203 101 3MB
German Pages [341] Year 2010
Grundkurs der Regelungstechnik Einführung in die praktischen und theoretischen Methoden von Prof. Dr.-Ing. Hilmar Jaschek und Prof. Dr.-Ing. Holger Voos
begründet von Prof. Dr.-Ing. Ludwig Merz 15., überarbeitete Auflage
Oldenbourg Verlag München
Prof. Dr.-Ing. Hilmar Jaschek hatte von 1975 bis zu seiner Emeritierung 2001 den Lehrstuhl für Systemtheorie der Elektrotechnik der Universität des Saarlandes inne. Der profilierte Wissenschaftler und Träger des Bundesverdienstkreuzes am Bande war Vorsitzender der Ständigen Kommission des Deutschen Fakultätentages für Elektrotechnik und leitete als Dekan die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät der Universität des Saarlandes. Prof. Dr.-Ing. Holger Voos studierte Elektrotechnik an der Universität des Saarlandes. Danach promovierte und arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Automatisierungstechnik der TU Kaiserslautern. Nach einer Zeit als Systemingenieur bei der Firma Bodensee-Gerätetechnik in Überlingen ist er seit 2004 Professor der Hochschule Ravensburg-Weingarten in der Fakultät für Elektrotechnik und Informatik. Er leitet dort das Labor für Regelungstechnik und Mobile Robotik.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
© 2010 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089) 45051-0 oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Lektorat: Anton Schmid Herstellung: Anna Grosser Coverentwurf: Kochan & Partner, München Gedruckt auf säure- und chlorfreiem Papier Gesamtherstellung: Grafik + Druck, München ISBN 978-3-486-58609-1
Inhaltsverzeichnis Zum Geleit Vorwort zur achten Auflage Vorwort zur fünfzehnten Auflage 1
Einführung in die Regelungstechnik 1.1 Aufgabe der Regelungstechnik . . . . . . . 1.2 Begriffe und Benennungen . . . . . . . . . 1.2.1 Steuerung . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Regelung . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3 Signalflussplan . . . . . . . . . . . 1.3 Bauglieder in Regelkreisen und Steuerketten 1.3.1 Fühler . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1.1 Fühler für Druck . . . . . 1.3.1.2 Fühler für Durchfluss . . 1.3.1.3 Fühler für Füllstand . . . 1.3.1.4 Fühler für Temperatur . . 1.3.1.5 Fühler für Kraft . . . . . 1.3.1.6 Fühler für Drehzahl . . . 1.3.2 Messumformer . . . . . . . . . . . 1.3.3 Sollwerteinsteller . . . . . . . . . . 1.3.4 Summierglied, Vergleicher . . . . . 1.3.5 Zeitglieder . . . . . . . . . . . . . 1.3.6 Regler . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.7 Stellgerät . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Steuer- und Regelaufgaben . . . . . . . . . 1.4.1 Steuerung . . . . . . . . . . . . . .
XI XII XIII
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 2 2 4 7 10 10 10 12 15 16 18 19 20 23 24 24 26 29 34 34
Inhaltsverzeichnis
VI
1.4.2 1.4.3
. . . . . . . . . .
38 40 40 41 42 42 42 44 46 49
Beschreibung des Übertragungsverhaltens 2.1 Beschreibung mit Hilfe von Differenzialgleichungen . . . . . . . . . 2.1.1 Arten von Differenzialgleichungen zur Beschreibung von Regelkreisgliedern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Eigenschaften linearer zeitinvarianter Übertragungsglieder . . 2.1.2.1 Homogenität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2.2 Superposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2.3 Zeitinvarianz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Linearisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3.1 Statischer Zusammenhang gemäß einer stetigen Kennlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3.2 Dynamischer Zusammenhang gemäß einer nichtlinearen Differenzialgleichung . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Lösung von gewöhnlichen linearen Differenzialgleichungen mit konstanten Koeffizienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4.1 Lösung mit Hilfe von Lösungsansätzen . . . . . . . 2.1.4.2 Lösung mit Hilfe der Laplace-Transformation . . . 2.2 Beschreibung mit Hilfe der Übertragungsfunktion . . . . . . . . . . . 2.3 Beschreibung mit Hilfe von Antwortfunktionen . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Impulsfunktion, Impulsantwort . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Sprungfunktion, Sprungantwort . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Anstiegsfunktion, Anstiegsantwort . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.4 Cosinusfunktion, Schwingungsantwort . . . . . . . . . . . .
53 53
1.5
2
Festwertregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . Folgeregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.3.1 Nachlaufregelung . . . . . . . . . . . 1.4.3.2 Verhältnisregelung . . . . . . . . . . . Steuer- und Regelschaltungen . . . . . . . . . . . . . . 1.5.1 Festwertregelschaltungen . . . . . . . . . . . . . 1.5.1.1 Einfachregelkreis . . . . . . . . . . . 1.5.1.2 Einfachregelkreis mit Aufschaltungen 1.5.1.3 Kaskadenregelkreis . . . . . . . . . . 1.5.2 Folgeregelschaltungen . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
53 57 57 57 58 58 59 60 61 61 67 73 74 75 76 77 77
Inhaltsverzeichnis
3
4
VII
Lineare Übertragungsglieder 3.1 Analogien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Verallgemeinerte Größen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Analoge Bauglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.1 Energiequellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.2 Energieverbraucher . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.3 Energiespeicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Entwurf eines mathematischen Modells . . . . . . . . . . . . 3.2 Elementare Übertragungsglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Regelstrecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1.1 Regelstrecken mit proportionalem Verhalten . . . . 3.2.1.2 Regelstrecken mit integrierendem Verhalten . . . . 3.2.2 Regler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.1 Proportional wirkender Regler . . . . . . . . . . . 3.2.2.2 Integrierend wirkender Regler . . . . . . . . . . . . 3.2.2.3 Differenzierend wirkender Regler . . . . . . . . . . 3.2.2.4 Proportional und integrierend wirkender Regler . . 3.2.2.5 Proportional und differenzierend wirkender Regler . 3.2.2.6 Proportional, integrierend und differenzierend wirkender Regler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81 81 82 83 83 84 88 89 93 98 98 106 106 106 110 112 114 118
Simulation des Zeitverhaltens 4.1 Simulatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Analogrechner . . . . . . . . . . . 4.1.2 Digitalrechner . . . . . . . . . . . 4.2 Simulation am Digitalrechner . . . . . . . . 4.2.1 Integrationsverfahren . . . . . . . . 4.2.2 Simulationssoftware . . . . . . . . 4.2.3 Simulation mit MATLAB/Simulink 4.2.3.1 Einführung . . . . . . . . 4.2.3.2 Simulationsumgebung . . 4.2.3.3 Simulationsbeispiel . . . 4.2.4 Simulationsablauf . . . . . . . . .
127 127 127 128 131 131 133 134 134 136 141 145
. . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . .
121
VIII
Inhaltsverzeichnis
5
Grafische Darstellung der Übertragungsfunktion 5.1 Pol-Nullstellen-Verteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Frequenzgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Ortskurve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1.1 Ortskurven elementarer Übertragungsglieder . . . . 5.2.1.2 Ortskurven von Übertragungssystemen . . . . . . . 5.2.2 Frequenzkennlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2.1 Frequenzkennlinien elementarer Übertragungsglieder 5.2.2.2 Konstruktionshilfsmittel für Frequenzkennlinien . . 5.2.2.3 Frequenzkennlinien von Übertragungssystemen . .
147 147 154 157 157 160 162 162 170 172
6
Entwurf von Regelkreisen 6.1 Stabilität, Regelgüte und Empfindlichkeit . . . . . . . . . . . . . 6.1.1 Übertragungsfunktionen des Regelkreises . . . . . . . . . 6.1.2 Stabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.3 Regelgüte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.3.1 Regelgüte im Beharrungszustand . . . . . . . . 6.1.3.2 Regelgüte während des Einschwingvorganges . 6.1.4 Stabilitätskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.4.1 Hurwitz-Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.4.2 Nyquist-Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.5 Empfindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Entwurf von Regelkreisen im Zeitbereich . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Auswahl geeigneter Regler . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2 Vergleich der Wirkung verschiedener Regler . . . . . . . 6.2.2.1 Regelkreis mit P-T3 -Regelstrecke . . . . . . . 6.2.2.2 Regelkreis mit I-T2 -Regelstrecke . . . . . . . . 6.2.3 Günstige Einstellung der Reglerkennwerte . . . . . . . . 6.2.3.1 Einstellregeln nach Ziegler und Nichols . . . . 6.2.3.2 Einstellregeln nach Chien, Hrones und Reswick 6.2.3.3 Einstellregeln nach Kessler . . . . . . . . . . . 6.2.3.4 Einstellregeln nach Naslin . . . . . . . . . . . . 6.3 Entwurf von Regelkreisen im Frequenzbereich . . . . . . . . . . . 6.3.1 Wurzelortsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
177 177 177 180 182 184 188 190 190 193 199 201 202 204 204 217 220 220 224 227 231 234 235
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Inhaltsverzeichnis
6.4
7
IX
6.3.1.1 Definition der Wurzelortskurve . . . . . . 6.3.1.2 Phasenbeziehung und Betragsbeziehung . 6.3.1.3 Konstruktionsregeln für Wurzelortskurven 6.3.1.4 Reglerentwurf . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2 Frequenzkennlinienverfahren . . . . . . . . . . . . . 6.3.2.1 Spezifikationen . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2.2 Reglerentwurf . . . . . . . . . . . . . . . Auslegung von Regelschaltungen . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1 Einfachregelkreis mit Störgrößenaufschaltung . . . . 6.4.1.1 Aufschaltung auf den Reglerausgang . . . 6.4.1.2 Aufschaltung auf den Reglereingang . . . 6.4.2 Einfachregelkreis mit Hilfsgrößenaufschaltung . . . 6.4.3 Kaskadenregelkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Abtastsysteme 7.1 Beschreibung von Abtastvorgängen . . . 7.2 Einführung in die z-Transformation . . . 7.2.1 Definition . . . . . . . . . . . . . 7.2.2 Korrespondenzen . . . . . . . . . 7.2.3 Rechenregeln . . . . . . . . . . . 7.2.4 z-Übertragungsfunktion . . . . . 7.3 Digitale Regelungen . . . . . . . . . . . 7.3.1 Aufbau des Regelkreises . . . . . 7.3.2 Stabilität . . . . . . . . . . . . . 7.3.3 Quasikontinuierlicher Abtastregler 7.3.4 Kompensationsregler . . . . . . . 7.3.5 Regler für endliche Einstellzeit . . 7.4 Realisierung digitaler Regelungen . . . .
. . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . .
235 236 238 245 250 250 258 267 267 267 269 270 271
. . . . . . . . . . . . .
275 275 283 283 284 287 293 296 296 299 301 305 306 310
Literaturverzeichnis
315
Sachverzeichnis
319
Zum Geleit Es ist ein oft zu hörendes Vorurteil, die Regelungstechnik sei eine begrifflich besonders schwierige, vornehmlich mathematische Ingenieurwissenschaft, die nur von Spezialisten mit Erfolg ausgeübt werden könne. Gewiss, es gibt beispielsweise in der Kybernetik der Luft- und Raumfahrt Regelaufgaben, die nur mit einem großen Einsatz theoretischer und praktischer Mathematik von einem Team von Spezialisten gelöst worden sind. Für die vielen Ingenieure, die im Zeichen der Automatisierung mit Aufgaben konfrontiert sind, Festwertregelungen in Industriebetrieben zu planen, zu entwerfen, zu betreiben und zu verbessern, ist es dagegen viel wichtiger, dass sie sich in der grundlegenden Methodik des Steuerns und Regelns wirklich auskennen. Dies bedeutet, dass sie verstehen müssen, die Fundamentalmethoden der Regelungstechnik differenziert einzusetzen, dass sie lernen, Regelsysteme aus Subsystemen aufzubauen sowie Regelungen und Steuerungen derart zu kombinieren, dass die Regelvorgänge optimal ablaufen. Um die Güte und Stabilität der Regelabläufe zu beurteilen, bedarf es indessen nur eines bescheidenen Aufwandes an Mathematik. Diese Erkenntnisse in anschaulicher Weise zu vermitteln, war von jeher das Hauptanliegen dieses Buches. Wie ich im Jahre 1985 von meinem Lehrer, Herrn o. Prof. Dr.-Ing. Ludwig Merz das Buch Grundkurs der Regelungstechnik übernommen habe, so freut es mich, dass ich jetzt einen ausgezeichneten, an Jahren jüngeren Kollegen, meinen Schüler Herrn Dr.Ing. Holger Voos, heute Professor für Regelungstechnik und Mobile Robotik an der Hochschule Ravensburg-Weingarten, gewinnen konnte, das Überleben dieses erfolgreichen Buches zu sichern und den Inhalt entsprechend der Fortentwicklung zu überarbeiten. Ich hoffe, dass auch diese 15. Auflage des Buches den Zugang zur Regelungstechnik erleichtern und Studierenden wie Berufstätigen eine wertvolle Hilfe sein wird. Saarbrücken, im Juli 2009
Hilmar Jaschek
XII
Vorwort
Vorwort zur achten Auflage Dieses Buch, dessen erste Auflage vor mehr als zwanzig Jahren erschienen ist, wurde im Laufe der Zeit mehrmals überarbeitet und neu verfasst. Um den heutigen Anforderungen in Ausbildung und Praxis gerecht zu werden, wurde die vorliegende achte Auflage völlig neu gestaltet. Dabei wurde das Ziel des Buches beibehalten, die Grundlagen der Regelungstechnik exakt, praxisnah, anschaulich und verständlich darzustellen. Das Buch soll wie bisher den Studierenden die Mitarbeit in den Vorlesungen erleichtern und den im Beruf stehenden Ingenieuren bei der Lösung praktischer Probleme behilflich sein. In Verbindung mit dem Buch „Übungsaufgaben zum Grundkurs der Regelungstechnik“ eignet es sich auch zum Selbststudium. Das Buch behandelt vorwiegend lineare zeitinvariante kontinuierliche Regelsysteme. Dabei wird bewusst eine ingenieurmäßige Darstellung gewählt und weitgehend auf mathematische Ableitungen und Beweise verzichtet. Durch zahlreiche praktische Beispiele wird der dargebotene Stoff vertieft und damit das Einprägen wichtiger Verfahren und Erkenntnisse erleichtert. Das erste Kapitel führt in die Regelungstechnik ein. Es erklärt Grundbegriffe, beschreibt Bauglieder in Regelkreisen und erläutert Steuer- und Regeleinrichtungen zur Lösung von Regelaufgaben. Im zweiten Kapitel wird gezeigt, wie das Verhalten technischer Systeme analytisch durch Differenzialgleichungen und Übertragungsfunktionen sowie experimentell durch Antwortfunktionen ermittelt werden kann. Das dritte Kapitel arbeitet zunächst die Analogien bei den physikalischen Größen und Baugliedern von Systemen der verschiedenen technischen Gebiete heraus und beschreibt dann allgemein das Verhalten von Regelstrecken und Reglern. Die grafische Darstellung der Übertragungsfunktion als Pol-Nullstellen-Verteilung und als Frequenzgang wird im vierten Kapitel erläutert. Damit sind alle Voraussetzungen gegeben, um im fünften Kapitel aufzuzeigen, wie Regelkreise entworfen werden können. Nach Darlegung von Stabilität, Regelgüte und Empfindlichkeit wird der Entwurf von stetigen Reglern im Zeitbereich anhand von Einstellregeln sowie im Frequenzbereich anhand des Wurzelorts- und des Frequenzkennlinienverfahrens behandelt. Es folgt der Entwurf von Regelkreisen mit schaltenden Reglern und die Auslegung von Regelschaltungen ein- und mehrschleifiger Regelkreise. Den Abschluss des Buches bildet im sechsten Kapitel eine Einführung in die Prozesslenkung mit Digitalrechnern.
Vorwort
XIII
Mein herzlicher Dank gilt vor allem meinem Lehrer und Freund, Herrn em. o. Professor Dr.-Ing. L. Merz, für das Vertrauen, das mir durch die Übergabe seines so erfolgreichen Buches zuteil wird. Meinen Mitarbeitern, insbesondere meinem früheren Mitarbeiter, Herrn Dipl.-Ing. M. Seiermann, danke ich für anregende Diskussionen und zahlreiche Verbesserungsvorschläge. Nicht zuletzt gebührt dem Verlag R. Oldenbourg mein Dank für das gezeigte Interesse und die wohlwollende Unterstützung bei der Neugestaltung des Buches. Saarbrücken, im Mai 1985
H. Jaschek
Vorwort zur fünfzehnten Auflage Dieses Buch, dessen erste Auflage vor mittlerweile mehr als vierzig Jahren erschienen ist, stellt ein bewährtes Standardwerk der Regelungstechnik dar. Es wurde im Laufe der Zeit immer wieder überarbeitet und mehrmals neu verfasst, um es kontinuierlich an die sich ständig verändernden Anforderungen in Ausbildung und Praxis anzupassen. Gleichzeitig wurde aber immer das grundlegende Ziel des Buches beibehalten, die Grundlagen der Regelungstechnik exakt, praxisnah, anschaulich und verständlich zu vermitteln. Die vorliegende fünfzehnte Auflage ist eine vollständig überarbeitete Neuauflage. Hierbei wurden gegenüber der letzten Auflage insbesondere die Weiterentwicklungen im Bereich der Software zur Lösung regelungstechnischer Probleme und der Simulationsumgebungen zur Simulation des Zeitverhaltens dynamischer Systeme berücksichtigt. Um das Verständnis des Stoffes zu fördern, enthält auch diese Auflage eine nochmals vergrößerte Anzahl von Beispielen, die durch einen anderen Schrifttyp kenntlich gemacht sind. Ich selbst habe als Student mit Hilfe dieses Buches die Grundlagen der Regelungstechnik erlernt, später in der Berufspraxis war es mir immer eine wertvolle Hilfe und heute verwende ich dieses Buch mit Erfolg in der Lehre im Rahmen meiner eigenen Vorlesung der Mess- und Regelungstechnik. Es war mir daher eine besondere Ehre und große Freude, dass mir mein verehrter Lehrer, Herr Prof. em. Dr.-Ing. H. Jaschek, die Möglichkeit anbot, sein so erfolgreiches Buch zu überarbeiten und dessen Zukunft langfristig zu sichern. Für dieses in mich gesetzte Vertrauen möchte ich mich ganz
XIV
Vorwort
besonders bedanken. Weiterhin gilt mein Dank dem Verlag. R. Oldenbourg für das ungebrochene Interesse an diesem Buch und Herrn A. Schmid für die stets freundliche und konstruktive Zusammenarbeit. Ich hoffe, dass auch diese Auflage des Buches Studierenden und Beruftstätigen den Einstieg in die Regelungstechnik erleichtert und ihr Interesse für diese spannende und vielseitige Ingenieurwissenschaft nachhaltig weckt. Weingarten, im Juli 2009
H. Voos
Kapitel 1 Einführung in die Regelungstechnik 1.1 Aufgabe der Regelungstechnik Aufgabe der Regelungstechnik ist es, geeignete Methoden und Verfahren bereitzustellen, mit deren Hilfe das Verhalten technischer Systeme untersucht und beeinflusst werden kann. Ein Brotröster, ein Fernsehapparat, ein Flugzeug, ein Dampfkraftwerk sind Beispiele für technische Systeme. Unter einem System versteht man also ein geordnetes und gegliedertes Ganzes, ein Gefüge von Teilen, die zusammenwirken, um einen ganz bestimmten Zweck zu erfüllen. Das Verhalten eines Systems wird durch die physikalischen Gesetzmäßigkeiten zwischen den einzelnen Größen des Systems bestimmt. Diese Beziehungen, die sich gleichungsmäßig angeben lassen, stellen ein abstraktes mathematisches Modell dar, welches das Verhalten des Systems beschreibt. Durch Lösen der Gleichungen für vorgegebene Anfangszustände und Eingangsgrößen kann das Systemverhalten ermittelt und analysiert werden. Entspricht das Systemverhalten nicht den gestellten Anforderungen, so müssen geeignete Steuer- und Regeleinrichtungen für das System vorgesehen werden, um das gewünschte Verhalten zu erzwingen. Für das Funktionieren eines Systems kann es z. B. notwendig sein, dass trotz störender Einflüsse von innen und außen bestimmte Größen des Systems in Abhängigkeit zu anderen gebracht oder konstant gehalten werden, oder ihnen ein ganz bestimmtes Zeitverhalten aufgeprägt wird. Am Beispiel eines Dampfkraftwerkes soll dies verdeutlicht werden. Zweck eines Dampfkraftwerkes ist es, im Dampferzeuger die latente Energie des fossilen Brennstoffes als Wärmeenergie freizusetzen und sie auf das Arbeitsmittel Wasser zu übertragen, so dass der Turbine Energie in Form eines Dampfstromes, der unter hohem Druck und hoher Temperatur steht, zur Verfügung gestellt und in ihr in kinetische Energie umgewandelt wird. Im Generator, der mit der Turbine starr gekuppelt ist, wird schließlich die kinetische Energie in elektrische Energie bestimmter Qualität
1 Einführung in die Regelungstechnik
2
in Bezug auf Spannung und Frequenz umgeformt und über das Hochspannungsnetz an die Verbraucher verteilt. Um im Feuerraum des Dampferzeugers eine günstige Verbrennung zu gewährleisten, müssen der Brennstoffstrom und der Luftstrom in ein bestimmtes Verhältnis zueinander gebracht werden. Damit Dampferzeuger und Turbine nicht überlastet werden, müssen u. a. Dampfdruck und Dampftemperatur auf vorgegebenen Werten konstant gehalten werden. Da elektrische Energie nicht in großem Umfang speicherbar ist, muss die augenblicklich erzeugte Leistung und damit auch der Dampfstrom laufend dem unterschiedlichen tageszeitlichen Bedarf der Verbraucher angepasst werden. Um diese geschilderten Aufgaben auch unter dem Einfluss von Störungen, wie z. B. veränderlichem Heizwert des Brennstoffes, lösen zu können, müssen geeignete Steuer- und Regeleinrichtungen zur Aufrechterhaltung des gewünschten Systemzustandes vorgesehen werden. Dabei ist es für das Funktionieren des Systems von ausschlaggebender Bedeutung, dass die von den Einrichtungen automatisch durchzuführenden Maßnahmen zum richtigen Zeitpunkt, an richtiger Stelle und in richtiger Dosierung eingeleitet werden. Im Folgenden werden zunächst die wichtigsten Begriffe und Benennungen der Regelungstechnik erläutert, die Bauglieder in Regelkreisen dargestellt und dann Steuer- und Regelschaltungen zur Lösung von Regelaufgaben beschrieben.
