Grundstücksmiete: Teil 1 Mieterschutz und Wohnungsmangel [Reprint 2020 ed.] 9783112370445, 9783112370438


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German Pages 266 [270] Year 1924

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Grundstücksmiete: Teil 1 Mieterschutz und Wohnungsmangel [Reprint 2020 ed.]
 9783112370445, 9783112370438

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Grundstücksmiete Von

Dr. Fritz Kiefersauer Bezirksamtmann

1924 München, Berlin und Leipzig

3. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier)

Kieselsauer, Grundstücksmiele I. Teil:

Mieterschutz und Wohnungsmangel 2. Auflage von Kiefersauer-Scherer, Mieterschutz und Wohnungsmangel neubearbeitet von

Dr. Fritz Kiesersauer Bezirksamtmann.

1924 München, Berlin und Leipzig 3. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier)

Meiner Gattin zugeeignet

Druck von Dr. F. P. Datterer & Eie., Freising-München.

Vorwort zur zweiten Auflage. Die zweite Auflage ist ein neues Werk. Die erste Auflage wollte lediglich an der Hand des geltenden Wohnungsnotrechtes die bereits früher mündlich und schriftlich vorgetragenen Vor­ schläge zur Reform des Wohnungswesens erörtern und sie den einzelnen, sich teilweise kreuzenden Bestimmungen als ge­ schlossenes System gegenüberstellen. Ziel , und Zweck des vorliegenden Werkes ist zu versuchen, neben der allgemeinen Organisation des Wohnungswesens in wirtschaftlicher Beziehung in der Form eines genossenschaft­ lichen Zusammenschlusses aller Raumnutznießer (Mieter, Ver­ mieter und Eigenhausbesitzer) auch die dem geltenden Recht eigen­ tümliche Organisationsform in rechtlicher Beziehung auf­ zuzeigen. Diese Organisationsform, die nicht nur dem Mietrecht, sondern auch dem gesamten übrigen Privatrecht, insbesondere dem Arbeitsrecht, eigentümlich ist, besteht in der Durchdringung der Privatrechtsordnung mit öffentlichen, das In­ dividualrecht einschränkenden Rechtsvorschriften; der Gedanke, daß die Privatrechtsordnung den heutigen An­ schauungen über die Bedeutung des Gemeinwillens insbesondere auf dem Gebiete des dem Herrschaftswillen des Einzelnen in so ausgedehntem Maße unterworfenen Rechts der Schuldverhältnisse nicht mehr entspricht, führte zu einer Entwicklung des Privat­ rechts, die man — wenn man will — als eine Sozialisierung der Privatrechtsordnung bezeichnen kann. Zur Klarlegung dieses — unabhängig von jeder marxistischen Vorstellung — richtunggebenden Gedankens mußte versucht werden, das Mietrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs in die Darstellung einzuarbeiten. Die Auswertung des Stoffes zeigt zunächst einen gewissen Abschluß, aber noch lange nicht ein Ende der Entwicklung des Wohnungsrechtes: die rechtliche Organisationsform in dem oben bezeichneten Sinn wird auf die Dauer den Bedürfnissen nicht genügen. Gerade auf dem Gebiete des Wohnungswesens wird der Gedanke der Vorherrschaft des Gemeinschaftswillens über diese rechtliche Organisationsform hinaus zu einer wirt­ schaftlichen Organisation, zu einem selbständigen wirtschaft-

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Borwort zur zweiten Auflage.

lichen Aufbau führen müssen. In der Sozialpolitik scheint sich allmählich der Gedanke durchzusetzen, daß die ausschließliche Be­ tonung des Arbeitnehmerstandpunktes innerhalb der nunmehr merklich sich ganz anders entwickelnden Wirtschaftsordnung nicht zum Ziele führen kann. Diese Umstellung der Sozialpolitik wurde für das Gebiet des Wohnungswesens von mir schon vor Jahren gefordert: auch in meiner Einleitung (S. XXXXI) zur ersten Auflage dieses Buches wies ich mit besonderer Betonung darauf hin, daß nicht der Gegensatz zwischen Arbeitnehmer und Arbeit­ geber, sondern der Gegensatz zwischen Verbraucher und Erzeuger die künftige Wirtschaftsentwicklung be­ herrschen werde und daß demgemäß auch die Organisations­ formen des Wirtschaftslebens sich darauf einstellen müßten. Daß dieser Gedanke auch von Führern der Sozialpolitik anerkannt wird, darf ich als eine Bestätigung der Richtigkeit meiner seit Jahren vertretenen wirtschaftspolitischen Vorschläge auf dem Sondergebiete des Wohnungswesens ansehen. Während der Drucklegung wurde bekannt, daß die Reichs­ regierung eine völlige Umgestaltung des Rechtes der Mietzins­ bildung beabsichtige. Es schien daher notwendig, mit der Druck­ legung des Reichsmietengesetzes zuzuwarten, bis die neuen Gesetzes­ vorlagen verwirklicht sein würden. Die auf Verquickung der Mietzinsreglung mit der Hypothekaufwertungsfrage abzielenden Pläne der Reichsregierung stießen jedoch auf so erheblichen Wider­ stand, daß die endgültige Lösung der Probleme sich stark verzögert hat. Der Verlag entschloß sich deshalb das ganze Werk in zwei selbständige Teile zu zerlegen; Teil I enthält das Mieterschutz­ recht und das Recht des Wohnungsmangels, Teil II wird das Recht der Mietzinsbildung einschl. der Mietzins­ steuer bringen. Der Titel des gesamten Werkes wurde in „Grundstücksmiete" abgeändert.

H i l p o l t st e i n, im

Oktober 1923 Januar 1924.

Dr. Fritz Kiefersauer.

Inhaltsübersicht. Überblick

........................................................................................................

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A. Mieterschutzrecht. I. Reichsgesetz über Mieterschutz und Mieteinigungsämter v. 1. Juni 1923 und Verordnung über Abänderung dieses Gesetzes v. 24. Dez. 1923 n. Anordnung für das Verfahren vor dem Mieteinigungsamt und der Beschwerdestelle vom 19. Sept. 1923 .................................................... in. Bayerische Ausführungsbestimmungen zum Mieterschutzgesetz vom 23. Juli 1923 .........................................................................................

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B. WohrrrrrrgSmarrgelgesetze. I. Reichswohnungsmangelgesetz vom 26. Juli 1923 und Verordnung über Abänderung dieses Gesetzes vom 24. Dez. 1923 ..................... 149 II. Bayerische Wohnungsmangelbekanntmachung v. 25. September 1923 sowie Abänderungs- u. Vollzugsbekanntmachungen v. 7. Jan. 1921 186 in. Notgesetz vom 24. Februar 1923 (Artikel V)......................................... 240 IV. Verordnung des Reichspräsidenten über die vorläufige Unterbringung Ausgewiesener vom 14. Juni 1923 mit bayer.. Bollzugsvorschriften vom 28. Juni 1923 ............................................................................... 242 Nachträge und Berichtigungen........................................................................ 246 Sachregister ....................................................................................................... 248

Abkürzungen und Literatur. AG. . . . AusfBest. . BayGemVZ. BayZfR. . BGB. . . Brumby . DIZ. . . EA. . . Ebel . . Ebel-Büchler Genthe Genthe GKG. . . GBBl. . . GBG. . . Gruch. . .

— Amtsgericht. = bayer. Ausführungsbestimmungen. — Bayerische Gemeinde- und Berwaltungszeitung. — Zeitschrift für Rechtspflege in Bayern. — Bürgerliches Gesetzbuch. — Brumby, Reichsmieten und Wohnungsbauabgabe. 2. Aufl. — Deutsche Juristenzeitung. — Einigungsamt, Organ des Reichsverbandes deutscher Eini­ gungsämter, Berlin-Neukölln. = Ebel, Reichsmietengesetz, 3. Aufl. — Mieterschutzgesetz. = Genthe, Reichsmietengesetz, 4. Aufl. = Genthe, Mieterschutzgesetz. — Gerichtskostengesetz. — Gesetz- und Verordnungsblatt. ----- Gerichtsverfassungsgesetz — Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts, begründet von Gruchot.

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Abkürzungen und Literatur.

IW. . . KG.. . . Kiefersauer

= Juristische Wochenschrift. = Kammergericht Berlin. — Kiefersauer, Zur Reform des Wohnungswesens, München

Kiefersauer

— ÄicferSttuci:, Wohnungsabgabe und Wohnungsbau, München

LG.. . . LZ. . . . MEA. . . MinBek. . Mittelstein

— — — — —

MSchBekm. MSchG. . MSchBO.. ObLG. . . OLG. . . PStG . . Recht . . RG. . .

— — — — — = — —

RGBl. . RMG. . Rspr. .

. . .

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SeufsA.

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Stümper . VerfAO. .

— —

BGH. .



WarnRspr. WMBekm.

— =

. . . .

— — — =

Stern

.

WMG. WMVO. ZPO. . ZtschrfW.

Landgericht. Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht Mieteinigungsamt. Bayer. Ministerialbekanntmachung. Mittelstein, Die Miete nach dem Recht des Deutschen Reichs, 3. Aufl. Bayer. Bekanntmachung vom 13. August 1920. Mieterschutzgesetz. Mieterschutzverordnung. Bayerisches Oberstes Landesgericht. Oberlandesgericht. Polizeistrafgesetzbuch (vom 26. Dezember 1871). Das Recht, Rundschau für den deutschen Juristenstand. Reichsgericht (mit Zahlen — Entscheidungen des Reichs­ gerichts in Zivilsachen, Band, Seite). Reichsgesetzblatt. Reichsmietengesetz. Rechtsprechung der Oberlandesgerichte, herausgegeben von Mugdan und Falkmann. Seufferts Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten. Stern, Mieterschutz-, Wohnungsnot- und Pachtschutzrecht, 5. Aufl. Stümper, Reichsmietengesetz. Anordnung für das Verfahren vor dem Mieteinigungsamt und der Beschwerdestelle vom 19. September 1923. Bayerischer Berwaltungsgerichtshof (mit Zahlen — Samm­ lung der Entscheidungen, Band, Seite). Warneyer, Rechtsprechung des Reichsgerichts. bayer. Bekanntmachung betr. Maßnahmen gegen Wohnungs­ mangel. Wohnungsmangelgesetz. Wohnungsmangelverordnung. Zivilprozeßordnung. Zeitschrift für Wohnungswesen, Berlin.

Überblick. Die moderne Gesetzgebung leidet an einer Überproduktion, die sich nicht nur in einer Vielheit von Gesetzen, sondern auch in besonderem Maße darin äußert, daß die Verknüpfung mit den Normen der alten Rechtsordnung zumeist fehlt. Auf keinem Wirtschaftsgebiet ist völlig neues Recht geschaffen worden: überall baut sich das moderne Recht auf dem festen Gefüge unserer alten Rechtssätze auf. Damit ist jedoch nicht gesagt, daß das bisherige Rechtsgesüge unverändert geblieben ist; zahlreiche neue Vorschriften haben das alte System durchlöchert, wiederhergestellt und wieder umgestoßen. Die neuen Gesetze sind ent­ standen im Kampfe um politische und wirtschaftliche Forderungen, wie sie schon während des Krieges, vornehmlich aber nach dem unglücklichen Ausgang des Weltkrieges und nach dem politischen Umsturz erhoben, durchgesetzt oder fallen gelassen wurden. So bildet die moderne Gesetz­ gebung naturgemäß ein Spiegelbild jener Kämpfe, deren endgültiger Abschluß angesichts des fortdauernden politischen und wirtschaftlichen Gärungsprozesses im deutschen Volke leider immer noch nicht abzusehen ist Bei diesem wandelbaren Stand moderner Gesetzgebung mag der Versuch verfrüht erscheinen, den Zusammenhang zwischen Altem und Neuem aufdecken zu wollen. Es ist gewiß eine undankbare Ausgabe, Rechtsnormen auf ihre Zusammenhänge mit dem geltenden Recht zu untersuchen, wenn weder das neue Recht noch der Fortbestand des alten gesichert ist Allein die Praxis muß mit dem Gesetzesrecht, mag es auch nur kurze Zeit in Geltung sein, arbeiten: bei der praktischen Hand­ habung zeigt sich fühlbar die Lücke zwischen Altem und Neuem, der Unterschied zwischen den Denkformen des früheren Rechtes und der Formulierung moderner Gesetzesgedanken. Der Praktiker muß wissen, was von dem Alten unerschüttert geblieben ist und was der neue Rechtssatz hinweggesegt hat. In einer kommentierten Textausgabe ist es naturgemäß nicht möglich, die Zusammenhänge bis ins einzelne klarzulegen Es genügt für den Augenblick auf die Grundzüge hinzuweisen, die bei der Handhabung des modernen Wohnungsnotrechts zu beachten sind. Wesentlich sind folgende Punkte: 1 Die häufigste Form des Gebrauchsrechtes an Räumen, die Miete, ist nach der Ausgestaltung im BGB. ein rein schuldrecht­ liches Rechtsverhältnis, das nur in einzelnen Beziehungen z. B. gegenüber dem Grundstückserwerber nach Maßgabe der §§ 571 ff. BGB. nach Art der dinglichen Rechte geregelt ist Äiefersauer, Mieterschutzrecht. 1

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Überblick. Demgegenüber neigt die moderne Rechtsentwicklung mehr und mehr dazu, dem Mietrecht einen dinglichen Charakter*) zu

i) Die voraussichtlich noch Jahrzehnte dauernde Wohnungsnot und die wirtschaftliche Unmöglichkeit der Herstellung von Eigenhäusern in größerem Umfang- legt den Gedanken nahe, durch Schaffung einer be­ sonderen Rechtsform die dauernde Benutzung von Gebäudeteilen nach dem Herrschaftsrecht des Eigentümers zu gestatten. Es handelt sich um die Wiedereinführung des dem älteren deutschen Recht bekannten, in Bayern und Württemberg bis zur Wende des vorigen Jahrhunderts weit verbreiteten Stockwerkseigentums. Das Stockwerkseigentum gewährte das Eigentum und das dauernde Benutzungsrecht an einzelnen Gebäudeteilen (Keller (vgl. aber BayObLG. 23. Juni 1923 BayZfR. 1923, 216], sogar einzelne Zimmer und einzelne Stockwerke des Hauses); daneben bestand Gesamteigentum an den ge­ meinschaftlich benutzten Hausteilen (Treppen und Bodenräumen) sowie am Baugrunde. Das Wesen des Rechtsverhältnisses, das heute noch in Frankreich besteht, ist je nach seiner Ausgestaltung und historischen Entwicklung in den einzelnen Landesteilen rechtlich verschieden zu be­ urteilen. Die Begründung des Stockwerkseigentums war in Bayern als Rechtsübung überall zugelassen; lediglich im Gebiete des Würzburger und des Regensburger Rechts war diese Rechtsform durch besondere Vorschrift ausgeschlossen (Henle-Schneider, die bayer. Ausfüh­ rungsgesetze zum BGB. 2. Aufl. S. 454). Rach Einführung des BGB. blieb zwar bestehendes Stockwerkseigentum aufrechterhalten(Art. 182 EG. z. BGB.); neues kann jedoch grundsätzlich nicht mehr begründet werden, da das BGB. ein Sondereigentum an Bestandteilen des Ge­ bäudes ausschließt (§§ 93, 94 BGB.). Der landesrechtlichen Regelung ist es nach Art. 131 EG. z. BGB. überlassen, ein dem wirtschaftlichen Erfolg des Stockwerkseigentums nahekommendes Miteigentumsrecht mit ausschließlichem dinglichem Benutzungsrecht der Miteigentümer an bestimmten Gebäudeteilen einzuführen. Eine solche Regelung ist in keinem der Länder getroffen worden. In Bayern wurde sogar das bestehende Stockwerkseigentum, trotzdem es nach Art. 182 EG. z. BGB. unverändert hätte fortbestehen können, einer Umwandlung in ein Miteigentumsrecht mit der Maßgabe unterworfen, daß jedem Miteigentümer die aus­ schließliche und dauernde Benutzung derjenigen Teile des Gebäudes zu­ steht, die ihm zur Zeit des Inkrafttretens des BGB. gehören und daß der Aufwand für deren Unterhaltung ihm zur Last fällt; der Anspruch auf Aushebung der Gemeinschaft ist ausgeschlossen, auf das Benutzungs­ recht ist § 1010 Abs. 1 BGB. für anwendbar erklärt (Art. 42 Über­ gangsgesetz; dazu Henle-Schneider a. a. O. S. 455). Die gegenwärtigen schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse lassen es als wünschenswert erscheinen, durch Wiedereinführung der Eigen­ tumsgemeinschaft nach Bruchteilen an Grundstücken in Ver­ bindung mit dem ausschließlichen, dinglichen und ver­ erblichen Nutzungsrecht an Teilen des Grundstücks die rechtliche Möglichkeit zu bieten, daß mehrere Personen zusammen ein Gebäude zu Miteigentum und gesonderter Benutzung einzelner Teile

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verleihen. Dies zeigt sich insbesondere in der Erschwerung der Aufhebung des Mietverhältnisses gegen den Willen des Mieters (§§ 1—4 MSchG.), in der Begründung von Mietverhältnissen durch autoritativen Staatsakt beim Zwangsmietvertrag (§ 4 WMG) und endlich auch in dem Berwendungszwang, dem der Vermieter nach dem Reichsmietengesetz hinsichtlich einzelner Mietzinsbestand­ teile unterworfen ist. Diese Ansätze zur Weiterentwicklung des Mietrechtes zu einem dinglichen Recht, das das Eigentum am Mietgrundstück beschränkt, können im weiteren Verlaufe, insbesondere in politisch ruhigeren Zeiten, zu einer Beschränkung des Eigentums überhaupt führen. Eine solche Entwicklung hat mit „Sozialisierung", „Ver­ nichtung des Privateigentumes" oder wie sonst die modernen Schlagworte lauten, nichts zu tun: sie bedeutet lediglich eine Fort­ führung des Grundgedankens (vgl. dazu Hoegner, BayZfR. 1919, 89 u. 114, Klein, LZ. 1919, 567), der schon im BGB. in den Eigentumsbeschränkungen der §§ 906—924 BGB., Art. 122 bis 124 EG. z. BGB zum Ausdruck gekommen ist und der auch im Art. 153 der Reichsverfassung Vorbehalten wurde (vgl. auch Art. 155 Abs. 3 RVerf) Auf dem Gebiete des Mietrechts gelten in besonderem Maße die Worte Jherings, eines der größten deutschen Rechts­ gelehrten, zweifellos erhaben über marxistische Ideen: In Eigen­ tum, Besitz, Kauf, Erbfolge liege nichts Ewiges, nichts Unabänderliches.2) Unsere Zivilisation wolle nicht die Freiheit,

(insbesondere Stockwerke) erwerben Die Sehnsucht nach einem eigenen Heim ist um so größer geworden, je weniger das geltende Mietrechtr den Bedürfnissen der Gegenwart entspricht. Der Erwerb oder die Herstellung eines eigenen Heimes wird immer schwieriger, zumal wenn — wie leider zu erwarten steht — die öffentliche Beihilfe zum Wohnungs­ bau mit Rücksicht auf die ungünstige finanzielle Lage des Reiches und der Länder unterbleibt. Eben weil das Mietrecht des BGB. auch unter Berücksichtigung seiner Umgestaltung durch das übergangsrecht (Woh­ nungsnotrecht) unbefriedigt läßt, weil, wie Co sack (Lehrbuch des Bür­ gerlichen Rechts 7. Aufl. S. 713) treffend bemerkt, „aus dem über­ gangsrecht sich ein Dauerrecht entwickeln wird, das dem schon lange vor dem Weltkriege totgeweihten Recht des BGB. noch ferner stehen dürfte als das heutige übergangsrecht", eben deshalb muß bis zur endgültigen Regelung der Nutzung an Gebäuden die Möglich­ keit geboten werden, die Fesseln des obligatorischen Gebrauchsrechtes abzustreifen. Die Einführung eines Stockwerkseigentums im Sinne des Art. 131 EE. z BGB erscheint darum für den Augen­ blick eine rechtspolitische und wirtschaftliche Notwendigkeit; für Bayern würde eine derartige dem Recht des BGB. angepaßte landesrechtliche Regelung als die Wiederkehr einer früher weit verbreiteten und beliebten Rechtsübung freudigst begrüßt werden. 2) Vgl. dazu die rechtsphilosophischen Betrachtungen Staffe l s LZ. 1923, 589, die in dem Satze gipfeln: „Die grundlegenden Rechts-, ideen sind uns zu Erzeugnissen der Geschichte geworden, die an der ruhelosen Veränderung alles Irdischen teilhaben"

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sondern die Beschränkung des Individuums, die Beschützung der Schwachen gegen den Starken, gleiches Recht, gleiche Fürsorge für alle. Wegen des Einflusses der Geldentwertung auf die soziale Rechtsentwicklung vgl. Baum, IW. 1923, 284. 2. Charakteristisch für das moderne Wohnungsrecht ist die Durch­ dringung der Privatrechtsordnung mit öffentlichrechtlichen Normen. Öffentliches Recht und Privatrecht rückt näher zusammen (vgl. Hedemann, DIZ. 1919, 769 u. 1921, 26); eine scharfe Grenzziehung zwischen beiden wird immer schwieriger. Mag eine Anordnung, eine das Privatrecht einengende Rechts­ norm auch aus öffentlichrechtlichem Boden entsprungen sein, sie äußert ihre Wirkung immer nur im Privatrecht in der Richtung, daß das Recht des Einzelnen im öffentlichen Interesse, sei es in seiner Ausübung, sei es in seinem Wesen, eine Ein­ schränkung erfährt. Die Durchdringung der Privatrechtsordnung mit öffentlichem Recht ist charakteristisch für die Fortentwicklung des modernen Wohnungsrechtes: auch das Notrecht ist ein privat­ rechtliches Gebilde und daher nach zivilrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen und auszulegen. Überblickt man das Neuland, das durch das Wohnungsmangelgesetz, das Mieterschutzgesetz und das Reichsmietengesetz geschaffen wurde, so fällt in erster Linie auf, daß die durch das BGB. gewährleistete Einheit des deutschen Rechts auf dem Gebiete des-Wohnungs­ wesens einer schweren Erschütterung ausgesetzt ist: die Möglich­ keit der Abänderung und Ausgestaltung des Reichsrechtes durch landes­ rechtliche Normen ist eine außerordentlich, man möchte fast sagen übermäßig große. Tatsächlich ist denn auch die Buntscheckigkeit des Wohnungsrechtes in den deutschen Ländern eine so große, daß sie von einer Stelle aus nicht mehr überblickt zu werden vermag. In dieser Richtung wäre eine Rückkehr zur Einheit des deutschen Rechtes dringend zu fordern.; die besonderen örtlichen Bedürfnisse der einzelnen Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände) sind tatsächlich nicht so groß und dringlich, daß immer und überall ihnen durch eine Sondergesetzgebung Rechnung getragen werden müßte. Die drei großen Gruppen des Wohnungsnotrechtes sind folgende: 1. Die Wohnungspolizei, d. h die Maßnahmen polizeilicher Art, durch die die Erfassung des Wohnraumes zugunsten der Wohnungsuchenden ermöglicht werden soll. Die rechtliche Grundlage hiefür bildet das Wohnungsmangelgesetz in der Fassung vom -26. Juli 1923 samt den hierzu erlassenen landesrechtlichen Ausführungsbestimmungen. Rechtsnormen wohnungspolizeilichen Inhaltes finden sich auch in den §§ 4 Abs. 7, 27, 35, 36 u. 52 des Mieterschutzgesetzes. Eine zivilrechtliche Unterstützung der Woh­ nungspolizei enthält § 31 MSchG., der den ohne Genehmigung abgeschlossenen oder der Polizeibehörde nicht angezeigten Miet­ verträgen über Gebäude oder Gebäudeteile die Rechtswirksamkeit versagt. 2. Das Mieterschutzrecht, d. h. die materiellen und prozessualen Rechtsnormen zum Schutze der Mieter in ihrem Besitzstand enthält das Gesetz über Mieterschutz und Mieteinigungsämter vom 1 Juni

