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German Pages 493 Year 1995
HEIKE STENGEL Grenzen und Spielräume nachhaltiger Entwicklung der Dritten Welt
Abhandlungen zur Nationalökonomie Herausgegeben von Professor Dr. Kari-Dieter Grüske in Zusammenarbeit mit den Professoren Dr. Wolfgang Harbrecht, Dr. Joachim Klaus, Dr. Werner Lachmann, Dr. Manfred Neumann
Band 2
Grenzen und Spielräume nachhaltiger Entwicklung der Dritten Welt Von
Heike Stengel
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Stengel, Heike: Grenzen und Spielräume nachhaltiger Entwicklung der Dritten Welt I von Heike Stenge!. Berlin : Duncker und Humblot, 1995 (Abhandlungen zur Nationalökonomie ; Bd. 2) Zug!.: Erlangen-Nümberg, Univ., Diss., 1994 ISBN 3-428-08287-7 NE:GT
n2 Alle Rechte vorbehalten © 1995 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0947-4595 ISBN 3-428-08287-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier gemäß der ANSI-Norm ftir Bibliotheken
Einführung der Herausgeber Mit dem vorliegenden Band wird die Schriftenreihe Abhandlungen zur Nationalökonomie weitergeführt, die von den Vertretern des Volkswirtschaftlichen Instituts der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg 1994 begründet wurde. Mit der Reihe soll das weite Spektrum der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung an der Nürnberger Fakultät präsentiert werden. Die Arbeit von Heike Stengel entstand als Dissertation am Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre und Sozialpolitik. Anlaß und Ausgangspunkt war der Tatbestand, daß in der ökonomischen Wissenschaft noch immer keine einigermaßen umfassende Darstellung der Umweltproblematik im Bereich der Dritten Welt existiert. Damit entzieht sich bislang auch die Frage der Realisierbarkeil des Ziels einer nachhaltigen Entwicklung einer exakten Analyse. In der vorliegenden Arbeit wird gerade auf die möglichst umfassende Verknüpfung der bislang isoliert gesehenen Einflußfaktoren und das Zusammenspiel spezifischer Rahmenbedingungen abgestellt. Frau Stengel macht sich dabei ihren unschätzbaren Vorteil zunutze, profunde wirtschaftstheoretische Grundlagen mit breiten Kenntnissen der konkreten Rahmenbedingungen in Entwicklungsländern verbinden zu können. Auf diese Weise gelangt sie zu einer komplexen, jedoch insgesamt abgerundeten Problernsicht. Eindringlich und plastisch wird die Notwendigkeit herausgearbeitet, verschiedene wissenschaftliche Disziplinen heranzuziehen, um durch die Berücksichtigung der natürlichen Charakteristika, der Politik und Gesellschaftsstruktur, des Weltbildes und des historischen Kontextes die komplexen, von Industrieländern differierenden Zusammenhänge in Entwicklungsländern verständlich machen und würdigen zu können. Die Verfasserio gibt im ersten Teil einen Denkrahmen vor, der auf die zentrale Rolle und das Zusammenwirken von Bevölkerung, Sozialprodukt und Intensität der Umweltnutzung abstellt. Von diesem Startpunkt ausgehend, werden die Erklärungsbeiträge der Umweltökonomie für Umweltprobleme akzentuiert unter dem Gesichtspunkt von Effizienzmängeln behandelt. Die konkreten Interdependenzen von Armut, Umweltintensität von Nachfrage und Angebot, Marktmängeln und Bevölkerungsentwicklung sowie die Wechselwirkungen zwischen diesen anthropogenen Faktoren und nichtanthropogenen Einflüssen werden in einem breitem Ansatz geprüft. Aus der Gesamtdarstellung ergeben sich zwei die Umweltproblematik in Entwicklungsländern erklärende Phänomene: die Bevölkerungs-Armuts-Umwelt-Falle und das Ressourcenparadox.
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Einführung der Herausgeber
Der zweite Teil der Arbeit ist dem Erklärungsbeitrag spezifischer und sehr differenzierter Rahmenbedingungen für den Entwicklungsverlauf und damit verbunden für die Umweltsituation gewidmet. Bei der Betrachtung ökonomischer Einflußfaktoren überzeugt der gedankliche Ansatz, daß die konkreten Entwicklungs- und Umweltergebnisse aus dem simultanen Zusammenwirken von nationaler Wirtschaftsordnung, gewählter Entwicklungsstrategie und wirtschaftspolitischem Instrumenteneinsatz sowie den externen wirtschaftspolitischen Einflüssen resultieren. Mangelhafte nachhaltige Entwicklung kann dabei auf sehr unterschiedliche Konstellationen dieser Bestimmungsgründe zurückzuführen sein, was sich in den Empfehlungen zur entwicklungspolitischen Gesamtkonzeption niederschlägt. Von noch größerer Tragweite sindjedoch die Teile des Buches, die sich mit den Auswirkungen des politischen und gesellschaftlichen Systems sowie der Rolle des Weltbildes befassen. Hier findet das ökonomische Standardwissen die dringend notwendige Ergänzung um Perspektiven, die in der Umweltökonomie meist vernachlässigt werden. Untersucht werden dabei die Eignung alternativer politischer Systeme aus Sicht nachhaltiger Entwicklung, die Besonderheiten politischer Strukturen in der Dritten Welt, wie Instabilität, Korruption und Ineffizienz, die Problematik der entwicklungsländerspezifischen Gesellschaftsstruktur und umweltrelevanter Interessenprofile, die Rolle des Staatsautbaus und außenpolitische Aspekte. Im Hinblick auf die Rolle, die das Weltbild in der jeweiligen Kultur für den schonenden Umgang mit der Natur spielt, werden einige Mythen relativiert und zentrale Ambivalenzen aufgezeigt. Einerseits können bestimmte Werthaltungen, etwa Technikorientierung, stärkere Umweltschädigung bewirken, andererseits aber Abhilfe schaffen; ebenso können traditionelle Einstellungen zunächst umweltschonender sein, jedoch gegebenenfalls Schädigungen auch weniger effizient korrigieren. Auch hier ist eine sorgfältige fallweise Abwägung notwendig, um dem Ziel nachhaltiger Entwicklung möglichst nahe zu kommen. Das in den einzelnen Abschnitten skizzierte Gesamtbild, in seiner kenntnisreichen, vorsichtigen und souveränen Differenzierung, vermittelt zusammen mit der Einordnung in den historischen Kontext einen faszinierenden Eindruck von der Breite und der Tiefe des Wissensstandes und der Darstellungsreife der hier vorgelegten Untersuchung. Nürnberg, im November 1994
Karl-Dieter Graske (Geschäftsführender Herausgeber)
Joachim Klaus (Mitherausgeber)
Vorwort Der Entschluß, die Problematik der nachhaltigen Entwicklung der Dritten Welt zum Thema meiner Doktorarbeit zu machen, reifte in den ersten Monaten nach meinem Umzug nach Singapur Mitte des Jahres 1990. Südostasien mit seinem enormen Wirtschaftswachstum, seiner faszinierenden kulturellen Identität, aber auch den deutlich erkennbaren Umweltproblemen, forderte eine tiefergehende Untersuchung geradezu heraus. Damals ahnte ich noch kaum, wie komplex und differenziert die zu betrachtenden Phänomene sind und wie wichtig bislang vernachlässigte Aspekte, gerade gesellschaftlicher, kultureller und politischer Art, sind.
In Professor Joachim Klaus fand ich einen Doktorvater, der mir durch seine Aufgeschlossenheit für neue Ideen den Mut gab, unkonventionelle Ansätze weiterzuverfolgen und über den Tellerrand der eigenen Disziplin zu blicken. Ihm gilt mein besonderer Dank für das in mich gesetzte Vertrauen. Hoch zu schätzen weiß ich auch die Unterstützung meines Zweitgutachters, des geschäftsführenden Herausgebers dieser Schriftenreihe, Herrn Professor Karl-Dieter Grüske, sowie der Mitarbeiter seines Lehrstuhls für Finanzwissenschaft, an dem ich während meiner Aufenthalte in Deutschland nicht nur technischen, sondern auch den notwendigen moralischen Beistand erhielt. Besonderen Dank schulde ich dabei Herrn Dr. Udo Raab, der mir, trotz enormer eigener Arbeitsbelastung, in den letzten Monaten der Dissertation mit Rat und Tat zur Seite stand. Anerkennung verdient auch die Friedrich-Naumann-Stiftung, die diese Arbeit im Rahmen ihrer ideellen Promotionsförderung unterstützt hat. Zu Dank verpflichtet bin ich dem von Prof. Kemial S. Sandhu und nach dessem plötzlichen Tod von Prof. Chan Heng Chee geleiteten Institute of Southeast Asian Studies (ISEAS) in Singapur, dem ich drei Jahre als Visiting Associate angehören durfte. Von unschätzbarem Wert waren insbesondere die Seminare und Gespräche im Kreise internationaler Wissenschaftler aus aller Welt, denen ich wertvolle Anregungen verdanke. Hervorheben möchte ich dabei Dr. Frank C6ng Hiep Huynh von der La Trobe Universität Melbourne, der mich während seines Aufenthalts als Research Fellow des ISEAS dazu bewegte, meine ersten, noch recht vagen Gedanken in Form eines Aufsatzes zu Papier zu bringen, der 1993 als Teil eines gemeinsamen Beitrags im Sammel-
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Vorwort
band "Vietnam's Dilemmasand Options" (herausgegeben von Mya Than und Joseph Tan) vom ISEAS veröffentlicht wurde. Seine fundierten Kommentare in langen Diskussionen waren eine ständige Herausforderung, Sachverhalte kritisch zu hinterfragen und die Komplexität des Themas zu strukturieren. Eine enorme Bereicherung erfuhr meine Arbeit durch die Menschen, die ich in den vergangeneo Jahren in Singapur und den Nachbarländern kennenlernen und beobachten durfte und die mir wesentliche Erkenntnisse über Denken und Handeln unterschiedlicher Kulturen vermittelten. Manche wertvolle Hinweise ergaben sich aus persönlichen Gesprächen mit einheimischen Geschäftsleuten, Managern multinationaler Unternehmen und Vertretern von Regierungen, internationalen Organisationen und Umweltgruppen, die mir aus ihrem Alltag berichteten. Besonders dankbar bin ich für die bleibenden Freundschaften, die sich aus der anfingliehen gemeinsamen Besorgnis um die Umwelt im Laufe meines Aufenthalts in Singapur entwickelt haben. Stellvertretend seien an dieser Stelle Amy Tan, Kirtida Mekani und Kirpal S. Sidhu namentlich genannt. Mein besonderer Dank gilt meiner Familie für ihren Beistand und die stete Ermutigung in den vergangeneo Jahren. Nicht genug danken kann ich dabei meinem Mann, der die dissertationsbedingten Launen, die häufige Trennung und die nicht unerheblichen Kosten der Promotion mit großem Verständnis ertrug. Ihm sei dieses Buch gewidmet. Singapur, im November 1994
Heike Stengel
Inhaltsverzeichnis 17 Einleitung und Konzeption der Studie Ausgangspunkt und Ziel der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Konzeption der Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
Erster Teil Nachhaltige Entwicklung und ihre unmittelbaren Faktoren
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1. Kapilel Normative Ableitung und Operationalisierung des Ziels nachhaltiger Entwicklung
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2. Kapilel Unmittelbare Faktoren nachhaltiger Entwicklung
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2.1. Nichtanthropogene Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2.1.1. Natürlicher Aufbau und Verzehr von Umweltkapital . . . . . . . . . . 29 2.1.2. Natürliche Gegebenheiten und Wohlfahrt . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2.2. Bevölkerung . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1. Bevölkerung und Umwelt . . 2.2.2. Bevölkerung und Wohlfahrt 2.3. Sozialprodukt pro Kopf . . . . . . . 2.3.1. Sozialprodukt und Umwelt . 2.3.2. Sozialprodukt und Wohlfahrt 2.4. Umweltintensität . . . . . . . . . . . . 2.5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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32 32 33 33 34 36 39 40
3. Kapilel
Allokationstheoretische Herleitung der Grenzen und Spielräume nachhaltiger Entwicklung
41
3.1. Optimale Allokation vs. einzel-und gesamtwirtschaftliche Ineffizienz 41 3.2. Das Pareto-Kriterium und seine Variationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
Inhaltsverzeichnis
10
3.3. Marktmängel und die Theorie externer Effekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 3.4. Diskontierung als Form externer Effekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 3 .5. Relevanz der Theorie externer Effekte für die Identifizierung von Scheinkonflikten zwischen Umwelt und Wohlfahrt . . . . . . . . . . . . . . . . 53 3.6. Gründe für die besondere Betroffenheit der Umwelt durch Ineffizienz . . . 57 3.6.1. Charakter der natürlichen Umwelt und externe Effekte . . . . . . . . . 57 3.6.2. Informationsdefizite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 3.6.3. Fehlende und unvollkommene Märkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 3.6.4. Hindernisse bei der Internalisierung externer Effekte . . . . . . . . . . 70 3.6.4.1. Das Coaso-Thcorem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 3.6.4.2. Transaktionskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 3.6.4.3. Auseinanderfallen von willingness-to-pay und willingnessto-accept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 3.6.4.4. Einkommens- und Vermögensverhältnisse . . . . . . . . . . . 74 3.7.
3.6.4.5. Vollständigkeit der Marktteilnahme . . . . . . . . . . . . . . . 74 Nachbetrachtung zum Wohlfahrtskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . 76
3.8.
Staatsversagen als Erklärungsansatz für Ineffizienz . . . . . . . . . . . 78
3.9.
Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 4. Kapitel
Interdependenzen zwischen den unmittelbaren Faktoren
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4.1. Der Einfluß des Pro-Kopf-Einkommens auf Art, Umfang und Umweltrelevanz wirtschaftlicher Tätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 4.1.1. Begriffsahklärung "Armut" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 4.1.2. Absolute und relative Bedeutung des Sozialprodukts für die Wohlfahrt 91 4.1.3. Die Umweltintensität der Nachfrage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 4.1.3.1. Indirekte Wirkung der Präferenzstruktur . . . . . . . . . . . . . . 93 4.1.3.2. Direkte Nachfrage nach Umweltqualität. . . . . . . . . . . . . . . 96 4.1.4. Die Umweltintensität des Angebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 4.1.5. Relevanz der Verteilung für Präferenzen und Angebotsverbalten 101 4.1.6. Zusammenbang zwischen der Höbe des Sozialprodukts und Ineffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 4.1.6.1. Wohlfahrtsoptimale vs. ineffiZiente Allokation . . . . . . . . . 102 4.1.6.2. Marktmängel und die Höbe des Sozialprodukts . . . . . . . . . 103 4.1.6.3. Der Einfluß individueller Armut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 4.1 .6.4. Internalisierung externer Effekte und Einkommenshöhe . . . 108 4.1.7. Relevanz der Gegenargumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 4.1.8. Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
Inhaltsverzeichnis 4.2. Der Einfluß des Bevölkerungswachstums
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4.2.1. Erhöht Bevölkerungswachstum die Umweltintensität? . . . . . . . . . . 112 4.2.2. Bevölkerungswachstum und Höhe des Sozialprodukts . . . . . . . . . . 116 4.3. Wechselwirkung zwischen nichtanthropogenen und anthropogenen Faktoren 122 4.3 .1. Der negative Einfluß menschlichen Handeins auf die natürliche Regeneration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 4.3.2. Rückwirkungen der Beeinträchtigung der natürlichen Faktoren auf den Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 4.3.3. Möglichkeiten positiver Intervention des Menschen . . . . . . . . . . . . 127 4.3.4. Determinanten der Wirkungsrichtung anthropogener Einflüsse und des Ausmaßes der Rückwirkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 4.3.5. Verändert ein reduzierter Mindeststandard das Ergebnis? . . . . . . . . 130 4.4. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 4.4.1. Die Bevölkerungs-Armuts-Umwelt-Falle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 4.4.2. Das Ressourcenparadox . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
Zweiter Teil Rahmenbedingungen als Detenninanten der realen Grenzen und Spielräume in Entwicklungsländern
139
5. Kapitel
Natürliche Gegebenheiten 5.1. Natürliche Limitationen der landwirtschaftlichen Nutzung
141 142
5.2. Wirkung natürlicher Gegebenheiten aufsozioökonomisch relevante Faktoren 147 5.3. Gefährdung durch Naturkatastrophen und Klimaänderungen . . . . . . . . . . . 150 5.4. Toleranz der Gebiete gegenüber Störungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
5.5. Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 6. Kapitel
Ökonomische Rahmenbedingungen
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6.1. Grundlagen der Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 6.2. Konventionelle Wohlfahrtseffekte wirtschaftspolitischer Aktivität . . . . . . . 157 6.2.1. Paradigmen der Entwicklungsökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 6.2.2. Determinanten des wirtschaftlichen Erfolges . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 6.2.3. Die Bedeutung der Integration in die Weltwirtschaft . . . . . . . . . . . . 163 6.2.4. Die Rolle interventionistischer Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
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Inhaltsverzeichnis
6o3o Analyse umweltrelevanter Auswirkungen nationaler Wutschaftspolitik in Entwicklungsländern 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 172 603 01. Wutschaftliehe Entwicklung und Armut 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 172 6o3ol.l. Theoretische und empirische Grundlagen zum Zusammenhang zwischen Armut und Wachstum 0 0 0 0 0 0 0 0 172 603 01020 Elemente der Wirtschaftspolitik und ihre Wirkung auf Armut 175 6o3ol.3o Grundsätzliche Strategiekompatibilität bei potentiellem kurzfristigen Konflikt 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 179 603 020 Umweltwirkung wirtschaftspolitischer Maßnahmen 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 181 6o3o2ol. Rahmen und Ausgangspunkt der Untersuchung 0 0 0 0 0 0 0 0 181 6o3o2o2o Förderung ineffiZienter Ressourcennutzung im Rahmen staatlichen Eingreifens: Die Rolle der Umwelt- und Ressourcenpolitik 0 0 0 0 0 0 0 0 0 185 6o3o2o3o Einkommensverwendung o 0 0 0 0 0 0 0 0 0 o 0 0 0 0 0 o o o o o o o o 191 6o3o2o4o Albeits- vsokapitalintensive Produktion 0 0 0 0 0 0 0 0 o 0 0 0 0 0 194 60302050 Höhe des Staatsanteils 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 196 60302060 Unternehmensgröße 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 197 60302070 Unternehmenskonzentration 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 o o 201 6o3o2o8o Regionale Verteilung 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 , 0 0 0 0 0 0 0 203 60302090 Grad der weltwirtschaftliehen Verflechtung 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 208 6o3 o2o9ol. Grundsätzliches zur Umweltwirkung internationaler Wutschaftsbeziehungen
208
6o3o2o9o2o Grad der Außenhandelsverflechtung 0 0 0 0 0 0 0 0 210 6o3o2o9o3o Umfang ausländischer Direktinvestitionen 0 0 0 0 216 603 0209040 Inanspruchnahme von Auslandskapital 0 0 o o o o 222 6o3o3o Die Reichweite wirtschaftspolitischer Eingriffe: Beispiele und Folgerung 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 225 6o3 o3ol. Subventionen 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 o 225 603 03020 Wechselkursmanipulation 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 226 6o3 o3o3o Zinsmanipulation 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 228 603 03040 Gefahren wirtschaftspolitischer Eingriffe 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 232 6o4o Externe Einflüsse auf Entwicklungsländer 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 235 6o4ol o Der Einfluß internationaler wirtschaftlicher Akteure 0 0 0 0 o 0 o 0 0 0 0 o 235 6o4o2o Wrrkung weltwirtschaftlicher Störungen und Schocks 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 242 6.4030 Handelshemmnisse: Die Wirkung des Protektionismus 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 245 6o4o3ol. Formen und Begründung des Protektionismus 0 0 0 0 0 0 0 0 0 245 60403020 Konventionelle Wohlfahrtseffekte des Protektionismus 0 0 0 247 6o4o3o3o Umwelteffekte von Protektionismus und Liberalisierung 0 0 252
Inhaltsverzeichnis 6.4.4. Folgen der Begrenzung des Handels aus Umweltgründen
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6.4.5. Umfang und Grenzen gegenseitiger Einflußnahme . . . . . . . . . . . . . 260 6 .5. Zusammenfassung der ökonomischen Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . 264
7. Kapitel Politische und gesellschaftliche Einflußfaktoren
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7.1. Idealbild einer guten Regierung ("good governance") . . . . . . . . . . . . . . . . 267 7.2. Demokratie und Freiheitsrechte: Voraussetzung oder Hindernis nachhaltiger Entwicklung? . . . . . . . . . . . . 269 7.2.1. Vorbemerkung zur "Legitimität" der Fragestellung . . . . . . . . . . . . 269 7.2.2. Stärken der freiheitlichen Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 7.2.3. Demokratie und unerwünschte Abweichungen vom Optimum . . . . . 274 7.2.3.1. Mängel bei der Aggregation individueller Präferenzen . . . . 274 7.2.3.2. Demokratie und weitere Voraussetzungen für "good governance" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 7.2.3.3. Der demokratische Staat und die Rolle des Marktes . . . . . . 281 7.2.3.4. Gefahr der Selbstzerstörung im demokratischen System . . . 284 7.2.4. Interpretation mit Blick auf Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 7.2.4.1. Vorteile der Demokratie im Umgang mit Umwelt . . . . . . . 287 7 .2.4.2. Nachteile demokratischer Systeme aus Umweltsicht . . . . . 289 7.3. Sind nichtdemokratische Systeme eine Alternative? . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 7.3 .1. Potentielle Stärken autoritärer Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 7.3.2. Erste Einschränkung: Die Fähigkeit zum wohlwollenden Handeln . . 294 7.3.3. Zweite Einschränkung: Der Wille zum wohlwollenden Handeln . . . 296 7.3.4. Folgerungen aus Umweltsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 7.3.5. Bewertung des politischen Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 7.4. Die Wirkung des politischen Systems in Entwicklungsländern . . . . . . . . . . 299 7 .4.1. Besteht eine eindeutige Korrelation zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und politischem System? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 7.4.2. Erscheinungsbild der politischen Systeme in Entwicklungsländern . . 310 7.4.2.1. Politische Instabilität als Charakteristikum der Dritten Welt
310
7.4.2.2. Korruption und Ineffizienz im politischen System . . . . . . . 311 7.4.2.3. Schwächen demokratischer Mechanismen in Entwicklungsländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 7.4 .2.4. Potentiale und Grenzen "wohlwollender" autoritärer Systeme 322 7.4.3. Fazit unter dem Aspekt nachhaltiger Entwicklung . . . . . . . . . . . . . 329 7.5. Der Einfluß der Gesellschaftsstruktur in Entwicklungsländern . . . . . . . . . . 333
14
Inhaltsverzeichnis
7.5.1. Heterogenität als kritischer Faktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 7.5 .2. Das Fehlen konfliktreduzierender und effiZienzfördernder Mechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 7.5.3. Folgen für die Entscheidungsfmdung und die Funktionsfähigkeit der Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 7.5.4. Der Einfluß der Gesellschaftsstruktur auf die Umwelt . . . . . . . . . . . 347 7.5.4.1. Das Konzept der situativen Interessenanalyse . . . . . . . . . . 347 7.5 .4.2. Charakteristika umweltrelevanter lnteressenproftle in Entwicklungsländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 7.5 .5. Gefahren der Homogenisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 7.6. Implikationen gesellschaftspolitischer Besonderheiten für den Staatsaufbau . 357 7 .6.1. Optimaler Staatsaufbau aus Sicht der Finanzwissenschaft . . . . . . . . 357 7.6.2. Föderale Struktur und EffiZienz von Wirtschafts- und Umweltpolitik in Ländern der Dritten Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 7.6.3. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 7. 7. Außenpolitische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 7.7 .1. Externe Einflüsse auf das politische System . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 7. 7.2. Einflußnahme auf nationales Wirtschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 7.7.3. Umwelt und externe Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 7. 7 .4. Gesellschaftspolitische Aspekte internationaler Beziehungen . . . . . . 380 7.7.4.1. Globale Homogenisierung oder Spaltung? . . . . . . . . . . . . 380 7.7.4.2. "Global tribes" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 7.8. Politische und gesellschaftliche Aspekte nachhaltiger Entwicklung: Ein Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 8. Kapitel
Die Rolle unterschiedlicher Weltbilder
387
8.1. Relevanz des Weltbildes für die Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 8.2. Politik, Gesellschaft und der Einfluß des Weltbildes . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 8.2.1. Das liberale Verständnis des Westens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 8.2.2. Die Unterschiedlichkeit der Werte in außereuropäischen Kulturen . . 393 8.2.2.1. Individuum vs. Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 8.2.2.2. Konflikt vs. Harmonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 8.2.2.3. Gleichheit vs. Hierarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 8.2.2.4. Die Einschätzung von Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 8.2.2.5. Unterschiede in der Rechtsauffassung . . . . . . . . . . . . . . . 398 8.2.2.6. Reichweite der Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399
Inhaltsverzeichnis
15
8.3. Werte und wirtschaftliches Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 8.3.1. Westliche Werte, Wirtschaft und Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 8.3.2. Kapitalismus und außereuropäische Wertvorstellungen . . . . . . . . . . 401 8.4. Ethische Grundlagen der Umweltsicht: Drei Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . 408 8.4.1. Der teleologische Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 8.4.2. Der deootologische Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 8.4.2.1. Monotheistische Buchreligionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 8.4.2.2. Östliche Kulturreligionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 8.4.2.3. Naturreligionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 8.4.2.4. "Öko-Philosophie" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 8.4.2.5. Einige Gemeinsamkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 8.4.3. Der rechtsphilosophische Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 8.4.4. Exklusivität und Komplementarität der Ansätze: Kommentar zu einer gängigen Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 8.5. Stellenwert der Umwelt innerhalb verschiedener Weltbilder . . . . . . . . . . . 421 8.5.1. Die Kritik am westlichen technozentrischen Weltbild . . . . . . . . . . . 422 8.5.2. Alternative Wissenschaftssicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 8.5.3. Relativierung der Umweltwirkung östlicher und traditioneller Weltbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 8.6. Bevölkerungskontrolle und Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 8.7. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 9. Kapitel
Rahmenbedingungen im historisehen Kontext
435
9 .1. Historische Perspektive der Ausstattung mit Umweltkapital . . . . . . . . . . . 436 9.2. Historische Faktoren und das ökonomische System . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 9.3. Geschichtliche Erklärung politischer und gesellschaftlicher Faktoren . . . . . 443 9.4. Werte in der Zeitbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 9.5. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446
Abschließende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453
Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen Abb. E.l
Konzeption der Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
Abb. 3.1
Optimale Allokation und Inefflzienzen . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
Abb. 3.2
Externe Effekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48
Abb. 4.1
Der demographische Übergang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
117
Abb. 4.2
Die Falle des niedrigen Gleichgewichtseinkommens . . . . . . . . .
121
Abb. 5.1
Landwirtschaftliche Nutzungsmöglichkeiten in Abhängigkeit von Temperatur und Niederschlag . . . . . . . . .
142
Abb. 6.1
Determinanten des wirtschaftlichen Erfolges . . . . . . . . . . . . .
161
Abb. 6.2
Armutsreduzierende Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
176
Tabelle 7.1 Pro-Kopf-Einkommen und Grad der Freiheit . . . . . . . . . . . . .
301
Tabelle 7.2 Demokratie und Wachstum des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf .
306
Tabelle 7.3 Erfolge verschiedener Regime mit Strukturanpassungsmaßnahmen 307 Tabelle 7.4 Wirtschaftliche Dominanz ethnischer Chinesen in den ASEAN-Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
339
Tabelle 7.5 Leistungsfähigkeit verschiedener politischer Systeme bei der Bekämpfung von Inflation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
345
Einleitung und Konzeption der Studie Ausgangspunkt und Ziel der Arbeit Die Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung (UNCED) im Juni 1992 in Rio de Janeiro markierte den bisherigen Höhepunkt einer weltweiten Diskussion über die Beziehung zwischen Umwelt und Entwicklung, die zwanzig Jahre zuvor in Stockholm, ebenfalls auf einer Konferenz der Vereinten Nationen, begann. Übereinstimmend bekannten sich 1992 die Teilnehmerstaaten des sogenannten "Earth Summit" zu einem Prinzip, das 1987 durch den Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung populär geworden war: Sustainable Development. 1 Die Einmütigkeit, mit der Regierungen, Unternehmen, Umweltgruppen und Individuen verbal dieses Ziel einer dauerhaften bzw. nachhaltigen Entwicklung bejahen, darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß sowohl die Interpretation des Begriffs als auch die Mittel, die zur Erreichung dieses Ziels als angemessen erachtet werden, zwischen Entwicklungs- und Industrieländern umstritten sind. Die Herausforderung, vor der die sogenannte Dritte Welt2 steht, ist immens: Lebten zu Beginn dieses Jahrhunderts noch 1,6 Mrd. Menschen auf dieser Erde, so ist Mitte der 90er Jahre die 6-Milliarden-Grenze erreicht. Die Hauptlast dieser Bevölkerungsexplosion der letzten Jahrzehnte fiel dabei auf die Entwicklungsländer. 3 Zugleich verschlechterte sich der Zustand der natürlichen Umwelt gerade in diesen Regionen: Tropische Regenwälder und mit ihnen ihr enormer Artenreichtum werden mit einer Rate von ca. 20 Millionen Hektar pro Jahr zerstört. 4 Wenig besser ist es um Mangrovenwälder und Korallenriffe und die Artenvielfalt der Meere bestellt. Die Degradierung von Acker- und Weideland bis hin zur Verödung und Verwüstung gibt Anlaß zu Besorgnis. In zahlreichen Entwicklungsländern wird Brennholz knapp. Der Zustand von Wasser, Luft und Boden ist vielfach bedenklich, sowohl in den ländlichen, durch Ak-
1 Vgl. WeltkomrniBSion für Umwelt und Entwicklung (1987). 2 Der Begriff "Dritte Welt" wird in dieser Arbeit pragmatisch als Sammelbegriff für Entwicklungsländer in Abgrenzung von den etablierten Industrienationen gebraucht. 3 Vgl. World Resources Institute (1990), S. lfund Fritsch (1993), S. 77. 4 Vgl. Reichholj(l990), S. 7 und Lean/Hinrichsen/Marlcham(l990), S. II. 2 Stenge!
18
Einleitung
kerbau und Viehzucht belasteten Regionen als auch in den immer stärker wachsenden Städten. s Auch bei globalen Umweltproblemen, die primär auf die Aktivitäten industrialisierter Staaten zurückzuführen sind -dem Treibhauseffekt und dem Ozonloch -, kommt den Entwicklungsländern aufgrundihrer Bevölkerungsgröße und der zu erwartenden Ausweitung ihrer Wirtschaftstätigkeit herausragende Bedeutung hinsichtlich der künftigen Entwicklung zu. Was hier m beobachten ist, läuft der Vorstellung von Nachhaltigkeil klar mwider. Sind die Grenzen nachhaltiger Entwicklung in der Dritten Welt bereits erreicht, bevor diese einen Lebensstandard erreicht hat, der als ausreichend bezeichnet werden kann? Gibt es Spielräume für menschliche Aktivitäten, die diese Grenzen nicht übe(SChreiten? Und wie ist die Alternative bei einem Verzicht auf konventionelle wirtschaftliche Entwicklung, die angeblich solche Schäden mit sich bringt? Die Beantwortung dieser Fragen steht im Mittelpunkt unserer Analyse, die deswegen weitgehend positiv ist, d.h. die Welt so m betrachten und m erklären versucht, wie sie ist. Der Themenbereich "Umweltprobleme in der Dritten Welt" erfreute sich gerade im Umfeld der Rio-Konferenz großer Beliebtheit in der Literatur. Jedoch handelt es sich in erster Linie um publizistische Arbeiten, die nicht selten äußerst emotional und einseitig eng umgrenzte Probleme m skizzieren suchen. Zwar befassen sich mnehmend auch die einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen mit Umwelt- und Entwicklungsfragen, allerdings rumeist in bemg auf spezifische Fragestellungen und nach wie vor außerhalb des "mainstream" ihrer jeweiligen Wissenschaft. Noch immer fehlen in ökonomischen Lehrbüchern Hinweise aufUmweltprobleme. In einer ansonsten aufschlußreichen, umfassenden Darstellung der Entwicklungsökonomie durch Stern6 wird Umwelt nur kurz im Rahmen der Bevölkerungsdebatte angedeutet und erst wieder im Kapital "omissions" erwähnt. Der Autor sah allerdings auch hier keinen Anlaß, in der anschließenden Empfehlung einer "research agenda" die Einbeziehung von Umweltaspekten m fordern. Ebenso berücksichtigen nur wenige umweltökonomische Schriften explizit die Probleme der Entwicklungsländer. Wir stellen uns in dieser Arbeit dem Problem, die partiellen Erklärungsansätze, die uns einzelne Disziplinen bieten können, sei es die Ökonomie, die Politikwissenschaft, Philosophie, Soziologie, Historik oder die Naturwissenschaften, m einem Gesamtbild msammenzusetzen, das theoretisch fundiert und empirisch gestützt die tatsächlichen Grenzen und Spielräume nachhaltiger Entwicklung in der Dritten Welt aufzeigt.