1.2
Begriffe und Benennungen
Die Bezeichnungen der Steuerungs- und Regelungstechnik sind in einer Norm [4] festgelegt. Die wichtigsten Begriffe werden im Folgenden zusammengestellt und erläutert.
1.2.1
Steuerung
Die Steuerung ist der Vorgang in einem System, bei dem eine oder mehrere Größen als Eingangsgrößen (Eingangssignale) andere Größen als Ausgangsgrößen (Ausgangssignale) auf Grund der dem System eigentümlichen Gesetzmäßigkeit beeinflussen.
1.2 Begriffe und Benennungen
3
Kennzeichen für das Steuern ist der offene Wirkungsablauf über das einzelne Übertragungsglied oder die Steuerkette (Bild 1.2.1). xe
xa
Bild 1.2.1 Steuerkette Die wirkungsmäßige Abhängigkeit eines Ausgangssignals von dem Eingangssignal desselben Übertragungsgliedes wird sinnbildlich vorzugsweise durch ein Rechteck, in diesem Zusammenhang Übertragungsblock genannt, dargestellt. An dieses schließt für jedes Signal eine Wirkungslinie an, an der durch Pfeilspitzen in der Wirkungsrichtung angegeben wird, ob es sich um das Ausgangssignal oder das Eingangssignal handelt (Bild 1.2.2). xe xa F
xe
Eingangsgröße, Eingangssignal, Ursache Ausgangsgröße, Ausgangssignal, Wirkung Übertragungsfunktion, Abbildungsfunktion der Eingangsgröße auf die Ausgangsgröße Wirkungsrichtung
F
xa
xa = F · xe
Bild 1.2.2 Übertragungsglied In einem Drosselventil z. B. steuert die Stellung des Ventilkegels den Durchfluss. Die eingebaute Gesetzmäßigkeit zwischen Ventilstellung H und Durchfluss q ist durch die Form des Ventilkegels und der Sitzflächen gegeben (Bild 1.2.3). Bei einem Hebel bestimmt das Verhältnis der Hebelarme das Steuergesetz (Bild 1.2.4). a)
q/q0 1
H
b)
c)
H q 1
Bild 1.2.3 Drosselventil a) Aufbau b) Ventilkennlinien c) Übertragungsblock
H/H0
q
1 Einführung in die Regelungstechnik
4
a)
b)
l1
Weg xe
l2
Weg xa
b
c)
xa =
l2 · xe l1
xe
xa
Bild 1.2.4 Hebel a) Aufbau b) Gleichung c) Übertragungsblock
1.2.2
Regelung
Die Regelung ist ein Vorgang, bei dem eine Größe, die zu regelnde Größe (Regelgröße) fortlaufend erfasst, mit einer anderen Größe, der Führungsgröße, verglichen und abhängig vom Ergebnis dieses Vergleiches im Sinne einer Angleichung an die Führungsgröße beeinflusst wird. Der sich dabei ergebende Wirkungsablauf findet in einem geschlossenen Kreis, dem Regelkreis, statt (Bild 1.2.5). zx
zy xd
w −
Regler
y
Regelstrecke
x b
Rückführung w x xd y zx zy
Führungsgröße, Sollwert Regelgröße, Istwert Regeldifferenz: xd = w − x Stellgröße Laststörgröße Versorgungsstörgröße
Bild 1.2.5 Regelkreis
Die Regelung hat die Aufgabe, trotz störender Einflüsse den Wert der Regelgröße an den durch die Führungsgröße vorgegebenen Wert anzugleichen, auch wenn dieser Angleich im Rahmen gegebener Möglichkeiten nur unvollkommen geschieht.
1.2 Begriffe und Benennungen
5
Zur Regeleinrichtung gehört mindestens eine Einrichtung zum Erfassen der Regelgröße x, zum Vergleichen mit der Führungsgröße w und zum Bilden der Stellgröße y. Innerhalb der Regeleinrichtung kann ein Übertragungsglied als Regler bezeichnet werden. Als Regelstrecke wird der Teil des Regelkreises bezeichnet, der zwischen dem Stellort und dem Messort liegt. Regelgrößen können verschiedene physikalische Variable sein, wie z. B. Temperatur, Druck, Massenstrom, Füllstand, Drehzahl oder Leistung. In Bild 1.2.6 ist als Beispiel für eine Regelung die gerätetechnische Darstellung eines Regelkreises zur Regelung des Druckes in einem Behälter durch Drosselung des Abflusses dargestellt. Die vom Druckfühler erzeugte Kraft wird mit der Kraft einer vorgespannten Sollwertfeder verglichen. Über den Abstand zwischen Düse und Prallplatte ändert sich der Druck im Membranantrieb und beeinflusst über das Stellglied Drosselventil den Behälterdruck im Sinne einer Angleichung an den durch den Sollwert vorgegebenen Wert. Weg und Richtung der Wirkungen im Regelkreis müssen nicht mit Weg und Richtung zugehöriger Energie- und Massenströme übereinstimmen. Sollwerteinsteller b
bc
bc
Prallplatte Düse
Fühler
b b b
Druckluft b
b b b
b
Messort
Druckbehälter
Wirkungsrichtung
Durchflussrichtung
b
b b
Stellantrieb Stellglied
Stellort
Bild 1.2.6 Regelung des Druckes in einem Behälter Bei sinnbildlichen Darstellungen von Regelkreisen wird im Folgenden die Regelgröße x stets mit negativem Vorzeichen auf den Vergleicher zurückgeführt, um anzudeuten, dass bei einer Regelung immer eine Gegenkopplung vorliegt. Um richtigen Regelsinn zu gewährleisten, kann eine weitere Vorzeichenumkehr im Regelkreis notwendig sein. Sie wird am Eingang des Stellgerätes vorgenommen.
1 Einführung in die Regelungstechnik
6
Am Beispiel von Druckregelungen durch Drosselung des Zuflusses oder des Abflusses soll dies verdeutlicht werden. Druckregelungen durch Drosselung des Zuflusses werden sowohl bei strömenden Flüssigkeiten als auch bei Gasen und Dämpfen eingesetzt. Bild 1.2.7 zeigt sinnbildlich einen solchen Regelkreis. Der Druck hinter dem Ventil soll geregelt werden. Ist der Istwert x des Druckes p gegenüber dem Sollwert w zu klein, so ist die Regeldifferenz xd positiv und damit die Stellgröße y auch positiv. Das Ventil wird weiter geöffnet, der Stoffstrom steigt und damit steigt auch der Druck. Der Regelkreis erfüllt seine Aufgabe. Richtiger Regelsinn ist hier gewährleistet. m ˙ b
p Anlage
x y
w
xd
Bild 1.2.7 Druckregelung durch Drosselung des Zuflusses m ˙ Druckbehälter b
w
p x −
Anlage y
−
xd
Bild 1.2.8 Druckregelung durch Drosselung des Abflusses Druckregelungen durch Drosselung des Abflusses werden praktisch nur bei Gasen und Dämpfen eingesetzt. In Bild 1.2.8 ist eine solche Regelung sinnbildlich dargestellt. Der Druck vor dem Ventil soll geregelt werden. Ist der Istwert gegenüber dem Sollwert zu klein, so sind die Regeldifferenz und die Stellgröße positiv. Das Ventil muss aber schließen, damit weniger Stoffstrom aus dem Druckbehälter ausströmt und der Druck
1.2 Begriffe und Benennungen
7
steigt. So muss eine Vorzeichenumkehr vor dem Stellgerät vorgesehen werden, um richtigen Regelsinn zu gewährleisten.
1.2.3 Signalflussplan Ein Signalflussplan ist eine sinnbildliche Darstellung der wirkungsmäßigen Zusammenhänge zwischen den Signalen eines Systems oder einer Anzahl von aufeinander einwirkenden Teilsystemen in Form von Blöcken, die durch gerichtete Wirkungslinien verbunden werden. Die Blöcke stellen die gerichteten, rückwirkungsfreien Übertragungsglieder dar. Die Wirkung wird in der durch Pfeile angegebenen Richtung übertragen. Eine interne Rückwirkung der Ausgangsgröße eines Blockes auf seine Eingangsgröße erfolgt nicht. Zur detaillierten Beschreibung der wirkungsmäßigen Abhängigkeit der Signale werden in jeden Block z. B. Gleichungen (Differenzialgleichung, Bild 1.2.9; Übertragungsfunktion, Bild 1.2.10) oder zeichnerische Darstellungen (Übergangsfunktion, Bild 1.2.11; Kennlinie im Beharrungszustand, Bild 1.2.12) eingetragen. xe = K(t)
1 m
Z
xa = v(t) . . . dt
v(t) =
1 m
Z
K(t) dt
Bild 1.2.9 Block mit Differenzialgleichung Xe (p)
K 1+T · p
Xa (p)
Bild 1.2.10 Block mit Übertragungsfunktion xe (t)
xa (t)
Bild 1.2.11 Block mit Übergangsfunktion xe
xa
Bild 1.2.12 Block mit Kennlinie im Beharrungszustand
Xa (p) =
K · Xe (p) 1+T · p
1 Einführung in die Regelungstechnik
8
Man bezeichnet einen Signalflussplan auch allgemein als Blockschaltbild, wenn in die Einzelblöcke nur der Name der Bauglieder eingetragen wird. In Bild 1.2.13 ist als Beispiel eine gerätetechnische Darstellung der Temperaturregelung eines Bügeleisens und das zugehörige Blockschaltbild angegeben. Kontaktfeder (verspannte Blattfeder)
Sollwertschraube b
Haltefeder Wippe (isol.) Nocke (isol.) b
Invar BimetallNi,Fe streifen Netzspannung
Sohle a)
Heizwicklung Wärmeaustausch mit Umgebung
Netzspannung Drehwinkel
Weg Sollwertschraube
Weg Wippe
bc
−
Kontaktfeder mit Hysterese
Weg b)
Wärmestrom
Strom Heizspirale
b
Temperatur Sohle b
Weg Nocke
Bimetallstreifen
Bild 1.2.13 Temperaturregelung eines Bügeleisens a) Gerätetechnische Darstellung b) Blockschaltbild In Signalflussplänen und Blockschaltbildern treten zwei Arten von Signalmischstellen (Summationsstelle und Verzweigungsstelle) und drei Arten von Grundstrukturen (Kettenstruktur, Parallelstruktur und Kreisstruktur) auf. Eine Summationsstelle, dargestellt durch einen Kreis, versinnbildlicht, dass das Ausgangssignal die algebraische Summe der Eingangssignale ist (Bild 1.2.14). Pluszeichen an den Eingangssignalen können entfallen.
1.2 Begriffe und Benennungen
9
Eine Verzweigungsstelle, dargestellt durch einen Punkt, versinnbildlicht, dass ein Signal von gleichbleibender Größe in mehrere Richtungen übertragen wird (Bild 1.2.15).
xe1
+ xa −
xe2
Bild 1.2.14 Summationsstelle
xa = xe1 − xe2
x x b
Bild 1.2.15 Verzweigungsstelle
x
Bei einer Kettenstruktur sind Übertragungsblöcke hintereinander angeordnet. In Bild 1.2.16 sind die Schaltung und die resultierende Abbildungsfunktion einer Kettenstruktur im Falle linearer Einzelfunktionen angegeben. Bei einer Parallelstruktur (Bild 1.2.17) sind Übertragungsblöcke parallel und bei einer Kreisstruktur (Bild 1.2.18) in einem geschlossenen Kreis angeordnet. xa1 = xe2 xe1
F1
Bild 1.2.16 Kettenstruktur
xe xe
F1
±
F2 xe
xe
xe1 ± xa2
xa2 = F1 · F2 · xe1
xa1
b
Bild 1.2.17 Parallelstruktur
Bild 1.2.18 Kreisstruktur
xa2
F2
xa
xa = (F1 ± F2 ) · xe
xa2
F1 F2
xa b
xa =
F1 · xe 1 ∓ F1 · F2
1 Einführung in die Regelungstechnik
10
1.3
Bauglieder in Regelkreisen und Steuerketten
Die Bauglieder sind Gegenstände gerätetechnischer Betrachtungen. Sie stellen die geforderten Beziehungen und Abhängigkeiten zwischen den am Wirkungsweg auftretenden Größen her. Um ein einwandfreies Arbeiten zu gewährleisten, müssen die Bauglieder rückwirkungsfrei sein. Aufgabe und Aufbau solcher Regelkreisglieder werden im Folgenden erläutert.
1.3.1
Fühler
Ein Fühler erfasst die zu messende Größe direkt und führt sie als geeignete physikalische Größe den anderen Geräten der Einrichtung zu [14]. 1.3.1.1 Fühler für Druck Zur Erfassung eines Druckes wird dieser meist mit Hilfe einer druckbelasteten Fläche in eine dem Druck proportionale Kraft umgeformt. Diese wird dann über einen Wegoder Kraftvergleich in eine dem Druck proportionale Größe umgeformt. Von den vielen Druckmessverfahren haben sich in der Praxis durchgesetzt die Druckmessung mit Federdruckmesser und die mit Druckwaage. a) Federdruckmesser Es gibt drei Arten von Federdruckmessern, die Rohrfedermesswerke, die Plattenfedermesswerke und die Kapselfedermesswerke. Die Rohrfedermesswerke sind eines der am meisten verwendeten Messwerke, die sich zur Messung auch sehr hoher Drücke (bis zu 2500 bar) eignen. Bild 1.3.1 zeigt den Aufbau eines Rohrfedermesswerkes. Unter der Einwirkung des Messdruckes p ist das gebogene Rohr (Bourdon-Rohr) bestrebt, sich aufzubiegen, da die Außenbogenfläche größer als die Innenbogenfläche und daher die Außenkraft bei gleichem Druck größer als die Innenkraft ist. Über die Federkonstante der Anordnung – eingespanntes gebogenes Rohr – bewirkt die auftretende resultierende Kraft eine Auslenkung, die über einen Winkelabgriff gemessen werden kann.
1.3 Bauglieder in Regelkreisen und Steuerketten
11
xa = α
Bild 1.3.1 Rohrfedermesswerk
xe = p
Die Plattenfedermesswerke eignen sich zur Messung niedriger bis mittlerer Drücke (bis zu 25 bar). Bild 1.3.2 zeigt schematisch ein Plattenfedermesswerk. Unter dem Einfluss des zu messenden Druckes tritt in der Plattenfeder eine elastische Verformung auf, die eine Verschiebung der Plattenmitte hervorruft. xa = x
Bild 1.3.2 Plattenfedermesswerk
xe = p
Die Kapselfedermesswerke eignen sich zur Messung von geringen Differenzdrücken bis zu 0.4 bar. In Bild 1.3.3 ist ein Kapselfedermesswerk dargestellt. Der zu messende Druck gelangt in den Hohlraum der Kapselfeder. Ihm entgegen wirkt der Druck, der im äußeren Gehäuse herrscht. Die auftretende Druckdifferenz verursacht eine axiale Verschiebung der Kapselfeder, die als Weg abgegriffen werden kann. xa = x
Bild 1.3.3 Kapselfedermesswerk
xe = p
Die Federdruckmesser sind infolge von Reibung, Federhysterese und Federalterung nicht sehr genaue Druckmesser; sie sind aber robust und bequem in der Anwendung und geeignet zur Messung sehr kleiner bis sehr großer Drücke. b) Druckwaagen Zu diesen Druckmessern gehört die Ringwaage, deren Aufbau in Bild 1.3.4 schematisch dargestellt ist und die zur Messung kleiner Differenzdrücke von einigen mbar
1 Einführung in die Regelungstechnik
12
bis zu ein bar verwendet wird. Die Ringwaage besteht aus einem drehbar gelagerten ringförmigen Gefäß, das durch eine Trennwand und eine Sperrflüssigkeit (Wasser, Öl, Quecksilber) in zwei Messräume aufgeteilt wird. Den beiden Räumen wird über flexible Zuleitungen der zu messende Differenzdruck zugeführt. Soll der Druck gegen die Atmosphäre gemessen werden, so bleibt eine Zuleitung offen. Wirkt nun der Differenzdruck auf die Trennwand, so dreht sich die Ringwaage so weit, bis das von einem Gewicht erzeugte Rückstellmoment wieder Gleichgewicht herstellt. Der Verdrehungswinkel α ist dann ein Maß für den Differenzdruck. xa = α b
xe = p
+
− b
b
b
Bild 1.3.4 Ringwaage 1.3.1.2 Fühler für Durchfluss Zur Messung des Durchflusses eignen sich eine Reihe von physikalischen Effekten. Nach der Art des Messeffektes unterscheidet man die Wirkdruck-Durchflussmesser und die Volumen-Durchflussmesser. a) Wirkdruck-Durchflussmesser Das Wirkdruck-Messverfahren beruht auf dem Kontinuitätsgesetz und der Energiegleichung. Nach dem Kontinuitätsgesetz ist der Massenstrom m ˙ einer Rohrleitung an allen Stellen gleich. Es fließen also in gleichen Zeiten gleiche Massen hindurch. Wird an einer Stelle der Querschnitt vermindert, so muss an dieser Stelle die Strömungsgeschwindigkeit ansteigen. Da nach der Energiegleichung von Bernoulli im stationären Zustand der Energieinhalt eines strömenden Stoffes, der sich aus Lage-, Druck- und Geschwindigkeitsenergie zusammensetzt, konstant ist, wirkt sich eine Zunahme der Geschwindigkeit bei gleicher Höhenlage in einer Abnahme des statischen Druckes aus. Dieser Druckabfall, der so genannte Wirkdruck pW , ist also ein Maß für den Massenstrom m. ˙
1.3 Bauglieder in Regelkreisen und Steuerketten
13
Zur Durchflussmessung wird also in die Rohrleitung ein genormter Wirkdruckgeber (Blende, Düse, Venturirohr) eingebaut (Bild 1.3.5) und der Wirkdruck pW = p1 − p2 gemessen. Der Massenstrom m ˙ ergibt sich zu: m ˙ =c·
√
(1.3.1)
pW
Der Faktor c berücksichtigt die Bauform des Durchflussmessers und die Dichte des Fluids. Bei der Messung von Gasmassenströmen gehen Temperatur und Druck in die Dichte des zu messenden Stoffes stark ein.
a)
b) xe = m ˙
xe = m ˙
+
−
+
xa = p W
−
xa = p W c) xe = m ˙
Bild 1.3.5 Wirkdruckgeber a) Blende b) Düse c) Venturirohr
+ −
xa = p W
Als Wirkdruckmesser verwendet man bei kleinen Wirkdrücken Ringwaagen, bei mittleren Drücken Quecksilberschwimmermanometer und bei hohen Drücken BartonMesszellen. b) Volumen-Durchflussmesser Mit diesen Fühlern, zu denen der Ovalradzähler und der induktive Durchflussmesser zu rechnen sind, wird der Volumenstrom erfasst. Der Ovalradzähler (Bild 1.3.6) enthält in einer Messkammer zwei miteinander kämmende Ovalzahnräder. In der gezeichneten Stellung wird von der Flüssigkeit auf das
1 Einführung in die Regelungstechnik
14
Rad 1 ein Drehmoment ausgeübt. Die Drehmomente auf das Rad 2 heben sich gegenseitig auf. Es resultiert also eine Bewegung der Ovalräder in Pfeilrichtung, wobei das zwischen dem oberen Rad 1 und der Messkammerwand abgeschlossene sichelförmige Volumen weitertransportiert wird. Zur Messung des Durchflusses dient der lineare Zusammenhang zwischen dem Durchflussvolumen und der Drehzahl des Ovalrades, die z. B. mit Hilfe eines Tachogenerators erfasst wird.
1
xe = q
2
xa = n
Bild 1.3.6 Ovalradzähler
Dem induktiven Durchflussmesser (Bild 1.3.7) liegt das Generatorprinzip zugrunde. Schneidet ein in einem Magnetfeld bewegter elektrischer Leiter, hier der strömende Stoff, die magnetischen Feldlinien, dann wird in dem Leiter eine Spannung induziert, die proportional dem Durchfluss ist. xa = u N
⊗ xe = q S
Bild 1.3.7 Induktiver Durchflussmesser
Von Vorteil ist, dass bei diesem Messverfahren kein Druckverlust auftritt. Ferner ist die Messung unabhängig von Temperatur, Druck, Dichte und Viskosität. Um dieses Messverfahren anwenden zu können, muss die Leitfähigkeit des Stoffes mindestens 1 µS/cm betragen. Dieser Forderung genügen alle technischen Flüssigkeiten mit Ausnahme der Kohlenwasserstoffe.
