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German Pages 263 Year 1994
Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 91
Grenzfälle der Sonderstraftat Zum Problem der Subjektsqualifikation durch besondere persönliche Merkmale bei den Aussage- und Verkehrsdelikten
Von
Marco Deichmann
Duncker & Humblot · Berlin
MARCO DEICHMANN
Grenzfälle der Sonderstraftat
Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Herausgegeben von Dr. Eberhard Schmidhäuser em. ord. Professor der Rechte an der Universität Hamburg
und Dr. Friedrich-Christian Schroeder ord. Professor der Rechte an der Universität Regensburg
in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten
Band 91
Grenzfälle der Sonderstraftat Zum Problem der Subjektsqualifikation durch besondere persönliche Merkmale bei den Aussage- und Verkehrsdelikten
Von
Marco Deichmann
Duncker & Humblot * Berlin
Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Winrich Langer, Marburg
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Deichmann, Marco: Grenzfälle der Sonderstraftat : zum Problem der Subjektsqualifikation durch besondere persönliche Merkmale bei den Aussage- und Verkehrsdelikten / von Marco Deichmann. - Berlin : Duncker und Humblot, 1994 (Strafrechtliche Abhandlungen ; N.F., Bd. 91) Zugl.: Marburg, Univ., Diss., 1993 ISBN 3-428-08065-3 NE: GT
Alle Rechte vorbehalten © 1994 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: SiB Satzzentrum in Berlin GmbH, Berlin Druck: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 3-428-08065-3
Meinen Eltern
Vorwort An dieser Stelle möchte ich allen danken, die Anteil am Zustandekommen dieser Arbeit haben. Zunächst ist dabei Herr Prof. Dr. Winrich Langer zu nennen, der die Arbeit angeregt und über mehrere Jahre hinweg geduldig und mit nicht nachlassendem Zuspruch betreut hat. Meinen Eltern schulde ich Dank dafür, daß sie mir selbstlos ein meinen Wünschen und Neigungen entsprechendes Studium ermöglicht haben. Mein Dank gilt ferner meiner Frau Juliane Heinritz-Deichmann, die die Manuskripte getippt und meinen während der Entstehung der Arbeit zwangsläufig immer wieder erfolgenden Rückzug von familiären Pflichten verständnisvoll ertragen hat. Viele auf diese Arbeit gewandte freie Stunden verdanke ich der liebevollen Betreuung meines ersten Kindes durch Frau Kerstin Schiebel-Fäth. Herr Amtsgerichtsdirektor Klaus Winterer stellte sich als kritischer Leser bereitwillig zur Verfügung und half mir, die Tücken der Textverarbeitung zu bewältigen. Schließlich habe ich Herrn Prof. Dr. Eberhard Schmidhäuser und Herrn Prof. Dr. Friedrich-Christian Schroeder dafür zu danken, daß sie die Aufnahme der Arbeit in diese Schriftenreihe befürwortet haben. Schrifttum und Rechtsprechung konnten bis einschließlich November 1992 berücksichtigt werden. Weiterstadt, im November 1993 Marco Deichmann
Inhaltsverzeichnis Einleitung
1
Teil 1: Der Begriff des Sonderverbrechens
4
Vorbemerkung
4
A. Die Begriffsbestimmung
4
B. Erläuterung
5
/.
Gemein- und Sonderverbrechen
als Erscheinungsformen
1. Erscheinungsform und Tatbestandsgruppierung 2. Formale Übereinstimmung der Definition mit dem Begriff der Erscheinungsform 3. Täterschaftsrelative Definitionen des Sonderdelikts 4. Kritik an der Definition der Sonderstraftat als Tatbestandsgruppierung a) § 14 Abs. 1 S. 2 OWiG
5 5 8 8 10 10
b) Fahrlässigkeitsdelikte
10
c) Doppelsinniger Gebrauch des Wortes „Täter"
11
d) Versuch des untauglichen Subjekts e) Motiv der Begriffsbildung: Die Strafwürdigkeit extraner Teilnehmer und der Strafgrund der Teilnahme f) Ergebnis
12 12 16
5. Die Vereinbarkeit der Lehre vom Pflichtdelikt mit dem StGB . . . . a) §§28 und 1 Abs. 4 WStG b) Der extensive Täterbegriff c) Die Ableitung aus ähnlichen Tatbeständen
17 17 20 22
d) Die Ausdehnung der Versuchsstrafbarkeit e) Zusammenfassung
22 23
Inhaltsverzeichnis
χ
6. Nähere Kennzeichnung des Differenzierungsprinzips und Abgrenzung gegenüber einem „Vorbegriff ' IL Das materielle Sonderunrecht
24 25
1. Veranschaulichung der Unrechtsdifferenz an einzelnen Sonderdelikten 2. Der Bezug zum Unrechtsbegriff
25 26
a) Rechtsgut b) Verletzungsart
26 27
c) Sonderpflicht
28
aa) Außerstrafrechtliche Sonderpflicht bb) Verletzung sozialethischer Pflichten
28 30
d) Norm
31
e) Tatbestand
32
3. Die Unrechtsrelevanz der sozialen Stellung des Täters a) Soziale Stellung als mögliches Differenzierungsprinzip b) Schlüsselstellung als Voraussetzung der Möglichkeit der Sonderunrechtsbegründung c) Überantwortung als Merkmal der Sonderunrechtsbegründung ..
32 33
d) Ergebnis 4. Das materielle Sonderunrecht als Pflichtverletzung
38 39
III. Das formelle Sonderunrecht
34 36
40
IV. Der Sonderunrechtstatbestand
40
V. Die Sonderstrafdrohung
41
Teil 2: Die Aussagedelikte
42
A. Der Meinungsstand
42
I.
42
Die Einheitlichkeit
II. Sonderdeliktsnatur
und Eigenhändigkeit
43
III. Rechtsgutsbezogenheit der Zeugenstellung, Positionsnähe
44
IV. Die Wahrheitspflicht
46
als entscheidendes Kriterium
V. § 159 als Argument gegen die Sonderdeliktsnatur B. Das Rechtsgut der Aussagedelikte
der Aussagedelikte ? 52
4
Inhaltsverzeichnis
I.
Rechtspflege
II. Ungenauigkeit des Begriffs
XI
52 „Rechtspflege "
III. Zusammenfassung
53 54
IV. Private Rechte als Rechtsgut des § 156
54
V. Kein sakrales Moment bei § 154 C. Falsche uneidliche Aussage I.
57 57
Tatbestandliche Subjektskreiseinschränkung
57
II. Begründung materiellen Sonderunrechts durch die Subjektskreiseinschränkung 58 1. Gemeinunrecht als Sachgehalt der Subjektskreiseinschränkung? ..
59
2. Das teleologische Argument
60
3. Der Vergleich mit den §§ 348, 271
63
4. Schlüsselstellung und Überantwortung beim Zeugen
64
a) Schlüsselstellung
65
b) Überantwortung
66
5. Schlüsselstellung und Überantwortung beim Sachverständigen . . . a) Schlüsselstellung
71 71
b) Überantwortung
72
6. Zusammenfassung
77
III. Formelles Sonderunrecht und Sonder strafdrohung TV.
Ergebnis
V. Einzelfragen
78 79 79
1. Nichtprozeßfähige Parteien als Zeugen
80
2. Zeugen vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen
83
3. Gutachten von Behörden und Körperschaften
90
a) Behördengutachten als „Aussage"
91
b) Der Behördenbeauftragte als Sachverständiger
92
c) Die Vereidigung des Behördenbeauftragten
93
VI. Zusammenfassung
94
D. Meineid
95
I.
Tatbestandliche Subjektskreiseinschränkung
95
I
nhaltsverzeichnis
II. Das materielle Sonderunrecht bei § 154 1. Wortlaut 2. Teleologische und systematische Erwägungen 3. Schlüsselstellung und Überantwortung bei den Meineidssubjekten a) Zeugen und Sachverständige - Verhältnis von § 153 und § 154 aa) Identität des Rechtsguts bb) Erhöhte Gefährlichkeit des Meineids cc) Gesteigertes relatives Unrecht? b) Parteien aa) Schlüsselstellung bb) Überantwortung III. Sondernorm und Sonderstrafdrohung TV.
98 98 99 99 100 100 101 102 104 105 105 108
Ergebnis; Anwendung des § 28 Abs. 1
V. Einzelfragen 1. Eidesunmündige 2. Nichtprozeßfähige Parteien 3. Beteiligte im FGG-Verfahren und Gemeinschuldner 4. Meineide vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen . . . . 5. Gesetzliche Vertreter nichtprozeßfähiger Parteien 6. Behördenbeauftragte
108 109 109 113 113 116 117 118
VI. Die Abgrenzung des straflosen Extranenversuchs vom Wahndelikt und vom strafbaren untauglichen Versuch bei irriger Annahme der Abnahmezuständigkeit 119 E. Falsche Versicherung an Eides Statt I.
124
Das Verhältnis des § 156 zu den §§ 153,154
II. Tatbestandliche Subjektskreiseinschränkung
124 126
III. Das materielle Sonderunrecht bei § 156 1. Indizien für das Sonderunrecht 2. Eidesstattliche Versicherungen in gerichtlichen Verfahren a) Strengbeweis b) Freibeweis c) Glaubhaftmachung aa) Zeugen und Sachverständige in mündlicher Verhandlung bb) Parteien und Beteiligte
130 130 130 130 133 134 135 135
Inhaltsverzeichnis
cc) Schriftliche, unaufgefordert abgegebene eidesstattliche Versicherungen
XIII
137
d) Offenbarungsversicherungen
139
e) Ergebnis
142
3. Eidesstattliche Versicherungen in Verwaltungsverfahren
142
a) Verfahren ohne ausdrückliche Abnahmeermächtigung
142
b) Glaubhaftmachung
143
c) Eidesstattliche Versicherungen vor Notaren und Konsularbeamten
144
d) Verfahren mit ausdrücklichen Ermächtigungen
145
e) Ergebnis
148
IV. Sondernorm, Sonderstrafdrohung, V. Gesetzliche Vertreter
Ergebnis
148
von Zwangsvollstreckungsschuldnern
Teil 3: Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort
148 151
Vorbemerkung
151
A. Der Meinungsstand
151
I.
Zum Rechtsgut des § 142
II. Unfallflucht
als Sonderdelikt
151 153
1. Die Rechtsprechung
153
2. Die Identifizierung des Sonderdelikts mit der Subjektskreiseinschränkung
154
3. Rechtsgutsbezogenheit bzw. Positionsnähe zum Rechtsgut
155
4. Unfallbeteiligung als Beschreibung einer objektiven Situation ..
156
5. Unfallbeteiligung als wertneutrales Merkmal
157
6. Besondere Pflichtbindung
158
7. Pflichtdelikt
159
8. Beschränkter Kreis von Normadressaten
160
9. Anwendbarkeit des § 14
161
10. Unfallflucht als Unterlassungsdelikt
162
11. Ergebnis
163
B. Anwendung der Sonderdeliktsdefinition
164
I.
164
Der Sonderunrechtstatbestand
I
nhaltsverzeichnis
1. Unfallbeteiligte
164
2. Besondere Unfallbeteiligte gemäß § 142 Abs. 2
167
//. Materielles Sonderunrecht bei Unfallbeteiligten
170
1. Ermittlung des Gemeinunrechts der Unfallflucht
170
2. Die Schlüsselstellung des Unfallbeteiligten 3. Überantwortung a) Vergleich mit den §§ 246 Abs. 1 Var. 2, 266, 290 b) Ableitung aus anderen Rechtsgebieten c) Merkmale einer Garantenposition bei Unfallbeteiligten aa) Ingerenz bb) Beherrschung einer Gefahrenquelle cc) Betrugsspezifische Aufklärungspflichten dd) Gemeinschaftsbeziehungen der Verkehrsteilnehmer untereinander d) Beschränkung des Täterkreises als Indiz der Überantwortung 4. Ergebnis
173 175 176 178 179 180 182 183
Teil 4: Verkehrsstraftaten
184 187 188 189
A. Einleitung
189
B. Das Rechtsgut der Verkehrsstraftaten
191
/.
Das Rechtsgut der §§ 315a, 315c
191
II. Das Rechtsgut der §§ 316 StGB, 21 StVG, 6 PflVG
194
C. Führen eines Fahrzeugs im Zustand der Fahrunsicherheit gemäß §§ 315c Abs. 1 Nr. 1,315a Abs. 1 Nr. 1,316 Abs. 1
194
I.
Meinungsstand
195
1. Eigenhändigkeit 2. Gesteigerte Pflicht eines Fahrzeugführers zur Vermeidung von Trunkenheitsfahrten 3. Keine Subjektskreiseinschränkung auf „Fahrzeugführer"
195
II. Subjektskreiseinschränkung 1. „Rausch" und „körperliche oder geistige Mängel" 2. „Führen eines Fahrzeugs" III. Materielles Sonderunrecht
196 197 200 201 201 203
X
Inhaltsverzeichnis
1. Gemeinunrecht 2. Besonderer sozialer Einflußbereich des Fahrzeugführers 3. Überantwortung a) Fehlende positive Erwartungshaltung gegenüber Fahrzeugführern b) Verkehrsregeln als außerstrafrechtliche Sonderpflichten c) Vergleich mit Garantenstellung IV. Ergebnis
203 204 206 206 207 209 210
D. Straßenverkehrsgefährdung durch Verstoß gegen elementare Verkehrsregeln gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2a) - f) I.
Abgrenzung des Sonderdeliktsproblems
211
von anderen Fragen
1. Eigenhändigkeit 2. Rücksichtslosigkeit als besonderes persönliches Merkmal
211 212
3. § 14 Abs. 4 OWiG
213
211
IL Die Sonderdeliktsnatur des § 315c Abs. 1 Nr. 2a) -f) unter Berücksichtigung des Meinungsstandes 214 III. Ergebnis
215
E. Straßenverkehrsgefährdung durch unterbliebenes Kenntlichmachen liegengebliebener Fahrzeuge gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2g) 216 I.
Vergleich mit § 315c Abs. 1 Nr. 2a) -f)
II. Meinungsstand
216 217
III. § 315c Abs. 1 Nr. 2g) als Garantenunterlassungsdelikt 1. Auslegung des Tatbestandes 2. Garantenpositionen bei § 315c Abs. 1 Nr. 2g)
218 218 219
IV. Ergebnis
220
F. Verkehrsgefährdender Verstoß gegen Sicherheitsvorschriften gemäß § 315a Abs. 1 Nr. 2
220
I.
221
Meinungsstand
II. Sonderdeliktsnatur
des § 315a Abs. 1 Nr. 2
222
G. Fahren ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 I.
Nr. 2 StVG
225
Meinungsstand
225
II. Überprüfung
des Tatbestandes auf seine Sonderdeliktsnatur
226
I
nhaltsverzeichnis
1. Gemeinunrecht des Tatbestandes 2. Subjektskreiseinschränkung auf Fahrzeugführer H. Anordnen und Zulassen des Fahrens ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 StVG I.
Meinungsstand
II. Zur Sonderdeliktsnatur
226 226 227 227
des Halterdelikts
228
1. Vertatbestandlichtes Teilnehmerdelikt
228
2. Die Anwendung der Sonderdeliktsdefinition a) Sonderunrechtstatbestand b) Materielles Sonderunrecht c) Sondernorm und Sonderstrafdrohung d) Ergebnis e) Anwendbarkeit des § 28 Abs. 1
229 229 229 230 230 231
J. Fahren und Gestatten des Fahrens ohne Versicherungsschutz gemäß § 6 PflVG I.
232
Vergleich mit § 21 Abs. 1 StVG
232
II. §6 Abs. 1 Var. 1 PflVG
233
III. § 6 Abs. 1 Var. 2 PflVG
234
1. Vertatbestandlichtes Teilnehmerdelikt 2. Anwendung der Sonderdeliktsdefinition
234 234
3. Ergebnis; Anwendbarkeit der §§ 28 Abs. 1, 14
235
Gesamtergebnis
236
Literaturverzeichnis
238
Verzeichnis der für die zitierten Gesetze verwendeten Abkürzungen §§ ohne Gesetzesangabe sind solche des Strafgesetzbuchs. Fundstellen in amtlichen Gesetz- und Verordnungsblättern werden nur bezüglich der weniger bekannten Gesetze aufgeführt. AO ArbGG AsylVfG AUG AuslG BauGB BaWüVerf BayVerf Berlin Verf BeurkG BGB BNotO BRAGO Brandenburg Verf BremVerf BRRG BRüG BWöDG
EGOWiG Erstes SED-UnBerG FGG FGO FRG G-131
Abgabenordnung Arbeitsgerichtsgesetz Asylverfahrensgesetz Auslandsunterhaltsgesetz vom 19.12.1986 (BGBl. I S. 2563) Ausländergesetz Baugesetzbuch Verfassung des Landes Baden-Württemberg Verfassung des Freistaates Bayern Verfassung des Landes Berlin Beurkundungsgesetz Bürgerliches Gesetzbuch Β undesnotarordnung Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung Verfassung des Landes Brandenburg vom 20.8.1992 (GVB1. Brandenburg 20.8.1992, S. 298) Verfassung der Freien Hansestadt Bremen Beamtenrechtsrahmengesetz Bundesrückerstattungsgesetz vom 19.7.1957 (BGBl. I S.734) Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung national-sozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes vom 11.5.1951 (BGBl. S. 291) i.d.F. der Bekanntmachung vom 15.12.1965 (BGBl. S. 2073) Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Erstes Gesetz zu Bereinigung von SED-Unrecht vom 29.10.1992(BGBl. I S . 1814) Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Finanzgerichtsordnung Fremdrentengesetz vom 7.8.1953 (BGBl. I S. 848) i.d.F. vom 25.2.1960 (BGBl. I S.93) Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen vom 11.5.1951
XVIII
GG GmbHG GVG HambVerf HessVerf JGG JustizBeitrO KFG KO KonsularG LandtagsG Saar LuftVG NiedersVerf NRW-Verf OWiG ÖStGB PatG
PflVG PStG Rh-PfVerf RVO SaarlVerf Sachsen-Anhalt. Verf Sächs.Verf Schles-Holst Verf SG SGB-AT SGB-X SGG StPO StVG StVO StVZO UA-Gesetz BaWü
UA-Gesetz Bayern
Abkürzungsverzeichnis (BGBL I S. 307) i.d.F. der Bekanntmachung vom 13.10.1965 (BGBl. I S. 1685) Grundgesetz Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung Gerichtsverfassungsgesetz Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg Verfassung des Landes Hessen Jugendgerichtsgesetz Justizbeitreibungsordnung Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen vom 3.5.1909 (RGBl. 12.5.1909, S. 347) Konkursordnung Gesetz über die Konsularbeamten, ihre Aufgaben und Befugnisse Gesetz Nr. 970 über den Landtag des Saarlandes vom 20.6.1973 (AmtsBl. Saarland 31.7.1973, S. 517) Luftverkehrsgesetz Vorläufige Verfassung des Landes Niedersachsen Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Österreichisches Strafgesetzbuch Patentgesetz Gesetz über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter Personenstandsgesetz Verfassung des Landes Rheinland-Pfalz Reichsversicherungsordnung Verfassung des Saarlandes Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt vom 16.7.1992 (GVB1. Sachsen-Anhalt 17.7.1992, S. 600) Verfassung des Freistaates Sachsen vom 27.5.1992 (Sächsisches GVB1. 27.5.1992, S. 243) Landessatzung des Landes Schleswig-Holstein Soldatengesetz Sozialgesetzbuch Allgemeiner Teil Sozialgesetzbuch Zehntes Buch Verwaltungsverfahren Sozialgerichtsgesetz Strafprozeßordnung Straßenverkehrsgesetz Straßenverkehrsordnung Straßenverkehrszulassungsordnung Gesetz über Einsetzung und Verfahren von Untersuchungsausschüssen des Landtags vom 3.3.1976 (GBl. Baden-Württemberg 17.3.1976, S. 194) Gesetz über die Untersuchungsausschüsse des Bayrischen Landtags vom 23.3.1970 (GVB1. Bayern 5/1970, S. 95)
Abkürzungsverzeichnis
XIX
Verfahrensverordnung zu Artikel V I des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundesentschädigungsgesetzes vom 22.3.1966 (BGBl. I S . 187) Vergleichsordnung Vorläufige Landessatzung für das Land Thüringen vom 7.11.1990 (GBl. Thüringen 7.11.1990, S. 1) Versicherungsunterlagen-Verordnung vom 3.3.1960 (BGBl. I S. 137) Verwaltungsgerichtsordnung Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung vom 2.5.1955 (BGBl. I S. 202) Verwaltungsverfahrensgesetz Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung national-sozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung vom 22.8.1949 (WiGBl. S. 263) i.d.F. vom 22.12.1970 (BGBl. I S. 1846) Wehrstrafgesetz Zivilprozeßordnung Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen
Einleitung Nachdem bis in die siebziger Jahre verschiedene Abhandlungen über die Sonderdeliktsdogmatik erschienen, welche sich vor allem mit der Frage auseinandersetzten, wie der Begriff der Sonderstraftat zu definieren sei und welche Rolle er in der Lehre von Täterschaft und Teilnahme sowie in der Lehre von Versuch und Vollendung einzunehmen habe1, sind seitdem diese Fragen zwar noch kontrovers, aber kaum noch mit neuen Argumenten diskutiert worden. Im Vordergrund steht nach wie vor die Frage, was unter „besonderen persönlichen Merkmalen" im Sinne des § 28 und des § 14 zu verstehen ist.2 Allerdings wird diese Frage häufig selbständig erörtert, ohne mit der Begriffsbestimmung der Sonderstraftat verknüpft zu werden.3 Dagegen fehlt die von Roxin4 angemahnte „Spezialuntersuchung, die jeden Tatbestand ... auf seine Zugehörigkeit zur Gruppe der ... Pflichtdelikte 5" analysiert. Einzelne Straftaten darauf zu untersuchen, ob sie Sonderstraftaten sind, ist das Ziel dieser Arbeit. Bei der notwendigen Beschränkung auf wenige Straftaten konnte der Bereich der unumstrittenen Sonderstraftaten, insbesondere der Amtsdelikte, ausgespart werden. Es bleiben jedoch noch zahlreiche andere Streitfälle offen. Daß die Auswahl hier auf die Aussagestraftaten, das unerlaubte Entfernen vom Unfallort und bestimmte Verkehrsstraftaten fiel, hat seinen Grund in der besonders umstrittenen Zuordnung im Fall der Aussagestraftaten und der augenscheinlich besonders ungesicherten Zuordnung der anderen genannten Straftaten zur Gruppe der Sonderdelikte beziehungsweise der Gemeinstraftaten. Bei den Verkehrsstraftaten und der Unfallflucht handelt es sich zudem um Tatbestände, die in der Strafrechtsanwendung eine zahlenmäßig bedeutende Rolle spielen, so daß die mit der hier untersuchten Zuordnung verbundenen Sachfragen häufig relevant werden können. Daß mit der Sonderdeliktsnatur einer Straftat bestimmte Sachfragen verknüpft sind, bedarf besonderer Hervorhebung. Es wurde bereits darauf aufmerksam gemacht, daß etwa die Anwendbarkeit des § 28 auf bestimmte Tatbestands1
Vgl. ζ. B. Franzheim; Gallas, Beiträge, S. 123 ff.; Bruns, Der untaugliche Täter...; Langer, Das Sonderverbrechen; Bambach; Roxin, Täterschaft und Teilnahme, S. 352 ff. 2 Vgl. ζ. B. Blauth, Wiesener, Heidland und Langer, Zum Begriff der besonderen persönlichen Merkmale. 3 Vgl. etwa die Kommentierung zu § 28 bei LK-Roxin und SK-Samson. 4 Roxin, Täterschaft und Teilnahme, S. 384. 5 also der Sonderdelikte; vgl. unten Teil 1 Β I 3.
Einleitung
2
merkmale oftmals nicht im Zusammenhang mit der Sonderdeliktsnatur einer Straftat erörtert wird. Die Bestimmung des Begriffs der besonderen persönlichen Merkmale erfolgt dann ohne Bezug auf den Sonderdeliktsbegriff, so daß es Sonderstraftaten mit, aber auch solche ohne besonderes persönliches Merkmal im Sinne des § 28 zu geben scheint.6 Ähnliches gilt für das Problem des Versuchs durch ein untaugliches Subjekt. Schon die Formulierung der Fragestellung zeigt hier, daß die Verknüpfung mit dem Begriff der Sonderstraftat nicht gesehen wird. Denn andernfalls müßte vom Extranenversuch bei der Sonderstraftat gesprochen werden. Im Gegensatz dazu wird hier die These vertreten, daß unmittelbar mit dem Begriff der Sonderstraftat beziehungsweise mit der Zuordnung eines Tatbestandes des Besonderen Teils zu dieser Gruppe bestimmte Sachfragen verknüpft sind. Unter anderem wird hier angenommen, daß diejenigen Tatbestandsmerkmale, welche eine Straftat als Sonderstraftat kennzeichnen, stets besondere persönliche Merkmale im Sinne der §§ 14 und 28 sind, und daß § 28 Abs. 1 die Strafbarkeit der Teilnahme solcher Personen, bei denen das besondere persönliche Merkmal fehlt, im dort vorgesehenen, gemilderten Umfang begründet. Ferner wird der Standpunkt vertreten, daß die Straflosigkeit des Versuchs des untauglichen Subjekts aus dem Begriff der Sonderstraftat folgt. Nur die Verknüpfung mit solchen sachlichen Konsequenzen kann überhaupt ein wissenschaftliches Interesse an der Frage begründen, ob bestimmte Tatbestände Sonderstraftaten sind, während eine bloße Klassifikation nach äußerlichen Gesichtspunkten, von welcher nichts abhängt, nicht vorgenommen werden müßte. Eine solche Verbindung kann nur erreicht werden, wenn der Begriff der Sonderstraftat seinerseits nicht bloß äußerliche Erscheinungen erfaßt, sondern materielle Unterscheidungen in sich aufnimmt. Der so gebildete Begriff der Sonderstraftat, der dieser Arbeit zugrunde liegt, wird daher im folgenden näher erläutert werden. Seine Verbindung mit jenen Sachfragen setzt jedoch, dies sei im Vorgriff angemerkt, voraus, daß die Sonderstraftat als Erscheinungsform des Verbrechens definiert wird. Es handelt sich bei dem Erscheinungsformpaar Gemeindelikt-Sonderstraftat, bildlich gesprochen, um die vierte Dimension des Unrechts neben Täterschaft und Teilnahme, Vollendung und Versuch, Tun und Unterlassen. Nur weil das Erscheinungsformpaar Gemein- und Sonderdelikt selbständig neben den anderen Unrechtsdifferenzierungen steht, kann es im Teilnahmebereich wie auch beim Versuch spezifische Rechtsfolgen hervorrufen. Vor der Bestimmung des hier vertretenen Begriffs der Sonderstraftat ist daher der weniger bekannte Begriff der Erscheinungsform zu erläutern. Am Ende dieser Einleitung sei eine Bemerkung zur Terminologie gestattet. Das Strafgesetzbuch verwendet, um kriminelles Verhalten zu bezeichnen, den 6
Vgl. ζ. B. Lackner § 142 Rz. 39, § 153 Rz. 7, § 174 Rz. 17, § 121 Rz. 2.
Einleitung
Terminus „Straftat", während ein „Delikt" der Gesetzessprache fremd ist und das Wort „Verbrechen" in einem spezifisch technischen Sinn gebraucht wird. Wenn hier gleichwohl abwechselnd von Sonderstraftat, Sonderdelikt oder Sonderverbrechen gesprochen wird, so sind mit diesen Ausdrücken keine unterschiedlichen Begriffe gemeint. Diese Worte finden hier nebeneinander für die gleiche Sache Verwendung.
Teil 1: Der Begriff des Sonderverbrechens Vorbemerkung In diesem Abschnitt soll der Begriff der Sonderstraftat, der dieser Arbeit zugrunde gelegt wird, erläutert und gegen andere Definitionen verteidigt werden. Es ist jedoch nicht beabsichtigt, dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft Neues hinzuzufügen. Aus diesem Grund erscheint die hier gewählte Darstellungsweise gerechtfertigt. Sie stellt das Ergebnis, nämlich den Begriff des Sonderdelikts, der dieser Untersuchung zugrunde liegt, voran und erläutert die Entscheidung für diese Definition im Anschluß. In diesem Rahmen soll (nur) auf die gegenwärtig noch vertretenen Auffassungen eingegangen werden. Dabei muß insbesondere der Lehre vom Pflichtdelikt und der Lehre Beachtung geschenkt werden, die unter besonderen persönlichen Merkmalen solche versteht, die einen besonderen sozial-ethischen Unwertgehalt vertypen.
A. Die Begriffsbestimmung Unter einem Sonderverbrechen wird hier ein Delikt verstanden, das durch ein besonders vertatbestandlichtes Sonderunrecht und eine Sonderstrafdrohung gekennzeichnet ist.1 Bei den Sonderverbrechen handelt es sich danach um eine der Erscheinungsformen des Verbrechens. Mit dem Gemeindelikt als der korrespondierenden Erscheinungsform bildet es ein Erscheinungsformpaar. 2 Das Sonderunrecht besteht in der Verletzung eines dem Sondersubjekt (Intraneus) ausschnitthaft überantworteten Rechtsguts unter Mißachtung einer in ihrer Dringlichkeit abgewandelten Norm. Die besondere tatbestandliche Schilderung ist die gesetzliche Beschreibung des Sonderunrechts in einem besonderen persönlichen Merkmal. Sonderstrafdrohung bedeutet die dem Sonderdelikt zugeordnete, vom Gemeindelikt abweichende Rechtsfolge. 3 1 2 3
Langer, Das Sonderverbrechen, S. 456. Langer, Das Sonderverbrechen, S. 385 ff. Langer, Das Sonderverbrechen, S. 456.
Β. Erläuterung
5
Da zwei Arten der Abwandlung bzw. Überantwortung denkbar sind, gibt es zwei Arten von Sonderverbrechen. Ist das Rechtsgut dem Sondersubjekt anvertraut, die Dringlichkeit der Normbefolgung ihm gegenüber gesteigert, liegt ein Sonderpflichtdelikt vor. 4 Die andere Denkmöglichkeit des Sonderrechtsdelikts, bei dem das Rechtsgut gewissermaßen zur Verfügung des Sondersubjekts steht5, spielt im gegenwärtigen Strafrecht kaum eine Rolle. Die verbreitete Einteilung in echte und unechte Sonderverbrechen ist dagegen für den Begriff der Sonderverbrechen ohne Bedeutung.6 Soweit sie hier gelegentlich gebraucht werden wird, entspricht sie der geläufigen Bedeutung, nämlich, daß es zu einem Sonderdeliktstatbestand ein korrespondierendes, vertatbestandlichtes Gemeindelikt gibt (unechtes Sonderverbrechen) oder nicht (echtes Sonderverbrechen).
B. Erläuterung I. Gemein- und Sonderverbrechen als Erscheinungsformen Daß die Sonderstraftaten keine Tatbestandsgruppierung, sondern eine eigene Erscheinungsform der Verbrechen bilden, ist eine Erkenntnis, die bisher nur einmal formuliert wurde.7 Ihre erneute Darstellung und Rechtfertigung mag daher zu ihrer weiteren Verbreitung beitragen. Daher sind zunächst die Begriffe Erscheinungsform und Tatbestandsgruppierung zu erläutern.
1. Erscheinungsform
und Tatbestandsgruppierung
Das Strafgesetz schildert das verbrecherische Verhalten nicht in der abstrakten Form des allgemeinen Verbrechensbegriffs, also als tatbestandsmäßiges, Unrechtes, schuldhaftes und strafwürdiges Verhalten, sondern stets unter konkreter, anschaulicher Bezeichnung insbesondere des Rechtsguts, des Verletzungsverhaltens und der Schuldform. Die jeweilige Art der konkreten Verbrechen wird dabei durch das Rechtsgut und das deliktsspezifische Verletzungsverhalten bestimmt;8 bei den Delikten gegen das Rechtsgut Eigentum unterscheidet das Strafgesetz etwa zwischen drei spezifischen Arten der Verletzung, nämlich 4 5 6 7 8
Langer, Das Sonderverbrechen, Langer, Das Sonderverbrechen, Langer, Das Sonderverbrechen, Langer, Das Sonderverbrechen, Langer, Das Sonderverbrechen,
S. 457. S. 457. S. 457. S. 385 ff. S. 367 ff.
Teil 1 : Der Begriff des Sonderverbrechens
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durch Zerstörung (§ 303), durch Wegnahme in Zueignungsabsicht (§ 242) und durch sonstige Zueignung (§ 246). Auch diese Aufgliederung in Arten genügt aber den Erfordernissen einer an der jeweiligen Schwere der Tat ausgerichteten Rechtsfolgenbestimmung noch nicht. So gibt es beispielsweise beim Diebstahl typische Begehungsweisen, die das Unrecht der Wegnahme erhöhen, insbesondere den Waffen- oder Bandendiebstahl (§ 244). Neben diesen Konkretisierungen des Unrechts existieren jedoch noch weitere Faktoren, die das Unrecht beeinflussen. Eine konkrete Tat ist niemals einfach nur ein Diebstahl, sondern immer neben dieser Deliktsart eine Kombination jener unrechtsgestaltenden Faktoren, ζ. B. ein täterschaftlich vollendeter, aktiver Diebstahl oder ein als Gehilfe durch Unterlassen begangener,vollendeter Diebstahl. Während der Besondere Teil in der Regel ein Delikt in täterschaftlicher, aktiver, vollendeter Form schildert, werden die anderen Faktoren im Allgemeinen Teil normiert. Diese unrechtsgestaltenden Faktoren sind Täterschaft und Teilnahme, Tun und Unterlassen, Versuch und Vollendung. Sie weisen gegenüber der Entfaltung des Unrechts in artverschiedenen Delikten und anderen Gestaltungen bestimmte Gemeinsamkeiten auf, die es erlauben, sie unter einem gemeinsamen Begriff, dem der Erscheinungsform, zusammenzufassen.9 Charakteristisch ist zunächst die antithetische Struktur der korrespondierenden Erscheinungsformpaare. 10 Eine Tat ist entweder versucht oder vollendet, entweder täterschaftlich oder als Teilnehmer begangen. Sodann zeigt sich, daß es sich bei der Differenzierung, die jedem Erscheinungsformpaar zugrundeliegt, um eine inhaltliche11, nicht nur formale oder phänomenale Differenzierung handelt. Denn ob unter im übrigen gleichen Umständen eine Tat nur versucht oder vollendet, ob sie täterschaftlich oder nur als Gehilfe begangen wurde, begründet eine spezifische Unrechtsdifferenz. Diese Differenzierungen sind weiterhin unmittelbar 12, d. h. sie setzen an der untersten Stufe des Verbrechensaufbaus, beim Unrecht, an. Ferner sind sie allgemein.13 Denn prinzipiell begründet jede dieser Differenzierungen bei jeder denkbaren Deliktsart unterschiedliches Unrecht. Dies gilt andererseits ζ. B. nicht für das oben angeführte Beispiel des Diebstahls mit Waffen, weshalb die Begehungsweise „mit oder ohne Waffen" keine Erscheinungsform verkörpert. Denn auf den Unwert ζ. B. der Aussage- oder Beleidigungsdelikte ist es ohne Einfluß, ob der Täter eine Waffe führt.
9 10 11 12 13
Langer, Das Sonderverbrechen, S. 370. Langer, Das Sonderverbrechen, S. 366. Langer, Das Sonderverbrechen, S. 371. Langer, Das Sonderverbrechen, S. 371. Langer, Das Sonderverbrechen, S. 371.
Β. Erläuterung
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Außerdem sind die genannten Erscheinungsformen selbständig14 in dem Sinn, daß sie in ihren Merkmalen nur auf die jeweils korrespondierende Erscheinungsform, nicht aber auf weitere Erscheinungsformen Bezug nehmen. So kann zwar der Deliktsversuch nur im Gegensatz zur Deliktsvollendung, Täterschaft nur im Hinblick auf die Teilnahme definiert werden, jedoch bleibt das Formpaar Versuch-Vollendung selbst dann sinnvoll, wenn Täterschaft und Teilnahme durch eine Einheitstäterlösung ersetzt würden. Dies ist mit Selbständigkeit einer Erscheinungsform gemeint. Schließlich ist den drei genannten Erscheinungsformen ihre Rechtsfolgenrelevanz15 gemeinsam. Sie bedeutet, daß jede Erscheinungsform in wenigstens einer Kombination mit den Erscheinungsformen der anderen Erscheinungsformpaare eine andere Rechtsfolge als die korrespondierende Erscheinungsform hat. Während beispielsweise das täterschaftliche, aktive, vollendete Delikt im Vergleich zum aktiven, vollendeten Anstifterdelikt keine unterschiedliche Strafdrohung aufweist, erweist sich die Rechtsfolgenrelevanz der Teilnahme in der Kombination mit dem Versuchsdelikt. Hier ist die versuchte Anstiftung nur in den Fällen des § 30 Abs. 1 strafbar. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß Erscheinungsformen Differenzierungen des Verbrechens unter allgemeinen, selbständigen, unmittelbaren, inhaltlichen und rechtsfolgeerheblichen Aspekten sind, die die jeweilige Verbrechensart nicht verändern. Dabei ergibt sich aus dem Merkmal der Unmittelbarkeit, daß es sich stets um Unrechtsdifferenzierungen handelt. Unterschiedliches Unrecht kann jedoch im Rahmen des Strafgesetzes nur dort eine Rolle spielen, wo es auch tatbestandlichen Ausdruck findet. Die Erscheinungsformen müssen daher - wie für die bisher erörterten Erscheinungsformen nicht näher dargelegt zu werden braucht - in irgendeiner Form tatbestandlich niedergelegt sein.16 Unter Tatbestandsgruppierungen17 werden dagegen solche Gestaltungen des Unrechts verstanden, die in ihren Merkmalen von einer Erscheinungsform abhängen, also gerade nicht selbständig sind. Dazu gehört etwa die Unterscheidung nach eigen- oder fremdhändiger Begehung. Sie hat nur Bedeutung im Rahmen der Täterschaft, auf die Teilnahme wirkt sie sich nicht aus. Die Existenz eigenhändiger Delikte ist unmittelbar mit der Existenz der Figur der Täterschaft verbunden. Mit ihrer Preisgabe durch eine Einheitstäterlösung entfällt auch die Bedeutung eigenhändiger Delikte. Ein weiteres Beispiel für eine Tatbestandsgruppierung - hier in Abhängigkeit von der Figur des vollendeten Delikts - ist die Unterscheidung von Tätigkeits-, Gefährdungs- und Erfolgsdelikten. 14 15 16 17
Langer, Das Sonderverbrechen, S. 372. Langer, Das Sonderverbrechen, S. 372. Langer, Das Sonderverbrechen, S. 375. Vgl. zum folgenden Langer, Das Sonderverbrechen, S. 34 ff.
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Teil 1 : Der Begriff des Sonderverbrechens
2. Formale Übereinstimmung der Definition mit dem Begriff der Erscheinungsform Nach dieser kurzen Erläuterung der Begriffe zeigt sich, daß die eingangs angeführte Definition des Sonderdelikts jedenfalls formal dem entspricht, was hier als Erscheinungsform beschrieben wurde. Denn es wurde eine spezifische Unrechtsdifferenz zu den Gemeindelikten, eine besondere Vertatbestandlichung dieses Unrechts und eine Sonderstrafdrohung, mithin Rechtsfolgenrelevanz, postuliert. Diese Definition ist auch selbständig; denn sie bezieht sich nicht auf andere Erscheinungsformen. Ob es sich bei den Sonderdelikten um eine Erscheinungsform handelt, ist damit natürlich noch nicht erwiesen. Die formale Übereinstimmung weist jedoch den Weg, den die folgenden Erläuterungen zu nehmen haben. Zunächst soll deshalb gezeigt werden, daß andere Begriffsbestimmungen, die das Sonderverbrechen als Tatbestandsgruppierung innerhalb der Erscheinungsform der Täterschaft ansehen, nicht sachgerecht sind. Danach ist darzulegen, warum die Überantwortung eines Rechtsguts unter relativer Abwandlung der Normdringlichkeit tatsächlich eine allgemeine und inhaltliche Differenzierung des Unrechts ist. Schließlich sind die besondere Vertatbestandlichung des Sonderunrechts und die Sonderstrafdrohung zu erläutern.
3. Täterschaftsrelative
Definitionen des Sonderdelikts
Zahlreiche Autoren definieren das Sonderdelikt als ein Delikt, dessen Täter nur sein kann, wer dem Kreis der Qualifizierten, der Intranen angehört.18 Sofern bei diesen Wendungen das Wort Täter nicht im (untechnischen) Sinne von Deliktssubjekt schlechthin gebraucht wird - was gelegentlich nicht leicht zu erkennen ist - , handelt es sich nach dieser Begriffsbestimmung beim Sonderdelikt um eine Tatbestandsgruppierung innerhalb der Erscheinungsform der Täterschaft. Denn auf diese Erscheinungsform wird in der Definition Bezug genommen. Nur in ihrem Rahmen hat das Sonderverbrechen eigenständige Bedeutung, während mit der Beschränkung auf die Frage möglicher Täterschaft (zumeist unausgesprochen) zugleich festgelegt wird, daß die Strafbarkeit der Teilnahme am Sonderverbrechen in keiner Weise von der Zugehörigkeit des Teilnehmers zum Kreis der Intranen abhängt. Mit anderen Worten, eine täterschaftsrelative Definition des Sonderverbrechens setzt die Strafbarkeit der Extranenteilnahme in der Regel voraus, ohne diese näher zu problematisieren. 18 Welzel, S. 114; Jescheck, S. 239 f.; Baumann/Weber, S. 131 f., 528,549 f., 569; Maurach/ Gössel/Zipf, ATI, S. 284, 285 f.; Gallas, Beiträge, S. 159 f., und Heidland, S. 31 ff., sprechen von täterschaftlichen Merkmalen.
Β. Erläuterung
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Während nun die Intraneneigenschaft zumeist nur als ein zusätzliches Merkmal, das zu den anderen Tätermerkmalen (Täterwille oder Tatherrschaft) hinzu kommen muß, angesehen wird 19 , geht die Pflichtdeliktslehre noch einen Schritt weiter. Allerdings handelt es sich, worauf zunächst hinzuweisen ist, bei der Lehre vom Pflichtdelikt nicht unmittelbar um eine Begriffsbestimmung der Sonderstraftat, sondern primär um eine nähere Kennzeichnung des Täterbegriffs. Roxin unterscheidet drei Tätermerkmale, nämlich Tatherrschaft, Eigenhändigkeit und Verletzung einer außerstrafrechtlichen Pflicht. 20 Je nachdem, ob ein Herrschafts- oder Pflichtdelikt oder ein eigenhändiges Delikt vorliegt, ist die Beurteilung, ob der betreffende Tatbestand täterschaftlich verwirklicht wurde, nach dem zugehörigen Täterkriterium, aber auch nur nach diesem zu beurteilen. Ob nun ein Pflichtdelikt oder eine den beiden anderen Gruppen zuzuordnende Straftat vorliegt, ist danach zu beurteilen, ob der Tatbestand die Verletzung einer außerstrafrechtlichen, nicht jedermann, sondern nur bestimmte Personen bindenden Pflicht voraussetzt.21 Den Kernbereich der Pflichtdelikte bilden jedoch die Straftaten, die gemeinhin als Sonderdelikte bezeichnet werden.22 Auch wenn 9λ
der Begründer der Pflichtdeliktslehre diesen Terminus zurückweist , ist es daher gerechtfertigt, in der Pflichtdeliktslehre eine mittelbare Begriffsbestimmung der Sonderstraftat zu sehen. Sonderstraftaten (oder Pflichtdelikte) sind danach solche Tatbestände, die die Verletzung einer außerstrafrechtlichen, nicht jedermann bindenden Pflicht voraussetzen und die eben deshalb täterschaftlich von jedem begangen werden, der als Subjekt dieser Pflicht einen wie auch immer gearteten Beitrag zur Tatbestandsverwirklichung leistet.24 Dagegen können Außenstehende nur Teilnehmer sein. Die über die im vorigen Abschnitt genannte Definition hinausgehende Aussage besteht also darin, daß die Intraneneigenschaft das einzige über die Täterschaft entscheidende Kriterium ist. Weil somit die Pflichtdeliktslehre mittelbar eine auf die Täterschaft bezogene Definition der Sonderstraftat darstellt, kann sie unter die hier erörterte Gruppe täterschaftsrelativer Definitionen der Sonderstraftat eingereiht und unter diesem Gesichtspunkt erörtert werden. Ihre weitere Aussage, daß die Intraneneigenschaft bei den Pflichtdelikten auf einer außerstrafrechtlichen Pflichtenstellung beruht, wird erst später25 untersucht werden. 19
BGHSt 14,128 f.; Welzel, S. 100; Lackner, Vor § 13 Rz.33, § 25 Rz. 9; Dreher/Tröndle, Vor § 13 Rz. 35, § 25 Rz.6. 20 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 433 f. 21 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 353. 22 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 384 f. 23 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 353. 24 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 353 ff.; LK-Roxin § 25 Rz.29; Schönke-Schröder-Cramer, Vor § 25 Rz. 71; Jakobs, S. 655; Blei, S. 255. 25 Vgl. unten Teil 1 B.II.2.c)aa).
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Teil 1 : Der Begriff des Sonderverbrechens
4. Kritik an der Definition der Sonderstraftat als Tatbestandsgruppierung Einwände gegen die Auffassung der Sonderdelikte als Tatbestandsgruppierung ergeben sich aus verschiedenen Gesichtspunkten.
a) §14 Abs. 1 S.2 OWiG Besonders naheliegend ist ein Vergleich dieser Auffassung mit § 14 Abs. 1 S. 2 OWiG. Die im Ordnungswidrigkeitenrecht durchgeführte Einheitstäterlösung hätte eigentlich zum Wegfall der Figur des Sonderdelikts führen müssen. Denn wenn es als Tatbestandsgruppierung definiert wird, hängt seine Existenz von der in Bezug genommenen Erscheinungsform ab. Dieser Wegfall ist jedoch im Ordnungswidrigkeitenrecht nicht eingetreten. Vielmehr hat der Gesetzgeber auch hier noch ein Regelungsbedürfnis im Hinblick auf die die Ahndungsmöglichkeit begründenden, besonderen persönlichen Merkmale gesehen.26 Das ist jedoch nur verständlich, wenn das Sonderdelikt selbst eine Erscheinungsform ist. Daß dies nicht nur im Ordnungswidrigkeitenrecht, sondern auch im Kriminalstrafrecht so sein muß, bedarf angesichts der Strukturgleichheit der beiden Materien 27 keiner weiteren Begründung.
b) Fahrlässigkeitsdelikte Bedenklich unter dem Gesichtspunkt einer täterschaftskonstituierenden Funktion der Sonderpflicht sind auch Aussagen zur Täterschaft bei den Fahrlässigkeitsdelikten. Wenn gesagt wird, auch bei manchen Fahrlässigkeitsdelikten entscheide die Intraneneigenschaft über die Täterschaft 28, so muß man sich vor Augen halten, daß der Begriff „Täter" hier in zweierlei Sinn gebraucht wird. Geht es nämlich einmal um die Abgrenzung zur Teilnahme, so kann dies in die26 Interessanterweise hat auch der österreichische Gesetzgeber ein solches Regelungsbedürfnis im Rahmen seiner Einheitstäterlösung erkannt. Die maßgebliche Vorschrift des § 14 Abs. 1 S. 1 ÖStGB lautet: Macht das Gesetz die Strafbarkeit oder die Höhe der Strafe von besonderen persönlichen Eigenschaften oder Verhältnissen des Täters abhängig, die das Unrecht der Tat betreffen, so ist das Gesetz auf alle Beteiligten anzuwenden, wenn diese Eigenschaften oder Verhältnisse auch nur bei einem von ihnen vorliegen. 27 Schmidhäuser, AT3 5/136; Jescheck, S. 50; zweifelnd Schönke-Schröder-Stree, Vor § 38 Rz. 35. 28 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 653; LK-Roxin, § 25 Rz. 158.
Β. Erläuterung
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sem Zusammenhang nicht gemeint sein. Denn bei Fahrlässigkeitsdelikten gibt es keine Teilnahme, von der die Täterschaft abzugrenzen wäre. Das Wort „Täter" bezeichnet hier vielmehr das mögliche Deliktssubjekt, das in manchen Tatbeständen nur als „Wer", in anderen jedoch als näher qualifizierte Person gekennzeichnet ist. Der Umstand, daß es fahrlässige Sonderdelikte gibt, deutet darauf hin, daß es sich bei ihnen um eine Erscheinungsform handelt.
c) Doppelsinniger Gebrauch des Wortes „Täter" Die Beobachtung eines doppelsinnigen Gebrauchs des Wortes „Täter" begegnet bei den Vertretern der täterschaftsrelativen Definition des Sonderdelikts häufig. Ζ. B. schreibt Welzel29, daß Umecht „täterbezogenes, personales" Handlungsunrecht sei. In diesem Zusammenhang ist offenbar der Täter im Gegensatz zur Tat, personales Unrecht im Gegensatz zur Rechtsgutsverletzung gemeint. Als Beispiel solchen personalen Unrechts wird dann die Beamtenstellung angeführt. Kurz danach, immer noch im Zusammenhang mit dem „Umecht der vorsätzlichen Delikte" und ohne direkten Bezug zu Täterschaft und Teilnahme ist die Rede von täterschaftlichen Merkmalen des objektiven Tatbestandes, zu denen die Amtsstellung gehört. 30 Kann man hier noch zweifeln, ob der Ausdruck Täter im neutralen Sinn von „Deliktssubjekt" gebraucht wird, schwinden die Zweifel spätestens bei dem Kapitel über die Täterschaft. Jetzt ist aus dem personalen Umecht, das zunächst einen Täter (§340) von einem anderen Täter (§ 223) unterschied - also verschiedene Deliktssubjekte charakterisierte - , unversehens ein Abgrenzungsmerkmal zum Teilnehmer geworden: „Personales Unrecht" dem „die Bezogenheit auf den Täter" wesentlich ist, ist unter anderem in „objektiv-persönlichen Tätermerkmalen" verkörpert. 31 Das personale Unrecht, das zunächst nur als allgemeines Kennzeichen jeden Unrechts erschien, ist plötzlich eine Besonderheit des täterschaftlichen Unrechts geworden. Dabei stellt sich natürlich die Frage, ob nicht auch der Teilnehmer personales Umecht verwirklicht. Davon aber abgesehen, sollte hier nur beispielhaft gezeigt werden, daß die unbewußt-mehrdeutige Verwendung des Begriffes „Täter" eine bewußte Stellungnahme zu dem Erscheinungsformcharakter des Sonderdelikts verhindert. 32 Denn jedenfalls ist es ein gewichtiger Unterschied, ob man das Sonderverbrechen durch ein besonderes personales Umecht kennzeichnet, das der Täter eines korrespondierenden Gemeindelikts nicht aufweist, oder ob man den Täter durch 29 30 31 32
Welzel, S. 62. Welzel, S. 63. Welzel, S. 100. Vgl. dazu Langer, Das Sonderverbrechen, S. 220 ff., insb. S. 222.
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Teil 1 : Der Begriff des Sonderverbrechens
ein besonderes täterschaftliches Merkmal im Vergleich zum Teilnehmer beschreibt. Daß die täterschaftsrelativen Definitionen sich nicht bewußt für eine der beiden Möglichkeiten entscheiden, sondern Ergebnis jener unbewußten Bedeutungsverschiebung sind, die schon im Zusammenhang mit den Fahrlässigkeitsdelikten beobachtet wurde, ist ein schwerer Mangel dieser Auffassung.
d) Versuch des untauglichen Subjekts Wie wenig befriedigt selbst ihre Vertreter davon sind, läßt sich nochmals bei Welzel34, an seiner Stellungnahme zum „Versuch des untauglichen Subjekts" zeigen. Er tritt zwar für die Straflosigkeit dieses Verhaltens ein. Jedoch verläßt seine Begründung eindeutig die zuvor gegebene Definition des Sonderdelikts. Wenn Welzel ausführt, die (wirkliche) Verletzung einer Sonderpflicht sei bei den Sonderverbrechen für den Tatbestand konstitutiv, dann steht das in glattem Widerspruch zu seiner Annahme, es handle sich bei der Sonderpflicht nur um ein Täterschaftsmerkmal. Denn wie das wirkliche Vorliegen etwa der finalen Tatherrschaft durch eine entsprechende Fehlvorstellung ersetzt werden kann, müßte das gleiche auch für die anderen Tätermerkmale gelten.35 In Wahrheit argumentiert Welzel daher mit einer Besonderheit des Unrechts der Sonderdelikte und damit mit deren Charakter als Erscheinungsform.
e) Motiv der Begriffsbildung: Die Strafwürdigkeit extraner Teilnehmer und der Strafgrund der Teilnahme Die Definition des Sonderverbrechens als Tatbestandsgruppierung innerhalb der Täterschaft beantwortet, wie bereits bemerkt, die Frage nach der Strafbarkeit der Extranenteilnahme am echten Sonderverbrechen positiv. Vor der Einführung des § 28 Abs.l mußte dagegen eine Auffassung, die das Sonderverbrechen als Erscheinungsform begriff, zur Straflosigkeit solcher „Teilnahme" gelangen, weil eben bei den Außenstehenden das jeweilige besondere persönliche Merkmal fehlte. Jene Auffassung dagegen hielt das Vorliegen des besonderen persönlichen Merkmals beim Teilnehmer nicht für erforderlich und demgemäß die Extranenteilnahme für strafbar. Hinter der täterschaftsrelativen Definition des Son33
Langer, Das Sonderverbrechen, S. 218 f. Welzel, S. 194 f. 35 Konsequent z.B. Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 455 f.; Maurach/Gössel/Zipf, AT2, S. 50 f. 34
Β. Erläuterung
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derverbrechens steht daher die Annahme, daß solche Teilnahme strafwürdig sei, der nichtqualifizierte Beteiligte also Strafe verdiene. Bevor diese Annahme untersucht wird, ist kurz die Beschäftigung mit dieser Thematik zu rechtfertigen. Denn es ist der Einwand zu erwarten, daß die Extranenteilnahme am echten Sonderverbrechen in § 28 Abs. 1 heute ihre Regelung gefunden habe, durch die der Gesetzgeber seine Auffassung von der - wenn auch geminderten - Strafwürdigkeit der Extranenteilnahme zum Ausdruck gebracht habe. Dies trifft natürlich zu; jedoch ist eine gründliche Erörterung der früheren Lage deshalb nicht entbehrlich geworden. Denn auch die heutige Regelung ist zahlreichen Mißdeutungen ausgesetzt, die auf den hier zu erörternden Lehren zur früheren Rechtslage beruhen. Im wesentlichen unstreitig war vor der Reform des § 50 a. F. 36 die Behandlung der Extranenteilnahme am unechten Sonderverbrechen gemäß § 50 Abs. 2 a. F. Daraus ergab sich jedenfalls, daß ein Teilnehmer, bei dem die besonderen persönlichen Merkmale fehlten, weniger strafwürdig als ein intraner Beteiligter war. Wenn nun bei den echten Sonderverbrechen das Vorliegen eines besonderen persönlichen Merkmals überhaupt erst eine Strafbarkeit begründete, also erst die Handlung des Intranen dem Gesetzgeber strafwürdig erschien und ihn zur Aufstellung eines Tatbestandes veranlaßte, so hätte die bei den unechten Sonderverbrechen festgestellte Strafwürdigkeitsdifferenz zur Annahme der Straflosigkeit extraner Beteiligter führen müssen. Denn ihre Beteiligung war in jedem Fall weniger strafwürdig als diejenige der Intranen, die bei den echten Sonderdelikten überhaupt erst zur Strafbarkeit führte. 37 Dieser Sachverhalt kann auch so verdeutlicht werden: Während ein Extraner als „Alleintäter" eines echten Sonderverbrechen jedenfalls straflos wäre, würde er sich nach der täterschaftsrelativen Definition des Sonderverbrechens in der weniger schwerwiegenden Form der Teilnahme strafbar machen.38 Ζ. B. wäre ein Extraner, der die Patientenkartei eines Arztes ausspäht und anschließend ausplaudert, straffrei; als Anstifter des Arztes sollte er dagegen strafbar sein, obwohl der rechtsgutsverletzende Erfolg - sieht man ihn in der Verletzung der Privatsphäre - in beiden Fällen der gleiche ist. Mit der Strafbarkeit der Extranenteilnahme gleichfalls nicht in Einklang zu bringen war schließlich noch die Existenz der §§ 333, 334. Denn hier hatte der Gesetzgeber eine Extranenteilnahme offenbar für strafwürdig erachtet und sie deshalb in einem selbständigen Tatbestand niedergelegt. Das wäre nicht nötig gewesen, wenn der Bestecher ohnehin als Anstifter strafbar gewesen wäre. 39 36 Gemeint ist hier die Fassung vor dem EGOWiG vom 24.5.1968 (BGB1.I S. 503), nicht die Fassung, die § 50 durch dieses Gesetz vorübergehend erhielt und die dann in den §§ 28,29 aufging. 37 Langer, Das Sonderverbrechen, S. 206 f., Meyer, S. 269 f. 38 Schmidhäuser, ATI 14/98; AT2 14/84, insb. Anm. 25. 39 Langer, Das Sonderverbrechen, S. 211; anders RGSt 42,382.
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Teil 1 : Der Begriff des Sonderverbrechens
Bei teleologischer Betrachtung der früheren Rechtslage erweist sich daher die Auffassung von der Strafbarkeit extraner Teilnehmer am echten Sonderverbrechen als unzutreffend. Möglicherweise wurde die Strafbarkeit der Extranenteilnahme aber aufgrund einer anderen Überlegung bejaht. Man vergleicht nämlich nicht intrane und extrane Beteiligte, sondern „extrane" Beteiligte hinsichtlich ihrer Mitwirkung einmal an einem Sonderverbrechen, zum anderen an einem Gemeindelikt. So gelangen manche etwa zu dem Schluß, die Teilnahme eines Nichtbeamten am Delikt der Körperverletzung im Amt sei strafwürdiger als dieselbe Teilnahme an einer normalen Körperverletzung. 40 Die in § 28 Abs. 2 enthaltene Wertung wird daher für zu pauschal erachtet. Strafschärfend sei vielmehr zu berücksichtigen, daß der Teilnehmer in dem ersten Fall auch noch die Pflichtverletzung des Intranen verursacht habe. Danach erscheint der extrane Teilnehmer auch beim echten Sonderverbrechen aufgrund seiner Mitwirkung an fremder Pflichtverletzung strafwürdig. Der Mangel eines täterschaftlich begehbaren Gemeindelikts ist dann kein Argument mehr. Er wird gewissermaßen durch die Zurechnung der Sonderpflichtverletzung aufgewogen. Eine Kritik dieser Aussagen und Folgerungen muß sich mit dem Strafgrund der Teilnahme befassen. Besteht er in der Verursachung fremden Unrechts oder in der Begehung eigenen Teilnehmerunrechts? Die Antwort auf diese Frage muß nicht die gesamte Auseinandersetzung um dieses Problem wiederholen. Es genügt zur Bestimmung des Standorts hier der Hinweis auf die Bedeutung der Lehre vom personalen Umecht.41 Wenn das jedem Verbrechen, also auch dem Teilnehmerdelikt zugrunde liegende Umecht personaler Natur ist, so muß sich diese Qualität gerade bei der Behandlung der besonderen persönlichen Merkmale, soweit sie Merkmale von Sonderstraftaten und damit Sonderunrecht sind, behaupten.42 Eine Theorie, die den Strafgrund der Teilnahme nur in der Gestaltung oder Verursachung fremden Unrechts sieht,43 wird diesem personalen Charakter nicht gerecht. Vielmehr ist davon auszugehen, daß jeder Beteiligte nach dem von ihm verwirklichten personalen Umecht zu bestrafen ist (§ 28 Abs. I ) . 4 4 Die damit vorausgesetzte Möglichkeit einer solchen Unrechtsdifferenz beruht gerade auf der konsequenten „personalen" Auffassung des in den besonderen persönlichen Merkmalen beschriebenen Unrechts.45 40 RG JW 38, S. 1583 f.; Jansen DJ 44, S. 181 f.; Schönke-Schröder-Cramer, § 28 Rz. 30; Dreher/Tröndle, § 28 Rz. 13; Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 101; Cortes Rosa, S. 414; LKRoxin, § 28 Rz. 59,4. 41 Vgl. dazu die ausführliche Darstellung bei Meyer, S. 259 ff. 42 Langer, Das Sonderverbrechen, S. 465 f. 43 Vgl. statt vieler Stratenwerth, Rz. 858,941; Jescheck, S. 620 f.; Schönke-SchröderCramer, Vor § 25 Rz. 17. 44 Lackner, § 28 Rz. 1. 45 Langer, Das Sonderverbrechen, S. 214 Anm. 27.
Β. Erläuterung
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Aus all dem folgt, daß es eine Teilnahme am Sonderunrecht des Sonderverbrechens im strengen Sinne gar nicht gibt, 46 weil der Strafgrund eines solchen Teilnehmerdelikts nicht in der Verursachung fremder Pflichtverletzung liegen kann. Kern des Teilnehmerdelikts ist vielmehr auch hier nur das Gemeinunrecht, das in dem betreffenden Sonderdelikt mitenthalten ist. 47 Daß die Zurechnung des fremden Sonderunrechts problematisch ist, haben auch die Anhänger der Gegenauffassung erkannt und nicht zuletzt deshalb die Einführung des § 28 Abs. 1 gefordert. 48 Diese Forderung steht aber mit der Theorie der Unrechtsverursachung nicht in Einklang.49 Denn nach ihr dürfte das Fehlen oder Vorliegen des besonderen persönlichen Merkmals beim Teilnehmer auf das Teilnahmeunrecht keinen Einfluß haben; vielmehr müßte der Unrechtsgehalt der Haupttat allein maßgebend sein.50 Auch von einem Anhänger der Verursachungstheorie wird daher eingeräumt, daß ein Teilnehmer ein schwereres, vom Täter nicht verwirklichtes Unrecht begehen kann.51 Zusammenfassend läßt sich daher festhalten, daß die „Verursachung fremden Unrechts" für eine konsequent personale Unrechtslehre keinen die Strafwürdigkeit bzw. das Unrecht eines extranen Teilnehmers erhöhenden Umstand bildet; demgemäß hätte vor Einführung des § 28 Abs. 1 die Extranenteilnahme am echten Sonderverbrechen für straflos erachtet werden müssen. Dies hat sich zweifellos geändert. Gleichwohl ist es noch bedeutsam - und seit Einführung dieser Vorschrift für die Gegenmeinung umso leichter, die frühere Straflosigkeit einzuräumen. Denn dies würde ein Mißverständnis beseitigen, das nach wie vor von den täterschaftsrelativen Auffassungen ausgeht. Man hält § 28 Abs. 1 nämlich für eine bloße Strafmilderungsvorschrift, hält also an der Annahme der Strafbarkeit der Extranenteilnahme auch ohne diese Vorschrift fest. Deshalb wird etwa ein Fundamentalunterschied zwischen § 28 Abs. 1 und § 14 behauptet: Während das besondere persönliche Merkmal im einen Fall den Teilnehmer entlaste (also eine anderweitig begründete Strafbarkeit abmildere), belaste es bei § 14 den Täter, begründe also hier die Strafbarkeit. 52 Dieser Unterschied entfällt mit der Erkenntnis, daß auch § 28 Abs.l erst die Strafbarkeit des Extranen begründet.53 Ob aus dieser strafbarkeitsbegründenden Funktion 46 Langer, Das Sonderverbrechen, S. 479, spricht daher von Quasi-Teilnahme; vgl. auch Langer, Das Sonderverbrechen, S. 214. 47 Langer, Das Sonderverbrechen, S. 214 Anm. 29; Stratenwerth, Rz. 874. 48 Gallas, Beiträge, S. 160 f. 49 Stratenwerth, Rz.941, spricht demgemäß von einer Einschränkung des Grundsatzes der Unrechtsteilnahme. 50 Langer, FS-Lange, S. 248 Anm.41. 51 Schönke-Schröder-Cramer, § 28 Rz. 28. 52 Zur sog. „entlastenden" Funktion des § 28 Abs.l vgl. Gallas, ZStW 88 (1968), S. 22; LKRoxin, § 14 Rz. 16; kritisch Langer, FS-Lange, S. 254 ff. 53 Schmidhäuser, AT2 14/95; Langer, Das Sonderverbrechen, S. 484,489.
16
Teil 1 : Der Begriff des Sonderverbrechens
des § 28 Abs.l folgt, daß auch die Deliktsnatur der Extranenteilnahme geändert wird 54 , der Extrane also ζ. B. sich niemals wegen erfolglos versuchter Anstiftung zur Rechtsbeugung gemäß § 30 Abs. 1 strafbar machen kann, wird unten55 noch erörtert werden. Die verfehlte Auffassung von der strafwürdigkeitserhöhenden Bedeutung der Verursachung fremder Pflichtverletzng führt sodann auch zu einer Fehldeutung des Verhältnisses von § 28 Abs. 1 und Abs. 2. Weil § 28 Abs.l die Deliktsnatur nicht verändert, soll darin eine teilweise Zurechnung des besonderen persönlichen Merkmals zum Teilnehmerunrecht zum Ausdruck kommen.56 Dies soll deshalb als Regelfall, § 28 Abs. 2 dagegen nur noch als Ausnahme gelten. Schließlich soll eine Harmonisierung der unterschiedlichen Zurechnungsprinzipien dadurch erreicht werden, daß auch bei den unechten Sonderdelikten der extrane Teilnehmer aus dem Tatbestand des Sonderverbrechens schuldig gesprochen und nur noch der Strafrahmen dem Gemeindelikt entnommen wird. 57 Geht man dagegen davon aus, daß es eine Extranenteilnahme am Sonderdelikt wegen der personalen Qualität seines Unrechts im strengen Sinn gar nicht geben kann, so zeigt sich, daß § 28 Abs.2 diesen Grundsatz zum Ausdruck bringt. Auch § 28 Abs. 1 rechnet dann aber nicht etwa fremde Pflichtverletzung zu; die spezifisch geminderte Strafwürdigkeit der Extranenteilnahme beruht vielmehr darauf, daß der Extrane nur das auch im echten Sonderverbrechen vorhandene Gemeinunrecht als Teilnehmer verwirklicht. Gerade dafür wird er bestraft und nur soweit geht die „ Z u r e c h n u n g " kraft § 28 Abs. 1. Daß daneben weithin an der These festgehalten wird, die Strafwürdigkeit eines extranen Teilnehmers am unechten Sonderdelikt könne wegen der Verursachung fremder Pflichtverletzung erhöht sein, liegt in der Konsequenz jener Auffassung. Erstaunlich ist nur, daß niemals eine Begründung dieser Aussage im Hinblick auf personale Unrechtslehren versucht wurde.
f) Ergebnis Die Definition des Sonderdelikts als eines Verbrechens, bei dem Täter nur ein Intraner sein kann, während die Teilnahme auch Extranen möglich ist, widerspricht gewissen Erscheinungen im positiven Recht, insbesondere der Beobachtung, daß es Sonderverbrechen auch im Einheitstäterrecht und bei den Fahrläs54
Langer, Das Sonderverbrechen, S. 491. Vgl. Teil 2 Α.V. 56 Cortes Rosa, S. 417; Stratenwerth, Rz. 941; LK-Roxin, § 28 Rz. 4. 57 LK-Roxin, § 28 Rz. 4; Cortes Rosa, S. 424 ff.; für einen Teil der Amtsdelikte Wagner, Amtsverbrechen, S. 398. 55
Β. Erläuterung
17
sigkeitsdelikten gibt. Ihr ist ferner ein unbewußter Bedeutungswechsel bei der Verwendung des Täterbegriffs vorzuwerfen. Schließlich geht sie auch von unzutreffenden Strafwürdigkeitserwägungen aus, die nur unzureichend die personale Qualität auch des Teilnahmeunrechts berücksichtigen.
5. Die Vereinbarkeit
der Lehre vom Pflichtdelikt
mit dem StGB
Die Lehre von der täterschaftskonstituierenden Bedeutung einer außerstrafrechtlichen Sonderpflicht hat im Schrifttum Anhänger gefunden 58, sich jedoch in der Rechtsprechung nicht durchsetzen können.59 Sie ist - wie schon gesagt eine besondere Ausprägung der täterschaftsrelativen Definition des Sonderdelikts. Neben den gegen diesen Ansatz ohnehin bestehenden Einwänden, die im vorigen Abschnitt erörtert wurden, ist noch zu untersuchen, ob gegen die Pflichtdeliktslehre im besonderen Bedenken bestehen.
a) §§ 28 und 1 Abs. 4 WStG Zweifel an dieser Auffassung ergeben sich dabei bereits aus den Vorschriften der §§28 Abs. 1 und Abs. 2 sowie § 1 Abs. 4 WStG. So könnte man dem § 28 Abs. 1 entnehmen, daß das Gesetz von der Möglichkeit einer Intranenteilnahme ausgeht, bei der die Strafe dann nicht zu mildern wäre. 60 Genauso läßt sich § 28 Abs. 2 jedenfalls so lesen, daß es nach dieser Vorschrift zumindest die Möglichkeit geben soll, daß ein Teilnehmer ein strafschärfendes, besonderes persönliches Merkmal aufweist. 61 Schließlich spricht auch § 1 Abs. 4 WStG für die Möglichkeit einer Intranenteilnahme. Denn dort heißt es, daß auch Extrane wegen Anstiftung und Beihilfe strafbar sind. Die Lehre vom Pflichtdelikt würde eher formulieren, daß nur Extrane wegen Teilnahme strafbar seien. Gegen dieses die Möglichkeit einer Intranenteilnahme zulassende und deshalb der Pflichtdeliktslehre widerstreitende Gesetzesverständnis ist eingewandt worden, daß § 28 die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme nicht selbst enthalte, sondern voraussetze.62 Daran ist wohl richtig, daß die Abgrenzung von 58 Schönke-Schröder-Cramer, Vor § 25 Rz. 71; Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, S. 32f.; einschränkend Jakobs, S. 655. 59 BGHSt 26,53 ff. spricht von einer „selbständigen Grundlage" der Strafmilderungsgründe bei § 27 Abs. 2 einer-, § 28 Abs. 1 andererseits; BGH StrV 83,330 L. 60 Langer, Das Sonderverbrechen, S. 480; Langer, FS-Wolf, S. 339 Anm. 15. 61 Langer, Das Sonderverbrechen, S. 224. 62 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 651 Anm. 375.
2 Deichmann
18
Teil 1 : Der Begriff des Sonderverbrechens
Täterschaft und Teilnahme nicht allein, nicht einmal vorwiegend der Vorschrift des § 28 zu entnehmen ist. Andererseits legt die Formulierung des § 28 aber nahe, daß das Gesetz von der Möglichkeit der Intranenteilnahme ausgeht. Nur unter dieser Voraussetzung hat jedenfalls die Formulierung in § 28 Abs. 1 ihre sprachliche Berechtigung. Wäre es dagegen von vornherein unmöglich, daß besondere persönliche Merkmale gerade beim Teilnehmer vorliegen, weil er dann Täter wäre, müßte sinnvollerweise formuliert werden, daß die Strafe des Teilnehmers zu mildern ist, wenn beim Täter strafbegründende, besondere persönliche Merkmale vorliegen. § 28 setzt also die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme zwar voraus, setzt aber zugleich voraus, daß sie in einer Weise zu treffen ist, die die Möglichkeit der Intranenteilnahme, also des Vorliegens von strafschärfenden und strafbegründenden besonderen persönlichen Merkmalen beim Teilnehmer, offen läßt. Einer weiteren möglichen Wortlautkombination des § 28 Abs. 2 läßt die Pflichtdeliktslehre gleichfalls keinen Raum. Denn nach ihr gibt es nicht nur keine Teilnehmer, bei denen ein strafschärfendes, besonderes persönliches Merkmal vorliegt; es gibt auch keine Täter, bei denen es fehlt. Diese Beobachtung, die sogleich zu erläutern sein wird, führt zu der Frage, ob die Pflichtdeliktslehre nicht die Teilnahmestrukturen unzulässig verwischt. 63 In der Ausprägung, die diese Lehre zuletzt erfahren hat, soll ein extraner Teilnehmer am unechten Sonderdelikt aus dem Sonderdelikt schuldig gesprochen, dagegen aus dem Gemeindelikt bestraft werden.64 Diese Auffassung hat zwar Kritik erfahren 65 , wobei jedoch ein unmittelbar mit den Grundlagen der Pflichtdeliktslehre zusammenhängender Gesichtspunkt unerörtert blieb. Zur Begründung jener Auffassung werden stets nur Beispiele gewählt, bei denen der Extrane nicht nur Teilnehmer des Sonderverbrechens ist, sondern auch nur Teilnehmer des zugrunde liegenden Gemeindelikts wäre. Wo einmal Extranentäterschaft bejaht wird, wird dies nicht weiter problematisiert. 66 Der Schuldspruch aus dem Sonderverbrechen wird dann mit der vermeintlich höheren Strafwürdigkeit eines extranen Teilnehmers am Sonderdelikt gegenüber einem Teilnehmer am Gemeindelikt gerechtfertigt. 67 Wie aber löst diese Auffassung einen Fall, bei dem der Extrane als Täter des Gemeindelikts erscheint?
63
Vgl. dazu Langer, Das Sonderverbrechen, S. 219 f., 467. Cortes Rosa, S. 433; LK-Roxin, § 28 Rz.4. 65 Lackner, § 28 Rz. 1; Schönke-Schröder-Cramer, § 28 Rz. 28; vgl. auch den von Cortes Rosa, S. 440, mitgeteilten Einwand Rudolphis. 66 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S.362; § 348 Abs. 2 a.F. beweist nach seiner Abschaffung ohnehin nichts mehr; aber schon damals hätte man vom Boden der Pflichtdeliktslehre für den Extranen eher Beihilfe zu § 274 bzw. zu § 267 annehmen müssen. 67 LK-Roxin, § 28 Rz. 4; Cortes Rosa, S. 435. 64
Β. Erläuterung
19
Ein Lehrer und ein Außenstehender verprügeln gemeinsam einen Schüler; nach einem vorher verabredeten Plan ermöglicht der Gefängnisaufseher einem Gefangenen den Hofgang und lenkt andere Aufseher ab, während ein Freund des Gefangenen bei der Überwindung der Mauer behilflich ist. Die Fallkonstellation ist dadurch gekennzeichnet, daß bei unechten Sonderverbrechen Herrschafts- und Pflichtdelikt gleichrangig nebeneinander stehen können und der täterschaftsbegründende Vorrang des Pflichtdelikts dann nicht plausibel gemacht werden kann. Soll etwa der Außenstehende in beiden Fällen als Gehilfe des Sonderverbrechens, gemäß §§ 340, 27 bzw. 120 Abs. 2, 27 schuldig gesprochen und auch nur aus dem gemäß § 27 Abs. 2 gemilderten Strafrahmen der §§ 223 Abs. 1 bzw. 120 Abs. 1 i.V. mit § 49 bestraft werden? Es zeigt sich, daß man dann den nach „Herrschaftskriterien" als Täterschaft zu wertenden Tatbeitrag der Extranen nicht richtig erfaßt. Denn gäbe es die Tatbestände der §§ 340 bzw. 120 Abs. 2 nicht, könnte an der Strafbarkeit der Extranen als Mittäter gemäß §§ 223 bzw. 120 Abs. 1 kein Zweifel bestehen. Die Pflichtdeliktslehre führt hier also zu einer nicht gerechtfertigten Besserstellung des Extranen, wenn der Vorrang des Pflichtgedankens hier überhaupt gelten soll. Nach welchen Kriterien sollte man hier aber eine Ausnahme begründen, die den Rahmen der Pflichtdeliktslehre wahrt und dennoch die teleologisch richtige Lösung gewährleistet? Welcher Umstand soll einmal den Schuldspruch als Täter aus §§ 223, 120 Abs.l, ein andermal den als Gehilfe aus §§ 340, 120 Abs. 2,27 rechtfertigen? Offenbar könnte dies ja nur ein Umstand aus dem Bereich der Tatherrschaft sein. Wenn aber die Art des Tatbeitrages hier eine Rolle spielen soll, dann stimmt die Behauptung über die zentrale und aussschließliche Bedeutung des Pflichtgedankens nicht mehr. Es gäbe dann keinen Grund, nicht auch beim Zusammenwirken von Intranen untereinander auf das unterschiedliche Gewicht von Tatbeiträgen zu achten. Im Ergebnis würde also die Anerkennung jener Ausnahme zu der traditionellen Auffassung 68 führen, daß die „Täterschaftsmerkmale" kumulativ vorliegen müssen. Der andere Weg, nämlich auch an der Nahtstelle von Pflicht- und Herrschaftsdelikten dem Pflichtgedanken den Vorrang einzuräumen, hat in den beschriebenen Fällen eine nicht sachgerechte Besserstellung des extranen Täters zur Folge. Diese kann nicht einmal, wie es der BGH für echte Sonderverbrechen vorgeschlagen hat, durch eine Versagung der Beihilfemilderung vermieden werden.69 Denn einerseits lehnt gerade Roxin diese Entscheidung ab 70 ; zum anderen liegt dieser Entscheidung die Berücksichtigung unterschiedlich schwerwiegender Tatbeiträge und nicht nur der Pflichtgedanke zugrunde. 68 69 70
2
Vgl oben Teil 1 B.I.3. BGHSt 26, 53 ff. LK-Roxin, § 28 Rz. 60.
Teil 1 : Der Begriff des Sonderverbrechens
20
Schließlich könnten die Anhänger der Pflichtdeliktslehre noch erwägen, zwar wegen Beihilfe zum Sonderdelikt schuldig zu sprechen, aber aus dem Täterstrafrahmen des Gemeindelikts zu strafen. Aber auch diese Lösung würde das Eingeständnis bedeuten, daß das Gewicht der Tatbeiträge neben dem Pflichtgedanken eine eigenständige Rolle spielt, und daher mit der Pflichtdeliktslehre nicht vereinbar sein. Eine Deutung des § 28 Abs. 2, die für die Täterschaft eines Extranen bezüglich des Grunddelikts keinen Raum läßt, verwickelt sich daher in Wertungswidersprüche, die innerhalb dieser Lehre nicht auflösbar sind. Sie beruhen nicht nur auf der Lehre vom Schuldspruch aus dem Sonderdelikt, sondern letztlich auf der der Pflichtdeliktslehre selbst zugrunde liegenden Auffassung von der erhöhten Strafwürdigkeit eines extranen Teilnehmers am Sonderdelikt gegenüber der Teilnahme am Gemeindelikt.71 Eine widerspruchsfreie Deutung muß daher davon ausgehen, daß § 28 Abs. 2 die Täterschaft Extraner bezüglich des Gemeindelikts, das einem unechten Sonderverbrechen korrespondiert, ermöglicht. Dann ist aber, wie gezeigt, auch bei den Intranen nach dem Gewicht ihrer Tatbeiträge zwischen Täterschaft und Teilnahme zu unterscheiden, und zwar im Bereich sämtlicher, nicht nur der unechten Sonderdelikte.
b) Der extensive Täterbegriff Die Pflichtdeliktslehre ist aber auch deshalb abzulehnen, weil sie in ihrem Be79
reich den extensiven Täterbegriff zugrundelegt. Dabei ist allerdings zu bemerken, daß die Teilnahmevorschriften insoweit noch Strafausdehnungsgründe bleiben, als sie die Extranenstrafbarkeit begründen. Für die Intranen aber verlieren nicht nur die Teilnahmebestimmungen jede Bedeutung; auch mittelbare und Mittäterschaft haben keine strafausdehnende Funktion mehr. Mittäterschaft soll zwar noch möglich sein als Erfolgsbewirkung unter gemeinsamer Verletzung einer gemeinsamen Pflicht. 73 Wenn unter gemeinsamer Verletzung aber mehr verstanden werden soll als nur Erfolgsverursachung durch jeden Beteiligten, aber im Einverständnis mit den anderen, so kann diese Gemeinsamkeit wieder nur mit Tatherrschaftskriterien beschrieben werden, die hier doch gerade ausgeschlossen sein sollen. Denn das Einverständnis allein kann ohnehin nicht täterschaftsbegründend sein; jede Erfolgsverursachung aber genügt bereits dem (Allein)-Täterbegriff der Pflichtdelikte, ohne daß noch auf die Mittäterschaft zurückgegriffen werden müßte. 71 72 73
Vgl. dazu Teil 1 B.I.4.e). Langer, Das Sonderverbrechen, S. 226 Anm. 60. LK-Roxin, § 25 Rz. 111; Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 357 f.
Β. Erläuterung
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Aus demselben Grund kann es auf die äußere Art des Handlungsvollzuges auch dort nicht ankommen, wo noch ein Extraner an der Erfolgsverursachung mitwirkt, also im Bereich der mittelbaren Täterschaft. 74 So ergibt sich überraschend, daß die Pflichtdeliktslehre die Probleme aus dem Bereich der mittelbaren Täterschaft, deren Lösung sie dienen wollte, durch Aufgabe dieser Figur überhaupt beseitigt. Roxin selbst hat die Nähe seiner Lehre zum extensiven Täterbegriff nicht verkannt, aber gemeint, sie beruhe auf Äußerlichkeiten. Das Entscheidende, der Pflichtgedanke, charakterisiere den Täterbegriff der Pflichtdelikte als personalen Täterbegriff. Die Rechtsgutsverletzung werde hier von der Pflichtverletzung dominiert. 75 Diese Dominanz, die die Abkehr von der Bindung an die tatbestandliche Schilderung des Verletzungsverhaltens rechtfertigen soll, ist aber keineswegs bei allen Pflichtdelikten so ausgeprägt, wie Roxin glauben machen möchte. Tatsächlich gibt es zwar eine Reihe von Tatbeständen, die auf diese Dominanz hinweisen könnten, ζ. B. die Untreue, § 266, und - früher - § 81a GmbHG, ferner die Delikte der §§ 170b, 170d und des § 315a Abs. 1 Nr. 2. Hier geht es allerdings um bloße Verursachung oder Nichthinderung von Erfolgen durch einen Intranen ohne nähere Bezeichnung der Eigenart dieses Verhaltens. Aber das rechtfertigt es nicht, diese Dominanz für alle Pflichtdelikte zu postulieren. Vielmehr gilt auch hier der Grundsatz, daß die Weite des Täterbegriffs von der tatbestandlichen Schilderung des Verletzungsverhaltens abhängt und deshalb einmal extensiv, einmal restriktiv sein kann.76 Dies erweist sich besonders an Delikten, in denen sich Pflichtdelikt und Herrschaftsdelikt begegnen. Ζ. B. sind die Sexualstraftaten gegen Abhängige und Schutzbefohlene sowohl Pflichtdelikte denn es ist eine gerade den Eltern und Erziehern obliegende Pflicht, die ungestörte sexuelle Entwicklung bzw. Selbstbestimmung zu achten - als auch in Abgrenzung zu den eigenhändigen Delikten Herrschaftsdelikte, weil der Täter die Vornahme sexueller Handlungen an einem Schutzbefohlenen mitbeherrschen kann, auch wenn er sie nicht selbst vornimmt. 77 Wenn sich beide Elemente hier aber begegnen, weshalb soll es dann gerechtfertigt sein, von dem einen Element völlig abzusehen? Demgemäß ist eine Unterschlagung durch das Reichsgericht unter Berücksichtigung der Tathandlungen so beurteilt worden, daß ein Beteiligter, obgleich ihm eine Sache anvertraut war, nur als Anstifter bestraft wurde. 78 74 So ausdrücklich Stratenwerth, Rz. 797, 795, im Hinblick auf das Beispiel in Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 356. 75 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 379 f. 76 Stratenwerth, Rz. 795,797; Maurach/Gössel/Zipf, AT2, S. 255,248; Langer, Das Sonderverbrechen, S. 226. 77 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 418 (Herrschaftsdelikt); S.385; LK-Roxin, § 28 Rz. 39 (Pflichtdelikt). 78 RGSt 68,90 f.
Teil 1 : Der Begriff des Sonderverbrechens
22
Berücksichtigt man diese sich aus dem Tatbestand ergebenden Beschränkungen aber nicht, bedeutet dies einen Rückgriff auf den extensiven Täterbegriff.
c) Die Ableitung aus ähnlichen Tatbeständen Fragwürdig ist auch die Methode, die zur Ableitung der täterschaftskonstituierenden Bedeutung der Sonderpflicht benutzt wird. Einige Sonderverbrechen, die auch solche Handlungen als Täterschaft erfassen, die nach allgemeinen Regeln Beihilfe, Anstiftung oder Unterlassungstat wären, werden nämlich als spezialgesetzlicher Ausdruck jenes dem Gesetz angeblich ohnehin zugrundeliegenden Gedankens angesehen.79 Zu ihnen gehören die Delikte der §§ 357, 354 Abs. 2 Nr. 3, 340 und 347 a. F. Der gute Sinn solcher Tatbestände kann aber auch darin liegen, daß der Gesetzgeber hier die Tatbegehung durch einen Intranen für so strafwürdig hielt, daß ihm die Milderungen, die sonst für Unterlassen und Teilnahme gewährt werden, nicht sachgerecht erschienen. Dies beweist aber noch nichts für andere Sonderdelikte, sondern unterstreicht im Gegenteil den Grundsatz, daß der Täterbegriff von dem jeweiligen Tatbestand abhängt. Es ist deshalb auch nicht para8Π
dox, daß hier Täterschaft ist, was sonst Teilnahme wäre. Ein Zusammentreffen unterschiedlicher Beteiligungsformen bei der gleichen Handlung wird auch au81
ßerhalb der Pflichtdelikte nicht als ungewöhnlich angesehen.
Ferner gibt es 89
auch im Bereich der Gemeindelikte Tatbestände, die diese Struktur aufweisen, ζ. B. die Delikte der §§ 92 Abs. 2 AuslG, 84 AsylVfG, 120 Abs. 1. d) Die Ausdehnung der Versuchsstrafbarkeit Der Pflichtdeliktslehre ist ferner entgegengehalten worden, sie dehne den Bereich strafbarer, versuchter Anstiftung bei den Pflichtdelikten über § 30 Abs. 1 hinaus aus. Wenn nämlich die Pflichtenstellung die Täterschaft begründe, so enthalte die von einem Intranen verübte „Anstiftung" stets dessen Pflichtverletzung und sei daher, selbst wenn der intendierte Tatentschluß nicht hervorgerufen werde, ein täterschaftlicher Versuch und daher bei entsprechender gesetzlicher 79
Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 358 f. So aber Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 359. 81 Vgl. ζ. B. BGHSt 33,53: Der Mittäter des Diebstahls kann Gehilfe oder Anstifter des Bandendiebstahls sein; die bei Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 359 Anm. 7, genannte Entscheidung beruht also gerade nicht auf dem Zusammentreffen verschiedener Täterbegriffe. 82 Langer, Das Sonderverbrechen, S. 225. 80
Β. Erläuterung
23
Anordnung der Versuchsstrafbarkeit strafbar. 83 Diese Konsequenz zieht jetzt Ja84
kobs ausdrücklich, ohne darin ein Problem zu sehen. Dieser Einwand wurde abgetan, weil auch bei Pflichtdelikten nur das unmittelbare Ansetzen zur tatbestandlichen Rechtsgüterverletzung den (sc. täterschaftlichen) Versuch begründe.85 Entkräftet diese Entgegnung aber den oben mitgeteilten Einwand? Ihr zufolge muß nur der Zeitpunkt des unmittelbaren Ansetzens zutreffend bestimmt werden, um die genannte Ausdehnung zu verhindern. Stellt man sich nun zwei Vollstreckungsbeamte A und Β vor, von denen A den Β zur rechtswidrigen Vollstreckung einer Freiheitsstrafe bewegen möchte, ohne selbst die erforderlichen Maßnahmen einzuleiten, und Β dieses Ansinnen ausführt, dann sind nach der Pflichtdeliktslehre A und Β Täter des § 345 Abs. 1. Weist aber Β dieses Ansinnen sofort zurück, bleibt es also dem äußeren Hergang nach bei einer versuchten Anstiftung, dann müßte die Pflichtdeliktslehre doch wohl versuchte täterschaftliche Begehung bejahen; denn A hätte alles getan, was er zur Tatbestandsverwirklichung beitragen wollte und für erforderlich hielt, nämlich seine Einwirkung auf B. 8 6 Wenn man aber hier - in Übereinstimmung mit den sonst bei versuchter Anstiftung und mittelbarer Täterschaft vertretenen Grundsätzen täterschaftlichen Versuch des A annehmen will, dann können die Dinge nicht anders liegen, wenn A den Β zur rechtswidrigen Vollstreckung einer Geldbuße oder -strafe bewegen will, §§ 345 Abs. 3, 22. Dieser Fall wäre aber von § 30 Abs. 1 - anders als der oben geschilderte - nicht erfaßt. Die unterschiedliche technische Deliktsnatur kann jedoch nicht unterschiedliche Zeitpunkte des Versuchsbeginns rechtfertigen. Die Versuchsstrafbarkeit wird also über § 30 Abs. 1 hinaus ausgedehnt. Beispielsfälle dieser Art könnten auch den §§ 246, 201, 174 ff., 352, 348, 353b entnommen werden.
e) Zusammenfassung Abschließend ist daher festzustellen, daß die Pflichtdeliktslehre nicht nur wegen ihrer Definition des Sonderverbrechens als Tatbestandsgruppierung nicht überzeugen kann; sie ist auch mit den im Strafgesetz vorausgesetzten Unterscheidungen von Täterschaft und Teilnahme, der strafausdehnenden Funktion der Mittäterschaft und mittelbaren Täterschaft und den Regeln über die Versuchsstrafbarkeit nicht vereinbar. 83 84 85 86
Langer, Das Sonderverbrechen, S. 224. Jakobs, S. 656. Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 651 Anm. 265. Jakobs, S. 656.
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Teil 1 : Der Begriff des Sonderverbrechens
6. Nähere Kennzeichnung des Differenzierungsprinzips und Abgrenzung gegenüber einem „ Vorbegriff " Nachdem vorstehend gezeigt wurde, daß eine Definition des Sonderverbrechens als Tatbestandsgruppierung teleologisch nicht sinnvoll ist und die besondere Ausprägung dieses Standpunkts in der Lehre vom Pflichtdelikt auch mit dem Strafgesetz nicht in Einklang steht, geht es nunmehr darum, das inhaltliche und allgemeine Prinzip aufzuweisen, das die Differenzierung zwischen Sonderund Gemeinverbrechen ermöglicht. Zuvor bedarf das gesuchte Prinzip jedoch nochmals näherer Kennzeichnung. Aus dem Erfordernis der Unmittelbarkeit ergibt sich, daß es sich um eine Diffe87
renzierung im Unrecht handeln muß. Daß zwischen Sonder- und Gemeindelikt gerade ein Unrechtsunterschied besteht, dürfte allgemeiner Überzeugung entsprechen. Denn ungeachtet aller Streitigkeiten um die Auslegung des § 28 nimmt man überwiegend an, daß zu den besonderen persönlichen Merkmalen, soweit es sich um Unrechtsmerkmale handelt, gerade die Merkmale der Sonderst delikte zu rechnen sind. Damit scheiden aus dem Begriff der Sonderdelikte alle Delikte aus, die zwar nur von einem eingeschränkten Subjektskreis begangen werden können, bei denen diese Einschränkung aber auf Schuld- oder Strafwürdigkeitserwägungen beruht, wie ζ. B. bei den §§ 217, 180a, 181a Abs. 2. Sodann soll der Begriff der Sonderdelikte rechtsfolgenerheblich sein, d.h. er soll in seinen Voraussetzungen so bestimmt werden, daß er in Kombination mit 8Q
anderen Erscheinungsformen auf die Strafbarkeit Einfluß nehmen kann. Dieses Erfordernis ist an sich selbstverständlich, weil eine rechtswissenschaftliche Unterscheidung, von der nichts abhängt, nicht getroffen werden muß. Dieser Gesichtspunkt wird aber häufig mißachtet, wenn etwa im Schrifttum als Sonderdelikte die Delikte bezeichnet werden, bei denen nur ein eingeschränkter Personenkreis Täter sein kann.90 Daß ein Delikt ein Sonderdelikt ist, hat demgemäß oft keine weitere Bedeutung, so daß dann nach weiteren, nicht näher erläuterten Kriterien zwischen eigentlichen und uneigentlichen Sonderverbrechen unterschieden91 bzw. über die Anwendung der §§ 14, 28 völlig unabhängig von der Sonderdeliktsqualität entschieden wird. 92 87
Langer, Das Sonderverbrechen, S. 371 f. Vgl. ζ. B. Schönke-Schröder-Cramer, § 28 Rz. 17,18; Lackner, § 28 Rz. 5,9; Dreher/ Tröndle, § 28 Rz. 3,5. 89 Langer, Das Sonderverbrechen, S. 372. 90 Dreher/Tröndle, Vor § 13 Rz. 35; Lackner, Vor § 13 Rz. 33. 91 Schönke-Schröder-Cramer, Vor § 25 Rz. 72. 92 Lackner, § 142 Rz. 39; Schönke-Schröder-Lenckner, § 174 Rz. 20; Schönke-SchröderCramer, Vor § 324 Rz. 25-27. 88
Β. Erläuterung
25
Das Ziel des hier gesuchten Differenzierungsprinzips ist es gerade, diese letztgenannten Unterscheidungen in den Sonderdeliktsbegriff aufzunehmen und ihm dadurch Relevanz zu verleihen.
II. Das materielle Sonderunrecht 7. Veranschaulichung der Unrechtsdifferenz an einzelnen Sonderdelikten Ob den Sonderdelikten ein arteigenes Unrecht zuzuordnen ist, das sich in prinzipieller Weise vom Gemeinunrecht unterscheidet, müßte sich durch die Analyse einzelner Sonderstraftaten ermitteln lassen. Ein solches induktives Vorgehen kann zwar die Unrechtsdifferenz nicht abschließend erweisen, aber jedenfalls der vorläufigen Veranschaulichung dienen. Dabei sind die sog. unechten Sonderverbrechen von besonderem Interesse, weil sie einen direkten Vergleich mit den ihnen korrespondierenden Gemeindeliktstatbeständen ermöglichen. Aber auch die Straftaten, die durch ihre tatbestandliche Schilderung unschwer das Merkmal erkennen lassen, in dem eine Subjektsqualifikation vertatbestandlicht ist, sind geeignet.93 Denn auch bei ihnen ist ein Vergleich mit dem Gemeinunrecht möglich, das lediglich nicht vertatbestandlicht und daher kein strafbares Unrecht ist. Zur ersten Gruppe gehören die Veruntreuung gemäß § 246 Abs. 1 Var. 2, die Aszendentenkörperverletzung und die Körperverletzung im Amt, der Verwahrungsbruch und die Gefangenenbefreiung durch Amtsträger. Zur zweiten Gruppe rechnen, ungeachtet aller im einzelnen bestehenden Kontroversen, die Untreue gemäß § 266, die Verletzung von Privatgeheimnissen und des Post- und Fernmeldegeheimnisses und verschiedene Sexualstraftaten, §§ 174, 174a, 174b, 180 Abs. 3. Diese Tatbestände sind dadurch gekennzeichnet, daß den jeweiligen Sondersubjekten ein Verletzungsobjekt anvertraut ist. Teilweise wird diese Beziehung des Subjekts zum Objekt durch das Wort „anvertraut" ausgedrückt, teilweise ergibt es sich unschwer aus der Tatbestandsformulierung. So bedeutet etwa die Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, in § 266 nichts anderes, als daß das fremde Vermögen hier dem Täter anvertraut ist. Dies ergibt sich für die Körperverletzung im Amt zwar nicht so eindeutig aus dem Tatbestand. Vergleicht man diese Vorschrift aber ζ. B. mit den Tatbeständen der §§ 174a,b, so zeigt sich eine deutliche Ähnlichkeit. Hier wie dort geht es um die Verletzung eines persönlichen Rechtsguts, das dem Amtsträger in amtlicher Eigenschaft zu93
Ähnlich Langer, Das Sonderverbrechen, S. 446-448; Langer, FS-Wolf, S. 349 f.
