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German Pages 151 [159] Year 1913
Grundriß eines Systems der ästhetischen Entwicklung von
Dr. Hans Baer
Straßburg V e r l a g v o n Karl J. T r ü b n e r 1913
C. A. Wagners Hof- und Universitätsbuchdruckerei, Freiburg i. B.
Vorrede. Das Werk eines zu früh Vollendeten liegt vor uns, den eine schwere Krankheit aus ernstem, gesammeltem Schaffen riß, aus einer Fülle der Gedanken und Pläne — und das Scheiden wurde ihm nur schwer als Scheiden von der Wissenschaft und Arbeit, der er sein Leben und Denken geweiht. Zwei weitere Arbeiten, die dieser bald folgen sollten, hatte er schon klar und zielsicher entworfen, aber ihm fehlte es an Zeit und Kraft, sie auszuführen und zu vollenden. Und so schied er mit den Worten: „Ich habe noch so viel zu sagen." Es war sein letzter Wunsch, daß ich seiner Mutter an die Hand gehen möchte, dieses sein Buch herauszugeben, da es ihm nicht mehr vergönnt war, es selbst zu tun. Um ein System der ästhetischen Entwicklung handelt es sich, und zwar, wie der Verfasser selber einmal sagt, um ein l e b e n d i g e s System, d. h. nicht um eine Philosophie der Kunst im Sinne einer normativen Ästhetik, welche die Prinzipien des Kunstschaffens und Kunstgenießens in rein logischem Zusammenhang aufzuweisen sucht, sondern die Formen werden aufgezeigt in unmittelbarem Zusammenhang mit der E n t w i c k l u n g des ästhetischen Bewußtseins. Wenn
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diese Formen auch wohl als G e s e t z e des ästhetischen Bewußtseins bezeichnet werden, so war sich der Verfasser doch vollkommen bewußt, daß diese G e s e t z m ä ß i g k e i t mit dem Begriff des N a t u r g e s e t z e s nur wenig gemeinsam hat. Vielmehr handelt es sich um eine Abfolge wertbildender Funktionen, die den Gang der ästhetischen Entwicklung leiten. Wenn er sie n o m o t h e t i s c h nennt, so meint er das Wiederkehrende an ihnen, denn er sucht zu zeigen, wie innerhalb eines bestimmten Kulturkreises und eines bestimmten Kulturabschnittes die Abfolge der aufgewiesenen Formen in einer gewissen R e g e l m ä ß i g k e i t sich vollendet. Die der Geschichtsphilosophie zugewendete Auffassung widerstrebt dem Gedanken eines Endzwecks, welcher die Formen des ästhetischen Bewußtseins in einer Wertskala immer höher und höher hinaufführt, und jedem metaphysischen Hintergrunde, wie ihn etwa die Hegeische Ästhetik vertritt. Vielmehr werden die Formen des ästhetischen Bewußtseins in ihrem engen Zusammenhang mit dem künstlerischen Erleben deutlich gemacht, wobei durch gewußte und gewollte Abstraktion die ästhetische Bewegung aus dem Kulturganzen herausgelöst wird. Wie aber das Buch zu lesen und zu nehmen sei: das hat der Verfasser in seinem Vorwort noch selber gewiesen.
Dr. Georg Mehlis.
Vorwort. Die vorliegende Arbeit habe ich einen „Grundriß" genannt, weil ich wohl weiß, daß über der methodischen Behandlung ihres Gegenstandes für viele noch manches damokleische Fragezeichen hängen dürfte, und damit nicht jemand meint, aus diesem Grunde der vorgetragenen Theorie sofort mit Blau- und Rotstift eine Entscheidungsschlacht liefern zu müssen, sondern jene mit ihrer Vorläufigkeit so aufnimmt, wie sie allein erfolgreich aufgenommen werden kann: mit Verständnis.
Inhaltsverzeichnis. Seile
Vorrede Vorwort I. Das Problem der ästhetischen Entwicklung . . . II. Das Entwicklungsproblem in der Geschichte der Ästhetik
III V 1
III. Einleitung zur Phänomenologie
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IV. Phänomenologie des ästhetischen Bewußtseins. 1. Die bildnerische Entwicklung: Die ersten Anfänge der bildenden Kunst . . 55 Die ägyptische Kunst 72 Die Kunst des griechischen Kulturkreises . 74 Byzantinisch-altchristlich, sarazenische Kunst 94 Barbarische Stile 101 China 106 Die neueuropäische Entwicklung 118 127 2. Die musikalische Entwicklung V. Rückblick
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I.
Das Problem der ästhetischen Entwicklung. Hatte die neuere Ästhetik im allgemeinen durch empirische Reflexion auf das Verhalten des ästhetischen Bewußtseins 1 der historischen Gegenwart versucht, Normen ebendieses Verhaltens aufzustellen, so begann sie nur allmählich damit, sich in frühere Epochen ästhetischen Wirkens zu versenken und durch Vergleichung derselben untereinander und mit der Gegenwart diese verschiedenen ästhetischen Erscheinungen im Sinne einer Entwicklung des ästhetischen Bewußtseins aufzufassen. Diese historische Seite der Ästhetik gewann jedoch nur sekundäre Bedeutung und wurde mehr von der prinzipiell-normativen bestimmt, als daß sie umgekehrt einen bestimmenden wesentlichen Einfluß auf diese auszuüben vermocht hätte. Sofern aber das ästhetische Bewußtsein der Gegenwart notwendig historisch-evolutionistisch bedingt ist, müssen auch für das prinzipielle Verständnis desselben die Ergebnisse einer auf die ästhetische Entwicklung, d. i. auf die verschiedenen historischen Erscheinungen dieses Be1 Unter dem Begriff des ästhetischen Bewußtseins wird hier die Gesamtheit der ästhetisch-psychischen Funktionen verstanden.
H i n s B a e r , Ästhetische Entwicklung.
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wußtseins gerichteten Untersuchung, von größter regulativer Bedeutung sein. Und zwar liegen dieser Erwägung folgende aus dem Begriff der Entwicklung sich ergebende Gedanken zugrunde: zunächst scheint das ästhetische Bewußtsein bezw. die Kunst der höchsten Kulturepochen gegenüber den früheren Stufen den am meisten zusammengesetzten Bau, oder vielmehr eine Rekapitulation der gesamten ästhetisch-prinzipiellen Entwicklung bis dahin in nuce aufzuweisen. Danach mußte aber dann die prinzipielle Analyse dieser ästhetischen Entwicklung, wenigstens annähernd, zugleich die Analyse jener letzten Kunstprinzipien ergeben. Anderseits wäre aber zufolge dieser Akkumulation der ästhetischen Prinzipien — wobei die Frage nach ihrer Vollständigkeit zunächst dahingestellt bleiben mag — umgekehrt das ästhetische Bewußtsein der höchsten Stufe in seine ästhetischen Prinzipien aufzulösen, und dieses Nebeneinander der Prinzipien in ein historisches Nacheinander umzuwandeln, um die prinzipielle Gestalt der historisch-ästhetischen Entwicklung zu erhalten. In diesem letzteren Falle wäre allerdings eine empirisch-induktive Leitung hinsichtlich der Verteilung der Prinzipien auf die einzelnen Epochen wohl unerläßlich. Endlich besteht aber auch die Vermutung, daß selbst die allmähliche ästhetische Ausbildung, welche der einzelne ästhetisch Schaffende oder Aufnehmende im Laufe seines Lebens durchmacht, in prinzipieller Beziehung bis zu gewissem Grade noch derjenigen entspricht, welche die ästhetische Kultur selbst bis dahin durchschritten hat. Natur-
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gemäß wurde das historisch-ästhetische Problem auch von der modernen Psychologie und Geschichtsphilosophie gelegentlich berührt; weil es eben als Teil des gesamten historischen Prozesses ebensogut unter die h i s t o r i s c h e n Probleme fällt, als anderseits, sofern die Vorgänge innerhalb des ästhetischen Bewußtseins selbst in Betracht kommen, unter die psychologischen. Die Komplikationen jener beiden Momente, welche das Problem der Ästhetik aufweist, legt aber für letztere auch die Bestimmung einer darauf gerichteten theoretischen Betrachtung, sowohl durch das mehr historische Prinzip der E n t w i c k l u n g als in psychologischer Hinsicht durch den naturwissenschaftlichen Begriff des G e s e t z e s nahe: „naturwissenschaftlich" sofern die Absicht vorliegt, die allgemeine G e s e t z m ä ß i g k e i t zu erkennen, welcher die von ihnen gesammelten und verarbeiteten Tatsachen unterworfen sind. Dabei entspringt eine gewisse methodische Reziprozität daraus, daß das evolutionistische Prinzip seine Herrschaft in gleicher Weise auf die dem nomothetischen 1 oder gesetzeswissenschaftlichen in der Hauptsache zufallenden psychologischen Phänomene auszudehnen strebt, als anderseits das nomothetische den jenem vorzüglich gemäßen historischen Stoff ebenfalls unter sich zu begreifen sucht. Aus dieser Verschlingung der Prinzipien aber ergibt sich ein dopBezüglich der technischen Ausdrücke „nomothetisch" und „idiographisch" vgl. Windelbands „Geschichte und Naturwissenschaft", Rektoratsrede 1874, wo dieselben zuerst wissenschaftlich geprägt wurden. 1
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peltes Resultat: indem einmal durch Anwendung der Kategorie der Entwicklung auf die p s y c h o l o g i s c h ästhetischen Verhältnisse, diese in ihrer gegenwärtigen Gestalt als g e w o r d e n sich darstellen müssen und der P r o z e ß i h r e s W e r d e n s zum Problem wird; anderseits aber durch Übertragung der nomothetischen Methode auf das spezifisch historische Gebiet der Ästhetik, nämlich auf die K u n s t g e s c h i c h t e — mit welcher aber im Sinne einer ä s t h e t i s c h e n E n t w i c k l u n g ü b e r h a u p t schließlich jener besondere p s y c h o l o g i s c h e Entwicklungsprozeß zusammenfallen wird —, das andere Problem entsteht, die G e s e t z m ä ß i g k e i t zu erfassen, nach welcher eben jener Prozeß sich vollzieht. Die nomothetische Betrachtungsweise ist hier aber auch dadurch begründet, daß in den zahl- und umfangreich vorliegenden Darstellungen der Geschichte der verschiedenen Kunstgattungen die ästhetischen Tatsachen in historisch-idiographischer Hinsicht, d. h. bezüglich ihrer charakteristischen Einzigkeit, immerhin schon so mannigfache Beachtung gefunden haben, und damit zugleich die Vielfältigkeit des einzelnen in seiner Besonderung zu solchen Dimensionen angewachsen ist, daß es im Interesse der Erfassung des Weseninhaltes dieser wechselnden Erscheinungen und ihrer Gesamtheit liegt, Gemeinsamkeiten, d. h. eben in Beziehung auf den Begriff des G e s c h e h e n s : G e s e t z m ä ß i g k e i t e n aufzusuchen, worunter sich alle jene Vorgänge begreifen lassen. Freilich kann aber das Ziel solcher Bestrebung nicht das sein, aus den etwa auf-
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gefundenen Gesetzen an sich schon die ästhetischen (kunstgeschichtlichen) Ereignisse in ihrer historischcharakteristischen Besonderheit i n h a l t l i c h abzuleiten, sondern jene Gesetze können sich nur auf die allgemeine Form des ästhetischen Geschehens beziehen, während ihre Spezifikation und besonderer Inhalt erst aus der Anwendung auf bestimmte empirische Verhältnisse sich ergibt. Jeder umfangreiche Bestand menschlichen Wissens erweckt das Bedürfnis, diesen angesammelten Stoff zu leichterer und schnellerer Faß- und Brauchbarkeit zu ordnen, zu rubrizieren, zu systematisieren. Man kann nun einen solchen Stoff entweder als in sich geschlossen und unveränderlich betrachten und ihn gemäß dieser Grundauffassung, die man Eleatismus nennen kann, in ein festes System bringen; oder — und diese Tendenz tritt besonders wieder in der neueren Zeit, seit Hegel, in den Vordergrund — man betrachtet diesen Stoff als etwas allmählich Gewordenes und weiter Werdendes, als etwas, das sich „ e n t w i c k e l t " , und sucht gemäß dieser „evolutionistischen" Auffassung — die man Heraklitismus nennen kann — den Stoff der Erfahrung zu ordnen. Was sich aber entwickelt, bewegt, läßt sich nicht in feste systematische Grenzen fassen, es wechselt seine Gestalt, und wir können nun zwar diese Gestalt nicht systematisch festhalten, wohl aber den W e c h s e l selbst. Dazu aber bedarf es der genauen Beobachtung der einzelnen Gestalten, welche der Wechsel nacheinander hervorbringt oder annimmt, und danach der
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Eruierung ihrer gegenseitigen Beziehungen, d. h. schließlich: der Verhältnisse und Proportionen, in denen sich dieser Wechsel vollzieht. Wir erhalten auf diese Weise ein „lebendiges System" im Gegensatz zu jenem andern, das seinen Stoff als bewegungslos, gewissermaßen leblos, annahm. Wie aber dieses leblose System seinen Stoff dadurch ganz und ausnahmslos unter sich zu begreifen sucht, daß er ihm nach Maßgabe der logischen Dependenz, d. h. der Abhängigkeit des Besonderen vom Allgemeinen, gliedert, so erstrebt das l e b e n d i g e S y s t e m eine solche ausnahmslose Beherrschung seiner Materie in der Weise, daß es die erforschten Verhältnisse und Proportionen, in denen sich der Wechsel vollzieht, auch als Richtungslinien betrachtet, nach denen er sich vollziehen m u ß , d. h. daß er dieselben als für die E n t w i c k l u n g g e l t e n d e G e s e t z e aufstellt. Hierbei wird allerdings e i n e Hauptvoraussetzung gemacht, daß nämlich jene Entwicklung nicht in proteischchaotischer Willkürlichkeit vor sich geht, sondern daß sie sich — logisch ausgedrückt — nach einer allgemeinen Regel vollziehe, oder daß sie überhaupt den Gegenstand wenigstens hypothetischer Erkenntnis zu bilden geeignet ist. Man setzt in letzter Linie für dieses wie für alles Geschehen nur die Geltung „realer Dependenz" voraus, während zur Ordnung und Systematisierung eines als beharrend angenommenen Stoffes ein Schema mit zugrunde liegender log i s c h e r D e p e n d e n z angenommen werden muß.
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II.
Das Entwicklungsproblem in der Geschichte der Ästhetik. Zunächst soll untersucht werden, welche Ansätze cvolutionistischer Betrachtungsweise in der nachkantischen Ästhetik sich auffinden lassen. Es war auf
in
seiner Methode begründet, daß K a n t
die entwicklungsgeschichtliche Seite des ästheti-
schen
Problems
nicht
einging
und
deshalb
eine
„Archäologie des Geschmacks", wie er solche Untersuchung entsprechend dem „Archäologen der Natur" wohl bezeichnet hätte, auch nicht einmal in den Umrissen entwarf; denn an Vorarbeiten auf kunsthistorischem Gebiet fehlte es damals nicht mehr. So hatte schon, und wohl als erster,
Winckel-
mann
den entwicklungsgeschichtlichen Gang in der
Kunst
beobachtet,
und
in
seiner
„Geschichte
der
Kunst des Altertums" (1764), wie im „Trattato preliminare" (1767), die Entwicklung der bildenden Kunst (Plastik) — flüssen er
deren Abhängigkeit von klimatischen Einübrigens
geltend macht —
im Beginn
der Kunstgeschichte
von der orientalischen zur griechi-
schen und römischen, und von hier zur byzantinischen Kunst, mit der bekannten Einteilung der griechischen Stile, in den ä l t e r e n (archaischen), den h o h e n , den schönen
und den der N a c h a h m u n g ,
Auf-
Niedersteigen
und
vorwiegend
rein
dargestellt.
kunsthistorisch
in ihrem
Diese,
obwohl
gehaltenen
Unter-
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suchungen Winckelmanns haben auf die gesamte nachfolgende Ästhetik den größten Einfluß ausgeübt — so allerdings auch auf Kant, aber nur in normativem Sinne. Zugleich hatte seine eindrucksvolle und bevorzugte Darstellung der g r i e c h i s c h e n P l a s t i k jene Überschätzung derselben zur Folge, wie sie die idealistische Ästhetik besonders im Beginn ihrer Entwicklung zeigt. Auf Winckelmannschem Boden steht auch H e r d e r s Kunstauffassung, dessen Gedanken aber eine mehr spekulative Richtung nehmen. Seine wichtigste Schrift in Absicht auf entwicklungstheoretische Betrachtung der Kunst ist die Preisschrift über die „Ursachen des gesunkenen Geschmacks bei den verschiedenen Völkern, da er geblühet" (1775). An vier Kunstperioden sucht er zu zeigen, daß nur da eine Blüte des Geschmacks entstehen könne, wo er das n a t ü r l i c h e B e d ü r f n i s eines auf der Höhe seiner Kulturkraft stehenden Volkes ist, und daß in dem Absterben dieser die Kunst bedingenden Wurzel auch die Ursache ihres Verfalls [zu suchen sei. So in G r i e c h e n l a n d , in Rom und in der italienischen R e n a i s s a n c e ; doch, wie Herder meint, mit immer abgeschwächter Energie: „Bei den G r i e c h e n war der Geschmack N a t u r gewesen, ein Bedürfnis, eine Angelegenheit, wozu sie zu gewissen Zeiten und unter gewissen Umständen alles einlud; bei den R ö m e r n , obwohl in kürzerer Frist und auf eingeschränktere, unvollkommenere Weise, ebenfalls." 1 Der römische 1
S. W . ed. Suphan V 635.
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Geschmack „war aus Griechenland her, und hielt sich hier (in Rom) so lange, als es ähnlicher Boden und Luft und Wartung erlaubte; während der Zeit nahm er harte, festere römische Gestalt an" 1 . Seine Betrachtung über den Verfall der römischen Kunst aber schließt Herder mit dem damals echt zeitgemäßen „Sturm- und Drang"-Gedanken: „Über das alles läßt sich nichts sagen, als F l u c h ü b e r d i e T y r a n n e n , die mit den Kräften menschlicher Tätigkeit auch jeden edlen Schwung des menschlichen Geistes fesseln." 2 Jenes natürliche Bedürfnis bestand endlich „in Italien (zur Zeit der Renaissance) ungleich weniger als selbst in Rom. Weder Religion, noch Geschichte, noch Staat, und lebendiger Geschmack des Volks gab engen, starken Antrieb und Schranken" 3. „Nachahmung (der Antike) lag nur zugrunde, nicht etwa ein ursprüngliches, erstes, dringendes Bedürfnis" Daher enthielt den Grund des Verfalls hier der Gegenstand der Nachahmung selbst; die Kunst war zu Ende, sobald das Vorbild „nachgeahmt war, und man nun nicht mehr nachahmen konnte und wollte" 5 . Wenn man Herder hierin auch nicht ohne Vorbehalt zustimmen kann, so ist diese Auffassung der Renaissance doch bedeutungsvoll gegenüber ihrer noch nicht allzulang verflossenen Überschätzung, vor allem aber wichtig und vielleicht bestimmend erscheint sie für die rein formal-ästhetische Beurteilung derselben. ' V 633. V 635.
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V 632.
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V 635/636.
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V 637.
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Das vierte Zeitalter des Geschmacks, welches Herder betrachtet, ist das Ludwigs XIV.: Um den König „lebte Anstand, Tätigkeit, Glanz und Würde. Zu ihnen also bildete sich die Sprache, so handelte Ludwig und jeder ihm nach in seinem Kreise, eine Form der Eleganz nahm also der Geschmack in allen seinen Äußerungen an" 1 . Doch die Wurzeln dieser Kunstepoche enthielten zugleich schon deren Verderben; denn „ein Geschmack ist übel dran, sobald er nur Gesellschafts- oder Hofgeschmack sein kann und darf: gar bald wird er schwach und da er dem Publikum vorgehn soll, bleibt er hinten" 2 . Den Weg zu einer künftigen Kunstblüte sieht Herder infolgedessen mehr in der Förderung der Q u e l l e n des Geschmacks: von „ F r e i h e i t und M e n s c h e n g e f ü h l " , als in einem Streben nach ihm selber. In die Verwirklichung des H u m a n i t ä t s i d e a l s setzt er das Vertrauen, daß auch die Kunst „nie mehr bloße Nachahmung, Mode und Hofgeschmack, auch selbst nicht ein griechisches und römisches Nationalmedium, das sich bald selbst zerstört, sondern mit Philosophie und Tugend gepaart, ein dauerndes Organum der Menschheit werde!" 3 Während demnach Herder von allgemein-kulturhistorischem Standpunkt ausgeht und den Unterschied der mehr nur beispielsweise von ihm herausgegriffenen Kunstepochen aus der verschiedenen Nahrungszufuhr seitens der betreffenden Kulturgrundlagen abzuleiten 1
V 641.
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V 643.
3
V 655.
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sucht, hat sich zuerst S c h i l l e r in seiner Abhandlung „Über naive und sentimentalische Dichtung" (1795/96) das Problem gestellt, den Gegensatz antiker und moderner Kunst rein begrifflich zu bestimmen und auf einen Unterschied der ästhetischen Prinzipien zurückzuführen. Und zwar leitet er diesen Gegensatz aus dem verschiedenen Verhältnis des dichterischen Geistes zur Natur ab; wonach der Dichter entweder Natur i s t , oder sie s u c h t , n a i v oder s e n t i m e n t a l i s c h ist. Der n a i v e Dichter befindet sich mit der Natur in sinnlich harmonischer Einheit; daher gelingt ihm die möglichst vollständige Nachahmung des Wirklichen, wobei er selbst hinter seinem Gegenstande verschwindet. Dem s e n t i m e n t a l i s c h e n Dichter dagegen ist die Natur aus der Wirklichkeit entschwunden, und bildet seinen Gegenstand in der Dichtung nur als I d e a l , dem sich aber dafür, im Gegensatz zum naiven, das Charakteristische seiner Persönlichkeit aufprägt. Dabei identifiziert Schiller den naiven mit dem a n t i k e n , den sentimentalischen mit dem m o d e r n e n Dichter. Eine letzte Höhe des Kunstschaffens bezeichnete schließlich die Vereinigung jener beiden Momente, wo der naive Dichtergeist einen sentimentalischen Stoff darstellte; und eine „bewundernswürdig glückliche" Lösung dieser Aufgabe erblickte Schiller in der Dichtung G o e t h e s . Solche ästhetische Begriffsbestimmungen Schillers gaben Anregung, das Problem weiter zu verfolgen, und erfuhren bald mehrfache Umbildung. So bezeichnete Friedrich S c h l e g e l den Schiller-
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sehen Gegensatz mit den Namen: k l a s s i s c h und r o m a n t i s c h und formte ihn auch im Sinne seiner Lehre von der Ironie um, wonach dann der k l a s s i s c h e Dichter in seinem Stoff aufgeht, während der r o m a n t i s c h e sich mit einer gewissen Ironie über den Stoff erhebt und ihn der formalen Willkür seiner freien Phantasie unterwirft. Auch S c h e l l i n g 1 hielt sich noch wesentlich an die Zweiteilung, indem er zugleich die klassisch-griechische Kunst auch als „realistisch", die romantischchristliche auch als „idealistisch" bezeichnete. Aus diesen beiden Gegensätzen konstruierte er außerdem noch eine synthetische Zuspitzung, die für ihn aber nicht wie bei Schiller schon geleistet ist, sondern, mehr an Herder erinnernd, noch in der Zukunft liegt und als Durchdringung von Kunst und Philosophie in der Form der Dichtung erfolgen soll. Übrigens geht Schelling im Unterschied zu Schiller und unter dem Einfluß Winckelmanns vorwiegend von der hellenischen P l a s t i k aus, welche ihm auch wohl das für die Ästhetik unglückliche Prinzip der M y t h o l o g i e , die er in allen hervorragenden Kunstwerken finden will, geliefert hat. Einen Fortschritt hinsichtlich dieses Problems zeigt H e g e l 2 , sofern er, mehr den historischen Tatsachen entsprechend, an Stelle der Zweiteilung d r e i 1 Vorlesungen über die Philosophie der Kunst (zuerst gehalten 1802/03). ' Vorlesungen über Ästhetik, 1820 (zuerst gedruckt 1835) und a. a. O.