1.3 Bauglieder in Regelkreisen und Steuerketten
15
1.3.1.3 Fühler für Füllstand Fühler für den Füllstand lassen sich nach ihrer prinzipiellen Wirkungsweise einteilen in Fühler mit Schwimmerantrieb, Fühler mit Verdrängungskörper und Fühler nach dem Druckunterschiedsverfahren. a) Schwimmer Das Steigen und Fallen eines Flüssigkeitsspiegels wird mit Hilfe eines Schwimmers erfasst und als Weg auf einen Geber übertragen (Bild 1.3.8). xa = x
xe = H
Bild 1.3.8 Schwimmer b) Verdrängungskörper
Bei diesem Messverfahren wird der Auftrieb eines in die Flüssigkeit eintauchenden Verdrängungskörpers (zylindrischer Hohlkörper) von gleichmäßigem Querschnitt als Messeffekt verwendet (Bild 1.3.9). An einem Hebelarm eines Waagebalkens hängt der in die Flüssigkeit tauchende Hohlkörper. Am anderen Hebelarm gleicht eine Feder bei leerem Behälter das Gewicht des Körpers aus. Mit steigendem Flüssigkeitsstand nimmt die Auftriebskraft zu und entspannt die Feder, so dass der aus dem Kraftvergleich resultierende Weg ein Maß für den Stand ist. b
b
xa = x
Bild 1.3.9 Verdrängungskörper
xe = H
c) Differenzdruckmesser In geschlossenen Behältern, in denen eine Flüssigkeit verdampft, wird die Standmessung auf eine Differenzdruckmessung zurückgeführt. Man bringt neben dem Behälter ein Bezugsgefäß (Kondensgefäß) an und misst den Differenzdruck der beiden Flüssigkeitssäulen, indem man den Weg der Membran abgreift (Bild 1.3.10). Für eine sichere
1 Einführung in die Regelungstechnik
16
Messung muss auf einen konstanten Bezugsspiegel H1 geachtet werden. xe = ∆p
H2
H1
= γ · (H1 − H2 )
xa = x
Bild 1.3.10 Differenzdruckmessung
1.3.1.4 Fühler für Temperatur Bei den Temperaturmessfühlern unterscheidet man mechanische und elektrische Berührungsthermometer. a) Mechanische Berührungsthermometer Als Messeffekt dient die Wärmeausdehnung von Metallen (Bimetallthermometer) oder Flüssigkeiten (Flüssigkeitsausdehnungsthermometer). Die Bimetallthermometer werden eingesetzt zur Temperaturmessung im Bereich von −30 bis 400 ◦ C. Sie bestehen in der Regel aus zwei miteinander verwalzten Metallen verschiedener Wärmeausdehnungskoeffizienten, die meist zu einer Spirale gewickelt sind (Bild 1.3.11). Mit steigender Temperatur krümmt sich das Bimetall nach der Seite hin, deren Ausdehnung geringer ist. Die Bewegung wird auf einen Abgriff übertragen.
xa = α xe = ϑ
Bild 1.3.11 Bimetallthermometer
1.3 Bauglieder in Regelkreisen und Steuerketten
17
Die Flüssigkeitsausdehnungsthermometer werden eingesetzt in einem Temperaturbereich von −200 bis 750 ◦ C. Der Messeffekt beruht auf der Volumenausdehnung einer in einem abgeschlossenen Glasgefäß befindlichen Flüssigkeit bei steigender Temperatur, die sich in einem erhöhten Druck auswirkt. Über eine Feder (Membran) erfolgt eine Umsetzung in einen Weg (Bild 1.3.12).
xa = x xe = ϑ
Bild 1.3.12 Flüssigkeitsausdehnungsthermometer b) Elektrische Berührungsthermometer Hierzu gehören die Widerstandsthermometer und die Thermoelemente.
Die Widerstandsthermometer werden eingesetzt zur Messung von Temperaturen zwischen −200 und 850 ◦ C. Als Messeffekt dient der bei Metallen, wie Platin, Nickel oder Kupfer, mit steigender Temperatur zunehmende elektrische Widerstand (Bild 1.3.13). Wegen des größeren Messeffektes werden auch bestimmte Halbleiter, die so genannten Heißleiter, verwendet, die jedoch einen negativen Temperaturkoeffizienten besitzen. Die sich ergebende Widerstandsänderung, die ein Maß für die Temperatur ist, wird z. B. mit Hilfe einer Brückenschaltung gemessen. R R0
b
2
Bild 1.3.13 Temperaturabhängigkeit des elektrischen Widerstandes verschiedener Werkstoffe
Kaltleiter
Heißleiter b
Pt b
1 b
b
b
0
b
−100
0
100
ϑ C
◦
Die Thermoelemente werden eingesetzt zur Messung von Temperaturen zwischen −200 und 1600 ◦ C. Hierbei wird der thermoelektrische Effekt ausgenutzt, bei dem eine Thermospannung entsteht, wenn zwei Drähte aus verschiedenen Werkstoffen (z. B.
1 Einführung in die Regelungstechnik
18
Kupfer und Konstantan oder Nickelchrom und Nickel) miteinander verbunden und die Verbindungsstellen unterschiedlichen Temperaturen ausgesetzt werden. xa = u ∼ (ϑ M − ϑV )
ϑV
ϑM
Bild 1.3.14 Thermoelement
Bild 1.3.14 zeigt den prinzipiellen Aufbau eines Thermoelementes. Man verbindet zwei Drähte an einem Ende und bringt diese Verbindungsstelle (Messstelle) auf die zu messende Temperatur ϑ M . An den anderen Drahtenden (Vergleichsstelle), die sich auf der konstanten Temperatur ϑV befinden, kann dann eine Spannung abgegriffen werden, die direkt proportional der Temperaturdifferenz zwischen der Mess- und der Vergleichsstelle ist. Liegen Messstelle und Anzeige weit voneinander entfernt, so wird eine Ausgleichsleitung benutzt, die nahezu dasselbe thermoelektrische Verhalten wie die Materialkombination des Thermopaares aufweist, aber wesentlich billiger ist. 1.3.1.5 Fühler für Kraft Als Kraftmessfühler werden Federwaagen und Kraftmessdosen mit Dehnungsmessstreifen eingesetzt. a) Federwaagen Bild 1.3.15 zeigt eine mechanische Federwaage, bei der als Messeffekt die durch die Kraft erzeugte Längenänderung einer Feder dient. xe = K
xa = x
Bild 1.3.15 Federwaage
1.3 Bauglieder in Regelkreisen und Steuerketten
19
b) Kraftmessdosen mit Dehnungsmessstreifen Mit Kraftmessdosen lassen sich statische und dynamische Kraftmessungen auch unter rauhen Betriebsbedingungen praktisch weglos ausführen. Bild 1.3.16 zeigt den Aufbau einer Kraftmessdose mit Dehnungsmessstreifen. In einem Gehäuse befindet sich als Feder ein Hohlzylinder, der über ein Druckstück belastet werden kann. Auf der Wand des Hohlzylinders sind Dehnungsmessstreifen, die aus einem auf einem dünnen Isolierträger aufgebrachten Konstantan-Widerstandsdraht bestehen, waagerecht und senkrecht kraftschlüssig aufgeklebt. Wird die Dose und damit der Zylinder belastet, so werden infolge der Längenänderung die Widerstände der waagerechten Streifen größer und die der senkrechten kleiner. Sind die Widerstände z. B. zu einer WheatstoneBrücke zusammengeschaltet, so ist die Ausgangsspannung der Brücke direkt proportional der auf den Zylinder einwirkenden Kraft. Druckstück Hohlzylinder
Bild 1.3.16 Kraftmessdose mit Dehnungsmessstreifen
Dehnungsmessstreifen Gehäuse
1.3.1.6 Fühler für Drehzahl Als Drehzahlmessfühler kommen zum Einsatz Fliehkraftpendel und Tachogeneratoren. a) Fliehkraftpendel Bild 1.3.17 zeigt ein Fliehkraftpendel. Die durch die Drehung erzeugte Zentrifugalkraft lenkt die Schwunggewichte aus. Die Auslenkung ist proportional dem Quadrat der Drehgeschwindigkeit.
1 Einführung in die Regelungstechnik
20 b
xa = α
b
b
bc
bc
Bild 1.3.17 Fliehkraftpendel
xe = ω
b) Tachogeneratoren Tachogeneratoren (Gleichspannungs- und Wechselspannungsgeneratoren) arbeiten nach dem Generatorprinzip. Bild 1.3.18 zeigt einen Gleichspannungstachogenerator, der ähnlich wie ein Kleinmotor aufgebaut ist. Die erzeugte Spannung u hängt linear von der Drehzahl n der Ankerwelle ab. Die Polarität der Spannung zeigt die Drehrichtung an.
G
xa = u
Bild 1.3.18 Gleichspannungstachogenerator
xe = n
1.3.2
Messumformer
Ein Messumformer ist ein Gerät, welches eine Eingangsgröße – gegebenenfalls unter Verwendung einer Hilfsenergie – verstärkt und möglichst eindeutig in eine normierte Ausgangsgröße umformt. Die normierte Ausgangsgröße liegt, in gewissen Grenzen unabhängig von der Bürde, bei pneumatischen Messumformern zwischen 0.2 und 1.0 bar eingeprägtem Luftdruck und bei elektrischen Messumformern zwischen 0 (oder 4) und 20 mA eingeprägtem Strom. Diese Normierung ermöglicht die Verwendung einheitlicher Geräte nach dem Messumformer, erleichtert die Reservehaltung und vereinfacht die Wartung. Bei gleichartiger Eingangs- und Ausgangsgröße nennt man den Messumformer auch Verstärker.
1.3 Bauglieder in Regelkreisen und Steuerketten
21
Düse-PrallplatteAbgriff
xe = i Tauchspule
Gegenkopplungsbalg
Permanentmagnet Nullpunktfeder
Drossel pneumatischer Verstärker Zuluft
pV = 1.4 bar
Bild 1.3.19 Elektro-pneumatischer Messumformer Im Folgenden soll der Aufbau eines handelsüblichen elektro-pneumatischen Messumformers erläutert werden. Dieser Messumformer setzt eine elektrische Eingangsgröße in eine verhältnisgleiche pneumatische Ausgangsgröße (Luftdruck zwischen 0.2 und 1.0 bar) um. In Bild 1.3.19 ist schematisch sein Aufbau dargestellt. Der Messumformer arbeitet nach dem Prinzip des Drehmomentenvergleiches. Der Eingangsstrom i erzeugt über das Tauchspulsystem (Tauchspule und Permanentmagnet) eine zu ihm proportionale Kraft. Durch diese wird ein Drehmoment erzeugt und mit dem vom Gegenkopplungsbalg erzeugten Drehmoment verglichen. Die aus dem Vergleich resultierende Änderung des Düse-Prallplatte-Abstandes ändert über einen pneumatischen Verstärker den Gegenkopplungsdruck und damit den Ausgangsdruck pa derart, dass sich ein Gleichgewicht am Waagebalken einstellt. Der Eingangsstrom wird also in einen proportionalen Ausgangsdruck umgeformt. Über die in Bild 1.3.19 eingezeichnete verstellbare Feder wird der Nullpunkt festgelegt. xe = x xa = p a Prallplatte Vordrossel
Düse
Bild 1.3.20 Düse-Prallplatte-Abgriff
pV
Ein Bauglied des elektro-pneumatischen Messumformers ist der Düse-PrallplatteAbgriff (Bild 1.3.20). Der Abgriff besteht aus einer einstellbaren Vordrossel, einer
1 Einführung in die Regelungstechnik
22
Düse und einer Prallplatte. Die Düse wird über die Drossel mit Druckluft von konstantem Druck pV versorgt. Wird der Abstand zwischen der Düse und der Prallplatte durch Bewegen des Hebels geändert, so ändert sich der Ausgangsdruck pa , weil die aus der Düse austretenden, verschieden großen Luftströme unterschiedliche Druckabfälle an der Drossel und der Düse hervorrufen. Bild 1.3.21 zeigt den Zusammenhang zwischen dem Ausgangsdruck und dem Düse-Prallplatte-Abstand: pa = f (x). Dieser kann für den Arbeitspunkt linearisiert werden: dpa pa − p0 = (1.3.2) · (x − x0 ) dx A pa
A
p0
x0
x
Bild 1.3.21 Kennlinie des DüsePrallplatte-Abgriffes
Ein weiteres Bauglied des elektro-pneumatischen Messumformers ist der pneumatische Verstärker. In Bild 1.3.22 ist ein pneumatischer Verstärker mit vernachlässigbar kleinem Eigenluftverbrauch dargestellt. xe = p e Eingangsbalg Zwischenboden Doppelkugelventil Kompensationsbalg pV
xa = p a
Bild 1.3.22 Pneumatischer Verstärker
Steigt der Eingangsdruck, so bewegt sich als Folge der resultierenden Kraft der Zwischenboden nach unten. Dadurch wird der Verstärkerausgang über das Doppelkugelventil mit dem Drucknetz verbunden. Am Zwischenboden stellt sich ein Gleichgewicht
1.3 Bauglieder in Regelkreisen und Steuerketten
23
ein, wenn das Verhältnis zwischen Ausgangsdruck und Eingangsdruck dem Verhältnis der wirksamen Flächen des Eingangsbalges und des Kompensationsbalges entspricht. In diesem Zustand schließt das Doppelkugelventil beide Ventilsitze. Wegen der größeren wirksamen Fläche des Eingangsbalges arbeitet das System als Druckverstärker mit Verstärkungsfaktoren bis etwa 20.
1.3.3 Sollwerteinsteller Der Sollwerteinsteller ist ein Gerät, an dem die Führungsgröße eingestellt wird. Bei pneumatischen Regeleinrichtungen kann als Sollwerteinsteller z. B. ein Reduzierventil, bei elektrischen z. B. ein Spannungsteiler eingesetzt werden. Beim Reduzierventil (Bild 1.3.23) wird der Vordruck pV gewöhnlich über eine feste und eine von Hand einstellbare Drossel reduziert und so der Solldruck pa eingestellt. einstellbare Drossel pa feste Drossel pV
u
Bild 1.3.24 Spannungsteiler
x l
Bild 1.3.23 Reduzierventil
R
ua
b
Beim Spannungsteiler (Bild 1.3.24) wird an einem Schiebewiderstand R je nach Lage des Abgriffes die gewünschte Teilspannung ua eingestellt: x ua = (1 − ) · u l
(1.3.3)
1 Einführung in die Regelungstechnik
24
1.3.4
Summierglied, Vergleicher
Ein Summierglied führt Additionen und Subtraktionen aus. Wird dabei der Vergleich der Regelgröße mit der Führungsgröße oder der sie abbildenden Größe ausgeführt, so kann es Vergleicher genannt werden. In Bild 1.3.25 ist ein einfaches Gestänge als mechanischer Wegvergleicher skizziert. w
x
Bild 1.3.25 Mechanischer Wegvergleicher
xd
Bild 1.3.26 zeigt einen elektrischen Vergleicher mit Spannungsvergleich. Der der Regelgröße proportionale Gleichstrom ix ruft am Widerstand R x die Spannung u x hervor. An dem von einer konstanten Quelle gespeisten Widerstand Rw wird die Spannung uw eingestellt, die dem Sollwert proportional ist. Die Spannungsdifferenz ud = uw − u x ist dann proportional der Regeldifferenz. Sie wird dem hochohmigen Eingang des Regelverstärkers zugeführt. ud
ix b
ux
u Rw
Rx
uw b
1.3.5
b
Bild 1.3.26 Elektrischer Spannungsvergleicher
Zeitglieder
Ein Zeitglied führt Änderungen im Zeitablauf der Signale (Differenziationen, Integrationen, Verzögerungen) aus. Zeitglieder sind meist in Reglern eingebaut und bestimmen deren Verhalten. Im Folgenden sollen als Zeitglieder ein pneumatisches und ein mechanisches Netzwerk betrachtet werden.
1.3 Bauglieder in Regelkreisen und Steuerketten
25
pe , pa m ˙ r k
k m ˙ pe
r pa
Drücke Massenstrom Widerstand Speicherkapazität
Bild 1.3.27 Pneumatisches Netzwerk Das pneumatische Netzwerk (Bild 1.3.27) besteht aus einer linearen Drossel mit dem Widerstand r und einem Speicher mit der Speicherkapazität k. Es gelten folgende Gleichungen für den Massenstrom m: ˙ 1 · (pe − pa ) r und den Speicherdruck pa : Z 1 m ˙ dt pa = k m ˙ =
Wird der Massenstrom m ˙ eliminiert, so erhält man für den Speicherdruck pa folgende Differenzialgleichung: k·r·
dpa + pa = pe dt
Für eine sprungförmige Änderung des Eingangsdruckes pe um eine Einheit ergibt sich der Ausgangsdruck als Lösung obiger Differenzialgleichung zu: pa = 1 − e−t/T
pe 1
pa 1
Bild 1.3.28 Zeitverhalten
t T
t
mit der Zeitkonstante T = k · r. Das Zeitverhalten der Drücke ist in Bild 1.3.28 dargestellt. Das Netzwerk bewirkt also bezüglich des Druckes eine Signalverzögerung (P-T1 -Verhalten).
1 Einführung in die Regelungstechnik
26
xe l
l
c
xh
d
xa
Bild 1.3.29 Mechanisches Netzwerk
Bild 1.3.29 zeigt ein mechanisches Netzwerk, bestehend aus einem Gestänge, einer Feder mit der Federkonstante c und einem Dämpfer mit dem Dämpfungswiderstand d. Für das Kräftegleichgewicht an Feder und Dämpfer gilt: c · (xe − xh ) = d ·
dxh dt
Daraus folgt mit T = d/c: T·
dxh + xh = xe dt
Für eine sprungförmige Änderung des Weges am Eingang um eine Einheit lautet die Lösung obiger Differenzialgleichung: xh = 1 − e−t/T Für den Weg xa am Ausgang gilt allgemein: xa =
1 · (xe − xh ) 2
und für den speziellen Fall hier: xa =
1 −t/T ·e 2
Bild 1.3.30 zeigt nun das Zeitverhalten der Größen. Das Netzwerk bewirkt bezüglich des Weges eine verzögerte Differenziation (D-T1 -Verhalten).
1.3.6
Regler
Der Regler, der meist einen Vergleicher, einen Verstärker und ein Zeitglied enthält, bildet aus der Führungsgröße und der Regelgröße die Stellgröße. Ausführungen von
1.3 Bauglieder in Regelkreisen und Steuerketten
27
xe 1
xh 1
t T
t
xa 0.5
Bild 1.3.30 Zeitverhalten
t
T
Reglern sollen am Beispiel eines hydraulischen Reglers, des so genannten Strahlrohrreglers, und eines elektronischen Reglers behandelt werden. xa = y
b
xe = p
Öl
Bild 1.3.31 Strahlrohrregler Bild 1.3.31 zeigt den Strahlrohrregler, der einen Vergleicher und ein integrierendes Zeitglied enthält. Der Druck p (Regelgröße) übt auf die Membranfläche eine Kraft aus, die mit der Federkraft (Führungsgröße) verglichen wird. Eine Auslenkung des Strahlrohres bewirkt über die unterschiedliche Ölzufuhr in den Zylinder eine Verstellung des Kolbens, wobei die Verstellgeschwindigkeit proportional der Strahlrohrauslenkung ist. Durch eine mechanische Rückführung der Kolbenstellung auf die Lage des Strahlrohres kann das Zeitverhalten des Reglers geändert werden. Als elektronischer Regler wird ein spezieller Gleichspannungsverstärker, auch Regelverstärker genannt, mit einer sehr hohen Verstärkung in der Größenordnung von 104 bis 108 und einem besonders breiten Frequenzbereich verwendet, der im Eingangszweig und im Rückkopplungszweig mit komplexen Widerständen oder Netzwerken
1 Einführung in die Regelungstechnik
28
Zr Ze
ir ie
ig b
S
ug ue
− + b
K
ua
b
Bild 1.3.32 Regelverstärker
beschaltet ist (Bild 1.3.32). Die Verstärkung K ist definiert als Verhältnis der um 180 ◦ phasenverschobenen Ausgangsspannung ua zur Spannung ug am Summationspunkt S: K = − ua /ug Für den Summationspunkt S lautet die Knotenpunktsgleichung der Ströme: ig = ie + ir ig =
ue − ug ua − ug + Ze Zr
Der in den Verstärker fließende Strom ig ist wegen des großen Innenwiderstandes Ri = ug /ig → ∞ vernachlässigbar klein gegenüber den Strömen ie und ir . Damit ergibt sich für das Spannungsverhältnis: ua Zr =− · ue Ze
1 1+
1 · (1 + Zr /Ze ) K
Für große Werte der Verstärkung K erhält man die Grundgleichung des idealen Regelverstärkers: ua Zr =− ue Ze
(1.3.4)
Das Verhältnis der Ausgangsspannung zur Eingangsspannung ist also allein vom Verhältnis der komplexen Widerstände in der Rückkopplung und im Eingang abhängig. Durch passende Wahl dieser Widerstände lässt sich dem Regelverstärker ein
1.3 Bauglieder in Regelkreisen und Steuerketten
29
gewünschtes Zeitverhalten geben. Als Widerstände werden vorwiegend die passiven Bauelemente Ohmscher Widerstand und Kondensator eingesetzt. In Tabelle 1.3.1 ist für verschiedene Beschaltungen des Verstärkers sein Zeitverhalten angegeben. Tabelle 1.3.1 Beschaltung und Zeitverhalten elektronischer Regler Eingangswiderstand Ze
Rückkopplungswiderstand Zr Rr
Re
proportional und integrierend (PI) differenzierend (D)
Rr
Ce Re
b
integrierend (I) Cr
Ce Re
proportional (P)
Cr Rr
Zeitverhalten
b
Ce
differenzierend und verzögernd (D-T1 ) proportional und differenzierend (PD)
In Bild 1.3.32 weist der Verstärker nur einen Eingang auf. Im Allgemeinen besitzt er als Regler zwei Eingänge, einen Sollwert- und einen Istwerteingang, so dass er den Vergleicher mitenthält (Bild 1.3.33). Die oben angestellten Überlegungen gelten sinngemäß auch bei zwei Verstärkereingängen. Es kann auch der nicht invertierende Eingang des Verstärkers als zweiter Eingang verwendet werden. Ferner ist es möglich, den Istwert- und den Sollwertkanal unterschiedlich zu beschalten und unterschiedliche Zeitverhalten zu erzeugen. Der Ausgang des Reglers wird im Allgemeinen dem Stellantrieb zugeführt.