26
Teil 1 : Der Begriff des Sonderverbrechens
gänglich geworden und damit anvertraut ist. Auch die §§ 350, 351 a.F., die wie § 340 nur von einem Beamten sprachen, sind seither in Tatbeständen aufgegangen, die ausdrücklich das „Anvertrautsein" nennen, nämlich §§ 133 Abs. 3, 246 Abs. 1 Var. 2. Demgemäß verlangte schon das Reichsgericht für den Beamten des § 350, daß die Gegenstände der Unterschlagung seiner Obhut anvertraut sein mußten.94 Somit kann vorläufig festgehalten werden, daß das Sonderdelikt sich vom Gemeindelikt darin unterscheidet, daß zwischen Sondersubjekt und verletztem Rechtsgutsobjekt eine besondere Beziehung, das Anvertrautsein, besteht. Sekundär scheint dagegen die Eigenschaft des Sondersubjektes, ζ. B. als Beamter, zu sein. Sie wird vielmehr immer erst in konkreten Beziehungen zum Objekt wichtig. Das Fehlen oder die Bedeutungslosigkeit einer solchen Beziehung kennzeichnet dagegen das Gemeinunrecht.
2. Der Bezug zum Unrechtsbegriff Soll die gesuchte Unrechtsdifferenz darin bestehen, daß dem Sondersubjekt das betreffende Rechtsgut anvertraut ist, dann muß diese Differenzierung aus dem allgemeinen Begriff des Unrechts ableitbar, in ihm angelegt sein. Um diesen Bezug herzustellen, müssen die einzelnen Elemente des strafrechtlichen Unrechts aufgesucht werden. Zu ihnen gehören das Rechtsgut und seine Verletzung sowie die Übertretung einer Rechtsnorm. Diese Elemente werden im Unrechtstatbestand geschildert.95 Bei welchem dieser Elemente könnte die gesuchte Differenzierung ansetzen?
a) Rechtsgut Möglicherweise bildet das Anvertrautsein eines Rechtsguts selbst ein Rechtsgut, das durch die Sondersubjekte verletzt wird. Die Sonderdelikte wären dann ähnlich wie Raub oder Erpresssung Delikte eigener Art, die zwei Rechtsgüter schützen. Diese Annahme ist vor allem für die „Reinheit der Amtsführung" als dem allen Amtsdelikten gemeinsamen Rechtsgut, zu dem jeweils noch weitere Rechtsgüter kommen (Willensfreiheit, § 343; körperliche Unversehrtheit, § 340), vertreten worden. 96 94
RGSt 68,90 f. Eingehend zu Unrecht und Unrechtstatbestand Langer, Das Sonderverbrechen, S. 280 ff., 349 ff. 96 Vgl. dazu die Nachweise bei Langer, Das Sonderverbrechen, S. 191 ff. 95
Β. Erläuterung
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Daß die Annahme eines selbständigen, weiteren Schutzgutes aber nicht richtig sein kann, zeigt folgende Überlegung: Zieht man von der Erpresssung oder dem Raub die Beeinträchtigung der Willensfreiheit ab, so bleibt gleichwohl ein selbständiger Unwert, der in der Verletzung der Rechtsgüter Vermögen bzw. Eigentum besteht, und umgekehrt. Dies zeigt die Unabhängigkeit dieser Rechtsgüter voneinander. Bei der veruntreuenden Unterschlagung oder der Untreue hingegen verbleibt kein selbständiger Unwert, wenn man von dem Unwert der Eigentums- oder Vermögensverletzung abstrahiert. 97 Ohne den Angriff auf das Eigentum ist auch keine Verletzung des „Vertrauensverhältnisses" denkbar. Es zeigt sich somit, daß das Anvertrautsein eines Rechtsguts nicht selbst ein Rechtsgut und auch nicht ein sonstiger, selbständiger Wert 98 ist, sondern nur eine bestimmtgeartete Beziehung des Täters zum Rechtsgut.
b) Verletzungsart Denkbar wäre auch, den Bezug zum Unrecht im Merkmal der Verletzung zu suchen. Die Verletzungsart kann sich bei einzelnen Delikten nach dem beim Täter vorausgesetzten Verhalten, dem jeweiligen Erfolg dieses Verhaltens und nach besonderen Eigenarten des Täters selbst unterscheiden.99 Offensichtlich ist der maßgebliche Unterschied hier nicht bei den unterschiedlichen Erfolgen eines Verhaltens zu finden. Fraglich kann aber sein, ob das Verletzungsverhalten - etwa eines Amtsträgers bei einem Verwahrungsbruch - sich von dem eines extranen Täters eines Verwahrungsbruchs unterscheidet. Es ist zwar nicht zu verkennen, daß das jeweilige Sondersubjekt in einer besonderen Situation handelt, in der der Extrane nicht steht. Dies kennzeichnet aber nicht die Handlung als solche, die mit der Handlung des Extranen völlig identisch sein kann. Obwohl hier zwei das gleiche tun, ist es nicht dasselbe. Abgesehen von den Eigenarten der Verletzungshandlung sind jedoch Fälle denkbar, in denen eine Subjektskreiseinschränkung gerade die deliktsspezifische Verletzungsart näher kennzeichnet. Diese Straftaten werden als subjektiv-eingeschränkte Gemeinverbrechen bezeichnet.100 Sie weisen kein Unrecht auf, das sich prinzipiell vom Gemeinunrecht unterscheidet, sondern lediglich eine Be97
Langer, Das Sonderverbrechen, S. 393, 247-249; Langer, FS-Wolf, S. 352. Anders Heidland, S. 41, wo von den sozial-ethischen Grundwerten „Vertrauen" und „Verantwortung" gesprochen wird. Sie können aber nicht selbständig verletzt werden. 99 Langer, Das Sonderverbrechen, S. 293 f. (Verhalten); S. 298 f. (Erfolg); S. 391 f., 439, 466; Langer, FS-Wolf, S. 347; Langer, FS-Lange, S. 262 f., 256 Anm. 92 (subjektive Einschränkung). 100 Vgl. dazu die in der vorhergehenden Anmerkung genannten Nachweise. 98
Teil 1 : Der Begriff des Sonderverbrechens
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Sonderheit in der Art der tatbestandlichen Schilderung des Verletzungsverhaltens, darin ähnlich den sog. eigenhändigen Delikten. Zu ihnen gehört etwa die Vorschrift des § 175. Soweit daher eine Subjektskreiseinschränkung lediglich die tatbestandliche Rechtsgutsverletzung näher kennzeichnet, bietet sie keinen geeigneten Ansatzpunkt für die gesuchte Differenzierung.
c) Sonderpflicht Dieser könnte jedoch in der den Intranen bindenden Sonderpflicht, in seiner besonderen Pflichtenstellung gefunden werden. In dieser Extrane und Intrane unterscheidenden Bindung wird vielfach das Spezifikum der Sonderdelikte gesehen. Dabei sind im wesentlichen zwei verschiedene Ansätze zu unterscheiden.
aa) Außerstrafrechtliche Sonderpflicht Die Pflichtdeliktslehre kennzeichnet die Sonderdelikte durch eine außerstrafrechtliche Sonderpflicht. 101 Es fragt sich daher, ob diese Pflicht im Begriff des strafrechtlichen Unrechts überhaupt einen Platz hat. 102 Denn ausdrücklich wird sie ja als außerstrafrechtlich bezeichnet, während die strafrechtliche Pflicht für Intrane und Extrane gleich sein soll. 103 Andererseits postuliert diese Auffassung eine durch die Sonderpflicht vermittelte besondere Beziehung des Täters zum Unrechtsgehalt der Tat bzw. zu dem jeweils geschützten Rechtsgut.104 Man kann daher annehmen, daß auch das strafrechtliche Umecht durch das Merkmal, das auf die außerstrafrechtliche Sonderpflicht verweist, in einer allerdings nicht näher bezeichneten Weise modifiziert wird. Unter dieser Voraussetzung ist zu prüfen, ob dieses Kriterium eine Abgrenzung von Sonder- und Gemeinunrecht ermöglicht. Dafür spricht, daß das Gesetz ausdrücklich auf bestimmte Rechtsverhältnisse verweist, ζ. B. auf das Soldaten- oder Beamtenverhältnis, gewisse Treuhandverhältnisse, Standespflichten usf. Nun verweist aber ζ. B. auch § 121 auf ein besonderes Gewaltverhältnis, dem besondere außerstrafrechtliche Pflichten des Gefangenen korrespondieren. Denn nur er ist verpflichtet, in der Anstalt zu bleiben und deren besondere Ordnung zu achten und unterscheidet sich damit augenfällig von der Gesamtheit der anderen Rechtsunterworfenen. Ferner ist nur 101 102 103 104
Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 354; LK-Roxin, § 25 Rz. 29. Zweifelnd Langer, Das Sonderverbrechen, S. 392 Anm. 13. Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 354. Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 354; LK-Roxin, § 28 Rz. 39.
Β. Erläuterung
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ein Ausländer verpflichtet, bei Einreise und Aufenthalt eine Erlaubnis einzuholen. Gleichwohl wird man weder § 121 noch § 92 AuslG als Pflichtdelikte ansehen können. Andererseits widerspricht die Beurteilung der Beleidigung als Pflichtdelikt 105 dem genannten Kriterium. Denn auch außerstrafrechtlich ist jedermann zur Respektierung fremder Ehre verpflichtet. Zuletzt mag noch das Beispiel der veruntreuenden Unterschlagung zeigen, wie wenig mit dem Bezug auf außerstrafrechtliche Pflichten gewonnen ist. Denn das Merkmal des Anvertrauens weist nicht ausdrücklich auf außerstrafrechtliche Pflichten hin. Die herkömmliche Definition, wonach es auf die Verpflichtung ankommt, mit der Sache nur in bestimmter Weise zu verfahren 106, weist zwar scheinbar auf ein Pflichtdelikt hin. Daß diese Verpflichtung aber mit zivilrechtlichen Beziehungen nichts zu tun hat, zeigt sich gerade, wenn der Anvertrauende besonders schutzwürdig ist. Erteilt etwa ein Geschäftsunfähiger einen Auftrag, in dessen Zusammenhang Sachen zu seiner Erledigung übergeben werden, oder läßt er etwas verwahren, so kann kein Zweifel an der Anvertrautheit der Sache bestehen107, selbst wenn der Täter um die Geschäftsunfähigkeit weiß. Außer einem Bereicherungs- oder Herausgabeanspruch bestehen hier aber keine Rechtsbeziehungen und diese können wohl nicht gemeint sein. 108 Für die Unabhängigkeit der Pflichtdelikte vom Bestehen der außerstrafrechtlichen Pflicht gibt es noch weitere Beispiele. Im Bereich des § 266 Abs. 1 Var. 2 etwa soll auch ein faktisches Treueverhältnis die Vermögensfürsorgepflicht (im strafrechtlichen Sinn!) begründen.109 Auch bei den Garantenunterlassungsdelikten ist anerkant, daß die Wirksamkeit von Verträgen mit dem Inhalt der Obhutsübernahme gleichgültig ist, wenn nur die Obhut tatsächlich übernommen wird. 110 Und auch die Gefahrengemeinschaften lassen sich nicht von außerstrafrechtlichen Pflichten her erklären. Letztlich zeigt auch ein Blick auf § 14 Abs. 3, daß das Gesetz die Gleichstellung mit einem Qualifizierten nicht von der Wirksamkeit außerstrafrechtlicher Rechtsbeziehungen abhängig machen will. Das Merkmal der außerstrafrechtlichen Sonderpflicht wird somit nicht nur von seinen Befürwortern nicht konsequent beachtet, sondern verwirrt selbst die unstreitige Zuordnung eines Delikts zum einen oder anderen Bereich. Denn die Anknüpfung an außerstrafrechtliche Rechtsverhältnisse ist zwar bei Sonder105
Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 388 f. Schönke-Schröder-Eser, § 246 Rz. 29. 107 So schon RG GA Bd. 48, S. 445; BGH NJW 54, S. 889. 108 Präziser daher Dreher/Tröndle, § 246 Rz. 27, wo von dem Vertrauen, nicht der Pflicht gesprochen wird. 109 Lackner, § 266 Rz. 10; Dreher/Tröndle, § 266 Rz. 9. 110 Schmidhäuser, AT3 12/26. 106
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Teil 1 : Der Begriff des Sonderverbrechens
delikten oft zu beobachten, aber eben doch nur ein formales, mehr zufälliges und jedenfalls nicht allgemeines und inhaltliches Kriterium.
bb) Verletzung sozialethischer Pflichten Ein zweiter Ansatz erscheint auf den ersten Blick gar nicht als Definition der Sonderdelikte, sondern befaßt sich mit einer Bestimmung der besonderen persönlichen Merkmale im Sinne des § 28. Da die Sonderdelikte aber im allgemeinen zu den in § 28 gemeinten Delikten gerechnet werden, ist diese Lehre auch für den hier gesuchten Unterschied von Bedeutung. Sie postuliert zunächst einen Gegensatz von Rechtsgutsverletzung und Pflichtverstoß und rechnet zu den besonderen persönlichen Merkmalen nur solche, die einen Pflichtenverstoß, die Verletzung eines besonderen sozial-ethischen Wertes zum Gegenstand haben, nicht aber die Merkmale, die lediglich rechtsgutsbezogen sind. 111 Soweit diese Aussagen einen spezifischen Unrechtsunterschied kennzeichnen sollen, begegnen sie Bedenken. Dies gilt zunächst einmal von der Annahme, der sozial-ethische Unwertgehalt sei ein selbständiges, von der Rechtsgutsverletzung unterschiedenes Element des Unrechts. 112 Begreift man das Rechtsgut nicht als ein gegenständlich existierendes Objekt, wie es eine ältere Auffassung tat, 113 sondern als ein - in realen Objekten konkretisierbares - ideell existierendes Gut der Rechtsgemeinschaft, dann leuchtet unmittelbar ein, daß diesem Gut ein Wert und zwar wegen seiner Bedeutung für die Gemeinschaft gerade ein sozial-ethischer Wert zukommt.114 Der Gesichtspunkt der Sozialschädlichkeit, der manchmal mit der Rechtsgutsverletzung identifiziert wird 1 1 5 , hat die Aufgabe, die Rechtsgutsverletzung auf den Bereich der elementaren Werte zu begrenzen. 1 1 6 Er erschöpft den Unwertgehalt der Rechtsguts Verletzung gerade nicht.
Sie ist vielmehr immer auch sozial-ethischer Unwert, nicht nur sozialschädliches Verhalten. Das Strafrecht hat daher auch primär eine ethische Ordnung zum Ziel, nicht nur eine in einem äußerlichen Sinne funktionierende Ordnung. Dies schließt natürlich die Annahme nicht aus, daß zusätzliche, zum Umecht - und nicht nur zur Schuld - hinzukommende sozial-ethische Unwertgehalte 111 Heidland, S. 34 ff., insb. S. 37 f.; Gallas, Beiträge, S. 158 f.; Lackner, § 142 Rz. 39; Lackner, § 28 Rz.4. 112 So z.B. Heidland, S. 37 f., 40 ff.; Gallas, Beiträge, S. 158 f. 113 Welzel, S. 62, 12 ff.; Gallas, Beiträge, S. 49 ff. 114 Schmidhäuser, AT3 5/25 ff.; Schmidhäuser FS-Engisch, S. 443 f.; Langer, Das Sonderverbrechen, S. 287 ff. 115 Heidland, S. 37 ff., 41. 116 Langer, Das Sonderverbrechen, S. 289, 286; Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 164 ff.
Β. Erläuterung
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ohne Rechtsgutsbezug existieren. Ob dies etwa für die Tierquälerei 117 gilt, mag hier dahingestellt bleiben. Gegen diese Annahme spricht jedenfalls die Tatsache, daß gerade in dem Bereich, in dem dieser sozial-ethische Unwertgehalt am ehesten Bedeutung haben müßte, bei den Beamten- und Militärstraftaten, kein Delikt nachweisbar ist, dessen Umecht nur in diesem Unwertgehalt begründet wäre. Vielmehr hat die besondere Pflichtenstellung stets ein bestimmtes Rechtsgut zum Gegenstand.118 Erst dessen Verletzung begründet das Umecht. Demgemäß gibt es im Strafrecht keine Tatbestände nach Art eines Dienstvergehens (§§ 23 SG, 45 BRRG). Ist demnach als Gegenstand der besonderen Pflichtenstellung kein selbständiger sozialethischer Wert anzuerkennen119, kann auch die Gegenüberstellung von Pflichtverletzung als Ausdruck personalen Unrechts und Rechtsgutsverletzung nicht aufrecht erhalten werden. Denn dann fehlt es überhaupt an einem besonderen Gegenstand dieser Pflicht. Es wird vielmehr deutlich, daß Pflicht- und Rechtsgutsverletzung letztlich den gleichen Gegenstand, das materielle Umecht, nur aus unterschiedlichen Blickwinkeln darstellen. 120 Die Pflichtbetrachtung erfolgt vom verletzenden Täter her, die Rechtsgutsbetrachtung ist die Sicht der in ihren Gütern verletzten Rechtsgemeinschaft. 121 Daß die Pflichtverletzung im Hinblick auf personales Umecht gleichwohl selbständige Bedeutung haben kann, wird unten noch erörtert. 122 Hier ist lediglich festzuhalten, daß die Verletzung einer besonderen Pflicht, d. h. einer solchen mit besonderem Gegenstand, nicht das Kennzeichen des Sonderunrechts sein kann.
d) Norm Unabhängig vom Pflichtgedanken könnte man den maßgeblichen Unterschied von Sonder- und Gemeinunrecht auch darin zu sehen versuchen, daß der Intrane nur einer an ihn adressierten Norm zuwiderhandelt, während beim Gemeindelikt eine jedermann bindende Norm besteht. Dieser Ansatz ist in der Vergangenheit erörtert und ausreichend widerlegt worden. Insbesondere die Annahme von die extranen Teilnehmer bindenden Sekundärnormen zeigt, daß schon die Anhänger 117
Gallas, Beiträge, S. 14 f. Das räumt auch Heidland, S. 42, ein. 119 Vgl. Teil 1 B.II.2.a). 120 Langer, Das Sonderverbrechen, S. 303 ff., 284 f.; ähnlich Schmidhäuser, FS-Engisch, S. 444, FS-OLG Celle, S. 236, AT2 2/36; vgl. auch LK-Jescheck, Vor § 13 Rz. 5,9 f., der Rechtsgutsverletzung und Pflichtverletzung unverbunden nebeneinander stellt, aber als Gegenstand der Pflicht die Achtung der Rechtsgüter nennt. 121 Langer, Das Sonderverbrechen, S. 284. 122 Vgl. Teil 1 Β.11.4. 118
Teil 1 : Der Begriff des Sonderverbrechens
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dieses Standpunkts ohne Hilfskonstruktionen nicht auskommen, die den ursprünglichen Ausgangspunkt weitgehend preisgeben. Der Rechtsgutsangriff ist daher selbst bei den echten Sonderverbrechen nicht nur den Intranen, sondern auch jedem Extranen verboten. Es läßt sich insoweit kein Unterschied begrün1
den. Im übrigen würde es sich bei einem Unterschied, der nur im formal Verbotenen besteht, gerade nicht um eine inhaltliche Differenzierung handeln.
e) Tatbestand Letztlich ist noch zu erwägen, ob das Formelement des Unrechts, der Unrechtstatbestand, die gesuchte Differenzierung erlaubt. Daß dies nicht möglich ist, liegt jedoch auf der Hand. Der Unrechtstatbestand beschreibt den Unrechtstypus, also die Bestandteile des Unrechts, die in ihrer Gesamtheit den sachlichen Unrechtsgehalt des Verbrechens begründen.124 Ein besonderer Tatbestand, etwa die Unterschlagung einer anvertrauten Sache, kann daher nur gerechtfertigt sein, 19S
wenn ihm ein besonderer materieller Unrechtsgehalt entspricht. Ohne diesen Bezug auf einen sachlichen Unterschied wäre die Strafdrohung des § 246 Abs. 1 Var. 2 und überhaupt die jedes Sonderdelikts willkürlich und deshalb verfassungswidrig. Als Ergebnis ist festzustellen, daß die bei einigen Sonderverbrechen vorgefundene Beziehung des Sondersubjekts zum Rechtsgut, das Anvertrautsein dieses Gutes, auf den Unrechtsbegriff bisher nicht zurückgeführt werden kann. Diese Differenzierung ist nach seinem bisher erörterten Inhalt in ihm nicht angelegt. Es stellt sich daher die Frage, ob diese Beziehung selbst unmittelbar unrechtsrelevant ist.
3. Die Unrechtsrelevanz
der sozialen Stellung des Täters
Im folgenden ist die These zu begründen, daß der materielle Gehalt des Unrechts nicht nur durch eine rechtsnormwidrige Rechtsgutsverletzung, sondern zusätzlich durch eine bestimmte Beziehung des Deliktssubjekts zum Rechtsgut gekennzeichnet ist, genauer, daß der Unwert der Rechtsgutsverletzung durch eine solche Beziehung abgewandelt wird. Während die ersten Elemente absolute 123
Vgl. die Nachweise bei Langer, Das Sonderverbrechen, S. 52 ff., 143 ff. und die Kritik bei Langer, Das Sonderverbrechen, S. 249 ff. und Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 354. 124 Gallas, Beiträge, S. 33. 125 Langer, Das Sonderverbrechen, S. 262 ff., 440 f.
Β. Erläuterung
33
Unrechtselemente genannt, soll das letztere als relatives Unrechtselement bezeichnet werden. 126
a) Soziale Stellung als mögliches Differenziejungsprinzip Vergegenwärtigt man sich nochmals die Elemente, die bisher als den materiellen Gehalt des Unrechts begründende Faktoren erkannt worden sind, ergibt sich, daß es sich um das Rechtsgut und seine Verletzung handelt. Insbesondere bei dem Merkmal der Verletzung setzen die bisher erkannten Erscheinungsformpaare an. So differenziert die Erscheinungsform der Beteiligung nach dem Grad des Mitwirkens mehrerer an der Verletzung beteiligter Personen, das Erscheinungsformpaar Tun und Unterlassen nach der Eigenart des Verletzungsverhaltens und das Erscheinungsformpaar Versuch und Vollendung nach dem Stadium der Verletzung im Hinblick auf einen Erfolg in einem realen Rechtsgutsobjekt. Bei all dem bleibt die soziale Stellung des Täters unberücksichtigt. Sie ist jedoch für den Gehalt des Unrechts relevant. 127 Dies ergibt sich nicht nur aus der unumstrittenen Bedeutung der sozialen Position des Täters als Faktor der Strafzumessung128, sondern folgt auch aus dem oben 129 beobachteten Phänomen des Anvertrautseins. Solches Anvertrauen geschieht in der Regel im Zusammenhang mit einer bestimmten sozialen Stellung des Täters, etwa als Beamter (§§ 133 Abs. 3, 340), oder als Ergebnis einer treuhänderischen, meist schuldrechtlichen Beziehung (§§ 246 Abs.l Var.2, 266), wobei eine frühere Fassung ι ^n
des § 266 noch den beispielhaften Rekurs auf bestimmte soziale Stellungen enthielt. Daß sie den materiellen Unrechtsgehalt beeinflussen, kann also als gesichert angesehen werden. Jedoch ist diese Erkenntnis noch nicht besonders hilfreich, solange die Wirkungsweise und die Grenzen dieses Einflusses nicht begrifflich erfaßt sind. Daß es hier Grenzen gibt, zeigt wiederum das Beispiel der Strafzumessung. Der BGH will soziale Stellungen nur insoweit berücksichtigen, als zwischen ihr und der Straftat eine innere Beziehung besteht, insbesondere dann, wenn diese Stellung die Verpflichtung mit sich bringt, für die Erhaltung bestimmter Rechtsgüter besondere Sorge zu tragen. 131 Es ist daher für das Tatunrecht irrelevant, ob 126 Die Terminologie folgt der von Langer, Das Sonderverbrechen, S. 395 Anm. 18,396 vorgeschlagenen. 127 Langer, Das Sonderverbrechen, S. 395. 128 Dreher/Tröndle, § 46 Rz. 25b; Schönke-Schröder-Stree, § 46 Rz. 35. 129 Vgl. Teil 1 Β .11.1. 130 StGB i.d.F von 1871, die durch das Änderungsgesetz vom 26.5.1933 beseitigt wurde. 131 BGH NJW 61, S. 1591 f.; MDR/D 66, S. 22 (26); VRS 15,412 f.
3 Deichmann
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Teil 1 : Der Begriff des Sonderverbrechens
ein Verheirateter oder Lediger in einem Kaufhaus stiehlt, während die Trunkenheitsfahrt eines Fahrlehrers ein erhöhtes Umecht darstellt. Die oben formulierte These klingt in den Ausführungen des BGH - wenngleich in einem ganz anderen Zusammenhang - an. Die soziale Stellung muß dem Täter einen spezifischen Bezug zum Rechtsgut vermitteln, das Rechtsgut muß ihm in einer noch näher zu beschreibenden Weise überantwortet sein. Dann ist die soziale Stellung unrechtsrelevant. Die Frage nach der sozialen Position des Täters und einer durch sie vermittelten Beziehung zum Rechtsgut ist also ein Aspekt, der den Unwertgehalt einer Rechtsguts Verletzung beeinflußt. 132 Dieser Einfluß kann relativ genannt werden, weil er von einer Beziehung abhängt. Diese Beziehung kann den Unwertgehalt einer Rechtsgutsverletzung erhöhen. Abstrakt denkbar ist aber auch eine Minderung. 133 Die Beziehung ist dagegen irrelevant, wenn sie den Unwert der Rechtsgutsverletzung unverändert läßt. Im folgenden geht es um die begriffliche Erfassung und Begrenzung dieser Erscheinung. Dabei ist zunächst zu fragen, unter welchen Voraussetzungen134 eine solche relative Abwandlung des Unwerts einer Rechtsgutsverletzung überhaupt möglich ist, sodann, welches ihre Merkmale
1 IC
sind.
b) Schlüsselstellung als Voraussetzung der Möglichkeit der Sonderunrechtsbegründung Die Analyse der Voraussetzungen, unter denen ein relatives Umechtselement begründet sein kann, muß bei dem Phänomen ansetzen, daß eine soziale Stelι q/:
lung einen besonderen sozialen Einflußbereich verschaffen kann. So sind etwa die Güter der Ehegatten oder der Familienmitglieder in stärkerem Maße dem Einflußbereich des anderen Gatten oder anderer Angehöriger ausgesetzt als dem Einfluß nicht zur Familie gehöriger Dritter. Im selben Maße ist der Einflußbereich eines Vollstreckungsbeamten im Hinblick auf Freiheit, Hausfrieden, Eigentum und körperliche Unversehrtheit des Vollstreckungsschuldners oder sonstiger duldungspflichtiger Personen erweitert. Seine Stellung verschafft ihm einen herausgehobenen Einfluß auf diese Güter. Die Gesundheit eines Menschen hängt sodann zwar auch davon ab, daß beliebige Dritte sie nicht beschädigen. Besonderen Einfluß auf dieses Gut hat aber doch der Arzt, 132 133 134 135 136
Langer, Das Sonderverbrechen, Langer, Das Sonderverbrechen, Langer, Das Sonderverbrechen, Langer, Das Sonderverbrechen, Langer, Das Sonderverbrechen,
S. 395. S. 403. S. 399 ff. S. 402 ff. S. 400.
Β. Erläuterung
35
in dessen Behandlung ein Patient sich begibt. Schließlich ist auch der Verwahrungsbesitz der öffentlichen Hand zwar jedem Menschen mehr oder weniger zugänglich; in herausgehobener Weise unterliegt er aber dem Einfluß der Beamten, denen verwahrte Gegenstände anvertraut oder zugänglich sind. Diese wenigen Beispiele sollten hinreichend verdeutlicht haben, daß eine bestimmte soziale Stellung, ein Amt oder ein Beruf, das Subjekt, das in ihr steht, hinsichtlich seiner Einflußmöglichkeiten auf bestimmte Gemeinschaftswertobjekte in spezifischer Weise aus der Gesamtheit der Rechtsunterworfenen heraushebt. Man könnte daher auch sagen, daß diese Subjekte im Hinblick auf die Unversehrtheit der in ihrem Einflußbereich befindlichen Objekte eine Schlüsselstellung einnehmen, kraft deren die Unversehrtheit der Wertobjekte von ihrem Verhalten in besonderer Weise abhängt.137 Das hier gesuchte relative Unrechtselement läßt sich damit in seinen Voraussetzungen schon näher beschreiben. Erforderlich ist eine Beziehung bestimmter Subjekte, die nur zu bestimmten Rechtsgutsobjekten besteht und die auf einem bestimmten sozialen Einflußbereich beruht. Damit sind zwei Beschränkungen festgestellt. Die Beziehung zum Rechtsgut kann nur über einen begrenzten Kreis von Schutzobjekten vermittelt sein, also nur im Hinblick auf die Objekte, bezüglich deren die Schlüsselstellung besteht. Mag es also auch gerechtfertigt sein, die Beamtenstellung generell als erschwerende Zumessungstatsache bei einem Verwahrungsbruch heranzuziehen, so ist ein relativ erhöhtes Umecht im hier gemeinten Sinn doch nur unter der Voraussetzung möglich, daß die Tat gerade an einem dem Beamten anvertrauten oder zugänglichen Gegenstand begangen wurde. Diese Beschränkung auf einen Ausschnitt der Rechtsgutsobjekte rechtfertigt es, von einer ausschnitthaften 138 Überantwortung zu sprechen. Sodann muß die Schlüsselstellung auf einem besonderen sozialen Einflußbereich beruhen. Die zufällige Begründung eines Einflußbereiches etwa durch den Fund einer Sache oder dadurch, daß die Rettung eines Verunglückten gerade von dem Tätigwerden einer überraschend hinzugekommenen Person abhängt, ist kein besonderer Einflußbereich. Denn er beruht nicht auf einer sozialen Position, sondern existiert nur im Hinblick gerade auf die bevorstehende Rechtsgutsverletzung. 139 Die Entstehungsgründe einer solchen Stellung und des damit zusammenhängenden Einflußbereiches sind natürlich vielfältig. 140 137 138 139 140
2
Langer, Das Sonderverbrechen, Langer, Das Sonderverbrechen, Langer, Das Sonderverbrechen, Langer, Das Sonderverbrechen,
S. 401. S. 401,411. S. 401 f. S. 401 f.
36
Teil 1 : Der Begriff des Sonderverbrechens
Es kann sich dabei um der Rechtsordnung mehr oder weniger vorgegebene Erscheinungen handeln, etwa Ehe und Familie, oder auch um solche Stellungen, die erst durch die Rechtsordnung konstituiert werden, wie etwa das Beamtenverhältnis. Auch die Dauerhaftigkeit einer solchen Position ist variabel. Berufen und Ämtern stehen relativ flüchtige, vorübergehende Erscheinungen wie etwa diejenige des Sicherungsnehmers oder Verwahrers gegenüber. In den meisten Fällen sind die hier gemeinten sozialen Stellungen auch Gegenstand rechtlicher Regelungen, gelegentlich knüpft an sie sogar ein Disziplinar· und Standesrecht an. Dies ist aber nicht wesentlich, wie oben 141 schon bemerkt wurde. Die verschiedenen Ausformungen sind ohnehin gleichgültig. Entscheidend ist immer nur die Herausgehobenheit eines Sondersubjekts hinsichtlich bestimmter Rechtsgutsobjekte und ihr Beruhen auf einer besonderen, unabhängig von einer Rechtsgutsverletzung existierenden Stellung. Die Voraussetzungen, unter denen ein Sonderunrecht begründet sein kann, lassen sich daher wie folgt zusammenfassen: Eine bestimmte Person muß aufgrund ihrer sozialen Position eine Schlüsselstellung hinsichtlich der Unversehrtheit der in ihrem sozialen Einflußbereich befindlichen Gemeinschaftswertobjekte einnehmen.
c) Überantwortung als Merkmal der Sonderunrechtsbegründung Mit diesen Voraussetzungen ist der materielle Gehalt des Sonderunrechts, das relative Unrechtselement, jedoch nicht identisch. Trotz Vorliegens der Voraussetzungen wird manchmal kein Sonderunrecht begründet. Während beispielweise der Bruch der ärztlichen Schweigepflicht in § 203 unter Strafe gestellt ist, ist der Verrat der einem Seelsorger anvertrauten Geheimnisse straflos. Gleichwohl verfügen beide Berufsgruppen im Hinblick auf die Geheimsphäre der Menschen, die sich ihnen anvertrauen, über einen besonderen Einflußbereich. Auch die von einem Arzt an seinem Patienten begangene Körperverletzung begründet nur im Fall des Garantenunterlassens ein Sonderunrecht, während etwa ein Beamter auch bei aktiver Begehung ein Sonderunrecht setzt. Ob also ein relatives Unrechtselement vorhanden ist, hängt nicht nur von den Voraussetzungen ab, unter denen es begründet werden könnte. Hinzu kommt, daß den Voraussetzungen nicht einmal entnommen werden kann, in welche Richtung ggf. eine Abwandlung des Unwerts der Rechtsgutsverletzung erfolgt. Die Voraussetzungen der Sonderunwertbegründung sind in141
Vgl. Teil 1 B.II.2.C) aa).
Β. Erläuterung
37
soweit ambivalent.142 Während z.B. der Unwert der Körperverletzung relativ erhöht ist, wenn sie unter Verwandten auf- oder absteigender Linie begangen wird (§§ 223 Abs. 2, 223b), war man früher der Auffassung, daß der Unwert einer eigennützigen Eigentumsverletzung durch einen Aszendenten überhaupt keine Strafe verdient. 143 Auch die erheblich geminderte Strafdrohung für einen Ehemann, der den Beischlaf mit seiner Frau erzwingt (§ 240), verdient an dieser Stelle Beachtung. Es muß nach allem noch ein weiterer Sachverhalt hinzutreten, der die relative Abwandlung des Unwerts einer Rechtsgutsverletzung begründet und deren Richtung bestimmt. Dieser Sachverhalt ist bereits induktiv im „Anvertrautsein" erkannt worden. Die vorstehend geschilderte Ambivalenz macht es jedoch erforderlich, einen neutralen Ausdruck zu verwenden, der beide Möglichkeiten umfaßt. Dafür bietet sich der hier gewählte Terminus „Überantwortung" an. Er bezeichnet die zu den Voraussetzungen des Sonderunwerts hinzutretende Tatsache, daß die Rechtsgemeinschaft einem bestimmten Subjekt hinsichtlich der seinem Einflußbereich zugeordneten Rechtsgutsobjekte eine spezifische Schutzaufgabe übertragen oder ihm eine spezifische Verfügungsbefugnis zugewiesen hat. 144 Der Grund für eine solche Überantwortung liegt in Wertanschauungen der Rechtsgemeinschaft, die nicht auf einen allgemeinen Nenner gebracht werden können und naturgemäß wandelbar sind. 145 Dies zeigte schon das Beispiel des Diebstahls gegenüber einem Deszendenten, aber auch die Abschaffung der Tatbestände der Nötigung, Freiheitsberaubung und des Hausfriedensbruchs im Amt. Das Bedürfnis, einem Sondersubjekt solche Schutzaufgaben zu übertragen, wird auch nicht immer gleichermaßen bezüglich aller im Einflußbereich befindlichen Schutzobjekte empfunden. Beispielsweise sind einem Arbeitgeber zwar die Vermögensinteressen der Sozialversicherungen durch § 266a Abs. 1 überantwortet, hinsichtlich der Interessen des Fiskus an vollständiger Lohnsteuerabführung 146 und derjenigen der Arbeitnehmer an unverkürzter Auszahlung des Lohnes bewendet es dagegen auch für diesen Einflußbereich bei den allgemeinen Strafvorschriften, also bei den Tatbeständen der Steuerhinterziehung und des Betrugs. Noch schwieriger als die Frage nach dem Grund der Überantwortung gestaltet sich die Frage danach, wann ein Rechtsgut ausschnitthaft einem Sondersubjekt überantwortet ist. 1 4 7 142 143 144 145 146 147
Langer, Das Sonderverbrechen, S. 403. § 247 Abs. 2 a.F. Langer, Das Sonderverbrechen, S. 406 ff., 412. Langer, Das Sonderverbrechen, S. 407 f. Vgl. aber BGHSt 23, 319 (322). Langer, Das Sonderverbrechen, S. 408 ff.
Teil 1 : Der Begriff des Sonderverbrechens
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Ein relativ sicherer Indikator ist natürlich das Strafgesetz selbst. Seine Tatbestände zeigen an, daß eine Schutzaufgabe besteht, wenn sie soziale Einflußbereiche aufnehmen oder die Überantwortung unmittelbar aussprechen. Diese Anzeige versagt dagegen, wo die Frage nach der Überantwortung durch unmittelbaren Zugriff auf die Wertanschauungen der Rechtsgemeinschaft beantwortet werden muß, also im Bereich der Garantenunterlassungsdelikte gemäß 148
§ 13 , aber auch dort, wo der Kreis derer, denen überantwortet wird, vom Strafgesetz nicht selbst festgelegt ist, ζ. B. in § 246 Abs. 1 Var. 2. Hilfreich können hier die Rechtsnormen sein, die die Rechtsgemeinschaft zur Ausgestaltung einer sozialen Stellung erlassen hat. Selbst da aber, wo ein vorhandener Tatbestand ein Sonderunrecht anzuzeigen scheint, liegt es noch nicht notwendig vor. Wie die Entstehung von Rechtsgütern selbst hängt auch die relative Abwandlung des Unwerts ihrer Verletzung nicht vom Bestehen eines Strafgesetzes ab. Unter diesem Gesichtspunkt kann man Zweifel haben, ob der Aszendentenkörperverletzung 149 oder der privilegierenden Vorschrift der Gebührenüberhebung150 heute noch eine Überantwortung der betreffenden Rechtsgüter zugrunde liegt. Diese Fragen lassen sich nicht allgemein beantworten. Hier konnte es nur darauf ankommen, den Sachverhalt zu verdeutlichen, der letztlich erst das Sonderunrecht begründet. Er besteht in der Überantwortung bestimmter Sonderobjekte an ein Sondersubjekt zu besonderem Schutz oder besonderer Verfügung.
d) Ergebnis Damit ist geklärt, nach welchem allgemeinen und inhaltlichen Prinzip das Erscheinungsformpaar Gemein- und Sonderunrecht im materiellen Unrechtsgehalt differiert. Es geht um die Beziehung eines Subjekts zu dem verletzten Rechtsgut, diese Beziehung kann eine solche ohne besondere Kennzeichen sein und ist dann ohne Einfluß auf den Unwert der Rechtsgutsverletzung (Gemeindelikt); sie kann aber auch in der Überantwortung bestimmter Rechtsgutsobjekte bestehen und wandelt dann den Unwertgehalt relativ ab (Sonderdelikte), und zwar erhöht sie ihn entweder (Sonderpflichtdelikt) oder senkt ihn (Sonderrechtsdelikt). 151
148 149 150 151
Langer, Das Sonderverbrechen, S. 505. Vgl. das Beispiel des Aszendententotschlags bei Langer, Das Sonderverbrechen, S. 440. Zweifelnd Schönke-Schröder-Cramer, § 352 Rz. 1. Zur Ambivalenz der Überantwortung Langer, Das Sonderverbrechen, S. 414 ff.
Β. Erläuterung
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4. Das materielle Sonderunrecht als Pflichtverletzung Im vorhergehenden Abschnitt wurde diejenige Modifizierung des materiellen Unrechtsgehalts, die die Erscheinungsform des Sonderdelikts ermöglicht, lediglich unter sachlichem Aspekt, von der überantwortenden Rechtsgemeinschaft her, behandelt. Es ist jedoch schon oben 152 darauf hingewiesen worden, daß dem sachlichen ein personaler Aspekt, das personale Umecht, gegenübergestellt werden kann. Die relative Abwandlung des Unwerts einer Rechtsgutsverletzung muß daher auch unter diesem Aspekt betrachtet werden. Der materielle Unrechtsgehalt der Überantwortung stellt sich unter personalem Aspekt, also aus der Sicht dessen, dem etwas überantwortet wird, als eine relativ gesteigerte oder geminderte Pflicht zur Gutsbeachtung dar. 153 An dieser Stelle zeigt sich derrichtige Kern jener oben 154 erörterten Ansicht, daß nämlich das Umecht der Sonderdelikte in einem besonderen sozial-ethischen Unwertgehalt der Tat bestehe. Die gesteigerte Pflicht zur Achtung des überantworteten Gutes ist Ausdruck eines auf ethisch relativ hoher Stufe stehenden, an sittlichen Maßstäben sich orientierenden Strafrechts, das die besonderen Umstände des Täters berücksichtigt. 155 Jedoch kann die gesteigerte sozial-ethische Pflicht, die aus der Überantwortung resultiert, nicht als eigener, selbständiger Wert anerkannt werden. Die Pflicht des Sondersubjekts ist keine besondere im Sinne einer selbständigen, sondern eine gesteigerte Pflicht. Im selben Maße wie der Unwert der Pflichtverletzung ist auch die Sozialschädlichkeit solchen Verhaltens erhöht. Denn das relative Unrechtselement wandelt zwar den Unwert der Rechtsguts Verletzung ab, ändert aber nichts an seiner Struktur. 156
Besonderes personales Umecht stellt das relative Umecht deshalb dar, weil die Abwandlung des Unrechts der Rechtsgutsverletzung bzw. die Steigerung der Pflicht gerade nur gegenüber dem Sondersubjekt erfolgt, während andere Beteiligte eben nur das Gemeinunrecht, also die in ihrem Unwert unveränderte Rechtsgutsverletzung verwirklichen können. Hier liegt die zentrale Bedeutung der Lehre vom personalen Umecht. Versteht man den zur Kennzeichnung des materiellen Gehalts des Sonderunrechts (in der Form des Sonderpflichtdelikts) oft herangezogenen Terminus der besonderen Pflichtenstellung in dem Sinne, daß er eine gegenüber dem Gemeindelikt abgewandelte, nicht aber eine ihm nicht zugehörende, selbständige Pflicht meint, so ist er zutreffend und wird im folgenden gelegentlich synonym mit dem Begriff des relativen Unrechtselements gebraucht werden. 152 153 154 155 156
Teil 1 B.II.2.C) bb). Langer, Das Sonderverbrechen, S. 423 f. Teil 1 B.II.2. c) bb). Langer, Das Sonderverbrechen, S. 389. Langer, Das Sonderverbrechen, S. 404.
Teil 1 : Der Begriff des Sonderverbrechens
40
III. Das formelle Sonderunrecht Damit ist der materielle Gehalt des Sonderdelikts hinreichend behandelt. Wie die anderen Erscheinungsformen auch, unterscheiden sich jedoch Sonder- und Gemeinunrecht nicht nur im materiellen Unrecht. Beispielsweise mußten Täterschaft und Teilnahme zusätzlich tatbestandlich erfaßt werden, andernfalls trotz der sachlichen Unterschiede eine Einheitstäterlösung bestünde. Desgleichen ist die Unterlassung nicht nur ein geringeres materielles Unrecht als das vergleichbare aktive Tun; auch der Kreis der Normen, also der förmlichen Verhaltensbefehle, ist bei den Verboten aktiven Handelns sehr viel weiter als bei den Geboten. Hier bestehen also auch im formellen Unrecht Unterschiede. Damit stellt sich die Aufgabe, jenen Unrechtsmodifizierungen nachzugehen. Dies soll zunächst für das formelle Unrechtselement erfolgen. 1 S7
Formelles Unrecht bedeutet Normwidrigkeit eines Verhaltens. Der Inhalt einer Norm scheint jedoch auf den ersten Blick relativen Abwandlungen nicht zugänglich: etwas ist verboten oder nicht, aber nicht mehr oder weniger verboten. Wie man aber sagen kann, etwas sei streng oder strengstens verboten, und damit eine gesteigerte Dringlichkeit des Verbots zum Ausdruck bringt, so auch, die Vornahme gewisser Handlungen sei dringend geboten. Auch Gebote und Verbote sind also relativen Abwandlungen zugänglich. Das formelle Sonderunrecht ist daher dadurch gekennzeichnet, daß die Norm gegenüber dem Sondersubjekt in ihrer Dringlichkeit abgewandelt ist. Dem Sondersubjekt ist die Übertretung des Verbots beim Sonderpflichtdelikt strenger, beim Sonderrechtsdelikt weniger streng verboten als dem Subjekt des Gemeindelikts.158
IV. Der Sonderunrechtstatbestand Außerdem muß das Sonderunrecht tatbestandlich vertypt sein. 159 Erst seine Beschreibung in diesem Formelement des Verbrechens begründet seine selbständige Bedeutung im Strafrechtssystem. Dabei ist jedoch wieder zu beachten, was oben schon festgestellt wurde: wenn der Gesetzgeber eine soziale Stellung in die tatbestandliche Schilderung eines Delikts aufnimmt, ist dadurch allein noch kein Sonderunrecht begründet. Andererseits muß es aber in einer ihm angemessenen Form zum Ausdruck gebracht werden. Damit stellt sich die Frage, welche Form der tatbestandlichen Schilderung dem Sonderunrecht abstrakt angemessen ist. Es muß eine Form sein, die eine Beziehung des Sondersubjekts zu 157 158
!59
Langer, Das Sonderverbrechen, S. 308 ff. Langer, Das Sonderverbrechen, S. 424 ff. V g l
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folgenden Langer, Das Sonderverbrechen, S. 436 ff.
Β. Erläuterung
41
dem ihm ausschnitthaft überantworteten Rechtsgut generell zum Ausdruck bringen kann. Diese Form ist das besondere persönliche Merkmal, also ein Tatbestandsmerkmal, das den Kreis der Deliktssubjekte im Hinblick auf eine soziale Stellung beschränkt.160
V. Die Sonderstrafdrohung Zuletzt muß noch kurz das Merkmal der Sonderstrafdrohung 161 erläutert werden. Daß dem Sonderdelikt eine spezifische Strafdrohung zugeordnet sein muß, ergibt sich aus dem Begriff der Erscheinungsform. Die Bildung von Begriffen wäre auch teleologisch verfehlt, wenn sie nicht im Hinblick auf spezifische Rechtsfolgenunterschiede erfolgen würde. Damit ist die eingangs mitgeteilte Definition des Sonderverbrechens für den Zweck dieser Arbeit hinreichend erläutert und begründet. Sie kann daher der nun folgenden Untersuchung einzelner Delikte zugrunde gelegt werden.
160 Besondere persönliche Merkmale im hier gemeinten Sinn sind mit denjenigen des § 28 identisch. Ob sie nur teilidentisch sind, es also noch weitere besondere persönliche Merkmale gibt, die unter § 28 fallen, jedoch kein Sonderunrecht beschreiben, ist eine Frage, der hier nicht weiter nachgegangen werden muß. Es ist wohl ganz überwiegende Ansicht, daß jedenfalls die besonderen persönlichen Merkmale, die eine Sonderstraftat charakterisieren, unter § 28 fallen. Ob § 28 auch auf besondere Schuldmerkmale anzuwenden ist, wird unten, Teil 4 D.I.2., erörtert. Besondere persönliche Merkmale, die eine Sonderstraftat beschreiben, sind auch solche im Sinne des § 14; vgl. dazu Teil 3 A.II.9. 161 Langer, Das Sonderverbrechen, S. 450 ff.
Teil 2: Die Aussagedelikte A. Der Meinungsstand I. Die Einheitlichkeit Ob die Aussagedelikte Sonderdelikte sind, ob also auf einen extranen Teilnehmer an diesen Straftaten § 28 Abs. 1 anzuwenden ist, ist im Schrifttum umstritten, während die Rechtsprechung sich zu dieser Frage, soweit ersichtlich, nicht explizit geäußert hat.1 Allen Stellungnahmen ist aber gemeinsam, daß sie diese Frage für alle Aussagedelikte einheitlich beantworten wollen.2 Niemand bejaht etwa den Sonderdeliktscharakter der falschen uneidlichen Aussage und des Meineids, verneint ihn aber für die falsche Versicherung an Eides Statt. Diese Generalaussage über alle Aussagedelikte beruht jedoch nicht auf der Untersuchung aller einzelnen Tatbestände. Zumeist begnügt man sich mit einer Überlegung zum Sonderdeliktscharakter der falschen uneidlichen Aussage und verallgemeinert das dort gewonnene Ergebnis. Dieses Vorgehen mag bei den Autoren gerechtfertigt sein, die in § 153 kein Sonderdelikt erkennen. Denn wenn schon bei diesem „Prototyp" der Aussagedelikte kein Sonderdelikt vorliegt, dürfte es bei den anderen Tatbeständen erst recht nicht der Fall sein. Bei den Befürwortern der Sonderdeliktseigenschaft der Aussagedelikte ist aber eine solche pauschale Aussage, die sich nur auf eine Untersuchung des § 153 und hier meist nur des Zeugen stützt, sehr problematisch. Denn die Unterschiede der einzelnen Tatbestände sind zu groß, um eine solche Verallgemeinerung zu tragen. Faßt man zunächst die möglichen Deliktssubjekte ins Auge, so zeigt sich, daß beim Meineid neben den in ihrer Eigenschaft als Beweismittel sicher vergleichbaren Zeugen und Sachverständigen auch noch die Partei des Zivilprozesses zu beachten ist. Bei § 156 spielen dann die Zeugen praktisch kaum noch eine Rolle. Das Schwergewicht liegt hier auf Deliktssubjekten, die 1 Vgl. das Schweigen zu dieser Frage in den Entscheidungen BGHSt 25,168 (169); 25,244; 27, 74; BGH GA 1971, 332; BGH GA 1973, 109; BGH NJW 1976,1461. 2 Gegen die Sonderdeliktseigenschaft: LK-Willms, Vor § 153 Rz. 7; Schönke-SchröderLenckner, Vor § 153 Rz. 42; Lackner, § 153 Rz. 7; Heidland, S. 93 ff. Dafür: Langer, FS-Wolf, S. 345 ff. (355); ders., FS-Dünnebier, S. 421 ff.; SK-Rudolphi, Vor § 153 Rz. 9; LK-Roxin, § 28 Rz.39; Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 394; Herzberg, ZStW Bd. 88,S. 103 f.;
Schmidhäuser, B T 23/7; zweifelnd Dreher/Tröndle, Vor § 153 Rz. 13.
Α. Der Meinungsstand
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sich in einer Partei- oder parteiähnlichen Stellung befinden, insbesondere bei Zwangsvollstreckungsschuldnern (§ 807 ZPO) und Verfügungsklägern (§ 920 Abs. 2 ZPO). Aber auch der Adressat der jeweiligen Aussagen ist höchst unterschiedlich. Neben den Gerichten - und in ihnen neben den Richtern den Rechtspflegern - kommen bei den §§ 153,154 parlamentarische Untersuchungsausschüsse und die Prüfungsstellen des Patentamtes (§ 46 Abs. 1 S. 1 PatG), bei § 156 auch Verwaltungsbehörden (§ 27 Abs. 1 S. 1 VwVfG) in Betracht. Die angedeuteten Unterschiede, die sich nicht nur auf die Deliktssubjekte beziehen, sondern auch Zweifel an der Identität des durch die Aussagedelikte geschützten Rechtsguts wecken3, erfordern eine eingehende Untersuchung der einzelnen Tatbestände des Neunten Abschnitts des StGB. Erst dabei wird sich zeigen, ob der „Nachweis der Sonderdeliktsnatur" „mit jeweils leicht differenzierter Begründung"4 für alle Aussagedelikte geführt werden kann. Eine weitere, nur terminologische Ungenauigkeit der Redeweise von der Sonderdeliktsnatur der Aussagedelikte liegt darin, daß die Verleitung zu Falschaussage bzw. -eid gemäß § 160 nicht von vornherein ausgeklammert wird. Auch dieses Delikt gehört zum Neunten Abschnitt und stellt im weiteren Sinne ein Aussagedelikt dar. Offensichtlich handelt es sich bei ihm aber um ein Gemeindelikt. Berücksichtigt man diese wohl von niemand bezweifelte Selbstverständlichkeit, so kann es bei dem Terminus „Aussagedelikte" bleiben. Gemeint sind je nach dem Zusammenhang manchmal alle Tatbestände des Neunten Abschnitts, manchmal nur die in den §§ 153-156, 163 beschriebenen Straftaten. Der Tatbestand des § 163 wird hier nicht näher erörtert. Er teilt die nachfolgend aufzuweisende Rechtsnatur der entsprechenden vorsätzlichen Straftaten.
II. Sonderdeliktsnatur und Eigenhändigkeit Neben der allgemeinen Überzeugung, daß über die Sonderdeliktsnatur der Aussagedelikte nur einheitlich entschieden werden kann, besteht Einigkeit auch darüber, daß diese Frage mit der Eigenschaft der Aussagedelikte als eigenhändiger Straftaten nichts zu tun hat.5 Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen. Während die eigenhändigen Delikte eine Tatbestandsgruppierung innerhalb der Erscheinungsform der Täterschaft bilden, sind die Sonderdelikte selbst eine Erscheinungsform des Verbrechens. Mit anderen Worten, es kann prinzipiell nicht nur eigenhändige Sonderdelikte, sondern auch eigenhändige Gemeinstraftaten 3
Dazu unten Teil 2 Β. IV. Langer, FS-Wolf, S. 355. 5 Vgl. nur Dreher/Tröndle, Vor § 153 Rz. 13; LK-Willms, Vor § 153 Rz. 7; Lackner, § 153 Rz. 7, Vor § 153 Rz. 7. 4
Teil 2: Die Aussagedelikte
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geben.6 Selbst ein Autor, der auch die Sonderdelikte täterschaftsrelativ, als Tatbestandsgruppierung innerhalb der Täterschaft auffaßt, hat diese Unabhängigkeit betont, indem er die Aussagedelikte als unechte eigenhändige Delikte bezeichnete. Täterschaftskonstituierend sei nicht der Akt des Sprechens, sondern die Verletzung der jeweiligen prozessualen Pflicht. 7
III. Rechtsgutsbezogenheit der Zeugenstellung, Positionsnähe Die Ablehnung der Sonderdeliktsnatur der Aussagedelikte wird, wenn überhaupt8, damit begründet, daß die Wahrheitspflicht eines Zeugen ausschließlich auf rechtsgutsbezogenen Erwägungen beruhe. Da nur er mögliches Beweismittel bei der Wahrheitsermittlung sei, habe auch nur er die Möglichkeit eines Angriffs auf die Rechtspflege.9 Der Grund der Strafbarkeit der in § 153 genannten Täter liege nur in der Gefahr, die von ihnen für das Rechtsgut ausgehe.10 Die Zeugen- oder Sachverständigeneigenschaft charakterisiere nur die Positionsnähe zum Rechtsgut.11 Dagegen fehle das Moment einer besonderen personalen Pflichtverletzung völlig. 12 Die Wahrheitspflicht weise keine Beziehung zu einem vom Rechtsgut unabhängigen sozialethischen Grundwert auf. Denn die ethische Pflicht, immer wahrhaftig zu sein, solle sicherlich nicht angesprochen werden. Auch Meineid und falsche Versicherung an Eides Statt seien nicht durch eine eigenständige sittliche Rechtspflicht gekennzeichnet. Denn das sakrale Moment, das insoweit allein in Betracht komme, habe keine Bedeutung mehr. 13 Bei einer Würdigung dieser Argumente am Maßstab der hier zugrunde gelegten Sonderdeliktsdefinition fällt sogleich ins Auge, daß der mit „Rechtsgutsbezogenheit" der Zeugenstellung oder „Positionsnähe" gekennzeichnete Sachverhalt nicht geeignet ist, die Sonderdeliktsnatur der Aussagedelikte zu widerlegen. Daß Zeugen und Sachverständige in besonderem Maße - nämlich mehr als andere, am Verfahren nicht beteiligte Personen - auf die gerichtliche Wahrheitsfindung Einfluß nehmen können, ist gerade eine unabdingbare Voraussetzung 6
Vgl.oben Teil 1 B.I.I.; Langer, FS-Wolf, S. 347. Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 394. 8 Begründungslos LK-Willms, Vor § 153 Rz. 7 und die in Teil 2 Fn. 1 zitierte Rechtsprechung. 9 Schönke-Schröder-Lenckner, Vor § 153 Rz. 42. 10 Heidland, S. 94. 11 Lackner, § 153 Rz. 7. 12 Schönke-Schröder-Lenckner, Vor § 153 Rz. 42. 13 Heidland, S. 94f. 7
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für ein Sonderdelikt. Es handelt sich dabei um den hier mit „Schlüsselstellung des Sondersubjekts" bezeichneten besonderen sozialen Einflußbereich. 14 Die aus diesem erhöhten Einfluß auch resultierende erhöhte Gefährlichkeit der Zeugen und Sachverständigen für das Rechtsgut kann gerade der legislatorische Anlaß für die Auferlegung besonderer Pflichten sein.15 Ferner ist es auch unrichtig, daß das Rechtsgut der zutreffenden Sachverhaltsfeststellung nur den Zeugen erreichbar sei. Neben den anderen Beweismitteln, die die Sachverhaltsfeststellung beeinflussen und diese bei entsprechenden Manipulationen in gleichem Maß gefährden können, ist der Einfluß des Angeklagten bzw. der Partei eines Zivilprozesses auf die Wahrheitsfindung oft genauso erheblich wie der eines Zeugen. Daß schließlich das Rechtsgut der Aussagedelikte in § 160 auch gegen die Angriffe beliebiger Dritter 16 und die Zuverlässigkeit von Urkunden als Beweismittel in §§ 267 ff. umfassend, nicht nur im Hinblick auf ihre Verwendung in einem Verfahren, geschützt sind, widerlegt diese einseitige Betonung der Bedeutung des Zeugen. Die Frage ist daher, ob das Fehlen einer besonderen personalen Pflichtverletzung es rechtfertigt, die Sonderdeliktsnatur der Aussagedelikte zu verneinen. Diese Folgerung ist gerechtfertigt, wenn man für die Sonderdelikte einen besonderen sozialethischen Unwert voraussetzt. Da aber ein solcher Unwert die Sonderdelikte nicht charakterisiert 17, sondern das Sonderunrecht in einem gegenüber dem Sondersubjekt abgewandelten, gesteigerten Unwert gerade der Rechtsgutsverletzung besteht, ist jene Frage zu verneinen. Ob ein vom Rechtsgut unabhängiger sozialethischer Wert verletzt wird oder nicht, ist irrelevant. Aber auch im Rahmen der Lehre vom besonderen personalen Unwert kann die Behauptung, ein solcher Unwert fehle völlig, kaum befriedigen. Unstreitig ist allerdings heute, daß der Eid keine sakrale Bedeutung hat und deshalb die mißbräuchliche Anrufung Gottes keinen strafrechtlich bedeutsamen Unwert begründet. Soweit aber der Wahrheitspflicht jeder Bezug auf das ethische Gebot der Wahrhaftigkeit abgesprochen wird und dies auch noch begründungslos, unter Bekräftigung der Evidenz dieser Aussage geschieht18, hätte es zumindest einer Auseinandersetzung mit jener Meinung bedurft, die in der bewußten Mißachtung der Wahrheitspflicht eine besondere personale Pflichtverletzung sieht.19 Dabei wäre es insbesondere auf die Frage angekommen, ob der gesuchte Unwert nicht schon dann deutlich wird, wenn man mit der subjektiven Theorie die Wahrheitspflicht des Zeugen als Pflicht zur Wahrhaftigkeit deutet.20 Dies kann 14 15 16 17 18 19
Vgl. dazu oben Teil 1 B.II.3. b). LK-Roxin, § 28 Rz. 39. Langer, FS-Wolf, S. 346. Vgl. dazu oben Teil 1 B.II.2.c) bb). Heidland, S.94: „sicherlich". Gallas, FS-Engisch, S. 607,615.
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Teil 2: Die Aussagedelikte
jedoch vorläufig auf sich beruhen. Die gegen die Sonderdeliktsnatur der Aussagedelikte vorgebrachten Argumente vermögen jedenfalls nicht zu überzeugen.
IV. Die Wahrheitspflicht als entscheidendes Kriterium Die Befürworter einer Anwendung des § 28 Abs. 1 auf extrane Teilnehmer an Aussagedelikten stützen sich mit einer Ausnahme auf die besondere Pflichtenstellung eines Zeugen bzw. Sachverständigen.21 Die Täter der Aussagedelikte seien durch eine von ihnen höchstpersönlich zu erfüllende, prozessuale Wahrheitspflicht gekennzeichnet, die allein den unmittelbar Aussagenden treffe. Diese Pflichtenbindung erstrecke sich nicht auf Teilnehmer. Auch diese Ausführungen können nicht überzeugen. Sie erwecken den Eindruck, als ob Zeugen und Sachverständige wahrheitspflichtig seien, während anderen Personen, insbesondere der Partei und dem Angeklagten, vor Gericht das Lügen erlaubt sei. Dies ist unzutreffend. 22 Für die Partei ergibt sich das Gegenteil schon aus § 138 Abs. 1 ZPO; bekanntlich kann ein solches Verhalten auch eine Strafbarkeit wegen Prozeßbetruges nach sich ziehen, was im Falle rechtmäßigen Lügens schwer vorstellbar wäre. Aber auch der Angeklagte hat nur das Recht, sich nicht oder nur unvollständig zur Sache einzulassen; das Recht zur Lüge besitzt er nicht. Daß die unwahre Einlassung des Angeklagten oder der Partei als solche nicht strafbar ist, beweist demgegenüber nichts. Entscheidend ist vielmehr der materielle Grund, aus dem Angeklagter und Partei in der Regel ungestraft ihre „Wahrheitspflicht" verletzen können, Zeugen und Sachverständige dagegen nicht. Der prozessuale Ursprung der Wahrheitspflicht vermag diese Unterscheidung nicht zu tragen; denn abgesehen davon, daß es sich bei der außerstrafrechtlichen Sonderpflicht, die damit in Bezug genommen ist, nur um ein formales Kriterium handelt24, besteht, wie gesehen, diese „Sonderpflicht" nicht nur für Zeugen und Sachverständige. Die Frage ist daher, ob die Höchstpersönlichkeit der Ausssagepflicht sie zu einer besonderen im Sinne der Sonderdelikte macht. Es ist schon oben darauf hin20
Gallas, FS-Engisch, S. 614. Vgl. die in Teil 2 Fn. 2 angeführten Autoren, ferner Vormbaum, S. 282 ff.; die Abhandlung Langers zu § 153 StGB (Langer, FS-Wolf, S. 345 ff.) wird hier nicht gesondert gewürdigt, da nicht nur im Ergebnis, sondern auch im Ausgangspunkt der Untersuchung, in der Frage des Sonderdeliktsbegriffs, Übereinstimmung mit dem hier vertretenen Standpunkt besteht. 22 Langer, FS-Wolf, S. 351 f. 23 Henkel, S. 177; Peters, S. 207; wie Kleinknecht/Meyer, § 136 Rz. 18, und KK-Boujong, § 136 Rz. 20, ihre Ablehnung eines Rechts zur Lüge, aber auch jeglicher Wahrheitspflicht vereinbaren können, ist schwer nachvollziehbar; anders anscheinend BGHSt 3,149. 24 Vgl. oben Teil 1 B.II.2.c) aa). 21
Α. Der Meinungsstand
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gewiesen worden, daß die Eigenhändigkeit der Aussagedelikte nichts mit deren Sonderdeliktsnatur zu tun hat. Im Sinne von Eigenhändigkeit könnte aber der Terminus „höchstpersönlich" zunächst verstanden werden und wäre dann ganz unergiebig für die hier untersuchte Frage. Eigenhändigkeit, also der von dem Aussagenden selbst vorgenommene Akt des Sprechens, ist aber von jenen Autoren nicht mit Höchstpersönlichkeit gemeint, sondern wohl doch etwas anderes. Um dies zu erhellen, sollen hier einige Überlegungen von Gallas angeführt werden, die er in einem anderen Zusammenhang angestellt hat. Er ging von einem merkwürdigen Strafbarkeitsunterschied bei den Aussagedelikten aus: Wer einen anderen zu einem Meineid nötigt, wird als Anstifter zum Meineid gemäß §§ 154, 26 bestraft, wer dagegen einen anderen zur gutgläubigen Ableistung eines Falscheides verleitet, ist nur wegen Verleitung zum Falscheid gemäß § 160 Abs. 1 strafbar. Dieser Unterschied sei ganz unerklärlich, wenn es sich in beiden Fällen der Sache nach um mittelbare Täterschaft des Meineids handeln würde. 25 Gallas nimmt jedoch den Standpunkt ein, daß 9 f\
im ersten Fall auch der Sache nach keine mittelbare Täterschaft vorliege. Diese sei zwar nicht deshalb ausgeschlossen, weil zum Tatbestand ein Aussageakt gehöre. Denn es erscheine sehr wohl möglich, einen solchen Akt eines Tatmittlers dem Hintermann nach den Grundsätzen der mittelbaren Täterschaft zuzurechnen.27 Der Grund dafür sei vielmehr ein den Ausssagedelikten eigentümliches personales Unrechtselement. Denn entgegen der objektiven Theorie liege der Unrechtsgehalt der Aussagedelikte nicht in der konkreten Gefährdung der Rechtspflege durch eine objektiv falsche Aussage, sondern in einer nur abstrakten Gefährdung, die aber mit einer höchstpersönlichen Fehlleistung des Aussagenden zusammentreffe. Er sei von seiner Beweisfunktion her gesehen verpflichtet, nicht die objektive, sondern die subjektive Wahrheit, sein eigenes gegenwärtiges Wissen mitzuteilen. Die wahrheitsgetreue Wiedergabe dieses Wissens könne nur die Aussageperson selbst leisten. Die bewußte Verletzung dieser Pflicht zur Wahrhaftigkeit erscheine deshalb als bewußte Pervertierung der Beweisrolle und damit als ein sozialethisch verwerflicher Akt. Deshalb seien Meineid und uneidliche Falschaussage ihrem Wesen nach „eigenhändige" Delikte, bei denen es keine mittelbare Täterschaft gebe.28 Die unterschiedliche Strafhöhe in den oben angeführten Ausgangsfällen sei dadurch gerechtfertigt, daß der Anstifter zum vorsätzlichen Meineid auch noch dieses größere personale Unrecht herbeiführe, während der Verleiter gemäß § 160 nur die Rechtspflege gefährde. 25 26 27 28 29
90
Gallas, FS-Engisch, S. 607. Gallas, FS-Engisch, S. 607 f. Gallas, FS-Engisch, S. 613. Gallas, FS-Engisch, S. 613 ff.; die Anführungszeichen ensprechen dem Originaltext. Gallas, FS-Engisch, S. 607 f.
Teil 2: Die Aussagedelikte
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Man darf sich von dem von Gallas gewählten Ausdruck der „eigenhändigen" Delikte nicht beirren lassen. Was Gallas hier als höchstpersönliche Fehlleistung, als Verletzung des besonderen sozialethischen Wertes der Wahrhaftigkeit beschreibt, hat mit Eigenhändigkeit eigentlich nichts zu tun. Das „eigentümliche personale Unrechtselement" entspricht - nicht nur in der Benennung - dem von Gallas selbst vertretenen Sonderdeliktskriterium. 30 Somit ergibt sich aus den Ausführungen von Gallas erst, was mit Höchstpersönlichkeit der Wahrheitspflicht eigentlich gemeint ist. Die nunmehr mögliche Würdigung dieses Kriteriums muß zunächst wieder betonen, daß es auf einen selbständigen sozialethischen Unwert für das Sonderdelikt nicht ankommt. Ein weiteres Bedenken liegt hier auf der Hand. Weshalb soll gerade das personale Unrechtselement der Aussagedelikte, das doch schwerlich anders denn als besonderes persönliches Merkmal im Sinne des § 28 Abs.l verstanden werden kann, die erhöhte Strafe des Anstifters rechtfertigen? Gerade die personalen Elemente des Unrechts sind doch auch nach Gallas' eigener Lehre nicht teilnahmefähig. 31 Schließlich muß aber auch bezweifelt werden, daß der von Gallas gemeinte selbständige Unwert hier tatsächlich vorliegt und daß dies von der Entscheidung für die subjektive Theorie abhängt. Gallas stellt es auf diese Kontroverse ab, weil er der objektiven Theorie die Berücksichtigung nur der Rechtsgutsverletzung, der subjektiven aber auch die Berücksichtigung des sozialethisch verwerflichen Aktes zuschreiben will. Diese Abhängigkeit besteht aber nicht. Der nach der subjektiven bzw. objektiven Theorie je unterschiedliche Inhalt der Pflicht der Aussageperson läßt sich genauso unter dem rechtsgutsbezogenen Aspekt ausdrücken, welches Verhalten eines Zeugen die Rechtsgemeinschaft im Interesse der Wahrheitsfindung eigentlich von einem Zeugen erwartet. Man kann eben das materielle Umecht sowohl als Rechtsguts- wie auch als Pflichtverletzung, unter einem sachlichen oder personalen Aspekt betrachten. Während die objektive Theorie den Zeugen auf die Übereinstimmung seiner Aussage mit der Wirklichkeit verpflichtet, verlangt die subjektive Theorie die Kongruenz seiner Aussage und seiner Vorstellung von der Wirklichkeit. 33 Von der Rechtsgemeinschaft her gesehen ist der Wahrheitsfindung vom Standpunkt der objektiven Theorie am besten durch objektiv wahre, vom Standpunkt der subjektiven Theorie durch der Erinnerung des Zeugen entsprechende Aussagen gedient. Die Entscheidung für die eine oder andere Lösung ist dadurch bedingt, ob man sinnvollerweise von der Aussageperson überhaupt die objektive Wahrheit verlangen kann. Verneint man dies, so ergibt sich die subjektive Theorie aus der keines30 31 32 33
Gallas, Beiträge, S. 159 f. Gallas, Beiträge, S. 159 f. Vgl. oben Teil 1 B.II.2.c) bb), 4. Vgl. zum Meinungsstand LK-Willms, Vor § 153 Rz. 8 ff.
Α. Der Meinungsstand
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wegs sozialethisch orientierten Überlegung, daß der Rechtspflege dann in der Regel mit einer aufrichtigen Aussage mehr gedient ist als mit einer zufällig objektiv richtigen.34 Stellt man sich aber auf den Standpunkt der objektiven Theorie, wird man in der bewußten Lüge der Aussageperson doch einen gleichermaßen sozialethisch verwerflichen Akt sehen wie bei einer unwahrhaftigen Aussage. Beide Theorien lassen daher die Annahme eines sozialethisch verwerflichen Aktes zu. Die Entscheidung für die eine oder andere ist deshalb auch nicht dadurch bedingt, daß nur die subjektive die sachgemäße Berücksichtigung dieses Unwertes zuließe. Sie hängt vielmehr von einer rechtsgutsbezogenen Erwägung ab. Damit entfällt aber nicht nur die Erforderlichkeit, für die Frage der Sonderdeliktsnatur der Aussagedelikte in diesem Streit Partei zu beziehen. Es wird auch deutlich, daß die „Höchstpersönlichkeit" der Wahrheitspflicht keinen über die Eigenhändigkeit hinausgehenden Gehalt aufweist. Auch mit diesem Kriterium kann daher nicht bewiesen werden, daß die Aussagedelikte Sonderdelikte sind. Ein einleuchtendes Argument für den Sonderdeliktscharakter der Aussagedelikte leitet dagegen Vormbaum aus einem Vergleich der Strafdrohungen der §§ 153, 160 ab. Nach seiner Ansicht kann die Eigenhändigkeit der Ausssagedelikte die hier bestehende Diskrepanz der Strafrahmen nicht rechtfertigen, weil das Strafrecht unmittelbare und mittelbare Täterschaft prinzipiell gleich bewerte (§ 25 Abs. 1) und der Rechtsgutsangriff in § 160 sich nicht wesentlich von demjenigen in § 153 unterscheide. Es bleibe daher, wolle man die Diskrepanz der Rechtsfolgen wenigstens tendenziell rechtfertigen, nur die Erklärung, daß § 153 die Pflichtenstellung des Aussagenden berücksichtige.35 Es trifft zu, daß bei teleologischer Betrachtung die Rechtsfolgenunterschiede zwischen § 153 und § 160 am besten erklärt werden können, wenn man die Aussagedelikte als Sonderstraftaten begreift. 36 Jedoch kann diese Eigenart eben nicht nur damit bewiesen werden, daß sie einzelne Strafdrohungen zueinander ins rechte Verhältnis setzt. Entscheidend muß vielmehr sein, ob die Pflichtenstellung des Zeugen das Unrecht der Falschaussage tatsächlich modifiziert. Im Ergebnis ist daher im Schrifttum der Sonderdeliktscharakter der Aussagedelikte bisher weder widerlegt noch ausreichend bewiesen.
V. § 159 als Argument gegen die Sonderdeliktsnatur der Aussagedelikte? Unabhängig von der Frage, ob die Aussagedelikte die Merkmale eines Sonderdelikts aufweisen, könnte sich bereits aus § 159 ein entscheidender Einwand 34 35 36
LK-Willms, Vor § 153 Rz. 9. Vormbaum, S. 224 f. Vgl. dazu unten, Teil 2 C.II.3.
4 Deichmann
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Teil 2: Die Aussagedelikte
gegen ihre Sonderdeliktsnatur ergeben. § 159 erstreckt die sonst den Verbrechen vorbehaltene Vorschrift des § 30 Abs. 1 auf die Vergehen der §§ 153, 156. Daß der Gesetzgeber § 154 in der Vorschrift des § 159 nicht erwähnt, hat ersichtlich seinen Grund in der Vorstellung, daß § 30 wegen der technischen Verbrechensnatur des Meineides unmittelbar anwendbar sei. Selbst wenn daher die Aussagedelikte dem Begriff nach als Sonderdelikte anzusehen wären, könnte unter Beachtung des geltenden Rechts an dieser Einschätzung schwerlich festgehalten werden, wenn aufgrund dieser Annahme eine Strafbarkeit gemäß § 159 bzw. gemäß §§ 154, 30 Abs. 1 für extrane Teilnehmer nicht möglich wäre. Daß genau diese Konsequenz unter Zugrundelegung bestimmter Prämissen eintreten würde, ist nachfolgend zu erläutern. Zunächst ist also - insoweit ungeprüft - zu unterstellen, die Aussagedelikte seien Sonderdelikte. Wenn sodann der Strafgrund der Teilnahme in dem vom Teilnehmer selbst begangenen Unrecht liegt und dieser selbständige Unwert des Teilnehmerdelikts gerade bei den Sonderverbrechen besondere Bedeutung hat, ist die Forderung unabweisbar, daß die in Aussicht genommene Tat bei § 30 in der Person des Teilnehmers ein Verbrechen sein muß.37 Darin liegt für die Anwendung des § 30 auf die erfolglose Anstiftung zum Meineid kein Problem, wenn man davon ausgeht, daß § 28 Abs. 1 die technische Deliktsnatur nicht verändert, weil dann das io
Teilnehmerdelikt notwendig die Verbrechensqualität der Haupttat aufweist. § 28 Abs. 1 begründet jedoch erst die Strafbarkeit des extranen Teilnehmers am echten Sonderverbrechen. Es handelt sich daher im strengen Sinn nicht um eine Milderungsvorschrift, so daß es nahe liegt, sie aus dem Anwendungsbereich des § 12 Abs. 3 auszuscheiden. Demnach veränderte § 28 Abs. 1 doch die technische Deliktsnatur.39 Beim Meineid führte das zu dem Ergebnis, daß extrane Teilnehmer nicht wegen erfolgloser Anstiftung gem. §§ 154, 30 Abs. 1 strafbar sein können. Die Prämisse, daß § 28 Abs. 1 die technische Deliktsnatur verändert, müßte aber auch zu der Annahme führen, daß die von einem Extranen versuchte Anstiftung zu den Delikten der §§ 153, 156 straflos ist. Denn die durch § 159 gebotene „entsprechende Anwendung" des § 30 bedeutet nur, daß die Vorschrift so angewendet werden soll, als ob die Tatbestände der §§ 153, 156 Verbrechen wären. Selbst dann wäre aufgrund der Vorschrift des § 28 Abs. 1 die versuchte Teilnahme aber in der Person des extranen Anstifters kein Verbrechen. Es wäre, wollte man es anders sehen, auch nicht erklärbar, weshalb zwar die versuchte Anstiftung zum Meineid für den Extranen nicht nach §§ 154, 30 strafbar sein 37 38 39
Lackner, § 30 Rz. 2; Langer, Das Sonderverbrechen, S. 478; Schmidhäuser AT2 15/108. Schönke-Schröder-Cramer, § 30 Rz. 12, § 28 Rz. 8, 27; DreheryTröndle, § 12 Rz. 9. Langer, Das Sonderverbrechen, S. 491; vgl. auch oben Teil 1 B.I.4.e)
Α. Der Meinungsstand
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soll, die versuchte Extranenteilnahme bei den leichteren Delikten der §§ 153, 156 aber doch. Somit ergibt sich aus den hier vorangestellten Prämissen, daß den §§ 30, 159 bei den Aussagedelikten für die Extranenteilnahme kein Anwendungsbereich eröffnet wäre. Dieses Ergebnis stünde zwar im Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung40, deren Ergebnisse in diesem Punkt, soweit ersichtlich, auch noch nie in Zweifel gezogen wurden. Es dürfte ferner den kriminalpolitischen Zweck des § 159 verfehlen. Denn daß der Gesetzgeber mit dieser Vorschrift die Anstifterstrafbarkeit schon beim Versuch beginnen lassen wollte, deutet darauf hin, daß er gerade bei den Aussagedelikten, auch soweit sie nur Vergehen sind, dafür ein besonderes Bedürfnis erblickte. Dieser besondere Zweck der Vorschrift ist darin zu erblicken, daß die typischen, im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens stattfindenden Beeinflussungsversuche erfaßt werden sollten. Zu den typischen Anstiftern gehören aber gerade extrane Teilnehmer, nämlich Angeklagte und die Parteien eines Zivilprozesses, die sich von der Falschaussage Vorteile versprechen.41 Die hier erörterte Konsequenz ist indessen nicht zwingend mit der Annahme verbunden, daß die Aussagedelikte Sonderstraftaten sind. Denn an der weiteren Prämisse, daß die Vorschrift des § 28 Abs.l die technische Deliktsnatur verändere, weil es sich um eine die Strafbarkeit der Extranenteilnahme begründende Vorschrift, nicht aber um eine Milderungsregel handle, kann nicht festgehalten werden. Denn diese Annahme beruht auf einer Überbewertung der Funktion des § 28 Abs. 1 gegenüber seinem Wortlaut. § 28 Abs. 1 spricht nun einmal eindeutig von einer Strafe, die erst noch gemildert werden muß. Im Hinblick auf § 12 Abs. 3 kann dieser Formulierung das gewissermaßen nur gesetzestechnische Vorgehen des Gesetzgebers entnommen werden, daß der Strafrahmen und damit die technische Deliktsnatur zunächst einmal dem Tatbestand der Haupttat zu entnehmen sind. Diese nur „technische" Strafdrohung wird dann durch die Milderung auf den sachgerechten Strafrahmen zurückgeführt. Abgesehen von der Zusammenfassung der Begründungs- und Milderungsfunktion in einem Satz liegen die Dinge bei § 28 Abs. 1 daher nicht anders als bei der Vorschrift über die Gehilfenstrafbarkeit und über die Strafbarkeit des Beteiligungsversuchs. Bei den Vorschriften der §§ 27 Abs. 1, § 30 Abs. 1 S. 1 besteht kein Zweifel, daß sie erst die Strafbarkeit des dort geschilderten Tuns begründen.42 Und auch dort wird zunächst scheinbar die Täterstrafe bzw. die Versuchsstrafe angedroht. Aber auch 40
In der Rspr. wird als selbstverständlich vorausgesetzt, daß Extrane nach den §§ 30, 159 strafbar sein können; ζ. B. BGHSt 8,261; 24,38; RGSt 53,220; 59,372; 64,223. 41 Schönke-Schröder-Lenckner, § 159 Rz. 2. 42 Lackner, § 12 Rz. 4. 4*
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Teil 2: Die Aussagedelikte
diese Drohung ist nur „technisch". Wegen der obligatorischen Milderung droht von vornherein nur die gemilderte Strafe. Daraus, daß § 12 Abs. 3 aber nur von den „vorgesehenen" Milderungen spricht und nicht wie § 49 Abs. 1 nach obligatorischen und fakultativen Milderungen differenziert, ist zu entnehmen, daß auch die obligatorischen Milderungen erfaßt sein sollten, deren Funktion nur darin besteht, eine nur technisch gemeinte Strafdrohung auf das sachgerechte Maß zurückzuführen. Sie können deshalb als unechte Strafmilderungen bezeichnet werden. Dazu gehören nicht nur die Vorschriften der §§ 30 Abs. 1 S. 2, 27 Abs. 2 4 3 , sondern, ungeachtet der Zusammenfassung von Strafbegründungs- und Strafmilderungsfunktion in einem Satz, auch die Vorschrift des § 28 Abs. I . 4 4 Verändert aber § 28 Abs. 1 die technische Deliktsnatur nicht, ist den Vorschriften des § 159 und des § 30 Abs. 1 beim Meineid ihr herkömmlicher und dem kriminalpolitischen Sinn dieser Bestimmungen entsprechender Anwendungsbereich, nämlich die Strafbarkeit des von einem Extranen verübten Anstiftungsversuchs, eröffnet. Aus diesen Vorschriften kann daher nicht von vornherein ein Argument gegen die Sonderdeliktsnatur der Aussagedelikte abgeleitet werden. Diese Frage kann nur durch eine Untersuchung der einzelnen Tatbestände am Maßstab der Sonderdeliktsdefinition beantwortet werden. Vorweg soll jedoch noch geklärt werden, welches Rechtsgut den Aussagedelikten zugrunde liegt.
B. Das Rechtsgut der Aussagedelikte Das Rechtsgut der Aussagedelikte ist im vorliegenden Zusammenhang von besonderem Interesse, weil sich bei allen Aussagedelikten die Frage stellen wird, ob dieses Rechtsgut den Sondersubjekten ausschnitthaft zu besonderem Schutz überantwortet ist. Da nach überwiegend vertretener Ansicht45 sämtlichen Aussagedelikten dasselbe Rechtsgut zugrunde liegt, erscheint es angemessen, die Bestimmung des Rechtsguts schon an dieser Stelle für alle Aussagedelikte vorzunehmen.
I. Rechtspflege Als Rechtsgut der Aussagedelikte wird herkömmlich die staatliche Rechtspflege genannt.46 Daß diese Bestimmung des Rechtsguts jedoch ungenau ist, 43
Lackner, §12 Rz.4. Schönke-Schröder-Eser, §12 Rz.13; Dreher/Tröndle, §12 Rz.9; Langer, FS-Dünnebier, S. 442. 45 A.A.Herrmann, S. 127 ff. 46 Schönke-Schröder-Lenckner, Vor § 153 Rz.2; Lackner, Vor § 153 Rz.l; Dreher/Tröndle, Vor § 153 Rz.l; SK-Rudolphi, Vor § 153 Rz.2. 44
Β. Das Rechtsgut der Aussagedelikte
53
wird zumeist gleichfalls eingeräumt.47 Die Ungenauigkeit beruht dabei auf mehreren Umständen. Zunächst geht es nicht um den Bestand der Behörden, denen die Rechtspflege anvertraut ist - diese Institutionen werden als solche durch Falschaussagen nicht gefährdet - , vielmehr um die rechtspflegerische Aufgabe, also die Funktion der jeweiligen Behörde.48 Die richtige behördliche oder gerichtliche Entscheidung hängt unter anderem davon ab, daß zuvor der zutreffende Sachverhalt festgestellt wird. Auch diese Feststellung des Sachverhalts gehört zu den Aufgaben der Rechtspflegeorgane. Die Erfüllung dieser Aufgabe wird jedoch durch Falschaussagen gefährdet. 49 Mit der Rechtspflegefunktion der Sachverhaltsfeststellung ist daher das Rechtsgut der Aussagedelikte annähernd richtig umschrieben.
II. Ungenauigkeit des Begriffs „Rechtspflege" Auch wenn man die Rechtspflegefunktion der Sachverhaltsfeststellung in den Mittelpunkt der Betrachtung rückt, bleiben noch Ungenauigkeiten. Denn der Begriff der Rechtspflege ist mehrdeutig. Bei einem mehr formalen Verständnis bedeutet er die Tätigkeit und Aufgaben von Justizbehörden. Damit wäre das Rechtsgut aber wieder zu weit gefaßt, weil die Tätigkeit der Polizei bei der Verbrechensaufklärung und diejenige der Staatsanwaltschaft gegen Falschaussagen nicht strafrechtlich geschützt ist, 50 obwohl es sich bei ihnen um Justizbehörden handelt. Auf Schwierigkeiten stößt aber auch der Versuch, dem Begriff der Rechtspflege einen eindeutigen materiellen Gehalt abzugewinnen. Man könnte hier versuchen, Rechtspflege mit dem Begriff der rechtsprechenden Gewalt, wie er in Art. 92 GG vorausgesetzt ist, zu identifizieren. Aber unabhängig vom materiellen Kern des Begriffs Rechtsprechung51 wäre ein solches Verständnis des Begriffs Rechtspflege sicherlich zu eng. Denn die Aussagedelikte schützen nicht nur die durch Richter ausgeübte Rechtspflege, sondern auch diejenige, die den Rechtspflegern im Zusammenhang mit der Abnahme eidesstattlicher Versicherungen übertragen ist. 52 Und andererseits sind den Gerichten, insbesondere im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht nur Rechtsprechungsaufgaben, sondern auch - bei materiellem Verständnis - verwaltungsähnliche Aufgaben an47
Schönke-Schröder-Lenckner, Vor § 153 Rz.2; SK-Rudolphi, Vor § 153 Rz.2; Herrmann,
S.127. 48
SK-Rudolphi, Vor § 153 Rz.5; Herrmann, S. 130 f.; Langer FS-Wolf, S. 348. SK-Rudolphi, Vor § 153 Rz.5; BHSt 8,301 (309). 50 Es handelt sich nicht um „zur Abnahme von Eiden zuständige Stellen"; Schönke-Schröder-Lenckner § 154 Rz. 11; Dreher/Tröndle § 153 Rz. 2. 51 Vgl. dazu Maunz/Dürig/Herzog Art. 92 Rz. 42 ff. 52 § 20 Nr. 17 RPflG. 49
Teil 2: Die Aussagedelikte
54 CT
vertraut, z.B. die Führung des Handelsregisters oder die dem Bereich der Jugendwohlfahrt zuzurechnende Aufgabe der Genehmigung bestimmter Geschäfte der Eltern oder des Vormunds(§§ 1643,1821,1822 BGB). Schließlich kann der Begriff der Rechtspflege weder in seiner formellen noch in seiner materiellen Bedeutung das Rechtsgut der Aussagedelikte exakt erfassen, weil deren Tatbestände auch Falschaussagen vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen bzw. bestimmten Patentbehörden sowie falsche eidesstattliche Versicherungen vor anderen Verwaltungsbehörden erfassen. 54 Die Kennzeichnung der Aufgaben dieser weiteren staatlichen Stellen als rechtspflegeähnliche Tätigkeit55 hilft hier nicht weiter, denn die Tätigkeit eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses weist solche Ähnlichkeiten sicher nicht auf. Dies gilt auch für die Tätigkeit reiner Verwaltungsbehörden, auch wenn sie ausnahmsweise befugt sind, eidesstattliche Versicherungen abzunehmen.
III. Zusammenfassung Zusammenfassend ist daher festzustellen, daß neben den sozusagen klassischen Rechtspflegeaufgaben, zu deren Erfüllung Sachverhaltsfeststellungen mit Hilfe einer förmlichen Beweisaufnahme unumgänglich sind, also insbesondere den Erkenntnisverfahren des Straf- und Zivilprozesses, weitere für das Gemeinwohl besonders bedeutsame Staatsaufgaben zu ihrer sachgerechten Erfüllung Sachverhaltsfeststellungen in besonderen, förmlichen Verfahren erfordern. Wegen der besonderen Bedeutung der Staatsaufgabe, der die Sachverhaltsfeststellung jeweils dient, erscheint die Funktion der Sachverhaltsfeststellung selbst als ein besonders wertvolles Gemeinschaftsgut. Bleibt man sich dann der Tatsache bewußt, daß mit dem Terminus Rechtspflege die Aufgaben, deren Erfüllung die Sachverhaltsfeststellung jeweils dient, nur recht ungenau bezeichnet sind, kann das Rechtsgut der Aussagedelikte, das in der unbeeinträchtigten Sachverhaltsfeststellung als einer Aufgabe bestimmter Staatsorgane besteht, schlagwortartig als Rechtspflege bezeichnet werden.56
IV. Private Rechte als Rechtsgut des § 156 Diese Bestimmung des Rechtsguts ist allerdings im Bereich des § 156 einem Einwand ausgesetzt. Soweit nämlich mit Hilfe der eidesstattlichen Versicherung 53 54 55 56
Maunz/Dürig/Herzog Art. 92 Rz. 53,58; BVerwG 8,350(353); BGH L M Nr. 2 zu § 16 FGG. Schönke-Schröder-Lenckner § 154 Rz. 11, § 156 Rz. 17f. SK-Rudolphi, Vor § 153 Rz. 3. SK-Rudolphi, Vor § 153 Rz. 3; Herrmann, S. 127.
Β. Das Rechtsgut der Aussagedelikte
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die Vollständigkeit und Richtigkeit bestimmter Verzeichnisse oder sonstiger Auskünfte bewiesen werden soll, wird vertreten, daß insoweit der Tatbestand des § 156 nur private Rechte, nicht aber die Rechtspflege schütze. Denn der jeweilige Anspruch auf Abgabe einer solchen Versicherung diene nur der Durchsetzung oder Verwirklichung des privaten Rechts; das die Versicherung abnehmende Organ setze sich mit der Richtigkeit des Verzeichnisses auch nicht auseinander; schließlich würden durch die Aufnahme des Verzeichnisses oder die Abgabe der geforderten Erklärung auch keine weiteren gerichtlichen Schritte veranlaßt.57 Diese Argumente rechtfertigen jedoch nicht den Schluß, daß in diesen Fällen nicht die zutreffende Sachverhaltsfeststellung durch Gerichte, sondern nur private Rechte geschützt werden. Es trifft zwar zu, daß die Sachverhaltsfeststellung, die in jenen Verfahren stattfindet, dem Schutz privater Rechte dient. Dies ist jedoch keine Besonderheit gerade dieser Verfahren. Denn der gesamte Zivilprozeß dient der Durchsetzung bzw. dem Schutz privater Rechte58, ohne daß man deshalb auf den Gedanken verfiele, auch der Sachverhaltsfeststellung im Erkenntnisverfahren ihren Eigenwert als Rechtsgut der Aussagedelikte abzusprechen. Auch das Fehlen einer Beweiswürdigung spricht nicht dagegen, die Aufgabe der gerichtlichen Sachverhaltsfeststellung hier gleichfalls als Schutzgut anzusehen. Das die Versicherung abnehmende Gericht faßt das Ergebnis des für die Abnahme bestimmten Termins zwar nicht eigens in Form eines Tatbestandes zusammen. Das die Erklärungen des Schuldners und seine eidesstattliche Versicherung enthaltende Protokoll ist jedoch nicht einfach das Ergebnis aufzeichnender, reproduzierender Tätigkeit. Dafür bedürfte es tatsächlich nicht der Mitwirkung des Gerichts. Der Rechtspfleger wirkt vielmehr an dem Zustandekommen der jeweiligen Erklärung durch geeignete Fragen und Hinweise mit. Die Schwierigkeiten, die etwa die Erstellung eines Vermögensverzeichnisses mit sich bringt, werden von vielen Schuldnern nur anhand der dafür vorgesehenen, auf Vollständigkeit angelegten Formblätter mit Hilfe des Rechtspflegers bewältigt. Die Aufgabe des Gerichts, für vollständige und sorgfältig erteilte Auskunft zu sorgen, kommt auch in den §§ 259 Abs. 2, 260 Abs. 2 BGB zum Ausdruck. Wenn sich die Aufgabe des Gerichts in diesen Fällen auf die bloße Protokollierung beschränkte, wäre nicht einzusehen, weshalb die eidesstattliche Versicherung größere Sorgfalt als eine schlichte Erklärung verbürgen sollte. Die dem Rechtspfleger bei der Abnahme derartiger Versicherungen obliegende Aufgabe unterscheidet sich daher nur durch das Fehlen einer abschließenden Beweiswürdigung, im übrigen aber nicht wesentlich von sonstigen gerichtlichen 57 58
Herrmann, S. 127 ff.; SK-Rudolphi, Vor § 153 Rz. 7. Rosenberg-Schwab, S. 2 f.
56
Teil 2: Die Aussagedelikte
Aufgaben bei der Erhebung von Beweisen. Die gerichtliche Erhebung soll gerade die bestmögliche Ausschöpfung des jeweiligen Beweismittels gewährleisten. Schließlich trifft der Einwand, daß nach Abnahme der eidesstattlichen Versicherung keine Tätigkeit von Amts wegen beginne, gleichfalls nicht den entscheidenden Punkt. Lediglich die Verknüpfung von Sachverhaltsfeststellung und aufgrund dieser Feststellung zu treffender gerichtlicher Entscheidung ist hier nicht so unmittelbar wie im Erkenntnisverfahren, bei dem der Beweisaufnahme und der streitigen Verhandlung i. d. R. die Urteilsverkündung folgt. Analysiert man jedoch die Funktion der Auskunftsansprüche genauer, erkennt man auch hier einen solchen Zusammenhang. Verfahren zur Abnahme eidesstattlicher Versicherungen in den hier erörterten Fällen sind isolierte Beweiserhebungsverfahren. Im Unterschied zum Erkenntnisverfahren wird nicht über bestimmte, substantiierte Behauptungen Beweis erhoben; es erfolgt vielmehr eine Ausforschung des Schuldners hinsichtlich seiner Einnahmen und Ausgaben (§ 259 BGB), der in seinem Besitz befindlichen Gegenstände (§§ 260 BGB, 883 Abs. 2 ZPO) oder seiner Vermögensverhältnisse (§ 807 ZPO). Diese Ausforschung dient der Vorbereitung anderer gerichtlicher Maßnahmen, die zu veranlassen der Gläubiger in die Lage versetzt werden soll. Was zunächst die Auskunfts- und Rechnungslegungsansprüche angeht, wird dieser Zusammenhang durch § 254 ZPO verdeutlicht. Der Kläger, der überzeugt ist, daß er eine Leistung verlangen kann, steht vor der mißlichen Situation, den Umfang seines Anspruchs nicht zu kennen. Er kann daher in diesen Fällen seiner Substantiierungspflicht gem. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nicht nachkommen. Seine Rechtsverfolgung würde also scheitern, obwohl unter Umständen das anspruchsbegründende Verhältnis, etwa der Auftrag, völlig unstreitig ist. Wegen der für den Kläger bestehenden Undurchsichtigkeit der Verhältnisse des Gegners und der daraus resultierenden „Behauptungsnot" gewährt die Rechtsordnung einen Auskunftsanspruch 59 und befreit den Kläger bis zur Erfüllung dieses Anspruchs von der Substantiierungspflicht. 60 Die aufgrund der erteilten Auskunft nachgeholten Angaben werden jedoch ohne weiteres Grundlage der Entscheidung über den Hauptanspruch. Denn wegen des vorangegangenen Verfahrens zur Abnahme der eidesstattlichen Versicherung können sie i. d. R. nicht streitig sein. Fehler bei der Sachverhaltsfeststellung in diesem Verfahren wirken sich deshalb in der Hauptsache unmittelbar aus. Das Gericht wird aufgrund der falschen Tatsachengrundlage unvermeidlich eine materiell falsche, nämlich das Recht des Gläubigers verkürzende, Entscheidung treffen. Hierin erweist sich der Zusammenhang zwischen dem gerichtlichen Verfahren zur Abnahme einer eidesstattlichen Versicherung und der durch diese Sachverhaltsfeststellung bedingten Entscheidung. 59 60
Larenz, Schuldrecht I, S. 187. Zöller §254 Rz.l.