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ästhetische Perioden unterscheidet: die s y m b o l i s c h e , k l a s s i s c h e und r o m a n t i s c h e . In der s y m b o l i s c h e n wird das Ideal erst gesucht; aber wie dieses selbst hier noch unbestimmt oder nur abstrakt gefaßt wird, bleibt auch der sinnliche Ausdruck auf dieser Stufe noch unvollkommen. Nur wenn der geistige Inhalt sich in solchen Grenzen hält, daß er in der vollendeten menschlichen Gestalt sich ohne Verlust seiner Vollständigkeit ausdrücken läßt, kann eine vollkommene Übereinstimmung und Angemessenheit von geistigem Inhalt (Idee) und äußerer Gestaltung erreicht werden, wie dies in der k l a s s i s c h e n Kunstform der Fall ist. Diese klassische Kunst bildet aber zugleich auch die Grenze der Kunst überhaupt. Die r o m a n t i s c h e Kunst bedeutet daher schon ein Überschreiten der Angemessenheit von Idee und Gestalt; indem hier der geistige Inhalt sich so sehr vertieft und erweitert hat, daß er in körperlich-sinnlichen Formen keinen adäquaten Ausdruck mehr finden kann. In dieser Epoche tritt schließlich an Stelle der sich selbst auflösenden Kunst ihre wissenschaftliche Betrachtung. Die Werke religiös-mythologischer Kunst können hier nicht mehr ihrer ursprünglichen Bedeutung nach, sondern nur noch historisch aufgefaßt werden. Von diesen Stufen entspricht die s y m b o l i s c h e der o r i e n t a l i s c h e n , die k l a s s i s c h e der g r i e c h i s c h e n K u n s t ; während die r o m a n t i s c h e die Kunst des Mittelalters, der Renaissance und der modernen Zeit gemeinsam umfassen soll. Als Inhalt der modernen
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Kunst bleibt nur das rein Menschliche, das sich aber in seiner gegenwärtigen Form als abstrakt-soziale Ordnung der künstlerischen Darstellung ungünstig erweist. Auch Hegel entnimmt offenbar das Maß für die Würdigung der verschiedenen ästhetischen Epochen, wie Schelling, vorzugsweise der griechischen Plastik, wodurch dann diese als höchste Kunstleistung erscheint. Anderseits liegt die Vermutung nahe, daß die Bereicherung des Entwicklungsschemas um die symbolische Stufe weniger der Rücksicht auf die kunsthistorischen Tatsachen, als der der dialektischen Methode entsprechenden Bevorzugung einer t r i a d i s c h e n Teilung entsprang. Denn es ist leicht einzusehen, daß auch dieses erweiterte Schema noch nicht ohne Gewaltsamkeit auf die historische Mannigfaltigkeit der ästhetischen Entwicklung angewendet werden kann. Von Hegel unterscheidet sich T r a h n d o r f f 1 hinsichtlich der Entwicklungsstufen des Ideals darin, daß er die o r i e n t a l i s c h e (symbolische) Kunst als außerästhetische Vorstufe des klassischen Ideals erklärt, so daß für ihn, ähnlich wie bei Hegels Vorgängern, nur noch zwei Epochen übrigbleiben: die k l a s s i s c h e und die r o m a n t i s c h e . Von diesen sucht die klassische Kunst das Ideal als etwas Abgeschlossenes, Gewordenes, aus dem Prozeß des Werdens Herausgehobenes zu erfassen, während die romantische das 1
Ästhetik, 1827.
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Ideal im Prozeß des Werdens selbst, in Beziehung auf seine innere Motivation darzustellen strebt. Die orientalische Kunst dagegen hebt die Bedeutung des Ideals selbst auf, indem sie das Ideal als das innere Sein völlig abstrahiert vom Werden erfassen will, und so nur eine ahnungsweise Versinnlichung erreicht. Gemäß dieser Einteilung entsprechen nun die bildenden Künste, diejenigen der Ruhe, mehr dem klassischen Ideal, während die redenden Künste, einschließlich der Musik, mehr zur Darstellung des romantischen Ideals sich eignen. Die Kunst seiner Zeit beurteilt Trahndorff abfällig, doch hegt er eine unbestimmte Hoffnung neuen Kunstaufschwunges, den er mit einem zu erstrebenden „Reinen Christentum" in Zusammenhang bringt. Es ist übrigens wohl kein Zufall, daß Trahndorffs von den vorhergehenden Ästhetikern abweichende Einteilungskriterien der Kunstentwicklung den Eindruck einer spekulativen und historischen Deutung der von Lessing im „Laokoon" niedergelegten Gedanken macht. Im Unterschied von dem mehr abseits stehenden Trahndorff unternimmt W e i ß e 1 eine, wenn auch polemische Weiterbildung der Hegeischen Gedanken. Zunächst bekämpft er Hegels geschichtliche Gliederung der Kunst in orientalisch-symbolische, klassische und romantische, wobei er einerseits, wie auch Trahndorff, das Orientalische nur als Vorstufe des Ideals 1
Ästhetik, 1830.
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(des Schönen) gelten läßt, anderseits aber die Trennung des Romantischen und M o d e r n e n verlangt, wovon das romantische Ideal dann der mittelalterlichen Kunst entspricht. So wenig er aber ferner auf der romantischen Stufe — im Hegeischen Umfang — eine schließliche Auflösung der Kunst in Kunstwissenschaft zugibt, so wenig bildet für ihn die klassische, antike Kunst die Grenze der ästhetischen Leistungsfähigkeit, d. h. einen künstlerischen Höhepunkt, in Vergleich mit welchem die romantische bzw. moderne Epoche schon wieder einen Rückgang bedeutete. Vielmehr sieht er gerade in der modernen Kunst eine dialektische Synthese des klassischen und romantischen Gegensatzes, wodurch für ihn nun gerade die moderne Stufe den ästhetischen Höhepunkt der Entwicklung bedeutet. Der Wert, den Weiße mit Recht auf eine angemessene Würdigung der modernen Kunst legt, scheint für ihn, bei seiner dialektisch (triadisch) determinierten Abwägung, den Verzicht auf die orientalische Stufe aufgewogen zu haben — denn anders als durch die unumgängliche Dreizahl scheint die Abweisung der orientalischen Kunst kaum motiviert werden zu können. Von jenen drei Idealen nun strebt das a n t i k e danach, den Inhalt (die Gottheit) in der Schönheit (Kunst) unmittelbar zu versinnlichen, während das r o m a n t i s c h e die Schönheit in dem Kontrast eines jenseitig körperlosen Gottes zur entgeisteten Körperwelt sucht. Das m o d e r n e Ideal aber will die höhere Wahrheit der romantischen Negativität nicht durch
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jenen Kontrast, sondern nach Art des antiken Ideals, durch unmittelbare sinnliche Verkörperung darstellen. Hierbei wird allerdings nie eine gleichmäßige Vereinigung erreicht, sondern einmal überwiegt das klassische, einmal das romantische Moment, sodaß in diesem Sinne der Gegensatz dennoch erhalten bleibt. Das moderne Ideal ist außerdem durch zwei Hauptmerkmale charakterisiert: durch seine ästhetische Reinheit und durch seine Universalität. Insofern nun Weiße hierunter einerseits die Trennung des ästhetischen vom religiösen Bewußtsein, anderseits die Ausdehnung des ästhetischen Gebietes auf alle natürlichen und historischen Erscheinungen von ästhetischer Tauglichkeit versteht, verlangt er damit für das moderne K u n s t s c h a f f e n etwa denselben ästhetisch-autonomischen Standpunkt, den Hegel als charakteristisch für die wissenschaftliche Betrachtung bei der romantischen K u n s t z e r s e t z u n g erklärt hatte. Fr. Th. V i s c h e r 1 hält an der Weißeschen Dreiteilung: klassisch, romantisch, modern, mit der orientalisch-symbolischen Kunst als Vorstufe der klassischen fest; zugleich mit prinzipiell nicht wesentlich unterschiedener begrifflicher Bestimmung dieser Stufen. Der symbolischen Vorstufe stellt Vischer als „Ausgang" der klassischen die r ö m i s c h e Kunst gegenüber, die sich durch die A l l e g o r i e charakterisieren soll. Während er ferner die romantische Epoche etwa von der Karolingerzeit bis ins 16. Jahrhundert 1
Ästhetik, 1846/57, §§ 416—484.
H a n s B a e r , Astbetische Entwicklung.
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rechnet, sieht er in der Renaissance wiederum eine „Vorstufe", nämlich zum modernen Ideal, dessen von der Kunst der Aufklärung und der darauf folgenden bis 1848 (der Entstehungszeit der Vischerschen Schrift) eingenommene „Mitte" noch nicht abgeschlossen ist. Vielmehr sieht Vischer, der an der zeitgenössischen Kunst das T e n d e n z i ö s e tadelt, nämlich als ästhetisch unzulässige Auffassung, welche die ästhetischen Elemente (Idee und Bild) durch ihr außerästhetisches Interesse notwendig zersetzt — die einzige Möglichkeit einer neuen Blüte der Phantasie: in der positiven Umgestaltung des ganzen gärenden Lebens der achtundvierziger Jahre, von welchem Zustand eben jene zersetzende Absichtlichkeit untrennbar erscheint. Übrigens faßt auch Vischer das moderne Ideal als Einheit des antiken und romantischen und will dasselbe, ebenfalls wie Weiße, von der Vermischung mit der religiösen Phantasiewelt bewahrt wissen: „die (moderne) Phantasie tritt aus dem Bunde mit der Religion" K Hinsichtlich der Geschichte der Verwirklichung des Schönen behält D e u t i n g e r 2 , der im allgemeinen der späteren Lehre Schellings sehr nahe steht, im Unterschied von Weiße und Vischer, die orientalisch-symbolische Stufe Hegels bei, und unterscheidet dann eine s y m b o l i s c h e , p l a s t i s c h e und c h r i s t l i c h - i d e a l e Epoche, von welchen die christ1
S 466. Kunstlehre, 1845/46, IV. und V. Bd. der „Grundlinien einer positiven Philosophie". 1
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liehe sich wieder in zwei Stufen scheidet, die ihre Vereinigung schließlich in einer zukünftigen dritten finden sollen. Auf der s y m b o l i s c h e n Stufe findet der Inhalt in der Form nur eine unzureichende Darstellung, das Schöne erscheint als „ungenügendes Zeichen eines Höhern, das sich im Niedereren zu offenbaren sucht" 1 . Dagegen entsteht die p l a s t i s c h e (klassisch-antike) Schönheit dadurch, daß „die (menschliche) Gestalt der Kunst hier das Vorherrschendwesentliche ist, und der durch sie dargestellte Geist nur insofern von Bedeutung, als er (durch die menschliche Gestalt) darstellbar ist" 2 . Infolgedavon wird aber die Form ebenso sehr gefördert, als der Inhalt durch seine Beschränkung auf die menschliche Gestalt zu einer generellen Leerheit sich verflüchtigt. Auf der dritten, c h r i s t l i c h - i d e a l e n Stufe endlich strebt die Kunst nach Vereinigung jener beiden Richtungen, der symbolischen und der plastischen: „das höchste Gefühl der Wechselwirkung des in der Darstellung zu sich selbst kommenden darstellenden Geistes mit der die Darstellung bedingenden Schranke und Form tritt hervor, und vollendet in dem einen das andere" 3 . Aber diese Erhebung der christlichen Kunst zur Einheit aus der symbolischen und plastischen, ist durch einen dreifachen Fortschritt bedingt, indem sich der Gegensatz, aus welchem sie sich erhebt, zunächst in ihrer eigenen Entwicklung wiederholt, und so ihre erste Unterstufe als christlich' IV 50,
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IV 51.
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symbolische, ihre zweite als christlich-plastische (welcher die moderne Romantik entsprechen soll) a potiori bezeichnet werden muß, während erst von einer zukünftigen (katholisch-)christlichen Kunst die Erreichung einer endgültigen Synthese zu erhoffen ist. Das leitende Prinzip oder „allgemeine Gesetz" dieser historischen Entwicklung besteht darin, daß „die Kunst die Befreiung des Geistes von der Natur durch die (umbildende) Form, . . . durch die an die Materie gebundene Kraft zu bewirken h a t " „ M i t der letzten Einheit und Umbildung des an sich gegebenen Stoffes zur Hülle des Geistes ist die letzte Periode eines bestimmten Kunstgebietes historisch gegeben." 2 Infolge dieser prinzipiellen Auffassung aber geht hinsichtlich der systematischen Gliederung der Künste schließlich die D i c h t u n g , deren Stoff: die Sprache, nach Deutinger, am meisten von der Natur und Körperlichkeit befreit ist — als eigentlich einzige „Kunst" hervor, während die übrigen Künste als um so höher stehend gelten, je näher sie der Stoffüberwindung der Poesie kommen. Deutinger ist wohl der erste, welcher die Behandlung der K u n s t g e s c h i c h t e vom Standpunkt einer philosophischen Ästhetik in größerem Umfange unternommen hat, so daß sie auch rein äußerlich den Hauptbestandteil seines Werkes bildet, aber durch die Art seiner prinzipiellen Auffassung und durch seine kirchliche Tendenz erleiden die ästhetischen Verhältnisse 1
V 237.
* Ebd.
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doch schließlich eine ebenso gewaltsame Konstruktion als einseitige Färbung. Das Streben nach einer philosophischen Durchdringung der Kunstgeschichte findet endlich einen gewissen, die früheren Ergebnisse zusammenfassenden Abschluß durch C a r r i e r e , ohne daß dieser jedoch aus der Fülle des herangezogenen historischen Materials zu rein begrifflich-formaler Betrachtung sich hinreichend erhebt. In seiner zweibändigen Ästhetik (1859) stellte er bezüglich des ästhetischen Entwicklungsproblems, eine besondere „Philosophie der Kunstgeschichte" in Aussicht, welche ihm aber, als sie unter dem Titel „Die Kunst im Zusammenhang der Kulturentwicklung und die Ideale der Menschheit" in f ü n f Bänden (1863/73) erschien, wie er selbst sagt, „unter den Händen zu einem mehr d a r s t e l l e n d e n als betrachtenden Buch geworden i s t " C a r r i e r e begründet dies starke Übergewicht des geschichtlichen Materials über dessen ästhetisch-philosophische Verwertung damit, daß einerseits noch ein Geschichtswerk fehle, welches sämtliche Künste in ihrem Zusammenhang untereinander und mit der Kulturentwicklung behandle, anderseits den Lesern „auch die Tatsachen kund sein müssen, auf die wir unsere Schlüsse gründen, die wir erklären, deren Prinzipien wir darlegen" *. Demgegenüber wird man nun aber auch die Schwierigkeiten in Erwägung ziehen müssen, welche eine theoretische Betrachtung 1
I, Einleitung.
* I, Einleitung.
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mit sich bringt, wenn sie danach strebt, dem Leser a l l e n induktiven Stoff vollständig mitzuunterbreiten. Denn eine möglichst tiefgehende Untersuchung wird zuweilen relativ fernliegende Spezialgebiete und -arbeiten berücksichtigen müssen, weil gerade diese ihr oft besonders fein-charakteristische Momente liefern, während sie bei den allgemeiner-historischen Vorgängen mitunter weniger zu verweilen braucht. Es wäre also nicht möglich, eine sinnvolle historischinduktive Ergänzung zu bieten, ohne zugleich bis in feinste Einzelheit zu gehen, zum Teil aber auch wieder in rein darstellender Hinsicht sprunghaft und unvollständig zu erscheinen. Die enorme Ausdehnung und stilistische Schwierigkeit einer solchen induktiven Beigabe, wie die dennoch kaum möglich erscheinende Vollständigkeit einer solchen, legen daher einen Verzicht darauf nahe, ohne daß man darin einen wesentlichen Verlust zu erblicken hätte. Vielmehr wird gelegentliche Hinweisung auf die entsprechenden historischen Tatsachen dafür genügend Ersatz bieten und übrigens das Voraussetzungsvolle einer solchen Behandlung in der wissenschaftlichen Methode überhaupt begründet sein, im Unterschied zu populärer Darstellung — wodurch eben jene in den Stand gesetzt wird, mit möglichster Prägnanz und Kürze zugleich tiefer in die begrifflichen Verhältnisse der Probleme einzudringen. Wenn Carriere sagt, es sei „bereits in das allgemeine Bewußtsein übergegangen, daß wir die Kunst vom Leben nicht lösen dürfen, vielmehr sie in Verbindung mit den religiösen Ideen und politischen Zu-
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ständen betrachten müssen, wenn wir ihre Werke recht verstehen und würdigen w o l l e n " s o gilt dies in erster Linie für die i n h a l t l i c h e Beurteilung von Kunstwerken. Es leuchtet aber ein, daß ganz vorzüglich eine w i s s e n s c h a f t l i c h e Betrachtung derselben über ihre historische Bedingtheit unterrichtet sein muß; gleichwohl aber doch diese Kulturgrundlagen nur als regulatives Prinzip verwerten, und nicht in den Vordergrund rücken, oder zusammen mit der Kunstgeschichte zu breiter Darstellung ausgestalten darf. Denn will man, wie dies Carriere selbst bis zu gewissem Grade beabsichtigt, G e s e t z e der ä s t h e t i s c h e n Entwicklung finden, so muß man sich auch auf diese letzteren wesentlich beschränken, weil man bei einer vorwiegenden Beziehung auf die allgemeine Kultur auch nur allgemeine und nicht spezifisch ä s t h e t i s c h e Gesetze finden wird, wodurch die ästhetische Erkenntnis im besonderen keine Förderung erfahrt. Es ist nämlich bei dieser allgemein-kulturhistorischen, übrigens vorzüglich durch Herder inaugurierten Methode gar nicht zu vermeiden, daß die geschichtlichen Darstellungen aller möglichen Zweige menschlichen Wirkens zuletzt in ein und dieselbe K u l t u r g e s c h i c h t e zusammenfließen; denn es gibt von diesem Standpunkt aus gesehen tatsächlich nur e i n e „Geschichte", eben die Kulturgeschichte. Erwägt man außerdem die Fülle und Mannigfaltigkeit der ästhetischen Erscheinungen für sich allein schon, 1
I. Einleitung.
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so kann man nicht mehr in Zweifel darüber sein, daß es der Ästhetik nur durch scharfe Konzentration auf dieses eine besondere Gebiet gelingen kann, Gesetzmäßigkeiten im Verlauf der ästhetischen Entwicklung aufzudecken, welche — eben infolge dieser, zwar in gewissen Grenzen zu haltenden, doch übrigens durchaus notwendigen ästhetischen Ausschließlichkeit der Induktion — auch die Eigentümlichkeiten einer spezifisch ästhetischen Entwicklung hinreichend in sich bewahrt haben werden. Nur auf solche Weise können die Ergebnisse imstande sein, mit der kunsthistorischen Forschung (im Sinne a l l e r Künste) in lebendiger Wechselwirkung zu bleiben und so fortzuschreiten. Dagegen ist leicht einzusehen, daß eine Behandlung dieses Gegenstandes von allgemein-kulturhistorischem Standpunkt aus, welche den besonderen ästhetischen Stoff mit dem allgemeineren der gesamten Kultur stets verbunden betrachten will, denselben — wenn auch ein ästhetisches Übergewicht vorhanden sein mag — der Hauptsache nach doch aus den besonderen Verhältnissen heraus in die allgemeine Kultur verlegt, und ihn dadurch auch nur unter einer bedeutend allgemeineren, d. h. für ihn uncharakteristischen Gesetzmäßigkeit erblicken kann. Wie bei den Begriffen, wächst auch hier mit der Mannigfaltigkeit des Geschehens, welche die Gesetze umfassen, d. h. mit dem Umfang, den sie annehmen sollen, zugleich ihre Abstraktheit und inhaltliche Leerheit, sofern eben die Synthesis jener l o g i s c h e n Dependenz mit der r e a l e n den Begriff des G e s e t z e s selbst ausmacht.
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Infolge dieser Verhältnisse hat nun auch Carrieres auf der kulturhistorischen Methode aufgebaute „Kunst im Zusammenhang der Kulturentwicklung" in rein ästhetischer Hinsicht, trotz ihrer Weitläufigkeit, keinen reichen Ertrag geliefert. Er bemerkt sehr mit Recht, daß sich „das Ganze wohl auch eine P h i l o s o p h i e d e r G e s c h i c h t e vom S t a n d p u n k t e d e r Ä s t h e t i k nennen" lasse 1 , sofern er dadurch selbst dessen fragwürdige Zwitterstellung unwillkürlich charakterisiert. Das historisch-ästhetische Gebiet hat Carriere im Unterschied von seinen Vorgängern nun allerdings in f ü n f Epochen gesondert: in die o r i e n t a l i s c h e , d i e k l a s s i s c h e , die m i t t e l a l t e r l i c h e , die der R e n a i s s a n c e und in die m o d e r n e Epoche. Aber diese Einteilung besteht mehr nur äußerlich; denn in prinzipieller, philosophischer Hinsicht teilt Carriere gleichwohl den Entwicklungsgang der Menschheit in nur d r e i Epochen oder Weltalter ein, welche er aus dem Wesen des Menschen ableitet: nämlich in das Weltalter der N a t u r , das des G e m ü t s und in das des G e i s t e s , und entfernt sich damit im Grunde nicht wesentlich vom Schema seiner Vorgänger. Die Menschheit „steht zunächst unter der Herrschaft der Natur, sie ringt mit ihr (orientalische Kunst) und prägt dann den Geist in der eigenen Leiblichkeit lebendig aus (klassische Epoche); sie findet sich dann in sich selbst, kehrt in die Innerlichkeit des Gemüts 1
II. Vorwort.
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ein und läßt sich von diesem leiten (Mittelalter, Renaissance und Reformation), sie schreitet zum Erkennen fort und macht den selbstbewußten Gedanken zum Prinzip und Leitstern ihres Wirkens" 1 . (Aufklärung und moderne Zeit.) Im O r i e n t stand der Geist noch vielfach unter der Herrschaft der Natur; jedoch bezeichnet hier die A r c h i t e k t u r den „ersten Sieg des Geistes über die Masse" *; sie ist auf dieser Stufe die tonangebende Kunst, denn auch die andern Künste zeigen hier architektonischen Charakter. (Einen solchen erblickt Carriere z. B . in dem „Parallelismus" der Poesie.) Dagegen kommt der Geist in G r i e c h e n l a n d und R o m mit der Natur ins Gleichgewicht; hier ist das Ziel des Altertums, das N a t u r i d e a l verwirklicht worden. Die P l a s t i k ist die herrschende Form dieser klassischen Kunst. „Ihre Eigentümlichkeit durchdringt nicht nur die Architektur und Malerei, sondern auch die Poesie und Musik." * Im „Weltalter des G e m ü t s , welches das sittliche Ideal zu verwirklichen hat" 4 , wird „statt der Leibesschönheit und dem in der Außenwelt verwirklichten Geiste die S e e l e n s c h ö n h e i t , das Herz mit seinen Gefühlen, der Ausdruck des i n n e r n Lebens die Aufgabe der Kunst, und an die Stelle der Plastik . . . tritt nun die M a l e r e i und später die M u s i k ; statt der epischen Gegenständlichkeit und klaren Anschau1 V. Einleitung. * II. Vorwort.