1.3.7 Stellgerät Das Stellgerät setzt sich zusammen aus Stellantrieb und Stellglied. Der Stellantrieb dient zur direkten Einwirkung auf die Strecke. Er verstellt das Stellglied, das in den Massenstrom oder Energiestrom der Strecke eingreift.
1 Einführung in die Regelungstechnik
30
Zr Zw
iw
ir b
uw
Zx −u x
−i x
b
ie
− + b
K
ua
b
Bild 1.3.33 Regelverstärker mit Vergleicher Um ein günstiges Regelkreisverhalten zu erzielen, muss das Stellgerät möglichst linear und verzögerungsarm arbeiten. Es ist auch zu berücksichtigen, dass durch technische Gegebenheiten der Stellbereich des Stellgliedes in seiner Größe begrenzt ist. Der Stellantrieb setzt das meist leistungsschwache Ausgangssignal des Reglers um in ein leistungsstarkes Signal zum Betätigen des Stellgliedes. Drei Arten von Stellantrieben werden unterschieden: elektrische, pneumatische und hydraulische Stellantriebe. a) Elektrischer Stellantrieb Bei einem elektrischen Stellantrieb wird das Stellglied von einem Elektromotor (Gleichstrommotor, Zweiphaseninduktionsmotor, Drehstrommotor mit Kurzschlussläufer) über ein Schnecken- oder Stirnradgetriebe gestellt (Bild 1.3.34). xe = u M xa = α
Bild 1.3.34 Elektrischer Stellantrieb
Die Getriebeuntersetzung vermindert die hohe Motordrehzahl und verstärkt das Drehmoment entsprechend. Das Stellglied wird betätigt, solange der Motor eingeschaltet ist. Befindet sich das Stellglied in einer Endlage (zu oder offen), so muss der Motor abgeschaltet werden.
1.3 Bauglieder in Regelkreisen und Steuerketten
31
b) Pneumatischer Stellantrieb Bild 1.3.35 zeigt einen pneumatischen Stellantrieb (Membranantrieb). Der Reglerausgangsdruck wird über einen Kraftvergleich in einen Weg (Ventilhub) umgesetzt. Unsicherheiten in der Einstellung des Stellgliedes, verursacht z. B. durch Reibung in der Stopfbuchse des Ventils, können durch Einsatz eines Stellungsreglers beseitigt werden. Der Stellungsregler (Bild 1.3.36) erfasst den Hub des Stellgliedes als Regelgröße und steuert den Druck im Membrangehäuse als Stellgröße. Führungsgröße ist der vom Regler kommende Luftdruck. Diese Anordnung wird als Folgeregelung bezeichnet. xe = p
xa = x
Bild 1.3.35 Pneumatischer Stellantrieb
pV
xe = p e
xa = x
Bild 1.3.36 Pneumatischer Stellantrieb mit Stellungsregler c) Hydraulischer Stellantrieb Bei einem hydraulischen Stellantrieb verstellt der Regler den Stellkolben eines Stellzylinders. Dadurch strömt das über eine Pumpe geförderte Drucköl (15 bis 50 bar) in den Arbeitszylinder und bewegt den Arbeitskolben und damit das Stellglied (Bild 1.3.37). Die Stellgeschwindigkeit des Antriebes wird im Wesentlichen von der Förderleistung der Pumpe bestimmt. Bei einem hydraulischen Antrieb ist immer ein Stellungsregler eingebaut.
1 Einführung in die Regelungstechnik
32
Arbeitszylinder
xe
xa
Stellzylinder
Bild 1.3.37 Hydraulischer Stellantrieb
Pneumatische Stellantriebe sind schneller und preiswerter als elektromotorische. Außerdem sind sie explosionsgeschützt. Sie sind aber nicht für große Stellkräfte geeignet. Hydraulische Stellantriebe arbeiten schnell und sind für große Stellkräfte einsetzbar. Sie sind jedoch teurer als elektrische oder pneumatische Antriebe und erfordern viel Wartung. Als Stellglieder werden meistens Ventile eingesetzt. Bild 1.3.38 zeigt schematisch ein Einsitzdurchgangsventil. Durch die Form des Ventilkegels und der Sitzflächen wird der Zusammenhang zwischen dem Durchfluss und dem Stellhub, die Ventilkennlinie, bestimmt. xe = H
xa = q
Bild 1.3.38 Einsitzdurchgangsventil Von den beliebig vielen möglichen Kennlinienformen sind von besonderer Bedeutung die lineare Kennlinie und die gleichprozentige Kennlinie. Die lineare Kennlinie (Bild 1.3.39) ist dadurch gekennzeichnet, dass zu gleichen Änderungen des Stellhubes H gleiche Änderungen des kv -Wertes gehören: ∆kv ∼ ∆H Unter dem kv -Wert versteht man denjenigen Durchfluss q in m3 /h von Wasser bei einer Dichte von ρ = 1000 kg/m3 und einer kinematischen Viskosität von ν = 10−6 m2 /s,
1.3 Bauglieder in Regelkreisen und Steuerketten
q
33
1.0 ∆p100 = 0.1 ∆p0 0.2 0.4 0.6 1.0
q100 0.8 0.6 0.4 0.2 0.0
H H100 q q100 ∆p0 ∆p100 kv 0 kvs
0.0
0.2
0.4
0.6
1.0 H H100
0.8
Hub des Ventils Hub bei völlig offenem Ventil (Nennhub) Durchfluss durch das Ventil Durchfluss bei Nennhub Druckabfall am geschlossenen Ventil Druckabfall bei Nennhub kv -Wert des geschlossenen Ventils kv -Wert bei Nennhub
Bild 1.3.39 Stellventil mit linearer Grundkennlinie (kv0 /kvs = 4 %) der bei einem Druckverlust von 1 bar durch das Stellventil bei dem jeweiligen Hub hindurchgeht. Die gleichprozentige Kennlinie (Bild 1.3.40) ist dadurch gekennzeichnet, dass zu gleichen Änderungen des Stellhubes H gleichprozentige Änderungen des kv -Wertes gehören: ∆kv ∼ ∆H kv Entsprechend den am Ventil herrschenden Druckverhältnissen ∆p100 /∆p0 stellen sich unterschiedliche Betriebskennlinien sowohl bei linearer Grundkennlinie als auch bei gleichprozentiger Grundkennlinie ein. Für ein einwandfreies Arbeiten des Regelkreises ist nun das Ventil auszuwählen, das bei den gegebenen Druckverhältnissen über den gesamten Stellbereich einen möglichst linearen Kennlinienverlauf und damit einen konstanten Übertragungsbeiwert aufweist.
1 Einführung in die Regelungstechnik
34
1.0
q q100
∆p100 = 0.1 ∆p0 0.2 0.4 0.6 1.0
0.8 0.6 0.4 0.2 0.0 0.0
0.2
0.4
0.6
0.8
1.0
H H100
Bild 1.3.40 Stellventil mit gleichprozentiger Grundkennlinie (kv0 /kvs = 4 %)
1.4
Steuer- und Regelaufgaben
In diesem Abschnitt sollen Steuer- und Regelaufgaben an einfachen Beispielen qualitativ erläutert werden. Es können folgende Aufgaben auftreten: Beeinflussen einer Größe nach einer bestimmten Gesetzmäßigkeit (Steuerung), Konstanthalten einer Größe auf einem fest vorgegebenen Wert (Festwertregelung), Nachführen einer Größe in Abhängigkeit einer anderen Prozessgröße oder der Zeit (Folgeregelung).
1.4.1
Steuerung
Für eine Steuerung gibt es ein einfaches Beispiel, die Raumtemperatursteuerung eines Hauses in Abhängigkeit von der Außentemperatur. Bild 1.4.1 zeigt die gerätetechnische Darstellung dieses Beispieles. Die in der Darstellung verwendeten Sinnbilder sind in Tabelle 1.4.1 erläutert.
1.4 Steuer- und Regelaufgaben
35
Tabelle 1.4.1 Bildzeichen [3] Sinnbild
Erläuterung
Sinnbild
Erläuterung
Signalleitung
Wärmeaustauscher
Dampf
Einspritzkühler
Wasser, Kondensat, Speise-, Kühlwasser
Kondensator
Brennbares Gas
G
Stromerzeuger
Luft
M
Motor
Kohle
Flüssigkeitspumpe
Öl
Verdichter
Schlacke, Asche
Zuteiler
Rauchgas, Abgas
×
Mühle
Überdruckbehälter
Brenner
Turbine
Ventil allgemein
1 Einführung in die Regelungstechnik
36
Tabelle 1.4.1 Bildzeichen (Fortsetzung) Sinnbild bc
b
b
b
Erläuterung
Sinnbild
Erläuterung
Stellventil mit Stellantrieb
Verstärker allgemein
Stellventil mit Membranantrieb
Signalumformer
Dreiwegeventil
Einsteller
Absperrklappe
Regler
Fühler allgemein
Übertragungsblock
Fühler für Druck
Block, gekennzeichnet durch Übergangsfunktion
Fühler für Temperatur
K 1+T ·p
Fühler für Durchfluss
PID
Fühler für Drehzahl
Fühler für Füllstand
Fühler für Strahlung
Block, gekennzeichnet durch Übertragungsfunktion Block, gekennzeichnet durch Kurzsymbole
Nichtlinearer Block
Summationsstelle bc
b
Verzweigungsstelle
1.4 Steuer- und Regelaufgaben
37
z2 ϑa
ϑi
z1
ϑh Steuergerät
z5
z4 z3
Bild 1.4.1 Gerätetechnische Darstellung der Raumtemperatursteuerung Es besteht die Aufgabe, die Raumtemperatur ϑi auf einem vorgegebenen Wert zu halten. Als Stellgröße für die Beeinflussung der Raumtemperatur bietet sich die Brennstoffzufuhr zum Heizkessel an. Als Störgrößen treten auf: Schwankungen der Außentemperatur ϑa (z1 ), Öffnen von Fenstern und Türen (z2 ), Heizwertschwankungen des Brennstoffes (z3 ), Schwankungen der Pumpendrehzahl (z4 ), Verschmutzung von Kessel und Rohrleitungen (z5 ). Als Steuergröße wird die einflussreichste Störgröße, die so genannte Hauptstörgröße, hier die Außentemperatur ϑa herangezogen. Eine Berücksichtigung aller anderen Störgrößen ist bei einer Steuerung nicht möglich. Die Raumtemperatur ϑi wird also, wie das Blockschaltbild (Bild 1.4.2) zeigt, über eine Reihe von Übertragungsgliedern gesteuert. Es liegt eine offene Wirkungskette vor. Es findet keine Rückmeldung des Ergebnisses der Steuerung und damit keine Überwachung der zu steuernden Größe, der Raumtemperatur ϑi , statt. Damit die Raumtemperatur trotz variabler Außentemperatur aufgabengemäß konstant bleibt, muss das Steuergerät so ausgelegt sein, dass bestimmte Gesetzmäßigkeiten (Steuergesetz) eingehalten werden. In Bild 1.4.3 sind entsprechende Steuergesetze dargestellt, die die
1 Einführung in die Regelungstechnik
38
Abhängigkeit der Vorlauftemperatur ϑh von der Außentemperatur ϑa angeben. Andere Störgrößen als die Hauptstörgröße Außentemperatur, wie z. B. Schwankungen des Heizwertes oder der Pumpendrehzahl oder das Öffnen von Fenstern und Türen wirken sich ungehindert auf die Raumtemperatur aus und werden nicht kompensiert. z1 ϑa
z4 Fühler
Messumformer
Steuergerät
z3 Feuerung
Ventil
z5 Kessel
z2 ϑh
Leitung
Heizkörper
Raum
ϑi
Bild 1.4.2 Blockschaltbild der Raumtemperatursteuerung
ϑh
◦
C
80 70 60 50 40 30 20
ϑa 20
1.4.2
10
0
−10
−20
−30
◦
C
Bild 1.4.3 Steuergesetze
Festwertregelung
Bei der Steuerung wird der Einfluss der Außentemperatur, einer messbaren Störung mit bekannter Auswirkung, kompensiert. Alle anderen Störgrößen bleiben unberücksichtigt. Durch eine Regelung der Raumtemperatur kann eine wesentliche Verbesserung erzielt werden. Der Istwert der Raumtemperatur wird hierbei laufend an einen fest vorgegebenen Sollwert angeglichen. Dadurch werden alle Störgrößen, die eine Abweichung der Raumtemperatur von der Solltemperatur verursachen, kompensiert. Bild
1.4 Steuer- und Regelaufgaben
39
1.4.4 zeigt die gerätetechnische Darstellung der Raumtemperaturfestwertregelung. Die Raumtemperatur ϑi wird dem gewünschten vorgegebenen Sollwert w angeglichen. Das Blockschaltbild dieser Festwertregelung ist in Bild 1.4.5 dargestellt. Die Auswirkungen aller die Temperatur beeinflussenden Störgrößen zi werden durch die Temperaturmessung und den Vergleich mit dem Sollwert erfasst. Entsprechend diesem SollwertIstwert-Vergleich verstellt der Regler die Brennstoffzufuhr solange, bis die gewünschte Temperatur erreicht ist.
z2 ϑa
ϑi
z1 x bc
w ϑh
xd Regler
z5
y z4 z3
Bild 1.4.4 Gerätetechnische Darstellung der Raumtemperaturregelung
w bc
− x
xd
Regler
y
z4
z3
z5
Ventil
Feuerung
Kessel
Messumformer
z2 Leitung
Heizkörper
z1
Raum
ϑ1 b
Fühler
Bild 1.4.5 Blockschaltbild der Raumtemperaturregelung Man wird also eine Regelung einer Steuerung immer dann vorziehen, wenn unvorhergesehene oder nicht unmittelbar messbare oder mehrere wesentliche Störgrößen
1 Einführung in die Regelungstechnik
40
kompensiert werden sollen. Sind solche Störgrößen nicht vorhanden, so wird an Stelle einer Regelung vorteilhafter eine Steuerung eingesetzt, da bei einer Steuerung die Störgröße unmittelbar und nicht erst auf Grund ihrer Auswirkung auf die Regelstrecke erfasst und kompensiert werden kann, eine Steuerung wegen des offenen Wirkungsablaufes nicht instabil werden kann und eine Steuerung mit weniger Aufwand als eine Regelung gebaut werden kann. In der Praxis werden Regelungen und Steuerungen häufig miteinander kombiniert und damit die Vorteile beider Verfahren genutzt.
1.4.3
Folgeregelung
Bei einer Folgeregelung besteht die Regelaufgabe darin, eine Größe, die Regelgröße, möglichst genau dem zeitlichen Verlauf einer anderen Größe, der Führungsgröße, nachzuführen. An Beispielen sollen zwei Arten von Folgeregelungen, die Nachlaufregelung und die Verhältnisregelung, betrachtet werden. 1.4.3.1 Nachlaufregelung Nachlaufregelungen treten häufig in der Antriebstechnik auf. In Bild 1.4.6 ist als Beispiel für eine Nachlaufregelung die Servolenkung dargestellt. Die Führungsgröße für die Winkelstellung des Rades wird über die Lenkradstellung w vorgegeben und im Stellzylinder mit der Regelgröße Radstellung x verglichen. Bei einer Regeldifferenz strömt von der Pumpe gefördertes Öl durch die vom Stellkolben freigegebene, bewegliche Druckleitung in den Arbeitszylinder. Dadurch verstellt der Arbeitskolben die Radstellung. Gleichzeitig wird durch die starre Verbindung (Rückführung) die relative Lage von Stellzylinder zu Stellkolben verändert. Wenn die Radstellung der Lenkradstellung entspricht, die Regeldifferenz also verschwunden ist, dann ist die relative Lage von Stellkolben und Stellzylinder so, dass die Öffnungen der beiden Druckölleitungen wieder verschlossen sind.
1.4 Steuer- und Regelaufgaben
41
Stellzylinder w
x
Arbeitszylinder
b b
b
b
b b
Bild 1.4.6 Servolenkung Bei einer Nachlaufregelung stellt sich also die Aufgabe, den Verlauf der Regelgröße (hier Radstellung) dem vorgegebenen zeitlichen Verlauf der Führungsgröße (hier Lenkradstellung) nachfolgen zu lassen. 1.4.3.2 Verhältnisregelung Eine andere Art der Folgeregelung ist die Verhältnis- oder Mischungsregelung, die bei vielen Anlagen der Verfahrenstechnik eine große Rolle spielt. Bei einer Verhältnisregelung stellt sich die Regelaufgabe, eine Prozessgröße in einem bestimmten Verhältnis zu einer anderen Größe zu regeln. Bild 1.4.7 zeigt eine Mischungsregelung eines SäureLauge-Stromes, wobei die Säure in einem bestimmten Verhältnis zur Lauge dosiert wird. Die Führungsgröße w2 für die Säure wird über einen Verhältniseinsteller Sv aus
Lauge
qL
Säure
qS y2 − x2 bc
x1
Bild 1.4.7 Mischungsregelung
SV
w2 xd2
1 Einführung in die Regelungstechnik
42
dem Durchfluss der Lauge gebildet: w2 = K · x1 . Der Faktor K kann von Hand oder abhängig von einer dritten Größe eingestellt werden (Bild 1.4.8). w2 = K · x 1
x1
w2 = K · y 3 · x 1
x1 Sv
Sv
y3
Bild 1.4.8 Verhältniseinsteller
1.5
Steuer- und Regelschaltungen
Zur Lösung der obigen Regelaufgaben sind eine Reihe von Steuer- und Regelschaltungen entwickelt worden [19].
1.5.1
Festwertregelschaltungen
Lautet die Regelaufgabe, eine Größe auf einem fest vorgegebenen Sollwert (w ist konstant) zu halten, so wird zu ihrer Lösung eine Festwertregelschaltung eingesetzt. 1.5.1.1 Einfachregelkreis Die einfachste Festwertregelung erfolgt in einem einschleifigen Regelkreis (Bild 1.5.1), mit dem in vielen Fällen ein ausreichend gutes Regelergebnis erzielt wird. Die Regelgröße x wird gemessen und mit der Führungsgröße w verglichen. Weist die Regelgröße gegenüber der Führungsgröße eine z. B. durch Störgrößen zi verursachte Abweichung auf, so wird entsprechend dieser Abweichung, der Regeldifferenz xd , vom Regler eine Stellgröße y derart erzeugt, dass die Regelgröße der Führungsgröße möglichst genau angeglichen wird. Die Übertragungsfunktion FR des Reglers ist so auszulegen, dass der Regelkreis ein gutes Störverhalten (kleine Regeldifferenzen, kurze Ausregelzeiten) aufweist. Beispiel für eine einfache Festwertregelung ist die Drehzahlregelung einer Dampfturbine (Bild 1.5.2). Entsprechend der Drehzahlabweichung wird der Dampfstrom zur Turbine eingestellt.
1.5 Steuer- und Regelschaltungen
43
z1 w
Bild 1.5.1 Einfachregelkreis
−
z2
y
xd FR
z3 x
FS b
−
G
Bild 1.5.2 Drehzahlregelung einer Dampfturbine Der einfache Regelkreis bringt ein gutes Regelergebnis, solange die Übertragungsfunktion FS der Regelstrecke nicht zu große Verzögerungen aufweist und eine auftretende Regeldifferenz durch eine korrigierende Stellgrößenverstellung schnell beseitigt wird. Bei trägen Regelstrecken jedoch werden im einschleifigen Regelkreis große Regeldifferenzen und lange Regelzeiten auftreten. Wählt man zur Regelung einer trägen Regelstrecke einen Regler mit großer Signalverstärkung, so reagiert er bereits beim Auftreten kleiner Regeldifferenzen kräftig dagegen. Da seine Wirkung aber wegen der Trägheit der Strecke zu spät kommt und wegen der großen Verstärkung u. U. zu stark dosiert ist, wird die Regelgröße nicht in einem gewünschten engen Toleranzbereich um die Führungsgröße gehalten, sondern führt selbsterregte Schwingungen aus, die auch aufklingen können. In einem solchen Fall ist der Regelkreis instabil. Bei trägen Regelstrecken kann durch eine Aufschaltung im Sinne einer Steuerung das Störverhalten eines Einfachregelkreises meist wesentlich verbessert werden. Die Steuerung leistet dabei die Hauptarbeit, während die Regelung nur korrigierend eingreift.
1 Einführung in die Regelungstechnik
44
1.5.1.2 Einfachregelkreis mit Aufschaltungen Als Aufschaltgrößen eignen sich die wesentliche Störgröße oder eine entsprechende Hilfsgröße der Regelstrecke. a) Störgrößenaufschaltung Wenn es sich bei der auf die Regelstrecke einwirkenden Störgröße um eine wesentliche und messbare Störgröße mit bekanntem Angriffspunkt handelt, so kann ein von dieser Störgröße abgeleiteter unmittelbarer Korrektureingriff im Sinne einer Steuerung schneller zur Ausregelung der Störung führen, da nicht erst eine Abweichung der Regelgröße am Ausgang der Strecke abgewartet werden muss. Die Aufschaltung der Störgröße über ein Kompensationsglied mit der Übertragungsfunktion F H kann auf den Reglereingang oder Reglerausgang erfolgen (Bild 1.5.3). Die Aufschaltung kann dauernd einwirken (F H hat proportionales Verhalten) oder nur vorübergehend (F H hat differenzierendes Verhalten). Auf die richtige Dimensionierung des Kompensationsgliedes wird in Abschnitt 6.5.1 eingegangen. Diese Regelschaltungen eignen sich sehr zur Verbesserung des Störverhaltens des Regelkreises. Sie versagen aber, wenn die Störgröße messtechnisch nicht erfassbar ist oder wenn mehrere einflussreiche Störgrößen vorhanden sind. z FH a)
b) FZS
zH
zH w
b
xd
FR
y
FS 1
FS 2
xb
Bild 1.5.3 Störgrößenaufschaltung a) auf den Reglereingang b) auf den Reglerausgang Als Beispiel für eine Festwertregelung mit Störgrößenaufschaltung diene die Temperaturregelung einer Speiseeismasse (Bild 1.5.4). Bei der Speiseeisherstellung wird zäh-
1.5 Steuer- und Regelschaltungen
45
flüssige Speiseeismasse aus einem Vorratsbehälter in den Freezer gepumpt. Hier wird sie durch den in einer Kühlschlange strömenden Ammoniak abgekühlt. Durch die gewählte Regelschaltung (Festwertregelung mit Störgrößenaufschaltung) wird die Temperatur ϑ der Eiskrem auch bei Schwankungen der Temperatur ϑ M der Speiseeismasse aufgabengemäß konstant gehalten.