C. Falsche uneidliche Aussage
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Auch im Fall des § 807 ZPO dient die Ermittlung der Vermögensverhältnisse des Schuldners mittelbar der Vorbereitung einer gerichtlichen Maßnahme. Durch das Vermögensverzeichnis soll der Gläubiger in die Lage versetzt werden, bestimmte Vollstreckungsmaßnahmen zu beantragen, wozu er mangels näherer Kenntnisse der Vermögensverhältnisse des Schuldners ansonsten nicht in der Lage wäre. Auf dem Weg über den Vollstreckungsantrag führt also auch hier die Sachverhaltsfeststellung zu einer durch sie bedingten Entscheidung. Lügt der Schuldner bei der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung, indem er pfändbare Vermögenswerte verschweigt, ergeht in diesen Fällen zwar keine Fehlentscheidung eines Gerichts. Das Unterbleiben einer staatlichen Vollstrekkungsmaßnahme infolge des Unvermögens des Gläubigers, bestimmte Maßnahmen zu beantragen, stellt jedoch gleichfalls eine Beeinträchtigung der Rechtspflege dar, weil infolge der falschen Ermittlung der Vermögensverhältnisse des Schuldners die Rechtspflegeaufgabe, bei der Durchsetzung titulierter Rechte zu helfen, unerfüllt bleibt. Damit steht fest, daß § 156, auch soweit er eidesstattliche Versicherungen in den hier erörterten Fällen betrifft, die zutreffende gerichtliche Sachverhaltsfeststellung als notwendige Voraussetzung zutreffender gerichtlicher Entscheidungen schützt.61 V. Kein sakrales Moment bei § 154 Daß schließlich auch § 154 nur dieses Rechtsgut schützt und nicht durch sakrale Momente ergänzt wird 62 , bedarf an dieser Stelle nur noch der Erwähnung, jedoch keiner weiteren Erörterung. Damit steht fest, daß allen Aussagedelikten ein einheitliches Rechtsgut zugrunde liegt. Es besteht in der Funktion bestimmter staatlicher Stellen, vorwiegend der Gerichte, Sachverhalte festzustellen.
C. Falsche uneidliche Aussage I. Tatbestandliche Subjektskreiseinschränkung Die Prüfung, ob das Vergehen der falschen uneidlichen Aussage gemäß § 153 eine Sonderstraftat ist, beginnt zweckmäßigerweise mit der Frage nach dem 61
Im Ergebnis ebenso LK-Willms, Vor § 153 Rz.5; Hirsch ZStW 1976, S. 763 f.; Vormbaum, S. 223f. 62 BGHSt 8,301 (309).
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Teil 2: Die Aussagedelikte
Sonderunrechtstatbestand, d. h. mit der Frage, ob der Tatbestand des § 153 ein Merkmal aufweist, das abstrakt geeignet ist, Sonderunrecht zu vertypen. Denn diese Frage ist relativ einfach zu beantworten, da es sich um ein mehr formales Problem handelt. Dabei sei aber nochmals betont, daß die im Hinblick auf eine bestimmte soziale Stellung erfolgte, tatbestandliche Einschränkung des Kreises der Deliktssubjekte nur eine notwendige Bedingung für das Vorliegen einer Sonderstraftat darstellt. Ob einem solchen Merkmal tatsächlich ein materielles Sonderunrecht zugrunde liegt, muß unabhängig vom Bestehen einer Subjektskreiseinschränkung beantwortet werden.63 Die Einschränkung des Kreises möglicher Deliktssubjekte im Hinblick auf deren besondere soziale Stellung kann sich bei § 153 nur aus der Wendung „Wer ... als Zeuge oder Sachverständiger ... aussagt" ergeben. Zeugen und Sachverständige bekleiden in gerichtlichen und in den anderen, in § 153 angesprochenen Verfahren eine bestimmte Verfahrensrolle. Diese besondere Funktion der Zeugen und Sachverständigen kann als soziale Stellung der betreffenden Personen angesehen werden, auch wenn der Zeuge oder Sachverständige nicht dauernd, sondern eben nur im Rahmen des betreffenden Verfahrens diese Rolle bekleidet. Denn zu der sozialen Stellung, um welche es hier geht, gehört nicht notwendig, daß sie auf Dauer angelegt ist, wie dies bei der Zugehörigkeit zu bestimmten Berufsgruppen oder bei familiemechtlichen Verhältnissen der Fall ist. Auch ein zeitlich und gegenständlich eng begrenzter rechtlicher Status unterfällt dem hier weit verstandenen Begriff der sozialen Stellung.64 Daß eine derartige Stellung in einem Verfahren abstrakt geeignet ist, ein Sonderunrecht zu begründen, können auch einige Beispiele aus dem Bereich unumstrittener Sonderstraftaten belegen. Denn auf die besondere, vorübergehende Rolle in einem Verfahren und nicht nur auf die dauernde Eigenschaft als Amtsträger wird auch in den §§ 344, 345, 258a, 174b abgestellt. Somit besteht bei dem Tatbestandsmerkmal „als Zeuge oder Sachverständiger" die Möglichkeit, es als Einschränkung des Kreises möglicher Deliktssubjekte, die gerade im Hinblick auf deren besondere Verfahrensrolle erfolgt ist, aufzufassen. Damit existiert jedenfalls die tatbestandliche Form, durch die der Gesetzgeber ein Sonderunrecht beschrieben haben könnte.
II. Begründung materiellen Sonderunrechts durch die Subjektskreiseinschränkung Nunmehr ist zu untersuchen, ob in dem Tatbestandsmerkmal „als Zeuge oder Sachverständiger" tatsächlich ein materielles Sonderunrecht vertypt ist. 63 64
Vgl. oben Teil 1 B.IV., B.II.2.b) und Langer, FS-Wolf, S. 346. Vgl. oben Teil 1 B.II.3.b).
C. Falsche uneidliche Aussage
59
1. Gemeinunrecht als Sachgehalt der Subjektskreiseinschränkung? Dieser Frage kann man sich zunächst auf einem Umweg nähern. Es spricht viel dafür, daß ein Sonderunrecht vorliegt, wenn ein sonstiger sachlicher Gehalt dieses Tatbestandsmerkmals nicht nachgewiesen werden kann. Dabei ist zunächst evident, daß der dem Tatbestandsmerkmal „als Zeuge oder Sachverständiger" zugrunde liegende Gehalt nicht auf der Ebene der Schuld liegt. Denn es geht hier nicht um einen selbständigen Gesinnungsunwert, wie er etwa bei den besonderen Schuldmerkmalen der Roheit in § 223b oder der Rücksichtslosigkeit in § 315c Abs. 1 Nr. 2 vorausgesetzt ist. Ausgeschlossen ist ferner, daß nur die Ebene der Strafwürdigkeit betroffen ist. Dagegen spricht die Existenz des § 160. Denn diese Vorschrift beweist, daß der Gesetzgeber die Verletzung des Rechtsgutes der Aussagedelikte nicht erst für strafwürdig hält, wenn sie durch Zeugen oder Sachverständige erfolgt, sondern schon dann, wenn sie durch einen beliebigen Dritten bewirkt wird. Der Sachgehalt des hier untersuchten Tatbestandsmerkmals kann daher nur auf der Unrechtsebene gefunden werden. Hier besteht die Möglichkeit, daß dieses Merkmal nur die tatbestandliche Art der Rechtsgutsverletzung, also die Tathandlung, näher kennzeichnet und daher nur Gemeinunrecht vertypt oder eben ein Sonderunrecht beschreibt. Der Wortlaut des Gesetzes läßt beide Deutungen zu. 65 Die Wendung „als Zeuge oder Sachverständiger" kann als Attribut des „Wer" verstanden werden und spricht dann mehr für ein Sonderunrecht. Sie kann aber auch auf das Wort „aussagen" bezogen werden und ergibt dann eine nähere Kennzeichnung der Tathandlung, also das Aussagen als Zeuge oder Sachverständiger. Der für die unmittelbare Anwendung des § 153 bedeutsame Unterschied dieser beiden Möglichkeiten liegt in folgendem. Wenn es sich um eine nähere Kennzeichnung der Tathandlung handelt, kann das Merkmal auch durch einen Täter erfüllt werden, der in Wahrheit die Rolle eines Zeugen oder Sachverständigen gar nicht einnimmt. Denn auch eine solche Person kann „als Zeuge oder Sachverständiger aussagen", also aussagen, als ob sie Zeuge oder Sachverständiger wäre. Dagegen könnte das Sonderunrecht des Zeugen oder Sachverständigen nur durch einen Täter verwirklicht werden, der in dem betreffenden Verfahren diese Position auch wirklich einnimmt. Entscheidungserheblich wurde diese Frage in folgendem, vom BGH zu entscheidenden Fall: 66 Die StA führte ein Ermittlungsverfahren „gegen Unbekannt", obwohl sie u. a. auch gegen den Angeklagten Verdacht schöpfte. Der Angeklagte wurde vom 65 66
Langer, FS-Wolf, S. 348. BGHSt 10,8.
60
Teil 2: Die Aussagedelikte
Ermittlungsrichter eidlich vernommen. Unter Berufung auf den früheren Eid machte er bei einer weiteren Vernehmung vor dem Ermittlungsrichter eine falsche Aussage. An der Entscheidung dieses Falles ist für den vorliegenden Zusammenhang weniger interessant, daß der BGH bezweifelte, daß der Angeklagte in dem Ermittlungsverfahren Zeuge war, weil er möglicherweise wegen Ermessensmißbrauchs der StA als Beschuldigter angesehen werden mußte und diese Verfahrensrollen nicht einer Person gleichzeitig zufallen können.67 Interessanter ist vielmehr der unausgesprochene Ausgangspunkt der Entscheidung, der nach Ansicht des BGH keiner weiteren Begründung bedurfte, daß nämlich ein vollendeter Meineid (und demgemäß eine vollendete uneidliche Falschaussage) nur vorliegt, wenn der Täter tatsächlich Zeuge ist. Die Deutung des Merkmals „als Zeuge aussagen" im Sinne einer Kennzeichnung der Tathandlung, für die es genügen könnte, daß der Täter aussagt, als ob er Zeuge wäre, wird vom BGH nicht einmal erwogen. Der Sache nach behandelt das Gericht daher Meineid und falsche uneidliche Aussage als Sonderstraftaten. Diese Einordnung hätte allerdings einer Begründung bedurft, da der Gesetzeswortlaut zumindest bei § 153 auch eine Deutung als Gemeinstraftat zuläßt. Wegen der Mehrdeutigkeit des Wortlautes kann diese Frage jedoch nicht allein mit Hilfe der grammatischen Auslegung entschieden werden. Im folgenden soll deshalb anhand teleologischer und systematischer Erwägungen und schließlich durch unmittelbare Anwendung der Begriffsbestimmung des materiellen Sonderunrechts geklärt werden, ob das Merkmal „als Zeuge oder Sachverständiger" Sonderunrecht oder nur Gemeinumecht beschreibt.
2. Das teleologische Argument Für das Sonderunrecht spricht zunächst eine an den Rechtsfolgen orientierte Überlegung. Im Schrifttum wird immer wieder festgestellt, daß die Anstiftung zur falschen uneidlichen Aussage gemäß §§ 153, 26 mit ungleich höherer Strafe bedroht ist als die Verleitung zur falschen uneidlichen Aussage.68 Scheinbar besteht hier auch eine erhebliche Diskrepanz der Strafrahmen von einerseits 3 Monaten bis zu 5 Jahren Freiheitsstrafe und andererseits von bis zu 6 Monaten Freiheitsstrafe oder entsprechender Geldstrafe. Diese Ungereimtheit der Rechtsfolgen wird besonders deutlich, wenn der Anwendungsbereich des 67
BGHSt 10,8 (10,12). Gallas, FS-Engisch, S. 601, 603; LK-Willms § 160 Vor Rz. 1; Maurach/Schroeder/Maiwald BT2, S. 235; Binding, Lehrbuch III, S. 167. 68
C. Falsche uneidliche Aussage
61
§160 auf die Fälle beschränkt wird, in denen der Verleitete gutgläubig falsch aussagt oder der Verleitende zumindest eine gutgläubige Falschaussage intendiert, in anderen Fällen „mittelbarer Täterschaft" - etwa bei Nötigung des Zeugen zu einer Falschaussage - aber wegen Anstiftung zur Falschaussage bestraft wird. 69 Wenn diese Fälle der Sache nach gleichermaßen mittelbare Täterschaft sind, bedarf ihre unterschiedliche Behandlung in den Rechtsfolgen einer sachlichen Rechtfertigung. Eine solche Erklärung wird aber in Schrifttum und Rechtsprechung nicht gegeben. Die Deutung des § 160 als Grundtatbestand der Veranlassung einer falschen (eidlichen oder uneidlichen) Aussage70 gibt ihrerseits keinen Grund an, weshalb die gleichfalls unter diesen Tatbestand subsumierbaren Fälle der Anstiftung zu § 153 bzw. 154 schärfere Strafe verdienen, sondern nimmt diese Sachlage als gesetzgeberische Entscheidung hin. Dasselbe gilt für die Lehre, § 160 habe nur eine Ergänzungsfunktion und sei daher nur auf η
ι
Fälle anwendbar, die nicht als Anstiftung erfaßt werden können. Daß dies keine Erklärung für den erheblichen Rechtsfolgenunterschied ist, wird dort auch eingeräumt. Denn die Regelung des § 160 sei nur historisch begründbar und habe allenfalls im Bereich des Falscheides ihre sachliche Berechtigung gehabt, solange man dem vorsätzliceh Falscheid, also dem Meineid, noch ein Moment sakralen Unwerts beigelegt habe. Für die uneidliche Falschaussage habe die milde Strafandrohung des § 160 aber noch nie eine sachliche Berechtigung gehabt.72 Resignierend wird demgemäß beständig wiederholt, daß § 160 eine unbegreiflich milde Strafdrohung enthalte.73 Eine sachliche Rechtfertigung der erheblichen Rechtsfolgenunterschiede haben im Schrifttum bisher nur Gallas74und Vormbaum75 versucht. Gallas ist der Ansicht, daß die strengere Bestrafung der Herbeiführung einer vorsätzlichen Falschaussage als Anstiftung darin ihren Grund habe, daß der Angestiftete nicht nur das Rechtsgut der Aussagedelikte verletze, sondern darüberhinaus ein personales Unrecht verwirkliche. Dieses zusätzliche Unrecht unterscheide ihn von einem zu einer gutgläubigen Falschaussage Verleiteten. In diesem Unterschied finde daher auch die strengere Bestrafung des Anstifters gegenüber dem Verleitenden ihre Rechtfertigung. 69
Schönke-Schröder-Lenckner, § 160 Rz.l; Lackner, §160 Rz. 2; LK-Willms § 160 Rz. 1; BGHSt 21,116 (117 f.). 70 Hruschka JZ 67, S. 211 f. 71 Schönke-Schröder-Lenckner, § 160 Rz. 1. 72 Schönke-Schröder-Lenckner, § 160 Rz. 3. 73 Schon seit Binding, Lehrbuch I I I , S. 167. 74 Vgl zum folgenden Gallas, FS-Engisch, S. 607 f., 612 ff.; ihm zustimmend LK-Willms § 160 Rz. 1. 75 Vormbaum, S. 282 ff.
62
Teil 2: Die Aussagedelikte
Diese Erklärung überzeugt jedoch nicht. Es ist bereits oben76 erörtert worden, daß die bewußte Pervertierung der Zeugenrolle kein selbständiges personales Unrecht darstellt. Darauf kommt es jedoch im vorliegenden Zusammenhang nicht entscheidend an. Ausschlaggebend ist vielmehr, daß ein besonderes personales Umecht des Angestifteten eine schärfere Bestrafung des Anstifters nicht begründen könnte. Denn die personale Qualität dieses Umechts schließt seine Zurechnung zur Tat des Teilnehmers gerade aus. Eine sachliche Erklärung der im Vergleich zu § 160 verschärften Anstifterstrafe gibt es daher nicht. Das Scheitern dieser Versuche weist vielmehr daraufhin, daß schon der Ausgangspunkt dieser Überlegungen, nämlich die prinzipielle Berechtigung der strengen Anstifterstrafe, unzutreffend ist. Vielmehr könnte der umgekehrte Standpunkt richtig sein: Die milderen Strafrahmen des § 160 sind möglicherweise der Tendenz nach zutreffend, während die strengeren Strafdrohungen gegen die Anstiftung nicht zu rechtfertigen sind. Diese Behauptung trifft genau dann zu, wenn die Aussagedelikte Sonderdelikte sind. Denn dann zeigt § 160, daß Außenstehenden das Sonderunrecht des Zeugen gerade nicht zugerechnet werden kann und deshalb eine mildere Strafe angezeigt ist. 77 Bei dieser Sicht der Dinge ergibt sich die Harmonisierung der Rechtsfolgenunterschiede zwischen § 160 und der Anstifterstrafbarkeit zwanglos aus den §§ 26, 28 Abs. 1,49, und zwar in Richtung auf mildere Anstifterstrafen. Dabei ist zwar zuzugeben, daß auch bei Anwendung des § 28 Abs. 1 im Bereich der Höchststrafen, insbesondere beim Meineid, nach wie vor erhebliche Differenzen bestehen. Die Aussagedelikte als Sonderdelikte aufzufassen und deshalb § 28 Abs. 1 auf Teilnehmer anzuwenden, beseitigt aber zumindest bei § 153 das erhöhte Mindestmaß der Freiheitsstrafe und senkt es bei § 154 so ab, daß gemäß § 47 Abs. 2 in geeigneten Fällen Geldstrafe verhängt werden kann. Damit dürfte zumindest in praktischer Hinsicht der Widerspruch zwischen den Anstifterstrafen gemäß §§ 153, 154, 26 und den Strafen gemäß § 160 in gerechter Weise gelöst sein. Zusammenfassend kann daher gesagt werden, daß die Rechtsfolgendiskrepanz zwischen § 160 und den ungemilderten Anstifterstrafen gemäß §§ 157, 154, 26 sachlich nicht erklärt werden kann. Eine Harmonisierung der Rechtsfolgen und damit eine teleologische Stimmigkeit des Gesetzes läßt sich jedoch erzielen, wenn auf die Anstifter §§ 26, 28 Abs. 1,49 angewendet werden. Die Tatsache, daß nur unter dieser Voraussetzung eine einigermaßen befriedigende Abstimmung der Rechtsfolgen aufeinander erzielt werden kann, spricht dafür, daß es sich bei den Aussagedelikten um Sonderdelikte handelt.
76 77
Vgl. oben Teil 2 A.IV. In diesem Sinne Vormbaum, S. 284.
C. Falsche uneidliche Aussage
63
3. Der Vergleich mit den §§ 348,271 Ein weiteres Argument für die Sonderdeliktsnatur der falschen uneidlichen Aussage ergibt sich aus einem Vergleich der Tatbestände der §§ 153,160 mit denen der §§ 348, 271. Es entspricht allgemeiner Ansicht, daß § 348 ein Amtsdelikt und damit eine Sonderstraftat darstellt. 78 Extrane können diese Straftat daher weder in unmittelbarer noch in mittelbarer Täterschaft begehen. Die Strafbarkeitslücke, die sich aus der Unmöglichkeit mittelbarer Täterschaft ergibt, wird teilweise nach Teilnahmegrundsätzen geschlossen, ζ. B. wenn ein Außenstehender einen Amtsträger zur Falschbeurkundung nötigt, §§ 348 Abs. 1, 26, 28 Abs. I . 7 9 Soweit jedoch der Beamte getäuscht wird, scheidet Teilnahme mangels vorsätzlicher Haupttat aus. In diesen Fällen greift § 271 ein. Der Grund, der eine selbständig vertatbestandlichte, mittelbare Täterschaft nach Art des § 271 erfordert, liegt daher in dem Sonderdeliktscharakter des § 348. Damit stellt sich die Frage, ob die Dinge im Verhältnis von § 160 und § 153 nicht ebenso liegen. Im allgemeinen wird aus der Existenz des § 160 geschlossen, daß bei den Aussagedelikten der §§ 153, 154, 156 mittelbare Täterschaft nach allgemeinen Regeln ausgeschlossen sei. Der Grund dieser Unmöglichkeit wird jedoch im Unterschied zu § 271 nicht in der Sonderdeliktsnatur, sondern in der Eigenhändigkeit dieser Straftaten gesehen. Eine nähere Begründung, weshalb hier eigenhändige Delikte vorliegen sollen, wird zumeist nicht gegeben, sondern nur die Definition der Eigenhändigkeit wiederholt, nämlich, daß Täter nur sein könne, wer selbst aussage bzw. schwöre und deshalb mittelbare Täterschaft ausgeschlossen sei. 80 Ob es sich bei den Aussagedelikten tatsächlich um eigenhändige Delikte handelt, kann hier jedoch nicht abschließend geklärt werden. Denn dazu wäre die Klärung des Begriffes der Eigenhändigkeit erforderlich, was hier nicht eingehend geleistet werden kann. Aufschlußreich ist jedoch, daß die Autoren, die sich mit der Eigenhändigkeit der Aussagedelikte näher befassen, ausdrücklich oder der Sache nach den Sonderdeliktscharakter dieser Straftaten in den Vordergrund rücken. Roxin spricht den Aussagedelikten die Eigenschaft, eigenhändige Delikte zu sein, mit der Begründung ab, täterschaftsbegründend sei nicht der Akt des Sprechens, sondern die Verletzung der Wahrheitspflicht, die nur den Zeugen binde.81 78 Schönke-Schröder-Cramer, § 348 Rz. 1; Lackner, § 348 Rz. 1; LK-Tröndle, § 348 Rz. 2; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT2 S. 159. 79 Schönke-Schröder-Cramer, § 348 Rz. 6; ders., § 271 Rz. 2. 80 Lackner, § 160 Rz.l; Vor § 153 Rz. 7; Schönke-Schröder-Lenckner, Vor § 153 Rz. 33; LK-Willms, Vor § 153 Rz. 7; Dreher/Tröndle, Vor § 153 Rz. 13. 81 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 394.
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Teil 2: Die Aussagedelikte
Abgesehen davon, daß nach der hier vertretenen Auffassung die Wahrheitspflicht kein ein Sonderunrecht begründendes Merkmal ist, ist festzuhalten, daß nach dieser Ansicht § 160 Strafbarkeitslücken schließen soll, die aus der Unmöglichkeit mittelbarer Täterschaft eines Extranen bei den Sonderdelikten herrühren. Auch für Gallas ist mittelbare Täterschaft bei den Aussagedelikten nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Täterschaft die persönliche Vornahme des Aussageaktes voraussetzt.82 Wenn Gallas gleichwohl zu einer Einschätzung der Aussagedelikte als ihrem Wesen nach eigenhändiger Delikte kommt, so beruht dies, wie schon erörtert, auf einer unzutreffenden Benennung. Die von Gallas in den Vordergrund gerückte Verletzung des besonderen sozialethischen Wertes der Wahrhaftigkeit 83 ist der Sache nach kein Kriterium der Eigenhändigkeit, sondern eines besonderen personalen Umechts, das ein Sonderdelikt kennzeichnet. Aus diesen Äußerungen kann geschlossen werden, daß die Existenz des § 160 letztlich den gleichen Grund hat, der auch § 271 zugrundeliegt, nämlich die Unmöglichkeit der mittelbaren Täterschaft eines Nichtqualifizierten bei den Sonderdelikten. Klarheit über den sachlichen Gehalt des Merkmals „als Zeuge oder Sachverständiger" kann jedoch letztlich nur seine Analyse anhand der Begriffsbestimmung des materiellen Sonderunrechts schaffen. Sie soll zunächst für den Zeugen vorgenommen werden.
4. Schlüsselstellung und Überantwortung
beim Zeugen
Materielles Sonderunrecht liegt vor, wenn ein bestimmter Personenkreis aufgrund seiner sozialen Position eine Schlüsselstellung hinsichtlich der Unversehrtheit der in seinem Einflußbereich befindlichen Gemeinschaftswertobjekte einnimmt und deshalb die Rechtsgemeinschaft diesem Personenkreis den Schutz dieser Objekte besonders anvertraut. 84 Daher ist zu klären, ob der Zeuge bei seiner Aussage vor Gericht oder einer anderen zur eidlichen Vernehmung von Zeugen zuständigen Stelle hinsichtlich eines bestimmten Ausschnitts aus dem Rechtsgut der Aussagedelikte eine solche Schlüsselstellung einnimmt und ihm deshalb dieses Rechtsgut ausschnitthaft zu besonderem Schutz überantwortet ist. Das Rechtsgut der Aussagedelikte ist die Funktion der Sachverhaltsfeststellung, die bestimmten staatlichen Stellen übertragen ist. 82 83 84
Gallas, FS-Engisch, S. 613. Gallas, FS-Engisch, S. 607,614. Vgl. oben Teil 1 B.II.3.b), c).
C. Falsche uneidliche Aussage
65
a) Schlüsselstellung Bezüglich welchen Ausschnittes aus diesem Rechtsgut könnte den Zeugen eine Schlüsselstellung für die Unversehrtheit dieses Gutes zukommen? Die Funktion bestimmter Staatsorgane, einen Sachverhalt festzustellen, konkretisiert sich in den einzelnen Verfahren, in denen sie diese Aufgabe wahrnehmen. Da die Stellung als Zeuge nur innerhalb bestimmter, einzelner Verfahren besteht, können Zeugen auch nur bezüglich der Sachverhaltsfeststellung in dem jeweiligen Verfahren eine Schlüsselstellung für die unbeeinträchtigte Erfüllung dieser Aufgabe einnehmen. In diesem begrenzten Umfang verfügen Zeugen jedoch über herausgehobene, auf einer sozialen Stellung beruhende Möglichkeiten der Einflußnahme auf diesen Ausschnitt des Rechtsguts. Denn die Zeugen gehören zu den Beweismitteln, also zu einem eng umgrenzten Kreis von Personen und Gegenständen, denen in den hier interessierenden förmlichen Beweisverfahren ein gezielter Einfluß auf die Wahrheitsfindung eingeräumt wird. Von ihrer Mitwirkung hängt demgemäß die Erfüllung dieser Aufgabe in besonderer Weise ab, so daß nicht nur ihre Falschaussage, sondern auch die grundlose Verweigerung der Aussage die Erfüllung dieser Aufgabe gefährdet. Im Hinblick auf die von den Zeugen erwarteten Mitteilungen über ihre den Verfahrensgegenstand betreffenden persönlichen Wahrnehmungen ist ihre Mitwirkung sogar unersetzlich.85 Wegen dieser Bedeutung wird den Zeugen eine besonders ausgestaltete Verfahrensposition eingeräumt. Dieser vorübergehend, für die Tatsachenfeststellung in den jeweiligen Verfahren eingeräumte Einflußbereich unterscheidet die Zeugen von der Gesamtheit der anderen Rechtsunterworfenen. Denn Außenstehende können zwar die Möglichkeit haben, auf die Tatsachenfeststellung des jeweiligen Staatsorgans einzuwirken. Dies kann beispielsweise durch den Zwischenruf des Zuschauers in einer Gerichtsverhandlung oder durch den Pressebericht eines Journalisten geschehen. Solche informellen Möglichkeiten werden aber nicht gezielt gewährt, sondern beruhen mehr oder minder auf zufälligen Gegebenheiten und sind ihrer Art nach nicht auf ein bestimmtes Verfahren begrenzt, wie dies bei der Einflußmöglichkeit eines Zeugen der Fall ist. Diesen allgemeinen Einflußmöglichkeiten, die jeder Bürger hat, fehlen daher die Kennzeichen eines besonderen sozialen Einflußbereichs, nämlich sein Ursprung in einer bestimmten sozialen Stellung und seine Beschränkung auf einen Ausschnitt des Rechtsguts. Die Zeugenstellung und die mit ihr verbundene Möglichkeit der Einwirkung auf die Funktion bestimmter Staatsorgane weist dagegen diese Kennzeichen auf. Dies bedeutet, daß die unbeeinträchtigte Sachverhaltsfeststellung bestimmter Staatsorgane in besonderer Weise von Zeugen ab85
BGHSt 22,347 (348 f.); Peters, S. 343.
5 Deichmann
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Teil 2: Die Aussagedelikte
hängt, diesen also eine Schlüsselstellung für die Unversehrtheit dieses Rechtsgutes bezüglich der Verfahren zukommt, in denen sie als Zeugen mitwirken. 86 Die Falschaussage eines Zeugen vor Gericht oder einer anderen zur eidlichen Vernehmung von Zeugen zuständigen Stelle erfüllt daher die Voraussetzungen, unter denen ein Sonderunrecht begründet sein kann.
b) Überantwortung Schließlich ist daher zu klären, ob den Zeugen das Rechtsgut der Aussagedelikte ausschnitthaft, also in dem Umfang ihrer Schlüsselstellung, zu besonderem Schutz überantwortet ist. Da es sich bei diesem Rechtsgut nicht um einen Zustand handelt, der nicht verändert werden darf, sondern das Rechtsgut „Funktion der Sachverhaltsfeststellung" gerade dann unversehrt ist, wenn diese Funktion sachgerecht erfüllt, die Aufgabe der Sachverhaltsfeststellung also gelöst wird, könnte man die hier aufgeworfene Frage auch dahingehend formulieren, ob die Zeugen neben den anderen an der Wahrheitsfindung beteiligten Personen, insbesondere also neben den erkennenden Richtern, eine besondere Mitverantwortung dafür tragen, daß der schließlich festgestellte Sachverhalt der Wirklichkeit entspricht. Dabei ist der Weg, der zum Nachweis einer solchen Mitverantwortung führen kann, vorgezeichnet. Mit dem Begriff des Zeugen und seiner Aussage „vor Gericht oder einer anderen zuständigen Stelle" bezieht sich das Strafrecht nicht auf eine außerrechtliche Erscheinung, sondern auf die Verfahrensrechte, in denen das Beweismittel Zeuge vorgesehen ist. Dementsprechend kann die gesuchte Mitverantwortung des Zeugen nur der Ausgestaltung des Beweismittels „Zeuge", der Normierung seiner Rechte und Pflichten in den einzelnen Verfahrensordnungen entnommen werden. Dabei muß hier nicht jede Verfahrensordnung, die einen Zeugenbeweis vorsieht, untersucht werden. Denn die meisten Verfahrensrechte verweisen auf die Prozeßrechte, in denen der Zeugenbeweis beispielhaft und grundsätzlich geregelt ist, nämlich auf die Straf- oder die Zivilprozeßordnung.87 Deren Grundsätze gelten daher auch dort, wo ohne weitere Regelungen, aber auch ohne ausdrückliche Verweisung auf StPO oder ZPO ein Zeugenbeweis vorgesehen ist. 88 Sowohl im Straf- als auch im Zivilprozeß besteht der spezifische Beitrag, den der Zeuge bei der Sachverhaltsfeststellung leistet, in der Wiedergabe seiner persönlichen Wahrnehmungen, die er bezüglich des Beweisthemas bzw. des durch 86 87 88
So auch Langer, FS-Wolf, S. 352. Vgl. z. B. § 46 Abs. 2 ArbGG, § 98 VwGO, § 118 Abs. 1 SGG, § 82 FGO. Z.B. § 46 PatG; Schulte, § 46 Rz. 15-19; Benkard, § 46 Rz. 10.
C. Falsche uneidliche Aussage
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ergänzende Fragen erweiterten Beweisthemas gemacht hat, §§ 69, 240 StPO, 396,397 ZPO. Dieser Beitrag kann nur persönlich geleistet werden, i. d. R. auch nur mündlich vor dem erkennenden Gericht, §§ 250 StPO, 355 Abs. 1 ZPO. 89 In der Funktion der persönlichen Wiedergabe seiner Wahrnehmungen ist der Zeuge grundsätzlich auch nicht durch andere Zeugen oder sonstige Beweismittel ersetzbar. Vielmehr muß er, solange er erreichbar ist und nach dem Kenntnisstand des Gerichtes oder gemäß der in einem Beweisantrag aufgestellten Behauptung zu dem Beweisthema etwas bekunden kann, persönlich vernommen werden. Für die nachträgliche Feststellung von Ereignissen ist der Zeugenbeweis zudem oftmals die einzige verfügbare Erkenntnisquelle. Im Hinblick auf diese hier nochmals verdeutlichte Schlüsselstellung des Zeugen für das Gelingen der Sachverhaltsfeststellung erlegt die Rechtsordnung den Zeugen die Pflicht zur Mitwirkung an dieser Aufgabe auf. Die Mitwirkungspflicht beginnt damit, daß der Zeuge auf Ladung durch das Gericht (§ 214 Abs. 1, 48 StPO, § 377 ZPO), die Staatsanwaltschaft (§ 214 Abs .3 StPO) oder den Angeklagten (§ 220 Abs. 1 StPO), vor Gericht zu erscheinen hat. Sie setzt sich fort in der Pflicht, sich ggf. auf die Vernehmung vorzubereiten und Unterlagen mitzubringen, auszusagen sowie Fragen zu beantworten, insbesondere auch über die persönlichen Verhältnisse Auskunft zu geben, §§ 68,69 StPO, 378, 395, 356 ZPO. Schließlich ist der Zeuge noch grundsätzlich (§ 59 StPO) beziehungsweise nach dem Ermessen des Gerichts (§391 ZPO) gehalten, die Wahrheit seiner Aussage durch einen Eid oder eine andere Bekräftigung zu beteuern. In diesem Umstand, daß es also den Zeugen nicht freigestellt ist, ob sie an der Sachaufklärung mitwirken wollen, zeigt sich, daß die Rechtsgemeinschaft den Zeugen eine besondere Mitverantwortung für den Schutz oder besser die Förderung des Rechtsguts der Aussagedelikte zugewiesen hat. 90 Bevor nun im folgenden weitere, diese Überantwortung ausdrückende Einzelheiten aus den Verfahrensrechten analysiert werden, ist nochmals auf den Unterschied der hier vertretenen Auffassung zu derjenigen, die die Wahrheitspflicht der Zeugen als Ausgangspunkt nimmt, einzugehen. Die hier in den Vordergrund gestellten Mitwirkungspflichten drücken die Übertragung einer besonderen Schutzaufgabe an einen beschränkten Personenkreis, nämlich die Zeugen, aus. Andere Personen haben solche Mitwirkungspflichen nicht; nur die Sachverständigen wären hier noch vergleichbar. Diese einem beschränkten Personenkreis übertragene, besondere Verantwortung ist das Kennzeichen des Sonderunrechts. Gerade dieses Kennzeichen weist die Wahrheitspflicht nicht auf. Denn zur Wahrheit ist jeder, der auf die Sachverhaltsfeststellung irgendeinen Einfluß nimmt, verpflichtet. Dieser Rechtssatz findet sich zwar im geschriebenen Recht nirgends ausdrücklich niedergelegt. Er ist aber so selbstverständlich, daß er of89 90
5
Vgl. als Ausnahmen z.B. §§ 375, 377 Abs. 3 ZPO, § 223 StPO. Langer, FS-Wolf, S. 354.
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Teil 2: Die Aussagedelikte
fenbar keiner besonderen Normierung bedurfte. Aufschlußreich ist insoweit ein jüngeres Gesetz, das Verwaltungsverfahrensgesetz. In § 26 VwVfG werden eingehend die möglichen Beweismittel genannt. In genau abgestufter Regelung ist die Mitwirkung von Beteiligten, Zeugen und Sachverständigen festgelegt. Daß dabei nur auf die verschiedenen Grade der Verpflichtung zur Mitwirkung eingegangen, aber an keiner Stelle gesagt wird, daß die Beteiligten, Zeugen oder sonstigen auskunftsbereiten Personen (§ 26 Abs. 1 Nr.l VwVfG), wenn sie sich an der Aufklärung beteiligen, dies auch wahrheitsgemäß tun müssen, zeigt, daß der Gesetzgeber dies als eine Selbstverständlichkeit vorausgesetzt hat. Nur die Verletzung dieser vorausgesetzten Wahrheitspflicht kann auch erklären, daß ein Verwaltungsakt, der durch unrichtige Angaben erwirkt wurde, zurückgenommen werden kann, § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 1,2 VwVfG. Diese jedermann treffende Wahrheitspflicht ist ferner in der fremdnützigen Variante der Straftat des § 92 Abs. 1 Nr. 7 AuslG vorausgesetzt. Nicht die Wahrheitspflicht, sondern überhaupt die Pflicht, an der Sachaufklärung mitzuwirken, ist daher die Besonderheit, die die Zeugen von anderen Personen unterscheidet.91 In ihr wird die ein Sonderunrecht begründende, besondere Schutzaufgabe deutlich. Die Überantwortung des Rechtsguts der Aussagedelikte an die Zeugen ergibt sich aber noch aus weiteren Einzelbestimmungen des Verfahrensrechts. Zunächst sind dabei die Zwangsmittel und Rechtsnachteile zu nennen, die einem Zeugen, der sich der Mitwirkung an der Sachaufklärung entziehen will, drohen. Er kann vorgeführt (§§ 51 Abs. 1 S. 3 StPO, 380 Abs. 2 ZPO) oder in Beugehaft genommen werden (§§ 70 Abs. 2 StPO, 390 Abs. 2, 378 Abs. 2 ZPO), mit Ordnungsgeld beziehungsweise Ordnungshaft und den durch seine Weigerung verursachten Kosten belastet werden (§§ 51 Abs. 1, 70 Abs. 1 StPO, § 378 Abs. 2, 380 Abs. 1, 390 Abs. 1 ZPO). Die Schärfe dieser Zwangsmittel weist auf die Bedeutung hin, die der Gesetzgeber der Mitwirkung von Zeugen beimißt. Ihre Mitverantwortung findet auch Ausdruck in der Formel der eidesgleichen Bekräftigung, mit der sich der Zeuge auf seine Verantwortung vor Gericht beruft (§§ 66d Abs.2 StPO, 484 Abs. 2 ZPO). Die Überantwortung des Rechtsguts der Aussagedelikte an Zeugen verdeutlicht schließlich auch der beschränkte Kreis der Gründe, aus denen die Mitwirkungspflicht einer Person, die als Zeuge in Betracht kommt, ausgeschlossen ist oder eingeschränkt wird. 92 Von den Zeugenpflichten ist nur befreit, wer eine vorrangige, mit der Zeugenstellung unvereinbare Verfahrensposition einnimmt. Das sind nur die Positionen der Partei bzw. des Angeklagten. Die zweifellos bedeutsame Rolle des erkennenden Richters befreit dagegen nicht von den Zeugenpflichten. Die Unvereinbarkeit beider Positionen führt vielmehr zum Ausschluß vom Richteramt 91 92
So auch Langer, FS-Wolf, S. 351 f. Langer, FS-Wolf, S. 354.
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(§§ 22 Nr. 5 StPO, 41 Nr. 5 ZPO). Desgleichen ist ein Staatsanwalt, der als Zeuge in Betracht kommt, allenfalls gehindert, weiterhin den Sitzungsdienst in diesem Verfahren auszuüben, jedoch nicht von der Zeugenstellung ausgeschlos93
sen. Beschränkungen der Mitwirkungspflicht im Bereich der Aussage und des Eides auf ein Wahlrecht des Zeugen, ob er aussagen beziehungsweise schwören oder davon absehen will, enthalten schließlich die sogenannten Aussage-, Auskunfts- und Eidesverweigerungsrechte. Hier wird den Zeugen im Hinblick auf einen typischerweise vorliegenden Wertkonflikt die Mitwirkung nicht uneingeschränkt zugemutet. Es ist sogar zweifelhaft, ob bei diesen Zeugen noch von einer Mitverantwortung für die Sachverhaltsfeststellung gesprochen werden kann. Dies dürfte aber einerseits deshalb gerechtfertigt sein, weil sie jedenfalls im Strafprozeß gleichwohl vor Gericht erscheinen müssen94. Ferner unterscheidet sich ihre Aussage- und Eidespflicht, wenn sie sich einmal zur Mitwirkung entschlossen haben, nicht mehr wesentlich von derjenigen sonstiger Zeugen. Sodann zeigt gerade die Einräumung des Wahlrechts, daß die Rechtsordnung die Unversehrtheit des Rechtsguts der Aussagedelikte in besonderer Weise auch diesen Zeugen anvertraut. Denn das Mißtrauen, das gegen ihre Aussagen manchmal begründet sein mag, hat den Gesetzgeber eben nicht zu ihrem generellen Ausschluß von der Zeugenstellung bewogen, sondern die Konfliktlösung in die persönliche Verantwortung des einzelnen Zeugen gestellt. Schließlich endet aber auch die Mitwirkungspflicht der Zeugen nicht mit der Berufung auf ihr Weigerungsrecht. Sie sind vielmehr noch gezwungen, die Tatsachen, aus denen sich dieses Recht ergibt, glaubhaft zu machen (§§ 56 StPO, 386 ZPO). Dies kann die Zeugen nicht nur in einen Rechtsstreit verwickeln (§§ 387 ff. ZPO), sondern auch in den Konflikt bringen, entweder durch die (wahre) Aussage oder aber durch Glaubhaftmachung des Weigerunsgrundes sich selbst oder einem Angehörigen zu schaden, insbesondere im Fall des § 55 StPO. Die Verfahrensrechte zwingen die Zeugen in diesen Konflikt und bürden ihnen daher eine weitere Verantworung auf. Da es andererseits aber eher entschuldbar erscheint, wenn ein Zeuge diesem Konflikt durch eine Falschaussage zu entgehen sucht, berücksichtigt wenigstens das Strafrecht in § 157, daß dem relativ erhöhten Sonderunrecht des Zeugen in diesen Fällen keine gleich große Schuld entsprechen muß, daß sie vielmehr aufgrund der hier bestehenden Konfliktlage gemindert sein kann.95 Gerade diese Vorschrift aber verdeutlicht, daß grundsätzlich auch die weigerungsberechtigten Zeugen wie alle anderen Zeugen besondere Verantwortung für das Rechtsgut der Aussagedelikte tragen. 93 94 95
Rz. 1.
BGHSt 14,265 (266 f.); BGHSt 21,85 (89 f.); Kleinknecht/Meyer, Vor § 48 Rz. 17. Anders § 386 Abs. 3 ZPO. Zu dieser ratio des § 157 vgl. Schönke-Schröder-Lenckner, § 157 Rz. 1; LK-Wilms, § 157
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Teil 2: Die Aussagedelikte
Betrachtet man nun die Gründe, aus denen die Mitwirkungspflicht eines Zeugen eingeschränkt sein kann, so zeigt sich, daß nur relativ ranghohe Werte wie die Beziehung zu Angehörigen (§§ 52 StPO, 383 Abs. 1 Nr. 1-3 ZPO) oder bestimmte Vertrauensverhältnisse (§§ 53 StPO, 383 Nr. 4-6 ZPO) einen Konflikt von ausreichendem Gewicht begründen können. Eine Verantwortung, deren Einschränkung nur aufgrund solch ranghoher Werte möglich ist, muß ihrerseits besonders gewichtig sein. Diese besondere Verantwortung des Zeugen vermögen schließlich noch die Gründe zu veranschaulichen, die eine Einschränkung der Mitwirkungspflicht nur in geringem Umfang beziehungsweise überhaupt nicht bewirken können. Während dabei das Auskunftsverweigerungsrecht des § 384 ZPO den oben erörterten Weigerungsrechten noch recht nahe kommt, findet sich in § 55 StPO ein Weigerungsrecht nur noch wegen der Gefahr der Selbst- oder Angehörigenbezichtigung. Die Anwort auf entehrende Fragen kann dagegen nicht verweigert werden. Eine gewisse Rücksichtnahme auf die Ehre des Zeugen ist nur in der Form einer Einschränkung des Fragerechts (§ 68a Abs. 1 StPO) vorgesehen, eine „Einschränkung" allerdings von zweifelhaftem Wert angesichts des Umfangs der in § 244 Abs. 2 StPO festgelegten, ohnehin auf das Unerläßliche begrenzten Aufklärungspflicht. Keinen Grund für ein Zeugnisverweigerungsrecht hat der Gesetzgeber dagegen in der Gefährdung der Sicherheit des Zeugen durch seine Aussage gesehen. Solchen Befürchtungen wird prozessual nur im Rahmen des § 68 S. 2 StPO Rechnung getragen. Auch die psychischen Belastungen, denen ein Verbrechensopfer bei der Wiedergabe der Tat, die ihm angetan wurde, ausgesetzt ist, rechtfertigen keine Weigerung. In dieser Hinsicht hat zwar das Opferschutzgesetz 96 mit den §§ 68a, 406f. StPO, 171b GVG gewisse Milderungen gebracht. An dem grundsätzlichen Zwang für den Verletzten, die belastenden Erlebnisse nochmals, oft mehrfach wiedergeben zu müssen, ändert dies jedoch nichts. Schließlich schränken auch die mit der Zeugenstellung notwendig verbundenen Belästigungen eines Menschen, der mit dem Streitfall häufig in keinerlei Beziehung steht, sondern nur dessen zufälliger Beobachter war, insbesondere also der erforderliche Zeitaufwand und Verdienstausfall, die Mitwirkungspflicht in keiner Weise Q7
ein. Hier wird lediglich materieller und nicht selten unzureichender Ausgleich gewährt (§§71, 220 Abs. 2 StPO, 401 ZPO). Daß also weder Gefahren, psychische Belastungen noch zeitliche und materielle Einbußen die Mitwirkungspflichten der Zeugen einschränken, zeigt erneut die besondere Verantwortung, die ihnen für die gerichtliche Sachverhaltsfeststellung vom Gesetzgeber zugewiesen ist. Auch die Untersuchung einzelner Re96
Opferschutzgesetz vom 18.12.1986, BGBl .1 S. 2496. Vgl. insbesondere den Höchstsatz der Verdienstausfallentschädigung von nur DM 20,- in § 2 Abs. 2 ZSEG. 97
C. Falsche uneidliche Aussage
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gelungen im Bereich des Zeugenbeweises bestätigt also, daß den Zeugen der Schutz bzw. die Förderung des Rechtsguts der Aussagedelikte in besonderer Weise überantwortet ist. Die Falschaussage eines Zeugen vor Gericht oder einer anderen zur eidlichen Zeugenvernehmung zuständigen Stelle begründet daher nicht nur den Unwert der Verletzung des Rechtsguts; der Unwert dieser Rechtsgutsverletzung ist vielmehr aufgrund der besonderen Mitverantwortung des Zeugen für die Sachverhaltsfeststellung relativ erhöht, stellt also ein materielles Sonderunrecht dar.
5. Schlüsselstellung und Überantwortung
beim Sachverständigen
In gleicher Weise wie für die Zeugen ist nunmehr zu fragen, ob auch die Falschaussage eines Sachverständigen materielles Sonderunrecht begründet.
a) Schlüsselstellung Dabei ist zunächst wiederum auf die Voraussetzung solcher Unwertbegründung einzugehen, also eine Schlüsselstellung des Sachverständigen für die Unversehrtheit eines bestimmten Ausschnitts aus dem Rechtsgut der Aussagedelikte nachzuweisen. Der Sachverständige nimmt wie der Zeuge eine besondere soziale Position nur innerhalb bestimmter, einzelner Verfahren ein, nämlich in den Verfahren, in denen er zum Sachverständigen bestellt ist. Zwar könnte auch die allgemeine, nicht auf einzelne Verfahren bezogene, öffentliche Bestellung zum Sachverständigen als soziale Stellung bezeichnet werden. Ihre Eigenarten interessieren im vorliegenden Zusammenhang aber nicht, weil die öffentliche Bestellung als solche noch keinen Einfluß auf die Sachverhaltsfeststellung von Behörden und Gerichten verschafft, und andererseits die Verfahrensstellung als Sachverständige auch solche Personen einnehmen können, für die keine öffentliche Bestellung besteht. In dem konkreten Verfahren, für welches der Sachverständige bestellt ist, verfügt er über herausgehobenen Einfluß auf die Sachverhaltsfeststellung. Denn er gehört aufgrund der Bestellung zu dem beschränkten Kreis der förmlichen Beweismittel. Das Gericht erwartet von ihm die Mitteilung von Erfahrungssätzen seiner Wissenschaft, die Wiedergabe der sogenannten Befundtatschen und QO
Schlußfolgerungen aus diesen Tatsachen bzw. Bewertungen derselben. 98
BGH NJW 1951, S. 771.
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Teil 2: Die Aussagedelikte
Der Ursprung dieser Einflußmöglichkeit in der durch die Bestellung begründeten Position und die begrenzte Reichweite dieses Einflusses auf das konkrete Verfahren, also auf einen Ausschnitt des Rechtsguts charakterisieren die herausgehobene Stellung des Sachverständigen, während andere Personen, selbst wenn sie über die gleiche Sachkunde verfügen, auf die Sachverhaltsfeststellung nur aufgrund ihres allgemeinen sozialen Einflußbereiches, daher nur informell und eher zufällig Einfluß nehmen können. Dieser Unterschied kann anhand des sogenannten Privatgutachtens verdeutlicht werden. Ein solches Gutachten kann die gerichtliche Sachverhaltsfeststellung beeinflussen und, wenn es falsch ist, das Rechtsgut der Aussagedelikte verletzen. Aber ein solcher Erfolg würde doch nicht auf einem besonderen sozialen Einflußbereich beruhen. Denn das Privatgutachten wird zunächst nur als Parteibehauptung behandelt, allenfalls als Urkundenbeweis verwertet und bedarf seinerseits der Erhärtung durch den Sachverständigenbeweis, wenn seine Richtigkeit bestritten wird. Die Partei hat auch keinen Anspruch darauf, daß ihr Gutachter wenigstens vor Gericht angehört, geschweige denn zum gerichtlichen Gutachter bestellt wird." Der gerichtlich bestellte Sachverständige bekleidet nach allem eine Position, kraft deren die Unversehrtheit des Rechtsguts der Aussagedelikte, also die zutreffende Sachverhaltsfeststellung durch bestimmte staatliche Stellen von ihm in besonderer Weise abhängt.
b) Überantwortung Für die Begründung materiellen Sonderunrechts durch die Falschaussage eines Sachverständigen kommt es daher nur noch darauf an, daß die Rechtsgemeinschaft den Sachverständigen angesichts ihrer Schlüsselstellung das Rechtsgut der Aussagedelikte ausschnitthaft zu besonderem Schutz überantwortet hat. Der Sachverständige trägt zur Sachverhaltsfeststellung dadurch bei, daß er Erfahrungssätze vermittelt, Befundtatsachen feststellt und aus ihnen Schlüsse zieht bzw. sie bewertet. Auf diesen Beitrag ist das Gericht immer dann angewiesen, wenn es nicht selbst über die erforderliche Sachkunde verfügt. Die Bedeutung des Sachverständigenbeweises, insbesondere im Bereich der Beurteilung der Schuldfähigkeit, bei bestimmten Behandlungsprognosen, vor allem aber bei der Beurteilung technischer Sachverhalte, ist allgemein bekannt. Zwar gilt der Grundsatz, daß die Tatsachenfeststellung letztlich in die Verantwortung des Gerichtes fällt. Die eigenverantwortliche Nachprüfung eines Gutachtens gehört jedoch zu den wohl schwierigsten und häufig kaum erfüllbaren Aufgaben der 99
Rosenberg-Schwab, S. 764 f.; BGH VersR 81, S. 574; VersR 62, S. 450, 451; ThomasPutzo, Vor § 402 Anm. 2; Zöller § 402 Rz. 2.
C. Falsche uneidliche Aussage
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Gerichte. 100 Aber nicht nur tatsächliche Gründe, also der Mangel eigener Sachkunde, verleihen dem Sachverständigen ausschlaggebende Bedeutung bei der Sachverhaltsfeststellung. Auch sind die Gerichte in bestimmten Fällen auf die Mitwirkung von Sachverständigen angewiesen. Denn das Gesetz schreibt ihre Heranziehung in bestimmten Fällen zwingend vor (§§ 80a, 81 Abs. 1, 87 Abs. 1, 246a StPO).101 Die Tatsache, daß die Aufgabe der Sachverhaltsfeststellung in zahlreichen Verfahren nur mit Hilfe von Sachverständigen erfüllt werden kann und demgemäß die Unversehrtheit des Rechtsguts der Aussagedelikte von ihrer Mitwirkung in besonderem Maß abhängt, wird durch die entsprechenden Verfahrensordnungen auch anerkannt. Denn die Verfahrensrechte sichern die Mitwirkung von Sachverständigen durch ähnliche Pflichten ab, wie sie den Zeugen auferlegt werden, und übertragen ihnen damit eine Mitverantwortung für die Sachverhaltsfeststellung. Im allgemeinen ist der Sachverständige verpflichtet, sein Gutachten durch entsprechende Vorarbeiten vorzubereiten, 102 eventuell eine schriftliche Ausarbeitung vorzulegen (§411 Abs. 1 ZPO), sodann im Termin auf Ladung des Gerichts (§§ 402, 377 ZPO, 72,48 StPO) beziehungsweise der Staatsanwaltschaft (§ 214 Abs. 3 StPO) oder des Angeklagten (§ 220 StPO) zu erscheinen, sein Gutachten mündlich zu erstatten beziehungsweise zu erläutern (§ 411 Abs. 3 ZPO) und nach dem Ermessen des Gerichts (§§ 402, 391 ZPO, 79 Abs. 1 S. 1 StPO) beziehungsweise auf Antrag eines Verfahrensbeteiligten (§ 79 Abs. 1 S. 2 StPO) zu schwören. Dieser Pflichtenkreis, der auch hier zusammenfassend mit dem Terminus „Mitwirkungspflicht" bezeichnet werden soll, bringt die den Sachverständigen zugewiesene Schutzaufgabe für das Rechtsgut der Aussagedelikte, also die Überantwortung dieses Gutes an diesen Personenkreis zum Ausdruck. Es fragt sich jedoch, ob diese Mitwirkungspflichten tatsächlich jeden Sachverständigen binden. Gegen die einheitliche Geltung dieser Pflichten für alle Sachverständigen scheint die im prozeßrechtlichen Schrifttum verbreitete Auffassung zu sprechen, wonach den Sachverständigen die Mitwirkung in einem gerichtlichen Verfahren grundsätzlich freigestellt ist und eine Mitwirkungspflicht nur in bestimmten Sonderfällen bestehe.103 Eine nähere Untersuchung 100
Vgl. zu diesem Problemkreis Jessnitzer, S. 51 ff.; Peters, S. 364f.; LR-Dahs, Vor § 72 Rz. 16 f.; BGHSt 8,113(118). 101 Die Pflicht zur Einholung eines Gutachtens im Falle des § 12 BRAGO sollte hier nicht angeführt werden. Es erscheint zweifelhaft, ob damit überhaupt ein Beweis, also der Nachweis einer Tatsache, geführt wird; im Mittelpunkt eines derartigen Gutachtens steht eher die Einhaltung des billigen Ermessens, also eine rechtliche Beurteilung. Die Aufgabe gleicht derjenigen des Richters in §§ 315 Abs. 3 S. 2, 319 Abs. 1 S. 1 BGB; vgl. dazu Schumann/Geißinger, § 12 Rz. 37; Swolana/Hansens, § 12 Rz. 20; Jessnitzer, S.33. 102 Jessnitzer, S. 143; Rosenberg-Schwab, S. 770; LR-Dahs § 75 Rz. 8. 103 Rosenberg-Schwab, S. 769; Jessnitzer, S. 122; Thomas-Putzo § 407.
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Teil 2: Die Aussagedelikte
des Verfahrensrechts zeigt jedoch, daß die oben genannten Mitwirkungspflichten im wesentlichen für alle Sachverständigen gelten und daß es eine völlig freiwillige Beteiligung eines Sachverständigen an einem Gerichtsverfahren überhaupt nicht gibt. Das hier erörterte Problem wird im allgemeinen mit der Aussage veranschaulicht, daß es zwar eine allgemeine Zeugenpflicht gebe, jedoch keine allgemeine Pflicht zur gutachterlichen Tätigkeit. 104 Daran ist richtig, daß die Pflichten eines Zeugen, also zu erscheinen, auszusagen und zu schwören, für eine bestimmte Person durch einen einseitigen Akt des Gerichts, nämlich durch die Ladung, begründet werden. In diesem Sinne, daß es also grundsätzlich nicht auf die Bereitschaft des Zeugen zur Mitwirkung ankommt, sondern seine Mitwirkungspflicht einseitig begründet werden kann, gibt es eine „allgemeine Zeugenpflicht", die im Bereich des Sachverständigenbeweises keine Entsprechung hat. Denn hier können die Mitwirkungspflichten einseitig, durch die Ernennung, nur in den Fällen der §§75 Abs. 1 StPO, 407 Abs. 1 ZPO entstehen. Im übrigen ist ein Sachverständiger zur Erstattung des Gutachtens nur verpflichtet, wenn er sich vor Gericht hierzu bereit erklärt hat, §§75 Abs. 2 StPO, 407 Abs. 2 ZPO. Im Gegensatz zum Zeugenbeweis gibt es hier also die Möglichkeit, die Mitwirkung von vornherein abzulehnen. Ein Gutachter, der sich jedoch zur Mitwirkung bereit erklärt hat, unterliegt denselben Pflichten wie derjenige Sachverständige, der aufgrund seiner öffentlichen Bestellung etc. schon der einseitigen Ernennung Folge zu leisten hat. Insbesondere kann er sich aus der übernommenen Pflicht nicht mehr einseitig lösen.105 Das bedeutet jedoch, daß die für die Überantwortung des Rechtsguts hier als entscheidend angesehenen Mitwirkungspflichten für alle Sachverständigen gelten, die unter die §§75 StPO, 407 ZPO fallen. Bei den Sachverständigen bestehen lediglich zwei unterschiedliche Entstehungstatbestände der Mitwirkungspflicht, während die Zeugenpflichten stets einseitig begründet werden. Der sachliche Grund für diesen Unterschied und den Verzicht des Gesetzes auf eine „allgemeine", also stets einseitig begründbare Gutachterpflicht liegt nur in der Ersetzbarkeit 106 der Sachverständigen als Beweismittel. Abgesehen von dem Element der Freiwilligkeit, das den Sachverständigen hinsichtlich der Begründung der Mitwirkungspflicht durch die Wahlmöglichkeit zwischen Bereitschaft gemäß § 75 Abs. 2 StPO, 407 Abs. 2 ZPO und Weigerung eingeräumt ist, gibt es ansonsten keine grundsätzlich freiwillige Mitwirkung eines Sachverständigen in einem Verfahren. Zwar scheint das Verfahrensrecht solche Sachverständige vorauszusetzen. Denn die Möglichkeit, bestimmte Zwangsmittel einzusetzen, besteht nach dem Wortlaut des Gesetzes nur bei den 104 105 106
Vgl. die in der vorhergehenden Fußnote Genannten. Jessnitzer, S. 123; Kleinknecht/Meyer § 75 Rz. 2; Müller, S. 206. Thomas-Putzo § 407.
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Sachverständigen, die zur Erstattung der Gutachten verpflichtet sind, §§ 409 Abs. 1, 411 Abs. 2 ZPO, 77 StPO. Zur Erstattung des Gutachtens verpflichet ist aber nur die in den §§75 StPO, 407 ZPO genannte Gruppe. Wenn das Gesetz also die Anwendung der Zwangsmittel gerade nur für diese Gruppe gestatten will, so scheint es noch andere Sachverständige geben zu können, die zwar in einem Verfahren mitwirken, jedoch nicht zur Erstattung des Gutachtens verpflichtet sind, demnach also im wirklichen Sinn des Wortes völlig freiwillig bei der Sachaufklärung mitwirken. Die Suche nach einem derartigen Phänomen verläuft jedoch wenig erfolgreich. Zunächst muß man sich vergegenwärtigen, daß die weitaus größte Zahl von Sachverständigen, deren sich die Gerichtspraxis bedient, bereits zu der in §§ 75 Abs. 1 StPO, 407 Abs. 1 ZPO genannten Gruppe gehört. Es bedarf daher schon einiger Phantasie, einen Sachverständigen ausfindig zu machen, dessen Mitwirkungspflicht nur von der Erklärung seiner Bereitschaft gemäß §§75 Abs. 2 StPO, 407 Abs. 2 ZPO abhängt. Dementsprechend mager ist die Zahl der Beispielsfälle in der Kommentarliteratur. Hier wird nur „der Sachkenner, der sein Wissen nur aus Liebhaberei erworben hat und benutzt, wie ζ. B. ein Sammler von Briefmarken, Münzen und Kunstgegenständen" genannt.107 Selbst die Mitwirkung eines solchen Sachverständigen ist aber nicht mehr freiwillig, wenn er sich zur Begutachtung bereiterklärt hat. Sie bleibt es demnach nur - mit der Folge der Unanwendbarkeit der Zwangsmittel - , solange die Erklärung der Bereitschaft nicht erfolgt. Ein solcher Fall ist aber kaum denkbar. Denn das Merkmal des Bereiterklärens wird weit ausgelegt. Es liegt schon vor, wenn der Sachverständige widerspruchslos die ihm zugesandten, zur Vorbereitung des Gutachtens erforderlichen Akten entgegennimmt, femer, wenn er auf die erfolgte Ladung vor Gericht erscheint, jedenfalls aber, wenn er mit der Begutachtung beginnt.108 Er ist dann verpflichtet, sie auch zu Ende zu führen. Überhaupt widerspräche es auch allen Grundsätzen einer sorgfältigen Prozeßvorbereitung, wenn sich ein Gericht der Mitwirkung des ausgewählten Gutachters nicht schon vor der Hauptverhandlung bzw. dem Haupttermin dadurch versichern würde, daß es die Bereitschaft des Sachverständigen zur Begutachtung erkundet. Eine Mitwirkung ohne Pflicht vor der Hauptverhandlung mag allenfalls bei den durch die Staatsanwaltschaft oder den Angeklagten geladenen Sachverständigen denkbar sein, wenn sie einerseits nicht zu der Gruppe der in den §§75 Abs.l StPO, 407 Abs.l ZPO genannten Sachverständigen gehören und andererseits ihre Bereitschaft nur dem Ladenden, nicht aber gegenüber dem Gericht erklärt haben. In jedem Fall aber verpflichtet das begonnene Gutachten den Sachverständigen zu dessen vollständiger Erstattung und schließlich auch zum Eid, wenn er verlangt wird.
107
Eb.Schmidt, § 75 Rz.4; LR-Dahs § 75 Rz. 3. Thomas-Putzo § 407; Zöller, § 407 Rz. 5; Müller, S. 205; Baumbach, ZPO, § 407 Anm. 2D; Kleinknecht/Meyer § 75 Rz. 2; LR-Dahs § 75 Rz. 6. 108
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Es ist dem Sachverständigen, der einmal seine Mitarbeit begonnen und dadurch seine Bereitschaft zur Begutachtung erklärt hat, daher nicht freigestellt, diese beliebig zu beenden. In diesem Sinn ist es unzutreffend, von grundsätzlich freigestelltem Mitwirken zu sprechen.109 Richtig ist nur, daß die Begründung der Mitwirkungspflichten für eine kleine Gruppe von Sachverständigen von ihrer entsprechenden Bereitschaft abhängt und daß, weil die Abgabe dieser Erklärung bis zum Beginn der Begutachtung hinausgeschoben werden kann, ein Teil der Mitwirkungspflichten, nämlich die Pflicht zur Vorbereitung, der Fristabsprache und des Erscheinens auf Ladung, in seltenen Ausnahmefällen nicht entsteht. Im Ergebnis ist daher festzustellen, daß jeder Sachverständige, der sich an der gerichtlichen Sachverhaltsfeststellung beteiligt, dazu spätestens bei der Gutachtenerstattung auch verpflichtet ist. Die Hervorhebung der Mitwirkungspflicht als Kennzeichen der Überantwortung des Rechtsguts der Aussagedelikte an Sachverständige trifft also für jeden Sachverständigen zu. Wie beim Zeugenbeweis verdeutlichen auch hier weitere zur Ausgestaltung der Verfahrensstellung des Sachverständigen getroffene Regelungen dessen Mitverantwortung für die zutreffende Sachverhaltsfeststellung, wobei sich Parallelen schon aus der entsprechenden Anwendbarkeit einzelner Vorschriften ergeben, §§ 72 StPO, 402 ZPO. So verdeutlicht auch hier die Möglichkeit des Zwanges die besondere Verantwortung, die dem Sachverständigen mit seiner Aufgabe zugewiesen wird, wobei die im Vergleich zum Zeugenbeweis milderen Zwangsmittel nur in der Ersetzbarkeit des einzelnen Sachverständigen, nicht aber in einem geringeren Grad seiner Mitverantwortung für die Sachaufklärung ihren Grund haben. Auf eben diese Verantwortung beruft sich der Sachverständige, wenn er statt des Eides die eidesgleiche Bekräftigung wählt. Der besonders hohe Rang der Mitwirkungspflicht des Sachverständigen erweist sich wie beim Zeugenbeweis auch an dem beschränkten, besondere Werte betreffenden Kreis der Gründe, die im Konflikt mit der Mitwirkungspflicht ein Weigerungsrecht für den Sachverständigen begründen können (§§ 76 Abs. 1 S. 1 StPO, 408 Abs. 1 S. 1 ZPO). Anders als beim Zeugenbeweis gibt es hier jedoch die Möglichkeit, weitere Wertkonflikte zu berücksichtigen und den Sachverständigen deshalb aus seiner Pflicht zu entlassen (§§ 76 Abs. 1 S. 2 StPO, 408 Abs. 1 S. 2 ZPO), wobei es sich bei den anderen Gründen auch um so banale Dinge wie Arbeitsüberlastung 110 handeln kann. Diese großzügigere Möglichkeit hat jedoch wie bei den Zwangsmitteln ihren 109 § 409 ZPO enthält also mit der Beschränkung auf „verpflichtete" Sachverständige ein fragwürdiges, weil praktisch immer erfülltes Merkmal; vgl. aber RGZ 23,337, wo von dem Sachverständigen vor der geplanten Vernehmung offenbar nichts verlangt wurde: ein seltener Fall. 110 Jessnitzer,S. 125; Kleinknecht/Meyer § 76 Rz. 3.
C. Falsche uneidliche Aussage
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Grund in der Austauschbarkeit111 des einzelnen Sachverständigen, nicht in einer geringeren Verantwortung für die Sachverhaltsfeststellung. Dies gilt auch für die Möglichkeit der Ablehnung eines Sachverständigen, die den Parteien durch § 406 Abs. 1 ZPO beziehungsweise den Beteiligten im Strafprozeß durch § 74 StPO eingeräumt wird. Zweifel der Beteiligten an der Unparteilichkeit eines Sachverständigen müssen zwar nicht seinen Wert als Beweismittel für die Überzeugungsbildung des Gerichts mindern. Das Gesetz will aber durch die Einräumung des Ablehnungsrechts eine größtmögliche Akzeptanz des 119
Gutachtens auch bei den Beteiligten sichern. Aufgrund der Austauschbarkeit der Gutachter ist der Verzicht auf einen einzelnen Sachverstädigen um dieses Zieles willen möglich.113 Abgesehen von diesem Ablehnungsrecht und dem Sonderfall des § 87 Abs. 2 S. 3 StPO ist aber ein Sachverständiger von dieser Verfahrensrolle nur ausgeschlossen, wenn er zugleich eine vorrangige, noch wichtigere Rolle einnimmt, nämlich die des Angeklagten. Dagegen schließt das Gesetz, wenn Sachverständigentätigkeit und Richteramt bei einer Person in einem Verfahren zusammentreffen könnten, die betreffende Person nicht etwa als Sachverständigen, sondern als Richter aus und betont damit die besondere Bedeutung der Verfahrensrolle des Sachverständigen (§§ 22 Nr. 5 StPO, 41 Nr. 5 ZPO). Die besondere Verantwortung der Sachverständigen für die Sachverhaltsfeststellung zeigt sich schließlich daran, daß das Verfahrensrecht ihnen zur Erfüllung ihrer Aufgabe Möglichkeiten gewährt, die ansonsten dem Gericht bzw. den Beteiligten vorbehalten sind. Zur Vorbereitung ihres Gutachtens ist ihnen nämlich gestattet, selbst auf die Ermittlung der erforderlichen Anknüpfungstatsachen Einfluß zu nehmen (§§ 80,80a StPO). Nicht nur die Mitwirkungspflicht der Sachverständigen, sondern auch einzelne Regelungen des Verfahrensrechts verdeutlichen also, daß den Sachverständigen das Rechtsgut der Aussagedelikte zu besonderem Schutz überantwortet ist. Die Falschaussage eines Sachverständigen begründet daher aufgrund der Mißachtung seiner Verantwortung ein relativ erhöhtes Umecht, also ein materielles Sonderunrecht.
6. Zusammenfassung Die in diesem Abschnitt angestellten Überlegungen können jetzt nochmals zusammengefaßt werden. 111 112 113
Zöller § 408 Rz. 4. Müller, S. 126 f. LR-Dahs § 74 Rz. 1.
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Der sachliche Gehalt der in § 153 enthaltenen Subjektskreiseinschränkung auf „Zeugen und Sachverständige" besteht nicht in einer näheren Kennzeichnung des Rechtsgutsangriffs, also der Tathandlung. Dieses Merkmal ist vielmehr der tatbestandliche Ausdruck eines materiellen Sonderunrechts. Die Unversehrtheit des Rechtsguts der Aussagedelikte hängt in besonderer Weise von Zeugen und Sachverständigen ab. In Anerkennung dieser Schlüsselstellung verpflichtet die Rechtsordnung diesen Personenkreis zur Mitwirkung an dieser Aufgabe. Diese Überantwortung des Rechtsguts, die in zahlreichen Vorschriften des Verfahrensrechts Ausdruck findet, begründet den relativ erhöhten Unwert einer Falschaussage gerade der Zeugen und Sachverständigen.
III. Formelles Sonderunrecht und Sonderstrafdrohung Aus der Tatsache, daß das Strafgesetz nicht jedermann, sondern nur Zeugen und Sachverständigen Strafe androht, also aus der Sonderstrafdrohung, deren Merkmale sogleich noch erläutert werden, ergibt sich zunächst, daß diejenige Norm, die die Beeinträchtigung der Rechtspflege durch unlauteres Verhalten förmlich verbietet, in ihrer Dringlichkeit gerade gegenüber den Zeugen und Sachverständigen gesteigert ist. Denn das Verbot, auf die gerichtliche Sachverhaltsfeststellung in unlauterer Weise einzuwirken, richtet sich an alle Rechtsunterworfenen. Die Wahrheitspflicht gilt, worauf schon verschiedentlich hingewiesen wurde, nicht nur für Zeugen und Sachverständige. Daß ihnen aber Strafe droht, beweist, daß die Dringlichkeit der Norm gerade ihnen gegenüber gesteigert ist, also das formelle Unrechtselement ihnen gegenüber in sonderdeliktstypischer Weise abgewandelt ist. Was nun die Sonderstrafdrohung im einzelnen betrifft, so ist zunächst an den Zusammenhang dieses Begriffs mit dem Erscheinungsformcharakter der Sonderstraftat zu erinnern. Erscheinungsformen sind Unrechtsdifferenzierungen unter rechtsfolgeerheblichen Aspekten.114 Dem entspricht bei der Sonderstraftat die Forderung nach einer Sonderstrafdrohung, was bedeutet, daß dem besonders vertatbestandlichten Sonderunrecht in wenigstens einer Erscheinungsformenkombination eine vom Gemeindelikt in derselben Kombination abweichende, besondere Rechtsfolge zugeordnet sein muß. Daß das so definierte Merkmal der Rechtsfolgenrelevanz bei der Straftat des § 153 vorliegt, ist offenkundig. Wer täterschaftlich aktiv und vollendet vor Gericht falsch aussagt, wird nur bestraft, wenn er tatsächlich Zeuge oder Sachverständiger ist, nicht aber, wenn er nur aussagt, als ob er Zeuge wäre. Dasselbe gilt bei vollendeter aktiver Teilnahme. Während der Extrane in den Genuß der Milderung nach § 28 Abs. 1 gelangt, 114
Vgl. Teil 1 B.I.l.
C. Falsche uneidliche Aussage
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bleibt sie einem intranen Teilnehmer verwehrt. Diese Rechtsfolgenunterschiede beruhen, worauf zuletzt noch hinzuweisen ist, auch ausschließlich auf dem von Zeugen und Sachverständigen einerseits, Extranen andererseits verwirklichten, unterschiedlichen Umecht. Denn der Tatbestand des § 153 enthält keine besonderen Schuld- oder Strafwürdigkeitsmerkmale, auf denen diese besonderen Rechtsfolgen beruhen könnten.115 Es liegt also eine Sonderstrafdrohung vor.
IV. Ergebnis Die Straftat der uneidlichen Falschaussage gemäß § 153 stellt eine Sonderstraftat dar. Denn sie entspricht in allen Merkmalen dem Begriff des Sonderdelikts. Den Zeugen und Sachverständigen ist in Anerkennung ihrer Schlüsselstellung für die Richtigkeit der Sachverhaltsfeststellung durch staatliche Stellen in einzelnen Verfahren dieses Rechtsgut ausschnitthaft zu besonderem Schutz überantwortet. Dementsprechend ist das Verbot, dieses Rechtsgut zu verletzen, gegenüber diesem Personenkreis in seiner Dringlichkeit gesteigert. Dieses materielle und formelle Sonderunrecht ist strafgesetzlich in einem Sonderunrechtstatbestand vertypt, dem schließlich eine besondere Strafdrohung zugeordnet ist.
V. Einzelfragen Die Erkenntnis, daß das Delikt des § 153 eine Sonderstraftat darstellt, erlaubt nunmehr die Untersuchung einiger Sonderprobleme, die sich bei der Bestimmung der möglichen Déliktssubjekte dieser Straftat ergeben. Bisher wurde die Abhängigkeit der Tatbestandsmerkmale dieses Vergehens von verfahrensrechtlichen Bestimmungen stillschweigend als unproblematisch vorausgesetzt, also davon ausgegangen, daß Zeugen und Sachverständige im Sinne des § 153 nur, aber auch stets solche Personen sind, die diese Verfahrensrolle nach dem Prozeßrecht bekleiden. Die Richtigkeit dieser Annahme ist aber keineswegs so selbstverständlich, wie es zunächst scheint. Das zeigt schon die oben erörterte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Unvereinbarkeit der Prozeßrollen eines Zeugen und eines Beschuldigten.116 Zeuge im Sinne des § 153 ist danach nicht, wer unter Mißbrauch eines Ermessensspielraums in diese Verfahrensrolle gedrängt wird. Dabei mag hier offenbleiben, ob eine solche Person verfahrensrechtlich überhaupt als Zeuge anzusehen ist. Jedenfalls handelt es sich nicht um einen Zeugen im Sinne des § 153, weil die mißbräuchliche Begründung dieser 115 116
Vgl. Teil 2 C.II. 1. BGHSt 10,8(12).
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Position es ausschließt, von einer Überantwortung des Rechtsguts an diesen Täter zu sprechen. Weil seiner Falschaussage daher der gesteigerte Unwert des Sonderdelikts fehlt, scheiden solche Personen aus dem Kreis der möglichen Deliktssubjekte aus. Parallelen zu dieser Konstellation ergeben sich bei jenen nicht prozeßfähigen Parteien des Zivilprozesses, die natürliche Personen sind, jedoch nicht in § 455 Abs. 2 ZPO genannt werden, und deshalb verfahrensrechtlich trotz ihrer formellen Stellung als Partei als Zeuge „in eigener Sache" vernommen werden können. Zweifel, ob es sich um einen Zeugen im Sinne des § 153 handelt, wirft auch die Vernehmung einer Person als Zeuge durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß auf, wenn sich die Untersuchung gerade auf Handlungen richtet, die diese Person vorgenommen haben soll, oder Vorgänge betrifft, an denen sie mitgewirkt hat. Schließlich ist eine Grenze der begrifflichen Abhängigkeit des Strafrechts vom Verfahrensrecht auch dann erreicht, wenn juristische Personen oder Behörden die Rolle eines Sachverständigen einnehmen können. Insoweit stellt sich dann die Frage, ob möglicherweise § 14 anzuwenden ist.
1. Nichtprozeßfähige
Parteien als Zeugen
Nach zivilrechtlicher Anschauung kann eine nicht prozeßfähige Partei, die eine natürliche Person ist, jedoch nicht zu den in § 455 Abs. 2 ZPO genannten 117
Personen gehört, als Zeuge vernommen werden. Von der Parteivernehmung ist sie dagegen aufgrund der Vorschrift des § 455 Abs. 1 ZPO ausgeschlossen. Es besteht hier also eine Ausnahme von dem Grundsatz, daß Zeuge nicht sein kann, wer selbst Partei ist. Ob das Strafrecht diese Ausnahme übernehmen muß, mit anderen Worten, ob die Falschaussage ζ. B. eines fünfzehnjährigen Jugendlichen, der auf einen Beweisantrag seines gesetzlichen Vertreters hin als Zeuge vernommen wird, die Aussage eines Zeugen im Sinne des § 153 darstellt, steht damit aber noch nicht fest. Da es sich bei § 153 um ein Sonderdelikt handelt, kann nur die Person als Zeuge angesehen werden, der auch tatsächlich von der Rechtsordnung jene gesteigerte Schutzaufgabe für das Rechtsgut zugewiesen ist, die das materielle Sonderunrecht begründet. Zwar genügt in der Regel für diese Überantwortung die verfahrensrechtliche Zeugenposition. Im Fall der Vernehmung einer unter sechzehnjährigen Partei als Zeuge könnte dies aber anders zu beurteilen sein. Gegenüber den anderen Beweismitteln ist die Aussage einer Partei zwar ein gleichwertiges Beweismittel in dem Sinn, daß sie ebenso wie jene der freien Be117 Rosenberg, ZZP1934, S. 322; Thomas-Putzo, Vor § 373 Anm.3b; Stein-Jonas, Vor § 373 Rz.5; Baumbach, ZPO, Übers. § 373 2B; BGH NJW 65, 2253(2254); a.A. Wieczorek, § 373 Bllal.
C. Falsche uneidliche Aussage
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weiswürdigung unterliegt. Es gibt keine Beweisregel, die das normale und verständliche Mißtrauen gegenüber solchen Aussagen festschreibt. 118 Die Parteivernehmung kann jedoch als Beweismittel nicht nach dem Belieben einer Partei in den Prozeß eingeführt werden. Es bedarf stets weiterer Voraussetzungen, die im Kern darin bestehen, daß mit den anderen Beweismitteln die Sache nicht hinreichend aufgeklärt wurde. Die Parteivernehmung wird daher als subsidiäres Beweismittel bezeichnet.119 Wenn aber die ZPO die nicht prozeßfähigen Parteien, soweit sie nicht unter § 455 Abs. 2 ZPO fallen, sogar von der Funktion als subsidiäres Beweismittel ausschließt und die Zulassung des Personenkreises des § 455 Abs. 2 ZPO lediglich in das Ermessen des Gerichts stellt, so muß es überraschen, daß gerade jener Personenkreis die Funktion eines Beweismittels einnehmen kann, dessen Einführung in den Prozeß nicht von besonderen Voraussetzungen abhängt. Denn die Wertung des Gesetzes geht in die andere Richtung, nämlich dahin, daß dieser Personenkreis von jeder Funktion als Beweismittel ausgeschlossen sein soll. Es mag jedoch Fälle geben, in denen die Wahrnehmungen einer minderjährigen Partei, etwa eines fünfzehnjährigen Jugendlichen, der einen Verkehrsunfall miterlebt hat und dabei verletzt wurde, für die Sachaufklärung unentbehrlich erscheinen. Um dieses Wissen überhaupt in die Beweisaufnahme einzuführen, ist es vernünftig, die Wertung des § 455 Abs. 2 ZPO zu mißachten und hinsichtlich des Beweiswertes solcher Aussagen auf die Fähigkeit des Richters zu entsprechender Beweis Würdigung zu vertrauen. 120 Man darf jedoch nicht verkennen, daß einen solchen Zeugen damit mehr Pflichten treffen als eine Partei im Rahmen der Parteivernehmung. Selbst von diesen geringeren Pflichten wollte das Gesetz aber ζ. B. den genannten fünfzehnjährigen Jugendlichen freistellen. So hat er als Zeuge insbesondere nicht mehr die Wahl, ob er sich vernehmen lassen will, sondern unterliegt dem Zeugniszwang. Er kann auch nicht nur unter erschwerten Voraussetzungen, sondern allein auf Antrag seines Gegners oder seines gesetzlichen Vertreters vernommen werden. Als Zeugen drohen ihm die Zwangsmittel sowie die Kostenpflichten bei unentschuldigtem Ausbleiben oder unberechtigter Weigerung. Dies ist die notwendige Folge, wenn man den von der Parteivernehmung ausgeschlossenen Personenkreis wiederum als mögliche Zeugen ansieht. Eine gewisse Einschränkung der Zeugenpflichten wird in der Regel nur die Vorschrift des § 384 Nr. 1 ZPO bedeuten; aber auch dann ist dem minderjährigen Zeugen mit dem Weigerungsrecht eine Verantwortung aufgebürdet, 121 die 118
§ 453 ZPO; Baumbach, ZPO, Übers.§ 445 2D; Rosenberg/Schwab, S. 773. BGH L M §398 ZPO Nr. 7; Stein-Jonas §445 Rz. 10; Rosenberg/Schwab, S. 773; Baumbach, ZPO, § 445 Anm. 1. 120 BGH NJW 65, 2253 (2254). 121 Es ist zudem zweifelhaft, ob ein solcher Zeuge das Weigerungsrecht selbständig ausüben kann oder ob nicht auch insoweit sein gesetzlicher Vertreter zustimmen muß, wie dies in § 52 II StPO vorgesehen ist. 119
6 Deichmann
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derjenigen der Partei (§§ 446, 453 Abs. 2, 454 ZPO) zumindest gleichkommt. Verfahrensrechtlich bestehen also kaum Einschränkungen der Zeugenpflichten. Damit scheint sich für die strafrechtliche Beurteilung der Schluß aufzudrängen, daß diejenige Partei, die von der Parteivernehmung ausgeschlossen ist und deshalb als Zeuge vernommen werden kann, derselben Mitverantwortung für die Sachverhaltsfeststellung unterliegt wie jeder andere Zeuge auch. Dieser Schluß vernachlässigt aber die Tatsache, daß die Falschaussage einer Partei, jedenfalls solange sie nicht beschworen wird, hinsichtlich ihres Strafwürdigkeitsgehaltes vom Strafgesetzgeber als ein im Vergleich zur Falschaussage des Zeugen geringeres Unrecht angesehen wird; denn sie ist als solche nicht strafbar. Da die Falschaussage der vernommenen Partei aber in gleicher Weise wie die Zeugenaussage die Sachverhaltsfeststellung verfälschen kann, die Gefährlichkeit des Rechtsgutsangriffs also zumindest dieselbe ist, muß die Unrechtsdifferenz in einem minderen Grad der Überantwortung bestehen.122 Aber selbst diese geminderte Verantwortung wollte das Verfahrensrecht den prozeßunfähigen Parteien nicht übertragen. Das Strafrecht kann diese Wertung nicht ignorieren. Es könnte sonst folgender Fall auftreten. Ein Vater verabredet mit seinem fünfzehnjährigen Sohn, dem Beklagten, eine Falschaussage. Beide werden im Rechtsstreit vernommen, der Vater als gesetzlicher Vertreter der Partei gemäß § 455 Abs. 1 ZPO, der Sohn als Zeuge. Eine Strafbarkeit des Vaters nach § 153 scheidet aus. Soll der Sohn aber nach dieser Vorschrift strafbar sein, obwohl ihm das Verfahrensrecht gemäß § 455 Abs. 1 ZPO nicht einmal diejenige Verantwortung zuweist, die eine Partei bei ihrer Vernehmung für die Sachverhaltsfeststellung trägt? Es kann daher nicht unberücksichtigt bleiben, daß dieser Zeuge in die Zeugenposition nur gelangt, weil sein Wissen andernfalls gar nicht prozessual verwertbar wäre, daß diese prozessual verständliche Rechtsanwendung aber den durch § 455 Abs.l ZPO intendierten Ausschluß der nicht prozeßfähigen Partei von jeder Verantwortung für die Sachverhaltsfeststellung mißachet. Für das Strafrecht drängt sich deshalb ein Schluß a maiore ad minus auf: Wenn schon die Falschaussage des gesetzlichen Vertreters nicht unter § 153 fällt, kann dies erst recht nicht für die Falschaussage des als Zeuge vernommenen Vertretenen gelten. Denn ihm ist jedenfalls eine geringere Verantwortung als dem gesetzlichen Vertreter zugewiesen, so daß der Unwert einer von ihm verübten Rechtsgutsverletzung jedenfalls nicht in dem Maß gesteigert sein kann, wie dies das Strafgesetz für die sonstigen Zeugen voraussetzt. Trotz der Verfahrensstellung als Zeuge kann sich daher die als Zeuge vernommene, nicht prozeßfähige Partei einer uneidlichen Falschaussage gemäß § 153 StGB nicht schuldig machen. Im strafrechtlichen Sinn ist sie nicht „Zeuge", weil 122
Vgl. unten Teil 2 D.II.3.b) bb).
C. Falsche uneidliche Aussage
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ihr das Rechtsgut der Aussagedelikte nicht im selben Maß wie anderen Zeugen überantwortet ist.
2. Zeugen vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen Bedenken, ob der strafrechtliche Begriff des Zeugen nur in Anlehnung an das Verfahrensrecht gebildet werden kann, ergeben sich auch im Bereich des Rechtes der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse. § 153 ordnet der Falschaussage eines Zeugen dieselbe Strafdrohung zu, gleichgültig, ob sie vor Gericht oder einer anderen zuständigen Stelle, insbesondere also einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß erfolgt. Bei der Auslegung des Tatbestandes muß daher darauf geachtet werden, daß der gleichen Rechtsfolge auch ein vergleichbares Unrecht entspricht. 123 Das ist insoweit unproblematisch, als es um das in § 153 vorausgesetzte Gemeinunrecht geht. Eine Falschaussage, gleich welcher Person, gefährdet in gleichem Maße das Rechtsgut der Aussagedelikte, unabhängig davon, ob dies vor Gericht oder einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß geschieht. Problematisch ist dagegen die Entsprechung, soweit es um den durch das Relativverhältnis abgewandelten, gesteigerten Unwert der Falschaussage eines Zeugen geht. Dieses Sonderunrecht ist im Strafprozeß nur begründet, wenn die als Zeuge aussagende Person tatsächlich Zeuge ist und nicht unter Mißbrauch eines Ermessensspielraums in diese Position gedrängt wurde. Wird also in einem Verfahren gegen mehrere Angeklagte das Verfahren gegen einen Mitangeklagten abgetrennt, um ihn zu dem auch ihn betreffenden Vorwurf als Zeuge zu vernehmen124, oder wird ein Mitangeklagter als Zeuge vernommen 125, liegt das relative Unrechtselement genausowenig vor, wie in dem Fall, daß die als Zeuge vernommene Person die Beschuldigtenstellung nur deshalb nicht bekleidet, weil die Staatsanwaltschaft trotz Vorliegens ausreichender Verdachtsgründe ihre Ermittlungen weiter gegen Unbekannt führt, um den Aussage- und Eideszwang zu begründen.126 Im Verfahren vor den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen folgt die Beweiserhebung überwiegend dem Modell des Strafprozesses. 127 Es stellt sich 123
Wagner, GA 76, S. 257. BGH JR 69,148 (149). 125 RGSt 6,279 (281). 126 BGHSt 10,8 (12). 127 Eine entsprechende Anwendung der StPO ordnen an: Art.44 Abs. 2 GG, Art. 25 Abs. 2 Bay Verf, Art 105 Abs. 6 Brem Verf, Art. 25 Abs. 2 HambVerf, Art. 92 Abs. 3 HessVerf, Art. 11 Abs. 4 Nieders Verf, Art. 41 Abs. 3 NRW-Verf, Art. 91 Abs. 4 Rh-PfVerf, Art. 81 Abs. 5 Saarl124
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daher zunächst die Frage, ob auch in diesen Verfahren eine Verfahrensposition existiert, die derjenigen des Beschuldigten im Strafverfahren gleicht und deshalb diese Personen von der Zeugenstellung ausschließt, ferner, ob ein mißbräuchliches Drängen in die Zeugenstellung unter Vorenthaltung der dieser Person eigentlich angemessenen, derjenigen eines Beschuldigten vergleichbaren Verfahrensposition denkbar ist. Der Bundesgerichtshof 128 hat beide Fragen ohne viele Umstände bejaht. Für die Frage, welche Verfahrensposition eine von einem Untersuchungsausschuß vernommene Person einnehme, komme es auf die dem Untersuchungsausschuß gestellte Aufgabe an. Gehe es allgemein um die Untersuchung und Überprüfung bestimmter Vorgänge, könnten die vernommenen Personen nur Zeugen sein 129 , gleichgültig, ob und in welchem Grad sie verdächtig seien, an diesen Vorgängen beteiligt gewesen zu sein. Ihrer Konfliktlage müsse durch Anwendung der §§ 55, 60 Nr. 2 StPO Rechnung getragen werden. Sei dem Ausschuß dagegen die Untersuchung aufgegeben, ob bestimmte, namentlich bezeichnete Personen ehrenrührige oder strafbare Handlungen begangen hätten, so könnten diese Personen nicht Zeugen sein. Sie stünden dann als Beschuldigte vor dem Ausschuß.130 Weise schließlich das Parlament dem Untersuchungsausschuß die sachliche Überprüfung bestimmter Vorgänge aus der sachfremden Erwägung zu, verdächtige Personen dem Aussagezwang auszusetzen, so vermöge dieses mißbräuchliche Vorenthalten der angemessenen Verfahrensposition gleichfalls die Zeugenstellung nicht zu begründen. Die enge Anlehnung an die StPO, die der Bundesgerichtshof bei der Bestimmung der Zeugen im Sinne der §§ 153, 154 hier einhält, sichert die Angemessenheit der gleichen Strafdrohung, die für Falschaussagen vor Gericht und vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen angeordnet ist. Denn wer nach diesen Grundsätzen in einem parlamentarischen Untersuchungsverfahren die Stellung eines Zeugen einnimmt, verwirklicht in gleicher Weise wie der Zeuge im Strafprozeß das Sonderunrecht, das § 153 voraussetzt. Nach den vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätzen decken sich deshalb der strafrechtliche und der verfahrensrechtliche Begriff des Zeugen. Verf, Art. 15 Abs. 2 Schles-HolstVerf, § 8 Abs. 4 Vorl.Landessatzung Thür; eine solche Verweisung fehlt in Art. 35 BaWüVerf und Art. 33 Berlin Verf. Die in diesen Verfassungen vorgesehenen Ausführungsgesetze (vgl. GBl.Ba-Wü 17.3.1976, S. 194; GVB1 Berlin 29.6.1970, S. 925) enthalten jedoch teils wörtlich aus der StPO übernommene Bestimmungen, teils ihrerseits Verweisungen auf die StPO. Zur Rechtslage in den weiteren neuen Bundesländern sind abschließende Aussagen derzeit noch nicht möglich. In Brandenburg, Sachsen und SachsenAnhalt fehlt in den die Beweiserhebung regelnden Verfassungsartikeln ein Verweis auf das strafprozessuale Modell; die dort vorgesehenen Ausführungsgesetze bestehen noch nicht; vgl. Art. 72 Abs. 5 Brandenburg Verf, Art. 54 Abs. 6 SächsVerf, Art. 54 Abs. 8 Sachs.-Anhalt. Verf. 128 129 130
BGHSt 17, 128 (129-131); ihm folgend OLG Köln NJW 88, S. 2485 (2487). Ebenso Wagner, GA 76, S. 266. Ebenso Wagner, GA 76, S. 266.
C. Falsche uneidliche Aussage
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Der sachliche Grund für die Anerkennung einer dem Beschuldigten vergleichbaren Verfahrensposition im Verfahren vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß und für die Beschränkung dieser Betroffenenposition auf Untersuchungen mit personell-bestimmtem Ermittlungszweck wird vom Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung nicht genannt. Er ergibt sich zum einen daraus, daß die gegen eine bestimmte Person geführte Untersuchung die strafrechtliche oder disziplinarische Verfolgung dieser Person oder eine Abgeordneten- oder Ministeranklage zur Folge haben kann. Die solchen Personen in diesen Verfahren zustehenden Rechte, insbesondere sich nicht selbst belasten zu müssen, könnten gegenstandslos werden, wenn im parlamentarischen Untersuchungsverfahren ein Zwang zur Selbstbezichtigung bestünde.131 Der Betroffene muß deshalb bereits in diesem Verfahren eine entsprechende Verfahrensstellung erhalten. Dies ergibt sich auch aus der Art. 103 Abs. 1 GG zugrundeliegenden Wertung, wonach dem Betroffenen eine angemessene Stellung als Subjekt eines Verfahrens, nicht nur die Position eines Beweismittels gegen sich selbst einzuräumen ist. 1 3 2 Unabhängig von der Gefahr, daß die parlamentarische Untersuchung weitere Verfahren nach sich zieht, muß dem Betroffenen eine angemessene Stellung daher auch deshalb eingeräumt werden, weil schon die Ergebnisse einer parlamentarischen Untersuchung als solche geeignet sein können, das Ansehen und die Stellung der betroffenen Person in der Öffentlichkeit zu beeinträchtigen. 133 Der Respekt vor der Person des Betroffenen fordert daher auch im parlamentarischen Untersuchungsverfahren die Anerkennung des strafprozessualen Verbots eines Zwanges zur Selbstbezichtigung. Das schließt es aus, betroffenen Personen eine gesteigerte Mitverantwortung für die Sachverhaltsfeststellung zuzuweisen. Hinsichtlich der Beschränkung des Betroffenenstatus auf Untersuchungen mit personell-bestimmtem Ermittlungszweck beruht die Entscheidung auf der sinngemäßen Übertragung der in der Strafprozeßordnung getroffenen Unterscheidung zwischen tatverdächtigen Zeugen und Beschuldigten. Dem Willensakt der Verfolgungsbehörde, welcher den Verdächtigen zum Beschuldigten macht, also die Einleitung des Ermittlungsverfahrens gegen eine bestimmte Person, entspricht, so der BGH, der Wille des Parlaments, dem Ausschuß eine Untersuchung mit personell-bestimmtem Ermittlungszweck zu übertragen. Den vom BGH entwickelten Grundsätzen zum Betroffenenstatus ist entgegengehalten worden, sie stellten eine rein formale Übertragung des Regelsystems der Strafprozeßordnung auf das Verfahren vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen dar, ohne die Schutzbedürfnisse weiterer Betroffener ausreichend zu berücksichtigen. Denn der tatverdächtige Zeuge im parlamenta131 132 133
Wagner, GA 76, S. 270; Schenke, JZ 88, S. 814. Schenke, JZ 88, S. 814; Wagner, GA 76, S. 271; Buchholz, S. 148. Schenke, JZ 88, S. 814.