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3. Das Recht der Mietzinsbildung und Mietzinszahlung, geregelt durch das Reichsmietengesetz vom 24. März 1922 sowie durch die Bestimmungen der §§ 3, 30 u. 53 MSchG, in Ver­ bindung mit den landesrechtlichen Anordnungen hierzu. Nach dieser dreifachen Richtung ist das Recht des bürgerlichen Gesetzbuchs und das hierauf fußende Vertragsrecht des Mietgebrauchs und der sonstigen Gebrauchsüberlassung bei Räumen entscheidend und weitgreifend geändert und ergänzt Das Rückgrat des geltenden Miet­ rechtes bleibt aber nach wie vor das BGB. Eine andere Frage ist, ob nicht die fortschreitende, bis zur Ver­ nichtung der Reichsmark sich fortsetzende Entwertung des gesetzlichen Zahlungsmittels die Anwendung grundsätzlicher Vorschriften des BGB. über die Erfüllung von Geldschulden von Grund aus erschüttert hat. Die Auswirkungen der Geldentwertung nach dieser Richtung umfassen gleichheitlich alle Wirtschaftsgebiete und müssen deshalb für alle Zweige des Wirtschaftslebens einheitlich geregelt werden. Ein Herausnehmen des Mietrechtes aus diesem Nahmen, etwa durch Schaffung „wert­ beständiger Mieten" 3) wäre unverantwortlich. Nur eine allgemeine gesetzliche Regelung kann hier zum Ziele führen. Ende Juni 1923 habe ich dem Reichstag den „Entwurf eines Gesetzes über die Geldentwertung" nebst eingehender Begrün­ dung yorgelegt; da er hinsichtlich seiner rückwirkenden Bestim­ mungen gerade das Grundstücks- und damit das M i e t r e ch t ein­ schneidend berührt, möchte ich ihn auch an dieser Stelle 4) zum Ab­ druck bringen:

§ 1. r Geldschulden sind vom Tage des Inkrafttretens dieses Ge­ setzes an in der Weise zu erfüllen, daß der Nennbetrag der Schuld im Verhältnis des Geldwertes zur Zeit der Begründung zum Geldwert zur Zeit der Bezahlung der Schuld umgerechnet wird. Maßgebend für die Berechnung sind die für diese Zeitpunkte geltenden Sätze der amtlichen Entwertungstafeln. "Geldschulden im Sinne dieses Gesetzes sind auch die einzelnen Posten der laufenden Rechnung (Kontokorrent)^) § 2. i Geldleistungen aus Darlehens-, Renten- und Versicherungs­ verträgen sowie aus Schuldverschreibungen ans den Inhaber, die in der Zeit vom 1. August 1914 bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes erfüllt worden sind, sind nach Maßgabe des § 1 umzurechnen. " Geldleistungen im Sinne des Abs. I sind auch die einzelnen Posten der laufenden Rechnung (Kontokorrent).^) 111 Sie Bestimmungen des Abs I finden keine Anwendung auf die Vergütung von Zinsen und auf Versicherungsbeiträge. § 3. r Wer ein Grundstück in der Zeit vom 1. August 1914 bis tzum Inkrafttreten dieses Gesetzes verkauft hat, kann dem Käufer gegenüber erklären, daß die Höhe des Kaufpreises nach dem amtlich ermittelten Wehrbeitragswert vom Jahre 1913 berechnet werden soll. Die Erklärung bedarf der schriftlichen Form und ist binnen Jahresfrist 3) Vgl. § 2 RMG. Anm. 5. 4) Vgl. Kiefersauer, Kleinrentnerfürsorge und Geldentwertung BayGemVZ. 1923, 544 ff., 561 ff

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nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes dem anderen Vertragsteil gegen­ über abzugeben. Sie hat die Wirkung, daß der Wehrbeitragswert als der mit dem Vertragsabschluß fällige Kaufpreis gilt; Zinsen aus diesem Kaufpreis sind für die Zeit bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes nicht zu vergüten. II Auf diesen Kaufpreis werden die vom Käufer geleisteten Zah­ lungen nach Maßgabe der jeweils für den Zahlungstag geltenden Sätze der Entwertungstafeln angerechnet. Der Restbetrag des noch un­ gedeckten Kaufpreises wird nach dem Verhältnis des Geldwertes zur Zeit der Bezahlung umgerechnet. III Die Vorschriften der Absätze I und II finden auf die Veräußerung eines Grundstückes irrt Wege der Zwangsversteigerung mit der Maßgabe Anwendung, daß der zu berechnende Kaufpreis nach richterlichem Er­ messen festgesetzt wird, den Betrag des Wehrbeitragswertes aber nicht übersteigen darf "Der Verkäufer ist berechtigt, die ihm nach den Absätzen I und II zustehenden Rechte gegen jeden Käufer des Grundstückes geltend zu machen. Die Käufer haften als Gesamtschuldner § 4. - Die in den §§ 2 und 3 bezeichneten Rechte können inner­ halb Jahresfrist nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes auch von den Erben ausgeübt werden, es sei denn, daß der Erblasser bei Lebzeiten auf das Recht ausdrücklich verzichtet hat. Der Verzicht erfolgt durch schriftliche Erklärung gegenüber dem anderen Vertragsteil oder dem Aussteller der Urkunde. Die Vorschriften der §§ 2325—2331 BGB. finden keine Anwendung. II Streitigkeiten über die Höhe des Wehrbeitrages (§ 3 Abs. I) und über die Umrechnung der Geldschulden (§ 1, § 2 Abs. I § 3 Abs. II) entscheiden die ordentlichen Gerichte. Die Gerichte sind befugt, auf Antrag des Gläubigers oder des Schuldners für die Entrichtung der aus der Umrechnung sich ergebenden Schuld Zahlungstermine fest­ zusetzen, die sich nicht über einen weiteren Zeitraum als drei Jahre nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes erstrecken dürfen. III Ausschließlich zuständig ist im Falle des § 3 das Gericht, in dessen Bezirk das Grundstück gelegen ist, im übrigen das Gericht, in dessen Bezirk der Gläubiger zur Zeit der Klageerhebung seinen Wohn­ sitz hat § 5 r Von den Geldleistungen, die auf Grund der §§ 2 und 3 geschuldet sind, wird eine Abgabe in Höhe von 20 vom Hundert dieses Betrages zugunsten des Reiches erhoben (Entwertungsabgabe); für die Einbringung der Abgabe hasten der Gläubiger und der Schuldner der Leistung gesamtschuldnerisch. 11 Hinterziehungen der Abgabe werden mit Geldstrafe bis zum vierfachen Betrag der Abgabe und mit Gefängnis nicht unter einem Monat bestraft. § 6 Dieses Gesetz tritt am . in Kraft. Der Grundgedanke des Entwurfes, auf dessen Begründung im einzelnen hier verwiesen werden kann, geht davon aus, daß eine Stabi­ lisierung der Reichsmark, insbesondere die Wiedereinführung der Goldmark nur möglich ist, wenn die Geldentwertung sich rest­ los durchgesetzt hat Demgemäß sucht § 1 die Erfüllung der

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Geldschulden in Ergänzung der Vorschriften des BGB. genau zu um­ grenzen. Eine derartige Regelung würde aber nicht ohne weiteres die Friedensmietpreise in Gold dem Mieter zur Zahlung auferlegen. Dazu bedürfte es einer Änderung des Reichsmietengesetzes. Die Neu­ regelung der Mietzinsbildung könnte sich aber in diesem Falle darauf beschränken, anzuordnen, daß eine höhere Miete als die Friedensmiete nicht gefordert und bezahlt werden darf. Wegen der vorgesehenen Rückwirkung darf ich auf die Be­ gründung selbst Hinweisen: „Ob und in welchem Umfang die Gesetzgebung auch Rechts­ geschäfte aus früherer Zeit erfassen soll, ist Zweckmäßigkeits­ frage. Es entspräche nicht der Billigkeit, das Vergangene als erledigt unbeachtet zu lassen. Andererseits ist es naturgemäß nicht möglich, alle in der Zeit der Geldentwertung ausgeführten Rechtsgeschäfte zu erfassen. Der Entwurf sucht einen Mittelweg: er erfaßt zunächst alle Rechtsgeschäfte, die zwar vor dem Inkrafttreten des Gesetzes ab­ geschlossen, aber erst nach diesem Zeitpunkt durch Geldzahlungen er­ füllt werden, durch die Vorschrift des § 1. Hinsichtlich der Rechts­ geschäfte, die in der Zeit der Geldentwertung vor dem Inkrafttreten des Gesetzes abgeschlossen und erfüllt worden sind, werden zwei Gruppen unterschieden: 1. Geldleistungen aus Darlehens-, Renten- und Versicherungsverträgen und aus Schuldverschreibungen auf den Inhaber, ferner 2. Geldleistungen aus Grundstücksverkäufen. Für Einbeziehung der ersten Gruppe sprechen gewichtige sozial­ politische Erwägungen: es darf nicht länger geduldet werden, daß die Ersparnisse, die vorzüglich in Sparkassenguthaben, Hypotheken, Pfand­ briefen usw angelegt sind, unter der sich überstürzenden Geldentwertung völlig entwertet werden. Der Staat, der durch die Einführung einer Kleinrentnerfürsorge die Verpflichtung anerkannt hat, für die durch die Entwertung des gesetzlich.seit dem 31. Juli 1914 eingeführten Papiergeldes schwer geschädigten Veteranen der Arbeit zu sorgen, würde nur eine selbstverständliche Pflicht erfüllen, wenn die Maßnahmen zur Vorbereitung einer Stabilisierung der Mark in erster Linie den Klein­ rentnern zugute kämen. Mit einem Schlage würden die außerordent­ lichen Ausgaben der Kleinrentnerfürsorge auf ein Mindestmaß zusammenschrumpfen; die Lasten der Aufwertung würden neben dem Reich, den Ländern und sonstigen öffentlichen Körperschaften in be­ deutendem Umfang auch die Industrie, der Handel und einzelne Privat­ personen (Geldschuldner) tragen. Es wäre unbillig, wenn die Selbst­ versorgung für das Alter, die Lebensversicherung, die Rentenversorgung privatrechtlicher Natur, weiterhin der Vernichtung preisgegeben würde, nachdem der Staat die Pensionen seiner Beamten und Beamten­ hinterbliebenen bereits der Geldentwertung angepaßt hat. Auch hier läßt sich wieder die Wurzel allen Übels erkennen: der mangelnde Spar­ sinn ist eine natürliche Folge der Zeit, weil die Staatsgewalt un­ tätig zusieht, wie das Sparkapital nicht von der Geldentwertung, sondern von der starren, auf andere Verhältnisse eingestellten Rechts­ ordnung zerstört wird. Eine zweite Gruppe von Rechtsgeschäften, die in der Zeit der Geldentwertung erfüllt wurden, sind die Grundstücks Verkäufe

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Deren Einbeziehung in die gesetzliche Anpassung an den jeweiligen Stand der Geldentwertung ist nicht nur wegen der Bedeutung des Grundstücksverkehrs für das ganze Wirtschaftsleben geboten; sie ist in noch weit höherem Maße aus nationalen Gründen zu fordern. Der Staat hat nicht nur ein lebenswichtiges Interesse an der Erhaltung eines bodenständigen Haus- und Grundbesitzerstandes, er hat auch ein nationales Interesse an der allmählichen Be­ seitigung und künftigen Verhinderung des Grundstückserwerbes durch Ausländer. Sondermaßnahmen gegen Ausländer verbieten sich mit Rücksicht auf den Versailler Vertrag. Aber allgemeine, für alle Er­ werber von Grundstücken geltende Anordnungen sind möglich. Durch die Einbeziehung erledigter Grundstücksverkäuse wird zunächst erreicht, daß die Valutaspekulationen der Ausländer bei dem deutschen Grund und Boden zerstört werden. Damit wird mancher Ausländer gezwungen werden, seinen Besitz wieder abzustoßen. Für die Zukunft wird dem Ausländer der Erwerb wohl wesentlich erschwert werden. Äne durchaus unerwünschte Erscheinung des Grundstücksverkehrs der letzten Jahre würde damit beseitigt werden." Für die weitere Entwicklung des Wohnungsnotrechtes sind natur­ gemäß gerade die wirtschaftlichen Auswirkungen der Währungsreform von entscheidender Bedeutung. Mag die Durchführung der vorgesehenen währungspolitischen Maßnahmen gelingen oder nicht, so viel steht fest, daß, solange das Wohnungsbedürfnis nicht in aus­ reichendem Maße befriedigt werden kann, an einen Abbau der sog Zwangswirtschaft nicht zu denken ist. Die wirtschaftliche Freiheit des Einzelindividuums, der unbeschränkte Individua­ lismus, wie er den liberalen Gesetzen der letzten Jahrzehnte zu eigen war und ihnen ein besonderes Gepräge gab, wird nicht wiederkehren weder auf dem Gebiete des Mietrechtes noch auf einem anderen Gebiet der Rechtsordnung. Das Ziel der Entwicklung unserer Wirtschaft und damit unserer Rechtsordnung wird sein: wirtschaftliche Freiheit unter Begrenzung durch die Rücksicht auf die Interessen anderer, Anerkennung der Interessen der Gesamtheit unter Zu­ rückdräng ung des Einzel willens. Abseits von jedem politischen Sozialisierungsgedanken wird man anerkennen müssen, daß die Rechtsordnung in ihrer weiteren Entwick­ lung, insbesondere auf dem Gebiete der Schuldverhältnisse und des Sachenrechtes nachstehende Forderungen zu berücksichtigen hat: 1 Der Einzelne darf durch den Gebrauch der privatrechtlichen Frei­ heit die Gesamtheit der übrigen Volksgenossen nicht benachteiligen und 2. die Ausübung dieser privatrechtlichen Freiheit darf in keinem Falle wirtschaftlich schwache Volksgenossen unterdrücken oder sie in ihren wichtigsten Bedürfnissen (Nahrung, Kleidung und Woh­ nung) über das Maß des Mindestbedarfes (Existenzminimum) hin­ aus beschränken. Dieser Gesichtspunkt, dessen Grundzüge bereits im Bürgerlichen Gesetzbuch vereinzelt vorzufinden sind, wird um so mehr zur Anerkennung in der Rechtsordnung zu bringen sein, je mehr die durch die Kriegs­ wirtschaft angebahnte und in der Nachkriegszeit verstärkte Entwicklung des Zusammenschlusses der Güter erzeugenden Wirtschaftsgruppen sich

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ausdehnt. Immer mehr wird angesichts dieser Entwicklung der lvirtschaftlichen Verhältnisse die Erkenntnis durch dringen, daß die gesamte Sozialpolitik in Verkennung der wahren Bolksgegensätze falsch ein­ gestellt ist: nicht Arbeitnehmer und Arbeitgeber sind die natürlichen Gegner, sondern Erzeuger und Verbraucher. Nicht die Produktions­ förderung unter allen Umständen darf das Ziel staatspolitischer Bestrebungen sein, sondern der wirtschaftliche Ausgleich der natür­ lichen Gegensätze zwischen Erzeuger und Verbraucher. Die Schwierigkeiten einer hierauf abzielenden Staatspolitik sind nicht zu verkennen: sie liegen darin begründet, daß angesichts der viel­ fachen Verknüpfung des Einzelnen mit dem Wirtschaftsleben des Volkes eine scharfe Abgrenzung der beiden Wirtschastsgruppen nur schwer durchzuführen sein wird. In dieser Beziehung bleibt noch vieles zu klären; zuweilen wird auch organisatorisches Eingreifen not­ wendig werden, wie ich dies für das Gebiet des Wohnungswesens seit Jahren vorgeschlagen und begründet habe. So sehr die bisherigen Maß­ nahmen des Reiches und der Länder auf wirtschaftlichem Gebiet von parteipolitischen Gesichtspunkten zum Nachteil der Wirtschaft getroffen wurden, so sehr droht jetzt die größte Gefahr aus der Anwendung des anderen Prinzipes: wirtschaftliche Probleme können nicht ohne jede Rücksichtnahme auf die politische Lage eines Volkes gelöst werden. Die so dringend notwendige Währungsreform ist nicht ein rein wirtschaft­ liches, sondern auch ein politisches Problem, zu dessen Lösung es einer innerpolitischen d. i. in der Hauptsache wirtschaftlichen und einer außenpolitischen Mitwirkung bedarf. Diese außenpolitische Wirkung beruht auf der engen wirtschaftlichen Verknüpfung aller Kulturstaaten; die Anpassung der einzelstaatlichen Wirtschaft an diese Wirtschafts­ gemeinschaft muß das Ziel der Politik nach außen und nach innen sein. Die Lösung der Währungssrage ist darum nicht bloß ein deutsches, sondern zugleich ein internationales Problem von größter Tragweite.^) Die deutsche Wirtschaftsnot ist zu einer Wirtschaftskrisis geworden; aus der Krisis des Wirtschaftslebens droht eine Krisis des Kultur­ lebens zu werden, wie sie bisher die Weltgeschichte des Abendlandes noch nicht gesehen hat. Die kulturelle Gemeinschaft aller Völker sollte über alle völkischen Gegensätze hinweg zusammenstehen, um das gegen­ wärtige deutsche Kulturleben zu retten. Das ist das Gebot der Stunde, dem die persönlichen Interessen des Einzelnen wie der Völker der abendländischen Kulturgemeinschaft sich unterzuordnen haben. 5) Vgl. hierzu die weiteren Ausführungen im Exkurs zu § 16 RMG. (III).

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Mieterschutz und Mieteinigungsämter.

A. Mieterschutzrecht. I. Gesetz über Mieterschutz und Mieteinigungsamter. Vom 1. Juni 1923 (RGBl. Teil I S 353).

Der Reichstag hat das folgende Gesetz beschlossen, das mit Zu­ stimmung des Reichsrats hiermit verkündet wird: Wegen des neuen österreichischen Mietgesetzes vom 7. Dez. 1922 vgl. IW. 1923, 486

Vorbemerkung.

Das Gesetz, in Bayern — § 53 kommt hier nicht in Betracht — am 1 Oktober 1923 in Kraft getreten, zerfällt in drei Abschnitte: 1. Abschnitt (§§ 1—36) Mieterschutz, dessen Mittelpunkt die Er­ schwerung der Aufhebung von Mietverhältnissen bildet. 2 Abschnitt (§§ 37—47) Mieteinigungsämter: er bringt die Einführung der Rechtsbeschwerde gegen die Entscheidungen der Mieteinigungsämter; Beschwerdestellen sind in Bayern die Landgerichte. Der Abschnitt wird ergänzt durch die auf Grund des § 47 von der Reichsregierung erlassene Anordnung für das Verfahren vor dem Mieteinigungsamt und der Be­ schwerdestelle vom 19. Sept. 1923 (abgedruckt im Anhang III). 3. Abschnitt (§§ 48—54) Schluß- und Übergangsvorschriften. Hier­ nach tritt das Gesetz am 1. Juli 1926 außer Kraft. Der Grundgedanke des Gesetzes zielt nach der amtl. Begründung (Reichstagsdrucksache 1920/22 Nr. 4185) darauf ab, „den Mieter vor einer gegen seinen Willen erfolgenden Beendigung des Miet­ verhältnisses so weit zu schützen, als sich dies mit berechtigten Interessen des Vermieters irgend vereinen läßt". Hält man mit der herrschenden Meinung daran fest, daß das Mietverhältnis trotz unver­ kennbaren Einschlages deutschrechtlicher Gedanken nach dem BGB. ein obligatorisches Rechtsverhältnis darstellt, so wird man in der Fortbildung des Mietrechtes durch das Reichsmietengesetz und insbe­ sondere durch das Mieterschutzgesetz unzweifelhafte Ansätze einer ding­ lichen Konstruktion des Nutzungsrechtes an Gebäuden erblicken Die Umbildung des Mreterschutzgedankens des bisherigen Rechtes in die Grundzüge des neuen Gesetzes zeigt deutlich eine Verstärkung des Rechtes des Mieters an der Mietsache, dessen Ausgestaltung irrt einzelnen über die Beschränkung der Vermieterrechte im öffentlichen Interesse hinaus zu einem Recht des Mieters auf zeitlich nahezu unbeschränkten Gebrauch der Räume geführt hat Wegen der bereits durch die Bor-

Vorbemerkung.

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schriften der §§ 571—579 BGB. dem Mietverhältnis beigelegten Wir­ kung dinglicher Art vgl. auch RG. III 18. März 1921, Recht 1921 Nr. 2371. Ob diese Weiterbildung des Mietrechtes zu einem dauernden Nutzungsrecht vom Standpunkt der Wohnungspolitik aus zu bedauern ist, mag dahingestellt bleiben. Die Befürchtung Syrings (DIZ. 1922, 35), daß der Vermieter künftig, wenn nur irgend möglich, die Eingehung eines Mietverhältnisses verweigern wird, kann die Rechts­ entwicklung nicht aufhalten. Es muß dafür Sorge getragen werden, daß diese Möglichkeit unterbunden wird. In Widerspruch zu der Rechts­ theorie steht eine solche Entwicklung jedenfalls nicht.

