Grundriss der praktischen Theologie [Reprint 2020 ed.] 9783112319604, 9783112308417


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German Pages 409 [404] Year 1957

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Vorwort
Inhalt
I. Kapitel Grundlegung
II. Kapitel Die Grundstruktur der Kirche
III. Kapitel Das Gebet der Kirche (Liturgik)
IV. Kapitel Die Verkündigung der Kirche
V. Kapitel Die Predigt der Kirche (Homiletik)
VI. Kapitel Der Unterricht der Kirche (Katechetik)
VII. Kapitel Die Seelsorge der Kirche (Poimenik)
Namen-Register
Sachregister
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Grundriss der praktischen Theologie [Reprint 2020 ed.]
 9783112319604, 9783112308417

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HAENDLER GRUNDRISS DER PRAKTISCHEN THEOLOGIE

Die wissenschaftliche Leitung der S a m m l u n g T ö p e l m a n n liegt in den Händen des ord. Prof. der Theologie D. K u r t A l a n d

Die Sammlung TShelmann erscheint in zwei Reihen. Reibe I enthält Abrisse zu den hauptsächlichen Disziplinen evangelischer Theologie. Sie richten sich an Studierende der Theologie, an Pfarrer und Religionslehrer, sowie an gebildete Laien und dienen dem Zweck, in wissenschaftlicher Grundhaltung Vertrautheit mit dem S t o f f , Einführung in die Probleme und Übersicht über die Literatur des betreffenden Fachgebietes z« vermitteln. Für eine theologisch klärende Erörterung Zeitgemäßer Probleme der christlichen Kirche und des evangelischen Glaubens bieten die an die Sammlung angeschlossenen Hilfsbücher (Reihe II) ausreichende Gelegenheit. Ihr Bestreben ist es, durch Leitfäden Teilgebieten die „Theologie im Abriß" zu ergänzen.

SAMMLUNG

TÖPELMANN

Erste Reihe: Die T h e o l o g i e im A b r i ß , Band 6

OTTO

HAENDLER

GRUNDRISS DER P R A K T I S C H E N T H E O L O G I E

ALFRED TÖPELMANN, BERLIN W 35 1957

Printed in Gcfmany Satz: Walter de Gruyter & Co., Berlin W j | Druck: Buchkunst, Berlin W «j

Dem Gedächtnis meines Vaters D. Wilhelm Haendler Generalsuperintendent und Propst Berlin f iS. ii. i f ) S

Vorwort Die Bände dieser Sammlung sind in erster Linie für den Studenten bestimmt und so auch dieser Grundriß. Das bedeutet ein Doppeltes: Das Wichtigste an Wisaensgrundlagen soll vermittelt werden, und die theologische Problematik der kirchlichen und pfarramtlichen Situation soll in ihren Grundlinien sichtbar werden, mit der Ausrichtung auf wesensgerechte und sinnvolle Verwirklichung. Eben damit aber steht in dem Bedürfnis nach einer Praktischen Theologie der Pfarrer dem Studenten so nahe, daß man bei der Arbeit unwillkürlich beide vor Augen hat. Denn zweifellos erfährt zwar die theologische Problematik des ehemaligen Studenten an der Praxis des Pfarramtes eine wesentliche Vertiefung und Umschichtung. Aber die eigentlichen pfarramtlichen Probleme sollen eben gerade nicht erst im Pfarramt selbst auftauchen, vielmehr soll ihr Akutwerden in der vom Pfarramt noch nicht bedrängten Sammlung und Einheitlichkeit des Universitätsstudiums vorbereitet werden und im Zusammenhang mit den anderen Disziplinen seine theologische Grundlage empfangen. Eine Praktische Theologie kann nicht allein aus der wissenschaftlichen Forschung heraus geschrieben werden. So ist mir an der Arbeit besonders eindrücklich geworden, wie dankbar man für die Lebensführungen sein muß, die ohne eigenes Zutun oder Wollen sich gestaltet haben. Was hier gesagt wird, fundiert auf drei Jahrzehnten pfarramtlicher Wirksamkeit in Stadt- und Landgemeinden und auf drei Jahrzehnten akademischer Tätigkeit. Die zwei Jahrzehnte meines Lebens, in denen beides nebeneinander herlief, empfinde ich als besonders bedeutsam für die 'unerläßliche Kontrolle grundsätzlicher Erkenntnisse an der konkreten Situation und für die ebenso unerläßliche Durchleuchtung der konkreten Situationen und Aufgaben vom grundsätzlichen theologischen Denken her. Einbezogen in die genannten Zeiträume sind vier Jahre der Leitung eines Predigerseminars, das gleichsam an der Brandungslinie zwischen Studium und Pfarramt liegt. Zur Tiefenpsychologie, mit langjähriger Praxis, bin ich gekommen durch die Erkenntnis ihrer Bedeutung zunächst für die Seelsorge und