Eiskrem Vorratsbehälter
ϑ
ϑM Freezer
FH
−˙zH
Ammoniak
Bild 1.5.4 Temperaturregelung einer Speiseeismasse b) Hilfsgrößenaufschaltung Ist die Störgröße z selbst nicht messbar, aber dafür eine aus der Regelstrecke stammende Hilfsgröße x1 , die sich ebenfalls unter dem Einfluss der Störgröße z und der Stellgröße y ändert, aber ein schnelleres Zeitverhalten als die eigentliche Regelgröße x aufweist, so kann eine Aufschaltung der Hilfsgröße auf den Reglereingang eine zeitlich frühere Verstellung des Stellgliedes im korrigierenden Sinne hervorrufen und dadurch die Regelgüte verbessern. Bild 1.5.5 zeigt den Signalflussplan einer Festwertregelung mit Hilfsgrößenaufschaltung. Als Beispiel für eine Festwertregelung mit Hilfsgrößenaufschaltung diene die Temperaturregelung eines Dampfüberhitzers (Bild 1.5.6). Die Dampftemperatur ϑD am Austritt des Überhitzers wird durch Verstellen des Einspritzwasserstromes m ˙ E geregelt. Treten kesselseitige Störungen z auf, so ändert sich die Temperatur ϑH hinter dem Einspritzkühler wesentlich früher als die zu regelnde Dampftemperatur ϑD nach dem Überhitzer. Durch Aufschaltung dieser Temperatur ϑH als Hilfsgröße kann bei einer kesselseitigen Störung der Einspritzwasserstrom sofort entsprechend geändert werden,
1 Einführung in die Regelungstechnik
46
so dass sich die Störung wesentlich schwächer auf die Regelgröße Dampftemperatur ϑD auswirkt als ohne Hilfsgrößenaufschaltung. z w bc
−
y
xd −
x1
FS 1
FR
b
FS 2
x b
xH FH
Bild 1.5.5 Festwertregelung mit Hilfsgrößenaufschaltung
ϑD
w
x− x−
xd
H
FH ϑH
z
FR − y
m ˙E
Bild 1.5.6 Dampftemperaturregelung
1.5.1.3 Kaskadenregelkreis Versagen die einfachen Regelschaltungen, so kann mit einer Kaskadenregelung, einem zweischleifigen Regelkonzept, eine Verbesserung der Regelgüte erzielt werden. Bei einer Kaskadenregelung sind zwei Regelkreise so miteinander vermascht, dass einer dem anderen überlagert ist. Bild 1.5.7 zeigt den Signalflussplan einer Kaskadenregelung. Der innere Regelkreis (Kreis 2, Hilfsregelkreis) stellt einen Teil des äußeren Regelkreises (Kreis 1) dar. Das Zusammenwirken der beiden Regelkreise funktioniert nur dann, wenn der untergeordnete Regelkreis ein schnelleres Zeitverhalten als der übergeordnete Kreis aufweist, wenn also die wesentlichen Verzögerungen in der Teilstrecke
1.5 Steuer- und Regelschaltungen
47
des äußeren Kreises enthalten sind. Vom Standpunkt des übergeordneten Kreises ist der untergeordnete Kreis mit seinem Führungsverhalten nur ein schnelles Stellglied des übergeordneten Kreises. Vom Standpunkt des untergeordneten schnellen Kreises ist der übergeordnete langsame Kreis nur als Sollwerteinsteller zu betrachten, der so langsam ist, dass der Sollwert als nahezu konstant gelten kann. Störungen z2 auf die innere Teilstrecke werden vom schnellen inneren Regelkreis ausgeregelt, so dass die Regelgröße x1 des äußeren Regelkreises durch diese Störungen nur unwesentlich beeinflusst wird. Störungen z1 auf die äußere Teilstrecke beeinflussen die Regelgröße x1 und werden vom äußeren Regelkreis ausgeregelt. Führungsregler w1
FR1
Strecke
z1
x2 FS 2
FR2
−
z2
y2
w2 xd2
xd1
−
Folgeregler
b
x1 FS 1 b
2 1
FH
Bild 1.5.7 Kaskadenregelung Mit Hilfe einer Kaskadenregelung lassen sich auch komplizierte Regelaufgaben lösen. Die Kaskadenregelung bietet folgende Vorteile: Sie ermöglicht, die Regelstrecke zu unterteilen und die Regelaufgabe in mehreren Schritten mit einfachen Regelkreisen zu lösen. Die Regeleinrichtung einer Kaskadenregelung lässt sich beim ersten Anfahren der Anlage in einzelnen Abschnitten in Betrieb nehmen, was von großem praktischen Nutzen ist. Störungen z2 auf den inneren Kreis werden schneller ausgeregelt, da sie bereits vom Folgeregler erfasst und kompensiert werden und nicht erst die gesamte Regelstrecke durchlaufen müssen. Wenn einer inneren Prozessgröße ein eigener Regelkreis zugeordnet wird, so lässt sich diese Größe auf einfache Weise durch den Stellhub des Führungsreglers begrenzen.
1 Einführung in die Regelungstechnik
48
Die Auswirkungen eines nichtlinearen Stellgliedes werden durch den untergeordneten Regelkreis begrenzt. Diesen Vorteilen stehen folgende Nachteile gegenüber: Jeder Regelkreis benötigt einen eigenen Fühler, Messumformer und Regler, so dass diese Regelschaltung aufwendiger und teurer ist. Es ist aber zu bemerken, dass der äußere Regler auf einem niedrigen Leistungsniveau arbeitet und nur der innere Kreis das Leistungsstellglied enthält, das in den Energie- oder Massenstrom der Strecke eingreift. Eine Kaskadenregelung ist bei Änderungen der übergeordneten Führungsgröße u. U. langsamer als ein Einfachregelkreis, sofern dieser verwirklicht werden kann. An zwei typischen Beispielen wird die Kaskadenregelschaltung erläutert. In Bild 1.5.8 ist eine Temperatur-Durchfluss-Kaskadenregelung dargestellt. Die Temperatur der Flüssigkeit in einem heißdampfbeheizten Behälter soll konstant gehalten werden. Damit sich Schwankungen im Dampfstrom, verursacht durch variablen Vordruck, nicht auf die Temperatur auswirken, wird dem langsamen Temperaturregelkreis ein schneller Durchflussregelkreis untergeordnet. xd1 w1 bc
w2 = y 1 bc
−
xd2
x1
−
x2
y2
ϑ
m ˙D
Bild 1.5.8 Temperatur-Durchfluss-Kaskadenregelung
1.5 Steuer- und Regelschaltungen
49
Bild 1.5.9 zeigt eine Kaskadenregelschaltung zur Regelung der Papierbahnspannung in einer Papiermaschine. Die Aufgabe der Antriebe der Walzen besteht darin, die Papierbahn kontinuierlich durch die Maschine zu transportieren. Da beim Durchlauf der Papierbahn Dehnungen und Schrumpfungen auftreten, muss die Umfangsgeschwindigkeit der Walzen so angepasst werden, dass die Papierbahn weder gestaucht wird noch reißt. Daher ist jeder Antrieb drehzahlgeregelt, wobei der Drehzahlsollwert durch die Papierbahnspannung geregelt eingestellt wird.
n
+ +
p
+ + b
M
M y2
FR2 xd2 x2 −
w2
FR1
x1 − xd1
w1
Bild 1.5.9 Bahnspannung-Drehzahl-Kaskadenregelung
1.5.2 Folgeregelschaltungen Gemäß der Regelaufgabe, den Wert der Regelgröße laufend den veränderten Werten der Führungsgröße (w nicht konstant), wie z. B. einer Prozessgröße oder der Zeit, nachzuführen, muss die Regeleinrichtung einer Folgeregelschaltung so ausgelegt werden, dass sich ein gutes Führungsverhalten mit kurzer Regelzeit und gut gedämpftem Einschwingen ergibt. In Bild 1.5.10 ist der Signalflussplan einer Folgeregelung dargestellt. Die Größe x1 , die selbst ungeregelt oder geregelt sein kann (Folgeregelung mit ungeregelter oder geregelter Führungsgröße), verstellt über einen Sollwertverhältniseinsteller die Führungsgröße w2 des Regelkreises der abhängigen Regelgröße x2 . Ein Beispiel für eine Verhältnisregelung, dem Sonderfall einer Folgeregelung, ist die Feuerungsregelung eines Industrieofens (Bild 1.5.11). Der Luftstrom m ˙ L wird dem
1 Einführung in die Regelungstechnik
50
FS 1
a) w2
y2
xd2 FR2
b
x1 x2 b
FS 2
−
w2 = KV · x1 b
− b)
w1
xd1
w2
xd2
w2 = KV · x1
FR1
y1
FS 1
y2 FR2
FS 2
b
x1 x2 b
−
Bild 1.5.10 Folgeregelung a) mit ungeregelter Führungsgröße b) mit geregelter Führungsgröße Gasstrom m ˙ G nachgeführt, um eine optimale Verbrennung zu gewährleisten und die Ofentemperatur ϑ aufgabengemäß zu steuern. Die Führungsgröße Gasstrom wird entsprechend dem Sollwert w1 selbst geregelt. Störungen in der Gasversorgung werden vom Gasstromregelkreis ausgeregelt und beeinflussen daher den Luftstromregelkreis nur mehr unwesentlich, so dass sich ein ruhiger Ofenbetrieb ergibt. Die behandelten grundlegenden Regelschaltungen lassen sich – soweit es sinnvoll ist – auch kombinieren. Eine solche Regelschaltung ist z. B. die KaskadenVerhältnisregelung, wie sie zur Regelung der Temperatur eines Industrieofens eingesetzt wird (Bild 1.5.12).
1.5 Steuer- und Regelschaltungen
51
w1 xd1 −
ϑ b
x1 y1 m ˙G m ˙L
y2
x2 − w2 xd2
Bild 1.5.11 Feuerungsregelung eines Industrieofens
−
−
ϑ b
m ˙G m ˙L
−
Bild 1.5.12 Temperaturregelung eines Industrieofens
Kapitel 2 Beschreibung des Übertragungsverhaltens Um eine Regelstrecke mit einer entsprechenden Regeleinrichtung zufriedenstellend regeln zu können, muss das dynamische Verhalten der Strecke wie das des Regelkreises bekannt sein. Das dynamische Verhalten eines Regelkreisgliedes oder eines gesamten Regelkreises lässt sich rechnerisch oder experimentell ermitteln.
2.1 Beschreibung mit Hilfe von Differenzialgleichungen 2.1.1 Arten von Differenzialgleichungen zur Beschreibung von Regelkreisgliedern Die einzelnen Übertragungsglieder eines Regelkreises sind gerichtete Glieder (Bild 2.1.1). Ihr Verhalten, also die wirkungsmäßige Abhängigkeit der Ausgangsgröße xa (t) von der Eingangsgröße xe (t), wird im Allgemeinen durch eine Differenzialgleichung beschrieben. Die Differenzialgleichung für ein Übertragungsglied oder -system ergibt sich, wie die folgenden Beispiele zeigen, aus den physikalischen Gesetzmäßigkeiten, denen es unterliegt (z. B. Ohmsches Gesetz, Newtonsches Gesetz). xe (t)
Bild 2.1.1 Übertragungsglied
F
xa (t)
a) Elektrisches Netzwerk Bild 2.1.2 zeigt ein elektrisches Netzwerk, bestehend aus der Reihenschaltung eines Widerstandes und eines Kondensators, mit der Spannung ue (t) als Eingangsgröße und der Spannung ua (t) als Ausgangsgröße.
2 Beschreibung des Übertragungsverhaltens
54
R ue (t)
i(t) C
ua (t)
Bild 2.1.2 Elektrisches Netzwerk Nach dem Kirchhoffschen Gesetz gilt die Maschengleichung: R · i + ua = ue Da für den Strom i gilt: i=C·
dua dt
ergibt sich folgende Differenzialgleichung für die Ausgangsspannung ua : R·C·
dua + ua = ue dt
(2.1.1)
Dies ist eine gewöhnliche lineare Differenzialgleichung mit konstanten Koeffizienten. b) Behälter mit Leck
c x(t) m(t) b b b b b b b b
Bild 2.1.3 Behälter mit Leck
Für einen an einer Feder hängenden Wasserbehälter mit Leck (Bild 2.1.3) gilt nach dem Impulssatz die Bewegungsgleichung: d m(t) · x˙ + c · x = m(t) · g dt
m(t) · x¨ + m(t) ˙ · x˙ + c · x = m(t) · g
(2.1.2)
2.1 Beschreibung mit Hilfe von Differenzialgleichungen
55
Hier handelt es sich um eine gewöhnliche lineare Differenzialgleichung mit zeitabhängigen Koeffizienten, da m = m(t). c) Mechanisches System In Bild 2.1.4 ist ein mechanisches System dargestellt. Nach dem Newtonschen Gesetz gilt folgende Bewegungsgleichung, wenn die Reibungskraft R berücksichtigt wird und die Federkonstante c abhängig von der Auslenkung x ist: m·
dx d2 x + c(x) · x + (sgn ) · µ · m · g = K 2 dt dt
(2.1.3) x(t) c(x)
m K(t)
Bild 2.1.4 Mechanisches System
R
Für µ = 0 und c konstant liegt eine gewöhnliche lineare Differenzialgleichung mit konstanten Koeffizienten vor. Für µ , 0 und c konstant ist die Differenzialgleichung stückweise (je Geschwindigkeitsrichtung) linear. Für c = c(x) ist die Differenzialgleichung nichtlinear. d) Fliehkraftpendel Bild 2.1.5 zeigt ein Fliehkraftpendel, dessen Drehachse angetrieben wird. Die Massen m des Pendels (Länge l) bewegen sich auf einer Raumbahn, die mit Hilfe der Winkel α und ϕ sowie der Winkelgeschwindigkeiten α˙ und ω beschrieben werden kann. Im Falle einer gleichförmigen Bewegung ist diese Bahn eine Kreisbahn (Radius r). Betrachtet man im Folgenden nur die Hubbewegung einer Masse, so gilt für die Momentenbilanz um den Drehpunkt O: K J · l + KG · r − KZ · h = 0 m · l2 · α¨ + m · g · r − m · r · ω2 · h = 0 Mit h = l · cos α und r = l · sin α folgt: α¨ +
1 g · sin α − · sin 2α · ω2 = 0 l 2
(2.1.4)
2 Beschreibung des Übertragungsverhaltens
56
0 α h
α
l
h l
bc
KZ = m · r · ω2 r
r
bc
m
K J = m · l · α¨
KG = m · g
ϕ, ϕ˙ = ω
Bild 2.1.5 Fliehkraftpendel Dies ist eine gewöhnliche, aber in α und ω nichtlineare Differenzialgleichung. e) Förderband Ein Förderband (Bild 2.1.6) transportiert mit einer konstanten Geschwindigkeit v0 feinkörniges Material. Ändert sich die Schieberstellung xe (t), so entsteht auf dem Band ein Materialprofil z(x, t), das sich gleichförmig bewegt. Dieses Profil lässt sich als Funktion der Zeit t und des Ortes x durch die partielle Differenzialgleichung beschreiben: ∂z(x, t) ∂z(x, t) = v0 · ∂t ∂x
(2.1.5)
xe (t) z(x, t) +
+
v0
xa (t)
x l
Bild 2.1.6 Förderband
Im Folgenden werden bis auf wenige Ausnahmen nur solche Übertragungsglieder und Systeme von Übertragungsgliedern behandelt, deren Verhalten sich durch eine gewöhnliche lineare (oder linearisierbare) Differenzialgleichung mit konstanten Koeffizienten beschreiben lässt. Eine solche Differenzialgleichung hat allgemein folgendes
2.1 Beschreibung mit Hilfe von Differenzialgleichungen
57
Aussehen: an ·
dn−1 xa dxa dn x a + a · + a0 · x a = + . . . + a1 · n−1 n n−1 dt dt dt
= b0 · x e + b1 ·
dxe dm x e dm−1 xe + . . . + bm−1 · m−1 + bm · m dt dt dt
(2.1.6)
wobei die ai und bi Konstante sind.
2.1.2 Eigenschaften linearer zeitinvarianter Übertragungsglieder Ein Übertragungsglied oder Übertragungssystem, dessen Verhalten durch eine gewöhnliche lineare Differenzialgleichung beschrieben wird, gehorcht dem Gesetz der Homogenität und der Superposition. Sind die Koeffizienten ai und bi konstant und zeitunabhängig, so weist das System zusätzlich die Eigenschaft der Zeitinvarianz auf. 2.1.2.1 Homogenität Unter Homogenität versteht man folgendes: Wenn bei einem Übertragungsglied eine Eingangsgröße xe(t) eine Ausgangsgröße xa (t) hervorruft, dann erzeugt eine Eingangsgröße c · xe (t) die Ausgangsgröße c · xa (t), wenn c eine beliebige reelle, von Null verschiedene Konstante ist: xe (t) ⇒ xa (t) (2.1.7) c · xe (t) ⇒ c · xa (t)
Eine Verdoppelung der Eingangsgröße hat also bei einem linearen Übertragungsglied auch eine Verdoppelung der Ausgangsgröße zur Folge. 2.1.2.2 Superposition Unter Superposition oder Überlagerung versteht man folgendes: Wenn bei einem Übertragungsglied eine Eingangsgröße xe1 (t) eine Ausgangsgröße xa1 (t) und eine Eingangs-
2 Beschreibung des Übertragungsverhaltens
58
größe xe2 (t) eine Ausgangsgröße xa2 (t) hervorruft, dann erzeugt die Summe der Eingangsgrößen xe1 (t)+ xe2 (t) die Summe der Ausgangsgrößen xa1 (t)+ xa2 (t) für alle xe1 (t) und xe2 (t): xe2 (t) ⇒ xa2 (t) xe1 (t) + xe2 (t) ⇒ xa1 (t) + xa2 (t) xe1 (t) ⇒ xa1 (t)
(2.1.8)
2.1.2.3 Zeitinvarianz
Unter Zeitinvarianz versteht man folgendes: Wenn eine Eingangsgröße xe(t) eine Ausgangsgröße xa (t) hervorruft, dann erzeugt eine um die Zeit τ verschobene Eingangsgröße xe (t − τ) eine Ausgangsgröße xa (t − τ) für alle beliebigen xe (t) und τ: xe(t) ⇒ xa (t) xe(t − τ) ⇒ xa (t − τ)
(2.1.9)
In diesem Fall ist ein Differenzieren oder Integrieren einer ganzen Gleichung zulässig. Lineare Rechenoperationen sind also die Summation, die Multiplikation mit einer Konstante, die Differenziation, die Integration und Kombinationen dieser Operationen.
2.1.3
Linearisierung
In Wirklichkeit kann ein reales physikalisches System selten exakt durch eine gewöhnliche lineare Differenzialgleichung mit konstanten Koeffizienten beschrieben werden. Viele Systeme lassen sich jedoch näherungsweise oder in einem begrenzten Bereich um den Arbeitspunkt durch eine lineare Differenzialgleichung beschreiben. Das Verfahren der so genannten Linearisierung soll an einfachen Beispielen gezeigt werden.
2.1 Beschreibung mit Hilfe von Differenzialgleichungen
59
2.1.3.1 Statischer Zusammenhang gemäß einer stetigen Kennlinie Bild 2.1.7 zeigt eine typische Ventilkennlinie mit der Gleichung q = f (H). Der Arbeitspunkt A ist durch die Größen H0 und q0 gegeben. In der Umgebung dieses Punktes kann nun die Ventilgleichung in eine Taylorreihe entwickelt werden: dq 1 d2 q 2 q − q0 = · (H − H0 ) + · · (H − H0 ) + . . . dH A 2 dH 2 A q
∆q
A q0
Bild 2.1.7 Stetige Ventilkennlinie
∆H
H0
H
Unter der Voraussetzung, dass die zweite Ableitung, die ein Maß für die Kurvenkrümmung ist, die höheren Ableitungen sowie die Auslenkung H − H0 nicht zu groß sind, kann die Kennlinie in der Umgebung des Arbeitspunktes durch den ersten Term der Taylorreihe, d. h. durch die Tangente, angenähert werden: dq q − q0 ≈ · (H − H0 ) dH A Führt man die Abweichungen ein: ∆q = q − q0 ∆H = H − H0 und bezeichnet die Ableitung mit dem Übertragungsbeiwert: dq K= dH A so erhält man folgende linearisierte Gleichung: ∆q = K · ∆H
(2.1.10)
2 Beschreibung des Übertragungsverhaltens
60
Für das Übertragungsglied Ventil lässt sich dann ein Signalflussplan nach Bild 2.1.8 angeben. linearisierte Gleichung für kleine Auslenkungen um den Arbeitspunkt ∆H H
q
∆H + H0
∆q + q0
K
∆q q bc
H0
q0 Gleichung für den Arbeitspunkt
Bild 2.1.8 Signalflussplan des Ventils Im Nachfolgenden wird nur der Signalzusammenhang bei kleinen Auslenkungen um den Arbeitspunkt betrachtet, wobei die Delta-Schreibweise der Gleichungen wieder fallengelassen wird. Kennlinienfelder können in analoger Weise oder durch Bilden des vollständigen Differenzials linearisiert werden. Eine Linearisierung ist fehl am Platz, wenn eine ausgeprägte Nichtlinearität, etwa eine unstetige Kennlinie mit Zweipunktverhalten, vorliegt. 2.1.3.2 Dynamischer Zusammenhang gemäß einer nichtlinearen Differenzialgleichung Nach Gleichung (2.1.4) lautet die Differenzialgleichung für die Hubbewegung des Fliehkraftpendels: 1 g · sin α − · sin 2α · ω2 = 0 l 2 Für den Arbeitspunkt (α0 , ω0 ) gilt im stationären Zustand die Gleichung: α¨ +
1 g · sin α0 − · sin 2α0 · ω20 = 0 l 2 Werden kleine Auslenkungen um den Arbeitspunkt betrachtet: ∆α = α − α0 ∆ω = ω − ω0
(2.1.4)
2.1 Beschreibung mit Hilfe von Differenzialgleichungen
61
so lautet die Differenzialgleichung: 1 d2 (α0 +∆α) g + · sin(α0 +∆α) − · sin 2(α0 +∆α) · (ω0 +∆ω)2 = 0 l 2 dt2 Wird daraus die Arbeitspunktgleichung eliminiert und werden kleine Größen zweiter und höherer Ordnung vernachlässigt und wird für sin ∆α ≈ ∆α und für cos ∆α ≈ 1 gesetzt, so gilt die linearisierte Differenzialgleichung für kleine Auslenkungen um den Arbeitspunkt: g ∆α¨ + ( · cos α0 − ω20 · cos 2α0 ) · ∆α = ω0 · sin 2α0 · ∆ω l
(2.1.11)
Die Behandlung von Regelproblemen mit linearisierten Differenzialgleichungen geht bereits auf Maxwell (1831 - 1879) zurück.