1. A b s ch n i t t. Mieterschutzrecht. A. Grundsätzliches. Die in diesem Abschnitt unter der Bezeichnung Mieterschutz zusammengestellten Bestimmungen bedeuten eine nicht un­ erhebliche Beschränkung, Ergänzung und teilweise Erweiterung der für das Mietverhältnis nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches geltenden Rechtsnormen. In Verbindung mit dem Reichsmietengesetz und dem Bürgerlichen Gesetzbuch (§§ 535—580) bringt dieser Abschnitt die Weiterbildung des sozialen. Gedankens des Schutzes der Mieter, wie er bisher in der Mieterschutzverordnung vom 23. Sept. 1918 in der Fassung des Gesetzes vom 11 Mai 1920 (RGBl. S 951) seinen Ausdruck gefunden hat Der Grundgedanke des neuen Mieterschutzes liegt in der grundsätzlichen, wenn auch nicht ausnahmslosen Be­ seitigung des vertraglichen und gesetzlichen Kündi­ gungsrechtes des Vermieters bei Mietverhältnissen über Ge­ bäude und Gebäudeteile, der Einführung der Aufhebungsktage und deren Verweisung vor das Amtsgericht, das hierüber in einem be­ sonderen Verfahren zu entscheiden hat. Mietverhältnisse der bezeich­ neten Art können daher künftig nur mehr im Wege der freien Ver­ einbarung oder durch .Kündigung seitens des Mieters, deren Zulässi-gkeit sich nach dem Vertrage oder nach den Vorschriften der §§ 535 ff BGB richtet, aufgehoben werden. Eine Kündigung des Vermieters ist zulässig bei Erbfällen nach Maßgabe des §. 19 MSchG, und im Falle des Konkurses (§ 26 MSchG). Die Rechte des Mieters sind durch das MSchG — abgesehen von den Vorschriften der §§ 28, 30 — nicht beschränkt; wegen der Rechtsabtretung vgl. § 29 Anm. 2 Von der Zulässigkeit einer „Veräußerung des Mietrechts" (Syring, DIZ. 1922, 35) kann keine Rede sein. Wenn auch grundsätzlich der Zweck des Gesetzes, insbesondere dieses Abschnittes, die Wahrung der Interessen der Mieter ist, und dieser Gesichtspunkt ebenso wie in der bisherigen Mieterschutz­ verordnung (vgl. Kiefersauer-Scherer S. 1, 69) bei der Aus­ legung der gesetzlichen Vorschriften zu beachten ist, so finden sich dennoch im ersten Abschnitt dieses Gesetzes einzelne Bestimmungen, die im Interesse des Vermieters getroffen worden sind Als solche kommen in Betracht: 1. Hinsichtlich des Kündigungsrechtes des Vermieters oder Erben ist in § 19 Abs. 1 Satz 1 bestimmt, daß das Kündigungsrecht des Vermieters oder Erben im Geltungsbereiche dieses Abschnittes

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auch dann nach Maßgabe des § 569 BGB. Geltung haben soll, wenn es durch eine vertragliche Abmachung ausgeschlossen ist: hier greift das Gesetz zugunsten des Vermieters oder Erben in bestehende Mietrechte ein.« In beschränktem Umfang ist die Kündigung des Vermieters zulässig nach Maßgabe der für die Werkwohnungen nach §§ 20—23 MSchG, getroffenen Sonderregelung. 2. Das dem Mieter nach §§ 387 ff. BGB. gegen die Mietzinsforderung, zustehende Aufrechnungsrecht kann, soweit es sich um eine dem Mieter auf Grund des § 538 Abs. 2 BGB. zustehende Ersatz?forderung handelt, nach § 28 MSchG, im Geltungsbereiche dieses Gesetzes nicht beschränkt werden. Soweit jedoch eine vertragliche Regelung in dieser Hinsicht besteht, ist, sofern die gesetzliche Miete zu zahlen ist, die Äufrechnungsbefugnis des Mieters zugunsten des Vermieters auf die Fälle beschränkt, wo die Bezirksverwaltungsbehörde die Vornahme der laufenden Jnstandsetzungsarbeit auf Grund des § 6 RMG. für erforderlich erklärt hat. 3. Hinsichtlich der Mietzinszahlung können in den Fällen, in denen die gesetzliche Miete — auf Verlangen des Mieters oder des Ver­ mieters — zu zahlen ist, kürzere als die vereinbarten und gesetz­ lichen Zahlungsabschnitte zugunsten des Vermieters landesrechtlich angeordnet werden (§ 30). B. Räumlicher Geltungsbereich des ersten Abschnittes. Die Be­ stimmungen des Mieterschutzes gelten grundsätzlich für das- ganze Reich. Im Gegensatz zu der bisherigen Mieterschutzverordnung, das nur eine landesrechtliche Erweiterung des Mieterschutzes kannte, aber in An­ lehnung an § 22 des Reichsmietengesetzes ist das Mieterschutzgesetz zwar nicht im einzelnen, wohl aber in seiner ganzen sachlichen Ausdehnung durch landesrechtliche Regelung beschränkbar: bestimmte Gemeinden oder Gemeindeteile oder bestimmte Arten von Mieträumen können mit Zustimmung des Reichsarbeitsministers von den Vorschriften des ersten Abschnittes ausgenommen werden (§ 52 MSchG.). Die Buntscheckigkeit und Vielgestaltigkeit des Mietrechtes wird hiedurch bedauerlicherweise vermehrt; auch an dieser Stelle muß mit Nachdruck auf die Notwendig­ keit der Wiederherstellung der Einheit des Mietrechts im Deutschen Reich hingewiesen werden. Bayern hat von der Befugnis des § 52 MSchG, bisher keinen Gebrauch gemacht. C. Sachlicher Geltungsbereich des Mieterschutzes. Die Bestimmungen des ersten Abschnittes sind grundsätzlich nur anzuwenden auf Miet­ verhältnisse; deshalb scheiden aus: rein tatsächliche Besitzver­ hältnisse, Pachtverhältnisse oder sonstige Rechtsverhältnisse, die nicht als Mietverhältnisse anzusehen sind. Mieter und Vermieter sind auch die Personen, die aus einem auf Grund des § 4 Abs. 1 Satz 1 WMG. abgeschlossenen Mietvertrag oder aus einem durch Staatsakt begründeten Zwangs mietverhältnis (§ 4 Abs. 1 Satz 2 WMG.) Rechte und Pflichten ableiten; auch für die Beendigung dieses Mietverhältnisses gelten beim Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen die Vorschriften des ersten Abschnittes. Mieter können sowohl natür­ liche als auch juristische Personen sein: für Aktiengesellschaften, Vereine, Handelsgesellschaften gilt daher grundsätzlich das Mieterschutz-

Vorbemerkung.

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recht (Kiefersauer-Scherer S. 3). Für die Anwendung des gelten­ den Rechtes im einzelnen und demgemäß für den Umfang des zu ge­ währenden Schutzes kann es im einzelnen Falle, insbesondere bei vor­ geschriebener Berücksichtigung der Vermögens- und Erwerbsverhältnisse (bgl. § 4 Abs. 3) oder für gewerbliche Räume bei Berücksichtigung ver­ schiedener Niederlassungen (§ 4 Abs. 1) von Bedeutung sein, ob eine natürliche oder eine juristische Person die Räume inne hat. Nach dem Vorbild des § 14 RMG. finden die Vorschriften dieses Abschnittes zum Teil (§§ 1—19 u. § 29) auch auf Untermieter Anwendung; darüber hinaus sind diese Vorschriften in diesem be­ schränkten Umfang für anwendbar erklärt auf Rechtsverhältnisse, die zwar reine Mietverhältnisse, aber nicht Untermietverhältnisse sind, näm­ lich auf die Fälle, in denen ein Hauseigentümer oder jemand, der einen Raum auf Grund eines Erbbaurechts, Nießbrauchs oder eines ähn­ lichen Rechtsverhältnisses inne hat, einen Teil des von ihm selbst im Hause benutzten Raumes vermietet (§. 24 MSchG.). Eine Besonderheit findet sich in § 1 Abs 3 des Gesetzes, wonach über die Rechtsnorm des § 571 BGB hinaus der Erwerber eines Grundstückes all­ gemein hinsichtlich der Bestimmungen des ersten Abschnittes als Ver­ mieter anzusehen ist Eine weitere Abgrenzung der Mietverhältnisse besteht darin, daß nur Mietverhältnisse über Gebäude oder Gebäudeteile für die Bestimmungen des ersten Abschnittes in Betracht kommen Dies ist zwar zunächst ausdrücklich nur für die Beschränkung der Auf­ hebung von Mietverhältnissen (§§ 1—18) bestimmt, gilt aber auch für die in den §§ 19—36 getroffenen Sonderbestimmungen, auch soweit hier lediglich von Mieträumen die Rede ist In dieser Beziehung hat das neue Mieterschutzrecht nur eine unwesentliche Änderung des sach­ lichen Geltungsbereiches der Mieterschutzverordnung gebracht (Kiesersau er-Sch er er S 3). Mietverhältnisse über bewegliche Sachen, über Räume in Schiffen, Wohnwagen, über Lagerplätze u dgl. sind den Vorschriften dieses Abschnittes nicht unterworfen; für sie gilt daher kein Mieterschutzrecht. Soweit es sich dagegen um Gebäude handelt, erstreckt sich der Mieterschutz grundsätzlich auf Räume jeder Art, gleichviel ob diese Räume zu Wohnzwecken oder zu anderen, insbesondere gewerb­ lichen Zwecken verwendet werden. Auf Läden, Werkstätten, Kontor­ räume, Büros, Fabrikräume finden demgemäß die Vorschriften dieses Abschnittes grundsätzlich ebenso Anwendung wie aus Wohnräume, sofern überhaupt ein Mietverhältnis vorliegt Die Bestrebungen aus Lockerung der Wohnungszwangswirtschaft haben jedoch im Gegensatz zu dem bis­ herigen Recht für einzelne Fälle zu nicht unerheblichen Ausnahmen geführt: § 19 MSchG, findet auf Geschäftsräume nur beschränkte Anwendung (§ 19 Abs. IV) und die Ergänzung des § 549 BGB. hin­ sichtlich der Weiterüberlassung von Räumen an Dritte ist auf Wohn­ räume beschränkt (§ 29). ,Jnr Rahmen der Mietverhältnisse über Gebäude und Gebäudeteile ist die Anwendung des Mieterschutzrechtes durch wichtige Ausnahme­ bestimmungen grundsätzlich eingeschränkt; die Bestimmungen dieses Ab­ schnittes finden keine Anwendung: I. Auf Räume, die für besondere Zwecke zu vorübergehendem Gebrauche vermietet oder untervermietet sind (vorübergehende

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Zweckverwendung) 88 25, 32 Abs. III MSchG. In Betracht kommen die Fälle der Vermietung von Räumen für die Kur- und Badezeiten^ für bestimmte Festlichkeiten, für vorübergehende geschäftliche Veran­ staltungen (Jahrmärkte, Messen, Ausstellungen) usw. Die Schutzvorschrift des 8 49 Abs. 2 MSchG., wonach die Bestimmungen dieses Gesetzes auch Anwendung zu finden haben auf Verträge, die unter Umgehung oder zum Zwecke der Umgehung des Gesetzes abgeschlossen sind, wird für die Fälle der vorübergehenden Zweckverwendung besondere Bedeu­ tung gewinnen. Das für die Aufhebungsklage vorgeschriebene besondere Ver­ fahren greift jedoch auch bei Rechtsstreitigkeiten über die Heraus­ gabe eines nur zu vorübergehendem Zwecke vermieteten Raumes Platz (88 25, 27 MSchG). Die Nichtanwendbarkeit der Bestimmungen dieses Abschnittes ist auf die 38 1—19 beschränkt; die §3 26, 28, 29, 30, 31 und 36 sind dagegen gegebenenfalls auch für solche Mietverhältnisse zur Anwendung zu bringen II Auf Räume in Neubauten oder Umbauten, wenn sie nach dem 1. Juli 1918 bezugsfertig werden, ferner aus Räume in Genossenschaftshäusern der in 8 33 MSchG, bezeichneten Art, gleichviel, wann diese Bauten errichtet sind. Für Genossenschaftshäuser kommen die Vorschriften dieses Gesetzes überhaupt nicht in Betracht­ wenn das Nutzungsverhältnis der Genossen an den Räumen nicht mietrechtlich, sondern gesellschaftsrechtlich geordnet ist. Wegen der Ausnahmebehandlung der im Eigentum des Reiches, der Länder und sonstiger Körperschaften des öffentlichen Rechtes stehenden Gebäude vgl 8 32 MSchG, und unten III Zrff 1 III Nach der Art des "Nutzungsberechtigten sind durch Einzelbestimmungen Ausnahmen geschaffen 1 für Gebäude oder Gebäudeteile, die im Eigentum oder in der Verwaltung des Reichs, eines Landes oder einer Körperschaft des öffentlichen Rechtes, gemeinnütziger Anstalten und Stiftungen oder gemeinnütziger, nicht auf Erwerb gerichteter Organisationen (8 32). Hierbei ist im Gegensatz zu 8 16 RMG. unerheblich, wann das Gebäude in das Eigentum der vorbezeichneten Organi­ sationen gekommen ist. Voraussetzung ist jedoch, daß. das Gebäude entweder a) öffentlichen Zwecken oder b) zur Unterbringung von Angehörigen der Verwaltung einer dieser Körperschaften (Organisationen) zu dienen bestimmt ist. Daß diese Zweckbestimmung bereits erfüllt ist, wird im Gegensatz zu 8 16 RMG. nicht gefordert. Eine beschränkte Anwendung finden die Vorschriften dieses Abschnittes im Fakte des 8 32 Äbs. 4; im übrigen gilt hinsicht­ lich der Räumung 8 32 Abs. 2 MSchG. 2 nach Maßgabe der landesrechtlichen Regelung für bestimmte Ge­ meinden, insbesondere Grenzgemeinden, wenn der Mieter im Aus land eine seine Arbeitskraft ganz oder überwiegend in Anspruch nehmende Beschäftigung ausübt, ohne zu einem deutschen Arbeitgeber in einem Dienst- oder Arbeitsverhältnis zu stehen (§ 34)

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Einer besonderen Würdigung bedarf die Ausdehnung des Mieter­ schutzrechtes auf Rechtsverhältnisse, die die Nutzung von Räumen zum Gegenstand haben, aber nicht Mietrechtsverhältnisse dar­ stellen, sei es weil ein Mietverhältnis nach bürgerlichem Recht über­ haupt nicht vorgelegen hat (z. B. eine Wohnung war gegen Dienst­ leistung als Hausmeister überlassen), sei es weil das ursprüngliche Mietrechtsverhältnis durch Zeitablauf oder aus einem sonstigen Grunde beendigt worden ist. Auch rein tatsächliche Besitzverhältnisse können hiernach dem Mieterschutzrecht unterstellt sein; damit greift das Mieterschutzgesetz über den Rahmen des' § 568 BGB. hinaus auch in jenen Fällen Platz, in denen die- Fiktion der Verlängerung des Miet­ verhältnisses über die Beendigung des Mietverhältnisses („Ablauf der Mietzeit") beseitigt ist. In Betracht kommen folgende Fälle: I. Werkwohnungen: Soweit Mietverhältnisse vorliegen, gelten die Vorschriften dieses Abschnittes (§§ 1—19) auch über die Dauer der Beendigung des Dienst- oder Arbeitsverhältnisses hinaus ■(§ 21) und das Gleiche gilt für Werkwohnungen, die mit Rücksicht auf ein bestehendes Dienst- oder Arbeitsverhältnis gegen Anrechnung des Entgeltes auf die Vergütung für die Dienstleistung überlassen sind (§ 21). Eine Ergänzung der allgemeinen Vorschriften findet sich in den §§ 22 und 23 MSchG. II. Gebäude oder Gebäudeteile der „Gemeinden, Körperschaften des­ öffentlichen Rechtes, gemeinnütziger Anstalten und Stiftungen so­ wie gemeinnütziger, nicht auf Erwerb gerichteter Organisationen" sind der Vorschrift des § 23 MSchG, unterworfen; bgr Vermieter kann hiernach unter erleichterten Voraussetzungen die Aufhebung des Mietverhältnisses verlangen, soweit er die Räume für eigene Zwecke dringend benötigt (§ 32 Abs. 4). III. Die Vorschriften des Mieterschutzgesetzes finden Anwendung auf Verträge aller Art, wenn und soweit solche unter Umgehung oder -um Zwecke der Umgehung dieses Gesetzes abgeschlossen sind (§ 49). Rechtsverhältnisse, die die Überlassung des Gebrauchs von Räumen zum Gegenstand haben, sind daher in jedem Fall nach ihrer recht­ lichen Natur unter diesem Gesichtspunkt zu prüfen, auch wenn die Bezeichnung des Rechtsverhältnisses und auch die Rechtsform selbst eine andere als die eines Mietverhältnisses ist. IV. Eine Ausdehnung der für das Verfahren bei der Aufhebungs­ klage geltenden Vorschriften über die Zuziehung von Bei­ sitzern ist für aUe Rechtsstreitigkeiten vorgesehen, die die Herausgabe eines Mietraumes zum Gegenstand haben, auch wenn die Aufhebung des Mietverhältnisses im Sinne des Gesetzes nicht verlangt wird (§ 27). Das Verfahren bei der Räumungsklage ist damit abweichend von den allgemeinen Vorschriften geregelt. D. Inhaltlich lassen sich die Bestimmungen des ersten Abschnittes in zwei Gruppen teilen: in materielle Rechtsvorschriften, die zum Teil die Vorschriften des BGB. über die Miete (§§ 535—580) er­ gänzen oder abändern, zum Teil eine Erweiterung des Reichsmieten­ gesetzes bedeuten und in prozessuale Normen, die sich hauptsäch­ lich mit der Durchführung der Zwangsvollstreckung befassen. Daneben finden sich auch Vorschriften, die in engem Zusammenhang mit den

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Wohnungsmangelbestimmungen stehen und insoweit in be­ sonderem Maße den öffentlichrechtlichen Charakter des Mieterschutz­ rechtes zum Ausdruck bringen. 1. Materielles Recht findet sich in folgenden Bestimmungen: a) Beschränkung des Kündigungsrechtes des Vermieters und Ein­ führung der Aufhebungsklage, die nur auf gesetzlich genau um­ schriebene Tatsachen gestützt werden kann (§§ 1—5); b) Ausdehnung des Kündigungsrechtes des Vermieters und des Erben unter Beseitigung entgegenstehender Vertragsabreden (8 19); c) Ausdehnung des Mietverhältnisses über § 568 BGB- hinaus in den Fällen des § 6 Abs. 3 und § 19 Abs. 2; d) Einschränkung des vertraglichen Aufrechnungsverzichtes des Mieters und Erweiterung der Rechte _des Vermieters -{§ 28); e) Regelung der Zinszahlungstermine bei Zahlung t>er gesetz­ lichen Miete (§ 30); f) Ergänzung des § 549 BGB. (Erlaubnis zur Untervermietung) (§ 29); g) Unwirksamkeit wohnungspolizeilich nicht gestatteter Mietver­ träge (§ 31); h) Minderung und Festsetzung des Mietzinses (§§ 4 Abs 2, 21). 2 Prozessuale Beschränkungen der Zwangsvollstreckung (Räumung): a) Zulässigkeit der Abhängigmachung der Zwangsvollstreckung — keine Pflicht des Gerichts — von der Sicherung eines aus­ reichenden Ersatzraumes (§§ 6 Abs. 2, 14, ,27); Berück­ sichtigung bei Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung (§ 16) und Beschränkung der Möglichkeit, das Urteil für vorläufig vollstreckbar zu erklären (§ 13 Abs. 3); b) Abhängigmachung der Zwangsvollstreckung — Pflicht des Ge­ richts — von der Sicherung eines (unter Berücksichtigung der Wohn- und Geschäftsbedürfnisse des Mieters) angemessenen Ersatzraumes (§§ 6 Abs. 1); Ausschluß der vorläufigen Voll­ streckbarkeitserklärung (§ 13 Abs. 3) und Berücksichtigung bei Erteilung der vollstreckbaren Ausfertigung des Urteils (§. 16); c) Ergänzung eines gerichtlichen Vergleiches über Räumung, wenn Sicherung eines ausreichenden Ersatzraumes im Falle des § 4 MSchG, nicht vereinbart ist (§ 27 Abs. 3); d) Unzulässigkeit der Anordnung der Herausgo.be eines Miet­ raumes im Wege einstweiliger Verfügung Wegen der Zulassung der Geldabsindung an Stelle der Siche­ rung eines Ersatzraumes vgl §§ 22, 23, 36 Abs 2; wegen der Vergütung der Umzugskosten innerhalb des Gemeindebezirkes vgl §§ 4 Abs. 3, 16, 32 und 35 Hinsichtlich der Sonderregelung bei Untermiete § 24. 3 Wohnungspolizeiliche Vorschriften enthalten a) § 4 Abs. 7: Das Gericht kann in einer die Ortspolizeibehörde bindenden Weise im Urteil aussprechen, daß die Beschlagnahme des Mietraumes nur unter bestimmten Voraussetzungen zu­ lässig ist: Einengung der der Ortspolizeibehörde auf Grund der §§ 4, 5 und gegebenenfalls § 6 WMG. zustehenden Beschlagnahmebesugnis;

Beschränkung der Aufhebung von Mietverhältnissen. § 1.

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d) § 36 Abs. 1 u. 2: Verpflichtung der Ortspolizeibehörde zur beschleunigten Zuweisung eines entsprechenden Ersatz­ raumes (Wohn- oder sonstigen Raum) für den zur Herausgabe des Mietraumes Verpflichteten: Erweiterung des Kreises der nach § 14 WMG. vorzugsweise zu berücksichtigenden Wohnung­ suchenden und Ausdehnung der wohnungspolizeilichen Maß­ nahmen auch auf Nichtwohnräume, ohne daß zugleich die all­ gemeinen Vorschriften über Maßnahmen gegen Wohnungs­ mangel eine Zwangsvermittlung von Nichtwohnräumen zu­ lassen würden; c) § 36 Abs. 3: Wer zur Herausgabe eines Raumes nach dieser Vorschrift verpflichtet ist, darf von der Ortspolizeibehörde nicht in den gleichen Raum wieder eingewiesen werden: Be­ schränkung der Ortspolizeibehörde in der Auswahl der Räume. E. Verfahren. Die allgemeine Zuständigkeit der Amtsgerichte (ohne Rücksicht aus den Wert des Streitgegenstandes) ist in § 23 Ziff 2 GVG festgelegt auf: „Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung sowie wegen Zurückbehaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen." Diese Streitigkeiten sind Ferien­ sachen § 202 Abs. 2 Ziff. 4 GVG Die Amtsgerichte sind hiernach nicht zuständig für Mietstreitigkeiten anderer Art z. B. für Klagen auf Zahlung des Mietzinses, auf Entschädigung wegen Verschlechterung oder Nichtüberlassung der Mieträume, für Räumungsklagen auf Grund Eigentums, auf Feststellung des Mietverhältnisses im ganzen (vgl. Mittelstein 3 Aufl. S 389). , Hiefür gelten die allgemeinen Zu­ ständigkeitsbestimmungen der §§ 70, 23 Ziff. 1 GVG.; der Wert des Streitgegenstandes ist nach der 3. Verordnung zur Entlastung der Gerichte vom 30. Oktober 1923 (RGBl. I S 1041) auf 250 M (Grund­ zahl mal Reichsindexziffer) festgesetzt Wegen der täglichen Veröffent­ lichung der „Prozessualen Teuerungszahl" im Bayer. Staatsanzeiger vgl. MBek. vom 8. November 1923, StAnz. Nr. 260. Das Aufhebungsverfahren (§§ 1—18 MSchG.) sowie die Fälle des § 27 MSchG, sind den Amtsgerichten zur Entscheidung übertragen; diese haben grundsätzlich unter Zuziehung von zwei Beisitzern (Aus­ nahmen §§ 8, 11 MSchG.) ihre Entscheidungen zu treffen. Das Land­ gericht ist Berufungsgericht (§§ 14, 27); es entscheidet ohne Zuziehung von Beisitzern.

a) Beschränkung der Aushebung von MietverhSltniffen. 8 1. 1 Mietverhältnisse' über Gebäude oder Gebäudeteile3 sönnen3, vorbehaltlich der §§ 19 bis 26, auf Verlangen des Vermieters gegen den Willen des Mieters nur aus den in den §§ 2 bis 4 bezeichneten Gründen aufgehoben werden. Die Aufhebung erfolgt auf Klage* des Vermieters durch gerichtliches Urteil. KieferSauer, Mieterschutzrecht. 2

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H Ist das Mietverhältnis für eine bestimmte Zeit eingegangen, so wird es nach dem Ablaufe der Mietzeit fortgesetzt, wenn nicht der Mieter spätestens zu dem Zeitpunkt, zu dem nach § 665 des Bürgerlichen Gesetzbuchs eine für den Ablauf der Mietzeit zu­ lässige Kündigung zu erfolgen haben würde, sich auf die Be­ endigung des Mietverhältnisses beruft.'' Ein vertraglich vorbehaltenes Rücktrittsrecht kann vom Vermieter nicht gegen den Willen des Mieters ausgeübt werden? '"Dem Vermieter steht gleich, wer nach dem Abschluß des Mietvertrags das Eigentum an dem Grundstück erwirbt?'" 1. Nur Mietverhältnisse kommen in Betracht; sie werden begründet durch Mietvertrag (Schriftform § 566 BGB.) oder beim sog. Zwangsmietvertrag — nur zulässig für Wohnräume § 4 WMG. — durch autoritativen Staatsakt, der zwischen den Parteien die gleichen Wirkungen wie ein Mietvertrag erzeugt (vgl. § 4 Abs. 1 S. 4 WMG.). Fälle der gesetzlichen Begründung oder der Fiktion der Fortdauer von Mietverhältnissen finden sich in den § 568 BGB., §§ 1 Abs. 2, H Abs. 3, 19 Abs. 2 MSchG. Über die Überlassung von Wohnräumen ohne Abschluß eines Mietvertrages vgl. RG. III 9. Juli 1921,. Warn. Nspr. 1921 Nr. 141, vgl. auch § 19 Abs. 3 MSchG. Miete ist nach § 535 BGB. die Überlassung einer Sache zum Gebrauch gegen Entgelt. Nach diesen gesetzlichen Merkmalen ist nach den Umständen des einzelnen Falles zu prüfen, ob ein Mißverhältnis nach dem Willen der Vertragschließenden begründet werden wollte und tatsächlich begründet wurde. Die bloße Bezeichnung eines Vertrags«» teiles als „Mieter" dürfte zur Feststellung eines Mietverhältnisses nicht genügen; RG. 3. Juli 1923, BayZfN. 1923, 210 (zu weitgehend RG. 104, 38 = Recht 1922 Nr. 1675) vgl. § 1 RMG. Anm. 2 und unten Abs. 5. Der Grundsatz der Vertragsfreiheit auf dem Gebiete des Schuldrechtes hat je nach den Bedürfnissen des Wirtschaftslebens besondere Vertragstypen entstehen lassen, die keinem der vom BGB. geregelten Vertragsverhältnisse ausschließlich angehören, vielmehr nach ihrem Inhalt die Anwendung von Einzelvorschriften aus mehreren der gesetzlich geregelten Vertragstypen verlangen. Die Rechtsnatur solcher gemischter Verträge kann nur an der Hand des Einzel­ falles nach dem Hauptzweck des Vertrages festgestellt werden; eiktscheidend ist, was dem Vertrag entsprechend seinem hauptsächlichen, wirtschaftlichen Zweck das Gepräge verleiht. Hiernach ist also z. B. zu entscheiden, ob die Übernahme von Dienstleistungen durch den Wohnungsinhaber dem Vertrag den Charakter eines Miet- oder eines Dienstvertrages gibt (vgl. hiezu Kiefersauer-Scherer S. 18 u. LG. Breslau IW. 1922, 8246). Mit der bloßen Feststellung der rechtlichen Natur eines Vertrages ist die Aufgabe des Richters noch nicht erfüllt: das Ergebnis der rechtlichen Untersuchung ist sowohl nach § 19 Abs. 2* RMG. als auch nach § 49 Abs. 2 MSchG, unter dem Gesichtspunkt zu überprüfen, ob der Vertrag „unter Umgehung oder zum Zwecke der Umgehung des Gesetzes" abgeschlossen worden ist. Die Pflicht zur Ermittlung der Absichten und Beweggründe der Par­ teien nach dieser Richtung besteht hauptsächlich in dem Falle, daß sich

Beschränkung der Aufhebung von Mietverhältnissen. § 1.

