 ." Seine vollkommene Ausbildung findet dieser Gedanke in der N a t u r rechtslehre des hl. Thomas. F ü r ihn ist das „Suum", was die Gerechtigkeit jedem zu geben hat, dasjenige, was nach der Seinsordnung ihm zugeordnet, auf ihn hingeordnet ist. Jedes W e s e n und jede Institution, etwa Staat und Ehe, haben ihren natürlichen Sinn, ihr τέλος, das ihnen von G o t t gegeben ist 3 . D a s Recht m u ß jedem geben, was ihm seiner W e s e n s n a t u r nach gemäß der Schöpfungsordnung Gottes zukommt. Diese Ordnung ist der M a ß s t a b des G u t e n und Gerechten. In der protestantischen Sozialphilosophie hat vor allem Friedrich Julius S t a h l , der philosophische Begründer des preußischen Konservativismus im 19. Jahrhundert, diese Auffassung entwickelt. F ü r Stahl steht neben der Individualethik, welche das Handeln des einzelnen betrifft, das „Ethos der Gemeinexistenz" 4 . Es ist die Ordnung der gemeinsamen Lebensverhältnisse der Menschen. Sie entsteht dadurch, daß den Einrichtungen des menschlichen Soziallebens, der Ehe, dem Staat, den Ständen, ein sittlicher Zweck (τέλος) immanent ist, der ihnen von G o t t in der Schöpfung gesetzt ist. Diese Ordnung ist das „objektive E t h o s " oder die „sittliche W e l t " 5 . Diese Ordnung, nicht die Gerechtigkeit (welche sich vielmehr nur an der gegebenen ethischen Ordnung zu orientieren h a t ) ist die Grundlage des Redits®. D a s Recht ist ein Abbild des göttlichen Weltplanes, der „freien, göttlichen W e l t ökonomie" 7 . Freilich haben weder T h o m a s noch Stahl gelehrt, daß die Erkennbarkeit dieses Seins-Ordo so vollkommen sei, daß sie uns jeder Entscheidung überhöbe. Z u m mindesten bleibt es notwendig, die konkrete 1 Vgl. De Legibus I, 12. 33. * De Legibus I, 5. 17; ferner über die stoischen Lehren: Barth-Goedecke-Meyer, p. 101. • Vgl. K ö n n e n , ; . 49/50. » Die Philosophie des Redits. 2. Aufl. 1845/46 I, 77. * Ebenda p. 79/80. • Ebenda p. 165, 244, 247. 7 Ebenda p. 93. In stark abgeschwächter Form finden sich derartige Gedankengänge auch in der Sozialphilosophie E. Brunners. Vgl. dessen „Gerechtigkeit". Auch E m g e s Auffassung (Sicherheit u. Gerechtigkeit, p. 28), daß Gerechtigkeit herrsche, wenn jeder seinem Wesen gemäß handele, setzt einen solchen „ordo rerum" im Grunde voraus.
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Situation jeweils durch konkrete Entscheidungen zu ordnen, die zwar auf den grundsätzlichen Einsichten beruhen, aber den Besonderheiten der Situation angepaßt sind 1 . Darüber hinaus ist aber gerade aus dem Bereich christlichen Denkens heraus die durchgehende Erkennbarkeit einer solchen Seinsordnung überhaupt immer wieder in Frage gestellt und die Fragwürdigkeit der irdischen sozialen Institutionen betont worden. Das gilt besonders von der Staatslehre des hl. Augustinus. Scharf betont er den Gegensatz zwischen dem himmlischen und dem irdischen Reich. Ihm ist der Staat ein Ergebnis der menschlichen Selbstsucht (amor sui), des Ehrgeizes und der Herrschsucht, der Brudermörder Kain ist sein Begründer 2 . Die protestantische Soziallehre hat immer den vorläufigen und den Not-Charakter der sozialen Einrichtungen betont. Staat und Recht erscheinen hier nicht als Ausdrude einer ewigen Seinsordnung, sondern als Noteinrichtung im Aon des Sündenfalls. Die Lehre von dem erkennbaren Ο r d ο des Seins wird abgelehnt, weil sie dem Irdischen eine eigene Dignität als Abbild des Göttlichen verleiht 3 . Dieser Gegensatz, der von grundlegender Bedeutung für die Gesamteinstellung zum Menschen ist, kann hier nicht verfolgt werden. In diesem Zusammenhang ist wichtig, daß die Bedeutung der Seinsordnung als Maßstab für die Gerechtigkeit audi in der christlichen Sozialphilosophie immer wieder eingegrenzt und in Zweifel gezogen ist. Die Problemgeschichte gibt hier einen Hinweis, der zur Vorsicht mahnt. Diese Vorsicht wird nun in der Tat audi von der Erfahrung bestätigt. Zwar ist die Erkenntnis der Seinszusammenhänge, der menschlichen Natur, der Gesetzlichkeit der sozialen Prozesse für die Schaffung eines gerechten Rechtes unentbehrlich. Der Gesetzgeber braucht nicht nur Sachkenntnis (im Sinne der Kenntnis der vorliegenden konkreten Probleme und Interessen); er bedarf auch des allgemeinen Wissens um menschliches Verhalten, etwa auf dem Gebiet der Wirtschaft. W o typische Einzelinteressen übersehen werden, besteht die Gefahr, daß sie sich praeter legem doch durchsetzen; das Recht also wirkungslos wird. Ein klassisches Beispiel bietet die Behandlung der Sicherungs1 Bei Thomas handelt es sidi dabei um die conclusiones und determinationes zu den Natu· redhtsgrundsätzen. Vgl. Summe 2. 1. Q. 94.4; 95.4. « Vgl. De civitate Dei X I V . 28, X V . 4 (dazu 1. Mose 4. 17) u. X I X . 5. Dazu die Erörterungen bei X r ο e 11 s e h , Hist. Ztsdir. 106, 251. a Vgl. dazu neuerdings etwa T h i e l i k e , Kirdie u. Öffentlichkeit, p. 50 S , insbes. p. 55.
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Übereignung im geltenden deutschen Recht. Das B G B kannte keine Pfandbestellung ohne Besitzübertragung. Tatsächlich wird eine solche Pfandbestellung aber immer wieder notwendig, wie u. a. auch die Rechtsgeschichte beweist1. Im modernen Geschäftsverkehr tritt vor allem ein Bedürfnis zur Benutzung von Warenbeständen als Kreditgrundlage hervor. Bei ihnen ist aber eine Übertragung des unmittelbaren Besitzes an den Pfandgläubiger ausgeschlossen, wenn der Pfandschuldner seinen Betrieb fortsetzen soll. Das Ergebnis war, daß die Sicherungsübereignung, die an und für sich eine Gesetzesumgehung darstellt, aufkam und von der Rechtsprechung akzeptiert wurde. Die Absicht des Gesetzgebers war nicht erreicht worden, weil er die Natur der Dinge unzureichend beaditet hatte. Ähnliche Beispiele ließen sich vermehren; im großen ist die rechtsbildende Tätigkeit der römischen Prätoren Ausdruck dieses Gewichtes der vorhandenen Lebensinteressen gegenüber einem veralteten Gesetz. Handelt es sich hier um typische Einzelinteressen, so kann die Nichtbeachtung der Wesensgesetze von sozialen Institutionen durch das positive Recht die Gefahr sozialer Unordnung oder sozialer Fehlentwicklungen auf bestimmten Gebieten mit sich bringen. So bedarf z. B. der Staat als soziale Machtorganisation eines Behördenapparates, der fest in der Hand der Regierung ist. Andernfalls kann er die Funktionen, die ihm im sozialen Leben zufallen, nicht erfüllen. Im Beamtenkörper des Staates muß daher das Prinzip des durchgehenden Gehorsams herrschen. Dieses Prinzip kann aus Rechtsgesichtspunkten Einschränkungen erleiden; aber es darf nicht aufgehoben werden. Daher ist ein allgemeines Streikrecht der Beamten ein Unding; es muß im Ergebnis zu einer Lahmlegung des Staatsapparates durch Unverantwortliche, die neben und außerhalb der Regierung stehen, und damit zur Unordnung führen. Ebenso ist etwa die Verbindung von kirchlicher Leitung und staatlicher Regierungsgewalt in einem Lande, aber auch die völlige Verbindung des Erziehungswesens mit der staatlichen Macht äußerst bedrohlich, weil das Leben des Staates als einer Machtorganisation völlig anderen Gesetzen folgt als das einer Kirche oder einer Erziehungsorganisation und die organisatorische Verbindung stets die Gefahr in sich birgt, daß der Staat die Kirche oder die Er1
Vgl. etwa die Ausbildung des interdictum Salvianum im römisdien Recht.
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Ziehung von ihren eigentlichen Aufgaben im Interesse seiner Machtorganisation ablenkt. Die Beachtung des inneren Wesens der verschiedenen Organisationen hat vor allen Dingen im öffentlichen Recht Bedeutung gewonnen und in der Lehre von den Institutionen, wie sie Hauriou entwickelt hat, Ausdruck gefunden. Wenn er sagt, daß jede institutionell gebundene öffentliche Gewalt an eine „idee mere de l'entreprise" gebunden und damit von selbst begrenzt sei1, so ist damit eben der in der Natur der Sache liegende Organisationszweck, ihr inneres Wesensgesetz, gemeint, dem sich die rechtliche Ausgestaltung anpassen muß. Die Lehre von der Institution in diesem Sinn gehört in den Bereich der Gesamtlehre von der Natur der Sache. Noch deutlicher — und in ihren Auswirkungen für das soziale Leben noch bedrohlicher — zeigt sich die Gefahr, die in der Nichtbeachtung der „Natur der Sache" durch das Recht liegt, dann, wenn die Rechtsordnung den Versuch macht, an und für sich legitime Tendenzen des Menschen dauernd zu unterdrücken 2 . Sie stellt den einzelnen dann dauernd vor die Wahl, entweder sehr starke und normalerweise auch vom Recht geschützte Interessen aufzugeben oder ungesetzlich zu handeln. Praktisch treibt sie ihn damit regelmäßig in die Illegalität. Ein solcher Zustand bestand z. B. in Deutschland gegen Ende des letzten Krieges, als der kommende Zusammenbruch vor aller Augen lag, trotzdem aber nicht nur die Feststellung dieser Tatsache, sondern auch jede Sicherungsmaßnahme z. B. Vorbereitung der Flucht aus bedrohten Gebieten seitens der zivilen Bevölkerung oder sachlich notwendiger Rückzugsoperationen der militärischen Führung unter Strafe verboten waren. Ähnlich wirkte nach dem Kriege, während der sog. „aufgestauten Inflation" die vom Recht erzwungene Aufrechterhaltung der Fiktion des Geldwertes und das Verbot des Warentausches. Das an und für sich legitime Bestreben, für die veräußerte Ware einen wirklichen Gegenwert zu erhalten, war nun plötzlich unter Strafe gestellt. In solchen Fällen zwingt das Recht den Menschen zu einem dauernden Widerspruch mit sich selbst3. Auf die Dauer läßt sich das regelmäßig 1
Vgl. Droit administrativ p. 41. * Vgl. audi die Bemerkungen Η u b e r s über die «neutrale" Haltung des Gesetzgebers zu den Eigenarten des Menschen. Redit und Reditsverwirklidiung, p. 293. ' Vgl. V e i t , Geldreform und Geldverfassung, p. 9.
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nicht aufrechterhalten: die illegalen Handlungen werden immer zahlreicher, nehmen schließlich derartig überhand, daß die gesetzliche Strafe, wenn sie einmal ausgesprochen wird, als Willkür wirkt, die Richter (unter dem Gesichtspunkt der Gleichheit vor dem Gesetz) in schwere innere Konflikte geraten und die Autorität des Rechts schweren Schaden nimmt1. — Nichts wäre also falscher, als die Bedeutung der „Natur der Sache" übersehen zu wollen. Ohne sie zu beachten, kann eine gerechte Ordnung nie geschaffen werden. Wir müssen, nach einem treffenden Ausdrude Franz Böhms, in die Dinge hineinhorchen, ehe wir daran gehen, sie zu ordnen. Was wir aber aus der Betrachtung der „Natur der Sache" selbst nicht gewinnen können, ist die Einsicht in eine geschlossene Ordnung, die uns die Fragen, welche die Betrachtung der Rechtsidee offen gelassen hat, restlos beantworten würde. Die Natur der Sache bietet uns Ordnungselemente, aber keine Ordnung selbst. Ihre Betrachtung führt zu der Erkenntnis, daß der Stoff, mit dem es die Rechtsordnung zu tun hat, das soziale Leben, keine völlig ungeformte Masse ist, sondern schon gewisse Strukturen aufweist, an welche die rechtliche Ordnung anknüpfen kann und muß. Aber die Feststellung dieser Strukturen enthebt uns nicht der Aufgabe, selbst wertend und ordnend einzugreifen. Sie macht die ordnende Tat der Rechtssetzung nicht unnötig. Das wird schon bei der Behandlung des Menschen im Recht deutlich. Gewiß soll das Recht den Menschen zunächst einmal nehmen, wie er ist und mit allen seinen Eigenschaften rechnen. Aber es kann dabei nicht stehen bleiben. Es kann nicht allen Instinkten und Leidenschaften des Menschen einfach freie Bahn lassen. Es muß vielmehr einzelne Eigenschaften eindämmen, andere fördern oder doch gelten lassen. Dazu muß es w e r t e n . Es stellt audi gewisse Ansprüche an den Menschen. Es verlangt von ihm, daß er sich nicht gehen läßt und macht ihn verantwortlich, wenn er nicht sittlich beherrscht und vernünftig — entsprechend den Kulturnormen, um M. E. Mayers Ausdruck zu verwenden — handelt. Der Schuldbegriff der Fahrlässigkeit ist der Ausdruck solcher Anforderungen der Rechtsgemeinschaft an den Rechtsgenossen. 1 Vgl. über ähnliche Folgen der Wirtsdiaftsgesetzgebung im 1. Weltkrieg und der Prohibitionsgesetzgebung in Amerika E i n e r , Kriminalbiologie, 2. Aufl. p. 124/25.
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Die Notwendigkeit der Wertung zeigt sich weiter bei der Einzelabgrenzung, dem, was im Sinne des Thomismus als „determinatio" bezeichnet werden kann. Nehmen wir wieder das Beispiel des Pfandrechts. Die Betrachtung der Natur der Sache zeigt uns die typischen Interessen, die in Frage stehen, und die Beschaffenheit der Gegenstände, die in Betracht kommen. Sie zeigt uns etwa das Interesse des Schuldners daran, seine Sachwerte möglichst vollständig zur Kreditgewinnung auszunutzen, das entgegengesetzte des Gläubigers, eine möglichst reichliche Sicherung zu erhalten usw. Nun müssen diese Interessen aber im einzelnen durch eine praktikable Regelung abgegrenzt werden: das bedarf der Entscheidung, und zwar der Entscheidung unter bestimmten Wertgesichtspunkten. Es mag dafür sachlich nur eine beschränkte Anzahl von Lösungen geben; immerhin, e i n e muß gewählt werden. Noch deutlicher tritt der fragmentarische Charakter der Strukturen, die in der Sache selbst liegen, da hervor, wo zwei Lebensbereiche im sozialen Leben aufeinanderstoßen, z. B. Machtstreben und Erkenntnisverlangen, oder politisches Wollen und religiöse Überzeugungen. Der Staat hält aus Gründen der Staatsraison die Äußerung bestimmter historischer oder nationalökonomischer Einsichten für unerwünscht; er verbietet sie. Oder er hält es aus Gründen der politischen Machtbildung für zweckmäßig, wenn ein einheitlicher Bekenntnisstand herrscht. Man denke an den Grundsatz cuius regio eius religio. Beide Anliegen können vom Standpunkt der politischen Macht her durchaus berechtigt sein. Darf er nun die Wahrheit unterdrücken, die Glaubensüberzeugung mißachten? Oder um ein anderes Beispiel zu nehmen: eine Familie, die sich in wirtschaftlicher Not befindet, möchte eines der älteren Kinder verkaufen. Rein wirtschaftlich kann das durchaus zweckmäßig sein, und durch lange Epochen der menschlichen Geschichte hindurch war es ein sehr gewöhnliches Auskunftsmittel. Aber kann das Recht es zulassen? Auf solche Fragen kann die Antwort nur durch eine s i t t l i c h e E n t s c h e i d u n g gefunden werden, die ihrerseits auf eine bestimmte W e r t u n g zurückgeht. Die Natur der Sache, sofern wir sie als bloße Eigenschaft der Dinge und des Menschen, als Eigengesetzlichkeit der sozialen Prozesse auffassen, läßt uns hier im Stich. W i r werden von neuem auf Wertungen zurückverwiesen. Nun würde
II. Die Natur der Sadie
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hier freilich vom Standpunkt des Thomismus oder Fr. J . Stahls einzuwenden sein, daß die Seinsordnung diese Wertungen eben miteinschließe und also doch vollständig sei. Das ist nach ihrer Lehre an lind für sich richtig; aber es hilft uns in unserer Problematik nicht weiter. Die Natur der Sache führt uns nicht weiter, wenn und sofern in ihr wieder Wertungen enthalten sind. Denn die Frage, mit der wir an die „Natur der Sache" herangetreten sind, war ja gerade die, ob uns in ihr ein ordre naturel entgegenträte, der uns ein weiteres Zurückgreifen auf sittliche Wertbegriffe e r s p a r t e , so daß die Idee der Gerechtigkeit durch eine durchgehende Ordnung ergänzt wird, die ihrerseits keine W e r t u n g e n einschließt. Sonst ist unsere Untersuchung eben nodi nicht beendet; dann taucht vor uns von neuem das Problem des Relativismus auf, die Verlegenheit zwischen mehreren Werten ohne objektives Kriterium entscheiden zu müssen. Daß dem tatsächlich so ist, daß tatsächlich auch der Gedanke der Natur der Sache uns nicht davon befreit, noch weitere Wertungen in den Kreis der Untersuchung zu ziehen, kann noch von einer anderen Frage her deutlich gemacht werden; es ist das Problem, wann Differenzierungen im Recht „sachlich gerechtfertigt" sind. Betrachten wir zu diesem Zweck eine Reihe von uns geläufigen rechtlichen Unterscheidungen: a) Ein Vertrag, den ein Kind schließt, ist rechtlich anders zu behandeln als ein Vertrag, den ein Erwachsener schließt. b) Bewegliche Sachen und Grundstücke werden hinsichtlich der Besitzübergabe verschieden behandelt; die Verfügung über Grundstücke ist im Gegensatz zu der über bewegliche Sachen häufig erschwert, z. B. an behördliche Genehmigungen gebunden. c) Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn die Handlung . . . in einem unverschuldeten, auf andere Weise nicht zu beseitigenden Notstande zur Rettung aus einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben des Täters . . . begangen worden ist (Notstand). d) Ein Staat schließt alle, die nicht der weißen Rasse angehören, von jedem Staatsamt aus. Die Differenzierung in a) ergibt sich, wie schon erörtert, aus der Natur der Sache1. Das gleiche gilt von der unterschiedlichen Behandlung beweglicher und unbeweglicher Sachen, soweit die Form der Besitz 1
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Vgl. oben p.