2.1.4 Lösung von gewöhnlichen linearen Differenzialgleichungen mit konstanten Koeffizienten Das dynamische Verhalten linearer Übertragungsglieder wird durch eine gewöhnliche lineare Differenzialgleichung beschrieben. Diese Differenzialgleichung lässt sich aus dem physikalisch-technischen Aufbau des Systems herleiten. Für eine beliebige Eingangsgröße xe (t) und für gegebene Anfangsbedingungen wird der Verlauf der Ausgangsgröße xa (t) bestimmt durch Lösung der Differenzialgleichung nach bekannten Rechenverfahren mit Hilfe von Lösungsansätzen oder mit Hilfe der Laplace-Transformation. 2.1.4.1 Lösung mit Hilfe von Lösungsansätzen Die allgemeine gewöhnliche lineare Differenzialgleichung mit konstanten Koeffizienten hat folgendes Aussehen: dxa dn x a dn−1 xa + . . . + a1 · + a0 · x a = + a · n−1 n n−1 dt dt dt dm−1 xe dxe dm x e + . . . + bm−1 · m−1 + bm · m = b0 · x e + b1 · dt dt dt
an ·
mit ai , bk konstant; an , 0; a0 = 1.
(2.1.6)
2 Beschreibung des Übertragungsverhaltens
62
Für reale technische Systeme gilt m ≤ n. Reale Systeme sind höchstens sprungfähig (m = n), sie können aber nicht differenzieren. Die Eingangsgröße xe wirkt meist nicht unmittelbar auf die Ausgangsgröße xa ein, sondern nur über die im System enthaltenen Energiespeicher, die aufgeladen, umgeladen oder entladen werden. Reale Systeme sind also träge. Sie haben Tiefpasscharakter. Um eine eindeutige Lösung xa (t) zu erhalten, muss das Zeitintervall gegeben sein, für das die Lösung erwünscht ist; hier z. B.: 0 ≤ t < +∞
(2.1.12)
ein Satz von n Anfangsbedingungen für die Ausgangsgröße und ihre (n − 1) Ableitungen gegeben sein; hier: dxa dn−1 xa xa (0) ; (2.1.13) ; ... ; dt t=0 dtn−1 t=0
Ein Problem, das für obiges Zeitintervall und mit obigen Anfangswerten gegeben ist, wird Anfangswertproblem genannt.
Die Lösung der Differenzialgleichung setzt sich aus zwei Teilen zusammen, der homogenen Lösung xah (t) und der partikulären Lösung xap (t). Wegen der Linearität des Systems gilt das Superpositionsgesetz, so dass die Gesamtlösung xa (t) lautet: xa (t) = xah (t) + xap (t)
(2.1.14)
Die homogene Lösung beschreibt die freie Bewegung des Systems, wenn die Eingangsgröße xe (t) ≡ 0. Diese Lösung kennzeichnet das dynamische Übergangsverhalten des Systems und seine Stabilität. Die partikuläre Lösung beschreibt die Bewegung des Systems, die durch die einwirkende Eingangsgröße xe (t) erzwungen wird. Sie charakterisiert die Übertragungseigenschaften des Systems im Beharrungszustand. a) Homogene Lösung Die homogene Lösung erhält man, indem man zuerst den Lösungsansatz: xah (t) = C · eλ·t
(2.1.15)
2.1 Beschreibung mit Hilfe von Differenzialgleichungen
63
in die homogene Differenzialgleichung einsetzt und dann die n Eigenwerte λi als Wurzeln der so genannten charakteristischen Gleichung: an · λn + an−1 · λn−1 + . . . + a1 · λ + 1 = 0
(2.1.16)
ermittelt. Die n Wurzeln können reell oder konjugiert komplex sein. Sie können auch mehrfach auftreten. Für n ≥ 3 sind die Wurzeln nicht immer einfach bestimmbar. Sind alle Wurzeln reell und voneinander verschieden, so lautet die Lösung: xah (t) =
n X i=1
Ci · eλi ·t
(2.1.17)
Befinden sich unter den n Wurzeln k gleiche mit dem Wert λ1 , so lautet die Lösung: xah (t) = (C10 + C11 · t + . . . + C1,k−1 · t
k−1
)·e
λ1 ·t
+
n X
i=k+1
Ci · eλi ·t
(2.1.18)
Befindet sich unter den n Wurzeln ein komplexes Wurzelpaar (komplexe Wurzeln treten immer konjugiert komplex auf) mit dem Wert: λ1 = σ1 + j · ω1 λ2 = λ∗1 = σ1 − j · ω1 so lautet die Lösung der homogenen Differenzialgleichung: xah (t) = eσ1 ·t · (C1 · cos ω1 t + C2 · sin ω1 t) +
n X i=3
Ci · eλi ·t
(2.1.19)
b) Partikuläre Lösung Die partikuläre Lösung xap (t), ein Partikulärintegral der vollständigen Differenzialgleichung, gibt das Verhalten des Systems im Beharrungszustand an, wenn der homogene Anteil, der das dynamische Übergangsverhalten darstellt, abgeklungen ist. Die partikuläre Lösung erhält man, wenn man in die vollständige Differenzialgleichung einen Lösungsansatz vom Typ der Eingangsfunktion einsetzt (Tabelle 2.1.1). Setzt sich die Eingangsfunktion aus mehreren Teilfunktionen zusammen, so ist gemäß dem Superpositionsprinzip als Lösungsansatz die Summe der entsprechenden Lösungsansätze zu wählen. Die Ansatzparameter Ai und Bi werden durch Einsetzen des Ansatzes in die vollständige Differenzialgleichung berechnet.
r=0
k X
E r tr
E r tr
eσ1 t (cos ω1 t ·
eσ1 t
r=0
k X
r=0
k X
Er tr + sin ω1 t ·
Eingangsfunktion xe(t)
r=0
l X
F r tr ) λi = σ1 + jω1
λi , σ1 + jω1
λi = σ1
λi , σ1
λi = 0
λi , 0
Tabelle 2.1.1 Lösungsansätze für die partikuläre Lösung
·
· (cos ω1 t ·
r=0
r=0
r=0
Br t r )
Br t r ) max(k,l) X
r=0
max(k,l) X
Ar tr + sin ω1 t ·
r
Ar t + sin ω1 t · max(k,l) X
max(k,l) X
t · eσ1 t · (cos ω1 t ·
e
σ1 t
r=0
Ar t r
Ar t r
k X
r=0
t · eσ1 t ·
e
k X
r=0
Ar t r
Ar t r
k X
σ1 t
t·
r=0
k X
Lösungsansatz xap (t)
64
2 Beschreibung des Übertragungsverhaltens
2.1 Beschreibung mit Hilfe von Differenzialgleichungen
65
c) Vollständige Lösung Die vollständige Lösung setzt sich aus der homogenen und der partikulären Lösung zusammen: xa (t) = xah (t) + xap (t)
(2.1.14)
Die Ansatzkonstanten Ci der homogenen Lösung werden nun durch die gegebenen Anfangsbedingungen festgelegt. xe = Ke m xa = υ d
Bild 2.1.9 Masse-Dämpfer-System Beispiel: An einem Masse-Dämpfer-System nach Bild 2.1.9 wird das Aufstellen und Lösen einer gewöhnlichen linearen Differenzialgleichung mit konstanten Koeffizienten erläutert. Zuerst wird die Differenzialgleichung für die Ausgangsgröße Geschwindigkeit v bei gegebener Eingangsgröße Kraft Ke aus dem Kräftegleichgewicht an der Masse aufgestellt:
m·
dv + d · v = Ke dt
Normiert gilt:
m dv 1 · + v = · Ke d dt d und verallgemeinert mit xa = v, xe = Ke , T = m/d und K = 1/d :
T·
dxa + xa = K · xe dt
Dies ist eine Differenzialgleichung 1. Ordnung, die das Verhalten eines P-T1 -Gliedes beschreibt. Sie soll nun für die sprungförmige Eingangsgröße xe (t) = 1(t) und die Anfangsbedingung xa (0) = 0 gelöst werden. Die vollständige Lösung der Differenzialgleichung lautet:
xa (t) = xah (t) + xap (t)
2 Beschreibung des Übertragungsverhaltens
66
Zuerst wird die homogene Lösung xah (t) ermittelt. Die homogene Differenzialgleichung lautet:
T·
dxa + xa = 0 dt
und der Lösungsansatz für die homogene Lösung ist:
xah = C · eλt Dieser wird in die homogene Differenzialgleichung eingesetzt und es ergibt sich die folgende charakteristische Gleichung:
T ·λ+1=0 Daraus folgt mit λ = −1/T die homogene Lösung:
xah (t) = C · e−t/T Nun wird ein Partikulärintegral der vollständigen Differenzialgleichung:
T·
dxa + xa = K · xe = K · 1(t) dt
gesucht. Der Lösungsansatz für die partikuläre Lösung vom Typ der Eingangsfunktion:
xap (t) = A0 wird in die vollständige Differenzialgleichung eingesetzt und man erhält mit A0 = K die partikuläre Lösung:
xap (t) = K Damit lautet die vollständige Lösung:
xa (t) = C · e−t/T + K Die noch unbekannte Konstante C wird aus der vollständigen Lösung mit Hilfe der Anfangsbedingung xa (0) = 0 ermittelt zu C = −K . Damit lautet die endgültige Lösung:
xa (t) = K · (1 − e−t/T )
2.1 Beschreibung mit Hilfe von Differenzialgleichungen
67
2.1.4.2 Lösung mit Hilfe der Laplace-Transformation Die Lösung der Differenzialgleichung (2.1.6) für eine bestimmte Eingangsgröße und für gegebene Anfangsbedingungen kann auch mit Hilfe der Laplace-Transformation ermittelt werden. Der Lösungsablauf ist der folgende: Man transformiert die gegebene Differenzialgleichung in den Bildbereich und erhält hier eine einfache algebraische Gleichung. Mit Hilfe einfacher Rechenoperationen ermittelt man die Lösung im Bildbereich und transformiert sie anschließend in den Zeitbereich zurück (Bild 2.1.10). Problem
Lösung
Differenzialgleichung
LaplaceTransformation
Zeitfunktion Originalbereich
Rücktransformation
Bildbereich Laplace-Transformierte
Rechenoperation
Lösung im Bildbereich
Bild 2.1.10 Lösungsablauf Die Vorteile dieses Verfahrens sind: Der Übergang vom Originalbereich in den Bildbereich und zurück kann mit Hilfe von Tabellen leicht vollzogen werden. Im Bildbereich sind bei der Lösung einfachere Rechenoperationen auszuführen als im Originalbereich. Im Folgenden wird kurz auf die Definition, auf die Rechenregeln und die Korrespondenzen der Laplace-Transformation eingegangen. Näheres über die LaplaceTransformation kann der entsprechenden Literatur [6] [8] entnommen werden. Die Laplace-Transformierte F(p) einer Zeitfunktion f (t) wird durch folgende Gleichung definiert: F(p) =
Z∞ 0
e−pt · f (t) dt ≡ L{ f (t)}
(2.1.20)
2 Beschreibung des Übertragungsverhaltens
68
Dabei wird vorausgesetzt: f (t) = 0
für t < 0
und: | f (t)| < M · eα·t wobei M und α positive Konstanten sind. Mit Hilfe funktionentheoretischer Methoden lässt sich das Umkehrintegral angeben, das gestattet, die Originalfunktion f (t) zu ermitteln, wenn die Transformierte F(p) bekannt ist: 1 f (t) = · 2·π· j
c+ Z j∞
F(p) · e pt dp ≡ L−1 {F(p)} für t > 0
(2.1.21)
c− j∞
Dabei ist c so gewählt, dass alle singulären Punkte des Integranden links von der Geraden Re{p} = c liegen. In Tabelle 2.1.2 sind die Rechenregeln der Laplace-Transformation zusammengestellt. Aus dem Differenziationssatz für die Originalfunktion ersieht man, dass einer Differenziation im Zeitbereich eine Multiplikation mit p im Bildbereich entspricht, wenn die Anfangsbedingungen identisch gleich Null sind. Formal kann das Differenziationssymbol d/dt der Variablen p der Laplace-Transformation gleichgesetzt werden: d ≡p dt Ferner sind noch die so genannten Grenzwertsätze von besonderer Bedeutung. Mit ihrer Hilfe lässt sich aus den Funktionen im Bildbereich das Verhalten der Funktionen im Zeitbereich für t → 0 und t → ∞ angeben. Der Anfangswertsatz lautet: f (+0) = lim p · F(p) p→∞
(2.1.22)
und der Endwertsatz: f (∞) = lim p · F(p) p→0
(2.1.23)
0
Differenziation
Faltung der Bildfunktion
Faltung
Integration der Bildfunktion
Integration
Differenziation der Bildfunktion
d f (t) dt
f (τ)dτ
−p · f (n−2) (+0) − f (n−1) (+0)
Bildfunktion
F1 (p) · F2 (p) F1 (p) ∗ F2 (p) =
f1 (t) · f2 (t)
p
dn F(p) dpn 1 · F(p) p R∞ F(ρ)dρ
1 c+R j∞ F1 (ρ) · F2 (p − ρ)dρ 2π jc− j∞
pn · F(p) − pn−1 · f (+0) − pn−2 · f ′ (+0) − ...−
p · F(p) − f (+0)
Rt f1 (t) ∗ f2 (t) = f1 (τ) · f2 (t − τ)dτ
f (t) t
0
Rt
(−t)n · f (t)
dn f (t) dtn
f (at)
Ähnlichkeit
a>0
e−at · f (t)
Dämpfung
F(p + a) p 1 · F( ) a a
e−ap · F(p)
t>a≥0
f (t − a)
Verschiebung
K · F(p) F1 (p) + F2 (p)
K · f (t)
Originalfunktion
f1 (t) + f2 (t)
Linearität
Satz
Tabelle 2.1.2 Rechenregeln für die Laplace-Transformation
2.1 Beschreibung mit Hilfe von Differenzialgleichungen 69
2 Beschreibung des Übertragungsverhaltens
70
Dabei wird vorausgesetzt, dass folgende Grenzwerte existieren: lim f (t) = f (+0) t→0
und: lim f (t) = f (∞)
t→∞
Beim Rechnen mit der Laplace-Transformation bedient man sich im Allgemeinen so genannter Korrespondenz-Tabellen, in denen Zeitfunktionen und deren LaplaceTransformierte zusammengestellt sind. Tabelle 2.1.3 enthält einige wichtige Korrespondenzen. Bei der Rücktransformation der Bildfunktion in den Originalbereich wendet man in den seltensten Fällen das Umkehrintegral nach Gleichung (2.1.21) an. Man versucht vielmehr, die Bildfunktion durch Umformen aus möglichst einfachen Ausdrücken (Partialbrüchen) aufzubauen, für die dann aus Tabelle 2.1.3 gemäß den Korrespondenzen die zugehörigen Zeitfunktionen entnommen werden können. Zur Lösung der Differenzialgleichung (2.1.6) mit Hilfe der Laplace-Transformation stellt man zuerst mit Hilfe des Differenziationssatzes die zugehörige Bildgleichung auf. Mit: xe (t) = 0
für t < 0
folgt: Xa (p) + a1 · [p · Xa (p) − xa (+0)] + a2 · [p2 · Xa (p) − p · xa (+0) − − x˙a (+0)] + . . . + an · [pn · Xa (p) − pn−1 · xa (+0) − . . . − x(n−1) (+0)] = a = b0 · Xe (p) + b1 · p · Xe (p) + . . . + bm · pm · Xe (p) Aufgelöst nach Xa (p) erhält man: Xa (p) =
b0 + b1 · p + . . . + bm · pm P(p, Anfangsbed.) · Xe (p) + n 1 + a1 · p + . . . + an · p 1 + a1 · p + . . . + an · pn (2.1.24)
2.1 Beschreibung mit Hilfe von Differenzialgleichungen
71
Tabelle 2.1.3 Korrespondenzen der Laplace-Transformation Originalfunktion
Bildfunktion 1
δ(t) 1(t) t tn 1 · tn−1 (n − 1)! e−at t · e−at tn · e−at 1 · tn−1 · e−at (n − 1)! sin at sinh at cos at cosh at e−bt · sin at e−bt · cos at 1 · e−ζωn t · sin(ωn p 2 ωn 1 − ζ
q
1 − ζ 2 · t)
1 p 1 p2 n! pn+1 1 pn 1 p+a 1 (p + a)2 n! (p + a)n+1 1 (p + a)n a 2 p + a2 a 2 p − a2 p p2 + a2 p 2 p − a2 a (p + b)2 + a2 p+b (p + b)2 + a2 1 p2 + 2ζωn p + ω2n
ζ ∆t
a) xa
t
∆t
k·K T
xa2 = g(t) xa1
b)
t T
Bild 2.3.2 Zeitverhalten a) Impulsfunktion b) Impulsantwort eines P-T1 -Gliedes
2.3.2
Sprungfunktion, Sprungantwort
Die Sprungfunktion ist gleich Null für alle Zeiten kleiner Null; sie springt im Zeitpunkt t = 0 auf den Wert k0 und behält diesen Wert für alle Zeiten größer Null. Die Sprungantwort ist der zeitliche Verlauf der Ausgangsgröße eines Systems, das am Eingang mit einer Sprungfunktion beaufschlagt wird. Bild 2.3.3 zeigt die Sprungfunktion und die Sprungantwort eines P-T1 -Gliedes. Wird die Ausgangsgröße durch Quotientenbildung auf die Sprunghöhe der Eingangsgröße bezogen, dann entsteht die bezogene Sprungantwort, die so genannte Übergangsfunktion. Die Übergangsfunktion h(t) ist also auch die Sprungantwort eines Systems als Reaktion auf einen Einheitssprung xe (t) = 1(t) am Eingang: h(t) = xa (t)
für xe (t) = 1(t)
(2.3.3)
Bei linearen Systemen mit konstanten Koeffizienten ist die Übergangsfunktion das
2.3 Beschreibung mit Hilfe von Antwortfunktionen
77
xe
Sprungfunktion: xe (t) = 0 für t < 0 xe (t) = k0 für t ≥ 0
k0 a) t xa k0 · K
T
b) t
Bild 2.3.3 Zeitverhalten a) Sprungfunktion b) Sprungantwort eines P-T1 -Gliedes Zeitintegral der Gewichtsfunktion: Z h(t) = g(t) dt
(2.3.4)
2.3.3 Anstiegsfunktion, Anstiegsantwort Die Anstiegsfunktion, auch Rampenfunktion genannt, ist eine linear mit der Zeit ansteigende Funktion. Die Anstiegsantwort ist der zeitliche Verlauf der Ausgangsgröße eines Systems, auf das am Eingang eine Anstiegsfunktion einwirkt. Wird ein P-T1 Glied mit einer Anstiegsfunktion beaufschlagt, so ergibt sich das in Bild 2.3.4 dargestellte Verhalten der Anstiegsantwort.
2.3.4 Cosinusfunktion, Schwingungsantwort Das Zeitverhalten von Übertragungsgliedern oder -systemen kann (außer durch das Übergangsverhalten) eindeutig auch durch die Zuordnung der Änderung der Ausgangsgröße zu zeitlich cosinusförmigen Änderungen der Eingangsgröße im eingeschwungenen Zustand für alle Frequenzen zwischen Null und Unendlich beschrieben werden.
2 Beschreibung des Übertragungsverhaltens
78
xe
Anstiegsfunktion: xe (t) = 0 für t < 0 xe (t) = k1 · t für t ≥ 0
a) k1
t 1 xa b) k1 · K 1 T
t
−k1 · K · T
Bild 2.3.4 Zeitverhalten a) Anstiegsfunktion b) Anstiegsantwort eines P-T1 -Gliedes Als Testfunktion wird eine harmonische cosinusförmige Schwingung mit der Frequenz ω aufgeschaltet. Nach einem Einschwingvorgang führt die Ausgangsgröße xa (t) im Beharrungszustand ebenfalls eine gleichförmige Schwingung (Schwingungsantwort) mit derselben Frequenz ω, jedoch mit anderer Amplitude und Phasenlage als die Eingangsgröße aus. Der Verlauf der Ausgangsgröße eines P-T1 -Gliedes als Reaktion auf eine cosinusförmige Eingangsfunktion ist in Bild 2.3.5 dargestellt. Bildet man für alle Frequenzen 0 < ω < ∞ im Beharrungszustand das Verhältnis der Ausgangsgröße zur Eingangsgröße, so erhält man den so genannten Frequenzgang F( jω) des Übertragungsgliedes: Xa F( jω) = · e jϕ Xe
(2.3.5)
2.3 Beschreibung mit Hilfe von Antwortfunktionen
79
Cosinusfunktion: xe (t) = 0 xe (t) = |Xe | · cos ωt
xe
a)
|Xe |
0
π
2π
3π
2π
3π
für t < 0 für t ≥ 0
ωt
xa |Xa | b)
ϕ 0
π
Bild 2.3.5 Zeitverhalten a) Cosinusfunktion b) Schwingungsantwort eines P-T1 -Gliedes
ωt
Kapitel 3 Lineare Übertragungsglieder Um das dynamische Verhalten eines Übertragungsgliedes oder -systems analytisch ermitteln zu können, wird ein mathematisches Modell auf Grund der herrschenden Gesetzmäßigkeiten erstellt. Lineare Systeme mit räumlich konzentrierten Parametern sind einfach zu modellieren, wenn das Prinzip der Kausalität (eine Ursache ruft eine Wirkung hervor) zugrunde gelegt wird.