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rischen Untersuchungsverfahren müsse im Gegensatz zum tatverdächtigen Zeugen im Strafprozeß mit einer negativen, sein Ansehen mindernden Feststellung im Abschlußbericht rechnen, auch wenn die Untersuchung zunächst nicht gegen ihn, sondern einen anderen gerichtet oder allgemeiner Art war. Weil also die Willensrichtung der Untersuchung nicht notwendig mit den Sanktionsfolgen des Abschlußberichts korrespondiere, sei eine widerspruchsfreie Übertragung der strafprozessualen Unterscheidung des Beschuldigten vom tatverdächtigen Zeugen auf das parlamentarische Untersuchungsverfahren nicht möglich. 134 Dieser Kritik ist zuzugeben, daß die Position tatverdächtiger Zeugen in Untersuchungen mit allgemein gehaltenen Untersuchungsaufträgen relativ schwach ist und eine aktive Verteidigungsstrategie solcher Personen kaum zuläßt. Allerdings ist die sinngemäße Anwendung der strafprozessualen Regeln durch Art. 44 Abs. 2 GG vorgegeben, so daß Friktionen hinzunehmen sind. Außerdem berücksichtigt diese Kritik nicht die vom BGH gewiesene Möglichkeit, daß der Untersuchungsauftrag aus Willkür allgemein, statt personell-bestimmt formuliert wurde, und daß in solchen Fällen die als Zeuge vernommene, verdächtige Person gleichwohl als Betroffener zu betrachten ist. Damit können die Schutzrechte Betroffener jedenfalls bezüglich des Selbstbezichtigungszwanges in weitem Umfang berücksichtigt werden. Der gegen die Lösung des BGH vorgebrachte, weitergehende Vorschlag, alle tatverdächtigen Personen in einer parlamentarischen Untersuchung gleichgültig welcher Ermittlungsrichtung als Betroffene zu behandeln135, überzeugt jedenfalls nicht. Die zur Ableitung dieser Folgerung herangezogenen, verfassungsrechtlichen Prinzipien des Verbots eines Selbstbezichtigungszwangs, des Rechts auf rechtliches Gehör und auf faires Verfahren sind ihrerseits keine absolut geltenden Standards, sondern müssen gegen andere verfassungsrechtlich bedeutsame Werte abgewogen werden. Dabei kann die Abwägung im Einzelfall durchaus zugunsten des staatlichen Aufklärungsinteresses und damit gegen das Nemo-tenetur-Prinzip ausfallen. 136 Im übrigen mißachtet diese Ableitung auch die verfassungsunmittelbare Vorgabe des Art. 44 Abs. 2 GG, wonach die Konflikte tatverdächtiger Personen nach dem Modell des Strafprozesses zu lösen sind. Durch diese Verweisung hat der Verfassungsgeber selbst die Abwägung des Aufklärungsinteresses gegen die Schutzinteressen verdächtiger Personen vorgenommen. Die vom BGH entwickelten Grundsätze sind danach als sachgemäße Lösung des Problems im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben anzuerkennen. 134
Buchholz, S. 158 ff. Buchholz, S. 175 f. 136 Vgl. BVerfGE 56,37 ff.; Di Fabio, S. 48 f. und Müller-Boysen, S. 108 ff. gelangen sogar zu einer völligen Ablehnung eines Betroffenenstatus bzw. eines mit ihm verbundenen Schweigerechts. 135
C. Falsche uneidliche Aussage
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Der Unterscheidung zwischen Betroffenen und tatverdächtigen Zeugen tragen einige das parlamentarische Untersuchungsverfahren betreffende Landesgesetze und die sogenannten IPA-Regeln137 Rechnung. Die IPA-Regeln waren zunächst ein von der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft erarbeiteter, in der 5.Wahlperiode des Bundestages fraktionsübergreifend eingebrachter Gesetzentwurf mit dem Ziel, das Verfahrensrecht der Untersuchungsausschüsse des Bundestages zu regeln. Der Entwurf wurde nicht Gesetz, jedoch arbeiten die Untersuchungsausschüsse des Bundestages auf der Grundlage dieser Regeln, da ihre Anwendung seither für jeden Untersuchungsausschuß besonders beschlossen wurde. Es handelt sich damit gewissermaßen um eine besondere Geschäftsordnung. 138 In diesen Regeln und jenen Landesgesetzen wird entsprechend dem Vorgehen des Bundesgerichtshofs zum Teil an die Aufgabenstellung der Untersuchungsausschüsse angeknüpft, 139 zum Teil aber auch danach differenziert, ob der Untersuchungsausschuß im Bericht eine Äußerung über eine persönliche Verfehlung der betreffenden Person abgeben will. 1 4 0 Immer wird jedoch die Gewährung der Stellung als Betroffener außerdem von einer entsprechenden Feststellung des Ausschusses abhängig gemacht.141 Das saarländische Gesetz und die IPA-Regeln gehen noch einen Schritt weiter, indem sie vorsehen, daß sich die Betroffenenstellung erst im Laufe der Untersuchung ergeben kann, also nicht nur aufgrund der im Einsetzungsbeschluß gestellten Aufgabe zu beurteilen ist. 1 4 2 Überraschend ist jedoch, daß diese Gesetze mit einer Ausnahme dem Betroffenen eine Aussagepflicht auferlegen, die nur durch Weigerungsrechte, wie sie dem Zeugen im Strafverfahren zur Verfügung stehen, und durch ein Vereidigungsverbot abgemildert ist. 143 Die Abwägung zwischen Aufklärungsinteresse und Respektierung der Subjektstellung des Betroffenen fällt hier also anders aus als im Strafprozeß. Für die Strafrechtsanwendung ergeben sich hieraus jedoch keine Probleme. Die Grenzziehung zwischen Zeugen und Betroffenen ist durch diese Gesetze bestimmt, so daß die vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätze, wonach generell die dem Ausschuß gestellte Aufgabe maßgeblich ist 1 4 4 , insoweit zu137 138 139
BT-Drs. V/4209. Vgl. Zeh, S. 462. Art. 13 Abs. 1 S. 2 UA-Gesetz Bayern; § 54 Abs.l LandtagsG Saar; § 18 Abs. 1 IPA-
Regeln. 140
§ 19 Abs. 1 Nr. 4 UA-Gesetz BaWü. § 19 Abs. 2 UA-Gesetz BaWü; Art. 13 Abs. 2 UA-Gesetz Bayern; § 54 Abs. 2 LandtagsG Saar; § 18 Abs. 2 IPA-Regeln. 142 § 54 Abs. 1 Nr. 2 LandtagsG Saar; § 18 Abs. 1 Nr. 4 IPA-Regeln. 143 § 54 Abs. 3 S. 2,4 LandtagsG Saar; § 19 Abs. 5 S. 1 UA-Gesetz BaWü; § 18 IPA-Regeln; Ausnahme: Art. 13 Abs. 2 UA-Gesetz Bayern. 144 BGHSt 17, 128 (130). 141
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Teil 2: Die Aussagedelikte
rückstehen müssen. Allerdings entsprechen die Merkmale, welche die Landesgesetze Bayerns und des Saarlandes sowie die IPA-Regeln für die Betroffenenstellung voraussetzen, im wesentlichen den vom BGH aufgestellten Grundsätzen. Diejenigen Betroffenen, deren Eigenschaft vom Untersuchungsausschuß festgestellt ist, sind ab diesem Zeitpunkt von der Zeugenstellung ausgeschlossen, selbst wenn ihre Aussagepflicht zeugenähnlich ausgestaltet ist. Die falsche Aussage eines Betroffenen ist daher nicht diejenige eines Zeugen im Sinne des § 153, mag ihr Unwert aufgrund der eigenartigen Mitwirkungspflicht des Betroffenen auch höher sein als derjenige einer Lüge des Angeklagten im Strafprozeß. Eine strafbare Falschaussage und ein Meineid, auch ein versuchter, scheiden aber auch aus, wenn der Untersuchungsausschuß die gebotene Feststellung der Betroffeneneigenschaft rechtsfehlerhaft unterläßt bzw. ablehnt. Denn diese Feststellung ist kein konstituierendes Merkmal der Betroffeneneigenschaft. Diese ist vielmehr in den betreffenden Landesgesetzen und in den IPA-Regeln abschließend durch das Merkmal des personell-bestimmten Ermittlungszwecks der Untersuchung, welcher sich auch im Lauf der Untersuchung herausstellen kann, bzw. durch das Merkmal der beabsichtigten Äußerung über ein Fehlverhalten des Betroffenen (§ 19 Abs. 1 Nr. 4 UA-Gesetz BaWü) festgelegt. Durch die diesbezügliche Feststellung soll sich der Ausschuß selbst Klarheit verschaffen, wie er die betreffende Person behandelt. Eine falsche Beurteilung des Ausschusses ist jedoch bei der Strafrechtsanwendung nicht bindend. Insbesondere ist eine solche Feststellung kein zum Abschlußbericht gehörender Beschluß und daher auch aus diesem Grund der gerichtlichen Erörterung nicht entzogen. Es handelt sich bei der Feststellung der Betroffeneneigenschaft auch nicht um einen Willensakt wie etwa denjenigen des Parlaments, durch den entschieden wird, ob eine Untersuchung mit personell-bestimmtem Ermittlungszweck geführt werden soll. Insoweit könnte, wie vom BGH dargelegt, nur eine Nachprüfung auf Ermessensmißbrauch erfolgen. Handelt es sich aber bei der Feststellung der Betroffeneneigenschaft um Rechtsanwendung, so ist eine solche Beschränkung des Prüfungsmaßstabs nicht geboten. Der Strafrichter muß vielmehr selbst prüfen, ob eine als Zeuge vernommene Aussageperson die Merkmale eines Betroffenen aufweist oder nicht. Im Ergebnis ist daher auch bei den parlamentarischen Untersuchungsverfahren, die eine Betroffenenstellung ausdrücklich anerkennen, ein Gleichklang von Straf- und Verfahrensrecht festzustellen. Wer nach dem hier einschlägigen Verfahrensrecht Zeuge ist, ist es auch im Sinne des § 153. Diese Beurteilung muß sich zwangsläufig ändern, wenn das Verfahrensrecht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse eine dem Beschuldigten im Strafverfahren vergleichbare Position überhaupt nicht anerkennt. Dann werden sämtliche Beweispersonen als Zeugen gehört und unterliegen dem Aussage- und Eideszwang. Im Schrifttum wird die Auffassung vertreten, daß nur diese Verfahrensweise der sinngemäßen Anwendung der StPO, wie sie Art. 44 Abs.2 GG gebietet,
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entspreche, weil das parlamentarische Untersuchungsverfahren einen Beschuldigten oder Angeklagten nicht kenne. 145 Dieses Argument ist zurecht als formalistisch bezeichnet worden. 146 Sein Beweiswert ist gering. Denn es kommt nicht darauf an, ob dieses Verfahren einen Beschuldigten kennt, sondern ob es hier Personen gibt, die sich in einer materiell und formell vergleichbaren Lage wie ein Beschuldigter befinden. 147 Das trifft für die Personen zu, die der Beteiligung an einem Vorgang verdächtig sind und gegen die deshalb eine Untersuchung mit personell-bestimmtem Ermittlungszweck gerichtet wird. 1 4 8 Jene Auffassung enthält ferner den stillschweigenden Vorwurf sachwidriger Gesetzgebung an die Länder, die eine solche Stellung normiert haben, auch wenn ihre Verfassungen die entsprechende Anwendung der StPO vorsehen. Hinter dieser Auffassung dürfte jedoch letztlich das Anliegen stehen, auch Betroffene dem Zwang, vor dem Ausschuß zu erscheinen und auszusagen, unterwerfen zu können.149 Solange es daher noch kein Gesetz gibt, das eine verpflichtende Mitwirkung des Betroffenen - eventuell auch beschränkt auf Angehörige der Exekutive150 - bei der Sachaufklärung vorsieht und dadurch den entsprechend anwendbaren § 136 Abs. 1 S. 2 StPO ausschaltet, mag es im Interesse wirksamer parlamentarischer Kontrolltätigkeit angemessen sein, die Mitwirkung des Betroffenen auf dem „Umweg" über seine Behandlung als Zeuge zu erzwingen. Verfahrensrechtlich liegt, wenn man ein solches Vorgehen wegen des staatlichen Aufklärungsinteresses für sachgerecht hält, kein mißbräuchliches Vorenthalten einer angemessenen Verfahrensstellung vor. Die dann zur Verfügung stehenden Zwangsmittel reichen jedoch aus, um diesem Anliegen Rechnung zu tragen. Das Strafrecht hat dagegen keinen Anlaß, diese auf einem Versäumnis des Gesetzgebers beruhende Ausweitung der Zeugenstellung mitzuvollziehen. Denn aus den Sachgründen, die oben dargestellt wurden, entspricht der Grad der Mitverantwortung eines solchen „Zeugen in eigener Sache" nicht der Verantwortung, die den Zeugen im Strafprozeß zuteil wird. Um hier nicht Ungleiches gleich zu bestrafen, wäre es auch für die hier erörterte Auffassung geboten, die Straflosigkeit der Falschaussage eines von einer gegen ihn gerichteten Untersuchung betroffenen Zeugen zu befürworten. Das führt zu einem eigenständigen, dem geringeren relativen Unwert einer solchen Aussage Rech145
BK-Rechenberg Art. 44 Rz. 25; Di Fabio, S. 48 f. Schenke, JZ 88, S. 814. 147 Gollwitzer, BayVBl. 82, S. 418. 148 Wann die Untersuchung sich gegen eine bestimmte Person richtet, mag im Einzelfall schwierig zu entscheiden sein; vgl. dazu Schenke, JZ 88, S. 814 f. und beispielhaft den „Fall Lappas" (dazu BVerfG EuGRZ 87, S. 549 ff.; Schenke, JZ 88, S. 815 Fn. 89) sowie OLG Köln NJW 88, S. 2485 („Affäre Kießling"). 149 Deutlich betont in BVerfG EuGRZ 87, S. 549 (555). 150 Schenke, JZ 88, S. 815. 146
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nung tragenden Begriff des Zeugen, der mit dem verfahrensrechtlichen Begriff nicht mehr übereinstimmt. Im Ergebnis ist also auch in parlamentarischen Untersuchungsverfahren mit personell-bestimmtem Ermittlungszweck, in denen ein Betroffener als Zeuge behandelt wird, davon auszugehen, daß er als „betroffener Zeuge" kein Zeuge im Sinne des § 153 ist, diesen Tatbestand also nicht verwirklichen kann.
3. Gutachten von Behörden und Körperschaften Anders als in den beiden bisher erörterten Problembereichen stellt sich die Frage nach dem Kreis der für das Delikt des § 153 tauglichen Deliktssubjekte, wenn beziehungsweise soweit Behörden und Körperschaften des öffentlichen oder privaten Rechts151 als solche in einem gerichtlichen Verfahren Gutachten erstatten. Ging es bisher um eine Einschränkung des strafrechtlichen gegenüber dem verfahrensrechtlichen Zeugenbegriff, so handelt es sich jetzt um die Frage, ob zu den tauglichen Deliktssubjekten auch solche Personen gehören können, die selbst nicht Zeugen oder Sachverständige sind, aber eine Behörde in dieser Funktion vertreten. Die Strafbarkeit einer Person, die ein falsches Gutachten innerhalb der Behörde oder Körperschaft als Sachbearbeiter erstellt, des Behördenleiters, der mit seiner Unterschrift die Verantwortung für das Gutachten übernimmt und schließlich desjenigen Beamten, der das falsche Gutachten in der Hauptverhandlung vertritt, erläutert bzw. nochmals mündlich erstattet, ist, soweit ersichtlich, bisher nicht untersucht worden. Schon die verfahrensrechtliche Zuordnung des Behördengutachtens zum Sachverständigen- bzw. Urkundenbeweis ist umstritten, ferner, ob und in welchem Umfang die Vorschriften über den Sachverständigenbeweis auf solche Gutachten und die damit befaßten Personen anwendbar sind. Zur Veranschaulichung der Problematik möge der folgende Beispielsfall dienen. Dem in einem gerichtsmedizinischen Institut einer Universität beschäftigten A ist die Untersuchung von Blutproben nebst Erstellung von Blutalkoholgutachten übertragen, die von den Justizbehörden regelmäßig angefordert werden. Die dem Institut von der Staatsanwaltschaft zur Untersuchung übersandte Blutprobe eines Bekannten des A enthält eine Blutalkoholkonzentration, die eine absolute Fahruntüchtigkeit ergeben würde. A gibt in seinem Gutachten statt dessen zu niedrige Werte an; das von ihm „im Auftrag" des Institutsleiters unterzeichnete Gutachten wird in der Hauptverhandlung verlesen. Da jedoch Zweifel an der Zuverlässigkeit des Gutachtens aufkommen, wird A zur mündlichen Erstat151 Zu den Behörden und Körperschaften, die hier in Frage kommen, eingehend Jessnitzer, S. 32 ff.
C. Falsche uneidliche Aussage
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tung bzw. Vertretung des Gutachtens zu einem Fortsetzungstermin geladen. In der Hauptverhandlung bleibt er bei seiner schriftlichen Darstellung. Bei der Subsumtion dieses Verhaltens unter die Vorschrift des § 153 erweisen sich sämtliche Tatbestandsmerkmale als problematisch.
a) Behördengutachten als „Aussage" Zunächst hängt es von dem Verständnis der Tathandlung, des Aussagens ab, ob schon das schriftlich erstattete und zur Verlesung gekommene Gutachten oder allenfalls die mündliche „Vertretung" des Gutachtens den Tatbestand erfüllt. Diese umstrittene Frage liegt außerhalb des Themas dieser Untersuchung und bedarf hier keiner Klärung. Sie muß an dieser Stelle nur hervorgehoben werden, um auf ein im Schrifttum geäußertes Mißverständnis hinzuweisen. Dort wird argumentiert, daß schriftliche Äußerungen im Falle des § 256 Abs. 1 S. 1 StPO schon deshalb keine Aussagen seien, weil es sich um das Gutachten bzw. Zeugnis einer Behörde handle.152 Jedoch ist die Frage, ob eine schriftliche Äußerung, soweit sie verfahrensrechtlich zugelassen ist, eine Aussage im Sinne des § 153 darstellt, völlig unabhängig davon, ob diese Aussage von einer Person im eigenen Namen oder im Namen und in Vertretung einer Behörde erfolgt ist. Läßt man generell schriftliche Begutachtung, soweit verfahrensrechtlich zulässig, für § 153 genügen,153 kann bei den unter § 256 StPO fallenden Behördengutachten das Merkmal der Aussage jedenfalls nicht verneint werden. Nur für die Bestimmung des Begriffs „Aussage" erlangt ferner die im verfahrensrechtlichen Schrifttum umstrittene Frage Bedeutung, ob es sich bei den nach § 256 StPO verlesenen Gutachten überhaupt noch um Sachverständigenbeweis oder vielmehr um Urkundenbeweis handelt.154 Aus der Zuordnung der Verlesung zum Urkundenbeweis könnte sich ein Argument gegen die Subsumtion solcher schriftlicher Äußerungen unter den Begriff der Aussage ergeben, weil der Einfluß des falschen Gutachtens auf die gerichtliche Sachverhaltsfeststellung nur durch Verwertung des Gedankeninhalts einer verlesenen Urkunde, aber eben nicht durch eine mündliche Äußerung zustande kommt. Ob man sich von diesem mehr an den Formulierungen der Alltagssprache orientierten Argument überzeugen lassen will, berührt den Gegenstand dieser Arbeit gleichfalls nicht. Hier muß nur betont werden, daß es bei der Zuordnung einer solchen Verlesung 152
LK-Willms § 153 Rz. 4. So Schönke-Schröder-Lenckner, Vor § 153 Rz. 22; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT2, S. 222; anders ζ. B. OLG München MDR 68, S. 939 f.; LK-Willms § 153 Rz. 4. 154 Für Urkundenbeweis: Hanack, NJW 61, S. 2041; Ahlf, MDR 78, S. 982; für Sachverständigenbeweis: Jessnitzer, S. 32,41 f.; Leineweber, MDR 80, S. 7. 153
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zum Urkundenbeweis nur um die Form der Verwertung geht, daß aber der Sache nach ein Sachverständigenbeweis vorliegt. 155 Wenn man daher schriftliche Gutachten, die zur Verlesung gekommen sind, als Aussage ansieht, besteht aus diesem Gesichtspunkt kein Grund, sie nicht als Aussage eines Sachverständigen aufzufassen.
b) Der Behördenbeauftragte als Sachverständiger Die für diese Untersuchung eigentlich interessierende Frage geht dahin, ob diejenige natürliche Person, die das Gutachten behördenintern erstellt, es verantwortet oder in der Hauptverhandlung vertritt und damit eine Aussage macht, die Eigenschaft eines Sachverständigen aufweist oder ihr dieses Merkmal zumindest gemäß § 14 Abs. 2 S. 3 zugerechnet werden kann. Im verfahrensrechtlichen Schrifttum wird einerseits vertreten, daß jeweils die natürliche Person als Sachverständiger anzusehen sei 156 ; überwiegend jedoch wird die gutachtliche Äußerung der Behörde oder Körperschaft zugerechnet, während die jeweils handelnde Person nur als deren Vertreter oder Beauftragter angesehen wird. 157 Folgt man der ersten Ansicht, ergeben sich keine weiteren Probleme. Der jeweilige Behördenvertreter beziehungsweise Beauftragte sagt selbst „als Sachverständiger" aus, so daß das besondere persönliche Merkmal bei ihm selbst vorliegt. Nach der anderen Auffassung, die jedenfalls im Bereich der StPO den Wortlaut des Gesetzes auf ihrer Seite hat, ist die prozessuale Rolle des Sachverständigen dagegen der Behörde oder Körperschaft zugewiesen. Die Behörde hat demgemäß auch den entsprechenden Entschädigungsanspruch gemäß § 1 Abs. 2 ZSEG. Das besondere persönliche Merkmal liegt daher nicht bei dem Handelnden selbst vor. Dieses Problem kann nicht mit der „faktischen Betrachtungsweise" gelöst werden. Denn mit § 14 ist diese Frage einer abschließenden Lösung zugeführt worden. 158 Der ständig oder aufgrund einer Weisung im Einzelfall mit der eigenverantwortlichen 159 Erstellung und Vertretung bestimmter Gutachten beauftragte Sachbearbeiter kann jedoch als Beauftragter im Sinne des 155
Dästner, MDR 79, S. 546. Kleinknecht/Meyer, § 83 Rz. 5; Seyler GA 89, S. 568. 157 LR-Gollwitzer § 256 Rz. 60f.; KK-Pelchen § 83 Rz. 4; Jessnitzer, S. 41 f.; Ahlf, MDR 78, S. 982; Leineweber, MDR 80, S. 8. 158 Schönke-Schröder-Lenckner § 14 Rz .4. 159 Für die Eigenverantwortlichkeit dürfte ζ. B. das Recht, ein Gutachten im Namen des Behördenleiters abzuzeichnen, ein Indiz sein. 156
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§ 14 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 i. V. m. S. 3 angesehen werden. Denn die jeweilige Behörde oder öffentlich-rechtliche Körperschaft ist eine Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt. Der jeweilige Behördenleiter ist dagegen der Fallgruppe des § 14 Abs. 2 S. 1 Nr.l i. V. m. S. 3 zuzurechnen. Kraft dieser Vorschrift, die den Kreis der möglichen Deliktssubjekte eines Sonderdelikts um diese Personen erweitert 160, wird die der Behörde selbst zukommende Eigenschaft eines Sachverständigen den handelnden natürlichen Personen zugerechnet. Bei den von den Vorständen gewisser Kammern, bei denen es sich um juristische Personen des öffentlichen Rechts handelt, zu erstattenden Gutachten findet dagegen § 14 Abs. 1 Nr. 1 Anwendung.161 Über § 14 kann auch die Strafbarkeit der Vertreter oder Beauftragten von juristischen Personen des Privatrechts gelöst werden. Die Betrauung solcher Rechtsgebilde mit der Verfahrensrolle eines Sachverständigen wird allgemein für unzulässig gehalten.162 Geschieht es dennoch, scheidet eine Strafbarkeit der Vertreter und Beauftragten aus. Denn die handelnden Personen weisen die Eigenschaft als Sachverständige nicht auf, da nicht sie bestellt wurden, sondern die Körperschaft. Bei ihr liegt das besondere persönliche Merkmal aber gleichfalls nicht vor, da dies rechtlich nicht möglich ist. 163 Damit fehlt es an der in § 14 geforderten Voraussetzung, daß das besondere persönliche Merkmal beim Vertretenen vorliegt. Damit ergibt sich, daß Behördenleiter und Beauftragte einer Behörde sowie die Organmitglieder bestimmter Körperschaften über die Zurechnungsvorschrift des § 14 zu den tauglichen Deliktssubjekten des § 153 gerechnet werden können, nicht aber die Beauftragten und Vertreter privater Organisationen.
c) Die Vereidigung des Behördenbeauftragten Bedeutsam für die Strafbarkeit der Erstattung eines falschen Gutachtens durch solche Personen ist schließlich noch die Tatsache, daß derartige Vertreter und Beauftragte nach überwiegender Auffassung vor Gericht nicht vereidigt werden dürfen, §§79 StPO, 410 ZPO also keine Anwendungfinden. Denn der 160
Langer, Das Sonderverbrechen, S. 490. Soweit es sich bei diesen gutachtlichen Äußerungen überhaupt um Sachverständigenbeweis handelt; vgl. dazu Jessnitzer, S. 33. 162 Jessnitzer, S. 43 f. m.w.Nw. 163 Dies gilt auch, wenn ein solcher Verfahrensfehler nicht gerügt wird. § 295 ZPO schließt nur die Anfechtbarkeit dieses Fehlers aus, verleiht der Körperschaft aber nicht die rechtliche Position eines Sachverständigen; vgl. wegen eines ähnlichen Problems LK-Willms § 156 Rz. 12 und unten Teil 2 EIII 2a) a.E. 161
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Vertreter oder Beauftragte könne für die Gewissenhaftigkeit der gesamten Behörde nicht einstehen.164 Daraus ergibt sich das Problem, ob die Aussage solcher Personen vor einer zur eidlichen Vernehmung von Sachverständigen zuständigen Stelle erfolgt. Daß diese Zuständigkeit auch bei der Aussage vor Gericht gegeben sein muß, folgt aus der in § 153 gewählten Formulierung „vor Gericht oder vor einer anderen... zuständigen Stelle". 165 Folgt man der überwiegenden Ansicht, könnte es aber gerade an dieser Zuständigkeit fehlen, weil weder die Behörde oder Körperschaft selbst noch die für sie handelnden Personen vereidigt werden dürfen. Dies wäre jedoch ein voreiliger Schluß. Denn daß bestimmte Beweispersonen nicht vereidigt werden dürfen, gilt auch in den Fällen der §§60 StPO, 393 ZPO, ohne daß deshalb an der Tatbestandsmäßigkeit einer Falschaussage dieser Beweispersonen gezweifelt wird. Das Zuständigkeitsmerkmal in § 153 erfordert eben nicht, daß das Gericht gerade der vernommenen Beweisperson den Eid abnehmen darf, sondern daß es in dem Verfahren, in dem die Beweiserhebung erfolgt, generell zur Abnahme entsprechender Eide zuständig ist. 1 6 6 Das trifft für die Vernehmung von Sachverständigen im Straf- und Zivilprozeß jedoch uneingeschränkt zu. Auch das Tatbestandserfordernis der zuständigen Stelle ist daher erfüllt, selbst wenn man die Vereidigung von Behördenvertretern und -beauftragten als unzulässig ansieht. Für den eingangs geschilderten Beispielsfall ergibt sich aus all dem, daß A sich wegen einer Falschaussage gemäß § 153 jedenfalls durch die mündliche Erläuterung des Gutachtens im Fortsetzungstermin strafbar macht. Denn die Eigenschaft eines Sachverständigen weist er entweder selbst auf, oder sie wird ihm als eigenverantwortlich tätigem Behördenbeauftragten gemäß § 14 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, S. 3 zugerechnet. Ob dagegen schon die Erstellung oder zumindest die Unterzeichnung des verlesenen Gutachtens eine Falschaussage bedeutet, hängt nur von der Auslegung des Merkmals „Aussagen" ab.
VI. Zusammenfassung Die Untersuchung hat gezeigt, daß die falsche uneidliche Aussage als Sonderstraftat aufgefaßt werden muß. Dieser Umstand hat in Grenzfällen Bedeutung für die zutreffende Bestimmung der Deliktssubjekte. Als Zeugen vernommene, nicht-prozeßfähige Parteien sind ebensowenig Zeugen im Sinne des § 153 wie 164 165 166
Jessnitzer, S. 42; LR-Gollwitzer § 256 Rz.61,60; Leineweber, MDR 80, S. 9. Schönke-Schröder-Lenckner § 154 Rz.8; BGHSt 3,248 (249). Schönke-Schröder-Lenckner § 154 Rz. 8; ders., § 153 Rz. 5.
D. Der Meineid
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die von einer parlamentarischen Untersuchung mit personell-bestimmtem Ermittlungszweck betroffenen Personen. Schließlich ist denjenigen Personen, die vor Gericht das Gutachten einer Behörde oder Körperschaft vertreten, die Sachverständigeneigenschaft gemäß § 14 zuzurechnen.
D. Der Meineid Das Verbrechen des Meineides gemäß § 154 wird nach heutiger Auffassung als erschwerte Form der falschen uneidlichen Aussage begriffen, soweit es sich um einen Zeugen- oder Sachverständigeneid handelt.167 Der Schluß, daß die Qualifikation die Sonderdeliktsnatur des Grundtatbestandes teile, liegt daher nahe. Gleichwohl erübrigt diese Erwägung nicht die am Maßstab der Sonderdeliktsdefinition vorzunehmende Prüfung, ob das Delikt des Meineides sämtliche Merkmale einer Sonderstraftat aufweist. Denn zum einen umfaßt der Meineid mit der Partei des Zivilprozesses von vornherein einen größeren Kreis von Deliktssubjekten als § 153. Zweitens bedarf der Klärung, ob die gegenüber § 153 erheblich strengere Strafdrohung nur auf einer für das Rechtsgut gefährlicheren Begehungsweise oder auch auf einem größeren relativen Unwert, also einem erhöhten Sonderunrecht beruht. Schließlich ist das besondere persönliche Merkmal, der Sonderunrechtstatbestand, anders als bei der falschen uneidlichen Aussage hier nicht auf den ersten Blick erkennbar.
I. Tatbestandliche Subjektskreiseinschränkung Die Suche nach dem besonderen persönlichen Merkmal, also einem Tatbestandsmerkmal, das den Kreis möglicher Deliktssubjekte begrenzt und abstrakt geeignet ist, Sonderunrecht zu beschreiben, begegnet beim Meineid der Schwierigkeit, daß dieser Tatbestand scheinbar den Täterkreis nur durch das farblose, an sich den Gemeindelikten eigentümliche Wort „Wer" beschreibt. Im Gegensatz zu § 153 fehlt die Wendung „als Zeuge oder Sachverständiger" oder eine vergleichbar eindeutige Benennung bestimmter Deliktssubjekte. Es ist jedoch in der Sache völlig unzweifelhaft, daß es nur einen begrenzten Kreis tauglicher Meineidssubjekte gibt, nämlich Zeugen, Sachverständige, Parteien des Zivilprozesses und gesetzliche Vertreter prozeßunfähiger Parteien. 168 167
BGHSt 8,301 (309). Auf Einzelheiten, ob etwa die Beteiligten eines FGG-Verfahrens als solche beeidigt werden können, muß hier nicht eingegangen werden, genausowenig auf die „anderen zuständigen Stellen". Grundsätzlich lassen sich alle Deliktssubjekte des Meineides einem der obengenannten Typen zuordnen. 168
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Teil 2: Die Aussagedelikte
Es stellt sich daher die Frage, welches Tatbestandsmerkmal in § 154 die Funktion dieser Subjektskreiseinschränkung wahrnimmt. Dabei ist von vornherein die Falschheit des Schwurs aus der Betrachtung auszuscheiden. Denn dieses Merkmal kennzeichnet ausschließlich den Angriff auf das Rechtsgut der Aussagedelikte, also das Gemeinunrecht. Dagegen ist es möglich, das Schwören vor Gericht oder einer anderen zur Abnahme von Eiden zuständigen Stelle als subjektskreiseinschränkendes Merkmal aufzufassen. Diese Funktion verbirgt sich allerdings hinter der vom Gesetz gewählten Formulierung, die auf den ersten Blick nur ein bestimmtes Verhalten in einer bestimmten Situation zu beschreiben scheint. Es liegt jedoch auf der Hand, daß das Schwören vor Gericht nicht lediglich einen Ort beschreiben will, an welchem sich der Schwur ereignet. Es geht um anderes, wie die Auslegung dieses Merkmals durch Rechtsprechung und Schrifttum beweist. Danach bedeutet das Schwören vor Gericht, daß der Eid in einem Verfahren geschworen wird, in dem das Gesetz einen Eid dieser Art überhaupt zuläßt.169 „Vor Gericht schwören" heißt also „im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens schwören". Damit ist vorausgesetzt, daß der Täter in einem bestimmten Verfahren mitwirkt, also eine rechtlich geordnete Verfahrensposition einnimmt. Sein Schwur ist tatbestandsmäßig, wenn das Verfahrensrecht überhaupt die Beeidigung von Personen vorsieht, die sich in der Verfahrensrolle des Täters befinden. 170 Demgemäß wird bei der Prüfung des Merkmals der Abnahmezuständigkeit zuerst erfragt, in welcher Verfahrensrolle sich der Täter befand, ob er also als Zeuge, Sachverständiger, Partei, Beschuldigter oder als völlig Unbeteiligter geschworen hat. Sodann wird geprüft, ob dieser Verfahrensrolle generell die Möglichkeit eines Eides zugeordnet ist. Es gibt danach, wie bereits bemerkt, im wesentlichen nur drei Verfahrensrollen, denen überhaupt ein Eid zugeordnet sein kann, nämlich die des Zeugen, des Sachverständigen und der Partei bzw. ihres gesetzlichen Vertreters. Eine dieser Verfahrenspositionen muß der Täter tatsächlich einnehmen, andernfalls sein Schwur nicht vor einer zuständigen Stelle erfolgt und damit nicht tatbestandsmäßig ist. Dieser enge Zusammenhang zwischen der Abnahmezuständigkeit und der vom Täter eingenommenen Verfahrensrolle kommt auch in der Rechtsprechung zum Ausdruck. So prüft der Bundesgerichtshof etwa bei der Frage, ob der Amtsrichter bei den in einem Konkursverfahren erforderlichen Ermittlungen (§§75, 72 KO) für die eidliche Vernehmung des Gemeinschuldners zuständig ist, welche Verfahrensrolle der Gemeinschuldner in seinem eigenen Konkursverfahren 169 BGHSt 3,248 (249); 10,272(273); 12,56(58); Schönke-Schröder-Lenckner § 154 Rz. 8; SK-Rudolphi § 154 Rz. 4. 170 Unter Betonung der Verfahrensrolle des Täters Schönke-Schröder-Lenckner § 156 Rz. 10.
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einnimmt. Er kommt zu dem Ergebnis, daß er entweder die Stellung eines Zeugen, eher aber die einer Partei einnehme.171 Da beiden Verfahrenspositionen ihrer Art nach die Möglichkeit eines Eides zugeordnet sei, bejahte das Gericht die Zuständigkeit.172 Sogar ohne ausdrücklichen Bezug zum Merkmal der Abnahmezuständigkeit erörtert der Bundesgerichtshof in einer weiteren Entscheidung, welche Verfahrensposition der Angeklagte in dem Verfahren, in dem er geschworen hatte, einnahm. Für die Strafbarkeit wegen Meineides komme es darauf an, ob der Täter die Stellung eines Zeugen eingenommen habe. Sollte er dagegen als Beschuldigter anzusehen sein, dürfe er nicht wegen Meineids bestraft werden. 173 Der Beschuldigte könne kein geeigneter Täter im Sinne des § 154 sein. 174 Schließlich verneinte der Bundesgerichtshof auch in dem letzten, hier anzuführenden Fall das Merkmal der Abnahmezuständigkeit, weil die als Zeugin vereidigte Täterin diese Verfahrensrolle gar nicht bekleidete, sondern Beteiligte in einem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit war. 175 Sprachlich verborgen, in der Sache jedoch eindeutig beschreibt das Tatbestandsmerkmal „vor Gericht oder einer anderen zur Abnahme von Eiden zuständigen Stelle schwören" also einen Täter, der sich in einer bestimmten Verfahrensposition befindet, nämlich in einer solchen, für die nach dem Verfahrensrecht generell die Abnahme eines Eides vorgesehen ist. Damit schränkt das Merkmal der Abnahmezuständigkeit den Kreis der möglichen Deliktssubjekte auf solche Personen ein, die eine derartige Verfahrensstellung tatsächlich einnehmen. Da das Kriterium einer bestimmten Verfahrensposition, das über die Zugehörigkeit einer Person zum Kreis der möglichen Deliktssubjekte entscheidet, eine soziale Stellung beschreibt, erscheint es auch abstrakt geeignet, ein Sonderunrecht zu vertypen. Das Tatbestandsmerkmal der Abnahmezuständigkeit in § 154 ist daher ein besonderes persönliches Merkmal, so daß das Verbrechen des Meineides jedenfalls das die Sonderdelikte kennzeichnende Formelement, den Sonderunrechtstatbestand, aufweist. Neben dieser Beschreibung des Kreises möglicher Deliktssubjekte erfüllt das Tatbestandsmerkmal der Abnahmezuständigkeit jedoch noch eine weitere Funktion. Nach allgemeiner Anschauung fehlt die Abnahmezuständigkeit, erfolgt der Schwur also nicht „vor Gericht", wenn in einem gerichtlichen Verfahren die 171
BGHSt 3,309 (310). BGHSt 3,309 (311); ob dieser Entscheidung zugestimmt werden kann, ist eine andere Frage. Hier geht es nur um die Verdeutlichung des Zusammenhangs von Verfahrensposition und Abnahmezuständigkeit. 173 BGHSt 10,8 (10). 174 BGHSt 10,8 (14 f.). 175 BGHSt 12,56 (57). 172
7 Deichmann
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richterlichen Geschäfte von einem Referendar, Staatsanwalt oder Rechtspfleger wahrgenommen werden und diese Personen einen Eid abnehmen.176 In diesen Fällen handelt es sich gleichwohl um ein Verfahren, in dem ein Eid der Art, wie ihn der Täter geschworen hat, vorgesehen ist. Diese Definition der Abnahmezuständigkeit bedarf hinsichtlich des Schwörens vor Gericht einer Ergänzung. Es genügt nicht zu fordern, daß eine Person in einer Verfahrensrolle, für die ein Eid vorgesehen ist, geschworen hat. Der Eid muß ferner vor einer zur Abnahme des Eides befugten Person, insbesondere einem Richter, abgelegt worden sein. Das Merkmal der Abnahmezuständigkeit beschreibt demnach nicht nur die möglichen Deliktssubjekte, sondern auch die Tatsituation. Unter Tatsituation werden Umstände verstanden, unter denen die Tathandlung erfolgen muß; sie kennzeichnet also die tatbestandliche Art der Rechtsgutsverletzung177 und damit das Gemeinunrecht bzw. das absolute Unrechtselement. Die Abnahmezuständigkeit ist daher ein das relative und das absolute Unrechtselement umgreifendes Tatbestandsmerkmal.178
II. Das materielle Sonderunrecht bei § 154 Ob dieses Formelement tatsächlich ein Sonderunrecht, insbesondere dessen materielle Komponente vertypt, bedarf jedoch weiterer Überlegungen.
7. Wortlaut Wie bei der Straftat der uneidlichen falschen Aussage179 bietet der Wortlaut des Gesetzes auch beim Meineid keine eindeutigen Anhaltspunkte für die Annahme, daß in diesem Tatbestand materielles Sonderunrecht vertypt ist. Schon die Frage, ob überhaupt eine Subjektskreiseinschränkung vorliegt, konnte nur durch Auslegung entschieden werden. Dabei wurde überdies festgestellt, daß das „Schwören vor Gericht" jedenfalls auch das Gemeinunrecht typisiert. Dementsprechend könnte der Wortlaut des Gesetzes auch so gedeutet werden, daß er auch den Schwur einer am Verfahren nicht beteiligten Person in Gegenwart einer zur Abnahme von Eiden befugten Person an Gerichtsstelle erfaßt. Das wäre zwar sicherlich eine sachwidrige Deutung, die jedoch vom Wortlaut nicht 176
Dreher/Tröndle § 154 Rz.18; Schönke-Schröder-Lenckner § 154 Rz. 12; LK-Willms § 153 Rz. 8; RGSt 60,25; 65,206 (207). 177 Schmidhäuser AT 2 8/17. 178 Vgl. zu diesem Phänomen Langer, Das Sonderverbrechen, S. 447 f. 179 Vgl. Teil 2 C.II. 1.
D. Der Meineid
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ausgeschlossen ist. Aufgrund fehlender Eindeutigkeit muß daher mittels weiterer Argumente begründet werden, daß die bestimmte Personen in genau umgrenzten Verfahrenspositionen voraussetzende Abnahmezuständigkeit materielles Sonderunrecht vertypt.
2. Teleologische und systematische Erwägungen Für das Vorliegen von materiellem Sonderunrecht streiten ferner die bereits bei § 153 genannten teleologischen180 und systematischen181 Argumente. Die Anwendung des § 28 Abs. 1 auf extrane Teilnehmer gleicht im Bereich der Mindeststrafen die eklatante Strafrahmendifferenz zwischen § 160 und §§ 154, 26 sachgerecht in Richtung auf mildere Anstifterstrafen aus. Auch ohne Heranziehung des minder schweren Falles ergibt sich so eine Mindeststrafe von nur drei Monaten, die unter den Voraussetzungen des § 47 als Geldstrafe verhängt werden kann. Diese Harmonisierung entspricht dem Gebot teleologischer, auf die relative Gerechtigkeit der Strafdrohungen ausgerichteter Gesetzesauslegung, weil sich ein sachlicher Grund für die Privilegierung der in § 160 unter sehr milde Strafe gestellten Fälle der Verleitung zum Falscheid gegenüber den sonstigen Anstiftungsfällen, insbesondere soweit sie der Sache nach mittelbare Täterschaft sind, nicht angeben läßt. Systematisch spricht schließlich vieles dafür, daß § 160, auch soweit er die Verleitung zum Falscheid betrifft, seine Existenz dem gleichen Umstand verdankt, auf dem auch § 271 im Verhältnis zu § 348 beruht, nämlich auf der Unmöglichkeit mittelbarer Täterschaft eines Extranen bei Sonderdelikten.
3. Schlüsselstellung und Überantwortung
bei den Meineidssubjekten
Gewißheit, daß in dem Merkmal der Abnahmezuständigkeit materielles Sonderunrecht vertypt ist, kann jedoch nur die Untersuchung bringen, ob die Unversehrtheit des durch § 154 geschützten Rechtsguts in besonderer Weise von den tauglichen Deliktssubjekten abhängt und diesen deshalb der Schutz des Rechtsguts ausschnitthaft anvertraut ist. Diese Frage soll im folgenden zunächst für die Zeugen und Sachverständigen, schließlich für die Partei des Zivilprozesses beantwortet werden. 180 181
7*
Vgl. Teil 2 C.II.2. Vgl. Teil 2 C.II.3.
Teil 2: Die Aussagedelikte
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a) Zeugen und Sachverständige - Das Verhältnis von § 153 und § 154 Daß Zeugen und Sachverständige für die Unversehrtheit des in § 154 geschützten Rechtsguts in dem konkreten Verfahren, in dem sie mitwirken, eine Schlüsselstellung einnehmen und ihnen in diesem Umfang das Rechtsgut zu besonderem Schutz überantwortet ist, ergibt sich aus den zu § 153 angestellten Erwägungen.182 Die besondere Pflichtenstellung der Zeugen und Sachverständigen, wie sie für § 153 nachgewiesen wurde, entspricht exakt dem Sonderunrecht dieser Deliktssubjekte, soweit sie einen Meineid leisten. Dieser Schluß aus dem Sonderdeliktscharakter des § 153 auf die entsprechende Natur des Meineides, soweit er von Zeugen und Sachverständigen begangen wird, bedarf jedoch einer eingehenden Begründung. Er beruht auf dem Verhältnis der beiden Tatbestände zueinander. Mit dessen Charakterisierung als einer Beziehung von Grundtatbestand und Qualifikation ist jedoch für die Rechtfertigung dieses Schlusses noch wenig gewonnen. Seine Berechtigung hängt vielmehr davon ab, daß die in der erhöhten Strafdrohung des § 154 zum Ausdruck kommende, gegenüber der falschen uneidlichen Aussage gesteigerte Strafwürdigkeit des Meineides ihren Grund ausschließlich in dem verglichen mit § 153 größeren Gewicht des absoluten Unrechtselements hat, daß mit anderen Worten der Meineid eines Zeugen oder Sachverständigen gegenüber der uneidlichen Falschaussage nur ein gefährlicherer Angriff auf das Rechtsgut der Aussagedelikte ist. Diese Feststellung ist berechtigt, wenn erstens beide Tatbestände dasselbe Rechtsgut schützen, zweitens falsches Schwören das Rechtsgut mehr gefährdet als falsches Aussagen und drittens die erhöhte Strafdrohung für Meineid nicht auch auf einem im Vergleich zu den Sondersubjekten des § 153 gesteigerten relativen Unrecht der Meineidssubjekte beruht.
aa) Identität des Rechtsguts Die erste Voraussetzung ist bereits oben 183 erörtert worden. Sämtliche Aussagedelikte schützen ein identisches Rechtsgut, die Sachverhaltsfeststellung bestimmter staatlicher Stellen, insbesondere der Gerichte. Die Auffassung, daß das Unrecht des Meineides zusätzlich durch sakrale Momente gekennzeichnet sei, gehört der Geschichte an. 182 183
Vgl. Teil 2 C.H.4., 5. Teil 2 B.
D. Der Meineid
101
bb) Erhöhte Gefährlichkeit des Meineids Daß der falsche Schwur die gerichtliche Sachverhaltsfeststellung mehr gefährdet als die uneidliche Falschaussage, trifft zu, wenn man der beschworenen Aussage im allgemeinen größeren Beweiswert zumißt als der unbeeidigten. Dabei ist zunächst selbstverständlich, daß dies nicht im Sinne einer Beweisregel gelten kann, da solche Regeln mit dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung unvereinbar sind. 184 Im Einzelfall kann der unbeeidigte Zeuge größeres Vertrauen verdienen als mehrere andere Personen, die die gegenteilige Aussage beschwören. 185 Aber selbst unter dieser Einschränkung kann der Eid als solcher keine erhöhte Glaubwürdigkeit einer Person indizieren, wenn die Ableistung des Eides durch jede Aussageperson die Regel ist. Bei regelmäßiger, zur Routine gewordener Abforderung eines Eides gilt allenfalls der umgekehrte Satz, daß die unbeeidigte Aussage generell einen geringeren Beweiswert hat als die den Normalfall repräsentierende, beschworene Aussage.186 Von dieser Regelmäßigkeit geht die Strafprozeßordnung in § 59 S. 1 StPO zwar noch aus. Die Rechtswirklichkeit hat sich jedoch gegenteilig entwickelt. Auch im Strafprozeß ist das Absehen von der Vereidigung, gestützt auf § 61 Nr. 5 StPO, die Regel.187 Die Gerichte gehen im Normalfall davon aus, daß ein Eid ihnen bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen nur wenig nützen kann. 188 Soweit daher im Einzelfall ausnahmsweise doch ein Eid gefordert wird, dürfte dies seinen Grund in Erwartungen haben, wie sie in §§ 62 StPO, 391 ZPO vorausgesetzt sind. Das Gericht bzw. der Beteiligte, der auf den Eid nicht verzichten will, erwartet von dem Eid die Herbeiführung einer wahrheitsgemäßen Aussage, sieht also im Eid den Grund einer erhöhten Glaubwürdigkeit der Aussageperson. Ob diese Erwartung ihrerseits auf rationale Erwägungen gestützt werden kann, wenn man den Eid jeglichen sakralen Moments entkleidet, kann sicher mit guten Gründen bezweifelt werden. 189 Für die Berechtigung dieser Erwartung spricht jedoch die auch in der heutigen sozialen Wirklichkeit noch verwurzelte Auffassung, daß die Beweisperson mit ihrem Schwur in besonderem Maß ihre Redlichkeit und Aufrichtigkeit zur Geltung bringt, also gewissermaßen ihr Ansehen als Person mit der Wahrheit ihrer Aussage verbindet. 190 Je seltener ein Eid verlangt wird, desto eher dürfte diese Einschätzung zutreffen. Bei dem gegenwärtigen Stand der Ge184
SK-Rudolphi, Vor § 153 Rz. 6; LK-Willms, Vor § 153 Rz. 5; Herrmann, S. 144 f.; Vormbaum, S. 196f. 185 Hirsch, ZStW 1976, S. 766 f. 186 § 153 wäre dann die Privilegierung, § 154 der Grundtatbestand. 187 Hirsch, ZStW 1976, S. 766. 188 Zutreffend KMR-Paulus § 60 Rz. 5: Nicht Vereidigung, sondern sachgemäße Vernehmung fördert die Wahrheitsfindung. 189 Vgl. zu dieser „instrumenteilen Seite" des Eides Vormbaum, S. 184f.; Herrmann, S. 144. 190 In diesem Sinne auch Hirsch, ZStW 1976, S. 766; Heimann-Trosien, JZ 73, S. 610.
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Teil 2: Die Aussagedelikte
richtspraxis, wonach ein Eid nur noch ausnahmsweise verlangt wird, trifft es daher zu, daß die beschworene Aussage abstrakt-generell beweiskräftiger als die unbeschworene ist. Der Meineid erscheint daher als ein gegenüber der uneidlichen Falschaussage gefährlicherer Angriff auf das Rechtsgut der Aussagedelikte.
cc) Gesteigertes relatives Unrecht? Schließlich bleibt noch zu klären, ob die gegenüber § 153 erhöhte Strafdrohung für Meineid nur auf der gesteigerten Gefährlichkeit des Rechtsgutsangriffs oder auch auf einem gesteigerten relativen Unrecht beruht. Das hier aufgeworfene Problem soll zunächst anhand eines Bildes veranschaulicht werden. Man stelle sich das Unrecht einer Sonderstraftat 191 als ein Produkt vor, das aus zwei Faktoren gebildet ist, dem absoluten und dem relativen Unrechtselement. Das relative Unrechtselement multipliziere den Unwert der Rechtsgutsverletzung. Schildern nun zwei Tatbestände, die dasselbe Rechtsgut schützen und wenigstens teilidentische Deliktssubjekte nennen, unterschiedlich schweres Unrecht, so kann, wenn man vom Bild der Multiplikation ausgeht, das unterschiedliche Produkt darauf beruhen, daß nur ein Faktor, das absolute Unrechtselement, abgewandelt ist. Vorstellbar ist jedoch auch, daß beide Faktoren verändert sind. Ob dies nur eine bildhafte Vorstellung, eine wenigstens theoretische Möglichkeit oder für das Verhältnis von uneidlicher Falschaussage und Meineid Wirklichkeit ist, ist nachfolgend zu untersuchen. Die Begründung von Sonderunrecht setzt voraus, daß gewissen Personen, die für die Unversehrtheit des Rechtsguts eine Schlüsselstellung einnehmen, der Schutz des Rechtsguts hinsichtlich der in ihrem Einflußbereich befindlichen Rechtsgutsobjekte übertragen ist. Die Funktion des relativen Unrechtselements, den Unwert einer Rechtsgutsverletzung durch Sondersubjekte abzuwandeln, kann daher nur verändert werden, wenn einer jener Begründungsfaktoren abgewandelt wird. Eine derartige Abwandlung ist hier in zweierlei Hinsicht in Betracht zu ziehen. Einerseits ist vorstellbar, daß die Rechtsordnung aus der für die zutreffende Tatsachenfeststellung ohnehin bereits besonders verantwortlichen Gruppe der Zeugen und Sachverständigen eine besondere Gruppe hervorhebt, welcher durch die Zulassung zum Eid eine nochmals gesteigerte Verantwortung auferlegt ist. Andererseits könnte auch ohne eine solche Veränderung des Kreises der Sondersubjekte ihre Verantwortung für das Rechtsgut der Aussagedelikte beim Eid als intensiver angesehen werden als bei bloßer uneidlicher Aussage. 191
Genauer: eines Sonderpflichtdelikts; vgl. Teil 1 A.
D. Der Meineid
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Was die erste Denkmöglichkeit betrifft, so ist sie den Verfahrensrechten nicht zu entnehmen. Grundsätzlich kann jeder Zeuge oder Sachverständige beeidigt werden. Besondere Eigenschaften, etwa besondere Vertrauenswürdigkeit, müssen als Voraussetzung für die Abnahme eines Eides nicht vorliegen. Das Gesetz hebt also keine aufgrund besonderer Qualifikation ausgezeichnete Zeugen oder Sachverständige als mögliche Meineidssubjekte hervor. Daran ändern auch die Eidesverbote der §§ 60 StPO, 393 ZPO nichts. Zwar wäre, wenn man der Auffassung zuneigt, daß unter 16 Jahre alte Jugendliche keine tauglichen Täter eines Meineides sein können192, der Kreis der Zeugen, die einen Meineid begehen können, enger als bei der uneidlichen Falschaussage. Jedoch würde eine solche Einschränkung des Täterkreises gerade nicht darauf beruhen, daß das Gesetz den Eidesmündigen eine nochmals gesteigerte Verantwortung zuweist, sondern allenfalls darauf, daß es einzelnen Zeugen die im Normalfall jedem Zeugen übertragene Verantwortung nicht in vollem Umfang aufbürdet. Die Eidesfähigkeit ist mithin der Regelfall, das Beeidigungsverbot die Ausnahme, so daß Zeugen und Sachverständige als Meineidssubjekte keine beondere Gruppe bilden, die durch zusätzliche Merkmale gegenüber den Deliktssubjekten der falschen uneidlichen Aussage hervorgehoben ist. Die noch verbleibende Möglichkeit einer unterschiedlichen Intensität der Überantwortung an identische Sondersubjekte ist schon theoretisch erheblichen Zweifeln ausgesetzt. Denn es ist kaum vorstellbar, daß derselbe Personenkreis für dieselben Rechtsgutsobjekte bzw. für einen identischen Ausschnitt aus dem Rechtsgut ein unterschiedliches Maß an Veranwortung trägt. Der sachliche Grund der Überantwortung, die Schlüsselstellung der Sondersubjekte, ist ja bei allen Sondersubjekten gleich. Die Übertragung verschieden intensiver Schutzaufgaben müßte daher willkürlich erscheinen. Diese Zweifel verstärken sich, wenn man konkret die Aussagedelikte ins Auge faßt. Die beschworene Aussage ist zwar in dem oben genannten, eingeschränkten Sinn das wertvollere Beweismittel als die unbeschworene Aussage. Dem Verfahrensrecht kann aber an keiner Stelle entnommen werden, daß Zeugen und Sachverständige für die Sachverhaltsfeststellung eine geringere Verantwortung tragen, wenn sie lediglich uneidlich aussagen, dagegen eine höhere, wenn sie ihre Aussagen beschwören.193 Sie werden vielmehr schon zu Beginn ihrer Aussage darauf hingewiesen, daß sie diese unter Umständen zu beschwören haben, §§57 StPO, 395 ZPO. Von Zeugen und Sachverständigen wird also schon bei der Aussage die Sorgfalt erwartet, die später die Versicherung, nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt zu haben, ermöglicht. Zeugen und Sachverständige tragen daher während ihrer gesamten Mitwirkung an der Sach192
Vgl. dazu Teil 2D. V.l. Ähnlich Vormbaum, S. 212; der eine mit dem Eid verbundene Steigerung der Wahrheitspflicht ablehnt. 193
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aufklärung dieselbe Verantwortung für die Sachverhaltsfeststellung. Eine unterschiedliche Intensität der Schutzaufgabe, gestuft nach uneidlicher und eidlicher Falschaussage gibt es demnach nicht. Damit ist auch die letzte Voraussetzung, die Identität des relativen Unrechtselements, erwiesen. Der Meineid unterscheidet sich daher von der falschen uneidlichen Aussage, soweit man beim Meineid den weiteren Kreis tauglicher Deliktssubjekte, also die Partei im Zivilprozeß, außer Acht läßt, nur durch eine gefährlichere Begehungsweise, die das Gewicht des absoluten Unrechtselements erhöht. Der Schluß, daß diese qualifizierte Form dasselbe materielle Sonderunrecht aufweist, ist daher berechtigt.
b) Parteien Die Abnahmezuständigkeit als Tatbestandsmerkmal des § 154, das eine Person in einer Verfahrensstellung voraussetzt, für die nach dem Verfahrensrecht ein Eid vorgesehen ist, besteht auch gegenüber den Parteien des Zivilprozesses.194 Genauer ist hier allerdings zu sagen, daß der Eid von der Partei nur verlangt werden kann, wenn sie im Prozeß die Funktion eines Beweismittels einnimmt, also im Rahmen der förmlichen Parteivernehmung. In ihrer regelmäßigen Funktion als Kläger oder Beklagter trägt die Partei zwar gleichfalls zur Sachverhaltsfeststellung bei, indem sie Tatsachen behauptet oder verschweigt, bestreitet oder zugesteht. Diese Herrschaft der Parteien über den Streitstoff hat jedoch nichts mit ihrer Funktion als Beweismittel zu tun, was besonders augenfällig wird, wenn sich die Partei im Rahmen ihrer Anhörung vertreten läßt. Gerade dies ist, soweit ihre Funktion als Beweismittel reicht, nicht möglich. 195 Die Partei ist in beiden Funktionen zur Wahrheit verpflichtet, § 138 Abs. 1 ZPO einerseits, §§451, 395 Abs. 1 ZPO andererseits. Ob durch den Meineid einer Partei ein Sonderunrecht begründet wird, hängt demgemäß nicht von der Verletzung ihrer Wahrheitspflicht ab, sondern davon, daß die Partei in ihrer Funktion als Beweismittel eine Schlüsselstellung für das Rechtsgut der Aussagedelikte einnimmt und ihr im Hinblick auf diese Funktion besondere Mitverantwortung für die Sachverhaltsfeststellung zugewiesen ist.
194
Die folgenden Ausführungen gelten entsprechend für den gesetzlichen Vertreter einer nicht prozeßfahigen Partei, § 455 Abs. 1 ZPO. 195 Baumbach, ZPO, Übers. § 445 1)B.
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aa) Schlüsselstellung Die Partei sagt nicht als Zeuge, aber wie ein Zeuge aus. 196 Sie ist Zeuge in eigener Sache. In ihrer Funktion als Beweismittel ist die Partei dem Zeugen vergleichbar. Dementsprechend ist bei der Parteivernehmung ihr Einfluß auf die Sachverhaltsfeststellung auf das Verfahren begrenzt, an dem sie beteiligt ist und in dem sie vernommen wird. In diesem Umfang stehen der Partei jedoch herausgehobene Einflußmöglichkeiten zur Verfügung. Denn ihre Aussage soll bei der Wahrheitsermittlung verwertet werden. Es handelt sich um ein förmliches Beweismittel, dessen Einfluß auf die Sachverhaltsfeststellung gewollt ist. Die Ausgestaltung der Partei Vernehmung gerade als subsidiäres Beweismittel197 führt schließlich dazu, daß dieser Einfluß oft ausschlaggebend ist, weil andere Beweismittel nicht vorhanden sind oder nicht ausreichen. Parteien nehmen daher in ihrer Funktion als Beweismittel eine Schlüsselstellung ein, kraft deren die Unversehrtheit des Rechtsgutes der Aussagedelikte von ihnen besonders abhängt.
bb) Überantwortung Anders als Zeugen sind die Parteien nicht verpflichtet, an der Sachverhaltsfeststellung mitzuwirken. Die typischen Zeugenpflichten, auf Ladung zu erscheinen, auszusagen und zu schwören, gelten hier nicht. 198 Daß die Rechtsordnung den Parteien eine ihrer Schlüsselstellung entsprechende Schutzaufgabe für das Rechtsgut der Aussagedelikte zuweist, muß daher auf anderem Wege nachgewiesen werden. Den maßgeblichen Anknüpfungspunkt bilden dabei die Rechtsnachteile, die einer Partei drohen, die die Vernehmung ablehnt, die Aussage bzw. deren Beeidigung verweigert oder in dem dazu bestimmten Termin nicht erscheint. Das Gesetz stellt es für den Fall der Weigerung beziehungsweise des Ausbleibens der Würdigung des Gerichts anheim, die behauptete Tatsache als bewiesen anzusehen. Das Gericht darf mit anderen Worten die Weigerung, die nicht auf verständlichen Gründen beruht, als Geständnis199 ansehen (§§ 446, 453 Abs. 2, 454 Abs. 1 ZPO). 196
Rosenberg/Schwab, S. 774. BGH L M § 398 ZPO Nr. 7; Stein-Jonas § 445 Rz. 10. 198 Die in § 141 ZPO genannte Pflicht zum Erscheinen betrifft nicht die Partei in ihrer Funktion als Beweismittel; hier käme keine Vertretung in Betracht. Aufklärung des Sachverhalts in § 141 Abs. 1 ZPO bedeutet die Klärung des Streitstoffes, also des Inhalts der Parteibehauptungen und und des Grades ihrer Übereinstimmung; vgl. Thomas-Putzo, Vor § 445 Anm. 1. 199 Nicht im speziellen Sinn des § 288 ZPO. 197
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Teil 2: Die Aussagedelikte
Dieser Rechtsnachteil begründet für die Partei eine Aussagelast, eine Obliegenheit zur Aussage. Mit dieser Einrichtung sichert das Gesetz die Mitwirkung der Parteien an der Sachverhaltsfeststellung genauso effektiv wie durch eine Aussage- und Eidespflicht. Denn die Partei, die eine für sie selbst günstige Tatsache bekunden kann, wird ohnehin im eigenen Interesse diese Gelegenheit wahrnehmen, wenn nicht besondere Gründe sie davon abhalten. Eine Partei jedoch, deren Aussage zu ihrem Nachteil ausschlagen würde, kann von Rechts wegen nur zwischen der ihr ungünstigen Aussage und einer regelmäßig nachteiligen Würdigung ihrer Weigerung wählen. Eine Pflicht zur Aussage würde hier für die Ermittlung der Wahrheit keinen Vorteil bedeuten. Daß die Partei den Nachteil auch durch eine unwahre Aussage abwenden kann, ist dagegen kein Kennzeichen der Aussageobliegenheit, sondern bei einer Aussagepflicht ebenfalls möglich. Wählt das Gesetz demnach, um die Mitwirkung der Partei an der Sachverhaltsfeststellung zu sichern, einen Weg, der ebenso effektiv ist wie die Aussagepflicht des Zeugen, so ist der Schluß berechtigt, daß auch die Verantwortung der Partei für die Sachverhaltsfeststellung derjenigen eines Zeugen ähnlich ist. Das Verfahrensrecht weist daher den Parteien, soweit sie die Funktion eines Beweismittels einnehmen, in Anerkennung ihrer Schlüsselstellung eine besondere Mitverantwortung für die Sachverhaltsfeststellung zu. Der hier vertretene Standpunkt, daß Zeugen und Parteien in ihren Funktionen als Beweismittel für das Rechtsgut der Aussagedelikte im wesentlichen gleiche Schutzaufgaben übertragen sind, provoziert die Frage, weshalb diese Ähnlichkeit im Strafrecht keine Entsprechung hat. Worauf könnte es also beruhen, daß zwar der Meineid von Zeugen und Parteien gleichermaßen strafbar ist, die uneidliche Falschaussage dagegen für Zeugen mit Strafe bedroht ist, für die Partei hingegen nicht? 200 Der sachliche Grund für diese unterschiedliche Regelung dürfte jedenfalls nicht in einer geringeren Gefährlichkeit der uneidlichen Falschaussage einer Partei liegen. Wenn eine Partei mit ihrer Aussage eine ihr günstige Behauptung bestätigt beziehungsweise eine ihr nachteilige nicht unterstützt, wird die Aussage zwar einem gewissen Mißtrauen begegnen. Es liegt hier aber nicht anders als bei den Aussagen von Zeugen, die mit einer Partei oder einem Angeklagten verwandt sind. Die Interessiertheit am Ausgang des Verfahrens reicht für sich genommen nicht aus, um die Glaubwürdigkeit der Aussageperson zu erschüttern. 201 Weil also die Aussage einer Partei nicht prinzipiell geringeren Beweiswert als eine Zeugenaussage hat, drohen dem Rechtsgut der Aussagedelikte von einer wahrheitswidrigen Parteiaussage nicht signifikant geringere Gefahren. Der Un200
Es geht im folgenden um die Frage nach einer sachlichen Rechtfertigung dieser Rechtslage, nicht um die historischen Gründe ihres Bestehens. 201 Baumbach, ZPO, Übers. § 445 2)D; Rosenberg/Schwab, S. 773.
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terschied könnte daher in einem geringeren Gewicht des relativen Unrechtselements liegen. Wenn den Parteien der Schutz des Rechtsguts zwar ähnlich, aber nicht mit derselben Dringlichkeit wie den Zeugen übertragen ist, konnte dies für den Strafgesetzgeber Anlaß sein, die Strafwürdigkeit der falschen Parteiaussage generell zu verneinen. Dies erklärt jedoch nicht, weshalb dann der Meineid der Partei gleich dem Zeugeneid strafbar ist. Sollen sich die Strafwürdigkeit des Meineides eines Zeugen und einer Partei - wie es das Gesetz durch Androhung derselben Strafe voraussetzt - entsprechen, so muß das geringere Gewicht des relativen Umechtselements bei der Partei seinen Ausgleich in einer größeren Gefährlichkeit ihres Meineides gefunden haben. Tatsächlich sprechen gute Gründe für die Annahme, daß der Meineid einer Partei die zutreffende Sachverhaltsfeststellung tendenziell stärker bedroht als der Zeugenmeineid. Aufgrund der Subsidiarität der Parteivernehmung wird dieser Beweis abgesehen von § 447 ZPO erst erhoben, wenn die beweisbelastete Partei in Beweisnot gerät (§§ 445 Abs.l, 448 ZPO). Reicht auch dieses letzte Beweismittel nicht aus, kann das Gericht die Beeidigung anordnen, § 452 Abs.l ZPO. Der Anordnung des Eides nach dieser Vorschrift geht eine vorläufige Beweiswürdigung voraus. Dabei muß sich das Gericht zunächst Klarheit verschaffen, ob es sich von der unbeeidigten Aussage überzeugen lassen will. Auch wenn dies nicht der Fall ist, wird jedoch der Eid noch nicht verlangt. Dies hat nur dann Sinn, wenn das Gericht für den Fall, daß die Partei schwört, diesem Eid auch vertrauen will. 2 0 2 Der Eid soll deshalb, wenn beide vernommen werden, von der vertrauenswürdigeren Partei gefordert werden. 203 Unbeschadet der Tatsache, daß die Beweise nochmals am Schluß der Beweisaufnahme gewürdigt werden müssen, legt sich das Gericht mit der Anordnung des Eides also vorläufig fest. Es ist bereit, dem Eid für den Prozeß ausschlaggebende Bedeutung beizumessen. In dieser Bedeutung unterscheidet sich der Parteieid vom Zeugeneid. Denn § 154 erfaßt nicht nur den zivilprozessualen Zeugeneid, dem aufgrund der Regelung des § 391 ZPO die gleiche Bedeutung zukommen kann, sondern auch den strafprozessualen Zeugeneid. Nach dem Modell des Strafprozesses kommt jedoch dem Eid als solchem keine ausschlaggebende Bedeutung zu, weil grundsätzlich jeder Zeuge zu vereidigen ist. Daher kann festgehalten werden, daß der Partei als Beweismittel für die gerichtliche Sachverhaltsfeststellung eine Mitverantwortung übertragen ist, die derjenigen des Zeugen gleicht. Sie ist jedoch geringer, wie sich aus der Straflosigkeit ihrer uneidlichen Falschaussage ergibt. Denn der Unwert einer von einer Partei durch uneidliche Falschaussage verübten Rechtsgutsverletzung ist zwar gesteigert, erreicht jedoch nach Auffassung des Gesetzgebers noch nicht die Schwelle des Strafwürdigen. Erst die erhöhte Gefährlichkeit des Meineides 202 203
Rosenberg/Schwab, S. 778; Stein-Jonas § 452 Rz. 3. Rosenberg/Schwab, S. 779; Stein-Jonas § 452 Rz. 5.
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der Partei wiegt das geringere Gewicht des relativen Unrechtselements auf, so daß dieselbe Strafdrohung wie für den Meineid eines Zeugen gerechtfertigt erscheint. Das Merkmal der Abnahmezuständigkeit vertypt daher, soweit es auf Parteien des Zivilprozesses zutrifft, gleichfalls materielles Sonderunrecht, erhöht jedoch den Unwert des rechtsgutsverletzenden Verhaltens einer Partei nicht im selben Maß wie dasjenige eines Zeugen.
III. Sondernorm und Sonderstrafdrohung Die weiteren Merkmale der Sonderstraftat liegen beim Meineid ebenso vor wie beim Delikt der falschen uneidlichen Aussage. Aus der Sonderstrafdrohung, also der Tatsache, daß nur der falsche Schwur bestimmter Sondersubjekte mit der in § 154 vorgesehenen Strafe bedroht ist, folgt zunächst, daß die Norm, die falsches Schwören generell und jedermann verbietet, gegenüber den Sondersubjekten in ihrer Dringlichkeit gesteigert ist. Damit liegt das formelle Element des Sonderunrechts vor. Daß es sich bei der den Meineidssubjekten angedrohten Strafe um eine Sonderstrafdrohung handelt, ergibt sich daraus, daß der Begehung dieser Straftat durch Intrane und Extrane unterschiedliche Rechtsfolgen zugeordnet sind. Während es einen täterschaftlichen Meineid Extraner überhaupt nicht gibt, das Gesetz also Täterstrafe nur den Sondersubjekten androht, wird die für extrane Teilnehmer vorgesehene Sanktion im Vergleich zur Strafbarkeit eines intranen Teilnehmers gemäß § 28 Abs. 1 gemildert. Da im übrigen § 154 keine besonderen Schuld- oder Strafwürdigkeitsmerkmale enthält, beruhen diese abweichenden Rechtsfolgen auf dem unterschiedlichen Unrecht, welches Intrane und Extrane begehen.
IV. Ergebnis; Anwendung des § 28 Abs. 1 Wie die uneidliche Falschaussage ist auch der Meineid ein Sonderverbrechen. Den Meineidssubjekten ist das Rechtsgut der Aussagedelikte in Anerkennung ihrer entscheidenden Bedeutung für die Unversehrtheit dieses Gutes zu besonderem Schutz überantwortet. Das Verbot der Rechtsgutsverletzung ist gegenüber diesen Sondersubjekten in seiner Dringlichkeit gesteigert. Dieses Sonderunrecht wird tatbestandlich in § 154 durch das Merkmal der Abnahmezuständigkeit geschildert. Diesem Sondertatbestand ist eine besondere Strafdrohung zugeordnet. Während es bei § 153 auf der Hand liegt, daß auf extrane Teilnehmer nur § 28 Abs. 1 angewendet werden kann, muß dessen ausschließliche Anwendbarkeit
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bei § 154 ausdrücklich hervorgehoben werden. Das Merkmal der Abnahmezuständigkeit ist für die Parteien des Zivilprozesses ein strafbegründendes Merkmal. Dies gilt aber auch, soweit es Zeugen und Sachverständige erfaßt. Die Strafschärfung, die § 154 für Zeugen und Sachverständige gegenüber § 153 vorsieht, beruht ausschließlich auf der erhöhten Gefährlichkeit des Rechtsgutsangriffs. Das besondere persönliche Merkmal, das in § 153 und in § 154 in sprachlich unterschiedlicher, sachlich jedoch gleichbedeutender Weise niedergelegt ist, hat daher auch für diese Meineidssubjekte nur strafbegründende Funktion.
V. Einzelfragen Ob einzelne Personen, die in einer bestimmten Verfahrensposition einen Eid leisten, zum Kreis der tauglichen Deliktssubjekte des § 154 zu zählen sind, ist in Grenzbereichen umstritten. Der Sonderdeliktscharakter des Meineides beeinflußt zwar nur in einigen dieser Zweifelsfälle die Entscheidung, während andere Streitfragen auf der unterschiedlichen Auslegung verfahrensrechtlicher Vorschriften beruhen. Der Vollständigkeit halber sollen hier jedoch auch letztere Fälle behandelt werden.
1. Eidesunmündige Das Problem der Tatbestandsmäßigkeit des Meineides eines Eidesunmündigen wird nach herkömmlichem Verständnis nicht mit der Sonderdeliktsnatur des Meineides in Verbindung gebracht. Die Formulierung, daß Eidesunmündige nicht Täter eines Meineides sein können204, scheint zwar mit der Problematik der Sonderstraftat in Verbindung zu stehen. Die im Schrifttum gegebenen Begründungen für die Untauglichkeit des Minderjährigen als Täter eines Meineids setzen jedoch an anderen Punkten an. Zum einen wird das Rechtsgut der Aussagedelikte dahin bestimmt, daß nur die in Übereinstimmung mit dem Verfahrensrecht operierende Rechtspflege geschützt sein soll. Daraus ergebe sich, daß eine unwahre Aussage, die nach dem Prozeßrecht nicht verwertet werden dürfe, die Rechtspflege nicht gefährde. Denn unabhängig von ihrer Unwahrheit widerspreche die Verwertung einer unverwertbaren Aussage ohnehin den Zielen der Rechtspflege. Dementsprechend soll der Meineid eines Eidesunmündigen das Rechtsgut nicht verletzen, weil die Verwertung als 204
Hruschka-Kässer, JuS 72, S. 711.
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Teil 2: Die Aussagedelikte
eidliche Aussage ausgeschlossen sei. 205 Gegen diese engere Bestimmung des Rechtsgutes wird eingewendet, daß die Aussagedelikte nicht eine Rechtspflege von künstlicher Vollkommenheit, sondern die Rechtspflege in ihrer Realität als einer naturgemäß mangelhaften Erscheinung schützen sollen. Dies gelte insbesondere, wenn das Gericht über Umstände, die das Verwertungsverbot begründeten, getäuscht worden sei oder diese erst nachträglich hervorgetreten seien.206 Logisch zwingend ist dieser Einwand sicherlich nicht; er orientiert sich jedoch mehr am Zweck des Strafrechts, das allgemeine Rechtssicherheit gewährleisten will. 2 0 7 Das ist nur möglich, wenn grundsätzlich 208 die Strafwürdigkeit eines Verhaltens unabhängig vom rechtswidrigen Verhalten anderer Personen oder Institutionen beurteilt wird. Deshalb kann die Verletzung des Verfahrensrechts durch ein Gericht keine „Verwirkung" des Strafrechtsschutzes der Rechtspflege bedeuten. Mit diesem Standpunkt wird die Bindung des Strafrechts an den Schutz von Rechtsgütern auch nicht aufgegeben. 209 Die unter Verstoß gegen das Verfahrensrecht erfolgende Sachverhaltsfeststellung wird zwar von der Prozeßordnung als nicht schützenswert eingestuft, so daß z.B. das Urteil aufgehoben werden kann. Die Normen des Verfahrensrechts wollen jedoch die bestmögliche Sachaufklärung unter gleichzeitiger Schonung individueller Interessen gewährleisten. Verfahrensrechtswidrige Sachverhaltsfeststellung ist von diesem Zweck der Verfahrensnormen her gesehen lediglich die nicht optimale Form der Sachaufklärung. Nur deshalb ist sie aber für die Rechtsgemeinschaft nicht völlig wertlos; schon gar nicht bedeutet sie deshalb ein wertwidriges Geschehen. Es ist daher kein Wertungswiderspruch, wenn das Strafrecht auch verfahrensrechtswidrige Sachverhaltsfeststellung grundsätzlich als wertvollen Sachverhalt, also als Rechtsgut anerkennt. Zum anderen wird behauptet, daß durch die §§60 Nr. 1 StPO, 393 ZPO zugunsten des Jugendlichen unwiderleglich vermutet werde, daß er von Wesen und Bedeutung des Eides noch keine hinreichende Vorstellung habe. An diese verfahrensrechtliche Einschätzung sei das Strafrecht gebunden, so daß einem entsprechenden Täter entweder die für den Vorsatz erforderliche Bedeutungskenntnis oder jedenfalls die nach § 3 JGG erforderliche Reife fehle. 210 205
Rudolphi, GA 69,140 f.; SK-Rudolphi § 154 Rz. 8; ders., Vor § 153 Rz. 34; HruschkaKässer, JuS 72, S. 711. 206 LK-Willms, Vor § 153 Rz. 29; Schönke-Schröder-Lenckner, Vor § 153 Rz. 23. 207 Das ist ein strafrechtlicher Grundgedanke, der beispielhaft in RGSt 44,232, BGHSt 2,364 ausgeführt ist. 208 Etwas anderes ist die strafmildernde Berücksichtigung von Verfahrensfehlern und die Verneinung des Merkmals „Aussagen" bzw. „Schwören" bei Verstößen gegen § 136a StPO; vgl. dazu LK-Willms, Vor § 153 Rz. 30f.; Schönke-Schröder-Lenckner, Vor § 153 Rz. 23f. 209 Wie Lenckner, JZ 67, S. 207 befürchtet. 210 Quedenfeld, JZ 73, 239 f.; Schönke-Schröder-Lenckner, Vor § 153 Rz. 25.
D. Der Meineid
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Die von diesen Autoren behauptete Bindung des Strafrechts an jene verfahrensrechtliche Vermutung wird jedoch nicht näher begründet. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit beginnt gemäß § 19 mit vierzehn Jahren, wenn im übrigen die Voraussetzungen des § 3 JGG erfüllt sind. Daß das Strafrecht von dem die individuelle Reife betonenden Maßstab des § 3 JGG für den Meineid eine generelle Ausnahme machen wollte, ist nicht ersichtlich. Es ist auch nicht verständlich, warum diese Vermutung nur für den Vorsatz bzw. die Verantwortlichkeit bezüglich eines Meineides, nicht aber für die uneidliche Falschaussage gelten soll. 211 Auch bei § 153 muß der Täter wenigstens eine laienhafte Vorstellung von Wesen und Bedeutung des Eides haben, weil er andernfalls die Zuständigkeit des Gerichts gerade zur eidlichen Vernehmung nicht begreifen kann. Daß ein Jugendlicher dazu aber in der Lage sein kann, setzt das Strafrecht in § 157 Abs.2 voraus. Diese Vorschrift ergibt also, abgesehen von der Bedeutungslosigkeit ihres eigentlichen Regelungsgehalts,212 eher ein Argument für als gegen die Meineidsfähigkeit eines Eidesunmündigen.213 Setzt man jedoch die Strafbarkeit eines Jugendlichen gemäß § 153 als möglich voraus, so ist tatsächlich nicht einzusehen, weshalb er nicht zugleich verstehen kann, daß die feierliche Beteuerung einer unwahren Aussage ein größeres - und eben nicht ein anderes, durch religiöse Elemente gekennzeichnetes - Umecht darstellt. 214 Schließlich bleibt zu erwägen, ob aus der Sonderdeliktsnatur des Meineides ein Argument für die Straflosigkeit des Meineides eines Eidesunmündigen gewonnen werden kann. Es ist daher zu prüfen, ob, wie schon oben angedeutet215, die Eidesverbote der §§60 StPO, 393 ZPO ein Ausdruck geminderter Verantwortung der Eidesunmündigen für das Rechtsgut der Aussagedelikte sind. Wenn dies zu bejahen wäre, entspräche das von Eidesunmündigen verwirklichte Sonderunrecht nicht dem für § 154 vorausgesetzten Mindestmaß. Demzufolge wäre beim Meineid solcher Personen nicht das volle, hier erforderliche Umecht begründet, woraus die Straflosigkeit gefolgert werden könnte. Die Beantwortung der hier aufgeworfenen Frage erfordert zunächst eine genauere Bestimmung dessen, was unter geminderter Verantwortung für das Rechtsgut der Aussagedelikte verstanden werden soll. Überträgt die Rechtsordnung bestimmten Sondersubjekten hinsichtlich der zutreffenden Tatsachenfeststellung eine besondere Schutzaufgabe, so ist es selbstverständlich, daß der Zeuge zur Erfüllung dieser Aufgabe nach seinen individuellen Fähigkeiten bestmögliche Bemühungen entfalten muß. Geminderte Verantwortung kann daher 211
So aber ausdrücklich Quedenfeld, JZ 73, S. 240; Schönke-Schröder-Lenckner, Vor § 153
Rz. 25. 212 213 214 215
LK-Willms § 157 Rz. 13 a.E. verweist zutreffend auf die Anwendbarkeit des § 3 JGG. A.A. Quedenfeld, JZ 73, S. 240. LK-Willms § 154 Rz. 10. Teil 2 D.II.3.a) cc).
Teil 2: Die Aussagedelikte
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nur bedeuten, daß einem Zeugen ein Beitrag zur Sachverhaltsfeststellung, den der Zeuge im Prinzip leisten könnte, ohne besonderen Grund, nicht etwa mit Rücksicht auf einen Interessenkonflikt (§ 63 StPO), erlassen wird. Dagegen liegt ein solcher Fall nicht vor, wenn dem Zeugen ein bestimmter Beitrag zur Sachaufklärung nicht abverlangt wird, weil er ihn nicht zu leisten im Stande ist. Denn ein solcher Verzicht bestätigt nur, daß der Zeuge im übrigen, nämlich soweit er dazu in der Lage ist, mit gleicher Verantwortung wie jeder andere Zeuge auch an der Sachaufklärung mitwirken muß. Fragt man sich im Hinblick auf diese Unterscheidung nach dem Sinn der Eidesverbote, so zeigt sich, daß sie Grenzen der Mitwirkungsmöglichkeiten der dort genannten Personengruppen festlegen. Wenn der Sinn des Eides darin besteht, daß der Schwörende sein Ansehen als Person mit der Wahrheit seiner Aussage verbindet 216, so kann diese Leistung von Personen nicht erbracht werden, denen in der sozialen Wirklichkeit ein solches Ansehen nicht zukommt. Bei generalisierender Betrachtung kommt einem noch jungen Menschen aufgrund seiner sittlichen Unreife ebensowenig jenes personale Ansehen zu wie einem verstandesschwachen Menschen, dessen Äußerungen aufgrund jenes intelektuellen Defekts nicht ohne weiteres ernst genommen werden können. Das erforderliche personale Ansehen fehlt schließlich auch, wenn eine Person ihre mangelnde Verantwortlichkeit bereits durch Meineid offenbart hat. Den Personen, die von den Eidesverboten erfaßt werden, kann also sinnvollerweise kein Eid abverlangt werden, weil sie mit ihrem Schwur nicht das gewöhnliche Ansehen als Person verbinden können, ihr Eid also der zuverlässigen Tatsachenfeststellung nicht weiterhelfen kann. Dieser Verzicht auf eine Leistung, die jenem Personenkreis nicht möglich ist, bedeutet jedoch gerade keinen Verzicht auf bestmögliche Mitwirkung im übrigen. Von geminderter Verantwortung für die Sachverhaltsfeststellung kann daher bei den Eidesunmündigen nicht gesprochen werden. Die relative Wertlosigkeit solcher Eide ändert jedoch nichts daran, daß sie die Rechtspflege, und zwar gerade die an Verfahrensfehlern leidende Rechtspflege, tatsächlich gefährden können. Wenn daher, wie es hier vertreten wird, auch die an Verfahrensfehlern leidende Rechtspflege als geschützt angesehen wird und dem Eidesunmündigen, weil er Zeuge ist, das Rechtsgut der Aussagedelikte ungeteilt anvertraut ist, verwirklicht auch sein Meineid das gesteigerte Unrecht der Sonderstraftat. Die Strafbarkeit kann nur aus individuellen Gründen, mangels Bedeutungskenntnis oder wegen fehlender Verantwortlichkeit gemäß § 3 JGG, ausgeschlossen sein.
216
Vgl. Teil 2 D.II.3.a) bb).
D. Der Meineid
2. Nichtprozeßfähige
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Parteien
Anders liegt es dagegen bei der bereits unter § 153 behandelten Gruppe der nicht prozeßfähigen und nicht unter die Vorschrift des § 455 Abs.2 ZPO fallenden Parteien. 217 Wird eine Partei, die noch nicht sechzehn Jahre alt ist, als Zeuge vernommen, wie es nach zivilprozessrechtlicher Anschauung zulässig ist, und darüberhinaus auch noch entgegen § 393 ZPO vereidigt, so ist dieser Meineid nicht tatbestandsmäßig. Denn wenn schon die uneidliche Falschaussage eines solchen „Zeugen" den Tatbestand des § 153 nicht erfüllt, kann auch die Qualifikation, also § 154, nicht verwirklicht sein. Der Grund hierfür liegt jedoch nicht in der Eidesunmündigkeit dieses „Zeugen", sondern in der mangelnden Überantwortung des Rechtsguts der Aussagedelikte an diesen Personenkreis. Denn § 455 ZPO wollte der nicht prozeßfähigen Partei, die auch nicht zu den in § 455 Abs. 2 ZPO genannten Personen gehört, nicht einmal diejenige Mitverantwortung für die Sachverhaltsfeststellung aufbürden, die der prozeßfähigen Partei zugewiesen ist. Da aber selbst ihr das Rechtsgut nur in geringerem Maß als den Zeugen überantwortet ist, entspricht das von der nicht prozeßfähigen Partei verwirklichte Umecht weder dem in § 153 noch dem für einen Meineid vorausgesetzten Mindestmaß.
3. Beteiligte im FGG-Verfahren
und Gemeinschuldner
Zweifelhaft ist, ob Beteiligte in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, der Gemeinschuldner in seinem Konkursverfahren und der Antragsteller im gerichtlichen Vergleichsverfahren zur Abwendung eines Konkurses einen Meineid begehen können. Was zunächst die Beteiligten im FGG-Verfahren betrifft, so ergibt sich aus dem Vorrang ihrer Verfahrensposition gegenüber der Beweisrolle als Zeuge, daß sie nicht als Zeugen vernommen und beeidigt werden können. Geschieht es dennoch, so kann ihnen diese fehlerhafte Verfahrensweise nicht die tatsächliche Eigenschaft eines Zeugen verleihen. Der „Zeugeneid" eines Beteiligten ist daher nie als Meineid strafbar. 219 Damit ist selbstverständlich noch nicht gesagt, daß die Beteiligten nicht als solche vernommen und beeidigt werden können. Den Nachweis einer dementsprechenden Zuständigkeit des Gerichts im FGG-Verfahren aus dem Fehlen ei217 218 219
Vgl. oben Teil 2 C.V. 1. Nicht in Prozessen, die der Konkursverwalter für die Konkursmasse führt! BGHSt 12,56 (57).
8 Deichmann
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Teil 2: Die Aussagedelikte
nes dahingehenden, ausdrücklichen Verbots führen zu wollen 220 , erscheint jedoch wenig überzeugend. Das FGG ist neben der ZPO eine selbständige Verfahrensordnung. Es enthält anders als andere Verfahrensrechte keine Generalverweisung auf die ZPO. Wenn daher § 15 FGG wegen der Beweisaufnahme gerade nicht auf die Parteivernehmung verweist, im übrigen aber detaillierte Regelungen trifft, verbietet sich die entsprechende Anwendung der §§ 445 ff. ZPO. 221 Denn die Zuständigkeit zur Abnahme eines Eides muß ausdrücklich geregelt sein. 222 Daß § 15 FGG eine abschließende Regelung trifft, ergibt sich auch aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift. 223 Zweifelhaft ist ferner, ob sich ein Gemeinschuldner in seinem Konkursverfahren eines Meineids schuldig machen kann. Der Gemeinschuldner nimmt in diesem Verfahren jedenfalls eine parteiähnliche Stellung ein, weshalb er nicht als Zeuge vernommen werden kann. 224 Entgegen der Ansicht des Bundesgerichtshofs 225 kann es daher nicht offenbleiben, ob das Gericht den Gemeinschuldner als Partei oder als Zeugen gehört hat. Denn seine parteiähnliche Position verbietet es, ihm die Pflichten eines Zeugen aufzudrängen. Wird er daher als Zeuge vernommen und beeidigt, so spielt es keine Rolle, ob er auch als Partei eidlich vernommen werden konnte.226 Dies liegt auf der Hand, wenn der Gemeinschuldner keinen Schwur, sondern nur eine uneidliche Aussage geleistet hat. Falschaussage und Meineid, die ein Gemeinschuldner „als Zeuge" leistet, sind daher nicht tatbestandsmäßig. Für den Antragsteller im Vergleichsverfahren gilt nichts anderes. Daß er aufgrund seiner besonderen Verfahrensposition nicht Zeuge sein kann, ergibt sich schon aus § 116 S. 2 VglO, wo außer Zeugen und Sachverständigen der Schuldner selbst genannt wird. Die Zuständigkeit des Konkursgerichtes zur eidlichen Vernehmung des Gemeinschuldners könnte jedoch durch die §§ 75,72 KO, 452 Abs. 1 S.l ZPO begründet sein. Entsprechendes könnte für das Vergleichsgericht gemäß §§116 S. 2,115 VglO, 452 Abs. 1 S. 1 ZPO gelten. Für das Konkursverfahren glaubte der Bundesgerichtshof die Frage bejahen zu können, weil es sich um eine besondere Art eines bürgerlich-rechtlichen Streitverfahrens handle, wie sich aus § 71 K O 2 2 7 ergebe. In Verfahren dieser Art dürften die Parteien aber eidlich vernommen werden. 228 220 Bumiller/Winkler § 15 Anm. 4; Keidel/Kuntze/Winkler § 15 Rz. 46; Bassenge/Herbst §15 Anm.6c). 221 BGHSt 5,111 (114). 222 BGHSt 10,272 (275). 223 Vgl. dazu BGHSt 5,111(115); 10,272 (274). 224 Jaeger § 75 Rz. 3a; Kilger § 75 Anm.lb); Kuhn/Uhlenbruck § 75 Rz. 6. 225 BGHSt 3,309 (311). 226 Insoweit liegt es hier nicht anders als im FGG-Verfahren; vgl. dazu BGHSt 12,56 (57). 227 Gemeint ist offenbar § 72 KO.
D. Der Meineid
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Diese Argumentation unterläßt jedoch die Prüfung, ob die Vorschriften über die Parteivernehmung im Konkursverfahren möglicherweise deshalb nicht angewendet werden können, weil sich aus den Bestimmungen der Konkursordnung Abweichungen ergeben, § 72 KO. Die Tatsache, daß der Parteieid nicht ausdrücklich verboten ist, ist in diesem Zusammenhang nicht entscheidend. Die Regeln über die Parteivernehmung sind auf ein kontradiktorisches Verfahren ausgelegt;229 schon deshalb passen sie wenig zu einem Verfahren, in dem der Amtsermittlungsgrundsatz gilt, § 75 KO. Sodann ist der Gemeinschuldner gegenüber dem Konkursverwalter und dem Gläubigerausschuß, unter Umständen auch der Gläubigerversammlung verpflichtet, über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse Auskunft zu geben, § 100 KO. Die Erfüllung dieser Pflichten kann gemäß § 101 Abs. 2 KO erzwungen werden. Die Richtigkeit und Vollständigkeit eines besonders bedeutsamen Teils der geschuldeten Auskünfte, nämlich des Inventars, das den Umfang der Konkursmasse dokumentiert, hat der Gemeinschuldner unter Umständen an Eides Statt zu versichern, § 125 KO. Diese ausdrücklichen Bestimmungen der Konkursordnung lassen erhebliche Abweichungen vom zivilprozessualen Modell der Parteivernehmung erkennen. Denn diese erfolgt grundsätzlich freiwillig, Zwangsmittel gibt es nicht, 230 und wenn überhaupt eine feierliche Beteuerung der Wahrheit der Aussage erfolgt, handelt es sich um einen Eid, nicht um eine eidesstattliche Versicherung. 231 Entsprechend der Auskunftspflicht des Gemeinschuldners gemäß § 100 KO ist daher anzunehmen, daß er auch gegenüber dem Konkursgericht, das nach § 75 KO ermittelt, zur Aussage verpflichtet ist und auch insoweit gemäß § 101 Abs.2 KO Zwang angewendet werden kann. 232 Damit entfernt sich jedoch die Vernehmung des Gemeinschuldners, wie sie in der KO geregelt ist, völlig von den §§ 445 ff. ZPO. Dort sind abweichende Regelungen getroffen, die eine zusätzliche Anwendung des § 452 ZPO unzulässig machen. Es müßte auch merkwürdig erscheinen, wenn der Gemeinschuldner über teilweise identische Gegenstände zwar immer erzwingbar aussagen müßte, jedoch vor dem Konkursgericht gemäß § 452 ZPO einen freiwilligen Eid leisten könnte, während er zur eidesstattlichen Versicherung bezüglich des Inventars verpflichtet wäre. Der im Vergleich zu § 69 VglO geringere Umfang der Auskünfte, deren Richtigkeit der Gemeinschuldner eidesstattlich zu versichern hat, bedeutet auch 228
BGHSt 3,309 (311). Jaeger § 75 Rz. 3a; Kilger § 75 Anm. lb). 230 Jaeger § 75 Rz. 3a. 231 Auf diesen Unterschied infolge der Abschaffung des Offenbarungseides weisen LKWillms, § 154 Rz. 7 und Schönke-Schröder-Lenckner, § 154 Rz. 9 mit Recht hin. 232 OLG Stuttgart ZIP 81, S. 254 (255); Jaeger § 75 Rz. 3a; Kilger § 75 Anm. lb; Kuhn/ Uhlenbruck § 75 Rz. 6. 229
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Teil 2: Die Aussagedelikte
keine Strafbarkeitslücke. Denn zumeist erfüllen wahrheitswidrige Angaben den Tatbestand des § 283 Abs. 1 Nr. 1 in der Form des Verheimlichens. Die eidliche Vernehmung des Gemeinschuldners ist daher im Konkursverfahren nicht vorgesehen,233 so daß ein entsprechender Meineid mangels Abnahmezuständigkeit nicht gemäß § 154 strafbar ist. Der hier vertretene Standpunkt wird noch durch eine Betrachtung der Vergleichsordnung untermauert. Konkurs- und Vergleichsverfahren unterscheiden sich zwar hinsichtlich des Verfahrenszwecks grundlegend, sind jedoch im übrigen ähnlich aufgebaut und daher vergleichbar. Auch im Vergleichsverfahren gilt der Grundsatz der Amtsermittlung, § 116 VglO. Bezeichnenderweise ist hier jedoch die Anhörung des Schuldners, nicht seine Vernehmung vorgesehen; vernommen werden gemäß § 116 S.2 VglO nur Zeugen und Sachverständige. Schon diese unterschiedliche Wortwahl schließt eine entsprechende Anwendung des § 452 ZPO über § 115 VglO aus. Ferner trifft die Vergleichsordnung eine abschließende Regelung, in welchen Fällen dem Schuldner eine eidesstattliche Versicherung der Richtigkeit seiner Angaben abverlangt werden kann, §§3 Abs. 4, 69 Abs. 2 VglO. 2 3 4 Schließlich knüpft das Gesetz den Wegfall der Vergleichswirkungen nur an eine Verurteilung des Schuldners wegen einer Konkursstraftat oder einer falschen Versicherung an Eides Statt, § 88 Abs. 1 VglO. Hätte der Gesetzgeber außerdem die Möglichkeit eines Meineids gesehen, ist kaum vorstellbar, daß er dieses schwerere Delikt nicht auch genannt hätte. Weder im Vergleichs- noch im Konkursverfahren ist daher eine entsprechende Anwendung des § 452 ZPO möglich. Demgemäß besteht in diesen Verfahren keine gerichtliche Zuständigkeit zur Abnahme eines Parteieides. Der Verfahrensposition des Schuldners bzw. des Gemeinschuldners ist daher die Möglichkeit einer Beeidigung nicht zugeordnet, so daß ein Eid dieser Personen nicht gemäß § 154 strafbar ist.