* II. Vorwort, S. 7. III. Vorwort.
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lichkeit wird nun die subjektive Empfindung, die lyrische Stimmung mit ihrem Träumen und Sehnen der Ausgangspunkt der Poesie" Die gesamte Kunst zeigt in dieser Epoche malerisch-musikalischen Charakter. Im Zeitalter des G e i s t e s aber, in welchem die zur Macht gewordene Wissenschaft herrscht, wird die P o e s i e , „die Kunst des Geistes" 2 , tonangebend auch in der Musik und Malerei. Sowohl hinsichtlich des Wesens der Poesie, wie hinsichtlich der Stufenfolge der Künste, zeigt Carriere eine der Deutingerschen verwandte Auffassung; auch er verquickt ferner die ästhetische Betrachtung mit religiösen Momenten, worauf aber des außerästhetischen Charakters wegen die obige Darstellung nicht einging. In ähnlicher Weise führt bei ihm auch die starke Betonung moralischer Gesichtspunkte zu einer Trübung des ästhetischen Urteils durch praktische Heteronomie. Abgesehen von persönlichem Interesse, dürfte dies besonders eine Folge r e i n i n h a l t l i c h e r Beurteilung der Kunst sein; welche dadurch, daß die Kunst ihre selbständigen Inhalte naturgemäß der allgemeinen Kultursphäre entnimmt, notwendig — wenn man eben nur diese Inhalte beachtet — zu einer Heteronomie führen muß. Die spezifisch ästhetisch-künstlerische W a n d t u n g der Inhalte aber, die — mindestens vorwiegend — rein f o r m a l e r Natur ist, und welche allein, wenn auch nicht ohne inhaltliche ' Ebd.
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V. Einleitung.
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Beziehung, Gegenstand ästhetischer Beurteilung sein kann, weil s i e überhaupt allererst das ästhetische Moment jener Inhalte ausmacht, — kommt auf diese Weise gar nicht zu ihrem Recht. Der Entwicklung des historisch-ästhetischen Problems, soweit wir sie bis hierher überblickt haben, mag an dieser Stelle ein in Bezug auf jenes Problem rein n e g a t i v e s Resultat gegenübergestellt werden, welches sich bei dem Herbartianer Robert Z i m m e r m a n n findet. Die Zimmermannsche Ästhetik 1 , die man im allgemeinen als „Formalismus" bezeichnet, wobei man aber unter „Form" nicht die äußere Erscheinung, sondern eine Reihe abstrakter Vorstellungsbeziehungen zu verstehen hat — gründet sich auf die Herbartsche Philosophie, und teilt deren eleatischen Grundcharakter. Sie ist daher im Prinzip unhistorisch: „die Ästhetik weiß nichts vom Seienden und damit auch nichts von der G e s c h i c h t e " 2 . Es ist das „allgemeingültige, interesselose Wohlgefallen" Kants, an welches, als seiner entwicklungsfeindlichen Tendenz günstig, Zimmermann anknüpft, wobei er zugleich „interesselos" durch „frei von Privatgefühlen" ersetzt. Diesem überindividuellen, mustergültigen Geschmack entspricht als einzige rein ästhetische Form: die des K l a s s i s c h e n , welches aber bei Zimmermann keine Zeitbestimmung einschließt; die Klassizität ist außer aller Zeit, und bleibt das „absolut Gefallende", ob es 1 1
„Allgemeine Ästhetik als Formwissenschaft", 1865. S 213.
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jemals realisiert wird oder nicht 1 . Die Ästhetik kann und darf daher nicht empirisch verfahren: „Die Formen des Klassischen e r d e n k t sie unabhängig vom Altertum, die des Unklassischen — welches Zimmerman auch das „Romantische" nennt —, stellt sie ebenso unabhängig von den Erscheinungen des Orients, der christlichen oder der neueren Zeit fest." 2 Die Kunstgeschichte ist deshalb, soweit sie nicht der a priori konstruierten klassischen Form entsprechende Werke aufzuweisen hat, die Geschichte der menschlichen „ G e s c h m a c k s i r r t ü m e r " , deren m ö g l i c h e Arten unabhängig von aller Erfahrung, aus den einfachen rein ästhetischen Beziehungsformen, als Leugnung derselben sich deduzieren iassen müssen 3 . Diese Auffassung des historisch-ästhetischen Gegenstandes gleicht aber doch nun ganz einer rationalistischen Reaktion in Christian Wolffschem Geschmack, gegen die bessern Einsichten, welche die Philosophie seit Kant auf diesem Gebiet gewonnen hatte. Etwa um die Zeit, als das Carrieresche Werk erschien, begann das ästhetische Interesse im allgemeinen mehr und mehr nach empirisch-kunsthistorischer Seite sich zu neigen, und zwar zugleich mit vorwiegend spezialistischer Tendenz, so daß auch die Entwicklungsfrage, welche unter den ästhetischen Problemen durch solche Richtung immerhin noch am ersten Förderung erfahren konnte, infolge des Mangels an prinzipiell1 5
2 Ebd. $ 214. SS 210, 211 und 212.
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zentralisierenden Gesichtspunkten in ihrer Lösung zunächst nicht eigentlich weitergedieh. Allerdings hatte Gottfried S e m p e r 1 sich zur Aufgabe gestellt: „die bei dem Prozeß des Werdens und Entstehens von Kunsterscheinungen hervortretende G e s e t z l i c h k e i t und O r d n u n g im einzelnen aufzusuchen und aus dem Gefundenen allgemeine Prinzipien . . . abzuleiten" 2 . Aber diese Prinzipien sollten nicht dazu dienen, eine Einsicht in das Wesen des historisch-ästhetischen Prozesses überhaupt zu eröffnen, sondern sie sollten vielmehr „die Grundzüge einer empirischen Kunstlehre", insbesondere des K u n s t g e w e r b e s und der A r c h i t e k t u r bilden, und deren „wenige N o r m a l f o r m e n und T y p e n , . . . die, aus urältester Tradition stammend, in stetem Wiederhervortreten dennoch eine unendliche Mannigfaltigkeit darbieten" 3 , in ihrer geschichtlichen Entwicklung aufhellen. Während diese Untersuchungen daher in ihrem Ergebnis direkt allerdings nicht zur Lösung des allgemeineren ästhetischen Entwicklungsproblems beitragen, haben sie in letzterer Beziehung doch einmal den Wert, durch ihre rein sachliche Betrachtungsweise die Ästhetik von willkürlichen Ausdeutungen, insbesondere der Architekturstile abzumahnen, anderseits aber, und dies vor allem, werden die Gründe, welche Semper hinsichtlich der vorzüglichen Berücksichtigung des Kunstgewerbes bei seiner Untersuchung 1
„Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik." 1. A. 1860/1863. 1 3 I. Prolegomena. I. Prolegomena.
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geltend macht, einleuchtend und wegweisend sein auch für eine ästhetische Entwicklungstheorie mit allgemeineren Gesichtspunkten. Semper schätzt aber den ästhetischen Wert dieses Kunstzweiges deshalb so hoch ein, „weil die ästhetische Notwendigkeit, um die es sich handelt, gerade an diesen ältesten und einfachsten Erfindungen des Kunsttriebes am klarsten und faßlichsten hervortritt; und anderseits weil sich an ihnen bereits ein gewisser Gesetzkodex der praktischen Ästhetik typisch festgestellt und formuliert hatte, v o r der Erfindung der monumentalen Kunst, die von ihnen . . . eine bereits fertige Formensprache entlehnte, und auch in andrer ganz unmittelbarer Weise ihrem Einflüsse gehorcht" Einen reicheren Beitrag zur Lösung unseres Problems liefern dagegen A l o i s R i e g l s „Stilfragen" (1893), obwohl auch seine Untersuchungen nicht eigentlich auf dieses Ziel angelegt sind. Vielmehr gewinnt dieses Buch seine für die allgemeine Ästhetik wertvollen Resultate bei Gelegenheit eines kunsthistorischen Spezialproblems, nämlich: den historischen und genetischen Zusammenhang in der Entwicklung des „Pflanzenrankenornaments" seit antiker Zeit bis zur kairenischen Arabeske des 15. Jahrhunderts aufzuzeigen. Daß aber diese Spezialforschung Ergebnisse von allgemein-ästhetischem Interesse zu liefern vermag, liegt in der Natur der O r n a m e n t i k , nämlich in ihrer Zugehörigkeit zum Kunstgewerbe begründet, 1
I. Prolegomena.
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dessen ästhetische Bedeutung oben schon hervorgehoben wurde. Insofern wäre es grundverkehrt, hielte man die Kunst erst dann der kunsthistorischen Beachtung für wert, wenn sie „den Menschen in seinen Taten und Leiden" zur Darstellung bringt, d. h. sobald man daran ein i n h a l t l i c h e s Interesse zu nehmen beginnt, während man das g e o m e t r i s c h e , das P f l a n z e n - und T i e r o r n a m e n t als bloß f o r m a l e Produktionen unbeachtet ließe. Gerade die Ornamentik, bei deren Betrachtung keine inhaltlichen Interessen die formalen Momente zurückdrängen — womit natürlich nicht etwa die ornamentale über die freie inhaltliche Kunst überhaupt gestellt werden soll — zeigt in entwicklungsgeschichtlicher Hinsicht die rein ästhetischen Wandlungen oft besonders einfach und charakteristisch. Riegl findet zwei „extreme Pole" im Kunstschaffen, nach deren Ausgleichung die ästhetische Kultur strebt: „einerseits den auf Schaffung einer bloßen Augenweide abzielenden S c h m ü c k u n g s t r i e b , anderseits das Bestreben, den b e d e u t s a m s t e n I d e e n u n d E m p f i n d u n g e n der Menschen sinnlichen Ausd r u c k zu l e i h e n " 1 . Und zwar zeigt der Verlauf der Entwicklung, daß abwechselnd eines dieser beiden Momente in den Vordergrund tritt. Einen solchen Vorgang sieht Riegl z. B. in der Entwicklung der national griechischen Kunst des 5. Jahrhunderts v. Chr. zur hellenistischen: „der Zug zur Darstellung des 1
Stilfragen, S. 84.
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Gegenständlichen, der die griechische Kunst etwa bis in die perikleische Zeit charakterisiert, das überwiegende Streben nach Bemeisterung der menschlichen Körperformen, nach Versinnlichung der das Hellenentum bewegenden religiösen, sittlichen und politischen Ideen: damit war man im letzten Drittel des S . J a h r hunderts auf einen Höhepunkt gelangt, von dem aus es kaum mehr eine Steigerung gab. Nun regte sich wieder die Schmuckfreudigkeit, drängte es wieder nach dem andern der beiden Pole, zwischen denen sich alles Kunstschaffen bewegt. — Die pompejanische Innendekoration erscheint geradezu charakterisiert durch die spielende Verwendung, die sie mit den von der vorangegangenen großen Kunstperiode geschaffenen Typen der heroischen und der Göttersage vorgenommen hat." 1 Neben diesen macht Riegl aber noch zwei andere Pole der Oszillation des Kunstschaffens, insbesondere des o r n a m e n t a l e n , geltend: den N a t u r a l i s m u s und den A n t i n a t u r a l i s m u s , deren wechselndes Hervortreten innerhalb dieses Gebietes er auf Grund feinsinniger Beobachtung nachweist, ohne daß er jedoch zugleich einen Zusammenhang zwischen diesen und jenen andern beiden Extremen anzunehmen scheint. So finden wir bei Riegl zwei wichtige Momente der ästhetischen Entwicklung aufgestellt, deren Bedeutung an sich dadurch nicht gemindert wird, daß sie bei ihm offenbar noch beziehungslos nebenein1
S. 241/242.
H a n s B a e r , A i t h e t i s c h e Entwicklung.
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ander stehen. Es wird sich an den entsprechenden Stellen der Phänomenologie noch Gelegenheit bieten, auf einzelne seiner Beobachtungen näher einzugehen. Während Riegl mehr unwillkürliche Beiträge zur Lösung unseres Problems liefert, hat Ernst G r o ß e 1 dieses selbst zum Gegenstand seiner Untersuchungen gemacht; allerdings unterscheidet sich dabei seine P r o b l e m s t e l l u n g , wie wir sehen werden, wesentlich von der unsrigen. Da Große ferner die Entwicklung der Kunst zwar in ihrem ganzen Umfange, d. h. mit Berücksichtigung aller Künste, jedoch nur auf der untersten Kulturstufe betrachtet, so ist der rein theoretische Ertrag nicht reich ausgefallen. Der Hauptwert dieser Arbeit besteht vielleicht in der Zusammenbringung des betreffenden Materials, weshalb wir auch im Laufe unserer Untersuchung des öfteren darauf zurückkommen werden. Große stellt der „ K u n s t g e s c h i c h t e " und „Kunstp h i l o s o p h i e " die „ K u n s t w i s s e n s c h a f t " gegenüber. Einerseits „sind weder die Kunstphilosophie (Ästhetik) noch die Kunstkritik bisher imstande gewesen, eine befriedigende Erklärung der kunsthistorischen Tatsachen zu bieten" 2 , anderseits wären hinsichtlich der Kunstgeschichte, „das einzige, was diesem Wust von einzelnen kunsthistorischen Tatsachen Ordnung und Wert verleihen könnte, G e s e t z e , und Gesetze sind das einzige, was man nicht sucht" 3 . Daher 1 2
„Die Anfänge der Kunst", 1894. 3 S. 5. Ebd.
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„haben wir durchaus kein Recht, uns einer Kunstw i s s e n s c h a f t zu r ü h m e n " 1 . Wenn für ihn aber „diese Kunstwissenschaft ihr letztes Wort gesprochen, wenn sie gezeigt hat, daß zwischen bestimmten Formen der Kultur und der Kunst feste gesetzmäßige Beziehungen bestehen" 2 , so entfernt er sich damit von der spezifisch ästhetischen nach der allgemein-kulturhistorischen Seite des Problems, und vertritt damit einen Standpunkt, wie wir ihn zuerst deutlich schon bei Herder gefunden, und dann bei Carriere hinsichtlich der Methode ausführlich diskutiert haben. Insbesondere hatte des k l i m a t i s c h e n Einflusses auf die ästhetische Kultur, den Große — wenigstens für die Frühzeit, die er eben ausschließlich berücksichtigt — in den Vordergrund stellt, schon Winckelmann Erwähnung getan. Allerdings behauptet Große einen solchen nicht direkt, sondern nur i n d i r e k t , indem „das Klima die Kunst durch die P r o d u k t i o n " , d. h. den Nahrungserwerb, beherrsche®. Es besteht nun kein Zweifel, daß einmal die Art der Nahrungsfürsorge von den geographischen und meteorologischen Verhältnissen, unter welchen ein Volk lebt, abhängig sein, und anderseits diese „Produktionsform" wieder dessen ästhetische Entwicklung beeinflussen wird; aber dies scheint eben vorzüglich nur für die p r i m i t i v e n Völker zuzutreffen, für die Jägerstufe und den Beginn von Ackerbau und Viehzucht, wo die „Produktion" den überwiegenden Inhalt der ganzen Kultur über1
Ebd.
2
S. 8.
« S. 297.
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haupt ausmacht. In diesem Sinne schränkt daher Große seine Behauptung auch selbst in folgender Weise ein: „wir glauben jedoch nicht, daß wir damit ein allgemeingültiges kunstwissenschaftliches Gesetz entdeckt haben. Es erscheint uns wenigstens sehr zweifelhaft, ob sich eine derartige Einwirkung des Klimas auch für die Kunst der höheren Völker nachweisen lassen würde, nicht weil die Verhältnisse dort ungleich verwickelter sind, sondern weil sich die mit reicheren Kulturmitteln ausgerüsteten Völker auch in ihrer Produktion von den Einflüssen des Klimas unabhängiger gemacht haben." 1 So viel nun auch zugegeben werden mag, daß äußere Einflüsse, d. h. solche nicht ästhetischer Art, die ästhetische Entwicklung natürlicherweise bestimmen, so sehr muß doch auch betont werden, daß diese Entwicklung nicht rein passiv vor sich gehen kann; daß vielmehr, sobald wir eine ästhetische Betätigung wahrnehmen, wir auch eine dieser Betätigung zu Grunde liegende Aktivität annehmen müssen, d. h. wir dürfen diese Betätigung, denn sie ist eben eine T ä t i g k e i t , nicht als bloßes Produkt außerästhetischer Faktoren betrachten, sondern müssen vielmehr als sie begründend eine gewisse S p o n t a n e i t ä t anerkennen, die eben jene äußeren Einflüsse allererst an sich als Wirkung hervortreten läßt. Die W a n d l u n g aber, die solche Spontaneität des ästhetischen, insbesondere produktiv-ästhetischen Bewußtseins durchmacht, das 1
Ebd.
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eben ist die ä s t h e t i s c h e E n t w i c k l u n g , deren G e s e t z m ä ß i g k e i t aufzudecken wir versuchen wollen. Wir werden hier also gerade jene außerästhetischen Faktoren etwas im Hintergrunde lassen, nicht als ob wir ihre Wichtigkeit verkennten, sondern nur um jene rein ästhetische Entwicklung deutlicher beobachten und zeichnen zu können. So viel nämlich die außerästhetischen Faktoren bisher aufgesucht und betont wurden, so wenig wurde eine i m m a n e n t e Entwicklung möglichst des ganzen bisher durchlaufenen Weges ästhetischer Kultur mit möglichster Abstraktion, aber zugleich auch möglichst eingehender Induktion bezüglich der einzelnen kunstgeschichtlichen Erscheinungen, in n o m o t h e t i s c h e r Absicht geboten und vielleicht auch gesucht. Uberblicken wir nun die verschiedenen Formen, welche die begriffliche Betrachtung des historischästhetischen Gegenstandes in der Geschichte der Ästhetik allmählich angenommen hat, so zeigt sich in der Ästhetik etwa bis Carriere zwar die vorherrschende Tendenz, diesen Gegenstand als „Geschichte des Ideals" oder „Verwirklichung des Schönen" unter dem Gesichtspunkt der E n t w i c k l u n g zu betrachten; aber es entsprach nicht der dem größten Teil jener ästhetischen Theorien zugrunde liegenden Metaphysik, Rückschlüsse von dieser kunstgeschichtlichen Entwicklung auf eine solche des ästhetischen Bewußtseins im Sinne prinzipieller Spontaneität zu ziehen. Zugleich aber erwies sich die a l l z u i n h a l t l i c h e Beurteilung, wie die gewaltsame Bezeichnung der
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einzelnen Kunstepochen a potiori als symbolisch, klassisch, romantisch u. ä. — sei es durch einseitige Betonung einer vorherrschenden Richtung innerhalb derselben, oder durch die Zufälligkeit der Überlieferung in manchen Fällen bedingt — der genaueren prinzipiellen Betrachtung ebenso nachteilig, wie die allgemeinkulturhistorische Behandlungsweise anderseits. Methodisch folgerichtig waren danach die begrifflichen Resultate durch das historisch-idiographische Moment der E i n m a l i g k e i t charakterisiert, während die Betrachtung unter dem Gesichtspunkt der G e s e t z m ä ß i g k e i t erst in der neuesten Zeit deutlich auftrat, und auch hier noch mehr als Postulat, wie als Durchführung. III.
Einleitung zur Phänomenologie. Bevor wir zur Untersuchung selbst der historischen Erscheinungsformen des ästhetischen Bewußtseins oder zu dessen P h ä n o m e n o l o g i e übergehen, bedarf es im Interesse der Verständlichkeit der betreffenden Darlegung noch einer Erklärung darüber, welche erkenntnistheoretischen und psychologischen Voraussetzungen dieser Untersuchung zugrunde gelegt werden; — gesetzt auch, daß hierbei schon einiges vorweg genommen werden muß, was eigentlich erst der historischen Betrachtung selbst zugehört. In erkenntnistheoretischer Hinsicht zunächst wird ein ä s t h e t i s c h e r P h ä n o m e n a l i s m u s zugrunde
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einzelnen Kunstepochen a potiori als symbolisch, klassisch, romantisch u. ä. — sei es durch einseitige Betonung einer vorherrschenden Richtung innerhalb derselben, oder durch die Zufälligkeit der Überlieferung in manchen Fällen bedingt — der genaueren prinzipiellen Betrachtung ebenso nachteilig, wie die allgemeinkulturhistorische Behandlungsweise anderseits. Methodisch folgerichtig waren danach die begrifflichen Resultate durch das historisch-idiographische Moment der E i n m a l i g k e i t charakterisiert, während die Betrachtung unter dem Gesichtspunkt der G e s e t z m ä ß i g k e i t erst in der neuesten Zeit deutlich auftrat, und auch hier noch mehr als Postulat, wie als Durchführung. III.