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bei der Prüfung der Rechtsnatur des Vertrages ergeben hat, daß ein Mietverhältnis nicht vorliegt. Es erscheint fraglich, ob die Partei­ absichten in so weitgehendem Maße der richterlichen Nachprüfung über­ haupt unterworfen werden wollten: die Vorschrift der §§ 19 RMG. und 49 MSchG, darf jedenfalls nicht dazu führen, daß eine ohne jede Nebenabsicht zum Ausdruck gebrachte Willenserklärung umgedeutet wird. Lag im einzelnen Falle ein wirtschaftliches Bedürfnis vor, nicht ein Mietverhältnis, sondern ein anderes Rechtsverhältnis zu begründen, so darf auch nicht auf dem Umwege über § 49 MSchG, dieses Vertrags­ verhältnis den Vorschriften dieses Gesetzes unterstellt werden. Nur wenn die Umgehungsabsicht aus den Umständen des Falles sich zweifel­ los ergibt, wenn insbesondere die Rechtsfonn von einer Partei unter Ausnutzung der Unkenntnis oder Unerfahrenheit der anderen Vertrags­ partei gewählt worden ist, wird § 49 zur Anwendung zu bringen sein (vgl. §49 Anm. 2). Terfloth, IW. 1923, 738, will zu Unrecht auch bei zweifelloser zivilrechtlicher Behandlung als Nichtmietverhältnis vom öffentlichrechtlichen Gesichtspunkt aus die Vorschriften des Mieter­ schutzes zur Anwendung bringen. Da nur Mieteverhältnisse in Betracht kommen, findet dieses Gesetz ebenso wie das bisherige Mieterschutzrecht (Kiefersauer-SchererS.2; RG. 105,46; 104,364; 103,273; 102,188, RG. im Recht 1921 Nr 2017) keine Anwendung auf Pachtverhältnisse und auf Nutzungsverhält­ nisse, auf Grund ösfentlichrechtlichen (und wohl auch biürgerlichrechlblichen svon RG. 105, 46 dahingestellt^) Dienstvertrages. Wegen der Ausdehnung des Mieterschutzes auf Werkwohnungen auch nach Beendi­ gung des Arbeitsverhältnisses vgl. die Sonderregelung der §§ 20—23 MSchG. Auf Vertragsverhältnisse, die sich als Wohnungsleihe im Sinne des § 598 BGB. darstellen, wird man wie nach bisherigem Recht (RG. III 1. Juli 1921, Gruch. 65, 717 = IW. 1921, 13625) das Mieterschutzrecht ausdehnen dürfen. Für das dingliche Wohnungs­ recht im Sinne des § 1093 BGB. kommt dagegen das Mieterschutzrecht auch dann nicht in Frage, wenn die Gestaltung des Rechtes im ein­ zelnen, insbesondere durch die Vereinbarung eines nach Zeitabschnitten bemessenen Entgeltes, einen mietähnlichen Charakter erhält (vgl. hiezu KG. 9. Nov. 1922 Rspr. 43, 8 = IW. 1923, 7602). Die Genossenschaftsmiete, d. h. die Rechtsform, in der den Mitgliedern einer Genossenschaft die Nutzung von Wohnungen und sonstigen Räumen in Genossenschaftshäusern gegen Entgelt überlassen wird, ist, auch wenn sie als „Miete" bezeichnet ist, keine Miete. Denn die Gebrauchsüberlassung wird entscheidend beeinflußt werden durch das Verhältnis des Genossen zur Genossenschaft. Zu dem schuld­ rechtlichen Verhältnis der Mietnutzung tritt der dem bürgerlichen Recht fremde Gedanke'der körperschaftsrechtlichen Beziehungen zwischen der Genossenschaft und ihren Mitgliedern. Das Nutzungsverhältnis kann überhaupt in rein körperschaftsrechtlicher Ordnung, also ausschließlich nach den allgemeinen Grundsätzen des Genossenschaftsrechtes und unter Ausschluß bürgerlichrechtlicher Normen geregelt sein; eine solche Rege­ lung des Nutzungsvtzrhältnisses beruht alsdann ausschließlich auf dem Genossenschaftsgedanken und ist als Teil des genossenschaftlichen Berwaltungsrechtes anzusehen und daher der Beschlußfassung der zustän­ digen Genossenschaftsorgane zu überlassen. Eine solche rein körperschaft2*

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liche Regelung der genossenschaftlichen Wohnungsnutzung findet sich indes in der Praxis bisher nur sehr selten. Aber auch soweit bas genossen­ schaftliche Nutzungsrecht durch „Mietvertrag" geregelt ist, muß bei der ergänzenden Auslegung der geltenden- Bestimmungen dieses Vertrages berücksichtigt werden, daß in allen diesen „Mietverträgen" der körper­ schaftsrechtliche Gedanke der Einordnung des Mitgliedes, in die Genossen­ schaft das Rechtsverhältnis entscheidend beeinflußt; rein schuldrechtliche Beziehungen liegen nirgends vor und deshalb ist das Mieterschutzgesetz, auch wenn die Ausnahme nach § 33 MSchG, nicht bestünde, auf die Genossenschaftsmiete nicht anwendbar. Ob ein Miet- oder ein Pachtverhältnis vorliegt, kann nur nach Lage des Einzelfalles unter Würdigung der besonderen Um­ stände entschieden werden. Die Bezeichnung des Vertrages ist für die rechtliche Beurteilung nicht maßgebend (vgl. RG. III 10. Mai 1921 IW. 1921, 13614; RG. III 9. Dez. 1921, Warn. Rspr. 1922 Nr. 38; RG. III 23. Febr. 1923, BayZfR. 1923, 119). Bei Überlassung von Gebäuden oder Gebäudeteilen (Räumen) für den Gastwirtschafts­ betrieb (RG. Warn. Rspr. 1918 Nr. 110, Nr. 132), für den Betrieb eines Hotels (RG. 103, 271), zum Cafehausbetrieb lRG. Warn. Rspr. 1919 Nr. 9, auch Nr. 32), als Fremdenpension (RG. Recht 1922 Nr.968), als Erholungsheim (RG. 102, 186), als Töchterpensionat (RG. Recht 1922 Nr. 422) ist ausschlaggebend, ob nur der Gebrauch der Räume oder auch deren Nutzung als Erwerbsquelle (Fruchtbezug durch den Betrieb LZ. 1919, 45) Gegenstand der vertraglichen (Rspr. 38, 123) Regelung ist. Soweit es sich um aus gestattete, für den beson­ deren Vertragszweck (Betrieb) geeignete (betriebsfertige), ins­ besondere baulich besonders eingerichtete Räume handelt, ist Pacht anzunehmen. Diese Annahme wird nach ständiger Rechtsprechung des Reichsgerichts auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Nutzungs­ berechtigte selbst Mobiliar (Inventar), sei es zu eigenem Gebrauche, sei es zur Ergänzung der Betriebseinrichtung in die überlassenen Räume einbringt; es genügt, wenn die Räume nur in der Hauptsache für den Betrieb eingerichtet und ausgestattet sind. Eine besondere bauliche Einrichtung ist nicht in jedem Falle erforderlich, um ein Haus als unmittelbare Quelle gewerblicher Erträge erscheinen zu lassen. Es schadet auch nicht, daß einzelne Räume leer übergeben werden (vgl. insbes. RG. 23. Febr. 1923, LZ. 1923, 226, sowie bezüglich der möglichen Ergänzung und Vervollständigung der Einrichtung RG. 3. Juli 1923, BayZfR. 1923, 210). Die Überlassung von Räumen gegen Entgelt auf Grund eines öffentlichrechtlichen Dien st Vertrages ist keine Miete (RG. 105,46); dies gilt insbesondere für die den bayer. Beamten (einschl. der Volks­ schullehrer) überlassenen Dienstwohnungen, für die den Geistlichen ein­ geräumten Wohnungen (Pfarrhöse usw.). Soweit jedoch nur von Privat­ personen ermietete Räume in Frage kommen, genießen die Wohnungs­ inhaber dem Vermieter gegenüber den vollen Mieterschutz. Bezüglich der Abrenzung des Mietverhältnisses von anderen Rechtsverhältnissen ist hier noch das Verhältnis der Miete zu dem B eh erb er g ung s vertrag (Gastaufnahmevertrag in Hotels und Penstonsvertrag in Fremdenpensionen) zu erwähnen. Es handelt sich hier

Beschränkung der Aufhebung von Mietverhältnissen. § 1.

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um einen Vertrag eigener Art, der tvohl die entgeltliche Überlassung eines Raumes zum Gegenstand hat, daneben aber und zwar regel­ mäßig als Hauptzweck die Gewährung von Beleuchtung, Beheizung und Bedienung, sowie unter Umständen — aber nicht notwendigerweise — die Beköstigung des Gastes zum Ziele hat. Die als Miete anzu­ sehende Gewährung des Gebrauches des Raumes tritt hier regelmäßig hinter dem übrigen Vertragszweck zurück; sie ist bloße Nebenleistung und kommt deshalb für die rechtliche Beurteilung des Bertragsverhält­ nisses nicht weiter in Betracht. Dies gilt auch für den Fall, daß jemand im Gasthause, in der Pension, im Hotel usw. sich als D a u e r m i e t e r niedergelassen hat: auch er ist wie der Berkehrsgast (Reisender, Passant) im Betriebe der Gastwirtschaft (des Hotelbetriebes) ausgenom­ men worden und kann deshalb hinsichtlich seines Anspruches gegen den Wirt aus § 701 BGB. nicht schlechter als dieser gestellt werden (ebenso OLG. Dresden, Recht 1921 Nr. 1874; ferner Rspr 40, 306; Rspr. 43, 83, RG. Warn. Rspr. 1920 Nr. 198 und insbes. RG. 103, 9). Der von Josef (IW. 1922, 1312) vertretenen Auffassung^ daß für d'ie Beur­ teilung als Miete oder Gastaufnahme entscheidend sei, ob der Gastwirt der alleinige Hausherr bleibt oder nicht, kann nicht beigepflichtet werden, weil auch bei der Miete der Begriff des Hausherrn sich nur aus den für das Mietverhältnis maßgebenden Bestimmungen ergibt, somit nur ein Begriff des Mietrechtes durch einen anderen noch dazu rechtlich sehr unklaren ersetzt wird (vgl. auch RG. 105, 202; ferner zu der ganzen Frage Haberstumpf, BayZfN. 1919, 273 und 1921, 90; Prestele, BayZfR. 1922, 170). Schwierigkeiten entstehen, wenn ungleichartige Rechtsverhältnisse z. B. Miet- und Pachtverträge miteinander verbunden sind. Liegen mehrere selbständige Verträge vor — was sowohl nach rechtlichen als nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten im einzelnen Falle zu prüfen ist — so gilt für den Mietvertrag das MSchG., für den Pachtvertrag nicht. Liegt dagegen nur ein einheitliches, sowohl Miete als auch Pacht umfassendes Rechtsverhältnis vor, so erfordert die Einheit­ lichkeit des Vertrages auch eine einheitliche, dem wirtschaftlichen Be­ dürfnis allein Rechnung tragende rechtliche Behandlung, K. B. wird in Rspr. 38, 93 Fischereipacht und Miete als einheitliches Pachtverhältnis beurteilt. Wie bei den gemischten Verträgen, bei denen ein wirt­ schaftlich einheitlicher Vertragszweck verschiedenen rechtlichen Gesichts­ punkten unterstellt wird, von denen der Hauptgesichtspunkt für die Rechtsbehandlung ausschlaggebend ist, so ist bei der entgeltlichen Über­ lassung eines rechtlich einheitlichen Gegenstandes z. B. einer Wirt­ schaft mit Wohnung, eines Ladens mit Wohnräumen nach dem wirt­ schaftlich überwiegenden Zweck zu entscheiden, ob die für das Pachtverhältnis oder die für die Ladenmiete maßgebenden Rechtsnormen zur Anwendung zu bringen find (RG. III 19. Juni 1922 Bd. 105, 59, KG. vom 12. März 1923 Rspr. 43, 58 = IW. 1923, 7678 und KG. 15. Januar 1923 IW. 1923, 7979). Es muß vermieden werden, daß ein einheitliches Rechtsverhältnis nach der Art oder Benutzung der Einzelräume (vgl. § 29 MSchG., der nur für Wohnräume gilt) zerrissen und verschiedenen Schutznormen unterstellt wird, da andern­ falls eine vom Gesetzgeber nicht gewünschte Zerstörung des wirtschaft­ lichen Zusammenhangs der Räumlichkeiten herbeigeführt würde. Dieser

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Gesichtspunkt gilt insbesondere für den häufigen Fall, daß neben der Wohnung auch noch andere, an sich nicht unter das MSchG, fallende Bestandteile und Zugehörungen des Gebäudes, wie Garten (vgl. Rspr. 43, 58), Hofraum usw. vermietet sind: li^gt hier ein einheitlicher Mietvertrag vor, so kann er auch nur in vollem Umfang einheit­ lich und zwar nach dem für die Hauptsache d. i. die Wohnung gelten­ den Recht beurteilt werden (ebenso Meyer owitz, IW. 1923, 709), vgl. auch § 2 Anm. 6 und § 1 Anrn. 5 RMG. Trotz Vorhandensein eines Mietvertrages ist das MSchG, nicht anwendbar, wenn die erforderliche Genehmigung der Gemeindebehörde zum Abschluß fehlt, § 31 MSchG. Wegen der Ausnahmeregelung für Vermietung zu besonderen, vorübergehenden Zwecken vgl. § 25. Vgl. im übrigen auch § 1 Anm. 2 RMG. 2. Nur Gebäude oder Teile von solchen (-^ Räume) genießen den Schutz des Gesetzes; offene Arbeits- oder Lagerplätze (die An­ wendung des § 2 MSchVO. bejaht vom RG. 17. Juni 1922, Recht 1922 Nr. 1673), Räume auf Schiffen, in Wohnwagen usw. unterstehen nicht der Beurteilung nach diesem Gesetz. Auch auf die Miete von Aus­ stellungsräumen oder Ständen der Leipziger Messe finden die Vor­ schriften dieses Gesetzes keine Anwendung (vgl. § 25 und für das bisherige Recht LG. Leipzig LZ. 1921, 277 = Recht 1921 Nr. 2018) Dies gilt auch dann, wenn in den folgenden Vorschriften lediglich von Mieträumen (§§ 7, 16, 19, 22, 27, 35) Mietverhältnis (§§ 2—6, 13, 14, 15, 19, 24, 27) oder Räumen (§§ 20, 21, 23, 24) die Rede ist oder wenn der Gegenstand des Mietverhältnisses wie z. B. in den §§ 28, 29, 30, 36 gar nicht bezeichnet ist. Gebäude im Sinne dieser Vorschriften sind Hochbauten, die mit dem Erdboden in einer Weise fest verbunden sind, daß sie von dem Grund und Boden ohne Zerstörung wesentlicher Bestandteile nicht getrennt werden können. Dieser hiernach gegebenen Unbeweglichkeit steht gleich eine Verbindung des Hochbaues mit dem Erdboden, die ihrer Anlage, Größe und Beschaffenheit nach einer Dauerverbindung gleichkommt, auch wenn eine tatsächliche Abtrennung möglich ist. Ge­ bäude in diesem Sinne sind: Wohn- und Geschäftshäuser, Fabrikanlagen, Markthallen (LG. Köln IW. 1923, 78215), Scheunen, Holzhäuser; Baracken (aus Bollblech oder Holz) nur dünn, wenn die dauernde Belassung auf ihrem Standort beabsichtigt ist. Nicht hieher zählen dagegen: Zelte, Buden usw. Aus welchen Baustoffen im übrigen das Gebäude hergestellt ist, ist unerheblich. Wegen des Begriffes Gebäudeteil vgl. § 1 Anm. 3 RMG. Die Zweckverwendung der Gebäude und Räume ist im all­ gemeinen, soweit nicht wie z. B. in den §§ 19 Abs. 4 und 29 MSchG Sonderbestimmungen getroffen sind, gleichgültig: Wohnräume, Läden und Werkstätten (Betriebsräume für den Kleinkausmann und Hand­ werker) fallen ebenso wie Geschäftshäuser (Büroräume), Fabriken (Groß­ betrieb) und Lagerräume unter dieses Gesetz. Dieser Grundsatz bedarf jedoch auch für das MSchG, einer Einschränkung: nur die Inter­ essen des Eigenbewohners will das Gesetz schützen. Deshalb findet das MSchG, keine Anwendung auf die Vermietung eines Hauses zum Betriebe eines Hotels (so für das bisherige Recht RG. 103, 271); in

Beschränkung der Aufhebung von Mietverhältnissen. § 1.

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diesem Falle wäre auch zu prüfen, ob tatsächlich ein Miet- oder nicht vielmehr ein Pachtverhältnis vorliegt. Wegen der Sonderstellung der Räume in Neubauten, Genossenschaftshäusern usw. vgl. § 33 MSchG.

3. Auch im Geltungsbereich des MSchG, (vgl. Vordem, zum Ab­ schnitt 1) ist das Kündigungsrecht des Vermieters nicht ausnahmslos ausgeschlossen. Nur in den in §§ 2—4 aufgezählten Fällen wird das vertragliche oder gesetzliche Kündigungsrecht des Vermieters ersetzt durch die Aufhebungsklage, deren Ziel die „Aufhebung des Mietverhältnisses" im Sinne dieses Gesetzes ist (vgl. § 27). Aufhebung des Miet­ verhältnisses bedeutet die Beendigung des Mietverhältnisses durch Urteil auf Klage gemäß §§ 2—4 dieses Gesetzes; dem­ gemäß fällt hierunter nicht die Aufhebung des Mietverhältnisses durch Vertrag (übereinstimmende Willenserklärung vgl. hiezu RG. 104, 308 und Bayer. KompKonflGH. v. 13. Oktober 1922 BayZfR. 1922, 265), Kündigung oder Untergang der Mietsache, Unmöglichkeit oder Enteig­ nung der Mietsache. Der Vorbehalt der §§ 19 bis 26 bedeutet, daß die Beendigung des Mietverhältnisses außerhalb der Aufhebungsklage zu­ lässig ist durch Mndigung des Vermieters oder Erben (§ 19), bei Werkwohnungen durch Kündigung oder Aufhebungsklage nach Maßgabe der §§ 20—23, bei Untermiete und der ihr gleichgestellten Miete des § 24 Abs. 2 durch Aufhebungsklage nach Maßgabe des § 24, durch Kündigung im Konkursfalle (§ 26). In § 35 endlich sind weitere Ein­ schränkungen der Voraussetzungen für die Erhebung der AufhebungsAage für den dort vorgesehenen Sonderfall festgelegt. Über die Ausdehnung der für die Aufhebungsktage geltenden Ver­ fahrensvorschriften auf andere Räumungsklagen vgl. § 27. Nur gül­ tige Mietverhältnisse kommen in Betracht; daher keine Aufhebungs­ klage notwendig oder zulässig bei nichtigen Verträgen (für das bis­ herige Recht vgl. RG. 104, 364 = Recht 1922 Nr. 1674) § 31. Wegen der Anwendung des § 139 bei Geschäftsunfähigkeit eines von mehreren Vertragsteilen vgl. RG. in DIZ. 1920, 659.