4. Meineide vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen Wegen des Meineides eines Betroffenen in Verfahren vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen kann auf die Ausführungen zu § 153 verwiesen werden. 235 Abgesehen von den Landesgesetzen, die die Rechtsstellung des Betrof233 OLG Stuttgart ZIP 81, S. 254 (255); Jaeger § 75 Rz. 3a; für eidesstattliche Versicherung: Kuhn/Uhlenbruck § 75 Rz. 6a. 234 Böhle-Stamschräder/Kilger§ 116Anm. 2a;Bley/Mohrbutter,3. Aufl.,§ 116Anm.4unter ausdrücklicher Aufgabe der anderen Ansicht; ders., 4. Aufl., § 116 Rz.4. 235 Teil 2 C.V.2.
D. Der Meineid
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fenen regeln, gilt für die der StPO folgenden Verfahrensrechte dieser Ausschüsse, daß der von einer Untersuchung mit personell-bestimmtem Ermittlungszweck Betroffene nicht Zeuge sein kann. Er kann in diese Position auch nicht dadurch gedrängt werden, daß der Untersuchungsauftrag objektiv formuliert wird, obwohl nach den bestehenden Verdachtsmomenten und dem politischen Zweck der Untersuchung gerade die Aufklärung bestimmter Vorwürfe gegen einen Verdächtigen beabsichtigt ist. Die Aufdeckung eines solchen Mißbrauchs mag im Einzelfall schwierig sein. Man darf sich jedoch nicht ausschließlich am Wortlaut des Untersuchungsauftrags orientieren. 236 Die Umgehung der zugunsten des Betroffenen bestehenden Verfahrensgarantien kann die Mitverantwortung dieser Personen für die Sachverhaltsfeststellung nicht begründen. 237 Entsprechende Meineide unterfallen daher weder als vollendete Tat noch als untauglicher Versuch 238 dem Tatbestand des § 154, weil sie nicht von Zeugen geschworen wurden.
5. Gesetzliche Vertreter
nichtprozeßfähiger
Parteien
Weiter stellt sich die Frage, ob der gesetzliche Vertreter einer nicht prozeßfähigen Partei, der gemäß § 455 Abs. 1 S. 1 ZPO vernommen und beeidigt wird, selbst das besondere persönliche Merkmal des § 154 aufweist oder ob der Tatbestand auf ihn gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 3 erstreckt wird. Bei der Partei im Zivilprozeß sind zwei Funktionen zu unterscheiden. Einerseits fungiert sie als Kläger oder Beklagter, andererseits kann sie Beweismittel sein. Diese Funktionen werden häufig durch verschiedene natürliche Personen ausgeübt. Im Anwaltsprozeß nimmt der Anwalt die Rechte und Pflichten der Partei wahr, soweit es um ihre Rolle als Verfahrenssubjekt geht, während sie sich in ihrer Beweisfunktion nicht vertreten lassen kann, sondern selbst aussagen muß. 239 § 455 Abs. 1 S. 1 ZPO bildet insoweit keine Ausnahme. Zwar fallen hier die formale Parteistellung und die Wahrnehmung der Beweisfunktion auseinander. Dabei handelt es sich aber nicht um Vertretung, der gesetzliche Vertreter ersetzt vielmehr die Partei in dieser Funktion.240 Er sagt daher nicht im Namen der Partei, sondern im eigenen Namen aus. Er selbst ist daher auch der in § 478 ZPO gemeinte Schwurpflich236
Gollwitzer, BayVBl. 82, S. 419. Dies gilt insbesondere, wenn man um der Aufklärung des Sachverhalts willen Betroffene dem Zeugniszwang unterwirft. Strafrechtlich handelt es sich dann nicht um Zeugen i.S.d. § 154; vgl. Teil 2 C.V.2. 238 A.A. Buchholz, S. 161, der jedoch übersieht, daß ein solcher Extranenversuch straflos ist; vgl. dazu Teil 2 D.VI. 239 Vgl. oben Teil 2 D.II.3.b). 240 Stein-Jonas § 455 Rz. 2. 237
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Teil 2: Die Aussagedelikte
tige, 241 ungeachtet der Tatsache, daß diese Formulierung auf die Parteivernehmung mangels Schwurpflicht ohnehin nicht recht paßt. Somit ist festzuhalten, daß der gesetzliche Vertreter einer nicht prozeßfähigen Partei im Rahmen der Parteivernehmung eine von der Partei rechtlich abgelöste, eigenständige Verfahrensposition einnimmt, der die Möglichkeit eines Eides zugeordnet ist. Die Abnahmezuständigkeit besteht daher gegenüber dem gesetzlichen Vertreter selbst, so daß er selbst zum tauglichen Kreis der Deliktssubjekte des § 154 zu rechnen ist. Eine Anwendung des § 14 auf solche Vertreter scheidet dagegen aus. Denn bei der Vernehmung des gesetzlichen Vertreters findet keine Vertretung der Partei statt.
6. Behördenbeauftragte Schließlich bleibt zu klären, ob sich der Beauftragte einer Behörde, der in der mündlichen Verhandlung ein Behördengutachten vertritt bzw. erläutert, eines Meineides schuldig machen kann. 242 Geht man davon aus, daß die für die Behörde handelnde Person selbst die Position eines Sachverständigen einnimmt,243 ergeben sich für die Strafrechtsanwendung keine Probleme. § 79 StPO ist dann unmittelbar anwendbar. Ordnet man dagegen, wie es richtig ist, der Behörde selbst die prozessuale Rolle des Sachverständigen zu, ergibt sich folgendes. Ein Eid kann von der Behörde nicht verlangt werden. 244 Denn mit dem Eid soll der Schwörende seine Überzeugung von der Wahrheit seiner Aussage bekräftigen. Der Eid ist deshalb, wie es die ZPO ausdrücklich in § 478 ZPO formuliert, untrennbar mit der Beweisperson selbst verbunden und daher nur für natürliche Personen sinnvoll. Den Eid einer juristischen Person oder Behörde gibt es daher nicht. Im Fall der Behördengutachten würde das Verlangen eines Eides auch der gesetzlichen Bewertung der Zuverlässigkeit dieser Gutachten widersprechen. Die Strafprozeßordnung erleichert die Verwertung solcher Gutachten durch die Möglichkeit ihrer Verlesung, § 256 StPO. Sie geht daher davon aus, daß diese Gutachten in erhöhtem Maße zuverlässig sind, weil sie von einer Behörde stammen.245 Dann kann der Eid, der die Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit der Aussageperson steigern soll, keine Bedeutung mehr haben. Dies alles ändert jedoch nichts 241
Stein-Jonas § 478 Rz. 1. Zum Eid wird es hier allenfalls in mündlicher Verhandlung kommen, so daß die Frage des schriftlichen Gutachtens hier nicht nochmals aufgegriffen werden muß; vgl. Teil 2 C.V.3. 243 Kleinknecht/Meyer § 83 Rz. 5; Seyler, GA 89, S. 568. 244 Jessnitzer, S. 42; LR-Gollwitzer § 256 Rz. 61,60. 242
2 4 5
Kleinknecht/Meyer § 256 Rz. 1.
D. Der Meineid
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daran, daß das Verfahrensrecht einen Eid dieser Art, nämlich einen Sachverständigeneid, überhaupt vorsieht. Es bedeutet daher zwar einen Verfahrensfehler, wenn dem Beauftragten der Behörde als solchem ein Eid abverlangt wird. Die Tatbestandsmäßigkeit eines Meineides bliebe dadurch jedoch unberührt. Es fehlt jedoch an einem weiteren erforderlichen Merkmal. Denn nicht der Beauftragte oder Vertreter bekleidet die Rolle des Sachverständigen, sondern die Behörde beziehungsweise die öffentlich-rechtliche Körperschaft. Auf jene Personenfindet § 154 daher nur Anwendung, wenn die Voraussetzungen des § 14 gegeben sind. Der Schwur eines Vertreters oder Beauftragten erweist sich jedoch nicht als ein Handeln als Vertreter bzw. aufgrund des Auftrags. Dies ist selbst dann nicht der Fall, wenn man für dieses Merkmal kein Handeln im Interesse des Vertretenen beziehungsweise der auftraggebenden Stelle verlangt, sondern einen funktionalen Zusammenhang des Handelns mit der jeweiligen Aufgabe genügen läßt. 246 Denn von dem Beauftragten wird lediglich die Erläuterung bzw. Vertretung des Gutachtens erwartet. Da der Eid verfahrensrechtlich nicht vorgesehen ist und die Behörde oder Körperschaft auch keinen Anlaß hat, die Zuverlässigkeit ihres Gutachtens in verfahrensrechtlich nicht vorgesehener Weise zu beteuern, steht ein solcher Eid in keinerlei Zusammenhang mit den Aufgaben des jeweiligen Vertreters oder Beauftragten. Er erfolgt lediglich bei Gelegenheit des Handelns als Vertreter beziehungsweise aufgrund des Auftrags. Im übrigen ist eine Vertretung bei der Eidesleistung schon aufgrund der höchstpersönlichen Natur des Eides ausgeschlossen. Aus diesem Grund tritt die Rechtsfolge des § 14, also die Anwendung des § 154 auf den Beauftragten beziehungsweise den Vertreter nicht ein. Sein „Meineid" ist daher nicht nach §154 strafbar, wenn man die prozessuale Rolle des Sachverständigen der Behörde selbst zuweist.
VI. Die Abgrenzung des straflosen Extranenversuchs vom Wahndelikt und vom strafbaren untauglichen Versuch bei irriger Annahme der Abnahmezuständigkeit Das Verbrechen des Meineids ist unter den Aussagedelikten das einzige Sonderdelikt, dessen Versuch mit Strafe bedroht ist. Daher besteht an dieser Stelle Anlaß, auf den sogenannten Versuch des untauglichen Subjekts einzugehen. Dies umso mehr, als die Erkenntnis, daß es sich beim Meineid um eine Sonderstraftat handelt, erst allmählich vordringt. Es liegt daher nahe, daß die Erscheinung des sogenannten Versuchs eines untauglichen Subjekts beim Meineid bisher übersehen und demgemäß solche Fälle unzutreffend beurteilt wurden. 246
Schönke-Schröder-Lenckner § 14 Rz. 26.
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Teil 2: Die Aussagedelikte
Eine Sichtung von Schrifttum und Rechtsprechung darauf, ob die Frage der Strafbarkeit eines Versuchs des untauglichen Subjekts bei irriger Bejahung der Abnahmezuständigkeit durch den Täter erörtert wird, steigert diese Vermutung zur Gewißheit. Weder die einschlägige Rechtsprechung noch das Schrifttum, nicht einmal die Autoren, die die Aussagedelikte als Sonderstraftaten ansehen, behandeln diese Frage. Im Vordergrund steht dort vielmehr das Problem der Abgrenzung des untauglichen Versuchs vom Wahndelikt.247 Diese Abgrenzung ist besonders schwierig, weil die Abnahmezuständigkeit ein normatives Tatbestandsmerkmal ist. 248 Der Streit der Meinungen kreist in diesem Zusammenhang vorwiegend um die Frage, welche der denkbaren Vorstellungen eines Täters bezüglich der Abnahmezuständigkeit dem sogenannten umgekehrten Tatbestandsirrtum - und damit dem Bereich des untauglichen Versuchs - , welche dem Subsumtionsirrtum - also dem Wahndelikt - zuzuordnen sind. Einigkeit dürfte hier wohl insoweit bestehen, als ein Wahndelikt anzunehmen ist, wenn der Täter bei richtiger Erfassung seiner Verfahrensrolle und zutreffender Kenntnis der aus dem Verfahrensrecht folgenden Unzuständigkeit gleichwohl diesen Sachverhalt dem Tatbestandsmerkmal der Abnahmezuständigkeit subsumiert.249 Indessen sind solche Fälle selten. Verbreiteter ist der Irrtum über die Abnahmezuständigkeit, der entweder darauf beruht, daß der Täter ohne nähere Reflexion über seine Verfahrensrolle und das seine Vereidigung regelnde Verfahrensrecht davon ausgeht, es habe alles seine Ordnung, oder daß er zwar seine Verfahrensrolle richtig beurteilt, aber annimmt, das Verfahrensrecht sehe auch für diese Position einen Eid vor. Einzelne Stimmen in Schrifttum und Rechtsprechung ordnen nur die letztgenannte, substantiierte Fehlvorstellung des Täters dem umgekehrten Tatbestandsirrtum zu, 2 5 0 während die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs seit BGHSt 3,248 und ihm folgend andere Teile des Schrifttums auch den auf keine reflektierte Tatsachenbasis gestützten Glauben an die Zuständigkeit des Gerichts zur Begründung eines untauglichen Versuchs für ausreichend erachten.251 Schließlich ist noch die Auffassung zu erwähnen, nach der bei einem Irrtum über die Abnahmezuständigkeit, gleichgültig, worauf er beruht, stets ein Wahndelikt vorliegt. 252 247 Eingehend dazu Schönke-Schröder-Eser § 22 Rz. 84 ff. m.w.Nw.; SK-Rudolphi § 154 Rz. 11 ; Herzberg, JuS 80, S. 474 ff. 248 BGHSt 3,248 (255). 249 Schönke-Schröder-Lenckner § 154 Rz. 15; SK-Rudolphi § 154 Rz. 11; Herzberg, JuS 80, S. 475, bezeichnet die Einordnung dieser Fallgestalt als Wahndelikt als unzweifelhaft richtig. 250 SK-Rudolphi § 154 Rz. 11 ; Schönke-Schröder-Lenckner § 154 Rz. 15; BGHSt 1,13(16). 251 BGHSt 3,248 (254); 5,111 (117); 10,272 (275 f.) 12,56 (58); GA 71,332, wo für § 156 „begrifflich" untauglicher Versuch bejaht wird; Dreher/Tröndle § 154 Rz. 10; Maurach/ Schroeder/Maiwald, BT2 S. 225 f. 252 OGHSt 2,82; OLG Bamberg NJW 49, S. 876 f.
D. Der Meineid
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Auf diese Abgrenzung kommt es jedoch nicht an, wenn aus anderen, in diesem Meinungsstreit nicht erörterten Gründen ein Täter, der - infolge welcher differenzierten oder undifferenzierten Vorstellung auch immer - irrtümlich von der Abnahmezuständigkeit ausgeht, ohnehin nicht wegen untauglichen Versuchs bestraft werden darf. Dies ist jedoch gerade dann der Fall, wenn die Unzuständigkeit der betreffenden Stelle darauf beruht, daß das Verfahrensrecht der Position des Täters in dem betreffenden Verfahren die Möglichkeit eines Eides nicht zuordnet. Denn unter diesen Umständen gehört der Täter nicht zum tauglichen Kreis der Deliktssubjekte eines Meineids. Der Versuch eines untauglichen Subjekts ist jedoch straflos. Dabei spielt es keine Rolle, daß der Täter bei irrtümlicher Annahme der Abnahmezuständigkeit oftmals über seine Position in dem Verfahren nicht nachdenken wird. Da das besondere persönliche Merkmal der Abnahmezuständigkeit sprachlich verborgen ist, 253 bedeutet die irrige Annahme dieser Zuständigkeit, sofern ihr Fehlen auf der Verfahrensrolle des Täters beruht, auch einen Irrtum über die Zugehörigkeit zum Kreis der Sondersubjekte. Die Straflosigkeit des Versuchs eines untauglichen Subjekts bedarf an sich umfassender Begründung. Diese kann hier jedoch nicht erfolgen, da dieses Problem des Allgemeinen Teils den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Es muß daher bei einigen Hinweisen bleiben. Nicht nur das Fehlen einer Milderungsmöglichkeit gerade für diese Art des Versuchs in § 23 Abs. 2 und die Absichten des Gesetzgebers, die zu diesem Verzicht geführt haben, sprechen für die Straflosigkeit. 254 Zu diesem Ergebnis führt auch die Differenzierung des Unrechts einer Rechtsgutsverletzung in Gefährdungsunwert und Zielunwert. Das Umecht des untauglichen Versuchs kann mangels Gefährdung realer Rechtsgutsobjekte nur auf dem Zielunwert beruhen. 255 Den Zielunwert begründet ein Handeln des Täters mit dem Willensziel, den dem Rechtsgut entgegenstehenden Unwertsachverhalt herbeizuführen. Unrechtsbegründend ist hier die spezifische Bedrohlichkeit des Willens. 256 Diese Bedrohlichkeit liegt bei den Erfolgsdelikten vor, wenn der Täter gerade den verpönten Erfolg herbeiführen, etwa einen Menschen töten will, auch wenn dieser Erfolg objektiv nicht eintreten kann. 257 Bei anderen Tatbeständen, die eine komplexere Tatsituation als die Erfolgsdelikte aufweisen, kann es jedoch an dieser spezifischen Bedrohlichkeit fehlen, wenn bestimmte Tatumstände objektiv nicht vorliegen. Bei generalisierender Betrachtung erscheint dann der Wille des Täters nicht 253 254 255 256
Vgl. oben Teil 2 D.I. BT-Drs. V/4095 S. 11. Schmidhäuser, AT2 15/37. Schmidhäuser, AT2 11/36; zum Begriff der Bedrohlichkeit eingehend Alwart, S. 163 ff.,
169 ff. 257
Schmidhäuser, AT2 11/42.
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Teil 2: Die Aussagedelikte
bedrohlich. 258 So liegt es etwa beim versuchten sexuellen Mißbrauch von Kindern. Typischerweise zielt der Täter hier auf sexuelle Handlungen ab, bei denen es ihm weniger auf das wirkliche Alter als auf die jugendliche Erscheinung des Opfers ankommen wird. Bedrohlich ist daher die Intention des Täters nur, wenn ΛΓΛ
sie sich tatsächlich auf ein Kind richtet. Fragt man sich im Hinblick auf den Tatbestand des Meineids nach der hier vorausgesetzten, spezifisch bedrohlichen Intention, welche den Zielunwert begründet, gelangt man unschwer zu dem Ergebnis, daß es sich typischerweise um den Willen handelt, die Sachverhaltsfeststellung in einem behördlichen Verfahren zu verfälschen. Dagegen umfaßt die Intention des Täters in der Regel nicht die Umstände, die seine eigene Verfahrensrolle betreffen. Das objektive Vorhandensein dieser Umstände kann daher nicht durch bloße Fehlvorstellungen des Täters oder dadurch ersetzt werden, daß Λ/ΓΛ
er ausnahmsweise gerade als Zeuge die Rechtspflege angreifen will. Schließlich folgt die Straflosigkeit dieses Versuchs auch aus der Sonderdeliktsdogmatik. Sie ermöglicht zunächst eine präzise Benennung des Problems. Ein Täter, der nur glaubt, er gehöre zum Kreis der tauglichen Deliktssubjekte, wird dadurch nicht zum Intranen. Er bleibt vielmehr ein Extraner, so daß seine Tat nicht als Versuch eines untauglichen Subjekts, sondern als Versuch eines Extranen 261 bei irriger Annahme der Intraneneigenschaft bezeichnet werden sollte. Benennt man das Problem in dieser Weise, ergibt sich die Straflosigkeit schon aus dem Fehlen eines entsprechenden Strafausdehnungsgrundes. Denn die Anwendung des Tatbestandes der Sonderstraftat auf einen Extranen bedarf besonderer gesetzlicher Anordnung. Sie liegt in der Form des § 28 Abs. 1 für die Extranenteilnahme vor, fehlt aber für den Extranenversuch. 262 Schließlich weist ein solcher Versuch auch nicht das sonderdeliktstypische Unrecht auf, das in der Abwandlung, insbesondere der Steigerung des Unwerts der gerade von einem Intranen verübten Rechtsgutsverletzung besteht. Während die Rechtsgutsverletzung unabhängig davon ist, ob der Täter mit einem tauglichen Mittel oder am tauglichen Objekt gehandelt hat, kommt es für die Abwandlung des Unwerts sehr wohl darauf an, ob sich der Täter seine Intraneneigenschaft nur einbildete oder nicht. Die Abwandlung erfolgt nur beim wirklichen Vorliegen des besonderen persönlichen Merkmals. Ein Verstoß gegen nur eingebildete Pflichten begründet dagegen das Sonderunrecht nicht. 263 Genauer als es bisher geschah, ist nunmehr darzulegen, in welchen Irrtumsfällen ein derartiger strafloser Extranenversuch vorliegt. 258 259 260 261 262 263
Schmidhäuser, AT2 11/36,39 ff.; Alwart, S. 186 ff. Alwart, S. 191 ff.; Schmidhäuser, AT2 11/43. Schmidhäuser, AT2 11/40,43; Alwart, S. 197. Langer, Das Sonderverbrechen, S. 496. Langer, Das Sonderverbrechen, S. 498. Langer, Das Sonderverbrechen, S. 497.
D. Der Meineid
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Zunächst seien die eingangs erörterten Fälle genannt, in denen der Täter an die Abnahmezuständigkeit ohne nähere Reflexion oder aufgrund unzutreffender Erfassung seiner Verfahrensrolle beziehungsweise des diesbezüglichen Verfahrensrechts glaubte. Zu dieser Gruppe gehören die Sachverhalte, bei denen der Täter glaubte, Zeuge zu sein, tatsächlich aber Beteiligter eines FGG-Verfahrens oder Beschuldigter in einem Strafverfahren war. 264 Gleiches gilt, wenn der Täter fälschlich meint, überhaupt in ein behördliches Verfahren involviert zu sein. 265 Denn auch hier wirkt die Verkennung des Merkmals „Behörde" dergestalt weiter, daß der Täter zu Umecht seine besondere Tätereigenschaft bejaht. Zu diesen Irrtümern, denen schon eine Fehleinschätzung der eigenen Verfahrensposition zugrunde liegt, kommen diejenigen hinzu, bei denen der Täter zwar seine Rolle richtig einschätzt, aber fälschlich annimmt, ihr sei die Möglichkeit eines Eides zugeordnet. Das ist der Fall, wenn der Beteiligte im FGG-Verfahren oder vor der Wiedergutmachungsbehörde beziehungsweise der Gemeinschuldner im Konkursverfahren einen Parteieid leistet und dies für zulässig hält. 266 Ein Irrtum über die Tätereigenschaft liegt schließlich auch vor, wenn der Täter glaubt, sein Schwur beziehe sich auch auf jede beiläufige Bemerkung oder auch auf außerhalb des Beweisthemas liegende, falsche oder verschwiegene Angaben.267 Hier handelt es sich nicht um einen strafbaren Intranenversuch mit untauglichen Mitteln. Denn entscheidend ist nicht, daß außerhalb des Beweisthemas liegende Angaben keine Aussagen und deshalb vom Schwur nicht umfaßt sind. 268 Hinsichtlich solcher Angaben, die außerhalb des Beweisthemas liegen, fehlt dem Täter auch die Intraneneigenschaft, so daß ein strafloser Extranenversuch vorliegt. Denn derartige Äußerungen macht der Täter nicht als Zeuge, weil seine Zeugenstellung und damit seine besondere Verantwortung für das Rechtsgut der Aussagedelikte durch den Vernehmungsgegenstand begrenzt sind. Die irrtümliche Ausdehnung des Beweisthemas führt somit beim Täter auch zu der irrtümlichen Annahme, er sei auch bezüglich dieser „Aussage" in einer Position, für die ein Eid vorgesehen ist. Es gibt jedoch auch im Rahmen der Abnahmezuständigkeit Irrtümer, die nicht die Tauglichkeit des Deliktssubjekts betreffen. Dies hat seine Ursache darin, daß dieses Merkmal zugleich Sonder- und Gemeinunrecht umgreift. 270 Es kennzeichnet auch nähere Umstände des rechtsgutsverletzenden Angriffs. Diese 264
BGHSt 12,56; BGHSt 10,8. BGHSt 1,13. 266 BGHSt 3,248; 3,309; 5,111; 10,272; 12,56. 267 BGHSt 14,345; 25,244; 3,221. 268 Vgl. z. B. LK-Willms § 154 Rz.20; ders., Vor § 153 Rz. 19; BGHSt 25,244(246); Maurach/Schroeder/Maiwald, BT2, S. 220, und Lackner, § 22 Anm. 2c, nehmen hier Wahndelikt an. 269 Langer, FS-Wolf, S. 353 f. 270 Vgl. Teil 2 D.I. a.E. 265
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Teil 2: Die Aussagedelikte
Funktion des Merkmals ist angesprochen, wenn die Vollendung eines Meineids daran scheitert, daß statt eines Richters ein Referendar oder ein Staatsanwalt das Amt des Richters versieht und dabei den Eid abnimmt.271 Der Täter, der entweder dieses Vorgehen selbst für zulässig hält oder den Staatsanwalt oder Referendar für einen Richter hält, irrt nicht darüber, daß in dem Verfahren, in dem er sich befindet, ein Eid der Art, wie er ihn schwört, vorgesehen ist. Seine Stellung als Zeuge und die Möglichkeit eines Eides liegen vielmehr vor. Nur die abnehmende Stelle ist nicht ordnungsgemäß besetzt. Das ist jedoch kein Irrtum über die Eigenschaft als taugliches Deliktssubjekt. Vielmehr liegt hier der Versuch eines Intranen vor. Ob in diesen Fällen Versuchsstrafbarkeit anzunehmen ist, hängt nicht mit dem Sonderdeliktscharakter des Meineids zusammen. Entscheidend ist vielmehr einerseits, ob der Zielunwert des Meineids nur begründet sein kann, wenn tatsächlich ein Richter den Eid abnimmt. Wer dagegen diese Fallgestaltung unter der herkömmlichen Fragestellung der Abgrenzung des untauglichen Versuchs vom Wahndelikt lösen will, kommt andererseits um eine Stellungnahme in dem eingangs geschilderten Meinungsstreit nicht herum. Nur in solchen Fällen hängt die Strafbarkeit davon ab, ob man Irrtümer über die Abnahmezuständigkeit generell dem Wahndelikt oder dem strafbaren untauglichen Versuch zuordnet oder ob man die Strafbarkeit von der substantiierten Fehlvorstellung des Täters, daß auch ein Referendar einen Eid abnehmen dürfe, abhängig macht. Diesen Fragen soll, da sie mit der Sonderdeliktsproblematik nicht zusammenhängen, hier nicht weiter nachgegangen werden. Worauf es in diesem Abschnitt ankam, ist geklärt. Die möglichen Irrtumskonstellationen im Zusammenhang mit der Abnahmezuständigkeit sind dargelegt. Die Rechtsprechung des BGH ordnet diese Irrtümer überwiegend dem sogenannten umgekehrten Tatbestandsirrtum zu und erachtet deshalb die Voraussetzungen eines strafbaren untauglichen Versuchs für gegeben. Dabei übersieht das Gericht, daß es sich in diesen Fällen, abgesehen von der zuletzt erörterten Fallgruppe der falschen Besetzung der den Eid abnehmenden Stelle, wegen des Sonderdeliktscharakters des Meineids um den Versuch eines untauglichen Subjekts, also um einen straflosen Extranenversuch, handelt.
E. Falsche Versicherung an Eides Statt I. Das Verhältnis des § 156 zu den §§ 153,154 Der überwiegenden Ansicht zufolge ist die eidesstattliche Versicherung keine schwächere Form des Eides, sondern eine anders geartete, feierliche Beteuerung 271
RGSt 60,25; 65,206 (207).
E. Falsche Versicherung an Eides Statt
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der Wahrheit einer Äußerung. 272 Ob diese Annahme zutrifft, wenn man dem Eid keinerlei sakrale Bedeutung beimißt, ist allerdings zweifelhaft. Unabhängig von dieser Frage kann jedoch festgestellt werden, daß die Straftaten des Meineids und der falschen Versicherung an Eides Statt dieselbe Struktur aufweisen. Sowohl beim Schwur wie auch bei der eidesstattlichen Versicherung ist stets eine Aussage, die Kundgabe eines bestimmten Wissens vorausgesetzt, deren Wahrheit beschworen bzw. versichert wird. Diese Handlung kann in strafbarer Weise nur vor einer Stelle erfolgen, die für die Abnahme des Eides bzw. der Versicherung zuständig ist. Diese Ähnlichkeit der Delikte rechtfertigt die Übertragung einiger zum Meineid angestellter Überlegungen auf die nunmehr erforderliche Prüfung, ob auch die falsche eidesstattliche Versicherung eine Sonderstraftat darstellt. Andererseits weist der Unrechtsgehalt dieser Delikte erhebliche Unterschiede auf. Dies ergibt sich nicht nur aus der erheblichen Differenz der Strafdrohungen, sondern auch aus dem Verhältnis des Meineides und der falschen eidesstattlichen Versicherung zu dem Delikt der falschen uneidlichen Aussage. Während der Meineid, soweit er durch Zeugen und Sachverständige begangen wird, eine erschwerte Form der falschen uneidlichen Aussage darstellt, kann dies für § 156 nicht gelten. Denn die Strafdrohungen dieses Tatbestandes liegen sowohl bei der Mindeststrafe wie auch bei der Höchststrafe unter denen des § 153. Dies führt zu der Frage, ob § 156 gar eine privilegierte Form der Falschaussage darstellt, und damit zu dem Problem, ob sich der Anwendungsbereich der beiden Vorschriften überschneidet. Solche Überschneidungen waren denkbar, wenn man die schriftliche Aussage eines Zeugen gemäß § 377 Abs. 3,4 ZPO a.F. als Aussage im Sinne des § 153 gelten ließ, obschon gerade diese Konstellation eher dagegen sprach, die schriftliche Aussage als Aussage im Sinne des § 153 aufzufassen. 273 Eine Überschneidung ist nach geltendem Recht vorstellbar, wenn ein präsenter Zeuge bei der mündlichen Verhandlung über eine einstweilige Verfügung falsch aussagt und die Wahrheit dieser Aussage eidesstattlich versichert. Auf den ersten Blick neigt man hier zu der Annahme, daß das Umecht der falschen uneidlichen Aussage, deren Merkmale hier vorliegen, durch eine besondere Beteuerung der Wahrheit dieser Aussage allenfalls gesteigert werden kann. Es wäre widersinnig, wenn die mit der Absicht einer Steigerung des Beweiswertes der Aussage abgenommene eidesstattliche Versicherung, also der zur bloßen Falschaussage hinzukommende Angriff auf die Sachverhaltsfeststellung das Unrecht dieser Aussage mindern würde. Auch soweit sich die Anwendungsbereiche der §§ 153, 156 überschneiden, kann daher § 156 nicht als privilegierte Form 272 273
LK-Willms § 156 Rz. 1; Schönke-Schröder-Lenckner § 156 Rz. 1; RGSt 67,169. OLG München MDR 68, S. 939.
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Teil 2: Die Aussagedelikte
des § 153 aufgefaßt werden. Ein Zurücktreten des § 156 hinter § 153 erscheint gleichfalls nicht sachgerecht, weil dann der zusätzliche, in der falschen Versicherung liegende Rechtsgutsangriff unberücksichtigt bliebe. Richtigerweise wird daher Tateinheit gemäß § 52 Abs. 1 anzunehmen sein. Diese Überlegungen zeigen, daß die falsche eidesstattliche Versicherung weder als schwächere Form des Meineides noch als gefährlichere oder privilegierte Form der uneidlichen Falschaussage begriffen werden kann. Ihre Selbständigkeit zeigt sich auch bei § 163, wo zwar dieses Delikt, nicht aber § 153 genannt ist. Die falsche eidesstattliche Versicherung stellt daher einen anders gearteten, selbständigen Rechtsgutsangriff dar, dessen Unrecht in den Tatbeständen der §§ 153,154 nicht aufgeht. Dieser Unterschied bildet die Grenze, bis zu der die beim Meineid entwickelten Argumente unbedenklich hierher übertragen werden können. Er wird sich insbesondere bei der Untersuchung des materiellen Sonderunrechts auswirken.
II. Tatbestandliche Subjektskreiseinschränkung Das besondere persönliche Merkmal, das den Kreis möglicher Deliktssubjekte begrenzt und abstrakt geeignet ist, Sonderunrecht zu beschreiben, ist bei der falschen Versicherung an Eides Statt wie beim Meineid die Abnahmezuständigkeit. Dafür ist die sogenannte allgemeine Zuständigkeit zur Abnahme solcher Versicherungen nicht vorausgesetzt. Denn eine solche Zuständigkeit existiert nicht. 274 Erforderlich ist vielmehr, daß die eidesstattliche Versicherung in einem bestimmten Verfahren, über einen bestimmten Gegenstand zu dem mit der Abnahme verfolgten Zweck und von einer Person in der verfahrensrechtlichen Stellung des Versichernden abgenommen werden darf. 275 Liegen diese Voraussetzungen vor, so ist die eidesstattliche Versicherung niemals rechtlich völlig wirkungslos, so daß die Aufstellung dieses Erfordernisses entbehrlich ist. 2 7 6 Gemäß dieser Definition setzt die Abnahmezuständigkeit bestimmte Deliktssubjekte voraus, nämlich Personen, die im Rahmen eines rechtlich geordneten Verfahrens eine Verfahrensposition einnehmen, der die Möglichkeit der Abnahme einer eidesstattlichen Versicherung zugeordnet ist. Der Kreis dieser Verfahrensstellungen ist zwar weiter als beim Meineid. Neben Zeugen, Sachverständigen und Parteien kommen insbesondere der Schuldner im Zwangsvollstreckungsverfahren, Beteiligte in bestimmten Verwaltungs274 275 276
LK-Willms § 156 Rz. 7; Schönke-Schröder-Lenckner § 156 Rz. 9. Schönke-Schröder-Lenckner § 156 Rz. 10; LK-Willms § 156 Rz. 7,10. Schönke-Schröder-Lenckner § 156 Rz. 9.
E. Falsche Versicherung an Eides Statt
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verfahren sowie zeugenähnliche Auskunftspersonen in Betracht. 277 Anders als beim Meineid ergibt sich die Verbindung bestimmter Verfahrenspositionen mit der Möglichkeit eidesstattlicher Versicherungen auch nicht immer ausdrücklich aus den Verfahrensgesetzen 278, sondern beruht unter Umständen auf herkömmlicher Übung, etwa im Bereich des Freibeweises, oder auf einer entsprechenden Anwendung des § 294 ZPO, zum Beispiel bei der Glaubhaftmachung im Strafverfahren. 279 Dies ändert jedoch nichts daran, daß auch im Rahmen des § 156 die Abnahmezuständigkeit nur gegenüber Personen besteht, die mit ihrer jeweiligen Verfahrensposition eine besondere Eigenschaft aufweisen, die als soziale Stellung Anknüpfungspunkt eines Sonderunrechts sein kann. Zweifel an der notwendigen Verknüpfung einer bestimmten Verfahrensposition mit der Abnahmezuständigkeit ergeben sich jedoch in den Fällen, in denen das Verfahrensrecht eine eidesstattliche Versicherung nicht nur auf Anforderung der Behörde, sondern auch ohne vorheriges behördliches Verlangen zuläßt. Der wichtigste Fall dieser sogenannten Spontanversicherungen ist die Glaubhaftmachung bei der Erwirkung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung (§§ 920 Abs. 2, 936 ZPO). Ungeachtet des engeren Wortlautes des § 294 ZPO, der im Sinne eines vorherigen Verlangens gedeutet werden könnte, 280 sind bei diesen Verfahren Spontanversicherungen des Antragstellers selbst wie auch Dritter gestattet. Denn der Antragsteller muß schon mit seinem Gesuch (§ 920 Abs. 2 ZPO) eine eigene eidesstattliche Versicherung oder die einer anderen Person zur Glaubhaftmachung seiner Behauptungen einreichen können, um die Möglichkeit, daß über sein Gesuch ohne mündliche Verhandlung (§ 921 Abs. 1 ZPO) und damit beschleunigt entschieden wird, nutzen zu können. Ob aber der Antragsteller selbst bzw. ein Dritter eine bestimmte Verfahrensposition bekleiden, der hier die Möglichkeit der eidesstattlichen Versicherung zugeordnet ist, ist zweifelhaft. Der Antragsteller selbst nimmt im Augenblick der regelmäßig schriftlichen Abfassung seines Gesuchs und seiner eidesstattlichen Versicherung noch keine verfahrensrechtliche Stellung ein. Seine Stellung als Partei, genauer als Verfügungskläger, will er erst herbeiführen. Diese Absicht ist aber noch keine 277
Vgl. im einzelnen die folgenden Ausführungen unter Teil 2 E.III. Für den Regelungsbereich des Verwaltungsverfahrensgesetzes verlangt jedoch § 27 VwVfG eine ausdrückliche Ermächtigung. 279 Die eidesstattliche Versicherung eines Zeugen als Mittel der Glaubhaftmachung ist in der StPO nirgends vorgesehen, wird aber allgemein für zulässig gehalten; KK-Maul § 45 Rz. 11; KK-Pelchen § 56 Rz. 6; ders., § 74 Rz. 8; LR-Wendisch § 26 Rz. 18; ders., § 45 Rz. 17; LRDahs § 56 Rz. 7; ders., § 74 Rz. 23; Kleinknecht/Meyer § 26 Rz. 10; LK-Willms § 156 Rz .11; Schönke-Schröder-Lenckner § 156 Rz. 12. 280 LK-Willms § 156 Rz.7; anders Schönke-Schröder-Lenckner § 156 Rz. 14; Baumbach, ZPO, § 294 Anm. 3; RGSt 36,213. 278
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Teil 2: Die Aussagedelikte
Rechtsstellung. Diese ergibt sich erst als Folge des Prozeßrechtsverhältnisses, das im gewöhnlichen Zivilprozeß erst mit der Zustellung der Klage entsteht.281 Im summarischen Verfahren, in dem unter Umständen auch ohne jede Anhörung des Gegners, also auch ohne Zustellung des Gesuchs, entschieden werden kann, ist dagegen die Entstehung dieses Verhältnisses schon mit dem Eingang des Gesuchs bei Gericht anzunehmen.282 Dieser Zeitpunkt ist zugleich für die Vollendung des Delikts gemäß § 156 maßgebend. Denn die falsche eidesstattliche Versicherung ist erst abgegeben, wenn sie mit Willen des Erklärenden bei der Behörde eingeht, bei der sie als Beweismittel dienen soll. 283 Das Merkmal der Abnahmezuständigkeit beschreibt damit letztlich hinsichtlich der eidesstattlichen Versicherung des Verfügungsklägers einen Täter, der eine bestimmte Verfahrensstellung jedenfalls im Zeitpunkt der Deliktsvollendung einnimmt. Noch schwieriger ist die Suche nach der Verfahrensposition eines Dritten, der ohne gerichtliche Aufforderung, oft sogar vor dem Beginn des Verfahrens die Wahrheit einer von ihm herrührenden Wissenserklärung eidesstattlich versichert, damit sie in einem gerichtlichen Verfahren zur Glaubhaftmachung verwendet werde. Jedenfalls können solche Personen nicht ohne weiteres als Zeugen bezeichnet werden. Denn die gewöhnliche Begründung der Zeugenstellung durch gerichtliche Ladung, durch die die einzelnen gesetzlich vorgesehenen Mitwirkungspflichten des Zeugen für die geladene Person aktualisiert werden, findet hier nicht statt. Mangels förmlicher Vernehmung vor dem Gericht ist die privatschriftliche Abfassung der eidesstattlichen Versicherung und ihre Überlassung an den Beweisführer oftmals die einzige Tätigkeit, die die betreffende Person in Verbindung mit dem jeweiligen Verfahren bringt. Andererseits über solche Personen letztlich doch die Funktion eines Zeugen aus, indem sie ihre Wahrnehmungen schriftlich niederlegen und die Wahrheit dieser „Aussage" eidesstattlich versichern. Weil das Verfahrensrecht auch eine derart lockere Mitwirkung bei der Sachaufklärung zuläßt, ist auch diesen Personen eine, wenn auch rechtlich nicht näher ausgestaltete Beweisrolle zugewiesen, die mit den eben erörterten Vorbehalten gleichfalls als Zeugenstellung bezeichnet werden kann. 284 Schließlich sind noch die Vorschriften der §§ 2356 Abs. 2 S. 1, 2357, 2368, 1507 BGB zu erwähnen. Aus ihnen soll sich die Zulässigkeit unverlangter eidesstattlicher Versicherungen für ihren jeweiligen Anwendungsbereich ausdrücklich ergeben, weshalb ihnen auch die Bezeichnung einer institutionell als Spontanversicherung ausgestalteten Erklärung beigelegt wird. 285 Auch hier stellt sich 281
Baumbach, ZPO, Grundz. § 128 Anm. 2C. Baumbach, ZPO, Grundz. § 128 Anm 2C, §261 Anm 2B; § 920 IC. 283 Schönke-Schröder-Lenckner § 156 Rz.19 m.w.Nw. 284 Auf die Eigenarten gerade dieser Zeugen wird später noch näher einzugehen sein; vgl. unten Teil 2 E.III.2.c)cc). 285 LK-Willms § 156 Rz. 7. 282
E. Falsche Versicherung an Eides Statt
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die Frage, ob der Antragsteller bei Abgabe der eidesstattlichen Versicherung überhaupt eine bestimmte Verfahrensposition einnimmt. Dies dürfte nicht zweifelhaft sein, soweit die Versicherung „vor Gericht" erfolgt. Denn diese Formulierung bringt zum Ausdruck, daß eine privatschriftliche, dem Gericht eingereichte eidesstattliche Versicherung nicht genügt. Die mündliche Abgabe der Versicherung erfolgt jedoch auf jeden Fall nach der Antragstellung, so daß der Antragsteller im Augenblick seiner Handlung bereits Beteiligter eines nachlaßgerichtlichen Verfahrens ist. Dieser Position ist die Abnahme einer solchen Versicherung kraft § 2356 Abs. 2 S. 1 BGB zugeordnet. Soweit jedoch die Versicherung auch „vor einem Notar" abgegeben werden kann, besteht die Möglichkeit, daß die Versicherung noch vor der Beantragung des Erbscheins abgegeben wird, der Täter also im Augenblick seiner Handlung noch kein Beteiligter eines nachlaßgerichtlichen Verfahrens ist. Auch hier entsteht jedoch die Beteiligtenstellung mit dem Eingang des Antrags bei Gericht. Wird in diesem Fall dem Antrag die Ausfertigung einer notariellen Urkunde über die eidesstattliche Versicherung beigefügt, besteht diese Verfahrensposition jedenfalls im Zeitpunkt der Deliktsvollendung. Denn entgegen der im Schrifttum herrschenden Ansicht 286 ist auch im Fall des § 2356 Abs. 2 S. 1 BGB der Notar nicht zur Abnahme der eidesstattlichen Versicherung, sondern nur zu ihrer Aufnahme zuständig. Dieser Schluß ergibt sich zum einen daraus, daß in anderen einschlägigen Vorschriften (§§ 38 BeurkG, 22 Abs. 2 BNotO) ausschließlich die Aufnahme, nirgends aber die Abnahme eidesstattlicher Versicherungen geregelt ist. Immer - so auch im Fall des § 2356 BGB - findet die eidesstattliche Versicherung in einem anderen, gerade nicht von dem Notar geführten Verfahren ihre Verwendung als Beweismittel. Daß der Notar also auch hier nur eine Beurkundungsfunktion versieht, - nach der prägnanten Formulierung von Willms - nur Werkzeug bei der Abfassung, nicht Adressat der Versicherung ist, folgt schließlich aus § 56 BeurkG. Die Tätigkeit des Notars im Rahmen des § 2356 BGB wird hier innerhalb einer langen Reihe von Beurkundungszuständigkeiten aufgeführt. Zweifellos handelt es sich bei den hier erörterten Verfahrenspositionen um Grenzfälle, in denen das Merkmal der Abnahmezuständigkeit gerade noch einen Täter in einer bestimmten Verfahrensstellung und damit einen eingeschränkten Kreis von Deliktssubjekten beschreibt. Letztlich haben jedoch auch diese Fälle bestätigt, daß die Abnahmezuständigkeit immer nur im Hinblick auf bestimmte Verfahrenspositionen besteht, für die nach dem Verfahrensrecht die Möglichkeit einer eidesstattlichen Versicherung vorgesehen ist. Nur Personen in diesen Positionen gehören zum Kreis tauglicher Deliktssubjekte des § 156. Auch § 156 weist daher ein besonderes persönliches Merkmal und damit einen Sonderunrechtstatbestand auf. 286
LK-Willms § 156 Rz. 4; Huhn/von Schuckmann, § 38 Rz. 13; Seybold/Hornig, § 22
Rz. 6.
9 Deichmann
Teil 2: Die Aussagedelikte
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ΠΙ. Das materielle Sonderunrecht bei § 156 1. Indizien für das Sonderunrecht Daß das Tatbestandsmerkmal der Abnahmezuständigkeit auch bei der falschen Versicherung an Eides Statt materielles Sonderunrecht beschreibt, ergibt sich zunächst aus den bereits beim Meineid dargelegten Gesichtspunkten. Eine Deutung der Abnahmezuständigkeit als ausschließlich nähere Kennzeichnung der Tathandlung scheidet hier wie dort 287 aus. Auch das aus einem Vergleich der gemilderten Anstifterstrafe gemäß §§ 156, 26, 28 Abs. 1 und der Strafdrohung des § 160 ableitbare teleologische Argument hat hier Geltung, wenn auch seine praktische Bedeutung geringer ist, weil § 156 keine erhöhte Mindeststrafe aufweist. 288 Schließlich spricht schon die Existenz des § 160 für den Sonderdeliktscharakter des § 156, wie der Vergleich dieser beiden Vorschriften mit den §§ 271, 348 ergibt. 289 Diese Erwägungen erübrigen jedoch nicht die unmittelbare Untersuchung, ob die in § 156 vorausgesetzten Deliktssubjekte für die Unversehrtheit des Rechtsguts der Aussagedelikte eine Schlüsselstellung einnehmen und ihnen deshalb dieses Rechtsgut überantwortet ist. Die Lösung dieses Problems muß im Verfahrensrecht gesucht werden. Entscheidend ist daher, wie das Verfahrensrecht die jeweilige Position der einzelnen Deliktssubjekte ausgestaltet hat, denen gegenüber eine Abnahmezuständigkeit besteht. Die damit gestellte Aufgabe begegnet der Schwierigkeit, daß die eidesstattliche Versicherung als Beweismittel in zahlreichen Verfahren vor ganz verschiedenen Behörden und zu den unterschiedlichsten Beweiszwecken Verwendungfindet. Aus Gründen der Übersichtlichkeit sollen daher die einzelnen Verfahren, soweit sie Gemeinsamkeiten aufweisen, zu Gruppen zusammengefaßt werden. Dabei erweist es sich als zweckmäßig, gerichtliche Verfahren von Verwaltungsverfahren zu trennen.
2. Eidesstattliche
Versicherungen in gerichtlichen Verfahren a) Strengbeweis
Soweit in gerichtlichen Erkenntnisverfahren das Gericht bei der Tatsachenfeststellung auf die Verwendung der ausdrücklich im Verfahrensrecht genannten Beweismittel beschränkt ist, also Strengbeweis stattfindet, spielt die eidesstattliche Versicherung nur eine ganz untergeordnete Rolle. 287 288 289
Vgl. Teil 2 D.II. 1. Vgl. Teil 2 D.II.2. Vgl. Teil 2 D.II.2.
E. Falsche Versicherung an Eides Statt
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Im Strafverfahren sind eidesstattliche Versicherungen über die für die Sachentscheidung maßgeblichen Tatsachen schlechthin unzulässig, gleichgültig ob sie von Zeugen oder vom Angeklagten abgegeben werden. 290 Dies gilt sogar im Wiederaufnahmeverfahren. 291 In bürgerlich-rechtlichen Streitverfahren nach der ZPO und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit kommt die eidesstattliche Versicherung im Bereich des Strengbeweises nur ausnahmsweise vor. Eine Vorschrift dieser Art war § 377 Abs. 3,4 ZPO a.F., auf die nach ihrer Beseitigung durch das Rechtspflege-Vereinfachungsgesetz vom 11.12.1990 jedoch nicht mehr eingegangen werden muß. Dagegen ist durch § 495a ZPO dem Richter nunmehr ein weiter Gestaltungsspielraum bei der Durchführung der Beweisaufnahme eröffnet. Dieser erlaubt es auch, Zeugen eidesstattliche Versicherungen abzufordern. Jedoch ändert diese Handhabung nichts daran, daß die betreffende Person Zeuge ist und deshalb aufgrund der jeden Zeugen bindenden Pflichten an der Sachverhaltsfeststellung mitwirken muß. Selbst wenn etwa die gesetzliche Eidespflicht durch die richterliche Anordnung einer eidesstattlichen Versicherung oder die Pflicht zum Erscheinen durch Abforderung einer schriftlichen Stellungnahme ersetzt werden, gleicht die Verfahrensposition solcher Zeugen immer noch derjenigen, die Zeugen im Regelfall einnehmen, so daß auch sie wie alle Zeugen für die Sachverhaltsfeststellung in dem betreffenden Verfahren eine Schlüsselstellung bekleiden und ihnen deshalb für die Erfüllung dieser Rechtspflegeaufgäbe besondere Mitverantwortung übertragen ist. Als Mittel des vollen Beweises, nicht nur der Glaubhaftmachung, ist die eidesstattliche Versicherung sodann noch in den schon erwähnten Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (§§ 2356, 2357, 2368, 1507 BGB) vorgesehen, schließlich noch im Aufgebotsverfahren, § 952 Abs. 3 ZPO. Sie ist in diesen Fällen den Antragstellern, also den Beteiligten des jeweiligen Verfahrens vorbehalten. Daß diese Personen, soweit sie im Wege der eidesstattlichen Versicherung auf die gerichtliche Sachverhaltsfeststellung Einfluß nehmen können, gerade wegen dieser vom Verfahrensrecht vorgesehenen Möglichkeit eine Schlüsselstellung für die Unversehrtheit des Rechtsguts der Aussagedelikte in diesen Verfahren bekleiden, ist offensichtlich. In Anerkennung dieses besonderen Einflußbereiches ist ihnen jedoch auch eine Mitverantwortung für die zutreffende Sachverhaltsfeststellung zugewiesen. Die Beteiligten sind in den hier zu erörternden Verfahren zwar nicht verpflichtet, an der Sachaufklärung mitzuwirken. Ähnlich wie bei der Parteivernehmung 293 konnte das Verfahrensrecht aber auch hier auf entsprechende Pflichten in der zutreffenden Erwartung verzichten, 290 291 292 293
9*
BGHGA73, 109(110). BGHSt 17,303. Vgl. Teil 2 C.II.4.a),b). Vgl. Teil 2 D.II.3.b),bb).
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Teil 2: Die Aussagedelikte
daß die Beteiligten schon aus eigenem Interesse an der Sachaufklärung mitwirken werden. Ferner besteht die Besonderheit der in den §§ 2356, 2357, 2368, 1507 BGB angesprochenen Verfahren aber auch darin, daß sie den Beteiligten überhaupt als förmliches Beweismittel nennen. Denn gewöhnlich übt der Beteiligte im FGG-Verfahren keine förmliche Beweisfunktion aus, was sich aus dem diesbezüglichen Schweigen des § 15 Abs. 1 FGG ergibt. 294 Nicht nur der Vergleich mit der Parteivernehmung, sondern auch diese Zuerkennung einer im Vergleich zu den Beteiligten anderer FGG-Verfahren hervorgehobenen Beweisfunktion rechtfertigen die Annahme, daß die Rechtsordnung gerade diesen Verfahrensbeteiligten besondere Verantwortung für die zutreffende Sachverhaltsfeststellung zuweisen wollte. Weitere Verfahrensstellungen, bei denen eidesstattliche Versicherungen vorgesehen sind, gibt es im Bereich des Strengbeweises nicht. Soweit der Bundesgerichtshof die Abnahmezuständigkeit eines Zivilgerichts für unaufgefordert eingereichte, eidesstattliche Versicherungen schon deshalb bejaht, weil die Möglichkeit besteht, daß die Gegenpartei diese Verletzung des Verfahrensrechts nicht rügt und der Verstoß deshalb gemäß § 295 ZPO „geheilt" wird, 295 kann dem nicht gefolgt werden. 296 Bezeichnenderweise setzt sich der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung ausschließlich mit dem überflüssigen Merkmal auseinander, daß die Versicherung nicht rechtlich völlig wirkungslos sein dürfe. 297 Nur von daher kann überhaupt die Vorschrift des § 295 ZPO ins Spiel gebracht werden, die infolge des Rügeverzichts auch einer solchen Versicherung rechtliche Wirkung im Rahmen der Beweiserhebung verschaffen kann. Der entscheidende Umstand, daß nämlich die Versicherung in dem Verfahren und über den betreffenden Gegenstand und von der betreffenden Person abgegeben werden durfte, wird dagegen völlig vernachlässigt. Insoweit bemerkt der Bundesgerichtshof lediglich, daß ein Fall, in dem das Gericht diese Versicherung entgegennehmen durfte, nicht vorlag. 298 Gerade dieser Mangel wird jedoch durch § 295 ZPO nicht „geheilt". § 295 ZPO hat nur die Wirkung, daß die Parteien im nächsten Rechtszug mit der Rüge des Verfahrensverstoßes ausgeschlossen sind. Diese Wirkung ändert jedoch nichts daran, daß das Gericht die betreffende Versicherung nicht entgegennehmen durfte, zumal der Verlust des Rügerechts eben nur im Verhältnis der Parteien zueinander besteht.299 Weil aus diesen Gründen der Auffassung des BGH nicht zu folgen ist, bedarf es an dieser Stelle keiner Erörterung, ob einer Person, die, ohne je als Zeuge ver294 295 296 297 298 299
Vgl. Teil 2 D.V.3. BGHSt 7,1. Zutreffend dagegen RGSt 73,144(146 f.). BGHSt 7,1(2). BGHSt 7,1. LK-Willms § 156 Rz. 12; Schönke-Schröder-Lenckner § 156 Rz. 14.
E. Falsche Versicherung an Eides Statt
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nommen oder geladen worden zu sein, nur durch eine schriftliche eidesstattliche Versicherung auf ein Verfahren Einfluß gewinnt, das Rechtsgut der Aussagedelikte anvertraut sein kann.
b) Freibeweis In den Fällen, in denen die Gerichte bei der Beweiserhebung nicht auf bestimmte Beweismittel beschränkt und nicht an gewisse Formen gebunden sind, sondern Freibeweis erheben können, kann auch die eidesstattliche Versicherung als Beweismittel Verwendung finden. Es ist jedoch zu beachten, daß gerade beim Freibeweis nur das Gericht darüber befindet, welche Beweiserhebung es für zweckmäßig und geboten hält. Genau wie es sich einen Eid nicht aufdrängen lassen muß, ist ihm auch die Entscheidung vorbehalten, ob es eine eidesstattliche Versicherung verlangen und abnehmen will. 3 0 0 Schriftlich abgefaßte, unaufgefordert eingereichte eidesstattliche Versicherungen von Verfahrensbeteiligten oder Dritten sind daher zunächst nichts anderes als schlichte Erklärungen; 301 den Rang einer eidesstattlichen Versicherung erhalten sie erst, wenn das Gericht eine solche Versicherung verlangt, sie also nochmals abnimmt. Die Rechtsprechung302, die auch unaufgefordert abgegebene eidesstattliche Versicherungen für tatbestandsmäßig hält, berücksichtigt nicht hinreichend den Gedanken, daß Zeugen nicht schon vor ihrer förmlichen Vernehmung durch eidesstattliche Versicherungen festgelegt werden sollen, weil dies zur Entwertung des Eides führen kann. 303 Dies ist aber der Fall, wenn man die unaufgefordert abgegebene Versicherung auch dort für zulässig hält, wo vorläufige Tatsachenfeststellungen getroffen werden, die später mit den Mitteln des Strengbeweises wiederholt werden müssen, insbesondere also in Verfahren, in denen vor der Hauptverhandlung über die Fortdauer der Untersuchungshaft 304 oder der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis 305 entschieden wird. Schließlich sind eidesstattliche Versicherungen des Beschuldigten beziehungsweise des Angeklagten auch hier völlig ausgeschlossen. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze können eidesstattliche Versicherungen auch bei der freien Beweiserhebung nur Zeugen, Sachverständigen und 300
Schönke-Schröder-Lenckner § 156 Rz. 14; LK-Willms § 156 Rz.ll; BGH VersR 78, S. 155; BGH NJW 51, S. 441; zum Freibeweis allgemein Willms, FS-Heusinger, S. 398. 301 RGSt 73,349 (351 f.); OLG Bremen NJW 62,2314 (2315). 302 BGH GA 1973, 109 f.; RGSt 58,148. 303 BGHSt 5,69 (71); RGSt 37,209 (210); BGHSt 17,303 (305). 304 RGSt 58,148 f. 305 BGH GA 73,109 f.
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Parteien des Zivilprozesses beziehungsweise Beteiligten anderer Gerichtsverfahren abverlangt werden. Für sie gelten hinsichtlich ihrer Schlüsselstellung für die Unversehrtheit des Rechtsguts und ihrer Mitverantwortung für die Sachverhaltsfeststellung dieselben Gesichtspunkte, die bereits bei der falschen uneidlichen Aussage306 und beim Meineid 307 erörtert wurden. Denn die Verfahrensposition dieser Deliktssubjekte ist beim Freibeweis nicht anders ausgestaltet als beim Strengbeweis. Diese verschiedenen Formen der Beweiserhebung unterscheiden sich nur hinsichtlich der Bindung des Gerichts an bestimmte Verfahrensnormen. 308 Die Mitwirkungspflichten der Beweispersonen sind dagegen identisch, insbesondere besteht für den Zeugen, auch wenn „nur" Freibeweis erhoben werden soll, grundsätzlich die Pflicht, auf Ladung zu erscheinen, auszusagen und gegebenenfalls zu schwören. In dem Umfang, in dem Gerichte im Rahmen des Freibeweises eidesstattliche Versicherungen abnehmen können, ist daher den jeweiligen Personen aufgrund ihrer verfahrensrechtlichen Position das Rechtsgut der Aussagedelikte anvertraut, so daß ihre falsche eidesstattliche Versicherung materielles Sonderunrecht verwirklicht.
c) Glaubhaftmachung Besondere Bedeutung als Beweismittel hat die eidesstattliche Versicherung im Rahmen der Glaubhaftmachung. Im Unterschied zum vollen Beweis ist ihr Ziel nicht die Überzeugung des Gerichts von der Wahrheit, sondern nur die Vermittlung überwiegender Wahrscheinlichkeit einer Behauptung.309 Insbesondere aber beschränkt sich die Beweiserhebung auf die präsenten Beweismittel (§ 294 Abs. 2 ZPO), so daß der Beweisantritt unter Hinweis auf ein erst noch herbeizuschaffendes Beweismittel unzulässig ist. Grundsätzlich ist es daher Sache des Beweisführers, die Beweismittel vorzulegen. Gerichtliche Hilfe bei ihrer Herbeischaffung, vor allem die Ladung von Zeugen und Sachverständigen, wird in der Regel nicht gewährt. 310 306 V 307
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T e ü
2 C.H.4., 5.
Vgl. Teil 2 D.II.3. Willms, FS-Heusinger, S. 397 f. 309 So die verbreitete Definition; ζ. B. Baumbach, ZPO § 294 Anm. 1A; andere Ansichten sprechen von voller Überzeugung, die sich jedoch nur auf die präsenten Beweismittel stützt; vgl. Leipold, S. 67 m.w.Nw. 310 Baumbach, ZPO § 294 Anm. 4A; BGH NJW 58, S. 712; anders im FGG-Verfahren: Keidel/Kuntze/Winkler § 15 Rz. 59. 308
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Aufgrund dieser beiden Unterschiede werden bei der Glaubhaftmachung geringere Anforderungen an die Qualität der Beweismittel gestellt. Die unmittelbare Zeugenvernehmung kann durch schriftliche Erklärungen ersetzt werden. Insbesondere ist aber die eidesstattliche Versicherung des Beweisführers selbst, die an sich ein wenig überzeugendes Beweismittel ist, 311 allgemein zugelassen. Ausnahmsweise ausgeschlossen ist sie im Bereich der ZPO nur in den §§44 Abs. 2, 406 Abs. 3, 511a Abs.l ZPO und generell für den Beschuldigten beziehungsweise Angeklagten im Strafverfahren. Für den Beschuldigten bedeutet dieser Ausschluß jedoch in der Regel keine Erschwerung. Denn zur Glaubhaftmachung genügt oftmals selbst eine einfache Erklärung von seiner Seite, wenn etwa bei Versäumung der Einspruchsfrist nur alltägliche Umstände behauptet werden und keine Anzeichen für einen Versuch, die Zustellung zu vereiteln, bekannt sind. 313
aa) Zeugen und Sachverständige in mündlicher Verhandlung Im Hinblick auf die hier zu erörternde Frage, ob allen Personen, denen im Rahmen der Glaubhaftmachung eine eidesstattliche Versicherung abgenommen werden kann, das Rechtsgut der Aussagedelikte anvertraut ist, ergeben sich keine Probleme, wenn die Beweiserhebung im wesentlichen den Regeln des Strengbeweises folgt. Werden präsente Zeugen oder Sachverständige z. B. bei einer mündlichen Verhandlung über eine einstweilige Verfügung, über ein Wiedereinsetzungsgesuch oder einen Antrag auf Prozeßkostenhilfe vernommen und versichern sie die Wahrheit ihrer Aussage an Eides Statt, so besteht kein Zweifel, daß sie sich in ihrer Beziehung zum Rechtsgut der Aussagedelikte nicht von anderen Zeugen und Sachverständigen unterscheiden. Auch sie verfügen über einen besonderen sozialen Einflußbereich, weshalb ihnen der Schutz des Rechtsguts zur Aufgabe gemacht wird.
bb) Parteien und Beteiligte Ein besonderer sozialer Einflußbereich, kraft dessen die zutreffende Sachverhaltsfeststellung gerade von diesen Personen abhängt, besteht im Rahmen der Glaubhaftmachung auch für Parteien zivilprozessualer Verfahren und Beteiligte 311 312 313
Leipold, S. 68. KK-Maul § 45 Rz. 13 m.w.Nw. BVerfGE 37,100 (103).
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eines FGG-Verfahrens. 314 Den Parteien und Beteiligten ist hier in noch größerem Umfang als beim Strengbeweis eine Beweisfunktion zugewiesen. Ihr durch eidesstattliche Versicherungen ausgeübter Einfluß auf die Sachverhaltsfeststellung ist von den Verfahrensordnungen in den §§ 294 Abs. 1 ZPO und 15 Abs. 2 FGG vorgesehen. Parteien und Beteiligte fungieren nicht nur subsidiär, sondern gleichrangig neben anderen Beweismitteln. Sie sind bei der Ausübung dieser Funktion nicht von einer vorherigen gerichtlichen Aufforderung abhängig, sondern können sie, verbreiteter Ansicht zufolge, stets spontan ausüben.315 In Anerkennung dieser Schlüsselstellung überträgt die Rechtsordnung Parteien und Beteiligten auch im Rahmen der Glaubhaftmachung eine besondere Mitverantwortung für die Sachverhaltsfeststellung, so daß der Angriff jener Personen auf dieses Rechtsgut materielles Sonderunrecht begründet. Wie bei der Parteivernehmung ist zwar auch hier keine Mitwirkungspflicht vorgesehen. Die Mitwirkung der Parteien an der Aufklärung des Sachverhalts ist jedoch hinreichend dadurch sichergestellt, daß bei verweigerter Mitwirkung die Glaubhaftmachung möglicherweise nicht gelingt, so daß der Partei ein Nachteil droht. Aus der fehlenden Mitwirkungspflicht kann demnach auch hier nicht auf eine geringere Verantwortung für die zutreffende Sachverhaltsfeststellung geschlossen werden. Dies wird bestätigt, wenn man sich den Ursprung der eidesstattlichen Versicherung als eines gerade der Partei zur Verfügung stehenden Beweismittels vergegenwärtigt. Sie geht zurück auf den sogenannten Kalumnieneid des römischen Rechts.316 Dieser Eid sollte zunächst nur Gewähr dafür bieten, daß der Kläger den Rechtsstreit nicht leichtfertig begann, insbesondere also nicht absichtlich unwahre Behauptungen aufstellte, um den Gegner zu schikanieren, sondern hinsichtlich seines Anspruchs in gutem Glauben war. 317 Weil der Kalumnieneid also keinen vollen Beweis für eine Behauptung liefern, sondern allenfalls die Redlichkeit des Klägers erweisen konnte, wurde er über seine ursprüngliche Anwendung hinaus als Beweismittel minderer Qualität gerade in Verfahren zugelassen, bei denen nur die Glaubhaftmachung verlangt wurde, insbesondere also im summarischen Verfahren nach dem gemeinen Recht.318 Der Kalumnieneid und dementsprechend die ihm nachgebildete eidesstattliche Versicherung der Partei gemäß § 294 Abs.l ZPO hat damit nicht nur die Funktion 314
Entsprechendes gilt für Beteiligte an verwaltungsgerichtlichen Verfahren, etwa im Rahmen des § 123 VwGO, und für den Antragsteller im Rehabilitierungsverfahren gemäß § 10 Abs. 2 Erstes SED-UnBerG. 315 Dies ist richtig, wenn man das Wort „zugelassen werden" in § 294 ZPO als bloßes Entgegennehmen deutet; Spontanerklärungen sind aber jedenfalls in den praktisch besonders bedeutsamen Verfahren zur Erlangung einstweiligen Rechtsschutzes zulässig; vgl. Teil 2 E.II. 316 Leipold, S. 68. 317 Leipold, S. 68 f.; Wetzeil, S. 305, 312. 318 Wetzell, S. 305 ff.
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eines Beweismittels. Mit ihm bringt die Partei auch zum Ausdruck, daß sie für den von ihr begonnen Rechtsstreit und ihre Behauptungen die Verantwortung übernimmt. 319 Diese unter Berufung auf ihre Redlichkeit erklärte Übernahme der Verantwortung rückt die Partei in eine besondere Beziehung zum Rechtsgut der Aussagedelikte.
cc) Schriftliche, unaufgefordert abgegebene eidesstattliche Versicherungen Verwirklicht demnach auch die falsche eidesstattliche Versicherung einer Partei oder eines Beteiligten materielles Sonderunrecht, erweist sich dies bei der letzten hier zu erörternden Personengruppe als problematisch. Es handelt sich dabei um jene Personen, deren schriftliche, mit einer eidesstattlichen Versicherung versehene Aussage vom Beweisführer dem Gericht ohne vorheriges Verlangen zwecks Glaubhaftmachung vorgelegt wird. Diese Art der Beweisführung ist besonders verbreitet, weil man sich von diesem Beweismittel einerseits mehr Überzeugungskraft als von der bloßen Versicherung der Partei selbst verspricht und es andererseits ohne Vernehmung der betreffenden Person, also ohne mündliche Verhandlung verwertet werden kann. Personen, die derartige Erklärungen abgeben, werden nicht zufällig in der Kommentarliteratur nur als „Dritte" 320 und eben nicht als Zeugen bezeichnet. Denn sie sind anders als Zeugen zur Ableistung ihrer Aussage, überhaupt zur Mitwirkung an der Sachverhaltsfeststellung nicht verpflichtet. Es handelt sich hier nicht einmal um die vorweggenommene Erfüllung von Zeugenpflichten, die in einem späteren Verfahrensabschnitt noch begründet werden könnten. Denn die Pflicht zur Herbeischaffung der Beweismittel trifft bei der Glaubhaftmachung den Beweisführer, der jedenfalls im Zivilprozeß kein Recht zur Zeugenladung hat. Andererseits ist nicht zu verkennen, daß die Funktion dieser Personen mit derjenigen von Zeugen vergleichbar ist. Denn der Einfluß auf die Sachverhaltsfeststellung geschieht auch hier im Wege einer Mitteilung eigener Wahrnehmungen. Dieses Faktum allein begründet jedoch noch nicht den besonderen sozialen Einflußbereich, der Voraussetzung jeder Sonderunrechtsbegründung ist. Auf den ersten Blick scheint die Beweisfunktion dieser Personen in dem jeweiligen Verfahren sogar ein typisches Beispiel des allgemeinen, jedem Menschen eröffneten Einflußbereiches zu sein, der nur von der faktischen Möglichkeit zur Einflußnahme 321, nicht aber von einer besonderen sozialen Stellung 319 320 321
Amelung, JZ 87, S. 742. Thomas-Putzo § 294 Anm. 1. Vgl. Teil 2 C.II.4. a).
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abhängt. Von einer völlig informellen Beeinflussung gerichtlicher Sachverhaltsfeststellung, wie sie jedermann faktisch möglich sein kann, unterscheidet sich die hier erörterte Beweisfunktion jedoch dadurch, daß das Verfahrensrecht sie als Beweismittel voraussetzt und anerkennt. Wenn § 294 Abs.l ZPO jedes Beweismittel zuläßt, so ist damit zugleich ausgesprochen, daß derartige eidesstattliche Versicherungen zumindest Beweismittel sind. Damit beruht der Einfluß der Personen, von denen solche Erklärungen herrühren, aber nicht mehr auf lediglich informellen Vorgängen. Mit ihrem Entschluß, durch Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung an der gerichtlichen Sachverhaltsfeststellung mitzuwirken, erlangen sie vielmehr die Eigenschaft einer vom Verfahrensrecht anerkannten förmlichen Quelle der Wahrheitsfindung. Es ist also letztlich die verfahrensrechtliche Anerkennung dieser Beweisfunktion, die die Besonderheit des sozialen Einflußbereichs einer Person konstituiert, die durch eine eidesstattliche Versicherung zeugenähnlich auf die gerichtliche Sachverhaltsfeststellung einwirkt. Liegen somit auch bei diesen Personen die Voraussetzungen der Sonderunrechtsbegründung vor, ist im folgenden noch der Sachverhalt nachzuweisen, bei dessen Vorliegen materielles Sonderunrecht tatsächlich begründet wird, also die Überantwortung des Rechtsguts an die Sondersubjekte zu besonderem Schutz. Mangels jeder näheren verfahrensrechtlichen Ausgestaltung der eben erörterten, zeugenähnlichen Beweisrolle vermag das Verfahrensrecht insoweit nicht hilfreich zu sein. Wie bereits erörtert, unterscheidet sich diese Rolle von der Zeugenstellung nicht etwa nur durch eine andere Form der Erfüllung von Zeugenpflichten, sondern durch den Mangel jeder Mitwirkungspflicht. Solche verfahrensrechtlichen Pflichten können daher hier kein Indikator der Überantwortung sein. Betrachtet man jedoch den Vorgang, durch den Dritte in diese Beweisrolle gelangen, wird man an ein von den Garantenpositionen bei Unterlassungsdelikten vertrautes Phänomen erinnert. Diese Beweisrolle entsteht durch den Entschluß einer Person, eine mit eidesstattlicher Versicherung versehene Aussage zur Verwendung bei Gericht zu machen. Der Dritte übernimmt mit dieser Rolle also die Aufgabe, die Sachaufklärung zu fördern und die zutreffende gerichtliche Sachverhaltsfeststellung zu gewährleisten. Seiner Struktur nach erweist sich dieser Vorgang als Übernahme einer Schutzfunktion. Denn der Beitrag zur Sachverhaltsfeststellung soll eben dieses Rechtsgut vor der Gefahr bewahren, wegen der Nichtberücksichtigung des Tatsachenwissens des Dritten und der darauf beruhenden, eventuell mangelhaften Aufklärung Schaden zu nehmen. Typischerweise werden dann weitere Beweise neben solchen Aussagen nicht erhoben, weil sich die Beweisaufnahme im Rahmen der Glaubhaftmachung auf präsente Beweismittel beschränkt.
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Damit weist diese Beweisrolle die Merkmale einer Garantenstellung kraft Übernahme einer Schutzfunktion 322 auf. Denn sie ist dadurch gekennzeichnet, daß der Garant den Schutz bestimmter Rechtsgüter übernimmt und deshalb mit Rücksicht auf die Übernahme andere Schutzvorkehrungen unterbleiben. Sind damit Personen, die zwecks Glaubhaftmachung eidesstattliche Versicherungen ablegen, aber nicht in eine förmliche Zeugenstellung gelangen, „Garanten" kraft Übernahme für das Rechtsgut der Aussagedelikte, so ist auch die Feststellung berechtigt, daß ihnen dieses Rechtsgut überantwortet ist. Die Berechtigung dieser Herleitung aus der strukturellen Ähnlichkeit der Garantenstellung mit der Position jener Personen ergibt sich daraus, daß auch die Garantenunterlassungsdelikte Sonderstraftaten sind. Subjektiv eingeschränkte Straftaten, bei denen die Sondersubjekte unter den Voraussetzungen handeln, die für die Annahme einer Garantenposition erforderlich sind, sind deshalb gleichfalls Sonderstraftaten, weisen also materielles Sonderunrecht auf. 323 Es hat sich damit gezeigt, daß die falsche eidesstattliche Versicherung sämtlicher im Rahmen der Glaubhaftmachung zu diesem Beweismittel zugelassenen Personengruppen materielles Sonderunrecht begründet.
d) Offenbarungsversicherungen Durch die Umwandlung des Offenbarungseides in eine eidesstattliche Versicherung 324 wurde diesem Beweismittel neben seiner herkömmlichen Funktion als Mittel der Glaubhaftmachung ein weiteres, bedeutsames Anwendungsgebiet eröffnet. Die gerichtlichen Verfahren, in denen derartige „Offenbarungsversicherungen" abgenommen werden, dienen der Erfüllung bestimmter Auskunftsoder Rechenschaftspflichten des Schuldners. Nach dem Ursprung dieser Pflichten lassen sich diese Verfahren in zwei Gruppen einteilen. Im Verfahren nach §§ 79, 163 FGG beziehungsweise § 889 ZPO werden Auskunfts- bzw. Rechenschaftspflichten erfüllt, die auf materiell-rechtlichen Rechtsgrundlagen beruhen. 325 Die Erfüllung dieser Ansprüche erfordert ein gerichtliches Verfahren zur Abnahme der eidesstattlichen Versicherung, wenn Grund zu der Annahme besteht, daß die geschuldeten Angaben nicht mit der erforderlichen Sorgfalt gemacht wurden (§§ 255 Abs. 2, 260 Abs. 2, 2028 Abs. 2 BGB). 322
Vgl. dazu Schönke-Schröder-Stree § 13 Rz. 26 ff. Näheres zu diesem Gedanken unten Teil 3 B.II.3.d). 324 Gesetz vom 26.7.1970, BGBl. I S. 911. 325 Anspruchsgrundlagen sind insoweit Verträge oder bürgerlich-rechtliche Vorschriften; vgl. dazu die Kommentierung bei Palandt, §§ 259-261 Rz. 3 ff. 323
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Keine materiell-rechtliche Grundlage, sondern eine vollstreckungsrechtliche Wurzel haben die Auskunftspflichten, die ein Vollstreckungsschuldner in den Fällen der §§ 807, 883 ZPO, 284 AO, 125 KO, 69 VglO, 33 Abs. 2 FGG, 83 Abs. 2 FGG, 7 JustizBeitrO, 459g StPO, 463b Abs. 3 StPO, 90 Abs. 3 OWiG zu erfüllen hat. 326 Wie schon erläutert, 327 verfolgen diese Verfahren zunächst nur den Zweck, durch die Vernehmung und eidesstattliche Versicherung des Schuldners eine Art Ausforschungsbeweis zu erheben. Mittelbar können die in diesem isolierten Beweisverfahren festgestellten Tatsachen jedoch zur Grundlage weiterer gerichtlicher Maßnahmen werden. So finden die durch Auskunft und Rechnungslegung in den Fällen der ersten Gruppe bekannt gewordenen Tatsachen häufig in Erkenntnisverfahren Eingang, die wegen des Hauptanspruches später geführt werden. In den Fällen der zweiten Gruppe soll dagegen die vollstreckungsrechtliche Auskunftspflicht den Gläubiger in die Lage versetzen, erfolgversprechende Vollstreckungsanträge zu stellen, also gerichtliche Vollstreckungsmaßnahmen zu veranlassen. Wegen dieses unmittelbaren Zusammenhangs mit gerichtlichen Entscheidungen erscheint auch die in den betreffenden Verfahren betriebene Sachaufklärung im Hinblick auf die Rechtspflege als wertvoll, so daß die falsche eidesstattliche Versicherung des Schuldners das Rechtsgut der Aussagedelikte verletzt. Der Unweit dieser Rechtsgutsverletzung ist jedoch auch relativ erhöht. Daß der Schuldner hinsichtlich der vollständigen Sachaufklärung in diesen Verfahren eine Schlüsselstellung einnimmt, liegt auf der Hand. Denn schon rein faktisch ist er in der Regel der einzige, der über die Fragen, die den Gegenstand der Auskunftspflicht bilden, zuverlässige Angaben machen kann. Das gilt insbesondere für den Umfang seines Vermögens im Fall des § 807 ZPO, weshalb die Beweisaufnahme auf die Vernehmung des Schuldners beschränkt ist. Aus dieser Funktion als einziges Beweismittel resultiert die Besonderheit des Einflußbereichs, der dem Schuldner im Hinblick auf die Sachaufklärung gerade in diesem Verfahren zugewiesen ist. Ferner ist dem Schuldner das Rechtsgut der Aussagedelikte überantwortet, d. h. ihm ist für die vollständige Sachverhaltsfeststellung Mitverantwortung zugewiesen. Dies ergibt sich hier eindeutig daraus, daß der Schuldner zur Mitwirkung an der Sachaufklärung verpflichtet ist. Die Erfüllung der Mitwirkungspflicht kann sogar mit dem drakonischen Mittel der Haft (§§ 899, 901 bzw. 889, 888 Abs. 1, 901 ZPO), die bis zu 6 Monaten dauern kann (§913 ZPO), erzwungen werden. Die Schärfe dieses Zwangsmit326 Der Ausdruck „Vollstreckungsschuldner" paßt in den Fällen der §§ 459, 463b Abs. 3 StPO, 90 OWiG nicht genau, wird aber für sie wegen der Einheitlichkeit des Ausdrucks hier gleichfalls benutzt. 327 Vgl. oben Teil 2 B.IV.
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tels veranschaulicht auch in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Mitwirkungspflicht. Die besondere Verantwortung des Schuldners für die Aufklärung der fraglichen Tatsachen folgt schließlich auch aus dem Fehlen jeglicher Einschränkung der Mitwirkungspflicht. Anders als bei Zeugen hat der Gesetzgeber keinerlei Auskunftsverweigerungsrecht vorgesehen, was im Fall des § 100 KO zu dem Zwang führen kann, strafbare Handlungen zu offenbaren. 328 Daß diese Pflicht jedenfalls in den Fällen der ersten Gruppe nicht wie bei Zeugen gegenüber dem Gericht, sondern gegenüber dem Gläubiger besteht, begründet keinen Einwand. Der Sachverhalt, der hier als Überantwortung oder Übertragung einer Schutzaufgabe bezeichnet wird, ist ohnehin nicht mit verfahrensrechtlichen oder materiell-rechtlichen Pflichten identisch.329 Letztere sind nur Hinweise dafür, daß die Rechtsgemeinschaft gerade von dem eine Schlüsselstellung einnehmenden Sondersubjekt den Schutz des Rechtsguts erwartet. In diesem Sinn kann auch eine privatrechtliche Pflicht ein Hinweis dafür sein, daß der Schuldner ausschnitthaft für den Schutz eines Rechtsguts der Allgemeinheit zu sorgen hat. Zweifel an der sonderunrechtsbegründenden Mitverantwortung des Schuldners könnten sich allenfalls daraus ergeben, daß der Gesetzgeber den ursprünglichen Offenbarungseid in eine eidesstattliche Versicherung umgewandelt hat. Diese Änderung hat zweierlei bewirkt. Ihre verfahrensrechtliche und -ökonomische Bedeutung liegt darin, daß nunmehr der Rechtspfleger die betreffenden Verfahren erledigen kann. Zum anderen handelt es sich der Sache nach um eine Herabsetzung der Strafandrohung. Denn der Gesetzgeber hat offenbar die Strafwürdigkeit eines falschen Offenbarungseides geringer eingeschätzt als diejenige eines sonstigen Meineides und dieser Beurteilung durch „Herabstufung" des Offenbarungseides Rechnung getragen. Der sachliche Grund dieser geminderten Strafwürdigkeit könnte eben darin zufinden sein, daß der Gesetzgeber dem Schuldner keine gesteigerte Mitverantwortung bei der Sachaufklärung zuweisen wollte. Allerdings hätte es dann näher gelegen, die betreffenden Mitwirkungspflichten oder jedenfalls ihre Erzwingbarkeit überhaupt abzuschaffen. Die im Vergleich zum gewöhnlichen Meineid geminderte Strafwürdigkeit dürfte daher nicht auf fehlender Mitverantwortung, sondern auf Schuldgesichtspunkten beruhen. Denn gerade in den Fällen des § 807 ZPO ist die Versuchung für den Schuldner, durch unrichtige Angaben die Zwangsvollstreckung zu verhindern, besonders groß. Der typische Konflikt, in den Wahrheitsliebe und Eigennutz hier geraten, ist daher vom Gesetzgeber als schuldmindernd bei der „Herabsetzung der Strafdrohung" berücksichtigt worden. Die Umwandlung des Offenbarungseides in eine eidesstattliche Versicherung begründet daher kein Argument gegen die Annahme, dem Schuldner sei das Rechtsgut der Aussagedelikte nicht überantwortet. 328 329
Vgl. dazu BVerfGE 56,37 (48 ff.). Vgl. oben Teil 2 C.II.4.
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Teil 2: Die Aussagedelikte
e) Ergebnis Als Ergebnis dieses Streifzugs durch die verschiedenen gerichtlichen Verfahren, in denen eidesstattliche Versicherungen abgenommen werden können, ist daher festzuhalten, daß bei sämtlichen hier in Frage kommenden Rechtsstellungen die Voraussetzungen und Merkmale der Sonderunrechtsbegründung vorliegen. Die falsche eidesstattliche Versicherung dieser Personen weist daher materielles Sonderunrecht auf.
3. Eidesstattliche
Versicherungen
in Verwaltungsverfahren
In den nunmehr zu untersuchenden Verwaltungsverfahren findet die eidesstattliche Versicherung als Beweismittel grundsätzlich nur dann Verwendung, wenn dies durch besondere Rechtsvorschrift zugelassen ist, §§27 VwVfG, 23 SGB-X. Die Frage, ob Verfahrensbeteiligte, Zeugen, Sachverständige und sonstige Auskunftspersonen in einer besonderen, sonderunrechtsbegründenden Beziehung zum Rechtsgut der Aussagedelikte stehen, stellt sich daher grundsätzlich nur für die Verwaltungsverfahren, für die solche Sondervorschriften bestehen. Vorweg ist jedoch auf einige Ausnahmen von dieser Regel einzugehen.
a) Verfahren ohne ausdrückliche Abnahmeermächtigung Ohne besondere Ermächtigung soll die Abnahme eidesstattlicher Versicherungen den Behörden gestattet sein, die nicht dem Regelungsbereich des Verwaltungsverfahrensgesetzes und des Sozialgesetzbuches unterfallen, aber im Sinne der früheren Rechtsprechung zur Abnahmezuständigkeit330 zu förmlichen Beweiserhebungen befugt sind. 331 Diesen Kriterien entspricht z.B. das Patentamt (§§ 46, 59 Abs. 3 PatG). Es wurde deshalb für befugt gehalten, zumindest im Rahmen einer entsprechenden Anwendung des § 377 Abs. 3,4 ZPO a.F. eidesstattliche Versicherungen abzunehmen.332 Ob es nach Streichung dieser Vorschrift überhaupt noch gesetzliche Möglichkeiten zur Abnahme eidesstattlicher Versicherungen im Rahmen förmlicher Beweiserhebung gibt, kann hier unerörtert bleiben. Jedenfalls kann es auch hier nur um ausdrücklich vom Patentamt verlangte, eidesstattliche Versicherun330 331 332
BGHSt 2,218 (219f.). Schönke-Schröder-Lenckner, § 156 Rz. 17. RGSt 69,26f.; Schulte, § 46 Rz. 3.
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gen gehen.333 Insoweit handelt es sich bei den betreffenden Personen aber immer entweder um Beteiligte oder Zeugen bzw. Sachverständige. Daß diesen Personen das Rechtsgut der Aussagedelikte überantwortet ist, ist schon wiederholt dargelegt worden; es begründet keinen Unterschied, daß hier die abnehmende Stelle eine Verwaltungsbehörde und kein Gericht ist.
b) Glaubhaftmachung Sodann wird vertreten, daß die eidesstattliche Versicherung ihr herkömmliches Anwendungsgebiet, die Glaubhaftmachung, auch im Verwaltungsverfahren ohne ausdrückliche Ermächtigung behaupten müsse.334 In Verwaltungsverfahren ist die Glaubhaftmachung bestimmter Tatsachen z.B. in §§ 32 VwVfG, 27 SGB-X, 70 VwGO, 48,106 BauGB 335 vorgesehen. Auch in diesen Fällen darf aber der Ermächtigungsvorbehalt des § 27 VwVfG nicht dadurch überspielt werden, daß in dem Begriff der Glaubhaftmachung stets die Zulässigkeit eidesstattlicher Versicherungen mitgedacht wird. Denn § 294 ZPO setzt die Glaubhaftmachung einem Vollbeweis entgegen, bei dem der Eid Verwendung finden kann. Daß das Verfahrensrecht Glaubhaftmachung anstatt vollen Beweis genügen läßt, beruht in erster Linie auf verfahrensökonomischen Erwägungen. Das zeitraubende Verfahren des vollen Beweises soll wegen der geringeren Bedeutung der zu treffenden Entscheidung, ihrer Eilbedürftigkeit oder Vorläufigkeit erspart werden. Deshalb finden bei der Glaubhaftmachung auch Beweismittel Verwendung, die zur Führung vollen Beweises nicht geeignet wären. In diesem Sinne ist die eidesstattliche Versicherung ein Beweismittel minderer Qualität. Denn sie soll, weil es nur um Glaubhaftmachung geht, an die Stelle des Eides und der mit ihm verbundenen Förmlichkeiten treten. In diesem Sinn setzt § 294 ZPO die eidesstattliche Versicherung an die Stelle des sonst vorgesehenen Eides. Weil aber im Verwaltungsverfahren ohnehin kein Eid abgenommen werden kann, tritt die eidesstattliche Versicherung auch nicht an die Stelle des Eides. Dies bedeutet mit anderen Worten, daß der Behörde, wenn sie schon zur Erlangung der vollen Überzeugung von einer Tatsache nicht auf Eide oder eidesstattliche Versicherungen zurückgreifen darf, dies erst recht nicht im Rahmen der Glaubhaftmachung gestattet sein kann. Gegebenenfalls hat sie sich in Ermangelung anderer Beweismittel mit der schlichten Erklärung dessen, der etwas 333 334
OLG Bremen NJW 62, 2314 (2315); RGSt 73, 351; anders RGSt 69,26. Schönke-Schröder-Lenckner §156 Rz.17; LK-Willms § 156 Rz. 14; Kopp, VwVfG § 32
Rz. 38. 335 Für entsprechende Anwendung des § 294 Abs.2 ZPO bei §§ 48, 106 BauGB: Battis/ Krautzberger/Löhr § 48 Rz. 14, § 106 Rz. 5; Emst/Zinkahn/Bielenberg § 48 Rz. 12, § 106 Rz. 23.
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glaubhaft zu machen hat, abzufinden, wenn gegen die Wahrheit seiner Erklärung keine weiteren Umstände sprechen.336 Daß auch zur Glaubhaftmachung nicht ohne gesetzliche Grundlage auf die eidesstattliche Versicherung zurückgegriffen werden darf, bringt nunmehr auch § 23 Abs.l SGB-X zum Ausdruck; dort wird die Behörde allgemein ermächtigt, zur Glaubhaftmachung eidesstattliche Versicherungen zuzulassen, sodaß an deren Zulässigkeit im Falle des § 27 SGB-X kein Zweifel besteht. §§27 VwVfG, 23 SGB-X gelten daher uneingeschränkt auch für die Glaubhaftmachung. Soweit in den die Glaubhaftmachung betreffenden Vorschriften eidesstattliche Versicherungen nicht vorgesehen sind, sind die Behörden für deren Abnahme auch nicht zuständig.
c) Eidesstattliche Versicherungen vor Notaren und Konsularbeamten Um ein Verwaltungsverfahren, in dem kraft einer Sondervorschrift eidesstattliche Versicherungen abgenommen werden dürfen, handelt es sich nur scheinbar in den Fällen der §§ 10,12 KonsularG, 22 BNotO, 38 Abs. 1 BeurkG 337 sowie in den §§ 2356 Abs. 2 S. 1, 2357, 2368, 1507 BGB, soweit dort die Versicherung vor einem Notar abgegeben wird. Eindeutig ist dies in den Fällen der §§ 10 KonsularG, 38 Abs. 1 BeurkG, 22 BNotO. Denn das Gesetz regelt dort nur die Beurkundungsfunktion des Notars beziehungsweise des Konsularbeamten, also die Aufnahme der eidesstattlichen Versicherung. Die Aufnahme ist jedoch, wie es auch in § 27 VwVfG zum Ausdruck kommt, von der Abnahme streng zu trennen. Aufnahme ist die Beurkundung einer vor der aufnehmenden Person abgegebenen eidesstattlichen Versicherung, während Abnahme die Entgegennahme einer eidesstattlichen Versicherung durch eine Behörde, bei der die eidesstattliche Versicherung Beweiswirkung entfalten soll, bedeutet.338 Nur die Abnahme ist für den Tatbestand des § 156 StGB entscheidend. Nimmt man diese Unterscheidung ernst, so folgt aus ihr, daß auch in den Fällen der §§ 2356 Abs. 2 S. 1, 2357, 2368, 1507 BGB nur das Gericht, das den Erbschein bzw. das Zeugnis erteilen soll, abnehmende Behörde ist. Denn nur bei diesem Gericht soll die eidesstattliche Versicherung Beweiswirkung entfalten. Gegenüber diesem sachlichen Unterschied ist es dann bedeutungslos, daß § 12 KonsularG in diesem Zusammenhang von Abnahme spricht und § 23561 1 BGB die Versicherung wahlweise vor dem Notar oder dem Gericht zuläßt. Diese miß336 337 338
Vgl. dazu BVerfGE 37,100 (103). Schönke-Schröder-Lenckner § 156 Rz. 18a.E. Kopp, VwVfG § 27 Rz. 3,9; Knack, VwVfG § 27 Anm. 2.3,3.
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verständlichen Formulierungen des Gesetzes ändern nichts daran, daß Konsularbeamte und Notare in diesen Fällen die Versicherung nur aufnehmen. 339 Aus diesen Gründen erübrigt sich hier die Untersuchung, welche Verfahrensstellung die betreffenden Personen bei der Aufnahme der eidesstattlichen Versicherung durch einen Konsularbeamten oder einen Notar einnehmen.
d) Verfahren mit ausdrücklichen Ermächtigungen Nach der Erörterung dieser besonderen Fallgruppen kann schließlich unmittelbar auf die Sondervorschriften zugegriffen werden, in denen die Abnahme eidesstattlicher Versicherungen für bestimmte Verwaltungsverfahren vorgesehen ist. Dabei ist es nicht zweckmäßig, der Reihe nach jede einzelne dieser zahlreichen Vorschriften zu erörtern. Es wird sich vielmehr zeigen, daß die Personen, die hiernach eidesstattliche Versicherungen abgeben können, in der einen oder anderen Weise die Eigenarten jener Sondersubjekte aufweisen, die bereits bei den in gerichtlichen Verfahren abzunehmenden eidesstattlichen Versicherungen dargestellt wurden. Es genügt daher, diese Parallelen aufzuzeigen, ohne daß nochmals für jede Verfahrensposition originär untersucht werden muß, ob sie die Voraussetzungen und Merkmale der Sonderunrechtsbegründung aufweist. Dabei ist zunächst daraufhinzuweisen, daß unaufgefordert abgegebene eidesstattliche Versicherungen, also die sogenannten Spontanversicherungen, dem Verwaltungsverfahren fremd sind. Eidesstattliche Versicherungen setzen im Verwaltungsverfahren stets ein dahingehendes Verlangen der Behörde voraus. 340 Dies ergibt sich zwar nicht stets aus den einzelnen Sondervorschriften, jedoch aus den Normen, die die Verwendung eidesstattlicher Versicherungen als Beweismittel allgemein regeln, also aus den §§ 27 Abs. 1 S. 1 VwVfG, 23 Abs. 2 S. 1 SGB-X, 95 Abs. 1 S. 1 AO. In diesen Vorschriften wird auf ein Verlangen bzw. eine Aufforderung der Behörde abgestellt. Dementsprechend befinden sich Personen, denen eine solche Versicherung abverlangt wird, bereits in einer verfahrensrechtlich vorgesehenen Beweisrolle, sei es als Zeuge, Sachverständiger oder Partei beziehungsweise Beteiligter. Die Problematik der Spontanversicherung eines Dritten 341 , der mit dem Verfahren kaum in Berührung kommt, stellt sich insoweit 342 also nicht. 339
A.A. LK-Willms, § 156 Rz. 4, der den Fall des § 2356 Abs. 2 S. 1 der Rechtshilfe gleichstellt. Diese Gleichstellung ist nicht berechtigt. 340 OLG Bremen NJW 62,2314 (2315). 341 Vgl. Teil 2 E.III.2.c)cc). 342 Zur ähnlichen Problematik mangels Mitwirkungspflicht sogleich unten.