Einleitung zur Phänomenologie. Bevor wir zur Untersuchung selbst der historischen Erscheinungsformen des ästhetischen Bewußtseins oder zu dessen P h ä n o m e n o l o g i e übergehen, bedarf es im Interesse der Verständlichkeit der betreffenden Darlegung noch einer Erklärung darüber, welche erkenntnistheoretischen und psychologischen Voraussetzungen dieser Untersuchung zugrunde gelegt werden; — gesetzt auch, daß hierbei schon einiges vorweg genommen werden muß, was eigentlich erst der historischen Betrachtung selbst zugehört. In erkenntnistheoretischer Hinsicht zunächst wird ein ä s t h e t i s c h e r P h ä n o m e n a l i s m u s zugrunde
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gelegt. Diese Phänomenalität ist aber nicht im Sinne des „ästhetischen Scheines" als ästhetisches P r i n z i p zu verstehen, sondern als ä s t h e t i s c h e S p e z i f i k a t i o n einer erkenntnistheoretischen Phänomenalität überhaupt. Wenngleich nämlich der ästhetische Gegenstand als objektiv, außerhalb-wirklich erscheint, d. h. unter der Kategorie derlnhärenz gedacht wird, kann dem ästhetischen Moment dabei doch nur s u b j e k t i v e Geltung zukommen. Der objektive Anlaß des ästhetischen Wohlgefallens darf nicht im Sinne einer ästhetischen Inhaltlichkeit aufgefaßt, d. h. die ästhetische Qualität nicht als mit dem Dingbegriff substantiell verbunden betrachtet werden, sondern sie ist in erkenntnistheoretischer Hinsicht als in der transszendentalen Apperzeption, oder dem Bewußtsein überhaupt begründet anzusehen. In dieser Beziehung ist sie also wohl s u b j e k t i v , aber nicht i n d i v i d u e l l bedingt. Und zwar gilt diese Subjektivität vorzüglich, soweit es N a t u r g e g e n s t ä n d e anlangt, wo eben insbesondere das ästhetische Verhalten nicht als ein für sich schon zweckmäßiges Verhältnis innerhalb des Gegenstandes selbst gedacht werden darf. Sofern dieses N a t u r Ästhetische einzig und allein in der B e z i e h u n g a u f d a s S u b j e k t besteht, trägt es den begrifflichen Charakter der R e l a t i o n . Während aber die Naturobjekte in Absicht auf ihre ästhetischen Eigenschaften zufällig sind und einer ästhetischen Autonomie entbehren, findet sich eine solche allerdings in den K u n s t w e r k e n , worin sie zwar gewissermaßen nur t r a n s g r e d i e n t durch das produktiv-ästhetische Be-
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wußtsein in Absicht auf subjektive ästhetische Zweckmäßigkeit erzeugt, aber dennoch dadurch der begriffliche Charakter des Ästhetischen als bloße Relation in denjenigen der Q u a l i t ä t umgewandelt wurde. Ein allgemeines P r i n z i p des ästhetischen Wohlgefallens ist dagegen auf empirisch-psychologischem Gebiet zu erkennen, nämlich als eine s u b j e k t i v e Z w e c k m ä ß i g k e i t in R ü c k s i c h t a u f d i e e m p i r i s c h e A p p e r z e p t i o n . Und zwar besteht diese sowohl hinsichtlich der äußeren Wahrnehmung als bezüglich der Einordnung und Assimilation neu eintretender Vorstellungen durch schon vorhandene Vorstellungsmassen, wo sich dann das Wohlgefallen auf die Zweckmäßigkeit der Einordnung bezieht. Es leuchtet aber ein, daß auf diesem empirischen Gebiet, und besonders im letzteren Fall, wo es sich um a s s o z i a t i o n s p s y c h o l o g i s c h e Vorgänge handelt, den ästhetischen Verhältnissen bis zu gewissem Grade nur noch i n d i v i d u e l l variierte Geltung zukommt, während sie in ihrem transszendentalen Fundament, d. h. hinsichtlich ihrer M ö g l i c h k e i t überhaupt, noch keine Einschränkung ihrer subjektiven Allgemeingültigkeit erfuhren. Durch genauere Analyse jenes ästhetischen P r i n z i p s sollen nun die darin wirksamen charakteristischen Momente markiert werden, während mit bis ins einzelne gehender Ausführlichkeit diese Verhältnisse erst in der Phänomenologie behandelt werden können, wo eben ihre evolutionistisch begründete Zusammengesetztheit nachgewiesen werden soll, zu-
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gleich aber aus der Natur der Entwicklung selbst auch die Unbegrenzbarkeit dieses p r i n z i p i e l l e n Prozesses unmittelbar einleuchten wird. Eine subjektive Zweckmäßigkeit der Apperzeption als Prinzip des ästhetischen Wohlgefallens involviert gewissermaßen zugleich einen p r i n z i p i e l l - f o r m a l e n Charakter desselben, insofern es sich nämlich innerhalb dieses Prinzips nur um f u n k t i o n e l l e Verhältnisse handeln kann. Unter der „äußeren Form", verstehen wir hier nun zunächst diejenige Apperzeptionsform, welche sich auf die sinnliche, raum-zeitliche Anschauung bezieht. Der an sich q u a n t i t a t i v determinierte Formbegriff gewinnt in diesem Fall aber dadurch an Umfang, daß auch die S i n n e s q u a l i t ä t e n auf quantitative Verhältnisse zurückgeführt und so auch diese unter ihn gefaßt werden können. Die Berücksichtigung dieser „äußeren Form" reicht aber da nicht hin, wo es sich um ästhetische Gegenstände i n h a l t l i c h e n Charakters handelt. Der Inhalt selbst allerdings stellt in ästhetischer Hinsicht im allgemeinen ein neutrales Gebiet dar und ist an sich nicht als ästhetisches Prinzip zu betrachten. Denn eben darin besteht gerade die künstlerische Leistung: i h n ä s t h e t i s c h zu g e s t a l t e n . Und zwar bezieht sich diese ästhetische Gestaltung vorzüglich auf den der Phantasie entstammenden „ s e l b s t ä n d i g e n " Inhalt, während sie übrigens wiederum auf einem F o r m prinzip beruht, wobei aber der Begriff der „Form" im sublimsten Verstände zu nehmen ist. Vom „selbständigen" muß der „ g e g e n s t ä n d l i c h e "
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Inhalt unterschieden werden, welcher in seiner einfachsten Gestalt einem noch wenig ausgebildeten ästhetischen Bewußtsein eigen zu sein pflegt, sofern als dieses nämlich den Gegenstand von seiner äußeren Erscheinungsform inhaltlich noch nicht zu abstrahieren vermag. Man könnte deshalb hier auch von einer „gegenständlichen Form" sprechen, während dagegen der Begriff der „äußeren Form" noch gar nicht anwendbar ist. Die Darstellung geschieht in diesem Fall bloß aus m a t e r i e l l e m Interesse an dem dargestellten Gegenstand. Wie dieses Prinzip aber einerseits eine untere Grenze der ästhetischen Entwicklung markiert, bewirkt es doch anderseits durch ebenjene materiell-gegenständliche Tendenz einen oft geschickten Naturalismus. Hinsichtlich der ästhetischen Gestaltung des „selbständigen" Inhaltes aber bedarf es zunächst einer Beziehung dieses Inhaltes auf die äußere Form. Und zwar erfolgt dadurch, — bei wirklich künstlerischer Produktion — unter dem regulativen Einfluß der äußeren Form, zugleich eine eigentümliche Umwandlung des Inhaltes selbst, welche eben als Manifestation jenes oben angedeuteten neuen Formprinzips zu verstehen ist. Dieses Prinzip, welches im Unterschied zur „äußeren" ^ls „ i n n e r e F o r m " bezeichnet werden soll, stellt auf solche Weise eine Verbindung her zwischen den äußerlich formalen und den inhaltlichen Elementen, und trägt so den Charakter eines formalen wie den eines inhaltlichen Prinzips in inniger Verquickung. Hinsichtlich der ästhetischen Zweckmäßigkeit bezieht
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es sich auf die assoziative Vorstellungsapperzeption und ist die eigentliche Quelle jener wohlgefälligen psychischen B e l e b u n g , welche die Inhalte in ihrer ästhetischen Darstellung erwecken. Das i n h a l t l i c h e Moment dieses Prinzips besteht darin, daß es die G e f ü h l s w e r t e des Inhaltes hervortreten läßt, während das f o r m a l e in der Art der E i n o r d n u n g der assoziierten Vorstellungen in die schon bestehenden — bis zu gewissem Grade individuell bedingten — Vorstellungsverhältnisse zu sehen ist. Die ästhetische Zweckmäßigkeit mag zum Teil auf einer „Einheit des Mannigfaltigen" beruhen, soweit sich die letztere nämlich entweder auf äußere Wahrnehmungen oder auf Gefühlsasscziationen bezieht; als spezifisch ästhetisches Moment kann sie gleichwohl aber nicht angesehen werden, da sie ebenso auch außerhalb des ästhetischen G e b i e t e s , in Rücksicht auf Faßbarkeit und Zusammenhang, gefordert wird. Die ästhetische Assoziation, welche das Prinzip der i n n e r e n F o r m charakterisiert, ist eigentlich das Entscheidende für den Grad des Gefallens des Inhaltlich-Asthetischen. Hierin ist aber auch zugleich wohl ein Hauptgrund für die Verschiedenheit des ästhetischen Urteils über ein und denselben Gegenstand zu s u c h e n , sofern es nämlich auf die Reichhaltigkeit und Richtung der persönlichen ästhetischen Erfahrung, auf eine gewisse innere Schönheit des G e mütes ankommt, welchen Grad der Belebung dieses durch den Eindruck eines bestimmten ästhetischen Gegenstandes erfährt. Die reichste derartige Belebung
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des Gemüts, die übrigens eine große ästhetische Disposition voraussetzt, ist der ä s t h e t i s c h e E n t h u s i a s m u s . Auf solche Weise aber bildet die innere Form nicht nur die Verbindung zwischen dem äußerlichformalen und dem inhaltlichen Moment des ästhetischen Gegenstandes, sondern zugleich auch die Brücke zur P e r s ö n l i c h k e i t des A u f f a s s e n d e n , zur Individualität, und wird dadurch zum innigsten Band, das uns mit dem Kunstwerk verknüpfen kann. Wenn von der Seite des p r o d u k t i v - ä s t h e t i s c h e n Bewußtseins gesehen, die innere Form die Wandlung bedeutet, welche der Inhalt dadurch erfährt, daß er durch den künstlerischen Geist hindurchgeht, so läßt sich weiter als bestimmender Faktor dieses Vorganges das G e f ü h l s l e b e n erkennen. Aber auch ganz allgemein gründet sich jede Art ästhetischen Verhaltens auf eine B e z i e h u n g d e s G e f ü h l s a u f die o p t i s c h e und akustische V o r s t t l l u n g s t ä t i g k e i t , s o f e r n damit zugleich ein auf r e i n ä s t h e t i s c h e Z w e c k m ä ß i g k e i t g e r i c h t e t e s Wertg e f ü h l v e r b u n d e n wird. Während aber die bloße R e z e p t i v i t ä t auf einer e i n s e i t i g e n Beziehung jener Vorstellungstätigkeiten auf das Gefühl beruht, ist die ästhetische P r o d u k t i o n hinsichtlich des Bewußtwerdens oder „Steigens" einer Mannigfaltigkeit von Vorstellungen bei gewissen Gefühlszuständen in einer ursprünglichen R e z i p r o z i t ä t zwischen Gefühl und Vorstellungstätigkeit begründet. Im Bereich der b i l d e n d e n Kunst, wo eine virtuell angeborene Verknüpfung des Gefühls mit
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R a u m Vorstellungen besteht, tritt übrigens, vorzüglich bei Skulptur und Architektur, noch eine innerhalb der optischen Vosrtellung selbst wieder besonders wirksame Beziehung auf den T a s t s i n n hinzu. Wenn aber schon die Produktion der bildenden Kunst durch das Gefühl bestimmt erscheint, so tritt diese Gefühlsbestimmtheit des künstlerischen Schaffens noch deutlicher bei der M u s i k hervor, wo die Töne, welche sich hier in ursprünglicher Verkettung mit dem G e fühl befinden, — sowenig sie geeignet sind, einzelne Anschauungen oder Begriffe zu tragen, doch leichter und intensiver als die Anschauungsvorstellung G e fühle oder Gefühlsstimmungen zu erwecken vermögen. Und zwar erscheint diese unmittelbare Gefühlswirkung allerdings „in der Übereinstimmung der durch die Musik in uns erzeugten rhythmischen und überhaupt für eine Stimmung charakteristischen Bewegungsverhältnisse mit solchen, welche vorweg in uns mit unsern Stimmungen in natürlicher Beziehung stehen", begründet, wie F e c h n e r 1 , und ähnlich auch schon H e l m h o l t z 8 , einleuchtend bemerkt. Mit Unrecht aber stellt Fechner die rein formalen Verhältnisse, den „direkten F a k t o r ' , als charakteristisch m u s i k a l i s c h e s Moment in G e gensatz zur M a l e r e i , wo er den „assoziativen Faktor" herrschend findet. Wenn nämlich der Sinn des M u s i k e r s für den Eindruck musikalischer Verhältnisse nicht dadurch entwickelt und verfeinert wird, „daß er
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„Vorschule der Ästhetik", 1876, I S. 160. „Die Lehre von den Tonempfindungen" S. 413 ff.
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ihnen je länger je mehr eine assoziative, nicht musikalische Bedeutung abgewinnt, sondern daß er sich immer mehr in das Gebiet der Tonbeziehungen selbst hineinlebt, höhere und verwickeitere Beziehungen dazwischen auffassen lernt, die der rohen ungeübten Auffassung e n t g e h e n " s o gilt dies mutatis mutandis ebenso für die M a l e r e i , wo die Wirkungssphäre des „direkten Faktors" durchaus nicht beschränkter ist als bei der Musik. Die rein formalen Verhältnisse, einschließlich der koloristischen, sind gegenteils in der Malerei oft sogar als allein maßgebend angesehen worden; — jedenfalls aber wird auch hier durch das eingehende Studium vorzüglich der f o r m a l e n Seite das künstlerische Verständnis verfeinert und vertieft, denn überhaupt hängt schließlich doch die ästhetisch-assoziative Belebung selbst, als feinster Schimmer eben an den formalen Verhältnissen. Anderseits aber muß in musikalischer Hinsicht Fechner gegenüber ganz besonders auf die hohen assoziativen Anforderungen hingewiesen werden, welche die moderne „ P r o g r a m m m u s i k " , die sich aus der „illustrierenden" und förmlich zur Assoziation erziehenden, instrumentalen Begleitung der Oper entwickelte, an den Hörer stellt. Eine Mischung des optischen und akustischen Gebietes liegt in der P o e s i e vor. Die reine Anschauung des R a u m e s , als transszendentales Fundament der bildenden Kunst, vereinigt sich hier mit der reinen 1
I. S. 161.
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Anschauung der Z e i t , als dem bloßen Träger der Musik, wonach die Poesie zunächst allerdings nur eine transszendentale Synthese dieser beiden Fundamentalgebiete darstellt. Aber auch in empirischer Hinsicht findet eine Synkretion statt, welche so zu verstehen ist, daß in der Poesie die qualitativen Momente der Raumvorstellung einen bloß ideellen Charakter annehmen, und anderseits die Zeitvorstellung fast ganz abgezogen von den musikalischen Qualitäten auftritt; gleichwohl machen sich diese bei einer auf besonderen Wohllaut angelegten Sprachbehandlung, und insbesondere auch in der Modulation, bis zu gewissem Grade geltend. Als gemeinsames Vorbild aber aller ästhetischen Produktion überhaupt, als ihre Quelle und als Maß ihrer Beurteilung ist das G e f ü h l anzusehen, wobei die Mannigfaltigkeit der optischen und akustischen Vorstellungswelt, die E r s c h e i n u n g s m ö g l i c h k e i t für dasselbe abgibt. Gegenüber diesem gemeinsamen Untergrund des künstlerischen Schaffens besteht das Moment der S p e z i f i k a t i o n bezüglich der verschiedenen Kunstgebiete in dem M a t e r i a l , dem Stoff im technischen Sinne genommen. Wenn nämlich bei der reinen O r n a m e n t i k , als Darstellung der bloßen ä u ß e r e n Form, im t e c h n i s c h e n C h a r a k t e r ihres M a t e r i a l s sich oft sogar deren ganze Bedeutung erschöpft, so erfahren anderseits auch die i n h a l t l i c h e n Elemente, selbst v o r ihrer materiellen Darstellung, bei der noch rein geistigen Gewinnung der i n n e r e n Form, schon
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Einflüsse von technisch-materieller Seite, sofern sich nämlich das produktiv-ästhetische Gefühl zu dem technisch-materiellen Vermögen des Künstlers in reziprokem Verhältnis befindet, oder anders ausgedrückt: sofern die aus dem Gefühl entspringenden Vorstellungen dem Darstellungscharakter derjenigen Kunst sich assimilieren, in Beziehung auf welche, hinsichtlich der künstlerischen Individualität, eine subjektive Potenz der materiellen Darstellung für sie besteht. Hierbei sind übrigens die jeweils materiell schon produzierten inhaltlichen Elemente geeignet, eine leitende und fördernde Rückwirkung auf die noch erst in Bildung* begriffenen auszuüben. Anderseits kann der Fall eintreten, daß die ästhetische Produktion eines für sich schon bestimmt bewußten Inhaltes insofern unter einem Mangel an technischem Können leidet, als nicht nur dieses selbst zur materiellen Darstellung unzureichend ist, sondern schon die durch jene Reziprozität allererst zu erreichende Klärung und Verdeutlichung des Inhaltes, als noch bloßer Vorstellung der Einbildungskraft, und damit zugleich auch die Bildung der inneren Form ausbleibt. Auf Grund dieses prinzipiellen Zusammenhanges kann aber die Frage nach der G r e n z e der Darstellungsfähigkeit der verschiedenen Künste, oder der Abgrenzung der i n h a l t l i c h e n Kunstgebiete gegeneinander, nur eine unbedeutende Rolle spielen. Die Darstellungsmöglichkeiten der verschiedenen Künste bewegen sich infolge der steten technischen Entwicklung ebenso wie derjenigen des ästhetischen Bewußt-
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seins selbst in zu vielfältigen und allmählichen Übergängen, als daß hier eine Begrenzung mit einigem Recht könnte vorgenommen werden. Dies lehrt nicht nur die Betrachtung der ästhetischen Entwicklung selbst, sondern es ergibt sich auch schon von vornherein daraus, daß der Inhalt, welcher durch das Gefühl als durch das eigentlich ästhetische Gestaltungsprinzip, je nach der virtuellen Anlage auf eine der verschiedenen materiellen Darstellungsformen bezogen wird, eben erst durch diese Beziehung die der betreffenden ä u ß e r e n Form entsprechende i n n e r e annimmt, d. h. sich jener künstlerisch einfügt, ohne daß er deshalb zuvor mit Rücksicht hierauf gewählt werden brauchte. Es mag gleichwohl zugegeben werden, daß ein Inhalt unter Umständen an sich schon Eigenschaften aufweisen kann, welche ihn für diese oder jene Darstellungsform besonders empfehlen, ohne daß aber auch hier die Wahl, bei Verlust der künstlerischen Qualität, zwingend erschiene. Man betrachte daraufhin etwa Max K l i n g e r s Radierzyklus „Brahmsphantasie", wo man ein und denselben Grundgedanken in verschiedenen Kunstformen meisterhaft ausgesprochen findet. Schließlich soll noch darauf hingewiesen werden, daß das p r o d u k t i v - ä s t h e t i s c h e Gefühl bei der Malerei „ n a c h d e r N a t u r " , soweit sie echte Kunst ist, ebensogut in Tätigkeit tritt wie bei der sog. „ P h a n t a s i e malerei". Wenn nämlich z. B. in der Landschaftsmalerei die selbständig-inhaltliche Vorstellung durch ein bestimmtes Landschaftsbild vertreten wird, das sich der Maler nach seiner ihm eigentümlichen H a n s B e e r , Ä s t h e t i s c h e Entwicklung.
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Empfindungsrichtung aussucht, so ist es doch nicht dieses an sich, sondern das durch die Einwirkung jener landschaftlichen Natur auf den Künstler von diesem individuellgefühlsmäßig n e u produzierte Landschaftsbild, welches er in der materiell-malerischen Darstellung festzuhalten sucht. Obwohl diese Kunstweise durch die Art ihres Inhaltes jener primitiven, „gegenständlich-inhaltlichen" Kunst, die oben charakterisiert wurde, ähnelt, unterscheidet sie sich von ihr doch sehr wesentlich durch eine aus jenem produktiven Darstellungsprozeß entspringende i n n e r e Form. Deshalb darf aber auch der „Naturmalerei" ebensowenig der Vorwurf „bloßer Kopie", als anderseits derjenige einer Unähnlichkeit des Bildes mit dem betreffenden Vorbild gemacht werden, sofern es sich dabei um rein künstlerische Momente handelt, denn dieses gewann gerade erst durch jene individuelle Neuschöpfung eine innere Form und damit erst seine eigentlich künstlerische Qualität. Im Sinne dieser Auffassung schreibt Giovanni S e g a n t i n i in einem Brief vom 27. Januar 1808: „Wenn ich mit dem Pinsel die Gräser, die Blumen, Tier und Mensch liebkose, und mit dem Pinsel zu den Felsen und dem Himmel emporklettere, so übertrage ich auf alle Dinge, die ich berühre, den b e s s e r e n T e i l von m i r s e l b s t . " 1 Aber auch die K o l o r i s t i k der „Impressionisten" dürfte in dieser Richtung aufzufassen sein. 1
G. Segantinis Schriften und Briefe, 1909, S. 163.
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Für die Erforschung einer Gesetzmäßigkeit im Verlauf der ästhetischen Entwicklung bietet sich als geeignetstes Induktionsmaterial die b i l d e n d e Kunst, und innerhalb dieser nicht zuletzt die O r n a m e n t i k , wie wir gelegentlich der Besprechung von Riegls „Stilfragen" gesehen haben. Die bildende Kunst nämlich hat sowohl infolge der Beschaffenheit ihres Materials, als unterstützt durch die uralte Sitte, Werke der Kleinkunst den Verstorbenen ins Grab mitzugeben, Spuren aus früh- und prähistorischer Zeit hinterlassen, in welche die Überlieferung anderer ästhetischer Betätigungen nicht hinaufreicht. Für eine Untersuchung aber, welche nach Gesetzen der ästhetischen Entwicklung forscht, wird von besonderem Werte sein, eine möglichst l a n g e Entwicklungslinie verfolgen zu können. Doch nicht nur der Überlieferung, sondern auch der Kulturstufe nach scheint die bildende Kunst sich am weitesten rückwärts zu erstrecken, sofern sie nämlich auch bei den gegenwärtigen Primitiven, und zwar bei den noch auf der untersten, der „Jäger"Stufe verharrenden, von allen Kunstzweigen dieser Stufe am meisten ausgebildet zu sein scheint. Wenn aber für die erfolgreiche Entwicklung einer Kunst insbesondere die Möglichkeit der F i x i e r u n g ihrer Erzeugnisse von Bedeutung ist, so leuchtet auch schon vor jener ethnologischen Erfahrung ein, daß Poesie und Musik, die zu ihrer Fixierung einer Schrift bedürfen, in primitiven Kulturen, wo sich höchstens die allerersten Anfänge einer solchen finden, und sie deshalb auf bloß mündliche Überlieferung angewiesen
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sind, notwendig hinter der bildenden Kunst zurückbleiben müssen, die in ihren Produkten selbst schon zugleich ihre Fixierung und damit das Medium ihrer Überlieferung besitzt. Das Fehlen von Dokumenten poetischer und musikalischer Kunst a b s o l u t früher Kultur wird wohl einigermaßen durch die betreffenden Erscheinungen im Kreise der r e l a t i v frühen Kulturen der gegenwärtigen Primitiven ersetzt. Aber wenn sich von diesen auch gewisse Schlüsse auf prähistorische Zeiten ziehen lassen, weil die Völker, je näher sie dem Beginne der Kultur stehen, wo ihr Gesichtskreis noch sehr eng, die psychische Entwicklung noch in ihren Anfängen begriffen ist, desto weniger durch charakteristische Eigentümlichkeiten sich voneinander zu unterscheiden, und daher auch in ihren Kunstäußerungen eng aneinander zu rücken pflegen, so wird doch der Mangel jeder Vergleichungsmöglichkeit dieser Produkte mit solchen absolut früher Kunst in diesem Fall die Induktion noch unsicherer machen, als sie es auf primitiven Kunstgebieten ohnehin schon ist. Große meint allerdings, daß die E t h n o l o g i e imstande sei, „uns primitive Völker (und damit auch die Anfänge der Kunst) im Lichte der Gegenwart zu zeigen" und geht infolge dieser hohen Einschätzung der Ethnologie so weit, selbst die einzigen noch erhaltenen Zeugnisse absolut früher ästhetischer Kultur, die Funde p r ä h i s t o r i s c h e r bildender Kunst als „einen Haufen von mehr oder minder fragmentarischen 1
„Die Anfange der Kunst", S. 31.