SEinen guten Überblick über das Ausmaß der Umweltprobleme bieten der Umweltatlas von Lean/Hinrichsen/Markham (1990) sowie ESCAP (1992) und World Resourceslnstitute (1990). 6 Vgl. Stem (1989).
Konzeption der Studie
19
Es genügt dabei nicht, die verschiedenen Bereiche, die hinsichtlich des Ziels nachhaltiger Entwicklung kritisch sind, aufzuzählen und ihre unmittelbare Wirkung auf Umwelt und Wohlfahrt separat zu analysieren. Wesentlich wichtiger ist die logische und möglichst vollständige Verknüpfung der einzelnen Einflußfaktoren. Unsere Arbeit wird zeigen, daß gerade indirekte Wirkungen, die sich aus dem Zusammenspiel konkreter Rahmenkonstellationen ergeben, von herausragender Bedeutung sind und ihre Vernachlässigung in der heutigen Diskussion über Umwelt und Entwicklung zu gefährlichen Mißverständnissen führt. Konzeption der Studie Ein Blick auf Abb. E.l verdeutlicht schematisch die Konzeption der vorliegenden Arbeit, die in zwei Teile gegliedert ist. Im ersten Teil wird auf einem vergleichsweise hohen Abstraktionsniveau die grundlegende Problematik des Umwelt-Entwicklungs-Zusammenhangs diskutiert. Dazu ist zunächst die Definition eines Referenzpunktes notwendig. Im 1. Kapitel wird also normativ bestimmt, was nachfolgend unter nachhaltiger Entwicklung zu verstehen ist und wie dieser Begriff operationalisiert werden kann. Wir erhalten als Zielfunktion eine Wohlfahrtsfunktion, die einer Umweltrestriktion unterliegt. Aus letzterer lassen sich aus einer einfachen Identitätsbeziehung die unmittelbaren Faktoren ableiten, die die Umweltrestriktion beeinflussen.
Kapitel 2 untersucht diese vier unmittelbaren Faktoren - die vom Menschen nicht beeinflußten natürlichen Faktoren, den Umfang der Bevölkerung, das Sozialprodukt pro Kopf als Ausdruck materiellen Wohlstands und die zu seiner Erwirtschaftung benötigte Umweltintensität - einzeln und unter ~teris-paribus Bedingungen auf ihre konkrete Wirkung hinsichtlich der Wohlfahrtsfunktion und der Umweltrestriktion. Der sich hieraus zu ergeben scheinende immanente Konflikt zwischen Umwelt und Ökonomie wird im 3. Kapitel unter Zuhilfenahme allokationstheoretischer Ansätze durchleuchtet. Der in der Ökonomie zentrale Begriff der Ineffizienz erweist sich bei der Betrachtung von Umweltproblemen von höchster Relevanz. Er beschreibt die Grenzen, aber auch die Spielräume, die hinsichtlich nachhaltiger Entwicklung grundlegend vorhanden sind. Es wird überprüft, ob Umweltkapital überproportional durch Ineffizienzen betroffen ist und auf welche Charakteristika dies zurückzuführen ist. Unter Berücksichtigung dieser theoretischen Erkenntnisse können nun im 4. Kapitel die Interdependenzen zwischen den unmittelbaren Faktoren analysiert werden. Da die konkreten Ausprägungen der einzelnen Determinanten, insbesondere die tatsächliche Höhe des Pro-Kopf-Einkommens und der Bevölkerung, nun relevant werden, können aus diesem Abschnitt erste Erkenntnisse
2•
20
Einleitung
über die besondere Problematik in Entwicklungsländern gezogen werden. Die Ambivalenz des Sozialprodukts aus Sicht der nachhaltigen Entwicklung nimmt dabei eine Schlüsselstellung ein. Daraus abgeleitet werden als Ergebnis dieses ersten Teils zwei typische Problemkonstellationen identifiziert, die für Länder mit geringem Entwicklungsstand besonders relevant sind: die Bevölkerungs-Armuts-Umwelt-Falle und das Ressourcenparadox. Der zweite Teil der Studie widmet sich denjenigen Aspekten, die in theoretischen Analysen, etwa der Umweltökonomie, oftmals idealisiert oder aus der Betrachtung ausgeklammert und in der allgemeinen Diskussion zum Thema meist übersehen werden, da ihre Relevanz nicht immer auf den ersten Blick offenkundig ist. Es sind dies die konkreten Rahmenbedingungen, die im bisherigen ersten Teil als konstant betrachtet und als gegeben unterstellt wurden. Gerade die realen Ausprägungen dieser Rahmenfaktoren in Entwicklungsländern bestimmen aber letztlich, ob die im ersten Teil identifizierten Problemkonstellationen vermieden oder überwunden werden können, ob theoretisch vorhandene Spielräume für nachhaltige Entwicklung auch tatsächlich genutzt oder die sich abzeichnenden Grenzen rasch erreicht werden. Als ersten Aspekt betrachten wir im 5. Kapitel, ob die natürlichen Gegebenheiten in den Entwicklungsländern die im ersten Teil dargestellten Spielräume relativ gesehen stärker begrenzen, als dies etwa in Industrieländern der Fall ist. Unabhängig vom Pro-Kopf-Einkommen oder anderen anthropogenen Faktoren ergibt sich allein aufgrundder natürlichen Gegebenheiten in der Dritten Welt eine Relativierung des vermeintlichen Ressourcenreichtums von Entwicklungsländern. Als zweite Rahmenbedingung wird im 6. Kapitel der Einfluß des ökonomischen Systems analysiert, worunter die Wirtschaftsordnung, die eingeschlagene Entwicklungsstrategie und die wirtschaftspolitischen Maßnahmen zu verstehen sind. Da Umweltprobleme in der Dritten Welt in erster Linie auf ökonomische Aktivitäten zurückgeführt werden, ist dieser Aspekt besonders ausführlich zu betrachten. Dabei wird deutlich, daß es nicht ausreicht, negative Folgen bestimmter ökonomischer Tätigkeiten aufzuzeigen. Wichtig ist zum einen die Frage, was die eigentliche Ursache auftretender Fehlentwicklungen ist, und zum anderen, ob die jeweilige Alternative hinsichtlich aller drei Aspekte des ökonomischen Systems besser in der Lage ist, zu einer nachhaltigen Entwicklung zu gelangen. Schrittweise werden in diesem Kapitel zuerst die konventionellen Wohlfahrtseffekte verschiedener Ausprägungen des ökonomischen Rahmens und darauf aufbauend die umweltrelevanten Auswirlrungen derselben hinterfragt. Dabei stehen bestimmte Komponenten der Wirtschaftsstruktur, die in der allgemeinen Diskussion um Umweltprobleme in Entwicklungsländern besonders heftiger Kritik ausgesetzt sind, etwa die Rolle der weltwirtschaftliehen Verflechtung, im Zentrum der Betrachtung. Wir werden zeigen, daß es
Konzeption der Studie
21
sich hier oftmals um Feindbilder handelt, die einer sachlichen und die Wirkung der jeweiligen Alternativausprägung einbeziehenden Analyse nicht standhalten können. Um die tatsächlichen Spielräume besser aufdecken zu können, wollen wir in diesem Kapitel interne, d.h. von einem Entwicklungsland selbst beeinflußbare, und externe Einflüsse unterscheiden. Das 7. Kapitel steht im Zeichen politischer und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen. Hier greifen wir auf Gedanken der Politischen Ökonomie, aber auch der Politikwissenschaft und Soziologie zurück, um diesen in der Umweltökonomie zumeist vernachlässigten Bereich zu analysieren. Inwiefern beeinflußt das politische System die Nachhaltigkeil der Entwicklung? Welche Eigenschaften charakterisieren politische Strukturen in Entwicklungsländern, und wie wirkt sich dies auf unser Beziehungsgeflecht aus? Wir werden hier mit der äußerst heiklen Frage konfrontiert, ob demokratische oder autoritäre Systeme in Entwicklungsländern besser geeignet sind, unserem Zielsystem gerecht zu werden. Da - wie im ersten Teil theoretisch angedeutet und im 6. Kapitel bestätigt- die konventionellen materiellen Wohlfahrtsaspekte gerade für unterentwickelte Länder auch bei Berücksichtigung einer Umweltrestriktion von entscheidender Bedeutung sind, genügt es nicht, lediglich den direkten Bezug zwischen politischer Konstellation und Umwelt herzustellen. Noch wichtiger scheinen die indirekten Effekte, die über die Fähigkeit eines Staates, auch materielle Wohlfahrtssteigerung zu erzielen, auf die Umwelt wirken. Obwohl die Analyse politischer Systeme bereits interessante Aufschlüsse gewährt, können einige in Entwicklungsländern zu beobachtende Phänomene dadurch nicht zufriedenstellend erklärt werden. Hier müssen gesellschaftliche Besonderheiten, insbesondere die Heterogenität der Entwicklungsländer, in Betracht gezogen werden. Daraus ergeben sich auch wichtige Konsequenzen für die Bewertung des Staatsautbaus in Entwicklungsländern. Ebenso wie wir das 6. Kapitel mit der Untersuchung externer ökonomischer Einflüsse abgeschlossen haben, wollen wir die Betrachtung politischer und gesellschaftlicher Zusammenhänge in diesem 7. Kapitel mit einer Analyse außenpolitischer Aspekte und ihrer Wirkung auf die Nachhaltigkeil der Entwicklung abrunden. Als nächste Rahmenbedingung ist im 8. Kapitel die Rolle des Weltbildes zu hinterfragen. Gerade Ökonomen haben sich - möglicherweise aus einem mißverstandenen Ruf nach Werturteilsfreiheit heraus - gescheut, die Werthaltungen von Individuen bzw. Gesellschaften explizit in ihre Arbeiten zu integrieren. Der Faktor Kultur im engeren Sinne ist aber für unsere Studie der Dritten Welt besonders wichtig: Wie relevant sind Unterschiede im Denken und Handeln, in den Vorstellungen, die die Menschen in verschiedenen Kulturkreisen von sich, ihren Mitmenschen und der Umwelt haben? Verhalten sich Menschen außerhalb des westlichen Einflußbereichs überhaupt so, wie es die ökonomische Theorie unterstellt? Können wir tatsächlich "umweltfreundliche" traditionelle
22
Einleitung
Kulturen von "umweltfeindlichen• modernen unterscheiden, wie es in der eher alternativen Literatur oftmals unterstellt wird? Auch bei diesen Fragen werden wir nur zu einem aussagekräftigen Ergebnis kommen, wenn wir den Gesamtzusammenhang und nicht lediglich primäre Beziehungen analysieren. Da sich die Rahmenbedingungen der Kapitel 6 und 7 als kritisch ffir nachhaltige Entwicklung erwiesen haben, ist es dringend nötig, nicht nur die Einstellung einer Gesellschaft zur Umwelt an sich, sondern auch die Wirkung der Kultur auf das ökonomische Handeln und auf die Ausgestaltung des politischen und gesellschaftlichen Systems zu untersuchen. Auch hier ergibt sich durch die Berücksichtigung von umfangreicheren Interdependenzen die Relativierung konventioneller Vorstellungen über die Umweltwirkung verschiedener Weltbilder. Im 9. Kapitel betrachten wir die genannten Rahmenbedingungen im historischen Kontext. Es ist also weniger eigenständige Rahmenbedingung als vielmehr die zeitliche Dimension aller vorherigen Rahmenfaktoren. Das 9. Kapitel stellt deshalb zugleich eine Synthese des gesamten zweiten Teils dar und verdeutlicht die Interdependenzen und die Tiefe der mit nachhaltiger Entwicklung verbundenen Problemstellung. Der Stellenwert, den dieser zweite Teil innerhalb unserer Arbeit einnimmt, reflektiert zum einen die Komplexität des Themas, zum anderen aber auch das Anliegen des Verfassers, gerade die im allgemeinen vernachlässigten und scheinbar nebensächlichen Aspekte - ihrer eigentlichen Bedeutung entsprechend - zu würdigen. Wie groß die Relevanz vor allem der indirekten Wirkungen ist, zeigt sich daran, daß sich viele auf den ersten Blick ergebende und in der derzeitigen Diskussion populäre Thesen - etwa die Notwendigkeit des Verzichts auf materielle Güter, die Umweltfreundlichkeit bestimmter Kulturen, die Vorteile von Demokratie und Dezentralisierung ffir Entwicklung und Umwelt unabhängig vom Entwicklungsniveau und die negative Wirkung des Welthandels auf die Umwelt -bei Berücksichtigung dieser Neben- und Rückwirkungen relativieren oder sogar widerlegen lassen.
23
Konzeption der Studie
I. Kapitel Normative Ableitung und Operationalisic:rung des Ziels nachhaltiger Entwicklung
2. Kapitel Unmittelbare Flictoren nachhaltiger Entwicklung Nid!t-
•lllropqJF'*-
a..olk.",. Soziolprocb*t
Umwol~
3. Kapitel Allokationstheoretische Ableitung der Grenzal und Spielraume
J
C
4. Kapitel ______rn_tercl_ep_en_den __ 2ltll_zw_isc_h_en_d_en_\IIIDII __·tte_lbar_en_F_alctor __en _ _ _ _ _~
Teill NadJhaltige Enrwcldung und ihre unmittelbaren Faktoren
I .
I
Naehhaltlge Entwicklung der Dritten Weit .
Teil II Rahmenbedingungen als Determinanten der realen Grenzen und Spielrlume in EntWcldungsllndern
5. Kapitel Natürliche Gegebenheiten
C
6. Kapitel Olconomische Rahmenbcdu.ungen
1. Kapitel Politische und gesellschaftliche Einflußfak\oren
9. Kapitel Rahmenbedingungen im historischen Kontext
8. Kapitel DieRolle unterschiedlicher Weltbilder
)
~---~
Abb. E.l: Konzeption der Studie
Erster Teil
Nachhaltige Entwicklung und ihre unmittelbaren Faktoren 1. Kapitel
Normative Ableitung und Operationalisierung des Ziels nachhaltiger Entwicklung Als Referenzpunkt dieser Arbeit ist eine Definition von nachhaltiger Entwicklung zu wählen, die einen breiten Konsens erzielt, um als Ausgangspunkt einer positiven Untersuchung Gehalt zu haben. Die Brundtland-Kommission definiert dauerhafte Entwicklung als "Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, daß künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können. .t Wir wollen diese Begriffsbestimmung operationalisieren, indem wir den recht unbestimmten Ausdruck der Bedürfnisbefriedigung durch eine Wohlfahrtsfunktion ersetzen und die Bedeutung der Umwelt explizit erfassen. Vom Biologen Jakob Johann von Uexküll geprägt, beschreibt der Begriff der Umwelt "die belebte und unbelebte Welt, wie sie ein Lebewesen um sich herum wahrnimmt. "2 Da in dieser Arbeit die Beziehung zwischen der Menschheit und ihrer Umwelt im Mittelpunkt steht, ist unter Umwelt die Erde mit ihren Medien Luft (Atmosphäre), Wasser (Hydrosphäre3) und Erdkruste (Lithosphäre), deren obere Schicht wir auch als Boden (Pedosphäre) bezeichnen, zu verstehen. Der belebte Raum wird dabei auch Biosphäre genannt. Ein Ökosystem beschreibt die Lebensgemeinschaft biotischer Faktoren wie Pflanzen, Tiere, Bakterien und Pilze in ihrem Wirkungsgefüge mit der abiotischen Umwelt, wie Boden, Klima (Temperatur, Sonneneinstrahlung, Wind, Niederschläge) und Strahlung. Hinsichtlich ihres Stellenwerts für den Menschen können wir die Gesamtheit dieser natürlichen Faktoren auch als Umweltkapital oder Ressourcen bezeichnen.
1 Weltkonuniasion für Umwelt und Entwicklung (1987), S. 46. 2 Walletschek!Graw (1988), S. 221. 3 Zur Hydroaphärc gehören die Ozeane, die 96,5% des gesamten Wasservorrats der Erde ausmachen, sowie ober- und unterirdische BiMengewä88Cr wie Flü88C, Seen und Sümpfe, Grundwasser, Eis und das in der Atmoaphärc befindliche Wasser. Vgl. Heinrich/Hergt(1990), S. 21.
1. Kapitel: Normative Ableitung und Operationalisierung
25
Eine Wohlfahrtsfunktion ist also unter der Nebenbedingung zu maximieren,
daß das für das dauerhafte Überleben der Menschheit notwendige Umweltkapi-
tal in seinen lebensnotwendigen Funktionen quantitativ und qualitativ gesichert ist, um die Wohlfahrt künftiger Generationen durch heutiges Handeln nicht zu gefährden.
Der Inhalt der Wohlfahrtsfunktion ist dabei noch offen und unterliegt der Definition durch eine konkrete Gesellschaft. In Teilen der Literatur wurde der Begriff des •sustainable development• mit normativen Unterzielen wie Selbstversorgung, sozialer Gerechtigkeit, kommunaler Selbstbestimmung, kultureller Vielfalt, Mitmenschlichkeit, Dezentralisierung und Demokratie belegt. 4 Diese können ohne Zweifel Inhalt einer Wohlfahrtsfunktion sein, sollten aber nicht als Ziel nachhaltiger Entwicklung selbst definiert werden, da sie durchaus umstritten sind. Es soll in dieser Arbeit erst untersucht werden, ob diese und andere normative Vorstellungen für nachhaltige Entwicklung in unserem Sinne notwendig bzw. damit vereinbar sind. Die Umweltrestriktion steckt die Grenzen ab, innerhalb derer sich Gesellschaften nach ihren Zielvorstellungen, also je nachdem wie ihre Wohlfahrtsfunktion definiert ist, entwickeln können. Der Spielraum für die anthropogene Nutzung der Umwelt bestimmt sich 1. aus dem Vergleich des Status Quo (UK;.J mit einer vordefinierten Mindestausstattung an Umweltkapital (UK..,u) sowie 2. det innerhalb der betrachteten Periode sich vollziehenden natürlichen Regeneration/Assimilation bzw. dem natürlichen Ressourcenverzehr (AUK,..J.
Die Umweltbelastung UBanth• der Nettoumweltkapitalverzehr der Periode durch menschliche Aktivitäten, muß folgender Ungleichung genügen: UB_, :s: (UK111
-
UK~ +
AUKrtat
Entspricht die Anfangsausstattung mit Umweltkapital genau der erforderlichen Mindestausstattung, so muß sich die anthropogene Umweltbelastung auf das durch natürliche Vorgänge netto geschaffene Umweltkapital beschränken. Im Falle unzureichender Anfangsausstattung darf menschliches Handeln nicht einmal diesen Spielraum voll ausnutzen, um durch Nettoressourcenautbau den Mindeststandard wieder zu gewährleisten ("sustainable redevelopment" 5) . Diese beiden Fälle erfordern die Konstanthaltung bzw. Steigerung des Umweltkapitals und implizieren folgende bekannte Regeln:
4 Vgl. Beispiele in Gardner (1988), Rees (1989a) und Bailey (1989). S Vgl. Gardner (1988), S. 10, 14.
26
1. Kapitel: Nonnative Ableitung und Operationalisierung
"1. Always use renewable resources in such a way that the harvest rate (the rate of use) is not greater than the natural regeneration rate. 2. Always keep waste flows to the environment at or below the assimilative capacity of the environment. "6 Ist die Anfangsausstattung einzelner Ressourcen überreichlich, so steht dieser Differenzbetrag zusätzlich zur Verfügung, die menschliche Umweltbelastung darf also um diesen Betrag die natürliche Regeneration übersteigen. Die Umweltrestriktion verlangt also nicht, daß eine bestimmte quantitative Ausstattung mit natürlichen Ressourcen erhalten werden muß, solange diese Veränderungen langfristig die ökologischen Funktionen nicht in Frage stellen. Nur zur Vereinfachung haben wir mit dem Ausdruck "Umweltkapital" einen einzigen Begriff zur Umschreibung verschiedenster Umweltmedien und -funktionen benutzt. Es ist aber zu betonen, daß die Restriktion für jede Ressource und jede ökologische Funktion getrennt erfüllt sein muß. Für die Nutzung einer spezifischen Ressource, sei es ein Mineral, Luft, Wasser oder ein gesamtes Ökosystem, wäre also der menschliche Eingriff zu ermitteln, der noch zulässig ist, um die Funktionsfähigkeit zu erhalten. Diese äußerst schwierige Abschätzung kann allenfalls für ganz bestimmte Ressourcen oder ökologische Funktionen bezüglich ihres Wirkungsraums geschehen. Dies verlangt einen holistischen, stark naturwissenschaftlich geprägten Ansatz, da die Einbeziehung komplexer ökologischer Zusammenhänge nötig ist. Diegenaue Konkretisierung solcher Grenzen liegt außerhalb dieser Studie. Zur Darstellung der grundlegenden Problematik der Beziehung zwischen Mensch und Umwelt ist eine quantitative Bestimmung allerdings auch nicht nötig. Die Maximierung der gesellschaftlichen Wohlfahrt unter Beachtung des Imperativs, die Wohlfahrt zukünftiger Generationen nicht zu gefährden, läßt sich interpretieren als Forderung, daß das volkswirtschaftliche Gesamtkapital im Zeitablauf nicht abnehmen darf. Ebenso wie in der Betriebswirtschaft der Grundsatz der Kapitalerhaltung gilt (etwa im Bilanz- und Aktienrecht), können wir auch aus volkswirtschaftlicher Sicht nur dann von "Entwicklung" sprechen, wenn das Produktivvermögen einer Gesellschaft erhalten und vermehrt wird. Dies sichert, daß heutiger Konsum nur Erträge ökonomischer Aktivitäten umfaßt, die über die zur Erhaltung des Kapitalbestandes nötigen Investitionen hinausgehen. Anderenfalls würde die Substanz des Produktivvermögens aufgezehrt und die Fähigkeit reduziert, künftige Wohlfahrt zu schaffen. Wenn wir als Kapitalstock einer Volkswirtschaft die Elemente Sachkapital, Humankapital 6 Pearce /Tumer(1990), S. 44. Für den Fall Dichtemeuerbarer Rohstoffe, die - wenn genutzt nie konstant gehalten werden können, schlagen Pearce und Turner eine Regel vor, bei der der Abbau Dichtemeuerbarer ReBBOurcen durch entsprechenden Aufbau möglichst substitutiver erneuerbarer ReBBOUrcen kompensiert werden muß (S. 45).
1. Kapitel: Normative Ableitung und Operationalisierung
27
und Umweltkapital erfassen, läßt sich diese Beziehung formal darstellen in der Forderung
(SK
+ HK + UK)t+ 1 C!!: (SK + HK + UK),
In bezug auf unsere Umweltrestriktion ergibt sich daraus implizit eine zweite Einschränkung: Selbst wenn der Istbestand den Mindestbestand derzeit übertrifft, ist die Nutzung der Differenz nur dann nachhaltig, wenn der Abbau von Umweltkapital durch einen entsprechenden Aufbau anderer Formen von Produktivkapital kompensiert wird, die aus der Ressourcennutzung erzielten Erträge also nicht vollständig konsumiert werden. Eine Kompensation kann etwa dahin gehend erfolgen, daß Investitionen in Forschung und Entwicklung getätigt wef(Jen, die Substitute für natürliche Ressourcen darstellen können. Ein Kapitalaufbau würde also in Form von Sachkapital - den Forschungseinrichtungen oder technischen Hilfsmitteln - sowie in Form von Humankapital, etwa Bildung, Organisation und verbessertem Management, erfolgen. Diese Einschränkung gilt allerdings auch umgekehrt, was von Autoren übersehen wird, die eine minimale Ressourcennutzung durch den Menschen fordern. Es ist nämlich auch nicht mit nachhaltiger Entwicklung vereinbar, wenn zwar das Umweltkapital einer Gesellschaft erhalten wird, ihr Sach- bzw. Humankapital aber degeneriert. Um im folgenden die Frage zu beantworten, welche Spielräume für menschliches Handeln vorhanden sind und wie diese derzeit genutzt werden, müssen wir diejenigen anthropogenen Faktoren ermitteln, die unmittelbar auf die Umweltrestriktion einwirken. Wir gehen dabei von einer einfachen, aber als Ausgangspunkt sehr aussagekräftigen ldentitätsgleichung7 aus:
Umwellbefastuns
=
Soz.ialprodWct x Umweltbelastung x Bevölkerung Bevölkerung Soz.ialprodWct
Sie besagt, daß sich die Umweltbelastung durch den Menschen, das UB...th unserer Umweltrestriktion, aus dem Sozialprodukt pro Kopf der Bevölkerung, der Inanspruchnahme von Umweltkapital pro Einheit des Sozialprodukts (Um-
7 Ähnliche, wenngleich auf die Schadstoffproduktion im engeren Sinne ab:z;ielende Gleichungen verwenden Speth (1989), S. 299 und Commoner. I.ettterer beuichnet die Komponente "Menge des Wirtaehaft8gutea durch Bevölkerung" als Affiuem, die "Schadstoffmenge durch Menge des Wirtaehaft8gutea" als Einfluß der Technologie b:zw. des Koll8Umwandela. Vgl. hierw Wicke (1989), s. 39.
28
I. Kapitel: Normative Ableitung und Operationalisierung
weltintensität8) und der Bevölkerungsgröße ergibt. Aus dieser Identitätsgleichung wird klar, daß die anthropogene Umweltbelastung einen positiven Wert annimmt, sobald menschliches Leben auftritt. Impliziert das bisherige menschliche Verhalten einen Zustand, der gerade noch mit der Umweltrestriktion vereinbar ist, so darf die Umweltbelastung gegenüber der Vorperiode nicht zunehmen. Das Wachstum einer oder mehrerer die Umweltbelastung bestimmender Determinanten muß also durch entsprechende Reduktion einer anderen kompensiert werden. Ist die menschliche Umweltbelastung zu hoch und nicht mit nachhaltiger Entwicklung vereinbar, so ist eine Rückführung derselben durch ausreichend hohes negatives Wachstum einer oder mehrerer dieser Faktoren nötig. Bei noch zur Verfügung stehenden Spielräumen können eine oder mehrere der Determinanten wachsen, ohne daß dies in voller Höhe durch einen Rückgang eines anderen Faktors ausgeglichen werden muß. Wir haben nun die drei unmittelbaren anthropogenen Einflußfaktoren bestimmt, zu denen als vierter unmittelbarer Faktor die nichtanthropogenen Faktoren hinzukommen, die direkt den Wiederaufbau von Umweltkapital beeinflussen. Schrittweise versuchen wir zunächst, den jeweiligen Erklärungsbeitrag der vier unmittelbaren Faktoren in Hinblick auf ihre Umweltwirkung und ihren Einfluß auf die Ziel-, d.h. die Wohlfahrtsfunktion in Einzelbetrachtung, also ceteris paribus, zu untersuchen. Dann wenden wir uns den etwaigen Interdependenzen zwischen den unmittelbaren Faktoren sowie den diese Zusammenhänge beeinflussenden Rahmenbedingungen zu. Daraus erhalten wir also nicht nur Erkenntnisse darüber, wodurch Umweltbelastungen generell verursacht werden, sondern auch, ob eine Änderung der unerwünschten Tendenzen unter bestimmten Voraussetzungen überhaupt möglich und welcher Handlungsansatz unter welchen Rahmenbedingungen am aussichtsreichsten ist.
8 Der konventionellen Terminologie folgend, wäre die Umweltkapitalnutzung pro Sozialproduktseinheit als "Umweltkoeffizient" zu bezeichnen. Dieser Auadruck ist wenig ansebaulich und ungebräuchlich, so daß wir den Begriff "Umweltintensität" verwenden wollen. Wir folgen in dieser Vorgehensweise weiten Teilen der Literatur, die als Verschmutzu"i&" oder Energieintensität das Verhältnis von Versehrnutzung bzw. Energieverbrauch zu Sozialprodukt definieren (so Speth (1989), S. 299 und Fritsch (1993), S. 131). Der Begriff ·~lalive Umweltintensität" wird verwendet, wenn wir den Anteil des Produktionsfaktors Umweltkapital im Verhältnis zu einem der anderen ProduktionsfaktorenArbeitund Kapital betrachten. Die Ausdrücke "arbeits-" bzw. "kapitalintensiv" werden im konventionellen Sinne gebraucht. SprlJsser (1988) definiert zwar die Begriffe zunächst in Anlehnung an die traditionelle Terminologie (S. 73), zieht im Verlauf ihrer Arbeit aber ebenfalls die Begriffe "Emissionsintensität" bzw. • Abfallintensität" anstelle der Begriffe "Emissions-" bzw. "Abfallkoeffizient" heran, wenn sie sich aufdie Umweltbelastung pro Outputeinheit bezieht (S. 124-139).
2. Kapitel
Unmittelbare Faktoren nachhaltiger Entwicklung 2.1. Nichtanthropogene Faktoren Die Beziehung zwischen Lebewesen und abiotischen Faktoren in den verschiedenen Ökosystemen ist durch hochkomplexe Prozesse gekennzeichnet: die biogeochemischen Stoffkreisläufe der verschiedenen chemischen Elemente, etwa der Kohlenstoff-, Sauerstoff-, Stickstoff-, Phosphorkreislauf, der Wasserkreislauf (Verdunstung, Kondensation des Wasserdampfes und Niederschlag), der Gesteinskreislauf (physikalische und chemische Verwitterung, Erosion, Sedimentation, Verfestigung, Umwandlung, Schmelzen und Kristallisation sowie tektonische Bewegungen), Stoffwechsel bzw. bei autotrophen Organismen Photosynthese, Ionenaustausch und die zahlreichen Interdependenzen der Arten, wie Allianzen, Probiosen, Symbiosen, Interferenzen, Konkurrenzbeziebungen, Parasitismus, Räuber-Beute-Beziehungen und Schutzreaktionen. 1 Der Mensch ist zwar Teil der aus Ökosystemen bestehenden Umwelt. Natürliche Faktoren verändern sich aber auch unabhängig von menschlichem Wirken. Derartigen außerhalb menschlicher Eingriffe liegenden Funktionen wollen wir uns jetzt widmen. 2.1.1. Natürlicher Aufbau und Verzehr von Umweltkapital
Für unsere Betrachtung relevant ist dabei die Entstehung von Umweltkapital durch Evolution (langfristig) bzw. Regeneration und Assimilation (kurzfristig) sowie die Vernichtung von Umweltkapital durch natürlichen Verfall, plötzliche Ereignisse (Naturkatastrophen) oder evolutorische Veränderungen. Wandel ist also der Umwelt inhärent. Arten konkurrieren untereinander um die Ressourcen, die sie zum Überleben brauchen: Licht, Wasser, Nährstoffe des Bodens im Falle autotropher Organismen, pflanzliche und tierische Nahrung im Falle heterotropher Konsumenten. Ausgangspunkt jeglichen Lebens ist die Fähigkeit
1 Vgl. zu diesem Abschnitt die entsprechenden Stichwörter bei Walletschek/Graw (1988) und Heinrich/ Hergt(l990).
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2. Kapitel: Unmittelbare Faktoren nachhaltiger Entwicklung
von Pflanzen, Wasser und Nährstoffe mit Hilfe des Sonnenlichts und Sauerstoff in Energie umzuwandeln, die zur Erhaltung des eigenen Stoffwechsels und zur Lieferung von Energie an andere Lebewesen dient. 2 Die umfassenden, hier nicht weiter darstellbaren Wechselwirkungen zwischen biotischen und abiotischen Faktoren bilden "ein dynam. Abhängigkeits- und Wirkungsgefüge, das trotz Schwankungen in den Populationen oder anderer Störfaktoren zum Gleichgewicht tendiert" 3 , welches durch homöostatische Rückkopplungen erreicht wird. Stabilität "is the ability of a system to maintain a relatively constant condition in terms of its species composition, biomass and productivity, with minor fluctuations around a mean value (the equilibrium point), and to retum to this steady condition fairly rapidly after intemal or extemal disturbances. "4 Stabilität in langfristiger Perspektive, im englischen Sprachgebrauch auch als "resilience" bezeichnet, entspricht dabei unserem Begriff der Nachhaltigkeil (sustainability). 5 Der Aufbau von Umweltkapital durch natürliche Regeneration umfaßt sowohl das Nachwachsen von Ressourcen wie Pflanzen und Tieren als auch die Assimilationskapazität, worunter die Fähigkeit der Umwelt zu verstehen ist, bestimmte Mengen an Belastung (Immissionen6) ohne spürbare Verschlechterung der Qualität (im Sinne der Fähigkeit, gleichbleibenden Nutzen zu stiften), aufzunehmen. Die Leistungstihigkeit, zu produzieren bzw. zu assimilieren, hängt dabei maßgeblich vom Zustand des Umweltkapitals in der Ausgangslage ab. So ist ein fragiles Ökosystem anfälliger für Belastungen, die seine Regeneration bzw. Assimilationstihigkeit einschränken. 7 Zwar gibt es auch Anzeichen dafür, daß gerade bedrohte Ökosysteme über enorme Stabilisierungskräfte verfügen und sich etwa nach Katastrophen erstaunlich rasch Natur bildet bzw. Resistenzen gegen Umweltschäden formen. 8 Derartige Selbstheilung ist aber nur dann belegt, wenn der störende Eingriff moderat, einmalig bzw. kurzzeitig oder im Rahmen natürlicher Sukzession war und sich Organismen an neue Umstände schrittweise (durch Mutation) anpassen konnten. Das Auftreten solcher Selbsterhaltungskräfte ist allerdings nicht zwingend. Untersuchungen über bedrohte Arten weisen nämlich eindeutig darauf hin, daß "as the population of
Heinrich/Bergt (1990), S. 60f. 3 Heinrich/Bergt (1990), S. 69.