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Teil 2: Die Aussagedelikte
Nehmen daher diese Personen schon voraussetzungsgemäß eine verfahrensrechtlich geordnete Position ein, so wird ihre damit gegebene Schlüsselstellung für die Unversehrtheit des Rechtsgutes der Aussagedelikte ferner daran deutlich, daß die eidesstattliche Versicherung nur als subsidiäres Beweismittel gefordert werden darf 343 , beziehungsweise bessere, aber nicht verfügbare Beweismittel ersetzen soll. 344 Ihre Abnahme ist daher nur sinnvoll, wenn die Behörde der Versicherung auch Glauben schenken will. 3 4 5 Damit kommt jedoch der Person, die zur eidesstattlichen Versicherung zugelassen wird, für die Sachverhaltsfeststellung in dem betreffenden Verfahren ausschlaggebende Bedeutung zu. Der Nachweis eines besonderen sozialen Einflußbereiches als Voraussetzung der Sonderunrechtsbegründung kann daher schon aus den allgemeinen Vorschriften über die Verwendung eidesstattlicher Versicherungen im Verwaltungsverfahren geführt werden. Daß den betreffenden Sondersubjekten entsprechend dieser Schlüsselstellung das Rechtsgut der Aussagedelikte in dem durch das jeweilige Verfahren und seinen Gegenstand bestimmten Ausschnitt auch zu besonderem Schutz überantwortet ist, ergibt sich dagegen, wie bereits angesprochen, aus den einzelnen Sondervorschriften. Soweit hier Beteiligten, Zeugen, Sachverständigen oder im Einzelfall besonders benannten Auskunftspersonen eidesstattliche Versicherungen abgenommen werden können, ist an der Überantwortung nicht zu zweifeln, wenn eine Pflicht zur Mitwirkung an der Sachaufklärung besteht.346 So liegt es zunächst in den Fällen der §§ 284 Abs. 2 AO, 5 StVG. Für diese „Offenbarungsversicherungen" gelten uneingeschränkt die Erwägungen, die zu den Auskunftspflichten, insbesondere zu § 807 ZPO, angestellt wurden. 347 Mitwirkungspflichten bestehen jedoch auch für den Wähler bzw. die Person seines Vertrauens gemäß § 36 Abs. 2 BWahlG, für den Versammlungsleiter und zwei von der Versammlung bestimmte Personen gemäß § 21 Abs. 6 BWahlG sowie für den Schiffsführer im Falle des § 1754 Abs. 1 RVO. Eine Rechtspflicht von Zeugen, Sachverständigen und Beteiligten zur Mitwirkung an der Sachaufklärung ist jedoch im Verwaltungsverfahren eine Ausnahme; ihre Begründung bedarf besonderer Rechtsvorschriften. 348 Für die Beteiligten, die in einem Verwaltungsverfahren einen begünstigenden Verwaltungsakt, eine Sozialleistung oder sonst eine für sie günstige Entscheidung erreichen wollen, konnte das Gesetz jedoch aus den gleichen Gründen, die für 343
§ 27 Abs. 1 S. 2 VwVfG, § 23 Abs. 2 S. 2 SGB-X. § 15 VwVf-KO, § 81a S.l G-131, 24a S. 1 BWÖDG. 345 Es liegt hier ähnlich wie beim Parteieid gemäß § 452 ZPO; vgl. oben Teil 2 D.II.3.b)aa). 346 Vgl. zur Bedeutung der Mitwirkungspflicht im Hinblick auf die Überantwortung Teil 2 C.II.4.b). 347 Vgl. Teil 2 E.III.2.d). 348 §§ 26 Abs. 2, 3 VwVfG, 21 Abs. 2, 3 SGB-X. 344
E. Falsche Versicherung an Eides Statt
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die Partei im Zivilprozeß gelten 349 , von förmlichen Mitwirkungspflichten absehen. Denn der Beitrag dieser Beteiligten zur Feststellung des Sachverhalts kann in diesen Fällen schon deshalb erwartet werden, weil der Beteiligte bei mangelnder Aufklärung der Sache einen Rechtsnachteil, insbesondere die Ablehung der erstrebten Leistung zu befürchten hat. Die so begründete Mitwirkungslast belegt, da sie hinsichtlich ihrer Effizienz erzwingbaren Mitwirkungspflichten gleichsteht, die Mitverantwortung der Beteiligten für die zutreffende Sachverhaltsfeststellung. Um eine derartige Erscheinung handelt es sich bei der Vorschrift des § 95 Abs. 1 S. 1 AO, wo der Verzicht auf die Erzwingbarkeit der eidesstattlichen Versicherung (395 Abs. 6 AO) darauf beruht, daß nur dem Beteiligten günstige Behauptungen eines Beweises durch eidesstattliche Versicherung des Beteiligten bedürfen, 350 ferner bei § 15 VwVF-KO, wo der in der Versagung der beantragten Leistung bestehende Nachteil sogar schriftlich angedroht werden muß (§18 VwVf-KO). Eine derartige Mitwirkungslast besteht jedoch auch in den übrigen Fällen, in denen eidesstattliche Versicherungen des Beteiligten als Beweismittel zugelassen sind. Denn immer geht es hier um eine vom Beteiligten erstrebte Leistung beziehungsweise einen begünstigenden Verwaltungsakt. Es handelt sich dabei um §§ 40 Abs. 3 BRüG, 72 Abs. 6 und 81a G-131, 24a BWöDG, 4 Abs. 3 FRG, 10 Abs. 2 VuVO und 3 Abs. 2 WGSVG, 5 Abs. 3 S. 3 PStG, 2 VerfVO-BEG. Eine Besonderheit stellt schließlich die in § 3 Abs. 3 S.l AUG vorgesehene eidesstattliche Versicherung dar. Denn mit ihr sollen die im Antrag genannten Tatsachen weder bewiesen noch überwiegend wahrscheinlich gemacht werden. Die eidesstattliche Versicherung erscheint hier vielmehr in ihrer ursprünglichen Form als Kalumnieneid351, mit dem der Antragsteller die Verantwortung für das von ihm veranlasste Verfahren übernimmt, insbesondere seine Redlichkeit im Hinblick auf seine tatsächlichen Behauptungen betont. Es bleibt daher nur noch zu fragen, ob auch den Zeugen, die weder zur Aussage noch zur Bekräftigung dieser Aussage durch eidesstattliche Versicherung verpflichtet sind, jedoch freiwillig dem Verlangen der Behörde nach einer eidesstattlichen Versicherung folgen können, das Rechtsgut der Aussagedelikte überantwortet ist. Da die betreffenden Gesetze keine die Mitwirkungspflicht begründenden Rechtsvorschriften im Sinne der §§ 26 Abs. 3 S.l VwVfG, 21 Abs. 3 SGB-X enthalten, liegt dieser Fall vor bei den §§ 4 Abs.3 FRG, 40 Abs. 3 BRüG, 10 Abs. 2 VuVO, 81a G-131, 24a BWöDG, 5 Abs. 3 PStG, 3 Abs. 2 WGSVG, 1754Abs. 2RVO, 13 Abs.l VwVf-KO. Diese Zeugen übernehmen dadurch, daß sie eine von der Rechtsordnung vorgesehene Beweisfunktion ausüben, freiwillig eine Schutzaufgabe für das 349 350 351
10*
Vgl. Teil 2 D.II.3.b)bb); ferner § 66 SGB-AT. Klein/Orlopp § 95 Anm. 2. Vgl. Teil 2 E.III.2.c)bb).
Teil 2: Die Aussagedelikte
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Rechtsgut der Aussagedelikte. Diese tatsächliche Übernahme einer Schutzfunktion begründet die Mitverantwortung dieses Personenkreises für die zutreffende Sachverhaltsfeststellung, so daß auch bei diesen Zeugen die Merkmale der Sonderunrechtsbegründung vorliegen. 352
e) Ergebnis Die angesichts der Vielzahl der Anwendungsfälle unvermeidbar umfangreiche und unvollständige Sichtung der Verfahren, in denen eidesstattliche Versicherungen vorgesehen sind, ist damit abgeschlossen. Auch für die verschiedenen Verwaltungsverfahren gilt, was zuvor schon für die gerichtlichen Verfahren dargelegt wurde. Personen, die eine Verfahrensposition einnehmen, für die die Abnahme einer eidesstattlichen Versicherung vorgesehen ist, nehmen für das Rechtsgut der Aussagedelikte eine Schlüsselstellung ein; dieses Rechtsgut ist ihnen deshalb ausschnitthaft zu besonderem Schutz überantwortet. Das Tatbestandsmerkmal „Abnahmezuständigkeit" in § 156, das Personen in bestimmten verfahrensrechtlichen Positionen voraussetzt, beschreibt daher in all diesen Fällen materielles Sonderunrecht.
IV. Sondernorm, Sonderstrafdrohung, Ergebnis Wie schon beim Meineid bedarf der Nachweis dieser Merkmale der Sonderstraftat auch bei der falschen Versicherung an Eides Statt keiner umfänglichen Ausführungen. Der in § 156 geschilderte Rechtsgutsangriff ist nur für die in dem Merkmal der Abnahmezuständigkeit vorausgesetzten Sondersubjekte strafbar. Diese Sonderstrafdrohung weist auf das formelle Sonderunrecht hin. Denn wenn nur der Normverstoß dieses besonderen Personenkreises mit Strafe bedroht ist, muß die Norm, die den Angriff auf das Rechtsgut förmlich verbietet, gerade gegenüber diesen Personen in ihrer Dringlichkeit gesteigert sein. Das Delikt der falschen eidesstattlichen Versicherung weist daher sämtliche Merkmale einer Sonderstraftat auf.
V. Gesetzliche Vertreter von Zwangsvollstreckungsschuldnern Die Erkenntnis, daß § 156 eine Sonderstraftat darstellt, ermöglicht schließlich noch die Erörterung eines Problems, das in anderem Zusammenhang bereits an352
Vgl. Teil 2 E.III.2.c)cc).
E. Falsche Versicherung an Eides Statt
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gesprochen wurde. 353 Es stellt sich nämlich die Frage, ob die Strafbarkeit eines gesetzlichen Vertreters, der für den prozeßunfähigen Vertretenen eine eidesstattliche Versicherung abgibt, mit Hilfe des § 14 begründet werden muß. Diese Frage ist praktisch recht bedeutsam, weil ein bedeutender Teil derjenigen Vollstreckungsschuldner, die eine eidesstattliche Versicherung nach § 807 ZPO abgeben müssen, juristische Personen privaten Rechts sind. Das besondere persönliche Merkmal, das die Deliktssubjekte des § 156 kennzeichnet, besteht darin, daß diese Personen eine Verfahrensposition bekleiden, für welche die Abnahme einer eidesstattlichen Versicherung vorgesehen ist, denen gegenüber also die in § 156 vorausgesetzte Abnahmezuständigkeit begründet ist. Faßt man die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung als Prozeßhandlung 3 5 4 auf, wird man zu der Ansicht neigen, daß die Abnahmezuständigkeit auch bei Prozeßunfähigkeit nur gegenüber dem Schuldner besteht, der bei der Abgabe dieser Erklärung vertreten wird. Betont man dagegen die Beweisfunktion der eidesstattlichen Versicherung, also den Umstand, daß das persönliche Wissen des Schuldners über seine Vermögensverhältnisse zum Vorteil des Gläubigers nutzbar gemacht werden soll 3 5 5 , drängt sich eine Parallele zur Partei Vernehmung auf. In einer derartigen Beweisfunktion wäre der Schuldner - anders als bei einer Prozeßhandlung - nicht vertretbar. Entsprechend § 455 Abs. 1 ZPO würde der gesetzliche Vertreter dann den Schuldner nicht vertreten, sondern dessen, von seiner Verfahrensposition als Prozeßsubjekt abgespaltene, verselbständigte Beweisfunktion eigenverantwortlich wahrnehmen, so daß die Abnahmezuständigkeit unmittelbar gegenüber dem gesetzlichen Vertreter bestünde.356 Für beide Standpunkte gibt es Argumente. Für die Einordnung als Prozeßhandlung spricht, daß es für die örtliche Zuständigkeit des abnehmenden Gerichts nur auf den Wohnsitz des Schuldners, nicht aber auf den des gesetzlichen Vertreters ankommt (§ 899 ZPO). 357 Auch wird nicht der gesetzliche Vertreter, sondern der Vertretene ins Schuldnerverzeichnis aufgenommen. 358 Die Person, die die eidesstattliche Versicherung abgeben muß, ist im Sinne des § 915 Abs. 1 ZPO also der Schuldner, was bei prozeßunfähigen Schuldnern nur im Fall echter Vertretung angenommen werden kann. Schließlich gibt der gesetzliche Vertreter die eidesstattliche Versicherung im Namen des Schuldners ab. 359 353 354 355 356 357 358 359
Vgl. Teil 2 D.V.5. Limberger DGVZ 84, S. 129. Vgl. Teil 2 B.IV. Vgl. Teil 2 D.V.5. Thomas-Putzo § 899 Anm. lc); OLG Stuttgart RPfl 77,220. Zöller § 915 Rz. 5; RGZ 140,152 f.; LG Bonn MDR 64,418. Thomas-Putzo § 807 Anm. 4a).
150
Teil 2: Die Aussagedelikte
Für eine von der Stellung des Schuldners als Verfahrenssubjekt abgespaltene, verselbständigte Beweisfunktion läßt sich - zunächst negativ - anführen, daß eine Vertretung bei der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nur im Falle der Prozeßunfähigkeit möglich ist, während die generelle Zulässigkeit von Vertretung als typisches Merkmal einer Prozeßhandlung (§81 ZPO) hier gerade nicht vorliegt. Positiv wird dieser Standpunkt durch die Höchstpersönlichkeit der eidesstattlichen Versicherung gestützt. Wenn der Gesetzgeber in § 807 Abs. 2 S.2 ZPO die Vorschrift des § 478 ZPO für anwendbar erklärte, so kann dies nur bedeuten, daß Vertretung im strengen Sinne des Wortes hier ausgeschlossen sein sollte. Für die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen bedeutet dies, daß sie bei der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung den Schuldner nicht vertreten, sondern - wie es auch bei § 455 Abs.l ZPO der Fall i s t 3 6 0 - an seiner Stelle handeln. Diese Ähnlichkeit der eidesstattlichen Versicherung des Vollstreckungsschuldners mit der Parteivernehmung führt zur analogen Anwendung von Vorschriften aus diesem Bereich. So werden bei mehreren gesetzlichen Vertretern die §§ 455 Abs. 1 S. 2,449 ZPO, bei minderjährigen Schuldnern § 455 Abs. 2 ZPO für anwendbar gehalten.361 Schließlich ist auch hinsichtlich der Beugehaft klar, daß der gesetzliche Vertreter hier nicht den Schuldner vertritt - obwohl das Gesetz in diesem Zusammenhang nur von dem Schuldner spricht (§§901,902,909 ZPO) - , sondern für seine Weigerung höchstpersönlich einzustehen hat. Angesichts der hier für beide Standpunkte vorgetragenen Argumente entsteht der Eindruck, der Gesetzgeber habe bei der Regelung der eidesstattlichen Versicherung nur die prozeßfähige, natürliche Person gesehen. Denn bei ihr können die Subjektstellung im Vollstreckungsverfahren und die Beweisfunktion nicht auseinanderfallen. Es fällt daher schwer, die eine oder andere Position vorzuziehen. Den Ausschlag dürfte letztlich geben, daß die eidesstattliche Versicherung höchstpersönlich abgegeben werden muß, der Gesetzgeber sie also in die Nähe des Eides gerückt und damit die Beweisfunktion in den Vordergrund gestellt hat. Daher ist es gerechtfertigt, dem gesetzlichen Vertreter eine von der Schuldnerposition abgespaltene, selbständige Verfahrensposition zuzuschreiben, der - wie in § 455 Abs.l ZPO der Eid - hier die eidesstattliche Versicherung zugeordnet ist. Sieht man die Dinge so, findet eine Vertretung hier nicht statt; vielmehr besteht die Abnahmezuständigkeit unmittelbar gegenüber dem gesetzlichen Vertreter. Da dieser also das besondere persönliche Merkmal selbst aufweist, ist für die Anwendung des § 14 kein Raum.
360 361
Vgl. Teil 2 D.V.5. Stein-Jonas § 807 Rz. 44; Limberger DGVZ 84, S. 132.
Teil 3: Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort Vorbemerkung Die in § 142 Abs.l und 2 geschilderten, nach der gesetzlichen Überschrift als „unerlaubtes Entfernen vom Unfallort" benannten Straftaten sollen verbreitetem Sprachgebrauch gemäß und der Einfachheit halber im folgenden als Unfallflucht bezeichnet werden. Diese Straftaten spielen in der Praxis der Strafgerichte zahlenmäßig eine bedeutende Rolle.1 Auch die Fälle strafbarer Teilnahme dürften, wiewohl sie statistisch nicht besonders ausgewiesen sind, nicht selten sein. Daher stellt sich umso dringender die Frage, ob Teilnehmer, die nicht selbst am Unfall beteiligt sind, von der Strafmilderung des § 28 Abs.l profitieren können, mit anderen Worten, ob die Unfallflucht die Merkmale einer Sonderstraftat aufweist. Die Analyse der Unfallflucht im Hinblick auf die hier vertretene Begriffsbestimmung des Sonderdelikts erfordert zunächst Klarheit über das durch § 142 geschützte Rechtsgut. Vorab sind auch die in Schrifttum und Rechtsprechung vorzufindenden Stellungnahmen zur Sonderdeliktseigenschaft der Unfallflucht zu erörtern, wobei auch die Bedeutung der Streitfrage über den Charakter der Unfallflucht als eines Unterlassungsdelikts für das hier zu untersuchende Problem geklärt werden muß. Dagegen kann unerörtert bleiben, ob die Unfallflucht ein eigenhändiges Delikt darstellt2, denn dieses Problem hat keinen Einfluß auf die Eigenart einer Straftat, ein Sonderdelikt zu sein.3
A. Der Meinungsstand I. Das Rechtsgut des § 142 § 142 stellt in der Fassung, die er durch das 13. Strafrechtsänderungsgesetz 4 erhalten hat, klar, daß bestimmte Feststellungen „zugunsten der anderen Unfall1
Statistische Angaben m.w.Nw. bei AK-Schild, § 142 Rz. 11 f. In Schrifttum und Rechtsprechung wird dies überwiegend verneint; vgl. KG VRS 10,453 (455); Cramer, Straßenverkehrsrecht, § 142 Rz. 96; Full/Möhl/Rüth, § 142 Rz. 68; aA. Arloth, GA 85, S. 504. 3 Langer, FS-Wolf, S. 347. 4 BGBl. 1 1975, S. 1349. 2
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Teil 3: Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort
beteiligten und der Geschädigten" ermöglicht werden müssen. Diese Formulierung hat den Streit um das Rechtsgut der Unfallflucht beendet. Aufgrund der früheren Fassungen der Vorschrift wurde auch die Auffassung vertreten, daß das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung und an der Ausschaltung ungeeigneter Verkehrsteilnehmer durch Verwaltungsmaßnahmen als Schutzgut anzusehen sei, während der Schutz der aus dem Unfall herrührenden Schadensersatzansprüche eher als Nebeneffekt empfunden wurde.5 Die Neufassung bietet für diese Deutung jedoch keinen Raum mehr. Aus ihr ergibt sich zweifelsfrei, daß die Feststellungen, die der Unfallbeteiligte ermöglichen muß, die Klärung und damit die Durchsetzung berechtigter und die Abwehr unberechtigter Schadensersatzansprüche der Beteiligten erleichtern sollen. Das Rechtsgut, das hinter diesem Schutzzweck steht, wird im Schrifttum mit unterschiedlichen Bezeichnungen versehen, doch besteht in der Sache Einigkeit, daß es sich um das Vermögen handelt.6 Ein anderes Rechtsgut kann jedenfalls nicht gemeint sein, wenn von dem wirtschaftlichen Interesse7 bzw. dem Interesse an umfassender Aufklärung zur Durchsetzung und Abwehr zivilrechtlicher Ansprüche8 gesprochen wird. Unzutreffend wäre es dagegen, als Rechtsgut die Schadensersatzansprüche der anderen Beteiligten und Geschädigten anzusehen. Bei der Unfallflucht handelt es sich nicht um einen Tatbestand des Vereiteins von Gläubigerrechten. Im Gegensatz etwa zu § 288 ist in § 142 die wirkliche Existenz solcher Rechte nicht vorausgesetzt.9 Denn auch der Fahrer, für den der Unfall ein unabwendbares Ereignis war und den deshalb keine Haftung trifft, oder derjenige, der eben nur möglicherweise (§ 142 Abs. 4), aber nicht tatsächlich den Unfall verursacht hat, begeht Unfallflucht, wenn er die Feststellungen nicht ermöglicht. Das könnte dazu verleiten, die potentiellen Schadensersatzansprüche10 als Rechtsgut aufzufassen. Jedoch begegnet dies gleichfalls Bedenken. Denn es ist zweifelhaft, ob ein möglicher Anspruch für sich genommen bereits einen wertvollen Sachverhalt darstellt, wie es für ein Rechtsgut erforderlich ist. Ferner umfaßt diese Beschränkung den gewichtigen Aspekt der Abwehr unberechtigter Ansprüche nicht. Dagegen treten solche Schwierigkeiten nicht auf, wenn man annimmt, das Vermögen als Ganzes sei Rechtsgut der Unfallflucht. Das Vermögen ist infolge eines Unfalls gefährdet. Häufig ist es nicht evident, ob und in welchem Umfang ein Beteiligter für die erlittenen Schäden Ersatz beanspruchen kann und mit wel5
Vgl. die Nachweise bei Dünnebier GA 57, S. 33,38 f. LK-Rüth § 142 Rz. 3; Schönke-Schröder-Cramer § 142 Rz. 1 jeweils m.w.Nw.; BGHSt 29,138 (142). 7 Welzel, S. 464. 8 Lackner, § 142 Rz. 1. 9 AK-Schild, § 142 Rz. 38. 10 LK-Roxin, § 28 Rz. 39. 6
Α. Der Meinungsstand
153
chen Gegenforderungen er zu rechnen hat. Der von seinem Vermögen ausgehende Achtungsanspruch verbietet es, die Beseitigung dieser Ungewißheit durch das Vereiteln vorläufiger Feststellungen zu hintertreiben. Zusammenfassend kann daher gesagt werden, daß der Tatbestand der Unfallflucht das Vermögen in einem personell und gegenständlich beschränkten Teilbereich, nämlich vor den Gefahren schützt, die dem Vermögen der Unfallbeteiligten und Geschädigten durch die Ungewißheit über den Bestand und Umfang wechselseitiger Forderungen drohen.
II. Unfallflucht als Sonderdelikt Anders als bei der Bestimmung des Rechtsguts bieten Rechtsprechung und Schrifttum in der Frage des Sonderdeliktscharakters der Unfallflucht ein vielfältiges Bild unterschiedlicher Standpunkte.
1. Die Rechtsprechung Die Rechtsprechung der Obergerichte hat sich zu dieser Frage, soweit ersichtlich, noch nicht ausdrücklich geäußert. Insbesondere sind die Entscheidungen, die sich mit der Möglichkeit der Mittäterschaft bzw. mittelbarer Täterschaft bei Unfallflucht befassen, insoweit wenig ergiebig. Daß etwa mit dem Satz, die Frage der Mittäterschaft beurteile sich nach den gewöhnlichen Grundsätzen11, der Sonderdeliktscharakter der Unfallflucht verneint werden sollte, ist nicht anzunehmen. Denn das Kammergericht befaßte sich in jenem Fall nur mit dem Problem, ob Unfallflucht ein eigenhändiges Delikt sei; überdies waren beide Angeklagte nach den Kriterien der Rechtsprechung Unfallbeteiligte, der eine als Fahrer, der andere als bei dem Unfall anwesender Halter, der sein Fahrzeug dem betrunkenen Fahrer überlassen hatte. Von daher stellte sich die Frage möglicher Täterschaft trotz mangelnder Unfallbeteiligung nicht. Für ein Sonderdelikt scheint es zwar zu sprechen, wenn der BGH (Mit)-Täterschaft nur bei selbst am Unfall beteiligten Personen annehmen will. 1 2 Die mittäterschaftliche und die mittelbar täterschaftliche Begehbarkeit einer Straftat kann aber nicht nur wegen ihres Sonderdeliktscharakters, sondern auch aus etlichen anderen Gründen eingeschränkt sein. Bei der Unterschlagung ist sogar jegliche Form täterschaftli11 12
KGVRS 10,455. BGHSt 15,1 (4).
154
Teil 3: Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort
eher Begehung auf die Gewahrsamsinhaber13 begrenzt, ohne daß es sich um eine Sonderstraftat handelt.14 Aus denselben Gründen kann auch bei der Entscheidung des OLG Stuttgart15 nicht auf die Annahme eines Sonderdelikts geschlossen werden, obwohl dieser Entscheidung offenbar die - zutreffende - Annahme zugrunde liegt, Täter des § 142 könne nur ein Unfallbeteiligter sein. In der Sache scheinen die Gerichte jedenfalls dazu zu neigen, die Unfallflucht nicht als Sonderdelikt zu behandeln. Dies ergibt sich daraus, daß die Anwendung des § 28 Abs.l auf extrane Teilnehmer in Entscheidungen, die seit dem Bestehen dieser Vorschrift veröffentlicht wurden, nicht erwähnt wird. 16 Ferner hat die Rechtsprechung, als der Versuch der Unfallflucht noch strafbar war, ein Versuchsdelikt auch dann bejaht, wenn sich gar kein Unfall ereignet, der Täter jedoch eine entsprechende Vorstellung hatte.17 In diesen Fällen konnte der Täter objektiv kein Unfallbeteiligter sein. Es hätte daher der Erörterung bedurft, ob die Unfallflucht nicht eine Sonderstraftat und deshalb ein solcher Versuch eines untauglichen Subjekts straflos sei. Zu diesem Problem schweigen die angesprochenen Entscheidungen jedoch. Auch aus diesen Entscheidungen sollte man jedoch keine weitgehenden dogmatischen Schlüsse ziehen. Denn das Übergehen der Sonderdeliktsfragen kann hier ebensogut auf mangelndem Problembewußtsein wie auf bewußter Entscheidung beruhen. Im Ergebnis erscheint der Standpunkt der Rechtsprechung zum Sonderdeliktscharakter der Unfallflucht daher unbestimmt.
2. Die Identifizierung des Sonderdelikts mit der Subjektskreiseinschränkung Dagegen sprechen sich im Schrifttum die meisten Autoren für die Annahme eines Sonderdelikts aus. Es begegnet hier jedoch das Phänomen, daß trotz dieses Standpunkts die Anwendung des § 28 Abs.l mit weiteren Argumenten teilweise bejaht, überwiegend aber abgelehnt wird. Daß es sich bei der Unfallflucht um ein Sonderdelikt handelt, wird dementsprechend nur damit begründet, daß diese Straftat täterschaftlich nur von einem begrenzten Kreis bestimmter Deliktssub13
BGHSt 2,317 (318 f.). Vgl. zum Phänomen des subjektiv-eingeschränkten Gemeinverbrechens Langer, FSWolf, S. 346 m.w.Nw. 15 OLG Stuttgart MDR 59,S. 508. 16 OLG Stuttgart NJW 81,S. 2369; OLG Zweibrücken NJW 82,S. 2566; BayObLG DAR/R 84, S. 240; OLG Hamm VRS 35,269. 17 BayObLG VRS 4,362f.; BGH MDR/D 57,S. 266. 14
Α. Der Meinungsstand
155
jekte, also den Unfallbeteiligten oder den Kraftfahrern 18, begangen werden kann.19 Diese Beschränkung des möglichen Täterkreises besteht zwar. Dabei handelt es sich jedoch nur um ein notwendiges Merkmal einer Sonderstraftat, deren Vorliegen damit noch nicht himeichend dargetan ist. Der Gleichsetzung von beschränktem Täterkreis und Sonderdelikt liegt vielmehr nur ein Vorbegriff des Sonderdelikts zugrunde, der durch weitere, nicht nur formale, sondern in9Π haltliche Kriterien ergänzt werden muß. Dies erkennen auch einige Autoren, die das Sonderdelikt mit dem Vorliegen einer Subjektskreiseinschränkung identifizieren, wie zum Beispiel Lange, der die Unfallflucht ein „relatives Sonderdelikt"21 nennt, oder Cramer, der davon spricht, „insoweit"22 liege ein Sonderdelikt vor, schließlich Dahm, der ausführt, § 142 betreffe „eine Straftat mit beschränktem Täterkreis, ein Sonderdelikt, wenn auch kein solches mit ausgesprochen personalem Unrechtsgehalt".23 Erst die Berücksichtigung solcher inhaltlicher Kriterien, also des Sonderunrechts, verleiht dem Sonderdeliktsbegriff systematische Bedeutung im Hinblick auf die Extranenteilnahme und ermöglicht die Unterscheidung der Sonderdelikte von den nur subjektiv-eingeschränkten Gemeinverbrechen. Es kann daher festgehalten werden, daß der Schluß von dem begrenzten Kreis tauglicher Deliktssubjekte auf ein Sonderdelikt zu kurz greift. Im folgenden ist deshalb auf die Sachargumente einzugehen, die für oder gegen den Sonderdeliktscharakter der Unfallflucht, insbesondere im Zusammenhang mit der Anwendung des § 28 Abs. 1, vorgebracht werden. 3. Rechtsgutsbezogenheit bzw. Positionsnähe zum Rechts gut Gegen die Anwendung des § 28 Abs. 1 auf extrane Teilnehmer und damit gegen ein nur vom Unfallbeteiligten zu verwirklichendes Sonderunrecht wird vorgebracht, es handle sich um eine tatbezogene Sondereigenschaft bzw. die Unfallbeteiligung charakterisiere nur die Positionsnähe zum Rechtsgut, stelle aber keine Sonderpflichtenposition dar. 24 Die ausschließliche Rechtsgutsbezogenheit 18
§ 22 KFG. Lackner, § 142 Rz. 39; Schönke-Schröder-Cramer § 142 Rz. 61; Cramer, Straßenverkehrsrecht, § 142 Rz. 95,96; Arloth GA 85, S. 503; AK-Schild § 142 Rz. 85; MaurachSchroeder-Maiwald BT 1, S. 543; Otto, BT S. 377; Dahm MDR 59, S. 509; Lange JZ 59, S. 562; Rietzsch DJ 1940, S. 537; Full/Möhl/Rüth § 142 Rz. 68; LK-Rüth § 142 Rz. 78; Krey BT2 Rz. 620; Dreher/Tröndle § 142 Rz. 13; SK-Rudolphi § 142 Rz. 4. 20 Vgl. Teil 1 B.I.6. 21 Lange JZ 59, S. 562. 22 Schönke-Schröder-Cramer § 142 Rz. 61. 23 Dahm MDR 59, S. 509. 24 Schönke-Schröder-Cramer § 142 Rz. 76; Lackner, § 142 Rz. 39; Otto BT S. 377. 19
156
Teil 3: Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort
der Wartepflicht ergebe sich daraus, daß gerade von den Unfallbeteiligten als den potentiellen Schuldnern der Geschädigten eine Vereitelung der Anspruchsverwirklichung durch Flucht zu befürchten sei. Dies allein sei der Grund der Beschränkung des Täterkreises. Dagegen umfasse das aus einem Verkehrsunfall resultierende Pflichtverhältnis keinen von der Wiedergutmachung des Schadens verschiedenen sozial-ethischen Wert. 25 Diese Argumente vermögen jedoch nicht zu überzeugen. Ihnen liegt die verfehlte Auffassung zugrunde, daß die Sonderdelikte materiell durch einen besonderen, vom Rechtsgut unabhängigen sozial-ethischen Wert gekennzeichnet sind, den der Täter verletzt. Ein in diesem Sinn selbständiger Wert ist jedoch für die Sonderdelikte nicht zu verlangen.26 Ihr besonderes Unrecht besteht vielmehr darin, daß der Unwert der durch die Sondersubjekte verübten Rechtsgutsverletzung spezifisch erhöht ist. Während es demnach auf die Verletzung selbständiger sozial-ethischer Werte nicht ankommt, ist es andererseits geradezu eine Voraussetzung einer derartigen Unwertsteigerung, daß die Sondersubjekte eine besondere „Positionsnähe" zum Rechtsgut einnehmen, also die Unversehrtheit eines bestimmten Rechtsgutsausschnitts in besonderer Weise beeinflussen können. Die hier gegen die Anwendung des § 28 Abs. 1 vorgebrachten Argumente sprechen daher eher für die Annahme einer Sonderstraftat.
4. Unfallbeteiligung
als Beschreibung einer objektiven Situation
Andere Autoren rechtfertigen die Nichtanwendung des § 28 Abs. 1 mit der Erwägung, daß die Unfallbeteiligung nur eine subjektive Umschreibung einer objektiven Situation darstelle.27 Was damit im Hinblick auf die Beurteilung der Unfallbeteiligung als besonderes persönliches Merkmal ausgesagt werden soll, ist jedoch unklar, zumal gerade auch diese Autoren dem Tatbestandsmerkmal des „Unfallbeteiligten" eine den Kreis der Deliktssubjekte begrenzende Wirkung zuerkennen.28 Dann kann sich die Bedeutung dieses Merkmals aber in der Beschreibung einer objektiven Situation nicht erschöpfen. Die für die Unfallflucht vorausgesetzte Tatsituation besteht darin, daß sich ein Unfall im Straßenverkehr ereignet hat und deshalb gewisse Feststellungen getroffen werden sollen. In dieser Situation macht sich strafbar, wer die Feststellungen dadurch vereitelt, daß er sich vom Unfallort entfernt. Was jedoch weder mit der Tatsituation noch mit der Tathandlung gegeben ist, ist die Beschränkung des Täterkreises. 25 26 27 28
Heidland, S. 89 ff. Vgl. Teil 1 B.II.2.C) bb). Maurach-Schroeder-Maiwald BT1, S. 543; AK-Schild § 142 Rz. 188. AK-Schild § 142 Rz. 85; Maurach-Schroeder-Maiwald BT1, S. 543.
Α. Der Meinungsstand
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Nicht auch der zufällige Zeuge, sondern nur der Unfallbeteiligte ist verpflichtet, die Feststellungen zu ermöglichen. Es kann daher keine Rede davon sein, daß die Unfallbeteiligung nur eine objektive Situation beschreibe. Allerdings, und darauf beruht gerade die Unklarheit des hier erörterten Arguments, kann man natürlich die Lage eines Menschen, dessen Verhalten zur Verursachung des Unfalls beigetragen haben kann, der also Unfallbeteiligter ist, als eine objektive Situation bezeichnen. Das rechtfertigt jedoch nicht den Schluß, daß es sich dann nicht um ein persönliches Merkmal handle. Diese Eigenart weisen zahlreiche persönliche Merkmale auf, die auf Beziehungen der Personen zu ihrer Umwelt und nicht nur auf psychische oder körperliche Gegebenheiten abstellen. Mit der Behauptung, die Unfallbeteiligung bedeute letztlich nur eine objektive Situation, kann daher die Anwendung des § 28 Abs. 1 nicht abgelehnt werden.
5. Unfallbeteiligung
als wertneutrales Merkmal
Besondere persönliche Merkmale im Sinne des § 28 sind nach einer weiteren im Schrifttum vertretenen Ansicht nur die persönlichen Merkmale, die wertbezogen sind, nicht dagegen die wertneutralen. Wertneutral soll auch die Beschränkung des Täterkreises des § 142 auf Unfallbeteiligte sein, weil die bloße Möglichkeit, Mitverursacher des Unfalls zu sein, im Hinblick auf den Schutz des Rechtsguts keine erhöhte Verantwortlichkeit und keine besondere Strafwürdigkeit erzeuge. Die Funktion dieses Merkmals bestehe lediglich darin, untypische Rechtsgutsverletzungen, die dem vorjuristischen Tatbild nicht entsprächen, 29
auszugrenzen. Auch dieser Standpunkt ist jedoch verschiedenen Bedenken ausgesetzt. Grundsätzlich ist der Differenzierung nach wertneutralen und wertbezogenen Merkmalen zwar zuzugeben, daß sich die Unterscheidung von Sonderdelikten und nur subjektiv-eingeschränkten Gemeindelikten oder, was dasselbe ist, der Anwendungsbereich des § 28 nicht nur an dem formalen Kriterium einer Subjektskreiseinschränkung, sondern an materiellen Erwägungen orientieren muß. Es genügt jedoch nicht, auf irgendeinen nicht näher definierten Wertbezug, auf einen besonderen Unwert oder erhöhte Strafwürdigkeit 30 abzustellen. Es hätte vielmehr auch der Klärung bedurft, welcher besondere Unwert hier zu verlangen ist. Das leistet das Kriterium der Wertbezogenheit aber nicht. Dementsprechend steht die Behauptung, die Unfallbeteiligung sei wertneutral, auf ungesichertem Boden. Denn es ist keineswegs evident, daß den möglichen Mitverursacher eines Unfalls nicht doch für die unfallrelevanten Feststellungen eine erhöhte Ver29 30
Herzberg ZStW 1976, S. 83 ff.; Steinke MDR 77, S. 367. Herzberg ZStW 1976, S. 84.
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Teil 3: Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort
antwortlichkeit trifft, wie auch Gründe besonderer Strafwürdigkeit bei einem Unfallbeteiligten nicht zuverlässig ausgeschlossen werden können, wenn die überhaupt in Betracht kommenden Faktoren nicht beim Namen genannt werden. Ferner ist es auch zweifelhaft, ob es überhaupt wertneutrale Tatbestandsmerkmale gibt. 31 Wenn man nämlich den Tatbestand als die gesetzliche Schilderung materieller Unrechts-, Schuld- und Strafwürdigkeitsgehalte begreift, sind wertneutrale Tatbestandsmerkmale, also solche, die keine derartigen Unwertgehalte betreffen, nicht denkbar. Das Kriterium der Wertbezogenheit deutet daher zwar in die richtige Richtung einer materiellen Unterscheidung, bei der es jedoch nicht auf die Abgrenzung wertneutraler von wertbezogenen Merkmalen, sondern, um in dieser Terminologie zu bleiben, auf Differenzierungen zwischen auf verschiedene Werte bezogenen Merkmalen ankommt. Mit der Hilfe dieses Kriteriums kann jedenfalls mangels konkreter Angabe der entscheidenden Wertungsgesichtspunkte eine fundierte Aussage über die Anwendung des § 28 Abs. 1 auf extrane Teilnehmer einer Unfallflucht nicht getroffen werden. Im Schrifttum sind daher keine überzeugenden Argumente gegen eine Anwendung des § 28 Abs. 1 und damit gegen die Sonderdeliktsnatur der Unfallflucht vorzufinden. Es bleibt zu prüfen, ob die Gegenansicht bessere Gründe vorweisen kann.
6. Besondere Pflichtbindung Zunächst ist hier die Auffassung zu erörtern, nach der das Tätermerkmal der Unfallflucht eine besondere Pflichtbindung oder Pflichtposition des Täters charakterisiere, die sich aus seiner Unfallbeteiligung ergebe.32 Es fällt schwer, diese Behauptung als ein Argument für die Anwendung des § 28 Abs. 1 zu akzeptieren, weil jene Autoren nicht klarstellen, was sie unter einer besonderen Pflicht verstehen. Sollte damit eine selbständige Pflicht, d.h. eine Pflicht mit einem von der Rechtsgutsbeachtung unabhängigen Inhalt, etwa der Beachtung eines sozialethischen Wertes, gemeint sein, wäre darauf zu erwidern, daß das besondere Unrecht der Sonderdelikte durch solche selbständigen Pflichten nicht gekennzeichnet sein kann. Überdies erscheint es zweifelhaft, worin hier ein solcher Wert bestehen sollte.33 Soweit mit der Besonderheit der Pflicht lediglich deren außerstrafrechtlicher Ursprung gemeint ist, ist darauf im folgenden Abschnitt noch einzugehen. Schließlich könnte der Ausdruck der „besonderen Pflichtbindung" jedoch auch dahin verstanden werden, daß die Pflicht zur Achtung des Rechtsguts gerade gegenüber den Unfallbeteiligten in besonderer Weise gestei31
Ablehnend LK-Roxin, § 28 Rz. 28.
3 2
SK-Rudolphi § 142 Rz. 4; Drehei/Tröndle § 142 Rz. 14.
33
Insoweit zutreffend Heidland, S. 91 f.
Α. Der Meinungsstand
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gert ist. Damit wäre dann das die Sonderstraftaten kennzeichnende, materielle Sonderunrecht unter personalem Aspekt34 angesprochen. Daß aber eine derart gesteigerte Pflicht wirklich besteht, kann nicht nur mit dem Hinweis auf die Unfallbeteiligung begründet werden, weil damit nur die ohnehin evidente Tatsache der Subjektskreiseinschränkung nochmals benannt, ihr materieller Grund aber nicht bewiesen, sondern nur behauptet wird.
7. Pflichtdelikt Sodann ist die Auffassung anzutreffen, die Unfallflucht sei ein Pflichtdelikt, was die Anwendung des § 28 Abs. 1 auf Teilnehmer rechtfertige. 35 Die Einwände gegen die Pflichtdeliktslehre als solche sind bereits eingehend dargestellt worden. 36 Im vorliegenden Zusammenhang ist es daher nur noch von Interesse, der mit der Einordnung als Pflichtdelikt zugleich behaupteten außerstrafrechtlichen Sonderpflicht der Unfallbeteiligten nachzugehen, weil besondere Pflichten aus anderen Rechtsgebieten wenigstens ein Indiz für die Überantwortung des Rechtsguts an die Sondersubjekte darstellen können. Haben also die Warte- und Vorstellungspflicht, die Pflicht zur nachträglichen Ermöglichung von Feststellungen ihren Ursprung außerhalb des Strafrechts? Nach der hier erörterten Ansicht beruht die Beschränkung des Täterkreises des § 142 auf der potentiellen Schadensersatzpflicht, 37 nach anderer Auffassung handelt es sich bei der Warte- und Feststellungspflicht um eine Rechtspflicht, die nicht aus der Strafrechtsnorm folge, sondern sich aus dem Verkehrsunfall ergebe.38 Hier ist zunächst auf den Widerspruch hinzuweisen, der in der Behauptung liegt, eine potentielle Schadensersatzpflicht erzeuge bereits die Wirkungen einer tatsächlich bestehenden Pflicht. Denn es gibt zwar im Vorfeld der Begründung vertraglicher Pflichten gewisse Schutz- und Aufklärungspflichten; für den Bereich des Deliktsrechts und der Gefährdungshaftung ist dies jedoch eindeutig zu verneinen. Ein vielleicht noch gewichtigerer Einwand ergibt sich jedoch aus dem unterschiedlichen Inhalt der Schadensersatzpflicht und der vermeintlichen Sonderpflicht. Während letztere nämlich nur die Ermöglichung gewisser Feststellungen zum Gegenstand haben kann, ist der zum Schadensersatz verpflichtete Schuldner nicht verpflichtet, schon im Vorfeld eines Zivilprozesses an der Feststellung einer gegen ihn bestehenden Forderung mitzuwirken. Das mate34 35 36 37 38
Vgl. oben Teil 1 B.II.4. LK-Roxin § 28 Rz. 39; Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 369, 385. Vgl. oben Teil 1 B.I.5. LK-Roxin § 28 Rz. 39. Heidland, S. 89 f.
160
Teil 3: Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort
rielle Recht gebietet eben nur die Schadensersatzleistung, trifft jedoch keine Regelung über deren Feststellung und Durchsetzung. Allenfalls das Selbsthilferecht des Gläubigers gemäß § 229 BGB gebietet es dem Schuldner, die Feststellung seiner Personalien zu dulden. Aber § 142 erfaßt im Gegensatz zu § 229 BGB nicht nur die wirklich Verpflichteten, sondern auch potentielle Schuldner. Unvereinbar mit dem Inhalt sowohl des Selbsthilferechts wie auch der Schadensersatzpflicht ist auch die Pflicht zur nachträglichen Ermöglichung der Feststellungen gemäß § 142 Abs. 2, 3. Das in § 142 verpönte Verhalten kann daher nicht als Verletzung einer zivilrechtlichen Sonderpflicht begriffen werden. Eine außerstrafrechtliche Sonderpflicht der Unfallbeteiligten kann auch nicht aus § 34 StVO abgeleitet werden.39 Dagegen spricht schon, daß diese Vorschrift erst im Zusammenhang mit der letzten Änderung des Tatbestandes der Unfallflucht auf den gegenwärtigen Stand ergänzt wurde. 40 Es ist jedoch schwer vorstellbar, daß die Unfallflucht, die als Delikt schon lange existiert, erst durch diese Ergänzung der StVO zu einem Pflichtdelikt geworden sein sollte. Daß § 34 StVO keine dem Strafrecht logisch vorgelagerten Pflichten der Unfallbeteiligten begründen wollte, ergibt sich auch aus dem vom Verordnungsgeber mit dieser Vorschrift verfolgten Zweck. Sie sollten den Verkehrsteilnehmern anschaulicher, als es die Strafvorschrift des § 142 vermag, verdeutlichen, wie sie sich nach einem Verkehrsunfall zu verhalten haben, um dem Vorwurf der Unfallflucht zu entgehen.41 Schließlich sind die in § 34 StVO beschriebenen Pflichten auch nicht Bestandteil eines vom Strafrecht wesentlich verschiedenen Rechtsgebiets. Sie sind nämlich - jedenfalls zum Teil - Elemente des Tatbestandes von Ordnungswidrigkeiten, wie sich aus § 49 Abs. 1 Nr. 29 StVO ergibt. Die Einordnung der Unfallflucht als Pflichtdelikt ist daher, abgesehen von der Fragwürdigkeit dieses Begriffs als solchem, schon deshalb verfehlt, weil eine außerstrafrechtliche Begründung der in § 142 vorgesehenen Pflichten der Unfallbeteiligten nicht nachweisbar ist.
8. Beschränkter Kreis von Normadressaten Die Auffassung, die Unfallflucht stelle eine Sonderstraftat dar, wird ferner damit begründet, daß sich der Verhaltensbefehl des § 142 nur an den im Gesetz näher bezeichneten Täterkreis der Unfallbeteiligten richte. 42 39
AK-Schild § 142 Rz. 46. Vgl. dazu die amtliche Begründung, abgedr. bei Jagusch/Hentschel § 34 StVO Rz. 1. 41 Vgl. dazu die amtliche Begründung, abgedr. bei Jagusch/Hentschel § 34 StVO Rz. 1; ferner Jagusch/Hentschel § 34 StVO Rz. 2. 42 Magdowski, S. 64. 40
Α. Der Meinungsstand
161
Diese Auffassung beruht offenbar auf der Vorstellung, die Sonderdelikte seien durch eine nur an die Intranen adressierte Norm gekennzeichnet. Dieser Begriff des Sonderdelikts kann heute als wiederlegt gelten43, so daß die Behauptung eines nur die Unfallbeteiligten bindenden Normbefehls zur Entscheidung über den Charakter der Unfallflucht als Sonderstraftat nichts beizutragen vermag.
9. Anwendbarkeit des § 14 Dagegen könnte die im Schrifttum bestehende Kontroverse um die Anwendbarkeit des § 14 im Bereich der Unfallflucht mittelbar auch eine Antwort auf das hier untersuchte Problem liefern. Den Anlaß dieser Kontroverse lieferte eine Entscheidung des OLG Stuttgart. 44 In diesem Fall hatte der Angeklagte für seine Schwester, die einen Unfall verursacht hatte, jedoch im Wagen sitzen blieb, die Verhandlungen mit dem Unfallgegner übernommen. Unter der Vorspiegelung, der Gegner verzichte auf weitere Feststellungen, veranlaßte der Angeklagte seine Schwester zur Weiterfahrt. Er wurde wegen Beihilfe zur Unfallflucht verurteilt. Welzel äußerte zu dieser Entscheidung die Ansicht, es gehe hier nicht um das Problem der Teilnahme an unvorsätzlicher Tat, sondern darum, ob der gewillkürte Vertreter in die organschaftliche Täterstellung gehöre, was nach § 50a Abs. 1 a.F. (und entsprechend nach § 14) zu verneinen war. 45 Welzel hielt daher § 14 prinzipiell für anwendbar, wenn auch ohne nähere Begründung, sah also in der Unfallbeteiligung ein strafbegründendes, besonderes persönliches Merkmal im Sinne dieser Vorschrift. Hiergegen wandte sich Blauth, nach dem besondere persönliche Merkmale im Sinne des § 14 nur solche Merkmale sind, die eine Vertretung prinzipiell zulassen, also nicht täterbezogen oder höchstpersönlicher Natur sind. Diesen Charakter habe aber die Wartepflicht des Unfallbeteiligten. Denn jedenfalls in seiner Pflicht, durch seine Anwesenheit an der Unfallstelle zur Aufklärung der Art seiner Beteiligung, unter Umständen also auch seines körperlichen Zustandes, beizutragen, könne er nicht vertreten werden.46 Die Ansicht, daß der Unfallbeteiligte nicht vertretbar sei, teilt Wiesener und hält dementsprechend § 14 im Bereich des § 142 nicht für anwendbar. Er schließt dies jedoch unmittelbar daraus, daß die Tatbestandsmerkmale des § 14 des Handelns als Organ oder Vertreter hier nicht verwirklicht werden können.47 43 44 45 46 47
Vgl. im einzelnen Langer, Das Sonderverbrechen S. 249 ff. OLG Stuttgart MDR 59, S. 508. Welzel, S. 466. Blauth, S. 131 f. Wiesener, S. 177.
11 Deichmann
162
Teil 3: Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort
Entgegen Blauth ist er der Ansicht, daß für den Anwendungsbereich des § 14 nicht der Begriff des besonderen persönlichen Merkmals, sondern allein der Sinngehalt des Handelns „als Organ" bzw. „als Vertreter" problematisch sei.48 Dieser Ansicht ist beizutreten; daß nicht bei sämtlichen Tatbeständen mit besonderem persönlichem Merkmal ein Handeln „als Vertreter" möglich ist, zwingt nicht dazu, bei § 14 einen eigenständigen Begriff der besonderen persönlichen Merkmale zu bilden, wie Blauth es tut. Die erforderliche Einschränkung ist allein durch das zusätzliche Merkmal des Vertreterhandelns zu erreichen. Von daher besagt die ohne weiteres feststellbare Unmöglichkeit eines Vertreterhandelns bei der Unfallflucht noch nichts darüber, ob die Unfallbeteiligung überhaupt als besonderes persönliches Merkmal anzusehen ist, so daß die Unanwendbarkeit des § 14 im Bereich der Unfallflucht weder für noch gegen deren Eigenart als Sonderdelikt spricht.
10. Unfallflucht
als Unterlassungsdelikt
Während der Tatbestand des § 142 Abs. 2 eindeutig als Unterlassungsdelikt aufgefaßt werden muß, besteht bezüglich § 142 Abs. 1 in dieser Frage ein Streit, der schon von der früheren Fassung der Vorschrift herrührt. Abgesehen von dem rein akademischen Interesse an dieser Frage, hatte sie unter der Geltung des alten Rechts auch erhebliche praktische Bedeutung, weil bei Annahme eines Unterlassungsdelikts der Umfang der Wartepflicht mit dem für die Unterlassungdelikte insgesamt geltenden Kriterium der Unzumutbarkeit begrenzt werden konnte. Diese Bedeutung entfiel, seit das Gesetz selbst auf eine angemessene Zeit des Wartens abstellt (§ 142 Abs. 1 Nr. 2). Möglicherweise ist der Streit jedoch auch für die Frage bedeutsam, ob die Unfallflucht ein Sonderdelikt ist. Dies wird jedenfalls im Schrifttum behauptet. § 28 Abs. 1 müsse auf extrane Teilnehmer der Unfallflucht Anwendung finden, weil diese Vorschrift auch bei Teilnahme eines Nichtgaranten am unechten Unterlassungsdelikt eines Garanten gelte.49 Man wird diesen Gedankengang dahin vervollständigen dürfen, daß der Vergleich mit den sogenannten unechten Unterlassungsdelikten deshalb naheliegt, weil auch die Unfallflucht ein Unterlassungsdelikt - wenn auch ein sogenanntes echtes - sein soll. Setzt man zunächst einmal als richtig voraus, daß auf die Unterlassungsdelikte, deren Tatbestand aus einem Begehungsdelikt in Verbindung mit § 13 gebildet wird 50 , § 28 Abs. 1 48
Wiesener, S. 178. Arloth G A 85, S. 504. 50 Nach verbreiteter, aber mißverständlicher Terminologie also die unechten Unterlassungsdelikte; vgl. zur Kritik dieser Ausdrucksweise Schmidhäuser, AT2 16/9 ff.; hier wird der Ausdruck Garantenunterlassungsdelikt bevorzugt. 49
Α. Der Meinungsstand
163
Anwendung findet, weil die Garantenstellung ein besonderes persönliches Merkmal ist, so hängt die Schlüssigkeit dieser Argumentation davon ab, daß die Unfallflucht die Struktur jener Delikte aufweist. Dabei ist das entscheidende Merkmal dieser Delikte nicht, daß ihr Tatbestand erst in Verbindung mit § 13 gebildet wird, sondern daß ihr Umecht nur durch die Garanten verwirklicht werden kann. Es kommt also darauf an, ob die Unfallflucht, wenn sie ein Unterlassungsdelikt ist, ein Garantenunterlassungsdelikt ist. Damit zeigt sich aber, daß es letztlich gleichgültig ist, ob die Unfallflucht überhaupt ein Unterlassungsdelikt ist. Denn der Grund, weshalb § 28 Abs. 1 auf die Garantenunterlassungsdelikte Anwendung findet, besteht eben nicht darin, daß sie Unterlassungsdelikte sind, sondern darin, daß es sich um Sonderdelikte handelt, bei denen sich für die Sondersubjekte die besondere Bezeichnung als „Garanten" eingebürgert hat.51 Die bloße Einordnung der Unfallflucht als Unterlassungsdelikt kann daher zur Entscheidung über ihren Charakter als Sonderdelikt nichts beitragen, weil damit noch nicht geklärt ist, ob es sich um ein Garantenunterlassungsdelikt handelt. Diese Frage wiederum kann aber nicht aus der Dogmatik der Unterlassungsdelikte heraus, sondern allein anhand der Begriffsmerkmale der Sonderstraftat entschieden werden. Immerhin kann ein Vergleich der Stellung des „Unfallbeteiligten" mit den im Rahmen des § 13 anerkannten Garantenstellungen Aufschluß darüber geben, ob der Unfallbeteiligte ein Sonderunrecht verwirklicht. Denn das ist der Fall, wenn seine Position der Sache nach die Merkmale einer der Garantenpositionen aufweist. Wie bereits oben gesagt, hängt jedoch die Berechtigung dieses Vergleichs nicht davon ab, daß die Unfallflucht ein Unterlassungsdelikt ist, wie auch umgekehrt zahlreiche Garantenpositionen aus Begehungstatbeständen mit Sonderdeliktscharakter abgeleitet werden.52 Im Ergebnis hat daher die Frage, ob auch § 142 Abs. 1 ein Unterlassungsdelikt darstellt, für diese Untersuchung keine Bedeutung.
11. Ergebnis Die kritische Untersuchung der in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Ansichten hat somit ergeben, daß überzeugende Argumente für oder gegen die Sonderdeliktsnatur der Unfallflucht bisher nicht vorgetragen worden sind. Dies beruht vorwiegend auf einer ungenügenden Klärung des Begriffs des Sonderdelikts selbst, das weitgehend mit dem subjektiv-eingeschränkten Gemeinverbrechen identifiziert wird. Aber auch dort, wo materielle Kriterien aufgestellt werden, etwa bei der Frage nach der Anwendung des § 28 Abs. 1, fehlt eine 51 52
11
Schmidhäuser, AT2 16/10. Schönke-Schröder-Stree § 13 Rz. 31.
Teil 3: Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort
164
wirkliche Begründung, weshalb die Unfallflucht dem jeweiligen Kriterium entspricht oder nicht. Dies gilt insbesondere für die von Herzberg in den Mittelpunkt gerückte Wertbezogenheit der besonderen persönlichen Merkmale oder die von Rudolphi behauptete besondere Pflichtenstellung. Keinen unmittelbaren Erkenntnisfortschritt bringt ferner die Zuordnung der Unfallflucht zu den Unterlassungsdelikten. Es wird jedoch zu fragen sein, ob die Position des Unfallbeteiligten die Merkmale einer Garantenstellung aufweist. Für die weitere Untersuchung der Unfallflucht auf die hier zugrunde gelegten Merkmale der Sonderstraftat ist ferner zu beachten, daß die den Unfallbeteiligten treffenden Pflichten, die die relevanten Feststellungen ermöglichen sollen, keinen außerstrafrechtlichen Ursprung haben, also weder aus dem materiellen Schadensersatzrecht noch aus dem Selbsthilferecht noch aus der Straßenverkehrsordnung abgeleitet werden können.
B. Anwendung der Sonderdeliktsdefinition I. Der Sonderunrechtstatbestand Wie schon bei den Aussagedelikten soll auch hier die Untersuchung, ob das Delikt der Unfallflucht die Merkmale eines Sonderdelikts aufweist, mit dem Sonderunrechtstatbestand beginnen. Er ist definiert als ein Tatbestandsmerkmal, das den Kreis tauglicher Deliktssubjekte beschränkt und abstrakt geeignet ist, ο
ein Sonderunrecht zu beschreiben.
1. Unfallbeteiligte Schon mehrfach angesprochen wurde die in § 142 getroffene Subjektskreiseinschränkung auf Unfallbeteiligte. Ist dieses Merkmal abstrakt geeignet, ein Sonderunrecht zu beschreiben? Das ist zu bejahen, wenn die Unfallbeteiligung eine in weitem Sinne verstandene soziale Position darstellt, weil überhaupt nur die aus einer derartigen Stellung verübte Rechtsgutsverletzung in ihrem Unwertgehalt gerade gegenüber den Sondersubjekten modifiziert sein kann. Der Wortlaut des Gesetzes suggeriert mit dem Wort „Beteiligung" allerdings eine soziale Position. Die Beteiligung an einer Gesellschaft oder einem Unternehmen etwa sind besondere Beziehungen, in denen eine Person stehen kann. In 53
Vgl. Teil 1 B.IV.
Β. Anwendung der Sonderdeliktsdefinition
165
diesem Sinn ist das Wort „Beteiligung" hier aber nicht gemeint, sondern in der Bedeutung einer Verwicklung in ein tatsächliches Geschehen. Das ergibt sich nicht erst, aber besonders deutlich aus § 142 Abs. 4. Diese Erläuterung des Begriffs des Unfallbeteiligten stellt klar, um welche Art von Verwicklung es hier geht. Der Unfallbeteiligte muß in der dem Unfall unmittelbar vorhergehenden Situation54 etwas getan oder unterlassen haben, das ihn objektiv dem Verdacht aussetzt, zur Verursachung des Unfalls beigetragen zu haben. Die Deliktssubjekte der Unfallflucht weisen die „Eigenschaft" eines Unfallbeteiligten also nicht auf, weil sie etwas bestimmtes sind - wie man etwa Beamter (§ 133 Abs. 3), Richter (§ 336), Pfandleiher (§ 290) oder Vater (§ 174 Abs. 1 Nr. 3) ist - , sondern weil sie etwas getan oder unterlasssen haben, das sie dem Verdacht der Unfallverursachung aussetzt. Genaugenommen dürfte das Gesetz also nicht von Unfallbeteiligten, sondern müßte von den der Unfallverursachung verdächtigen Personen sprechen. Man mag nun die Tatsache, daß eine Person mit einem solchen Verdacht gewissermaßen behaftet ist, als einen persönlichen Umstand oder gar als eine Eigenschaft bezeichnen; sie aber als soziale Stellung dieser Person aufzufassen, ist unmöglich. Der Begriff des Unfallbeteiligten beschreibt daher jedenfalls nicht unmittelbar eine soziale Position dieser Personen. Es ist jedoch denkbar, daß ein Unfallbeteiligter notwendig eine bestimmte soziale Position einnimmt, der das Gesetz zwar nach seinem Wortlaut keinen Ausdruck verliehen hat, die aber, wenn sich eine solche notwendige Verknüpfung nachweisen läßt, im Begriff des Unfallbeteiligten vorausgesetzt und daher stillschweigend vertatbestandlicht wäre. Die Suche nach einer solchen Position erfordert es, den Blick vom engeren Unfallgeschehen weg auf die davor und danach liegenden Vorgänge zu richten. Rückblickend könnte man zunächst versucht sein, den Unfallbeteiligten notwendig in der Position eines Verkehrsteilnehmers zu sehen. Denn ein Unfall im Straßenverkehr erfordert auf den ersten Blick Personen, die als Verkehrsteilnehmer an den Verkehrsvorgängen beteiligt waren, die zu dem Unfall geführt haben. Ob man allerdings in der Verkehrsteilnahme eine besondere soziale Position sehen kann, braucht hier nicht entschieden zu werden. Daß das Abstellen auf den Unfallbeteiligten als Verkehrsteilnehmer ein Irrweg ist, zeigt sich nämlich daran, daß zwar häufig, aber eben nicht notwendig eine solche Verbindung besteht. In den Verdacht der Unfallverursachung kommen zwar in aller Regel Verkehrsteilnehmer. Ein Unfall im Straßenverkehr kann aber auch von Personen verursacht werden, die nicht selbst am Verkehr teilgenommen haben. Dies gilt etwa für die Insassen eines Kraftfahrzeugs, die den Fahrer gestört und dadurch den Unfall herbeigeführt haben können, oder für denjenigen, der vom Fenster 54
Schönke-Schröder-Cramer § 142 Rz. 61.
166
Teil 3: Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort
seiner Wohnung aus Kraftfahrer blendet, schließlich auch für den Gehilfen einer Straftat nach § 315b, wenn sie zu einem Unfall geführt hat.55 Ist demnach nicht nur Verkehrsteilnehmern, sondern praktisch jedem Menschen, der auf die Vorgänge des Straßenverkehrs in räumlicher Nähe zum Unfallort einwirkt, die Verursachung eines Unfalls möglich, so kann die Verkehrsteilnahme jedenfalls nicht eine soziale Position sein, die im Begriff des Unfallbeteiligten notwendig vorausgesetzt ist. Aus diesem Befund kann bereits jetzt der Schluß gezogen werden, daß die Unfallflucht jedenfalls kein Sonderdelikt der Verkehrsteilnehmer ist. Eine Steigerung des Unwerts der von den Unfallbeteiligten begangenen Rechtsgutsverletzung kann daher nicht auf der Verletzung besonderer, mit der Teilnahme am Straßenverkehr zusammenhängender Pflichten beruhen. Der Nutzen dieser Erkenntnis wird sich bei der Frage nach der Überantwortung des Rechtsguts noch erweisen.56 Nachdem die Betrachtung des dem Unfall vorhergehenden Geschehens keine mit der Unfallbeteiligung notwendig verbundene soziale Position ergeben hat, ist nunmehr die infolge des Unfalls entstehende Situation zu untersuchen. Hier sieht man sogleich, daß der Unfall zwischen den Beteiligten, die zuvor in keinem näheren Kontakt standen, besondere Beziehungen geschaffen hat. Dabei ist zunächst an die materiellrechtliche Seite dieser Beziehungen zu denken, an die wechselseitigen Schadensersatzansprüche. Nun steht zwar objektiv unmittelbar nach dem Unfall fest, wer für die Unfallschäden haftet. Aber der Täter des § 142, der Unfallbeteiligte, muß mit den anderen Beteiligten durch ein solches schuldrechtliches Band nicht notwendig verknüpft sein. Er kann sehr wohl den Umständen nach der Unfallverursachung verdächtig sein, ohne aber tatsächlich für die Unfallschäden zu haften. Die Position eines Schuldners der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten ist also nicht notwendig mit der Unfallbeteiligung verbunden und kann daher auch nicht in diesem Begriff stillschweigend vorausgesetzt sein. Gegenüber der objektiv schon feststehenden materiell-rechtlichen Lage ist die Situation der Beteiligten dagegen gerade von der Ungewißheit um die Verteilung der rechtlichen Verantwortlichkeit geprägt. Diese Ungewißheit ist die Wurzel eines Konfliktes, einer Auseinandersetzung zwischen den Beteiligten, deren Ziel die Behebung dieser Ungewißheit ist, wobei die Auseinandersetzung verschiedene Stufen durchlaufen kann. Günstigstenfalls räumt einer der Beteiligten seine Alleinschuld an dem Unfall ein, so daß die Haftungsfrage noch am Unfallort geklärt werden kann. Häufiger wird die Klärung der Haftungsfrage allerdings nur unter Einschaltung der Polizei, die den Unfall aufnimmt, zu erreichen sein. Ergibt die polizeiliche Unfallaufnahme, sei es auch nur nach Meinung ei55
Beispiele nach Jagusch/Hentschel, § 142 StGB Rz. 29, vgl. auch BGH VRS 6,33 (35); VRS 59,185 (186); LK-Rüth § 142 Rz. 21. 56 Vgl. Teil 3 B.II.3.C) dd).
Β. Anwendung der Sonderdeliktsdefinition
167
nes Beteiligten oder seines Versicherers, kein eindeutiges Bild, wird in der Regel eine gütliche Einigung über die Haftung versucht werden. Nach deren Scheitern begegnen sich die Unfallbeteiligten häufig als Parteien eines Zivilprozesses wieder, der zwar zur Klärung der Sachlage oftmals auch nichts beitragen kann, der aber der Ungewißheit um die wechselseitigen Ansprüche jedenfalls durch eine definitive Entscheidung ein Ende bereitet. Der Versuch, die Stellung der Unfallbeteiligten in dem durch die Ungewißheit hinsichtlich der Haftungsfrage ausgelösten und auf ihre Beseitigung zielenden Konflikt mit einem Rechtsbegriff zu kennzeichnen, scheitert. Der Konflikt kann zwar in die rechtlichen Bahnen von Vergleichsverhandlungen oder eines Prozesses münden; meistens geschieht dies jedoch nicht. Die Stellung als Prozeßpartei, in die der Unfallbeteiligte gelangen kann, liefert aber den Hinweis auf einen die gesamte Stellung des Unfallbeteiligten zutreffend erfassenden Begriff. Man könnte den Unfallbeteiligten als Partei eines durch den Unfall ausgelösten sozialen Konflikts, dessen Gegenstand die Beseitigung der Ungewißheit über die Haftungsfrage ist, bezeichnen. Diese Parteirolle kann ohne Schwierigkeiten als soziale Stellung im hier gesuchten Sinne aufgefaßt werden, wenn man sich nur von der Vorstellung frei macht, daß solche Positionen stets in Rechtsbegriffen erfaßbar sein müßten.57 Diese soziale Position ist auch notwendig mit der Unfallbeteiligung, also mit dem gegen eine Person bestehenden Verdacht der Unfallverursachung verbunden, weil die Ungewißheit über die Haftungsfrage, die diese Position begründet, notwendige Folge jedes Unfalls ist, auch wenn die Ungewißheit im Einzelfall schnell behoben werden kann. Die Analyse der Subjektskreiseinschränkung auf Unfallbeteiligte hat somit ergeben, daß dieses Merkmal zwar nicht unmittelbar eine Person in einer bestimmten sozialen Position beschreibt, daß aber mit der Unfallbeteiligung notwendig die Parteirolle in dem durch den Unfall verursachten, sozialen Konflikt verbunden und deshalb im Begriff der Unfallbeteiligung vorausgesetzt ist. Dieser Bezug der Unfallbeteiligung auf eine bestimmte soziale Position reicht aus, um die abstrakte Eignung dieses Merkmals zur Beschreibung eines Sonderunrechts zu begründen. Der Tatbestand der Unfallflucht umfaßt daher im Merkmal des „Unfallbeteiligten" einen Sonderunrechtstatbestand.
2. Besondere Unfallbeteiligte
gemäß § 142 Abs. 2
Der Kreis tauglicher Deliktssubjekte der Unfallflucht wird jedoch nicht nur durch die Unfallbeteiligung bestimmt. § 142 Abs. 2 hebt aus den Unfallbeteilig57
Dies ist nicht notwendig; vgl. Teil 1 B.II.3.b).
168
Teil 3: Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort
ten nochmals bestimmte Personen hervor, nämlich diejenigen Unfallbeteiligten, die sich berechtigt, entschuldigt oder nach Ablauf der Wartefrist vom Unfallort entfernt haben. Die Strafbarkeit des in § 142 Abs. 2 beschriebenen Unterlassens, nachträglich die Feststellungen zu ermöglichen, ist daher nicht nur auf Unfallbeteiligte, sondern zusätzlich auf einen besonderen Ausschnitt aus diesem Personenkreis beschränkt. Diese Erscheinung wird im Schrifftum dahingehend gedeutet, daß bei § 142 Abs. 2 „sogar in doppelter Hinsicht" ein echtes SonderSÄ delikt vorliege. Diese Auffassung veranlaßt die Frage, ob die in § 142 Abs. 2 getroffene, zusätzliche Subjektskreiseinschränkung geeignet ist, ein Sonderunrecht zu beschreiben. Dabei geht es, um die Fragestellung zu präzisieren, nicht darum, ob diese zusätzliche Einschränkung zusammen mit der Beschränkung auf Unfallbeteiligte diese Eignung aufweist. Das versteht sich von selbst, weil schon das Merkmal der Unfallbeteiligung abstrakt geeignet ist, Sonderunrecht zu beschreiben. Ein Sonderdelikt „in doppelter Hinsicht" kann vielmehr nur vorliegen, wenn die zusätzliche Begrenzung des Kreises der Deliktssubjekte unabhängig von der Unfallbeteiligung die Merkmale eines Sonderunrechtstatbestandes aufweist. Es ist daher zu klären, ob das Gesetz mit dieser zusätzlichen Beschränkung des Täterkreises den Unfallbeteiligten als Inhaber einer weiteren, besonderen sozialen Position schildert. Zweifel daran ergeben sich schon aus dem Wortlaut des Gesetzes. Denn hier werden nicht Eigenschaften, Umstände oder Verhältnisse, sondern eine bestimmtgeartete Handlung des Täters geschildert, nämlich daß er sich unter bestimmten Umständen vom Unfallort entfernt hat. Eine solche Art der tatbestandlichen Schilderung eines Sonderunrechts, das Abstellen auf eine in der Vergangenheit liegende Handlung des Täters, begegnet im Strafrecht sonst nirgends und wäre daher äußerst ungewöhnlich. Daß dieses Merkmal nicht geeignet ist, Sonderunrecht zu beschreiben, erweist sich schließlich eindeutig, wenn man seiner Funktion im Tatbestand des § 142 Abs. 2 nachspürt. Die in § 142 Abs. 2 geschilderte Straftat weist nur unter zwei Voraussetzungen einen gegenüber § 142 Abs. 1 selbständigen Unwertgehalt auf. Die erste Voraussetzung ist in dem Merkmal „nachträglich" erfaßt. Damit wird zum Ausdruck gebracht, daß der Unfallbeteiligte die Feststellungen nicht bereits an der Unfallstelle ermöglicht hat. Denn man kann nur nachträglich ermöglichen, was man zuvor eben nicht getan hat. Nur unter dieser Voraussetzung kann das Unterlassen ein Umecht begründen, weil andernfalls dem Achtungsanspruch des Rechtsguts bereits genügt ist. Die zweite, hier eigentlich interessierende Voraussetzung besteht darin, daß der Täter nicht bereits nach § 142 Abs.l strafbar ist. Denn eine „Doppelbestrafung" wegen Sich-Entfernens und dem Unterlassen, die Feststellungen nach58
Dreher/Tröndle § 142 Rz. 44; Maurach-Schroeder-Maiwald, BT1, S. 543.
Β. Anwendung der Sonderdeliktsdefinition
169
träglich zu ermöglichen, hätte offensichtlich wenig Sinn. Die Funktion, die Verdopplung der Strafdrohung auszuschließen, übernimmt in § 142 Abs. 2 die hier untersuchte Einschränkung des Täterkreises auf besondere Unfallbeteiligte. Damit erweist sich dieses Tatbestandsmerkmal als eine besondere Subsidiaritätsklausel, wie sie vergleichbar in den Strafvorschriften der §§ 145d, 248b, 265a verwendet wird. Auch den Anwendungsbereich des § 142 Abs. 2 hätte der Gesetzgeber mit einer derartigen Klausel definieren können, etwa durch den Nebensatz: „wenn nicht bereits das Sich-Entfernen vom Unfallort nach § 142 Abs. 1 strafbar ist." Dann wären allerdings durch § 142 Abs. 2 auch die Fälle erfaßt gewesen, in denen die Straflosigkeit nach § 142 Abs. 1 auf fehlendem Vorsatz beruht. Der Gesetzgeber wollte jedoch § 142 Abs. 2 nicht bei jedem denkbaren Grund, aus dem eine Strafbarkeit nach § 142 Abs. 1 nicht vorlag, angewendet wissen, sondern eben nur bei den in § 142 Abs. 2 Nr. 1,2 genannten Gründen.59 Diese auf Strafwürdigkeitserwägungen 60 beruhende Beschränkung ändert jedoch nichts Grundsätzliches an der Funktion der zusätzlichen Subjektskreiseinschränkung. In der Sache handelt es sich um eine die Subsidiarität des § 142 Abs. 2 gegenüber § 142 Abs. 1 sichernde Klausel. Derartige Klauseln können aber, wie nicht weiter begründet werden muß, kein Sonderunrecht beschreiben. Schließlich wäre es unter dem Gesichtspunkt des § 28 Abs. 1 auch ganz unverständlich, worin teleologisch der Sinn dieses doppelten Sonderdelikts bestehen sollte. Soll die Strafe eines extranen Teilnehmers bei § 142 Abs. 1 etwa nur einmal, bei § 142 Abs. 2 jedoch zweimal, dagegen die Strafe eines Unfallbeteiligten, der die Feststellungen am Unfallort ermöglicht, einen anderen Unfallbeteiligten aber zur Unterlassung nach § 142 Abs. 2 bestimmt hat, wieder nur einfach gemildert werden ? § 142 Abs. 2 weist daher keinen von der Unfallbeteiligung verschiedenen Sonderunrechtstatbestand auf. Daher kann schon jetzt festgestellt werden, daß die in § 142 Abs. 2 beschriebene Straftat unter keinen Umständen ein Sonderdelikt „in doppelter Hinsicht" sein kann. Die Unfallflucht ist entweder in § 142 Abs. 1 und Abs. 2 eine Sonderstraftat oder überhaupt nicht. Dies hängt, nachdem das Merkmal der Unfallbeteiligung als abstrakt geeignet erkannt wurde, ein Sonderunrecht zu beschreiben, weiter davon ab, ob dieses Merkmal tatsächlich Sonderunrecht vertypt.
59
Die Rechtsprechung, die § 142 Abs. 2 auch bei fehlendem Vorsatz bezüglich § 142 Abs. 1 anwendet (BGHSt 28,129 (132)) wie auch die Ansicht Bar's in Anm. zu BGH JR 82, S. 378, dort S. 379, laufen im Ergebnis auf die hier formulierte Subsidiaritätsklausel hinaus. 60 Zum Unterschied zwischen vorsatzlosem und berechtigtem bzw. entschuldigtem SichEntfernen vgl. AK-Schild § 142 Rz. 149.
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Teil 3: Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort
Π. Materielles Sonderunrecht bei Unfallbeteiligten 1. Ermittlung des Gemeinunrechts der Unfallflucht Eine Antwort auf die Frage, ob das Merkmal der Unfallbeteiligung ein Sonderunrecht beschreibt, soll zunächst auf einem Umweg gesucht werden. Das Umecht jeder Sonderstraftat ist durch ein Gemeinunrecht, d.h. die deliktstypische Rechtsgutsverletzung und durch die Abwandlung ihres Unwerts gegenüber den Sondersubjekten, also durch das Sonderunrecht, gekennzeichnet.61 Ergibt daher die Analyse eines Straftatbestandes, daß eine Subjektskreiseinschränkung nicht aus dem Tatbestand eliminiert werden kann, ohne daß schon das Gemeinumecht verändert wird, so bedeutet dies ein Indiz gegen den Sonderdeliktscharakter der betreffenden Straftat. Denn die Subjektskreiseinschränkung ist unter diesen Umständen notwendig auch Bestandteil der tatbestandlichen Schilderung der deliktstypischen Rechtsgutsverletzung. Dagegen spricht es für ein Sonderdelikt, wenn sich erweist, daß die Subjektskreiseinschränkung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt das jeweils geschützte Rechtsgut oder die Modalitäten des Rechtsgutsangriffs beschreibt. Es ist daher zu klären, welche Tatbestandsmerkmale das Rechtsgut und die deliktstypische Art seiner Verletzung beschreiben, insbesondere, ob dazu auch das Merkmal der Unfallbeteiligung gehört. 62 Wie bereits erörtert, ergibt sich das durch § 142 geschützte Rechtsgut daraus, daß bestimmte Feststellungen „zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten" ermöglicht werden sollen. Ihnen soll mit Hilfe der Feststellungen die Klärung der wechselseitigen Ansprüche ermöglicht werden, so daß sich das Vermögen als geschütztes Rechtsgut erweist. Den deliktstypischen Angriff auf dieses Rechtsgut schildert das Gesetz zunächst als ein Sich-Entfernen vom Unfallort. Das weitere Merkmal „nach einem Unfall im Straßenverkehr" konkretisiert sodann, was unter Unfallort zu verstehen ist, nämlich ein Ort, an dem sich ein Straßenverkehrsunfall ereignet hat. Dieses Sich-Entfernen beschreibt den Rechtsgutsangriff jedoch nicht annähernd erschöpfend. Denn es ist evident, daß einerseits das Rechtsgut, also das Vermögen der anderen Unfallbeteiligten, durch das Sich-Entfernen nicht angegriffen wird, sobald der Unfall aufgeklärt ist, andererseits der Gesetzgeber die Unfallbeteiligten nicht endlos am Unfallort festhalten wollte, und schließlich das bloße Verweilen des Unfallbeteiligten am Unfallort unter Umständen den geschützten Vermögensinteressen nicht ausreichend dient. Dementsprechend ist das SichEntfernen nicht als solches tatbestandsmäßig, sondern zunächst nur, wenn ihm 61
Vgl. Teil 1 B.II.l.,3.a). Die Erörterung beschränkt sich hier auf § 142 Abs. 1 Nr. 1 ; für § 142 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 kann jedoch nichts anderes gelten. 62
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eine bestimmte Unterlassung vorangeht, nämlich wenn die „Angabe, daß er an dem Unfall beteiligt ist", unterbleibt. Hat der Unfallbeteiligte die erforderlichen Feststellungen durch diese Angabe gefördert, darf er sich gleichwohl noch nicht entfernen. Den Zeitpunkt, bis zu dem das Sich-Entfernen rechtsgutsverletzend ist, beschreibt das Gesetz durch eine das Gegenstück des Sich-Entfernens darstellende Anwesenheitspflicht. Sie dauert an, bis die Feststellungen getroffen werden konnten. Anwesenheits- und Vorstellungspflicht charakterisieren somit die näheren Umstände, unter denen die Tathandlung des Sich-Entfernens erst zu einem rechtsgutsverletzenden Handeln wird. Sie gehören daher zu den die deliktstypische Rechtsgutsverletzung, also das Gemeinunrecht beschreibenden Tatbestandsmerkmalen. Diese Merkmale sind aber eindeutig auf den Unfallbeteiligten als Deliktssubjekt zugeschnitten. Der Versuch, den Unfallbeteiligten als Tatsubjekt aus dem Tatbestand zu eliminieren, müßte daher zu einem völlig veränderten tatbestandlichen Rechtsgutsangriff führen. Bevor dieser Versuch im folgenden unternommen wird, soll anhand eines Beispiels aus dem Bereich der sogenannten unechten Sonderdelikte gezeigt werden, wie dies bei Sonderdelikten in der Regel unproblematisch gelingt. Streicht man in § 223 Abs. 2 die Subjektskreiseinschränkung auf Aszendenten, so bleibt die deliktstypische Rechtsgutsverletzung dieses Tatbestandes, die körperliche Mißhandlung oder Gesundheitsbeschädigung völlig unverändert bestehen. Sie entspricht dann dem korrespondierenden Gemeindelikt, der einfachen Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1. Bei § 142 Abs. 1 Nr. 1 gelingt es jedoch nicht, unter Streichung des Unfallbeteiligten dem restlichen Tatbestand ein hinsichtlich des Rechtsgutsangriffs unverändertes Gemeindelikt abzuringen. Man kann sich zwar eine Erstreckung des Straftatbestandes über die Unfallbeteiligten hinaus etwa auf Zeugen des Unfallgeschehens vorstellen, die gleichfalls einem Verbot des Sich-Entfernens vor Ermöglichung der Feststellungen unterworfen werden könnten. Solches Verhalten könnte auch noch als Unrecht, wenngleich kaum als strafwürdiges Unrecht, begriffen werden. Aber eine derartige Erstreckung des Tatbestandes würde weitreichende Änderungen erfordern. Anders als die Anwesenheit des Unfallbeteiligten, der gegebenenfalls durch die Polizei auch gegen seinen Willen identifiziert werden kann, fördert die bloße Anwesenheit eines Zeugen die Feststellungen noch nicht. Das Verlangen der Angabe, daß er an dem Unfall beteiligt ist, wäre gegenüber Zeugen durch die Pflicht zur Angabe, den Unfall beobachtet zu haben, zu ersetzen. Ferner müßte der Zeuge die Feststellungen nicht zugunsten der „anderen Beteiligten", sondern zugunsten aller Beteiligten ermöglichen. Schließlich hätte er nicht die Feststellung „seiner" Person, „seines" Fahrzeugs und der Art „seiner" Beteiligung, sondern die Feststellung von Person, Fahrzeug und Beteiligungsart generell der Unfallbeteiligten zu ermöglichen.
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Teil 3: Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort
Es zeigt sich also, daß der tatbestandliche Rechtsgutsangriff, wie er in § 142 Abs. 1 Nr. 1 geschildert ist, ohne den Unfallbeteiligten seine Konturen völlig verliert. Die Subjektskreiseinschränkung kann daher nicht eliminiert werden, ohne die deliktstypische Rechtsgutsverletzung zu verändern. Das Merkmal der Unfallbeteiligung beschreibt daher schon das Gemeinunrecht der Unfallflucht. Fragt man sich schließlich, warum der Unfallbeteiligte in die Schilderung der deliktstypischen Rechtsgutsverletzung der Unfallflucht einbezogen ist, so findet man den Grund hierfür in einer erhöhten Gefährlichkeit des durch Unfallbeteiligte geführten Rechtsgutsangriffs. Der Unfallbeteiligte kann besonders zuverlässig über die relevanten Umstände Auskunft geben, was für seine Person und sein Fahrzeug offenkundig ist, aber auch für seine Beteiligungsart gilt. Er wird in vielen Fällen am besten wissen, wie es zu dem Unfall kam. Dagegen sind zufällige Zeugen für die Aufklärung des Unfalls in einem späteren Prozeß zwar möglicherweise gleichfalls unentbehrlich. Aber conditio sine qua non jeder Rechtsverfolgung ist dennoch die Kenntnis der Identität des Unfallgegners, deren Feststellung durch einen Beitrag der Beteiligten selbst optimal gewährleistet wird. Es kommt hinzu, daß zwar bei jedem Unfall ein Unfallbeteiligter, nicht aber stets ein Beobachter, der zur Aufklärung der Sache beitragen kann, anwesend ist. Die Vermögensinteressen der Beteiligten und Geschädigten sind daher stärker gefährdet, wenn ein Unfallbeteiligter, nicht nur ein zufälliger Beobachter des Geschehens die Feststellungen durch seine Entfernung vom Unfallort vereitelt. Als Ergebnis ist daher festzuhalten, daß die Subjektskreiseinschränkung auf Unfallbeteiligte schon Bestandteil der Schilderung des Rechtsgutsangriffs im Tatbestand der Unfallflucht ist. Die Beziehung der Tathandlung auf Unfallbeteiligte vertatbestandlicht einen besonders gefährlichen Angriff auf das in § 142 geschützte Rechtsgut. Durch die Ermittlung des Gemeinunrechts konnte somit der Sonderdeliktscharakter der Unfallflucht nicht bewiesen werden, weil eben die Subjektskreiseinschränkung Elemente des Gemeinumechts beschreibt und deshalb der Schluß, sie könne mangels anderer Sachgehalte nur ein Sonderunrecht vertypen, nicht möglich ist. Im Gegenteil ergibt sich daraus ein Indiz gegen die Annahme, die Unfallflucht rechne zu den Sonderstraftaten. Denn wenn das Merkmal der Unfallbeteiligung bereits die deliktstypische Rechtsgutsverletzung schildert, ist es unwahrscheinlich, daß es daneben auch noch ein Sonderunrecht vertypt. Da es aber abstrakt geeignet ist, Sonderunrecht zu vertypen, kann nicht ausgeschlossen werden, daß dieses Tatbestandsmerkmal sowohl Gemeinunrecht wie auch seine sonderdeliktstypische Abwandlung umgreift. Es bleibt daher nichts anderes übrig, als unmittelbar anhand der Begriffsbestimmung des materiellen Sonderunrechts zu prüfen, ob die Unfallbeteiligung auch diesen Gehalt aufweist. Die Subjektskreiseinschränkung auf Unfallbeteiligte beschreibt materielles Sonderunrecht, wenn der Unfallbeteiligte hinsichtlich eines bestimmten Rechts-
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gutsausschnitts über einen besonderen sozialen Einflußbereich verfügt und die Rechtsgemeinschaft ihm im Hinblick auf diese Schlüsselposition das Rechtsgut in diesem Umfang zu besonderem Schutz überantwortet hat.63
2. Die Schlüsselstellung des Unfallbeteiligten Bei der Untersuchung des Sonderunrechtstatbestandes hat sich gezeigt, daß das Merkmal der Unfallbeteiligung eine Person in einer bestimmten sozialen Position voraussetzt, nämlich in der Stellung als Partei des durch den Unfall begründeten sozialen Konflikts, dessen Gegenstand die Klärung der Haftungsfrage ist. Schon wegen seines Bezugs auf eine soziale Position erschien dieses Tatbestandsmerkmal abstrakt geeignet, ein Sonderunrecht zu beschreiben. Abstrakte Eignung bedeutet jedoch nur, daß die betreffenden Deliktssubjekte möglicherweise hinsichtlich irgendeines Rechtsgutes über einen besonderen sozialen Einflußbereich verfügen. Die Schlüsselstellung als notwendige Voraussetzung der Begründung materiellen Sonderunrechts erfordert dagegen, daß die mit der Unfallbeteiligung notwendig verknüpfte Parteirolle in dem durch den Unfall entstandenen Konflikt tatsächlich einen besonderen sozialen Einflußbereich vermittelt. Dieser Einflußbereich darf sich, um hier überhaupt von Bedeutung zu sein, auch nicht auf irgendwelche Rechtsgutsobjekte beziehen, sondern muß gerade hinsichtlich eines bestimmten Ausschnitts aus dem durch § 142 geschützten Rechtsgut bestehen. Die Bestimmung dieses Ausschnitts ist bereits oben64 vorgenommen worden. Rechtsgut der Unfallflucht ist das Vermögen, das durch diesen Tatbestand personell beschränkt auf die Unfallbeteiligten und Geschädigten und gegenständlich beschränkt auf die Durchsetzung berechtigter und die Abwehr unberechtigter Ersatzansprüche geschützt wird. Ob hinsichtlich dieses Ausschnitts aus dem Gesamtbereich möglicher, das Rechtsgut Vermögen verkörpernder Rechtsgutsobjekte dem Unfallbeteiligten als Täter der Unfallflucht ein besonderer sozialer Einflußbereich zugeordnet ist, ist nunmehr zu klären. Der Gegenstand des unter den Unfallbeteiligten bestehenden Konflikts ist die Ungewißheit hinsichtlich der Haftungsfrage. Daß sich der soziale, also auf Gemeinschaftswertobjekte bezogene Einflußbereich des Unfallbeteiligten als Partei dieses Konflikts gerade auch auf die mit dem Unfall verbundenen Vermögensinteressen der anderen Beteiligten erstreckt, ist offensichtlich. Er hat es in der Hand, an der Behebung der Ungewißheit mitzuwirken oder sie zu hintertreiben und dadurch zur Durchsetzung der Ansprüche oder zu ihrer Vereitelung beizutragen. 63 64
Vgl. Teil 1 B.II.3.b), c). Teil 3 A.I.
Teil 3: Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort
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Möglichkeiten, an der Behebung der Ungewißheit mitzuwirken oder sie zu verhindern, haben jedoch auch beliebige Dritte, etwa Zeugen, indem sie sich zur Aufklärung der Sache zur Verfügung stellen oder eben dies unterlassen. Auch die Beseitigung von Unfallspuren kann durch andere Personen geschehen. Es fragt sich daher, ob der soziale Einflußbereich des Unfallbeteiligten in seiner Eigenschaft als Konfliktpartei die Besonderheit aufweist, die für die Begründung materiellen Sonderunrechts vorausgesetzt ist. Daß der Unfallbeteiligte faktisch in allen Stufen des durch den Unfall begründeten Konflikts über besondere, Dritten nicht offenstehende Einwirkungsmöglichkeiten verfügt, ist oben65 bereits angedeutet worden. Der Unfallbeteiligte kann über die zur Behebung der Ungewißheit erforderlichen Feststellungen insbesondere seiner Person und seines Fahrzeugs am zuverlässigsten Auskunft geben. Gerade die Feststellung der Identität ist für die Rechtsverfolgung sogar unverzichtbar. Auch über den Unfallhergang selbst wird der Unfallbeteiligte in vielen Fällen am besten Bescheid wissen. In späteren Stadien des Konflikts, etwa im Rahmen von Vergleichsverhandlungen oder im Prozeß, hat der Unfallbeteiligte sogar primär Einfluß auf die Feststellung der Ansprüche, indem er etwa dem Vergleich zustimmt, seine Haftung anerkennt oder zumindest wahrheitswidriges Bestreiten unterläßt. Abgesehen von seinen spezifischen Einwirkungsmöglichkeiten ist der Unfallbeteiligte als Konfliktpartei aber auch dadurch aus dem Kreis all jener, die zur Durchsetzung oder Vereitelung der Ansprüche beitragen können, besonders hervorgehoben, daß er nach den gesellschaftlichen Anschauungen als primär für die Beseitigung des Konflikts zuständig angesehen wird. Der Streit um das Bestehen eines Anspruchs ist in erster Linie eine Sache der Streitparteien, die sie unter sich auszumachen haben. Dabei können sie sich zwar im Falle des Verkehrsunfalls polizeilicher beziehungsweise gerichtlicher Hilfe bedienen, was aber nichts daran ändert, daß die Beilegung des Streits primär ihnen obliegt. Die spezifischen Einwirkungsmöglichkeiten des Unfallbeteiligten hinsichtlich der Ansprüche der anderen Beteiligten bestehen also nicht nur in tatsächlicher Hinsicht. Sie sind auch Ausdruck seiner primären Zuständigkeit für die Lösung des mit den anderen Beteiligten bestehenden Konflikts. Dem Unfallbeteiligten sind also hinsichtlich der Ansprüche der anderen Beteiligten nicht nur spezifische Einwirkungsmöglichkeiten verliehen; er ist nach den gesellschaftlichen Anschauungen für die Austragung des Konflikts um das Bestehen dieser Ansprüche auch primär zuständig und nimmt insofern eine hervorgehobene Position hinsichtlich der Unversehrtheit dieser Verletzungsobjekte, also hinsichtlich der Aufklärung und Durchsetzung der Ansprüche, ein. Damit entspricht die Parteirolle des Unfallbeteiligten in dem durch den Unfall hervorgerufenen Konflikt den Merkmalen des besonderen sozialen Einflußbereichs. 65
Teil 3 Β.II. 1.
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3. Überantwortung Liegen demnach bei den Unfallbeteiligten die Voraussetzungen vor, unter denen materielles Sonderunrecht begründet werden kann, ist weiter zu klären, ob die Vereitelung der Feststellungen durch einen Unfallbeteiligten tatsächlich ein Sonderunrecht begründet. Der zusätzliche Sachverhalt, der insoweit zu den Voraussetzungen der Sonderunrechtsbegründung hinzukommen muß, ist die Überantwortung.66 Sie liegt vor, wenn die Rechtsgemeinschaft den Unfallbeteiligten in Anerkennung ihrer Schlüsselstellung den Schutz der Vermögensinteressen anderer Beteiligter und Geschädigter zur Aufgabe gemacht hat. Daß den Unfallbeteiligten eine besondere Verantwortung für die Aufklärung und Durchsetzung gegnerischer Schadensersatzansprüche zugewiesen sein sollte, erscheint jedoch auf den ersten Blick zweifelhaft und wenig plausibel. Die Schlüsselstellung gerade der Unfallbeteiligten fordert jedenfalls zu einer solchen Zuweisung besonderer Verantwortung nicht heraus. Denn soziale Konflikte, die in der Ungewißheit um das Bestehen vermögensrechtlicher Ansprüche gründen, entstehen nicht nur infolge von Verkehrsunfällen. Dieselbe Lage kann sich bei Unfällen anderer Art, etwa bei Arbeitsunfällen, aber auch praktisch bei jeder vertraglichen Beziehung infolge von Leistungsstörungen ergeben. Immer wenn also eine Person in den „Verdacht" gerät, zur Entstehung eines mutmaßlichen Anspruchs beigetragen zu haben oder dessen Schuldner zu sein, entsteht zwischen ihr und den anderen „Beteiligten", also den möglichen Gläubigern, jener soziale Konflikt, der auch die Schlüsselstellung des Unfallbeteiligten kennzeichnet. Warum aber gerade der Beteiligte an einem Straßenverkehrsunfall für die Wahrung der Interessen der Unfallgegner an der Aufklärung und Durchsetzung ihrer Ansprüche besonders verantwortlich sein soll, während dementsprechende Verantwortlichkeiten etwa für den Verursacher eines Arbeitsunfalls oder für einen Werkunternehmer, der ein mangelhaftes Bauwerk errichtet hat, nicht bestehen, erscheint kaum begründbar. Daß ein unmittelbar einleuchtender Grund für die Überantwortung der Vermögensinteressen der Unfallgegner an die Unfallbeteiligten nicht vorliegt, schließt die Überantwortung andererseits nicht aus.67 Dadurch wird nur der sichere Nachweis der Überantwortung erschwert. Diese Schwierigkeit wird dadurch verstärkt, daß die Zuweisung besonderer Verantwortung an die Unfallbeteiligten in § 142 keinen unmittelbaren Ausdruck gefunden hat. Derartige unmittelbare Hinweise auf die Überantwortung bestimmter Rechtsgutsobjekte enthält das Gesetz immer dort, wo es den Ausdruck 6 6
67
V g l . Teil 1 B.II.3.C).
Solche Motive sind im Zusammenhang mit Kraftfahrzeugen, deren Wertschätzung bekanntlich nicht nur durch ihre Funktion als Verkehrsmittel begründet wird, stets in Betracht zu ziehen.