VIII

Vorwort

dann für die pfarramtliche Tätigkeit überhaupt, schließlich für die Totalität der existenziellen Situation als solcher: sowohl für ihre Verwirklichung im konkreten Leben wie für ihre grundsätzliche Erkenntnis und Charakterisierung. Die Einbeziehung der Tiefenpsychologie beruht also nicht auf einem „Spezialinteresse", sondern auf theologischer und anthropologischer Grunderkenntnis. Daß ein Grundriß über eine ganze Disziplin nicht alles gleichmäßig berücksichtigen und nicht alle Erwartungen erfüllen kann, ergibt sich leider schon aus der unbegrenzten Weite des Stoffes. Man kann sich nur bemühen, bei der schon in der Arbeit schmerzlich empfundenen Beschränkung die Grundlinien möglichst zutreffend herauszuarbeiten. Ich weiß sehr wohl, daß z. B. die geschichtlichen Überblicke teilweise in einer fast nicht tragbaren Knappheit gegeben werden mußten. In solchen Fällen hat mich das Bemühen geleitet, wenigstens die bedeutsamsten Erscheinungen einigermaßen plastisch zu charakterisieren. In diese Richtung gehören auch die bei vielen Autoren in Klammern beigegebenen Stichworte über Orte ihrer Wirksamkeit, ihren Charakter u. a. und die Jahreszahlen. Diese Angaben sind nicht so gemeint, als ob der Student das alles „lernen" sollte, sondern hinzugefügt, weil beim Lesen durch derartige concreta das Bild plastischer wird. In der Vorbereitung auf Prüfungen halte ich es für die beste, zugleich auf Dauer sinnvollste und ertragreichste Arbeitsmethode, wenn man sich in die Probleme und ihre Lösungsversuche so intensiv einarbeitet (bzw. in Randbereichen hineinliest), daß man die Entwicklung der Problematik und die Folge der geschichtlichen Konstellationen vor Augen hat, ohne sie durch Irrtümer wesentlich zu verzeichnen. Ein gewisser Grundstock von historischen Daten, z. T. nach persönlicher Auswahl, hilft dazu so, wie man in einer Landschaft sich nach (z. T. auch persönlich gewählten) Merkmalen zurechtfindet. Ein herzliches Wort des Dankes sage ich all den Freunden und Kollegen, die mir Fragen freundlichst beantwortet und manchen wertvollen Hinweis gegeben haben. In solchem Austausch wird der Gemeinschaftscharakter der akademischen Arbeit wohltuend bewußt. Meinem ehemaligen Aspiranten, Dr. Hans-Hinrich Jenssen, danke ich für seine freundliche Hilfe im Erheben der Literatur, meinem wiss. Assistenten, Dr. Ernst-Rüdiger Kiesow, sowohl dafür wie für Herstellung der Register und unermüdliche Hilfe im Lesen der Korrekturen. Der tiefste Dank gebührt meiner Frau, die mit dem Werden dieses Buches vom

Vorwort

IX

ersten bis zum letzten Augenblick wesenhaft verbunden ist durch nie versagende Bereitschaft in äußerer Hilfe und innerem Miterleben. Gewidmet ist dieses Buch dem Andenken meines Vaters. Was ich ihm persönlich und als Theologe für mein Leben danke, werden die ermessen können, die ihn kannten. Der Wunsch, eben diese Praktische Theologie seinem Gedächtnis zuzueignen, ist ganz wesentlich zugleich durch die Bedeutung entstanden, die sein dreiundzwanzigj ähriges Wirken als Generalsuperintendent (1911—1933) für seine Pfarrer durch sein besonderes charisma als pastor pastorum hatte. Es ist mir jedesmal eine Freude, den Spuren seines Wirkens zu begegnen, und das geschieht bis heute immer wieder. Berlin-Friedrichshagen, am Sonntag Estomihi 3. März 1957

Otto Haendler

Inhalt I. Kapitel Grundlegung § 1. Praktische Theologie als Strukturtheologie der gegenwärtigen Kirche § 2. Die Beziehung der Praktischen Theologie zu den anderen Disziplinen § 3. Aufriß und Auswahl