2 Vgl.
4 Zitiert nach Barbier (1989a), S. 42.
5 Vgl. Barbier (1989a), S. S9f. 6 Immissionen einer Region unterscheiden sich von den dortigen Emissionen durch die Diffusion von Schadstoffemissionen, aber auch durch Synergieeffekte und direkte Schadstoffimporte und -exporte. Vgl. SprlJsser (1988), S. 141. 1 Zu solchen negativen Regetiereisen bei natürlichen Ressourcen siehe Messerliu.a. (1987), S. 32.
8 Vgl. CoUins/Sayer/Whitmore(l991), S. 18 und o.V. (1993a), S. 247.
2.1. Nichtanthropogene Faktoren
31
a species drops and groups become fragmented and isolated from one another, extinction from factors like inbreeding or random disasters (for example, fire or storms) can rise sbarply. "9 Es ist deshalb legitim zu behaupten, daß eine andauernde Abnahme des Umweltkapitals die relative Fähigkeit desselben, sich wieder zu erholen, vermindert. Allerdings wirken natürliche Faktoren nicht ausschließlich positiv auf unsere Umweltrestriktion. Alle Arten unterliegen natürlichen Schwankungen ihrer Population, d .h. die Regeneration kann auch ohne menschlichen Eingriffhinter dem Verlust durch natürliche Sterbefälle und natürliche Feinde zurückbleiben. Bereits vor menschlicher Beherrschung der Erde starben Arten aufgrund klimatischer oder ökologischer Faktoren aus. Radikale Beeinträchtigungen des natürlichen Systems, die über natürliche Schwankungen hinausgeben, stellen darüber hinaus Naturkatastrophen dar. Dazu zählt man Unwetter (Stürme, Überschwemmungen, Dürren), Erdbeben, extreme biologische Störungen (wie Seuchen oder Plagen), Vulkanausbrücbe, Klimakatastrophen oder Meteoriteneinschläge. Teile der Umwelt oder gar ganze Ökosysteme können dabei geschädigt oder vernichtet bzw. ihre Regenerationstihigkeit eingeschränkt werden. Die Anfälligkeit von Ökosystemen für die Folgen von Naturkatastrophen ist dabei wiederum vom Ausgangszustand, d.b. von quantitativen und qualitativen Faktoren von Ökosystemen, wie z.B. seiner Stabilität und Resilienz oder negativ ausgedrückt seiner Fragilität, abhängig. Es besteht dabei eine enge wechselseitige Beziehung zwischen Naturkatastrophen und dem Zustand der Umwelt: "soil erosion, deforestation, desertification, and coastal degradation increase the risks of extreme events, and in turn, natural hazards exacerbate environmental degradation. "10
2.1.2. Natürliche Gegebenheiten und Wohlfahrt Eine recht klare Aussage ist zum Verhältnis zwischen den meisten natürlichen Faktoren und der Wohlfahrtsfunktion möglich. Der Zustand der Umwelt ist selbst eine Wohlfabrtskomponente. Eindeutig ist dabei der Zusammenhang hinsichtlich der qualitativen Ausstattung mit Natur: Saubere Luft, reichliches Wasser guter Qualität, guter Boden, eine ästhetische Landschaft und hohe Produktionskraft werden als Zuwachs an Lebensqualität empfunden. Etwas differenzierter ist dagegen die quantitative Ausstattung von Flora und Fauna bzw. anderen Organismen zu sehen. Andere Arten stehen prinzipiell zum Menschen in Konkurrenz um Platz, Nahrung und andere Ressourcen. Ein Überbe-
9 O.V. (1993k), S. 24. 10 World Bank (1991b), S. 9S.
2. Kapitel: Unmittelbare Faktoren nachhaltiger Entwicklung
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stand, etwa wenn Menschen unkontrollierbar scheinende Natur als Bedrohung empfinden bzw. diese dem Menschen Schaden zufügt, kann daher als Wohlfahrtsminderung bezeichnet werden: Beispiele sind etwa die Zerstörung von Feldern und Herden oder gar menschliche Opfer durch wilde Tiere11 , durch Insekten übertragene Krankheiten und die Gefährdung der Ernte durch Schädlinge, Unkraut und Pilze. Angesichts des rasant wachsenden Artensterbens und der Dominanz des Menschen sind allerdings die Fälle, in denen der Wohlfahrtseffektvergrößerten Umweltkapitals negativ ist, nachrangig. Zudem kann bereits hier darauf hingewiesen werden, daß ein Großteil der negativen Rückwirkungen der Natur auf den Menschen auf vorheriges menschliches Eingreifen zurückzuführen ist, also im eigentlichen Sinne nicht als negative Wohlstandswirkung nichtanthropogener Faktoren gerechnet werden kann.
2.2. Bevölkerung 2.2.1. Bevölkerung und Umwelt
Als Bevöllcerung (Population) bezeichnet man die "Gesamtheit der Lebewesen einer Art in einem abgegrenzten Raum" 12• Die Gattung "Mensch" ist nur eine neben ca. 5-30 Millionen Arten auf der Erde. 13 Sie zählt zu den heterotrophen Lebewesen, benötigt also zum Überleben die von autotrophen Lebewesen aus anorganischen Stoffen aufgebauten energiereichen organischen Substanzen, zusätzlich zu Wasser und Luft. Die Nahrungsaufnahme erfolgt dabei entweder direkt durch den Konsum von Pflanzen, also Produzenten organischer Stoffe, oder durch den Konsum tierischer Nahrung, die wiederum Konsument verschiedener Ordnung sein kann. Daraus wird unmittelbar deutlich, daß eine unauflösliche Verbindung zwischen Bevöllcerung und Nutzung von Umweltkapital allein darin besteht, daß ein Mindestmaß an Umweltkapital in Form von Nahrung, Luft und Wasser der Natur immer entzogen werden muß. Zudem steht die Bevöllcerungsgröße in unmittelbarer Relation zum Platzbedarf. Menschen benötigen Raum, nicht zuletzt zur Beschaffung ihrer Nahrung, und sie stehen dabei in Konkurrenz zu anderen Lebewesen und natürlichen Funktionen. Für diese Ressourcennutzung gibt es keine Substitutionsmöglichkeit Über die absolut zum Überleben notwendigen Faktoren hinaus, haben Menschen eine Vielzahl von Bedürfnissen, die sie zu befriedigen streben. Je höher die Bevölkerungszahl, desto höher ist ceteris paribusdie absolute Nutzung an Umwelt.
11 Vgl. Krabbe
(1994a), S. 7. (1990), S. 7S.
12 Heinrich/Bergt
13 Vgl. Vitouaek u.a. (1986), S. 368.
2.3. Sozialprodukt pro Kopf
33
2.2.2. Bevölkerung und Wohlfahrt
Wie eine Erhöhung der Bevölkerung c.p. auf die Wohlfahrt wirkt, ist nicht eindeutig zu bestimmen. Ob mehr Menschen als wünschenswert oder nicht erachtet werden, ist eine ethische Frage bzw. ergibt sich aus nutzenanalytischen Überlegungen. Diesbezüglich sind zwei grundlegende Referenzpunkte möglich: Zu maximieren ist entweder im Sinne eines maximalen Lebensstandards der Pro-Kopf-Nutzen oder eine gesellschaftliche Nutzenfunktion, die sowohl die durchschnittliche Höhe der Wohlfahrt als auch die Bevölkerungszahl einbezieht. Die Problematik der zuerst genannten Option liegt darin, daß unter bestimmten Voraussetzungen eine Reduktion der Bevölkerung auf Null optimal erscheint. Sie wirft auch stärkere ethische Fragen auf als die zweite Option, die von Meade vorgeschlagen und in der sog. Meade-Regel beschrieben wird: Ein Bevölkerungszuwachs ist demgemäß dann wünschenswert, wenn die durch die zusätzlichen Menschen erzielte Wohlfahrt, d.h. deren eigene Nutzenempfindung und das Grenzprodukt ihrer Arbeit, höher ist als der von den bereits existierenden Menschen empfundene bzw. durch auftretende Kosten verursachte Wohlfahrtsverlust durch Bevölkerungssteigerung. 14 Ob eine konkrete Bevölkerung die Schwelle dieses durch die Meade-Regel beschriebenen Optimums bereits erreicht hat, hängt von der absoluten Größe der jeweiligen Population und ihrer Lebensweise im Verhältnis zu ihrem Lebensraum ab, ergibt sich also allenfalls nach vollständiger Untersuchung der in unserer Studie aufzuzeigenden Zusammenhänge.
2.3. Sozialprodukt pro Kopf Der Ausdruck (Brutto-)Sozialprodukt umfaßt den "Wert aller in der Periode produzierten Güter (Waren und Dienstleistungen)" 15 einer Volkswirtschaft. Dividieren wir den Umfang des in einer Volkswirtschaft erwirtschafteten Sozialprodukts durch die jeweilige Bevölkerungszahl, so ergibt sich das Sozialprodukt pro Kopf. Wenn wir im folgenden von Sozialprodukt sprechen, zielen wir dabei auf den physischen Output einer Volkswirtschaft zu konstanten Preisen, also das Ausmaß der Güterversorgung ab, betrachten also reale, nicht nominale Größen. 16
14 Vgl. Neumann (1982b), S. 123.
15 Gabler-Wirtschafts-Lexikon (1984), Sp. 1303.
16 Vgl. Dombusch/Fischer (1987), 29f und Woll (1987), S. 31Sf. 3 Stenge!
34
2. Kapitel: Unmittelbare Faktoren nachhaltiger Entwicklung
2.3.1. Sozialprodukt und Umwelt
Charakteristikum von Gütern ist, daß sie produziert werden müssen und ihre Herstellung mit der stofflichen Umwandlung von Umweltkapital verbunden ist: "Productioo requires the ecooomic process to receive a cootinuous flow of eoergy-matter obtaioed from the natural enviroomeot. "17 Unabhängig davon, welche Faktoren im Laufe der Geschichte der Nationalökonomie explizit als Produktionsfaktoren anerkannt wurden, sind sie alle letztlich auf den Einsatz von Ressourcen zurückzufiihren. Jede Maschine besteht selbst aus Rohmaterial und bedarf des Einsatzes zusätzlicher Rohstoffe wie Metalle, Wasser oder Treibstoff zur Produktion. Land als klassischer Einsatzfaktor des primären Sektors, aber auch als Standort für wirtschaftliche Tätigkeit im sekundären und tertiären Sektor, ist unmittelbares UmweltkapitaL Auch der Faktor Arbeit beruht - weßß auch in geringerem Maße als Sachkapital - auf dem Einsatz von Rohstoffen in Gestalt der Nahrung, aber auch sämtlicher anderer Mittel zur Bedürfnisbefriedigung, die zur Aufrechterhaltung der Arbeitskraft nötig sind. Auch die Einbeziehung von Dienstleistungen als Teil des Sozialprodukts löst diesen Grundzusammenhang nicht auf. Zum einen nutzen auch Dienstleistungen zumindest die Produktionsfaktoren Arbeit und Land und sind bereits deshalb auf die Bereitstellung von Umweltkapital angewiesen. Zum anderen sind sie meist an den Verkauf oder den Gebrauch eines Produkts gebunden: Eine Serviceleistung im Verkauf bezieht sich auf ein zu verkaufendes stoffliches Produkt. Kommuoikatioos"dieostleistungen" oder Dieostleistungen im Bereich des Tourismus verlangen erhebliche Infrastruktureinrichtungen und Energieverbrauch, Unterhaltung bedarf nicht nur einer guten Stimme, sondern auch einer Bühne, Kostümen und jeder Menge Unterhaltungselektronik. Eine Ausweitung der Dienstleistungsfunktion im Gesundheitswesen verlangt normalerweise auch einen entsprechenden Aufbau an stofflichen Ressourcen (Räume, Material, Betten, Medizin). Jede Dieostleistung verzehrt überdies Energie, deren Herstellung materialintensive Anlagen und die Nutzung von Brennstoffen benötigt. Der Unterschied zwischen Waren im engeren Sinn und Dienstleistungen ist also ein fließeoder bezüglich des Anteils an stofflichem Material in einer Produktions- oder Konsumeinheit, wie er auch zwischen Gütern im engeren Sinne (etwa in der traditionellen Aufteilung in arbeits-und kapitalintensive Güter) zu finden ist. Eine Intensivierung der Dienstleistungen und damit des Sozialprodukts ohne entsprechende zusätzliche Umweltbelastung ist allenfalls im Sinne qualitativer Verbesserungen in engem Umfang denkbar, stellt dann aber eine Veränderung der Produktionstechnik im Sinne einer effizienteren Arbeitsweise dar (vgl. Kap. 3), was durch unsere Ceteris-paribus-Bedingung in diesem Ab-
17 Underwood/[(jng(l989), S. 322.
2.3. Sozialprodukt pro Kopf
35
schnitt ausgeschlossen ist. Christensens These "for any given technique, there is no increase in output without an increase in material (and energy) input" 18 gilt also für jedes Element des konventionellen Sozialprodukts. Ein weiterer wichtiger Aspekt ergibt sich unmittelbar aus naturwissenschaftlichen Gesetzen: Der erste Hauptsatz der Thermodynamik impliziert die Gesetze von der Erhaltung von Energie und Masse, wonach Materie und Energie in einem geschlossenen System nicht erzeugt oder zerstört, sondern nur umgeformt wird. 19 Obwohl die Welt streng genommen ein offenes, wenngleich noch unbekanntes System ist, gelten zumindest in dem für menschliches Handeln relevanten Betrachtungszeitraum die für geschlossene Systeme gültigen Gesetze auch für die Erde. Bezüglich Masse ist die Erde de facto ein geschlossenes System. 20 Bezüglich Energie existiert eine externe Quelle, die Sonne, deren Nutzung für Photosynthese und Photovoltaik zwar noch nicht ausgeschöpft, aber eben doch durch die Aufnahmetihigkeit der Erde für diese Strahlung begrenzt ist. Für die Umwelt hat die Gültigkeit des ersten thermodynamischen Gesetzes eine sehr konkrete Relevanz: Zum einen sind die verfügbaren Ressourcen, wie auch immer man sie definiert, begrenzt. Zum anderen muß das ökonomische System, wann immer es der Natur Ressourcen entnimmt, eine gleich große Menge an Masse und Energie wieder an diese abgeben. Es existiert "a direct and proportional relationship . . . between the flow of energy-matter used to produce consumption goods and the flow of energy-matter required to dispose of an equal mass of waste. "21 Jede Erhöhung des Sozialprodukts belastet also die Umwelt in zweierlei Hinsicht: erstens, indem sie Rohstoffe für die Produktion entnimmt (wozu auch die bei der Produktion verbrauchte Energie zählt) und zweitens, indem zwangsläufig Abfall anfällt, der zum Teil bereits bei der Produktion (in Form von Abwasser, Abgasen oder festem Abfall}, zum Teil erst während (stoffliche Abnutzung, Autoabgase, Lärm) oder nach dem Konsum (etwa im Fall des FCKW bei Kühlschränken und Klimaanlagen) der Umwelt wieder zugeführt wird. Je aufwendiger und materialintensiver die wirtschaftliche Tätigkeit bzw. ein Wirtschaftszweig ist, desto höher ist nicht nur die Umweltbelastung, sondern c.p. auch der Beitrag zum Sozialprodukt. 22
18 Christensen (1989), S. 21. 19 Vgl. KeetiiJII!Hatsopoulos /Gyftopoulos (1990), S. 613f. 20 Vgl. Khalil (1990), S. 165 und Victor (1991), S. 207. Der Zufluß von Materie in Form von Kometen und Meteoriten bzw. der Abfluß von Helium in den Weltraum ist minimal. Vgl. Fritsch (1993), s. 18, 177. 21 Underwood/King (1989), S. 322. 22 Hueting (1990) belegt dies anhand der niederländischen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (S. 111). 3*
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2. Kapitel: Unmittelbare Faktoren nachhaltiger Entwicklung
Darüber hinaus impliziert der zweite Hauptsatz der Thermodynamik, das sogenannte Entropiegesetz, daß Masse/Energie bei der Umformung stets von einem Zustand niedriger Entropie, also einem Zustand hoher Ordnung und damit Nutzbarkeit, in einen Zustand höherer Entropie, also niedrigerer Ordnung und damit geringerer Nutzbarkeit übergeht. 23 Dies bedeutet, daß es unmöglich ist, Wärme vollständig in mechanische Arbeit umzuwandeln, also ein Perpetuum mobile zu betreiben. Bei jedem Prozeß treten unwillkürlich Effizienzverluste auf, die auch vollständiges Recycling unmöglich machen. 24 Selbst wenn die hierdurch gezogenen Grenzen noch nicht unmittelbar das heutige Wachstum des Sozialprodukts bedrohen sollten, zeigt sich, daß es außerökonomische, rein naturwissenschaftliche Grenzen für das Wachstum des Sozialprodukts gibt. Der Zusammenhang zwischen Output und Umweltbelastung bei konstanter Produktionsweise wird verschärft, wenn die den üblichen Produktionsfunktionen zugrundeliegende Annahme gilt, daß die Outputsteigerung nicht nur höheren Input, sondern progressiv steigenden Input und damit Umweltbelastung erfordert. Siebert schließt etwa in seinem Modell eine sinkende marginale Verschmutzungsneigung bei steigendem Output als "rather unlikely" 25 aus. 2.3.2. Sozialprodukt und Wohlfahrt Der Umfang an Gütern innerhalb einer Volkswirtschaft, dessen Wert wir als Sozialprodukt bezeichnen, ist traditionell zentrales Element jeder Wohlfahrtsfunktion. Das Sozialprodukt entspricht dabei dem in einer Volkswirtschaft verfügbaren Einkommen, das die Aufteilung des Produktionsergebnisses darstellt, so daß wir diese beiden Begriffe synonym verwenden können. Eine positive Korrelation zwischen der Höhe des Sozialprodukts pro Kopf bzw. dem Pro-Kopf-Einkommen und der Wohlfahrt wird dabei unterstellt. Bei konstanter Bevölkerungszahl - dies entspricht der Ceteris-paribus-Bedingung dieses Abschnitts - bedeutet dies auch eine positive Beziehung zwischen gesamtem Sozialprodukt und gesellschaftlicher Wohlfahrt, so daß wir im folgenden die Unterscheidung zwischen Durchschnitts- und Gesamtgrößen vernachlässigen können.
23 Vgl. Keenon/Hatsopoulos/Gy.ftopoulos (1990), S . 614fundFaber/Memes/S1ephan (1987). Das zweite Gesetz der Thennodynamik wird auch durch die Lehrsätze von Kelvin und Clausius ausgednickt. Vgl. hierzu KluJJil (1990) und Lozada (1991).
24 Victor (1991) zeigt, daß selbst vollständiges Recycling in einer wachsenden Wirtschaft lediglich den Bedarf an Rohstoffen um eine Periode verschieben würde (S. 207f). 25 Sieben (1974), S. 497. Formal dnickt sich dies darin aus, daß fiir eine Umweltbelastungsfunktion UB = F(Y) mit F' >0 und F" ~0 gilt.
2.3. Sozialprodukt pro Kopf
37
Die positive Korrelation wird damit begründet, daß jedes Individuum Bedürfnisse hat, also "das Gefühl eines Mangels mit dem Streben, diesen zu beseitigen. "26 Die Tatsache, daß einzelne Bedürfnisse durch den Genuß von Gütern gestillt werden, wird in der ökonomischen Theorie durch die Annahme sinkender Grenmutzen (erstes Gossensches Gesetz) berücksichtigt. Jede zusätzliche Einheit stiftet dabei zunehmend geringeren Nutzen, bis zum Sättigungspunkt, in dem der Grenmutzen Null ist. Eine Sättigung mag zwar für einzelne Güter und Dienstleistungen eintreten, wenn die Bedürfnisse, zu deren Befriedigung diese herangezogen werden, gestillt sind. Bei der Vielzahl der menschlichen Bedürfnisse, Recktenwald spricht sogar von ihrer Unbegrenztheit27 , wird aber eine allgemeine Sättigung materieller Bedürfnisse nicht angenommen: Ein höherer Versorgungsgrad mit Gütern und Dienstleistungen wird gegenüber einem niedrigeren präferiert. Im Rahmen der Umweltdiskussion haben Autoren28 auf die Bedürfnislosigkeit indigener Gesellschaften in bezug auf materielle Güter hingewiesen, was der hier zugrundegelegten These zu widersprechen scheint. Dazu sei folgendes angemerkt: Zum einen ist das, was sich bei traditionellen Stämmen als relative Bedürfnislosigkeit in Einklang mit der Natur zeigt, Ergebnis der Wahrnehmung aller im Laufe dieses und der folgenden Kapitel zu besprechenden komplexen Zusammenhänge. Es ist also nicht von vornherein klar, ob der Verzicht auf materielle Güter auf fehlende Bedürfnisse zurückzuführen oder Ergebnis nicht vorhandener Ressourcen bzw. der Erkenntnis über die Notwendigkeit eines kargen Lebens zur Erhaltung der Lebensgrundlage ist. Dafür, daß Menschen generell Bedürfnisse empfinden, spricht die Empfänglichkeit zahlreicher indigener Gruppen für von außen in diese Gesellschaften gebrachte Konsumgüter. Selbst wenn man dieses Phänomen als Verführung bislang harmonisch lebender Gruppen verurteilt oder auf die Neugier der Menschen zurückführt, ist es Beleg für den Drang der Menschen nach Befriedigung auch materieller Bedürfnisse. Wir können allenfalls die These von der Unersättlichkeit der Bedürfnisse dahin gehend relativieren, daß es sich "nicht um einen unabänderlichen Zug der menschlichen Natur" 29, wohl aber um ein empirisch beobachtbares Phänomen handelt, dessen Intensität je nach Präferenzen variiert. Als Grundregel gilt also: Jede Steigerung des Sozialprodukts wird ceteris paribusals Wohlfahrtssteigerung empfunden, ein größerer Umfang an Gütern und Dienstleistungen wird also einem kleineren vorgezogen. Vor allem aber
26 Von Hermann (1832), zitiert nach Recktenwald (1987), S. 60. 27 Vgl. Recktenwald (1987), S. 60.
28 So Harbonh (1992), S. 45. 29 Neumann (1983), S. 9f.
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2. Kapitel: Unmittelbare Faktoren nachhaltiger Entwicklung
wird jede Einkommenssteigerung als positiv erachtet, erweitert sie doch die Wahlmöglichkeiten eines Individuums bzw. einer Volkswirtschaft in einer Welt des Tausches. Die in der Literatur zitierten Gegenbeispiele für negativen Nutzen aus Konsum (anschaulich ausgedrückt im Überessen oder in auftretenden Schuldgefühlen bei Prasserei) sind entweder Grenzfälle, bei denen die Sättigungsgrenze für lediglich ein bestimmtes Gut überschritten wurde, oder nur Teilaspekte des Konsums und durchaus im Rahmen der herkömmlichen Theorie zu erklären. Bei der wohl plausibelsten Form der Wohlfahrtssteigerung durch Verzicht, etwa einer Spende oder einem Geschenk, handelt es sich auch lediglich um eine Umleitung des materiellen Bedarfs auf eine andere Person, so daß die Beziehung zwischen Wohlfahrtssteigerung und Steigerung des Güterberges nach wie vor gilt. In Zusammenhang mit der Umweltdiskussion, aber auch mit sozialen Problemen von Industrieländem, wurden Beispiele für negative Wirkungen des Sozialprodukts angeführt. Unter anderem wurde das Sozialprodukt als Wohlfahrtsindikator dahin gehend kritisiert, daß Elemente darin Eingang finden, die keine eigentliche Wohlfahrtssteigerung für die Gesellschaft darstellen, etwa defensive Ausgaben, bzw. eine Erhöhung des Sozialprodukts negative Effekte hat - wie Zunahme der Kriminalität, des Neids oder Auflösung familiärer Strukturen - und wohlfahrtssteigemde Elemente, wie die Arbeit von Hausfrauen, Müttern und sozialen Einrichtungen, vernachlässigt werden. Zu beiden Punkten ist folgendes anzumerken: Erstens sei nochmals betont, daß die beschriebene Relation unter der Ceterisparibus-Bedingung zu betrachten ist. So sind defensive Umweltausgaben (Aufräumen verseuchter Deponien) Folge von wohlfahrtsminderndem Verhalten, wie dem Abkippen von Giftmüll (dessen Ursachen in den folgenden Kapiteln näher untersucht wird), stellen also allenfalls jenen Zustand her, der vor diesem Verhalten bestanden hat und bewirken damit keine Wohlfahrtssteigerung gegenüber der ursprünglichen Situation (d.h. vor dem Abkippen des Mülls). Vergleicht man lediglich den Zustand vor Einsatz der defensiven Maßnahmen (verseuchte Kippe) mit dem Zustand danach, so stellen die Aufräumarbeiten aber eine eindeutige Wohlfahrtssteigerung dar. Ob eine Sozialproduktssteigerung unter Berücksichtigung aller Wirkungen (also nicht mehr ceteris paribus) wohlfahrtssteigernd wirkt, kann man nur beurteilen, wenn man komplexere Zusammenhänge untersucht, was im Laufe dieser Analyse auch schrittweise geschieht. Wir werden dann zeigen, daß unter Berücksichtigung von Gesamtzusammenhängen Tätigkeiten, die insgesamt das Sozialprodukt steigern, nicht zwangsläufig wohlfahrtserhöhend wirken müssen, wenn ihre Entstehung selbst suboptimal war oder sich andere Bedingungen gleichzeitig änderten. Zweitens: Die Aussage, daß jede Erhöhung des Einkommens ceteris paribus als Wohlfahrtssteigerung angesehen wird, besagt noch nicht, daß es nicht ande-
2.4. Umweltintensität
39
re wohlfahrtssteigemde Elemente gibt, die sich nicht unbedingt als Wachstum des Sozialprodukts niederschlagen. Hueting fiihrt dazu Faktoren an, die ebenfalls ökonomischer Art sind, aber sich nicht rein auf mengenmäßigen Output beschränken, wie Umwelt, einschließlich Raum, Energie, natürliche Ressourcen und Arten, Freizeit, Einkommensverteilung, Arbeitsbedingungen, Beschäftigung und Zukunftssicherheit 30 Einzubeziehen wären auch die erwähnten sozialen bzw. familienbezogenen Tätigkeiten sowie außerökonomische Wohlfahrtskomponentenwie Frieden, Freiheit, Menschenrechte, soziale Sicherheit oder Gerechtigkeit. Wir stellen also fest, daß das Sozialprodukt zwar ein, aber nicht der einzige Faktor der Wohlfahrtsfunktion ist, als alleiniger Indikator fiir Wohlfahrt also nicht genügt. Die relative Bedeutung des Faktors Sozialprodukt fiir die Wohlfahrt variiert auch hieraufgrundunterschiedlicher Präferenzen. Die besondere Beziehung zwischen Sozialprodukt und Umwelt begründet, warum lediglich das Sozialprodukt, nicht aber andere Wohlfahrtskomponenten, als unmittelbarer Faktor in unserer Identitätsgleichung herangezogen wurde. In dem Maße, wie die Befriedigung von Bedürfnissen (Zuneigung, Friede, Freiheit) keiner materiellen Güter bedarf, hat sie keine unmittelbare Wirkung auf die Umwelt (zu den mittelbaren Wirkungen siehe den weiteren Verlauf der Arbeit). Ist mit der Bereitstellung außerökonomischer Wohlfahrtsziele aber die Nutzung von Umweltkapital verbunden, so sind diese Komponenten zugleich Form von Ressourcenumwandlung, also konzeptionell Teil des Sozialprodukts.
2.4. Umweltintensität Die bisherigen Aussagen zum Verhältnis zwischen Sozialprodukt und Umweltbelastung bezogen sich auf Veränderungen des ersteren unter der Ceterisparibus-Bedingung gegebener Produktionsweise und gegebener Präferenzen, also gegebener Umweltintensität. 31 Dieses letzte Element unserer Identitätsgleichung, die Umweltintensität, stellt die Menge an Umweltkapital dar, die pro Einheit Sozialprodukt verbraucht wird, bzw. die Gesamtbelastung der Umwelt durch das aggregierte Sozialprodukt einer Volkswirtschaft. Sie ist damit verbindendes Glied zwischen den sich als konfligierend darstellenden Faktoren Umwelt und Sozialprodukt. Variationen der Umweltintensität können dabei in zwei Formen auftreten: zum einen als Veränderung der Umweltbelastung einzelner Güter bei gegebener Zusammensetzung des Sozialprodukts, zum anderen als Veränderung der Zu-
30 Vgl. Hueting (1990), S. 110. Allerdings stehen einige dieser Elemente in engem Verhältnis zur Höhe des produzierten Güterbergs. 31 So wird Christensens These durch die Bedingung "for any given technique" eingeschränkt.
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2. Kapitel: Unmittelbare Faktoren nachhaltiger Entwicklung
sammensetzung des Sozialprodukts. Ersteres tritt auf, wenn ein und dasselbe Gut oder eine Dienstleistung, z.B. eine Mengeneinheit Getreide oder eine Tonne Stahl, mit höherer (geringerer) Umweltbelastung, etwa in Form höheren (geringeren) Materialeinsatzes oder Schadstoffausstoßes, produziert wird. Letzteres tritt auf, wenn Güter, die mit relativ hoher (geringer) Umweltbelastung hergestellt wurden, durch Güter mit relativ geringerer (höherer) Umweltbelastung ersetzt werden. 32 Die Wirkung der Umweltintensität auf die Umweltrestriktion ist selbsterklärend: Je höher die Umweltintensität, desto größer ist ceteris paribusauch die Umweltbelastung. Eine Senkung der Umweltintensität, wie in den Beispielen beschrieben, wäre also aus Umweltsicht eindeutig anzustreben. Bezüglich der Wohlfahrtswirkung ist keine klare Aussage möglich. Ob eine niedrigere oder höhere Umweltintensität einer höheren Wohlfahrt entspricht, hängt nämlich davon ab, in welchem Fall der Gesamtnutzen höher ist bzw. den Präferenzen der Gesellschaft am ehesten entsprochen wird.
2.5. Fazit Bei allen vier dargestellten Faktoren ergeben sich recht klare Erkenntnisse zur Wirkung auf die Umwelt, allerdings können nur bei zweien, den natürlichen Faktoren und dem Sozialprodukt, relativ eindeutige Aussagen hinsichtlich der Wohlfahrtswirkung getroffen werden, während wir die Wohlfahrtseffekte der Bevölkerung und der Umweltintensität zunächst noch offen lassen müssen. Bei den Faktoren, bei denen sich eindeutige Aussagen ergaben, verlief deren Wirkung auf die Umwelt nicht in die gleiche Richtung. Der Zusammenhang zwischen Sozialproduktssteigerung und Umwelt läßt zunächst einen Konflikt zwischen Ökonomie und Ökologie, beides Komponenten der Wohlfahrt, vermuten. Bevor wir hier allerdings voreilige Schlüsse ziehen, müssen wir im folgenden Kapitel ein Phänomen näher betrachten, das wir bereits bezüglich des Sozialprodukts und der Umweltintensität angedeutet, dort allerdings als Ceteris-paribus-Bedingung behandelt haben: Effizienz bzw. Ineffizienz im Umgang mit Ressourcen. Da dies gleichsam der Erklärungbeitrag der ökonomischen Theorie zur Umweltproblematik ist und für die Frage, ob ein Konflikt zwischen Ökonomie und Umwelt besteht, von größter praktischer Relevanz ist, werden wir uns recht eingehend mit diesem Aspekt befassen, um die Interdependenzen der unmittelbaren Faktoren entsprechend würdigen zu können.