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„anvertraut" verwendet, etwa in den §§ 133 Abs. 3, 174 Abs. 1 Nr. 1, 2, 174a Abs. 1, 2, 246 Abs. 1 Var. 2. Dieser Ausdruck paßt jedoch nur auf die Fälle zielgerichteter Herbeiführung 68 des den Anknüpfungspunkt der Überantwortung bildenden Zustandes. Der Unfall, der als Wurzel des Konflikts allein den Grund der Überantwortung bei der Unfallflucht darstellen kann69, wird jedoch in aller Regel nicht zielgerichtet herbeigeführt, so daß das Gesetz einen derart klaren Ausdruck nicht verwenden konnte. Ob den Unfallbeteiligten die Vermögensinteressen der Unfallgegner überantwortet sind, kann daher dem Strafgesetz nicht unmittelbar entnommen werden, so daß andere Wege zu beschreiten sind. Zunächst bietet sich ein Vergleich der Unfallflucht mit ausdrücklich positivierten Sonderstraftaten an. Möglicherweise kann die besondere Verantwortung der Unfallbeteiligten aber auch aus anderen Rechtsgebieten abgeleitet werden. Sodann ist die Position des Unfallbeteiligten auf die Merkmale einer Garantenposition zu untersuchen. Schließlich wird zu fragen sein, ob der Gesetzgeber, indem er den Tatbestand der Unfallflucht auf Unfallbeteiligte beschränkte, von einer besonderen Verantwortung dieses Personenkreises ausging.
a) Vergleich mit den §§ 246 Abs. 1 Var. 2, 266, 290 Im Hinblick auf das Problem der Überantwortung kann ein Vergleich der Unfallflucht mit einzelnen Sonderstraftaten hilfreich sein, wenn sich dabei zeigt, daß der Zustand, an den die Überantwortung anknüpft, und die Art seiner Entstehung Gemeinsamkeiten aufweisen. Solche Gemeinsamkeiten würden den Schluß nahe legen, daß hier wie dort den jeweiligen Sondersubjekten bestimmte Verletzungsobjekte zu besonderem Schutz überantwortet sind. Für einen derartigen Vergleich bieten sich zunächst die Tatbestände der Untreue, § 266, der veruntreuenden Unterschlagung, § 246 Abs. 1 Var. 2, und des unbefugten Gebrauchs von Pfandsachen, § 290, an. 70 Denn das von diesen Tatbeständen geschützte Rechtsgut ist zumindest vergleichbar mit demjenigen der Unfallflucht, mag es hier auch um den Schutz einzelner Forderungsrechte, dort aber um das Vermögen als Ganzes (§ 266) bzw. um ein spezielles Vermögensrecht (§§ 246, 290) gehen. Der Zustand, der die Grundlage der Überantwortung bei diesen Sonderstraftaten bildet, kann allgemein als Treueverhältnis bezeichnet werden. Sämtliche 68
Langer, Das Sonderverbrechen, S. 408. Langer, Das Sonderverbrechen, S. 408. 70 Daß es sich hierbei um Sonderstraftaten handelt, wird kaum bezweifelt. A.A. zu § 266 etwa Schönke-Schröder-Lenckner § 266 Rz. 52. 69
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hier herangezogenen Tatbestände sind durch ein solches Treueverhältnis zwischen dem Täter und einer anderen Person gekennzeichnet, das sich von Tatbestand zu Tatbestand lediglich durch seinen gegenständlichen Bezug und graduell unterscheidet. Während es bei §§ 246 Abs. 1 Var. 2, 290 nur hinsichtlich bestimmter, einzelner Sachen besteht, kann es sich bei der Untreue auf das ganze Vermögen des Betreuten erstrecken. Dementsprechend geringer sind die inhaltlichen Anforderungen, die an die Annahme eines derartigen Verhältnisses bei §§ 246 Abs. 1 Var. 2, 290, aber auch bei § 266 Abs. 1 Var. 1 im Vergleich zu § 266 Abs. 1 Var. 2 gestellt werden. So wird etwa durch Sicherungsübereignung ein Treueverhältnis im Sinne des § 246 Abs. 1 Var. 2, nicht aber im Sinne des § 266 Abs. 1 Var. 2 begründet.71 Diese Unterschiede in Einzelheiten verbieten es jedoch nicht, für alle Tatbestände von einem Treueverhältnis zu sprechen. Sieht man nun auf die Art der Entstehung dieser Verhältnisse, so zeigt sich, daß sie zumeist aus Handlungen resultieren, die zielgerichtet auf eine Entstehung dieses Verhältnisses angelegt sind. Das gilt uneingeschränkt bei der rechtsgeschäftlichen Begründung des Treueverhältnisses, die bei §§ 246 Abs. 1 Var. 2 und 290 ganz im Vordergrund steht. Aber auch der behördliche Auftrag im Sinne des § 266 ist ein solcher zielgerichteter Akt. Dies gilt schließlich auch für die gesetzliche Begründung des Treueverhältnisses, bei dem im Unterschied zu den vorgenannten Fällen die Begründung nur nicht im Hinblick auf ein bestimmtes, zwischen individualisierten Personen entstehendes Verhältnis, sondern hinsichtlich einer Vielzahl solcher Verhältnisse zwischen nach abstrakt-allgemeinen Merkmalen beschriebenen Personen erfolgt. Das ändert jedoch nichts an der Zielgerichtetheit auch dieser Entstehungsart. Man kann daher feststellen, daß die Täter der hier herangezogenen Tatbestände nicht unbeabsichtigt, zufällig in ihre Vertrauensstellung geraten, sondern daß ihnen dieses Vertrauen bewußt entgegengebracht wird. Beim Vergleich dieser Gegebenheiten mit der Lage der Unfallbeteiligten erkennt man sofort, daß es sich hier geradezu entgegengesetzt verhält. Nicht nur ist das den Unfall möglicherweise verursachende Verhalten der Beteiligten auf nichts weniger angelegt als darauf, einem anderen Vertrauen entgegenzubringen. Auch ein Treueverhältnis zwischen den Beteiligten entsteht infolge des Unfalls nicht, in der Regel vielmehr dessen Gegenteil. Der Konflikt infolge des Unfalls ist zunächst begleitet von Mißtrauen, oftmals Feindschaft. Die das Treueverhältnis kennzeichnende Fremdnützigkeit fehlt jedenfalls völlig. Der Grund der Überantwortung bestimmter Rechtsgutsobjekte an die Sondersubjekte, der die §§ 246 Abs. 1 Var. 2, 266, 290 gemeinsam kennzeichnet, nämlich das Treueverhältnis, liegt daher bei der Unfallflucht nicht vor. Ein Schluß vom identischen Grund der Überantwortung und seiner Entstehung auf Identität hinsichtlich der Überantwortung selbst ist daher nicht möglich. 71
Schönke-Schröder-Eser § 246 Rz. 29; Schönke-Schröder-Lenckner § 266 Rz. 26.
12 Deichmann
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b) Ableitung aus anderen Rechtsgebieten Wie bereits mehrfach erörtert, ist die Existenz sogenannter außerstrafrechtlicher Sonderpflichten für sich genommen nicht dafür entscheidend, daß es sich bei der betreffenden Straftat um ein Sonderdelikt handelt. Solche Pflichten können aber indizieren, daß den jeweiligen Sondersubjekten ausschnitthaft bestimmte Rechtsgüter überantwortet sind, und zwar immer dann, wenn diese Pflichten als Ausdruck einer besonderen, gerade den Sondersubjekten auferlegten Verantwortung gedeutet werden können. Ein derartiger Nachweis der Überantwortung im Wege der Analyse außerstrafrechtlicher Regelungen führt naturgemäß nur zum Erfolg, wenn solche Regelungen überhaupt existieren, mit anderen Worten, wenn das Strafgesetz zur Kennzeichnung des Sondersubjekts an eine soziale Stellung anknüpft, die anderweitig rechtlich geregelt ist. Beispielhaft sind hier die Sonderstraftaten der Amtsträger und Soldaten zu nennen. Auch bei den Aussagedelikten ergab die Analyse der im Verfahrensrecht geregelten Stellung der Zeugen und Sachverständigen, daß diesem Personenkreis die Rechtspflege ausschnitthaft überantwortet ist. Außerstrafrechtliche Regeln, die die Position des Unfallbeteiligten näher ausgestalten und dessen besondere Verantwortung für die Vermögensinteressen der anderen Beteiligten indizieren könnten, sind jedoch nicht vorhanden. Denn das Gesetz knüpft zur Kennzeichnung der Deliktssubjekte der Unfallflucht nicht an eine schuldrechtliche Beziehung der Unfallbeteiligten untereinander an, sondern begnügt sich mit der Möglichkeit wechselseitiger Ansprüche aus unerlaubter Handlung (§ 823 BGB) bzw. Gefährdungshaftung (§ 7 StVG). Selbst wenn man darüber hinwegsehen wollte, ergäbe sich aus dieser schuldrechtlichen Beziehung nichts für den hier gesuchten Sachverhalt, weil es sich um ein rechtliches Band handelt, das von besonderer Verantwortung für die Interessen des Gläubigers völlig frei ist. Insbesondere sind die Pflichten, die den Unfallbeteiligten aus § 142 auferlegt sind, gerade nicht aus der schuldrechtlichen Beziehung ableitbar.72 Schließlich bedeutet aber auch § 34 StVO keine hier verwertbare, anderweitige rechtliche Ausgestaltung der sozialen Position des Unfallbeteiligten. Denn das Strafrecht verwendet den Begriff des Unfallbeteiligten nicht in Anlehnung an § 34 StVO. Es verhält sich vielmehr umgekehrt. Die dort getroffene Regelung ist nach ihrem Inhalt und nach der mit ihr verfolgten Absicht am Strafrecht ausgerichtet. Sie sollte primär den Inhalt des Straftatbestandes veranschaulichen und dadurch den Verkehrsteilnehmern die Gewähr bieten, bei einem § 34 StVO entsprechenden Verhalten nicht wegen Unfallflucht belangt werden zu können.73 72 73
Vgl.obenTeil3A.II.7. Vgl. dazu die amtliche Begründung, abgedr. bei Jagusch/Hentschel, § 34 StVO Rz. 1.
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Im Hinblick auf die Frage, ob den Unfallbeteiligten die Vermögensinteressen anderer Beteiligter überantwortet sind, können daher aus § 34 StVO keine weitergehenden Schlüsse gezogen werden als aus der Strafvorschrift des § 142 selbst. Ein Nachweis der Überantwortung durch Analyse außerstrafrechtlicher Pflichten der Unfallbeteiligten ist daher nicht möglich.
c) Merkmale einer Garantenposition bei Unfallbeteiligten Die Überantwortung der Vermögensinteressen der anderen Beteiligten und Geschädigten an die Sondersubjekte des § 142 kann möglicherweise durch einen Vergleich der Position des Unfallbeteiligten mit den im Rahmen des § 13 anerkannten Garantenstellungen nachgewiesen werden. Die aus einem Begehungstatbestand in Verbindung mit § 13 gebildeten Garantenunterlassungsdelikte sind Sonderdelikte.74 Die jeweilige Garantenposition muß daher die Voraussetzungen und die Merkmale der Sonderunrechtsbegründung aufweisen. Dementsprechend können nicht nur bestimmte Tätereigenschaften, die in den Sonderdelikten tatbestandlich vorausgesetzt sind, ζ. B. die Amtsstellung, als Garantenpositionen aufgefaßt werden.75 Auch umgekehrt kann, wenn die Stellung eines bestimmten Täterkreises die Merkmale einer Garantenposition aufweist, geschlossen werden, daß es sich bei dem auf den betreffenden Täterkreis subjektiv beschränkten Delikt um eine Sonderstraftat handelt. Dieser Schluß ist allerdings nur unter der - an sich selbstverständlichen Voraussetzung möglich, daß die jeweilige Garantenposition die Voraussetzungen und Merkmale der Sonderunrechtsbegründung auch tatsächlich aufweist. Dementsprechend kann der Vergleich der Stellung der Unfallbeteiligten mit verschiedenen Garantenpositionen im Rahmen dieser Argumentation nur der erste Schritt sein. Stellt sich dabei heraus, daß die Position des Unfallbeteiligten die Merkmale einer Garantenstellung aufweist, wäre weiter zu untersuchen, ob diese Stellung ihrerseits den Voraussetzungen und Merkmalen der Sonderunrechtsbegründung entspricht.76 Unter diesem Vorbehalt können nunmehr einzelne Garantenpositionen mit der Stellung des Unfallbeteiligten verglichen werden. 74
LK-Roxin § 28 Rz. 40; Langer, Das Sonderverbrechen, S. 503 ff.; Schmidhäuser AT2 16/ 10; a.A. Schönke-Schröder-Cramer § 28 Rz. 19; Lackner, § 28 Rz. 6. 75 Schönke-Schröder-Stree § 13 Rz. 31. 76 Dieser Nachweis ist bei einigen als Garantenposition anerkannten Sachverhalten zumindest sehr problematisch, insbesondere bei der Ingerenz; vgl. dazu Langer, Das Sonderverbrechen, S. 504.
12
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aa) Ingerenz Die Unfallflucht könnte sich als eine Straftat darstellen, deren Täter aufgrund gefährlichen Vorverhaltens, also kraft Ingerenz, zum Schutz der Vermögensinteressen anderer Beteiligter und Geschädigter berufen sind. Im Grundsatz beruht die Garantenposition aus Ingerenz auf dem Gedanken, daß derjenige, der durch sein Verhalten die Gefahr für den Eintritt eines schädlichen Erfolges geschaffen hat, verpflichtet ist, den Eintritt dieses Erfolges zu verhindern. 77 Dies scheint auf die Unfallbeteiligten zuzutreffen. Denn sie sind nach § 142 Abs. 4 dadurch gekennzeichnet, daß sie möglicherweise einen Unfall verursacht haben, sei es durch Teilnahme am Straßenverkehr, sei es durch eine sonstige, auf den Verkehr einwirkende Handlung. Ihr dem Unfall vorhergehendes Verhalten muß also unfallträchtig, in gewissem Sinn also gefährlich gewesen sein. Aufgrund dieses Verhaltens könnte man die Unfallbeteiligten für verpflichtet halten, wenn schon der Unfall nicht vermieden wurde, so zumindest dessen nachteilige Folgen für das Vermögen der anderen Beteiligten und Geschädigten durch zweckmäßige Beiträge zur Aufklärung des Unfallgeschehens zu verhindern. Speziell bei der Straftat des § 142 Abs. 2 wirkt der Gedanke der Ingerenz einleuchtend, wenn man das gefahrbegründende Vorverhalten insoweit nicht in der möglichen Unfallverursachung, sondern in dem berechtigen bzw. entschuldigten Verlassen des Unfallorts sieht. Hier soll nach einer im Schrifttum vertretenen Ansicht der Ingerenzgedanke tatbestandlichen Ausdruck gefunden haben, und zwar ausnahmsweise sogar für rechtmäßiges Vorverhalten. 78 Die mögliche Unfall Verursachung durch den Täter des § 142 als gefahrbe-
gründendes Vorverhalten im Sinne der Ingerenz aufzufassen, begegnet jedoch bei genauerem Hinsehen ernsthaften Zweifeln. Zum einen genügt es nicht, daß die Vorhandlung eine Gefahr für den Eintritt irgendwelcher schädlicher Erfolge begründet. Sie muß gerade die Rechtsgutsobjekte gefährden, die der jeweilige Tatbestand schützt. Bei der Unfallflucht müßte also das Vorverhalten die Realisierung der Schadensersatzansprüche der anderen Beteiligten und Geschädigten gefährden. Indessen geht von einem Verhalten, das möglicherweise einen Unfall verursacht hat, für diese Ansprüche keinerlei Gefahr aus, weil sie im Augenblick dieses Handelns noch gar nicht existieren. Gefahr droht vielmehr ausschließlich anderen Rechtsgütern, insbesondere Leib, Leben und Eigentum anderer Verkehrsteilnehmer. Erst die Verwirklichung dieser Gefahr führt unter Umständen zur Haftung des Unfallbeteiligten und damit zur Entstehung der Ersatzansprüche. Die Ungewißheit, die hinsichtlich dieser Ansprüche nach dem Unfall besteht, kann zwar ihrerseits als Gefahr für deren Durchsetzung angesehen werden. Dieser Mangel haftet den Ansprüchen aber mit ihrer Entstehung an, wäh77 78
Schönke-Schröder-Stree § 13 Rz. 32; Lackner, § 13 Rz. 11. Maurach/Schroeder/Maiwald, BT1, S. 531.
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rend es bei der Ingerenz nur um die Gefährdung eines zuvor ungefährdeten oder jedenfalls nicht in dieser Weise gefährdeten Objekts geht.79 Zum anderen erfordert eine Garantenstellung aus Ingerenz ein pflichtwidriges Vorverhalten. 80Pflichtwidrigkeit ist indessen kein notwendiges Merkmal des Verhaltens, das einen Unfall möglicherweise verursacht hat. Auf die Pflichtwidrigkeit wie im übrigen auf das Verschulden kommt es für die Frage, ob eine Person die Merkmale des § 142 Abs. 4 aufweist, nicht an. Besonders anschaulich zeigt dies die Entscheidung des Bundesgerichtshofs in BGHSt 25,218. Während hier am Tatbestand der Unfallflucht mit keinem Wort gezweifelt wurde, verneinte der BGH eine Garantenposition des Angeklagten für das Unfallopfer aus Ingerenz, weil ein pflichtwidriges Vorverhalten nicht feststellbar war. Das den Unfallbeteiligten kennzeichnende Verhalten, die mögliche Verursachung des Unfalls, stellt somit weder ein das geschützte Rechtsgut gefährdendes noch notwendig pflichtwidriges Tun dar. Es weist daher nicht die Merkmale eines Vorverhaltens im Sinne der Ingerenz auf. Abschließend ist noch auf die Auffassung einzugehen, die das berechtigte bzw. entschuldigte Verlassen des Unfallorts im Rahmen des § 142 Abs. 2 als tatbestandlich erfaßten Fall der Ingerenz begreift. Die zusätzliche Subjektskreiseinschränkung in § 142 Abs. 2, wo nur noch Unfallbeteiligte, die berechtigt, entschuldigt oder nach angemessener Wartezeit den Unfallort verlassen haben, erfaßt werden, hat die Funktion einer Subsidiaritätsklausel.81 Es handelt sich daher nicht um einen Sonderunrechtstatbestand, so daß in § 142 Abs. 2 kein von § 142 Abs. 1 verschiedenes Sonderunrecht beschrieben sein kann. Darauf scheint jedoch die Annahme einer Garantenstellung aus Ingerenz bei den in § 142 Abs. 2 genannten Unfallbeteiligten hinauszulaufen. Daß indessen die Pflicht der Unfallbeteiligten, nachträglich Feststellungen zu ermöglichen, nur auf dem Subsidiaritätsgedanken, nicht aber auf Ingerenz beruht, ist leicht darzulegen. Die Pflicht ergibt sich nämlich allein daraus, daß der Unfallbeteiligte sie nicht schon am Unfallort erfüllt hat. Mit anderen Worten handelt es sich bei der Pflicht, nachträglich Feststellungen zu ermöglichen, nur um die fortbestehende, schon am Unfallort entstandene Pflicht, zu den unfallrelevanten Festellungen beizutragen. Würde sie dagegen auf Ingerenz beruhen, so müßte dargelegt werden, daß das Verlassen des Unfallortes eine erhöhte Gefahr für die Realisierung der Ersatzansprüche der anderen Beteiligten begründet hat. Das mag zwar im Einzelfall so sein, ist aber nicht generell anzunehmen. Insbesondere dienen aber die nachträglichen Feststellungen gerade nicht dazu, diese erhöhte Gefahr zu besei79
Schönke-Schröder-Stree § 13 Rz. 32. So die überwiegende Ansicht im Schrifttum (vgl. zum Meinungsstand Schönke-SchröderStree § 13 Rz. 35) und wohl auch der Standpunkt der Rechtsprechung des BGH seit BGHSt 23,327 f.; 25,218 (221 f.). 81 Vgl. Teil 3 B.I.2. 80
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Teil 3: Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort
tigen, sondern sollen die ursprüngliche Ungewißheit hinsichtlich der Haftungsfrage klären. Insgesamt gleicht daher die Position des Unfallbeteiligten nicht der Garantenstellung, deren Entstehung auf Ingerenz beruht.
bb) Beherrschung einer Gefahrenquelle Die zweite, mit der Position des Unfallbeteiligten zu vergleichende Garantenstellung ist diejenige aus der Verantwortung für bestimmte Gefahrenquellen. Aufgrund dieser Garantenstellung hat der Eigentümer, Halter oder Besitzer bestimmter Sachen die Pflicht, die Schädigung fremder Rechtsgüter infolge der von der Sache ausgehenden Gefahren zu verhindern. 82 Die Frage, ob die Position des Unfallbeteiligten die Merkmale dieser Garantenstellung aufweist, ist also dahin zu stellen, ob er für eine bestimmte, die Vermögensinteressen der Unfallopfer gefährdende Sache die Verantwortung trägt. Bekanntlich handelt es sich bei den Ereignissen, die Anlaß zu einer Unfallflucht geben, nahezu ausnahmslos um Verkehrsunfälle mit Kraftfahrzeugen. Auf Ol
diesen Regelfall ist der Tatbestand des § 142 auch zugeschnitten , weil der Unfallbeteiligte u. a. die Feststellung „seines Fahrzeugs" zu ermöglichen hat. Sogar ausschließlich auf den Führer eines Kraftfahrzeugs und damit auf eine Person, die eine Gefahrenquelle beherrscht, stellte § 22 KFG ab, eine Vorschrift, die das Delikt der Unfallflucht erstmals zum Vergehen erhob. 84 Hinsichtlich des § 22 KFG liegt eine Verbindung zwischen der Beherrschung einer Gefahrenquelle und darauf beruhender Überantwortung der Rechtsgutsobjekte besonders nahe. Fragt man sich, zunächst bezüglich dieser Vorschrift, ob der „Führer eines Kraftfahrzeugs" als Garant für die Vermögensinteressen der Unfallopfer anzusehen ist, weil er eine deren Vermögen gefährdende Sache beherrscht, so taucht sofort ein schon im vorhergehenden Abschnitt erörtertes Problem auf. Der zu einem Unfall führende Betrieb des Kraftfahrzeugs gefährdet zwar das Leben, die Gesundheit und das Eigentum anderer Personen.85 Daher kann man den Halter und den Führer eines Kraftfahrzeugs in gewissem Umfang als Garanten für die Unversehrtheit dieser Güter ansehen. Die aus dem Unfall resultierenden Ersatzansprüche werden dagegen durch den dem Unfall vorhergehenden Betrieb des 82
Schönke-Schröder-Stree § 13 Rz. 43. Schmidhäuser, BT 11/78. 84 Zu Vorläufern der Vorschrift des § 22 KFG vgl. Dünnebier, GA 57,33. 85 Deshalb wird dem Halter und dem Führer eine besonders strenge Haftung auferlegt, §§7, 18 StVG. 83
Β. Anwendung der Sonderdeliktsdefinition
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Fahrzeugs nicht gefährdet, sondern entstehen erst durch ihn. Die Auffassung, daß den motorisierten Verkehrsteilnehmer eine Art Garanten- oder Sonderpflicht treffe, weil er eine besondere Gefahrenquelle zu seiner Fortbewegung einsetze86, trifft daher nicht zu. Eine „Gefahr" für die Ersatzansprüche der Unfallopfer bildet das Kraftfahrzeug allenfalls dadurch, daß es zur Flucht verwendet wird, weil der Täter infolge der Geschwindigkeit des Fahrzeugs eine vergleichsweise gute Chance besitzt, sich den Feststellungen zu entziehen.87 Dieser Gedanke mag zwar ursprünglich ein Motiv des Gesetzgebers zur Schaffung des § 22 KFG gewesen sein. Es hat aber schon in diesem Tatbestand keinen Ausdruck gefunden. Denn dieser setzt keine motorisierte Flucht voraus, sondern läßt jedes, gleichgültig wie bewirktes Verlassen des Unfallortes genügen. Der Führer eines Kraftfahrzeugs ist also auch nicht deshalb Garant der Vermögensinteressen der Unfallopfer, weil er über ein besonders gefährliches Fluchtmittel verfügt. Wendet man sich schließlich wieder dem Tatbestand des § 142 zu, so zeigt es sich hier erst recht, daß eine Garantenstellung des Unfallbeteiligten aufgrund der Verantwortung für die Gefahrenquelle „Kraftfahrzeug" nicht vorliegt. Denn die in § 22 KFG noch enthaltene Beschränkung auf Kraftfahrer wurde durch die oo
Neufassung der Vorschrift in § 139a aufgegeben. Mit der Erstreckung des Tatbestandes auf sonstige Verkehrsteilnehmer, sogar auf Personen, die nicht am Verkehr beteiligt sind, ist die Annahme einer Garantenposition aus der Beherrschung einer verkehrstypischen Gefahrenquelle unvereinbar.
cc) Betrugsspezifische Aufklärungspflichten Die Pflicht des Unfallbeteiligten, die unfallrelevanten Feststellungen zu ermöglichen, gleicht in zweierlei Hinsicht der Aufklärungspflicht, die für die Begehung eines Betrugs durch Unterlassen vorausgesetzt wird. Denn nicht nur zielen beide Pflichten auf den Schutz fremden Vermögens; dieser Schutz soll auch durch Information über bestimmte Tatsachen bewirkt werden. Daß im einen Fall eine bestimmte Fehlvorstellung beseitigt oder verhindert, im anderen dagegen schlichte Unkenntnis behoben werden soll, erscheint demgegenüber als unerheblicher Unterschied. Diese Ähnlichkeit veranlaßt die Frage, ob nicht möglicherweise die Position des Unfallbeteiligten selbst die Merkmale einer jener 86
Schmidhäuser, BT 11/81,78. Rietzsch, DJ 1940, 534 nennt dies als Grund für die Beschränkung des § 22 KFG auf Kraftfahrzeugführer. 88 Verordnung zur Änderung der Strafvorschriften über fahrlässige Tötung, Körperverletzung und Flucht bei Verkehrsunfällen vom 2.4.1940, RGBl I S. 606. 87
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Garantenstellungen aufweist, die typischerweise zur Entstehung von Aufklärungspflichten führen. Soweit in diesem Zusammenhang die Ingerenz genannt wird 89 , muß hierauf allerdings nicht nochmals eingegangen werden. Auch vertragliche Beziehungen, die zur Entstehung von Aufklärungspflichten führen können90, kennzeichnen jedenfalls nicht die Position des Unfallbeteiligten. Denn zwischen ihm und den anderen Beteiligten existiert allenfalls ein gesetzliches Schuldverhältnis aus den §§ 823 BGB, 7,18 StVG. Aus diesem Schuldverhältnis selbst ergibt sich aber auch unter Berücksichtigung von Treu und Glauben nicht die Pflicht, an der Beseitigung der Ungewißheit über sein Bestehen mitzuwirken. Schließlich ist daher zu fragen, ob die Pflicht des Unfallbeteiligten, Feststellungen zu ermöglichen, einer gesetzlich begründeten Aufklärungspflicht gleicht. Gesetzlich begründete Aufklärungspflichten gelten im Rahmen des Betrugstatbestandes nur dann als Garantenpflichten, wenn sie mit einem besonderen Vertrauensverhältnis in Verbindung stehen. Dies ist ζ. B. bei den aus §§ 60 I SGB, 666 BGB folgenden Pflichten der Fall, nicht aber bei der allgemeinen Wahrheitspflicht der Partei gemäß § 138 ZPO. 91 Sicherlich ergibt sich die Pflicht des Unfallbeteiligten, die Feststellungen zu ermöglichen, aus einem Gesetz, nämlich unmittelbar aus § 142 . Dagegen fehlt offensichtlich die Verbindung mit einem besonderen Vertrauensverhältnis. Zwischen den Unfallbeteiligten besteht vielmehr ein Konflikt, der auf der Ungewißheit über die Haftungsfrage beruht. Wenn das Strafgesetz den Unfallbeteiligten, der in diesem Konflikt eine Parteirolle einnimmt, zur Mitwirkung an der Behebung der Ungewißheit verpflichtet, so erstreckt es gewissermaßen die prozessuale Wahrheitspflicht auf ein vorprozessuales Stadium des Streites. Wenn aber § 138 ZPO keine Garantenpflicht begründet, so kann für eine im Typus gleiche Pflicht wie die des Unfallbeteiligten nichts anderes gelten. Die Position des Unfallbeteiligten weist daher nicht die Merkmale einer Garantenstellung auf, die typischerweise eine strafrechtlich relevante Aufklärungspflicht begründet.
dd) Gemeinschaftsbeziehungen der Verkehrsteilnehmer untereinander Die letzte auf Ähnlichkeit mit der Position des Unfallbeteiligten zu überprüfende Garantenstellung ist diejenige, die auf bestimmten Gemeinschaftsbezie89 90 91
Schönke-Schröder-Cramer § 263 Rz. 20. Schönke-Schröder-Cramer § 263 Rz. 22. Schönke-Schröder-Cramer § 263 Rz. 21.
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hungen beruht. 92 Diese Garantenstellung im vorliegenden Zusammenhang überhaupt zu erörtern, mag zunächst befremden. Denn wie schon oben festgestellt, sind die Unfallbeteiligten Antipoden eines sozialen Konflikts. 93 Dennoch sind solche Gemeinschaftsbeziehungen behauptet worden, allerdings im Hinblick auf die Eigenschaft der Unfallbeteiligten als Verkehrsteilnehmer: „Der Gedanke setzte sich durch, daß alle Verkehrsteilnehmer eine Verkehrsgemeinschaft bilden, daß jeder an seinem Teil durch Beachtung der Verkehrsregeln einen glatten Ablauf der Verkehrsvorgänge zu fördern, Verkehrsdisziplin zu üben und die Verantwortung für die Wahrung der Interessen aller Verkehrsteilnehmer mitzutragen hat. Tritt ein Unfall ein, so geht das Interesse der Verkehrsgemeinschaft dahin, daß die Ursachen eine möglichst erschöpfende Aufklärung finden, damit ... etwaige strafbare Handlungen ,zum Schutz der Volksgemeinschaft, zur Sühne der Tat und zur Festigung des Willens zur Gemeinschaft4 geahndet und zivilrechtliche Ansprüche nach den Geboten der Gerechtigkeit befriedigt werden. Alle diese Interessen sind der Verkehrsgemeinschaft gemeinsam und einander gleichberechtigt. Zum Zweck ihrer Wahrung sind alle Verkehrsteilnehmer, die für die Verursachung des Unfalls in Frage kommen, gleichermaßen verpflichtet, sich und gegebenenfalls ihr Fahrzeug zur Aufklärung des Sachverhalts zur Verfügung zu stellen."94 Zu diesen Ausführungen ist zunächst zu bemerken, daß sie nicht den Sonderdeliktscharakter der Unfallflucht, sondern gerade dessen Gegenteil begründen sollen. Sie sollen nach der Absicht des Autors rechtfertigen, daß der Täterkreis des § 22 KFG, eines „Sonderdelikts des Lenkers eines Kraftfahrzeugs" 95, auf alle Verkehrsteilnehmer, die nach den Umständen den Unfall verursacht haben könnten, erweitert wurde. Als Begründung für die Erweiterung des Täterkreises sind die angeführten Äußerungen für das hier zu untersuchende Problem jedoch belanglos. Ungeachtet der anderen Intention des Autors berühren diese Äußerungen aber auch inhaltlich die Frage nach dem Sonderdeliktscharakter der Unfallflucht. Denn mit der Behauptung, jeder Verkehrsteilnehmer trage als Mitglied der Verkehrsgemeinschaft Verantwortung für die Interessen anderer Verkehrsteilnehmer und sei deshalb verpflichtet, an der Aufklärung von Unfallursachen mitzuwirken, wird nichts anderes gesagt, als daß jeder Verkehrsteilnehmer aufgrund dieser Gemeinschaft Garant für das nach einem Unfall entstehende Aufklärungsinteresse der Verkehrsgemeinschaft und ihrer Mitglieder sei. Ob diese Behauptung zutrifft, ist nunmehr zu überprüfen.
92
Schönke-Schröder-Stree § 13 Rz. 23. Teil 3 B.I.l. 94 Rietzsch DJ 1940, S. 535; eingehend zur „Verkehrsgemeinschaft" auch Freisler DJ 1940, S. 525 ff. 95 Rietzsch DJ 1940, S. 537. 93
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Zunächst muß bezweifelt werden, daß die Pflicht, an der Aufklärung des Unfalls mitzuwirken, eine gemeinschaftsbezogene, d. h. der Gemeinschaft dienende Pflicht darstellt. 96 Denn das Aufklärungsinteresse besteht unter Umständen nicht nur bei anderen Verkehrsteilnehmern, sondern auch bei Personen, die nicht am Verkehr teilnehmen, aber gleichwohl durch einen Unfall geschädigt wurden. § 142 in seiner heutigen Fassung bringt dies mit der Unterscheidung von „anderen Unfallbeteiligten" und „Geschädigten" klar zum Ausdruck, es galt aber auch für § 142 a.F.97 Wenn also der Tatbestand der Unfallflucht eine Pflicht voraussetzt, die nicht nur dem Interesse der „Verkehrsgemeinschaft" und ihrer Mitglieder dient, handelt es sich insoweit nicht um eine gemeinschaftsbezogene Pflicht, so daß die Zugehörigkeit des Täters zu dieser Gemeinschaft nicht den sachlichen Grund seiner Pflicht bilden kann. Schließlich trifft aber auch die Behauptung, es gebe eine Verkehrsgemeinschaft aller Verkehrsteilnehmer, nicht zu. Die Tatsache, daß viele dasselbe tun, nämlich am Verkehr teilzunehmen, begründet als solche keine Gemeinschaft unter diesen Personen. Eine Gemeinschaft ist entscheidend geprägt durch die innere Verbundenheit ihrer Mitglieder. Dieses Moment fehlt aber im Verhältnis der Verkehrsteilnehmer, die sich in dieser Sphäre lediglich als Einzelpersonen gegenüberstehen. Dementsprechend sind die Verkehrsteilnehmer auch nicht durch einen gemeinschaftlichen Zweck, etwa den, die Gefahren des Straßenverkehrs gemeinsam zu bestehen, verbunden. Die Aufgabe, Schäden, Gefahren, Behinderungen und Belästigungen anderer zu vermeiden (§ 1 Abs. 2 StVO), wird vielmehr von der Allgemeinheit an jeden einzelnen Verkehrsteilnehmer herangetragen. Die Behauptung der Existenz einer Verkehrsgemeinschaft entbehrt daher jeder tatsächlichen Grundlage. Sie ist, soweit sie in den eingangs zitierten Quellen Ausdruck gefunden hat, ein Abbild der national-sozialistischen Rechtsideologie, wonach das Recht wesentlich durch seinen Bezug auf Gemeinschaften, insbesondere die „Volksgemeinschaft" geprägt ist. Soweit nach heutigem Rechtsverständnis Gemeinschaftsbeziehungen Garantenpositionen begründen können, liegen deren Merkmale bei Verkehrsteilnehmern jedenfalls nicht vor. Damit hat sich gezeigt, daß die Position des Unfallbeteiligten auch nicht die Merkmale einer Garantenposition aufgrund besonderer Gemeinschaftsbeziehungen aufweist. Der Versuch, die Überantwortung der Vermögensinteressen anderer Unfallbeteiligter und der Geschädigten an die Deliktssubjekte des § 142 durch einen Vergleich verschiedener Garantenstellungen mit der Position der Unfallbeteiligten nachzuweisen, hat somit zu keinem positiven Ergebnis geführt. 96 Und daraufkommt es doch für die national-sozialistische Rechtsauffassung, die die Identität von Recht und Gemeinschaftsdienlichkeit betonte, besonders an. 97 Tatbestandlich identisch mit § 139a StGB i.d.F. der Verordnung vom 2.4.1940, RGBl. I, S. 606.
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d) Beschränkung des Täterkreises als Indiz für Überantwortung Wenn dem Strafgesetz die Überantwortung nicht ausdrücklich entnommen werden kann und die Sachverhalte, die bei zahlreichen Sonderstraftaten, insbesondere auch bei den Garantenunterlassungsdelikten, zur Überantwortung führen, bei den Deliktssubjekten der Unfallflucht auch nicht in ähnlicher Form vorliegen, ist schließlich zu fragen, ob nicht allein die Tatsache, daß der Gesetzgeber den Tatbestand der Unfallflucht auf Unfallbeteiligte beschränkt hat, die Überantwortung indiziert. Es läßt sich allerdings keine Vermutung des Inhalts aufstellen, daß in der Regel ein subjektiv-eingeschränkter Tatbestand auch ein Sonderdelikt enthalte. Die Motive des Gesetzgebers, die zu dieser Einschränkung geführt haben, können aber Aufschluß darüber geben, ob nach der Auffassung des Gesetzgebers die Strafwürdigkeit der Unfallflucht nur auf der besonderen Gefährlichkeit eines Rechtsgutsangriffs gerade dieser Personen oder auch darauf beruht, daß sie in einer besonders verantwortlichen Position gescheitert sind. Daß gerade den Unfallbeteiligten das Verlassen des Unfallortes verboten bzw. die Ermöglichung nachträglicher Feststellungen geboten wird, hat seinen Grund einerseits in der besonderen Gefährlichkeit der Flucht des Beteiligten für das geschützte Rechtsgut. Die Gefahr, daß Ersatzansprüche nicht durchgesetzt werden können, weil sich der mögliche Schuldner den Feststellungen entzieht, ist gerade unter den Verhältnissen des Straßenverkehrs besonders groß. 98 Andererseits soll die Pflicht, zu den Feststellungen beizutragen, die Selbsthilfe erübrigen bzw. Ersatz für fehlende Selbsthilfemöglichkeiten bieten. Denn Selbsthilfe etwa durch Verfolgung einesflüchtigen Kraftfahrers erscheint nicht nur zu gefährlich, sondern auch wenig erfolgversprechend. 99 Diese Motive setzen bei dem jeweiligen Unfallbeteiligten eine mehr oder weniger starke, aber naheliegende Fluchttendenz voraus, deren Vorhandensein auch empirisch bestätigt ist. 1 0 0 Die Strafdrohung muß und will sich dementsprechend nur gegen den Personenkreisrichten, bei dem solche Fluchttendenzen zu erwarten sind. Gerade gegenüber den Unfallbeteiligten soll also die Fluchttendenz gehemmt, soll ein generalpräventiv wirksames Gegenmotiv zur Flucht geschaffen werden. Neben dieser kriminalpolitischen Absicht taucht die Erwägung, der Unfallbeteiligte scheitere mit seiner Flucht an einer besonderen Verantwortung, nirgends auf. Dieser Umstand ist auch leicht begründbar. Der Gesetzgeber setzt mit dem 98
AK-Schild § 142 Rz. 24-26. AK-Schild § 142 Rz. 42; Dünnebier GA 57, S. 35,44 f. 100 Vgl. AK-Schild § 142 Rz. 20 ff.; insbesondere Alkoholisierung ist ein verbreiteter Fluchtgrund. 99
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Unfallbeteiligten einen latent zur Flucht bereiten Täter voraus. Dessen tatsächlich erfolgte Flucht überrascht daher letztlich nicht. Bei den typischen Sonderstraftaten, deren gesteigerte Strafwürdigkeit auf der Mißachtung besonderer Verantwortung beruht, verhält es sich dagegen gerade umgekehrt. Hier wird vom Täter Schutz bzw. Respekt für das Rechtsgut jedenfalls in größerem Maß als von der Allgemeinheit erwartet. Diese Erwartung wird enttäuscht, nicht wie bei der Unfallflucht - ihr Gegenteil bestätigt, wenn ein Amtsträger die Verfolgung einer Straftat vereitelt, der Vater sein Kind mißhandelt oder der Vormund Geld des Mündels unterschlägt. Bei Sonderstraftaten kann man gewissermaßen von dem Täter sagen, er habe die Tat begangen, obwohl er doch Amtsträger, Vater, Vormund, also: Sondersubjekt ist. Dieser Satz gibt bei der Unfallflucht keinen Sinn. Hier bestätigt sich die Erwartung, die dem Tatbestand zugrunde liegt: Der Unfallbeteiligte flieht, gerade weil er Unfallbeteiligter ist.
4. Ergebnis Es ist nicht gelungen, die Übertragung einer besonderen Schutzaufgabe an die Deliktssubjekte der Unfallflucht nachzuweisen. Obwohl das Merkmal des Unfallbeteiligten bei abstrakter Betrachtung geeignet ist, Sonderunrecht zu beschreiben, und den Unfallbeteiligten auch eine Schlüsselstellung für die Aufklärung und Durchsetzung der Ansprüche anderer Beteiligter zukommt, fehlt es am wesentlichen Kern des materiellen Sonderunrechts, der Überantwortung. Die Straftat des unerlaubten Entfernens vom Unfallort gemäß § 142 Abs. 1 und Abs. 2 ist daher kein Sonderdelikt.
Teil 4: Verkehrsstraftaten Α. Einleitung Die letzte Gruppe von Straftaten, die im Rahmen dieser Abhandlung auf ihren Sonderdeliktscharakter untersucht werden soll, bilden Delikte, die sich auf den Verkehr beziehen und deshalb hier mit der Sammelbezeichnung „Verkehrsstraftaten" benannt werden sollen. Anders als bei den Aussagedelikten und der Unfallflucht ist die Frage, ob es sich bei diesen Straftaten um Sonderdelikte handelt, für die praktische Rechtsanwendung von geringer Bedeutung. Zwar nehmen die Straftaten alkoholisierter Kraftfahrer in der Praxis der Strafgerichte zahlenmäßig eine hervorragende Stellung ein,1 jedoch erfolgen Verurteilungen in der Regel aus den Fahrlässigkeitstatbeständen der §§ 316 Abs. 2, 315c Abs. 3 Nr. 2? Infolgedessen taucht die Frage der Teilnehmerstrafbarkeit und der durch § 28 Abs. 1 vorgeschriebenen Strafmilderung nur selten auf, wobei aber zu beachten ist, daß die Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen der §§ 315a Abs. 3 Nr. 1, 315c Abs. 3 Nr.l gemäß § 11 Abs. 2 insgesamt Vorsatztaten und damit Haupttaten im Sinne der §§ 26, 27 sind. Auch die Anwendung des § 14, für die es auf das Vorliegen besonderer persönlicher Merkmale ankommt, steht bei den Verkehrsstraftaten nur ausnahmsweise zur Debatte, nämlich allenfalls bei den Halterdelikten des § 21 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1, 3 StVG, während bei den Straftaten, deren Tathandlung durch das Führen eines Fahrzeugs gekennzeichnet ist, auf der Hand liegt, daß dieses Verhalten nicht in Vertretung eines anderen vorgenommen werden kann. Entsprechend der geringen Bedeutung für die Rechtsanwendung wird auch in der Wissenschaft, von einigen Ausnahmen abgesehen, nur wenig Mühe aufgewendet, um die Einordnung der Verkehrsstraftaten als Sonder- oder Gemeindelikte zu rechtfertigen. Eingehende wissenschaftliche Behandlung und höchstrichterliche Entscheidung erfuhr lediglich die Frage, ob die Straftaten der §§ 315c Abs. 1 Nr. 1, 3163 täterschaftlich von Personen begangen werden können, die nicht selbst das Fahrzeug geführt haben,4 bzw. ob solche Personen we1
Maurach-Schroeder-Maiwald, BT 2, S. 26. Bödecker, DAR 69, S. 281. 3 Bzw. § 315a Abs. 1 Nr.2 StGB i.d.F. des 1. Straßenverkehrssicherungsgesetzes vom 19.12.1952. 4 BGHSt 18,6; Schröder, FS-v.Weber, S. 233 ff. 2
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Teil 4: Verkehrstraftaten
gen Teilnahme an unvorsätzlicher Haupttat bestraft werden können.5 Während das letztere Problem durch die Reform des Allgemeinen Teils der Diskussion weitgehend entzogen wurde, steht die erste Frage zwar im Zusammenhang mit der möglichen Sonderdeliktsnatur der Verkehrsstraftaten. Denn diese Eigenschaft würde die Täterschaft Extraner ohne weiteres ausschließen. Gerade im Bereich der Trunkenheitsfahrten aber wird dieses Problem überlagert durch die Eigenhändigkeit dieser Delikte. Schon dieser Umstand schließt jedenfalls die mittelbare Täterschaft Dritter aus. Dementsprechend wurde bei der Erörterung dieser Fragen das Problem der Eigenhändigkeit nicht von dem ganz anderen Problem des Sonderdeliktscharakters dieser Straftaten getrennt.6 Daß mittelbare Täterschaft schon wegen Eigenhändigkeit ausgeschlossen ist, bejahte schließlich auch der Bundesgerichtshof 7, so daß für die abschließende Klärung des Sonderdeliktscharakters der Verkehrsstraftaten jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Täterschaft von Personen, die nicht selbst das Fahrzeug führten, kein Bedürfnis mehr bestand. Gleichwohl wird die Frage, ob die Verkehrsstraftaten Sonderdelikte sind, nach wie vor kontrovers beurteilt. Dieser Umstand und die wenn auch seltenen - Fälle vorsätzlicher Tatbegehung, in denen eine Anwendung des § 28 Abs. 1 auf Teilnehmer in Frage kommen könnte, rechtfertigen die hier beabsichtigte Untersuchung. Ihr Gegenstand sind die Verkehrsstraftaten. Diese Sammelbezeichnung entspricht weder einem bestimmten Abschnitt des Besonderen Teils noch weist sie systematische Bedeutung auf, sondern wird hier nur der Einfachheit halber verwendet und bedarf daher der Präzisierung. Zu den Straftaten mit Bezug auf den Verkehr, insbesondere den Straßenverkehr, gehören innerhalb des Strafgesetzbuchs die §§ 315-316c, ferner die bereits erörterte Unfallflucht. Weitere derartige Straftaten finden sich in den §§ 21-22a StVG, in § 6 PflVG und in den §§ 59, 60, 62 LuftVG. Aus der Vielzahl dieser Straftaten können von vornherein die §§ 315, 315b, 316a-c StGB und die §§ 22, 22a StVG von einer näheren Betrachtung ausgeschlossen werden. Denn hier ist evident, daß es sich nicht um Sonderstraftaten handelt. Ferner können die Vorschriften des Luftverkehrsrechtes hier nur am Rande behandelt werden. Die Gliederung des verbleibenden Materials, also der Straftaten gemäß den §§ 315a, 315c, 316 StGB, 21 StVG, 6 PflVG, erweist sich als problematisch. Denn der Gesetzgeber hat etwa in den §§ 315a, 315c StGB, 21 StVG unter einem Paragraphen sehr viele, ganz verschiedene Straftaten zusammengefaßt. Die Vielfalt, die hier unter einer Überschrift vereinigt wurde, wird im Fall des 5 Engisch, FS-Eb.Schmidt, S. 109 ff.; Rudolphi, GA 70, S. 353; vgl. auch Bödecker, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 35 ff., 176 ff. 6 Bei Schröder, FS-v.Weber, S. 233 ff., findet diese Vermischung schon im Titel seines Beitrags Ausdruck. 7 BGHSt 18,6 (8 f.).
Β. Das Rechtsgut der Verkehrsstraftaten
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§ 315c Abs. 1 Nr. 2, insbesondere aber des § 315a Abs. 1 Nr. 2 dadurch noch unübersichtlicher, daß es sich bei diesen Vorschriften um Blankettstrafgesetze handelt, so daß die tatbestandsmäßigen Handlungen nur unter Zuhilfenahme anderer Rechtsnormen ermittelt werden können. Andererseits ordnet der Gesetzgeber völlig identische Handlungen unterschiedlichen Paragraphen zu, je nach der Verkehrsart, in der sie begangen werden, so bei den §§ 315a Abs. 1 Nr. 1 und 315c Abs. 1 Nr. 1. Die Reihenfolge, in der die einzelnen Straftaten untersucht werden, orientiert sich daher nicht an der oft nur äußerlichen Zuordnung der einzelnen Straftaten zu einem Paragraphen, sondern ist bemüht, Ähnliches zusammenzufassen, Verschiedenes aber zu trennen. Soweit dieses Vorgehen im einzelnen einer Rechtfertigung bedarf, wird sie an der jeweiligen Stelle der nachfolgenden Untersuchung gegeben werden. Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, daß die Tatbestände der §§ 315a Abs. 3, 315c Abs. 3, 316 Abs. 2 StGB, 21 Abs. 2 Nr. 1 StVG, keiner gesonderten Untersuchung bedürfen. Sie teilen den Sonder- oder Gemeindeliktscharakter der jeweiligen korrespondierenden Vorsatztat.
B. Das Rechtsgut der Verkehrsstraftaten Auch in diesem Abschnitt soll vorab für alle zur Untersuchung anstehenden Straftaten geklärt werden, welches Rechtsgut ihnen zugrunde liegt. Denn nur nach Beantwortung dieser Vorfrage kann zuverlässig beurteilt werden, ob bestimmten Sondersubjekten das betreffende Rechtsgut ausschnitthaft zu besonderem Schutz überantwortet ist. Außerdem ermöglicht erst die Gewißheit über das geschützte Rechtsgut die Trennung der Tatbestandsmerkmale, die die jeweilige tatbestandliche Verletzungsart, also das Gemeinunrecht schildern, von - gegebenenfalls - denjenigen, die den Unwert dieses Rechtsgutsangriffs gegenüber den Sondersubjekten relativ abwandeln.
I. Das Rechtsgut der §§ 315a, 315c Besonders kontrovers sind die Auffassungen über das Rechtsgut der §§ 315a, 315c. Teilweise wird hier vertreten, nur die Sicherheit der jeweiligen Verkehrsart sei geschützt, während der Schutz der Individualgüter Leben, Gesundheit und Eigentum allenfalls ein Reflex jenes primären Schutzzwecks sei.8 Andere sprechen dem Schutz dieser Individualgüter den Vorrang vor der Verkehrs8
Lackner, § 315c Rz. 1, § 316 Rz. 1; Dreher-Tröndle, § 316 Rz. 2; zweifelnd bez. § 315c Dreher-Tröndle § 315c Rz. 2.
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Teil 4: Verkehrstraftaten
Sicherheit oder den gleichen Rang zu,9 während eine dritte Richtung nur Leben, Gesundheit und Eigentum als (alternativ) geschützte Rechtsgüter ansieht.10 Eine begründete Stellungnahme in diesem Meinungsstreit erfordert zunächst eine Besinnung auf die allgemeine Bedeutung des Rechtsgutes und seiner Verletzung für das Umecht einer Straftat. Das in jedem Straftatbestand vorausgesetzte (Gemein-)Unrecht besteht in der Verletzung eines Rechtsguts in der durch den Tatbestand beschriebenen Weise. Die jeweilige tatbestandsspezifische Rechtsgutsverletzung begründet das (Gemein-)Unrecht der betreffenden Straftat, während die gleichzeitige Verletzung anderer, vom Tatbestand nicht geschützter Güter das tatbestandliche Umecht nicht vergrößern, ihr Fehlen dieses Umecht nicht vermindern kann. Davon ausgehend zeigt sich, daß die Sicherheit des Straßenverkehrs beziehungsweise die Sicherheit der in § 315a genannten, anderen Verkehrsarten nicht das einzige Rechtsgut dieser Straftaten sein kann. Denn ihr Umecht wird nicht schon dadurch vollständig begründet, daß die Trunkenheitsfahrt oder der Verstoß gegen die in § 315a Abs. 1 Nr. 2 und 315c Abs. 1 Nr. 2 angesprochenen Verkehrsregeln die Sicherheit des Verkehrs abstrakt gefährdet haben. Zu seiner Vervollständigung bedarf es einer konkreten Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen bzw. einer fremden Sache von bedeutendem Wert. Nun könnte man zwar versucht sein, die Unversehrtheit des Lebens und des Körpers anderer Verkehrsteilnehmer und der als Verkehrsmittel benutzten oder im Verkehr beförderten fremden Sachen dem Begriff der Sicherheit des Verkehrs zu unterstellen. Aber dies wäre ein Kunstgriff, der jedenfalls dann versagt, wenn man die Gefährdung nicht am Verkehr beteiligter Personen und Sachen für den Tatbestand genügen läßt. Dies entspricht jedoch allgemeiner Meinung11, deren Richtigkeit durch den Gesetzestext, der eine Beschränkung auf verkehrsinterne Gefährdungsobjekte nicht enthält, bestätigt wird. Wenn aber das volle tatbestandliche Umecht auch durch die Gefährdung einer Person oder Sache, die nicht in Verkehrsvorgänge einbezogen ist, begründet wird, bedeutet das zwangsläufig, daß die Individualgüter Leben, Gesundheit und Eigentum zu den Rechtsgütern gehören, die der Tatbestand schützt. Andererseits genügt für die Unrechtsbegründung die konkrete Gefährdung eines dieser Rechtsgüter, so daß schon hier festgestellt werden kann, daß diese Güter alternativ geschützt werden. Damit ist die Auffassung wiederlegt, nach der nur die Verkehrssicherheit Schutzgut dieser Straftaten sein soll. Nicht ausgeschlossen ist jedoch, daß die Beeinträchtigung der Sicherheit der jeweiligen Verkehrsart zusätzlich neben der alternativen Verletzung eines der Individualgüter das tatbestandliche Umecht 9
Schönke-Schröder-Cramer, § 315c Rz. 2, § 315 Rz.l; LK-Rüth § 315c Rz. 1. SK-Horn, § 315c Rz. 2; Maurach-Schroeder-Maiwald, BT 2, S.4. 11 Dreher-Tröndle, § 315c Rz. 17; Lackner § 315c Rz. 26; Schönke-Schröder-Cramer § 315c Rz. 32; vgl. auch BT-DrS. IV/651, S. 28. 10
Β. Das Rechtsgut der Verkehrs Straftaten
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konstituiert. Eine Kombination des Unrechts aus abstrakter Gefährdung des einen Gutes und konkreter Gefährdung des anderen erscheint zumindest denkbar. Die Frage ist jedoch, ob die Sicherheit des Verkehrs überhaupt ein Rechtsgut darstellt. Zweifel in dieser Richtung werden deutlich, wenn die Verkehrssicherheit als abstraktes Rechtsgut bezeichnet wird. 12 Diese Zweifel sind berechtigt. Zunächst einmal kann - wenn überhaupt - nur der Verkehr selbst, nicht aber die Sicherheit des Verkehrs das weitere, durch die §§ 315a, 315c geschützte Rechtsgut sein. Genausowenig wie das Rechtsgut der Tötungsdelikte die Sicherheit des Lebens oder dasjenige der Eigentumsdelikte die Sicherheit des Eigentums ist, kann die Sicherheit des Verkehrs als Rechtsgut aufgefaßt werden. Denn „Sicherheit" ist als Attribut eines Gegenstandes eine Bezeichnung für die Abwesenheit von Gefahren, die diesem Gegenstand drohen, während nur der Gegenstand selbst, also das, was in Sicherheit ist, das wertvolle Gut darstellt. Dementsprechend ist die Sicherheit eines Rechtsguts nur die Negation der Rechtsgutsverletzung, nicht aber das Rechtsgut selbst.13 Damit stellt sich also die Frage, ob der Verkehr selbst als Rechtsgut der §§ 315a, 315c anzusehen ist. Verkehr ist die Ortsveränderung von Personen oder Gütern. Die Ortsveränderung beziehungsweise ihre Möglichkeit haben zentrale Bedeutung für die persönliche Entfaltung des Einzelnen, insbesondere aber für das Funktionieren moderner Volkswirtschaften. Der Verkehr ist daher sicherlich ein für die Rechtsgemeinschaft wertvoller Zustand, also ein Rechtsgut. Dieses Gut kann dadurch verletzt werden, daß die Ortsveränderung von Personen oder Gütern behindert, verhindert oder durch Handlungen, die geeignet sind, derartige Behinderungen zu bewirken, abstrakt gefährdet wird. Polizeirechtlich gesprochen ist die Verletzung des Rechtsguts Verkehr also identisch mit einer Störung der Leichtigkeit des Verkehrs. Es sollte jedoch einleuchten, daß das Unrecht der Verkehrsgefährdungstatbestände der §§ 315a, 315c derartige Rechtsgutsverletzungen nicht erfordert. Das Fahren in fahrunsicherem Zustand und der Verstoß gegen die in den §§ 315a Abs. 1 Nr. 2, 315c Abs. 1 Nr. 2 genannten Vorschriften ist nicht deshalb strafwürdig, weil es geeignet sein könnte, Verkehrsbehinderungen nach sich zu ziehen. Der Strafgrund besteht in der Eignung dieser Handlungen, die Unversehrtheit von Personen und fremden Sachen zu beeinträchtigen. Hinter der Redeweise von der Sicherheit des Verkehrs ist also nichts anderes verborgen als die Unversehrtheit von Personen und Gütern bei ihrer Verkehrsteilnahme. Daraus ergibt sich zweierlei. Erstens setzen die §§ 315a, 315c eine Verletzung des Rechtsguts „Verkehr" nicht voraus,14 so daß 12
Maurach-Schroeder-Maiwald, BT 2, S. 4. Maurach-Schroeder-Maiwald, BT 2, S. 28; Langer, Die falsche Verdächtigung, S. 44. 14 Anders etwa § 316 b, soweit er sich auf Verkehrsmittel bezieht. Hier handelt es sich um Handlungen, die geeignet sind, den Verkehr selbst zu stören oder zu behindern. 13
13 Deichmann
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Teil 4: Verkehrs Straftaten
der Verkehr auch nicht zu den von diesen Vorschriften geschützten Rechtsgütern zählt. Zweitens erweisen sich die Individualgüter Leben, Leib und Eigentum als identisch mit dem vermeintlich selbständigen Rechtsgut der „Sicherheit des Verkehrs". Der „Verkehr" ist sicher, wenn die am Verkehr teilnehmenden Personen und Sachen nicht gefährdet werden. Eine davon verschiedene Verkehrssicherheit gibt es nicht.
II. Das Rechtsgut der §§ 316 StGB, 21 StVG, 6 PflVG Aus den vorstehenden Überlegungen ergibt sich, daß durch § 316 gleichfalls die Individualgüter Leben, Leib und Eigentum geschützt werden, weil das hier vorwiegend genannte Rechtsgut der Sicherheit des Straßenverkehrs als solches nicht existiert, vielmehr mit jenen Gütern identisch ist. Dagegen dürften der Vorschrift des § 21 StVG mehrere Rechtsgüter zugrunde liegen. Die Vorschrift will sicherstellen, daß nur Inhaber einer Fahrerlaubnis im Straßenverkehr ein Fahrzeug führen. Materiell geht es also um den Schutz derjenigen Rechtsgüter, um derentwillen der Gesetzgeber das Führen von Kraftfahrzeugen unter Erlaubnisvorbehalt stellt. Dazu zählen nicht nur die „Sicherheit des Straßenverkehrs", also die Individualgüter Leben, Leib und Eigentum, sondern auch die Leichtigkeit des Verkehrs, weil von Fahrern, die in der Führung des Kraftfahrzeugs nicht ausgebildet sind, eher Verkehrsbehinderungen verursacht werden als von geübten Fahrern. Schließlich werden in geringem Umfang auch die Umweltgüter geschützt, weil sich die bei der Fahrprüfung nachzuweisenden Fähigkeiten auch auf die energiesparende Fahrweise erstrecken (§§10 Abs. 1 S. 3, IIa Abs. 1 S. 1 StVO). Daß schließlich das Delikt des § 6 PflVG ähnlich wie die Unfallflucht gemäß § 142 ein Vermögensgefährdungsdelikt darstellt, ist offensichtlich. 15 Damit ist die Vorfrage, welche Rechtsgüter von den hier zu untersuchenden Tatbeständen geschützt werden, himeichend beantwortet, so daß die erste Gruppe von Straftaten auf ihre Sonderdeliktseigenschaft untersucht werden kann.
C. Führen eines Fahrzeugs im Zustand der Fahrunsicherheit gemäß §§ 315c Abs. 1 Nr. 1,315a Abs. 1 Nr. 1,316 Abs. 1 Die in den §§ 315c Abs. 1 Nr. 1, 315a Abs. 1 Nr. 1, 316 Abs. 1 geschilderten Straftaten sind durch das gemeinsame Merkmal des Führens eines Fahrzeugs im 15
Vgl. zum Schutzzweck auch BT-DrS. IV/651, S. 40.
C. Führen eines Fahrzeugs im Zustand der Fahrunsicherheit
195
Zustand der Fahrunsicherheit gekennzeichnet. Dies rechtfertigt ihre gemeinsame Untersuchung. Denn für die Frage, ob diese Delikte Sonderstraftaten sind, können die zwischen ihnen bestehenden Unterschiede keine Rolle spielen. Dies gilt zunächst für den Unterschied zwischen §§ 315c Abs. 1 Nr. 1, 315a Abs. 1 Nr. 1 einerseits und § 316 andererseits, weil der in jenen Delikten zusätzlich geforderte Erfolg einer konkreten Gefährdung von Leib oder Leben anderer Personen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert gegenüber § 316 Abs. 1 lediglich ein größeres Gemeinunrecht darstellt. Ebenso irrelevant für die Frage der Sonderdeliktsqualität ist ferner, in welcher Verkehrsart die Trunkenheitsfahrt begangen wird, also der Unterschied zwischen § 315a Abs. 1 Nr. 1 und § 315c Abs. 1 Nr. 1. Das ergibt sich schon aus der gleichen Strafdrohung, die diesen Tatbeständen zugeordnet ist, ferner aus der undifferenzierten Zusammenfassung der verschiedenen Verkehrsarten in § 316 Abs. 1.
I. Meinungsstand 1. Eigenhändigkeit Die Rechtsprechung hat sich , soweit ersichtlich, zum Sonderdeliktscharakter der §§ 315a Abs. 1 Nr. 1, 315c Abs. 1 Nr. 1, 316 bisher nicht geäußert, jedoch die Eigenhändigkeit der Straftat des § 315a Abs. 1 Nr. 2 a.F.16 betont. So heißt es in BGHSt 18,6(7): „Ein Fahrzeug führt... nur jemand, der selbst unmittelbar das Fahrzeug unter bestimmungsgemäßer Anwendung seiner Antriebskräfte unter eigener Alleinoder Mitverantwortung in Bewegung setzt." Die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Führen eines Fahrzeugs" ergibt nach Auffassung des BGH also, daß kein Führen eines Fahrzeugs vorliegt, wenn jemand nicht selbst, sondern durch einen anderen, also mittelbar, ein Fahrzeug in Bewegung setzt. Damit liegt nach dieser Auffassung ein eigenhändiges Delikt vor, weil die tatbestandsmäßige Handlung nicht in mittelbarer Täterschaft verwirklicht werden kann. Ob die vom BGH für diese Auslegung gegebene Be17
ιο
gründung überzeugt , muß hier nicht entschieden werden. Denn wie schon mehrfach betont, sind Eigenhändigkeit und Sonderdeliktscharakter einer Straftat begrifflich voneinander unabhängig. Da jedoch diese Fragen oftmals nicht genau getrennt werden und gerade die Entscheidung BGHSt 18,6 Anlaß zu Miß16
Strafgesetzbuch i.d.F. des 1. Straßenverkehrssicherungsgesetzes vom 19.12.1952, BGBl I, S. 832. 17 BGHSt 18,6 (8). 18 Kritisch Rudolph! GA 70, 353 (358 f.).
13
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Teil 4: Verkehrstraftaten
Verständnissen in dieser Richtung gibt, soll hierauf nochmals kurz eingegangen werden. Gegenüber der oben zitierten, klaren Äußerung des BGH, wonach sich der Ausschluß mittelbarer Täterschaft aus der Auslegung des die Tathandlung beschreibenden Tatbestandsmerkmals ergibt,finden sich in der Entscheidung auch Formulierungen, die den Eindruck erwecken können, als beruhe die Unmöglichkeit mittelbarer Täterschaft auf dem Fehlen einer besonderen Tätereigenschaft. So wird schon im Leitsatz auf den Täter, nicht etwa auf die tatbestandsmäßige Handlung abgestellt; später wird statt von dem Führen des Fahrzeugs gelegentlich von dem Führer gesprochen, als ob die Täterschaft davon abhänge, daß der Täter die Eigenschaft eines Fahrzeugführers aufweise. Dem entspricht es, wenn aus dieser Entscheidung eine Beschränkung des Täterkreises herausgelesen19 oder die Sonderdeliktsnatur damit begründet wird, daß Täter 90
nur sein könne, wer als Fahrzeugführer am Verkehr teilnehme. Gegenüber diesen Mißverständnissen ist festzuhalten, daß in BGHSt 18,6 über eine Beschränkung des Täterkreises auf Personen, die eine besondere Eigenschaft aufweisen nichts ausgesagt ist. Nach der Auslegung, die der BGH dem Merkmal des „Führens" gegeben hat, kann der Täter einer Trunkenheitsfahrt die tatbestandsmäßige Handlung lediglich nicht in mittelbarer Täterschaft, sondern eben nur selbst, unmittelbar vornehmen. Die damit ausgesprochene Eigenhändigkeit hat jedoch mit der Frage, ob darüberhinaus nur bestimmte Deliktssubjekte die Straftat begehen können, nichts zu tun. 2. Gesteigerte Pflicht eines Fahrzeugführers zur Vermeidung von Trunkenheitsfahrten Für die Einordnung der §§ 315c Abs. 1 Nr. 1, 316 als Sonderdelikte hat sich im Schrifttum Rudolphi ausgesprochen.21 Er geht davon aus, daß zwar nicht nur den Führer eines Kraftfahrzeugs die Pflicht treffe, Trunkenheitsfahrten zu unterlassen, sondern jedermann verpflichtet sei, Trunkenheitsfahrten anderer Personen nicht zu veranlassen oder zu unterstützen. Die Pflicht zur Vermeidung von Trunkenheitsfahrten treffe aber nicht alle Personen in gleichem Maße. Den Kraftfahrer treffe diese Pflicht im Vergleich zu Dritten in erheblich gesteigerter Form. Das ergebe sich aus der besonderen Nähe des Kraftfahrers zu den von ihm selbst eigenhändig verursachten Gefahren einer Trunkenheitsfahrt. Dem entspreche es, daß das Füh19
Rudolphi, GA 70,353 (359). Jagusch, § 315c StGB Rz. 2. 21 Rudolphi, GA 70, 353 (359); daneben noch, wie oben erwähnt, Jagusch, § 315c StGB Rz.2. Roxin (Täterschaft und Tatherrschaft, 2.Auflage, S. 573) scheint die §§ 315, 315a, 316 a.F. als Pflichtdelikte auffassen zu wollen, ohne jedoch abschließend Stellung zu nehmen. 20
C. Führen eines Fahrzeugs im Zustand der Fahrunsicherheit
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ren von Kraftfahrzeugen wegen seiner besonderen Gefährlichkeit nur solchen Personen gestattet sei, die entsprechende Fahrfähigkeiten nachgewiesen hätten. Dieser Auffassung ist zuzugeben, daß eine gegenüber den Sondersubjekten gesteigerte Pflicht zur Achtung des Rechtsguts ein bedeutsames Kriterium für das Vorliegen einer Sonderstraftat ist. Es handelt sich dabei um das unter personalem Aspekt betrachtete, materielle Sonderunrecht.22 Richtig ist auch, daß eine derartige gesteigerte Pflicht eine besondere Nähe der Sondersubjekte zu dem betreffenden Rechtsgut, nämlich einen besonderen sozialen Einflußbereich, voraussetzt.23 Jedoch vermag die Begründung, mit der im Fall der §§ 315c Abs. 1 Nr. 1, 316 eine solche Pflichtsteigerung belegt wird, nicht zu überzeugen. Denn die besondere Nähe, auf die es hier ankommt, muß durch eine bestimmte soziale Position vermittelt sein. Es genügt nicht, daß sie auf der eigenhändigen Verursachung einer Rechtsgutsverletzung beruht, wie überhaupt fraglich ist, worin die Besonderheit der Nähe bei eigenhändig verursachter Rechtsgutsverletzung bestehen soll. Denn daß der unmittelbare, selbst handelnde Täter den Gefahren, die von seiner Straftat ausgehen, in gewissem Sinn näher als etwa ein mittelbarer Täter oder ein Teilnehmer ist, gilt für alle Straftaten und kann schon deshalb nicht die spezifische Pflichtsteigerung bei den Sonderdelikten begründen. Die Steigerung der Pflicht zur Gutsbeachtung ergibt sich aber auch nicht aus dem Hinweis auf die Notwendigkeit einer Fahrerlaubnis, weil auch mit fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen, zum Beispiel einem Fahrrad, Trunkenheitsfahrten verübt werden können. Rudolphis Begründung für den Sonderdeliktscharakter der Trunkenheitsfahrt überzeugt daher nicht. Schließlich muß noch die nicht weiter begründete Annahme Rudolphis bezweifelt werden, daß die Tatbestände der §§ 315c Abs. 1 Nr. 1, 316 überhaupt nur durch einen beschränkten Täterkreis verwirklicht werden können und daß es sich dabei um die Führer eines Fahrzeugs handle. Denn gerade diese Annahme versteht sich keineswegs von selbst, wenn das Führen eines Fahrzeugs - wie es doch der erste Anschein nahelegt ausschließlich die Tathandlung beschreibt, nicht aber eine davon verschiedene Tätereigenschaft. Das Problem der Subjektskreiseinschränkung wird jedoch noch eingehend zu untersuchen sein.
3. Keine Subjektskreiseinschränkung
auf „Fahrzeugführer"
Zunächst ist jedoch zu fragen, ob die Gegenmeinung bessere Argumente anzuführen hat. Gegen die Einordnung der Verkehrsdelikte als Sonderdelikte des 22 23
Vgl. Teil 1 B.II.4. Vgl. Teil 1 B.II.3.b).
198
Teil 4: Verkehrsstraftaten
Fahrzeugführers wendet sich Rehberg. 24'25 Er vertritt die Ansicht, daß dieser Deliktsgruppe das wesentliche Kennzeichen echter Sonderdelikte fehle, nämlich die gesetzliche Beschränkung des Täterkreises. 26 Ferner fehle diesen Straftaten ein weiteres Merkmal der Sonderdelikte. Bei diesen könne nämlich der Intraneus die tatbestandsmäßige Handlung durch einen Extraneus ausführen lassen. Setze man aber voraus, daß die Verkehrsregeln nur den Lenker verpflichteten, so könne diese Regel „fremdhändig" nur verletzen, wer einen Fahrzeugführer (sc. also einen Intranen) für sich handeln lasse. Außerdem sei der Veranlasser solchen Tuns dann gerade nicht Träger der Sonderpflicht. 27 Was zunächst das letzte Argument betrifft, so vermag es den Sonderdeliktscharakter der Verkehrsdelikte sicher nicht zu widerlegen. Denn die Möglichkeit, daß ein Intraner ein Sonderdelikt fremdhändig durch einen intranen oder extranen Tatmittler begehen kann, ist entgegen Rehbergs Behauptung kein allgemeines Merkmal aller Sonderstraftaten. Da nämlich Eigenhändigkeit und Sonderdeliktsnatur voneinander unabhängig sind, kann es sowohl fremdhändig wie auch nur eigenhändig begehbare Sonderstraftaten geben, weshalb bei letzteren die Begehung in mittelbarer Täterschaft auch für einen Intranen ausgeschlossen ist, ohne daß dies ihre Sonderdeliktsnatur in Frage stellen würde. Dagegen ist die tatbestandliche Einschränkung des Täterkreises ein unabdingbares Merkmal der Sonderstraftat. Wenn die Behauptung Rehbergs, eine solche Einschränkung fehle hier, zuträfe, wäre damit der Sonderdeliktscharakter der Verkehrsstraftaten ausgeschlossen. Die Begründung dieser These bedarf daher sorgfältiger Nachprüfung. Es fällt auf, daß Rehberg zwar die Frage aufwirft, ob die Eigenschaft eines Fahrzeugführers als besonderes persönliches Merkmal in den Tatbeständen der Verkehrsdelikte vorausgesetzt ist, daß er aber die Antwort schuldig bleibt. Sicherlich kann, wie Rehberg ausführt, 28 jeder Beliebige die Führung eines Fahrzeugs auf öffentlichen Straßen übernehmen. Damit ist jedoch nur ausgesagt, daß die besondere Eigenschaft, die hier möglicherweise verlangt wird, sehr leicht erworben werden kann, nicht aber, daß die 24 Rehberg, „Fremdhändige" Täterschaft bei Verkehrsdelikten?, behandelt die Verkehrsdelikte des schweizerischen Rechts, die aber den deutschen Vorschriften so ähnlich sind, daß seine Ausführungen auch für diese gelten können. 25 Auch Heidland, S. 66,101, bezweifelt den Sonderdeliktscharakter der hier erörterten Tatbestände. Seine Argumente entnimmt er aber den §§ 315a Abs. 1 Nr. 2, 315c Abs. 1 Nr. 2, so daß die Erörterung seiner Ansicht zweckmäßigerweise erst in den späteren Abschnitten erfolgen wird. Auch bei Heidland - wie bei Rudolphi - fällt jedoch die selbstverständliche Annahme auf, der Täterkreis sei auf „Fahrzeugführer" beschränkt. 26 Rehberg, S. 76. 27 Rehberg, S. 77. Rehberg, S. .
C. Führen eines Fahrzeugs im Zustand der Fahrunsicherheit
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Tatbestände der Verkehrsdelikte überhaupt keine besonderen Eigenschaften der Deliktssubjekte erfordern. Im Prinzip kann auch jedermann Beamter oder Treuhänder werden, ohne daß das Maß an Schwierigkeit, das mit der Erlangung dieser Position verbunden ist, etwas darüber aussagt, ob es sich dabei um besondere 9Q
persönliche Merkmale bestimmter Straftatbestände handelt. Ein den Kreis tauglicher Deliktssubjekte auf „Fahrzeugführer" begrenzendes Merkmal enthalten die Verkehrsdelikte nur dann nicht, wenn das „Führen eines Fahrzeugs", das ausdrücklich oder in der Sache in den meisten Verkehrsdelikten vorausgesetzt wird, ausschließlich als Bestandteil der tatbestandsmäßigen Handlung aufzufassen ist. Daß dem so sei, wird von Rehberg zwar behauptet,30 aber nicht begründet. Den Nachweis, daß die Verkehrsdelikte mangels tatbestandlicher Subjektskreiseinschränkung keine Sonderdelikte sind, hat Rehberg somit nicht geführt. Jedoch fehlt nicht nur dieser Nachweis. Es zeigt sich im Gegenteil, daß Rehbergs Ausführungen Hinweise darauf enthalten, wie man das Vorhandensein einer Subjektskreiseinschränkung möglicherweise begründen könnte. Diesen Hinweisen soll anschließend noch soweit nachgegangen werden, bis das Problem, das die Subjektskreiseinschränkung bei den Verkehrsdelikten darstellt, als solches klar herausgearbeitet ist. Seine Lösung wird dagegen im folgenden Abschnitt zu versuchen sein. Rehberg nimmt an, daß sich die Verkehrsregeln, also die straßenverkehrsrechtlichen und damit verwaltungsrechtlichen Gebote und Verbote, die den Tatbeständen der Verkehrsdelikte zugrunde liegen, nur an einen begrenzten Personenkreis, eben an die Lenker eines Fahrzeugs richten. In dieser auf einen bestimmten Adressatenkreis begrenzten Geltung außerstrafrechtlicher Normen sieht Rehberg ein Merkmal der Pflichtdelikte. 31 Unterstellt man diese Annahme einmal als richtig, so wäre es doch merkwürdig, wenn die Beschränkung des Kreises der Normadressaten nicht auch im Tatbestand der Verkehrsdelikte ihren Ausdruck in der Form eines besonderen persönlichen Merkmals gefunden hätte. Dabei müßte es sich dann um das „Führen eines Fahrzeugs" handeln, das dem Täter die Eigenschaft eines Fahrzeugführers verleiht. Rehberg zieht diesen Schluß nicht, weil er das Führen eines Fahrzeugs ausschließlich als Bestandteil der tatbestandsmäßigen Handlung ansieht.32 Für eine Unterscheidung des „Führens eines Fahrzeugs" von der eigentlichen tatbestandsmäßigen Handlung liefert Rehberg jedoch gleichfalls einen Ansatz. Letz29 In gleicher Weise muß auch Heidland, S. 101, entgegengehalten werden, daß nicht die Massenhaftigkeit oder Seltenheit einer bestimmten sozialen Position für deren Eignung maßgebend sind, ein Sonderunrecht zu begründen. 30 Rehberg, S. 76. 31 Rehberg, S. 77, 81 f. Rehberg, S. , .
200
Teil 4: Verkehrsstraftaten
tere besteht bei den Verkehrsdelikten ja nicht in dem bloßen Fahren, sondern in IO
einem qualifiziert regelwidrigen, also fehlerhaften Fahren. Diesem fehlerhaften Fahren könnte man das Fahren als solches, das noch nicht fehlerhaft ist, gegenüberstellen.34 Die in den Tatbeständen der Verkehrsdelikte gleichsam stillschweigend vorausgesetzte Tatsache, daß der Täter ein Fahrzeug führt, könnte dann als ein von der tatbestandsmäßigen Handlung verschiedenes Verhalten begriffen werden, das dem Täter die besondere Eigenschaft eines Fahrzeugführers verleiht und ihn so zum tauglichen Deliktssubjekt der Verkehrsdelikte macht. Diese Differenzierung ergibt insbesondere dann einen Sinn, wenn man mit Rehberg die Verkehrsregeln als Festlegung der gebotenen Sorgfalt bei Vornahme einer gefährlichen Handlung, nämlich dem Fahren als solchem, begreift. 35 Denn dann gibt die durch das Führen eines Fahrzeugs begründete, tatbestandliche Subjektskreiseinschränkung genau den Sachverhalt wieder, der die personal beschränkte Geltung der Verkehrsregeln begründet. Sie wäre also der tatbestandliche Ausdruck für die Begrenzung des Kreises der Normadressaten. Ob man über diese Differenzierung den Tatbeständen der Verkehrsdelikte ein von der Schilderung der Tathandlung verschiedenes, das Deliktssubjekt als „Fahrzeugführer" kennzeichnendes Merkmal abringen kann, muß im folgenden Abschnitt untersucht werden. Zusammenfassend bleibt festzustellen, daß die Sonderdeliktsnatur der hier erörterten Straftaten im Schrifttum bisher weder bewiesen noch widerlegt wurde. Insbesondere fällt jedoch auf, daß die tatbestandliche Subjektskreiseinschränkung, abgesehen von der zuletzt erörterten Ansicht, nirgends als problematisch empfunden wird, obwohl doch der erste Anschein eher gegen ihr Vorhandensein spricht.
II. Subjektskreiseinschränkung Während bei den meisten Straftaten, deren Sonderdeliktsnatur zweifelhaft ist, wenigstens die Existenz eines Tatbestandsmerkmals, das den Kreis tauglicher Deliktssubjekte beschränkt, relativ leicht feststellbar ist, bereitet bei den Tatbeständen der §§ 315a Abs. 1 Nr. 1, 315c Abs. 1 Nr. 1, 316 schon dieser Punkt erhebliche Probleme. 33
Rehberg, S. 79. Angedeutet bei Rehberg, S. 82: Das Führen des Fahrzeugs unterstellt den Täter den Verkehrsregeln. 35 Rehberg, S. 81. 34
C. Führen eines Fahrzeugs im Zustand der Fahrunsicherheit
201
1. „Rausch " und „ körperliche oder geistige Mängel " Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß die Einschränkung des Kreises tauglicher Deliktssubjekte nicht in den Merkmalen des Rausches und der körperlichen und geistigen Mängel gefunden werden kann. Die Frage, ob es sich bei den Straftaten der §§ 315a Abs. 1 Nr. 1, 315c Abs. 1 Nr. 1, 316 nicht um Sonderdelikte der Fahrzeugführer, sondern um Sonderdelikte der infolge Berauschung oder körperlicher oder geistiger Mängel fahrunsicheren Personen handelt, ist, soweit ersichtlich, bisher nicht erörtert worden. Sie ist zu verneinen. Es liegt zwar nahe, in der Trunkenheit, dem Rausch oder einem körperlichen oder geistigen Mangel beziehungsweise in der hierdurch verursachten Fahrunsicherheit eine persönliche Eigenschaft oder einen persönlichen Umstand der betreffenden Person zu sehen. Es handelt sich jedoch nicht um besondere persönliche Merkmale im Sinne eines Sonderunrechtstatbestandes, weil sie nicht geeignet sind, Sonderunrecht zu beschreiben. Diese Eignung setzt einen Bezug zu einer sozialen Position des Täters voraus.36 Dieser fehlt den hier erörterten Merkmalen jedoch, denn sie beschreiben lediglich eine bestimmte körperliche beziehungsweise geistige Konstitution. Daß der sachliche Gehalt dieser Merkmale nur in der Schilderung des Gemeinunrechts der Trunkenheitsfahrt liegen kann, zeigt sich auch, wenn man sich vorzustellen versucht, wie das durch sie beschriebene Sonderunrecht aussehen würde. Die Annahme, die Rechtsgemeinschaft überantworte die Rechtsgüter Leben, Leib und Eigentum gerade solchen Personen, die infolge von Rauschzuständen, körperlichen oder geistigen Mängeln ein Fahrzeug nicht sicher führen können, also gerade eine besondere Gefahrenquelle für diese Rechtsgüter darstellen, grenzt ans Absurde. Mithin kann es sich bei den Tatbeständen der Trunkenheitsfahrten allenfalls um Sonderdelikte der Fahrzeugführer handeln.
2. „ Führen eines Fahrzeugs " Jedenfalls der erste Anschein spricht deutlich gegen die Annahme, diese Tatbestände enthielten ein die Deliktssubjekte als „Fahrzeugführer" kennzeichnendes Merkmal. Denn das Führen eines Fahrzeugs taucht in diesen Tatbeständen augenscheinlich nur als Bestandteil der tatbestandsmäßigen Handlung auf, die sich allerdings nicht in dem schlichten Führen eines Fahrzeugs erschöpft, sondern ein ganz bestimmtes Fahren, nämlich im Zustand der Fahrunsicherheit verlangt. Daß es jedoch zumindest denkbar ist, das Führen eines Fahrzeugs als solches von dem fehlerhaften Fahren zu trennen, und ersteres als ein von der tat36
Vgl. oben Teil 1B.IV.
202
Teil 4: Verkehrstraftaten
bestandsmäßigen Handlung verschiedenes Verhalten, das dem Täter die Eigenschaft des Fahrzeugführers verleiht, aufzufassen, ist oben bereits dargelegt worden. Der Wortlaut der §§ 315a Abs. 1 Nr. 1, 315c Abs. 1 Nr. 1, 316 spricht indessen, wie schon mehrfach betont, eher gegen die Annahme, daß der Tatbestand bestimmte, durch die Eigenschaft als Fahzeugführer gekennzeichnete Deliktssubjekte voraussetzt. Denn die im Strafgesetz zur Kennzeichnung besonderer persönlicher Merkmale üblichen Ausdrücke fehlen hier völlig. Es heißt hier eben nicht „Ein Fahrzeugführer, der ..." oder „Wer als Fahrzeugführer ..., sondern nur „Wer ein Fahrzeug führt, obwohl ...". Jedoch schließt der Wortlaut die Deutung, das Führen des Fahrzeugs als solches verleihe dem Täter die besondere Eigenschaft eines Fahrzeugführers, auch nicht aus. Ob die hier erörterten Tatbestände als subjektiv auf „Fahrzeugführer" beschränkte Straftaten aufzufassen sind, ist daher anhand weiterer Auslegungskriterien zu prüfen. Dabei ist der Vergleich mit anderen Tatbeständen wenig ergiebig. § 315c Abs. 1 Nr. 2 gleicht den Trunkenheitsdelikten, weil der Führer eines Fahrzeugs auch dort nicht ausdrücklich als Deliktssubjekt genannt, sondern allenfalls in der Sache vorausgesetzt wird. Dagegen scheint zwar § 315a Abs. 1 Nr. 2 den Fahrzeugführer zumindest im Wortlaut als durch diese Eigenschaft gekennzeichnetes Deliktssubjekt zu erwähnen. Es ist aber eine offene Frage, ob der Ausdruck „als Fahrzeugführer" in § 315a Abs. 1 Nr. 2 mehr besagt, als daß jenes gegen bestimmte Rechtsvorschriften verstoßende Verhalten in einem fehlerhaften Führen des Fahrzeugs bestehen muß.37 Schließlich enthalten auch die dem jetzt gültigen Strafgesetz vorangegangenen Vorschriften 38 keinen Aufschluß darüber, ob diese Straftaten einen durch die Eigenschaft als Fahrzeugführer gekennzeichneten, beschränkten Täterkreis aufweisen. Ähnlich dürftig ist der Ertrag, der aus den Gesetzesmaterialien zu dieser Frage gezogen werden kann. Sie enthalten keinen Hinweis darauf, daß der Gesetzgeber mit dem Merkmal des „Führens eines Fahrzeugs" etwas anderes als einen Bestandteil der tatbestandsmäßigen Handlung schildern wollte. Entscheidend ist daher die teleologische, d. h. an den sachgerechten Rechtsfolgen orientierte Auslegung. Es kommt also darauf an, ob die Annahme einer in den Tatbeständen der §§ 315a Abs. 1 Nr. 1, 315c Abs. 1 Nr. 1, 316 enthaltenen Subjektskreiseinschränkung zu sachgemäßeren Ergebnissen führt als deren Gegenteil. Dabei kann es jedoch nur um die Frage gehen, ob es dem Sinn und Zweck dieser Tatbestände entspricht, die Strafe eines extranen Teilnehmers gemäß § 28 Abs. 1 zu mildern. Denn andere Rechtsfolgen ergeben sich aus der An37
Vgl. dazu unten Teil 4 F.II. § 315a Abs.l Nr. 2 i.d.F. des 1.Straßenverkehrssicherungsgesetzes vom 19.12.1952, BGB1.I, S. 832. 39 BT-DrS. IV/651, S. 28. 38
C. Führen eines Fahrzeugs im Zustand der Fahrunsicherheit
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nähme eines besonderen persönlichen Merkmals nicht. Diese Strafmilderung ist jedoch in der Sache nur geboten, wenn die Tat des extranen Teilnehmers gerade deshalb minder schwer wiegt, weil sie im Vergleich zur Tat des Intranen kein Sonderunrecht aufweist. Damit stellt sich also die Frage, ob das Unrecht der hier erörterten Tatbestände materielles und formelles Sonderunrecht enthält. Daß zur Beantwortung der Frage nach dem Sonderunrechtstatbestand das Vorliegen anderer Merkmale der Sonderstraftat geprüft wird, bedeutet jedoch nicht, daß jenes Merkmal von letzteren abhängt. Sonderunrechtstatbestand, materielles und formelles Sonderunrecht sind vielmehr selbständige Elemente der Sonderstraftat, deren Vorhandensein unabhängig vom jeweils anderen beurteilt werden kann. Daß an dieser Stelle bereits nach dem Sonderunrecht gefragt wird, beruht dagegen darauf, daß ein vernünftiger Grund, den offenen Wortlaut dieser Tatbestände im Sinne einer Subjektskreiseinschränkung zu deuten, lediglich besteht, wenn das ohnehin nur aufgrund recht verschlungener Überlegungen40 als möglich erkannte, subjektskreiseinschränkende Merkmal tatsächlich Sonderunrecht beschreibt. In diesem Fall wäre es auch abstrakt geeignet, Sonderunrecht zu vertypen, während dies im umgekehrten Fall auf sich beruhen könnte. Denn dann wäre es keinesfalls sinnvoll, den Gesetzeswortlaut entgegen dem ersten Anschein im Sinne einer Subjektskreiseinschränkung zu deuten. Ob das Unrecht der Tatbestände der §§ 315a Abs. 1 Nr. 1, 315c Abs. 1 Nr. 1, 316 nur Gemeinunrecht aufweist oder ob sein Unwert gegenüber den Fahrzeugführern relativ abgewandelt ist, soll im folgenden Abschnitt erörtert werden. Die Frage nach der Existenz einer Subjektskreiseinschränkung muß also zunächst offen bleiben.
III. Materielles Sonderunrecht 1. Gemeinunrecht Das Sonderunrecht besteht in der relativen Abwandlung des Unwerts eines Gemeinunrechts gegenüber den Sondersubjekten. Es ist daher zweckmäßig, zunächst das Gemeinunrecht, also die tatbestandsspezifische Art der Rechtsgutsverletzung der hier erörterten Delikte zu ermitteln. Der Angriff auf die Rechtsgüter Leben, Leib und Eigentum besteht bei den §§ 315a Abs. 1 Nr. 1, 315c Abs. 1 Nr. 1, 316 nicht darin, daß der Täter ein Fahrzeug führt. Das Führen eines Fahrzeugs mag zwar schon als solches als abstrakt gefährliches Verhalten aufgefaßt werden, stellt aber jedenfalls kein strafwürdiges Unrecht dar, weil diese Gefahren in unserer Gesellschaft hingenommen werden und daher sozial40
Vgl. Teil 4 C.I.3.
Teil 4: Verkehrstraftaten
204
adäquat sind. Seine Prägung erhält der Rechtsgutsangriff vielmehr dadurch, daß das Fahrzeug von einer Person geführt wird, die nicht über die notwendige Fahrsicherheit verfügt. Dieser Umstand begründet für die geschützten Rechtsgüter eine Gefahr, die das allgemein tolerierte Maß übersteigt. Zu diesem Umecht einer abstrakten Gefährdung von Leben, Leib und Eigentum anderer Personen kommt bei den Tatbeständen der §§ 315a Abs. 1 Nr. 1 und 315c Abs. 1 Nr. 1 noch die konkrete Gefährdung bestimmter Rechtsgutsobjekte hinzu.
2. Besonderer sozialer Einflußbereich
des Fahrzeugführers
Für das Problem des materiellen Sonderunrechts kommt es nun darauf an, ob der Unwert jenes Gemeinunrechts gegenüber einem Fahrzeugführer noch gesteigert wird, weil er aufgrund dieser Eigenschaft hinsichtlich bestimmter Rechtsgutsobjekte über einen besonderen sozialen Einflußbereich verfügt und ihm deshalb diese Güter zu besonderem Schutz überantwortet sind. Begrifflich bedeutet der besondere soziale Einflußbereich, der Voraussetzung jeder Sonderunrechtsbegründung ist, eine sozial anerkannte Sonderbeziehung zwischen dem Sondersubjekt und bestimmten Gemeinschaftswertobjekten, die spezifische Einwirkungsmöglichkeiten vermittelt. Die spezifische Einwirkungsmöglichkeit aufgrund einer besonderen Beziehung unterscheidet den besonderen vom allgemeinen sozialen Einflußbereich, welcher die einem Menschen, gleichgültig aus welchen Gründen, eröffneten Möglichkeiten zur Einwirkung auf beliebige Gemeinschaftswertobjekte beschreibt.41 Der soziale, also auf Gemeinschaftswertobjekte bezogene Einflußbereich eines Fahrzeugführers umfaßt nun diejenigen Rechtsgutsobjekte, denen er im Verkehr begegnet. Verglichen mit einem „Normalmenschen", also einer Person, die kein Fahrzeug benutzt, verfügt der Fahrzeugführer daher über erheblich gesteigerte Möglichkeiten zur Einflußnahme, insbesondere zur Gefährdung von Rechtsgutsobjekten, wobei die Steigerung nicht nur die Anzahl der Objekte, sondern auch die Intensität möglicher Gefährdung betrifft. Somit stellt sich die Frage, ob dieser Unterschied eine Besonderheit im hier gesuchten Sinne darstellt. Der unterschiedliche Umfang der Einflußbereiche beruht hier auf dem Umgang mit einem gefährlichen Gegenstand, nämlich auf der Benutzung eines Fahrzeugs. Wollte man diesen Grund für die Erweiterung des sozialen Einflußbereichs eines Fahrzeugführers jedoch als Besonderheit gelten lassen, müßte auch jede sonstige, durch die Benutzung eines gefährlichen Gegenstandes, etwa einer Waffe, gesteigerte Möglichkeit zur Einwirkung auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen als besonderer sozialer Einflußbereich angesehen werden. Das wäre jedoch unsinnig. 41
Vgl. Teil 1 B.II.3.b).
C. Führen eines Fahrzeugs im Zustand der Fahrunsicherheit
205
Nicht der gesteigerte Umfang, der durch die Führung eines Fahrzeugs und der damit verbundenen Möglichkeit, eine Vielzahl von Gütern zu gefährden, begründet wird, kann also die Besonderheit des Einflußbereiches ausmachen, sondern allein die Tatsache, daß er in einer sozial anerkannten Sonderbeziehung wurzelt. Die Frage, ob eine solche Sonderbeziehung zwischen einem Fahrzeugführer und denjenigen Personen, deren Leben, körperliche Unversehrtheit und Eigentum in den Einflußbereich des Fahrzeugführers geraten, besteht, ist jedoch zu verneinen. Dabei ist zunächst die Art der Fragestellung zu betonen. Da die Rechtsgüter der hier untersuchten Tatbestände nicht die Sicherheit des Verkehrs oder der Verkehr selbst sind,42 kann es auch nicht um eine Sonderbeziehung des Fahrzeugführers als eines Verkehrsteilnehmers zum Verkehr gehen. Insoweit ließen sich vielleicht Gründefinden, daß der Fahrzeugführer, da er sich innerhalb des Verkehrsgeschehens bewegt, gegenüber dem Verkehr eine andere Position einnimmt, als sie einem nicht am Verkehr beteiligten Dritten zukommt. Da jedoch die Sicherheit des Verkehrs dasselbe ist wie die Sicherheit von Leib, Leben und Eigentum der Verkehrsteilnehmer, kommt es nicht auf eine Sonderbeziehung des Fahrzeugführers zum Verkehr, sondern zu jenen Gütern an. Daß wir aber hinsichtlich jedes Fahrzeugs, das uns im Laufe eines Tages begegnet, annehmen sollten, sein Führer nehme eine Schlüsselstellung für unsere Güter ein, ist eine befremdliche Vorstellung. In Einzelfällen mag dies anders sein, etwa im Verhältnis zwischen den Passagieren öffentlicher Verkehrsmittel und den Führern dieser Fahrzeuge.43 Solche Besonderheiten sind aber nicht einmal bei § 315a Abs. 1 Nr. 1 notwendig vorausgesetzt und daher nicht verallgemeinerungsfähig. Abgesehen davon sind Verkehrsteilnehmer untereinander wie auch Verkehrsteilnehmer mit Personen, die lediglich den Einflüssen und Gefahren des Verkehrs ausgesetzt sind, nur durch das allgemeine Verbot, andere zu verletzen beziehungsweise zu gefährden, verbunden. Das Fehlen jeder Sonderbeziehung zeigt sich auch, wenn man sich fragt, welche soziale Position mit der Eigenschaft eines Fahrzeugführers verbunden sein könnte. Bei dieser Eigenschaft handelt es sich nämlich nicht um eine von dem jeweiligen Handeln der betreffenden Person unabhängige Position, sondern nur um einen auf die Person des Handelnden bezogenen Ausdruck für eine bestimmte Tätigkeit. Der Fahrzeugführer weist diese Eigenschaft nur auf, indem er ein Fahrzeug führt. Im Unterschied dazu bestehen die sozialen Positionen, die eine Sonderbeziehung zu bestimmten Rechtsgutsobjekten vermitteln können, unabhängig vom Handeln der betreffenden Person, was insbesondere beim Be42 43
Vgl. Teil 4 B.I. Vgl. Teil 4 F.II, und BT-DrS. IV/651, S. 26.
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Teil 4: Verkehrstraftaten
amtenstatus und bei den Verwandtschafts- und Obhutsverhältnissen offensichtlich ist. 44 Fahrzeugführer verfügen somit nicht über einen vom allgemeinen sozialen Einflußbereich verschiedenen, besonderen Einflußbereich, weil ihre im Vergleich zu anderen Personen gesteigerten Möglichkeiten zur Einflußnahme auf bestimmte Rechtsgutsobjekte nur auf dem Umgang mit einem gefährlichen Gegenstand, nicht aber auf einer sozialen Position, die ihnen eine Sonderbeziehung zu diesen Objekten vermitteln würde, beruhen. Es fehlen somit die Voraussetzungen, unter denen ein Sonderunrecht der Fahrzeugführer begründet sein könnte.