4. Soweit die Aufhebungsklage Platz greift (Anm. 3), ist die vom Vermieter ausgesprochene Mndigung rechtsunwirksam; die ihr nach § 564 Abs. 2 BGB. zukommende Wirkung der Beendigung des Miet­ verhältnisses ist ihr versagt. Einer Zurückweisung der Mndigung des Vermieters durch den Mieter bedarf es an sich nicht; es ist aber zu beachten, daß eine an sich unzulässige Mndigung den Charakter eines Vertragsangebotes annehmen und zum Abschluß eines das Mietverhält­ nis bis zum angegebenen Zeitpunkt beendenden Vertrags führen kann, wenn der Gegner sich damit einverstanden erklärt (RG. Recht 1911 Nr. 1564). Da bic Aufhebungsklage nicht erforderlich ist, wenn der Mieter mit der Beendigung der Miete sich einverstanden erklärt hat und dieses Einverständnis auch stillschweigend (durch konkludente Hand­ lungen) erfolgen kann (vgl. Obergerichd Danzig IW. 1923, 691), wird es sich empfehlen, daß der Mieter seinen Willen auf Fortsetzung des Mietverhältnisses auch bei einer unzulässigen Mndigung des $ermieter§ ausdrücklich erklärt. Dies kann insbesondere dadurch geschehen, daß er die Mndigung „nicht annimmt". Die Beweislast für eine vereinbarte Beendigung des Mietverhältnisses trifft den Vermieter. Der Mieter

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kann von dem ihm vertraglich oder gesetzlich zustehenden Kündigungs­ recht auch im Geltungsbereich des Mieterschutzgesetzes unbeschränkt Gebrauch machen. Die vom Vermieter ausgesprochene Kündigung hat keinerlei Rechtswirkung; es kann ihr daher auch nicht etwa die Wirkung beigelegt werden, daß vom Zeitpunkt ihrer sonst eingetretenen Wirksamkeit an Mietverhältnis nur mehr auf unbestimmte Zeit gilt (s. Meyerowitz, IW. 1923, 710). Eine solche Auslegung widerspräche dem Sinne der Kündi­ gungserklärung, die nur auf eine Beendigung des Rechtsverhältnisses abzielt; auch aus RG. Warn. Rspr. 1922 Nr. 118 ist für diese Auf­ fassung nichts zu entnehmen. Die Aufhebung erfolgt durch Urteil, das nicht wie das gewöhnliche Prozeßurteil lediglich feststellt, was Rechtens ist, sondern unmittelbar Recht schafft (Rechtsgestaltungsurteil). Der Zeitpunkt, zu dem die Aufhebung des Mietverhältnisses erfolgt, ist nach Maßgabe des § 5 MSchG, im Urteil ausdrücklich festzustellen (§ 5 Abs. 2). Das Urteil begründet den Räumungsanspruch des Vermieters; doch ist dieser in seiner Durchführung an eine Reihe von Voraussetzungen geknüpft (vgl. Vorbemerkung zu diesem Abschnitt D3). Mehrere Vermieter müssen gemeinsam auf Aufhebung klagen; nachträgliche Zustimmung des einen Vermieters zur Klagerhebung wird nicht für zulässig zu erachten sein (so hinsichtlich der Kündigung NG. Recht 1920 Nr. 375). 5. Die Eingehung des Mietverhältnisses auf bestimmte Zeit bildet auch nach den Vorschriften des BGB. die Regel: das Mietver-? hältnis endigt alsdann mit dem Ablaufe der Zeit, für die es ein­ gegangen ist (§ 564 Abs. 1 BGB.). Dieser Grundsatz wird im Gel­ tungsbereich des MSchG, in sein Gegenteil verkehrt: das Mietver­ hältnis wird kraft Gesetzes — also ohne Vereinbarung oder auch nur Erklärung einer Partei — fortgesetzt, sofern nicht der Mieter sich auf die Beendigung beruft. Diese „Berufung" ist eine einseitige formlose (Schriftform dürfte sich aber empfehlen) Erklärung des Mieters, für deren Wirksamkeit der für die Kündigung gesetzlich vorgesehene Zeitpunkt der Erklärungsabgabe nach § 565 BGB. — dritter Werktag bei Vierteljahresfrist, 15. des Monats bei Monatsfrist; erster Werktag bei Wochenfrist oder Fall des § 565 Abs. 3 BGB. — maßgebend ist. Eine später abgegebene Erklärung des Mieters ist wirkungslos: das Mietverhältnis wird fortgesetzt. Der für die Abgabe der Kündigungs­ erklärung etwa vertraglich vorgesehene Zeitpunkt kommt hier nicht in Betracht; deshalb ist die Berufung auf die Beendigung des Miet­ verhältnisses rechtswirksam, wenn sie z. B. am dritten Werktag (Fall des § 565 Abs 1 Satz 1 BGB.) erfolgt, auch wenn die Kündigung nach dem Mietvertrag bereits am ersten Werktag (unter Ausschluß der beiden folgenden) hätte erklärt werden müssen. Die „Berufung" hat nur dann Erfolg, wenn sie rechtzeitig vor Ablauf der Mietzeit erklärt wurde, es sei denn, daß der Vermieter mit der Beendigung des Mietverhältnisses sich einverstanden erklärt und der Mieter zustimmt. Abs. 2 dient in erster Linie dem Schutze des Mieters; die Fristbestim­ mung für die Erklärungsabgabe ist im Interesse des Vermieters ge­ legen. Beide Teile können auf ihre Schutzrechte verzichten. Ein Wider­ ruf der Erklärung des Mieters nach Abs. 2 ist unzulässig und wirkungslos.

Beschränkung der Aushebung von Mietverhältnissen. § 1.

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Die Fortsetzung des Mietverhältnisses erfolgt auf unbestimmte Zeit, da das Gesetz einen Zeitpunkt für die Beendigung des Miet­ verhältnisses nicht festsetzt. Die Rechtslage ist die gleiche wie in dem Falle des § 568 BGB., wo die Verlängerung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zett ausdrücklich angeordnet ist. Die Eingehung eines Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit bildet im Verkehrsleben die Regel; das BGB. bestimmt hiefür in § 564 Abs. 2, daß jeder Teil nach.den Vorschriften des § 565 BGB. kündigen kann. Auf unbestimmte Zeit eingegangen sind Mietverhältnisse, deren Mietzeit nicht bestimmt ist oder bei denen die Schriftform nach § 566 BGB. nicht beachtet ist oder deren Fortdauer nach Maßgabe des § 568 BGB. fingiert wird. Nicht hieher zählt jedoch die Verlängerung des Mietverhältnisses im Falle des § 6 Abs. 3 MSchG, und der Eintritt der Familienangehörigen in die Rechte und Pflichten' des Erblassers als Mieter im Falle des § 19 Abs. 2 MSchG. Das Mndigungsrechit des Vermieters wird durch die Aufhebungsklage grundsätzlich ersetzt (vgl. Anm, 4 und Vordem. A zu diesem Abschnitt) Eine Kündigung ist ein einseitiges Rechtsgeschäft; verpflichtet sich der Mieter die Wohnung zu einem bestimmten Zeitpunkt zu räumen, so liegt keine Mndigung vor, auch wenn die Vereinbarung auf Drängen des Vermieters zustande gekommen sein sollte: eine solche Vereinbarung macht den Vertrag zu einem ohne Kündigung ablaufenden (RG. 104, 308); die rechtliche Behandlung bemißt sich nach § 1 Abs. 2 MSchG. Über einen Fall, wo 8 1 Abs. 2 MSchG, keine Anwendung findet, obwohl ein Miet­ verhältnis auf bestimmte Zeit vorliegt vgl. 8 19 Anm. 1. 6. Nur das vertraglich vorbehaltene Rücktrittsrecht (83 346ff. BGB) darf vom Vermieter gegen den Willen des Mieters nicht aus­ geübt werden. Für das gesetzliche Rücktrittsrecht (88 326, 361 BGB., 8 20 KO.) gelten die im Gesetze festgelegten Voraussetzungen, vgl. 8 26 MSchG., bei deren Vorhandensein das Rücktrittsrecht auch im Geltungsbereiche des MSchG, vom Vermieter ausgeübt werden kann. Die legislatorische Trennung der beiden Arten des Rücktrittsvechtes ist begründet: während sowohl das vertraglich vereinbarte wie das gesetzliche Kündigungsrecht des Vermieters im Geltungsbereich des MSchG, durch die Aufhebungsklage ersetzt ist, wird hier nur das ver­ traglich vorbehaltene Nücktrittsrecht des Vermieters beschränkt. Mn­ digung und Rücktritt sind verschiedene Rechtsbegriffe; die Mndigung darf nicht etwa im Anschluß an die Motive zum BGB. als „gleich­ bedeutend mit dem Rücktritt vom Vertrage für die Zukunft" (so RG. 64, 381; vgl. auch RG. III 19 Juni 1917, SeuffA. 73 Nr. 69) bezeichnet werden. Durch die Erklärung des Rücktritts wird das Schuldverhältnis mit rückwirkender Kraft aufgelöst, die Kündigung setzt dagegen einem bis zu einem bestimmten Zeitpunkt fortdauernden, von den Bertrags­ teilen mehr oder, weniger erfüllten Rechtsverhältnis ein Ziel. Der Vorbehalt des Rücktrittsrechtes muß. sich auf das Mietver­ hältnis beziehen; ist dies der Fall, dann ist unerheblich ob der Ver­ mieter sich das Recht im Mietvertrag oder in einem anderen Vertrag Vorbehalten hat (ebenso Genthe 8 1 Anm. 11). 7. Bei Veräußerung des Grundstückes nach Überlassung an den Mieter tritt nach 8 571 BGB. der Erwerber an Stelle des Vermieters

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in die Rechte und Pflichten aus dem Mietvertrag ein. Diese Vorschrift findet auch auf den Fall Anwendung, daß der Eigentümer gemäß § 928 BGB. das Eigentum aufgibt und ein Dritter das Grundstück sich an­ eignet (RG. 103, 166; OLG. Rostock Rspr. 27 S. 160). Veräußert der Vermieter das Grundstück vor der Überlassung an den Vermieter, so tritt der Erwerber zunächst in keinerlei Rechtsbeziehungen zu dem Mieter; § 578 BGB. verpflichtet daher den Erwerber gegenüber dem Mieter nur dann, wenn der Ertverber dem Vermieter gegenüber die Erfüllung der sich aus dem Mietverhältnis ergebenden Verpflichtungen übernommen hat. Soweit eine solche Verpflichtung nicht vorliegt, würde der Erwerber den Mieter ohne weiteres, nur in dem nach § 27 MSchG, besonders geregelten Verfahren aus den Mieträumen verdrängen können. § 1 Abs. 3 MSchG, bringt demgegenüber eine Erweiterung des Mieterschutzes, insofern auch der Erwerber auch vor Überlassung der Mietsache in jedem Fall als Vermieter im Sinne dieses Ge­ setzes gilt. Diese Ausdehnung des Mieterschutzrechtes — nur dieses kommt in Betracht — gilt auch für den Erwerber im Wege der Zwangsvoll­ streckung (§§ 57, 57 a ZwVG.). Die Vorschrift des § 1 Abs. 3 MSchG, beschränkt sich auf den Wechsel im Eigentum; für die Rechtsbeziehungen zwischen dem Mieter und dem vor oder nach Überlassung des Grundstücks dinglich Berechtigten z. B. dem Nießbraucher (OLG. Hamburg Rsp. 33, 309; Celle Rspr. 33, 320; Kiel Rspr. 39, 239) gelten die Regeln der §§ 578, 577 BGB. ausnahmslos. Dem Vermieter steht gleich, wer kraft eigenen Rechtes den Ver­ mieter in der Wahrnehmung der ihm zustehenden Rechte und Pflichten aus dem Mietverträge zu vertreten berechtigt und verpflichtet ist: der Testamentsvollstrecker, der Konkurs- und Zwangsverwalter, der Nach­ laßverwalter ist ebenso wie der Vermieter den Vorschriften dieses Ge­ setzes unterworfen, soweit nicht Ausnahmebestimmungen (§§ 19, 26 MSchG.) Platz greifen. Die Rechtsstellung des Vermieters wird der in Abs. 2 bezeichneten Person in vollem Umfang dieses Gesetzes zuer­ kannt; daher stehen ihm alle Rechte des Vermieters nach diesem Gesetze KU (a. M. Genthe § 3 Anm. 12). 8. übergangsrecht. Das MSchG, tritt am 1. Oktober 1923 in Kraft. Eine Kündigung des Vermieters, die vor diesem Zeitpunkt dem Mieter zugegangen ist, ist hinsichtlich der zivilrechtlichen Wirksamkeit nach den allgemeinen Bestimmungen des Bürgerlichen Ge­ setzbuches zu beurteilen. Nach den Vorschriften der §§ 564 ff. BGB. ist hiernach die Zulässigkeit und Wirksamkeit einer ordentlichen oder außerordentlichen (vorzeitigen) Kündigung zu bemessen. In Betracht kommt insbesondere die Frage, ob eine an sich verspätete Kündigung für den nächstfolgenden Kündigungstermin wirksam wird; wollte der Kündigende — was nach den Umständen des einzelnen FaUes zu würdigen ist — auf alle Fälle das Rechtsverhältnis lösen und ist dieser Wille auch dem anderen Teil erkennbar geworden, so ist die Kündigung ohne weiteres für den nächsten zulässigen Termin wirksam (vgl. OLG. Ham­ burg 3. April 1917, SeuffA. 72 Nr. 174). Eine andere Frage ist, ob die Kündigung aus sozialen und wirtschaftlichen Gründen wirksam werden kann: hierüber hat im

Beschränkung der Aufhebung von Mietverhältnissen. § 1.

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Falle des § 6 MSchBO. in Verbindung mit § 1 der bayer. MSchBek. (Kiesersauer-Scherer S. 37) ausschließlich das Mieteinigungsamt zu befinden (Zustimmungszwang für den Vermieter in Gemeinden mit Mieteinigungsamt); im Falle des § 2 MSchVO. kann das Einigungsamt •auf Anrufen des Mieters die Kündigung für unwirksam erklären. Die Zuständigkeit des MEA. beschränkt sich, wie RG. 11. Juli 1922, DIZ. 1923, 46 =; Warn. Rspr. 1922 Nr. 117 treffend ausführt, auf die Prüfung der Frage, ob die Kündigung des Mietverhältnisses aus sozialen und wirtschaftlichen Gründen berechtigt ist, während deren rechtliche Zulässigkeit ausschließlich der Entscheidung des ordentlichen Berichts unterstellt ist. Das MEA. kann daher auch nicht rechtliche Voraussetzungen der Kündigung ändern und vertragliche oder gesetzliche Kündigungsfristen verlängern oder verkürzen, ohne seine Zuständigkeit zu überschreiten. Ihm obliegt lediglich die Aufgabe „zu prüfen, ob, wenn die vorgebrachten Gründe zutreffen, das öffentliche Inter­ esse an dem Verbleiben der Mieter in ihren Wohnungen wegen der besonderen Umstände des Falles zurücktreten muß", RG. 104, 244. Nur soweit das MEA. sich, innerhalb seiner Zuständigkeit hält, ist die Entscheidung für das ordentliche Gericht bindend (vgl. dazu Roth, LZ. 1921, 401; Wassertrüdinger, BayZfR. 1923, 98). Eine über die Zuständigkeit des MEA. hinausgehende Entscheidung kann indes für das Rechtsverhältnis der Parteien von Bedeutung sein, wenn diese die Entscheidung des MEA. für verbindlich ansehen und sich ihr unterwerfen (RG. Recht 1922 Nr. 475). Das ordentliche Gericht hat auch nicht das Recht der Nachprüfung (RG. 101, 54 u. 115; 103, 273 ii. 315; 104, 153 u. 244; 105, 59; BayZfR. 1922, 93; DIZ. 1923, 46). Wegen der Beschränkung der Räumungsllage auf die vor dem MEA. geltend gemachten Kündigungsgründe vgl. RG. 104, 244. Erachtet sich das MEA. auf Grund seiner eigenen Rechtsauffassung für unzuständig und enthält es sich einer sachlichen Entscheidung, z. B. weil es nach seiner Auffassung zu spät angerufen wurde (Rspr. 40, 311), so kann das ordentliche Gericht auf Räumung erkennen (IW. 1923, 483). Der Beschluß des MEA. ist rechtlich bedeutungslos (RG. 104, 153). Das Gleiche gilt, wenn das MEA. zu einer rechtlich un­ wirksamen Kündigung die Zustimmung erteilt (OLG. Karlsruhe Recht 1920 Nr. 1401; RG. Recht 1922 Nr. 595). Das MEA. ist nicht zur bindenden Entscheidung über Rechtsfragen z. B. darüber, ob überhaupt ein Mietverhältnis vorliegt, über die Vertragsdauer usw. (RG. Recht 1922 Nr. 1671) oder zur Feststellung rechtserheblicher Tatsachen (vgl. Rspr. 40, 340) berufen; eine Entscheidung in dieser Richtung hindert das ordentliche Gericht nicht an der selbständigen Beurteilung dieser Fragen (RG. 104, 153). Auch wenn die Zustimmung des MEA. fehlt, so ist das Gericht befugt festzustellen, daß die Kündigung nach den gesetzlichen oder vertraglichen Bestimmungen überhaupt nicht zulässig ist; eine Aussetzung des Verfahrens (§ 148 ZPO.) ist hier nicht zweck­ mäßig (KG. Rspr. 40, 340). Die Frage, ob das MEA. von seiner Abänderungs- und Aufhebungsbefugnis im einzelnen Fall mit Recht Gebrauch gemacht hat, ist der Nachprüfung der ordentlichen Gerichte entzogen (RG. Recht 1922 Nr. 477), vgl. § 42 Anm. 1. Bei außerordentlicher Kündigung eines langfristigen Mietvertrags erachtet RG. Recht 1922 Nr. 1672 die Kündigungserklärung des Der-

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Mieters trotz Verweigerung der Genehmigung durch das MEA. nicht für völlig wirkungslos: aus § 6 Abs. 2 MSchVO. folge, daß die außerordentliche Kündigung, wenn bürgerlich-rechtlich wirksam, die Wirkung habe, daß die Abrede der Unkündbarkeit des Mietverhält­ nisses in Wegfall komme und das Mietverhältnis von der Kün­ digung ab nur auf bestimmte Zeit bestehe. Für den Sonder­ fall, daß eine vom BGB. abweichende Kündigungsfrist vereinbart und vom MEA. vorläufige Genehmigung zur Kündigung erteilt ist, gilt die Sondervorschrift des § 51 Abs. 4 MSchG. Ist die nach BGB. rechts­ wirksame Kündigung vom MEA. genehmigt, so ist das Mietverhältnis aufgelöst, auch wenn der nach Vertrag oder §§ 564, 565 BGB. maß­ gebende Termin nach dem 1. Oktober 1923 liegt. Die Grundsätze des Übergangsrechts gelten auch für Neubauten usw. (§ 33 MSchG.), die erst nach dem 1. Oktober 1923 außerhalb des Mieterschutzgesetzes gestellt werden; wegen des Verfahrens vgl. § 51 Abs. 3 MSchG, und Anm. 5. Wegen der Zulässigkeit einer Klage vor dem ordentlichen Gericht gegen eine Entscheidung des MEA., das seine Zuständigkeit über­ schreitet vgl. § 43 Anm. 4.

§ 2. 'Der Vermieter' kann' auf Aufhebung des Mietverhältnisses klagen,' wenn' der Mieter oder eine Person, die zu seinem Haus­ stand oder Geschäftsbetriebe gehört,' oder der er den Gebrauch des Mietraums überlassen hat,' sich einer erheblichen Belästigung' des Vermieters oder eines Hausbewohners'schuldig macht oder durch unangemessenen' Gebrauch des Mietraums oder Vernachlässigung der gebotenen Sorgfalt" den Mietraum oder das Gebäude" er­ heblich gefährdet," oder wenn der Mieter einem Dritten den Ge­ brauch des Mietraums beläßt, obwohl er zur Überlassung nicht befugt ist." Die angemessene Wahrnehmung der Befugnisse eines Mietervertreters14 ist als Belästigung nicht anzusehen. 11 Die Aufhebung ist nur zulässig, wenn der Mieter ungeachtet einer Abmahnung des Vermieters das Verhalten fortsetzt oder es unterläßt, eine ihm mögliche Abhilfe zu schaffen, oder wenn das Verhalten des Mieters oder einer der im Abs. 1 bezeichneten Per­ sonen ein solches war, daß dem Vermieter die Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann.". Hatte der Ver­ mieter oder eine zu seinem Hausstande gehörige Person die Be­ lästigung (Abs. 1) durch eigenes Verschulden veranlaßt, so findet eine Aufhebung nicht statt. '"Der Vermieter muß die Klage binnen sechs Monaten von dem Zeitpunkt an erheben, in dem er von dem Aufhebungsgrund Kenntnis erlangt hat. Die Klage ist ausgeschlossen, wenn seit dem Entstehen des Aufhebungsgrundes ein Jahr verstrichen ist."

Beschränkung der Aufhebung von Mietverhältnissen. § 2.

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1. Begriff des Vermieters § 1 Anm. 7. 2. Die Befugnis des Vermieters ist eine Beschränkung seiner Rechte: § 2 MSchG, beseitigt das Kündigungsrecht des Vermieters aus L 553 BGB., ohne dessen Voraussetzungen für die Aufhebungsklage voll und ganz zu übernehmen. Da dem Vermieter nicht nur das außer­ ordentliche Kündigungsrecht aus § 553 BGB., sondern auch das ordent­ liche Kündigungsrecht nach §§ 564, 565 BGB. entzogen ist, mußten die Voraussetzungen für die Aufhebungsklage gegenüber § 553 BGB. erweitert werden, wenn man die Rechte des Vermieters nicht über Gebühr beschränken wollte. Wegen des übergangsrechtes vgl. § 1 Anm. 8. 3. Die Aufhebungsklage (§ 1 Abs. 1), für die das Amtsgericht ausschließlich zuständig ist (§ 7), darf nur innerhalb des in Abs. 3 bezeichneten Zeitraumes erhoben werden. Sie ist materiell an die in Abs. 1 und 2 festgelegten Voraussetzungen gebunden, deren Nach­ weis zur Klagebegründung gehört. Zeitpunkt der Aufhebung vgl. § 5; sofortige Aufhebung ist möglich. Wegen des Ersatzvaumes vgl. § 6 Abs. 2. 4. Die Aufhebungsgründe sind genau umgrenzt; als Ausnahme­ regel ist die Vorschrift streng auszulegen und keiner ausdehnenden Anwendung fähig. Entsprechend der modernen Gesetzestechnik sind neben den allgemeinen Richtlinien für die Rechtsanwendung auch begriffliche Erläuterungen in das Gesetz verwoben: Der Begriff der Belästigung des Vermieters oder eines Hausbewohners wird durch Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 eingeschränkt mit der in beiden Fällen gleichen Wirkung: die Wahrnehmung .der Befugnisse eines Mietervertreters und die durch den Vermieter oder eine zu seinem Hausstande gehörige Person verschuldete Belästigung ist nicht als eine die Aufhebungsklage begründende Belästigung im Sinne des Abs. 1 Satz 1 anzusehen. Ein Beispiel moderner Gesetzeskasuistik, die das freie Ermessen des Richters unnötigerweise einschränkt und ihn in vielen Fällen an einer gerechten Entscheidung hindert. Die Aufhebungsgründe zerfallen in zwei Gruppen a) Belästigung des Vermieters oder eines Hausbewohners durch den Mieter. b) Unangemessener Gebrauch der Mietsache durch den Mieter, insbesondere unbefugte Gebrauchsüberlassung an einen Dritten sowie Vernachlässigung der gebotenen Sorgfalt. Dem Mieter steht gleich jede Person, die zu seinem Hausstand oder Geschäftsbetrieb gehört oder der er den Gebrauch des Mietraumes überlassen hat. Das ist folgerichtig, da die Mitbenutzung der Räume, soweit diese Personen neben dem Mieter den Mietraum dauernd mit­ benutzen, sich als ein Teil des Mietgebrauchs darstellt; denn im Verhältnisse zwischen Mieter und Vermieter stellt sich die Mitbenutzung durch diese Personen als eigener Mietgebrauch des Mieters dar. 5. Zum Hausstand des Mieters zählen alle Personen, die dauernd oder vorübergehend in den Haushalt des 'Mieters (Haus­ haltungsvorstand) ausgenommen sind, also alle Familienangehörigen (Frau, Kind, Verwandte, die dauernd ausgenommen sind), Hausangestellte (Dienstboten, Knechte, Mägde), aber auch alle Hilfskräfte, die — wenn auch nur vorübergehend zur Ergänzung der Dienstleistung der Haus-