32 In der Praxis Jassen sich beide Fälle nicht exakt trennen. So kann das Umsteigen von bleihaltigem zu bleifreiem Benzin sowohl als veränderte Güterzusammensetzung (bleifrei vs. verbleit) als auch als veränderte Umweltintensität des Gutes Benzin interpretiert werden.
3. Kapitel
Allokationstheoretische Herleitung der Grenzen und Spielräume nachhaltiger Entwicklung Bei der Betrachtung der unmittelbaren Faktoren besteht ein Dilemma zwischen Wohlfahrtsinteressen und Umweltinteressen, wenn eine Sozialproduktssteigerung bzw. eine Erhöhung der Umweltintensität positiv auf erstere und negativ auf letztere wirkt. Wir hatten bei der Untersuchung des Sozialprodukts bereits angedeutet, daß dies ceteris paribus, nicht aber zwangsläufig in der Gesamtbetrachtung der Fall ist. Bei der Umweltintensität war gar die Richtung der Wohlfahrtswirkung generell offen. Wir wollen im folgenden solche Fälle betrachten, in denen kein echtes Dilemma besteht, Veränderungen des Sozialprodukts bzw. der Umweltintensität in bezug auf Wohlfahrts- und Umweltziel in gleicher Richtung wirken, also entweder positiv oder negativ. Ist ersteres der Fall, so besteht kein Konflikt, da eine Wahrnehmung der Veränderung beiden Zielen dient. Im zweiten Fall tritt wiederum kein Dilemma auf, weil eine Vermeidung der Veränderung wiederum beiden Zielen nützt. Gibt es in der Praxis derartige Spielräume, so bedeutet dies a posteriori, daß die Allokation in der Ausgangslage nicht optimal war, da sonst eine Wohlfahrtsverbesserung nicht möglich gewesen wäre. Wir müssen uns deshalb mit den theoretischen Grundlagen optimaler Allokation befassen, um diejenigen Abweichungen identifizieren zu können, die aus Umweltsicht relevant sind.
3.1. Optimale Allokation vs. einzel- und gesamtwirtschaftliche Ineffizienz Untersuchungsgegenstand der konventionellen (neoklassischen) Mikroökonomie ist die wohlfahrtsoptimale Allokation knapper Ressourcen auf konkurrierende Verwendung. Dabei liegt das Prinzip des methodologischen Individualismus zugrunde, das auf dem Rationalprinzip beruht. 1 Individuen, die rational handeln, wählen unter den angebotenen Alternativen diejenige, die den größten
1 Vgl. Horbach (1991), S. 23f. Zum Rationalprinzip und dem Vorwurf, es sei eine Tautologie, vgl. Sugden (1991).
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3. Kapitel: Allokationstheoretische Herleitung der Grenzen und Spielräume
Nutzen verspricht, wobei Konsistenz der Entscheidung gefordert wird. Bei der Beachtung dieses sogenannten ökonomischen Prinzips ist dabei der Nettonutzen entscheidend, d.h. es ist anzustreben "(a) mit vorhandenen Mitteln einen höchstmöglichen Ertrag oder Nutzen zu erreichen oder (b) mit dem geringstmöglichen Aufwand oder Einsatz einen bestimmten Ertrag oder Vorteil zu erzielen. "2 Wir sprechen dann von effizientem Verhalten. Übertragen wir das ökonomische Prinzip auf die gesamtwirtschaftliche Ebene, so verlangt optimale Allokation, daß zum einen einzelwirtschaftlich effizient produziert und nachgefragt wird und zum anderen die möglichen Güterbündel so zugeordnet werden, daß die Gesamtwohlfahrt der Gesellschaft maximiert wird. Abb. 3.1 verdeutlicht dies anschaulich: Gatl
Gat 1 Quelle: Val.
H~~~~picke (1991a),
S. 61
Abb. 3.1: Optimale Allokation und lneffJZienzen
Die Transformationskurve T , auch Produktionsmöglichkeitskurve genannt, beschreibt die bestenfalls erzeugbaren Güterkombinationen einer Volkswirtschaft. Hier stimmen Preis und Grenzkosten der produzierten Güter überein. Jeder Punkt, der nicht auf der Kurve selbst, sondern unterhalb derselben liegt (z.B. A), weist darauf hin, daß mit denselben Ressourcen ein größeres Güterbündel produziert werden könnte. Diese Situation nennen wir einzelwirtschaftliche Ineffizienz auf der Produzentenseite oder Produktionsineffizienz, da das Unternehmen seinen Gewinn nicht maximiert. Die Forderung nach Gewinnmaximierung sichert also, daß keine Ressourcen verschwendet werden. 3
2 Reclctenwald (1983), S. 467. 3 Vgl. Endns
(1986), S. 380.
3 .1 . Optimale Allokation vs. einzel- und gessmtwirtachaftliche Ineffizienz
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Die ausschlaggebenden Faktoren bei der Bestimmung des optimalen Güterbündels enthalten sowohl Mengen- als auch Wertkomponenten. Eine Gleichsetzung von effizienter Produktion mit technischer Effizienz ist also wegen der fehlenden Berücksichtigung von Preiskomponenten nicht zulässig. Ein technisch effizienter Produktionsprozeß ist nur dann auch betrieblich effizient, wenn er nach Berücksichtigung der möglichen Umstellungskosten und der am Markt bestehenden Preise fiir Input- und Outputmengen aufgrund von Angebots- und Nachfragerelationen den höchstmöglichen Nettonutzen bringt. 4 Marktdaten sind daher mindestens ebenso relevant wie technische Komponenten. Indifferenzkurven (I) repräsentieren Güterkombinationen, die gleich hohen Nutzen stiften. Individuen sind gegenüber Punkten, die auf derselben Kurve liegen, indifferent. Weiter außen liegende Indifferenzkurven geben dabei höheren Nutzen an, sind also vorzuziehen. Die Nachfrage im individuellen Nutzenmaximum wird durch die Übereinstimmung der Grenzrate der Substitution (Verhältnis der Grenmutzen) mit dem Verhältnis der Preise bestimmt (2. Gossensches Gesetz). Wählt das Individuum nicht die nutzenmaximale Menge, weil es seinen eigenen Nutzen falsch einschätzt, so sprechen wir von einzelwirtschaftlicher Ineffizienz aufKonsumentenseile ("Konsumentenineffizienz"). Die in Abb. 3.1 dargestellten gesellschaftlichen Indifferenzkurven lassen sich aus individuellen Indifferenzkurven ableiten. 5 Punkt 0 der Abbildung repräsentiert das gesellschaftliche Allokationsoptimum, da er sowohl auf der Transformationskurve, also der Kurve effizienter Produktion, als auch auf der maximal erreichbaren Indifferenzkurve, die Nutzenmaximierung sichert, liegt. An diesem Tangentialpunkt stimmen fiir jedes Individuum volkswirtschaftliche Grenzkosten und die aus den Gütern gezogenen Grenmutzen überein. Transformationskurve und gesellschaftliche Indifferenzkurve weisen dieselbe Steigung auf. Man sagt, die Grenzrate der Transformation ist gleich der Grenzrate der Substitution. Dagegen stellt B einen Punkt dar, in dem zwar effizient produziert, nicht aber volkswirtschaftlich effizient alloziiert wird. Es wird unter den effizient produzierten Gütern nicht das Bündel mit dem höchsten Nutzen gewählt. Wir nennen diese Ursache von Ineffizienz gesamtwirtschaftliche Ineffizienz. Hierunter können wir auch Fälle subsumieren, in denen die zur Allokation herangezogene kollektive Indifferenzkurve nicht die wahren Präferenzen der Gesellschaftsmitglieder widerspiegelt. Alle vier Abweichungen von allokativer Effizienz fließen in der Praxis ineinander und bedingen sich gegenseitig.
4 Vgl. zur Dislrussion unterschiedlicher EffiZienzkonzepte Grilske (1985), insbesondere die ÜbersichtS. 200, und Recktenwald (1983), S. liOf. 5 Vgl. Hampiclce (1991a), S. 56fund Neumann (1982a), S. 178ff.
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3. Kapitel: Allokationstheoretische Herleitung der Grenzen und Spielräume
3.2. Das Pareto-Kriteriwn und seine Variationen Um abzuschätzen, welche Formen der Ineffizienz relevant sind und wodurch diese verursacht werden, müssen wir zunächst klären, wie wir in dieser Arbeit gesellschaftliche lndifferenzkurven, d.h. die dadurch repräsentierten Zustände gleichen gesellschaftlichen Nutzens bzw. gleicher Wohlfahrt, definieren wollen. Während nämlich individuelle Indifferenzkurven durch die jeweiligen individuellen Präferenzen definiert sind und lediglich der Konsistenz individueller Bewertung unterliegen6, ist die Bestimmung eines gesellschaftlichen Gesamtnutzens nicht per se offenkundig. Nur wenn aber eindeutig definiert ist, wann wir eine Situation als gesellschaftlich höherwertig betrachten, können wir Aussagen darüber treffen, welche Faktoren dem Ziel optimaler Allokation zuwiderlaufen, wann also gesamtwirtschaftliebe Ineffizienz auftritt. Zur Beantwortung der Frage, wann optimale Allokation besteht, zieht die ökonomische Theorie zunächst das Pareto-Kriterium heran. Pareto-Optimalität ist dann gegeben, wenn durch keine weitere Veränderung der Allokation eine Nutzensteigerung eines Individuums erreicht werden kann, ohne gleichzeitig ein anderes Individuum schlechterzustellen. In einer Tauschwirtschaft auf Basis der Freiwilligkeit der Teilnahme garantiert dies, daß alle durch Tausch möglichen Verbesserungen auch realisiert werden. Als Kriterium für die positive Analyse ist diese Interpretation deshalb dahin gebend hilfreich, daß es ungenutzte Tauschmöglichkeiten am Markt aufdeckt. Als Kriterium zur Beurteilung der gesellschaftlichen Wohlfahrt ist das Pareto-Kriterium in dieser engen Interpretation allerdings nur bedingt verwendbar. Zwar leuchtet ein, daß eine Pareto-Verbesserung7 die Gesamtwohlfahrt erhöht, allerdings kann von der Existenz eines Pareto-Optimums noch nicht auf eine gesellschaftlich optimale Wohlfahrtssituation geschlossen werden. Das ParetoKriterium ist nämlich nicht in der Lage zu beurteilen, ob eine Veränderung, die die Wohlfahrt eines Individuums verbessert, eines anderen aber verschlechtert, gesellschaftlich erwünscht ist. 8 Gerade Situationen, in denen zumindest ein Individuum verliert, sind aber in der Realität die Regel. Überdies gäbe es nur einen eingeschränkten Spielraum für (wirtschafts)politisches Handeln, da anzunehmen ist, daß nutzenmaximierende Individuen solche Veränderungen, die niemanden schlechterstellen, selbst vornehmen. Als Handlungsrichtlinie impliziert damit das Pareto-Kriterium einen Bias zugunsten des Status Quo.
6 In bezugauf individuelles Verhalten ist das ökonomische Prinzip eine Leerfonnel, wenn es keine klaren Vorgaben zur Messung der Bedürfnisbefriedigung gibt. Vgl. WoU (1987), S. 53. 1 Unter Pareta-Verbesserung wollen wir eine Situation verstehen, bei der mindestens ein Individuum bessergestellt wird, ohne ein anderes schlechterzustellen. 8 Vgl. Neumonn (1982a), S. 178 und Howe (1988), S. 193.
3.2. Das Pareto-Kriterium und seine Variationen
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Wir benötigen also eine praktisch gehaltvollere Interpretation des Begriffs der optimalen Allokation und damit der Effizienz, um auch Zustände, die nach dem Pareto-Prinzip, d.h. auf der Grundlage freiwilligen Tausches, nicht mehr weiter optimiert werden können, zu vergleichen. Die Zielfunktion unserer Analyse stellt, wie im 1. Kapitel angedeutet und bei der Betrachtung der Woblfahrtswirkung der Bevölkerung unterstellt, zunächst auf die Größe des "Woblfahrtskuchens" ab. Als Wohlfahrtskriterium sinnvoll sind Erweiterungen des Pareta-Prinzips durch die Kompensationstheorie, die eine Schlechterstellung eines Individuums zulassen, solange der aggregierte gesellschaftliche Nettonutzen positiv ist, also der Gewinn der einen den Verlust anderer überkompensiert. Ein solches Wohlfahrtskriterium ist das Kaldor-Hicks-Kriterium bzw. seine Verfeinerungen, das Little- und das Scitovsky-Kriterium. 9 Eine Veränderung, die einen positiven Nettonutzen hinterläßt, ist als Wohlfahrtssteigerung zu begrüßen. Jede Pareta-Verbesserung ist gleichsam auch eine Kaldor-HicksVerbesserung. Dagegen ist der umgekehrte Schluß nicht zutreffend. Die Forderung nach tatsächlicher Kompensation, wie sie Stigler und Mishan äußem10, beinhaltet bereits eine Aussage über Gerechtigkeit, die auf der Anerkennung der bisherigen Verteilung beruht. Sie stellt eine Einschränkung dar, da sie Wohlfahrtsgewinne durch Umverteilung nur im Rahmen der Distribution des Nettogewinns, nicht aber durch darüber hinausgehende Verteilungsänderung, zuläßt. Wie das Pareta-Kriterium selbst, könnte ein Kriterium, das tatsächliche Kompensation fordert, zur Beurteilung zahlreicher anderer Optionen nichts beitragen. Die Wahl des Kaldor-Hicks-Kriteriums hat somit den Vorteil, daß das Effizienzkriterium konzeptionell vom Verteilungsaspekt getrennt wird, wir also nicht bereits mit der Wahl des Wohlfahrtskriteriums bestimmte Verteilungen zementieren und damit implizit Position in Sachen Gerechtigkeit beziehen. Es wird dann zunächst allein aus Effizienzgesichtspunkten eine Allokation empfohlen, die höchstmöglichem Nettonutzen entspricht. Dies kann eine Umverteilung mit sich bringen, etwa wenn die Ausgangsverteilung maßgebliche Quelle von Ineffizienz war, ihre Korrektur also Effizienzgewinne bewirkt. Diese Umverteilung wäre aber dann allein durch die objektive Betrachtung der Nettonutzen ermittelt, nicht durch moralische Vorstellungen bestimmt. Falls die sich ergebende Allokation aus moralischen Gründen als ungerecht gilt, etwa weil man einen absoluten Wohlfahrtsverlust eines einzelnen als unzulässig auffaßt bzw. eine bestimmte Endverteilung anstrebt, so wird zumindest deutlich, welche Opportunitätskosten mit einer Änderung der Allokation verbunden sind, d.h. auf welche Wohlfahrtsgewinne eine Gesellschaft verzichten
9 Vgl. Reclamwald (1983), S. 320fund die dort erwähnten Querverweise.
10 Vgl. Winpenny (1991), S. 64 und Recktenwald (1983), S. 299.
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3. Kapitel: Allokationstheoretische Herleitung der Grenzen und Spielräume
muß, um eine bestimmte Verteilung zu erreichen. Die Frage der Kompensation mit dem Kaldor-Hicks-Kriterium zunächst offen zu halten, gibt uns einen größeren Spielraum zur Betrachtung unserer Zielfunktion und wird unserer Vorstellung von der Entwicklung einer Gesellschaft gerecht.
3.3. Marktmängel und die Theorie externer Effekte Warum ergeben sich Abweichungen vom Modell der optimalen Allokation, wenn nach den theoretischen Annahmen Individuen ihren Nutzen maximieren, also die nutzenmaximalen Güter auswählen, und Unternehmen den Unternehmensgewinn zu maximieren suchen? Solange die übermäßig eingesetzten Ressourcen nicht frei verfügbar, sondern knapp sind, verschlechtert sich doch die Wohlfahrtssituation der Individuen bzw. der Gewinn der Unternehmen? Traditioneller Erklärungsansatz der Wohlfahrtsökonomie zum Auftreten von Ineffizienzen ist die Theorie des Marktversagens. Sie betrachtet die Standardannahmen dafür, daß erstens ein Wettbewerbsgleichgewicht paretaeffizient ist und zweitens ein Pareto-Optimum als Wettbewerbsgleichgewicht reali!iiert werden kann. 11 Nur dann führt das auf individueller Nutzenmaximierung basierende Verhalten der Wirtschaftssubjekte zum gesellschaftlich erwünschten Ergebnis, dem Punkt 0 unserer Abbildung. Nur dann wirkt auch die "unsichtbare Hand", von der Adam Smith sprach, zu aller Vorteil: "Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers und Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, daß sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen. Wtr wenden uns nicht an ihre Menschen-, sondern an ihre Eigenliebe, und wir erwähnen nicht die eigenen Bedürfnisse, sondern sprechen von ihrem Vorteil. " 12
Diese Betrachtung ist auch dann von Bedeutung, wenn wir das Pareto-Kriterium als alleiniges Wohlfahrtskriterium ablehnen. Bereits im vorherigen Abschnitt hatten wir darauf hingewiesen, daß eine Wohlfahrtsverbesserung in jedem Fall möglich ist, solange das Pareto-Optimum noch nicht erreicht ist, jede Pareta-Verbesserung also auch eine Verbesserung im Kaldor-Hicks-Sinn mit sich bringt. Werden also die Bedingungen verletzt, die Voraussetzung eines Pareto-Optimums sind, so kann man daraus auch schließen, daß noch keine optimale Allokation im Sinne des Kaldor-Hicks-Kriteriums erreicht ist. Angenommen wird in der ökonomischen Theorie der Tauschwirtschaft, daß - Märkte existieren, - in ihnen vollständiger Wettbewerb (freier Marktzutritt, Polypol) herrscht, 11 Vgl. Stern (1989), S. 615 und Neumann (1982a), Kap. VD und VID. l2 Recktenwald (1988), S. 17.
3.3. Marktmängel und die Theorie externer Effekte
47
- vollständige und kostenlose Information (Mark:ttransparenz) besteht, - keine Externalitäten vorhanden sind, - die Indifferenzkurven zum Ursprung konvex verlaufen13 und die Transformationskurve konkav ist, was die Gültigkeit des Gesetzes vom abnehmenden Grenzertrag bzw. steigender Opportunitätskosten impliziert, - sich die Individuen auch "theoriegemäß" nutzenmaximierend verhalten und - jedes Individuum von den zu tauschenden Gütern einen bestimmten Anfangsbestand besitzt, denn nur dann kann am Markt teilgenommen werden. 14 Aus dem Vergleich dieser Annahmen mit der Realität läßt sich Marktversagen, d.h. die Unfähigkeit, das theoretisch optimale Marktergebnis zu erreichen, erklären. Abweichungen von obigen Annahmen führen dazu, daß nicht nur einzelwirtschaftliche Daten verzerrt sind (was zu Produktions- und Konsumentenineffizienz führt), sondern einzel- und volkswirtschaftliche Grenzkosten15 auseinanderfallen, was zu suboptimaler volkswirtschaftlicher Allokation, also gesellschaftlicher Ineffizienz, führt. Da in beiden Fällen der Preis von gesellschaftlichen Grenzkosten und Grenmutzen abweicht, reflektiert er nicht mehr die Knappheit der Güter und die Präferenzen der Individuen. Was daraus für die Allokation folgt, beschreibt die Theorie externer Effekte für den Fall volkswirtschaftlicher Ineffizienz. Die gewonnenen Erkenntnisse lassen sich auch auf einzelwirtschaftliche Ineffizienz ausdehnen. Externalitäten treten demnach auf "when the activities of one person affects another person. The affects can be either positive or negative, but in either case, the person generating the activity is neither compensated for benefits bestowed upon others, nor held responsible for the harm caused to others. "16 Dabei sind nicht alle Wirkungen auf andere Personen, die auf diese keinen Einfluß haben, externe Effekte in unserem Sinne. Wechselwirkungen sind nämlich Charakteristika jeglichen Handeins am Markt, sind aber so lange unproblematisch, wie sie eine Änderung der relativen Preise implizieren, also im Preismechanismus berücksichtigt sind. Externe Effekte sind damit solche externen Einflüsse auf Nutzen bzw. Kosten einzelner, die sich nicht in Preisänderungen niederschlagen. 17
13 Die Konvexität der Indifferenzkurven folgt aus den Prämissen Konsumwahl und Widerspruchsfreiheit innemalb der Theorie der belrundeten Präferenz. Vgl. Neumann (1982a), S. 113-117. 14 Vgl.
zu den Annahmen der Theorie Sum (1989), S. 61Sfund Neumann (1982a).
1S Die Literatur verwendet die Begriffe einzelwirtschaftliche, private und privatwirtschaftliche
sowie gesamtwirtschaftliche, geaellschaftliche und volkswirtschaftliche Nutzen/Kostenjeweils synonym. Zuweilen wird der Begriff "soziale Kosten" im Sinne volkswirtschaftlicher Kosten benutzt, was u.E. eine Fchlüberaetzung des englischen Ausdrucks "social costs" und wenig treffend ist.
16 Kwong (1990), S. 12. 17 Vgl. Weintann (1990), S. 19.
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3. Kapitel: Allokationstheoretische Herleitung der Grenzen und Spielräume
Bei der Interpretation einzelwirtschaftlicher Ineffizienz im Rahmen der Theorie externer Effekte sind verursachende und betroffene Person identisch: Ein Individuum fügt sich selbst Schaden zu (indem es teure Ressourcen verschwendet oder seinen Nutzen falsch angibt), und dieser Schaden spiegelt sich nicht in den relativen Preisen wider. Diese unkonventionelle Interpretation einzelwirtschaftlicher Ineffizienz mag zwar der herkömmlichen Deutung externer Effekte zuwiderlaufen. Für seine Integration spricht aber, daß sowohl die Ursachen für einzel-und gesamtwirtschaftliche Effizienz als auch ihre Folgen, insbesondere für den hier relevanten Umgang mit der Umwelt, oftmals dieselben sind. Ein Verhalten, das zu einer suboptimalen Güterkombination führt, wird nicht effizienter, nur weil der Geschädigte gleichzeitig der Schädiger ist, denn die volkswirtschaftliche Fehlallokation gleicht sich nicht aus. Die Folgen von Ineffizienz verdeutlicht Abb. 3.2 für den Fall negativer externer Effekte: Grenznutzen Grenzkosten
0
Output
Abb. 3.2: Externe Effekte
Nach der Theorie bildet sich die optimale Nutzung eines Gutes, wenn Grenzkosten und Grenmutzen übereinstimmen. Spiegeln die Marktpreise alle Knappheilen auf Angebots- und Nachfrageseite wider, sind also Angebotspreise mit den gesellschaftlichen Grenzkosten (GK1) und Nachfragepreise mit gesellschaftlichen Grenmutzen (GN1) identisch, so führt der Marktmechanismus über das
3.4. Diskontierung als Fonn externer Effekte
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Spiel der Preise zu einem optimalen Ergebnis, in dem volkswirtschaftliche Grenzkosten und Grenmutzen übereinstimmen (0). Besteht allerdings aufgrund von Externalitäten eine Diskrepanz zwischen privater und volkswirtschaftlicher Bewertung in Form externer Effek~, so klaffen gesellschaftliches und einzelwirtschaftliches Optimum auseinander. Im Fall negativer externer Effekte auf der Angebotsseite spiegeln die Preise nur einzelwirtschaftliche, nicht aber die vollen volkswirtschaftlichen Grenzkosten wider. Bei negativen Externalitäten auf der Nachfrageseite werden in der am Markt geäußerten Kaufbereitschaft die Grenmutzen überschätzt. Da auf Basis privater Grenzkosten und -nutzen getauscht wird, übersteigen im Marktergebnis im ersten Fall die gesellschaftlichen Grenzkosten die privaten {G~}, im zweiten die einzelwirtschaftlichen Grenmutzen (GNP) die gesellschaftlichen. In beiden Fällen übersteigen die gesellschaftlichen Grenzkosten die gesellschaftlichen Grenmutzen, das Ergebnis ist ineffizient. Vom betreffenden Gut wird darüber hinaus mehr angeboten, als es dem volkswirtschaftlichen Optimum entspräche. Am Markt zu hoch angesetzte Grenmutzen und zu niedrig ausgewiesene Grenzkosten, wie sie in Abb. 3.2 dargestellt sind, stellen zwei Seiten derselben Medaille dar: Gesellschaftliche Grenzkosten sind Opportunitätskosten, die sich auch als Minderung von Grenmutzen interpretieren lassen. Graphisch kann sich eine Nichtberücksichtigung von Opportunitätskosten also in einer zu tief liegenden Grenzkostenkurve oder in einer nach oben verschobenen Grenmutzenkurve (versäumte Minderung der Grenmutzen) ausdrücken. Das Ergebnis ist in beiden Fällen eine Verlagerung des Gleichgewichtspunkts nach rechts. Analysiert man derartige Fälle externer Effekte, ist zu beachten, daß ein und derselbe Kostenaspekt nicht doppelt berücksichtigt werden darf. Vernachlässigte Kosten dürfen also nicht als zu niedrig ausgewiesene Grenzkosten und zugleich als zu hoch ausgewiesene Grenmutzen angesetzt werden. 18
Häufig wird die Unterscheidung zwischen Angebots- und Nachfrageseite vernachlässigt und nur von der Diskrepanz zwischen privaten und gesellschaftlichen Grenzkosten gesprochen. Dabei konzentriert sich die Analyse auf von Produzenten vernachlässigte gesellschaftliche Kosten, ohne die Nachfrageseite und die dabei auftretende Unterschätzung von Grenmutzen zu beachten. Dies schränkt sowohl das Untersuchungsgebiet als auch die Lösungsansätze ein.
3.4. Diskontierung als Fonn externer Effekte Betrachtet man das Problem der Erfassung von Nutzen und Kosten nicht statisch, sondern dynamisch, bezieht man also die Zeitkomponente ein, so wird 18 Vgl. Hueting (1991), S. 51 und Duon/Shennan(199l), S. 69 4 Stenge!
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3. Kapitel: Allokationstheoretische Herleitung der Grenzen und Spielräume
eine in der Ökonomie übliche Vorgehensweise relevant. Nutzen und Kosten werden nämlich, um sie vergleichen zu können, auf der Basis des Gegenwartswertes berechnet. Dies erfolgt durch die Abdiskontierung zukünftiger Nutzen und Kosten mit einem positiven Zinssatz, was eine Geringerschätzung in der Zukunft liegender Komponenten impliziert. Die ökonomische Theorie hat die Existenz eines positiven Diskontsatzes folgendermaßen begründet: 19
Erstens: Es existieren Opportunitätskosten in Höhe der Rendite aus alternativer Investition aufgrund positiver Kapitalproduktivität. Vergleicht man den Nutzen, den eine heute zur Verfügung stehende Einheit Kapital (1 DM) erzielt, mit dem einer in Zukunft verfügbaren gleich hohen Einheit, so ist erstere höher zu bewerten, da der heutige Einsatz von 1 DM in produktiver Verwendung aufgrund der Kapitalproduktivität ein höheres künftiges Einkommen (z.B. DM 1,20) erzielt, also eine Rendite erwirtschaftet. Ein erst in Zukunft anfallendes Einkommen muß also mit dem Grenzprodukt des Kapitals abdiskontiert werden, um es mit heutigem Einkommen vergleichbar zu machen. Zweitens: Individuen besitzen eine positive Zeitpräferenz, schätzen also heutiges Einkommen und heutigen Konsum höher ein als in der Zukunft anfallendes gleich hohes Einkommen bzw. Konsum. Dies ist zum einen auf Unsicherheit/Risiko hinsichtlich des Auftretens und der Höhe künftiger Nutzen/ Kosten bzw. bezüglich des Erlebens derselben und möglicher Veränderungen eigener Präferenzen sowie auf die Unterstellung sinkender Grenznutzen des Einkommens aufgrund erwarteter künftiger höherer Einkommen zurückzuführen. Zum anderen wird "Myopie", also Kurzsichtigkeit bzw. Ungeduld, als bedauerliche, aber menschliche Eigenschaft unterstellt, wie Böhm-Bawerk treffend beschreibt: "Wer von uns hat sich noch nie dabei ertappt, daß er sich im Drang der augenblicklichen Lust eine vom Ant verbotene Lieblingsspeise oder Zigarre nicht versagen mochte, obwohl er genau wußte, sich dadurch eine Verschlimmerung seines Zustandes zuzuziehen ... ? Wer sich und Andere unbefangen beobachtet, wird die Tatsache der parteiischen Unterschätzung künftiger Leiden und Freuden mitten in unserer Gesellschaft in tausenderlei Formen ausgeübt ftnden. "20
Für die Betrachtung gesellschaftlicher Wohlfahrt sind nun nicht individuelle Kalküle, sondern gesellschaftliche Perspektiven relevant. In bezug auf das erste Argument bedeutet dies, daß nicht einzelwirtscbaftlicbe, sondern gesellschaftliche Opportunitätskosten ausschlaggebend sind. Beide Größen klaffen dann auseinander, wenn in der dem Markt zugrundeliegenden individuellen Nutzen-
19 Vgl. Pearce/Markandya/Barbier (1989), 6. Kapitel, BojiJ/Miiler/Unemo (1990), S. 6, 16 und Pearce /Tumer(1990), S. 212-217. 20 Zitiert nach Harnpicke (1991b), S. 129.