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Erzeugnissen" 1 , über deren Entstehungs-Kulturverhältnisse man „stets unbestimmte und oft widersprechende" a Auskunft erhalte, unverwertet beiseite liegen zu lassen. Dagegen muß man dann doch viel eher Hörnes zustimmen, der „kaum ein Gebiet" für möglich hält, „auf welchem Ethnologie und Archäologie (Prähistorie) fruchtbarer miteinander konkurrieren könnten, als das der bildenden Kunst, ihrer Anfänge und ihrer ersten Entwicklung" s . „An absolutem kulturgeschichtlichem Wert", sagt er ferner mit Recht, „sind die Primitiven der Gegenwart den vorgeschichtlichen Menschen nicht gleichzusetzen. Jene sind in primitiven Verhältnissen gealtert, von diesen wissen wir, daß sie aus solchen herausgewachsen sind oder sich in denselben wenigstens nicht mehr fortgepflanzt haben. Es ist nicht wahrscheinlich, daß ein jahrtausendelanges Verharren auf einer und derselben Kulturstufe ohne weitere Wirkung sein sollte."* Wenn nun in der folgenden Untersuchung von den drei Hauptgebieten, den bildenden, dem poetischen und dem musikalischen, das der b i l d e n d e n Kunst in erster Linie herangezogen, von den beiden übrigen aber nur das musikalische noch eingehend betrachtet wird, so dürfte eine solche Zurückstellung der poetischen Entwicklung insofern für die vorliegende 1 2 3
„Die Anfänge der Kunst", S. 21. Ebd. „Urgeschichte der bildenden Kunst in Europa", 1898,
S. 9. 4
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„Grundlegung" motiviert erscheinen, als dieses Gebiet nämlich, trotz des breiten Raumes, den seine Betrachtung notwendig in Anspruch nehmen müßte, dennoch nicht so weit rückwärts verfolgt werden kann wie die bildende Kunst, sondern in dieser Hinsicht etwa mit der musikalischen gleichsteht — aber doch wieder nicht zugleich deren entwicklungsgeschichtliche Einfachheit teilt, und daher auch nicht dieselbe Erleichterung und Kürze der Betrachtung wie diese gewährt. Da endlich das poetische Gebiet als eine Fundamentalsynthese der beiden andern oben dargetan wurde, so darf wohl — falls eine gemeinsame Form der Gesetzmäßigkeit in der bildenden und musikalischen Entwicklung beobachtet werden könnte — diese auf Grund der Einheit des ästhetischen Bewußtseins auch für dessen poetische Erscheinung bis zu gewissem Grade geltend angenommen werden, wie ja auch die ästhetischen Prinzipien keinem Gebiet spezifisch angehören. Die empirische Grundlage für eine ästhetische Theorie, wie sie hier beabsichtigt ist, bilden die Ergebnisse der kunsthistorischen Forschung; und zwar in solcher Weise, daß die Erörterung spezifisch kunstgeschichtlicher Fragen selbst nicht in das Gebiet der Ästhetik hereingezogen wird, weil diese nämlich dadurch nicht nur nicht gefördert, sondern im Gegenteil, ihre Erhebung aus dem empirischen Material nur erschwert würde. Im übrigen wird bei der Betrachtung der frühesten, prähistorisch-ethnologischen Stufen der ästhetischen Entwicklung das empirische Material
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näher beigezogen werden müssen, als bei den historisch helleren Zeiten, weil bei der dort noch herrschenden Dunkelheit und sehr fragmentarischen Überlieferung eine allgemeine Kenntnis dieser Tatsachen nicht mit derselben Zuverlässigkeit vorausgesetzt werden kann, wie bei der historischen Kunst, und demzufolge die aus jenen gewonnenen Abstraktionen sonst leicht eines empirischen Haltes zu entbehren schienen.
IV.
Phänomenologie des ästhetischen Bewußtseins. 1. Die bildnerische Entwicklung. Die e r s t e n A n f ä n g e der b i l d e n d e n K u n s t . Die ersten Anfänge der bildenden Kunst — soweit wir sie bis jetzt zurückverfolgen können — zeigen sich, wie schon oben erwähnt wurde, beherrscht von einem rein i n h a l t l i c h - g e g e n s t ä n d l i c h e n Prinzip. Und zwar „gegenständlich" deshalb, weil hier die Form noch untrennbar mit dem Inhalt verbunden auftritt, in dem Sinne, daß einfach ein Gegenstand der Natur kopiert wird, aber nicht seiner Form, sondern bloß seiner gegenständlichen Bedeutung wegen. Die ä u ß e r e Form ist also in diesem Fall noch unfrei, die i n n e r e fehlt gänzlich. Das Material nun, welches uns diesen Einblick gewährt, liefert einerseits die p r ä h i s t o r i s c h e Forschung, und zwar hinsichtlich der p a l ä o l i t h i s c h e n
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näher beigezogen werden müssen, als bei den historisch helleren Zeiten, weil bei der dort noch herrschenden Dunkelheit und sehr fragmentarischen Überlieferung eine allgemeine Kenntnis dieser Tatsachen nicht mit derselben Zuverlässigkeit vorausgesetzt werden kann, wie bei der historischen Kunst, und demzufolge die aus jenen gewonnenen Abstraktionen sonst leicht eines empirischen Haltes zu entbehren schienen.
IV.
Phänomenologie des ästhetischen Bewußtseins. 1. Die bildnerische Entwicklung. Die e r s t e n A n f ä n g e der b i l d e n d e n K u n s t . Die ersten Anfänge der bildenden Kunst — soweit wir sie bis jetzt zurückverfolgen können — zeigen sich, wie schon oben erwähnt wurde, beherrscht von einem rein i n h a l t l i c h - g e g e n s t ä n d l i c h e n Prinzip. Und zwar „gegenständlich" deshalb, weil hier die Form noch untrennbar mit dem Inhalt verbunden auftritt, in dem Sinne, daß einfach ein Gegenstand der Natur kopiert wird, aber nicht seiner Form, sondern bloß seiner gegenständlichen Bedeutung wegen. Die ä u ß e r e Form ist also in diesem Fall noch unfrei, die i n n e r e fehlt gänzlich. Das Material nun, welches uns diesen Einblick gewährt, liefert einerseits die p r ä h i s t o r i s c h e Forschung, und zwar hinsichtlich der p a l ä o l i t h i s c h e n
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Zeit hauptsächlich die von Edouard P i e t t e geleitete Höhlenuntersuchung in Frankreich, anderseits die E t h n o l o g i e , deren Ergebnisse, soweit sie ästhetisches Interesse haben, sich besonders in dem schon öfter genannten Buche von Ernst G r o ß e , „Die Anfänge der Kunst", zusammengestellt finden. Zunächst wenden wir uns der Betrachtung der paläolithischen Kunsterzeugnisse zu und folgen dabei der relativ zeitlichen Ordnung, in welche P i e t t e 1 die Ergebnisse seiner Ausgrabungen auf Grund der stratigraphischen Verhältnisse bringt. Als älteste bildnerische Erzeugnisse .finden wir hier jene charakteristischen weiblichen M i n i a t u r R u n d f i g u r e n aus Mammut-Elfenbein, welche hauptsächlich aus der „Grotte du Pape" bei Brassempouyen-Chalosse zu Tage gefördert wurden, und deren bekannteste die sog. „Venus von Brassempouy" ist. Die Figuren sind sämtlich nackt und zeigen einen auffallenden Naturalismus, oder besser einen primitiven Realismus. In Bezug auf den inhaltlich-gegenständlichen Charakter dieser und der folgenden paläolithischen Kunstprodukte sagt Hörnes: „Wir dürfen diese Arbeiten einfach auffassen als Darstellungen jener Naturobjekte, die den Mann als solchen und als Jäger am lebhaftesten interessieren, nämlich des W e i b e s und des W i l d e s . Sinnliche Liebe und das Nahrungsbedürfnis sind die Genien dieser Kunst; 1
L'antbropologie, 1904 ff., bei Hörnes, „Urgeschichte der bild. Kunst", S. 42 ff.
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noch steht, wie es scheint, keinerlei religiöse Bedeutung hinter ihren Darstellungen" l . Die Epoche jener Elfenbeinschnitzereien scheint noch keine wirkliche Ornamentik aufzuweisen; man sollte aber auch übrigens schon von vornherein vermuten, daß ornamentale Bildungen, als gewissermaßen „freie" äußere Form, nicht gleichzeitig mit wirklich ersten Anfängen inhaltlich-gegenständlichen Charakters vorkommen werden, weil doch zu jener ornamentalen Abstraktion der Linie vom körperlichen Gegenstand immerhin schon eine ästhetisch selbständigere Tätigkeit gehört, als zur bloß inhaltlich-gegenständlichen Darstellung. Die nächste Stufe, welche Piette aufstellt, ist diejenige der R e l i e f s k u l p t u r ; nach seiner Meinung die künstlerisch bedeutendste Phase der paläolithischen Zeit. Diese Reliefs, welche meist auf Renntiergeweih geschnitzt sind, zeigen im Unterschied von der vorhergehenden Stufe fast ausschließlich T i e r b i l d e r . Daneben finden sich aber nun hier auch schon Ornamente : Voluten, Doppelvoluten und Kreise mit Mittelpunkt ebenfalls in Relief. Es entspricht offenbar dem naturalistischen Charakter der übrigen gleichzeitigen Kunst, wenn hier auch in der Ornamentik die natürlichere geschwungene Linie f r ü h e r als die gerade auftritt. Auch die folgende Epoche, diejenige der g r a v i e r t e n U m r i ß z e i c h n u n g , weist naturalistische Tierbilder auf, die aber hier vom Grund nur wenig 1
„Urgesch. d. bild. Kunst", S. 52.
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abgehoben sind; gleichzeitig damit scheinen jedoch schon die frühesten H ö h l e n w a n d b i l d e r zu sein, welche jene Tierdarstellungen — darunter auch das Mammut — in die Wände der Höhlen in großen Dimensionen eingeritzt und mit Farbe (Ocker und Braunstein) bemalt zeigen. Die Farbe, welche anfangs spärlicher, später mehr in Anwendung kommt, tritt besonders in der folgenden Epoche in den Vordergrund, welche als die B l ü t e z e i t d e r U m r i ß z e i c h n u n g gilt und allgemeiner als die R e n n t i e r z e i t bezeichnet wird. Es ließ sich nämlich feststellen, daß in dieser Zeit das Renntier, welches offenbar infolge klimatischer Veränderungen jetzt häufiger vorkam, als Hauptnahrungstier an die Stelle des wilden Pferdes trat, welches während der vorhergehenden Epochen als Nahrung gedient hatte. Dieser Renntierstufe nun gehört wohl der größte Teil der Höhlenwandbilder an, die zum Teil schon nicht mehr eingeritzt, sondern nur noch „gemalt" werden. Aber z. B. auch die Ritzzeichnungen aus dem „Keßlerloch* bei Thaingen (Kanton Schaffhausen) — worunter ein weidendes Renntier auf einen Knochenstab eingeritzt, für seine Entwicklungsstufe einen Höhepunkt scharfer Beobachtung und zeichnerischer Sicherheit aufweist — gehören hierher. In der Renntierzeit erscheinen ferner auch die ersten Anfänge g e o m e t r i s c h e r Dekoration, entweder selbständig, oder in Verbindung mit naturalistischer Tierdarstellung, wo sie sich dann häufig auf Tierköpfen als Ersatz der naturalistischen Wiedergabe der
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Haare findetl. Die fortschreitende Entwicklung dieser geometrischen Ornamentik, welche im Gegensatz zu der früheren aus meist nur g e r a d l i n i g e n Elementen sich zusammensetzt, ist für uns das wichtigste Moment der folgenden von Piette aufgestellten Epoche der E d e l h i r s c h s t u f e , in welcher Piette anderseits Anzeichen eines Verfalls der naturalistischen Kunst bemerkt, so daß hier also ein allmähliches Zurücksinken des inhaltlich-gegenständlichen Prinzips zu Gunsten des Prinzips der abstrakten äußeren Form zu beobachten wäre. Eine äußerste Grenze erreicht schließlich diese Entwicklung, wie wir später sehen werden, in der n e o l i t h i s c h e n Epoche, wo an Stelle der gänzlich zurücktretenden naturalistischen Darstellung die einseitige Herrschaft des Prinzips der äußeren Form in seiner abstraktesten Erscheinung tritt. Wir haben nun oben die Stufen aufgeführt, in denen sich die paläolithische bildnerische Entwicklung vollzogen hat. Sie zeigten einen allmählichen Übergang von der absoluten Rundplastik zum Hochund Flachrelief und zur Zeichnung (Ritzung), und wenn man will, schließlich zu einer primitiven Malerei. Durch alle diese Phasen sahen wir das inhaltlichgegenständliche Prinzip herrschend, jedoch so, daß in dem allmählichen Aufkommen der Bildnerei in der Fläche der erste Keim einer Verselbständigung der anfangs noch ganz unfreien äußeren Form zu erblicken ist, sofern nämlich in der Flachbildnerei gegen1
Hörnes, „Urgesch. d. b. K." S. 30.
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über der primitiven Plastik schon eine vom materiellkörperlich gegebenen Gegenstand emanzipierte Formanschauung sich ankündigt. Diese Verselbständigung nimmt dann ihren Fortgang, der allerdings zunächst ganz nach der abstrakten Seite hin gerichtet ist, mit der Ausbildung geometrischer Dekorationselemente während der letzten paläolithischen Entwicklungsphasen. Die wachsende Befreiung der äußeren Form bedeutet aber zugleich den Prozeß ihrer Entwicklung zum ästhetischen Prinzip. Eine aus jenen paläolithischen Vorgängen abstrahierte Theorie wird allerdings nur dann auf Geltung Anspruch erheben können, wenn jene Vorgänge nicht ausschließlich in Abhängigkeit von äußeren zeitlich lokalen Einflüssen, sondern infolge i n n e r e r N o t w e n d i g k e i t sich vollzogen haben. In der Annahme aber einer solchen inneren Notwendigkeit können wir uns auf Hörnes stützen, welcher der Ansicht ist, daß der allmähliche Übergang von der anfangs ausschließlich beliebten Rundplastik zur Reliefskulptur und endlich zur linearen Zeichnung vielmehr von dem klimatisch bedingten Wechsel der Arbeitsstoffe (Elfenbein-Renntiergeweih) begleitet und gefördert, als ausschließlich von ihm hervorgerufen wurde, da der Mensch in Knochen und weichem Stein z. B. mit Verschmähung des Renntiergeweihes immerfort ausschließlich Plastik hätte üben können, „wenn er nicht in i n n e r e r Entwicklung zur Bildnerei auf der Fläche gelangt wäre" 1 . 1
„Urgesch. d. b. K.M, S. 43 u. 50.
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Übrigens sind aber auch die Ergebnisse der E t h n o l o g i e auf bildnerischem Gebiete, welche wir jetzt betrachten wollen, geeignet, die innere Notwendigkeit dieser Übergänge einleuchten zu lassen. Für die älteste Form der paläolithischen Bildnerei, die Rundfigur, findet sich unter den gegenwärtigen primitiven Jägervölkern nur bei den H y p e r b o r e e r n eine Parallelerscheinung, welche eine freiplastische Miniatur-Knochenschnitzerei üben 1 . Von diesen Erzeugnissen sind die naturalistischen Tierfiguren mit genauer Naturbeobachtung, die menschlichen Darstellungen dagegen im allgemeinen ziemlich roh ausgeführt. Dennoch scheinen selbst jene weiblichen Figuren von Brassempouy hier ein Analogon zu finden; denn Große spricht von dem Gipsabguß eines von einem Eskimo modellierten weiblichen Rumpfes '(im Universitätsmuseum in Freiburg), „der für die Skizze eines europäischen Bildhauers gelten könnte" a . Die gegenwärtige Kunst der Hyperboreer zeigt aber gleichzeitig schon den Fortschritt zur Bildnerei in der F l ä c h e . Die Zeichnung herrscht hierbei vor, während die Farbe zurücktritt. Wie bei der Plastik, sind die Dimensionen auch hier bescheiden: Die Figuren werden in Miniaturgröße auf einen Walroßzahn geritzt, oder mit rotem Ocker und schwarzer Kohle, die mit Öl vermischt werden, auf ein Stück Walroßhaut gemalt 3 . Und zwar bilden den Gegenstand dieser 1 s 3
Große, „Die Auf. d. K. a , S. 180. „D. Anf. d. K.", S. 181, Anm. Ebd. S. 178.
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Darstellungen Gestalten und Szenen, die dem Hyperboreer aus seinem täglichen Leben vertraut sind 1 . Ausschließlich auf der Stufe der F l a c h b i l d n e r e i finden wir dagegen die A u s t r a l i e r und B u s c h m ä n n e r . In Australien sind Felsskulpturen und Felsmalereien sehr verbreitet; sie beschränken sich zum größten Teil auf die Darstellung e i n z e l n e r Figuren, meist von Tieren, seltener von Menschen 2 , ähnlich den paläolithischen Höhlenwandmalereien. Und zwar scheinen diese einzelfigurigen Monumentaldarstellungen den Fundumständen nach — wie man übrigens, als dem Gang einer natürlichen Entwicklung entsprechend, auch unabhängig von dieser Erfahrung schon vermuten dürfte — einer älteren Zeit anzugehören als die Zeichnungen, welche die Australier auf rußgeschwärzte Rindenstücke einritzen, und welche schon z u s a m m e n h ä n g e n d e Gruppen von Menschen und Tieren in ihrer landschaftlichen Umgebung zeigen 8 . Ebenso wie bei den Australiern finden sich auch bei den Buschmännern in Südafrika zahlreiche naturalistische Felsskulpturen und -maiereien. Die Gegenstände sind dieselben wie in Australien; auch hier stehen die meisten Figuren beziehungslos nebeneinander. In einzelnen Fällen ist jedoch auch der Buschmann zu größeren Kompositionen fortgeschritten, welche durch die außerordentliche Treue und Lebendigkeit, mit der die Bewegungen der Menschen und Tiere wiedergegeben sind, überraschen 4 . 1
2 Ebd. Ebd. S. 167. ' „D. Anf. d. K. Ä , S. 167.
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Ebd. S. 174 u. 177.
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Auf der Stufe der Bildnerei in der Fläche angelangt, beginnt auch die Kunst der gegenwärtigen Primitiven, das Prinzip der f r e i e n äußeren Form in zunächst abstrakter Gestalt herauszubilden, wie wir dies in der paläolithischen Bildnerei schon beobachtet haben. Lag es aber ferner hier schon nahe, daß die je mehr gegen Ende der paläolithischen Epoche, je häufiger auftretenden g e o m e t r i s c h e n Dekorationselemente gewissermaßen von Naturformen abstrahiert waren, d. h. eine Art Stilisierung natürlicher Bildungen darstellten, so hat man eine solche Genealogie der geometrischen Dekoration ganz besonders bei den modernen Naturvölkern beobachten können, deren Ornamente, wie aus den von Große zusammengestellten Ergebnissen der betreffenden Untersuchungen hervorgeht, zum großen Teil als Nachahmungen tierischer oder menschlicher Formen erkannt sind. „Nirgends", sagt Große, „gibt es eine Ornamentik von so ausgeprägt g e o m e t r i s c h e m Charakter als bei den b r a s i l i a n i s c h e n Stämmen. Ihre geradlinigen Muster erinnern einen Europäer, der sie in einem Museum betrachtet, an alles andere eher als an N a t u r f o r m e n A l l e i n E h r e n r e i c h , der sie an Ort und Stelle studierte, hat unwiderleglich nachgewiesen, daß sie trotz alledem nichts mehr und nichts weniger darstellen als Tiere oder Teile von Tieren. „In der Häuptlingshütte der B a k a i r i " , berichtet er 1 , „fanden sich, wie ein Fries an der Wand sich entlang 1
Zeitschrift für Ethnologie, XXII 89.
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ziehend, schwarze Täfelchen aus Baumrinde mit sehr charakteristisch in weißem Ton gemalten Fischfiguren und Muster aller der von den Bakairi verwendeten Ornamente, deren eigentliche Bedeutung wir hierbei leicht ermitteln konnten. Es wurde so die kulturgeschichtlich wichtige Tatsache konstatiert, daß alle als geometrische Figuren erscheinenden Zeichnungen in Wirklichkeit abgekürzte, zum Teil geradezu stilisierte Abbildungen bestimmter, ganz konkreter Gegenstände, meist von Tieren sind." 1 Ähnlich verhält es sich mit den Ornamenten der K a r a y a . Auch hier liegen den „anscheinend völlig willkürlich gewählten geometrischen Kombinationen ganz bestimmte konkrete Vorlagen zugrunde, deren am meisten charakteristische Merkmale darin stilisiert wiedergegeben sind" 2 . Übrigens zeigt die Kunst der Karaya schon (I) eine der n e o l i t h i s c h e n analoge Entwicklungsstufe, nämlich der Alleinherschaft des Prinzips der abstrakten äußeren Form, denn „wirkliche Zeichnungen von Menschen und Tieren, wie wir sie von Buschmännern und Eskimos in vorzüglicher Weise kennen, scheinen bei den Karaya nicht (mehr!) vorzukommen" 8 . Den genannten Beobachtungen über die Entwicklung der Ornamentik schließt sich noch eine Reihe ähnlicher an: „William H o l m e s konnte mittelst der Vergleichung großer Serien nachweisen, daß eine große An1
Bei Große, „Anf. d. K " , S. 114/115. * Ebd. S. 116/117. * Ehrenreich, „Beiträge zur Völkerkunde Brasiliens", 25 (bei Große, S. 116/117).
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zahl anscheinend streng geometrischer Figuren auf i n d i a n i s c h e n Töpferwaren stilisierte Darstellungen des Aligators sind, während andere die Hautzeichnung verschiedener Tiere nachbilden 1 . Hjalmar S t o l p e , der nach derselben Methode die .geometrische' Ornamentik der R a r o t o n g a - T u b u a i - G r u p p e untersuchte, hat es im höchsten Grade wahrscheinlich gemacht, daß ihre Muster fast ausschließlich aus stilisierten menschlichen Figuren zusammengesetzt sind 2 . Und schon früher war es Lane F o x gelungen, ein scheinbar ganz frei konstruiertes Motiv der N e ü - B r i t i a n n i e r auf eine Menschengestalt zurückzuführen." 3 Besondere Schwierigkeit in ihrer Deutung bietet die a u s t r a l i s c h e Ornamentik; denn „die meisten australischen Muster scheinen nur Teile von Tieren, und zwar vor allem ihre Hautzeichnung darzustellen, und in diesem Falle ist es für einen Europäer allerdings zunächst unmöglich, ihre Bedeutung zu erraten, zumal die betreffenden Naturformen fast immer konventionell umgebildet sind" 4 . Auch bei den H y p e r b o r e e r n finden sich neben den meist frei und naturalistisch behandelten Figuren „auch Naturmotive, die (schon!) in einer konventionellen Form erstarrt sind" 6 . 1
„Annual Report of the Bureau of Ethnology", 1884/85. ' „Entwicklungserscheinungen in der Ornamentik der Naturvölker", Wien 1892. • „Anf. d. K.", S. 117. • Ebd. S. 119, nach Bulmer-Brough Smyth. • Ebd. S. 123. H a n s B > e r , Ästhetische E n t w i c k l u n g .
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Diese Übersicht über die evolutionistisch-ästhetischen Ergebnisse der Ethnologie zeigte im wesentlichen bei den gegenwärtigen Primitiven eine der paläolithischen parallele ästhetische Entwicklungserscheinung. Auch hier bildete sich offenbar die Kunst von der naturalistischen Freiplastik über die Darstellung in der Fläche zur geometrischen Ornamentik fort. In gleicher Weise wie der paläolithischen Kunst, darf aber ferner in der naturalistischen Bildnerei der modernen Naturvölker das inhaltlich-gegenständliche Prinzip als herrschend angesehen werden, in welchem Sinne Große versichert, „daß sich für die Bildnerei der Primitiven, von verhältnismäßig sehr geringen Ausnahmen abgesehen, weder ein r e l i g i ö s e r noch irgend ein anderer äußerer Zweck nachweisen läßt"; und daß „wir daher ein volles Recht haben, den zahlreichen Zeugnissen Glauben zu schenken, die uns versichern, daß diese Darstellungen der reinen Lust am Darstellen e n t s p r i n g e n " D a ß es gelungen ist, die geometrische Ornamentik auf Naturmotive zurückzuführen, ist für uns nur insofern wichtig, als damit wenigstens in vielen Fällen nachgewiesen ist, daß dieser Ornamentik, wo sie gegenwärtig allein herrscht, eine naturalistische Kunsit nicht nur v o r a n g i n g , sondern sich auch mit i n n e r e r N o t w e n d i g k e i t zu jener weiterbildete, sofern eben durch jene Beobachtung der Gedanke einer solchen innerlich bedingten, gesetzmäßig-notwendigen Entwicklung beson1
„Anf. d. K.", S. 195/196.