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Mieterschutz und Mieteinigungsämter.

angestellten — zu häuslichen Arbeiten (Waschfrauen, Näherinnen) ober zur Pflege und Wartung von Angehörigen (Ammen, Krankenschwestern) in die Wohnung ausgenommen sind. Zu dem Familienkreis und damit znm Haushalt gehören weiterhin die Gäste des Mieters, mögen sie auf Tage, Wochen usw. unter Zuweisung bestimmter Räume oder ohne Sondernutzung eines Raumes auf Stunden den Kreis der Familie erweitern (vgl. auch § 19 Anm. 4). Geschäftsbetrieb bedeutet hier jede sowohl auf Gewinn (Er­ trag) abzielende wie sonst berufsmäßig ausgeübte Tätigkeit; hierunter fällt der kaufmännische, handwerksmäßige oder fabrikmäßige Betrieb — ausgeübt in Läden, Werkstätten, Büroräumen, Geschäfts­ häusern, Fabriken (vgl. § 1 Anm. 2) — ebenso wie der land- und forst­ wirtschaftliche Betrieb, die Tätigkeit der freien Berufe (Ärzte, Künstler^ Rechtsanwälte) oder die Betätigung auf charitativem und sozialem Ge­ biete (Geschäftsführung der Vereine jeder Art). Wegen der Geschäftsräume öffentlichrechtlicher Körperschaften, ge­ meinnütziger Organisationen vgl. § 32 Abs. 4. Für die in der amtlichen Begründung vertretene Auffassung, daß hier nur solche Angehörige oder Angestellte in Betracht kommen, die sich während einer gewissen Dauer in dem Hause zu Wohnzwecken aufhalten oder dort beschäftigt sind, findet sich im Gesetze kein Anhalt. Auch Abs. 2 kann hiesür nicht verwertet werden, da neben der Ab­ mahnung auch die Fälle der Nichtzumutbarkeit in Betracht zu ziehen sind. Die Dauer wird indes oft bei der Beurteilung der Erheblichkeit der Belästigung von Bedeutung sein. H. Die Gebrauchsüberlassung kann eine rein tatsächliche sein: gleichgültig ist, ob die nach § 549 BGB. erforderliche Erlaubnis vom Vermieter erteilt oder (bei Wohnräumen) unter den Voraussetzungen des § 29 MSchG, durch die Erlaubnis des MEA. ersetzt war oder nicht. Die Weiterbelassung ohne Erlaubnis trotz Abmahnung bildet einen selb­ ständigen Klagegrund (Abs. 1 Satz 1 a. E.). Gebrauchsüberlassung in diesem Sinne ist auch die vom Mieter den Haushaltangehörigen gestattete Mitbenutzung der Räume; als solche gehört sie bereits zu den in Anm. 5 aufgezählten Fällen. Bei einheitlicher Vermietung von Wohn- und Geschäftsräumen kann, wenn die Überlassung des Geschäftsraumes die Hauptsache bildet (vgl. RG. 23. Febr. 1923, LZ. 1923, 226), auch wegen Belästigung des Vermieters durch einen Angestellten auf Aufhebung des ganzen Miet­ vertrages, also auch bezüglich der Wohnung geklagt werden (§ 1 Anm. 1). 7. Belästigung im Sinne dieser Vorschrift ist — unter Ab­ grenzung durch Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 (Anm. 4) — jede die berechtigten wirtschaftlichen, gesellschaftlichen oder sittlichen Interessen des Vermieters oder eines Hausbewohners in erheblichem Maße be­ einträchtigende Betätigung des Mieters gegenüber dem Vermieter als solchen oder einem Hausbewohner. Die Betätigung kann durch Zeichen, Bewegungen (Gesten), Erklärungen oder Handlungen erfolgen. Gegen­ stand der Belästigung kann die Ehre, tms sittliche Bewußtsein, das religiöse Empfinden, das Vermögen, überhaupt alles sein, was zum persönlichen Leben einer Person gehört. In erster Linie kommen in Betracht Störungen des Hausfriedens. Ein gewisser Zusammenhang mit

Beschränkung der Aufhebung von Mietverhältnissen. § 2.

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dem Mietverhältnis wird in jedem Fall verlangt werden müssen; hiefür genügt aber schon jede Beziehung zu den Mietparteien oder zur Miet­ sache. Eine auf die belästigende Wirkung abzielende Absicht ist nicht verlangt; es genügt die Tatsache der Störung. Die Begründung führt als Beispiele an: grobe Mißhandlungen, tätliche Angriffe, Verstöße gegen die Sittlichkeit, grobe Beleidigungen, Hausdiebstähle, Erregung beträchtlichen ruhestörenden Lärms, EntwiiÄung übler, in die Räume von Mitbewohnern dringender Gerüche u. dergl. Eine Belästigung liegt nicht vor, wenn der Mieter von den ihm gesetzlich zu st ehenden Rechten Gebrauch macht; dies gilt insbes. wenn er die ihm nach dem Reichsmietengesetz zustehenden Befugnisse ausübt, auch soweit es sich um die Verweigerung von Leistungen an den Vermieter handelt, die ihm vertraglich zustehen, aber nach § 20 RMG.. für den Mieter entfallen. Voraussetzung ist in jedem Fall, daß die Belästigung eine erheb­ liche ist. Maßgebend hiefür sind die persönlichen Verhältnisse der Beteiligten, wobei die gesellschaftliche Stellung des Vermieters oder des betroffenen Hausbewohners von ausschlaggebender Bedeutung ist, ferner die Grundsätze von Treu und Glauben sowie die Verkehrssitte (§ 242 BGB.) vgl. Anm. 13. Die Vorschrift darf nicht dazu mißbraucht werden, daß bisher dem Vermieter völlig gleichgültige Äußerungen und Handlungen des Mieters nunmehr unter den Begriff der „erheblichen Belästigung" eingereiht werden, um auf diesem Umweg unter Durch­ brechung des Mieterschutzes (vgl. § 49 Abs. 2) die Aufhebung des Mietverhältnisses zu erreichen. Die Belästigung muß endlich vom Mieter oder den in Satz 1 aufgezählten Personen nach den allgemeinen Regeln des bürgerlichen Rechtes (§ 276 BGB.) zu vertreten sein; eine strafrechtliche Ver­ antwortung ist weder erforderlich noch als solche (z. B. bei Konkurs'verbrechen) ausreichend. Für die Beurteilung dieser Voraussetzungen dürfen nur Tatsachen berücksichtigt werden, die nach dem 1. Oktober 1923 (§ 50) eingetreten sind; doch ist es zulässig, zur Unterstützung solcher Tatsachen hilfsweise auch auf frühere Verhältnisse zurückzu­ greifen. 8. Hausbewohner ist nur der Bewohner des Hauses, in dem der Mieter wohnt, von dem die Belästigung ausgeht. Hieher gehört also nicht eine Belästigung der Angehörigen oder Angestellten (Haus­ verwalter) des Vermieters, die nicht im Hause wohnen. Vermieter ist nur der aus dem Mietverträge oder nach § 1 Abs. 3 MSchG. Berechtigte, nicht auch dessen Angehörige oder Vertreter: ebensowenig wie der Ver­ mieter den Angehörigen des Mieters aus dem Mietvertrag für Unfälle haftet, die diese infolge Vernachlässigung der ihm obliegenden Reinigungs-, Beleuchtungs- und Streupflicht der Hauszugänge u. dgl. erleiden, ebensowenig darf durch eine ausdehnende Auslegung des Be­ griffes „Vermieter" der Tatbestand des § 2 MSchG, zugunsten des Vermieters erweitert werden (vgl. Anm. 4 Satz 1). Hieran ändert auch der Umstand nichts, daß für die Haftung des Vermieters aus dem Mietvertrag in einem der vorbezeichneten Fälle das Reichsgericht (RG. 21. Febr. 1921, Warn. Rspr. 1921 Nr. 96) den Mietvertrag, als im Interesse der mit dem Mieter zusammenwohnenden Angehörigen ge­ schlossen (§ 328 BGB.) angesehen hat.

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9. Abweichend von § 553 BGB. genügt es, wenn der Mietgebrauch ein unangemessener ist; es ist deshalb nicht notwendig, daß der Gebrauch, weil gegen die vertragsmäßige Benutzung verstoßend, vertragswidrig ist. Die Angemessenheit des Gebrauchs wird im einzelnen Fall nur schwer festzustellen sein; entscheidend sind die Bedürf­ nisse des Mieters, nicht die Auffassung des Vermieters, auch dann nicht, wenn hiefür durch die Hausbesitzer in den Mietvertragsformularen Richt­ linien aufgestellt sind. Wegen der Beurteilung dieser Formulare vgl. Mittelstein S. 196 Nr. 10; Eltzbacher, Großberliner Mietverträge, Berlin 1913, dazu IW. 1914 S. 51 und 514ff.; RG- 20. März 1917 IW. 1917, 711. Die Auslegung des Begriffes des unangemessenen Mietgebrauchs darf jedenfalls nicht dazu führen, den Mieter noch mehr als dies durch die Mietvertragsformulare der Fall war, dem Belieben des Vermieters auszuantworten. Die Beibehaltung des „verträgst widrigen" Gebrauchs Hätte genügt; der Gesetzgeber wäre dabei im Nahmen der für das BGB. maßgebenden Gesichtspunkte geblieben. Diese haben sich eingelebt und bewährt; der neue Begriff ist in der Praxis nur schwer faßbar und führt zu unnötigen Streitigkeiten. Ein unangemessener Mietgebrauch liegt nicht vor, wenn er sich im Rahmen der dem Mieter durch dieses Gesetz oder das RMG. gewährleisteten besonderen Rechte hält; dieser Rechtsbestand muß, dem Mieter, wie sich aus § 49 MSchG, und § 19 RMG. unzweifelhaft ergibt, unter allen Umständen gewahrt bleiben. 19. Das Gleiche (wie in Anm. 9) gilt für die Abänderung der Worte Vernachlässigung „der dem Mieter obliegenden Sorgfalt" (§553) in „der gebotenen Sorgfalt". Auch diese Abschwächung war nicht not­ wendig und ist nicht zu begrüßen. Der von der Rechtsprechung (vgl. RG. III 9. März 1920 BayZsR- 1920, 205, ferner RG. 106, 133 und OLG. Düsseldorf Rspr. 43, 55) entwickelte Begriff der dem Mieter ob­ liegenden Obhutspflicht wird auch bei der Anwendung des § 2 MSchG, maßgebend bleiben (vgl. zu dem Düsseldorfer Urteil auch Josef IW. 1922, 786 und Fuchs Gruch. 63, 277). 11. Abweichend von § 553 BGB., der eine erhebliche Gefährdung der „Rechte des Vermieters" als Kündigungsgrund zuläßt, ist hier die Gefährdung des Mietraumes oder des Gebäudes (es genügt wohl auch die Gefährdung nur eines Teiles des Gebäudes) gefordert. 12. Für den Begriff der erheblichen Gefährdung genügt jede dvohende Beeinträchtigung des Gebäudes (Gebäudeteiles), selbst wenn durch die Einwirkung des Mieters eine Störung seines Gebrauchs oder des Mietgebrauchs eines anderen Hausbewohners nicht verursacht wird. Unerheblich ist ferner, ob der Mieter durch diese Gefährdung Vertrags­ pflichten verletzt; auf ein Verschulden (§ 276 BGB.) des Mieters kommt es hier ebensowenig wie beim „vertragswidrigen Gebrauch" im Falle des § 553 BGB. (RG. III 16. Dez. 1919, BayZfR. 1920, 152) an. Hat der Vermieter die Gefährdung zu vertreten, so entfällt die An­ wendung des § 2 MSchG. Die Gefährdung des Gebäudes muß iu jedem Fall eine erhebliche sein (vgl. Anm. 7 Abs. 3). 13. Vgl. § 549 BGB. und § 29 MSchG. Unbefugt ist jede Über­ lassung, für die die Erlaubnis des Vermieters nicht vorliegt oder durch

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das MEA gemäß § 29 MSchG, nicht ersetzt ist. Widerruf der Erlaubnis durch den Vermieter, die nur aus wichtigem Grund (§ 549 BGB.) zulässig ist, macht die Überlassung von der Wirksamkeit des Widerrufes an zu einer unbefugten; § 29 MSchG, kann aber auch in diesem Falle wieder Platz greifen. Die Anforderungen auf Entfernunng des Unter­ mieters dürfen nicht überspannt werden; es ist im einzelnen Falle nach Treu und Glauben zu prüfen, was dem Mieter in dieser Hinsicht billiger­ weise zuzumuten ist. Dementsprechend ist dem Mieter unter Umständen eine angemessene Frist zur Entfernung des Untermieters zu belassen

währen. Die Festsetzung des Zwangsmietvertrages als solchen begründe! keinen Anspruch auf Schadloshaltung; sie beruht auf der vorausgegan­ genen Aufforderung der Gemeinde (vgl. Aum. 3; § 4 Aum. 2 und Stern S. 113).

§ 6.

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Entschädigungspflichtig ist die Behörde, die die Verfügung erlassen hat, also regelmäßig in Bayern die Ortspolizeibehörde; auch soweit die vorgesetzte Verwaltungsbehörde (Bezirksamt, Regierung, Kammer des Innern) an Stelle der Ortspolizeibehörde die Verfügung erläßt, ist die Gemeinde haftbar (vgl. Kiefersauer-Scherer S. 117). Der Haftungsanspruch wirb weiterhin auch dann nur gegen die Gemeinde gerichtet werden können, wenn die Verfügung der Ortspolizeibehörde im Jnstanzenzug von einer Beschwerdestelle bestätigt wird. Die Höhe der Entschädigung zu bemessen, ist Sache der ordentlichen Gerichte. Dabei wird auch zu berücksichtigen sein, daß im Hinblick auf die allgemeine Wohnungsnot von dem Inhaber von Räumen gewisse Opfer verlangt werden dürfen. Das WMG. bringt eine Entschädigungspflicht nicht zur Entstehung. Mit Recht ist im RG. III 24. Okt. 1922 Warn. Respr. 1923 Nr. 48 aus­ geführt, daß gegenüber dem Zweck und Inhalt der Bestimmungen dieses Gesetzes angeblich allgemeine Anschauungen oder Dogmen über grund­ sätzliche Entschädigungen bei jedem Eingriff der Exekutive in jedwedes Privatrecht für das Reichsrecht nicht weiter in Betracht kommen. Landes­ rechtlich kann dagegen ein Entschädigungsanspruch begründet sein. Der Rechtsweg für einen solchen angeblichen Entschädigungsanspruch steht in jedem Falle offen, auch ohne daß das WMG. ihn erst zu eröffnen braucht (vgl. auch OLG. Hamburg LZ. 1921, 70).

8. Bei der auf Grund weitergehender Maßnahmen und Anord­ nungen beabsichtigten Durchführung von Umbauten muß — darin ist das Landesrecht durch Reichsrecht beschränkt — a) auf möglichst dauernde Verwendbarkeit der Bauvornahme Bedacht genommen und b) der in Anspruch genommene Raum nach Wegfall der Ermächtigung auf Verlangen des Berechtigten in den der früheren Zweckbestim­ mung und Ausstattung entsprechenden Zustand wieder hergestellt und zurückgegeben werden. Auch die Ausnahmeregelung des § 7 WMG. ist nach Maßgabe des § 7 Abs. 3 und 4 zu beachten (Anm. 9 u. 10). 9. Da § 6 WMG. nur der Wohnungsbeschaffung, nicht aber auch dem Mieterschutz dient (KG. 15. Jan. 1923 IW. 1923, 767 9), so kann künftig eine auf Grund des § da MSchVO. bisher mögliche Aus­ dehnung des Mieterschutzes über das MSchG, hinaus nicht mehr ge­ troffen werden (a. M. Meyerowitz, IW. 1923, 712). Vgl. §1 Anm.6 RG. 10. Mai 1921 Warn. Rspr. 1921 Nr. 84 dagegen erachtet es für möglich, daß auf Grund des § 6 WMG. (bisher § 9 WMVO.) auch Anordnungen erlassen werden, die die Kündigung einer Wohnung schlechthin ohne Rücksicht auf die Art der Benutzung (also auch bei Pacht­ vertrag) von der Zustimmung des MEA. abhängig machen. Ähnlich erklärt auch RG. 23. Mai 1922 RG. 104, 364 es für zulässig, daß auf Grund dieser Vorschrift in den hier gekennzeichneten Notstandsfällen jene allgemeinen Anordnungen und Maßnahmen getroffen werden können, die zur Bekämpfung der Wohnungsnot (also nicht nur zur Beschaffung von Wohnungen) erforderlich sind.

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Reichs-Wohnungsmangelgesetz.

§ 7. 'Die Inanspruchnahme von Gebäuden oder Räumen, die im Eigentum oder in der Verwaltung des Reichs oder eines Landes oder im Eigentum oder Verwaltung einer Körperschaft des öffent­ lichen Rechts stehen und öffentlichen Zwecken oder zur Unter­ bringung von Angehörigen der Verwaltung des Reichs, des Landes oder der Körperschaft zu dienen bestimmt sind/ ist nur zulässig, wenn von der zuständigen Reichs- oder Landesbehörde kein Ein­ spruch erhoben wird. Diese Behörden entscheiden auch, ob die im Satz 1 erwähnten Voraussetzungen int Einzelfalle vorliegen. Ist Einspruch erhoben, so entscheidet bei Gebäuden oder Räumen, die zur Verfügung des Reichs stehen, die Reichsregierung, int übrigen die Landesregierung. "Die Bestimmungen des Abs. 1 finden auf Gebäude und Räume, die im Eigentum oder in der Verwaltung gemeinnütziger Anstalten und Stiftungen, sowie gemeinnütziger, nicht auf Erwerb gerichteter Organisationen stehen', oder die religiösen' oder an­ erkannt' gemeinnützigen oder mildtätigen' Zwecken dienens ent­ sprechend Anwendung. Die Bestimmungen der Abs. 1 und 2 gelten auch für andere Anordnungen und Maßnahmen, die auf Grund dieses Gesetzes ge­ troffen find'. Das Recht der Gemeindebehörden aus §§ 2 und 3 bleibt jedoch unberührt. Die Versagung nach § 2 ist unzulässig, wenn gleichwertiger neuer Wohnraum hergestellt wird'. '"Verträge der in Abs. 1 und 2 genannten Stellen über die Ermietung von Gebäuden oder Gebäudeteilen zu öffentlichen Zwecken dürfen nicht der Genehmigung der Gemeindebehörden unterstellt werden".

1. Abweichend vom bisherigen Recht (§ 5 a), aber im Anschluß an ähnliche Regelung des § 16 RMG. (vgl. Anm 1 hierzu) und des § 32 MSchG, ist die Entscheidung darüber, ob es sich um Gebäude der in Abs. 1 und 2 bezeichneten Art handelt, nicht mehr dem MEA., sondern der obersten Reichs- oder Landesbehörde übertragen. Die Gemeinde­ behörde bedarf also nicht mehr der vorherigen Zustimmung dieser Be­ hörde; sie kann die Gebäude nach Maßgabe der reichsrechtlichen oder landesrechtlichen Bestimmungen in Anspruch nehmen. Es bleibt dann dem Verfügungsberechtigten überlassen, eine Entscheidung der zuständigen Behörde herbeizuführen. Für diese Entscheidung sind keinerlei Vorschriften erlassen; die Be­ hörde wird indes nicht ausschließlich eigene Interessen zu vertreten haben, vielmehr einen billigen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen des Verfügungsberechtigten und der Wohnungsuchenden herbei­ zuführen versuchen. Die Vorschrift darf jedenfalls nicht, wie vielfach zu

§ 7.

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beobachten ist, zu einer absoluten Ausnahmestellung der Inhaber von Räumen ii solchen Gebäuden führen. Es bleibt der Behörde unbe­ nommen, d-e Zustimmung an Bedingungen zu knüpfen; insbesondere sind Wünsche hinsichtlich der Person des zuzuweisenden Mieters zu erfüllen. Die Vergebung hat nach § 22 WMBek. zunächst an Beamte und Angestellte des betreffenden Dienstzweiges, dann an Beamte und An­ gestellte überhaupt zu erfolgen. 2. Ertspricht dem Wortlaut des § 32 MSchG, mit dem Abmaße, daß auch sonstige Körperschaften des öffentlichen Rechtes dem Reich und Land völlix gleichgestellt sind. Vgl. § 32 MSchG. Anm. 1. Als Körper­ schaft des tffentlichen Rechtes ist nach der Entwurfsbegründung auch die Reichsbank anzusehen;' sie ist zwar keine Anstalt des Reichs, aber eine unter der Aufsicht und Leitung des Reichs stehende Bank mit selb­ ständiger Rechtspersönlichkeit (§ 12 des Bankgesetzes), über die Sonder­ behandlung der Reichsbank im Zwangsverfahren vgl. § 11. Öffentlichrechtliche Körperschaften oder Körperschaften des öffentlichen Rechts (vgl hierzu § 89 BGB.) sind — abgesehen von den Gemeinden itn Sinne der Gemeindeordnung — die Bezirks- und Kreisgemeinden (§ 22 der Verfassungsurkunde des Freistaates Bayern vom 14. August 1919). Weiterhin kommen in Betracht die Religionsgesellschafteu, soweit sie bisher schon die Eigenschaft einer Körperschaft des öffentlichen Rechts besessen haben oder diese künftig erwerben (Art. 137 Abs. V der Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919; § 18 bayer. BerfU.); in Bayern sind derzeit als öffentliche Kirchen gesellschasten nur anerkannt: die katholische Kirche sowie die beiden protestantischen Kirchen rechts und links des Rheins (§ 24 des bayer. Religions-Edikts Dom 26 Mai 1918). Da jedoch auch Gebäude, die religiösen Zwecken dienen, unter § 7 fallen, hat hier die Unterscheidung nach dem öffentlich­ öder privatiechtlichen Charakter der Religionsgesellschaften keinerlei prak­ tische Bedeutung (vgl. auch Art. 1 der bayer. Kirchengemeindeordnung vom 24. Srpt. 1912, wonach zur Klarstellung der Rechtsverhältnisse auch die Kirchengemeinden als rechtsfähige Beitragsverbände des öffent­ lichen Rechis anerkannt sind). Zu den Körperschaften des öffentlichen Rechts zählen ferner: die Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts (§ 25 bayer. VerfU.): ferner berufsständische Vertretungen, so­ weit sie als öffentliche Körperschaften anerkannt sind, z. B. die Ge­ meindebeamtenkammer (BO. vom 9. Jan. 1919 GVBl. S. 13), die Bauernkammern (Art. 3 des Gesetzes über die Bauernkammern Dorrt 20. März 1920 GVBl. S. 67), die Handelskammern (§ 3 der VO. Dom 5. Febr. 1908 GVBl. S. 69), die Handwerkskammern (§§ 103 ff der Reichsgewerbeordnung) samt den ihren Unterbau bildenden Innungen, freie wie Pflichtinnungen (§§ 81 ff. der Reichsgewerbeordnung). Hierher gehören ferner die Träger der Reichsversicherung, d. h. die Krankenkassen, die Berufsgenossenschaften und die Versicherungsanstalten (§§ 3 und 4 der Reichsversicherungsordnung Dorrt 19. Juli 1911). Auch Zweckverbände nach Art. 26 des Selbstverwaltungsgesetzes vom 25. Mai 1919 zählen hierher. Im übrigen ist der Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechtes durchaus kein feststehender; weder in der Reichsverfassung noch in der bayerischen Berfassung ist der Begriff gesetzlich festgelegt (Dgl. Piloty,

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Reichs-Wohnungsmangelgesetz.