3. Überantwortung Da bei den Tatbeständen der Trunkenheitsfahrten schon die Voraussetzungen fehlen, unter denen materielles Sonderunrecht des Fahrzeugführers begründet sein könnte, ist an sich die Prüfung, ob es tatsächlich begründet ist, überflüssig. Das zuvor gewonnene Ergebnis kann aber abgesichert werden, wenn man zeigt, daß der Sachverhalt, der bei den Sonderstraftaten zur Begründung materiellen Sonderunrechts führt, hier nicht vorliegt. Dieser Sachverhalt besteht darin, daß die Rechtsgemeinschaft den Sondersubjekten in Anerkennung ihres besonderen sozialen Einflußbereichs den Schutz bestimmter Rechtsgutsobjekte überantwortet.
a) Fehlende positive Erwartungshaltung gegenüber Fahrzeugführern Aus der Sicht der Rechtsgemeinschaft ist die Überantwortung mit der Erwartung verbunden, daß dem Rechtsgut von Seiten des Sondersubjektes keine Gefahr drohe. Erfolgt gleichwohl ein Rechtsgutsangriff gerade durch die Person, die zu seinem Schutz berufen ist, wird diese positive Erwartung enttäuscht. Es sollte jedoch einsichtig sein, daß die Trunkenheitsfahrt eines Fahrzeugführers kein derartiges Vertrauen enttäuscht. Niemandem, der durch eine solche Tat gefährdet oder verletzt wurde, wird sich das Gefühl aufdrängen, es sei ihm von jemandem etwas zugefügt worden, von dem er es gerade nicht erwartet hätte. Natürlich besteht in diesem Fall 45 auch keine gegenteilige Erwartung, etwa der44 An diesem Punkt erlangt also Rehbergs Argument (Rehberg, S. 76) Bedeutung, es gebe kein untaugliches Subjekt. Dies liegt jedoch nicht daran, daß jedermann zum Fahrzeugführer werden kann, sondern daran, daß es sich dabei schon gar nicht um eine soziale Position handelt. 45 Anders bei der Unfallflucht; vgl. Teil 3 B.II.3.d).
C. Führen eines Fahrzeugs im Zustand der Fahrunsicherheit
207
gestalt, daß dem Opfer der Trunkenheitsfahrt ein latent vorhandenes Mißtrauen gegen jeden Fahrzeugführer bestätigt wird. Aber nicht darauf, sondern auf die Enttäuschung positiven Vertrauens gegenüber den Sondersubjekten kommt es an. Daß letzteres fehlt, zeigt deutlich, daß den Fahrzeugführern keine herausgehobene Schutzfunktion für Leben, Leib und Eigentum anderer Personen zugedacht ist.
b) Verkehrsregeln als außerstrafrechtliche Sonderpflichten Ein Indiz für die Überantwortung wird man stets in der Existenz sogenannter außerstrafrechtlicher Sonderpflichten zu sehen haben. Unter diesen Gesichtspunkten ist die Behauptung46 zu überprüfen, es handle sich bei den Verkehrsregeln um außerstrafrechtliche Sonderpflichten des Fahrzeugführers. Dieses Problem betrifft zwar vorwiegend die Straftaten der §§ 315a Abs. 1 Nr. 2, 315c Abs. 1 Nr. 2, berührt aber auch die hier erörterten Tatbestände, so daß es bereits an dieser Stelle in seiner Gesamtheit erörtert werden soll. Wendet man sich zunächst der Frage des Außerstrafrechtlichen zu, so ist einzuräumen, daß die Verkehrsvorschriften wie die StVO und verwandte Regelwerke dem besonderen Verwaltungsrecht angehören und also außerstrafrechtliche Rechtsnormen sind. Sie bilden zugleich weitgehend die Grundlage für die Tatbestände der Verkehrsdelikte. Besonders deutlich wird dies, wenn man hier die Ordnungswidrigkeiten einbezieht. Wenige Blankettvorschriften, etwa § 24 StVG i.V. mit § 49 StVO, machen den größten Teil der StVO-Normen zugleich zum Bestandteil von Bußgeldtatbeständen. Enge Anlehnung an verwaltungsrechtliche Verkehrsregeln zeichnen auch die §§ 315a Abs. 1 Nr. 2, 315c Abs. 1 Nr. 2 aus, bei denen es sich gleichfalls um Blankettstrafgesetze handelt. Zweifel an der Existenz korrespondierender, außerstrafrechtlicher Verbote bestehen jedoch gerade hinsichtlich der hier erörterten Tatbestände. Denn eine Norm, die Trunkenheitsfahrten ausdrücklich verbietet, enthält die StVO nicht. Man könnte hier allenfalls die Vorschriften der §§31 Abs. 1, 2 Abs. 1 S. 1 StVZO heranziehen, die jedoch in den Vorschriften, die die anderen, in § 315a Abs. 1 Nr. 1 genannten Verkehrsarten ordnen, keine Entsprechung haben. Davon einmal abgesehen, kann man also sagen, daß der Täter einer Verkehrsstraftat zugleich außerstrafrechtlichen Normen zuwiderhandelt. Dabei handelt es sich allerdings nicht um eine bemerkenswerte, sondern bei Blankettstrafgesetzen zwangsläufige Erscheinung. 46
Rehberg, S. 77; Heidland, S. 101.
208
Teil 4: Verkehrstraftaten
Die Existenz außerstrafrechtlicher Pflichten ist jedoch nur ein Aspekt der Sache. Es muß sich ferner um eine Pflicht handeln, „die sich nicht notwendig auf jeden Deliktsbeteiligten erstreckt". 47 Es ist, mit anderen Worten, noch zu klären, ob den Verkehrsregeln personal beschränkte Geltung zukommt. Daß die Verkehrsregeln nur für Fahrzeugführer oder etwas allgemeiner nur für Verkehrsteilnehmer gelten, leuchtet auf den ersten Blick ein. Wen sollten sie sonst betreffen? Bei näherem Hinsehen ergeben sich allerdings Zweifel. So muß beispielsweise die Norm, die das Fahren im Zustand der Fahrunsicherheit verbietet, Geltung für jedermann, nicht nur für Fahrzeugführer beanspruchen. Denn diese Vorschrift will ja nicht jemanden, der bereits fährt - erst dann wäre er ein Fahrzeugführer - , an der Fortsetzung der Fahrt hindern, sondern die Trunkenheitsfahrt, insbesondere schon ihren Beginn überhaupt verhindern. Das erreicht sie aber nur, wenn das Verbot für jedermann gilt. Andererseits erscheint der auf Fahrzeugführer bezogene Geltungsumfang der Verkehrsregeln aber auch zu weitgespannt. Welchen Sinn sollte es haben, die Geltung des Verbots, in geschlossenen Ortschaften schneller als 50 km/h zu fahren, auch für einen Fahrzeugführer zu behaupten, der augenblicklich auf der Autobahn fährt und daher von jener Verkehrssituation nicht betroffen ist? Wenn man hier sagen wollte, es gelte für ihn, weil er einmal in eine Ortschaft kommen könne, wäre die Behauptung personal-beschränkter Geltung der Verkehrsregeln schon hier widerlegt. Denn mit gleichem Recht ließe sich sagen, daß die Verkehrsregeln für jedermann gelten, weil jedermann in die Situation kommen kann, im Verkehr ein Fahrzeug zu führen. Der Grund, warum trotz dieser Zweifel die Behauptung, die Verkehrsregeln richteten sich nur an Verkehrsteilnehmer, evident richtig zu sein scheint, liegt darin, daß hier personal beschränkte Geltung und gegenständlich begrenzter Regelungsbereich einer Norm verwechselt werden. Daß eine Norm nur für bestimmte Personen gilt, setzt begrifflich voraus, daß sie für andere Personen nicht gilt. Dies bedeutet, daß das durch die Norm geregelte Verhalten den Normadressaten geboten oder verboten, den nicht von ihr betroffenen Personen dagegen freigestellt ist. Zur Verdeutlichung sollen einige der bei Roxin 48 angeführten Beispiele erörtert werden. Standesrechtliche Schweigepflichten gelten etwa für Ärzte und Rechtsanwälte. Dagegen kann ein Privatmann, dem ein persönliches Geheimnis unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut wurde, dieses Geheimnis ohne Rechtsbruch preisgeben. Während es nur einem Beamten verboten ist, für eine pflichtgemäße Handlung einen Vorteil zu verlangen, kann etwa ein mit der Vergabe von Bauaufträgen betrauter Angestellter eines Unternehmens bei der Auftragsvergabe einen persönlichen Vorteil verlangen, ohne rechtswidrig zu handeln. 47 48
Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 354. Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 354.
C. Führen eines Fahrzeugs im Zustand der Fahrunsicherheit
209
Wendet man sich nun wieder den Verkehrsregeln zu, so erkennt man sogleich, daß derartige Alternativen hier nicht bestehen. Zwar ist, wenn man so will, nur ein Fahrzeugführer zur Gewährung der Vorfahrt oder zur Einhaltung bestimmter Geschwindigkeitsgrenzen verpflichtet. Es gibt aber andererseits niemanden, der es anders machen dürfte. Der begrenzte Regelungsbereich der Verkehrsregeln beruht auf der Beschränktheit ihres Gegenstandes. Sie ordnen den Lebensbereich „Verkehr", stellen aber nicht ein Sonderrecht der Verkehrsteilnehmer dar. Daher fehlt den Verkehrsregeln das entscheidende Element der personal beschränkten Geltung. Sie stellen daher keine außerstrafrechtlichen Sonderpflichten des Fahrzeugführers dar. Mithin können sie auch kein Indiz für die Übertragung einer besonderen Schutzaufgabe an Fahrzeugführer sein.
c) Vergleich mit Garantenstellung Wie schon in den vorhergehenden Teilen angesprochen, kann zum Nachweis der Überantwortung auch ein Vergleich mit einzelnen Garantenstellungen herangezogen werden. Im Hinblick auf die hier erörterten Tatbestände liegt es nahe, einen Vergleich mit der Sicherungsgarantie aufgrund der Verantwortung für eine Gefahrenquelle anzustellen. Diese Garantenposition ist dadurch gekennzeichnet, daß jemand als Eigentümer, Halter oder Besitzer für eine gefährliche Anlage die Verantwortung trägt und deshalb dafür zu sorgen hat, daß die in den Gefahrenbereich der Anlage gelangenden Rechtsgutsobjekte keinen Schaden nehmen.49 Man könnte nun auf den Gedanken kommen, daß der Führer eines Fahrzeugs notwendig die Sachherrschaft über das Fahrzeug ausübt, deshalb als Garant verpflichtet ist, gerade auch den Gefahren, die von einer sachwidrigen Benutzung des Fahrzeugs durch ihn selbst ausgehen, entgegenzutreten und demzufolge auch das durch eine Trunkenheitsfahrt begründete Unrecht einer tätigen Rechtsgutsverletzung gerade gegenüber dem Fahrzeugführer gesteigert ist. Dieser Gedanke ist jedoch nicht überzeugend. Denn mit dem Führen eines Fahrzeugs ist keineswegs zwangsläufig die Position verbunden, die zur Begründung jener Garantenstellung erforderlich ist. Daß die Person des Halters bzw. Eigentümers vom Fahrzeugführer verschieden sein kann, ist offensichtlich. Aber auch Besitzer und Fahrzeugführer müssen nicht in einer Person vereinigt sein, was insbesondere bei angestellten Fahrern, die allenfalls Besitzdiener sind, deutlich wird. Zwangsläufig vermittelt das Fahren dem Fahrzeugführer daher nur eine eigenartige Form der Sachherrschaft, die in der Regel von der des Halters 49
Schönke-Schröder-Stree, § 13 Rz. 43.
14 Deichmann
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Teil 4: Verkehrstraftaten
abgeleitet ist und unter Umständen nicht einmal die Qualität des Gewahrsams erreicht. Diese mit dem Führen des Fahrzeugs notwendig verbundene Sachherrschaft genügt nicht, um eine Garantenverantwortung des Fahrzeugführers zu begründen. Daß das bloße Haben, das mit der Benutzung eines gefährlichen Gegenstandes zwangsläufig verbunden ist, das Umecht einer mittels dieses Gegenstandes verübten, tätigen Rechtsgutsverletzung nicht relativ gegenüber dem Benutzer erhöht, ist im übrigen eine im Strafrecht nicht nur vereinzelt anzutreffende Erscheinung. Niemandem kommt es etwa in den Sinn, in § 223a, soweit er sich auf gefährliche Werkzeuge bezieht, ein Sonderdelikt der Messerbesitzer zu sehen, oder die §§ 244 Abs. 1 Nr. 1, 2, 250 Abs. 1 Nr. 1, 2 als Sonderstraftaten der Waffenbesitzer aufzufassen. Ausschließlicher Grund der Strafschärfung gegenüber den jeweiligen Grundtatbeständen ist bei diesen Straftaten die gefährlichere Begehungsart, also das größere Gemeinumecht. Dasselbe gilt bei den Straftaten der §§ 315a Abs. 1 Nr. 1, 315c Abs. 1 Nr. 1, 316, mit dem Unterschied, daß hier der sachwidrige Gebrauch eines gefährlichen Gegenstandes die Strafbarkeit erst begründet, nicht aber verschärft. Die Position eines Fahrzeugführers weist daher auch nicht die Merkmale einer Garantenposition auf, so daß auch insoweit dem Fahrzeugführer keine besondere Schutzaufgabe für Leben, Leib und Eigentum anderer Personen übertragen ist. Es bestätigt sich somit, was schon bei der Erörterung des besonderen sozialen Einflußbereichs festgestellt wurde. Ein Fahrzeugführer, der im Zustand der Fahrunsicherheit am Verkehr teilnimmt, verwirklicht lediglich das Gemeinumecht eines durch diese Fahrt bewirkten abstrakt und beziehungsweise oder konkret gefährlichen Rechtsgutsangriffs auf Leben, Leib und Eigentum anderer Personen. Eine relative Steigerung des Unwerts dieser Rechtsgutsverletzung gegenüber dem Fahrzeugführer ist dagegen nicht begründet.
IV. Ergebnis Damit ist die Frage beantwortet, ob die hier erörterten Tatbestände bestimmte Deliktssubjekte voraussetzen. Es hat sich gezeigt, daß der Fahrzeugführer kein materielles Sonderunrecht verwirklicht, weil er weder über einen besonderen sozialen Einflußbereich verfügt noch ihm der Schutz der Rechtsgüter anderer Personen besonders anvertraut ist. Insbesondere begründen, wie hier nochmals hervorzuheben ist, die Verkehrsregeln keine außerstrafrechtlichen Sonderpflichten der Fahrzeugführer. Weil die Delikte der Trunkenheitsfahrten kein Sonderunrecht aufweisen, gibt es auch keinen Grund, auf Teilnehmer an diesen Straftaten § 28 Abs. 1 anzuwenden. Damit entfällt zugleich der einzige Grund, der es rechtfertigen könnte, das mit diesen Tatbeständen zwangsläufig verbundene Führen eines Fahrzeugs
D. Straßenverkehrsgefährdung durch Verstoß gegen Verkehrsregeln
211
als ein den Kreis tauglicher Deliktssubjekte auf Fahrzeugführer beschränkendes Merkmal aufzufassen. Das Führen eines Fahrzeugs ist somit ausschließlich Bestandteil der tatbestandsmäßigen Handlung. Der Feststellung, es gebe hier keine untauglichen Subjekte,50 kann also im Ergebnis zugestimmt werden.
D. Straßenverkehrsgefährdung durch Verstoß gegen elementare Verkehrsregeln gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2a) - f) Ob die Gefährdung des Straßenverkehrs in den Varianten des § 315c Abs. 1 Nr. 2a) - f) eine Sonderstraftat ist, ist durch die Untersuchung im vorangehenden Abschnitt bereits weitgehend geklärt. Es wird insoweit noch zu begründen sein, daß die für die Delikte der Trunkenheitsfahrten gefundenen Antworten auch hier Gültigkeit haben, wobei dann auch die im Schrifttum vertretenen Ansichten zu behandeln sein werden. Zuvor soll jedoch auf einige mit der Sonderdeliktsproblematik gelegentlich zu Unrecht vermengte Fragen eingegangen werden.
I. Abgrenzung des Sonderdeliktsproblems von anderen Fragen 1. Eigenhändigkeit Die tatbestandsmäßige Handlung, die in § 315c Abs. 1 Nr. 2a) - f ) jeweils vorausgesetzt wird, ist im Strafgesetz teilweise nur unvollständig geschildert. Was etwa Nichtbeachtung der Vorfahrt, falsches Überholen oder zu schnelles Fahren an bestimmten Stellen im einzelnen ist, muß jeweils der Straßenverkehrsordnung entnommen werden, so daß man insoweit von einem blankettartigen Charakter der Strafvorschrift sprechen kann. Dem Tatbestand des Strafgesetzes jedoch kann entnommen werden, daß notwendiger Bestandteil der tatbestandsmäßigen Handlung der Varianten a) - f) das Führen eines Fahrzeugs ist. Teils ergibt sich das schon aus dem Gesetzeswortlaut, so bei den Buchstaben b) - d) und f), teils aus dem Sinn der Vorschrift, wie bei a) und e). Somit stellen auch diese Straftaten im Sinne der oben erörterten Rechtsprechung eigenhändige Straftaten dar. 51 Darauf, daß dies ihren Sonderdeliktscharakter weder begründet noch ausschließt, sei hier nochmals hingewiesen. 50 51
14
Rehberg, S. 76. Cramer, Straßenverkehrsrecht, § 315c StGB Rz. 89; Dreher-Tröndle § 315c Rz. 2.
212
Teil 4: Verkehrstraftaten
2. Rücksichtslosigkeit
als besonderes persönliches Merkmal
Im Zusammenhang mit dem Merkmal der Rücksichtslosigkeit wird bei § 315c Abs. 1 Nr. 2 5 2 die Anwendung des § 28 Abs. 1 befürwortet. Rücksichtslosigkeit gilt diesen Autoren als besonderes persönliches Merkmal. 53 Diese Auffassung geht zunächst einmal davon aus, daß besondere persönliche Merkmale im Sinne des § 28 nicht nur solche Merkmale sind, die ein Sonderunrecht beschreiben, sondern auch die besonderen Schuldmerkmale, zu denen das reine Gesinnungsmerkmal „Rücksichtslosigkeit" gehört. 54 Damit ist für die hier zu untersuchende Frage jedoch schon geklärt, daß die Varianten des § 315c Abs. 1 Nr. 2 jedenfalls nicht deshalb zu den Sonderstraftaten zählen, weil der betreffende Täter rücksichtslos gehandelt haben muß. Denn es handelt sich dabei nur um ein Schuldmerkmal55, nicht aber um ein Merkmal, welches Sonderunrecht beschreibt. Die weitere Frage, ob besondere Schuldmerkmale, wenn sie nicht bei jedem von mehreren Tatbeteiligten vorliegen, nach § 28 oder § 29 behandelt werden sollen, ist an sich nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Zu dieser Streitfrage ist hier lediglich zu bemerken, daß der entscheidende Gesichtspunkt in der Sachstruktur der Teilnahme56, nicht aber in verfassungsrechtlichen und kriminalpolitischen Aspekten, welche den Akzessorietätsfragen fremd sind, gesehen werden sollte. An der uneingeschränkten Anwendung des § 29 sollte daher nicht die Überlegung hindern, daß bei einer - durch § 29 ermöglichten - Bestrafung eines rücksichtslos handelnden Teilnehmers bei gleichzeitig nicht rücksichtslos handelndem Täter das Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG) verletzt sei. Denn Grundlage der Strafbarkeit sei dann eine Haupttat, die nicht strafbar sei.57 Diese Bedenken müßten überwunden werden können, wenn man sich die tatbestandliche Selbständigkeit des Teilnehmerdelikts vor Augen führt. 58 Betont man diese, so ist es keine Frage, daß der Teilnehmer aus einem gesetzlich bestimmten Tatbestand, nämlich dem des Teilnehmerdelikts, bestraft wird, dessen Merkmale er auch sämtlich verwirklicht. Daß man sodann unter rechtswidriger Tat im Sinne der §§ 26, 27 eine Tat verstehen darf, die nur den Unrechtstatbestand eines Strafgesetzes, nicht aber auch deren Schuldtatbestand verwirklicht, sollte gleichfalls nicht bezweifelt werden. Denn der Begriff der rechtswidrigen Tat ist 52
Also auch bei § 315c Abs. 1 Nr. 2g; diese Variante wird insoweit im Vorgriff auf den nächsten Abschnitt hier gleich mitbehandelt. 53 Heidland, S. 144 f.; SK-Horn § 315c Rz. 24; SK-Samson § 28 Rz. 14,8; SchönkeSchröder-Cramer § 28 Rz. 5. 54 SK-Samson § 28 Rz. 14,8; Lackner, § 28 Rz. 1,5; Gallas, Beiträge, S. 161. 55 Dreher-Tröndle, § 28 Rz.6; SK-Samson § 28 Rz.8; LK-Roxin § 28 Rz.12. 56 Eingehend Langer, FS-Lange, S. 252 ff. 57 LK-Roxin § 28 Rz. 12. 58 Vgl. Teil 1 B.I.4.e).
D. Straßenverkehrsgefährdung durch Verstoß gegen Verkehrsregeln
213
zwar durch die Legaldefinition in § 11 Abs. 1 Nr. 5 dahin festgelegt, daß sie den „Tatbestand eines Strafgesetzes" verwirklichen muß. Aber dieser Begriff ist seinerseits für teleologische Auslegung offen. Daß aber im Rahmen der Teilnahme nur das Unrecht der Haupttat, nicht aber die Schuld des Haupttäters maßgeblich ist, ist unbezweifelbar. Für die Strafbarkeit sollte es daher genügen, wenn das Unrecht der betreffenden Haupttat vorliegt. Unter teleologischen Aspekten ist daher die Auslegung, daß im Rahmen der §§ 26,27 unter dem Tatbestand der rechtswidrigen Tat nur die Merkmale des Unrechtstatbestandes zu verstehen sind, gerechtfertigt. 59 Sowenig diese Auslegung das Bestimmtheitsgebot verletzt und deshalb die Anwendung des § 29 im Falle strafbegründender besonderer Schuldmerkmale hindert, sowenig sollte hier die in eine andere Richtung führende Überlegung den Ausschlag geben, es sei nicht hinnehmbar, daß ein Teilnehmer, der selbst ein strafbegründendes besonderes Schuldmerkmal nicht aufweise, völlig straflos bleibe. Dieses Ergebnis könne aber nur bei Anwendung des § 28 Abs. 1 vermieden werden.60 Dazu ist zu bemerken, daß dieses Ergebnis unter Strafwürdigkeitsgesichtspunkten sehr wohl hinnehmbar, ja sogar geboten erscheint. Wenn dem Gesetzgeber ein bestimmtes Unrecht allein nicht strafwürdig erschien, er es vielmehr nur in Verbindung mit einem besonderen Schuldgehalt für strafwürdig erachtete, so erscheint, da ja der Teilnehmer nicht an der Schuld des Haupttäters partizipiert, auch das Teilnehmerunrecht nicht strafwürdig, solange nicht in der Person des Teilnehmers der besondere Schuldgehalt hinzukommt.61 Im übrigen ist solche Teilnahme bei den Verkehrsstraftaten in der Regel als Ordnungswidrigkeit verfolgbar, weil es dort nicht auf Rücksichtslosigkeit ankommt.
3. § 14 Abs. 4 OWiG
Auch in § 14 Abs. 4 OWiG ist von besonderen persönlichen Merkmalen die Rede, so daß eine Anwendbarkeit dieser Vorschrift im Zusammenhang mit der hier untersuchten Straftat für die Sonderdeliktsproblematik von Interesse sein könnte. Dazu wird im Schrifttum die Ansicht vertreten, § 315c Abs. 1 Nr. 2 sei im Verhältnis zu den entsprechenden Verkehrsordnungswidrigkeiten eine Straftat im Sinne des § 14 Abs. 4 OWiG. Mit anderen Worten soll es ein besonderes persönliches Merkmal sein, das die Ordnungswidrigkeit zur Straftat des § 315c Abs. 1 Nr. 2 erhebt. Dieses besondere persönliche Merkmal, so ergibt sich aus dem Zusammenhang der betreffenden Ausführungen, soll die Fahrlässigkeit 59
Vgl. zum Ganzen Langer, FS-Lange, S. 253, dort insb. Fn. 73. Gallas, Beiträge, S. 161. 61 Langer, FS-Lange, S. 254; LK-Roxin § 28 Rz. 11; vgl. ferner zu dem ähnlichen Problem der Strafwürdigkeit der „Extranenteilnahme" Teil 1 B.I.4.e). 60
214
Teil 4: Verkehrstraftaten
bzw. der Vorsatz bezüglich des in § 315c Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 vorausgesetzten Gefährdungserfolgs sein.62 Daraus wird dann abgeleitet, daß etwa ein Beifahrer, der zu einem grob verkehrswidrigen Überholvorgang rücksichtslos anstiftet und bezüglich der daraus entstehenden Gefahr fahrlässig handelt, aus § 315c bestraft, der angestiftete Fahrer, für den die Gefahr nicht vorhersehbar war, jedoch nur wegen einer Ordnungswidrigkeit verfolgt werden kann.63 Ob diese Problemlösung im Ergebnis zutrifft, mag hier dahinstehen. Jedenfalls ist sie nicht aus § 14 Abs. 4 OWiG ableitbar. Vorsatz und Fahrlässigkeit bezüglich des Gefährdungserfolges gehören mit Sicherheit nicht zu den besonderen persönlichen Merkmalen.64 Erst recht beschreiben sie kein Sonderunrecht. Da nach der hier vertretenen Ansicht auch die Rücksichtslosigkeit kein besonderes persönliches Merkmal ist, ist § 14 Abs. 4 OWiG bei der Straftat des § 315c Abs. 1 Nr.2 im Verhältnis zu den entsprechenden Ordnungswidrigkeiten nicht einschlägig. Es ist im Gegenteil hier so, daß diejenigen Merkmale, die allenfalls ein Sonderunrecht beschreiben könnten, nämlich diejenigen, die den Täter als Subjekt einer verkehrsrechtlichen Pflicht beschreiben, im Tatbestand des Strafgesetzes und der Ordnungswidrigkeit identisch sind. § 14 Abs. 4 kann daher bei der Sonderdeliktsproblematik des § 315c Abs. 1 Nr. 2 keine Rolle spielen.
II. Die Sonderdeliktsnatur des § 315c Abs. 1 Nr. 2a) - f) unter Berücksichtigung des Meinungsstandes Daß die Straßenverkehrsgefährdung in den Varianten des § 315c Abs. 1 Nr. 2a) - f) keine Sonderstraftat ist, wird im Schrifttum einerseits mit der ausschließlichen Rechtsgutsbezogenheit der Pflichtenstellung des Fahrzeugführers und dem dementsprechenden Mangel eines selbständigen sozialethischen Unwerts begründet.65 Daß damit keine relevanten Kriterien der Sonderstraftat angesprochen werden, ist bereits oben begründet worden, so daß hierauf verwiesen werden kann.66 Die Ansicht, die den Sonderdeliktscharakter der Verkehrsstraftaten generell bestreitet, weil sie keine tatbestandliche Subjektskreiseinschränkung aufweisen,67 wurde im Zusammenhang mit den Delikten der Trunkenheitsfahrten eingehend erörtert. Sie hat sich im Ergebnis als richtig erwiesen. Die dort gegebene Begründung ist auch hier tragfähig. 62 63 64 65 66 67
LK-Rüth § 315c Rz.71; Cramer, Straßenverkehrsrecht, § 315c Rz. 93. Cramer, Straßenverkehrsrecht, § 315c Rz.93; LK-Rüth, § 315c Rz. 71. Dreher-Tröndle § 28 Rz.6; Schönke-Schröder-Cramer § 28 Rz. 20. Heidland, S. 101. Vgl. Teil 2 A.III.; Teil 1 B.II.3.b). Rehberg, S. 76.
D. Straßenverkehrsgefährdung durch Verstoß gegen Verkehrsregeln
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Das Führen eines Fahrzeugs, das ausdrücklich oder der Sache nach in sämtlichen Varianten des § 315c Abs. 1 Nr. 2a) - f) vorausgesetzt ist, ist ausschließlicher Bestandteil der Beschreibung des tatbestandlichen Gemeinunrechts. Dieses besteht hier im Führen eines Fahrzeugs auf eine abstrakt besonders gefährliche, sozialinadäquate Weise, bei dem zusätzlich eine konkrete Gefahr für Leib, Leben oder fremde Sachen von bedeutendem Wert begründet wird. Dieses Gemeinunrecht erschöpft das gesamte tatbestandliche Unrecht. Daneben enthalten diese Straftaten keinen Sonderunwert. Er ist auch nicht mit Hilfe einer vermeintlichen besonderen Pflichtenstellung 68 des Führers eines Kraftfahrzeugs begründbar. Sicherlich trifft es zu, daß die in § 315c Abs. 1 Nr. 2a) - f) geschilderten Rechtsgutsangriffe ihre Grundlage in den Normen der Straßenverkehrsordnung über ordnungsgemäßes Fahren haben. Teilweise kann das tatbestandsmäßige Verhalten nur unter Rückgriff auf dieses Regelwerk ermittelt werden, so daß man bei § 315c Abs.l Nr. 2a)-f) mit gewisser Berechtigung sogar von einem Blankettstrafgesetz sprechen könnte. Die verkehrsrechtlichen Pflichten sind jedoch, wie oben69 näher gezeigt wurde, keine Sonderpflichten mit beschränktem Adressatenkreis, sondern stellen die subjektiv unbeschränkt geltende Regelung eines gegenständlich beschränkten Lebenssachverhalts, des Straßenverkehrs, dar. Es gibt also hier keine außerstrafrechtliche Pflichtenstellung, die eine Sonderstraftat indizieren könnte. Da schließlich für die Täter des § 315c Abs. 1 Nr. 2a) - f) auch sonst keine besondere soziale Position nachweisbar ist, die ein Sonderunrecht begründen könnte, gibt es auch keinen teleologischen Grund, bei der Auslegung der Tatbestandsmerkmale, die jeweils das Führen eines Fahrzeugs beinhalten, vom ersten Wortlautverständnis abzuweichen und sie außerdem als subjektskreiseinschränkende Merkmale aufzufassen. Damit ist zugleich die Auffassung widerlegt, die von der nicht näher begründeten, sondern als bestehend behaupteten subjektiven 7Π
Beschränkung des Tatbestandes auf „Fahrzeugführer" ' ausgeht und daraus auf den Sonderdeliktscharakter schließt.
III. Ergebnis Das Delikt der Straßenverkehrsgefährdung in den Varianten des § 315c Abs. 1 Nr. 2a) - f) war getrennt von den Trunkenheitsfahrten zu behandeln, da das Gesinnungsmerkmal „Rücksichtslosigkeit" sowie Vorsatz bzw. Fahrlässigkeit bezüglich des Gefährdungserfolgs von einigen Autoren als besondere persönliche 68
Cramer, Straßenverkehrsrecht, §315c Rz. 89; Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 2.Aufl., S. 573; Rehberg, S. 77. 69 Vgl. oben Teil 4 C.III.3.b). 70 Jagusch, StGB § 315c, Rz. 2,42.
Teil 4: Verkehrstraftaten
216
Merkmale aufgefaßt werden und deshalb zu klären war, ob diese Merkmale mit dem Problem der Sonderdeliktsnatur verknüpft sind. Im übrigen hat sich ergeben, daß die Straßenverkehrsgefährdung gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2a)-f) aus den gleichen Gründen, wie sie bei der Trunkenheitsfahrt gelten, nicht als Sonderstraftat einzuordnen ist.
E. Straßenverkehrsgefährdung durch unterbliebenes Kenntlichmachen liegengebliebener Fahrzeuge gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2g) I. Vergleich mit § 315c Abs. 1 Nr. 2a) - f) Die Straftat des § 315c Abs. 1 Nr. 2g) verdient gegenüber den Varianten a) f) gesonderte Betrachtung. Sie unterscheidet sich von jenen Tatbeständen augenfällig dadurch, daß es sich um ein Unterlassungsdelikt handelt. Überdies ist naturgemäß das Führen eines Kraftfahrzeugs nicht Bestandteil der tatbestandsmäßigen Handlung, so daß nicht einmal der Anschein entsteht, es liege eine Subjektskreiseinschränkung auf Fahrzeugführer vor. Im Gegenteil scheint hier - jedenfalls prima facie - jegliche Beschränkung des Täterkreises zu fehlen, da der Tatbestand den Täter lediglich als farblosen „Wer" schildert. Abgesehen von diesen Besonderheiten, die die gesonderte Untersuchung dieser Straftat erfordern, bestehen auch Gemeinsamkeiten, auf die bereits jetzt hinzuweisen ist. Auch hier gilt das bereits im vorigen Abschnitt zum Merkmal „rücksichtslos" Gesagte. Es handelt sich dabei nicht um ein besonderes person71 liches Merkmal. Dasselbe gilt von Vorsatz und Fahrlässigkeit bezüglich des Gefährdungserfolges. Auch diese Elemente der Straftat, rechne man sie nun zur Schuld oder zum Umecht, haben jedenfalls nichts mit Sonderunrecht zu tun, so daß die Anwendung des § 14 Abs. 4 OWiG insoweit verfehlt ist. 72 Für das Verhältnis des § 315 Abs. 1 Nr. 2g) zu den Ordnungswidrigkeiten gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 15,17 i.V.m. §§ 15, 17 Abs. 3 StVO, 24 StVG gilt im übrigen, daß der Straftatbestand durch den Gefährdungserfolg und die Rücksichtslosigkeit qualifiziert ist, keinesfalls aber durch eine zusätzliche Subjektskreiseinschränkung. Sie liegt beim Straftatbestand und bei den Ordnungswidrigkeiten entweder in gleicher Weise vor, so daß sie in § 315c Abs. 1 Nr. 2g) als strafbegründendes Merkmal gemäß § 28 Abs. 1, nicht als qualifizierendes Merk71 72
Vgl. oben Teil 4 D.I.2.). Vgl. oben Teil 4 D.I.3.).
E. Straßenverkehrsgefährdung durch liegengebliebene Fahrzeuge
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mal im Sinne von § 14 Abs. 4 OWiG gelten müßte, oder sie fehlt bei beiden. Wie es sich verhält, ist nachfolgend zu klären.
II. Meinungsstand Soweit im Schrifttum zum Sonderdeliktscharakter gerade des § 315c Abs. 1 Nr. 2g) Stellung genommen wird, wird diese Straftat als Sonderdelikt aufgefaßt, 73 und zwar deshalb, weil es sich bei dieser Straftat um ein Garantenunterlassungsdelikt74 handeln soll. Mit anderen Worten soll nicht jeder, dem die Abwendung der Gefahr durch korrekte Absicherung haltender oder liegengebliebener Fahrzeuge faktisch möglich ist, der dies aber unterläßt, eine Straßenverkehrsgefährdung begehen können, sondern nur ein dazu besonders verpflichteter Personenkreis. Wer Garant ist, soll nach den allgemeinen Grundsätzen der Garantenlehre zu bestimmen sein.75 Dieser Ansicht ist in ihrem Ausgangspunkt voll zuzustimmen. Nach dem hier vertretenen Standpunkt sind Garantenunterlassungsdelikte Sonderstraftaten. 76 Darauf ist schon mehrfach hingewiesen worden. 77 Die Unwertdifferenz, die es rechtfertigt, einen unterlassenden Garanten wie einen aktiv handelnden Täter zu bestrafen, die Untätigkeit eines beliebigen Dritten aber straflos zu lassen oder erheblich milder zu ahnden, besteht in der relativen Steigerung des Unwerts der Unterlassung gegenüber dem Garanten. Der größere von dem Garanten verwirklichte Unwert ist also das Sonderunrecht, nicht etwa eine Rechtsgutsverletzung, die von der des unterlassenden Dritten verschieden wäre. Gerade die aufgrund seines besonderen sozialen Einflußbereichs dem Garanten von der Rechtsordnung zugewiesene, besondere Schutzaufgabe rechtfertigt es, z. B. einen Vater, der sein Kind ertrinken läßt, wegen Totschlags, den zufällig des Weges kommenden Spaziergänger, der das Kind ebenso retten könnte, nur aus § 323c zu bestrafen. Fragwürdiger als der Ausgangspunkt der hier untersuchten Ansicht ist die mehr oder minder begründungslos aufgestellte Behauptung, es handle sich bei der Straftat des § 315c Abs. 1 Nr. 2g) um ein Garantenunterlassungsdelikt. Dies 73
Cramer, Straßenverkehrsrecht, § 315c Rz. 89. Zu dieser Terminologie, die hier dem verbreiteten, aber in unterschiedlicher Bedeutung gebrauchten Ausdruck „unechtes Unterlassungsdelikt" vorgezogen wird, vgl. Schmidhäuser, AT2 16/10,18. 75 Schönke-Schröder-Cramer, § 315c Rz. 24; Dreher-Tröndle, § 315c Rz. 11; LK-Rüth § 315c Rz. 54; SK-Horn § 315c Rz. 16. 76 Näher dazu Langer, Das Sonderverbrechen, S. 503 ff.; LK-Roxin, § 28 Rz. 40; Schmidhäuser AT2 16/10. 77 Vgl. oben Teil 2 E.III.2.c)cc); Teil 3 B.II.3.d). 74
218
Teil 4: Verkehrstraftaten
ist keineswegs selbstverständlich, insbesondere weil der Wortlaut des Tatbestandes eine Beschränkung auf einen engeren Täterkreis nicht unmittelbar zum Ausdruck bringt. Diese Behauptung ist daher nachfolgend zu überprüfen.
III. § 315c Abs. 1 Nr. 2g) als Garantenunterlassungsdelikt 1. Auslegung des Tatbestandes Ob diese Straftat ein Garantenunterlassungsdelikt ist, muß durch Auslegung ermittelt werden. Wie schon mehrfach erwähnt, bietet der Wortlaut des Tatbestandes keinen Ansatzpunkt für eine Beschränkung des Tatbestandes auf bestimmte Garanten. Im Gegenteil ist der Täterkreis hier lediglich durch das Wort „Wer" beschrieben, so daß die geradezu klassische Form eines durch jedermann begehbaren Delikts vorzuliegen scheint. Systematische Erwägungen helfen nicht viel; soweit hier Argumente gewonnen werden können, unterstützen sie eher noch die Annahme, es handle sich um ein Jedermannsunterlassungsdelikt. Denn die durch jeden beliebigen Dritten begehbaren Unterlassungsstraftaten der §§ 138, 323c beschreiben den Täterkreis gleichfalls nur als „Wer", während die wenigen nicht gemäß § 13, sondern besonders vertatbestandlichten Garantenunterlassungsdelikte, die es gibt, die personale Beschränkung auf bestimmte Garanten schon im Tatbestand andeuten. So liegt es beispielsweise bei den Tatbeständen der §§221 Abs. 1 Var. 2, 223b Abs. 1 Var. 2. Als aufschlußreich erweisen sich dagegen die Gesetzesmaterialien. Bis zur Änderung der betreffenden Tatbestände durch das 2. Verkehrssicherungsgesetz vom 26.11.1964 wurde das ungenügende Kenntlichmachen haltender oder liegengebliebener Fahrzeuge als „Bereiten eines Hindernisses" im Sinne von § 315a Abs. 1 Nr. 1 i.d.F. des Ersten Straßenverkehrssicherungsgesetzes vom 19.12.1952 aufgefaßt. 78 Offensichtlich mußte diese Ansicht von einem Hindernisbereiten durch Unterlassen ausgehen. Die Gleichsetzung des unterbliebenen Kenntlichmachens mit einem aktiven Hindernisbereiten konnte daher nur insoweit erfolgen, als ein Garant untätig blieb. Damit ist klargestellt, daß jedenfalls nach der früheren Rechtslage nicht jedermann, sondern nur Garanten gemäß § 315a Abs. 1 Nr. 1 a.F. strafbar waren, wenn sie das ausreichende Kenntlichmachen unterließen. Der Gesetzgeber, der mit § 315c Abs. 1 Nr. 2 die strafwürdigen verkehrsinternen Fehlleistungen abschließend normieren, das „Hindernisbereiten" des neuen § 315b Abs. 1 Nr. 2 jedoch als ausschließlich verkehrsfremden 78
Vgl. z.B. LK(8.Aufl.)-Werner § 315a Anm.IV; BT-DrS. IV/651, S. 29.
E. Straßenverkehrsgefährdung durch liegengebliebene F a h r z e u g e 2 1 9
Eingriff aufgefaßt wissen wollte, fügte deshalb in die Liste der „Todsünden" auch das Unterlassen ausreichender Kenntlichmachung ein, um deren Strafbarkeit auch künftig zu gewährleisten.79 Es ist jedoch nicht ersichtlich, daß der Gesetzgeber die Strafbarkeit gegenüber der früheren Rechtslage ausdehnen und statt nur die Garanten nunmehr jedermann mit Strafdrohung verpflichten wollte, liegengebliebene Fahrzeuge kenntlich zu machen. Aufgrund der aus der Entstehungsgeschichte gerade dieser Variante des § 315c Abs. 1 Nr. 2 klar ableitbaren Intention des Gesetzgebers ist es gerechtfertigt, den Tatbestand einengend als Garantenunterlassungsdelikt aufzufassen. Dazu drängt auch die teleologische Auslegung. Einerseits wäre die Strafdrohung des § 315c Abs. 1 für ein Jedermannsunterlassungsdelikt unangemessen hoch, wenn man bedenkt, daß die unterlassene Hilfeleistung, bei der die einem Menschenleben drohende Gefahr noch viel größer sein kann, mit maximal einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht ist, und auch das Delikt des § 138, das zwar dieselbe Strafdrohung wie § 315c Abs. 1 aufweist, ungleich größere Gefahren für bedeutende Güter voraussetzt als § 315c. Andererseits hätte man es hier mit dem einmaligen Fall eines selbst durch leichteste Fahrlässigkeit begehbaren Jedermannsunterlassungsdelikts, das auch noch in diesem Fall mit 2 Jahren Freiheitsstrafe bedroht wäre (§ 315c Abs. 3), zu tun. Der den durch jeden Menschen begehbaren Unterlassungsdelikten zugrunde liegende Gedanke eines Mindestmaßes zumutbarer mitmenschlicher Solidarität 80 wäre jedoch überspannt, wenn man von den Rechtsgenossen fordern wollte, sie müßten auf gefährlich abgestellte, unbeleuchtete Fahrzeuge achten. Die Auslegung des § 315c Abs. 1 Nr. 2g) ergibt daher, daß nach dem Zweck des Tatbestandes und seiner Entstehungsgeschichte, jedoch entgegen dem Wortlaut der Vorschrift ein Garantenunterlassungsdelikt anzunehmen ist.
2. Garantenpositionen bei § 315c Abs. 1 Nr. 2g) Welche Garanten in Frage kommen, muß hier nicht abschließend untersucht werden. Selbstverständlich kommen der Halter oder der Eigentümer des Fahrzeugs in Betracht. Hervorzuheben ist hier lediglich, daß derjenige, der das Fahrzeug bis zum Halten oder Liegenbleiben gefahren hat, für die Kenntlichmachung verantwortlich ist. Diese Selbstverständlichkeit bedarf nur deshalb der Erläuterung, weil dem Eindruck entgegenzutreten ist, es gebe doch so etwas wie eine mit dem Führen des Fahrzeugs verbundene Garantenstellung, die ja oben 79 80
BT-DrS. IV/651, S. 29. Lackner § 323c Rz. 1; Gallas, Beiträge, S. 261 f.
220
Teil 4: Verkehrstraftaten
erörtert, jedoch verworfen wurde. 81 Die Verantwortlichkeit beruht hier nicht auf dem Führen des Fahrzeugs, vor allem weil streng genommen das Führen infolge des Haltens oder Liegenbleibens des Fahrzeugs sein Ende gefunden hat und damit die „Eigenschaft" des Fahrers als „Fahrzeugführer" beseitigt ist. Sie folgt auch nicht aus dem Ingerenzgedanken, weil der Fahrer das Fahrzeug in die Situation gebracht hat, in der es letztlich zum Stehen kam. Abgesehen von grundsätzlichen Bedenken gegen die Anerkennung der Ingerenz82 würde diese Form der Garantenstellung nur für einen geringen Teil von Fahrern die Pflicht zur Kenntlichmachung begründen, nämlich für die, die zuvor rechtswidrig gehalten haben. Die Fälle rechtmäßigen Haltens oder zufälligen Liegenbleibens, welche sehr viel häufiger sein dürften, blieben mangels rechtswidrigen Verhaltens unerfaßt. Die Verantwortlichkeit dessen, der das Fahrzeug zuletzt fuhr, ergibt sich vielmehr aus seiner Sachherrschaft über einen Gegenstand, von dessen Zustand selbst, nicht von dem Umgang mit ihm, nunmehr Gefahren ausgehen. Die Sachherrschaft dessen, der zuletzt gefahren ist, gleicht letztlich dem Verhältnis des Eigentümers oder Halters zu seiner Sache. Weniger umfassend und meist von jenen abgeleitet, ist der Fahrer als Inhaber der Sachherrschaft aufgerufen, Gefahren, die vom Zustand des Fahrzeugs selbst ausgehen, zu beseitigen.83
IV. Ergebnis Die Auslegung des § 315c Abs. 1 Nr. 2g) hat ergeben, daß diese Straftat ein Garantenunterlassungsdelikt und damit eine Sonderstraftat ist. Auf extrane Teilnehmer ist § 28 Abs.l anzuwenden. Als Garanten kommen insbesondere Halter, Eigentümer und bisheriger Fahrer in Betracht.
F. Verkehrsgefährdender Verstoß gegen Sicherheitsvorschriften gemäß § 315a Abs. 1 Nr. 2 Von den Verkehrsstraftaten des Strafgesetzbuchs ist zuletzt § 315a Abs. 1 Nr. 2 zu behandeln. Im Unterschied zu § 315c Abs. 1 Nr. 2 enthält § 315a Abs. 1 Nr. 2 keine Aufzählung besonders schwerwiegender Regelverstöße, sondern nimmt praktisch das gesamte für die betreffende Verkehrsart sicherheitsrelevante Regelungswerk in Bezug, soweit es in Form einer Rechtsvorschrift - und 81 82 83
Vgl. oben Teil 4 C.III.3.c). Langer, Das Sonderverbrechen, S. 504; Langer, FS-Lange, S. 243, Fn. 12. Vgl. zu einem ähnlichen Problem unten Teil 4 J.III.2.
F. Verkehrsgefährdender Verstoß gegen SicherheitsVorschriften
221
nicht lediglich als behördliche Verfügung 84 - ergangen ist. Abgesehen von diesem gesetzestechnischen Unterschied ist jedoch der übereinstimmende Gegenstand beider Strafvorschriften die Pönalisierung verkehrsinternen Fehlverhaltens. Das legt es nahe, die zu § 315c Abs. 1 Nr. 2a) - f) angestellten Überlegungen auf diese Straftat zu übertragen. Bedenken, ob die dort gefundenen Ergebnisse ohne weiteres auch für § 315a Abs. 1 Nr. 2 Geltung haben, entstehen lediglich aus einem bedeutsamen Unterschied der tatbestandlichen Schilderung der Straftat. Im Gegensatz zu § 315c wird hier anscheinend ein bestimmtes Deliktssubjekt, der Führer des Fahrzeugs bzw. der sonst für die Sicherheit Verantwortliche hervorgehoben. Es bedarf daher nochmals genauer Überlegung, ob § 315a Abs. 1 Nr. 2 nicht doch eine Sonderstraftat darstellen könnte.
I. Meinungsstand In Schrifttum und Rechtsprechung herrscht die Auffassung, § 315a Abs. 1 Nr. 2 weise einen begrenzten Täterkreis auf. 85 Offenbar ist das auch der Standpunkt der amtlichen Erläuterung zum Entwurf des 2. Straßenverkehrssicherungsgesetzes. Im Zusammenhang mit § 315a wird dort von einem die Strafbarkeit des genannten Personenkreises, also Fahrzeugführer bzw. Sicherheitsverantwortliche, erweiternden Tatbestand und von einer Beschränkung des Anwendungsbereichs auf diese Personen gesprochen.86 Ferner soll sich der Tatbestand nur an bestimmte Personen richten 87, bei denen es sich außerdem um die Träger besonderer Pflichten handeln soll. 88 Die Bedeutung der Beschränkung des Kreises der Deliktssubjekte für den Sonderdeliktscharakter der Straftat wird jedoch unterschiedlich beurteilt. Einige Autoren schließen bereits aus ihrem Vorliegen, daß es sich um eine Sonderstraftat handelt.89 Die Gegenmeinung argumentiert, daß die Sondersubjekte nur die Träger rechtsgutsbezogener Berufspflichten seien, deren Verletzung keinen besonderen sozial-ethischen Unwertgehalt begründe. Außerdem spreche es gegen die Annahme eines Sonderdelikts, daß § 315a Abs. 1 Nr. 2, soweit sich sein An84
Diesbezüglich wird § 315a Abs. 1 Nr. 2 für die Luftfahrt ergänzt durch §§ 59, 58 Abs. 1 Nr. 1 LuftVG. 85 BGHSt 24, 231 (233f.); Lackner § 315aRz. 3; Heidland, S. 66; SK-Hom § 315aRz. 8,15; Dreher-Tröndle § 315a Rz. 3 ff.; LK-Rüth § 315a Rz. 11; Schönke-Schröder-Cramer § 315a Rz.5,6. 86 BT-DrS. IV/651, S. 26. 87 BT-DrS. IV/651, S. 26. 88 BT-DrS. IV/651, S. 27. 89 SK-Hom § 315a Rz. 15; Dreher-Tröndle § 315a Rz. 3; Lackner § 315a Rz. 3.
Teil 4: Verkehrstraftaten
222
Wendungsbereich mit dem des § 315 Abs. 1 überschneidet, diesem gegenüber, also einem Gemeindelikt, subsidiär sei. 90 Damit ist der Sonderdeliktscharakter der Straftat des § 315a Abs. 1 Nr. 2 weder bewiesen noch widerlegt. Denn weder rechtfertigt das Vorliegen einer Subjektskreiseinschränkung allein die Annahme, es liege ein Sonderdelikt vor, noch berechtigt das Fehlen besonderer sozialethischer Unwertgehalte zum gegenteiligen Schluß. Zu Recht weist allerdings Heidland auf den Umstand hin, daß sich die Anwendungsbereiche der §§ 315, 315a Abs. 1 Nr. 2 überschneiden und daraus ein Argument gegen den Sonderdeliktscharakter der zuletzt genannten Straftat abgeleitet werden kann. Darauf wird noch einzugehen sein. Keine der hier erörterten Ansichten, auch nicht die amtliche Begründung, liefert jedoch Argumente für die Annahme, es liege hier eine Subjektskreiseinschränkung vor. Unter anderem diese Frage ist nachfolgend zu untersuchen, wobei jedoch, um Wiederholungen zu vermeiden, die im Rahmen der Untersuchung der Verkehrsstraftaten bisher gewonnenen Erkenntnisse verwertet werden und deshalb eine unmittelbare Gegenüberstellung der für und gegen eine Sonderstraftat sprechenden Gesichtspunkte ohne streng analytische Gliederung angemessen erscheint.
II. Sonderdeliktsnatur des § 315a Abs. 1 Nr. 2 Der Wortlaut dieser Vorschrift spricht auf den ersten Blick dafür, eine Subjektskreiseinschränkung anzunehmen. Denn die substantivische Bezeichnung bestimmter Deliktssubjekte entspricht der bei zahlreichen Sonderstraftaten üblichen Gesetzessprache. Es kommt noch hinzu, daß durch die Wendung „als sonst für die Sicherheit Verantwortlicher" der Fahrzeugführer nur als Beispiel einer Personengruppe erscheint, die durch den Oberbegriff des Sicherheitsverantwortlichen gekennzeichnet ist. Diese Bezeichnung drängt jedoch geradezu zu der Annahme, die betreffenden Personen stünden in einem besonderen Verhältnis zu bestimmten Rechtsgütern, für deren Sicherheit sie verantwortlich sind und deren Schutz ihnen daher besonders überantwortet ist. Diese Annahme wird untermauert, wenn man sich die Berufe, welche die betreffenden Personen in der Regel ausüben, vor Augen führt. Die Berufe eines Piloten, Kapitäns, Lokführers, Lotsen oder Steuermanns gelten als besonders verantwortungsvolle Tätigkeiten, welche an die Zuverlässigkeit der dort tätigen Personen besonders hohe Anforderungen stellen, weil von diesen Personen Wohl und Wehe einer Vielzahl von Passagieren abzuhängen pflegt. Ersichtlich hat diese Vorstellung auch in die amtliche Begründung des Gesetzentwurfs Eingang gefunden, wo es heißt: 90
Heidland, S. 66 f.
F. Verkehrsgefährdender Verstoß gegen Sicherheitsvorschriften
223
„Die Beschränkung des Anwendungsbereichs auf die für die Sicherheit Verantwortlichen erklärt sich daraus, daß die Sicherheit der Fahrgäste und Beförderungsgüter des Bahn-, Schiffs- und Luftverkehrs weitgehend diesen Personen, die durch ständig wiederholte Belehrung eingehend über ihre Pflichten unterrichtet werden, anvertraut werden muß."91 Dementsprechend zieht die Rechtsprechung einiger Zivilgerichte den Gesichtspunkt der besonderen Verantwortung zur Begründung besonderer Sorgfaltspflichten der Führer eines öffentlichen Verkehrsmittels heran.92 Daß § 315a Abs. 1 Nr. 2 gleichwohl keine Sonderstraftat der für Passagiere und Fracht verantwortlichen Kapitäne, Lokführer und Piloten ist, ergibt sich aus der einfachen Überlegung, daß dieser Tatbestand nicht nur die Fahrzeugführer der Massenbeförderungsmittel erfaßt, sondern auch den Sport- und Segelflieger sowie den Sportbootführer, welche weder für Passagiere noch für Fracht zu sorgen haben, sondern allenfalls dafür verantwortlich sind, daß nicht Dritte, insbesondere nicht andere Flugzeuge oder Schiffe, durch ihr Verkehrsverhalten Schaden erleiden. Außerdem verlangt der Tatbestand nicht nur keinen einer bestimmten Berufsgruppe zugehörigen Täter; es müssen bei ihm nicht einmal die Mindestvoraussetzungen vorliegen, die man als Grundlage besonders übertragener Verantwortung fordern müßte. An die Übertragung einer besonderen Schutzaufgabe wäre vielleicht zu denken, wenn der Täterkreis auf die zur Führung solcher Verkehrsmittel besonders ausgebildeten und besonders zugelassenen Personen beschränkt wäre. Auch dies ist aber nicht der Fall. Auch wer ohne entsprechenden Flug- oder Bootsführerschein ein Flugzeug oder ein Sportboot führt, ist Führer eines Fahrzeugs im Sinne des § 315a Abs. 1 Nr. 2. Wenn das Unrecht des Tatbestandes auch durch die fehlerhafte Verkehrsteilnahme solcher Fahrzeugführer begründet sein kann, so kann eine Steigerung des Unwerts der jeweiligen Rechtsgutsverletzung aufgrund einer besonderen Schutzaufgabe für Passagiere und Fracht nicht Bestandteil des Tatbestandes sein. Die Vorstellung des Gesetzgebers über die Strafwürdigkeit der Sicherheitsverantwortlichen, denen sich in Massenbeförderungsmitteln zahlreiche Menschen anvertrauen, erweist sich somit als Motiv der Gesetzgebung, welches letztlich in die Schilderung des Tatbestandes keinen Eingang gefunden hat. Ferner spricht der von Heidland93 angeführte Vergleich mit § 315 gegen eine Sonderstraftat. Nach überwiegender Ansicht überschneiden sich die Anwendungsbereiche beider Vorschriften, insbesondere bei der Modalität des § 315 Abs. 1 Nr. 3. Denn das Geben falscher Zeichen muß nicht notwendig nur einen verkehrsfeindlichen Eingriff bedeuten, sondern kann auch, insbesondere in der Fahrlässigkeitsvariante, ein verkehrsinternes Fehlverhalten sein. Überschneidun91 92 93
BT-DrS. IV/651, S. 26. KG VersR 77, S.723 (724); OLG Koblenz VRS 39, 265. Heidland, S. 67.
224
Teil 4: Verkehrstraftaten
gen ergeben sich aber auch dort, wo ein pflichtwidriges Verhalten im Verkehr zugleich als ähnlicher, ebenso gefährlicher Eingriff gemäß § 315 Abs. 1 Nr. 4 gewertet wird. In solchen Fällen tritt § 315a aufgrund der geringeren Strafdrohung zurück. 94 Da jedoch § 315 unbezweifelbar keine Sonderstraftat enthält, wäre es äußerst merkwürdig, wenn dem durch dasselbe Verhalten begründeten Gemeinumecht (§ 315) eine schärfere Strafdrohung als dem durch das Sonderunrecht noch gesteigerten Unwert (§ 315a) zugeordnet wäre. Das war auch nicht die Absicht des Gesetzgebers, der in § 315 besonders gefährliche verkehrsfremde und -interne Handlungen, in § 315a jedoch weiteres nicht ganz so gefährliches, aber noch strafwürdiges verkehrsinternes Verhalten unter Strafe stellen wollte.95 Hätte der Gesetzgeber die Vorstellung gehabt, der Unwert dieser weniger gefährlichen Verstöße sei wegen der besonderen Schutzaufgabe der Täter gesteigert, hätte er zumindest dieselbe Strafdrohung wie in § 315 anordnen müssen. Aus jener Intention erklärt sich letztlich auch der wahre Zweck, der mit der Benennung der Sicherheitsverantwortlichen im Tatbestand des § 315a Abs. 1 Nr. 2 verfolgt wird. Der Gesetzgeber wollte die Strafbarkeit auf verkehrsinternes Fehlverhalten beschränken, aber in diesem Umfang jeglichen Verstoß gegen sicherheitsrelevante Rechtsvorschriften erfassen. 96 Es gibt jedoch auch Vorschriften zur Sicherung der jeweiligen Verkehrsart, die den Verkehr gefährdende, verkehrsfremde Handlungen regeln. Als Beispiel mögen hier etwa die Vorschriften über den Bauschutzbereich eines Flughafens und die damit zusammenhängenden Bebauungsverbote97 dienen. Die Verletzung solcher Vorschriften sollte, soweit nicht der Tatbestand des § 315 vorlag, jedenfalls nicht im Kernstrafrecht pönalisiert werden. Diese Abgrenzungsfunktion wird durch die Aufzählung der sicherheitsverantwortlichen Personen wahrgenommen. Sie gewährleistet, daß nur die sicherheitsrelevanten Vorschriften erfaßt werden, die verkehrsinternes Verhalten regeln. Als Fahrzeugführer oder Sicherheitsverantwortlicher können die betreffenden Personen nur solche Vorschriften verletzen, die im weitesten Sinne einen Verkehrsvorgang beschreiben. Damit steht fest, daß auch hier unter Fahrzeugführer nicht eine Person mit einer bestimmten Eigenschaft, sondern eine in einer bestimmten Weise handelnde, nämlich ein Fahrzeug führende Person, gemeint ist. Daß außerdem noch die Sicherheitsverantwortlichen genannt werden, beruht auf der bei den Massenverkehrsmitteln erforderlichen Arbeitsteilung 98, aufgrund deren weitere, dem Füh94
BGHSt 24, 231(233 f.); BGH VRS 38, 344 f.; Schönke-Schröder-Cramer § 315a Rz. 14; Dreher-Tröndle, § 315a Rz. 12; Lackner § 315a Rz.7; SK-Horn § 315 Rz. 8; LK-Rüth § 315a Rz. 23; so auch die amtliche Begründung BT-DrS. IV/651, S. 26. 95 BT-DrS. IV/651, S. 26. 96 BT-DrS. IV/651, S. 26. 97 §§ 12-18a LuftVG. 98 BT-DrS. IV/651, S. 26.
G. Fahren ohne Fahrerlaubnis
225
ren des Fahrzeugs gleichrangige Funktionen im Betriebsablauf herausgebildet worden sind. Die Funktion dieses Merkmals besteht also letztlich darin, unter den sicherheitsrelevanten Vorschriften diejenigen auszuwählen, die verkehrsinternes Verhalten regeln. Nur diese Auslegung ist auch mit der Erkenntnis vereinbar, daß Verkehrsregeln keine Sondernormen mit beschränktem Adressatenkreis sind, sondern Regelungen eines gegenständlich begrenzten Lebenssachverhalts. Im Ergebnis steht somit fest, daß trotz des gegenteiligen, durch den Wortlaut der Vorschrift hervorgerufenen Anscheins § 315a Abs. 1 Nr. 2 keinen beschränkten Täterkreis voraussetzt und deshalb, aber auch mangels jeglichen materiellen Sonderunrechts keine Sonderstraftat ist.
G. Fahren ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 StVG I. Meinungsstand Daß es sich bei den in § 21 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StVG beschriebenen und etwas pauschal als Fahren ohne Fahrerlaubnis bezeichneten Straftaten um eigenhändige Delikte handelt, da sie nur durch das Führen eines Kraftfahrzeugs begangen werden können, ist aufgrund der oben" dargestellten Auslegung des Merkmals „Führen", welche auch hier maßgebend ist, evident. Diese Eigenschaft hat zwar nichts mit dem möglichen Sonderdeliktscharakter dieser Straftaten zu tun, gebietet jedoch wegen der unterschiedlichen Tathandlung im Vergleich zu den Halterstraftaten des § 21 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 3 StVG deren getrennte Untersuchung. Zum Sonderdeliktscharakter des § 21 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 StVG liegen nur wenige Äußerungen vor. Das Fehlen der erforderlichen Fahrerlaubnis, das Bestehen eines Fahrverbots und die Sicherstellung bzw. Beschlagnahme des vorgeschriebenen Führerscheins werden von einigen Autoren als besondere Eigenschaften, als Sondereigenschaften des Täters aufgefaßt, so daß ein Sonder1 ΛΛ
delikt anzunehmen sei. Die Richtigkeit dieser Behauptung ist jedoch alles andere als evident, so daß davon ohne nähere Begründung, die jene Autoren nicht geben, auch nicht ausgegangen werden kann. 99
Vgl. Teil 4 C.1.1. Seiler, DAR 83,380; Müller-Rüth, Straßenverkehrsrecht, Bd.I § 21 StVG Rz. 35; soweit in der letztgenannten Kommentarstelle aus dem Vorliegen der Sondereigenschaft auf ein „eigenhändiges Delikt4' geschlossen wird, dürfte es sich um eine Verwechslung des Ausdrucks handeln; präziser jetzt Rüth/Berr/Berz, § 21 StVG Rz. 61. 100
15 Deichmann
Teil 4: Verkehrstraftaten
226
II. Überprüfung des Tatbestandes auf seine Sonderdeliktsnatur 1. Gemeinunrecht des Tatbestandes Versucht man zunächst einmal diejenigen Merkmale des Tatbestandes herauszufinden, die sicherlich nur das Gemeinunrecht, also den Rechtsgutsangriff schildern, sieht man sogleich, daß es sich hier schwerlich um eine Sonderstraftat handeln kann. Das Führen eines Kraftfahrzeugs allein ist kein Umecht; seine den geschützten Rechtsgütern bedrohliche Bedeutung erhält das Führen des Fahrzeugs vielmehr erst dadurch, daß es in einer abstrakt gefährlichen und deshalb sozial inadäquaten Weise geschieht. Dabei unterstellt der Gesetzgeber in generalisierender Betrachtung, daß derjenige, der seine Befähigung zum Führen eines Kraftfahrzeugs nicht durch die erfolgreiche Bewältigung der Fahrprüfung nachgewiesen hat, nicht ebenso sicher fahren kann wie ein Fahrerlaubnisinhaber. Wenn man so will, ist § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG das formelle Gegenstück zu den Straftaten der §§ 315 Abs. 1 Nr. 1, 316. Fehlt es hier an der Fahrsicherheit, steht dort der fehlende Nachweis entsprechender Fähigkeiten, mögen sie im Einzelfall auch vorhanden sein, im Mittelpunkt. Die bei generalisierender Betrachtung zu befürchtende mangelhafte Fähigkeit, ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr zu beherrschen, liegt in abgeschwächter Form auch vor, wenn die Fahrerlaubnis nur vorläufig entzogen ist, sowie in den Fällen des § 21 Abs. 2 Nr. 2 StVG. Bei der notwendig verallgemeinernden Betrachtung ist auch in diesen Fällen zu befürchten, daß die betreffende Person charakterliche Mängel aufweist, welche zumindest vorübergehend ihre Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr als nicht hinnehmbare Gefahr für die geschützten Rechtsgüter erscheinen lassen. Damit ist zunächst einmal bewiesen, daß die vermeintlichen besonderen Eigenschaften - fehlende Fahrerlaubnis, Fahrverbot bzw. Beschlagnahme des Führerscheins - tragende Elemente der tatbestandlichen Schilderung des rechtsgutsverletzenden Verhaltens sind. Genausowenig wie bei der infolge Trunkenheit fehlenden Fahrsicherheit 101 handelt es sich hier um besondere persönliche Merkmale des Täters.
2. Subjektskreiseinschränkung
auf Fahrzeugführer
Es bleibt daher nur noch zu erörtern, ob der Tatbestand personal auf Fahrzeugführer beschränkt ist, ob also die Pflicht, nur mit Fahrerlaubnis zu fahren bzw. ein Fahrverbot zu respektieren, eine Sonderpflicht des Fahrzeugführers ist. 101
Vgl. Teil 4 C.II.2.
H. Anordnen und Zulassen des Fahrens ohne Fahrerlaubnis
227
Dazu ist jedoch schon das Erforderliche gesagt.102 Der Führer eines Kraftfahrzeugs ist als solcher kein Garant für die Unversehrtheit der Güter, die durch den Kraftverkehr in Mitleidenschaft gezogen werden können. Er ist beim Fahren vielmehr nur dem für jedermann geltenden Gebot, andere nicht zu gefährden bzw. zu verletzen, unterworfen. Die verkehrsrechtliche Regelung, daß die Teilnahme am Verkehr mit Kraftfahrzeugen eine persönliche Zulassung erfordert, ist dementsprechend keine Sondernorm der Fahrzeugführer, sondern eine für jedermann geltende Vorschrift im Rahmen eines gegenständlich begrenzten Lebensbereichs. Das Fahren ohne Fahrerlaubnis in den tatbestandlichen Varianten des § 21 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 StVG und, wie noch ergänzend anzumerken ist, in den jeweiligen Fahrlässigkeitstatbeständen (§21 Abs. 2 Nr. 1,2 StVG) ist daher keine Sonderstraftat.
H. Anordnen und Zulassen des Fahrens ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 StVG I. Meinungsstand Ausdrückliche Aussagen über die Rechtsnatur der in § 21 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 3 StVG geschilderten Straftaten sind rar. Wo sie sichfinden, wird die Haltereigenschaft als Sondereigenschaft des Täters aufgefaßt und von einem Sonderdelikt gesprochen, bei dem die Sondereigenschaft strafbegründend sei. 103 Der Sache nach werden dagegen die Straftaten des § 21 Abs. L Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 StVG sowohl in der Rechtsprechung wie auch im Schrifttum als Sonderstraftaten behandelt. Denn es ist hier unstreitig, daß das Merkmal „Halter" ein besonderes persönliches Merkmal im Sinne des § 14 ist. Dies ist jedenfalls den Entscheidungen104 und Kommentierungen105 zu entnehmen, in denen dargelegt wird, in welchem Umfang an Stelle des Halters handelnde Personen von Tatbeständen, die sich an den Halterrichten, erfaßt werden. Die Behandlung als Sonderdelikt, jedenfalls aber als Straftat mit beschränktem Täterkreis hat im 102
Vgl. Teil 4 C.II. 1 C . I I I . Seiler, DAR 83, S. 380; Müller, Straßenverkehrsrecht, Bd.I, § 21 StVG Rz. 35; Bruns, Anmerkung zu OLG Hamm und OLG Bremen, NJW 55, S. 1162 f.; Rüth/Berr/Berz § 21 StVG Rz. 61. 104 OLG Schleswig VRS 58, 384 f.; OLG Düsseldorf VRS 63, 135 f.; KG Berlin VRS 36, 269 f.; OLG Hamm VRS 41, 394 f.; OLG Düsseldorf NJW 70, S. 821; OLG Hamm VRS 34, 149 f. 105 Rüth/Berr/Berz, Straßenverkehrsrecht, § 21 StVG, Rz. 45; Jagusch, § 21 StVG Rz. 14; Krumme/Sanders/Mayr, Straßenverkehrsrecht, § 21 StVG Anm. Β II. 103
15
228
Teil 4: Verkehrstraftaten
übrigen eine lange Tradition. Bereits vor Einführung des § 14 bzw. des § 50a a.F. war in der Rechtsprechung anerkannt, daß die Verkehrsstraftaten, die als Halterdelikte ausgestaltet sind, solche mit eingeschränktem Täterkreis, sind. 106 Nicht zuletzt die damit verbundenen Probleme, insbesondere die Strafbarkeitslücken, die nur durch mühsame Auslegungskunststücke geschlossen werden konnten,107 haben zu der Einsicht geführt, daß das Problem der Organ- und Vertreterhaftung bei Sonderdelikten einer allgemeinen Lösung zugeführt werden mußte,108 die mit § 50a a.F. erreicht wurde. Daß es sich bei den hier untersuchten Halterdelikten um Sonderstraftaten handelt, ist demnach niemals ernsthaft bezweifelt worden und gilt offenbar als so evident, daß diese Annahme näherer Begründung nicht mehr bedürftig zu sein scheint. Gewißheit über die Richtigkeit dieser Annahme wird jedoch letztlich erst ihre Überprüfung am Maßstab der Sonderdeliktsdefinition bringen.
II. Zur Sonderdeliktsnatur des Halterdelikts 1. Vertatbestandlichtes
Teilnehmerdelikt
Seiner Struktur nach bedeutet das Anordnen oder Zulassen des Führens des Fahrzeugs durch einen zum Fahren nicht berechtigten Fahrer, soweit Halter und Fahrer vorsätzlich handeln, nichts anderes als Teilnahme an der Straftat des Fahrers, 109 und zwar in der Form der Anstiftung, wenn die Fahrt angeordnet, in der Form der Beihilfe, wenn die Fahrt zugelassen wird. Daß in der Sache ein Teilnehmerdelikt vorliegt, ergibt sich auch daraus, daß der Halter nur strafbar ist, wenn der unberechtigte Fahrer die Anordnung befolgt bzw. von dem Zulassen Gebrauch gemacht hat, 110 die „Haupttat" also begangen wurde. Dies einmal vorausgesetzt, ist nach der sachlichen Berechtigung für die Ungleichbehandlung verschiedener Teilnehmer zu fragen. Während Anstifter und Gehilfen, die nicht Halter sind, nach den §§ 26,27 bestraft werden und damit insbesondere von der Milderungsvorschrift des § 27 Abs. 2 profitieren, sieht sich der Halter, der dasselbe tut, einer selbständigen Strafvorschrift gegenüber, die seine Teilnahme zur Täterschaft erhebt. Der sachliche Grund dieser Differenzierung 106
OLG Hamm und OLG Bremen, NJW 55, S. 1162 m.w.Nw. BGHSt 8, 139 ff.; dazu Wiesener, S. 154 ff.; Blauth, S. 37 ff. 108 Vgl. etwa Bruns, Anm. zu OLG Hamm und OLG Bremen, NJW 55, S. 1162 m.w.Nw. und die Darstellung der Rechtsentwicklung bei Blauth, S. 46 ff. 109 Müller-Rüth, Straßenverkehrsrecht, Bd.I, § 21 StVG, Rz. 35; Rüth/Berr/Berz § 21 StVG Rz. 62,51. 110 Jagusch, § 21 StVG Rz. 13; Müller-Rüth, Straßenverkehrsrecht Bd. I § 21 StVG Rz. 24; Rüth/Berr/Berz § 21 StVG Rz. 50. 107
H. Anordnen und Zulassen des Fahrens ohne Fahrerlaubnis
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kann nicht in einer unterschiedlichen Intensität der Rechtsgutsverletzung liegen; denn der Rechtsgutsangriff des „einfachen" Teilnehmers unterscheidet sich nicht von demjenigen des Halters. Erklärbar ist der Unterschied daher nur aus der relativen Steigerung des Unwerts der Rechtsgutsverletzung, welche aufgrund des besonderen Verhältnisses des Halters zum Rechtsgut des § 21 StVG erfolgt.
2. Die Anwendung der Sonderdeliktsdefinition a) Sonderunrechtstatbestand Daß der Tatbestand des § 21 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 3 StVG bestimmte Deliktssubjekte voraussetzt, liegt auf der Hand. Die Eigenschaft, Halter zu sein, ist, anders als das Führen eines Kraftfahrzeugs, von der tatbestandsmäßigen Handlung unabhängig und bezeichnet ausschließlich eine Besonderheit der Person des Täters. Dieses Tatbestandsmerkmal ist somit abstrakt geeignet, ein Sonderunrecht zu beschreiben, so daß ein Sonderunrechtstatbestand vorliegt.
b) Materielles Sonderunrecht Der Halter eines Kraftfahrzeugs verfügt auch über einen besonderen sozialen Einflußbereich, kraft dessen ihm der Schutz der von dem Fahrzeug gefährdeten Rechtsgüter überantwortet ist. Er entscheidet über den Einsatz des Fahrzeugs, zieht die Nutzungen dieses Einsatzes und trägt dessen Lasten. Aufgrund dieser Zuständigkeit für das Fahrzeug hat er gesteigerte Möglichkeiten der Einflußnahme auf bestimmte Rechtsgutsobjekte. Dabei handelt es sich vorwiegend um Leben, körperliche Unversehrtheit und Eigentum der Personen, die bzw. deren Sachen dem Einfluß des Betriebs des Kraftfahrzeugs ausgesetzt sind. Bei der massenhaften Verbreitung des Automobils mag es möglicherweise schwer verständlich sein, daß die Nutzung des Kraftfahrzeugs eine Sphäre besonderer Einflußmöglichkeiten ist. Ihre nicht rein faktische, im Hinblick auf mögliche Rechtsgutsverletzungen bestehende, sondern auf sozialer Zuordnung beruhende Besonderheit zeigt sich aber, wenn man bedenkt, daß zu Beginn des Zeitalters des Automobils ernsthaft darüber nachgedacht wurde, ob der Betrieb eines solchen Fahrzeugs auf öffentlichen Straßen überhaupt gestattet sein sollte, und daß die prinzipielle Zulassung des Automobils schon sehr früh mit Erlaubnisvorbehalten und anderen Kautelen verbunden wurde. So sind etwa die Halterhaftung und das Erfordernis besonderer Zulassung des Fahrzeugs zum Verkehr bereits im Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen vom 3.5.1909111 geregelt. Der 111
RGBl S. 437.
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Teil 4: Verkehrstraftaten
Preis für die Erweiterung des Einflußbereichs eines Fahrzeughalters wurde schließlich nochmals erhöht durch die Pflicht zum Abschluß einer Haftpflichtversicherung durch das Gesetz vom 7.11.1939.112 Aufgrund der gesteigerten Einflußmöglichkeiten des Fahrzeughalters, deren Kehrseite in der Gefährdung zahlreicher Rechtsgüter bestehen kann, gibt die Rechtsordnung dem Halter auf, die von seiner Sache ausgehenden Gefahren zu minimieren. Diese Schutzaufgabe des Halters ist in zahlreichen Halterpflichten ausgeformt. Sie beginnt beim Zulassungserfordernis und setzt sich fort in der Pflicht, die Betriebssicherheit des Fahrzeugs zu gewährleisten und es regelmäßigen Untersuchungen unterziehen zu lassen. Der Preis für den Betrieb einer solchen Gefahrenquelle ist ferner die Halterhaftung und die Pflichtversicherung. Diese Pflichten unterscheiden den Halter signifikant vom Führer eines Kraftfahrzeugs. Während der Führer für sein eigenes Verhalten im Umgang mit einem gefährlichen Gegenstand verantwortlich ist, knüpft die Verantwortung des Halters von vornherein an die Sache selbst an und umfaßt daher alle Gefahren, die vom Fahrzeug ausgehen können. Bei der Beziehung des Halters zu seiner Sache handelt es sich um eine sozial anerkannte Sonderbeziehung, während die des Fahrers rein faktischer Art ist. 113 Es kann nach allem nicht zweifelhaft sein, daß dem Halter eines Kraftfahrzeugs unter dem Gesichtspunkt des Betriebs einer Gefahrenquelle der Schutz der durch das Fahrzeug eventuell bedrohten Interessen aufgegeben ist. Das Tatbestandsmerkmal „Halter" vertypt demnach materielles Sonderunrecht.
c) Sondernorm und Sonderstrafdrohung Diesem besonderen Unrecht ist die Sonderstrafdrohung des § 21 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 StVG zugeordnet, die sich in dieser Form nur an die Sondersubjekte, nicht aber gegen Dritte, die nur als Teilnehmer verfolgt werden können, wendet. Aus der Existenz der Sonderstrafdrohung ist auch auf die Sondernorm, also auf die gegenüber den Haltern gesteigerte Dringlichkeit der Norm zu schließen, die das Anordnen oder Zulassen von Fahrten nicht fahrberechtigter Fahrzeugführer verbietet.
d) Ergebnis Im Ergebnis ist festzustellen, daß die Halterdelikte gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 StVG und natürlich auch die Fahrlässigkeitsstraftat des Halters ge112
Gesetz über die Einführung der Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter 7.11.1939; RGBl I, S. 2223. 113 Vgl. Teil 4 C.III.2.
vom
H. Anordnen und Zulassen des Fahrens ohne Fahrerlaubnis
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mäß § 21 Abs. 2 Nr. 1 StVG die Merkmale einer Sonderstraftat aufweisen. Daraus folgt, daß die Anwendung des § 14 auf Personen, welche an Stelle des Halters handeln, richtig ist. Denn die Haltereigenschaft ist ein besonderes persönliches Merkmal. 114
e) Anwendbarkeit des § 28 Abs. 1 Abschließend soll der Frage nachgegangen werden, welche Bedeutung der Sonderdeliktscharakter des Halterdelikts für den auf Teilnehmer anzuwendenden Strafrahmen hat. Wie bereits oben ausgeführt, ist das Halterdelikt des § 21 Abs. 1 Nr. 2 StVG seiner Struktur nach Teilnahme des Halters an der Straftat des Fahrers, tatbestandlich aber als selbständige Straftat ausgestaltet. Dies bedeutet, daß in aller Regel ein Teilnehmer an der Straftat des Halters zugleich am Delikt des Fahrers beteiligt ist. Stiftet ζ. Β. A den B, den Halter, an, dem C, der, wie alle Beteiligten wissen, keine Fahrerlaubnis hat, sein Fahrzeug zu überlassen, so ist A nicht nur Anstifter zum Halterdelikt, sondern zugleich Gehilfe zur Straftat des Fahrers. Da sich jedoch die durch § 28 Abs. 1 begründete Strafmilderung nur hinsichtlich der Teilnahme am Halterdelikt auswirkt, nützt sie dem Teilnehmer, der zugleich als Teilnehmer am Delikt des Fahrers strafbar ist, im Ergebnis wenig. Im eingangs genannten Fall bewirkt sie immerhin eine Angleichung der Strafrahmen beider Teilnehmerdelikte, nämlich gemäß §§28 Abs. 1, 49 Abs.l einerseits, gemäß §§ 27 Abs. 2, 49 Abs. 1 andererseits. Will man dagegen eine Anstiftung zum Anordnen des Fahrens ohne Fahrerlaubnis zugleich als (Ketten-)Anstiftung zum Fahrerdelikt begreifen, ist der Teilnehmer aus dem ungemilderten Strafrahmen des Fahrerdelikts strafbar. Daß § 28 Abs. 1 die Strafdrohung des Halterdelikts herabsetzt, wäre also bedeutungslos. Wandelt man den eingangs gebildeten Fall dahin ab, daß A den Β nur darin bestärkt, dem C sein Fahrzeug zu überlassen, ist der (psychischen) Beihilfe zum Halterdelikt zwar ein doppelt gemilderter Strafrahmen (§§ 28 Abs. 1, 27 Abs. 2) zugeordnet. A ist aber auch dann noch als Gehilfe der Straftat des Fahrers aus dem nur einfach gemilderten Strafrahmen des Fahrerdelikts strafbar. Eine spürbare Herabsetzung des Strafrahmens tritt dagegen dann ein, wenn keine vorsätzliche Straftat des Fahrers vorliegt. Stiftet A den B, den Halter, an, dem C das Fahrzeug zu überlassen, und wissen A und B, nicht aber, ζ. B. aus Fahrlässigkeit, C selbst, daß dieser keine Fahrerlaubnis hat, so ist A nur als Anstifter zum Halterdelikt strafbar, mangels vorsätzlicher Haupttat aber nicht wegen Teilnahme an der Straftat des Fahrers. In diesem Fall ist § 28 Abs. 1 die einzige anwendbare Mil114 Entsprechendes gilt für die Tatbestände des § 60 Nr. 1, 2 LuftVG. Soweit die Tat durch Führen eines Luftfahrzeugs begangen wird, handelt es sich um eine Gemeinstraftat; soweit eine Straftat des Halters vorliegt, um ein Sonderdelikt.
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Teil 4: Verkehrstraftaten
derungsvorschrift, die im Fall der Beihilfe überdies zu einer Doppelmilderung (§ 27 Abs. 2) führen würde, und bedeutet daher eine Herabsetzung des anzuwendenden Strafrahmens, die nicht durch konkurrierende Tatbestände wirkungslos wird. Bedeutung kommt der Sonderdeliktsnatur des § 21 Abs. 1 Nr. 2 StVG und entsprechend des § 21 Abs. 2 Nr. 3 StVG also für den auf extrane Teilnehmer anzuwendenden Strafrahmen nur in den Fällen zu, in denen entweder nicht zugleich Teilnahme an der Straftat des Fahrers oder Anstiftung zum Halterdelikt und gleichzeitig nur Beihilfe zum Fahrerdelikt vorliegen. Ansonsten bewirkt § 28 Abs. 1, weil er auf den für die Teilnahme am Fahrerdelikt geltenden Strafrahmen nicht anwendbar ist, im Ergebnis keine Strafmilderung.
J. Fahren und Gestatten des Fahrens ohne Versicherungsschutz gemäß § 6 PflVG I. Vergleich mit § 21 Abs. 1 StVG Die letzte Verkehrsstraftat, die auf ihren Sonderdeliktscharakter untersucht werden soll, nämlich diejenige des § 6 Abs. 1 PflVG 115 , hat im Schrifttum, was dieses Problem betrifft, bisher keine Aufmerksamkeit gefunden. Unübersehbar ist jedoch die ähnliche Struktur im Vergleich zu § 21 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StVG. Die vorhandenen Unterschiede haben bei näherer Betrachtung keine Bedeutung. Im Unterschied zur Straftat des Fahrens ohne Fahrerlaubnis handelt es sich bei § 6 PflVG um ein abstraktes Vermögensgefährdungsdelikt. Gebrauch und Gestatten des Gebrauchs eines unversicherten Fahrzeugs begründen die Gefahr, daß etwaige Ersatzansprüche von Unfallopfern nicht befriedigt werden können, weil dazu das Vermögen der meisten Fahrzeughalter schon bei einem Unfall mittlerer Schwere nicht ausreicht. Ein weiterer Unterschied besteht darin, daß nicht vom Führen eines Fahrzeugs, sondern vom Gebrauch des Fahrzeugs die Rede ist. Dieses Merkmal ist jedoch im gleichen Sinn auszulegen wie das Führen. Erfaßt wird daher nur derjenige, der das Fahrzeug selbst lenkt. 116 In der Sache besteht daher zwischen den beiden Straftaten in diesem Punkt kein Unterschied. Schließlich weicht § 6 PflVG von § 21 Abs. 1 Nr. 2 StVG darin ab, daß ein beschränkter Täterkreis nicht ausdrücklich bezeichnet, sondern nur das Gestatten des Gebrauchs genannt wird, ohne daß das Gesetz Auskunft darüber gibt, ob 115 Die folgenden Ausführungen gelten entsprechend für den Tatbestand des § 9 Abs. 1 des Gesetzes über die Haftpflichtversicherung für ausländische Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger vom 24.7.1956, BGBl I, S. 667. 116 Meyer in Erbs/Kohlhaas, PflVG § 6 Anm. 4b; Lütkes/Meier/Wagner, Straßenverkehr, § 6 PflVG Anm. 5; BayObLGSt 8, S. 83.
J. Fahren und Gestatten des Fahrens ohne Versicherungsschutz
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nur die Gestattung bestimmter Personen relevant sein soll. Die Rechtsprechung hat in diesem Punkt jedoch aus dem Begriff des „Gestattens" zutreffend eine Subjektskreiseinschränkung entwickelt. Gestatten ist schon nach dem Wortsinn mehr als das bloße Einverständnis. Es setzt einen demjenigen des Fahrers übergeordneten Gewahrsam am Fahrzeug voraus, so daß derjenige, der das Fahrzeug ohne Gestattung benutzt, dem Inhaber des übergeordneten Gewahrsams gegenüber rechtswidrig handelt.117 Dabei ist noch bedeutsam, daß der übergeordnete Gewahrsam nicht nur im Augenblick des Gestattens besteht, sondern während des Gebrauchs des Fahrzeugs bestehen bleibt. 118 Derart übergeordneten Gewahrsam hat vor allem der Halter. Er besteht aber auch, abgeleitet vom Halter, beim Mieter und Entleiher gegenüber beliebigen Dritten. Auch der Inhaber einer Werkstatt, dem das Fahrzeug vom Halter übergeben wurde, oder der Hotelier, der das Fahrzeug seines Gastes verwahrt, dürften in diesem Sinn übergeordneten Gewahrsam gegenüber Dritten haben. § 6 PflVG in der Variante der Gebrauchsgestattung ist daher zwar nicht nur durch den Halter, aber gleichwohl nur durch bestimmte Deliktssubjekte begehbar. Der Vergleich mit der Straftat des § 21 Abs. 1 StVG zeigt daher, daß die dort gewonnenen Erkenntnisse auch hier nutzbar gemacht werden können.
II. § 6 Abs. 1 Var. 1 PflVG Für die Variante des Gebrauchens eines unversicherten Fahrzeugs gilt, was schon bei §§ 315c Abs. 1 Nr. 1, 316 und 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG ausgeführt wurde. Ebensowenig wie die fehlende Fahrsicherheit oder die fehlende Fahrerlaubnis ist ein fehlender Versicherungsvertrag ein besonderes persönliches Merkmal. Hinzu kommt, daß der Versicherungsvertrag ohnehin nicht mit der Person des Fahrers verknüpft sein muß. Im Gegenteil ist in der Regel der Halter derjenige, der den Vertrag schließt, während der Fahrer nur am dadurch begründeten Versicherungsschutz teil hat. Es ist daher auch hier so, daß nicht das Fahren als solches, sondern der Gebrauch des Fahrzeugs ohne bestehenden Versicherungsvertrag den Rechtsgutsangriff, d. h. das Gemeinunrecht schildert. Daß das „Gebrauchen", also das Führen des Fahrzeugs keine von dieser Handlung verschiedene Eigenschaft des Fahrers begründet, ist oben 119 gleichfalls ausreichend dargelegt. Auch darauf sei verwiesen. § 6 PflVG in der Variante des Gebrauchens eines unversicherten Fahrzeugs ist somit keine Sonderstraftat. 117 118 119
BayObLGSt 8, S. 83 f. Vgl. dazu BGH VRS 47, 4 (5f.); BayObLG VRS 16, 77 (79 f.). Vgl. Teil 4 C.H.2., CHI.
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Teil 4: Verkehrstraftaten
III. § 6 Abs. 1 Var. 2 PflVG 1. Vertatbestandlichtes
Teilnehmerdelikt
Dagegen deutet die Ähnlichkeit der Gebrauchsgestattung mit dem Halterdelikt des § 21 Abs. 1 Nr. 2 StVG darauf hin, daß auch hier eine Sonderstraftat vorliegt. Das folgt insbesondere daraus, daß nur der relativ gesteigerte Unwert, welchen die Gebrauchsgestattung durch einen Inhaber übergeordneten Gewahrsams bedeutet, die selbständige Vertatbestandlichung dieses in der Sache sich als Teilnahme am Gebrauch eines unversicherten Fahrzeugs darstellenden Verhaltens in § 6 Abs. 1 Var. 2 PflVG rechtfertigt.
2. Anwendung der Sonderdeliktsdefinition Es liegen aber auch die einzelnen Merkmale der Sonderstraftat vor. Der Sonderunrechtstatbestand ist zwar nicht auf den ersten Blick erkennbar, jedoch im Merkmal des Gestattens verborgen. Die Analyse dieses Merkmals, wie sie oben dargestellt wurde, ergibt, daß damit nicht nur die tatbestandsmäßige Handlung, sondern auch ein bestimmter Personenkreis, nämlich die Inhaber eines Gewahrsams, welcher demjenigen des Fahrers übergeordnet ist, gemeint ist. Dieses Merkmal beschreibt auch materielles Sonderunrecht. Soweit der Gewahrsam des Halters in Frage steht, ist dies bereits bei § 21 Abs. 1 Nr. 2 StVG dargestellt. Auch die Personen, die ihren gegenüber dem Fahrer übergeordneten Gewahrsam vom Halter ableiten, stehen in dem für die Begründung materiellen Sonderunrechts erforderlichen Relativverhältnis zu dem geschützten Rechtsgut. Ihr beschränkter Gewahrsam und ihre gegenüber dem Halter untergeordneten Befugnisse eröffnen ihnen zwar nur einen recht beschränkten Einflußbereich. Entsprechend weniger umfänglich ist auch ihre Schutzaufgabe; denn die wesentlichen Pflichten bleiben dem Halter zugewiesen. Das Gesetz macht diese Personen jedoch an Stelle des Halters dafür verantwortlich, daß dessen unversichertes Fahrzeug nicht mit ihrem Willen im Verkehr benutzt wird. Es handelt sich gewissermaßen um einen speziell geregelten Fall der Vertreterhaftung, bei welcher der Inhaber des vom Halter abgeleiteten Gewahrsams einen Ausschnitt aus dessen Schutzaufgaben zu übernehmen hat. Das Bedürfnis für diese Erweiterung ergibt sich insbesondere daraus, daß der Halter, wenn das unversicherte Fahrzeug nicht in seiner Hand ist, nicht unmittelbar dafür Sorge tragen kann, daß es nicht benutzt wird. Die den Personenkreis der Inhaber übergeordneten Gewahrsams treffende besondere Strafdrohung des § 6 Abs. 1 Var. 2 PflVG belegt zugleich, daß die eine derartige Gestattung verbietende Norm gegenüber diesen Sondersubjekten in ihrer Dringlichkeit gesteigert ist.
J. Fahren und Gestatten des Fahrens ohne Versicherungsschutz
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3. Ergebnis; Anwendbarkeit der §§ 28 Abs. 1,14 Die Erkenntnis, daß es sich bei der Gebrauchsgestattung gemäß § 6 Abs. 1 Var. 2 PflVG um eine Sonderstraftat handelt, hat letztlich nur geringe praktische Bedeutung. Die Anwendung des § 28 Abs. 1 auf extrane Teilnehmer führt nur in den bereits bei der Straftat des Anordnens und Zulassens des Fahrens ohne Fahrerlaubnis erläuterten 120, hier entsprechend zu bildenden Fallgruppen zu einer effektiven Milderung des anwendbaren Strafrahmens. Dagegen spielt § 14 letztlich keine Rolle. Zwar können juristische Personen Halter eines Kraftfahrzeugs sein, so daß eine Anwendung des § 14 in Betracht zu kommen scheint, wenn jemand als Organ einer juristischen Person, etwa als Geschäftsführer einer GmbH, das Führen eines unversicherten Fahrzeugs der Gesellschaft einem anderen gestattet. Jedoch erweist sich die Anwendung dieser Vorschrift aufgrund der Auslegung des Merkmals des „Gestattens" als überflüssig. Denn wenn das Gestatten durch eine Person erfolgen muß, die gegenüber dem Fahrer übergeordneten Gewahrsam hat, so ist damit, vergleichbar der sogenannten „faktischen Betrachtungsweise"121, das Handeln einer natürlichen Person zwingend vorausgesetzt. Denn Gewahrsam können nur natürliche Personen haben.122 Bei Fahrzeugen, deren Halter juristische Personen sind, sind die Gewahrsamsinhaber daher unmittelbar die Organe einer Gesellschaft oder auch die ihnen nachgeordneten, besonders beauftragten Personen.
120 121 122
Vgl. Teil 4 H.II.2.e). Vgl. dazu Schönke-Schröder-Lenckner, § 14 Rz. 4. Lackner, § 242 Rz. 10; Dreher/Tröndle, § 242 Rz. 11.
Gesamtergebnis Der Ausgangspunkt der vorstehenden Untersuchung besteht in der Erkenntnis, daß die Sonderstraftat als Erscheinungsform des Verbrechens verstanden werden muß. Sie ist gekennzeichnet durch ein besonderes Umecht, nämlich durch die in ihrem Unwert gerade gegenüber dem Sondersubjekt spezifisch abgewandelten Rechtsgutsverletzung unter Mißachtung einer in ihrer Dringlichkeit modifizierten Norm, welches in einem besonderen persönlichen Merkmal tatbestandlich geschildert und mit einer Sonderstrafdrohung versehen ist. Gemessen am Maßstab dieser Begriffsbestimmung hat sich gezeigt, daß die falsche uneidliche Aussage (§ 153), der Meineid (§ 154) und die falsche Versicherung an Eides Statt (§ 156) als Sonderstraftaten aufzufassen sind. Daraus war zu folgern, daß entgegen der insbesondere in der Rechtsprechung herrschenden Ansicht extrane Teilnehmer nur aus dem gemäß den §§28 Abs. 1,49 Abs. 1 gemilderten Strafrahmen dieser Tatbestände bestraft werden dürfen. Der falsche Schwur eines Täters, der sich nicht in einer Verfahrensposition befindet, welcher die Möglichkeit einer Eidesleistung zugeordnet ist, ist straflos, gleichgültig welche Vorstellungen über die Zuständigkeit der den Eid abnehmenden Stelle beim Täter bestehen. Die Sonderdeliktsnatur der Aussagestraftaten erwies sich ferner als bedeutsam für die Bestimmung des Täterkreises dieser Straftaten. Als Zeugen vernommene prozeßunfähige Parteien und Personen, die von einer parlamentarischen Untersuchung mit personell-bestimmtem Ermittlungszweck als der Beteiligung an den untersuchten Vorgängen Verdächtige betroffen sind, können sich einer Aussagestraftat nicht schuldig machen. Das unerlaubte Entfernen vom Unfallort stellt dagegen keine Sonderstraftat, sondern lediglich eine subjektiv-eingeschränkte Gemeinstraftat dar. Denn den Unfallbeteiligten sind die Vermögensinteressen der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten nicht zu besonderem Schutz überantwortet. Berechtigterweise hat daher, wie es auch der im Schrifttum überwiegenden Ansicht entspricht, die Rechtsprechung auf extrane Teilnehmer § 28 Abs. 1 nicht angewandt. Auch bei den unter der Sammelbezeichnung „Verkehrsstraftaten" erörterten Tatbeständen haben sich die in Schrifttum und Rechtsprechung bisher herrschenden Ansichten im wesentlichen bestätigt. Sonderstraftaten liegen nur dort vor, wo die Deliktssubjekte als Garanten für die Beherrschung der von Fahrzeugen ausgehenden Gefahren gekennzeichnet sind. Dabei handelt es sich um die Straßenverkehrsgefährdung in der Variante des § 315c Abs. 1 Nr. 2g), das durch
Gesamtergebnis
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den Halter erfolgende Anordnen oder Zulassen des Führens eines Kraftfahrzeuges durch Personen ohne Fahrerlaubnis (§ 21 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 StVG) und die Gestattung des Gebrauchs eines unversicherten Fahrzeugs (§ 6 Abs. 1 Var. 2 PflVG). Keine Sonderstraftaten sind dagegen jene Delikte, die ausdrücklich oder der Sache nach das Führen eines Fahrzeugs voraussetzen. Denn dabei handelt es sich lediglich um einen Bestandteil der tatbestandsmäßigen Handlung. Trotz des auf den ersten Blick gegen dieses Ergebnis sprechenden Wortlauts gilt dies auch für die Gefährdung des Bahn-, Schiffs- und Luftverkehrs gemäß § 315a Abs. 1 Nr. 2.
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