3.1 Analogien Jedes technische System ist aus Baugliedern (Elementen) aufgebaut, die zusammenwirken und einen bestimmten Zweck erfüllen. Die wirkungsmäßigen Zusammenhänge der Elemente bestimmen das Verhalten des Systems. Will man das Verhalten analytisch beschreiben, so stellt man die an den einzelnen Baugliedern auf Grund der physikalischen Gesetze herrschenden Beziehungen auf, wie z. B. Ohmsches Gesetz für einen elektrischen Widerstand oder Massenerhaltungssatz für einen Stoffbehälter, und stellt die geltenden Bilanzgleichungen auf, wie z. B. die Kirchhoffschen Knotenpunkts- und Maschengleichungen für elektrische Systeme. Diese analytischen Beziehungen bilden das mathematische Modell des Systems. Als Bauglieder treten in elektrischen Systemen Widerstände, Kondensatoren und Spulen auf, in mechanischen Systemen Massen, Federn und Dämpfer, in hydraulischen Systemen Rohrleitungen und Behälter. Zur Beschreibung der Beziehungen an den Baugliedern verwendet man
3 Lineare Übertragungsglieder
82
physikalische Größen, wie z. B. Spannung und Stromstärke in elektrischen Systemen, Kraft und Geschwindigkeit in mechanischen Systemen und Druck und Volumenstrom in hydraulischen Systemen, und Kenngrößen der Bauglieder, wie z. B. die Induktivität einer Spule, die Masse eines Bauteiles und den Widerstand einer Rohrleitung. Für allgemeine Betrachtungen wäre es vorteilhaft, könnte man das Verhalten von Systemen und ihren Elementen ohne Rücksicht auf die Art und das Medium des Systems verallgemeinert beschreiben. Es lässt sich zeigen, dass dies möglich ist. Für lineare Systeme mit räumlich konzentrierten Baugliedern werden nur zwei zeitabhängige physikalische Größen, von denen die eine die Ursache und die andere die Wirkung darstellt, benötigt, um die Beziehungen an den Elementen anzugeben. Diese Größen sind das verallgemeinerte Potenzial p(t) und der verallgemeinerte Strom q(t). Der an den Baugliedern vorkommende Kausalzusammenhang lässt sich darstellen als proportionale Abhängigkeit q(t) ∼ p(t), integrierend wirkende Abhängigkeit R q(t) ∼ p(t) dt und als differenzierend wirkende Abhängigkeit q(t) ∼ dp(t)/dt.
Das Produkt der verallgemeinerten Größen Potenzial und Strom ist gleich der Momentanleistung P(t) = p(t) · q(t). Die Bauglieder eines Systems können daher als Energieumsetzer betrachtet werden, wobei zwischen Energiequellen (Quellelementen), Energieverbrauchern (Widerstandselementen) und Energiespeichern (Speicherelementen) unterschieden wird.
3.1.1
Verallgemeinerte Größen
Die beiden Größen Potenzial und Strom bilden die Grundlage für die Verallgemeinerung. Die Zuordnung der physikalischen Größen von Systemen der verschiedenen technischen Gebiete zu den verallgemeinerten Größen Potenzial und Strom ist im Grundsatz willkürlich. Eine Zuordnung kann z. B. anhand der Messverfahren erfolgen, mit denen Potenzial und Strom bestimmt werden. Die Größe Potenzial wird von einem Punkt des Systems relativ zu einem Bezugspunkt gemessen. Potenzialdifferenzen werden allgemein auch als Quervariable bezeichnet. Quervariable sind z. B. elektrische Spannung, Geschwindigkeit und Druck. Die Größe Strom, allgemein als Längsvaria-
3.1 Analogien
83
ble bezeichnet, wird direkt im Zweig eines Systems gemessen. Längsvariable sind also Stromstärke, Kraft, Volumenstrom und Massenstrom. In Tabelle 3.1.1 sind die analogen physikalischen Größen von Systemen verschiedener technischer Gebiete zusammengestellt und den verallgemeinerten Größen Potenzial und Strom zugeordnet. In mechanischen Systemen ist gemäß der Zuordnung nach dem Messverfahren die Geschwindigkeit eine Quervariable und die Kraft eine Längsvariable. In Tabelle 3.1.1 wird jedoch der klassischen Analogie der Vorzug gegeben, bei der die Kraft dem Potenzial und die Geschwindigkeit dem Strom zugeordnet sind, gemäß der Betrachtung von Ursache und Wirkung. Bei thermischen Systemen werden als verallgemeinerte Größen Temperatur und Wärmestrom herangezogen. Die Wahl dieser Größen führt zu analogen Baugliedern, wie Wärmewiderstand und Wärmekapazität. Das Produkt aus Temperatur und Wärmestrom stellt entgegen dem Produkt der verallgemeinerten Größen in anderen Systemen keine Leistung dar.
3.1.2 Analoge Bauglieder Bei den räumlich konzentrierten Baugliedern linearer Systeme unterscheidet man Energiequellen, Energieverbraucher und Energiespeicher. 3.1.2.1 Energiequellen Es existieren zwei Arten von Energiequellen: Spannungsquellen und Stromquellen (Bild 3.1.1). Eine ideale Spannungsquelle liefert eine eingeprägte Potenzialdifferenz unabhängig vom Strom. Eine ideale Stromquelle liefert hingegen einen eingeprägten Strom unabhängig vom anliegenden Potenzial. Die Leistung, die die Quelle liefert, ist gleich dem Produkt aus Potenzialdifferenz und Strom.
q(t)
+ p(t)
Bild 3.1.1 Energiequellen a) Spannungsquelle b) Stromquelle
− a)
b)
3 Lineare Übertragungsglieder
84
Tabelle 3.1.1 Analoge Größen Größe
elektrisch
mech.-transl.
Ladung
mech.-rot.
Weg
Auslenkung
Quantität C
Q Spannung
m
x Kraft
−
α Drehmoment
Potenzial V
u Stromstärke Strom i=
dQ dt
N
K Geschwindigkeit
A
Elektr. Widerstand
v=
dx dt
Dämpfungswiderst.
Widerstand R=
u i
Ω
Kondensator Q u
d=
K v
N·s m
Feder
Kapazität C=
m s
F
Spule
1 x = c K
N·m
M
Winkelgeschwind. 1 s
dα dt
ω=
Dämpfungswiderst. dR =
M ω
N·m·s
Torsionsfeder m N
Masse
1 α = cR M
1 N·m
Trägheitsmoment
Trägheit L=
u di/dt
H
m=
K dv/dt
kg
J=
M dω/dt
kg · m2
3.1.2.2 Energieverbraucher Energieverbraucher sind Widerstandselemente, an denen Energie irreversibel umgesetzt wird. Sie werden durch folgende Gleichung beschrieben: q(t) =
1 · p(t) R
(3.1.1)
3.1 Analogien
85
Tabelle 3.1.1 Analoge Größen (Fortsetzung) Größe
hydraulisch
pneumatisch
Volumen
thermisch
Gasmasse
Wärmemenge
Quantität m3
V Druck
kg
m Druck
Potenzial
N m2
pd Volumenstrom
Temperatur N m2
pd
kJ
Q
Massenstrom
K
ϑ Wärmestrom
Strom m3 s
dV dt
q=
Strömungswiderst. Widerstand rL =
pd q
m ˙ =
dm dt
kg s
Pneumat. Widerst.
kg m4 · s
r=
m4 · s2 kg
k=
Speicherkapazität
pd m ˙
φ=
dQ dt
Wärmewiderst.
1 m·s
RW =
m · s2
k=
Speicherkapazität
kJ h
ϑ φ
K·h kJ
Wärmekapazität
Kapazität k=
V0 p0
Trägheit Trägheit LL =
pd dq/dt
m pd
Q ϑ
kJ K
Trägheit kg m4
L=
pd dm/dt ˙
1 m
Der Strom ist proportional der Potenzialdifferenz. Energieverbraucher sind in ihrer Wirkung also proportionale Übertragungsglieder. Die Ausgangsgröße Strom (Wirkung) ist proportional der Eingangsgröße Potenzialdifferenz (Ursache).
3 Lineare Übertragungsglieder
86
Tabelle 3.1.2 Übertragungsfunktionen analoger Bauglieder System
elektrisch u
Übertragungsblock
i
mech.-transl.
F(p)
i
K
F(p)
1 F(p)
u
v
1 F(p)
Proportionalelemente
Widerstand
R
mech.-rot. v
M
F(p)
K
ω
1 F(p)
Dämpfer
M
d Tors.dämpfer
dR
Bauglied
Phys. Gesetz
i=
1 ·u R
1 ·K d
v=
C
i=C·
Übertragungsfunktion F(p)
du dt
Feder
v=
1 c
1 dK · c dt
Spule
L
1 cR
Tors.feder
ω=
1 dM · cR dt p cR
p c
Cp
1 ·M dR 1 dR
Bauglied
Phys. Gesetz
ω=
1 d
1 R
Übertragungsfunktion F(p)
Kondensator
Speicherelemente
ω
Masse
m
Trägheit
J
Bauglied
Phys. Gesetz
Übertragungsfunktion F(p)
1 i= L
Z
1 Lp
u dt
1 v= m
Z
1 mp
K dt
1 ω= J
Z
1 Jp
M dt
3.1 Analogien
87
Tabelle 3.1.2 Übertragungsfunktionen analoger Bauglieder (Fortsetzung) System
hydraulisch pd
Übertragungsblock
pneumatisch q
pd
pd
m ˙
F(p) 1 F(p)
q
Proportionalelemente
Leitung
rL
F(p) 1 F(p)
thermisch
m ˙
ϑ
F(p)
pd
φ
1 F(p)
Drossel
r
φ ϑ
Ebene Wand
RW
Bauglied
Phys. Gesetz
q=
1 · pd rL
m ˙ =
1 rL
Übertragungsfunktion F(p)
1 · pd r
φ=
1 RW
1 r
Speicher
k
1 ·ϑ RW
Speicher
k
Speicher
k
Bauglied
Speicherelemente
Phys. Gesetz
q=k·
Übertragungsfunktion F(p)
dpd dt
m ˙ =k·
kp Trägheit
dpd dt
kp
kp
LL Trägheit
L
Bauglied
Phys. Gesetz
Übertragungsfunktion F(p)
q=
1 LL
Z
1 LL p
φ=k·
pd dt
m ˙ =
1 L
Z
1 Lp
pd dt
dϑ dt
3 Lineare Übertragungsglieder
88
Proportionalglieder bleiben in ihrer Wirkung Proportionalglieder, auch wenn, entgegen der Kausalität, der Strom als Eingangsgröße und die Potenzialdifferenz als Ausgangsgröße betrachtet werden: p(t) = R · q(t)
(3.1.2)
3.1.2.3 Energiespeicher Bei den Energiespeichern unterscheidet man zwei Arten von Speicherelementen: Speicher für kinetische Energie und Speicher für potenzielle Energie. Ein Speicher für kinetische Energie wird durch folgende Gleichung beschrieben: Z 1 p(t) dt (3.1.3) q(t) = L Ein Speicher für kinetische Energie ist in seiner Wirkung ein integrierendes Übertragungsglied. Die Ausgangsgröße Strom ist proportional dem Zeitintegral der Eingangsgröße Potenzialdifferenz. Eine Masse im mechanischen System ist z. B. ein Speicherelement für kinetische Energie. Für einen Speicher für potenzielle Energie gilt die Beziehung: q(t) = C ·
dp(t) dt
(3.1.4)
Ein Speicher für potenzielle Energie ist in seiner Wirkung also ein differenzierendes Übertragungsglied. Die Ausgangsgröße Strom ist proportional dem Differenzialquotienten der Eingangsgröße Potenzialdifferenz. Eine Feder in einem mechanischen System ist z. B. ein Speicherelement für potenzielle Energie. Betrachtet man bei einem Speicherelement für kinetische Energie entgegen der Kausalität den Strom als Eingangsgröße und die Potenzialdifferenz als Ausgangsgröße, so weist dieser Speicher eine differenzierende Wirkung auf. Ein Speicherelement für potenzielle Energie besitzt dann analog eine integrierende Wirkung. In Tabelle 3.1.2 sind die analogen Bauglieder von Systemen verschiedener technischer Gebiete zusammengestellt und ihre Übertragungsfunktionen angegeben.
3.1 Analogien
89
3.1.3 Entwurf eines mathematischen Modells Es wird nun erläutert, wie für einen elektrischen Reihenschwingkreis nach Bild 3.1.2 ein Signalflussplan entworfen, die Übertragungsfunktion berechnet, die Differenzialgleichung aufgestellt und ein analoges mechanisches System ermittelt werden können.
xe (t) = u(t)
L
R
C
uL
uR
uC
xa (t) = i(t)
Bild 3.1.2 Reihenschwingkreis Der Reihenschwingkreis besteht aus drei Baugliedern: einer Spule, einem Widerstand und einem Kondensator. Im Signalflussplan wird jedes Glied durch einen Übertragungsblock mit entsprechender Übertragungsfunktion gemäß den physikalischen Gesetzmäßigkeiten dargestellt. Als Eingangs- und Ausgangsgrößen wirken die Spannung und der Strom des jeweiligen Übertragungsgliedes. Durch Anlegen der äußeren Spannung u(t) (Ursache) fließt im Netzwerk der Strom i(t) (Wirkung) und ruft an den Baugliedern die Spannungsabfälle uL (t), uR (t) und uC (t) hervor, deren Summe gleich der angelegten Spannung ist: u(t) = uL (t) + uR (t) + uC (t) Um den ersten Übertragungsblock für die Spule zeichnen zu können, muss der Spannungsabfall uL (t) an der Spule bekannt sein. Nach obiger Gleichung gilt: uL (t) = u(t) − uR (t) − uC (t) u
uL −
Bild 3.1.3 Summationsstelle
uR + uC
Im Signalflussplan führt diese Gleichung auf eine Summationsstelle (Bild 3.1.3). Der
3 Lineare Übertragungsglieder
90
Spannungsabfall uL (t) wird als Ursache für den Stromfluss in der Spule gesehen. Für das Speicherelement Spule gilt: Z 1 iL (t) = uL (t) dt L
und Laplace-transformiert: iL (p) = u
uL −
1 · uL (p) L·p 1 L·p
i
uR + uC
Bild 3.1.4 Übertragungsblock
Die Übertragungsfunktion des ersten Blockes lautet also 1/(L · p) (Bild 3.1.4). Die Ausgangsgröße dieses Blockes, der Strom i(t), ist bereits die gesuchte Ausgangsgröße des Signalflussplanes. Im nächsten Schritt wird der Block für den Energieverbraucher Ohmscher Widerstand entworfen. Es gilt: uR (t) = R · i(t) uL
u −
1 L·p
i b
uR R uC
Bild 3.1.5 Übertragungsblöcke
Eingangsgröße für diesen Block ist also der Strom i(t) und Ausgangsgröße der Spannungsabfall uR (t). Die Übertragungsfunktion ist R (Bild 3.1.5). Damit ist ein Term der an der Summationsstelle rückgeführten Größen gefunden. Über den Energiespeicher Kondensator wird der noch fehlende Spannungsabfall uC (t) ermittelt. Es gilt: Z 1 uC (t) = i(t) dt C und Laplace-transformiert: uC (p) =
1 · i(p) C·p
3.1 Analogien
91
uL
u −
i
1 L·p b
uR R b
uC
Bild 3.1.6 Signalflussplan des Reihenschwingkreises
1 C·p
Die Übertragungsfunktion dieses Blockes ist also 1/(C · p) (Bild 3.1.6). Damit ist der andere Term der Rückführgrößen ermittelt und der Signalflussplan komplett entworfen. Dieser Signalflussplan ist nicht die einzig richtige Lösung. Wird die Maschengleichung für die Spannungen z. B. nach uR (t) aufgelöst, so ergibt sich ein Signalflussplan nach Bild 3.1.7. Dieser weist einen differenzierenden Übertragungsblock auf. Reine Differenzierglieder treten aber in physikalischen Systemen nicht auf. Daher ist beim Entwerfen von Signalflussplänen darauf zu achten, dass die Speicherelemente als Integrierglieder nachgebildet werden. uR
u −
i
1 R b
uL L·p b
uC
Bild 3.1.7 Signalflussplan des Reihenschwingkreises
1 C·p
Um die resultierende Übertragungsfunktion des Schwingkreises zu ermitteln, wird mit Hilfe der Blockschaltbildalgebra der Signalflussplan zu einem Einzelblock umgeformt. Zuerst wird die Parallelstruktur in der Rückführung aufgelöst und dann die Kreisstruktur zusammengefasst, so dass man den resultierenden Einzelblock nach Bild 3.1.8
3 Lineare Übertragungsglieder
92
erhält. Somit lautet für diesen Schwingkreis die Übertragungsfunktion zwischen der Ausgangsgröße Strom und der Eingangsgröße Spannung: F(p) =
i(p) = u(p)
1 L· p + R +
1 C· p
=
C· p 1 + CR· p + CL· p2
Das System hat ein D-T2 -Verhalten. u
1 1 L· p+R+ C·p
i
Bild 3.1.8 Resultierender Einzelblock
Ersetzt man die Variable p formal durch das Differenziationssymbol d/dt, so lässt sich aus der Übertragungsfunktion sehr einfach die Differenzialgleichung des Systems angeben: CL ·
du(t) di(t) d2 i(t) + i(t) = C · + CR · 2 dt dt dt
Nun soll noch ein dem elektrischen System analoges mechanisch-translatorisches System bestimmt werden. Für die Größen und die Bauglieder gelten die Analogien der Tabelle 3.1.1 und der Tabelle 3.1.2. Im elektrischen System setzt sich die Gesamtspannung aus den Spannungsabfällen an Spule, Widerstand und Kondensator zusammen: u = uL + uR + uC di 1 u= L· +R·i+ dt C
Z
i dt
Analog muss also für das mechanische System gelten: K = Km + Kd + Kc dv K =m· +d·v+c dt
Z
v dt
Im elektrischen System fließt der Strom i durch alle Bauglieder. Im mechanischen System müssen also analog alle Bauglieder mit der gleichen Geschwindigkeit bewegt werden. Damit ergibt sich der Aufbau für das dem elektrischen System analoge mechanische System nach Bild 3.1.9.
3.2 Elementare Übertragungsglieder
93
d K(t)
m
c
Bild 3.1.9 Analoges mechanisches System
v(t)
3.2 Elementare Übertragungsglieder In Tabelle 3.2.1 sind typische elementare Übertragungsglieder mit ihrem Verhalten zusammengestellt. Die Tabelle enthält sowohl Übertragungsglieder, die als Regelstrecke auftreten, als auch Glieder, die als Regler eingesetzt werden. Die Glieder 1 bis 7 sind typische Regelstrecken-Übertragungsglieder, unterteilt in solche mit proportionalem Verhalten (1 bis 5), das sind Strecken mit Ausgleich, bei denen eine sprungförmige Stellgrößenänderung ∆y eine Änderung der Regelgröße ∆x hervorruft, die einem neuen Beharrungswert zustrebt, und solche mit integrierendem Verhalten (6 und 7), das sind Strecken ohne Ausgleich, bei denen eine sprungförmige Stellgrößenänderung ∆y dazu führt, dass die Regelgröße unaufhörlich ansteigt, bis sie auf Grund sekundärer Effekte (z. B. Anschlag) begrenzt wird. Reine P- und I-Glieder werden auch als Regler eingesetzt. Die Glieder 8 und 9, das D- und das D-T1 -Glied, werden im Wesentlichen in Regeleinrichtungen und Rückführungen eingesetzt. Die Glieder 10 bis 15 sind typische Regler-Übertragungsglieder mit proportional, integrierend und differenzierend wirkendem Verhalten. Tabelle 3.2.2 zeigt, wie diese elementaren Übertragungsglieder, abstrahiert von der Gerätetechnik, durch ihre Übergangsfunktion oder ihre Übertragungsfunktion in Signalflussplänen dargestellt werden.
Glied
P
P-T1
P-T2
Tt
P-T1 -Tt
I
I-T1
Nr.