Coing, Rechtsphilosophie
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Übergabe in Frage steht. Dagegen hängt die Genehmigungspflicht bei Verfügungen über Grundstücke schon mit einer Bewertung — freilich nicht mit einer moralischen — zusammen. Grundbesitz gilt als ökonomisch wertvoller und sicherer. Die besondere Behandlung der Notstandshandlung geht auf die „Natur der Sache" insofern zurück, als man dem starken Selbsterhaltungstrieb des Menschen Redinung trägt. Da bei Vorliegen eines Notstandes der Mensch nicht anders kann als entweder selbst Schaden an Leib und Seele zu nehmen oder ein fremdes Rechtsgut zu verletzen, so soll er nicht bestraft werden. Die Natur der Sache begründet also die Sonderbehandlung des Notstandes. Aber inwieweit der Gesetzgeber nun in den Rechtsfolgen von den normalerweise geltenden Regeln abweichen will, das ist wiederum eine Bewertungsfrage. Das letzte Beispiel zeigt eine Unterscheidung, die sich rein auf eine Bewertung stützt. Die farbige Rasse wird niedriger bewertet. Ob das berechtigt ist, läßt sich ohne Werturteil nicht entscheiden. Die Beispiele zeigen, daß rechtliche Unterschiede nicht rein aus den unterschiedlichen sachlichen Eigenschaften der Dinge selbst folgen, daß wir vielmehr immer wieder auf Wertfragen stoßen, auch wenn wir der „Natur der Sache" nachgehen. Diese Erkenntnis wird bestätigt durch die Erfahrungen, welche die Schweizer Rechtsprechung bei der Anwendung des Gleichheitssatzes gemacht hat. Die Schweizer Verfassung garantiert die Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 4) und gibt jedem Bürger die Möglichkeit, ihn betreffende Hoheitsakte daraufhin nachprüfen zu lassen, ob der Gleidiheitsgedanke verletzt ist (Art. 113). Die Rechtsprechung ging zunächst davon aus, daß nur Unterschiede im Tatbestande Unterscheidungen rechtfertigen. Aber sehr bald stellte sie fest, daß auch gewisse W e r t u n g e n zu berücksichtigen seien. Sie hat sich dabei an die fundamentalen Rechtsanschauungen gehalten, die in der Verfassung selbst zum Ausdruck gekommen waren1. Die „Natur der Sache" führt also ihrerseits auf eine s i t t l i c h e Rangordnung zurück. Nur in ihr kann die Gerechtigkeit die Maßstäbe finden, nach denen sie mißt. Damit ist aber auch das Wertproblem neu gestellt. Die Möglichkeit, der Rechtsidee einen eindeutigen Gehalt abzugewinnen, hängt davon ab, ob es möglich ist, auch diese M a ß 1
Vgl. A 1 d a g , Die Gleichheit vor dem Gesetz in der Reidisverfassung, p. 22—43.
III. Die weiteren sittlichen Inhalte der Reclitsidee
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s t a b s w e r t e 1 in ihrem Gehalt und ihrer Rangordnung eindeutig zu erfassen. Gleichzeitig wird nun aber deutlich, daß die Rechtsidee ihrem Gehalt nach über die einfachen Forderungen der Gerechtigkeit hinausgeht. Sie fordert die V e r s i t t l i c h u n g d e s R e c h t e s überhaupt. Der Gedanke der Rechtsidee begreift nicht nur die Gerechtigkeit in sich, sondern alle sittlichen Forderungen, deren Verwirklichung im Rechte möglich ist.
III. 1. D a s wichtigste Problem, das in diesem Zusammenhang auftaucht, ist die Frage nach dem Wert der menschlichen Person. Der Mensch und seine Güter stehen im Mittelpunkt des Rechts; an der Frage seiner Rechte gegenüber Mitbürgern und Staat hat sich der Kampf um das Recht immer wieder entzündet. D a s liegt nicht nur daran, daß das Recht Sozialordnung ist; es ist auch im Wesen der Rechtsidee selbst begründet. Die Gerechtigkeit verpflichtet zur Achtung des anderen; sie ist ein sittlicher Wert, der das Verhältnis des Menschen zum Mitmenschen zu seinem Gegenstande hat. A u d i wenn sie uns aufruft, jedem das Seine zu geben, geschieht es aus der Erkenntnis des Eigenwertes des Menschen. In der Verpflichtung zur Gerechtigkeit selbst findet die Tatsache des sittlichen Eigenwertes des Mitmenschen ihren Ausdruck. Hier entsteht nun die Frage, worin der Wert des Menschen beschlossen liegt. Sie hat sehr verschiedene Antworten erfahren, die ihren Ausdruck auch im Recht gefunden haben. W i r haben das Problem schon berührt 2 . Urtümliche Gesinnung findet den Wert des Menschen in seinen vitalen Eigenschaften, in seiner Stärke, Mut und überlegenen List. Reichtum, Macht und edle Abkunft treten hinzu und formen mit jenen ersten gemeinsam das Wertbild dieser kampfesfrohen Zeiten. Wenn Aristoteles εύγενεΐα und πλοϋ&ος als Maßstäbe für die Bewertung des einzelnen in Aristokratie und Oligarchie nennt, so leben diese Maßstäbe darin weiter. Aber mit fortschreitender Kultur und sittlicher Erkenntnis tritt eine andere Bewertung daneben. Sie ist an den sittlichen 1 Das betont mit Recht scharf: Ε m g e , Sicherheit und Gerechtigkeit, p. 19ff. • V g l . oben unter II p . 130.
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Eigenschaften des Menschen orientiert; sie mißt den Wert des Menschen an seiner Weisheit und Gerechtigkeit. Für die griechische Entwicklung legt der Bedeutungswandel, den der άρετή-Begriff durchgemacht hat, davon Zeugnis ab. Bei Homer bezeichnet άρετη vor allem die ritterlichen Tugenden: Kühnheit, Mut und Stärke; bei Pindar sind es die Eigenschaften, die den Sieger im olympischen Wettkampf ausmachen; bei Heraklit aber treten Weisheit und Gerechtigkeit hervor; bei Piaton und Aristoteles vollendet sich die Idee der άρετη in sittlichen Eigenschaften: Wahrhaftigkeit, Großmut (μεγαλοπρεπέια) und Liebenswürdigkeit (πραόττ]ς, φιλία) treten zur Weisheit und Gerechtigkeit hinzu 1 . Es ist das Ideal des Humanismus, das sich hier herausgebildet hat. Der Einzelmensch gewinnt seinen Wert daraus, daß er ein sittliches Wesen ist, sittliche Werte verwirklicht und sie an ihm hervortreten 2 . Dabei ist jeder einzelne Mensch auf die Verwirklichung ganz bestimmter Werte angelegt; er hat daher einen unverlierbaren Eigenwert, den er in seiner Persönlichkeit verwirklichen soll. Zwei Elemente sind es, die in dieser Auffassung den Wert des Menschen bestimmen: seine Eigenschaft als sittliche Person und seine Individualität. Die Tatsache, daß er sittliche Person ist, bedeutet, daß er in eigener sittlicher Verantwortung lebt. Er steht unmittelbar zum Reich der geistigen und sittlichen Werte; sie sind ihm aufgetan und aufgegeben; er soll sie verwirklichen. Wie weit sie realisiert werden, das ist seine persönliche Verantwortung, die ihm niemand abnehmen kann. Der Gedanke der Individualität aber gibt ihm den Wert der Einzigartigkeit; jeder Mensch mit seinen Anlagen ist etwas Besonderes und Einziges; er hat eine spezifische Aufgabe. Er soll die Werte, die ihm aufgetan sind, verwirklichen und damit sich selbst aus der schönen Möglichkeit, die den Jugendlichen auszeichnet, zur Wirklichkeit der geformten Persönlichkeit bilden. Auf tieferer metaphysischer Grundlage hat das Christentum den Wert des Menschen begründet. Auch nach seiner Lehre beruht er auf zwei Umständen: auf Schöpfung und Erlösung. Gott hat den Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen; diese Gottesebenbildlichkeit und Gotteskindschaft verleiht ihm einen einzigen Wert. Christus hat 1 Vgl. den Oberblick bei L i v i n g s t o n e , Greek Ideals and Modern Life, Dt. Übersetzung unter dem Titel „Lebendiges Griechentum", p. 76—88. * Audi die contuzianische Ethik sieht hierin den Wert des edlen Menschen.
III. Die weiteren sittlichen Inhalte der Reditsidee
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den Menschen von seiner Schuld erlöst; er ist für alle Menschen gestorben; jeder Mensch ist ein von ihm Gelöster. Seine Erlösungstat ist die Bestätigung, die die Gotteskindschaft erfahren hat. Beides aber gilt nicht nur von der Menschheit als Ganzem, sondern von jedem einzelnen. Daher gewinnt audi für das Christentum jeder einzelne Mensch einen unvergleichlichen Wert, nicht vor Gott, aber unter den Menschen. W e r mag den berühren, den Gott nach seinem Bilde schuf, den Christus mit seinem Blute erlöste? 1 Christentum und Humanismus haben geschichtlich das Wertbild vom Menschen geformt, das in die Rechtsordnungen der abendländischen Kulturwelt eingegangen ist. Beide verleihen dem Einzelmenschen als solchen einen spezifischen, unübersehbaren Wert als Person. Diese Auffassung ist notwendig, sofern man überhaupt die Existenz des Sittlichen anerkennt. Das hat in Deutschland vor allem die klassische Rechtslehre unter dem Einfluß von Kant, Fichte und Hegel herausgearbeitet. Denn mit dem Sittlichen ist auch die sittliche Eigenverantwortlidikeit des Menschen gegeben. Die sittlichen Werte wirken im Gewissen des Menschen; indem sie das Wollen des Menschen bestimmen, werden sie verwirklicht. Der Mensch ist ihr „Durchbruchspunkt ins Reale" 2 . Sie wenden sich an jeden einzelnen, und jeder einzelne ist vor ihnen verantwortlich. Niemand kann ihm diese Verantwortlichkeit abnehmen. Vor dem Gewissen kann man sich nicht vertreten lassen, und das Gewissen kann keine äußere Macht besiegen. Mit dieser hödist persönlichen Aufgabe und Verantwortung gewinnt der Mensch eine ihm eigentümliche Würde. Sie gibt ihm einen höchst persönlichen Bereich und macht ihn zum sittlichen Wesen, das allen bloßen Sachgütern unendlich, weil unvergleichlich, überlegen ist. Seine unmittelbare sittliche Bestimmung und Verantwortung macht den Menschen zur sittlichen Person. W o immer sittliche Werte und Forderungen rein in das Bewußtsein treten, da ist auch der Gedanke von der sittlichen Würde des Menschen, als notwendig gefordert, zugleich gegeben. Das Wesen der Personwürde des Menschen liegt also in seiner sittlichen A u t o n o m i e , wenn wir darunter die unmittelbare Stellung des Menschen zu den sittlichen Geboten verstehen, die AufDen letzten Gedanken betont neuerdings wieder: £ 11 u 1 , Le fondement thiologique du droit. • N . H a r t m a n n , Ethik, p. 161.
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gäbe, in unmittelbarer Auseinandersetzung und Verantwortung mit und vor dem Sittlidhen zu leben1. Denn mit dieser Aufgabe ist er auf die Selbstgestaltung seines Lebens verwiesen; er steht vor der Forderung, sein Leben nach seiner sittlichen Einsicht zu führen 2 . Wenn die Gerechtigkeit als sittlicher Wert daher die Achtung des Mitmenschen fordert, so drängt sie damit auf die Erfüllung einer elementaren sittlichen Forderung. Die Sittlichkeit begründet die sittliche Würde des Menschen; darum kann es ohne gegenseitige Achtung überhaupt keine sittliche Beziehung unter Menschen geben. Das muß sich auf das Recht übertragen, sobald es unter der Einwirkung des Gerechtigkeitsgedankens überhaupt sittlichen Einflüssen unterworfen wird. Auch im Recht muß jetzt die Achtung vor der Personwürde des Menschen zum Ausdruck kommen. Die Abgrenzung der einzelnen Machtbereiche und die Beachtung der damit gesetzten Grenzen, die dem Recht wesentlich sind, gründet sich ursprünglich auf den Willen zu Friede und Ordnung. Sobald das Recht sich versittlicht, erhalten sie ein neues sittliches Fundament: die Forderung des „neminem laedere", ursprünglich ein Friedensgebot (Verbot der Eigenmacht), erscheint jetzt als Ausfluß der Achtung vor der Personwürde des Mitmenschen. Diese ist nach Mitteis' treffendem Wort 3 , das Z e n t r u m d e r R e c h t s i d e e a l s d e r v e r s i t t l i c h e n d e n K r a f t im R e c h t . Sie bestimmt die Grundlage für die rechtliche Bewertung des Menschen. Wie kann nun aber eine Ordnung, wie es das Recht ist, den Gedanken der Menschenwürde verwirklichen? In einer engen, persönlichen Gemeinschaft verwirklicht er sich durch die G e s i n n u n g , mit der die Menschen einander begegnen. Das Recht als unpersönliche Ordnung hat nur e i n e Möglichkeit, ihm gerecht zu werden. Diese aber ist ihm spezifisch und bestimmt sein Wesen: es ist die Möglichkeit, F r e i h e i t zu gewähren und unter seinen Schutz zu nehmen. In der Rechtsordnung ist die Menschenwürde dann verwirklicht worden, wenn sie dem Menschen eine Sphäre sichert, in der er als selbständiges und sittlich selbstverantwortliches Wesen wirken kann, in 1 Vgl. dazu Ν o h l , Ethische Grunderfahrungen, p. 16; H a r t m a n n , Ethik, p. 161—169; S e h e l e r , Formalismus in der Ethik usw., p. 498, 515. * Diese sittliche Aufgabe — und die daraus folgende Würde — trifft alle Menschen, audi wenn wir vor ihr in weitem Umfang immer wieder versagen. • Über das Naturrecht, p. 34.
III. Die weiteren sittlichen Inhalte der Rechtsidee
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der er weder dem Machtspruch eines anderen Menschen unterworfen noch zum bloßen Mittel von Gemeinschaftszwecken gemacht ist, sondern freier selbstverantwortlicher Mensch. Darum ist F r e i h e i t das höchste Gut, das rechtliche Gerechtigkeit dem Menschen zuteilen kann 1 . „Das Recht", sagt S a v i g n y 2 , „dient der Sittlichkeit, aber nicht indem es ihr Gebot vollzieht, sondern indem es die freie Entfaltung ihrer, jedem einzelnen Willen innewohnenden Kraft sichert." Und an anderer Stelle formuliert er 3 : „Alles Recht ist vorhanden, um der sittlichen, jedem einzelnen Menschen innewohnenden Freiheit willen." Diese Achtung der Menschenwürde wird nun gegenüber a l l e n Menschen gefordert. Denn die sittlichen Forderungen sind absolut; sie gelten für jeden Menschen, ohne Unterschied von Rasse, Farbe und Rang. Alle Menschen sollen gut sein. Das ist die Forderung der Sittlichkeit. Die Rechtsidee überträgt diese Forderung auf das Recht; sie fordert auch hier die G l e i c h h e i t : alle Menschen sollen in ihrer Freiheit geachtet werden. Das ist, von der geschichtlichen Entwicklung her gesehen, eine unerhörte Forderung. Denn das Recht entstand in der Gruppe; in konkreten geschichtlichen Gruppen ist es lebendig; seine Geltung und Wirksamkeit beschränkt sich auf sie. Seine sittlichen Kräfte sind ihm zuerst aus der Gruppenmoral zugeflossen und an die Gruppe ist es daher auch innerlich gebunden gewesen. Darum ist die Forderung, a l l e Menschen zu achten, für das geschichtliche positive Recht eine unerhörte Forderung, die historisch nur sehr langsam Boden gewonnen hat und von der auch unsere Gegenwart wieder einmal weit entfernt ist. Es wird an diesem Punkte deutlich, daß die Rechtsidee, da sie an a b s ο 1 u t en Werten orientiert ist, den Gedanken eines Natur- und Weltrechts fordert, das den Raum der Gruppe weit überschreitet und die gesamte Menschheit einschließt. — Die Anerkennung der Freiheitssphäre (Autonomie) begründet das s u b j e k t i v e R e c h t . Die subjektiven Rechte sind der Ausdruck des rechtlichen Schutzes, den die Autonomie der Persönlichkeit genießt: der einzelne, dem sie zustehen, kann sie nutzen und darüber verfügen, wie er will. Das erst ermöglicht ihm ein persönliches Leben 1 Vgl. dazu die 6. Aufl., p. 372. * System I, 332. • System II. 2.
gleichgerichteten
Ausführungen
bei
E.