VerfU. S. 74 und 88). Erläuternde Ausführungen finden sich im RGR.Kommentar Vordem. 2 und § 21; vgl. auch Hüfner, LZ. 1920,777. Wann das Gebäude in das Eigentum oder in die Verwaltung des Rechtsträgers gekommen ist, ist unerheblich (vgl. §9 WMBek. Anm. 5) 2 a. Zuständig ist das Staatsministerium, zu dessen Geschäftsbereich das Gebäude oder die Dienstwohnung gehört (§ 9 WMBek.). 3. Vgl. § 32 Abs. IV MSchG, und Anm. 4 hierzu. 4. Religiösen Zwecken dient ein Gebäude danu, wenn es Ausschließlich oder doch überwiegend der Ausübung der durch Art. 135 der Reichsverfassung und § 17 der bayerischen Ver­ fassungsurkunde gewährleisteten Glaubens- und Gewissens­ freiheit dient. Ob es sich dabei Um verfassungsrechtlich anerkannte Religionsgesellschaften oder nur um lose Vereinigungen handelt, ist gleichgültig; in Betracht kommen deshalb Kirchen, Synagogen, Bet­ häuser usw. Soweit Räume in privaten Gebäuden, die im übrigen dem Wohnungsinhaber zur Verfügung stehen, für Bethauszwecke Verwendung finden, entscheidet die überwiegende Zweckbestimmung. 5. Die Gemeinnützigkeit oder Mildtätigkeit des Zweckes muß staat­ lich anerkannt sein, z. B. Art. 16 des bayer. Landeskulturrentengesetzes i. d. Fassung vom 31. März 1908 (gemeinnützige Bauvereinigungen). Die Gemeinnützigkeit der Vereinigung usw. genügt nicht, es muß gerade der Zweck, dem das betreffende Gebäude dient, ein gemeinnütziger fein; deshalb können gemeinnützige Baugenossenschaften für ihre Wohn­ häuser nicht die Anwendung des § 7 in Anspruch nehmen S oben S 98. 6. Z. B. Spitalpfründen, Altersheime. 7. Es ist nicht erforderlich, daß die Gebäude z. Z. des Erlasses dieses Gesetzes dem religiösen, mildtätigen usw. Zweck bereits gedient haben; es genügt, daß das Gebäude zur Zeit der Inanspruch­ nahme diesen Zwecken dient. Es kann deshalb die Vorschrift des § 7 auch dann zur Anwendung kommen, wenn ein Gebäude, das ursprüng­ lich rein privaten Zwecken, z. B. als privater Hausbesitz gedient hat, durch anderweitige Verfügung (durch Verkauf an eine Stiftung) gemein­ nützigen usw. Zwecken erst zugeführt wird. 8. Insbesondere gilt die Ausnahmeregelung des § 7 auch gegen­ über den auf Grund der Ermächtigung des § 6 erlassenen landesrecht­ lichen Anordnungen und Maßnahmen. 9. Auch bei Den in Abs. 1 und 2 bezeichneten Gebäuden dürfen ohne Genehmigung Der Ortspolizeibehörde Wohnungen nicht vereinigt oder Abbrucharbeiten vorgenommen werden. Die Verwendung von Wohn­ räumen zu Geschäftszwecken muß aber abweichend von § 2 Abs. 2 ge­ nehmigt werden, wenn ein entsprechender (gleichwertiger) Wohn raum neu hergestellt wird. Die Anzeige- und Auskunftpflicht des § 3 gilt unbeschränkt. 19. Auch die zivilrechtliche Unwirksamkeit solcher Verträge nach §31 MSchG, kommt hier nicht in Frage.

§ 8. Wollen Personen, die vor dem 1. Januar 1914 in Deutsch­ land ihren Wohnsitz hatten, oder Personen, bei denen die im § 14 genannten Voraussetzungen vorliegen', ihre selbständigen

8 8.

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benutzten Wohnungen innerhalb des Reichsgebiets miteinander lauschen, so sind sie verpflichtet, die Genehmigung der beteiligten Gemeindebehörden unter Beifügung der schriftlich gegebenen Zu­ stimmung der Vermieter vor Durchführung des Tausches einzu­ holen^. Wird die Zustimmung versagt, so entscheidet das Mieteinigungsamt*. Unter diesen Voraussetzungen ist die Genehmigung innerhalb einer Frist von 14 Tagen zu erteilen; bei Überschreitung dieser Frist gilt die Genehmigung als erteilt6. Die Vorschriften über die zulässige Belegung und Benutzung behalten Gültigkeit6, 1. Diese Bestimmung ist auf einen Beschluß des Wohnungs- und Siedlungsausschusses des vorl. Reichswirtschaftsrates (Drucksache Nr. 326 S. 6) zurückzuführen. Hiernach sollte der Tausch von selbständigen Woh­ nungen mit Zustimmung der Vermieter grundsätzlich freigegeben und der Tausch unter öffentlichen Beamten landesrechtlich besonders geregelt werden, über die Nechtswirkungen des Wohnungstausches nach daher Recht vgl. Held, BayGemVZ. 1922, 205. 2. Die Anwendung des § 8 ist daher beschränkt aus a) Personen — gleichviel welche Staatsangehörigkeit sie besitzen —, die tzsr dem 1. Januar 1914 in Deutschland ihren Wohnsitz (§ 12 BGB.) hatten und b) auf Deutsche, die als Vertriebene im Sinne des § 14 anzusehen sind Andere Deutsche oder Ausländer, die erst nach dem 1. Januar 1914 in Deutschland ihren Wohnsitz genommen haben, kommen für den Woh­ nungstausch überhaupt nicht in Frage; ein solcher Wohnungstausch darf nicht genehmigt werden, ganz abgesehen davon, daß das mangelnde Ein­ verständnis des Vermieters durch das MEA. nicht ersetzt werden kann Maßgebend ist die bisherige Fassung des § 14 (§ 14 Anm. 1), § 18 3 Der Wohnungstausch setzt dreierlei voraus: a) die Verfügungsfreiheit über die Wohnung in allen ihren Teilen; ein etwa vorhandenes Untermietverhältnis wird durch den Tausch als solchen nicht berührt, da eine Beendigung des Hauptmietver­ hältnisses nicht eintritt. Der Tauschgegner hat daher — soweit unter den Vertragsteilen nichts anderes vereinbart ist — den Unter­ mieter mitzuübernehmen. b) die Zustimmung des Vermieters zu dem Tausch, der rechtlich als Rechtsabtretung (vgl. § 29 MSchG. Anm. 2) erscheint und daher der Genehmigung des Vermieters nach § 399 BGB. bedarf. Wie im Falle des § 29 MSchG., so kann auch hier die rechtsgeschäft­ liche Erklärung des Vermieters durch das MEA. ersetzt werden; die in der Rechtsprechung anerkannte entsprechende Anwendung des § 549 BGB. ist für den Sonderfall des Wohnungstausches nach Maßgabe des § 8 durch positive Gesetzesvorschrift ersetzt Hierin liegt der Schwerpunkt dieser Bestimmung. e) die Genehmigung der Gemeindebehörde. 4 Für die Entscheidung des MEA. d. h. für die Ersetzung der Ge­ nehmigung des Vermieters durch die Zustimmung des MEA. sind Richt­ linien nicht vorgeschrieben. Das MEA. entscheidet daher nach billigem

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Reichs-Wohnungsmangelgesetz

Ermesset! (§ 40 Abs. 3 MSchG.), immerhin dürfte in entsprechender An­ wendung des § 29 Satz 2 MSchG, die Zustimmung zu versagen sein, wenn sie vom Vermieter aus einem wichtigen Grund verweigert worden ist. Die in Anm. 2—6 zu § 29 MSchG, gemachten Ausführungen gelten entsprechend. S. Die Gemeindebehörde kann hiernach nur in Tätigkeit treten, wenn die Zustimmung zum Tausch entweder vom Vermieter (schriftlich) erteilt oder vom MEA. ersetzt ist. Sie hat vor der Tauschgenehmigung vom wohnungswirtschaftlichen Gesichtspunkt aus die Zweckmäßigkeit des Tausches, insbes. die Größe der Wohnung im Verhältnis zu der Zahl der Haushaltangehörigen zu prüfen (Schlußsatz) und hiernach zu ent­ scheiden. Ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Genehmigung des Wohnungstausches steht den Tauschparteien nicht zu; eine bedin­ gungslose Verpflichtung der Gemeindebehörde zur Erteilung der Genehmigung ist trotz der Fassung des § 8 n i ch t g e g e b e n. Es wäre z. B. unzweckmäßig, wenn eine übergroße Wohnung, die durch Tausch in den Besitz einer kleinen Familie gekommen ist, sofort nach Genehmigung gemäß Satz 4 rationiert werden müßte; in einem solchen Falle wäre die Genehmigung zum Tausch von vornherein zu versagen oder an Bedingungen zu knüpfen, die die erforderliche Raumeinschränkung sicherstellen. Gegen die Entscheidung des MEA. findet die Rechttz­ beschwerde nach § 41 MSchG, statt. Rur wenn alle beteiligten Gemeindebehörden die Genehmigung er­ teilen, kann der Tausch vollzogen werden. Gegen die Versagung der Genehmigung innerhalb der Frist ist Aufsichtsbeschwerde möglich; nach Ablauf der Frist gilt die Genehmigung ohne Anfechtungsmöglichkeit a l s e r t e i l t. H. Vgl. Anm. 5. Wegen der Sonderregelung des Beamtenwohnungstausches vgl. § 27 WMBek. Die dem § 8 WMG. entsprechende Vorschrift des § 28 WMBek. bringt eine Bestimmung darüber, von wann ab die Frist zur Erteilung der Genehmigung läuft; sie überträgt weiter­ hin die Entscheidung darüber, ob die erforderliche Zustimmung des Ver­ mieters zum Tausch durch behördliche Zustimmung zu ersetzen ist, neben dem MEA. in bestimmten Fällen einer besonderen Beschwerdestelle oder dem Bezirksamt (§ 19 WMBek.).

§ 9. Die obersten Landesbehörden könnenÄusführungsbestimmungen zu diesem Gesetz erlassen. Hierzu ist in Bayern die Bek. des Ministeriums für Soziale Für­ sorge vom 25. Sept. 1923 (StAnz. Nr. 223) ergangen (WMBek.); sie tritt mit dem 1. Oktober 1923 in Kraft (§ 42 WMBek.). Für den Monat September gilt aber bereits das Neichsrecht (vgl. § 12 Anm. 3). Die WMBek. enthält, auch wenn sie wie hier als selbständige Verord nung redigiert ist, immer nur die Ausführung reichsrechtlicher Normen; auch soweit die Verordnung auf der Grundlage des § 6 WMG. weitergehende Anordnungen und Maßnahmen bestimmt oder zuläßt, ist die rechtliche Zulässigkeit dieser selbständigen Regelung an die Einhaltung der Rahmenvorschrift des § 6 gebunden. Von dem Gesichtspunkt der reichsrechtlichen Normen ist daher das Landesrecht zu beurteilen.

§§ 9-11.

173

Durch bie selbständige Zusammenfassung des Reichsrechtes tu landesrechtlichen Verordnungen wird auch die unmittelbare Anwen­ dung des Reichswohnungsmangelgesetzes nicht aus­ geschlossen; demgemäß sind Lücken der landesrechtlichen Regelung aus dem Reichsrecht zu ergänzen Als Beispiel bietet sich § 9 WMBek., der die Anwendung des § 7 WMG. stillschweigend voraussetzt, obwohl abweichend von der sonstigen Übung diese Vorschrift in der landes­ rechtlichen Bekanntmachung nicht wiederholt ist. Vgl. auch § 1 Anm. 6 Durch die MBek. vom 7 Jan 1912 sowie durch die MEntschl vom gleichen Tage (StAnz. Nr 6) hat die WMBek. z. T wesentliche Änderungen und Ergänzungen erfahren; in der MEntschl insbesondere sind Auslegungsfragen in buntem Durcheinander mit Vollzngsanweisungen behandelt.

§ 10. Die obersten Landesbehörden können die von ihnen erteilten Ermächtigungen^ zurücknehmen3 und die Gemeindebehörden zur Aufhebung der von ihnen auf Grund der Ermächtigung getroffenen Anordnungen und Maßnahmen anhalten3.

1.

Vgl. § 1 Anm. I u. 2

2. Die Zurücknahme bewirkt, daß bie ermächtigten Behörden von dem Tage der Zurücknahme oder von dem besonders bestimmten Zeit­ punkt der Wirksamkeit der Verfügung an zu den Entscheidungen auf Grund dieses Gesetzes und den AusfBest. nicht mehr befugt sind. Die Entscheidungen sind rechtlich wirkungslos Die Zurücknahme der Ermäch­ tigungen ist öffentlich bekannt zu geben Eine rückwirkende Kraft kommt der Zurücknahme der Ermächtigung nicht zu; früher ergangene Anordnungen und Maßnahmen bleiben rechts­ wirksam. 3. Das Eiligreifen der obersten Landesbehörde ist an sich auf Grund des Gemeindeaufsichtsrechtes zulässig; Halbsatz 2 will lediglich die Rechts­ lage klarstellen. Wegen der Beschränkung des Aufsichtsrechtes auf die Tätigkeit der Ortspolizeibehörden vgl. § 16 MSchG. Anm. 4 und §36 WMBek. Wegen des bisherigen Rechtes s. Kiefersauer-Scherer S. 43 u 118.

§ 11. Die zur Bekämpfung des Wohnungsmangels getroffenen Verfügungen* sind mit schriftlicher, tatsächlicher und rechtlicher Begründung dem Betroffenen zuzustellen3. Sie sönnen3 im Wege unmittelbaren polizeilichen Zwanges^ durchgeführt werden. Gegen Reich und Land ist die Anwendung derartiger Zwangsmaßnahmen unzulässig; das gleiche gilt für die Reichsbank3.

1. Verfügungen im Sinne dieses Gesetzes sind nur die für den Einzelfall getroffenen Maßnahmen der Ortspolizei­ behörden (Gemeindebehörden), nicht auch die Entscheidungen j> e r M E Ä., auch wenn sie auf Grund des § 16 WMG. mit dem Boll-

174

Reichs-Wohnungsmangelgesetz.

zuge dieses Gesetzes betraut sind (vgl. § 6 Anm. 3). Deshalb ist auch der vom MEA. gemäß § 4 festgesetzte Zwangsmietvertrag keine Ver­ fügung im Sinne dieser Vorschrift (ebenso Stern §9b WMVO. Anm.4; a. M. Held, BayGemVZ. 1922, 203); wenn auch die Festsetzung des Zwangsmietvertrages „als Teil oder als Folge" (so PrKompKonflGH. 11. Juni 1921 IW. 1922, 535 und vom 10. Dez. 1921 LZ. 1922, 278) der auf Beschlagnahme abzielenden Zwangsmaßnahmen anzusehen ist, so bildet die Entscheidung des MEA. dennoch einen rechtlich selbständigen Staatsakt, vermöge dessen dem Wohnungsuchenden der Prozeß vor dem ordentlichen Gericht gegenüber dem Verfügungsberechtigten erspart wird (KGSt. 15. Jan. 1922 IW. 1922, 8182). Mit der Festsetzung des Zwangs­ mietvertrages wird nicht nur der Zwangsakt der Gemeindebehörde be­ stätigt, es wird vielmehr darüber hinaus ein bürgerliches Rechts­ verhältnis zwischen dem Wohnungsuchenden und dem Verfügungs­ berechtigten erst geschaffen, ohne das der wirtschaftliche Erfolg der Maßnahme ein geringer wäre. Mit der Begründung des Mietverhält­ nisses ist aber zugleich die Tätigkeit der Gemeindebehörde beendigt und es besteht kein Anlaß zu weiteren polizeilichen Maßnahmen (ebenso Mittel st ein, IW. 1922, 8182 Fußnote), zumal durch § 31 MSchG, dem Wohnungsuchenden ein unmittelbarer Anspruch auf Räumung gegen einen unberechtigten Mieter eingeräumt ist. Solange ein Mietvertrag nicht festgesetzt ist, kann die Ortspolizeibehörde auf Grund des § 11 die zwangsweise Einsetzung bewirken, allerdings auf die Gefahr hin, daß nach einer ablehnenden Entscheidung des MEA. die Zwangseinsetzung rückgängig gemacht werden muß (vgl. § 4 Anm. 4). Wegen der rechtlichen Bedenken gegen eine landesrechtliche An­ ordnung — 8 38 Abs. 1 Satz 3 WMBek. —, wonach der Zwangsmieter auch nach Festsetzung des Zwangsmietvertrages im Wege unmittelbaren Zwanges in die Räume eingesetzt werden kann, vgl. § 6 Anm. 3.

2. Begründungs- und Zustellungszwang gilt nicht nur auf Grund des 8 H WMG. und 8 39 WMBek. für Verfügungen der Ortspolizei­ behörden, sondern auf Grund des 8 40 MSchG, und des 8 14 VerfAO. für die Entscheidungen des MEA. und der Beschwerdestelle. Soweit andere Behörden (Bezirksamt, Beschwerdestelle nach 8 34 WMBek.) tätig werden, gelten die für das Verfahren yor den MEÄ. erlassenen Vorschrisren gemäß 8 35 Abs. 3 WMBek. entsprechend. 3. Die zwangsweise Durchführung der getroffeneil Maßnahmen steht im Ermessen der Gemeindebehörde; soweit die Durchführung zur Bekämpfung des Wohnungsmangels notwendig ist, kann die Gemeinde­ behörde zur zwailgstveisen Durchsetzung ilach 8 30 WMBek. von Auf­ sich ts wegen angehalten werden. Wegeil des Ausschlusses des Zwangsverfahrens gegen Reich, Land und Reichsbank vgl. 8 U Satz 3. 4. Unmittelbarer polizeilicher Zwang bedeutet: die Gemeindebehörde sann unter Verzicht auf die mittelbare Einwirkung durch Strafandrohung gegen Zuwiderhandelnde (z. B. Ungehorsamsstrafen auf Grund des Art. 21 Abs. 2 PolStG.) sofort durch Anwendung der gesetzlichen Zwangsnlittel die Verfügung zur Ausführung bringen. Welcher Art diese Zwangsnlittel silld, bemißt sich nach den Umständen

§ 12.

175

deS einzelnen Falles: alle zur Erreichung des beabsichtigten Erfolge­ erforderlichen, zur Zuständigkeit der Gemeindebehörden gehörenden Zwangsmittel dürfen an gewendet werden. In Betracht kommen: zwangs­ weise Räumung beschlagnahmter Räume, toeiin sie benutzt sind; zwangs­ weise Öffnung unbenutzter Räume (für das frühere Recht verneint durch OLG. Hamburg LZ. 1921, 70), Wegschaffung von Einrichtungsgegenstän­ den, Verwahrung derselben an einem anderen Ort, zwangsweise Ein­ setzung zugewiesener Personen (vgl. aber Anm. 1), zwangsweise Vor­ nahme von baulichen Veränderungen in den beschlagnahmten Räumen (hierzu § 38 WMBek.). Wegen der Verpflichtung der Gemeindebehörde vor Durchführung der Zwangsmaßnahmen eine gütl i ch e Einigung zu versuchen vgl. § 6 Abs. 1 Satz 2. § 11 ist unmittelbare Rechtsquelle für die Befugnis der Gemeinde­ behörde; landesrechtliche Vorschriften, die weitergehende Rechte enthalten, gelten unverändert fort. Landesrechtliche Einschränkungen hindern dagegen ein Vorgehen auf Grund des § 11 nicht. ö Neu eingefügt durch das Abänderungsgesetz vom 26. Juli 1923. Wegen der Reichsbank vgl. § 7 Anm. 2.

§ 12. I Die Vorschriften dieses Gesetzes finden auf Neubauten oder durch Um- oder Einbauten neugeschaffene Räume keine Anwen­ dung, wenn sie nach dem 1. Juli 1919 bezugsfertig geworden sind oder künftig bezugsfertig toerbcn* 234. II Auf Neubauten, die mit Zuschüssen aus den für die Wieder­ herstellung der während des Krieges zerstörten Gebiete bereitge­ stellten Mitteln errichtet sind, finden die Vorschriften dieses Ge­ setzes dagegen Anwendung^. '"Die mit Unterstützung des Hilfswerkes Oppau errichteten Räume unterliegen den Vorschriften dieses Gesetzes sowie des Reichsmietengcsetzes vom 24. März 1922 (RGBl. I S. 273) und des Gesetzes über Mieterschutz und Mieteinigungsämter vom 1. Juni 1923 (RGBl. I S. 3Ö3)6.

1.

Vgl. die wörtlich übereinstimmende Regelung in § 33 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 MSchG, und § 16 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 RMG. Wegen der Begriffe „Neubauten" und „durch Um- oder Einbauten neu­ geschaffene Räume" vgl. § 33 MSchG. Anm. 1. Die Befreiung der in Abs. 1 bezeichneten Räume von der Woh­ nungszwangswirtschaft kann nicht ohne Rückwirkung auf die Durch­ führung des Wohnungsnotrechtes auch in den alten Gebäuden bleiben; z. B. kann die der Gemeindebehörde nach § 36 MSchG, obliegende be­ schleunigte Zuweisung von Ersatzräumen sich nur auf die Bereitstellung von Räumen beziehen, für die die Ausnahmeregelung dieses Gesetzes, insbes. also § 12, keine Anwendung findet. Die Ingebrauchnahme einer Wohnung in einem Neubau kann die Gemeindebehörde nicht verhindern, wohl aber ist die Verfügung über die bisherige Wohnung des Neubau-

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Reichs-Wohnungsmangelgesetz.