1
2
3
4
5
6
7
Z xe dt
xe dt
KP 1+Tp
KI F(p) = p(1 + T p)
KI F(p) = p
KP −pT t F(p) = e 1+Tp
F(p) = e−pT t
KP F(p) = 1 + 2ζT p + T 2 p2
F(p) =
F(p) = KP
Übertragungsfunktion
KI KI T
KI
KP
1
KP
KP
KP
T
Tt
Tt
T
xa /xe
T
ζ
1
1
Übergangsfunktion
t
xe = Ke
+
m
R
c
b
b
d
m
M
xa
xa = α
xa = x
d
+
xa = ua
xa = x
xa = x
C
c
xe ˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜ ˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜ ˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜˜
xe = ue
xe = Ke
xe = ue
xe = pe
A
Beispiel
˜˜˜˜˜ ˜˜˜
x˙a + xa = KI
xa = KI
Z
T x˙a (t) + xa (t) = KP xe (t − T t )
xa (t) = xe (t − T t )
T 2 x¨a + 2ζT x˙a + xa = KP xe
T x˙a + xa = KP xe
xa = KP xe
Gleichung im Zeitbereich
Tabelle 3.2.1 Verhalten elementarer Übertragungsglieder
94
3 Lineare Übertragungsglieder
PI
PI-T1
PD
PD-T1
PID
PID-T1
10
11
12
13
14
15
Z
1 T x˙a + xa = KP (xe + Tn
1 xa = KP (xe + Tn
Z xe dt+T v x˙e )
xe dt+T v x˙e )
F(p) = KP
1+
F(p)=KP (1+
+T v p
+T v p)
Tn p 1+T p
1
Tn p
1
Tn
Tn Tv KP T KP
KP
T x˙a + xa = KP (xe +T v x˙e )
Tn
KP
Tn
KP
1+T v p F(p) = KP 1+T p
F(p) = KP
1+
1 Tn p 1+T p
Tn p
Tv KP T KP
xe dt)
F(p) = KP (1+
KP
Z
xe dt)
1
F(p) = KP (1+T v p)
1 Tn
Z
KD T
xa = KP (xe +T v x˙e )
T x˙a + xa = KP (xe +
1 xa = KP (xe + Tn )
D-T1
9
T x˙a + xa = KD x˙e
F(p) = KD p
xa = KD x˙e
D
8
KD p F(p) = 1+T p
Übertragungsfunktion
Gleichung im Zeitbereich
Glied
Nr.
Tabelle 3.2.1 Verhalten elementarer Übertragungsglieder (Fortsetzung)
T
T
T
Übergangsfunktion
A
xe = ue
Re
xe = ue Re
xe = ue
Re
xe = ue
xe = pe
xe = ue
xe = x1
b
b
b
b
C
b
Rr1
b
b
b
b
b
Rr1 Cr1 RD
Cr2
xa = ua
b
xa = ua
xa = ua
Rr2
b
xa = ua
b
Rr2
b
Lr
RD
Cr
xa = x Rr
b
xa = ua
xa = x2 Cr
d1
c
xa = i
c d2
Rr C r
b
Rr
d
Ce
Re
Re
xe = u
Beispiel
3.2 Elementare Übertragungsglieder 95
I
Tt
P-T2
P-T1
P
Glied
KI
KP
KP
KP
Tt
T, ζ
T
Übergangsfunktion
KI p
e−pT t
KP 1 + 2ζT p + T 2 p2
KP 1+Tp
KP
Übertragungsfunktion
Signalflussplan
PID
PD
PI
D-T1
D
Glied
KP
KP
KP
KD
KD
Tn, Tv
Tv
Tn
T
1 ) Tn p
KP (1 +
1 + T v p) Tn p
KP (1 + T v p)
KP (1 +
KD p 1+Tp
KD p
Übertragungsfunktion
Signalflussplan Übergangsfunktion
Tabelle 3.2.2 Darstellung elementarer Übertragungsglieder im Signalflussplan
96
3 Lineare Übertragungsglieder
P-Tn
P-T2
F(p)= Q
KPS (1+T i p)
KPS F(p)= (1+T 1 p)(1+T 2 p)
KPS (1+T p)2
KPS ,T i
KPS ,T 1 , T2
KPS ,T
KPS ,T,ζ
KPS 1+2ζT p+T 2 p2
F(p)=
F(p)=
F(p)= KPS ,T
KPS
Kenngrößen
KPS 1+T p
F(p)=KPS
P
P-T1
Übertragungsfunktion
Glied
1 T
1 T1
1 T
pi =−
1 Ti
1 p2 =− T2
p1 =−
p1,2 =−
ζ σ1 =− T p 1−ζ 2 ω1 = T
p1,2 =σ1 ± jω1
p1 =−
Pole Verlauf
0>) Anweisungen eingegeben und durch Drücken der Eingabetaste abgeschlossen werden. Das Ergebnis der Berechnung wird dann direkt ausgegeben, so dass dieser interaktive Modus dem Arbeiten mit einem Taschenrechner entspricht. In Bild 4.2.2 ist ein einfaches Beispiel dargestellt, in dem zwei Variablen A und B Werte zugewiesen werden und ihr Produkt C berechnet wird.
Bild 4.2.2 Grundlegende MATLAB-Bedienoberfläche Grundsätzlich werden alle während einer Sitzung mit MATLAB erzeugten Variablen temporär in einem sogenannten Arbeitsbereich, dem MATLAB Workspace abgelegt. Über den Variablennamen kann dann während der Sitzung jederzeit wieder auf die Variablen zugegriffen werden. Der aktuelle Inhalt des Arbeitsbereichs wird in der MATLAB-Bedienoberfläche in einem eigenen Fensterbereich angezeigt, wobei die abge-
136
4 Simulation des Zeitverhaltens
legten Variablen mit Namen, Wert und Datentyp aufgelistet werden. In Bild 4.2.2 beispielsweise enthält der Arbeitsbereich nach der beschriebenen Beispielrechnung die drei Variablen A, B und C mit den jeweiligen Werten. Der Arbeitsbereich kann während einer MATLAB-Sitzung manuell gelöscht oder abgespeichert werden, nach Beenden von MATLAB wird der Arbeitsbereich automatisch gelöscht. Eine interaktive Arbeitsweise ist für schnelle Berechnungen hilfreich, für größere Abfolgen von Anweisungen jedoch nicht sinnvoll. Um größere Berechnungen durchzuführen, werden daher Folgen von Anweisungen in sogenannten M-Dateien (M-Files) abgespeichert. Diese Dateien haben die Endung .m, beispielsweise berechnung.m. Erstellt und bearbeitet werden diese M-Dateien mit einem in MATLAB integrierten Editor. Durch Aufruf der Dateinamen ohne Endung (im Beispiel: berechnung) im MATLAB Command Window werden die in der M-Datei gespeicherten Abfolgen von Anweisungen ausgeführt. Das Arbeiten mit M-Dateien entspricht der Programmerstellung wie in einer der konventionellen Programmiersprachen. M-Dateien können auch Funktionen enthalten oder wiederum andere M-Dateien aufrufen. Hinsichtlich der in MATLAB zur Verfügung gestellten Anweisungen kann zwischen den grundlegenden Anweisungen der Basisversion sowie zusätzlichen, problemspezifischen Anweisungen unterschieden werden. Diese zusätzlichen Anweisungen werden in Form von M-Dateien bereitgestellt, die zu Bibliotheken, den sogenannten Toolboxen, zusammengefasst sind. Solche Toolboxen existieren zu einer Vielzahl von speziellen Anwendungsbereichen wie der Regelungstechnik, der Optimierung oder auch der Symbolischen Mathematik. Eine spezielle Erweiterung von MATLAB ist Simulink, die grafische Simulationsumgebung von MATLAB. 4.2.3.2 Simulationsumgebung Die Simulationsumgebung Simulink als Bestandteil von MATLAB dient dazu, Modelle dynamischer Systeme grafisch einzugeben, zu simulieren und die Ergebnisse auszuwerten. Die Modelle selbst werden in einer Form eingegeben, die sich an der Darstellung des Signalflussplans orientiert. Auch in Simulink wird ein solches Modell durch Blöcke dargestellt, die durch gerichtete Wirkungslinien verbunden sind. Die Blöcke stellen die Übertragungsglieder dar, die Wirkung wird in der durch die Pfeile angegebenen Richtung übertragen. Die gerichteten Wirkungslinien können im Allgemeinen
4.2 Simulation am Digitalrechner
137
Bild 4.2.3 Simulink Library Browser und Modellfenster mehrere Signale umfassen und auch die Blöcke können mehrere Ein- und Ausgangsgrößen aufweisen. Durch die Eingabe von > > simulink im MATLAB Command Window wird der Simulink Library Browser geöffnet, der zur Simulationsumgebung Simulink gehört (Bild 4.2.3). Hierbei handelt es sich um ein Bedienfenster, in dem die zur Verfügung stehenden Blöcke sowie die Möglichkeiten zur Verbindung der Blöcke durch Signale in einer Bibliothek mit Baumstruktur grafisch dargestellt sind. Ein Simulationsmodell muss zunächst in Form eines eigenen Modellfensters angelegt werden. Hierzu wird entweder im Simulink Library Browser oder im MATLAB Command Window die Funktion New mit der Option Model des Menüs File aufgerufen, womit ein leeres Modellfenster geöffnet wird (Bild 4.2.3). Dieses kann unter
138
4 Simulation des Zeitverhaltens
einem Namen abgespeichert werden (in Bild 4.2.3 etwa beispiel), wobei automatisch eine Datei mit dem gewählten Namen und der Endung .mdl erzeugt wird. Diese Datei enthält alle erforderlichen Informationen, die beim erneuten Öffnen des Modells von Simulink benötigt werden. In dem Modellfenster kann das Simulationsmodell erstellt werden, indem Blöcke aus dem Simulink Library Browser per Drag&Drop in das Modellfenster kopiert werden. Durch Anwählen der einzelnen Blöcke mit dem Mauszeiger öffnen sich entsprechende Bedienfenster, mit denen die Blöcke konfiguriert werden können. Die Wirkungslinien zwischen den Blöcken werden ebenfalls mit dem Mauszeiger gezogen, womit die einzelnen Blöcke zum gesamten Simulationsmodell verbunden werden. Die wichtigsten Blöcke zur Modellierung linearer zeitkontinuierlicher Systeme sind in der Bibliothek Continuous des Simulink Library Browsers zusammengefasst (Bild 4.2.4). Hierunter sind einfache Blöcke wie Integrier- und Differenzierglieder, aber auch Blöcke zur Modellierung von einfachen Übertragungsfunktionen.
Bild 4.2.4 Blöcke in der Simulink-Bibliothek Continuous Zur Festlegung der Eingangsgrößen der Simulation existiert die Bibliothek Sources (Bild 4.2.5a), die einfache Blöcke zur Erzeugung sprung-, rampen- oder sinusförmiger Eingangsgrößen als auch Blöcke zur Generierung von stochastischen oder von selbstdefinierten Signalen umfasst.
4.2 Simulation am Digitalrechner
139
Bild 4.2.5 Blöcke in den Simulink-Bibliotheken a) Sources b) Sinks Zur Darstellung der Simulationsergebnisse existieren Blöcke zur grafischen Ausgabe oder zur Abspeicherung der Daten, die in der Bibliothek Sinks enthalten sind (Bild 4.2.5b). Zur grafischen Darstellung des Zeitverlaufs von Signalen dient der Block Scope. Mit dem Block To File kann der Zeitverlauf eines Signals in einer Datei ge-
Bild 4.2.6 Blöcke in der Simulink-Bibliothek Math Operations
140
4 Simulation des Zeitverhaltens
speichert werden. Weitere wichtige Blöcke sind in der Bibliothek Math Operations enthalten (Bild 4.2.6). Hierin finden sich z. B. einfache Blöcke für Additionen, Subtraktionen, für trigonometrische Funktionen und für Betragsbildung. Neben dem Simulationsmodell enthält das Modellfenster in der Menüleiste auch Funktionen zur Durchführung der Simulation. Unter dem Menü Simulation finden sich die Funktionen Start zum Starten und Stop zum Anhalten der Simulation sowie der Menüpunkt Configuration Parameters. Beim Anwählen dieses Menüpunktes öffnet sich ein weiteres Bedienfenster, in dem die Integrationsverfahren ausgewählt und parametriert sowie die weiteren Parameter zur Durchführung der Simulation wie Startzeitpunkt und Simulationsdauer eingegeben werden können (Bild 4.2.7). Die Integrationsverfahren
Bild 4.2.7 Bedienfenster zur Konfiguration der Simulation werden in MATLAB/Simulink als Solver bezeichnet. Im Bedienfenster kann unter der Rubrik Solver Options zwischen Integrationsverfahren mit fester oder variabler Schrittweite ausgewählt werden. Hierzu wird im Auswahlfeld Type zwischen der Art der Schrittweite gewählt (Fixed-step oder Variable-step), danach kann im Auswahlfeld Solver eines der jeweils aufgelisteten Integrationsverfahren ausgewählt werden. Die wesentlichen in MATLAB/Simulink verfügbaren Integrationsverfahren mit fester Schrittweite sind in Tabelle 4.2.1, die mit variabler Schrittweite in Tabelle 4.2.2 zusammengestellt.
4.2 Simulation am Digitalrechner
141
Tabelle 4.2.1 Simulink-Integrationsverfahren mit fester Schrittweite Solver
Integrationsverfahren
ode1
Euler
ode2
Heun
ode3
Bogacki-Shampine
ode4
Runge-Kutta 4. Ordnung
ode5
Dormand-Prince
Tabelle 4.2.2 Simulink-Integrationsverfahren mit variabler Schrittweite Solver
Integrationsverfahren
ode45
Dormand-Prince
ode23
Bogacki-Shampine
ode113
Adams-Bashforth-Moulton, mit variabler Ordnung
ode15s
Gear (modifiziert), mit variabler Ordnung
ode23s
Rosenbrock 2. Ordnung (modifiziert)
4.2.3.3 Simulationsbeispiel Wie eine Simulation mit MATLAB/Simulink durchgeführt wird, soll am Beispiel der Nachbildung des Zeitverhaltens eines PI-T1 -Gliedes aufgezeigt werden. Die Gleichung eines PI-T1 -Gliedes im Zeitbereich lautet: Z 1 T 1 · x˙ a + xa = KP · (xe + xe dt) Tn mit den Daten: KP = 2;
T 1 = 1 s;
Tn = 5 s
Gesucht ist das Zeitverhalten dieses Gliedes, wenn als Eingangsgröße ein Einheitssprung xe (t) = 1(t) aufgeschaltet wird.
4 Simulation des Zeitverhaltens
142
Eine Möglichkeit zur Erstellung des Simulink-Modells besteht darin, zunächst die Übertragungsfunktion des Gliedes aufzustellen: F(p) =
KP T n · p + KP Xa (p) = Xe (p) T n T 1 · p2 + T n · p
Danach wird ein Modellfenster angelegt und unter einem Namen, hier beispiel, abgespeichert. In dieses Modellfenster werden die benötigten Blöcke aus dem Simulink Library Browser eingefügt. Im betrachteten Beipiel soll eine sprungförmige Eingangsgröße aufgeschaltet werden, so dass ein Block Step aus der Bibliothek Sources eingefügt wird. Das PI-T1 -Glied wird durch eine Übertragungsfunktion modelliert, daher wird der Block Transfer Fcn aus der Bibliothek Continuous verwendet. Zur grafischen Ausgabe der Ausgangsgröße wird ein Block Scope dem Modellfenster hinzugefügt. Abschließend werden die drei Blöcke durch die Wirkungslinien verbunden (Bild 4.2.8).
Bild 4.2.8 Modellfenster mit verbundenen Blöcken
Im nächsten Schritt werden die einzelnen Blöcke konfiguriert, wozu die Blöcke mit dem Mauszeiger ausgewählt und durch Anklicken das entsprechende Bedienfenster geöffnet wird (Bild 4.2.9). Zur Konfiguration des Blocks Step wird in dem Bedienfenster eingegeben, zu welchem Zeitpunkt der Sprung generiert werden soll (Step ti-
4.2 Simulation am Digitalrechner
143
Bild 4.2.9 Modellfenster mit den Bedienfenstern zur Konfiguration
me) und von welchem Anfangswert (Initial value) zu welchem Endwert (Final value) der Sprung erfolgen soll. Im Beispiel werden diese Werte so gewählt, dass der Sprung zum Zeitpunkt t = 0 s vom Anfangswert Null auf den Endwert Eins erfolgt. Zur Konfiguration des Blocks Transfer Fcn müssen die Koeffizienten des Zähler- und Nennerpolynoms der Übertragungsfunktion als Zahlenwerte oder als Variablen eingegeben werden. Im Beispiel erfolgt die Eingabe mit Hilfe der Variablen KP, Tn, T1 entsprechend der Übertragungsfunktion. Abschließend wird der Block Scope ausgewählt, so dass sich ein Fenster zur grafischen Ausgabe der Ausgangsgröße des Simulationsbeispiels öffnet. Dieses Fenster bleibt während der Simulation geöffnet, so dass der zeitliche Verlauf der Ausgangsgröße verfolgt werden kann. Vor Beginn der Simulation müssen noch die im Block Transfer Fcn verwendeten Variablen im Arbeitsbereich von MATLAB mit den entsprechenden Werten generiert
4 Simulation des Zeitverhaltens
144
werden. Dies geschieht im MATLAB Command Window durch die Eingabe: > > KP = 2; T1 = 1; Tn = 5; Weiterhin muss die Simulation selbst durch Auswahl des Integrationsverfahrens sowie der Simulationsdauer konfiguriert werden. Hierzu wird das entsprechende Bedienfenster geöffnet und die gewünschten Parameter werden ausgewählt bzw. eingegeben. Im Simulationsbeispiel soll das Verhalten des PI-T1 -Glieds für eine Dauer von 10 Sekunden simuliert werden, so dass dieser Wert im Bedienfenster für die Stop time eingegeben wird. Die Simulation selbst wird durch Auswahl des Befehls Start im Menü Simulation des Modellfensters oder durch Drücken des schwarzen Dreiecks in der Menüleiste des Modellfensters gestartet. Die grafische Ausgabe erfolgt im geöffneten Fenster des Blocks Scope (Bild 4.2.10).
Bild 4.2.10 Ergebnis der Simulation
4.2 Simulation am Digitalrechner
145
4.2.4 Simulationsablauf Bei einer Simulation am Digitalrechner empfiehlt sich ein schrittweises Vorgehen, wie es in Bild 4.2.11 für das Beispiel einer Simulation mit der Simulationsumgebung MATLAB/Simulink dargestellt ist. Technisches Problem – Spezifizierung des Problems – Mathematische Beschreibung durch Differenzialgleichungssystem, Signalflussplan Mathematisches Modell – Generierung eines Modellfensters – Erstellen des Modells aus Blöcken und Wirkungslinien – Konfiguration der Blöcke Simulationsmodell – Konfiguration der Simulation mit Integrationsverfahren, Simulationsdauer Simulation – Durchführung der Simulationsstudien – Ausgabe von Listen und Diagrammen Ergebnis – Auswertung – Dokumentation Lösung Bild 4.2.11 Simulationsablauf mit MATLAB/Simulink
Kapitel 5 Grafische Darstellung der Übertragungsfunktion Die grafische Darstellung der Übertragungsfunktion eines Systems ermöglicht einen unmittelbaren Einblick in das Systemverhalten und dient daher zur Untersuchung der Stabilität und zur Synthese von Regelkreisen. Als Arten der Darstellung haben sich bewährt die Pol-Nullstellen-Verteilung sowie die Frequenzgangdarstellung als Ortskurve oder als Frequenzkennlinien.
5.1 Pol-Nullstellen-Verteilung Bei der Pol-Nullstellen-Verteilung werden die Pole und Nullstellen der Übertragungsfunktion F(p) eines rationalen Übertragungssystems in der p-Ebene dargestellt. Zähler und Nenner der Übertragungsfunktion F(p) sind Polynome in p: F(p) =
Z(p) b0 + b1 · p + . . . + bm · pm = N(p) 1 + a1 · p + . . . + an · pn
(5.1.1)
Nach Gauß lässt sich ein Polynom n-ten Grades, wie z. B. das Nennerpolynom: N(p) = 1 + a1 · p + . . . + an · pn
(5.1.2)
mit den Nullstellen p1 , p2 , . . . , pn auch in folgender Produktform schreiben: N(p) = an · (p − p1 ) · (p − p2 ) · . . . · (p − pn ) = an ·
n Q
k=1
(p − pk )
(5.1.3)
5 Grafische Darstellung der Übertragungsfunktion
148
So folgt für die Übertragungsfunktion:
F(p) =
m Q
(p − pZl ) Z(p) bm l=1 = · n N(p) an Q (p − pk )
(5.1.4)
k=1
wobei pZl die Nullstellen des Zählerpolynoms Z(p) sowie der Übertragungsfunktion F(p) und pk die teilerfremden Nullstellen des Nennerpolynoms N(p) sowie die Polstellen der Übertragungsfunktion F(p) sind. Es gilt also: F(pZl ) = 0 F(pk ) → ∞ Die Pole und die Nullstellen der Übertragungsfunktion sind reell oder konjugiert komplex. Die Pole sind identisch mit den Lösungen (Wurzeln) der charakteristischen Gleichung (2.2.3). Enthält das Zählerpolynom Z(p) einen Faktor (p − pZl )q , so hat die Übertragungsfunktion F(p) in p = pZl eine q-fache Nullstelle. Enthält das Nennerpolynom N(p) einen Faktor (p − pk )r , so hat die Übertragungsfunktion F(p) in p = pk einen r-fachen Pol. Zeichnet man die Pole und Nullstellen der Übertragungsfunktion F(p) in die komplexe Zahlenebene (p-Ebene) mit: p = Re{p} + j · Im{p} = σ + jω
(5.1.5)
ein, so erhält man die Pol-Nullstellen-Verteilung des Übertragungssystems. Die Übertragungsfunktion des Übertragungssystems nach Gleichung (5.1.4) lässt sich auch als Übertragungsfunktion einer Reihenstruktur elementarer Übertragungsglieder deuten: F(p) =
Q
Fi (p)
(5.1.6)
i
so dass die Pol-Nullstellen-Verteilung des Übertragungssystems sich aus der Überlagerung der Pol-Nullstellen-Verteilungen elementarer Glieder ergibt. In Tabelle 5.1.1 sind die Pol-Nullstellen-Verteilungen elementarer Übertragungsglieder zusammengestellt, wobei die Pole durch × und die Nullstellen durch ◦ gekennzeichnet sind.
KP 1 + 2ζT p + T 2 p2
P-T2 F(p) = ××
× ×
ζ >1
×
×
×
jω ×
p σ
Pol-NullstellenVerteilung
ζ =1
0