Spranger,
Lebensformen,
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unter rechtlichem Schutz. Sie sind ein Zeichen dafür, daß die Person als solche von der Rechtsordnung anerkannt wird. Mit Recht hat deshalb Otto v. Gierke im allgemeinen Fersönlichkeitsrecht d a s Grundrecht gesehen, das alle anderen subjektiven Rechte erst begründet und fundamentiert 1 . Von hier aus gewinnt auch Dernburgs Ansicht Bedeutung, daß das subjektive Recht dem objektiven vorhergehe2. Tatsächlich ist die Personwürde des Menschen dem Rechte vorgegeben und damit das subjektive Recht innerlich begründet. Die Anerkennung der sittlichen Würde des Menschen zeigt sidi weiter darin, daß eine rechtliche Verantwortlichkeit, soweit es auf das Handeln des einzelnen ankommt, grundsätzlich nur da begründet ist, wo auch sittliche Vorwerfbarkeit (Schuld) besteht. Keine Strafe, keine Haftung ohne Verschulden. Diese Auswirkungen auf die Rechtsordnung sollen später genauer verfolgt werden*. — Der spezifisch rechtlichen Form, die Achtung vor der Menschenwürde zu verwirklichen, stehen, wie schon gesagt, andere Möglichkeiten gegenüber; darauf ist hier noch näher einzugehen. Es handelt sich um rein ethische Möglichkeiten, bei denen die Menschenwürde allein durdi die Gesinnung, welche die Beteiligten gegeneinander hegen, garantiert ist. Das gilt insbesondere für die Form des Zusammenlebens, die wir als echte Gemeinschaft bezeichnet haben. Beider Gemeinschaft bestehen zwischen den einzelnen Gliedern keine trennenden Rechtsschranken; trotzdem ist auch hier der Untergeordnete keiner Willkür ausgeliefert, sondern wird als Person geachtet. Diese Achtung liegt in der Gesinnung, welche der über ihm Stehende ihm gegenüber hegt. Der Vater liebt sein Kind; diese Liebe umschließt den Eigenwert des Kindes und ist seine höchste und beste Garantie. Der Herr, in patriarchalischen Verhältnissen, betrachtet seine Diener nicht als Sachen, die beliebiger Willkür unterliegen; er sieht sie als Menschen an, die seiner Leitung bedürfen und die ihm anvertraut sind, weiß sich für sie und ihr Leben verantwortlich. Er wird darum seine Macht nicht mißbrauchen4. Albert Schweitzer hat das an seinem Verhältnis zum Neger sehr eindrucksvoll erläutert. Er sagte ihm: Ich bin dein Bruder, aber dein älterer Bruder. Deutsches Privatrecht I, 7028. D e r n b u r g , Pandekten, 5. Aufl. I, 88. ' Vgl. unten p. 170, 213. 1 Vgl. dazu Τ ο e η η i e $ , Gemeinschaft u. Gesellschaft, 4. u. 5. Aufl., p. 13. 1 1
III. Die weiteren sittlichen Inhalte der Rechtsidee
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W o echte Gemeinschaft herrscht, bedarf es daher keiner rechtlichen Garantien; die Gesinnung der Beteiligten selbst schließt sie ein; die rechtliche Schranke könnte nur stören. Erst da, wo die spezifische Achtungsgesinnung der Gemeinschaft fehlt, muß das Recht eingreifen und mit s e i n e n Mitteln die Personwürde sichern. — Gegenüber dieser Auffassung von Personwürde und Freiheit als dem zentralen Wert der Rechtsidee sind vor allem drei Einwendungen erhoben worden. Man hat die Autonomie des Menschen als unerreichbar bezeichnet, und man hat darauf hingewiesen, daß viele Rechtsordnungen patriarchalische Unterordnungsverhältnisse anerkennen, ohne damit aus dem Rahmen sittlich möglicher Formen des Zusammenlebens herauszutreten. Man hat schließlich auf die Unterordnung des einzelnen gegenüber der Gemeinschaft verwiesen. Demgegenüber ist folgendes hervorzuheben. Die sittliche Selbstbestimmung und Selbstverantwortlichkeit ist zwar nicht die einzige Form sittlichen Handelns. Auch wer aus Achtung vor fremder Autorität (heteronom bestimmt) den höheren Wert dem niederen vorzieht, handelt sittlich. Aber das Handeln aus eigener sittlicher Einsicht ist die höhere Form des Sittlichen. Es ist eine notwendige Stufe der ethischen Entwicklung des einzelnen wie der Völker, und einmal erreicht, kann sie nicht verlassen werden; die Entwicklung zu ihr ist irreversibel1. Daher wird sie auf einer bestimmten Stufe der kulturellen Entwicklung das notwendige Fundament der Rechtsordnung. Von da ab gibt es nur nodi die Möglichkeit, durch Erziehung und Bildung den einzelnen fähig zu machen, die ihm gewährte Freiheit recht zu gebrauchen 2 ; ihm die Freiheit zu nehmen, ist vor der Rechtsidee unmöglich und bedeutet kulturhistorisch Verfall. Darin liegt die Tragik des sittlichen und rechtlichen Fortschritts; erweist sich der Mensch einer bestimmten Kultur der Freiheit nicht gewachsen, so kann er in die alten Bindungen nicht zurückkehren; ihn erwartet, wenn er das Recht verläßt, nicht die alte Gemeinschaft, sondern die nackte Gewalt. — Der Hinweis auf die Anerkennung patriarchalisdier Rechtsverhältnisse ist kein Beweis gegen die notwendige Verbindung von Rechtsidee und sittlicher Freiheit. Die Rechtsordnung, die solche Verhältnisse ' Vgl. dazu Ν ο h 1, Grunderfahrungen, p. 16 ff, * Daher der starke pädagogische Impuls aller editen Demokratien I Wo man yor dieser Aufgabe resigniert, ist sie unmöglidi.
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anerkennt, übernimmt — sozusagen en bloc — eine ihr selbst wesensfremde Form des Zusammenlebens; sie erkennt sie an und beläßt ihr ihr eigenes Gesetz. Aber in dieser Form ist die Achtung vor dem Eigenwert des Menschen selbst gesichert, wenn auch in anderer Weise als der, die dem Recht eigentümlich ist. Denn ein echtes patriarchalisches Verhältnis ist Gemeinschaft, in der, wie eben gezeigt, die Gesinnung der Zuneigung die gegenseitige Achtung verbürgt. W o aber ein Verhältnis, das seiner Idee nach patriarchalisch sein sollte, es in Wahrheit nicht ist, da ist es ein reines Machtverhältnis, das man nicht mehr als sittlich bezeichnen kann, dessen Anerkennung daher ein Makel des Rechts wäre1. Der dritte Einwand fordert genauere Betrachtung. Er besagt, daß die Forderung auf unbedingte Achtung der Würde der Einzelperson gegenüber der Gemeinschaft, in der er steht, keine Geltung haben könnte, daß insbesondere die großen Gemeinschaften des Volkes und des Staates den Vorrang haben müßten. Die Grundlage dieser Auffassung liegt in der Vorstellung, daß der einzelne nur ein Glied der ihn umschließenden großen Verbände sei, daß er nur in Erfüllung der Funktionen, die ihm in ihrem Rahmen zufallen, Bedeutung besitze. „Du bist nichts, Dein Volk ist alles" sagt, extrem formuliert, diese Auffassung. Sie hat sich in der Geistesgeschichte häufig mit dem Organismus-Gedanken verbunden. Danach bilden die großen menschlichen Gruppen, Staatsvölker und Nationen, organische Wesenheiten, in denen dem einzelnen nur die Bedeutung eines Organs, einer Zelle zukommt. Auf dieser Anschauung beruht die Anschauung des modernen Nationalismus, der in Faschismus und Nationalsozialismus seine extremsten Vertreter gefunden hat 2 . Nach diesen Auffassungen besitzt die Gemeinschaft den unbedingten Vorrang vor dem einzelnen; ihre Interessen gehen vor, und der Autorität ihrer Führer hat sich der einzelne zu unterwerfen. Er ist nur durch die Gemeinschaft; diese besitzt daher den höheren Wert; dem einzelnen kommt im Verhältnis zu ihr kein Eigenwert zu. Der Organismusgedanke kann nur ein Bild sein; ihn real zu verstehen, bedeutet unzulässigen Begriffsrealismus. Als körperliche Vgl. auch die Erörterung oben Kap. 4, p. 73 ff. Im Gegensatz dazu steht die konservative Auffassung Fr. J. Stahls, der die Organismusidee ausdrücklich zugunsten des Gedankens eines „Reiches" (im christlichen Sinne) ablehnt. Rechtsphil. II, p. 8/9, 102. 1
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Organismen existent sind nur die Einzelmenschen; wie sich in der Seele das Gefühl der Gruppenzugehörigkeit entwickelt, haben wir früher geschildert1. In Wahrheit ist die Gruppenbildung ein seelischer Vorgang; in der Seele der einzelnen lebt die Gruppe; in ihr wird sie als ü b e r individuelle Einheit erlebt und erfahren. „La nation c'est un plebiscit de tous les jours 2 ." Ebensowenig ist die Gruppe eine Person. Die Rechtsordnung kann sie so behandeln; aber sittlich i s t sie es nicht. Auch hier handelt es sich nur um ein Bild. Die Gruppe besitzt als Ganzes weder ethische Einsichten noch Gewissen. Sie trägt keine sittliche Verantwortung. A n dem viel erörterten Problem der sog. Kollektivschuld ist das gerade in unseren Tagen wieder deutlich geworden 3 . Daraus ergibt sich, daß ihr auch nicht die Würde sittlicher Persönlichkeit zukommen kann. Zweifellos verkörpert auch die Gruppe Werte, ist ihre Existenz als solche wertvoll. Aber sie kann als solche nicht sittlich handeln. Die Gruppe und ihr Leben bilden nur die mögliche Materie der Sittlichkeit; sie sind nicht sittlich in sich, sondern soweit die Menschen in ihnen sie sittlichen Zwecken dienstbar machen4. Die Achtung, die der Person zukommt, kann sie nicht verlangen; die Würde des lebendigen, sittlichen Menschen kommt ihr nicht zu. Vor dem Sittengesetz gibt es nur einzelne, keine Nationen und Staaten. Diese Einsicht führt zu zwei Folgerungen. Die Rechtsidee fordert, daß die Würde der Person audi gegenüber der Gruppe, dem Staat, der Nation gewahrt werde; sie verlangt, daß der Eigenwert der Person auch seitens der Gruppe anerkannt werde. Die Gruppe ist nicht der höhere Wert; der einzelne darf nicht zu ihrem Mittel erniedrigt werden. Der einzelne mag sich ihr freiwillig opfern und kann darin sogar die Erfüllung seines persönlichen Lebens finden5. Aber die Rechtsordnung der Gemeinschaft darf dieses Opfer nicht erzwingen®. » Vgl. oben p. 57. * Vgl. die Kritik der Organismuslehre u. die meisterhafte Darstellung der wahren Zusammenhänge bei L i t t , Individuum u. Gemeinschaft, 1. Aufl., p. 26 ff. Dort andererseits audi eine Kritik der ebenso verfehlten Auffassung vom I s o l i e r t e n Individumm als einziger Realität. * Vgl. dazu K. J a s p e r s , Die Schuldfrage. * Dazu Nie. H a r t m a n n , Ethik, p. 334/35. 1 Vgl. dazu die Analyse bei L i t t , Individuum und Gemeinschaft, p. 106. * Hierin liegt — von der Rechtsidee her gesehen — die Problematik der Todesstrafe und der Kriegsdienstpflidit. Sie widerspricht der Reditsidee. Hier zeigt sidi die Unteilbarkeit des Rechts: die Tatsache, daß an einer Stelle des Soziallebens, im Verkehr der Völker, die Rechtsidee nodi nidit herrscht, hindert ihre Durchsetzung audi an anderer — hier innerstaatlicher — Stellet
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Die zweite Folgerung ist, daß das Sittengesetz und die Forderungen der Rechtsidee für das menschliche Verhalten audi für das Handeln derjenigen gilt, die im Namen der Gruppe handeln. Auch der Staatsmann unterliegt ihnen; das ist eine unverzichtbare Forderung der Rechtsidee. Sie kann keine Ausnahme für die Staatsraison anerkennen. So gewiß die Rechtsordnung die Natur des Staates berücksichtigen muß; von der Rechtsidee aus findet diese Rücksicht hier ihre Grenzen. Mord ist Mord, Vertragsbruch Vertragsbruch, auch wenn sie im Interesse der Gruppe begangen werden, und beides steht in unauflösbarem Widerspruch zur Rechtsidee1. Die Gruppe steht unter der Rechtsidee; sie ist ihr nicht überlegen. Die unbedingte Überlegenheit der Gruppe über den einzelnen ist also mit der Rechtsidee unvereinbar. Der Gedanke: Du bist nichts, Dein Volk ist alles, kann vor ihr nicht bestehen. Es ist im Grunde ein Fortleben primitiverer Entwicklungsstufen, in der die Gruppe den einzelnen noch in viel stärkerem Maße umfaßte als heute und als dem Menschen Religion, Ethik und Recht mit der Gruppe verbunden erschien. Für diese Zeiten war die unbedingte Überlegenheit der Gruppe natürlich (wenn auch nicht richtig). Die Psychoanalyse hat uns immer wieder enthüllt, in wie starkem Maße Primitivregungen in unserer Gefühlswelt fortleben; an diesem Punkte, wo das Gruppengefühl allbeherrschend durchbricht und die Gruppe über alle sittlichen Bindungen hinaus zum Höchstwert erheben will, stehen wir vor der gleichen Erscheinung. In Wahrheit ist, seit der Mensch die Einsicht gewonnen hat, daß Religion, Ethik und Recht unabhängig (absolut) von der Gruppe einen Eigenwert besitzen und um ihrer selbst willen verpflichten, die Lehre von der unbedingten Überlegenheit der Gruppe nicht mehr haltbar. Eine grundsätzliche Wendung ist vollzogen: die Person des einzelnen steht im unmittelbaren Bezug beim Absoluten, nicht die Gruppe. Sie kann vor der ethisch gefaßten Rechtsidee nicht mehr als Höchstwert bestehen 2 . Die Rechtsidee fordert die * Vgl. hierzu die treffenden Untersuchungen b e l A . S c h w e i t z e r , Kultur und Ethik, p. 357. * Ich befinde midi hier in gewissem Gegensatz zu R a d b r u c h , z. B. Vorschule der Rechtsphilosophie, p. 26/27. Das, was er „Gesamtpersönlichkeiten" nennt, kann vom Standpunkt einer ethisch gefaßten Rechtsidee — und idi sehe keine andere Möglichkeit — nicht als überlegen über den einzelnen anerkannt werden. Im ganzen scheint mir aber der Gegensatz nicht so tiefgehend zu sein, wie es dem ersten Anschein nach aussehen möchte. Denn Radbruch schränkt seine Anerkennung der Gesamtpersönlichkeit in der Folge ein. Insofern er einen gewissen liberalen Einschlag, insbesondere die Anerkennung der Mensdienrechte, als von der Reditsidee in jedem Falle gefordert darlegt.