Mieters (Neubaubesitzers) an die Zustimmung der Ortspolizeibehörde nach § 25 WMBek. gebunden. Nach allgemeinen Grundsätzen kann auch die neben einer Neubauwohnung benutzte Altwohnung beschlagnahmt werden. Soweit ein Wohnungstausch in Frage kommt, gilt § 8 WMG auch für die Verwendung der alten Wohnung. Räume, die vor dem 1. Juli 1918 bezugsfertig geworden sind, sind der Wohnungszwangswirtschaft unterstellt. 2. Mit Wirkung vom 1. September 1923 (Art. 5 des Gesetzes vom 26. Juli 1923 RGBl. I S. 751) sind Gebäude oder Räume der in Abs. 1 bezeichneten Art von den Vorschriften des WMG. und daher auch der bisher geltenden WMVO. befreit. Das bedeutet z. B. für den auf Grund des § 4 WMVO festgesetzten Zwangsmietvertrag nicht ohne weiteres die Aufhebung des Mietverhältnisses, da durch die nachträgliche Beseitigung der gesetzlichen Grundlage die auf dieser Grundlage begründeten Rechts­ verhältnisse in ihrer Wirksamkeit nicht beeinträchtigt werden. Die. Lösung des Mietverhältnisses erfolgt durch Vereinbarung oder durch Kündigung, deren Zulässigkeit zunächst nach dem Inhalt des Zwangs­ mietvertrages, im übrigen nach den Vorschriften des BGB. zu beurteilen ist (vgl. § 4 Anm. 4). 3. Auf Grund der Anordnungen des bayer. Ministeriums für So­ ziale Fürsorge vom 31. März 1921 (StAnz. vom 5. April 1921 Nr. 77), ergänzt durch die Anordnung vom 30, Januar 1923 (StAnz. vom 31. Ja­ nuar 1923 Nr. 25) galten die Vorschriften der WMBek. vom 10. Aug. 1920 nicht für Neubauten oder für durch Um- oder Einbau neugeschaffene Räume, soweit diese Bauten nach der Verkündigung dieser Anordnungen fertiggestellt worden sind. Stichtag für die Befreiung von der WMBek. war hiernach für Neubauten der 5. April 1921, für Um- oder Einbauten der 1. Februar 1923. Die Rückverlegung des Stich­ tages auf den 1. Juli 1918 bringt auch in dieser Beziehung in Bayern eine Erleichterung der Neubautätigkeit. Wegen der gegen die rückwirkende Kraft der Befreiung zu erhebenden Bedenken vgl. § 33 MSchG. Anm. 4. Die Bek. vom 31. März 1921 und 30. Januar 1923 treten formell ab 1. Oktober 1923 außer Wirksamkeit (§ 42 WMBek.), materiell aber gilt § 12 WMG. bereits ab 1. Sept. 1923 (vgl. Vorbem. z. WMG.)' danach gilt für den Monat September Neichsrecht ohne landesrechtliche Ausführungsbestimmung (vgl. § 9 WMG.). 4. Die durch diese Vorschrift angestrebte Förderung der für die All­ gemeinheit nützlichen privaten Neubautätigkeit ist nicht beschränkt auf Bauten, die ohne Mithilfe öffentlicher Zuschüsse errichtet worden sind. Das ist bedauerlich, um so mehr als die bisher mögliche Rückzahlung der Zuschüsse mit der entwerteten Papiermark den Neübaubesitzer auch von den Beschränkungen der Mietzinsbildung befreite. Vgl nunmehr aber § 33 Abs. 3 und 4 MSchG. Die Befreiung der Neubauten von der WMBek. hat im übrigen nicht die erwarteten Erfolge gezeitigt; solange die wirtschaftlichen Verhältnisse eine fortdauernde Steigerung der Bau­ kosten bedingen, wird eine wesentliche Förderung der privaten Wohnungs­ bautätigkeit auch dann nicht zu erwarten sein, wenn die Neubauten von üHen Fesseln der Zwangswirtschaft befreit sind. Die Neubautätigkeit der privaten Wirtschaft wird solange einen nennenswerten Aufschwung nicht

§ 13.

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nehmen, als mit einer dauernden Verzinsung des aufgewendeten Kapitals nicht zu rechnen ist. Diesen geringfügigen Vorteilen der Frei­ gabe der Neubauten stehen schwere Nachteile für die die Allgemeinheit berührende Zwangsbewirtschaftung des Wohnungswesens gegenüber: in­ folge der Rückwirkung des Gesetzes auf bereits bestehende Bauten droht eitle starke Vermehrung der Zahl der Wohnungsuchenden und zwar solcher, die überhaupt feine Unterkunft besitzen und daher „vorzugsweise" zu berücksichtigen sind. Die Verwirrung der Verhältnisse wird eine ähn­ liche werden wie anläßlich der plötzlich notwendig gewordenen Unter­ bringung der Pfalzverdrängten; während aber hier die Gewalt des Feindes die Schwierigkeiten verursacht hat, sind sie in diesem Falle auf die Tätigkeit des Gesetzgebers selbst zurückzuführen. Es wird sich wohl nicht umgehen lassen, daß wenigstens jene Neubauten, für die die öffent­ lichen Zuschüsse mit entwerteter Papiermark zurückbezahlt worden sind, wieder in vollem Umfang unter das Wohnungsnotrecht gestellt werden, soweit der Bauherr oder Eigentümer sich nicht herbeiläßt die volle Geld­ entwertung nachträglich zu erstatten (vgl. § 2 meines Gesetzentwurfes über die Geldentwertung oben S. 5). 6. Wegen der weiteren Einschränkung dieser Vorschrift in Bayern vgl. § 40 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 WMBek. und Anm. 6.

8. Emgesügt durch Art. II der AbänderungsVO. vom 24. Dez. 1923 (RGBl. I S. 1247); neben der Beschlagnahmefähigkeit dieser Räume ist zugleich die Abweichung von § 33 MSchG, und § 16 RMG. die Unterstellung dieser Räume unter das Notrecht allgemein anerkannt.

§ 13. Werden vor' dem 1. Juli 1918 bezugsfertig gewordene Räume, die im Eigentum von Gesellschaften oder Genossenschaften der im § 16 Abs. 1 Satz 3 des Reichsmietengesetzes bezeichneten Art* stehen, von der Gemeindebehörde zur Unterbringung von Woh nungsuchenden in Anspruch genommen, so ist die Geineindebehörde zur Bezeichnung der aufzunehmenden Wohnungsuchenden* erst dann berechtigt, wenn die Gesellschaft oder Genossenschaft die Räume nicht innerhalb der ihr gestellten Frist an einen Wohnungsuchenden^ vergibt, der be­ reits seit mindestens 1 Jahr der Gesellschaft oder der Genossen­ schaft als Mitglied angehöri^.

1. Für die nach dem 30. Juni 1918 bezugsfertig gewordenen Bauten gilt die Ausnahmeregelung des § 12 (vgl. §33 MSchG. Anm. 1 a. E.). 2. 2.

Vgl. § 33 MSchG, und Anm. 2 hierzu.

Einschränkung des Zuweisungsrechtes der Gemeindebehörde mit der Folge der Unzulässigkeit der Zwangseinsetzung (§ 11) und der Fest­ setzung des Zwangsmietvertrages (§ 4). Das Recht der Gemeindebehörde lebt wieder auf, wenn die Frist fruchtlos abgelaufen ist oder wenn ein Wohnungsuchender die Räume erhält, dem sie nach dieser Vorschrift nicht zugewiesen werden dürfen (Anm. 4). Äiefet8auer, Mleterlchuhrecht.

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Reichs-Wohnungsmangelgesetz.

4. Nur an den hier näher bezeichneten bestimmten Wohnung­ suchenden darf die Genossenschaft (Gesellschaft) die Räume vergeben. Eine ohne Beachtung dieser Vorschrift vorgenommene Vergebung bewirkt, daß die Gemeindebehörde das volle Zuweisungsrecht wieder erhält und beit unberechtigt Eingezogenen zwangsweise aussetzen kann. 5. Die Dauer der Mitgliedschaft dürfte von dem Ende der Frist rückwirkend zu berechnen sein. Die Frist muß eine angemessene sein und dürfte regelmäßig auf zwei Wochen zu bemessen sein. Wird eine Frist nicht gestellt, so ist das selbständige Verfügungsrecht der Genossenschaft — unter Beschränkung auf Mitglieder von mindestens einjähriger Dauer — der Dauer nach so lange unbeschränkt als nicht später eine Frist von der Gemeindebehörde bestimmt wird. Die Mindest dauer der Mitgliedschaft kommt nicht in Frage, wenn sämtliche vorgemerkte Mitglieder noch nicht ein Jahr der Genossen­ schaft angehören. Zu dieser einschränkenden Gesetzesauslegung zwingt der Umstand, daß andernfalls tüchtige Genossenschaften, die großzügig Woh­ nungen hergestellt und dadurch die Zahl ihrer Anwärter auf Woh­ nungen vermindert haben, durch die Regelung des § 13 in der Ver­ fügung über die Altbauten in unbilliger Weise beschränkt würden. 6. Wegen der Einschränkung durch § 21 WMBek. vgl. Ziff. 7 der MEntschl. vom 7. Jan. 1924 StAnz. Nr. 6.

K 14*. ' Deutsche, die aus dem Ausland oder aus einem besetzten oder infolge des Friedensschlusses aus dem Reichsgebiet ausge­ schiedenen oder einem einer anderen Verwaltung unterstehenden Landesteile vertrieben worden sind, sind von den Gemeinden bei der Unterbringung derWohnungsuchenden vorzugsweise zu berücksichtigen. " Als vertrieben im Sinne des Abs. 1 gelten nur* 1. diejenigen, welche infolge Ausweisungsbefehls der fremden Macht das Gebiet verlassen mußten, 2. diejenigen, denen der Aufenthalt in den Gebieten durch sonstige Maßnahmen der Behörden oder andere gleichzwingende Gründe unmöglich gemacht worden ist, 3. diejenigen, welche bei Ausbruch oder während des Krieges in den Gebieten gewohnt, sie alsdann verlassen haben und in­ folge von Maßnahmen der dortigen Behörden nicht zurück­ kehren konnten. 111 Als ein gleichzwingender Grund im Sinne des Abs. 2 Nr. 2 ist der allgemeine Verfall des Wirtschaftslebens in diesen Gebieten nicht anzusehen. lv®ie Eigenschaft als Vertriebener ist durch eine amtliche Bescheinigung festzustellen. Die obersten Landesbehörden bestimmen die Stellen, welche zur Ausstellung der Bescheinigung berechtigt sind. Von der Beibringung der amtlichen Bescheinigung sind

§ 14.

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befreit alle Deutschen, die beim Inkrafttreten dieses Gesetzes im Besitze von amtlichen Flüchtlingspapieren waren. v Der Anspruch nach Abs. 1 erlischt, sobald der Vertriebene eine Wohnung bezogen hat, sofern es sich nicht lediglich um eine Notwohnung handelt b. "'Familien mit drei oder mehr in der häuslichen Gemein­ schaft lebenden Kindern sind ebenfalls als „vorzugsweise zu berück­ sichtigende" anzusehen*.

1. Die bisherige Fassung (§ 9 c) dieser Vorschrift, die auch über die Geltungsdauer der WMVO. hinaus nach Maßgabe des § 18 gilt, lautet: „Deutsche, die unter den Einwirkungen des Krieges aus dem Auslande oder aus einem von dem Feinde besetzten oder infolge des Friedensschlusses aus dem Reichsgebiet ausscheidenden oder einer an­ deren Verwaltung unterstehenden Landesteil geflüchtet oder vertrieben worden sind, sowie Deutsche, die zur Erfüllung einer Wehrpflicht aus dem Ausland nach Deutschland zurückgekehrt sind und denen jetzt von der ausländischen Regierung die Rückkehr nach ihrem Wohnort verboten oder erschwert wird, sind von den Ge­ meinden bei der Unterbringung der Wohnungsuchenden vorzugsweise zu berücksichtigen." Umfaßte die bisherige Regelung des § 9c nur die Kriegsvertriebenen und Flüchtlinge, so ist die neue Fassung nicht nur den gegen­ wärtigen durch den Ruhreinbruch herbeigeführten besonderen Verhält­ nissen angepaßt, sie hat vielmehr in Abs. 6 eine neue Kategorie von „vorzugsweise zu berücksichtigenden" Personen eingeführt: die kinder­ reichen Familien. Der Kreis der vorzugsweise zu berücksichtigenden Personen kann durch landesrechtliche Anordnungen auf Grund des § 6 erweitert, aber nicht eingeschränkt werden. Darüber hinaus kann landesrechtlich das ge­ samte Vormerkungswesen (Reihenfolge der Vormerkungen und Zuwei­ sung, Ablehnung von Vormerkungen) geregelt werden (vgl. §§ 15 ff. bayer. WMBek.). 2. Die Vorschriften der Abs. 2—4 sind eng auszulegen. Wegen der Zuständigkeit zur Entscheidung vgl. Abs. 4. Personen, die lediglich aus wirtschaftlichen Gründen, in der Hoffnung, in Deutschland die Möglichkeit zu einem besseren Fortkommen zu finden oder die aus irgend welchen sonstigen Gründen besonderer Art ohne äußeren Zwang ihren Wohnsitz verlassen haben, haben keinen Anspruch auf vorzugsweise Unterbringung. Wegen des Wortlautes der neuen Fassung vgl. § 3 des Berdrängungsschädengesetzes vom 28. Juni 1921 in der Fassung vom 10. Juli 1923 (RGBl, I S. 591) u. vom 28. Okt. 1923 (RGBl. I S. 1015 Gewaltschäden-Berordnung). Die auf Grund des Notgesehes vom 24. Febr. 1923 (Art. V) vor­ gesehene vorzugsweise Berücksichtigung Vertriebener gilt unverändert neben § 14 fort (vgl. § 1 Anm. 2). 2 a* Zuständig sind in Bayern die Regierungen, Kammern des Innern (ME. vom 7. Januar 1924 StAnz. Nr. 6 Ziffer 6).

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Reichs-Wohnungsmangelgesetz.

S. Der Anspruch auf vorzugsweise Unterbringung erlischt, wenn der Wohnungsuchende auf irgend eine Weise (durch freien Vertrag, durch Unterbringung auf Grund des Notgesetzes oder dieses Gesetzes) in den Besitz einer Wohnung gelangt ist, soweit es sich nicht nur um eine vor­ läufige Unterbringung (VO. vom 14. Juni 1923), insbesondere in einer Notwohnung handelt. Das ist allgemeiner Nechtssatz, der in Abs. 5 besonders betont ist. Der Begriff der Notwohnung ist hier nicht fest­ gelegt; es kann hier auf die Bundesratsverordnung vom 31. Okt. 1918 über die Gewährung von Baukostenzuschüssen aus Reichsmitteln verwiesen werden (vgl. auch Ziff. 2 der MBek. vom 16. Aug. 1923 StAnz. Nr. 196 über Förderung des Wohnungsbaues). Hiernach sind als Notwohnungen anzusehen „Wohngelegenheiten, die infolge des Umbaues oder der In­ standsetzung von an und für sich für den dauernden Aufenthalt von Menschen geeigneten, aber baupolizeilich nicht von vornherein dafür zugelassenen Räumen, vorübergehend für Wohnzwecke herangezogen toerben (Ein­ richtung von Dach?- und Kellerwohnungen u. dergl.)". Diese Begriffs­ bestimmung bedarf jedoch hier einer Erweiterung: Notwohnungen im Sinne dieser Vorschrift sind auch an sich gebrauchsfähige Räume, die aber nach der Zahl der zum Hausstand gehörenden Personen, nach ihrer inneren Ausstattung und Einrichtung im Vergleich mit den persönlichen, geschäftlichen und gesellschaftlichen Bedürfnissen des Inhabers den Mindestanforderungen (§ 10 Abs. 3 WMBek.) nicht entsprechen.

4. Die 'Kinder müssen in häuslicher Gemeinschaft (vgl. § 19 MSchG. Anin. 4) mit den Eltern leben, also ihrem Hausstand angehören. Uner­ heblich ist, ob sie minderjährig oder volljährig sind. Sind die Kinder verheiratet, so wird man einen selbständigen Hausstand auch dann an­ nehmen können, wenn das junge Ehepaar bei den Eltern wohnen bleibt. Ob es sich um eheliche oder uneheliche Kinder eines Elternteils handelt, ist gleichgültig. Die uneheliche, unverheiratete Mutter bildet mit Ihren Kindern keine Familie, wohl aber der Witwer, die Witwe, der geschiedene Ehemann, die geschiedene Ehefrau mit den ihnen ver­ bliebenen Kindern.

§ 15. 1 Auf Räume, die zur Unterbringung von Angehörigen eines Betriebes von dem Inhaber des Betriebs errichtet oder vor dem 1. Juli 1918 zu Eigentum erworben oder gemietet1 sind, finden die Vorschriften der §§ 3 bis 52 nur dann Anwendung2, wenn solche Räume länger als vier Wochen nicht benutzt sind und keine sichere Aussicht auf die Benutzung innerhalb der nächsten vier Wochen besteht. " Soweit es sich um die Unterbringung von Personen handelt, die vor dem 1. Januar 1914 ihren Wohnsitz in Deutschland nicht hatten oder zu den im § 14 genannten Personen nicht gehören, bedarf der Inhaber des Betriebes der Zussimmung der Gemeinde-

8 16.

181

beerbe4 ö, es sei denn, baß es sich um die Belegung von Räumen handelt, die für die besonderen Zwecke der Unterbringung von Wanderarbeitern oder ähnlichen Personen errichtet sind.

1. Sog. Werkwohnungen genießen, soweit sie nicht als Neubauten auf Grund des § 12 ohnehin von den Vorschriften dieses Gesetzes befreit sind, eine Ausnahmestellung. Werkwohnungen im Sinne dieser Vor­ schriften sind a)

Neubauten, gleichviel, wann sie von dem Inhaber des Betriebes oder dessen Rechtsvorgänger errichtet sind, b) Altbauten, die vor dem 1. Juli 1918 zu Eigentum erworben und c) Altbauten, die vor dem 1. Juli 1918 von dem Unternehmer zur Unterbringung von Angehörigen des Betriebs gemietet sind. Auf Räume in Gebäuden, die erst nach dem 1. Juli 1918 zu Eigentum erworben oder gemietet sind, finden diese Vorschriften keine Anwendung.

2. Anzeigepflicht '(§ 3), Inanspruchnahme von Wohnräumen (§ 4) nnd anderen Räumen (§ 5).

3. Die Anwendbarkeit dieser Vorschriften hängt davon ab, daß a) die für die Unterbringung von Angehörigen des Betriebes be­ stimmten Räume länger als vier Wochen für diesen Zweck nicht verwendet werden und b) daß keine sichere Aussicht besteht, daß diese Räume in den nächsten vier Wochen diesem Zweck zugeführt werden. Die Wartefrist beträgt hiernach an sich acht Wochen, es sei denn, daß nach Ablauf der ersten vier Wochen bereits zu irgend einem Zeitpunkt feststeht, daß innerhalb der rechtmäßigen Frist die Räume ihrem bestim­ mungsgemäßen Zweck nicht zugeführt werden können. Aus welchem Grunde dies nicht möglich ist, kommt für die Anwendung des § 15 nicht weiter in Betracht. Die Nichtanwendung der §§ 3—5 bedeutet für den Inhaber des Betriebes volle Verfügungsfreiheit; sie ist bei Räumen, die für die be­ sonderen Zwecke der Unterbringung von Wanderarbeitern oder ähnlichen Personen errichtet sind, eine absolute, auch durch Abs. 2 nicht eingeschränkte. Im übrigen bedarf die Verfügung des Unternehmers über die Räume der Zustimmung der Gemeindebehörde.

4. Die Zustimmung der Gemeindebehörde ist nur dann nicht not­ wendig, wenn es sich um die Unterbringung von Werkangehörigen han­ delt, die vor dem 1. Januar 1914 ihren Wohnsitz in Deutschland hatten oder um Personen der im § 14 bezeichneten Art (Vertriebene, kinderreiche Familien). Die Zustimmung der Gemeindebehörde muß nicht erteilt, sie kann auch unter Umständen versagt werden. In erster Linie müssen die Inter­ essen des Betriebes berücksichtigt werden; nur bei großem Notstand kann deren Zurückstellung zugunsten allgemeiner Interessen verlangt werden. 8. Maßgebend ist die bisherige Fassung des § 14 (vgl. § 14 Anm. 1), § 18.

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Reichs-Wohnungsmangelgesetz.

S 16 Gegen eine auf Grund dieser Verordnung* im Einzelfalle getroffene Verfügung* steht dem unmittelbar Betroffenen*" die Beschwerdeb zu. Das Nähere regelt die oberste Landesbehörde^6.

1. Redaktionelles übersehen; es soll heißen „auf Grund dieses Gesetze s". 2. In Betracht kommen Verfügungen jeder Art, nicht bloß solche auf Grund der Ermächtigungsvorschrift des § 6 erlassene Anordnungen und Maßnahmen. Immer aber muß es sich um Verfügungen für ein­ zelne Fälle handeln im Gegensatz zu allgemeinen Anordnungen (Richt­ linien). Die Verfügung muß eine bestimmte Person oder Sache oder beides zusammen betreffen. Von wem die Verfügung ausgeht, ist gleich­ gültig: nicht nur die Gemeindebehörden, auch andere Behörden (in Bayern die Bezirksämter) kommen hier in Frage. Die nähere Regelung ist Sache des Landesrechtes. Vgl. Siehr, DIZ. 1920, 647; Syring a. a. O. 703; Held, BayZfR. 1922, 204. 2 a. D. h. jeder, in dessen Rechtskreis die Verfügung eingreift, mag er unmittelbar oder nur mittelbar betroffen sein; nicht der bei der Zuweisung nicht berücksichtigte Wohnungsuchende. 3. Abweichend vom bisherigen Recht (§ 9 d) ist nicht das MEÄ. als zuständige Beschwerdestelle vorgeschrieben. Die Neufassung berücksichtigt die Wünsche einzelner Länder nach selbständiger Ausgestaltung des Beschlverdeverfahrens; die Landesbehörde ist daher in der Lage, das Beschwerdeversahren, insbes. die Bestimmung der Beschwerdestelle, selb­ ständig, etwa im Anschluß an landesrechtlich bereits bestehende Ein­ richtungen, auszugestalten. 4. Für Bayern vgl. §§ 34, 35> 36, 37, 38 WMBek. ö. Die Beschwerde nach § 16 ist unter Umständen nicht der einzige Rechtsbehelf, der dem von der Verfügung Betroffenen zu Gebote steht. In Betracht kommt hier insbesondere die Zulässigkeit des Rechts­ wegs, d. i. die Möglichkeit, Rechtsansprüche vor dem ordentlichen Ge­ richt geltend zu machen. Für die Beurteilung der Zulässigkeit des Rechts­ wegs kommt zunächst in Betracht, daß das WMG. für verschiedene Ersatzansprüche, die sich aus Anlaß oder im Zusammenhang mit Ver­ fügungen auf Grund dieses Gesetzes ergeben (z. B. RÄ. 104, 159 zu §4; RG. 106, 149 zu § 5) keinerlei Zuständigkeitsnormen gibt: es werden weder die ordentlichen Gerichte für zuständig oder für ausgeschlossen erklärt noch andere Behörden zu deren Entscheidung berufen. Vor die ordentlichen Gerichte gehören nach § 13 GBG. alle bürgerlichen Rechts st reitigkeiten, für welche nicht entweder die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden oder Berwaltungsgerichten begründet ist oder reichsgesetzlich besondere Gerichte bestellt oder zugelassen sind. Eine Be­ griffsbestimmung für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten ist in § 13 GVG. nicht gegeben; dieser Begriff wird vielmehr vom Gesetzgeber als bekannt vorausgesetzt. Die Anwendung des § 13 GBG. steht hiernach im engsten Zusammenhang mit dem Wechsel der Anschauungen über privates und öffentliches Recht: mehr und mehr sind Rechtsgebilde, die früher als

8 16.

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privatrechtliche angesehen wurden, als dem öffentlichen Recht ange­ hörend erkannt worden (so RG. III 12. März 1918 SeuffA. 73 Nr. 208). Andererseits darf die entgegengesetzte moderne Entwicklung auf eine Verschmelzung des öffentlichen Rechtes mit dem Privatrecht im Sinne einer Beschränkung der privaten Rechtsordnung durch öffentliche Nor­ men (vgl. überblick) nicht unbeachtet gelassen werden. § 13 GVG. ist jedenfalls dahin aufzufassen, daß sich diese Vorschrift auf alle Streitig­ keiten bezieht, die nach der zur Zeit des Erlasses des GVG. gel­ tenden Rechtsausfassung oder nach der Auffassung des be­ treffenden späteren Gesetzes durch die ordentlichen Ge­ richte zu entscheiden waren (RG. VII 9. Jan. 1923 RG. 106, 177). Maßgebend für die Beurteilung einer Streitsache als bürger­ liche Rechtsstreitigkeit ist die Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Anspruch abgeleitet wird, also die tatsächliche Begründung des mit der Klage erhobenen Anspruchs, der Aufbau und Antrag der Klage (RG. 93, 255; 102, 246, 251; 103, 52; 106, 149). Das Klagevorbringen ist ausschlaggebend ohne Rücksicht auf die Richtigkeit und Erweislichkeit der vom Kläger ausgestellten Behauptungen