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deres Gewicht erhält. Denn hinsichtlich der geometrischen Ornamentik an und für sich wäre es für uns ganz gleichgültig, woher sie ihre Motive nimmt, wie diese teilweise ja auch der Flechterei entlehnt sein mögen, weil uns an dieser Ornamentik, für sich genommen, einzig und allein interessiert, daß darin das Prinzip der abstrakten äußeren Form zur absoluten Herrschaft gelangt ist. Als konsequente Durchführung der gegen Ende der paläolithischen Epoche auftauchenden g e o m e t r i s c h e n Tendenz ist die bildnerische Kunst der n e o l i t h i s c h e n Kulturstufe oder der j ü n g e r e n S t e i n z e i t zu verstehen. Diese setzt sehr deutlich ein mit einer g e o m e t r i s c h ornamentierten K e r a m i k , welche regelmäßige Muster zeigt aus wechselnden Zusammenstellungen von Punkt und Linie, die leicht vertieften Ornamente häufig mit einer weißen Masse ausgefüllt, während in wirtschaftlicher Beziehung gleichzeitig das erste Aufkommen des A c k e r b a u e s im Gegensatz zum paläolithischen Jägerleben zu bemerken ist. Um aber die Tatsache jener Stilwandlung für unsere Theorie verwerten zu können, muß diesem Wechsel eine kontinuierliche Entwicklung der s e l b e n Träger zugrunde liegen. Wenn nun auch über diesen Punkt noch ziemlich verschiedene Meinungen bestehen, so versichert doch Hörnes, daß hinsichtlich der Frage, ob „zwischen dem Ende der paläolithischen und dem Anfang der neolithischen Entwicklung ein Hiatus oder Kontinuität herrsche, alle in jüngerer Zeit festgestellten Tatsachen nach
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der Richtung der Kontinuität k o n v e r g i e r e n " U n d auch die Ergebnisse der Ethnologie, welche wir oben betrachtet haben, sind geeignet, diese Annahme zu stützen,' wie dieselbe endlich auch bei rein theoretischer Überlegung am meisten einleuchtet. Die neolithische Stufe der ästhetischen Entwicklung bietet nun durchaus nicht, wie es etwa auf den ersten Blick scheinen mag, eine bloße Verarmung und konventionelle Erstarrung des Naturalismus der vorhergehenden. Sie bildete wohl die geometrischen Anfänge der jüngeren paläolithischen Zeit, und damit allerdings deren gegenstandslosestes Produkt fort, aber sie übernahm damit auch dasjenige, worin vom Gegenstand am gründlichsten losgelöste r e i n e F o r m , und zugleich am meisten R e g e l lag. Während bei der primitiv naturalistischen Bildnerei die Darstellungen sich willkürlich über die Fläche hingestreut finden, und nur in seltenen Fällen auf freiplastischem Gebiet die Darstellung den von der Form des Materials gebotenen Verhältnissen notgedrungen angepaßt wird, sind die einfachen geometrischen Ornamente der neolithischen Epoche, oder allgemeiner, der Stufe des Prinzips der abstrakten äußeren Form, dem gegebenen Raum stets in einer seinen Verhältnissen entsprechenden Weise eingefügt. Man geht deshalb nicht zu weit, wenn man hier Spuren bewußter und gewollter Kunst, überlegte Zusammenstellung der einfachen Elemente nach den Gesetzen von Symmetrie 1
„Urgescta. d. b. K.", S. 62.
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und Rhythmus wittert, im Gegensatz zur willkürlichen Unbefangenheit jenes primitiven Realismus der Jägerzeit. Wenn das ästhetische Bewußtsein durch solche Wandlung auch überaus einseitig und dürftig in seinem Ausdruck geworden war, so hatte es doch ein Prinzip hervorgebracht, welches den ersten Anbruch eines bewußt ästhetischen Schaffens bedeutet. Neben dem Prinzip der abstrakten äußeren Form beginnt aber allmählich ein neues i n h a l t l i c h e s Prinzip ganz leise aufzudämmern, nämlich das eines s e l b s t ä n d i g e n Inhaltes, im Unterschied von dem bloß gegenständlichen der primitiv-realistischen Stufe. Aber vergeblich, in den bei gleichzeitiger Herrschaft des abstrakten Formprinzips nur spärlich vorhandenen Ausdrucksformen, eine adäquate Darstellung suchend, verharrt es noch so lange in seiner Dämmerung, bis ihm, durch Bereicherung der äußeren Form, eine entsprechende Ausdrucksmöglichkeit geboten wird. In Bezug auf diese Entwicklung einer neuen Kunst, mit selbständigem Inhalt, sagt Hörnes: „In der Jägerzeit erscheinen das Weib und das Wild nur als Gegegenstände weltlichen Interesses, materiellen Genusses. Den langsamen und mühseligen Aufschwung der Kunst, im Zeitalter der jüngeren Wirtschaftsstufen, charakterisiert dagegen ein wesentlicher Fortschritt in der A u f f a s s u n g der Gegenstände. Die Werke dieser Zeit sind keine Spielereien oder Schulversuche, sondern re I i g i ö s e Kunstwerke. Das Weib ist Stammutter und Göttin, das Tier, die Pflanze, aber auch Bilder vom Menschen selbst erzeugter Gegen-
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stände sind Totems, Attribute, Votivgaben, Symbole usw" 1 : „Kunstwerke" können diese vorwiegend aus Ton, zuweilen auch aus Marmor oder Bronze gefertigten „Idole" nun aber eigentlich nicht genannt werden; selbst noch Anzeichen alter Steinverehrung, bilden sie vielmehr nur den Übergang zu einer selbständig-inhaltlichen „Kunst". Immerhin haben wir hier zum erstenmal eine Bildnerei, welche sich die Darstellung eines Inhaltes der bloßen Einbildungskraft, nämlich eines religiösen, zur Aufgabe stellte. Die Anforderungen an das bildnerische Können waren hier bedeutend größer als bei dem Naturalismus des inhaltlich-gegenständlichen Prinzips der ersten Stufe. Denn da der inhaltliche Gegenstand hier nur in der Phantasie gegeben war, und eine Phantasievorstellung, um sich in der Kunst darstellen zu lassen, erst viel festere und bestimmtere Formen anstreben muß, als sie gewöhnlich ohne diese Tendenz an sich besitzt, so mußte dessen bildnerisch körperlicher Ausdruck bis zu gewissem Grade erst noch gesucht werden. Die Darstellung eines selbständigen Inhaltes machte daher schon an und für sich Schwierigkeiten, ganz abgesehen davon, daß die gleichzeitige, abstrakt determinierte übrige Kunst, bezüglich der äußeren Form, nur kümmerliche Ausdrucksmittel an die Hand gab. Es ist daher kein Wunder, wenn die Kunst dieser ästhetischen Stufe auf selbständig-inhaltlichem Gebiet nur unbeholfene Werke zutage fördert, welche sich 1
„Urgesch. d. b. K.", S. 680/81.
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mit allgemeinen rohen Andeutungen der Gestalt und derjenigen Merkmale begnügen, auf die es bei ihrem besondern Zwecke ankommt. Die ästhetische Entwicklungsstufe nun, welche sich auf das Prinzip der abstrakten äußeren Form gründet und dasjenige des selbständigen Inhaltes auszubilden beginnt, ist durch die prähistorische Forschung bis jetzt in ganz Europa und den Mittelmeerländern nachgewiesen worden, wie man sie anderseits zum Teil auch bei den modernen Primitiven beobachtet hat. Die ältesten Funde, welche bisher in Griechenland und in Italien gemacht wurden, scheinen nicht weiter als bis in diese (neolithische) Epoche zurückzugehen. Wenn aber diese ästhetische Erscheinung in verschiedenen Ländern zu sehr verschiedener Zeit auftrat, und auch verschiedene Dauer gehabt hat, so tut dies ihrer Bedeutung als Ausdruck eines ästhetischen Gesetzes nicht nur keinen Eintrag, sondern legt im Gegenteil eine solche Bedeutung besonders nahe, denn der Gedanke eines Gesetzes bezieht sich nicht auf einen e i n m a l i g e n historischen Prozeß, sondern vielmehr auf die dem besondern Geschehen z e i t l o s zugrunde liegende N o t w e n d i g k e i t . Die ästhetische Stufe, welche wir eben betrachtet haben, zeigt gewissermaßen eine Tendenz des inhaltlich-selbständigen Prinzips, von den anfangs dürftigen Ausdrucksversuchen hinsichtlich der äußeren Form zu einem Naturalismus fortzuschreiten, wie ihn etwa das bloß gegenständliche Prinzip hervorgebracht hatte. Dabei tritt aber das gegenständliche Moment wieder
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mit solcher Gewalt hervor, daß für die Zwecke des inhaltlich-selbständigen Prinzips zunächst nicht viel geleistet wird. Natürlich ist die Ähnlichkeit mit jenem primitiven Realismus nur in rein formal prinzipiellem Sinne zu verstehen. Es sind wesentlich höhere Leistungen, welche diese neue Stufe aufweist. Nicht nur, daß man sich jetzt häufiger und oft, mit vielem Geschick, an zusammenhängende Gruppen und teils schon an Porträtbildnerei wagt, sondern man sucht auch in bewußter Weise jene formalen Momente, welche die geometrische Ornamentik leiteten, so viel als möglich auf die naturalistische Darstellung a n z u w e n d e n , aber hier nicht im Sinne einer Geometrisierung der naturalistischen Bildungen, sondern in dem einer Vereinigung des inhaltlich-gegenständlichen Prinzips mit demjenigen der abstrakten äußeren Form, als rein d e k o r a t i v e s Prinzip verstanden. Die ä g y p t i s c h e K u n s t . Wir wenden uns nun zur Beobachtung dieser neuen Stufe zunächst nach Ä g y p t e n . Hier kamen in der Nähe von Kom-el-achmar Werke einer prähistorischen Zeit (die vor der ersten Dynastie liegt) zum Vorschein, welche, in Erwägung der übrigen Kulturverhältnisse, etwa die ersten Anfänge der neuen Stufe bilden könnten. So schildern die Wandmalereien eines Grabes, in weiß, rot und schwarz ausgeführt, große Nilbarken und ringsum das Leben am Lande, Menschen und Tiere in deutlicher, aber höchst primi-
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tiver Bildersprache 1 . Eine eigentliche Manifestation dieser ästhetischen Stufe ist dagegen erst in der Kunst des a l t e n Reiches zu sehen. Die Malereien und bemalten Flachreliefs, mit denen während dieser Epoche das Innere der Grabkammern geschmückt wurde, und welche das Leben des Verstorbenen, seinen Besitzstand an Herden, Geflügel und Wild schildern, überraschen namentlich durch die vollkommene Wahrheit in der Schilderung der Tierfiguren und verbinden diese Naturtreue inhaltlichgegenständlichen Charakters mit bewußt dekorativer Komposition, d. h. mit dem Prinzip der abstrakten oder r e i n e n äußeren Form, wie wir es in diesem Sinne, zum Unterschied in seiner Funktion als Prinzip des geometrischen Stiles, nennen wollen. Den nämlichen prinzipiellen Vorgang bedeutet es, wenn — wie Riegl bemerkt — „das vegetabilische Motiv bei den Ägyptern zwar seiner g e g e n s t ä n d l i c h e n Bedeutung wegen seine Darstellung fand, diese aber unter strenger Berücksichtigung derjenigen primitiven künstlerischen Postulate erfolgte, die schon dem r e i n d e k o r a t i v e n Bedürfnis des Schmückens zugrunde gelegen waren" 2 . Jener inhaltlich-gegenständliche Naturalismus findet übrigens auch in der freiplastischen Porträtbildnerei des alten Reichs Ausdruck, wo er gleichfalls nicht ohne Einfluß von seiten des dekorativen Prinzips bleibt. Es stimmt endlich mit dem Charakter dieser 1 2
Springer-Michaelis, „Kunstgeschichte", I S. 11. „Stilfragen", S. 44.
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Stufe überein, daß Götterdarstellungen erst während des m i t t l e r e n Reiches mehr hervortreten 1 , insofern nämlich das inhaltlich-selbständige Prinzip auf dieser Stufe zunächst noch niedergehalten wird, bis in dem allmählich zu beträchtlicher Höhe ausgebildeten, und durch das reine Formprinzip seiner gegenständlichen Gebundenheit schon etwas enthobenen Naturalismus, dem selbständigen Inhalt die geeignete Ausdrucksform geboten wird. Die K u n s t d e s g r i e c h i s c h e n
Kulturkreises.
Auf einer, der ägyptischen Kunst des alten Reichs entsprechenden ästhetischen Stufe, steht die ä g ä i s c h m y k e n i s c h e Kunst, weichein den — später — griechischen Bezirken jene einförmige Bildnerei und geometrische Ornamentik der neolithischen Epoche ablöst. In ihr kommt ein lebensvoller Naturalismus zum Durchbruch, der vorwiegend f l ä c h e n bildnerischen Ausdruck findet. Einen Höhepunkt dieser Epoche scheint im besondern die „ägäische" Kunst zu bezeichnen, welche am deutlichsten auf K r e t a (Knosos und Phaistos) beobachtet worden ist. Bei den Wandmalereien der Paläste von Knosos und Phaistos weisen sowohl die lebensgroßen figürlichen Darstellungen, wie die in landschaftlicher Umgebung geschilderten Tierszenen, eine hervorragende Naturwahrheit und künstlerische Freiheit auf 8 . Denselben Charakter trägt 1
Springer-Michaelis, „Handbuch der Kunstgeschichte", I S. 25. * Springer-Michaelis, I S. 94 f.
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auch bie Kleinkunst dieser Epoche. Silberne und goldene Becher werden mit naturalistischen Darstellungen in toreutischer Ausführung, Dolchklingen mit solchen in Metallintarsia verziert. Dabei zeigt sich hier, wie übrigens auch bei den obenerwähnten Wandmalereien, die Vereinigung des Prinzips des gegenständlichen Inhalts mit dem der reinen äußeren Form in einer geschickten Einfügung der Darstellungen in den ihnen bestimmten Raum. So findet sich z. B. bei den tauschierten Dolchklingen ein ganz ähnliches Kompositionsproblem gelöst, wie es die Ausschmückung der Giebelfelder des griechischen Tempels stellte. Auch in der Keramik macht sich der neue Naturalismus geltend, welche, an Stelle der eingekratzten geometrischen Ornamentik der älteren Zeit, eine lebendige, oft polychrome Dekoration aufweist, aus Pflanzen- und Seetangmotiven, untermischt mit Seetieren, besonders Tintenfischen, oder auch figürliche Darstellungen. Mag die ägäisch-mykenische Kunst auch manches fremden Kulturkreisen verdanken, welche in ästhetischer Hinsicht damals schon weiter vorgeschritten waren, so ist dabei doch zu bedenken, daß eine solche Aneignung fremder Errungenschaften, wenn sie, wie hier, offenbar ganz selbständig umgebildet werden, hinsichtlich der ästhetischen Entwicklung als o r i g i n a l e Leistung aufzufassen ist. Schon die Fähigkeit, überhaupt einer Kunstepoche, Symptome einer fremden, weiter vorgeschrittenen Entwicklungsstufe in hohem Grade sich zu assimilieren, beweist, daß sie einen inneren Trieb der Fortbildung selbst schon fühlte, und
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nur die bereits ausgebildet vorgefundenen Darstellungsf o r m e n , nicht aber die P r i n z i p i e n von außen übernahm. Man vergegenwärtige sich in dieser Beziehung die Stellung der einzelnen künstlerischen Persönlichkeit dem gleichzeitigen Kunstmilieu gegenüber. Ihre im einzelnen meist unkontrollierbare Abhängigkeit von den zahlreichen ästhetischen Strömungen ihrer Zeit, wird durch eine Ä Originalgenie"-Theorie entschieden verkannt, weil diese, um die innere Selbständigkeit des Künstlers zu retten, auch seine notwendig-historische Stellung, durch welche doch seine innere Selbständigkeit gar keinen Eintrag erleidet, tilgen zu müssen glaubt. Wie dieser übertriebene Geniekultus, so ist auch die allzukrampfhafte Betonung des a u t o c h t h o n e n Ursprungs seiner ganzen ästhetischen Kultur, die eben beide die Krone nur in der Isol i e r t h e i t sehen, eine Folge irrtümlicher Auffassung der ästhetischen Entwicklungsvorgänge. Die bedeutendsten künstlerischen Blüten sieht man im Gegenteil meist bei t r a n s g r e d i e n t e n Kulturen — wie man sie wohl nennen darf — und nicht bei rein immanenten, soweit solche überhaupt möglich sind, sich entfalten. Man ist daher in Beurteilung einer ästhetischen Entwicklungsstufe, wenigstens in rein prinzipieller Absicht, sehr wohl berechtigt, von fremden Einflüssen, sofern solche als die Entwicklung selbst allererst begründende Komponenten in Betracht kommen sollen, ganz abzusehen. Wir haben die ägäisch-mykenische Kunst als mit der ägyptischen des a l t e n Reichs auf derselben Ent-
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wicklungsstufe stehend bezeichnet. Diese aus den prinzipiellen Verhältnissen sich ergebende S t u f e n gleichheit entspricht jedoch nicht einer historischen G l e i c h z e i t i g k e i t , vielmehr scheint in dieser B e ziehung, parallel mit der ägäisch-mykenischen Kunst, in Ägypten die Kunst des n e u e n Reichs zu gehen, welche in der 18. Dynastie, insbesondere unter Amenophis IV. sogar ägäischen Einfluß aufweist Aber dieser ägyptische Naturalismus, wie er sich z. B. an einem bemalten Gipsestrich im Palast des Amenophis in Tell-el-Amarna findet, unterscheidet sich p r i n z i p i e l l von dem des alten Reichs und vom ägäischen. Denn was hier einem inhaltlich-gegenständlichen Interesse entsprang — wenn sich auch die Darstellung nach dekorativen Grundsätzen richtete —, das gründet sich bei jenem auf ein rein d e k o r a t i v e s . Nicht mehr wird das Prinzip der reinen äußeren Form nur auf die gegenständliche Darstellung a n g e w a n d t , sondern diese hat überhaupt selbst n u r noch d e k o r a t i v e s Interesse. Für eine solch freie Handhabung des ästhetischen Gegenstandes bedarf es aber einer künstlerischen Souveränität über denselben, wie sie auf der ästhetischen Stufe des alten Reichs noch nicht möglich war und auch der ägäisch-mykenischen Kunst wohl nicht in dem Maße eigen gewesen ist, wie sie sich — allerdings unter dem Einfluß der letzteren — in jener ägyptischen Epoche entwickelte. Daß aber dieser ägäische Anstoß hier zu einer Konsequenz 1
Springer-Michaelis, I S. 40.
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führte, welche die ägäische Kunst selbst — wenigstens im Verhältnis zu ihrer an sich schon dekorativeren Veranlagung gegenüber dem stark gegenständlichen Charakter der ägyptischen — noch nicht gezogen hatte, erklärt sich wohl daraus, daß jener naturalistische Dekorationsstil Ägyptens nicht, wie die ägäisch-mykenische Kunst und wahrscheinlich auch die des alten Reichs, auf eine abstrakt-geometrische Epoche folgte, sondern vielmehr auf eine gewisse Erstarrung eines früheren inhaltlich-gegenständlichen Naturalismus und so jene ursprünglich gegenständliche Darstellung zu einem möglichen bloß dekorativen Gebrauche schon überkommen hatte. Auf die ägäisch - mykenische Epoche folgt im griechischen Kulturkreis zunächst eine S t ö r u n g der ästhetischen Entwicklung:, der D i p y l o n s t i l (ca. 1000 bis 700 v. Chr.). Dieser bildet das ästhetische Ergebnis der Völkerverschiebungen auf griechischem Gebiete, welche man als „Dorische Wanderung" zu bezeichnen pflegt. Zwar erhielt sich, wie es scheint, auch während der ägäisch-mykenischen Epoche in der Bauernkeramik das Prinzip der äußeren Form noch in seiner abstrakten Gestalt, insbesondere in „prämykenischer" Variante, und war so allerdings geeignet, den Tendenzen des Dipylonstiles willkommene Nahrung zu bieten; der eigentliche U r s p r u n g aber dieses Stils ist darin zu suchen, daß die Völker, welche jetzt auf griechischem Boden die Oberhand gewannen, selbst noch erst auf der Stufe der geometrischen Ornamentik, d. h. des abstrakten Formprinzips standen, und nun versuchten
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und es auch in der Tat dahin brachten, jene lebendig bewegte Dekoration der ägäisch-mykenischen Zeit in ein starres geometrisches Schema einzuzwengen. Während so zwar alle dem inhaltlich-gegenständlichen Prinzip entsprungene naturalistische Bildung sich verliert und nur noch linear schematisch gebildete Figuren zurückbleiben, zugleich auch die Streifenkomposition und die zahlreichen Füllornamente auf ein primitives ästhetisches Empfinden hinweisen, erhält sich doch das inhaltliche Prinzip an sich in jenem freieren gegenständlichen Sinne der ägäischen Epoche. Bei ungestörter Entwicklung könnte mit dieser Art des gegenständlichen Inhalts nicht eine geometrisierte äußere Form verbunden sein. Ist aber der Dipylon seiner ganzen Natur nach eine B a r b a r i s i e r u n g eines höheren Stiles durch ein Volk, das noch auf der Stufe des abstrakten Formprinzips stand, so kam diese Barbarisierung hier auf dem Boden der höheren Kultur zustande; anders dagegen gestaltet sich — wie wir noch sehen werden — eine solche primitive „Apperzeption" höherer ästhetischer Elemente, wenn sie auf dem Boden der primitiven Kultur erfolgt. Es ist nun im allgemeinen für die Beurteilung einer ästhetischen Erscheinung als Glied einer Entwicklungsreihe wesentlich, ob sich eine Vermittlung zwischen der neuen und der vorhergehenden Epoche finden läßt, weil man sonst, ohne jeden Zusammenhang, die einzelnen ästhetischen Erscheinungen nicht in ein Entwicklungsverhältnis zueinander setzen könnte, wenigsten hätte dann ein solches Verhältnis, logisch
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ausgedrückt, bloß reflexive und nicht konstitutive Geltung. Obwohl aber hier, in Anbetracht der plötzlichen gewaltsamen Störung, ein allmählicher Übergang vom ägäisch-mykenischen zum Dipylonstil naturgemäß kaum zu erwarten ist, scheinen doch Furtwängler und Löschke 1 in dem von ihnen aufgestellten v i e r t e n S t i l der mykenischen Vasen mit Firnismalerei Spuren eines solchen aufgedeckt zu haben. Nach solcher Störung der ästhetischen Entwicklung im griechischen Kulturgebiet beginnt in der folgenden Kunstepoche, dem „ o r i e n t a l i s i e r e n d e n S t i l " (7. und 6. Jahrh. v. Chr.), eine neue Wendung zum Naturalismus, und damit eine Einlenkung in die vom Dipylon durchkreuzte Bahn der früheren Entwicklung. Vieles mag ja diese neue Epoche von Anregungen und Formen dem Orient verdanken, nach welchem sie benannt ist, aber die Weiterentwicklung an sich selbst kann nicht eine bloße Folge jener orientalischen Einflüsse sein, sondern muQ vielmehr auf eine innere S p o n t a n e i t ä t zurückgehen, zumal wenn man die fernere Entwicklung in Betracht zieht. Wäre innerlich keine höhere ästhetische Stufe erreicht worden als die des Dipylon, so hätten die übernommenen Formen notwendig eine geometrische Modifikation erfahren müssen. J e n e barbarische Störung des Dipylon war in dem Entwicklungsmoment eingetreten, als sich das inhaltlich-gegenständliche Prinzip mit dem der reinen äußeren Form, d. h. dem dekorativen Prinzip 1
„Mykenische Vasen", 1886.