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A n e r k e n n u n g der Einzelperson. E s gibt hierfür ein gewisses Symptom in der Rechtsgeschichte: das Recht blüht und entwickelt sich nur in Zeiten, wo man den einzelnen und seine Rechte ernst nimmt; Epochen, in denen der Primat der Gruppe gilt, sind seiner Entfaltung wenig günstig. F ü r sie ist, wenn nicht geradezu W i l l k ü r herrscht, charakteristisch, daß es viel Verwaltung und wenig Recht gibt. Im Bereich der römischen Rechtsgeschichte kann man das am Gegensatz des Strafrechts und Privatrechts zur Zeit der Klassik demonstrieren. D a s Privatrecht setzte die alte freiheitliche Tradition fort, wie es j a auch auf dem republikanischen Prozeßverfahren beruhte; das Straf recht trug den Geist des Prinzipats, d. h. den eines wohlwollenden Despotismus. — Ist mit den vorhergehenden Erörterungen deutlich geworden, in welchem Sinne der menschlichen Person ein W e r t im Rahmen der Rechtsidee zukommt, so bleibt doch eine Frage offen; es ist die nach dem relativen W e r t mehrerer Menschen im Verhältnis zueinander. V o r diese Frage wird die positive Rechtsordnung an vielen Stellen gestellt. M a n nehme das Grundproblem des Staatsrechts: wer soll regieren? D i e φιλόσοφοι lehrte Piaton, die von G o t t eingesetzten M o n archen die monarchische Staatstheorie, die „Elite" der Faschismus und: alle, die Demokratie. Oder sehr viel profanere Probleme: wer soll in einer gelenkten Wirtschaft höher bezahlt werden, der Arbeiter oder der K ü n s t l e r ? W e r soll auf die höhere Schule, wer von den vielen Abiturienten auf die Universität? Immer handelt es sich um die Aufgabe, Menschen aneinander zu messen, sie zu vergleichen und den einen dem anderen vorzuziehen, weil ihm ein höherer W e r t zukommt, weil er besser geeignet oder schlechthin besser ist. W i r stehen hier vor einem Erkenntnis- und einem Bewertungsm a ß s t a b s · ) Problem. W i r müssen die Menschen erkennen, und wir müssen sie an einem M a ß s t a b e messen, der für alle in gleicher W e i s e gilt und der allen in Betracht kommenden Eigenschaften gerecht wird. A m einfachsten ist das naturgemäß, wo nur wenige oder gar nur eine Eigenschaft in Betracht kommt und nur ein W e r t den M a ß s t a b bildet. Sportliche W e t t k ä m p f e geben ein gutes Beispiel. Handelt es sich darum, den besten Hundert-Meter-Läufer zu bestimmen, so ist sowohl die Erkenntnis- wie die Bewertungsaufgabe einfach. D i e Stoppuhr entscheidet. D i e Leistungen lassen sich ohne Schwierigkeiten in einer Reihe anordnen. Schwieriger ist es schon bei einem Mehrkampf, etwa
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einem Fünfkampf. Hier kann ich nicht nur eine Leistung bewerten, sondern ich muß mehrere in eine Beziehung zueinander bringen, ich muß festlegen, wieviel Punkte etwa ein Weitsprung, wieviel ein Hochsprung einbringen soll. Das gleiche gilt für die Prüfung geistiger Begabungen. Auch hier stehen jeweils mehrere Fähigkeiten in Frage: Gedächtnis, Schnelligkeit der Auffassung, Fähigkeit zu logischem Schließen usw. Das Erkenntnis- und das Bewertungsproblem kompliziert sich. Noch schwieriger gestaltet sich die Entscheidung, wenn die Auswahl für einen bestimmten Beruf getroffen wird. Denn dabei spielt regelmäßig nicht nur die intellektuelle Begabung, sondern auch der Charakter und die Fähigkeit der Soziabilität zur verantwortlichen Tätigkeit in einer Gemeinschaft eine Rolle. Ein Jurist etwa muß nicht nur logisch denken können; er soll auch ein fester ausgeglichener Charakter ohne Menschenfurtht sein. Ich kann auf die Bewertung dieser Eigenschaften eigentlich nicht verzichten. Unsere akademischen Prüfungen tun es; aber die Beurteilungen von Beamten tun es nicht und können es auch nicht. Dabei wird sowohl die Aufgabe des Erkennens wie die des Bewertens immer schwieriger. Charaktereigenschaften und Gesinnung lassen sich sehr viel schwerer prüfen als intellektuelle Begabungen und Kenntnisse; noch schwerer ist es, beide zu einer Bewertungsskala zu vereinen; notwendigerweise muß man hier mehrere Bewertungsreihen bilden und diese dann koordinieren. Überall handelt es sich dabei aber nur um einen A u s s c h n i t t aus dem Gesamtwesen des Menschen; in keine dieser Bewertungen geht der ganze Mensch ein. So ist auch Piaton in seiner Politeia vorgegangen, um die herrschende Elite auszuwählen. Er legt zunächst die Eigenschaften fest, die ein Staatslenker haben muß — u. a. charakteristischerweise die Überzeugung von der Wertlosigkeit der Macht 1 ; danach bestimmt sich das Auswahlverfahren. Wenn wir nun aber die Gesamtpersönlichkeit eines Menschen erkennen und beurteilen wollen, so kompliziert sich die Aufgabe in einem Maße, daß sie nicht mehr annähernd exakt lösbar ist. Zunächst ist die Erkenntnisaufgabe ungeheuer schwierig. W e r wollte sich zutrauen, einen anderen Menschen wirklich zu kennen? Von allen Menschen, mit denen wir leben, kennen wir im Grunde nur Ausschnitte 2 . Selbst « Politeia, VII 520 d. « Dazu Litt, 1. c. p. 12/13.
III. Die weiteren sittlichen Inhalte der Rechtsidee
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die Liebe reicht nicht an das Geheimnis der Persönlichkeit heran, und wo sie es tut, kann sie ihre Erkenntnis nicht aussprechen oder begründen. Die Unterlagen, die der Außenstehende hat, sind vor allem die Taten eines Menschen; aber sie enthüllen uns sein wahres Wesen, seine Gesinnungen, nicht vollkommen. Noch schwieriger ist die Frage der B e w e r t u n g . Die Zahl der in Betracht kommenden Gesichtspunkte, der Reihen, die wir bilden mußten, wächst jetzt außerordentlich, und es fehlen die Maßstäbe, um die einzelnen Wertungen (die einzelnen „Reihen") in Beziehung zu setzen. Wie will man z. B. ästhetische und sittliche Werte vergleichen? Wie Gottesnähe und soziale Tüchtigkeit? Hier versagt unsere Werteinsicht. Es fehlt ein übergreifender Maßstab 1 . Die Tatsache, daß wir innerhalb des Bereiches der geistig-sittlichen Werte nicht mehr mit Evidenz Vorzugsreihen bilden können 2 , wirkt sich aus. Eine exakte Bestimmung des relativen Wertes einer Person in der Gesamtheit ihres Wesens im Verhältnis zu einer anderen ist nun also nicht möglich. N u r ganz grobe Unterschiede, erhebliche Abweichungen vom normalen Typ des Menschen können wir mit einiger Sicherheit erfassen und bewerten, so etwa, wenn es sich darum handelt, Menschen, die intellektuell und moralisch ausgesprochen zurückgeblieben, schlecht entwickelt sind, auszusondern. Und selbst hier ist die Abgrenzung oft schwierig, wie die Kriminalbiologie ausweist3. Der Strafrichter steht hier vor äußerst schwierigen Aufgaben. W o es sich aber um die Differenzierung unter den sog. normalen Menschen handelt, versagt unser Urteil — von der technischen Unmöglichkeit, etwa ein ganzes Millionenvolk nach exakten psychologischen Methoden durchzuprüfen, ganz abgesehen. Ob es sich hier um eine endgültige oder nur vorläufige, derzeit bestehende Grenze der menschlichen Einsicht handelt 4 , wage ich nicht zu entscheiden5, möchte aber der ersten Ansicht zuneigen. Denn die Fähigkeit des Menschen, viele verschiedene Gesichtspunkte zu koordinieren, ist begrenzt. Jedenfalls bleibt hier nach dem augenblicklichen Stand unserer Einsicht eine Grenze 1 Richtig: Ε m g e , Sicherheit u. Gerechtigkeit, p. 27. « Vgl. dazu oben p. 109. ' Vgl. die Darstellung der Schwierigkeiten der Klassifizierung der Verbrecher bei Ε χ η e r , Kriminalbiologie, 2. Aufl., 217 ff. 1 Über diesen Unterschied vgl. Nie. H a r t m a n n , Ontologie, p. 47, 170 ff. • Ich erkenne die Kritik Wiirtenbergers an meinen Ausführungen in den „Obersten Grundsätzen" als berechtigt an. Vgl. Ardi. f. civ. Praxis, Bd. 150, 192.
Fünftes Kapitel
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unseres Urteils; wir vermögen den r e l a t i v e n W e r t mehrerer Personen um so weniger sicher zu beurteilen, je mehr es sich um eine Beurteilung ihrer G e s a m t persönlichkeit handelt. W i r bleiben auf ein mehr oder weniger intuitives unsicheres und nicht demonstrierbares Urteil angewiesen. Dazu kommt noch ein weiteres Moment. Das Recht ist abstrakte Ordnung. Da wo eine intuitive, persönliche Entscheidung, wenn sie von entsprechend gebildeten, erfahrenen und hochstehenden Persönlichkeiten ausgeht, noch mit einiger Sicherheit möglich ist, ist noch keine Differenzierung durch abstrakte Ordnung möglich, die nach allgemeinen Kriterien differenzieren muß. So aber steht es bei der Beurteilung des relativen Wertes von Menschen untereinander. Diese Einsicht ist von außerordentlicher Bedeutung für die Erkenntnis der Rechtsidee. Denn die Rechtsidee fordert an sich solchen Maßstab. Sollen wir jedem das Seine geben, so genügt es nicht zu wissen, daß wir jeden als Person achten müssen; wir müßten auch wissen, welcher Wert ihr in Beziehung zu anderen zukommt. Versagt an dieser Stelle unsere Erkenntnis, so bleibt auch unser Wissen um die Rechtsidee an dieser Stelle offen. Die Reditsidee schließt sidi für uns nicht. Das bedeutet, daß wir die Hoffnung aufgeben müssen, ein geschlossenes gerechtes Ordnungssystem aus ihr deduzieren zu können. Jedes derartige System könnte nur zur Willkür führen, da es mit unzulänglichen Maßstäben messen müßte. Aber die Erkenntnis, daß sich der Gerechtigkeitsbegriff im Hinblick auf die menschliche Person für uns nicht schließt, daß wir nur einzelne seiner Züge deutlich erfassen können, begründet auch eine sehr wesentliche positive Einsicht. Sie begründet das, was ich das P o s t u l a t d e r F r e i h e i t nennen möchte. Besäßen wir eine vollkommene Einsicht der Gerechtigkeit, könnten wir sagen, weldie Stellung jedem einzelnen im Sozialleben zukommt, so könnten wir eine vollkommene Ordnung daraus ableiten. Nun wir sie nicht haben, müssen wir uns beschränken: wir werden an vielen Punkten des sozialen Lebens auf den Versuch einer gerechten Ordnung verzichten (er könnte nur zur Willkür führen!) und uns darauf beschränken müssen, da, wo wir nicht gerecht ordnen können, der freien Entwicklung aller Raum zu lassen. Die Begrenztheit unserer Einsicht macht es zum zwingenden Gebot, Freiheit zu wahren, wo gerechte Ordnung nicht möglich ist 1 . — 1
Ich werde auf dieses Postulat der Freiheit noch zurüdckommen, Tgl. unten p. 197, 211.
III. Die weheren sittlichen Inhalte der Reditsidee
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2. Die Rechtsordnung soll nicht nur das Verhältnis von Person zu Person ordnen; sie muß auch die einzelnen Lebensbereiche gegeneinander abgrenzen, Staat und Wirtschaft, Religion und Wissenschaft usw. Sie bedarf dazu einer R a n g o r d n u n g des menschlichen Strebens. Auf diese Tatsache gründet Plato seinen Vergleich zwischen der Gerechtigkeit im Staate und im Einzelmenschen, der der Angelpunkt des ganzen Dialoges über den Staat ist. Wie die Vernunft den Menschen ordnet, so daß jedes Seelenvermögen das Seine tut und keines sich eine Vorherrschaft anmaßt, die ihm nicht zukommt, so ordnet die Gerechtigkeit im Staat die einzelnen sozialen Bestrebungen in ihrem Verhältnis zueinander und macht ihn zum Kosmos wie die Vernunft den Menschen. Suchen wir nun nach einer solchen Rangordnung der Ziele menschlichen Handelns, so stoßen wir auf die bereits erwähnte Stufenfolge der Werte 1 . Das sittlidi-geistige Streben steht über den animalischen Trieben und dem Streben nach Nutzen; die „vitalen" Werte: Kraft, Mut, Ehre usw. stehen unter den rein geistigen, wie Gerechtigkeit, Wahrheit, Schönheit2. Diese Rangordnung ist auch im praktischen Rechtsleben lebendig, und wir können sie am besten an ihm erläutern. Ein Mann hat sich gegen Gewährung finanzieller Vorteile in der Frage der Herstellung oder Scheidung seiner Ehe gebunden. Das Reichsgericht hat das Abkommen für sittenwidrig und unwirksam erklärt. Der Grund liegt in der Unvergleichbarkeit der Güter: sittliche Entscheidungen darf ich mir nicht abkaufen lassen; sie stehen über ökonomischen Vorteilen3. Ebensowenig darf ich ein Wettbewerbsverbot durch ein Ehrenwort sichern lassen. Auch die Ehre steht über ökonomisdien Interessen und darf ihnen nicht dienstbar gemacht werden4. Aus dem gleichen Gesichtspunkt sind die Bedenken hergeleitet, die die Judikatur gegen den Praxisverkauf bei Anwälten und Ärzten und gegen gewisse Abmachungen von Anwälten (Erfolgshonorar 1) erhoben hat. Hier handelt es sich um Berufe, die besondere ethische Verpflichtungen mit sich bringen; daher kann ihre Ausübung nicht ohne weiteres zum » Vgl. oben p. 109. * Freilidi gilt für das Schwergewidit der Interessen im Leben fast die umgekehrte Reihenfolge: vgl. dazu „Oberste Grundsätze des Rechts", p. 14. » Vgl. RGZ 109, 137 ß., insbesondere p. 142. * Vgl. RGZ 68, 229. 10 Coing, Rechtsphilosophie
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Fünftes Kapitel
Gegenstand geschäftlicher (ökonomischer) Transaktionen gemacht werden 1 . Deutlich tritt uns hier die Rangordnung der Güter entgegen: die höheren dürfen nicht den niederen geopfert werden. Das hat auch für die Ordnung der sozialen Bestrebungen im ganzen Bedeutung. Von hier aus sind etwa Konflikte zwischen Staatsgewalt und religiösen Überzeugungen, Staat und Wissenschaft usw. zu beurteilen. 3. Die Rechtsordnung hat es mit dem „Miteinanderhandeln" der Menschen zu tun. Daher gehen auch die sittlichen Werte, die in diesem „Miteinanderhandeln" der Menschen auftreten, in die Rechtsidee ein. Betrachten wir hier die Natur der Sache, so stoßen wir zunächst auf das Grundphänomen des Leistungsaustausches durch Vertrag. Aber in diesem Grundphänomen treten uns bestimmte sittliche Werte entgegen; sie gehören mit zur Natur der Sache. Wir haben hier ein prägnantes Beispiel dafür, wie die natürliche Seinsordnung in die sittliche Wertordnung übergeht. In Frühkulturen tritt das freilich nicht hervor. Der primitive sog. „stumme Tauschhandel" ist von Mißtrauen beherrscht und das gleiche gilt von dem reinen Bargeschäft, das uns als erste Stufe des Kauf- und Tauschgeschäftes entgegentritt. Der Zusammenhang von Recht und Ethik ist dem Menschen nicht von Anfang an bewußt 2 . Je mehr aber das Verpflichtungsgeschäft sich entwickelt, je häufiger die Leistung erst für die Zukunft vereinbart wird, um so größere Bedeutung gewinnen sittliche Vorstellungen; nach und nach ersetzen sie andere Möglichkeiten der Sicherung. Es ist dies vor allem der Wert der Z u v e r l ä s s i g k e i t , des Stehens zum gegebenen Wort. Sie begründet die Regel „pacta sunt servanda" und ist der Grundwert des Vertragslebens. Dazu kommt die W a h r h a f t i g k e i t , welche den Betrug aus dem Vertragsverkehr verbannt. Sie erst begründen das V e r t r a u e n in das Verhalten des andern und den G l a u b e n an sein Wort, ohne welche kein entwickelter Geschäftsverkehr, kein Leistungsaustausch denkbar ist. Zu ihnen tritt als Krönung die T r e u e . Sie kann sich freilich im bloßen Leistungsaustausch nicht voll entfalten; denn sie ist nach Sprangers treffendem Ausdruck die „dauernde Hinwendung zur Seele eines andern", also recht eigentlich auf eine Beziehung von Mensch zu ' Vgl. zu diesen Fragen im ganzen meinen Aufsatz: „Allg. Rechtsgrundsätze in der Reditsprediung des Reidisgeridits zum Begriff der „guten Sitten". N j W 1947/48, p. 213 B. * Vgl. dazu S ο m b a r t , Modemer Kapitalismus, 2. Aufl. I, 93.