Seite

1—23 1—13 13—17 17—23

n . Kapitel Die Grundstruktur der Kirche 1. D a s Wesen der K i r c h e § 4. Kirche als wirkende Gestalt des Geistes Gottes auf Erden § 5. Offenbarung als Grund, Glaube und Liebe als Kraft der Kirche 2. Die G e s t a l t der K i r c h e § 6. Geist und Gestalt § 7. Gestalten der Kirche 3. D a s F e l d der K i r c h e § 8. Das Feld der Kirche als Seins- und Wirkungsfeld . . . 4. D a s A m t der K i r c h e § 9. Das Wesen des Amtes § 10. Die Person des Amtsträgers Zusatz A zu § 10: Meditation Zusatz B zu § 10: Tiefenpsychologie

24—143 24—42 24—28 28—42 43—84 43—75 75—84 85—103 85—103 103—143 103—111 111—119 119—129 129—143

m . Kapitel Das Gebet der Kirche (Liturgik) 1. D a s Wesen des K u l t u s § 11. Die Notwendigkeit universaler Fassung des Kultus . . § 12. Das Wesen des christlichen Kultus 2. Die G e s t a l t des K u l t u s § 13. Elemente des Kultus § 14. Die drei großen Liturgien 3. Die T r ä g e r des K u l t u s §15. Der Liturg § 16. Die feiernde Gemeinde

144—200 144—159 144—155 155—159 159—194 159—173 173—194 194—200 194—197 197—200

IV. Kapitel Die Verkündigung der Kirche 1. Der G e h a l t der V e r k ü n d i g u n g § 17. Wort und Sakrament als Zentralgehalt kirchlicher Verwirklichung § 18. Gehalt und Gestalt der Verkündigung der Kirche (Trinität und Christologie) § 19. Der Universalismus der Verkündigung der Kirche . . . 2. Der Ort der V e r k ü n d i g u n g in der G e g e n w a r t . . . § 20. Die Wandlung des Bewußtseins in der Gegenwart . . . § 21. Wahrheit und Beharrung im kirchlichen Bewußtsein . § 22. Brennpunkte der Begegnung und Wurzeln des Anstoßes

201—242 201—209 201—203 203—206 206—209 209—225 209—216 216—219 220—225

XII

Inhalt Seite

3. Die S t r u k t u r d e r V e r k ü n d i g u n g § 23. Die dreifache Gestalt der Verkündigung in Predigt, Unterricht und Seelsorge § 24. Die dreifache Quelle der Verkündigung in Wort Gottes, Kirche und Person des Verkünders § 25. Die Struktur der Person des Verkünders

225—242

V. Kapitel Die Predigt der Kirche (Homiletik) 1. D e r O r t der P r e d i g t in d e r S t r u k t u r d e r K i r c h e . § 26. Die Bedeutung der Predigt für Kirche und Welt . . . § 27. Predigt als kultisches Geschehen 2. Die P r i n z i p i e n der P r e d i g t g e s t a l t u n g § 28. Forderung und Gabe des Textes an die Predigt . . . . § 29. Die Predigt und die menschlichen Probleme 3. Die A r b e i t an d e r P r e d i g t § 30. Exegese und Meditation des Textes § 31. Gestaltung der Predigt § 32. Verkündigung im Gottesdienst Zur Geschichte der Predigt Zur Geschichte der Homiletik

243—270 243—247 243—245 245—247 247—252 247—249 249—252 252—258 252—254 254—256 257—258 258—266 266—270

VI. Kapitel Der Unterricht der Kirche (Katechetik) 1. Der O r t des U n t e r r i c h t s in d e r S t r u k t u r d e r Kirche § 33. Die strukturelle Bedeutung des Wissens im Glauben . § 34. Die Lernenden § 35. Die Lehrenden 2. Die P r i n z i p i e n der U n t e r r i c h t s g e s t a l t u n g § 36. Methoden § 37. Ziele 3. Die D u r c h f ü h r u n g des U n t e r r i c h t s § 38. Stoff und Mittel des kirchlichen Unterrichts § 39. Führung und Disziplin Zur Geschichte der Katechetik und Pädagogik . . .