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vereinigt hatte, während das inhaltlich-gegenständliche Prinzip seinerseits schon auf größere Zusammenhänge sich bezog; ein s e l b s t ä n d i g e r , allein der Phantasie entstammender Inhalt dagegen schien im allgemeinen hier noch zu fehlen. Dies ist nun aber gerade der Punkt, an welchem die neue Entwicklung einsetzt, denn in der orientalisierenden Epoche finden sich bildnerische Werke m y t h o l o g i s c h e n , d. h. also selbständigen Inhaltes; welche übrigens mit dieser inhaltlichen Selbständigkeit mehr und mehr auch eine natürlich-lebensvolle Darstellung verbinden. Das ästhetische Bewußtsein ist hier bis zu solcher Souveränität über den Naturgegenstand vorgedrungen, daß es denselben als „naturalistische äußere Form" eines s e l b s t ä n d i g e n Inhaltes zu benutzen weiß. Die inhaltlichen Stoffe dieser Bildnerei waren hauptsächlich durch die (epische) Poesie vorgebildet worden; wie es auch aus dem e r z ä h l e n d e n Charakter jener Darstellungen, insbesondere der ionischen, hervorgeht. Die nach Festigung und Dauer ihrer Gebilde strebende Phantasie hatte diese zuerst in dem schmiegsameren Material der Poesie festzuhalten versucht, und erst danach zu größerer Bestimmtheit der Vorstellung fortschreitend, in bildnerische Formen einzugrenzen unternommen. Übrigens bleibt die naturalistische Bildung, außer in ihrer neuen Funktion als „äußere Form", auch noch in ihrem ursprünglichen selbständig prinzipiellen Sinne in der gleichzeitigen inhaltlich-gegenständlichen Bildnerei erhalten. Hans
B a e r , Ästhetische Entwicklung.
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Auf dieser ästhetischen Entwicklungsstufe aber, wo ein selbständiger Inhalt in naturalistischer äußerer Form zur Darstellung gelangt, scheint endlich auch das letzte ästhetische Prinzip, welches zugleich das Hauptmoment aller höheren Kunststufen ausmacht, die „ i n n e r e F o r m " , erstmals durch die Wechselwirkung jener beiden Faktoren hervorgetrieben zu werden. Wenn dagegen, wie oben schon im ersten Abschnitt der Einleitung angedeutet wurde, späterhin auch in der „ N a t u r m a l e r e i " gleicherweise wie bei der Phantasiekunst eine „innere Form" auftritt, so hängt dies mit der größeren Selbständigkeit zusammen, welche die Kunst hier gewonnen hat, indem sie sich zugleich auch mehr und mehr als „freie Kunst" von der „angewandten" oder Dekoration als solcher loslöst. Bei der Phantasiebildnerei aber mochte schon in ihren ersten Anfängen die dekorative Rolle hinter die Bedeutung des Inhaltes zurücktreten, insofern man eben in erster Linie auf Darstellung eines selbständigen Inhaltes bedacht war. Anderseits lag nahe, daß hier, wo der Inhalt, mochte er auch im allgemeinen gegeben sein, doch hinsichtlich seiner besonderen Gestaltung von der Phantasie des Schaffenden produziert werden mußte, von dessen individueller Eigenart (des Empfindens) mehr in die Darstellung überging, als bei der (inhaltlich-gegenständlichen) Naturmalerei jener Frühzeit. Man könnte nun versucht sein, die Eigentümlichkeiten des k o r i n t h i s c h e n , i o n i s c h e n und (alt-) a t t i s c h e n Vasenstiles als eine gewisse Art der inneren
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Form anzusehen, die sich nämlich nicht auf einzelne Individuen, sondern noch auf ganze Kunstkreise beziehen würde, jedoch scheinen diese Stilverschiedenheiten doch mehr auf dem Gebiete der äußeren Form und des Inhaltes selbst zu liegen, als daß sie eigentümliche A u f f a s s u n g e n ein und desselben Inhaltes darstellten, und damit von den lokalen Varianten früherer Stufen sich nicht zu unterscheiden. Dagegen beginnt, — und dies spricht für das Aufkommen des neuen Prinzips — in der orientalisierenden Epoche erstmals die Überlieferung von K ü n s t l e r n a m e n 1 , woraus man wohl mit einiger Sicherheit auf ein Interesse für die produktiv-ästhetische Persönlichkeit schließen darf. Dies Interesse war aber wiederum nur dann möglich, wenn der Künstler seine Individualität dem Kunstwerk aufprägte, wenn eben an der Art seiner Produktion — und wohl nicht bloß in materiell-technischem Sinne — etwas war, woran man ihn erkannte und weshalb man ihn schätzte. Übrigens läßt diese ästhetische Stufe einen gewissen Zusammenhang durchscheinen zwischen der allgemeinen historischen und der i n d i v i d u e l l e n ästhetischen Entwicklung, insofern nämlich auch in dem Bildungsgange des einzelnen Künstlers ebenso erst eine gewisse S o u v e r ä n i t ä t über die Darstellungsformen erreicht sein muß, bevor er imstande ist in der materiellen Darstellung des selbständigen Inhaltes, dessen i n n e r e F o r m zum Ausdruck zu bringen. 1
Springer-Michaelis I S. 139 ff.
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Was nun die Differenzierung der bildenden Kunst, d. h. ihre Entfaltung in verschiedene technisch-materielle Ausdrucksformen anlangt, so bedürfen im Zusammenhang dieser prinzipiellen Untersuchung nur diejenigen bildnerischen Zweige besonderer Berücksichtigung, in welchen sich die ästhetischen Entwicklungsmomente am deutlichsten ausprägen, d. h. welche als Repräsentanten und Anzeichen solcher vornehmlich auftreten. Von der orientalisierenden Epoche führt der Weg zu einer höheren ästhetischen Stufe zunächst über eine Vervollkommnung der naturalistischen äußeren Form, denn gerade dieses Gebiet war von der gewaltsamen Rückbildung des Dipylon vorzüglich betroffen worden. Während nun so bei dem folgenden „schwarzfigurigen" Vasenstil die Personen zwar schon charakteristischer und die Stellungen mannigfaltiger gelangen, wurde doch erst infolge der Ablösung dieses Silhouettenstils durch die „rotfigurige" Malerei eine bessere Zeichnung der Figuren ermöglicht. „Offenen Blickes schauten diese Maler (des rotfigurigen Stils) in das umgebende Leben und entnahmen ihre Stoffe gern der motivreichen Alltagswelt, aber sie machten sich auch mit derselben frischen Kraft an die lebensvolle Umgestaltung des überkommenen Mythenschatzes, dem sie ganz neue, individuelle Gestaltung verliehen." 1 Wir sehen demnach hier beide Prinzipien, das inhaltlich-gegenständliche und das des selbständigen Inhaltes, 1
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n e b e n e i n a n d e r bestehen, wobei allerdings das gegenständliche Prinzip weniger in seinem inhaltlich-gegenständlichen Sinne, als in seinem bloß formalen als naturalistische äußere Form die ästhetische Produktion dieser Stufe zu bestimmen scheint. Und eben auf dem Vermögen freierer natürlicherer Darstellung, welches solcher Schulung an den alltäglichen Gegenständen entsprang, mag auch jene lebendigere Auff a s s u n g der mythologischen Stoffe beruhen. Auf freiplastischem Gebiet war die ästhetische Produktion dieser Stufe immerhin schon imstande, W e r k e wie die Giebelgruppen des Tempels von Ä g i n a zu schaffen, wo die Darstellung mythologischer Szenen ebenso wie die auf dem rein formalen Prinzip b e r u h e n d e Hinpassung der Figuren in den gegebenen Raum schon eine bedeutende Künstlerschaft zeigen. Zugleich mit allmählicher Abstreifungdes archaischen C h a r a k t e r s richtet sich dann die Entwicklung auf eine reichere Ausbildung der inneren Form, welche dadurch ein m e h r persönliches Gepräge erhält. Die Freskomalereien P o l y g n o t s waren nach allem, was wir davon wissen, W e r k e hervorragend künstlerischer, ästhetisch-assoziativer Auffassung, worin das Prinzip der inneren Form schon in seiner belebenden und vertiefenden Eigenschaft wirksam gewesen sein muß, wenngleich sie hinsichtlich der ä u ß e r e n Form noch mit verhältnismäßig bescheidenen, der Freskotechnik entsprechenden Mitteln arbeiteten, und als große Wandgemälde sich eng an die Architektur anschlössen. Bei strenger, aber schöner, ausdrucksvoller Zeichnung,
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verbunden mit idealer Ausprägung der einzelnen Charaktere, vermochte Polygnot große Figurenmassen zu wohlgeordneten und sinnvollen Kompositionen zu vereinen, die bald eine freie Symmetrie, bald feine Beziehungen der einzelnen Gruppen zueinander, bald deutlichen Fortschritt der Handlung erkennen ließen. Im ganzen überwogen die Situationen bei Polygnot die lebhafteren Handlungen. Hoher Inhalt, zumeist der Heroensage entnommen, paarte sich bei ihm mit großer und bestimmter Formgebung 1 . Auch hierneben findet sich eine Kunst mehr auf Grund des gegenständlichen Prinzips, wie sie etwa Dionysius von Kolophon übte, und wie sie auch späterhin als „realistische" Kunst einen dauernden Doppelstrom mit der sogenannten „Ideal'-Kunst bildet. Es wurde aber schon oben angedeutet, daß durch diese Richtung die Darstellungsfähigkeit der idealistischen Kunst wesentlich gefördert wird, indem die im gegenständlichen Prinzip begründete stete Schulung durch Naturstudium eine Vervollkommnung der naturalistischen äußeren Form hervorruft, und so den künstlerischen Ausdruck des selbständigen Inhaltes mehr und mehr einer ungezwungenen Natürlichkeit entgegenführt. Wenn nun aber die verschiedenen Leistungen realistischer Kunst, wie sie sich historisch beobachten lassen, trotz ihrer Mannigfaltigkeit auf ein und demselben Prinzip beruhen und deshalb als gewissermaßen innerprinzipielle Entwicklung, und infolge ihrer vor' Springer-Michaelis I S. 191 ff.
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wiegend technisch-materiellen Natur, für unsre Untersuchung eigentlich nicht in Betracht k o m m e n , so werden doch die bedeutenderen Fortbildungen, sofern sie im Verhältnis einer Reziprozität zum Prinzip der inneren Form stehen, prinzipielles Interesse haben. Besonders die Ausdehnung des Darstellungsgebietes auf p s y c h i s c h e Phänomene, wie sie bei Polygnot doch wohl nur erst in den Anfängen vermutet werden darf, wird für die spätere ästhetische Entwicklung seit den Malern P a r r a s i o s und T i m a n t h e s (zur Zeit des Peloponnesischen Krieges) von der größten Bedeutung. Von der ästhetischen Stufe Polygnots schreitet die Entwicklung fort zur Kunst des P h i d i a s . Und zwar erscheint der künstlerische Ausdruck, welchen die Inhalte bei Phidias finden, in hohem Maße abhängig von der t e c h n i s c h e n Vielseitigkeit und Meisterschaft dieses Künstlers. Der peloponnesische Erzguß, die ionisch-attische Marmorskulptur waren ihm ebenso geläufig wie die chryselephantine Plastik und schließlich auch die Malerei. Und gerade die malerisch-freiere Konzeption scheint das Reizvoll-Neue und Ausdrucksreiche seiner plastischen Kunst auszumachen. Der malerische Zug in der Skulptur bedeutet nun überhaupt eine stärkere Ausbildung der i n n e r e n Form, weil nämlich diese Darstellungsweise mehr als die rein plastische assoziativ anzuregen vermag. Sie ist also von der p r o d u k t i v e n Seite gesehen diejenige Darstellungsweise, welche zur Wiedergabe einer assoziationsreichen Auffassung der Inhalte sich am
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besten eignet. Mit einer wachsenden Vervielfältigung künstlerischer Ausdrucksfähigkeit, in inhaltlichem wie persönlich-charakteristischem Sinne, findet sich daher in der nachperikleischen Zeit gleichmäßig eine zunehmend malerische Tendenz verbunden; bis schließlich in der h e l l e n i s t i s c h e n Epoche alle Richtungen und Stoffkreise der Malerei, soweit nicht ausschließlich malerische Mittel in Frage kommen, in der Skulptur wiederkehren x . Ein charakteristisches Dokument der ästhetischen Entwicklungsstufe des Phidias bietet die künstlerische Verherrlichung der Athena Parthenos auf der Burg von Athen. Dabei gewinnt diese Kunstleistung an Größe, wenn man annehmen darf, daß nicht nur die Statue der Göttin selbst und ihr beziehungsreicher Schmuck, sondern auch die der Architektur des Tempels eingefügten Skulpturen: Metopen, Friesreliefs und Giebelgruppen, der einheitlichen Komposition dieses Künstlers entstammen. Wenn in dieser Zeit das inhaltlich-gegenständliche Prinzip auf plastischem Gebiet seinen Ausdruck etwa durch M y r o n und seine Schule findet, so darf man doch die prinzipiellen Grenzen hinsichtlich der einzelnen Künstler nicht allzuscharf ziehen. Für unsere Untersuchung insbesondere ist es ganz gleichgültig, ob die beiden Prinzipien, das des selbständigen Inhaltes und das inhaltlich-gegenständliche, den einzelnen Künstlern in exklusiv-immanentem oder nur 1
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gewissermaßen transgredientem Sinne z u k o m m e n ; für u n s ist n u r wichtig, daß beide Prinzipien nebeneinander bestehen. Zugleich mit der Verselbständigung der Malerei überhaupt, als T a f e l m a l e r e i , scheint nun auch die inhaltlich-gegenständliche insbesondere eine deutlich e r k e n n b a r e innere Form zu gewinnen. Indem nämlich die Tafelmalerei (des Apollodor von Athen) das Gemälde erstmals selbständig machte, erhielt diese Kunst eine bedeutend größere Beweglichkeit und Freiheit, als die Wand- oder Tonmalerei gestattet hatte, und es ist natürlich, daß hierdurch die Persönlichkeit der einzelnen Künstler in der Produktion überhaupt, und deshalb nun auch in der inhaltlich-gegenständlichen, leichter als zuvor zur Geltung kommen konnte. So war es die Zeit nach Apollodor, wo in der Kunst die einzelnen Persönlichkeiten stärker hervortraten und Anekdoten beliebt w u r d e n , um die verschiedenen Künstler zu charakterisieren Schon oben wurde darauf hingewiesen, daß die Kunst zur Zeit des Peloponnesischen Krieges die Fähigkeit erwarb, psychische Phänomene in einem M a ß e , wie es ihr vorher noch nicht gelungen war, darzustellen. So brachte Parrasios von Ephesos, der das Hauptgewicht auf die Zeichnung in der Malerei legte, die Feinheiten des Gesichtsausdrucks, die Schilderung des jede P e r s o n bezeichnenden C h a r a k t e r s in Zügen und Stellung scharf, bis zur Künstelei zum 1
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A u s d r u c k ä h n l i c h auch der Attiker Timanthes. Wenn aber den Inhalt dieser Knnstwerke vorzüglich m y t h o l o g i s c h e Stoffe bildeten, so möchte man als eigentliche Quelle solcher „psychologischen Richtung" weniger das inhaltlich-gegenständliche Prinzip, als vielmehr eine Vertiefung und Verinnerlichung des Gefühls überhaupt vermuten, zumal bei der Ähnlichkeit der Gegenstände mit denen der gleichzeitigen Tragödie. Denn sofern diese Behandlung zuerst deutlich bei Werken selbständigen Inhaltes auftritt, mußte offenbar die tiefere Auffassung dieser Inhalte das Bedürfnis einer ebenfalls tieferdringenden Ausdrucksweise geweckt und damit den — ohne Naturstudium natürlich nicht möglichen — feineren Ausdruck gefördert haben. In diesem Fall wäre also das inhaltlich-gegenständliche Prinzip bezüglich der äußeren Form nicht selbständig wegweisend vorangegangen, sondern hätte seine Funktion wesentlich im Dienste des selbständigen Inhaltes als naturalistische äußere Form ausgeübt. In dieser ästhetischen Epoche ist nun auch ein deutliches Hervortreten „ästhetischer M o d i f i k a t i o n e n " zu beobachten, welche in prinzipieller Hinsicht dem Gebiet der inneren Form zugehören, während die — hier nicht weiter zu untersuchende — Reihenfolge ihres Auftretens einer gewissen psychologischen Gesetzmäßigkeit zu unterliegen scheint. So findet die p a t h e t i s c h e Modifikation besonders ihren Ausdruck 1
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in den Werken des Malers A r i s t i d e s von Theben und des Bildhauers S k o p a s , der in einer äußerst figurenreichen Gruppe, die wahrscheinlich die Überführung Achills nach der Insel der Seligen darstellte \ ein Werk reichster Phantasie schuf, in welchem er den ganzen Kreis pathetisch-erregter, schwärmender Seewesen zu bewegter Gestaltung heranzog. Wie aber dieses Pathos, so ist auch der Ausdruck zarteren seelischen Empfindens in der Art des P r a x i t e l e s und A p e l l e s eine Erscheinung der immer mannigfaltiger sich gestaltenden inneren Form. In demselben Prinzip ist es ferner begründet, wenn L y s i p p an Stelle des Zeusideals des Phidias dasjenige etwa der vatikanischen Zeusmaske von Ottrikoli setzte, und dies wieder in der Zeit des Hellenismus eine Wandlung erfuhr, wie sie der eichenbekränzte Zeuskopf in Petersburg zeigt. Der nämliche Vorgang ist auch bei der Nike von Samothrake im Vergleich mit der des P ä o n i o s wahrzunehmen. Repräsentieren diese ästhetischen Erscheinungen aber gewissermaßen eine a l l g e m e i n e r e A r t der inneren Form, während diese in ihrer Bedeutung als Hauptmoment der höheren Kunst überhaupt, mehr i n d i v i d u e l l e r Natur ist, so haben beide doch d a s gemeinsam, daß sie ihren spezifischen Charakter einem ästhetisch-assoziativen Durchgang durch das künstlerische Gefühl verdanken. In der hellenistischen Epoche scheint die Modifikation des I d y l l i s c h e n und Heiteren, wie man sie 1
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am bedeutendsten in der großen, öfter wiederholten Nilgruppe verkörpert findet, in den Vordergrund zu rücken, ohne daß dadurch aber die andern Modifikationen verdrängt würden; so behaupteten z. B. die pathetischen Auffassungen daneben durchaus ihre Existenz, wie etwa die Laokoongruppe, der farnesische Stier und die pergamenische Gigantomachie zeigen. Wenn nun seit der Diadochenzeit die beiden bildenden Künste Malerei und Skulptur mehr und mehr einander sich näherten, so spricht eine allmähliche Erhebung des ästhetisch produktiven Bewußtseins über die besonderen Formen materieller Darstellung vollends deutlich in den a l e x a n d r i n i s c h e n Kunstwerken sich aus, welche auch zu den gleichzeitigen l i t e r a r i s c h e n Strömungen noch in enge Beziehung treten. So entsprechen sich etwa die Kreise T h e o k r i t , Boethos, Herondas, Antiphilos. Auf dieser Entwicklungsstufe wendet sich ferner das ästhetische Bewußtsein in einem ganz neuen, vorher nicht zu beobachtenden Sinne der L a n d s c h a f t zu, indem es nämlich die eigenen psychischen Vorgänge in diese projiziert und in ihr wiederfindet. Soweit daher jetzt die ästhetische Produktion die Landschaft zu ihrem Gegenstande macht, verwendet sie dieselbe als S t i m m u n g s a u s d r u c k und begründet damit eine neue bedeutungsvolle Darstellungsweise psychischer Phänomene. Nachdem aber die ästhetische Produktion in der hellenistischen Zeit den Umfang ihres Darstellungsgebietes in ungeahnter Weise erweitert, und zur Darstellung der mehr äußer-
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lich-körperlichen diejenige psychischer Phänomene hinzugefügt hatte und damit vorerst bis zu einer gewissen Grenze gelangt war, konnte ihr dennoch ferneres Streben nach Gebietserweiterung zunächst nur in technisch-materiellem Sinne noch befriedigt werden. So kam sie zu einer oft überreichen und nicht immer geschmackvollen Anwendung der Kunst im täglichen Leben (wie der „Ungekehrte Saal" des S o s o s in Pergamon; ähnlich einer des Herakleitos im Lateran) und ging anderseits so weit, selbst förmliche Gemälde von der Wand als Mosaik auf den Boden zu verlegen. Was eigentlich hauptsächlich auf der ästhetischen Entwicklungsstufe des Hellenismus zwar nicht durchaus neu, aber doch hier erst mit vollem Bewußtsein auftritt, ist das Gefühl der E i n h e i t , der Z u s a m m e n g e h ö r i g k e i t aller besonderen ästhetisch-ethischen Betätigung, das sich eben in der Gemeinsamkeit der inhaltlichen Stoffe und Bestrebungen der verschiedenen Künste, wie es oben angedeutet wurde, erkennen läßt. Die u n i v e r s a l i s t i s c h e Tendenz des ästhetischen Bewußtseins dieser Entwicklungsstufe findet ihren Ausdruck in der S o u v e r ä n i t ä t d e r I n h a l t e über der b e s o n d e r e n materiellen Darstellung. Dabei muß man allerdings für die hellenistische Zeit von der M u s i k , auf die wir später im Zusammenhang kommen werden, noch absehen, welche damals auf ihrer „ h o m o p h o n e n " Stufe kaum imstande war, Produkte von einer den übrigen Kunstleistungen entsprechenden S e l b s t ä n d i g k e i t hervorzubringen.