3.4. Diskontierung als Form externer Effekte
51
und Kostenbewertung Kosten unterschätzt und Nutzen überschätzt werden, wenn also externe Effekte auftreten. Ist dies der Fall, dann ist die vom Markt vermittelte Grenzproduktivität dieser Investition höher, als sie aus gesellschaftlicher Sicht ist, der Zinssatz ist also zu hoch. Ist dieser Marktzins Ausgangspunkt volkswirtschaftlicher Allokation, so resultieren durch das Auseinanderfallen privater und gesellschaftlicher Nutzen und Kosten nicht nur externe Effekte in intragenerationaler Sicht, sondern auch in intertemporaler Hinsicht, da alle künftigen Werte in einem Maße abdiskontiert werden, das suboptimal ist. Ein weiteres in der Literatur genanntes Argument für einen geringeren gesellschaftlichen Diskontsatz ist, daß private Überlegungen die Besteuerung der Erträge mit einbeziehen, während aus Sicht der Gesellschaft steuerfreie Trade-offs relevant sind. 21 Hinsichtlich des zweiten Aspekts folgt, daß wir zur Erreichung des gesellschaftlichen Optimums auch mit der gesellschaftlichen Zeitpräferenzrate rechnen müssen. Verschiedene Argumente werden in der Literatur genannt, die begründen, daß die gesellschaftliche Zeitpräferenzrate niedriger liegt als die eines Individuums. Zur Komponente, die auf Unsicherheit und Risiko beruht, argumentieren Arrow und Lind, daß die Gesellschaft im Gegensatz zum Individuum durch gemeinsame Investition (risk pooling/risk sharing) und Streuung der Anlagen (risk spreading) diese Risiken begrenzen könne, woraus sie eine Risikoneutralität der Gesellschaft bezüglich öffentlicher Investitionen ableiten. 22 Darüber hinaus wurde argumentiert, daß eine Berücksichtigung des Risikos in der Zeitpräferenzrate zu einer Mehrfachdiskontierung führen würde, da in einem Nutzen-Kosten-Vergleich dieses bereits im Faktor "Wahrscheinlichkeit des Auftretens" berücksichtigt ist und wegen der impliziten Zinseszinsformel unterstellt würde, daß das Risiko exponential über die Zeit zunimmt. 23 Auch mit dem Einwand, die Möglichkeit des risk spreading und risk sharing bestehe selbst für die Gesellschaft bei einigen Investitionen nicht, etwa wenn Irreversibilitäten auftreten oder "public bads" betroffen sind, ist keineswegs die Forderung nach Aufrechterhaltung eines Risikoaufschlages, sondern im Gegenteil die Forderung nach Verzicht der Diskontierung solcher Schäden oder gar Höherschätzung derselben verbunden, auch wenn sie unsicher sind. 24 Das Argument der Sicherheit des Auftretens, aber der Unsicherheit über den Zeitpunkt des Todes,
21 Vgl. Farber (1991), S. 236. 22 Vgl.AtTOwiUnd (1970). Nonh (1992) spricht hier von einer "lnstitutionalisierung des Risikos" (S. 150). 23 Vgl. Ottinger u.a. (1991), S. 43 undPearce!Markt.mdya/Barbier(1989), S. 140. 24 Vgl. Smith (1988), S. 20f und BojiJ/MiJler/Unemo (1990), S. 71. Der Einwand gegen die Arrow-Lind-Annahme wurde zuerat von Fisher (1973) erbracht. 4*
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3. Kapitel: Allokationstheoretische Herleitung der Grenzen und Spielräume
gilt nur für Individuen, nichtjedoch für die "unsterbliche" Gesellschaft. Auch hieraus kann also keine Zeitpräferenz abgeleitet werden. Hinsichtlich der durch Ungeduld und Kurzsichtigkeit begründeten Zeitpräferenz wird darauf verwiesen, daß dieses Verhalten irrational sei, da man es ja bereue, in gesellschaftlicher Bewertung also nichts zu suchen habe und überdies die Gesellschaft als Ganzes, u.a. aufgrund von Lemeffekten, weniger anfällig dafür sei. 25 Als Argument einer positiven gesellschaftlichen Zeitpräferenzrate verbleibt also der Aspekt sinkender Grenmutzen aufgrund höherer künftiger Einkommen. Hier ist die Literatur durchaus nicht einer Meinung. Auf der einen Seite argumentiert Ströbele mit Solow26, daß die Realität zeige, daß frühere Generationen einen erheblichen Konsumverzicht geleistet haben, um akkumuliertes Kapital zu vererben, die These höheren Reichtums späterer Generationen also zutreffe. Darüber hinaus würde die mit fehlender Diskontierung meist verbundene Forderung nach gleicher Verteilung auf alle Generationen bei fehlender bzw. unbestimmter Endlichkeit der Menschheit zu keinem mathematisch errechenbaren Ergebnis führen. Selbst ein geringer heutiger Konsum bei gleicher Behandlung aller wäre damit unzulässig, da der Vorrat ja endlich ist. Auf der anderen Seite lehnt Harnpicke jegliche Form unterschiedlicher intergenerationaler Nutzenbewertung kategorisch ab und weist auf die mit der zunehmenden ökologischen Bedrohung sinkenden Zukunftsaussichten späterer Gene~tionen hin. Während Anhänger der ersten Sicht also die Existenz einer positiven gesellschaftlichen Zeitpräferenzrate bejahen, fordert Harnpicke in konsequenter Fortsetzung seiner Argumentation, den "in vielen Abhandlungen zu findende[n] Ausdruck 'gesellschaftliche Zeitpräferenzrate' ... aus dem Bereich wissenschaftlicher Analysen zu tilgen. "27 Auch wenn man die Existenz einer gesellschaftlichen Zeitpräferenz unseres Erachtens nicht leugnen kann, ist diese geringer als die der Individuen. Liegt der Ressourcenallokation in der Praxis das Verhalten von Individuen zugrunde, so können wir die Diskrepanz von gesellschaftlicher und einzelwirtschaftlicher Zeitpräferenzrate als Form externer Effekte, also des Abweichens einzelwirtschaftlicher von volkswirtschaftlicher Bewertung, begreifen. Ein solches potentielles Auseinanderklaffen hatten wir auch bei der Bewertung unterschiedlicher Investitionen identifiziert. Als zusätzliche Quelle der Verzerrung kommt hinzu,
25 Vgl. Farber (1991), S. 236, StrlJbele (1991), S. 151 und BojiJ/MilleriUMmo (1990), S. 66. Gegen die Ablehnung der Ungeduld als Grund fiir Diskontierung wenden aber Pearce !Turner (1990), S. 217f ein, daß man dann die Achtung individueller Präferenzen in Frage stellt, da lediglich die aufgrundder (von wem?) als richtig erachteten Verhaltensweisen zustandekommenden Präferenzen anerkannt werden. 26 Vgl. StrlJbele (1991), S. 153. Ebenso Summers (1992), S. 77. 27 Hampiclce (1991b), S. 140.
3.5. Relevanz der Theorie externer Effekte
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daß aufgrundunvollkommener Finanzmärkte und anderer Einflüsse, etwa durch Besteuerung, die in der allgemeinen Gleichgewichtstheorie als übereinstimmend angenommenen Größen Zeitpräferenzrate und marginale Kapitalproduktivität auseinanderfallen sowie der Zinssatz im Zeitablauf variiert, also unklar ist, mit welcher Rate abgezinst werden soll. 28
3.5. Relevanz der Theorie externer Effekte für die Identifizierung von Scheinkonflikten zwischen Umwelt und Wohlfahrt Mit der theoretischen Darstellung der Abweichungen von optimaler Allokation lassen sich nun durch entsprechende Interpretation der Abb. 3.2 auch die angesprochenen Scheinkonflikte identifizieren, also die Fälle, in denen Wohlfahrts- und Umweltinteressen gleichgerichtet sind, im Falle von Ineffizienz also in doppelter Hinsicht negative Wirkungen erfolgen. Betrachten wir zunächst ein Gut, das in der Herstellung oder Verwendung Umweltkapital verbraucht und dessen Angebot und Nachfrage auf der Abszisse abgetragen wird. Insofern die Nutzung knapper Ressourcen etwa als Materialkosten oder Arbeitskraft in die Grenzkosten des Herstellers eingeht, ist sie auch im Preis berücksichtigt. Der Hersteller wird sich bemühen, solche EiDsatzfaktoren so sparsam wie möglich zu verwenden, um höchste Rentabilität zu erzielen. Wenn allerdings die Nutzung dieser Ressourcen nicht in Höhe ihrer tatsächlichen Grenzkosten einbezogen ist, weit·etwa die verwendeten Rohstoffpreise nur Erschließungs-, nicht aber andere Umweltkosten (Minderung des Bestands, Verlust der Landschaft durch Tagebau etc.) berücksichtigen, der Wassertarif die angefallene Versehrnutzung nicht kompensiert oder gar Umweltkapital völlig unentgeltlich genutzt wird, obwohl es Verwendungskonkurrenz unterliegt (etwa die Nutzung der Luft durch Abgase bei Produktion und Verbrauch), so liegen die privaten Grenzkosten unterhalb der gesellschaftlichen Grenzkostenkurve. Zum markträumenden Preis werden mehr Güter angeboten als bei optimaler Allokation der Fall gewesen wäre, da der Produktpreis um die externen Effekte zu gering ist. Dieses "Zuviel" an einer umweltverschmutzenden Produktion verursacht also nicht nur volkswirtschaftliche Ineffizienz in Form nicht maximierter Wohlfahrt, sondern auch unmittelbar eine unnötig hohe Umweltbelastung. Solange er nicht gezwungen wird, diese externen Kosten in seine Preisbildung einzubeziehen, gibt es für den Hersteller auch keinen Anreiz, die Übernutzung von Umweltkapital auf das technisch bzw. betrieblich nötige Maß zu beschränken, und es treten zusätzlich Produktionsineffizienzen
28 Vgl. World Bank (199lb}, S. 149, OECD (1989}, S. 60 und BojlJ/MiJler/Unemo (1990), S. 17f.
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3. Kapitel: Allokationstheoretische Herleitung der Grenzen und Spielräume
auf, die die Umweltbelastung, die nicht der Käufer des Produkts, sondern die Allgemeinheit trägt, weiter. erhöhen. Alternativ kann die Vernachlässigung der obigen Wohlfahrtseffekte auch als Überschätzung der Gren.mutzen betrachtet werden. Dies ist der Fall, wenn die potentiellen Käufer die sich durch den Kauf ergebende Verschlechterung der Umwelt (unbewußt?) nicht vollständig in ihr Nutzenkalkül einbeziehen ("Konsumentenineffizienz") bzw. die Summe der geäußerten Gren.mutzen nicht den gesellschaftlichen Gesamtnutzen widerspiegelt. Dadurch kommt eine zu hohe Nachfrage und folglich ein zu großer Bestand an ressourcenverbrauchenden Gütern zustande. Umgekehrt, aber analog, verhält es sich, ist das betrachtete Gut eine Form des Umweltkapitals selbst. Als Beispiel sei das Gut bzw. die Dienstleistung "Erhaltung eines Waldes" gewählt. Sind die privaten Grenzkosten der Erhaltung des Waldes höher als die gesellschaftlichen Grenzkosten (etwa weil der private Waldbesitzer Opportunitätskosten in Höhe entgangener Gewinne aus Holzeinschlag hat) bzw. ist der Gren.mutzen desselben niedriger als der der Gesellschaft, weil etwa positive externe Effekte durch den Nutzen des Waldes wie Erholung, medizinische Pflanzen oder Artenvielfalt bzw. klimatische Funktionen auftreten, für die der private Waldbesitzer nicht kompensiert wird, so wird von dem entsprechenden Gut "Waldbestand" weniger angeboten als dem Wohlfahrtsoptimum entspräche, da der Waldbesitzer keinen Anreiz hat, die externen Effekte einzubeziehen. Entsprechend tritt eine Übernutzung der Umwelt durch die implizite und explizite Diskontierung auf, wenn der Allokation nicht der gesellschaftliche, sondern der individuelle Diskontsatz zugrunde liegt und die Nutzen der Umwelterhaltung in der Zukunft, die (Opportunitäts)Kosten ihrer Bewahrung aber in der Gegenwart liegen. Erstere werden dann unter-, letztere überbewertet. Ebenso werden Investitionen, die heute hohe Erträge abwerfen, aber mit Risiken für künftige Generationen behaftet sind, eher als rentabel bewertet als bei korrektem Diskontsatz. Dieser Zusammenhang steht im Zentrum der Ressourcenökonomie, die auf die schnellere Ausbeutung vor allem nicht erneuerbarer Ressourcen bei hohen Diskontsätzen verweist, da die Erträge heutigen Abbaus mit hohen Renditen angelegt werden können. Demzufolge werden aber auch regenerierbare Ressourcen erschöpft, wenn ihre Regenerationsrate geringer ist als der verwendete Diskontierungsfaktor. 29 Ist der Nutzen von Umweltkapital nicht adäquat erfaßt, so resultiert daraus unabhängig von der betrachteten Situation eine Verringerung des Bestandes an Umweltkapital, der nicht der ökonomischen Effizienz entspricht. Daraus ergibt 29 Vgl. Klaassen/Opschoor(l991), Hampicke (199lb), S . 137f und Penn (1990), S. 228.
3.5. Relevanz der Theorie externer Effekte
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sich unmittelbar die Folge derartiger Ineffizienzen fiir die Wohlfahrts- und Umweltwirkung von Umweltintensität bzw. Sozialprodukt:
Produktionswirtschaftliche Ineffizienz impliziert, daß die Umweltnutzung pro Outputeinheit unnötig hoch ist. Dasselbe Güterbündel wäre nämlich mit weniger Input herzustellen gewesen. Wann immer in einer Produktion mehr Wasser, Energie oder Material verwendet bzw. die Aufnahmekapazität der Umwelt fiir Abfälle, Abgase und Abwasser stärker in Anspruch genommen wird, als nötig ist (aufgrund externer Effekte oder aufgrund der Nichtberücksichtigung tatsächlicher betrieblicher Kosten), um das gleiche Marktergebnis zu erzielen, tritt dabei nicht nur Umweltbelastung auf. Sie ist auch mit dem ökonomischen Prinzip nicht vereinbar, da das optimale Betriebsergebnis verfehlt wird. Produktionsineffizienzäußert sich auch dergestalt, daß Unternehmen die Nachfrage der Verbraucher nach umweltfreundlichen Produkten oder Produktionsprozessen bzw. den Nutzen aus der Konfliktvermeidung und Voraussicht künftiger gesetzlicher Regelungen und der besseren Kenntnis eigener Betriebsabläufe durch Einbeziehung von Umwelteffekten unterschätzen. In der Praxis werden solche Fälle von Ineffizienz erst offenkundig, wenn man sie erfolgreich beseitigt hat, was in vielen Fällen erhebliche Profite durch sinkende Kosten fiir Rohstoffe, Energie und Abfallbeseitigung, niedrigere Erhaltungskosten, geringere Risiken und damit Haftungs- und Versicherungställe und erhöhte Produktivität mit sich bringt. 30 So berichtet die Leitung eines Unternehmens der Elektronikindustrie, daß der Ersatz bestimmter umweltgefährdender Chemikalien nicht nur die Umweltbelastung reduzierte, sondern auch Materialkostenersparnisse in Höhe von US$ 800.000 ermöglichte. 31 Eine malaysische Ölpalmenplantage steigerte ihren Ernteertrag um bis zu 23% und erzielte zusätzliche Kosteneinsparungen aufgrund reduzierten Einsatzes von Kunstdünger durch die Verwendung eines bisher umweltschädlichen Abfallprodukts. Die Kosten der Umstellung amortisierten sich nach zwei Jahren. 32 Aufgrund dieser Daten ist zu vermuten, daß der Umfang versteckter umweltrelevanter Produktionsineffizienz und damit der Spielraum zu seiner Bekämpfung erheblich ist. Vorhandene Produktionsineffizienz ermöglicht gleichgerichtete Änderungen von Sozialprodukt bzw. Umweltintensität Eine Steigerung des realen Sozialprodukts läßt sich ohne Inanspruchnahme von zusätzlichem Umweltkapital durch verbesserte Nutzung bestehender Produktionsfaktoren realisieren. Der
30vgl. .Allen (1992), S. 50fund Huisingh (1988), S. 268. 31 Vgl. o.V. (l992a), S. l. 32 Vgl. .Allen (1992), S. 225. Weitere Beispiele für ertragssteigemde Umweltinvestitionen mit
kurzen Pay-back:-Zeiten vgl. Huisingh (1988).
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3. Kapitel: Allokationstheoretische Herleitung der Grenzen und Spielräume
ceteris paribus unterstellte negative Zusammenhang zwischen Sozialprodukt und Umweltbelastung löst sich auf. Entsprechend sinkt in diesem Fall die Umweltintensität, wobei dies sowohl positiv auf die Umweltrestriktion als auch auf die Wohlfahrtsfunktion wirkt, da ökonomische Ineffizienzen korrigiert werden. Bei umweltrelevanter Konsumentenineffizienz unterschätzen Individuen den eigenen Nutzen aus intakter Umwelt in ihrer Präferenzäußerung am Markt. Die Umweltbelastung pro nachgefragter Sozialproduktseinheit ist deshalb höher als bei adäquater Nutzenschätzung. Auch hier würde eine Verringerung der Umweltintensität klar positive Wirkung induzieren, und zwar sowohl in bezug auf die Umweltgleichung als auch auf die Wohlfahrt.
Gesamtwirtschaftliche Ineffizienz führt über die Förderung einzelwirtschaftlicher Ineffizienz zu steigender Umweltnutzung pro Output- bzw. Konsumeinheit Zusätzlich bewirkt die suboptimale Allokation aufgrund der unterschiedlichen Zusammensetzung des Güterbündels eine im Vergleich zum Optimum höhere Umweltnutzung pro Nutzeneinheit Dies kann sich zum einen als zu hohes Sozialprodukt äußern, wenn ein höherer Anteil ökonomischer im Vergleich zu außerökonomischen Wohlfahrtselementen gewählt wird, zum anderen aber auch in einer höheren Umweltnutzung im Durchschnitt einer Sozialproduktseinheit, also einer höheren Umweltintensität. Letztere ist dann gegeben, wenn ein höherer Anteil relativ umweltschädlicher Güter gewählt wird. Im ersten Fall ist zwar das Sozialprodukt selbst höher, die über der optimalen Höhe liegende Menge an Gütern und Dienstleistungen erzielt aber keinen positiven Beitrag zur Wohlfahrt mehr. Da der Sinn ökonomischen Handeins in einer Verbesserung der Wohlfahrt besteht, ist eine Sozialproduktssteigerung um ihrer selbst Willen nicht positiv. Eine Rückführung ist (wohlfahrts)ökonomisch wie ökologisch sinnvoll. Ein Dilemma zwischen ökonomischem und ökologischem Interesse tritt hier nicht auf. Auch im zweiten Fall besteht kein echter Konflikt, da eine Umschichtung zugunsten anderer Güter eine geringere Umweltintensität impliziert, die nicht nur die Umweltbelastung senkt, sondern auch wohlfahrtserhöhend wirkt. Diese Umschichtung zugunsten umweltfreundlicher Güter kann sogar ein höheres Sozialprodukt bedeuten, wenn die höhere Wertschätzung für umweltfreundliche Güter deren geringeren Materialanteil ausgleicht. Ist dies nicht der Fall, führt eine Umschichtung zugunsten die Umwelt weniger belastender Produkte und Prozesse zwar zu einem Verlust an Sozialprodukt, nicht aber zu einer Wohlfahrtseinbuße. Die zusätzliche Sozialproduktseinheit hätte also keinen positiven Nutzen hinsichtlich unserer Zielfunktion erbracht und wäre deshalb - solange man Sozialprodukt nicht als Selbstzweck sieht - unerwünscht. Auch hier besteht kein Dilemma zwischen dem Ziel der Wohlfahrtsmaximierung und der Beachtung der Umweltrestriktion.
3.6. Gründe für die besondere Betroffenheit der Umwelt durch IneffiZienz
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3.6. Gründe für die besondere Betroffenheit der Umwelt
durch Ineffizienz Wodurch treten nun in der Praxis derartige Diskrepanzen zwischen volkswirtschaftlichen und einzelwirtschaftlichen (bzw. im Fall einzelwirtschaftlicher Ineffizienz zwischen realen und angenommenen) Nutzen und Kosten auf, die zu Externalitäten und damit zur Abweichung vom marktwirtschaftliehen Optimum fiih.ren? Sind die Nutzen, die der Mensch aus Umweltkapital zieht, besonders anfällig für Vernachlässigung? Benachteiligen Ineffizienzen also in überdurchschnittlichem Maße diejenigen Güter und Dienstleistungen, die mit Erhalt statt Aufzehrung des Umweltkapitals verbunden sind, oder gleichen sich die Allokationswirkungen verschiedener Ineffizienzen in ihrer Wirkung auf die Umwelt aus? Und liegen die Nutzen der Umwelt in überproportionalem Maße in der Zukunft, während die Kosten der Umwelterhaltung beute anfallen? Wäre dies nicht der Fall, so würden ja solchen Situationen, in denen der Nutzen der Umweltaufgrund der zu starken Diskontierung unterschätzt wird, andere gegenüberstehen, in denen die Nutzen heute anfallen, die Kosten aber vor allem langfristig auftreten. Wir müssen uns also fragen, ob und warum gerade Umweltexternalitäten häufiger als andere Formen der Fehlallokation zutage treten. Allein aus der Anführung von Einzelbeispielen, in denen externe Effekte zur Übernutzung der Umwelt führen (statt zur Übernutzung anderer Ressourcen), folgt nämlich noch nicht, daß dies auch in der Gesamtbetrachtung der Fall ist. 3.6.1. Charakter der natürlichen Umwelt und externe Effekte Die "Anfälligkeit" von Umweltkapital für externe Effekte ergibt sich bereits aus seiner Multifunktionalität, seiner Komplexität und seiner mangelnden Abgrenzbarkeit. Elemente des Ökosystems wie Pflanzen, Wasser, Boden oder Luft sind gleichzeitig Teile verschiedener biologischer und geologischer Kreisläufe und Beziehungen. Ein bestimmtes Medium übt also typischerweise verschiedene ökologische Funktionen aus und kann überdies vom Menschen in unterschiedlicher Weise genutzt werden. In der Regel konkurriert dabei die Nutzung, teils im Sinne völliger Ausschließlichkeit, teils mit gradueller Beeinträchtigung der gegenseitigen Nutzungsintensität, wie Veränderung der Qualität, Quantität, Ort oder Zeitpunkt der Verfügbarkeil für andere Nutzungen. Je nach Funktion oder Nutzungsart sind dabei unterschiedliche räumliche Einheiten relevant: Sie reichen von kleinräumlichen Beziehungen bei Symbiosen oder Parasiten, über lokale (Wasserkreislauf), regionale (Ökosysteme) bis hin zu globalen Zusammenhängen. Funktions- und Raumaspekte gehen dabei ineinander über: Wasser fließt weiter- stets mit multiplen Funktionen -, verdunstet, kehrt als Niederschlag zurück; Stoffe in der Luft vermischen sich und treiben
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3. Kapitel: Allokationstheoretische Herleitung der Grenzen und Spielräume
weiter, reagieren miteinander und werden abgebaut; Erde verwebt, wird abgetragen, baut sich aufund ab. Da •atJes mit allem• zusammenhängt (mangelnde Abgrenzbarkeit), die Zusammenhänge aufgrund natürlicher Vorgänge nicht statisch und darüber hinaus von hober Komplexität sind, kommen unbeabsichtigte Nebenwirkungen praktisch immer zustande, wenn eine bestimmte Nutzung auftritt. Wechsel-, Neben- und Folgewirkungen sind geradezu konstituierendes Merkmal ökologischer Zusammenhänge. Warum werden diese unbeabsichtigten Nebenwirkungen nicht erkannt und in die Entscheidung über die Nutzung von Ressourcen einbezogen, wenn sie ökonomisch relevant sindl sondern treten als externe Effekte zutage? 3.6.2. Informationsdefazite Ein erster wichtiger Aspekt von Marktversagen in Zusammenhang mit Umweltnutzung ist Informationsmangel bzw. die Tatsache, daß die Beschaffung von Information entgegen den Standardannahmen des Referenzmodells Kosten verursacht. Auf der Produzentenseite ist dies die Unkenntnis über technische oder organisatorische Alternativen, die umweltschonender und zugleich kostengünstiger wären. Unternehmen mögen sich alternativer Verwendungsmöglichkeiten ihres Abfalls, sparsamerer Anlagen oder umweltfreundlicherer billigerer Stoffe nicht bewußt sein, etwa wenn sie voll ausgelastet oder zu klein sind, um entsprechende Forschung selbst zu betreiben bzw. Erkundigungen einzuziehen. Da die möglichen Einsparungen der Informationsbeschaffung unsicher sind und der Aufwand zur Informationsbeschaffung mit abnehmender Unternehmensgröße relativ zunimmt, wird häufig davon abgesehen. Oftmals besteht der Informationsmangel aber nicht so sehr aufgrund aufwendig zu beschaffender Information, sondern schlichtweg wegen Gewohnheit und Desinteresse. Dies ist etwa dann der Fall, wenn Energie durch ständig brennende Lampen und Geräte oder zu niedrig eingestellte Klimaanlagen im Dauerbetrieb oder Papier durch nur einseitige Verwendung verschwendet wird, ohne daß dies höheren Nutzen bringt. Informationsdefizite bestehen aber auch auf seilen der Nachfrage: Der Nutzen eines Gutes bzw. einer Dienstleistung wird nicht nur nach dem unmittelbaren Gebrauchsnutzen (Fahrgelegenheit beim Auto, Nahrungsaufnahme bei Lebensmitteln) bemessen. Entscheidend sind auch schwerer faßbare Faktoren wie Statusbewußtsein bzw. Neid der anderen (Wahl als teuer bekannter Marken), Loyalität (•buy-American•-Kampagne), schlechtes Gewissen (bei Protzprodukten) und ethische Aspekte (Kauf tierversuchsfreier Produkte, NicaraguaKaffee). Käufer beziehen Nebenwirkungen des Produkts auf sich und andere unter anderem aus sozialen Erwägungen durchaus in ihre Kaufentscheidung ein, wenn sie sich derer bewußt sind. Fehlt ihnen diese Information, fragen sie
3.6. Gründe fiir die besondere Betroffenheit der Umwelt durch Ineffizienz
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unbewußt eine Gütermenge nach, die sie nicht gewählt hätten, wären ihnen alle Umstände bekannt gewesen (Konsumentenineffizienz). Wie stark das plötzliche Auftreten zusätzlicher Information zu Nebenwirkungen die Nachfrager beeinflußt, zeigen die Beispiele des Salmonellen-Eier-Skandals, der Einbruch der Kalbfleischumsätze nach Bekanntwerden hormoneller Behandlungen von Kälbern und der Boykott tropischer Hölzer und bestimmter Felle. Je weniger Informationen dagegen der Käufer hat, desto stärker schlägt in seiner Kaufentscheidung der unmittelbare Gebrauchswert (Geschmack des Kalbfleischs, Optik des Tropenholzes) und der Preis durch. Informationsdefizite über Umweltwirkungen sind dabei besonders häufig, da der Konsument oftmals keinen direkten Zugang zu den entsprechenden Informationen hat, während er Geschmack und Handhabung eines Produkts selbst beurteilen kann. Er ist in den meisten Fällen auf Medienreporte angewiesen, die wiederum auf wissenschaftlichen Untersuchungen basieren. Darüber hinaus finden Studien zu bestimmten Kausalzusammenhängen meist nur auf Initiative einschlägiger Interessengruppen wie Tierschützern oder bei bereits aufgetretenen Schäden zielgerichtet statt. Oftmals ist die Entdeckung einer Korrelation reines Zufallsresultat akademischer Forschung (wie etwa beim Ozonloch), die Kausalität aufgrund der Komplexität ökologischer Systeme schwer nachzuweisen oder aufgrund noch unerforschter Zusammenhänge und gar mangelnder Meßbarkeit nicht aufzuspüren bzw. erst dann offenkundig, wenn akute Schäden bereits eingetreten sind. Hieraus ergibt sich ein erheblicher time-lag zwischen dem Auftreten der den Nutzen reduzierenden Ursache-Wirkungs-Beziehung und der Anpassung der Nachfrage an diese Nutzenminderung. Der geäußerte Grenmutzen ist hier in der Zwischenzeit höher als der eigentliche, fiihrt also zu höherer Nachfrage nach den Produkten mit negativen Umweltwirkungen. Ein indirekter, aber ebenso wichtiger Effekt ergibt sich aus der geringeren Präferenzäußerung für Umweltgüter bzw. umweltfreundlich erzeugte Produkte. Ein rational handelnder Unternehmer bezieht die Signale der Nachfrager in seine Produktionsentscheidung mit ein. Wir haben bei der Darstellung der Produktionsineffizienz bereits darauf hingewiesen, daß das Nichteinbeziehen der gesellschaftlichen Nachfrage nach Umwelt (bzw. absehbarer gesellschaftlicher Präferenzänderungen, die evtl. gesetzliche Regulierung mit sich bringen) betrieblich suboptimal ist. Diese Ineffizienz läßt sich am ehesten vermeiden, wenn das Marktsignal in Form von Konsumentenboykott, Presseberichten oder Appellen deutlich und stark ist. Je weniger Konsumenten aufgrund von Informationsmangel oder anderen noch zu behandelnden Faktoren ihre wahren Präferenzen äußern, desto eher tritt zusätzlich die genannte Produktionsineffizienz auf, was die Umweltbelastung erhöht. Wir haben es also hier mit Ineffizienz aufgrund gestörter Informationskanäle zu tun.
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3. Kapitel: Allokationstheoretische Herleitung der Grenzen und Spielräume
Zusätzliche Abweichungen von den theoretischen Standardannahmen treten auf, wenn die Information zwischen den Marktteilnehmern asymmetrisch verteilt ist ifehlende Markttransparenz). Auch hierfür sind umweltsensible Bereiche besonders anfällig. Je umweltintensiver und potentiell umweltgefährdender das Produkt, desto eher werden Unternehmen bzw. Nutzer versuchen, entsprechende Informationen gegenüber der Öffentlichkeit zu verheimlichen. 33 Dies ist ihnen aufgrund der hohen Komplexität umweltrelevanter Zusammenhänge verhältnismäßig leicht möglich. In der Regel wissen die Erfinder/Hersteller über ihr Produkt und dessen Wirkung besser Bescheid als Außenstehende, und die externe Beschaffung dieser Information ist aus geheimhaltungs-oder patentrechtlichen Gründen oder aufgrund des enormen Forschungsaufwands schwierig. Die Kennzeichnung von Produkten nach ihrer Umweltverträglichkeit erfolgt entweder auf gesetzlichen Druck (Inhaltsdeklaration bei Lebensmittel) oder als Werbeargument, wenn das eigene Produkt umweltfreundlicher scheint, ist dann aber oft selektiv und irreführend und von den Verbrauchern schwer zu durchschauen. Als Folge unterschätzen Verbraucher die mit einem Produkt verbundenen Schäden bzw. überschätzen die Nutzen (Konsumentenineffizienz). Dadurch können sie wiederum nicht die richtigen Signale vermitteln, die die Unternehmen brauchen, um effizient anbieten zu können. Abgesehen von diesen Informationsmängeln, die zu einzelwirtschaftlicher Ineffizienz führen, wird der Nutzen des Umweltschutzes generell aus folgenden Gründen systematisch unterschätzt: - Das ökologische Gesamtsystem und seine Bausteine sind bislang nur unvollständig erfaßt. Viele Arten sind nicht einmal entdeckt. Wir wissen oftmals nicht, welchen Nutzen bestimmte Ressourcen wie Pflanzen oder Bakterien stiften und welche Funktionen mit bestimmten Umweltmedien verbunden sind. Diese wissenschaftliche Unkenntnis vermindert sich in der Regel erst dann, wenn eine kritische Schwelle überschritten wird und negative Folgen akut werden. Erst dann werden Umweltgüter und Umweltfunktionen als knappe Ressourcen erkannt. Erst dann setzt aber auch gezielte Forschung ein. Lange Zeit galt der Einsatz von Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKW) als umweltverträglich, da die Stoffe "farb-und geruchlos, nicht ätzend, nicht entflammbar, völlig ungiftig und zudem inert [sind], das heißt, sie reagieren nicht mit anderen Stoffen "34 • Erst später erkannte man die Zusammenhänge zwischen diesen Stoffen und der die Erde schützenden Ozonschicht.
33 Derartige Vertuschung ist etwa aus der Chemieindustrie bekannt. Vgl. o.V. (1993c). In einigen Fällen (Seveso, Hoechst-Unfall im Februar 1993) erfolgte sogar noch eine Geheimhaltungspolitik, als akute Schäden auftraten, das Wissen um technische Zusammenhänge also ein besseres Reagieren der Öffentlichkeit ermöglicht hätte. Vgl. o.V. (1993b), S. 19f.
34o.v. (1992b), s. 201.
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- Ein time-lag besteht nicht nur zwischen dem Auftreten der eigentlichen Ursache-Wirkungs-Kette und seiner Entdeckung, sondern auch zwischen letzterer und seiner politischen bzw. gesellschaftlichen Anerkennung. So wiesen die Wissenschaftler Rowland und Molina bereits 1974 auf die Stabilität der Fluorchlorkohlenwasserstoffe und die Gefahr für die Ozonschicht hin, doch erst 1978 reagierte die USA mit einem Verbot von FCKW in Sprühdosen, nicht aber mit umfassenden Verboten. Der Rest der Welt beschloß erst nach der Sichtung des Ozonlochs selbst (1985) tätig zu werden, und 1987 wurde das Montreal-Protokoll entworfen und schrittweise verschärft. 35 Liegen Informationen über die Wirkung bestimmter Güter bzw. Produktionsweisen zum Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht vor oder werden sie nicht ernstgenommen, so folgen daraus zwangsläufig externe Effekte, da die den Schaden verursachende Wirkung bereits eingetreten (wenn auch nicht immer offenkundig) ist, die Kosten allerdings nicht in die ökonomischen Überlegungen einfließen. - Ein nicht unerheblicher Teil des Nutzens aus Umweltgütern (bzw. der Opportunitätskosten ihrer Zerstörung) ist nicht oder nur schwer zu quantifizieren. Dies betrifft die Bewertung von Gesundheitsschäden bis hin zum menschlichen Leben, aber auch die Kosten von durch Umweltbelastungen verursachten Kriegen, Umsiedlungen oder zunehmendem Leid. Allenfalls können hier die direkten ökonomischen Effekte durch Einkommensverluste oder Materialschäden angesetzt werden. Eine Unterschätzung des direkten Nutzens von Umwelterhaltung bzw. eine Unterschätzung der mit Umweltbelastung verbundenen direkten Kosten ist wahrscheinlich. Darüber hinaus treten Nutzen bzw. Kosten nicht nur in Form unmittelbaren Gebrauchswerts (user value/cost}, sondern im damit verbundenen bzw. entgangenen Optionswert (option value) oder Existenzwert (existence value) auf. Menschen schätzen das Überleben einer Art, auch wenn sie sie nie zu Gesicht bekommen und keinen konkreten Nutzen daraus ziehen, etwa um für ihre Nachkommen eine bestimmte Umgebung zu erhalten (bequest value}, sich die Nutzung für später offen zu halten oder weil ihnen an der puren Existenz etwas liegt. Derartiger Nutzen ist nur schwer zu quantifizieren bzw. in monetären Größen auszudrücken. In der Berechnung von Nutzen und Kosten werden derartige intangible und schwer faßbare Werte ebenso leicht vernachlässigt oder unterschätzt wie Nutzen, der breit gestreut anfällt. 36 In Form der Unterschätzung treten Externalitäten auf. Dies führt uns
3S Vgl. Lemonick (1992).