271—308 271—279 271—273 273—277 277—279 279—290 279—282 282—290 290—297 290—294 294—297 297—308

YQ. Kapitel Die Seelsorge der Kirche (Poimenik) 1. D e r O r t der S e e l s o r g e in der S t r u k t u r d e r K i r c h e § 40. Bedeutung der Seelsorge für Kirche, Welt und Mensch § 41. Bedeutung der Seelsorge für den Einzelnen 2. G r u n d l a g e n u n d P r i n z i p i e n d e r S e e l s o r g e § 42. Theologische Grundlagen und Prinzipien § 43. Psychologische Grundlagen und Prinzipien . . . . 3. K o n k r e t e P r o b l e m e d e r S e e l s o r g e §44. Sachprobleme §45. Personprobleme § 46. Situationsprobleme § 47. Das seelsorgerliche Gespräch Zur Geschichte der Seelsorge Namenregister Sachregister

309—377 309—317 309—312 312—317 317—334 317—323 323—334 334—377 334—347 347—361 361—368 369—371 371—377 378—384 385—391

225—229 229—234 234—242

Erstes

Kapitel

Grundlegung § 1. Praktische Theologie als Strukturtheologie der gegenwärtigen Kirche Praktische Theologie kann nicht nur als Theorie der kirchlichen Praxis definiert werden, sondern ist infolge der unlöslichen gegenseitigen Durchdringung der Praxis mit dem Gesamtsein der Kirche erweitert als Strukturtheologie der gegenwärtigen Kirche zu verstehen. Seit S c h l e i e r m a c h e r herrscht die Formel: Praktische Theologie ist die Wissenschaft von der kirchlichen Praxis, oder kürzer gefaßt: die „Theorie der Praxis". Sie ist verführerisch durch ihre Prägnanz, mit der sie scheinbar die Sache in unübertrefflicher Kürze ausdrückt. In Wahrheit aber umgreift sie ihr Objekt nicht ganz. Denn je mehr sich ein Autor darum bemüht, die Praxis wissenschaftlich zu erfassen, d. h. grundsätzlich zu durchleuchten und in ihren Zusammenhängen zu sehen, um so mehr ist er genötigt, diese Praxis so unmittelbar und so organisch als Auswirkung der gegenwärtigen Kirche und als Rückwirkung auf sie zu erfassen, daß er ständig von dieser Kirche als Ganzem reden muß und nur in diesem Lichte von der Praxis sprechen kann. Sämtliche „Praktiken" der Kirche sind nicht als Einzelmaßnahmen, sondern im G a n z e n der K i r c h e und mit ihr entstanden. So eindeutig, wie ihr Inhalt sich aus der Offenbarung ergibt, ergeben sie sich als Methoden nicht aus der Offenbarung. Darum ist die Parallele mit entsprechenden „weltlichen" Praktiken instruktiv und niemals störend, solange der Inhalt der Verkündigung gewahrt bleibt. Darum können sie von weltlichem oder andersreligiösem Vorbild übernommen bzw. daran angelehnt sein. Und darum sind sie im Neuen Testament nicht vorgeschrieben, sondern in verschiedenen Gradstärken vorgezeichnet, zugleich mit der Freiheit, sie anders zu gestalten, wenn die Zeitlage es erfordert oder die „Welt" Neues gelernt hat (etwa in der Pädagogik, der Psychologie, der Rhetorik), und zugleich auch mit der Freiheit, neue „Praktiken" einzuführen (z. B. in der Evangelisation). Wir folgen also den R i c h t l i n i e n , die das Neue Testament mehr oder weniger bietet, im Gehorsam des Glaubens, nicht im Gehorsam der Imitation. Gehorsam des Glaubens ist zugleich Freiheit des Glaubens. Und wir können die Richtlinien, die das Neue Testament bietet, nicht auf die entsprechenden „Stellen" beschränken, sondern müssen sie dem Geiste des Neuen Testaments als Ganzem entnehmen. So ist alle neutestamentliche „Praxis" nicht nur Kirche gründend, sondern zugleich aus der K i r c h e geboren. Predigen, Unterrichten u. a. lernen wir also an dem Tun Jesu, der Apostel und der ganzen Kirche aller Zeiten, und Norm ist der Geist der Offenbarung, wie er in der Kirche Gestalt gewonnen hat und an den „Urkunden" immer neu seine Ausrichtung erfährt. Das gleiche H a e n d l e r , Grundriß der praktischen Theologie