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Erst allmählich war so das ästhetische Bewußtsein zu solcher Höhe emporgestiegen, daß es die Einzelheit und Besonderung seines materiellen Ausdrucks überragte und sich in der Mannigfaltigkeit seiner Offenbarung selbst wiedererkannte. Byzantinisch-altchristlich, Kunst.
sarazenische
Während die hellenistische Kunst prinzipiell als international hinsichtlich der alten Kulturländer des Mittelmeers gelten kann, zeigt auch die italischrömische Kunst schon vor ihrer hellenistischen Stufe prinzipiell keine Unterschiede von der Entwicklung innerhalb des griechischen Kulturkreises. Besonders seit der griechischen Besiedelung „Großgriechenlands'', die etwa mit dem 8. Jahrhundert, also um die Zeit des o r i e n t a l i s i e r e n d e n Stiles, begann, zeigt sich deutlicher ein Parallelismus der süditalischen und der griechischen Entwicklung in der bildnerischen Kunst. Auch waren bei der Betrachtung der ästhetischen Entwicklung im griechischen Kulturkreis diese italischkolonialen Erscheinungen mitinbegriffen. Mit der h e l l e n i s t i s c h e n Stufe der ästhetischen Entwicklung stehen wir aber, wenigstens in prinzipieller Hinsicht, an einem Kulminationspunkt, über den hinaus die fernere Entwicklung zunächst wieder einen Verlust an prinzipiellen Momenten aufweist; und zwar auch in solchen Gegenden, wo keine b a r b a r i s c h e Störung der Entwicklung eingetreten war. Schon vor dem Sturz des weströmischen Reichs (476
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n. Chr.) stagnierte die Entwicklung der spätrömischen Kunst, seit Konstantin seine Residenz nach Byzanz verlegt hatte (330 n. Chr.). Einerseits handelt es sich hierbei um die neue i n h a l t l i c h e , nämlich c h r i s t l i c h - r e l i g i ö s e Kunst, anderseits um die gleichzeitige Ornamentik, die für die prinzipielle Beurteilung besonders geeignet erscheint. Bei der s e l b s t ä n d i g - i n h a l t l i c h e n Kunst war die naturalistische äußere Form mehr und mehr verloren gegangen und infolge davon auch die „ i n n e r e F o r m " , einer ihrer wichtigsten Quellen beraubt, zurückgetreten. Das Sinken der künstlerischen Fähigkeit zeigt sich also zunächst auf dem Gebiet der n a t u r a l i s t i s c h e n ä u ß e r e n F o r m . In dieser Beziehung sagt R i e g i : „Es ist ein charakteristisches Merkmal der altchristlichen Bildwerke, daß an ihnen gerade auf die eigentlich künstlerischen Momente nur geringer Wert gelegt erscheint. Man suchte irgend eine testamentarische Figur, den Träger irgend einer der neuen religiösen Ideen zu verkörpern: auf Schönheit, Wohllaut, Ebenmaß wurde wenig Gewicht gelegt. Die Form wurde von der Idee totgeschlagen, soweit dies nämlich bei einem Künstler, der wenigstens ä u ß e r l i c h noch unter dem Einflüsse der klassischen Tradition stand, möglich war." 1 Den neuen selbständig-inhaltlichen Forderungen war das naturalistische äußere Formvermögen des ästhetischen Bewußtseins nicht mehr gewachsen, wo1
Vgl. A. Riegl, „Stilfragen" S. 273/74.
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durch eben die Kunst zunächst das eigentlich künstlerische Moment, die innere Form, wieder einbüßte, und die Kluft zwischen äußerer Form und selbständigem Inhalt von neuem zu klaffen drohte. Den Rückgang hinsichtlich der naturalistischen Form erkennt man aber ebenso deutlich an den o r n a m e n t a l e n Erscheinungen, deren Entwicklung in dieser Zeit, wie oben erwähnt wurde, von R i e g l eingehend beobachtet worden ist. Während sich nämlich in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr. in dem Aufkommen des A k a n t h u s o r n a m e n t s offenbar eine naturalisierende Tendenz geltend macht, war man in hellenistischer Zeit bis zur dekorativen Verwendung vegetabilischer Motive in fast völlig natürlicher Gestalt fortgeschritten (z. B. in Pompeji), jedoch immerhin nur vorübergehend. Schon in der späteren römischen Kaiserzeit wird das Akanthusrankenornament in einer Weise verwendet, welche dem naturalistischen Sinn dieses Ornaments widerspricht; eine Funktion, welche in der Natur den Stengeln zukommt, wird hier auf die B l ä t t e r übertragen: „das Akanthusblatt wird unfrei, es verwächst mit der Ranke, wird s e l b s t zur R a n k e , i n d e m es d e r e n v e r b i n d e n d e F u n k t i o n e r f ü l l t " 1 . Jedenfalls war die E n t n a t u r a l i s i e r u n g dieses Dekorationsmotivs in der spätrömischen Zeit so weit angebahnt, daß die nächstfolgenden Epochen, die b y z a n t i n i s c h e Kunst im Osten, die reifere a l t c h r i s t l i c h e im Westen, mit 1
Vgl. Riegl ebd. S. 255.
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ihrer immer größeren Entfernung von der naturalistischen äußeren Form, als konsequente Weiterführung dieser spätrömischen Entwicklungsstufe erscheinen. Wenn schon in der spätrömischen Ornamentik ein der Natur widersprechender Moment in der Übertragung der Funktion der Rankenstengel auf die Akanthusblätter erschien, so verloren diese in der byzantinischen Kunst vollends ihre natürliche Gestalt durch die scharfe Einziehung zwischen den einzelnen ausgezackten Gliedern. Die Ranke wurde dadurch zu einer einzigen Akanthusrippe, von welcher fortlaufend einzelne Zacken abzweigen Das allmähliche Zurücksinken auf das Prinzip der a b s t r a k t e n äußeren Form, soweit es eben auf dieser Stufe geschehen konnte, zeigt sich nun auch darin, daß eine derart fortlaufende Wellenranke in der byzantinischen Kunst dazu diente, nicht nur eine Bordüre, sondern selbst eine g r ö ß e r e I n n e n f l ä c h e in freien Schwingungen auszufüllen 2 . Demselben Prinzip entspringt es, wenn auf dieser Stufe in der nämlichen Weise auch das abstrakte F l e c h t b a n d m o t i v verwendet wird, das noch in hellenistischer Zeit nur als Einfassung, in der späteren Kaiserzeit schon in sehr vermehrter Bänderzahl und sogar schon hier als I n n e n f e l d d e k o r a t i o n diente 3 . Und gerade im letzteren Sinne wird dieses abstraktgeometrisierende Element von der spätantiken Kunst als v o l l w e r t i g e s H a u p t m o t i v hingenommen (die 1 2 3
Vgl. Riegl ebd. S. 280. Ebd. S. 280 Anmerkung. Ebd. S. 267.
H a n s B a e r , Ästhetische Entwicklung.
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Bandverschlingungsornamente auf a l t c h r i s t l i c h e n Sarkophagen und Ambonen, und die byzantinischen Entrelacs Während das ästhetische Bewußtsein im byzantinischen Reiche, obendrein durch mehr außerästhetische ikonoplastische Neigungen gehemmt, keine höhere Stufe mehr zu erreichen vermochte, drang es im Abendlande zu neuer prinzipieller Entfaltung durch. Die abstrakt-geometrisierenden Keime der spätantiken, besonders byzantinischen Ornamentik mußten diese aber besonders einem Volke verwandt erscheinen lassen, das noch auf der Stufe der a b s t r a k t e n ä u ß e r e n Form selbst stand, wie dies bei den nomadischen S a r a z e n e n der Fall war, welche seit dem 7. Jahrhundert n. Chr. die südlichen Mittelmeerländer überschwemmten. Demzufolge konnte sich, trotz der völligen Verschiedenheit der ästhetischen Entwicklungsstufen der spätantiken und der sarazenischen Nomadenvölker, die Bemächtigung der spätantiken, schon nach der abstrakten Seite in Rückbildung begriffenen Ornamentik, durch das Prinzip der bloßen abstrakten äußeren Form der nomadisch-sarazenischen Stufe allerdings in der Weise gestalten, daß „der Unterschied zwischen spätantiker und sarazenischer Ornamentik als ein bloß g r a d u e l l e s , nicht als ein habituelles erscheint" 2. Das Produkt dieser Synthese bildet die »Arab e s k e " , welche in sämtlichen Ländern, die sich 1
Vgl. Riegl ebd. S. 268.
s
Ebd. S. 306.
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der Islam allmählich unterworfen hat, anzutreffen ist, so in Nordafrika und Unterägypten, Syrien, Kleinasien, Mesopotamien und Persien. In diesen Gegenden hatte aber zuvor, wie die Denkmäler beweisen, die hellenistisch-römische vegetabilische Ornamentik geherrscht 1 , wodurch eben die g e n e t i s c h e Abhängigkeit der Arabeske von der hellenistisch-römischen Ornamentik und jener prinzipiell synkretistische Charakter einleuchten wird. Daß anderseits die sarazenischen Eindringlinge — wie es übrigens wohl allgemein bei Nomadenvölkern beobachtet wird — tatsächlich auf der ästhetischen Entwicklungsstufe der abstrakten äußeren Form standen, geht daraus hervor, daß da, wo sie sich nicht den höheren Kulturverhältnissen des eroberten Landes anpaßten, sondern bei ihrer ursprünglichen nomadischen Lebensweise stehen blieben, sie auch ihre heimische, a b s t r a k t - g e o m e t r i s c h e Lineardekoration in ihrer T e p p i c h o r n a m e n t i k beibehielten, wie sie der sogenannte „ Nomadenteppich" großenteils auch heute noch zeigt 2 . Die von der Natürlichkeit des Pflanzenrankenornaments abziehende Wirkung des Prinzips der abstrakten (geometrischen) äußeren Form zeigt sich in der A r a b e s k e darin, daß die Ranken zu l i n e a r e n geometrisierenden Verbindungselementen werden, und in ovalen und gebrochenen Linien sich rollend, mit Unter1 J
Ebd. S. 271. Ebd. S. 345/46.
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drückung der Einzelblätter, zu p o l y p h o n e n symmetrischen K o n f i g u r a t i o n e n sich zusammenschließen. Dabei wird das ursprünglich v e g e t a b i 1 i s c h e Motiv wie ein l e b l o s g e o m e t r i s c h e s behandelt; ein einziges solches Element liegt gewöhnlich einer ganzen Gesamtkomposition zugrunde, indem durch Halbierung oder Verdoppelung ein fortwährender R a p p o r t (regelmäßige Wiederkehr) hergestellt w i r d W e n n dieses Kompositionsmoment nun auch nicht ausschließlich dem geometrischen Stil eigen ist, sich übrigens bei ihm aber schon in „Quadrierung" und ,,Rautennetz" findet, so trägt doch die ü b e r r a g e n d e Stellung, welche es gerade in der sarazenischen Kunst einnimmt, zur Verstärkung des abstrakten Charakters der letzteren bei. Diesen Verhältnissen entspricht es aber auch, daß umgekehrt eine häufigere Anwendung dieses Schemas da zu beobachten ist, wo ein Zurücksinken der naturalistischen äußeren Form eintritt, wie in der b y z a n t i n i s c h e n Kunst 2 . Mit der Entwicklung der sarazenischen Ornamentik haben wir gewissermaßen zugleich diejenige der gesamten bildenden Kunst (in dem hier gebrauchten Sinn mit Ausschluß der Architektur) der nomadischen Völker betrachtet, weil infolge des durch den Islam verfügten B i l d e r v e r b o t e s jene so ziemlich als einzige Betätigung auf ästhetisch-bildnerischem Gebiete übrig blieb. 1 2
Vgl. Riegl ebd. S. 308. Ebd. S. 315.
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Wir verlassen nun diese Entwicklung, welche einen Vorgang in der Art des Dipylonstiles darstellt, sofern nämlich die ästhetisch-prinzipielle Synkretion auf dem Boden der h ö h e r e n Entwicklung stattfand, um zu beobachten, wie sich dieser Vorgang dort gestaltet, wo Elemente einer höheren ästhetischen Stufe von einem tiefer stehenden ästhetischen Bewußtsein auf dem Kulturboden des l e t z t e r e n assimiliert werden. Damit bietet sich uns zugleich Gelegenheit, auch die ästhetische Entwicklung O s t a s i e n s in unsere Untersuchung mit einzuführen. Barbarische
Stile.
Zunächst wenden wir uns hierfür aber nach Mittelund Nordeuropa, wo die ästhetische Entwicklung hinter derjenigen der Mittelmeerländer, mit welchen sie übrigens, wie es scheint, Handelsbeziehungen unterhielten, bedeutend zurückblieb. Auf etwa neolithischgeometrischer Stufe stehend, d. h. unter der Herrschaft des abstrakten äußeren Formprinzips, übernahm diese Kunst von den südlichen weiter vorgeschrittenen Kulturen rein d e k o r a t i v e Elemente, welche eben ihrem prinzipiellen Standpunkt vorzüglich entsprachen. Derartige Kunsterzeugnisse finden sich zunächst in der „ H a l l s t a t t z e i t " (700—400 v.Chr.), welche ihren Namen von dem ersten Fundort (der Reste dieser frühen Eisenzeit) in Hallstatt im Salzkammergut erhielt. Diese Bronze-Eisenzeit hat sich jedoch durch Funde auch an mehreren andern Orten als eine große mitteleuropäische Kultur erwiesen, welche sich
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von den Apenninen bis nach Thüringen erstreckte 1 . Zeugnisse einer eng mit ihr verwandten ästhetischen Stufe liefert die norditalische „ V i l l a n o v a k u n s t " . Aber auch die in Mitteleuropa die Hallstattkunst weiterentwickelnde keltische „La T f e n e - K u n s t " (etwa 400 v. Chr. bis 100 n. Chr.), welche in Frankreich, der Schweiz, Deutschland (bis zur Oder) und Ungarn verbreitet war, gehört in prinzipieller Hinsicht noch auf dieselbe ästhetische Entwicklungsstufe. Was daher H ö r n e s von der letzteren sagt, gilt auch von der Villanova-Hallstattkunst: „Die Kunst der La TfcnePeriode ist charakterisiert durch die Kenntnis fremder, höherer Ausdrucksmittel und durch die Anwendung derselben in barbarischer (d.h. hier: „abstrakt-geometrischer") Weise. Zu diesen Ausdrucksmitteln gehört das stilisierte Pflanzenornament, welches reichlich angewendet wird, aber verkümmert, tot, unverstanden bleibt. Ferner finden sich Menschen- und Tierdarstellungen an Geräten, Gefäßen, Waffen usw. in tektonischer Verwendung als Endungen, Aufsätze, deckende Masken u.dgl., aber in rohester Ausführung." 2 Dabei läßt sich deutlich beobachten, wie die an älteren Stücken noch rein geometrische Ornamentik an den späteren mehr und mehr vegetabilische und figürliche Motive einführt, aber kahl schematisiert, nach dem Prinzip der abstrakten äußeren Form. Während dieses Prinzip sich einerseits besonders 1 Vgl. G.Semper, „Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten", S. 349. * Vgl. Hörnes, „Urgeschichte der bildenden Kunst", S. 677.
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auch in der primitiven S t r e i f e n k o m p o s i t i o n offenbart, zeigt es anderseits seine Unfähigkeit, Naturformen darzustellen, darin, daß es die aus höheren Stilen übernommenen naturalistischen Tierbilder gern mit Ornamenten oder selbst wieder stilisierten Tierbildern übersät und sie in solche nahezu ganz auflöst. Am häufigsten kommt dieses Mißverstehen natürlicher Formen in der Gewohnheit zum Ausdruck, den Tieren vegetabilische Ornamente aus dem Maule entwachsen zu lassen. Die Formen des „La Tfcne"-Stils, welcher sich während der Kaiserzeit als provinzial-römischer Stil weiterentwickelt, bilden die Vorläufer und Stammformen der internationalen römischen Provinzialkunst und der germanischen Kunst der Völkerwanderungszeit 1. Diese Völkerwanderungs- oder „merovingischen" Stilformen aber repräsentieren die nach dem Sturze des weströmischen Reichs (476 n. Chr.) den Norden und Westen ziemlich allgemein beherrschende Kunst. Aber auch dieses ästhetische Produkt der mitteleuropäischen Völker steht noch immer unter dem Zeichen der bloßen äußeren Form, die sich allerdings in ihrer technischen Äußerlichkeit jetzt bedeutend gehoben hat und auch in ihrer prinzipiellen Funktion einen a l l g e m e i n e r d e k o r a t i v e n Charakter trägt. Das Verständnis für die übernommenen Motive fehlt immer noch, weil eben diese Kunst auf einer Stufe steht, 1
Ebd. S. 677/678.
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auf welcher sie noch nicht imstande ist, s e l b s t ä n d i g ähnliche Elemente zu schaffen, wozu sie schon jene zweite naturalistisch gegenständliche Stufe erreicht haben müßte, wie wir sie in der ägäisch-mykenischen Kunst kennen gelernt haben. Die T i e r o r n a m e n t i k , in deren Bevorzugung sich ebenfalls ein primitiver Zug ausspricht, läßt in dieser „merovingischen" Zeit klassisch-südländische Motive erkennen, wie Löwen und Greifen, aber barbarisiert durch fortschreitende Zersetzung, meist s c h l a n g e n f ö r m i g e Z e r d e h n u n g , so daß die an den älteren Arbeiten vielleicht impostierten, noch gut kenntlichen Tiere, bei den jüngeren ihre Ähnlichkeit mit den Vorbildern mehr und mehr v e r l i e r e n W e n n Hörnes daher im Vergleich mit dem V i l l a n o v a H a l l s t a t t - und dem La Tfene-Stil den „ m e r o v i n g i s c h e n " den „dritten Bastard aus klassischer Form und barbarischem Geiste" 4 nennt, so dürfte diese Charakteristik durch obige Ausführung eine prinzipielle Präzision erfahren haben. Es leuchtet übrigens ein, daß die Unfähigkeit des ästhetischen Bewußtseins, Elemente einer um vieles höheren Stufe als es selbst einnimmt, im S i n n e e b e n d i e s e r h ö h e r e n sich zu assimilieren, die i n n e r e S e l b s t ä n d i g k e i t der ästhetischen Entwicklung offenbart. So duldete auch in der m e r o v i n g i s c h e n Zeit die Allmählichkeit dieses Fortbildungsprozesses nicht die plötzliche Einführung eines ihr prinzipiell zwar 1
Vgl. Homes S. 678.
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Ebd. S. 678.
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auf umgekehrtem Wege, nämlich durch Erstarrung entgegenkommenden, aber innerlich doch fremden Stiles, wie es der b y z a n t i n i s c h e war, durch welchen die sog. „ k a r o l i n g i s c h e R e n a i s s a n c e " die merovingischen Kunstformen zu verdrängen suchte, sondern griff unter der dritten Dynastie, den Kapetingern, wieder mehr auf die m e r o v i n g i s c h e n Formen zurück, und entwickelte diese zu dem r o m a n i s c h e n S t i l weiter 1 . Das „fremdartig barbarische, der antiken Bildnerei widersprechende Prinzip der figürlichen und ornamentalen Behandlung, welches Semper 2 in diesen n e u f r ä n k i s c h e n , romanischen Pflanzen- und Tierornamenten findet, erweist sich uns als das Prinzip der b l o ß e n ä u ß e r e n F o r m . Und aus dein Prozeß der Aneignung höherer Formen durch dieses Prinzip ist die eigentümliche Gestalt dieser Stilformen zu erklären. Wenn daher Semper „der Ursprung dieses so eigentümlichen, von der klassischen Tradition unabhängigen Zopfgeflechtes von Drachen und Schlingpflanzen 8 r ä t s e l h a f t " erscheint, „da es zugleich und fast gleicherweise in Irland, in dem tiefen skandinavischen Norden, in dem fränkischen Gallien und in den östlichen Gegenden der Donau als Holzschnitzwerk, als Steinrelief, als Goldschmuck und Metallflächenverzierung, endlich als kalligraphischer Schmuck der (irischen) Manuskripte", auch sogar bei den Mon1
Vgl. G. Semper II 261, Hörnes S. 678. ' Ebd. II 271. 3 Vgl. Semper II 271.
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golen und in C h i n a vorkomme, so liefert diese große Ausdehnung uns gerade einen B e w e i s für die Gesetzmäßigkeit und Notwendigkeit dieses prinzipiellen Vorganges, ohne daß zur Erklärung ein Rekurs auf die „gemeinsame hochasiatische Abkunft" 1 von „Kelten, Germanen und Slaven" erforderlich schiene. China. Wir wollen gegenteils jetzt gerade versuchen, in jenem weltabgelegenen ostasiatischen Kulturkreis, vorzüglich in der ästhetischen Entwicklung C h i n a s , dieselbe Gesetzmäßigkeit nachzuweisen, welche sich uns in den bisher betrachteten Gebieten offenbart hat. Einen kunsthistorischen Gesamtüberblick über diesen Kulturkreis bietet die 1910 erschienene „ C h i n e s i s c h e K u n s t g e s c h i c h t e " von O s k a r M ü n s t e r b e r g . Die ältesten Funde o s t a s i a t i s c h e r Kunstbetätigung wurden bis jetzt in J a p a n gemacht und bestehen in einer K e r a m i k noch ohne Drehscheibe, welche auch durch die gleichzeitig mit ihr vorkommenden Steinwerkzeuge auf eine n e o l i t h i s c h e Entwicklungsstufe hinweist. Dagegen zeigt allerdings ihre O r n a m e n t i k nicht die eigentlich neolithischen Linien- und Punktverzierungen, sondern „ein sehr reich entwickeltes Schema von g e s c h w u n g e n e n L i n i e n , S p i r a l e n und O b l o n g e n , neben p l a s t i s c h e n B u c k e l n und merkwürdig gestalteten Griffen" 4 . Daneben kommen noch 1 2
Vgl. Semper II 271. Vgl. O. Münsterberg, „Chinesische Kunstgeschichte", S.2.
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keine figürlichen oder vegetabilischen Motive vor 1 . Diese Ornamentik trägt danach etwa den Charakter der frühesten Stufen der V i l l a n o v a - H a l l s t a t t k u n s t . Das Vorkommen solcher Formen auf offenbar neolithischer Kulturstufe läßt mit ziemlicher Bestimmtheit auf eine Ü b e r t r a g u n g der M o t i v e schließen. Auf Grund der der Technik des Tonscherbens wenig entsprechenden B u c k e l und G r i f f e schließt Münsterberg auf die Nachahmung älterer, wie er vermutet „prämykenischer"? Bronzevorbilder. Die früheste Stufe der ästhetischen Entwicklung, die wir bis jetzt in Ostasien erreichen können, steht unter der Herrschaft der a b s t r a k t e n ä u ß e r e n F o r m . Sofern wir schon einer reicheren, aus geschwungenen Linien zusammengesetzten Ornamentik begegnen, könnte man auf das Ende dieser Stufe schließen, da aber die Motive offenbar übertragen sind, wird die auch in der folgenden Epoche noch dauernde Alleinherrschaft jenes Prinzips verständlich. Denn die folgende ästhetische Epoche zeigt nicht etwa die Entwicklung eines n e u e n ä s t h e t i s c h e n P r i n z i p s , etwa des naturalistischen mit gegenständlichem Inhalt, sondern sie übernimmt vielmehr auch hier die Produkte dieser Stufe von einer andern — Münsterberg vermutet der „ m y k e n i s c h e n " — Kultur, um sie im Sinne ihres abstrakten Formenprinzips zu verarbeiten. Wenn nun dieses Prinzip auch dazu ausreichte, Motive in der Art des prämykenischen Bronzestils zu übernehmen, 1
Ebd. S. 2.
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die zwar schon eine höhere Entwicklung zeigten, aber doch noch derselben abstrakt formalen Stufe angehörten, so war es dagegen nicht imstande, naturalistische Bildungen in der Art des ägäisch-mykenischen Stiles im S i n n e d i e s e s l e t z t e r e n zu übernehmen. Es entstand deshalb jener barbarische Mischstil daraus, den wir auch in Europa im „LaTöne"-und „merovingischen" Stil gefunden haben. Wie sich schon bei diesen Stilen zeigte, finden Tiermotive am meisten Aufnahme, während Menschendarstellungen zurücktreten und Pflanzen wieder in lineare Bildungen umgewandelt werden. Bei der o s t a s i a t i s c h e n Dekoration nun im besondern lassen sich „geometrische Muster und Tiermotive in stilistischer Form unterscheiden, während Menschenund Pflanzendarstellungen völlig fehlen" 1 . Dabei läßt sich noch keine T i e r g a t t u n g erkennen, sondern nur gehörnte Vierfüßer- oder „Drachen