36 Vgl. Krulilla (1961) und fiir das konkrete Beispiel von Naturschutzgebieten Dixon I Shennan (1991), s. 73.
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3. Kapitel: Allokationstheoretische Herleitung der Grenzen und Spielräume
zur nächsten Form von Marktversagen und zeigt, daß die genannten Gründe für Marktmängel eng miteinander verbunden sind. 3.6.3. Fehleode und unvollkommene Märkte
Einzelwirtschaftliche Entscheidungen beziehen nur diejenigen Nutzen und Kosten ein, die sich im finanziellen Sinn als Ertrag und Aufwand niederschlagen. Ein Unternehmer berücksichtigt Ressourcen nur dann in seinem ökonomischen Kalkül, wenn sie für ihn einen Preis haben. Ansonsten verwendet er sie als freies Gut und damit im Übermaß. Er hat keinen Anreiz, überkommenes Verhalten (Gewohnheit oder Bequemlichkeit) zu ändern, nur um derartige für ihn kostenlose Ressourcen einzusparen. Die Tatsache, daß viele Umweltfaktoren keinen oder einen nicht ihrer realen Knappheit entsprechenden Preis haben, weist dabei auf fehlende oder unvollkommene Mdrkle hin, die eng mit der mangelnden Definition von Eigentumsrechten verbunden sind. Klassisches Beispiel sind öffentliche Güter. Ein echtes öffentliches Gut kann von vielen Individuen gleichzeitig genutzt werden, ohne daß diese sich dabei in ihrem Nutzen gegenseitig beeinträchtigen. Nichtrivalität im Konsum und Nichtausschluß sind dabei die beiden konstituierenden Kriterien. Zahlreiche Umweltgüter, vor allem wenn ihr Nutzen in der Bereitstellung ökologischer Funktionen besteht, erfüllen die Kriterien für öffentliche Güter, z.B. saubere Luft oder eine intakte Ozonschicht. Niemand kann von der Nutzung dieser Schutzfunktion ausgeschlossen werden, und es besteht keine Minderung des Nutzens durch die Anzahl der Nutzer. Gemäß der zugrundegelegten Theorie richtet sich im Optimum der Preis eines Gutes nach seinen Grenzkosten. Bei Nichtrivalität im Konsum betragen letztere jedoch Null, so daß - folgte man dem Marktprinzip, das wir hier als Referenzmodell verwendet haben - kein Preis erhoben werden dürfte. Zusätzlich verhindert das Nichtausschlußprinzip, daß Nutzer gezwungen werden können, ihre Präferenzen durch die Zahlung eines Preises zu offenbaren. Individuen haben einen Anreiz, das Gut zu nutzen, ohne dafür zu bezahlen. Dieses Phänomen ist als Freifahrerverhalten bekannt. Der Markt bietet demzufolge das betreffende Gut nicht an, da ein privater Unternehmer die Kosten der Bereitstellung nicht durch entsprechende Einnahmen decken kann. Auch wenn das Gut einen gesellschaftlichen Nutzen stiftet, der höher ist als die gesellschaftlichen Kosten, wird es nicht angeboten, da die privaten (Opportunitäts-)Kosten nicht durch privaten Nutzen des potentiellen Anbieters gedeckt sind; die Gesamtallokation ist damit ineffizient. Dieses fehlende Marktangebot ist so lange unproblematisch, wie das Gut frei vorhanden ist, also automatisch angeboten wird. Dies war bei der Ozonschicht und dem durch siegestifteten öffentlichen Gut "Strahlenschutz" über Jahrtausende der Fall. Die Ozonschicht war da und wurde durch die Inanspruchnahme
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der Schutzfunktion auch nicht aufgezehrt. Erst mit Auftreten konkurrierender Nutzungen desselben Mediums änderte sich die Situation: Dasselbe Medium Ozonschicht wurde nun auch als Aufnahmemedium für Chlorverbindungen nachgefragt, eine Nutzung, die die Ressource gleichsam stetig verminderte. Da aus der Nutzung der Ozonschicht als öffentliches Gut "Strahlenschutz" kein Preis zu erzielen war, man seine Eigenschaft als Produktionsfaktor also nicht erkannte37, dagegen aus ihrer alternativen industriellen Nutzung erhebliche Erträge flossen, dominierte bei der Wahl zwischen konkurrierenden Nutzungen letztere. Der entgangene Nutzen aus der Funktion des öffentlichen Gutes wurde nicht in die Entscheidung einbezogen, sondern als externer Effekt der Gesamtheit aufgebürdet. Die Funktion "Strahlenschutz", die das Medium Ozonschicht leistet, ist dadurch zum knappen Gut geworden. Hier versagte die Lenkungsfunktion des Marktes. Nicht jedes Umweltgut, das keinen Preis besitzt, ist also auch ein echtes öffentliches Gut, auch wenn es in der Praxis als solches behandelt wird. So trifft das Kriterium der Nichtrivalität nicht mehr zu, sobald man die Multifunktionalität eines Umweltgutes (Wasser, Luft) betrachtet. Nutzen Mitglieder der Gesellschaft solche Ressourcen dennoch wie öffentliches Güter, d.h. ohne daß dafür nutzenbezogene Preise zu entrichten sind, werden sie vergeudet bzw. übernutzt. Dies beschreibt wohl am anschaulichsten Hardin in seinen Ausführungen zur "Tragedy of the Commons" 38 • Eine Allmende stellt den typischen Fall einer Ressource dar, die Nutzen stiftet, der wegen der allgemeinen Zugänglichkeit nicht entgolten werden muß. Haben mehrere Individuen Zugang und nimmt der Grenmutzen des Gutes im Zeitverlauf durch Übernutzung ab, so hat jedes Individuum nur ein Interesse: die Ressource so schnell und so intensiv wie möglich zu nutzen, da der Nutzen aus der Ressource privat angeeignet werden kann, während der Schaden von der Gemeinschaft als Ganzes getragen wird. Die Ressource wird zum Schaden aller zerstört: "Everybody free-rides, and thereby ensures that there is no horse. "39 Die Konsequenz dieses Phänomens, das bei gemeinsam genutzten Ressourcen und Nichtausschluß auftritt, ist aus der Spieltheorie unter dem Begriff Gefangenendilemma bekannt: Individuell rationales Verhalten führt zu einem Ergebnis, das alle Individuen schlechterstellt. Kooperatives optimales Verhalten kommt nicht zustande, wenn der einzelne nicht sicher sein kann, daß sich alle kooperativ verhalten, wenn also Freifahrerverhalten ohne Sanktion möglich ist. Steht bei mangelnder Definition von Eigentumsrechten das Nutzungsrecht dem 37 lAnghammer (1992) weist daraufhin, daß man nur "für die Verwendung als Produktionsfaktor ... Eigentumsrechte definieren, Preise setzen und Emissionen begrenzen" kann (S. 245). 38 Vgl. Hardin (1968).
39 Streeten (1991), S . 126.
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3. Kapitel: Allokationstheoretische Herleitung der Grenzen und Spielräume
zu, der zuerst kommt, wie das z.T. beim Eigentum an Bodenschätzen wie Erdöl40 der Fall ist, fordert dies eine rasche Ausbeutung und Übernutzung der Ressource ohne Rücksicht auf echte Nutzen-Kosten-Verhältnisse heraus. Oftmals ließe sich der Zugang zu einer Ressource technisch beschränken, was den Grad der Öffentlichkeit und das Ausmaß externer Effekte einschränken würde. Es handelt sich dann eigentlich um ein privates Gut. In der Realität werden aber derartige Güter dennoch vom Staat verwaltet oder angeboten, weil - der Staat aus sozialen oder ethischen Gründen allgemeinen Zugang erhalten will (etwa bei Naturschutzgebieten oder Wasser), - die Kosten der Schaffung bzw. Überwachung des Ausschlusses hoch sind, - keine privaten Eigentumsrechte vorhanden sind, etwa weil die Knappheit des relevanten Gutes (und daher der potentielle ökonomische Wert) erst kürzlich entdeckt wurde bzw. der rechtliche Rahmen nicht vorhanden ist. Diese Kriterien treffen neben zahlreichen Umweltgütern auch auf eine "Ressource" zu, deren Unterangebot wir bereits als wesentliche Ursache für umweltrelevante Externalitäten identifiziert haben: Information. Die Beschaffung von Information verursacht erhebliche Kosten, deren gesellschaftliche Nutzen allerdings oftmals überwiegen. 41 Können die Forschungskosten nicht dadurch gedeckt werden, daß spätere Nutzer der Information einen Preis entrichten, so lohnen sich die Forschungsaufwendungen für private Marktteilnehmer nicht. Gerade Grundlagenforschung, zu der die Erforschung ökologischer Zusammenhänge zählt, ist dadurch gekennzeichnet, daß der Nutzen der Information allen Individuen dient (Nichtrivalität) und ein Ausschluß von der Information der Intention der Forschung widerspricht. Überdies gibt es keine Gewähr, daß Ergebnisse überhaupt gefunden werden, und die Privatisierung derartiger Information enahrt erhebliche gesellschaftliche Einwände. In Industrieländern wird Grundlagenforschung deshalb auch als Aufgabenbereich des Staates betrachtet. Fehlende Termin-, Kredit- und Versicherungsmiirkte sind hinsichtlich der Umweltnutzung besonders relevant: Wie bereits erwähnt, spielt der Faktor Risiko/Unsicherheit eine wichtige Rolle bei der Bewertung zukünftiger Nutzen und Kosten. Er wird entweder über die Abschätzung von Wahrscheinlichkeiten und/oder durch die Wahl des Diskontsatzes berücksichtigt und kann zur deutlichen Minderschätzung künftiger Effekte führen. Während die Gesellschaft insgesamt das Risiko bestimmter staatlicher Investitionen dadurch streuen kann, daß sie auftretende Kosten auf viele Individuen verteilt bzw. durch die Mi-
40 Vgl. Stroup/Baden (1983), S. 20. 41 Nichtjeder Informatioll8ZUwachs fördert also die Effizienz, sondern nur in dem Maße, als die
Kosten der Informationsgewinnung geringer sind als die daraus erzielten Nutzen.
3.6. Griindc für die besondere Betroffenheit der Umwelt durch IneffiZienz
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schung mehrerer Projekte ausgleicht, ist dies aus Sicht der privaten Marktteilnehmer kaum der Fall, so daß diese eher risikoavers sind. Ihre Zeitpräferenzrate und damit ihr Diskontsatz ist also höher als die der Gesellschaft, da sie zusätzlich einen risikobedingten Aufschlag enthält. Sie werden demzufolge Optionen bevorzugen, die raschen, sicheren Gewinn bei geringem wirtschaftlichen Risiko bringen. Investitionen im Bereich Ressourcenerhaltung oder -regeneration haben oftmals eine lange Reifephase (Bsp. Aufforstung}, also relativ geringen Nutzen in naher Zukunft und hohen Nutzen auflange Sicht und unterliegen aufgrund der Komplexität umweltrelevanter Zusammenhänge und Unsicherheit binsichtlich der erwarteten Nachfrage erheblicher Ertragsunsicberbeit. Unsichere Zukunftsnutzen werden aber von Individuen am Markt stark abdiskontiert. 42 Auch Unsicherheit über die Realisierbarkeil künftiger Nutzen aus dem Erhalt bzw. dem schonenden Umgang mit Umweltressourcen verkürzen den Zeithorizont: Risiko zukünftiger Enteignung, Unsicherheit über künftige Preise und eventuelle Substitute lassen die heutige Ausbeutung von Ressourcen sinnvoll erscheinen. 43 Sind nun umweltfreundliche Investitionen überproportional negativ betroffen und umweltschädliche Investitionen überproportional positiv berührt? Betrachtet man den Charakter verschiedener Investitionen, so ist neben umwelterhaltenden und -schaffenden Projekten eine zweite Gruppe durch hohe anfingliehe Investitionskosten und Erträge über einen längeren Zeitraum hinweg gekennzeichnet: physische Infrastrukturinvestitionen, die zunächst einen erbeblichen Eingriff in die Umwelt darstellen. Der entscheidende Unterschied ist allerdings, daß diese als traditionelle Aufgabe des Staates angesehen werden, der Faktor Ertragsunsicherheit anders als bei natürlichen Ressourcen nicht besteht oder drastisch unterschätzt wird (z.B. bei Dammbauten, bei denen die Versandung des Dammes in der Regel vernachlässigt und die Nutzungsdauer eher zu hoch als zu niedrig angesetzt wird) und Infrastrukturprojekte als Schlüssel zur Entwicklung erachtet werden, so daß Nutzen in der Regel eher überschätzt werden. Bei derartigen Projekten wirken die durch andere Marktmängel (Informationsmängel) verursachten Verzerrungen zu Lasten der Umwelt in bereits beschriebener Weise, während die potentiell entlastenden Effekte durch eine ~Aversion~ gegen Projekte mit hoben Anfangskost~ und langer Nutzungszeit dadurch nicht zum Tragen kommen, daß das Risiko nicht als solches erkannt wird.
42 Studien haben gezeigt, daß llberdurchschninlich hohe Diskontsätze verwendet werden, wenn es um die Bewertung von Umweltschutzinvestitionen geht. Dies mag zum einen auf die hier dargelegte Risikoaversion zurückzuführen sein, zum anderen aber schlichtweg auf Unkenntnis und Fehlbewertung. Vgl. Singepore Green Plan Workgroup 3 (1993), S. 8. 43 Vgl. Frey (1988), S. 51. 5 Stenge!
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3. Kapitel: Allokationstheoretische Herleitung der Grenzen und Spietriurne
Man kann also durchaus behaupten, daß Umweltkapital von obigem Phänomen überproportional betroffen ist. Das Fehlen von Versicherungsmärkten gegen Risiko (risk markets) und die Abwesenheit von Terminmärkten ifutures markets) und Kreditmärkten ist dafiir zum erheblichen Teil verantwortlich zu machen: Gibt es Märkte zur Versicherung gegen das Risiko des Verlusts von Zukunftserträgen, so wird lediglich die bekannte Prämie in die Bewertung einbezogen, und eine zusätzliche Abdiskontierung der Nutzen ist unnötig. Gibt es fiir alle potentiellen Nutzen Termin- bzw. Kreditmärkte, so kann ein Investor (etwa ein Bauer) künftigen Nutzen (Ernten) bereits heute materialisieren, wird ihn also entsprechend höher schätzen. Verlangt die Investition (wie bei Aufpflanzungen oder Bodenschutzmaßnahmen) zunächst erheblichen Kapitaleinsatz, so könnte damit die Finanzierung gesichert werden. Eine Kombination aus Termin-, Versicherungs- und Kreditmärkten und damit die Verwirklichung von Konditionalmärkten kann dabei mögliche Grenzen der Einzelmärkte kompensieren. 44 Bestehen derartige Märkte nicht, sind also Kapitalmärkte entsprechend eingeschränkt, so kann das Individuum auch bei vollem Bewußtsein der künftigen hohen Nutzen die Investition aus Mangel an Finanzierung nicht tätigen. Eine Wohlfahrtssteigerung wird nicht realisiert. 45 Das Fehlen von Versicherungsmärkten behindert auch die Internalisierung externer Effekte. Wo kein Eigentumsrecht an bestimmten Umweltgütern bzw. -funktionen wie sauberer Luft oder besteheoder Ozonschicht definiert ist, besteht natürlich auch keine Haftung fiir eintretende Schäden und damit kein Anreiz fiir den Schädiger, diese in seine Entscheidung einzubeziehen. Das Argument, das häufig gegen eine Internalisierung dieser externen Effekte durch vollständige Haftung angefiihrt wird, nämlich daß dies wegen des unbekannten Risikos technischen Fortschritt hemmen bzw. völlig unterbinden würde und Firmen in den Bankrott treiben würde, wird entkräftet, wenn sich Unternehmen gegen das Eintreten von Umweltschäden versichern könnten bzw. müßten. Es gäbe also keinen Anlaß, Forschungen in bislang noch unbekannten Bereichen völlig aus dem Wege zu gehen. Die Abhängigkeit der Versicherungsprämie vom erwarteten Schadensrisiko spornt die Versicherten dazu an, die Unsicherheitsmomeote in ihrer Produktion zu reduzieren und keine zu riskanten Tätigkeiten durchzufiihren. Das Fehlen derartiger Märkte verhindert also optimale Allokation und schafft bzw. erhält so Ineffizienz. Das Fehlen von Versicherungsmärkten fiir Umweltinvestitionen bzw. Umweltschäden beruht auf zu hohen Transaktionskosten, der Gefahr des moral hazard und dem Auftreten adverser Auswahl, wobei letztgenannte Gründe vor
44 Zu Konditionalmärkten (=Markt ffir bedingte Güter) siehe Semholz I Breyer(1984), S. 161 ff. 45 Auf das Problem effiZienter, aber nicht finanzierbarer Projekte weist auch Hampicke (1991 a), S. 140 hin.
3.6. Gründe für die besondere Betroffenheit der Umwelt durch Ineffizienz
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allem ein Informationsproblem sind. Fehlende Terminmärkte werden neben Transaktionskosten, möglichen Änderungen der Präferenzen und Einkommen, variierender Qualität und Unsicherheit hinsichtlich der Erfüllbarkeil der Vertragsverpflichtung vor allem auf unklare Eigentumsrechte zurückgeführt46 , reflektieren aber oftmals den Charakter der Umweltgüter: Terminmärkte erfordern nicht nur eine monetäre Bewertung von Nutzen, sondern auch, daß dieser Nutzen tatsächlich abgeschöpft werden kann. Dies ist aber bei existence value ebensowenig der Fall, wie beim Optionswert, da bereits eine exakte Definition des Nutzens schwierig ist. Ein besonderer Fall fehlender Eigentumsrechte und daraus folgender fehlender Märkte äußert sich in Form riiumlicher Externalitiiten (Spillover-E.ffekle): Die ökonomische Theorie betrachtet als Untersuchungsobjekt Volkswirtschaften, also Einheiten mit bestimmter Rahmensetzung und Legitimität zur Veränderung derselben (Politikkompetenz). Wie oben erwähnt, halten sich aber Umweltwirkungen nicht an bestimmte räumliche Abgrenzungen und schon gar nicht an politische Grenzen. So kann eine bestimmte Ressource, etwa eine Pflanze, eng umgrenzten Nutzen haben (als Nahrungsmittel), lokal oder regional bedeutsam sein (wenn sie für die Aufrechterhaltung der Stabilität des Ökosystems wichtig ist) oder global aufgrund medizinischer Potentiale Nutzen stiften. Betrachtet man bei Nutzungsentscheidungen nur eine kleine Einheit, so stellen die darüber hinausgehenden unberücksichtigten Wirkungen räumliche Externalitäten dar. Es müßte also in vielen Fällen eine überregionale oder gar globale Perspektive gewählt werden, um alle möglichen Nutzen und Kosten einzubeziehen. Nur dann ist die Annahme der ökonomischen Theorie erfüllt, daß keine externen Effekte von einer Volkswirtschaft ausgehen, sie also für sich allein betrachtet werden kann. Eine derartige globale Volkswirtschaft existiert jedoch nicht. Aufgrund der Souveränität der Staaten und des Fehlens einer Überinstitution gibt es keine Instanz, die die Internalisierung erzwingen kann. Es fehlt also ein globaler Markt für Umwelt. Oftmals fehlen Märkte für Umweltgüter nicht ganz, sind aber unvollständig. Dies ist der Fall, wenn für eine Ressource (landwirtschaftliche Produkte oder erschöpfbare Rohstoffe) zwar ein Markt besteht, ihre Nutzung aber mit Änderungen anderer Umweltfaktoren zusammenhängt (Bodenqualität, Wasserhaushalt, Klima, Ästhetik), für deren Allokation keine Märkte vorhanden sind. Die Nutzung letzterer wird dann nicht in die Preisbildung für erstere einbezogen, ihr Preis ist damit um die Beanspruchung derselben zu niedrig, die Produktion entsprechend zu hoch. Typisches Beispiel sind Preise für Rohstoffe wie Kohle oder Öl. In der Praxis gehen lediglich Erschließungs-, Abbau- und Transport-
46 Zur Problematik fehlender Termin- und Versicherungsmärkte vgl. BojiJ I Maler I Unemo (1990), S. 26fT und BemholziBreyer (1984), S. 159-164. 5•
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3. Kapitel: Allokationstheoretische Herleitung der Grenzen und Spielräume
kosten ein, da die dafür in Anspruch genommenen Ressourcen (Arbeitskräfte, Maschinen, zum Teil Land) auf Märkten gehandelt werden. Kosten in Form degradierter Natur, verlorener Anbaumöglichkeit (Opportunitätskosten), zerstörter Lebensräume für Arten und Tiere und möglicher Unfälle (Tankeruntälle) und letztlich die bei der Nutzung anfallenden Schäden (Schadstoffausstoß) gehen nicht in die Preisbildung ein, da für Ästhetik, die Reinheit der Meere und der Luft bzw. für Lebensräume keine Märkte vorhanden sind. Auch der Bestand der Ressource (Restmenge) und daher die Wirkung seiner Verringerung wird nicht in die Preisbildung einbezogen.47 Auch unvollstiJndige Konkurrenz ist eine Form unvollkommener Märkte. Allokative Ineffizienzen durch Monopole oder Oligopole wirken indirekt über Ressourcenvergeudung auch auf die Umweltintensität. Allerdings ist die Wirkung von Monopolen und Oligopolen auf die Nutzung der Umwelt in der Literatur nicht unumstritten. Bekanntlicherweise enthält der Preis im Falle eines Monopols zusätzlich die Monopolrente, ist also entsprechend überhöht. Besteben also Monopole in Verbindung mit umweltbelastender Produktion (bzw. Produkten), so wäre nach theoretischen Überlegungen die Outputmenge geringer als dies bei vollständiger Konkurrenz der Fall wäre, die Umwelt würde also weniger belastet. Ebenso wird argumentiert, das geringere Risiko der Monopolisten führe zu einer niedrigeren Abbaugeschwindigkeit. Gegen die praktische Gültigkeit dieser Argumentation vom Monopolisten als "the conservationist's friend" 48 , wie sie wiederholt von David Pearce vorgebracht wird49 , bestehen aber in der Praxis gewichtige Einwände: - Monopole erzeugen wegen des fehlenden Wettbewerbsdrucks Ineffizienz in der Produktion. Es besteht kein Anreiz zur Verbesserung der Produktionsabläufe oder des Produkts und damit kein Anreiz zur Beseitigung ressourcenvergeudenden Verhaltens. Bereits diese zusätzliche Umweltbelastung kann eventuelle mengenmäßige Outputreduktionen kompensieren. - Monopole bzw. Oligopole haben ein stärkeres Interesse und stärkere Möglichkeit zur Aufrechterhaltung von Informationsmängeln auf seiten der Konkurrenz und der Nacbfrager. Dies verstärkt generell die Unterschätzung von Umweltfaktoren. - In umweltintensiven Bereichen mit Marktmacht führt diese allenfalls dann zu höheren Preisen und damit geringeren Mengen, wenn Outputpreise nicht
47 Vgl. Leiper1 (1989), S. 33. 48 Endres/Quemer (1993), S. 80. Siehe hier auch weitere Literaturbinweise zur Wirkung von Marktmacht, vor allem aus theoretischer Sicht (S. 79-83). Die Autoren neigen nach Abwägung beider Seiten eher zu der traditionellen Sicht von der umweltschonenden Wirkung von Monopolen. 49 Vgl.
Pearce (1989), S. 18fund Pearce/Tumer (1990), S. 284ff.
3.6. Grunde für die besondere Betroffenheit der Umwelt durch Ineffizienz
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subventioniert werden, also nicht ein Teil des Monopolgewinns vom Staat bezahlt wird. Gerade bei öffentlichen Versorgungsmonopolen und im Bereich der Ressourcenextraktion, auf den sich Pearce bezieht, sind die Outputpreise, die die Verbrauchsmenge bestimmen, nicht nur trotz, sondern oftmals gerade wegen der Monopol- bzw. Oligopolstellung aufgrunderhaltener Subventionen eher zu niedrig als zu hoch. - Ein ressourcenschonenderes Verhalten bei Marktmacht, wie es von der Theorie insbesondere unter Unsicherheit unterstellt wird50, kann darüber hinaus allenfalls dann erwartet werden, wenn dauerhafte, sichere Eigentumsrechte bestehen, also das Monopolunternehmen nicht dem Risiko ausgesetzt ist, seinen Zugriff auf die Ressourcen zu verlieren. Gerade diese Bedingung ist oftmals wegen der begrenzten Laufzeit von Konzessionen, politischer Unsicherheit oder bei "first come, first serve"-Ausbeutung nicht gegeben. - Gehen wir davon aus, daß Marktmacht neben Bereichen mit hohen Fixkosten und langem Zeithorizont vor allem in Bereichen auftritt, die technisch anspruchsvoll sind und deshalb ein großes Maß an Forschungsaufwand voraussetzen, bzw. unmittelbar nach Markteinführung eines Produkts vorhanden ist, so scheinen gerade die innovativen umweltfreundlichen Bereiche anfilliger für Marktmacht zu sein. Nicht selten sind die Unternehmen der Umwelttechnologie zugleich in umweltintensiven Sektoren wie der (petro-)chemischen Industrie oder der Energietechnik angesiedelt5 1, was zu weiterer Marktverzerrung durch die Zurückhaltung neuer, bei hohen Profiten alter Technologien führen kann. Die aufgrund der hohen Fixkosten und Unteilbarkeilen bestehende starke Konzentration wirkt sich also auch auf die umweltfreundlichen Bereiche dieser Unternehmen aus. In der Tat zeigt eine Studie der Unternehmungsberatung Artbur D. Little eine starke Konzentrationstendenz aufgrund des hohen Kapitalbedarfs im Umweltschutzmarkt und verweist auf die hohe Heterogenität dieses Sektors. 52 Es wären also gerade umweltfreundliche Produkte, die eine Monopolrente enthielten, damit also teuerer und entsprechend geringer nachgefragt würden. Dadurch ließe sich der teilweise erhebliche Preisunterschied zwischen konventionellen Produkten und umweltfreundlichen Alternativen erklären, der nur zum Teil auf noch nicht ausgeschöpfte Skalenerträge und damit auf höhere Produktionskosten zurückzuführen ist.
50 Zurtheoretischen Darlegung derökologischen Vorteile von Monopolmacht unter Unsicherheit siehe Sandkr/Sterbenz (1990). Sl So liegt die Herstellung von Solargeneratoren fast völlig in der Hand von Ölkonzernen und nur drei Firmen deckten Anfang der 80cr Jahre zwei Drittel des Weltbedarfs. Vgl. Birnbaum/ HiJusler/Simonis (1984), S. 229.
S2 Vgl. AMighiJjer (1993), S. B 13.
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3. Kapitel: Allokationstheoretische Herleitung der Grenzen und Spielräume
- Für den Bereich erschöpfbarer Ressourcen wendet Frey ein, daß ein monopolistischer Rohstoffbesitzer "nur den zeitlichen Verlauf, nicht aber das Gesamtangebot bestimmen "53 kann, also nicht notwendigerweise in der Gegenwart weniger anbietet. 3.6.4. Hindernisse bei der Internalisierung externer Effekte
3. 6. 4.1. Das Coase-1heorem Fehlende bzw. unvollkommene Märkte waren eine wichtige Erklärung für ineffiziente Umweltnutzung durch externe Effekte. Sie beruhten in vielen Fällen auf unzureichend definierten Eigentumsrechten. Kann eine Internalisierung dieser Externalltäten durch die Schaffung privater, einklagbarer Eigentumsrechte dieses Problem lösen? Nach dem Theorem von Coase führen klar abgegrenzte (specified), eindeutig zugeordnete (exclusive) Eigentumsrechte zwischen den Beteiligten zu optimaler Allokation der umstrittenen Ressource, solange keine Transaktionskosten und keine Einkommenseffekte auftreten. S4 Betrachten wir das bereits legendäre Beispiel des Konflikts zwischen einem Bauern und einem Viehzüchter, dessen streunendes Vieh Ernteschäden verursacht. Hat der Bauer ein einklagbares Eigentumsrecht an der Unverletzlichkeit seines Ackers, so könnte er zwar das Weiden des Viehs völlig unterbinden, dies wäre aber gesellschaftlich so lange suboptimal, wie der Grenznutzen aus Viehzucht höher ist als der Grenzschaden der Landwirtschaft. Es ist also für beide Seiten lohnend, statt völliger Einstellung der Viehzucht den Bestand bis zu dem Punkt zu erhöhen, an dem Grenznutzen des Viehzüchters und Grenzkosten des Bauern übereinstimmen. Bis zu diesem Punkt kann nämlich der Viehzüchter den Bauern in voller Höhe des ihm entstandenen Schadens kompensieren, und es verbleibt ihm dennoch ein Nettonutzen. Gegenüber der Option "Einstellung der Viehzucht" wird ein Partner bessergestellt, ohne den anderen schlechterzustellen, was unseren Wohlfahrtskriterien genügt. Besteht kein Recht des Bauern auf Unantastbarkeit seines Ackerlandes, so könnte der Viehzüchter rechtlich seine Herde beliebig ausweiten, was das Auftreten von streunendem Vieh erhöht. Auch dies ist gesellschaftlich suboptimal, wenn der daraus für den Bauern entstandene Schaden größer ist als der Nutzen des Viehzüchters. Es ist für den Bauern sinnvoll, den Viehzüchter für die Reduktion des Viehbestands bis zu dem Punkt zu entschädigen, in dem sein Grenznutzen gerade den Gren.zschaden, den er kompensieren muß, deckt.
53 Frey (1988}, S. 51. 54 Vgl. Coase (1960).
3.6. Gründe fiir die besondere Betroffenheit der Umwelt durch IneffiZienz
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Der Viehzüchter wird dadurch aufgnmd der Kompensation mindestens gleichgestellt. In beiden Fällen ist das Allokationsergebnis identisch: Das Optimum liegt im Schnittpunkt zwischen Grenmutzen und Grenzkosten. In beiden Fällen ergibt sich ein Wohlfahrtsgewinn, der zur Aufteilung auf die Parteien zur VerfUgung steht. Demnach spielt die Verteilung der Eigentumsrechte, also die Frage, wer wen durch eine Aktivität schädigt, keine Rolle für die Allokation. Man spricht deshalb von reziproken Nachbarschaftsexternalitäten. ss Obwohl dieses Theorem in seiner theoretischen Aussage brilliant ist und zu Recht auf die Vorteile privater Verhandlungsmechanismen hinweist, sind es gerade seine beiden einschränkenden Annahmen, die in der Praxis relevant und bezüglich der Umwelt besonders stark ausgeprägt sind: die Annahmen der Abwesenheit von Transaktionskosten und der Irrelevanz der Einkommens- und Vermögensverteilung.
3. 6. 4. 2. Transaktionskosten Transaktionskosten können das Erreichen eines Optimums durch Verhandlung verhindern. Sie setzen sich nach North "aus den Kosten der Messung der wertvollen Attribute der getauschten Gegenstände und den Kosten des Rechtsschutzes und der Überwachung und Durchsetzung von Vereinbarungen zusammen"56, sind also Messungs- und Erfüllungskosten, wozu auch Verhandlungskosten zählen. Sie scheinen in Zusammenhang mit Umweltfragen besonders hoch zu sein: - In Umweltfragen steht oftmals einem einzigen oder wenigen Erzeugern negativer externer Effekte eine Vielzahl Betroffener gegenüber, deren Koordination erhebliche Kosten verursacht. Auch wenn diesen das Recht auf die Ressource (z.B. Unversehrtheil des Lebens durch saubere Luft) zustünde, sind die organisatorischen Kosten, dieses Recht durchzusetzen, manchmal prohibitiv hoch. Noch höher sind die Transaktionskosten, hat der Erzeuger der Externalitäten die Eigentumsrechte, da zusätzlich Verhandlungskosten hinzutreten. Prinzipiell sind die Transaktionskosten für die Seite höher, die keine Eigentumsrechte bat. 57 Dies sind häufig die Betroffenen. - In der Realität fehlen oftmals eindeutig abgegrenzte und exklusive Eigentumsrechte, was Verhandlungen über die Aufteilung von Nutzungsrechten erschwert. "Moreover, the private, social and political information and transaction costs associated with reallocating property rights are often so high that SS Vgl. Neumonn (1982a), S. 232fT. 56 Nonh (1992), S. 32.
57 Vg1.
Pearce/Tumer(1990), S. 74f.