1

2

1. Kapitel: Grundlegung

§1

gilt entsprechend für die Gestaltung der Gemeinde, für die Leitung der Kirche und der Kirchen, für den Vollzug der Kasualien und für alles andere. Jede „Praxis" aber ist nur ein einzelner Zug in der Gesamtstruktur der jeweiligen Kirche und kann nur von dieser Kirche als Ganzem aus verstanden werden. Praktische Theologie spricht von der Kirche als Ganzem, wenn sie von ihrer Praxis spricht. Die Klarheit der Sache also und damit zugleich die unvermeidliche Abhängigkeit der Blickrichtung vom Ausdruck fordern die Überwindung der üblichen Formel. Es darf nicht der Eindruck entstehen, als ob die Praxis isoliert gesehen werden könnte, damit nicht der weitere entsteht, als ob man ihre Prinzipien und erst recht ihre konkrete Handhabung nur aus der Beobachtung ihrer selbst erheben könne. Der Organismus des Ganzen der Kirche hat entscheidende Einwirkungen auf die Handhabung der Praxis, und daß diese Zusammenhänge gesehen werden, daran zu arbeiten, ist eine wesentliche Aufgabe der Praktischen Theologie. Der Forschungsgegenstand der praktischen Theologie ist die g e g e n w ä r t i g e K i r c h e . Die Abgrenzung der gegenwärtigen Kirche gegen die frühere, die Kirche der Vergangenheit, ist nicht durch einen Zeitpunkt gegeben, sondern durch unser Verhältnis zu der einen und der anderen. Vergangene Kirche ist die, die wir historisch erforschen können, aber zugleich „nur" erforschen können ohne die Möglichkeit, in sie noch irgendwie hineinzuwirken. Gegenwärtige Kirche ist die Kirche, in der wir so stehen, daß wir v e r a n t w o r t l i c h an ihr mitarbeiten. Wir verstehen freilich ihr Werden nur dadurch, daß wir ihre Vergangenheit erforschen, wir verstehen auch ihr Sein aus ihrer Vergangenheit und nicht ohne diese. Darum brauchen wir auch für die gegenwärtige Kirche und für unsere Verantwortung in ihr die Geschichte der Kirche. Insofern leben wir als Gegenwärtige stets aus und in der ganzen Kirche. Sie gestaltet sich aber fort aus einer organischen Verbindung ihres ihr eigenen Schwergewichtes und unseres uns eigenen Wirkens, das wiederum auf unserem Sein beruht. Und wir können nicht ernst genug unserer Verantwortung, unserer sowohl Menschen formenden wie Kirche mitgestaltenden Kraft uns bewußt werden. Auch die V e r a n t w o r t u n g nötigt uns mehr auf, als nur einen, wenn auch noch so grundsätzlichen und gründlichen Durchblick durch die Praxis. Denn unser Denken mitsamt seinem Resultat, unserer Erkenntnis, bestimmt nicht nur unmittelbar unser Handeln und seine nächsten Ziele, sondern ist auch — tief und wirksam, obwohl oft uns wenig bewußt — mitbestimmend für unser Bild von dem Objekt unseres Handelns, also hier der Kirche: sowohl wie sie ist, wie auch, wie wir sie erstreben und also zu gestalten suchen. Wir können also volle Verantwortung für unser Handeln nur tragen, wenn wir außer diesem selbst auch sein Objekt, sowie die beiderseitigen Rückwirkungen aufeinander im Blickfeld haben. Auch der kurzsichtige „Praktiker" handelt, unbewußt, nach Leitbildern, die tief in ihm begründet und konstant sind und

§1

Praktische Theologie als Strukturtheologie der gegenwärtigen Kirche

3

nun um so unheilvoller sich auswirken können, je weniger sie kritisch durchdacht und kontrolliert sind. Gerade der Eifer des Handelns aus praktischem Verantwortungsgefühl heraus kann, ohne es zu wollen, im tieferen Sinne unverantwortlich sein. Auch dieser Gefahr vermögen wir nicht schon dadurch zu entgehen, daß wir die Praxis als solche theoretisch durchdenken, sondern erst dadurch, daß wir das ganze Bild der gegenwärtigen Kirche bis in seine Gründe hinein und nach allen Seiten hin durchdacht haben und ständig neu kritisch durchdenken. Und zwar ist Denken dabei nicht nur als theoretisches Erfassen, sondern als organiches Erkennen zu verstehen. Beim Studium der Geschichte der Praktischen Theologie muß man sich vor einer doppelten Gefahr der Verengung hüten: daß man ihre Quellen nur auf ihr theologisches Prinzip hin ansieht und beurteilt, und daß man sie nur innerkirchlich sieht: das erste vom Beginn der Pastoraltheologie an, das zweite vor allem seit dem Entstehen der Praktischen Theologie und um so mehr, je näher der Gegenwart. Beide Gesichtspunkte sind an sich richtig und wichtig, aber beide sind nicht das Ganze. Wenn wir uns auf sie beschränken, sehen wir das Vergangene nur von heute her und gehen nicht in seine Lebendigkeit hinein. Daß wir zu dieser aber Kontakt finden, sind wir nicht nur ihr, sondern auch uns schuldig, denn nur so wird die Geschichte uns zum unmittelbaren Wert. Die drei großen Pastoraltheologien der alten Kirche sind: Gregor von N a z i a n z , de fuga (irepl