IV. Das Wesen der Reditsidee
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Mensch gerichtet. Ihr volles Wesen entfaltet sie darum nur da, wo es sich um solche Beziehungen handelt, die die ganze Person umfassen, in der Ehe etwa oder in der Beziehung von Lehnsherr und Lehnsmann 1 . Aber auch im Vertrage wird sie wirksam. Im Austauschvertrage schließt sie jede Arglist aus und verpflichtet zur Rücksichtnahme auf die Lage und die Interessen des Vertragspartners. Ihre Wirkungen erstrekken sich, wie gerade der modernen Jurisprudenz (aber nicht nur ihr) bewußt geworden ist, über das einzelne Vertragsverhältnis hinaus auf den gesamten Rechtsverkehr; wer an ihm teilnimmt, hat die Gebote der Rücksicht aus treuer Gesinnung zu erfüllen 2 . Hier führt uns also die Untersuchung der Natur der Sache auf eine Reihe deutlich umschreibbarer Werte, welche der Gerechtigkeit einen Maßstab bieten. Gerechtigkeit und Menschenwürde, Treue und Zuverlässigkeit sind die sittlichen Grundlagen des Redits, der Inhalt der Rechtsidee. IV. Die Rechtsidee ist danadi die Summe der sittlidien Gehalte, (Werte), die wesensgemäß mit der Ausbildung des Rechtes verbunden sind 3 . Im Mittelpunkt stehen Gerechtigkeit und Personwürde des Menschen. Die Gerechtigkeit verweist uns auf die Natur der Sache. Dadurch geht die Seinsordnung, soweit sie dem Menschen erkennbar ist, in gewissem Sinn in die Rechtsidee ein. Die Natur der Sache wird zur Norm. Auch die sittlidien Werte des Miteinanderumgehens: Zuverlässigkeit, Treue, Vertrauen und Wahrhaftigkeit sind auf die gleiche Weise mit ihr verbunden. Unser Wissen um die so verstandene Rechtsidee ist fragmentarisch. An bestimmten Stellen schließt sich unsere Erkenntnis nicht; die Reditsidee bleibt offen. Diese Lücke, die die Erkenntnis nicht Vgl. dazu Η. Μ i 11 e i s , Lehnredit und Staatsgewalt, insbesondere p. 14, 43 fi. Die Treue führt dadurch ebenfalls zu der Verpflichtung, den andern zu achten, indem sie zur Rücksichtnahme verpflichtet. Dies hat besonders H. Mitteis in dem erwähnten Buche über das Lehnredit herausgearbeitet. Vgl. p. 80. An Hand der beiderseitigen Treueverpflichtung bildet sich die Verpflichtung des Lehnsherrn aus, das Recht des Vasallen auf „Behauptung seiner Existenz und Würde" zu aditen. — Es liegt hier also ähnlich wie bei der Gerechtigkeit. Beide treffen sich in der Forderung der Aditung des Mitmenschen; beide schließen die Willkür aus. * Ahnlich Μ i 11 e i s : „Die Reditsidee . . . richtet sich auf höchste Werte", Naturrecht, p. 33. 1
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Fünftes Kapitel
schließen kann, muß wagendes Handeln ausfüllen, damit eine geschlossene Ordnung entstehen kann. Nur einen Rat sozusagen kann das Erkennen dem Handelnden mitgeben; es ist das „Postulat der Freiheit": da, wo nicht mit einiger Sicherheit gerecht entschieden werden kann, die Dinge möglichst freiheitlich zu ordnen, da Freiheit der Menschenwürde eher entspricht als eine notwendig willkürliche Regelung. Gewisse evidente Einsichten in das Wesen der Rechtsidee sind uns aber möglich. Sie geben uns die Möglichkeit, über formale Sätze hinaus bestimmte materielle Inhalte als sittlich notwendigen Inhalt des Redits zu erweisen. Unser Wissen geht weit genug, um uns vor uferlosem Relativismus zu bewahren. Obwohl fragmentarisch, gibt es uns einen festen Anhalt 1 . Es ist hier nicht anders als mit dem Wissen auf anderen Gebieten auch. Weder volle Erkenntnis noch gänzliches Nichtwissen ist unser Teil. — Die Rechtsidee ist die oberste Schicht des Rechts. Sie gibt der Friedens- und Machtordnung ihren sittlichen Gehalt. Unter ihrer Einwirkung wird das Recht versittlicht; aber es wird nicht selbst zum Teil der Ethik. Die Rechtsgebote werden nicht in ethische verwandelt. Die Unterschiede bleiben bestehen. Die Rechtsidee organisiert das Recht, die Ethik das persönliche Leben. Die Ethik gibt Gebote für das persönliche Verhalten; das Recht bleibt Friedensordnung und äußere Organisation einer Gemeinschaft. Sittliches Verhalten beruht auf Gewissen und persönlicher Überzeugung; hier findet es seine letzte Norm. Es ist autonom. Rechtliches Verhalten unterwirft sich der Satzung der Gemeinschaft; es ist heteronom. Die Ethik betrifft jeden gewissensmäßig relevanten Vorgang, auch höchstpersönliche Gedanken und Überzeugungen, die nach außen hin keine Bedeutung gewinnen; sie geht auf Gesinnungen. Das Recht grenzt soziale Interessensphären ab; es geht nur auf Vorgänge, die für den Frieden der Gemeinschaften von Bedeutung sind; es genügt, wenn es im äußeren Verhalten befolgt wird. Die Ethik kennt keine äußere Sanktion; sie kennt nur die brennende Reue im Gewissen. Dem Recht aber wohnt eine Tendenz zur zwangsweisen Verwirklichung (Stammler) inne; es ist, wo es vollkommen ist, durch Gericht und Zwang gesichert. 1 Ich glaube, daß idi midi trotz mancher anderen Ausgangspunkte insoweit mit Radbrudb in Übereinstimmung befinde.
IV. Das Wesen der Reditsidee
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Ethik und Recht verhalten sich wie zwei sich schneidende Kreise. D a s Recht ragt mit der Rechtsidee in den Bereich des Sittlichen hinein. Aber es nimmt ihn nicht vollständig in sich auf. Das liegt zunächst daran, daß sich die sittlichen Werte zum Wesen einer abstrakten Ordnung, wie es das Recht ist, verschieden verhalten. Der sittliche Wert der Gerechtigkeit hat die Eigenschaft, daß er auch in Ordnungen eingehen kann. Es gibt gerechte und ungerechte Zustände, gerechte und ungerechte Ordnungen. Ebenso steht es mit dem Gedanken der Freiheit. Auch er kann in eine Ordnung eingehen. Eine solche Ordnung kann in sich freiheitlich und nicht freiheitlich sein. Die beiden Grundwerte der Rechtsidee: Gerechtigkeit und Freiheit können also unmittelbar in einer Ordnung und durch eine Ordnung verwirklicht werden. Das ist bei anderen sittlichen Werten nicht der Fall. Die Liebe, die Treue, die Wahrhaftigkeit können nicht unmittelbar durch eine Ordnung verwirklicht werden. Sie können nur als Μ a ß s t a b einer Ordnung dienen. Die Ordnung mißt dann die Handlungen der Menschen, die unter ihr leben, am Ideal des treuen Mannes, des zuverlässigen Mannes usw. Aber auch als solche Maßstabswerte kommen nicht alle ethischen Werte in Betracht. Die Tatsache, daß das Recht auf den Grundwerten der Freiheit und der Gerechtigkeit beruht, schließt bestimmte Werte aus dem Bereich des Rechtes aus. Die Gerechtigkeit schließt die Gnade aus; denn die Gnade überwindet sie 1 . Die Idee der Freiheit schließt die Liebe aus. Denn Liebe ist unbedingte Hingabe und Freiheit unbedingte Selbstbehauptung. Das Leben in einer Rechtsgemeinschaft ist darum nicht die einzige Form des sittlichen Zusammenlebens; es ist auch nicht die höchste. Es ist eher eine elementare Form; aber es bleibt eine sittliche. Die Tatsache, daß die Rechtsidee sittlicher Gehalt einer Ordnung ist, bedeutet schließlich nicht, daß die sittlichen Werte, die ihr zugehören, a u s s c h l i e ß l i c h in ihr in Erscheinung treten. Neben der Gerechtigkeit, die sich in einer Ordnung und ihrer Anwendung verwirklicht (der rechtlichen Gerechtigkeit), steht die freie, persönliche Gerechtigkeit2. Auch sie wirkt im sozialen Leben; sie kann sogar den sozialen Organismus beherrschen. Sie tut es überall, wo eine Person, nicht eine Ord1 1
Daher geht d a s Wesen der G n a d e verloren, wenn sie verrechtlidit wird. D a s hebt Ε m g e , Sicherheit und Gerechtigkeit, p . 20, mit Recht hervor.
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Fünftes Kapitel: IV. Das Wesen der Reditsidee
nung, die soziale Gemeinschaft regiert. So in der Gemeinschaft der Familie. Auch hier regiert Gerechtigkeit; aber die persönliche der Eltern, die sich unmittelbar, intuitiv und ohne Rückgang auf eine grundsätzliche Ordnung ausspricht. Ebenso im patriarchalischen Staatswesen, wo der Fürst, nicht das Gesetz, an der Spitze steht. Da richtet er nach seiner persönlichen Gerechtigkeit. Nicht in die Ordnung ist sie eingegangen; sie ist da in seiner Person. So hat noch das Mittelalter das Königtum empfunden1. Freilich mündet auch die gerechte Ordnung, wie sie realisiert wird, schließlich in die persönliche, gerechte Entscheidung des Richters2. Aber dessen Gerechtigkeit ist doch an der Ordnung orientiert, durch sie geläutert; sie ist „Justice under Law". — In der Wirklichkeit des Rechtslebens wirkt die Rechtsidee als ideales Ziel. Sie ist die regulative Idee, in ihrer seelischen Wirkung das sittlich höchste Motiv aller Rechtsschöpfung. Der gerechte Richter trägt sie im Herzen; der gewissenhafte Gesetzgeber richtet seine Arbeit an ihr aus. Das Recht ist nach dem treffenden Ausdruck Rudolf Stammlers ein Versuch zum Richtigen. Es ist durch die Tendenz zur Verwirklichung der Rechtsidee gekennzeichnet, sofern es überhaupt wahres Recht sein will. Die Richtung auf die Rechtsidee unterscheidet das Recht von bloßer stabilisierter Gewalt. Der geschichtlichen Betrachtung stellt sich die Rechtsidee als immer wiederkehrende Tendenz dar. Gerade die Rechtsgeschichte, die so oft zur Grundlage ihrer skeptischen Infragestellung gemacht worden ist, bietet deutliche Beweise ihrer Wirksamkeit und Existenz. Die Rechtsgeschichte ist nicht nur ein „Bilderbuch zur Rechtsidee"; sie ist die Geschichte ihrer allmählichen Enthüllung 8 . 1 Hierher gehört noch die persönlidbe Justiz der absoluten Herrscher im 18. Jahrhundert. Vgl. die Schilderung der sog. Supplicationen bei E. S A m i d t , Justitia fundamentum regnorum, p. 24/25.— Max Weber hat in diesem Zusammenhang von „Kadijustiz" gesprochen. Ich ziehe den Ausdrude „persönliche" Gerechtigkeit vor. Mir scheint, man sollte diese persönliche Verwirklichung der Gerechtigkeit streng von der restlichen scheiden, auch in der Reditsgeschidite. Darin haben midi Unterhaltungen mit meinem verehrten Fakultätskollegen Reicke bestärkt, deren idi an dieser Stelle dankbar gedenken muß. Er hat darin immer wieder auf den Unterschied von Personalismus und Institutionalismus in der Rechtsgeschichte hingewiesen. ! Darüber sehr eindrucksvoll E. K a u f m a n n , Die Gleichheit vor dem Gesetz. • Mit Redit hat H. M i t t e i s es als Aufgabe der wissenschaftlichen Forschung auf dem Gebiet der Reditsgeschidite bezeichnet, gerade dieses Moment herauszuarbeiten. Vgl. Das Naturrecht, p. 42.
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SECHSTES KAPITEL DAS NATURRECHT UND DIE GRUNDSÄTZE DER GERECHTIGKEIT I. Die Rechtsidee ist das sittliche Ziel, dessen Verwirklichung jede Rechtsordnung dienen soll. Die Vorstellung von einem Naturrecht geht über die der Rechtsidee hinaus. Das Naturrecht soll nicht nur ein bestimmter sittlicher Inhalt sein, der in der Sozialordnung verwirklicht werden soll, sondern der Umriß einer Rechtsordnung, welche den sittlichen Forderungen der Rechtsidee genügt. Gegenüber der Rechtsidee — als reinem sittlichem Gehalt — soll das Naturrecht ein System von Rechtssätzen bestimmten Inhaltes sein, in denen die Rechtsidee Gestalt gewinnt und dadurch anwendbar wird. Den allgemeinen Inhalt der sittlichen Werte, welche die Rechtsidee in sich begreift, wandelt das Naturrecht in eine Reihe bestimmter Rechtssätze um, welche, im sozialen Leben verwendbar, Gesetzgebung und Judikatur als Vorbild dienen können. Im Naturrecht wird die Rechtsidee praktikabel; sie wird in Grundsätze umgeformt, die in Gesetzen und Urteilen Verwendung finden können. Achte die sittliche Würde des Mitmenschen 1 Das ist eine ethische Forderung. Alle Gewalt, die Menschen über Menschen gegeben wird, muß inhaltlich begrenzt und kontrollierbar sein; das ist ein Satz des Naturrechts. Das Naturrecht tritt damit aus dem Bereich der reinen Ethik heraus. Es gibt keine Maximen des persönlichen Verhaltens, sondern Grundsätze der sozialen Ordnung. Es ist, wie Kant gelehrt hat, eine „Gesetzgebung der äußeren Freiheit". Es geht im Naturrecht nicht um das sittliche Verhalten des einzelnen, sondern um den rechten Aufbau der Ordnung in den menschlichen Gemeinwesen. Das Naturredit hat seinen Standort, bildlich gesprochen, sozusagen zwischen der Rechtsidee und dem positiven Recht; es führt von jener zu diesem hinüber. Obwohl es in dieser Weise über die Rechtsidee hinausgeht, nimmt die Naturrechtslehre für das natürliche Recht die gleiche Zeitüberlegenheit in Anspruch, wie sie der Rechtsidee zukommt. Die Grundsätze, die es enthält, sollen immer und überall maßgebend sein, wo man überhaupt daran geht, Recht zu setzen und Recht zu sprechen. An
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Sechstes Kapitel
keine bestimmte Epoche gebunden, soll es das ewige, gültige Urbild der rechtlichen Ordnung sein, Vorbild aller positiven Satzung und positive Satzung ersetzend, wo sie fehlt, ergänzend, wo sie lückenhaft ist; eine Ordnung, die immer da ist, und auf die der Mensdi stets zurückgreifen kann, wo die positive Ordnung versagt. — Die Lehre vom Naturrecht hat eine lange und ehrwürdige Tradition. Aber ebenso steht es mit der Skepsis, die es verworfen hat 1 . Für die Erörterung des Naturrechtsproblems wird es gut sein, zunächst die früheren Ansatzpunkte der Naturrechtslehre, dann die Argumentation ihrer Gegner zu betrachten, ehe eine eigene Stellungnahme versucht wird2. Die beiden Ansatzpunkte des Naturrechtsdenkens haben wir bereits im vorigen Kapitel berührt. Es sind die sittlichen Inhalte der Rechtsidee und die Natur der Sache. Aus der Idee der Gerechtigkeit werden gewisse allgemeine, aber bestimmte Grundsätze des Verhaltens abgeleitet: neminem laedere, suum cuique tribuere u. ä. Aus der Natur der Sache gewinnt man speziellere Normen über Erwerb und Verlust des Eigentums, über die Pflichten der Eltern gegen die Kinder usw. Beide Ansatzpunkte sind schon in der antiken Naturrechtslehre gegeben; sie finden in gewisser Weise ihre systematische Vereinigung in den Lehren des Thomas von Aquino, der die Natur der Sache als von Gott den Dingen gegebene wesenhafte Ordnung und die Verwirklichung des Guten und Gerechten als die wesenhafte Aufgabe des vernunftbegabten Menschen begreift. In seiner Lehre sind also beide Ansatzpunkte in der übergreifenden Weltordnung Gottes verbunden. Den zweiten Ansatzpunkt hat dann das rationale Naturredit der Aufklärung zur Grundlage gemacht und den ersten Gesichtspunkt in ihm aufgehen lassen. Es geht von der Natur des Menschen als eines vernünftigen Wesens aus, das in der Gesellschaft lebt, und leitet aus dieser Einsicht ein vollständiges System der sozialen Ordnung ab. Grotius definiert von hier aus auch die Gerechtigkeit. „Ius sit quod iniustum non est. Est autem iniustum quod naturae societatis ratione 1 Vgl. dazu die eindrucksvollen Ausführungen bei K e l s e n , Die philosophischen Grundlagen der Naturrechtslehre und des Rechtspositivismus, Berlin 1928, § 28/29. 1 Es kann nicht Aufgabe dieser Darstellung sein, eine Geschichte des naturrechtlichen Denkens zu geben. Vgl. dazu als einführende Darstellung die brillant geschriebene Schrift von R o m m e n , Die ewige Wiederkehr des Naturrechts, 2. Aufl. 194ö.
I. Die Möglichkeit und das Wesen des Naturrechts 1
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utentium repugnat ." Das Maß der Gerechtigkeit ist also der vernünftige Mensch in der Gesellschaft. Dementsprechend ist das Naturrecht: „Dictatum rectae rationis, indicans actui alicui, e x e i u s c o n v e n i e n t i a aut discο η ν e η i e η t i a cum ipsa n a t u r a r a t i o n a l i a c s o c i a l i , inesse moralem turpitudinem aut necessitatem moralem ac ab auctore naturae talem actum aut vetari aut praecipi2." Grotius übernimmt zwar von seinen antiken Vorbildern, von Cicero und Aristoteles auch den ethischen Ansatzpunkt des Naturrechts aus dem Wesen des Gerechten — er erörtert die ganze Gerechtigkeitslehre des Aristoteles; aber die Grundsätze der Gerechtigkeit fließen bei ihm nicht aus einem a priori gegebenen ethischen Inhalt, sondern aus der Natur des Menschen als vernünftig-geselligen Wesens. Noch stärker tritt der Gesichtspunkt der Natur der Sache begreiflicherweise da hervor, wo er seine besonderen Regeln über Eigentum, Verträge usw. entwickelt. Was er hier zu geben versucht, ist schlechthin ein Schuldrecht bzw. Sachenrecht aus der „Natur der Sache". Nur von diesem Gesichtspunkt aus ist ja ein derartig ins einzelne gehendes System des natürlichen Rechts überhaupt denkbar. — Auf diesem Wege ist dann die Aufklärung fortgeschritten. Charakteristisch ist Christian W o l f f ; er definiert: „Vocatur . . . naturalis (lex) quae rationem sufficientem i n i p s a h o m i n i s r e r u m q u e e s s e n t i a habet 3 ." Dabei herrscht, je länger je mehr, dem ungeheuren Kulturoptimismus der Zeit entsprechend, eine sehr optimistische Auffassung von der Natur des Menschen vor. Wolff folgert aus ihr als oberstes Gesetz die Verpflichtung zur Förderung der menschlichen Vervollkommnung 4 . Das Charakteristische dieser Lehre ist, daß der Gesichtspunkt der sittlichen Verpflichtung des Menschen immer mehr zurücktritt; was frühere Zeiten als auferlegte ethische Regeln empfunden hatten, nimmt mehr und mehr den Charakter vernünftiger, zweckgebundener Maximen des nach Fortschritt strebenden Menschen an. Dieser Lehre mußte K a n t aus seiner Erkenntnis der Unableitbarkeit und Unabhängigkeit des Sittlichen entgegentreten. Empirische Einsichten über den Menschen als ein vernünftig und zweckmäßig 1
De Jure belli ac pacis I, 1 § 4, 1. » Op. d t . I, 1 § 10, 1. ' Institutiones Juris Naturae et Gentium, Halle 1750, § 39. 1 Op. cit., § 43.