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3. Kapitel: Allokationstheoretische Herleitung der Grenzen und Spielräume
the initial distribution of property rights virtually determines the nature of resource use. "58 - Der kausale Nachweis der Schädigung ist oft nur schwer und unter hohem finanziellen Aufwand zu führen. In der Praxis wird mangels Beweislage dem Schädiger häufig das Recht auf weitere Nutzung der Ressource zugesprochen, obwohl der Schaden der Geschädigten höher ist als der Nutzen des Schädigers. Es besteht ein Zurechnungsproblem. - Umweltzusammenhänge sind kompliziert und umstritten. Es sind also hohe Einigungskosten zu erwarten, da die Verhandlungspunkte erst mühsam ermittelt werden müssen: Auch hier wirkt die Asymmetrie der Informationen tendenziell zu Lasten der Umwelt und der durch Umweltschäden Betroffenen.
3.6.4.3. Auseinanderfallen von willingness-to-pay und willingness-to-accept Bei dem Versuch, externe Effekte zu internalisieren, tritt ein äußerst interessantes Phänomen auf, das Krutilla in seinem legendären Aufsatz "Conservation Reconsidered" 59 beschreibt: das Auseinanderfallen von Zahlungsbereitschaft (willingness-to-pay = WTP) und Kompensationsbereitschaft (willingness-toaccept (WTA) oder willingness-to-be compensated). Betrachten wir den Fall eines Waldes, der entweder von privater Seite forstwirtschaftlich genutzt werden kann oder als Erholungsgebiet dient. Beide Nutzungen beeinträchtigen sich gegenseitig. Nach dem Coase-Theorem müßten die Beteiligten in Gestalt des privaten Forstunternehmers und der Erholungssuchenden über den Abgleich ihrer Gren.mutzen und Grenzerträge zu einer optimalen Nutzungsaufteilung gelangen. Solange also der Nutzen einer zusätzlichen Abholzung für den Unternehmer größer ist als der dadurch verursachte Schaden in Form des Verlusts an Erholungswert, ist der Gesamtnutzen noch positiv und Kompensationen sind möglich, dem Pareto-Kriterium wird also Genüge getan. Haben die Erholungssuchenden das Eigentumsrecht auf Erholung, so lohnt es sich für den Waldbauern, die Abholzung bis zum Schnittpunkt zwischen Grenznutzen- und Grenzschadenskurve auszudehnen und die Allgemeinheit dafür zu entschädigen. Bei einer weiteren Ausdehnung würden die Gewinne der letzten abgeholzten Einheit die zu zahlende Kompensation nicht mehr decken. Hat der Waldbauer das Eigentumsrecht, so haben die Erholungssuchenden ein Interesse, die Abholzung so lange durch Kompensation des Waldbauern zu reduzie-
58 Lutz /Young (1992), S. 244. 59 Vgl. KrudUa (1967).
3.6. Gründe für die besondere Betroffenheit der Umwelt durch Ineffizienz
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ren, wie ihr Schaden aus der Abholzung höher ist als dessen Nutzen. In beiden Fällen kommt dieselbe Allokationsmenge zustande: Es gibt ein eindeutiges Optimum. Was bedeutet nun die Unterscheidung zwischen WTP und WTA? Empirische Studien haben übereinstimmend gezeigt, daß entgegen theoretischen Annahmen die Einschätzung des Nutzens in starkem Maße davon abhängt, ob dieser als Gewinn oder Verlust betrachtet wird: Ein Verlust wird als höher eingeschätzt als ein Gewinn gleichen quantitativen Umfangs, so daß die Bereitschaft, für zusätzlichen Nutzen zu zahlen (WTP) deutlich unter dem Wert liegt, den man als Kompensation für verlorenen Nutzen fordert (WTA). 60 Weichen nun WTP und WTA voneinander ab, so versagt der Ausgleichsmechanismus: Müßte die Allgemeinheit den Forstunternehmer für entgangenen Gewinn durch die Erhaltung eines Baumes entschädigen, so ist für diese die aktive Zahlungsbereitschaft für einen zusätzlichen Baum (WTP) relevant. Müßte umgekehrt der Forstbauer die Allgemeinheit für den Verlust eines Baumes entschädigen, so gilt deren WTA, da der Baum gemäß der Aufteilung der Eigentumsrechte ihnen bereits gehörte. Da letztere höher ist als die aktive Zahlungsbereitschaft, käme bei ersterer Situation gegenüber der zweiten Situation ein niedrigerer "paretooptimaler" Waldbestand zustande. Die Ergebnisse sind nicht symmetrisch. Eine klare Aussage über den tatsächlich "optimalen" Bestand ist also ohne die Vorbestimmung der Eigentumsrechte nicht möglich. Der Marktmechanismus führt also nicht zu einem eindeutigen Optimum. Ein Vergleich der beiden unterschiedlich ermittelten "Optima" ist ohne zusätzliches Kriterium nicht möglich. Im theoretischen Sinne handelt es sich dabei um sich schneidende Indifferenzkurven, die aufgrund des Pareta-Kriteriums nicht verglichen werden können. Die Präferenzordnung ist damit intransitiv. 61 Geht man von der Priorität deljenigen Ansprüche aus, die die Nutzung einer Ressource als Produktionsinput (mit Abbau derselben) anstatt als intangible, auf Erhalt beruhende Dienstleistung implizieren, so führt dies zu einer höheren optimalen Umweltnutzung, als wenn die Eigentumsrechte denen zustehen, deren Nutzen im Erhalt der Umwelt liegt. Da die umweltschädigende Nutzung so lange aufrechterhalten wird, wie ihr Nutzen die am Markt auftretende zahlungskräftige Nachfrage nach Umwelterhaltung (in WTP gemessen) übersteigt, wird der Bedarf an Umwelt systematisch unterschätzt. In der Höhe der Diskrepanz zwischen WTA und WTP treten zusätzliche Umweltbelastungen auf.
60 In einer Studie zur Bewertung verschiedener Umweltszenarien, die nach WTP und WTA unterschied, betrug fiir die präferierte Landschaft die aktive Zahlungsbereitschaft (WTP) ein Achtel(!) der geäußerten Kompensationsbereitschaft (WTA). Vgl. Quall (1993), S. 95f, der auch auf die Konsistenz dieser Ergebnisse mit anderen empirischen Studien hinweist. 61 Vgl.
Neumonn (1982a), S. 180.
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Wir haben hier also den bereits angedeuteten Fall, in dem das Paretakriterium wenig hilfreich ist und das darauf begründete Verlassen auf Marktmechanismen zur Verhinderung von Veränderungen führt, die unter Maßgabe etwa des Kaldor-Hicks-Kriteriums wohlfahrtssteigernd sind.
3.6.4.4. Einkommens- und Vermögensverhältnisse Die zweite einschränkende Annahme des Coase-Theorems wird in der Literatur oft übersehen, ist aber ebenso wichtig. Nach den Coaseschen Annahmen hat die Aufteilung der Eigentumsrechte auf das Ergebnis keinen Einfluß. Dagegen stellte sich gerade heraus, daß die ursprüngliche Ausgangsverteilung der Nutzungsrechte an der jeweiligen Ressource ausschlaggebend für die letztliehe Ressourcennutzung und damit das Ausmaß der verbleibenden Umweltbelastungen ist. Da die Beteiligten zudem unterschiedlich hohe Transaktionskosten aufweisen, sind in Abhängigkeit von der Ausgangsverteilung der Eigentumsrechte und der Einkommensverhältnisse aufgrund der unterschiedlichen Verhandlungskosten unterschiedliche Allokationsergebnisse zu erwarten. Die Ergebnisse sind also nicht symmetrisch, wie das Coase-Theorem unterstellt. Wiederum ist aufgrund des Pareta-Kriteriums selbst eine Bewertung der unterschiedlichen Ergebnisse nicht möglich. Ein weiteres praktisch relevantes Problem ist mit Kompensationen verbunden, wenn das Eigentumsrecht nicht dem zusteht, dessen Interesse im Erhalt der Umwelt liegt: Es besteht ein Anreiz, externe Effekte überhaupt erst zu schaffen bzw. anzukündigen, um den Geschädigten zur Zahlung von Kompensationen zu bewegen. Dabei ist aber nicht sichergestellt, daß nach Zahlung der Kompensation keine weiteren externen Effekte geschaffen oder angekündigt werden. Diese Strategie ist vergleichbar mit der Erpressung von Schutzgeldern: Sie führt möglicherweise zu einer Spirale von externen Effekten, die letztendlich die Kompensationsfiihigkeit des Geschädigten erschöpfen muß, so daß es aus Umweltsicht zu zunehmenden Belastungen kommt. Es spielt also nicht nur eine Rolle, daß, sondern vor allem wem Eigentumsrechte zustehen.
3.6.4.5. Vollständigkeit der Marktteilnahme Eine weitere implizite Annahme der statischen Allokationstheorie und damit Voraussetzung für ein Optimum ist, daß alle Mitglieder einer Gesellschaft, deren Wohlfahrt maximiert werden soll, auch Marktteilnehmer sind und über einen Ausgangsbestand verfügen, den sie durch Tausch der bestmöglichen Verwendung zuführen können. Die Realität weicht davon in zwei wichtigen Aspekten ab: der intra- und intergenerationellen Verteilung.
3.6. Gründe für die besondere Betroffenheit der Umwelt durch IneffiZienz
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In bezug auf die derzeit lebende BeviJlkerung besteht eine erhebliche Ungleichverteilung. Dies wäre für unsere Analyse - die ja zunächst Gerechtigkeitsaspekte ausklammert - irrelevant, würde es nicht die Allokation der Ressourcen maßgeblich bestimmen. Haben diejenigen Akteure, deren Nutzen in der Erhaltung der Umwelt besteht, keine Eigentumsrechte und unzureichende monetäre Ausstattung, so hat dies erhebliche Umweltkonsequenzen. Der Markt beachtet nur zahlungskräftige Nachfrage (WTP), nicht jedoch die Nachfrage, die nicht aus untergeordneter Priorität, sondern aus absolutem Mangel eines Tauschobjekts nicht geäußert wird, und auch nicht die Nachfrage nach bestimmten Funktionen, die sich in WTA äußern würde. Da Kompensationen nur in materiellen Werten, d.h. monetär ausgedrückt, geleistet werden können, setzt dies wiederum materielle Ausstattung voraus. Eine Kompensation durch Übertragung anderer Wohlfahrtskomponenten ist zwar denkbar- etwa in Form von Friedfertigkeit -, aber bei weitem nicht immer möglich. Hierdurch entstehen externe Effekte, da Betroffene ihre Präferenzen für Umwelterhaltung am Markt nicht äußern können bzw. die von ihnen angebotenen Formen der Gegenleistung nicht allgemein anerkannt werden. Ist die Anfangsausstattung eines Individuums oder einer Gruppe unzureichend und sind Kreditmärkte unzugänglich, so sind die der eigentlichen Allokationsänderung vorausgehenden Transaktionskosten der Verhandlung bzw. der Einklage von Rechten prohibitiv hoch, auch wenn sie insgesamt, also nach Abschluß der Verhandlungen geringer lägen als der Nutzen aus der Transaktion. Dieses Phänomen tritt selbst dann auf, wenn dieser Gruppe Nutzungsrechte zustehen, ihre Wahrnehmung aber zuerst Transaktionskosten verursacht. Betrachtet man Gesellschaft als kontinuierliche Gemeinschaft fortwährender Generationen, so ist eine weitere "Gruppe" potentiell Betroffener in die Entscheidungstindung einzubeziehen: zukünftige Generationen. Nicht geborene Menschen bzw. nichtgeschäftsfähige Kinder können aber ihre Präferenzen nicht am Markt äußern. Der Markt maximiert also stets die "Summe der individuellen Gegenwartsnutzen der heute lebenden Generationen "62 , nicht die Summe aller heute und in Zukunft lebenden Gesellschaften. Zwar berücksichtigen die derzeit handelnden Generationen durchaus die Interessen ihrer eigenen Nachkommen und dehnen zuweilen diese Fürsorge sogar auf die künftige Generation im allgemeinen aus (bequest motive), jedoch muß man dies aus folgenden Gründen nur für eine äußerst verzerrte Untergrenze für Nachfrage nach Umweltschutz halten: - Heutige Generationen verfügen nicht über die Informationen zur Abschätzung der Nutzen künftiger Generationen. So waren sich rückblickend die
62 Leipen (1989), S. 34.
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Menschen zu Beginn dieses Jahrhunderts der Bedeutung der Ozonschicht, des Klimas oder der Pflanzenwelt nicht bewußt, konnten dies also beim besten Willen nicht in ihr Kalkül einbeziehen. Wir müssen bereits hier von einer systematischen Unterschätzung der Nutzen der Umwelt ausgehen. - Die Prioritäten heutiger Generationen können nicht auf künftige übertragen werden. Es ist davon auszugehen, daß künftige Generationen eine höhere Nachfrage nach immateriellen Wohlfahrtskomponenten aufweisen werden. - Fürsorge für künftige Generationen ist nur ein Kriterium heutiger individueller Entscheidungen, nicht aber das ausschlaggebende. Nach wie vor dominiert das "Erbe", das in materieller Form auftritt. - Fürsorge nimmt mit der Entfernung vom heutigen Zeitpunkt ab: Während das Interesse für unmittelbare Nachkommen noch groß sein mag, ist dies für die 5. oder 6. Generation möglicherweise nicht mehr der Fall. Es tritt auch hier eine Diskontierung künftiger Effekte ein. - Die Stärke des Fürsorgemotivs hängt wiederum von der Verfügbarkeil eines Ausgangsbestands ab, ist also wegen der genannten Ungleichverteilung äußerst unterschiedlich. - Es ist anzunehmen, daß das Fürsorgemotiv am stärksten ausgeprägt ist, wenn unmittelbare leibliche Nachkommen existieren. Gerade in der entwikkelten Welt, die für Fürsorgemotive entsprechende Ressourcen übrig hätte, nimmt die Kinderzahljedoch ab. Denjenigen Teilen der Bevölkerung, die ein höheres familiäres Interesse hätten, mangelt es unter Umständen an finanziellem Spielraum. Darüber hinaus führtjede Diskontierung zu einer Minderschätzung zukünftiger Interessen, selbst wenn diese grundsätzlich anerkannt sind. Diskontierung enthält also, wie Pearce und Turner es ausdrücken, einen "in-build bias agaiost future generations "63 • Wir haben es hier also mit einer anzunehmenden systematischen Unterschätzung der Nachfrage nach Umwelt zu tun, die im Rahmen des auf Freiwilligkeit beruhenden Marktmechanismus nicht berücksichtigt wird.
3. 7. Nachbetrachtung zwn Wohlfahrtskriteriwn Bei der Betrachtung der Ursachen und Formen umweltrelevanter Ineffizienz hat sich der Verteilungsaspekt als allokationsrelevant erwiesen. Die Anfangs-
63 Pearce /Tumer(l990), S. 211.
3.7. Nachbetrachtung zum Wohlfahrukriterium
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ausstattungmit Eigentumsrechten an Umweltkapital bzw. die generelle Verfügbarkeil von materiellen Ressourcen bestimmt den Grad der paretaoptimalen Umweltnutzung sowie der externen Effekte und damit die Umweltintensität. Betrachten wir die oben beschriebenen Fälle, daß die potentiell von Umweltbelastung Geschädigten ihre Präferenzen nicht oder nicht vollständig am Markt äußern können bzw. Kompensation nicht zustande kommt, so ergibt sich eine höhere Umweltintensität im Marktergebnis. Gingen wir vom Pareta-Kriterium bzw. von Kriterien aus, die implizit oder explizit auf der Realisierung von Kompensationen beruhen, so wären diese Fälle nicht ineffizient, da eine "bessere" Lösung ja nicht möglich war. Die erhöhte Umweltintensität ist somit die "optimale" U mweltintensität, deren Reduktion keine Verbesserung im Sinne des jeweiligen Kriteriums bewirkt. Dagegen ist die erhöhte Umweltintensität bei Verwendung des Kaldor-HicksKriteriums dann als Ineffizienz zu sehen, wenn im jeweiligen Marktergebnis der Grenzschaden der Betroffenen höher ist als der Grenmutzen der Schädiger. Die Beseitigung dieser Ineffizienz erhöht die Gesamtwohlfahrt. Die optimale Umweltintensität läge dann niedriger als bei bloßer Anwendung des ParetoKriteriums. Würden wir unserer Analyse das Pareta-Kriterium zugrunde legen, so könnten wir Abweichungen vom theoretischen Idealmodell, die zu einer Erhöhung der Umweltintensität führen, nicht als Ineffizienz bezeichnen, solange diese auf Bedingungen zurückzuführen sind, deren freiwillige Änderung durch die Wirtschaftssubjekte selbst nicht zu erwarten ist. Bestehen also umweltrelevante externe Effekte aufgrund von Monopolen, fehlender Märkte oder asymmetrischer Information, so wäre dies als effizient hinzunehmen, sobald ein Akteur durch eine Änderung dieser Rahmenbedingungen schlechtergestellt würde und nicht kompensiert wird. Eine Kompensation könnte aber unter Umständen die Änderung der Rahmenbedingungen unterminieren, da die absolute Ausstattung mit Ressourcen bestehen bliebe. Überdies kann der Kompensationsprozeß wiederum mit Kosten verbunden sein, der die Nettonutzen zunichte machen könnte. Dies betont auch Streeten: "I obviously do not wish to say that compensation always, or even often, ought tobe paid. The Iosers, such as the Bnglish Iandlords after the repeal ofthe Com Laws in 1846, may not deservetobe compensated; or, even ifthey do deserve it, the Iosses from imposing taxes to fmance the compensation may be so )arge as to make the compensation uneconomic. "64
Das Kaldor-Hicks-Kriterium bat dagegen den Vorteil, daß Abweichungen vom Idealmodell, worauf immer sie zurückzuführen sind - ob auf die Anfangs64 Streeten
(1991), S. 125f.
78
3. Kapitel: Allokationstheoretische Herleitung der Grenzen und Spielräume
ausstattung, fehlende Märkte oder Unkenntnis über vorteilhafte Veränderungen -, auch als das bezeichnet werden, was sie in der Realität sind, wenn man ihre Konsequenz.en betrachtet: Ineffizienzen. Das Kaldor-Hicks-Kriterium eröffnet auch größere Spielräume für die Korrektur derartiger Abweichungen von den Idealbedingungen, da es nicht unbedingt der Kompensation und damit der freiwilligen Zustimmung aller Beteiligten bedarf, diese jedoch auch nicht ausschließt, wenn sich daraus ein Nettonutzen ergibt. Das Pareta-Kriterium hat seinen theoretischen Reiz darin, daß es sich daran anlehnt, was durch freiwilliges Handeln am Markt zu erwarten ist. Allerdings sind die auf der Basis dieses Kriteriums erfolgenden Allokationen eben nur dann optimal, wenn keine Abweichungen vom Idealmodell bestehen. Sind diese vorhanden, und wir haben festgestellt, daß sie gerade in Zusammenhang mit Umweltaspekten eklatant sind, so ist das "Verlassen auf den Marktmechanismus" und damit das Festhalten am Pareta-Kriterium kontraproduktiv, da die Voraussetzungen für das Wirken des Marktes in Richtung des gesellschaftlichen Optimums nicht bestehen. Die Wahl des Kaldor-Hicks-Kriteriums wird durch diese Ergebnisse als sinnvoll bestätigt.
3.8. Staatsversagen als Erklärungsansatz für Ineffizienz Bestehen Ineffizienz.en aufgrund von Abweichungen zwischen den Annahmen des Idealmodells und der Realität, so scheint ein Beharren auf dem Marktmechanismus verfehlt, da das ihm zugrundeliegende, auf Freiwilligkeit beruhende Pareto-Kriterium gravierende Änderungen des Status Quo kaum zuläßt, eine Beseitigung der Ineffizienz.en also unterbleibt. Aus diesem "Marktversagen" wurde in der konventionellen Wohlfahrtstheorie, die das Kaldor-Hicks-Kriterium zugrunde legt, ein Eingreifen des Staates legitimiert. Aufgabe des Staates hinsichtlich der umweltrelevanten externen Effekte wäre es nun, die auftretenden Marktunvollkommenheiten zu beseitigen oder zu mildem. Dies kann dadurch geschehen, daß Spielregeln oder, wie Douglass North es ausdrückt, Institutionen geschaffen werden, die Transaktionskosten senken und Unsicherheit vermindern und damit Voraussetzungen für das Funktionieren des Marktmechanismus bieten. 65 Diese Internalisierung von Extemalitäten könnte durch entsprechende Preiskorrektur (Pigou-Steuer), die Schaffung von Eigentumsrechten und Märkten, Definieren von Sanktions- und Abgrenzungsmechanismen zur Verhinderung von Freifahrerverhalten und Informationsgewinnung erfolgen. Sogar die vom Markt unterschätzten Anliegen künftiger Generationen könnten durch die externe Festsetzung eines zu erhaltenden Kapi65 Vgl. North (1992).
3 .8. Staatsversagen als Erklärungsansatz für Ineffizienz
79
talstocksberücksichtigt werden. Umverteilung könnte die Beteiligung aller Betroffenen an den Marktentscheidungen sichern. Die Diskrepanzen zwischen Idealannahmen und Realität würden damit beseitigt. Während man in der Analyse der Marktmängel die Abweichungen der Realität vom Ideal auf der Grundlage des nutzenmaximierenden homo oeconomicus beleuchtete, wurde von der konventionellen Theorie ein "homo publicus selten überhaupt modelliert, es sei denn unausgesprochen als 'Heiliger'. "66 Marktmängel werden aus dem Vergleich realer Prozesse mit dem Lehrbuchmodell eines vollkommenen, statischen Wettbewerbsmarkts abgeleitet, während man bei staatlichem Eingriff durch wirtschaftspolitische Maßnahmen stillschweigend unterstellt, daß dieser effizient vonstatten geht. In den sechziger Jahren kritisierte die Public-Choice-1heorie um Buchanan und Tullock die Inkonsistenz dieses Vorgehens. Sie entwickelte einen Ansatz, der analog zur Theorie des Marktversagens aus dem Vergleich realer politischer Prozesse mit einem Idealzustand Formen von Ineffizienz zu identifizieren sucht und die beiden Ursprünge von Ineffizienzen, Markt und Staat, "auf gleicher Ebene gegenüberstellt entweder beide als theoretische Modelle oder beide in ihrem realen Erscheidungsbild- und nicht die Realität des einen amIdealdes anderen misst" 67: die Theorie des Politik- oder Staatsversagens. Unter der Bezeichnung ökonomische Theorie der Politik bzw. Neue Politische Ökonomie umfaßt sie nunmehr eine umfangreiche Richtung der Nationalökonomie, die sich mit kollektiven Entscheidungsprozessen befaßt, und ist neben Buchanan und Tullock vor allem mit den Namen Arrow, Downs, Black, Baumol, Olson und Riker verbunden. 68 Die Autoren der verschiedenen Schulen der Neuen Politischen Ökonomie stellen die Fähigkeit des Staates, Mängel des Marktes auszugleichen bzw. Ressourcen besser zu alloziieren als der Markt, aus mehreren Gründen in Frage: 69 - Schubert weist zwar darauf hin, daß •öffentliche Entscheidungsträger [... ] in vielen Fällen mehr und bessere Information über künftige Ausprägungen zielgrößenrelevanter Variablen [haben] als individuelle private Entscheidungsträger. "70 Es ist aber nicht a priori anzunehmen, daß eine Regierung besser über gegenwärtige und zukünftige Präferenzen, Ressourcen, Technologien und Preise Bescheid weiß als die betreffenden Individuen71 , die von
66 Buchanan (1990), S. 54. 67 Vonberg (1990), S. 14.
68 Vgl. Vonberg (1990), Buchanan (1990), Frey (1970) und Frey (1975). 69 Vg1. zum ÜberblickSrem (1989), S. 616fTund Recktenwald (1983), S. 456-466. 10 Schuhen (1992), S. 32. Schubert begründet dies mit den •umfangreicheren Gegenwarts- und Vergangenheitabeobachtungen• und dem beim Staat verfügbaren "Expertenpotential" (S. 32f). 71 Vg1. Lal (1985), S. 11f, der die Prognoaefähigkeit staatlicher Organe vehement bezweifelt.
80
3. Kapitel: Allokationstheoretische Herleitung der Grenzen und Spielräume
ihr bestimmten Nutzen und Kosten also "richtiger" sind. So kann der Staat das Dilemma der Diskrepanz zwischen WTP und WTA ebenfalls nicht lösen, bat also in der Praxis auch eine letztlich normativ begründete Wahl eines dieser beiden Kriterien zu treffen, wobei a priori nicht offenkundig ist, welches das "richtige" ist. Die bei der Bewertung von Umweltnutzen auftretenden konzeptionellen Probleme gelten unabhängig davon, wer diese Bewertung durchführt. 72 - Da die Unsicherheit über das Funktionieren der Umwelt, über die Zusammenhänge zwischen verschiedenen Elementen der Umwelt und unseren Handlungen und hinsichtlich der möglichen Nutzen aus Umwelt auch fiir den Staat besteht, kann staatliches Eingreifen im besten Fall diese zwar durch Forschung reduzieren, Informationsmängel aber nicht völlig beseitigen. - Staatliche Planung ist starrer und inflexibler als private Entscheidung, da ein komplexerer Entscheidungsapparat damit verbunden ist. Das Ausmaß der auftretenden Entscheidungskosten - Interdependenzkosten und negative Externalitäten - ist dabei abhängig vom zugrundeliegenden politischen System. Wir werden uns diesem Aspekt in Kapitel 7 ausführlich widmen. - Staatliche Planung kann das Risiko der Gesellschaft erhöben, indem alle Ressourcen in eine Richtung gesteuert werden, während sich in der Regel die Fehler einzelner Individuen durch gegenläufiges Verbalten anderer ausgleichen. Die Konzentration auf eine bestimmte Strategie kann also in eine Sackgasse münden. - Staatliches Eingreifen kann private Initiativen zurückdrängen oder sogar ganz verhindern. Umweltfreundliche Technologien oder Erkenntnisse zu grundlegenden ökologischen Zusammenhänge bedürfen aber kreativer Forschung, Entdeckung und Innovation, die durch dezentrale Entscheidung gefördert wird. - Im öffentlichen Sektor fehlen Anreize zu effizientem Handeln, wenn Entlohnung nicht an Leistung gebunden ist (Unkündbarkeit, automatische Besoldungserböbung, Ämterpatronage) und Entscheidungsträger nicht persönlich fiir Fehlmaßnahmen verantwortlich sind (mangelnde Selbstkontrolle). Die Vernachlässigung des ökonomischen Prinzips und der am Markt üblichen Disziplin und Kontrolle fördert dabei Ineffizienzen und stellt gleichsam Ressourcenvergeudung dar. - Koordination zwischen verschiedenen Regierungsstellen kann mangelhaft sein, wenn über den Markt vermittelte Signale fehlen.
72 Zur Bewertung von Umweltnutzen und -kosten siehe Winpenny (1991).
3.8. Staatsvcnagen als Erklärungsansatz fiir IneffiZienz
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- Staatliche Maßnahmen können private Anstrengungen zu ihrer Umgehung (Schwarzmarkt, Steuerhinterziehung) implizieren und rentensuchendes Verhalten fördern. Bei letzterem versuchen rational handelnde Akteure, durch den Einsatz von Ressourcen die Verteilung des "Wohlfahrts-Kuchens" zu eigenen Gunsten zu beeinflussen. Gesamtwirtschaftlich unerwünschte Konsequenzen ergeben sich zum einen, da die zur Lobbytätigkeit eingesetzten Ressourcen nicht zur Steigerung der Gesamtwohlfahrt zur Verfügung stehen, sondern im Verteilungskampf verbraucht werden, zum anderen, da sich wirtschaftliche Aktivitäten darauf richten, staatliche Entscheidungsträger zur Vergabe von Monopolrenten und Sondervergünstigungen zu bewegen. RentSeeking ist zum einen also selbst gesamtwirtschaftlich unproduktiver Einsatz von Ressourcen und begünstigt darüber hinaus wiederum die Ineffizienz staatlichen Handelns. 73 Der Versuch, externe Effekte durch Staatseingriffe zu internalisieren, kann also geradewegs zu Aktivitäten führen, die dies zu konterkarieren suchen. - Staatliches Handeln kann große Spielräume für Manipulation durch Interessengruppen und Individuen eröffnen, wenn einzelne starken politischen Einfluß besitzen. - Verzerrungen in der Allokation werden zusätzlich verstärkt bzw. hervorgerufen, wenn die Zielerreichung staatlichen Handeins anband von Indikatoren gemessen wird, die Nutzen und Kosten nur unvollständig erfassen (Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung). Die übermittelten Lenkungssignale weisen dann in die falsche Richtung. - Informationsbeschaffung für staatliche Entscheidung und staatliches Eingreifen (Kosten der Verwaltungsakte) selbst kann zu höheren Transaktionskosten führen. Eine Internalisierung externer Effekte ist aber nur in dem Maße effizient, wie die daraus erzielbaren Effizienzgewinne größer sind als die jeweiligen Internalisierungskosten in Form von Kosten der Informationsgewinnung, Preissetzung und Maßnahmen zur Begrenzung von Transaktionskosten sowie anderen Wohlfahrtsverlusten durch Staatsversagen. - Es kann nicht unterstellt werden, daß politische Entscheidungsträger stets zum Wohle der Gemeinschaft handeln. Das "natarliche Streben des Politikers und Bürokraten nach (pekuniären und nichtpekuniären) Vorteilen, wie bessere Entlohnung, weniger Mühe und Arbeitszeit, mehr Macht, Aufstieg, größerem Ansehen und Bevorzugung, offen oder versteckt, [wirkt sich] durchweg in einer Ausgaben- und damit Kostenausweitung, aber kaum in
73 Zu rentensuchendem Vernalten (von Bhagwati auch als "directly unproductivc profit seeking activities• bezeichnet) siehe Ktueger(1974), Bhagwati (1982), BuchQIIQII/Flowers(l987), S. 118124 und Buchanon/TolUson/Tulloclc (1980). 6 Stenge!
82
3. Kapitel: Allokationstheoretische Herleitung der Grenzen und Spielräume
einer erhöhten Produktivitil/"14 aus. Das Parkinsonsche Gesetz beschreibt humorvoll die Beobachtung, daß der bürokratische Aufwand unabhängig von der zu leistenden Aufgabe ständig zunimmt. - Aus der Annahme, die Gesellschaft habe einen längeren Zeithorizont als Individuen, kann noch nicht geschlossen werden, daß dies für den Staat und seine Entscheidungsträger auch gilt. Je nach Zustandekommen des Entscheidungsprozesses kann der Zeithorizont sogar erheblich geringer sein (siehe hierzu Kapitel 7). - Ist der Staat der Monopolist, so werden nach Recktenwald die zu erwartenden Wohlfahrtsverluste noch übertroffen, da dessen Marktmacht absolut ist, keine Anreize zu effizientem Handeln bestehen, die Nachfragekurve unelastisch ist (lebensnotwendige Güter) und Verluste gedeckt werden. 75 - Je größer der Anteil staatlicher Aktivität in einer Volkswirtschaft, desto höher ist die Belastung der Bürger durch das öffentliche Einnahmesystem. Sowohl bei der Erzielung von Staatseinnahmen als auch bei ihrer Verwendung können die beschriebenen Ineffizienzen auftreten. - Die Fähigkeit des Staates, Schwächen des Marktes bei Abweichungen von den Idealannahmen zu kompensieren, ist auch hinsichtlieb der Einbeziehung der Interessen künftiger Generationen fraglich. Prinzipiell treten nämlich dieselben Einwände auf, die bereits bei der Übernahme der Fürsorgefunktion durch individuelle Marktteilnehmer bestehen. Darüber hinaus hätte auch im praktisch unwahrscheinlichen Fall einer völligen Priorisierung künftiger Nutzen dies seine Grenze in der heutigen Finanzierbarkeit. Es ist bereits heute klar, daß zahlreiche Umweltfunktionen auf lange Sicht hohe Nutzen versprechen, ihre Erhaltung aber heute Kosten verursacht: die Opportunitätskosten alternativer Nutzung bzw. sogar direkte Kosten zur Erhaltung (z.B. Waldpflege). Auch wenn der zukünftige Nutzen die heutigen Kosten bei weitem übersteigt, müssen die Maßnahmen heute finanzierbar sein. Beim bereits erwähnten Fehlen von Zukunftsmärkten ist dies oftmals nicht der Fall. In welchem Maße und unter welchen Bedingungen erst die Störung des Marktes durch den Staat Ursache der vorher dargestellten Marktmängel ist und diese damit durch Veränderung der Rahmenbedingungen wirtschaftlicher Tätigkeit vermieden werden können, wird ausführlich bei der Untersuchung gesellschaftlicher und wirtschaftspolitischer Rahmenbedingungen deutlich. Wir werden dort untersuchen, unter welchen Konstellationen verschiedene Formen von Ineffizienz besonders stark auftreten.