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Sechstes Kapitel
handelndes Wesen konnten für ihn niemals die Grundlage für ewige Rechtsgrundsätze sein, die nur aus dem Sittengesetz selber abgeleitet werden können. Dadurch ist er in Deutschland zum Zerstörer des spekulativen Naturrechts der Aufklärung geworden1. Aber er hat zugleich ein neues Naturrecht begründet, das wiederum auf den Anforderungen der Sittlichkeit beruhte. Die Grundlage seines Systems ist der Gedanke der s i t t l i c h e n F r e i h e i t . Wie im sittlichen Handeln die innere Freiheit des Menschen zum Ausdruck kommt, so im Recht die ihr entsprechende Freiheit der äußeren Lebensgestaltung. „Das Recht ist der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit (d. h., so daß alle frei sein können) zusammen vereinigt werden kann 2 ." Hieraus entwickelte er ein System notwendiger Grundsätze des Rechts. Der gleiche Gedanke von der Freiheit des Menschen ist der Ausgangspunkt der Lehre von den natürlichen Menschenrechten, die vor allem in England entwickelt worden ist. Zugrunde liegt hier ursprünglich die religiöse Idee von der Freiheit des Gewissens und der Unmittelbarkeit des Menschen zu Gott 8 . Ihre Gestalt als politische Doktrin hat sie in erster Linie von John Locke bekommen 4 . Danach haben die Menschen von Natur her drei Grundrechte: Freiheit, Gleidiheit und Eigentum aus Arbeit 5 . Ihren klassischen Ausdruck fanden sie in der Virginia Bill of Rights von 1776 und der Declaration des Droits de l'homme et du citoyen der Französischen Revolution. Es sind also drei Gedanken, die vor allem als Grundlage des Naturrechts hervortreten: die Idee der Gerechtigkeit, die Idee der sittlichen Freiheit und die Vorstellung gewisser Gesetzmäßigkeiten in der Natur des Menschen und in den sozialen Vorgängen selbst, die z. T. aus der Schöpfungsordnung begriffen werden. Von diesen Gesichtspunkten her sind die Systeme des natürlichen Rechts entwickelt worden. Den naturrechtlichen Lehren ist der juristische Positivismus mit einer Reihe von Argumenten entgegengetreten. Sein Ausgangspunkt 1 Vgl. dazu Erich K a u f m a n n , Kritik der neuk an tischen Rechtsphilosophie, p. 90. ' Einleitung zu „Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre", p. XXXIII der Königsberger Ausgabe von 1797. * Dazu Georg Jellinek, Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, insbesondere p. 35 ff. * Vgl. On civil government, Book II. « Op. cit. Nr. 4, Nr. 24 ff.
I. Die Möglichkeit und das Wesen des Naturredits
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ist — wie bei allem Positivismus — die Überzeugung, daß das, was uns empirisch nachweisbar gegeben ist, das einzig Reale darstellt. In Anwendung auf das Gebiet des Rechtlichen bedeutet das, daß nur in ihrem geschichtlichen Ursprung nachweisbare Gesetze, Rechtsbräuche und Gerichtsentscheidungen als Quelle des Rechts in Betracht kommen. Die Argumente des Positivismus gegen das Naturrecht sind abschließend in der berühmten Schrift von Karl Bergbohm „Jurisprudenz und Rechtsphilosophie" (1892) zusammengestellt worden. Wir können sie als Leitfaden benutzen, um so mehr als diese Schrift auch geschichtlich eine Art Schlußstrich unter das wissenschaftliche Naturrecht gewesen ist2. Bergbohm erkennt allein das positive Recht als Recht an. Damit eine soziale Regel positives Recht sei, ist — außer dem „wesentlichen normativen Inhalt" — erforderlich, „daß sie d i e . . . R e c h t s f o r m erworben habe, was nur auf die Weise geschehen konnte, daß ihr eine kompetente rechtsbildende Macht durch einen geeigneten, ä u ß e r l i c h e r k e n n b a r e n V o r g a n g , der als solcher der G e s c h i c h t e angehört und die formelle Rechtsquelle der betreffenden Norm bildet, die Rechtsqualität verlieh3". Bergbohm nennt dies das „geschichtliche Prinzip". Das entscheidende Kriterium des Rechts ist also, daß die Qualität als Rechtssatz durch eine äußere Autorität in einem geschichtlich erkennbaren Vorgang festgelegt ist. Nur die positive Tatsache des historisch nachweisbaren Vorganges soll gelten. Gegen die Möglichkeit eines Naturrechts erhebt Bergbohm im wesentlichen drei Einwendungen. 1. Es gibt keine überzeitlichen ethischen Grundsätze, sondern nur gesellschaftlich bedingte und historisch gewordene Urteile und persönliche, subjektive Meinungen über sittliche Fragen (Argument des ethischen Relativismus4). 2. Alles Recht ist situationsgebunden. Es gilt immer nur für eine bestimmte geschichtliche Lage und löst einmalige, historisch gewordene Konflikte. Die sozialen Zustände, auf die es sich richtet, wechseln 1 Vgl. dazu K u n z e , Logik, Handb. d. Philosophie, hersg. y. Bäumler, u. a. I, p. 9. * Aus der gegenwärtigen Diskussion vgl. R. B e y e r , Rechtsphilos. Besinnung. B. erhebt yor allem wegen der rechtspolitisdien Gefahren Hinwendungen. • Op. cit. p. 549. ' Vgl. yor allem p. 425 u. 175 sowie 455 B.
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Sechstes Kapitel
ständig und von Land zu Land. Daher kann es kein ewiges, universell und absolut geltendes Recht geben. (Argument der Situationsgebundenheit des Rechts1)· 3. Naturrecht und Recht können nidit nebeneinander gelten. (Argument der Einheit des Rechts.) Dieses Argument schließt mehrere Thesen ein. Das positive Recht ist l ü c k e n l o s und vollständig; wo die Gesetze Lücken haben, ergänzt der Richter sie mit Hilfe des Analogieschlusses2. Daher kann das Naturrecht nicht ergänzend n e b e n dem positiven Recht gelten. Das positive Recht gilt in jedem Falle, auch wenn es seinem Inhalt nach schlecht ist. Daher kommt das Naturrecht auch als M a ß s t a b des positiven Rechts nicht in Betracht3. Das positive Recht hat seine eigenen Geltungsgrundlagen; es gilt, weil es Redit ist. Das Naturrecht kommt daher auch als G r u n d l a g e des positiven Rechts nicht in Betracht. Die Ethik ist keine Rechtsquelle4. Andererseits müßte das Naturredit, um Recht zu sein, selbst eine umfassende Ordnung sein, da jedes Recht vollständig sein muß5. Ergebnis: Das Naturrecht ist unnütz, soweit es mit dem positiven Recht übereinstimmt; soweit es ihm widerspricht, kein Redit. Als vollständige Rechtssysteme können beide nicht nebeneinander bestehen®. — Mit diesen Argumenten muß sich jeder Versuch, das Naturrecht zu begründen, auseinandersetzen7. Von ihnen ausgehend muß er sich die Frage vorlegen, ob und wie ein Naturrecht denkbar ist und welchen 1 P. 410/11 u. ff., 416. — Neuerdings stark betont von E n g e , Vgl. Vorschule der Rechtsphilosophie, 1925, Anhang V, insbesondere p. 110, 112/13, 99. * P. 373, 381 ff., 384. ' Vgl. p. 398. ' Vgl. p. 400, 444. « Vgl. p. 393. • Vgl. p. 403. — Den letzten Gedanken betont auch Kelsen in seinem oben erwähnten Vortrag über die philosophischen Grundlagen der Naturrechtslehre usw. § 13. ' Es wird heute neben diesen Argumenten auch oft darauf hingewiesen, daß es gar kein Naturrecht geben könne, da alles Redit menschliche Schöpfung, also K u l t u r r e c h t sei. Das ist an und für sich richtig, betrifft aber mehr die Bezeichnung als die Sache. Dazu M i t t e l s , Über das Naturrecht, p. 6. Denn es entsteht dann sofort die Frage, ob der Mensch das Recht frei ( = beliebig) schaffen kann, oder ob er dabei an gewisse sittliche und sachliche Einsichten gebunden ist. Das aber ist die These des Naturrechts; leugnet man diese Bindung, so kommt man letzten Endes wieder auf die These und die Argumente des Positivismus zurüdc.
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Inhalt es haben könnte. Ich werde daher die Gegengründe im einzelnen untersuchen. Mit dem Problem des ethischen Relativismus haben wir uns bereits auseinandergesetzt. Unser Ergebnis war, daß die Rechtsidee teilweise erkennbar ist, daß es gewisse elementare ethische Werte gibt, deren Inhalt eindeutig feststellbar ist und deren Forderungen überindividuelle Geltung besitzen. Sie machen den erkennbaren Teil der Rechtsidee aus. In anderer Beziehung dagegen fehlt unserer Einsicht ein fester Maßstab. Für die Frage des Naturredits folgt daraus, daß Naturrecht — was die ethischen Grundlagen angeht — zwar denkbar wäre; allerdings könnte es wegen der Lückenhaftigkeit unserer Einsidit nur als T e i l s y s t e m , n i c h t a l s g e s c h l o s s e n e O r d n u n g , entwickelt werden. Was die Situationsgebundenheit des Rechts angeht, so ist der Ausgangspunkt dieses Arguments unbestreitbar. Wir haben uns damit bereits auseinandergesetzt1. Nicht nur das Recht, auch die sittlichen Werte sind in einem gewissen Sinn an die jeweilige Situation gebunden. Die ethischen Wertungen sollen uns ja im Leben leiten. Unser Leben aber vollzieht sich in einer unaufhörlichen Folge wechselnder Situationen; und hierfür geben sie uns die Richtung des Handelns an. Das Gewissen reagiert auf die bestimmte konkrete Situation. Spranger hat mit Recht gerade dies als das große Wunder des Gewissens bezeichnet. Wir können auch den Inhalt ethischer Werte nur dadurch ausdrücken, daß wir schildern, was sie uns in bestimmten Situationen zu tun anbefehlen. Bei der Erörterung der Gerechtigkeit oder der Treue sind es regelmäßig Bilder von bestimmten Situationen, die sich einstellen und an denen die Bedeutung dieser Werte dargetan wird. An dieser Tatsache scheint die Möglichkeit eines Naturrechts als einer zeitüberlegenen Ordnung wirklich zu scheitern. Wie sollen gegenüber den wechselnden, in ihrer Art einmaligen geschichtlichen Situation Rechtssätze von allgemeiner Bedeutung denkbar sein? Macht man mit dem Gedanken ernst, daß jede geschichtliche Situation einmalig und einzigartig ist, so muß man den Gedanken eines Naturrechts ablehnen. Die Richtigkeit des Verhaltens der Menschen in diesen Situationen ließe sich dann nur an einer Norm messen, 1
Oben p. 110.
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die eigens für diese Situation aufgestellt ist. Das wäre dann aber kein Naturrecht, sondern eine Art moralischer Plan der Weltgeschichte1. Einen Ausweg aus dieser Sdiwierigkeit hat man mit den Lehren vom „hypothetischen" und vom „relativen" Naturrecht versucht. Der Gedanke des relativen Naturrechts ist vor allem in der christlichen Naturrechtslehre ausgebildet worden. Ausgangspunkt ist der Gedanke, daß die reinen ethischen Grundsätze in der Welt nach dem Sündenfall nicht vollständig durchgesetzt werden können. Sie bedürfen daher mit Rücksicht auf die sündige menschliche Natur gewisser Modifikationen. Vorbild ist dabei Christi Ausspruch über die Zulassung der Scheidung: „Mose hat Euch erlaubt zu scheiden wegen Eures Herzens Härtigkeit, von Anbeginn aber ist's nicht also gewesen" (Matth. 19. 8). Dieses modifizierte, auf die Welt zugeschnittene Naturrecht ist das relative Naturredit 2 . Die Lehre vom hypothetischen Naturrecht ist wesentlich eingeschränkter. Sie bezeichnet als absolutes Naturrecht die Sätze, die sich aus dem bloßen Dasein des Menschen ergeben, als relativ diejenigen, die weitere Handlungen voraussetzen, z. B. die Regeln über Eigentum, Verträge usw.3 Beide Lehren stellen eine gewisse Annäherung zwischen dem allgemeinen Naturrecht und konkreten historischen Situationen her; sie lösen aber unser Problem nicht, da sie zunächst ein allgemeines Naturrecht voraussetzen. Ein anderer Lösungsversuch ist die Lehre vom „Naturrecht mit wechselndem Inhalt", welche Stammler aufgestellt hat. Stammler versteht darunter „solche Rechtssätze, die unter empirisch bedingten Verhältnissen ein theorethisch richtiges Recht enthalten 4 ". Das wäre also ein konkreter Rechtsinhalt, der für eine bestimmte Situation sachlich zutreffend, also naturrechtlich gültig wäre. Diese Lehre setzt jedoch 1 E n g t , Archiv f. Rechts- u. Wirtschaftsphilosophie XVII (1923/24), p. 558: „Die Frage nach der Richtigkeit eines Gesetzes . . . ist stets nur eine Frage nach der Richtigkeit eines bestimmten Stückes Wirklichkeit. Erst wenn wir die g e s o l l t e G e s c h i c h t s e n t w i c k l u n g kennen, vermögen wir anzugeben, wie ein konkretes Verhalten innerhalb einer konkreten historischen Situation beschaffen sein soll, . . . " (Sperrung von mir). ' Vgl. dazu Troeltsdi, Histor. Zeitschr. 106, p. 249 ff. Die christliche Lehre konnte hier an Gedankengänge der Stoiker anknüpfen. ' Vgl. etwa Η ö ρ f η e r , Naturredit, 3. Aufl. Gießen 1785, § 35. Ähnlich kehrt die Lehre bei fast allen gleichzeitigen Autoren wieder. — Vgl. dazu auch X h i e m e, Die Zeit des späten Naturrechts. Zeitschr. d. Savigny-Stiftg., Germ. Abt. Bd. 56, 232ff. 1 Wirtschaft und Recht, 2. Aufl. p. 181.
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voraus, daß es formale (nicht inhaltliche) Kriterien gibt, wonach man feststellen kann, ob ein konkretes Recht „theoretisch richtig" ist. Stammler hat das behauptet; aber die von ihm angegebenen Kriterien sind in Wahrheit nicht rein formal 1 . Andernfalls käme man auf den Gedanken eines moralischen Planes der Weltgeschichte zurück. Schließlich könnte man geschiehtsphilosophisch sagen, daß es für jede geschichtliche Epodie ein bestimmtes, für sie gültiges Naturrecht gibt, etwa für das europäische Mittelalter, die Neuzeit usw. Das bedeutete dann eine Gleichsetzung des relativen Naturrechts mit den jeweils führenden Kulturgedanken 2 , der „Idee der Kultur in ihrer jeweiligen historischen Ausprägung 3 " 1 Aber diese Vorstellung ist problematisch. Abgesehen von der geschichtswissenschaftlichen Unsicherheit der Abgrenzung geschichtlicher Epochen würde eine solche Auffassung zu einer so starken Relativierung der Naturrechtsidee führen 4 , daß sie kaum noch einen faßbaren allgemeinen Inhalt hätte. Sie würde auch keine Richtlinien des Handelns mehr geben können; denn wer entscheidet, ob nicht mit neuen Zielsetzungen eben eine neue welthistorische Epoche heraufzieht? Bekanntlich hat sich auch der Nationalsozialismus auf eine Art Naturrecht in diesem Sinne berufen 5 . Letzten Endes entscheidet dann der geschichtliche Erfolg über den Charakter als Naturrecht. Als Ausdruck eines einheitlichen Naturrechts könnten diese führenden Kulturgedanken nur dem erscheinen, der, wie Hegel, in der Weltgeschichte eine planmäßige (dem menschlichen Geist nachvollziehbare) Entfaltung einer Idee nach ihren verschiedenen inhaltlichen Momenten sieht®. Solche Geschichtsauffassung bleibt aber eine Hypothese 7 . Außerdem würde auch diese Auffassung des Naturrechts der Tatsache der Einmaligkeit der geschichtlichen Situation nicht voll gerecht werden, da sie e i n Naturrecht für ganze Epochen annimmt. Die Lösung liegt vielmehr darin, daß die Situationen des mensch1
Vgl. Anhang III. * So Kosdiadcer, Europa u. das römische Recht, p. 345 ff. * S c h ö n f e l d , Rechtsperson u. Reditsgut, p. 202. 1 Kosdiadcer lehnt denn auch ausdrücklich ein allgemeingültiges Naturredit ab, Ebenda p. 345. * Dazu R i e z l e r , Festgabe für Wenger I, 31. ' So also, daß in jeder gesdiiditlidien Epodie ein Teilinhalt dieser Idee sidi darstellte. — So audi Schönfeld. 7 Vgl. dazu Veit, Die Flucht vor der Freiheit, p. 43 ff. H e i m s o e t h , Geschichtsphilosophie, p. 9, 21/22.
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liehen Daseins trotz ihrer unleugbaren Einmaligkeit im einzelnen typische und wiederkehrende Elemente aufweisen. Man kann in ihnen charakteristische Züge aufzeigen, die immer wiederkehren. Typische Interessen tauchen auf; typische Beziehungen kehren wieder. Darauf beruht ja auch die Möglichkeit des positiven Rechts. Ohne sie wäre ja eine abstrakte, allgemeine Ordnung der sozialen Prozesse gar nicht denkbar; jeder juristische „Tatbestand" geht auf einen typischen, wiederkehrenden Sachverhalt des sozialen Lebens. Kauf, Miete, Ehe sind solche typischen Sachverhalte. Nun könnte ja aber diese durchgehende Typik auf gewisse, in sich zusammenhängende geschichtliche Epochen oder Kulturen beschränkt sein. Aber auch das ist nicht der Fall. Es gibt eine übergreifende Typik, die auch über diese Grenze hinweggeht. Eudcen hat das an einem Spezialproblem in seinen grundlegenden Untersuchungen über das Verhältnis von Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte aufgedeckt. Er zeigt, daß wir auch historische Wirtschaftsordnungen nur verstehen können, wenn wir sie mit Hilfe der typischen Ordnungsmodelle, wie sie die Theorie entwickelt hat, analysieren. Diese „Modelle" beruhen aber auf der Beobachtung, daß es eine gewisse Anzahl von typischen Grundformen der Wirtschaftsordnung gibt, welche in der Wirtschaftsgeschichte in den verschiedenen Zeiten und Ländern immer wiederkehren 1 . Die gleiche Erfahrung zeigen politische Wissenschaft und Soziologie. Sie wären ohne jene Typik als Wissenschaft gar nicht denkbar. W i r müssen also davon ausgehen, daß es typische soziale Situationen und Beziehungen gibt, die auch jenseits der Grenzen einer bestimmten Epoche oder Kultur wiederkehren. Diese Erscheinung beruht letzten Endes darauf, daß es gewisse Grundstrukturen in der Natur des Menschen und ebenso gewisse konstante Faktoren in der Umwelt des Menschen gibt. Damit besteht aber auch die Möglichkeit, die Anforderungen, die sich aus der Rechtsidee ergeben, im Hinblick auf solche typischen Situationen in Grundsätzen festzuhalten. Insoweit steht also die Situationsgebundenheit des Rechts der Möglichkeit naturrechtlicher Prinzipien nicht entgegen. Die Tatsache, daß wir die Anforderungen ethischer Werte immer nur in bezug auf Situationen begreifen können, erweist sich jetzt sogar der Ableitung von Rechtsgrundsätzen günstig. Denn sie ergibt die Möglichkeit, aus einem ethischen Wert 1
Vgl. Die Grundlagen der Nationalökonomie, insbes. p. 86.
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ein bestimmtes Verhalten als sittlich gefordert abzuleiten, und umgekehrt, ein entgegengesetztes Verhalten als sittlich verboten zu bezeichnen. Gerade diese letztere Tatsache ist für das Recht von Bedeutung. Jedem Wert entspricht ein Unwert, der Gerechtigkeit die Willkür, der Treue die Untreue usw. Audi diese Unwerte werden durch ein bestimmtes Verhalten erfüllt. Damit ergibt sich die Möglichkeit, nicht nur positive Sätze aufzustellen, die ein bestimmtes Verhalten gebieten, sondern audi Verbotssätze, welche ein bestimmtes Verhalten, also in jedem Falle der Rechtsidee widersprechend, ausschließen. Für die Rechtsbildung ist dies von großer Bedeutung; man denke nur an die Dolus-Sätze oder die Verbote des Dekalogs. Aber wenn die Typik der Situationen das Naturrecht auch nicht unmöglich macht, so bedeutet sie doch eine Begrenzung. Was sich als konstant erweist und woran Naturrechtssätze als „Tatbestand" anknüpfen können, das sind ja nur sehr allgemeine Formen der sozialen Situation. Es sind etwa die Situation der Gleichordnung von einander unabhängigen Menschen, die Situation der einseitigen Unterordnung unter die Macht eines anderen und die der Gemeinschaft. Es sind die inneren Gesetzmäßigkeiten einer bestimmten Form der menschlichen Betätigung, etwa der Wissenschaft, in ihrem Verhältnis zum Machtwillen des Staates u. ä. Die konkreten Verhältnisse, in denen diese Situationen auftreten, werden daher sehr verschieden sein. Ein Unterordnungs- und Machtverhältnis besteht zwischen dem Bürger und dem Staat bzw. der Gruppe, aber auch zwischen dem Käufer und dem Monopolisten, der ihm den Preis diktiert, dem Unternehmer und dem einzelnen, nicht organisierten Arbeiter. Diese näheren Umstände können aber in einen Satz, der zeitüberlegene Geltung haben soll, nicht aufgenommen werden. Für die Regelung im konkreten Fall gibt das Naturrecht nur Ausgangspunkte. Daraus ergibt sich, daß es sich bei dem Naturrecht nur um gewisse allgemeine Grundsätze handeln kann, aber nicht um ein geschlossenes, auf jede konkrete Situation ohne weiteres Zwischenglied anwendbares Rechtssystem. Die Schwierigkeit der Abgrenzung im einzelnen bleibt. Damit kommen wir auf das dritte Argument Bergbohms, auf das von der Einheit des Rechts und seines Geltungsgrundes. Es läuft im Grunde auf die Behauptung hinaus, nur das positive Redit sei eben Recht und ist in gewissem Sinne eine Petitio Principii. 11 Coing, Rechtsphilosophie
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Bergbohm meint zunächst, das Naturrecht könne nur dann Recht sein, wenn es das positive Recht ersetzen könne. Bloße Rechtsprinzipien seien kein Recht. Aber es gibt in jeder Rechtsordnung gewisse oberste Grundsätze ethischen und konstruktiven Gehaltes. D a z u gehören die Grundsätze, welche die Verfassungen über die Gestaltung des sozialen Lebens aufstellen, dazu gehören die „königlichen Paragraphen" des Privatrechts, von denen Hedemann gesprochen hat, etwa § 242 B G B oder Art. 1382 Code civil; dazu gehören endlich konstruktive Prinzipien, wie die Unterscheidung absoluter und relativer Rechte. Viele dieser Prinzipien leiden keine unmittelbare Anwendung. Sind sie deshalb kein Recht? Sie sind ja gerade die entscheidenden Sätze des Rechts. Hier liegt ein offenbarer Trugschluß vor. D a s Naturrecht kann Recht sein, auch wenn es nur aus Prinzipien besteht; was es allerdings nicht sein kann, ist: ein v o l l s t ä n d i g e s Rechtssystem; aber das ist auch von den meisten Naturrechtslehrern niemals behauptet worden. W a s die Unmöglichkeit des Nebeneinandergeltens von Naturrecht und positivem Recht angeht, so unterliegt Bergbohm hier den Gefahren des räumlichen Denkens und der Illusion der Vollständigkeit der Kodifikationen. D a s räumliche Denken verführt ihn dazu, positives und natürliches Recht als zwei Körper zu denken, die einander räumlich ausschließen. Aber solche räumlichen Vorstellungen sind idealen Gebilden gegenüber unangemessen 1 . In lebendigen geistigen Prozessen, wie es die Rechtsanwendung ist, ist es durchaus denkbar, daß verschiedene geistige Prinzipien in ihrer Wirksamkeit ineinander verwoben sind. So könnte es nun in der Tat im Verhältnis von positivem Recht und Naturrecht stehen. Zunächst enthält — wenn man einmal ein Naturrecht im Sinne der früheren Lehren unterstellt — jedes geschichtliche Recht in sich selbst viel positiviertes Naturredit. Sodann ist die Lückenlosigkeit des gesetzten positiven Rechtes inzwischen längst als Illusion erkannt. D a s Gesetz hat viele Lücken, d. h. es gibt viele Sachverhalte, die es nicht deckt. Diese Lücken können auch nicht immer aus anderen formellen Rechtsquellen, etwa dem problematischen Gewohnheitsrecht, geschlossen werden. Hier bleibt also ein Anwendungsbereich für das Naturrecht, für die allgemeinen Prinzipien des Rechts. Ja, wenn wir den Begriff der sog. „unechten Lücken" untersuchen, den Zitelmann aufgestellt hat und den ein Positivist wie Heck übernommen 1
Vgl. dazu u. a. Litt, Individuum und Gemeinschaft, p. 14/15.
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hat 1 , wonach eine Lücke audi dann gegeben ist, wenn eine Lösung aus dem Gesetz zwar zu ermitteln ist, diese aber einem schutzbedürftigen Sachverhalt nicht gerecht wird, so sehen wir, wie über die Theorie von der Behandlung der Lücken im Recht sogar eine Art naturrechtlicher Rechtsbesserung eindringt. Es ergibt sich dann die Möglichkeit, daß das positive Recht überhaupt nur aus naturrechtlichen Grundsätzen und in ständiger Ergänzung durch sie lebendig ist, so daß man mit Mitteis sagen könnte, das Naturrecht ist das eigentlich geltende Recht2. Man muß sich dazu klarmachen, daß materielle Quellen des positiven Rechts, denen sein Inhalt entnommen ist, in breitem Umfang die — vorgegebene — Natur der Sache und — ebenso vorgegebene — allgemeine, in der Ethik verwurzelte Rechtsgrundsätze sind, und daß aus der gleichen Quelle die Rechtsprechung gespeist wird, wenn sie das Recht lebendig fortentwickelt. Man kann dann durchaus sagen, daß das positive Recht aus dem vorpositiven Naturrecht lebt und ständig ergänzt wird3. Wenn Bergbohm schließlich die Möglichkeit und Notwendigkeit des Naturrechts als Maßstab und Grundlage des positiven Rechts bestreitet, so ist demgegenüber zunächst zu sagen, daß — selbst die durchgehende Geltung des positiven Rechts ohne Rücksicht auf seinen Inhalt vorausgesetzt — es trotzdem möglich wäre, daß ein ethisch und sachlich fundierter Maßstab existierte, an dem dieses positive Recht gemessen würde. Der Wert eines solchen Maßstabes wäre für einen sittlich gebundenen Menschen nicht zu bestreiten, selbst wenn das daraus gefolgerte Urteil über das Recht für dessen Geltung gleichgültig wäre. Er würde dann immer noch einen Maßstab für die persönliche Entscheidung und für die rechtspolitische Beurteilung abgeben. Es ist aber darüber hinaus nicht richtig, daß die naturrechtliche Beurteilung für die Rechtsgeltung schlechthin gleichgültig wäre. Man kann freilich von Rechtsgeltung in verschiedenem Sinne sprechen, wie später noch zu erörtern sein wird. Meint man damit nur, daß eine Norm formell als positives Recht in Kraft gesetzt ist (und das tut Vgl. Archiv f. d. ziv. Praxis. Bd. 112, p. 162. ' Über das N a t u n e A t , p . 38. ' Sachlich im gleichen Sinne: Becker, Arch. f. d. ziv. Praxis, 100, 129. Bs ist nur ein anderer Ausdruck für dieselbe Sache, wenn man mit Stammler das positive Recht als einen „Versuch zum Richtigen" bezeichnet; Richtiges Recht, 1902, p. 31. 1
11*
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Bergbohm), dann ist das naturrechtliche Urteil darüber freilich gleichgültig — denn dann läuft die Frage darauf hinaus: was ist positives Recht, und darüber kann ex definitione das Naturrecht keine Auskunft geben. Meint man damit aber die faktische Geltung für den Richter und die Gemeinschaft, so bekommt die Sache schon ein anderes Gesicht. Die rein empirisch geführte, also auch im Sinne Bergbohms unverdächtige Untersuchung von Franz Klein über die Gründe des Rechtsgehorsams kommt zu dem Ergebnis, daß es im wesentlichen das Gewissen ist, auf dem der Rechtsgehorsam und damit die praktische Rechtsgeltung beruht 1 . Auch wenn man in Rechnung stellt, daß das Gewissen des einzelnen von den Auffassungen seiner Zeit und seiner Gesellschaftsklasse vorgeformt ist, kann es also für die praktische Geltung eines Rechtssatzes nicht vollkommen gleichgültig sein, ob er in Einklang oder im Widerspruch mit einem sittlich fundierten Rechtsprinzip steht 2 . Es ist in diesem Zusammenhang wichtig hervorzuheben, daß der Positivismus selbst das Problem der Rechtsgeltung aus dem positiven Recht allein nicht lösen kann. Er scheitert an dem Problem, wer denn den Gesetzgeber (bzw. Verfassungsgesetzgeber) zur „kompetenten xechtsbildenden Macht" im Sinne der Rechtsdefinition Bergbohms gemacht hat. Hier muß auch der Positivist auf etwas Vorrechtliches, auf die „Natur der Sache" in irgendeiner Form zurückgreifen. Kelsen, der scharfsinnigste Vertreter des Positivismus, hat dieses Problem gesehen und deshalb hier die Lehre von der „hypothetischen Grundnorm" des Inhalts, daß man die Anordnungen des faktischen Machthabers als Recht ansehen solle, eingeführt. Aber mit Recht hat Erich Kaufmann in dieser Lehre auch eine „vollständige Kapitulation" gesehen3. Das Recht ist rein immanent, ohne die Grenzen des positiven Rechtes selbst zu überschreiten, nicht zu verstehen. Das nimmt den Argumenten Bergbohms von der Selbstgenügsamkeit des positiven Rechtes viel von ihrer Bedeutung. — Die Auseinandersetzung mit der positivistischen Kritik zeigt also, daß sie die Möglichkeit eines Naturrechts nicht ausschließen kann. Es bleibt die Aufgabe, positiv zu bestimmen, in welchem Sinne nach dem 1 Die psychischen Quellen des Rechtsgehorsams usw., p. 32. » Dazu unten p . 242. * Kritik der neukantis vom 5. Mai 1936. Bearbeitet von Reichsgerichtsrat G. R u s c h e und Amts- und Landrichter Dr. R e n s c h . Oktav. 260 Seiten. 1936. (Stilkes Rechtsbibl. Nr. 154.) Oeb. 8.—
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Vermögensteuergesetz vom 16. Oktober 1934 und Erbschaftssteuergesetz in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Erbschaftssteuergesetzes vom 16. Oktober 1934. Mit systematischer Einführung versehen und erläutert von R. A r e n s . Oktav. VII, 203 Seiten. 1935. (Guttentagsche Sammlung Deutscher Reichsgesetze Nr. 190 b.) 2.80 Vermögensteuergesetz.
Von A. L ü k e .
In Vorbereitung.
Versicherungssteuergesetz. Erläuterungsbuch (unter Berücksichtigung des Versicherungsrechts). Gesetzestext, Durchführungsbestimmungen von Dr. M. W u n s c h e l , ORGRat und R. K o s t b o t h , Amtsrat i. Reichsfinanzministerium. Oktav. XI, 376 Seiten. 1937. (Guttentagsche Sammlung Deutscher Reichsgesetze Nr. 208.) Geb. 9.— Wandergewerbesteuergesetz vom 10. Dezember 1937. Unter besonderer Berücksichtigung der gewerbepolizeilichen Vorschriften und Entscheidungen der Länder Preußen und Bayern, in Ansehung des Landes Bayern gleichzeitig. 3. Aufl. Erläutert von ORRat L. J a c o b . Oktav. 218 Seiten. 1938. (Schweitzers braune Handausgabe.) Geb. 6.— Wechselsteuergesetz vom 2. September 1935 mit Nebenbestimmungen. Zusammengestellt von RegOberinsp. F . F r i c k e . Oktav. 59 Seiten. 1935. (Stilkes Rechtsbibl. Nr. 143.) 1.20 Wechselsteuergesetz vom 2. September 1935 nebst dem Wechselgesetz vom 21. Juni 1933, den Durchführungsbestimmungen zum Wechselsteuergesetz vom 2. September 1935 und den sonstigen Vorschriften, die bei der Anwendung des Wechselsteuergesetzes in Betracht kommen. Für die Praxis erläutert von Dr. B. K e ß l e r , O R G R a t . Oktav. 152 Seiten. 1935. (Guttentagsche Sammlung Deutscher Reichsgesetze Nr. 197.) 3.— Wertzuwachssteuerrecht nach der preußischen Mustersteuerordnung und der Berliner Steuerordnung. Von Dr. E. H a g e l b e r g und Dr. L. K r ä m e r , RAnwälte i. Berlin. Kommentar. Oktav. X X I V , 252 Seiten. 1930. 12.—, geb. 13.50
4. Kirchenrecht Kirchengesetz, Das preußische , betreffend Abänderungen der kirchenpolitischen Gesetze vom 21. Mai 1886. Von Dr. P. H i n s c h i u s , o. Prof. der Rechte a. d. Univers. Berlin. Oktav. XI, 115 Seiten. 1886. 3.— Kirchengesetz, Das preußische , betreffend Abänderungen der kirchenpolitischen Gesetze vom 29. April 1887. Von Dr. P. H i n s c h i u s , o. Prof. der Rechte a. d. Univers. Berlin. Nachtragsheft zu der Ausgabe des preußischen Kirchengesetzes vom 21. Mai 1886. Von Dr. P. H i n s c h i u s , o. Prof. der Rechte a. d. Univers. Berlin. Oktav. VII, 37 Seiten. 1887. -.50 Kirchengesetze, Die preußischen der Jahre 1874 und 1875 nebst dem Reichsgesetze vom 4. Mai 1874. Herausgeg. mit Einleitung und Kommentar. Von Dr. P. H i n s c h i u s , o. Prof. der Rechte a. d. Univers. Berlin. Oktav. X X V I I I , 229 Seiten. 1875. 5.— Kirchengesetze des Jahres 1873, Die preußischen . Herausgeg. mit Einleitung und Kommentar. Von Dr. P. H i n s c h i u s , o. Prof. der Rechte a. d. Univers. Berlin. Oktav. X L V I I I , 212 Seiten. 1873. 5.50
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Kirchenrecht, Das der Katholiken und Protestanten in Deutschland. Von Dr. P. H i n s c h i u s , o. Prof. der Rechte a. d. Univers. Berlin. Oktav. Band I—VI: System des katholischen Kirchenrechts mit besonderer Rücksicht auf Deutschland. Bd. I: 2 Hälften. XIV, 639 Seiten. 1869. 10.— Bd. II: 2 Hälften. X, 714 Seiten. 1878. 10.— Bd. III: VIII, 853 Seiten. 1883. 26.— Bd. IV: Mit alphabetischem Sachregister zu Bd. I—IV. X, 925 Seiten. 1888. 30.— Bd. V : XII, 978 Seiten. 1895. 31.— Bd. V I : 1. Abt. VIII, 425 Seiten. 1897. 14.— Recht und Kirche. Betrachtungen zur Lehre von der Gemeinschaft und der Möglichkeit eines Kirchenrechtes. Von D. Dr. R. S t a m m l e r , Prof. a. d. Univers. Berlin. Oktav. 120 Seiten. 1919. 2.—, geb. 3.— Staat und Kirche in Bayern. System des bayerischen Staatskirchenrechts. Bd. I, Lfg. 1. Von Hz. W. L. D o e r i n g . Or.-Oktav. 187 Seiten. 1928. (Schweitzer.) 5.—
VII* Volkswirtschaftslehre Abnehmender Bodenertrag, Das Gesetz des seit J . von Liebig. Eine dogmengesch. Untersuchung von Dr. J . E ß l e n . Lex.-Oktav. 298 Seiten. 1905. (Schweitzer.) 7.20 Baukredit, Der . Von Dipl. Ing. Dr. Κ. F. S t ö h r . 172 Seiten. 1921. (Schweitzer.)
Qr.-Oktav. 3.20
Deutsches Bankwesen, Das . Von Dr. J. L ö h r. Dir. d. bayer. Handelsbank i. München. Qr.-Oktav. 178 Seiten. 1921. (Schweitzer.) 2.50 Dumping, Das — —. D. P e r l . Gr.-Oktav.
Preisunterbietungen im Welthandel. VIII, 139 Seiten. 1921. (Schweitzer.)
Einführung in die Politik. Von 188 Seiten. 1927. (Schweitzer.) Geldwirtschaft, Die deutsche 1949.
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Prof. Dr. F. van C a l k e r .
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. Von W. K. K u b i e .
Oktav.
140 Seiten. 3.10
Rücktritt vom Kartell. Von Dr. K. S c h r ö t e r , München. Oktav. 117 Seiten. 1927. (Schweitzer.) 4.50 Tauschsozialismus und Freigeld. Eine dogmengesch. krit. Untersuchung zur Freigeldlehre. Von Dr. W. W e g e l i n , St. Gallen. Gr.-Oktav. 126 Seiten. 1921. (Schweitzer.) 3.10 Treuhandwesen in der deutschen Volkswirtschaft, Das . Von Syndikus Dr. O. H i n t n e r , Nürnberg. Lex.-Oktav. 182 Seiten. 1926. (Schweitzer.) 7.20 Wiederaufbau in Theorie und Praxis, Grundlagen und Gedanken über den . Von C. S a ß . In Vorbereitung.
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VIIL En tscheidungs-Sammlungen, Zeitschriften Aufsichtsamt fQr das Versicherungswesen Groß-Berlin. Veröffentlichungen. 1. Jahrgang. Heft 1. 1948. 6.—. 2. Jahrgang. Heft 1. 1949. 3.80. . Heft 2. 1949. 3.60. . Heft 3. 1949. 4.—. Erscheinungsweise:· Nach Bedarf, Preis je nach Umfang. Entscheidungen des Oberprisengerichts in Berlin. Herausgeg. im Auftr. des Reichsjustizministeriums. Oktav. Bd. I : X V I I , 444 Seiten. 1918. 14.—. Bd. I I : X V , 338 Seiten. 1921. 10.— Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone. Herausgeg. von den Mitgliedern des Gerichtshofes und der Staatsanwaltschaft. Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Zivilsachen. Bezugspreis für die Heftausgabe (5 Hefte) pro Band 8.—, für die Bandausgabe pro Band geb. 10.— Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Strafsachen. Bezugspreis für die Heftausgabe (5 Hefte) pro Band 8.—, für die Bandausgabe pro Band geb. 10.— Bisher liegen vor: Zivilsachen. Bd. 1, Heft 1—5; Bd. II, Heft 1—3. Strafsachen. Bd. I, Heft 1—5; Bd. II, Heft 1. Einbanddecken für den cplt. Band 1.20. Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts. Herausgeg. von den Mitgliedern des Gerichtshofes. Oktav. Einzelne, der bisher erschienenen 27 Bände, sind aus Restbeständen noch lieferbar. Auf Wunsch nähere Angaben. Entscheidungen des Reichsgerichts. Herausgeg. von den Mitgliedern des Gerichtshofes und der Reichsanwaltschaft. Oktav. 2 Sammlungen. 1. Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen. Zur Vervollständigung dieser amtlichen Sammlung sind noch Restbestände vorhanden. J e 7.—, geb. 9.—. Für die Registerbände bestehen besondere Preise. 2. Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen. Restbestände noch lieferbar. J e 7.—, geb. 9.—. Für die Registerbände bestehen besondere Preise. Auf Wunsch nähere Angaben. Entscheidungen des Reichsgerichts, die grundlegenden — — und des Reichsmilitärgerichts auf dem Gebiete des Strafrechts. Für das Studium und die Praxis bearbeitet. Von Dr. M. A p t . Oktav. Bd. I : Strafrecht. 3. Aufl. Von Dr. M. A p t und Dr. E. B e l i n g . VII, 376 Seiten. 1903. Bd. II: Das Rheinische Civilrecht. Von Dr. O. F r a n c k e n . X , 193 Seiten. 1893. Bd. I I I : Strafprozeß. Von C. J a c u s i e l . VIII, 235 Seiten. 1893. 3 Bände cplt. 14.—, geb. 17.— Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen. Gekürzte Ausgabe der amtlichen Sammlung. Eine Auswahl der für die jetzigen Rechtsverhältnisse noch wichtigen Entscheidungen aus den Bänden 1—171. Nach Fachgebieten zusammengestellt und mit einem chronologischen Register versehen. Herausgeg. von Prof. Dr. A u e r b a c h , RA i. Berlin; Dr. E y l a u , Präs. d. Patentamtes i. Berlin; G r a f RAnwältin i. Berlin; Dr. K n o l l , Ministerialdir. i. Berlin; K u m m e r o w , RA i. Berlin; R e u ß , RA i. Berlin; Dr. W. S c h m i d t , RA i. Düsseldorf; Dr. S w a r z e n s k i , LGDir. i. Berlin; Dr. V a h l d i e c k , RA i. Berlin. Etwa 30 Bände. Geb. je etwa 10.— bis 12.— Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen. Gekürzte Ausgabe der amtlichen Sammlung. In Vorbereitung.
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Juristische Rundschau. Mit Beiblatt: Mitteilungen aus der Berliner Justiz und Rechtsanwaltschaft. Herausgeg. von Dr. S. L o e w e n t h a l , Chefpräs, des Landger. Berlin, Dr. K. W e r g i n , Präs. der Rechtsanw. Kammer Berlin, R. F r h r . v. G o d i n , RA i. München, Prof. Dr. E. R e i m e r , Präs. d. Deutschen Patentamtes i. München, Dr. E. W o l f f , Präs. des Obersten Ger. Hofes f. d. Brit. Zone i. Köln und Dr. W. S c h m i d t , RA i. Düsseldorf. Ab Juli 1949 2mal monatlich. J e Heft 32 Seiten. Vierteljährl. 9.— Einzelne Hefte der Jahrgänge 1925—1945, cplt. Jahrgänge und einzelne Hefte der ab 1. Juli 1947 wiedererschienenen Zeitschrift, sind aus Restbeständen noch lieferbar. Einbanddecken für die Jahrgänge 1947 und 1948. 1.25 Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Herausgeg. von E. M e z g e r , K. B l o m e y e r , J . H e c k e l , A. H u e c k , E. R i e z l e r , M. S a n N i c o l ö , C h . F r h r . v. S c h w e r i n , Professoren d. Münchener Juristenfakultät. Gr.-Oktav. Ab 1912 neue Folge. Der Band zu je 4 Heften. Bd. 14—18 je 8.— ; Bd. 19 10.—; Bd. 20 16.— ; Bd. 21 24.— ; Bd. 22 32.50; Bd. 23 27.— ; Bd. 24 31.—; Bd. 25 29.—; Bd. 26—32 je 28.—. (Schweitzer.) Rechtsprechung der Oberlandesgerichte auf dem Gebiete des Zivilrechts. Herausgeg. von B. M u g d a n und R. F a l k m a n n . Oktav. 1.—42. Band. (Bd. 35, 36, 38, 40, 42 vergriffen) 1900—1922. J e 4.50, geb. 6.— 43. Band. 1924. 7.50, geb. 9.— 4 4 . - 4 6 . Band. (Bd. 45 nur H. 2—9 vorhanden) 1925—1928. J e 8 — , geb. 9.50 (Fortsetzung s. Rechtsprechung, Höchstrichterliche.) Rechtsprechung, Höchstrichterliche auf dem Gebiete des Strafrechts. Geleitet und herausgeg. von A. F e i s e n b e r g e r . Sonderbeilage der Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. Oktav. 1.—3. Jahrgang. 1925—1927. J e 12.—, geb. 13.50 (Fortsetzung s. Rechtsprechung, Höchstrichterliche.) Rechtsprechung, Höchstrichterliche . Vereinigte Entscheidungs-Sammlung der bisherigen Zeitschriften: Rechtsprechung der Oberlandesgerichte in Zivilsachen, Höchstrichterliche Rechtsprechung in Strafsachen und Die Rechtsprechung, Beilage der Juristischen Rundschau. Herausgeg. von E. F r i e d r i c h s und A. F e i s e n b e r g e r . Von den Jahrgängen 1—18 (1942) sind aus Restbeständen noch cplte. Jahrgänge und einzelne Hefte lieferbar. Ab 1943 verschmolzen mit der Zeitschrift „Das Deutsche R e c h t " . Preisangaben auf Wunsch. Reichsgerichtsentscheidungen in kurzen Auszügen. Oktav. 2 Sammlungen. in Zivilsachen und in Strafsachen. Von beiden Sammlungen sind aus Restbeständen noch cplte. Bände lieferbar. Auf Wunsch nähere Angaben. (Schweitzer.) Veröffentlichungen des Reichsaufsichtsamts für Privatversicherung. s. Abschn. III, 1 (S. 20). Zeitschrift für Ausländisches und Internationales Privatrecht. Herausgeg. in Gemeinschaft mit E. Heymann, H. Titze, M. Wolff, Μ. Pagenstecher, F. Schlegelberger und H. Le\gald von E. R a b e l . (Institut für ausländisches und internationales Privatrecht.) Quart. Aus Restbeständen sind noch einzelne Hefte der Jahrgänge 1—14 einschl. der Sonderhefte lieferbar. Auf Wunsch nähere Angaben. Wiedererschienen mit dem 15. J h r g . 1949. Η. 1. Begründet von E. R a b e l . Herausgeg. vom Kaiser
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Wilhelm-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht. Dir.: H. Dölle. Erscheinungsweise: Vierteljährlich in Heften von 150 bis 170 Seiten. Abonnementspreis pro Heft 12.—, Einzelheftpreis 14.50. Berechnung erfolgt, auch gegenüber Abonnenten, heftweise, im Gemeinschaftsverlag mit J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen. Zeitschrift fDr ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Herausgeg. in Gemeinschaft mit E. Kaufmann, R. Smend, H. Triepel, L. Kaas, F. Glum von V. B r u n s . (Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht.) Quart. Aus Restbeständen sind noch einzelne Hefte der Bände 1—12 lieferbar. Auf Wunsch nähere Angaben. Zeitschrift für Bergrecht. Bis zu seinem Tode herausgeg. von Dr. jur. H. B r a s s e r t . Redigiert und herausgeg. von den rechtskundigen Ministerialräten der Bergabteilung des Preußischen Ministeriums für Handel und Gewerbe. Oktav. Von den Bänden 1—78 sind noch Restbestände lieferbar. Auf Wunsch nähere Angaben. Neuerscheinen wird vorbereitet. Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. Gegründet von Dr. F r . v. L i s z t und A. D o c h o w . Oktav. Von den bisher erschienenen 62 Bänden sind aus Restbeständen noch einzelne Bände cplt. lieferbar. Neuerscheinen wird vorbereitet.
IX« Verschiedenes Justizstaatsdienst, Fünf Aufgaben der Prüfungen für den mittleren — — mit Lösungen aus dem Grundbuch-, Familien-, Erb- und Vollstreckungsrecht. Von Ο ARichter Dr. W. K r i e n e r . Oktav. 91 Seiten. 1933. (Schweitzer.) 2.60 PandektenUbungen, Praktische für Anfänger zum akademischen Gebrauch und zum Selbststudium. Von D. Dr. R. S t a m m l e r , Prof. a. d. Univers. Berlin. Oktav. X, 536 Seiten. 1896. 7.50, geb. 8.60 Rechtsfälle, Kinkels mit Lösungen. Bearb. von Dr. W. E. K i n k e l . Oktav. (Schweitzer.) Bd. 1: Arbeitsrecht. 124 Seiten. 1936. 2.80 Bd. II: Bauernrecht. 85 Seiten. 1938. 2.60 Bd. III: Bürgerliches Recht. 101 Seiten. 1939. 2.80 Texte, Juristische , für Vorlesungen und Übungen. Herausgeg. von F. S c h u l z und Cl. F r h r . v. S c h w e r i n . Oktav. 1. Texte zu Übungen im römischen Privatrecht I. Ausgewählt von F. Schulz. 32 Seiten. 1925. 1.40 2. Quellen zur Geschichte der Eheschließung I. Ausgewählt von Cl. Frhr. v. Schwerin. 1925. 3.20 3. Die Epitome Ulpiani des Codex Vaticanus Reginae 1128. Herausgeg. von F. Schulz. XII, 62 Seiten. 1926. 3.20 4. Quellen zur Geschichte der Eheschließung II. Ausgewählt von Cl. Frhr. v. Schwerin. 60 Seiten. 1930. 3.50 Zivilrechtspraktikum. Zum Selbststudium und zum Lehrgebrauche. Von R. S c h ü c k . 4., verm. Aufl. herausgeg. von G. Schreiber. Oktav. 160 Seiten. 1930. Geb. 6.— Lösungen zu dem von R. Schück herausgegebenen Zivilrechtspraktikum. Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch bearb. für Studierende und Referendare. Von H. v o n d e r M o s e l , RA i. Dresden. 5. Aufl. Oktav. 235 Seiten. 1931. 6.—, geb. 6.50
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Entscheidungen des O b e r s t e n Gerichtshofes für die Britische Z o n e Herausgegeben von den Mitgliedern des Gerichtshofes und der Staatsanwaltschaft Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Zivilsachen Bezugspreis für die Heftausgabe (5 Hefte) pro Band DM 8.— für die Bandausgabe pro Band geb. DM 10.— Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Strafsachen Bezugspreis für die Heftausgabe (5 Hefte) pro Band DM 8.— für die Bandausgabe pro Band geb. DM 10.—
Juristische Rundschau m i t B e i b l a t t : Mitteilungen aus der Berliner Justiz und Rechtsanwaltschaft Herausgegeben
Dr. Siegfried Loewenthal Chefpräsident des Landgerichts Berlin
Reinhard Freiherr von Godin Rechtsanwalt in München
Dr. Ernst Wolff Präsident des Obersten Gerichtshofes für die britisch· Zone in Köln
Dr. Kurt Wergin Präsident der Rechtsanwaltskammer Berlin
Professor Dr. E. Reimer Präsident des Deutschen Patentamtes in München
Dr. Walter Schmidt Rechtsanwalt in Düsseldorf
2 mal monatlich Umfang je Heft 32 Seiten Preis vierteljährlich DM 9.— Vorzugspreis für Studierende und Referendare vierteljährlich DM 7.— Die Juristische Rundschau sieht es als ihre Hauptaufgabe an, als Bindeglied zwischen Ost und West die Einheit der deutschen Rechtsentwicklung zu pflegen. Sie dient dieser lebenswichtigen Aufgabe dadurch, daß in jeder Nummer wichtige und grundsätzliche Probleme der Rechtsentwicklung in wertvollen wissenschaftlichen Abhandlungen erörtert werden. In dem praktischen Teil bemüht sich die Juristische Rundschau, durch interessante Beiträge die Gerichte und Anwälte zuverlässig über die Behandlung aktueller Fragen im Westen, in Berlin und im Osten Deutschlands zu unterrichten. Mit großer Sorgfalt wird für den reichhaltigen Entscheidungsteil nach diesen Gesichtspunkten die Auswahl unter den Oberst- und Höchstrichterlichen Entscheidungen getroffen. Daneben werden alle wichtigen juristischen Neuerscheinungen von Fachkennern gründlich besprochen.
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Der Kommentar nimmt in der neuen Auflage wieder in der gewohnten Weise zu allen Normen des Straßenverkehrsrechts zuverlässig und erschöpfend Stellung. Alle, seit Erscheinen der 15. Auflage, ergangenen gesetzlichen Änderungen und Neuerungen bis in die jüngste Zeit finden eingehende Erläuterung. Was den Kommentar bisher in Wissenschaft und Praxis eine Vorzugsstellung verschaffte, die Darstellung der Wechselwirkung von Kraftfahrzeuggesetz auf der einen und Straßenverkehrs- und Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung auf der anderen Seite, ist in der neuen Auflage wieder beibehalten und weiter durchgeführt worden. Eine andere wesentliche Verbesserung gegenüber den alten Auflagen bildet die Vergrößerung des Formats, so daß sich das Werk auch schon in seiner äußeren Gestalt durch besondere Handlichkeit auszeichnet. Wichtig für alle Gerichte — Rechtsanwälte — Polizeibeamten — Polizeischulen — Polizeiämter, Polizeidirektionen, Polizeipräsidien — Straßenverkehrsämter — Versicherungsgesellschaften — Kraftfahrzeugindustrie — Fahrschulen — Betriebe des Transportgewerbes (Spedition, Güterfernverkehr und Personenverkehr) — Bundesverkehrsministerium — Verkehrsabteilungen der Länderbehörden.
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Bürgerliches Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Jugendwohlfahrtsgesetz Schiffrechtsgesetz, Ehegesetz, Testamentsgesetz Mit Anmerkungen und Sachregister und mit Erläuterungen der Verordnung über das Erbbaurecht, des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung sowie von Teilen des Familienrechtsänderungsgesetzes, der Familienrechtsangleichungsverordnung und des Verschollenheitsgesetzes
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