14 Recklenwald (1983), S. 458. 7S Vgl. Recklenwald (1983), S.
459.
3 .9. Zwischenergebnis
83
3.9. Zwischenergebnis Warum ist die Identifizierung von Ineffizienzen so bedeutsam für unsere Analyse nachhaltiger Entwicklung? Betrachten wir unsere Identitätsgleichung, so versteckt sich dahinter eine Zusatzbelastung durch ein höheres Sozialprodukt bzw. eine höhere Umweltintensität, der kein positiver Wohlfahrtseffekt gegenübersteht. Sozialprodukt und Umweltbelastung sind also ökonomisch und ökologisch gesehen zu hoch. Eine Korrektur derartiger Ineffizienzen erweitert also - ohne Einbußen - den Spielraum, der für die Ausweitung anthropogener Tätigkeiten im Rahmen der Umweltrestriktion zur Verfügung steht. Das Vorhandensein von Ineffizienzen hat aber auch eine äußerst interessante Implikation für die Notwendigkeit einer expliziten Festlegung eines Mindeststandards, also unserer Umweltrestriktion. Stellen wir uns vor, daß Ineffizienzen nicht bestehen, die Allokation also stets unter voller Anerkennung aller Kosten und Nutzen erfolgt. In Abhängigkeit von unterschiedlichen Präferenzen und der natürlichen Ausstattung sind dann zwar zeitlich und räumlich unterschiedliche Umweltbelastungen "optimal", diese bewegen sich aber stets innerhalb des von der Umweltrestriktion festgelegten Rahmens. Dies ist deshalb der Fall, da ja die Umweltrestriktion den für das dauerhafte menschenwürdige Überleben notwendigen Standard festschreibt und eine Verletzung dieses Rahmens quasi unendlich hohe Kosten brächte, also bei einer Nutzen-Kosten-Abwägung stets ausgeschlossen würde. Eine effizient wirtschaftende Gesellschaft würde die Rückwirkungen der Umweltqualität auf die Grundlagen menschlichen Lebens und Wirtschaftens stets vorausberechnen, entsprechend abwägen und eine absolute Gefährdung dieser Grundlagen nicht zulassen. Es gäbe dann keinen Grund, eine eigenständige Mindestrestriktion zu formulieren, da diese innerhalb der Wohlfahrtsfunktion gesichert wird. Sind Ineffizienzen nun unvermeidlich? Das Wissen um Abweichungen von den die Effizienz sichemden Annahmen bedeutet noch nicht, daß eine vollständige Internalisierung praktisch oder sogar theoretisch möglich ist. Die praktischen Hindernisse werden wir genauer untersuchen, wenn wir uns den Rahmenbedingungen widmen, die auf das Handeln von Individuen und Gesellschaften wirken. Doch auch bei bester Absicht sind einer Beseitigung der umweltrelevanten Ineffizienzen Grenzen gesetzt: Ist nämlich eine Abweichung bereits eingetreten, d.h. ist die Ausgangslage der Erreichung des Allokationsoptimums abträglich, so ist eine aktive Veränderung derselben nötig, die immer Transaktionskosten impliziert. Eine vollständige Internalisierung ist nicht optimal, da sie mit Internalisierungskosten verbunden ist. Dasaufgrund einer bestimmten Ausgangslage erzielbare "Optimum" liegt also dann an dem Punkt, wo der marginale Effizienzgewinn der Veränderung den marginalen Internalisierungskosten entspricht. 6*
84
3. Kapitel: Allokationslheoretische Herleitung der Grenzen und Spielräume
Internalisierung kann zwar die Entstehung neuer Ineffizienzen einschränken, nicht jedoch bereits eingetretene Externalitäten und die daraus folgenden Umweltschäden korrigieren, da die sie verursachenden Entscheidungsprozesse bereits abgeschlossen sind. Die Kumulation dieser Altlasten durchjede unvollständige Internalisierung ist es aber gerade, die ein Hauptproblem darstellt. Hier hilft auch das Modell der ökonomischen Theorie nicht weiter, da es die Ausgangssituation als gegeben (sunk costs) hinnimmt und nur auf der Basis dessen das optimale Ergebnis anstrebt. Der Preismechanismus und die marktliehe Allokation können die Gewährleistung "absoluter Schutzziele"76 nicht sichern. Umweltrelevante Abweichungen, wie Informationsdefizite, Bewertungsprobleme wie die Diskrepanz zwischen WTA und WfP und die mangelnde präferermuläquate Berücksichtigung künftiger Generationen sind zwar möglicherweise reduzierbar, allerdings nicht einmal aus theoretischer Sicht vollständig vermeidbar. Welche ökologischen Prozesse nun im einzelnen vor sich gehen, welches nun die "echten • Präferenzen der Individuen sind und was künftige Generationen wünschen, ist beim besten Willen nicht eindeutig zu klären. Nur ex post können wir also von Ineffizienzen aufgrund "falscher" Einschätzungen sprechen, nicht jedoch ex ante. Ströbele ist also zuzustimmen, wenn er zur Frage der intergenerationellen Gerechtigkeit meint: "Daß dabei die heutige Generation aus logischen Gründen immer der Diktator (im Guten und Schlechten) gegenüber den größtenteils noch ungeborenen künftigen Menschen ist, muß akzeptiert werden und ist Teil des Problems. "77 Darüber hinaus stößt die Verteilung gegebener Ressourcen auf verschiedene Generationen gerade dann auf rechnerische Probleme, wenn man spätere Generationen nicht benachteiligen will, also etwa Rawls-Kriterium der Gleichverteilung des Nutzens auf alle Generationen fordert78 und einen unendlichen Zeithorizont zugrunde legt: Es existiert dann nämlich keine Lösung mit Konsum für irgendeine Generation, solange man nicht von der Existenz ausreichender Substitutionsmöglichkeiten oder einer "Back-Stop"-Technologie ausgeht. Gibt es letztere, so wäre aber auch ein heutiger höherer Konsum aus Sicht der intergenerationellen Gerechtigkeit unproblematisch. 79 Das als Referenzmodell gewählte einfache neoklassische Modell war statisch, d.h. eine Standardannahme war die Zeitpunktbetrachtung. In der Realität wir-
16 Hansmeyer/Schneider (1990), S. 27.
77 Strllbele (1991), S. 151. Der Einwand Hampiclces (1991b), "unmoralische Handlungen können nicht damit gerechtfertigt werden, daß nur sie berechenbar, die moralischen dagegen unberechenbar Kien" (S. 134), mag zwar Kilte Rechtfertigung haben, ändert aber an dieKm Dilemma nichts. 78
79 Vgl. dazu Strllbele (1991), S. 153 und Endres/Quemer (1993), S. 60ft'.
3.9. Zwischenergebnis
85
ken aber umfangreiche dynamische Faktoren, es treten die etwähnten time-tags zwischen Entstehen eines Problems, Erkennen desselben, Versuch der Internalisierung und Effekt der Maßnahmen auf. Eine Maßnahme, die zum Zeitpunkt der Entscheidung optimal war, ist es zum Zeitpunkt der Umsetzung womöglich nicht mehr, da sich Rahmeobedinguogen, die die Kosten- und Nutzenverläufe bestimmen, in der Zwischenzeit geändert haben. Der Unterschied zwischen der Vorstellung vom vollkommeneo Wettbewerb und "workable competition" wird relevant; Transaktionskosten nicken in den Mittelpunkt, da ständige Anpassungen nötig wären, die aber Kosten mit sich bringen. Was aus statischer Sicht optimal sein kann, ist es nach Einbeziehung der zeitlichen Dimension und aller Wechselwirkungen aus dynamischer Sicht nicht mehr. Es besteht eine Diskrepanz zwischen statischer Allokationseffizienz und dynamischer Anpassungseffizienz. 80 Ein Paradebeispiel ist die Rolle des Wettbewerbs: Nach dem statischen Modell ergeben sich Ineffizienzen zum Beispiel daraus, daß Informationen asymmetrisch verteilt sind und Monopolpositionen bestehen, die Informationsmängel verstärken, oder zu wenig Forschung im Umweltbereich betrieben wird. Die Übetwindung dieser Informationsdefizite würde aus statischer Sicht die Schaffung vollkommener Märkte für Information und Forschungsleistung fordern. Aus dynamischer Sicht tritt dabei ein Problem auf, das wir in 3.6.2 und 3.6.3 bereits angedeutet haben: Ein Unternehmen wird nur dann ein Gut (eben auch Information oder Forschung) anbieten, wenn es dafür zumindest kurzzeitig eine Monopolrente abschöpfen kann. Dies erfordert aber vonibergehend Geheimhaltung, mangelnde Markttransparenz und Anpassungsverzögerungen, um in Schumpeters Sinne Pionierunternehmer hervorzubringen. Nicht vollständiger Wettbewerb, sondern workable competition, d.h. die Möglichkeit anfänglicher Monopolgewinne bei später einsetzeoder Erosion derselben, ist nötig. Die Internalisierung beider Marktmängel - der fehlenden Eigentumsrechte und Informationsasymmetrie/Monopolstruktur- schließt sich gegenseitig aus. Patentrechte, die zur Bereitstellung von Wissen, Forschungsleistung und bestimmten Gütern nötige Gewährleistung von Eigentumsrechten, stellen stets auch vonibergehende Monopolstellungen dar, die Informationsmängel implizieren. Ein Fehlen dieser Verfügungsrechtejedoch würde technische Entwicklung zum Stillstand bringen. Damit sind aber die in diesem Kapitel genannten Externalitäteo und ihre uneJWÜnscbte Wirkung auf die Umwelt selbst dann nicht vollständig zu internalisieren, wenn man von Transaktionskosten absieht. Dieser Konflikt zwischen der Internalisierung zweier Arten von Marktmängeln bat erbebliche praktische Relevanz in der Diskussion um geistiges Eigentum (intellectual property rights) an Ressourcen, vor allem aber an ihrem geoelll Vgl. North (1992), S. 96.
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3. Kapitel: Allokationstheoretische Herleitung der Grenzen und Spielräume
tischen Material und seiner Weiterentwicklung. Im Grenzbereich zwischen Grundlagen- und zielgerichteter Forschung bestand im Rahmen der UruguayRunde des GA'IT die USA auf der Sicherung entsprechender privater Eigentumsrechte, während dies aufgrund der Monopolstellung der Industrieländer in diesen Forschungsbereichen in der Dritten Welt auf erhebliche Widerstände stieß. Die Frage der Verteilung der Eigentumsrechte, wem also eine Pflanze und ihr genetisches Material gehört, ob dem Land, in dem sie zuerst entdeckt wurde, dem Forscher, der den genetischen Code entziffert, oder dem Industriebetrieb, der die entsprechende Forschung finanziert, rückt in den Mittelpunkt der Debatte. 81 In beiden Fällen, der Patentierung dieser Ressourcen mit den damit verbundenen Asymmetrien hinsichtlich Information und Verfügungsrechten und dem Verzicht (mit der Behinderung privater Forschung), ist mit hohen externen Nachteilen in bezug auf die Umwelt, vor allem aber auf die künftige Ernährungssituation zu rechnen. Die Einbeziehung aller möglichen Effekte verlangt überdies ein dynamisches, hochkomplexes Modell, das alle Rück- und Nebenwirkungen sowie die Diskrepanz zwischen statischer und dynamischer Effizienz einbeziehen müßte. Die neoklassische Grenmutzenbetrachtung ist wegen ihrer mikroökonomischen und statischen Natur hierzu nur unzureichend geeignet, während die klassische, makroökonomisch orientierte Theorie mit ihrem Schwerpunkt aufVeränqerung der Wirtschaft zwar dynamischer ist82, aber die Entstehung von Umweltproblemen kaum erfassen kann. Zwar gibt es Ansätze, die traditionellen statischen und komparativ-statischen Modelle mit engen Annahmen durch dynamische Modelle zu ersetzen bzw. zu ergänzen83 , ein Einfangen der Komplexität in einem Modell ist aber nicht möglich: Ein Modell, das alle Möglichkeiten berücksichtigt, ist fiir die Praxis so nützlich wie eine Landkarte im Maßstab 1: 1. Es wäre schlichtweg kein Modell mehr. Generelle Handlungsanleitungen lassen sich aus einem zu umfassenden Modell nicht ableiten, soweit ein solches über~aupt im Rahmen der menschlichen Entwicklungs-, Verarbeitungs- und lnterpretationstähigkeit liegt. Zudem bringt auch der Versuch, die Wirkung von Handlungen umfassend vorzubestimmen, Transaktionskosten mit sich, so daß wiederum die Vorteile der zusätzlichen Informationsgewinnung gegenüber den Kosten abgewogen werden müssen.
81 Die Privatisierung genetischer Ressourcen wird dadurch möglich, daß Hybridarten gehandelt werden, die keine Reproduktion der Saat durch Bauern zulaaaen. Vgl. Hartje (1986), S . 237. Zur Diakussion um Gentechnologie und der Kritik an der Verschirfung der internationalen Patentrechte vgl. Shiva (1991) und Cooper (1991). 82 Zu den grundlegenden Unterschieden zwischen neoldauischer und ldassischer Theorie vgl. Judson (1989}, S. 262ff. 83 Vgl. Barbier (1989a}, Heller (1989) und Hampicke (1992).
3.9. Zwischenergebnis
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Das unvermeidliche Auftreten von Ineffizienzen bedeutet nun, daß nicht mehr sicher ist, ob die sich aufgrund unserer Präferenzen, also gemäß unserer Vorlieben für verschiedene Wohlfahrtsziele ergebenden wirtschaftlichen Aktivitäten zu einer Umweltbelastung führen, die innerhalb des von der Natur gesteckten Spielraums liegen. Wir müssen also die sich in der Praxis aus Ineffizienz und unterschiedlichen Präferenzen ergebenden Umweltbelastungen gesondert im Auge behalten. Das Bestehen solcher Ineffizienzen macht die Verwendung der Begriffe "Optimum" und "Ineffizienz" problematisch, wenn eine First-best-Lösung nicht im Bereich des Möglichen ist. Können wir überhaupt von Ineffizienz sprechen, wenn sich die Situation nicht völlig korrigieren läßt? Eine Unterscheidung in wohlfahrtsoptimale Umweltintensität, die aufgrundvon unterschiedlichen Präferenzen variieren kann, und durch Ineffizienz überhöhte Umweltintensität ist deshalb nicht immer eindeutig zu treffen. Dies spiegelt sich auch in der Diskussion um die "Rationalität" bestimmten Verhaltens wider, etwa hinsichtlich der die Zeitpräferenzrate beeinflussenden Faktoren (vgl. Kap. 3.4). Insofern Gier, Myopie und Ungeduld als irrational gelten, ist das dadurch verursachte höhere Sozialprodukt bzw. die höhere Umweltintensität ineffizient, da externe Effekte verursachend. Wird dagegen die Präferenz der Individuen, wodurch auch immer geprägt und durch wen auch immer beeinflußt, als eigenverantwortliche, im Selbstinteresse liegende Grundlage der Entscheidung anerkannt, so sind die daraus abgeleiteten Ergebnisse zumindest aus Wohlfahrtssicht optimal. Um auf das vorher angeführte Beispiel von Böhm-Bawerk zurückzukommen: Ist nicht doch der Nutzen aus dem Genuß des Stückchens Schokolade oder der Zigarre höher als die spätere Reue? Würden Menschen denselben Fehler immer wieder begehen, wenn es ihnen nicht doch einen höheren Nutzen stiftet? Diese Fragen betreffen ganz entscheidend die Rolle des Individuums als Maßstab der Entscheidung: Ist ein Individuum fähig, selbst zu entscheiden, was für ihn das Beste ist? Oder wäre es besser (rationaler, effizienter?), für das Individuum zu entscheiden? Doch wie verhält sich die Gesellschaft als Ganzes? Wir müssen im folgenden deshalb auch diejenigen Faktoren identifizieren, die die Präferenzen der Individuen bzw. der Gesellschaft beeinflussen, da a) die Einhaltung der Umweltrestriktion nicht unabhängig von den Präferenzen automatisch gesichert ist und b) diese selbst Ergebnis vorangegangener Ineffizienzen sein können. Die Frage nach dem Entscheidungsträger und seinem Verhalten gegenüber der Umwelt wird uns vor allem im zweiten Teil dieser Arbeit begegnen. Wir können nun die Ergebnisse der ersten Kapitel wie folgt zusammenfassen:
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3. Kapitel: Allokationstheoretische Herleitung der Grenzen und Spielräume
Nachhaltige Entwicklung erfordert, daß sich wirtschaftliches Handeln innerhalb der von der Natur gesteckten Grenzen bewegt. Der Spielraum für künftige Aktivität wird dabei zum einen von den vorhandenen natürlichen Gegebenheiten determiniert, zum anderen vom bereits erreichten Belastungsniveau, das sich aus der Kombination der drei anthropogenen Faktoren ergibt: Je höher die Ausstattung an Umweltkapital, desto höher kann auch absolut gesehen die menschliche Umweltnutzung sein. Je geringer dabei die Bevölkerungsuhl, desto höheres Sozialprodukt pro Kopfbzw. Umweltintensität ist mit nachhaltiger Entwicklung vereinbar. Entsprechend gilt: Je höher die Umweltintensität, desto weniger Spielraum verbleibt für Sozialprodukt und Bevölkerungsuhl. Die Festlegung einer generell mit nachhaltiger Entwicklung verträglichen bzw. gar optimalen Höhe eines jeden einzelnen anthropogenen Faktors unabhängig von allen anderen Faktoren ist also unmöglich. 84 Ein Überschreiten der mit Nachhaltigkeil vereinbaren Grenzen wird aufgrund der Suboptimalität menschlicher Handlungen möglich. Sein tatsächliches Auftreten in Form akuter Umwelt- und Überlebensproblemen ist umso unmittelbarer und unvermeidlicher, a) je geringer der durch die Differenz zwischen Soll und Ist des Umweltkapitals gegebene Spielraum ist, b) je gravierender die Ineffizienzen sind, c) je weniger echte Präferenzen für Umweltqualität als Ziel an sich bestehen, da letztere zusätzliche Spielräume schaffen, und d) je höher die Tendenz der Ausweitung der Wirtschaftstätigkeit bzw. der Bevölkerung ist. Wir müssen im folgenden untersuchen, inwieweit diese vier Aspekte miteinander verbunden sind, sich also entweder ausgleichen oder verstärken.
84 Die in der Literatur häufig geäußerten Aussagen bezüglich "zu hoher Bevölkerungszahl", "zu hohen Konsums" oder "zu starker Inanspruchnahme der Umwelt bei der Wirtschaftalitigkeit" sind also mit Vorsicht zu betrachten, da die jeweils nicht erwähnten Determinanten als gegeben unterstellt werden.
4. Kapitel
Interdependenzen zwischen den unmittelbaren Faktoren Zur Bekämpfung akuter und zur Vermeidung drohender Umweltprobleme bieten sich neben der Erhöhung der natürlichen Regeneration aus der Betrachtung der Identitätsgleichung Anpassungen der drei anthropogenen Faktoren an: eine Begrenzung der Bevölkerung und die Verminderung der Umweltbelastung aus Wirtschaftstätigkeit durch Reduktion des Sozialprodukts oder die Verminderung der Umweltintensität Dabei empfiehlt sich eine Ausnutzung möglicher Effizienzsteigerungen, da sie eine Senkung der Umweltintensität und/oder eine Senkung des Sozialprodukts ermöglicht, ohne daß damit Wohlfahrtseinbußen hinzunehmen sind. Dieser Schluß ist allerdings nur dann zulässig, wenn sich die vier Faktoren unabhängig voneinander beeinflussen lassen, also keine negativen Rückkopplungen stattfinden, die die Zielerreichung gefährden. Treten hingegen Verstärkungsmechanismen auf, so weist dies auf die Dringlichkeit der Korrektur der entsprechenden Faktoren hin. Sind umweltrelevante Interdependenzen vorhanden, relativieren sich die unter Ceteris-paribus-Bedingungen abgeleiteten Aussagen. Derartige Wechselwirkungen spiegeln gerade die vorher beschriebene Komplexität der Zusammenhänge wider, die nicht vollständig zu erfassen ist, jedoch die Gefahr weiterer Abweichungen von nachhaltiger Entwicklung mit sich bringt.
4.1. Der Einfluß des Pro-Kopf-Einkommens auf Art, Umfang und Umweltrelevanz wirtschaftlicher Tätigkeiten Zunächst ist zu prüfen, ob sich abhängig vom bereits erreichten Umfang wirtschaftlicher Tätigkeit Unterschiede hinsichtlich der relativen und absoluten Bedeutung des Sozialprodukts1 innerhalb der Wohlfahrtsfunktion sowie hinsichtlich der Umweltintensität ergeben. Entsprechende Variationen können zum einen auf Korrelationen zwischen Sozialproduktsniveau und der Präferenz- und
1 Wenn wir der Einfachheit halber von Sozialprodukt oder Einkommen sprechen, sind zunächst Pro-Kopf-Größen gemeint. Wir unterstellen also nach wie vor in diesem Abschnin 4.1 die Konstanz der Größe Bevölkerung.
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4. Kapitel: Interdependenzen zwischen den unmittelbaren Faktoren
Angebotsstruktur und zum anderen auf die Abhängigkeit umweltrelevanter Ineffizienz von der Höhe des Sozialprodukts pro Kopf zurückzuführen sein. 4.1.1. Begriffsabkliirung "Armut"
Der Anschaulichkeit halber verwenden wir den Begriff "Armut", um eine unzureichende Höhe des Pro-Kopf-Einkommens zu charakterisieren. Einkommen ist, wie im 2. Kapitel erläutert, nicht das einzige wohlfahrtstiftende Element. Jedoch ist das aggregierte Sozialprodukt insofern notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung für Wohlergehen, als es die Erfüllung anderer Wohlfahrtsaspekte fördert. Untersuchungen bestätigen diesen Zusammenhang zwischen Einkommen und anderen Indikatoren der Lebensqualität wie Bildung, Ernährung und Gesundbeit. 2 In diesem Sinne kann Armut durch die Verfügbarkeil von Einkommen ausgedrückt werden, obwohl auch mangelhafte Versorgung mit anderen Wohlfahrtskomponenten Armut konstituiert. Wir wollen also Armut als eine Einkommenssituation interpretieren, bei der "ein Mensch oder eine Gruppe von Menschen (z.B. Familie) nicht mehr oder gerade noch in der Lage ist, seine bzw. ihre zur langfristigen physischen Existenz notwendigen Bedürfnisse zu stillen, die für die psychische Stabilität unbedingt erforderlichen Dinge (z.B. Kleidung) besitzt, sowie die Handlungen vornehmen kann, die für das Leben in dem ihn bzw. sie unmittelbar umgebenden engeren Kulturkreis erforderlich sind. "3
Die Verwendung des Begriffs Armut als ein unter einem bestimmten Schwellenwert befindliches Einkommensniveau weist bereits auf zwei unterschiedliche Aspekte des Faktors Pro-Kopf-Einkommen hin: einen individuellen und einen gesellschaftlichen Aspekt. Daß eine Gesellschaft ein durchschnittliches ProKopf-Einkommen aufweist, das über dem Armutsniveau liegt, deutet zwar auf das Vorhandensein einer bestimmten Gesamtausstattung hin, bedeutet aber noch nicht die Abwesenheit von Armut auf individueller Ebene. Einzelne Individuen können nach wie vor unterhalb der Armutsgrenze leben. Diese Unterscheidung hat nun eine ganz erhebliche Implikation, sollte sich in der folgenden Untersuchung eine Abhängigkeit der Umweltintensität nicht nur vom Ausmaß der Höhe des Durchschnittseinkommens, sondern auch vom Auftreten individueller Armut ergeben: Das Kriterium der Verteilung des Volkseinkommens würde dann zum effizienzrelevanten Faktor, seine Bedeutung kann also ohne Rückgriff auf moralische Gründe gerechtfertigt werden.
2 Vgl. Baudsta
(1992), S. 15 und Stem (1989), S. 666f. 3 Tschier.sch u.a. (1984), S. 36. Oftmals wird dabei derzur Aufrechterhaltung einer ausreichenden Ernährung notwendige Kalorienbedarfund die dazu notwendige Einkommelllhöhe als Grenze absoluter Armut herangezogen, so bei Adelman (1986), S. 49 und Baulista (1992), S. 11.
4.1. Der Einfluß des Pro-Kopf-Einkommens
91
4.1.2. Absolute und relative Bedeutung des Sozialprodukts f"ür die Wohlfahrt
Eine erste Überlegung gilt der Frage, ob und in welchem Maße das Niveau des Sozialprodukts die Intensität der in Kapitel 2.3.2 dargestellten Korrelation zwischen Sozialprodukt und Wohlfahrt determiniert. Es ist einleuchtend, daß das in einer Periode erzielte Sozialprodukt in direktem Zusammenhang zum Sozialprodukt der Vorperiode steht: Erstens limitiert die Verfügbarkeil von Produktionsfaktoren die absolute Höhe des erreichbaren Sozialprodukts. Einer dieser Faktoren, Kapital, ist dabei unmittelbar eine Funktion des Einkommens vergangener Perioden. Der Autbau eines Kapitalstocks ist nämlich nur durch Konsumverzicht möglich, erfordert also Sparen eines bestimmten Teils früheren Einkommens. 4 Die Ausgangslage, d.h. das Einkommen vergangener Perioden und die dabei erreichte Kapitalbildung, determiniert also die Produktivkraft einer Volkswirtschaft. Zweitens ist bei einem hohen Ausgangsniveau wirtschaftlicher Tätigkeit zur Beibehaltung des materiellen Lebensstandards ein höheres absolutes Sozialprodukt nötig als bei geringerem Ausgangsniveau. Die Erhaltung des Kapitalbestands zur Bereitstellung desselben oder erhöhten Konsums zehrt dabei selbst einen Teil des Bruttosozialprodukts auf, was als Abschreibungen für Kapitalgüterverzehr in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zum Ausdruck kommt. Ein hohes Ausgangsniveau an Sozialprodukt erfordert und ermöglicht also ein zumindest ähnliches Niveau in der Folgeperiode. Während dies begründet, warum das bereits erreichte Entwicklungsniveau die künftige Umweltbelastung über die absolute Höhe des Sozialprodukts zwangsläufig mit vorbestimmt, ist nun zu fragen, ob die relative Bedeutung des Sozialprodukts innerhalb der Wohlfahrtsfunktion vom bisher erreichten Soziaiproduktsniveau abhängt. Wie stark ist das Bestreben, über eine Ausweitung des Sozialprodukts eine Wohlfahrtssteigerung zu erzielen? Eine Abhängigkeit der Korrelation zwischen Wohlfahrt und Sozialprodukt von der Höhe des Sozialprodukts kann durch eine entsprechende Interpretation der Bedürfnishierarchie von Maslow begründet werden: Demnach sind verschiedene Klassen von Bedürfnissen nach ihrer Dringlichkeit zu unterscheiden: "1. Physiologische Bedürfnisse (Essen, Trinken, Kleidung, Wohnung), 2. Sicherheitsbedürfnisse (Schutz vor Unvorhersehbarem), 3. Soziale Bedürfnisse (Streben nach Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit), 4. Wertschätzungsbedürfnisse (Wunsch nach Anerkennung und Achtung) und S. Selbstverwirklichung. "5
4 Vgl. Neumonn (1983), S. 13f.
5 Reclaenwald (1987), S. 60f.
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4. Kapitel: Interdependenzen zwischen den unmittelbaren Faktoren
Im Rahmen der ihnen zur Verfügung stehenden knappen Mittel wählen Individuen zunächst die zum Überleben wichtigen Grundbedürfnisse der ersten beiden Stufen aus und erst nach überwiegender oder völliger Befriedigung derselben äußern sich andere Bedürfnisse auch in tatsächlichem Bedarf. 6 Betrachten wir die verschiedenen Bedürfnisarten der Maslowscben Bedürfnishierarchie, so impliziert die Befriedigung der Bedürfnisse der unteren Stufen unmittelbar materiellen Konsum, setzt also die Bereitstellung von Sozialprodukt zwingend voraus. Dagegen stellen die höheren Stufen Bedürfnisse dar, die zunehmend immaterieller bzw. qualitativer Art sind. Diese Abnahme der relativen Bedeutung materieller Komponenten bestätigt auch die Theorie des postmaterialistischen Wertewandels, die lnglehart in die Diskussion gebracht und empirisch unterlegt hat. 7 Demnach folgt mit der Deckung von Grundbedürfnissen mit zunehmendem Entwicklungsstand ein Wandel von materialistischen zu postmaterialistischen Werten, zu denen etwa politische Rechte, soziale Umgangsweisen und Kreativität zählen. Damit sei nicht gesagt, daß zur Befriedigung der Bedürfnisse der höheren Stufen keine materiellen Güter nötig oder möglich sind: Auch Sicherheitsbedürfnissen wird durch Vorkehrungen wie Bewaffnung, Bewachung oder entsprechende Ausgestaltung der Umgebung (Umzäunung, Safes) bzw. Pufferlager zum Schutz vor unvorbersebbaren Verlusten entsprochen. All dies impliziert materiellen Bedarf. Soziale Bedürfnisse und das Streben nach Anerkennung können je nach gesellschaftlieben Rahmenbedingungen und persönlichen Umständen zwar durch intangible Faktoren (Zuneigung, Anerkennung sozialer Leistungen) und Inanspruchnahme verhältnismäßig wenig materialaufwendiger Dienstleistungen befriedigt werden. Dennoch sind materielle Komponenten, die Macht repräsentieren, Anerkennung oder Neid erzeugen, zur Sicherung des gesellschaftlieben Status nicht bedeutungslos. Nicht einmal Selbstverwirklichung ist von materiellem Einsatz völlig frei: Die Liebe zur Kunst erfordert Gütereinsatz, das Genießen der Ästhetik oder der Natur ist leichter möglich, wenn man sieb den Flug (Materialeinsatz!) und den Aufenthalt in der Südsee leisten kann. Bildung bedarf einer Infrastruktur (Schulen, Bibliotheken}, die ganz offenkundig materieller Art ist. Die in der Realität beobacbtbare fortdauernde materielle Orientierung ändert aber nichts an der Tatsache, daß sieb von Stufe zu Stufe, also mit zunehmen-
6 Gegen diese Sicht wendet sich Balasubramaniam (1985), der arunerlct, daß die höhere Dringlichkeit von materiellen Bedürfnissen nicht die Vernachlässigung anderer Bedürfnisse implizieren dürfe (S. 78f). Dagegen ist einzuwenden, daß die Maslowsche Hierarchie eine positive Erklärung darstellt, während Balasubrarnaniam dessen normative Implikation kritisiert. 1 Vgl.lnglehart (1977), (1982) und Hobbensiejken (1991), S. 23-29.
4.1. Der Einfluß des Pro-Kopf-Einkommens
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dem Anwachsen des Güterberges, die Möglichkeit, zwischen materiellen und immateriellen Komponenten mr Befriedigung der Bedürfnisse m wählen, erhöht. Während bei niedrigem Sozialproduktsniveau und damit bevormgter Befriedigung von Bedürfnissen der ersten Stufe stets eine hohe materielle Komponente gewählt werden muß, die kaum durch immaterielle Faktoren substituiert werden kann, trifft dies für höheres Sozialproduktsniveau und damit höhere Bedürfnisstufen nicht zwangsläufig m. Armut bedeutet nun, daß materielle Grundbedürfnisse noch nicht befriedigt sind und deshalb eine starke Präferenz für eine Ausweitung des Sozialprodukts besteht, was auch als hohe Korrelation zwischen Sozialprodukt und Wohlfahrt interpretiert werden kann. Die hohe Priorität armer Länder für eine Ausweitung des Güterberges spiegelt sich in höheren Diskontsätzen (real am Kreditmarkt und implizit bei der Bewertung von Nutzen und Kosten) wider, da die gesellschaftlichen Opportunitätskosten und die potentiellen (erhofften) Erträge heutiger Investitionen entsprechend hoch sind. 8 Daraus folgt unmittelbar, daß in Ländern mit geringem Einkommensniveau eine Reduktion des Sozialprodukts mr Begrenmng der Umweltbelastung relativ höhere Wohlfahrtseinbußen verlangt als in Volkswirtschaften mit höherem Einkommensniveau, da die Befriedigung von Bedürfnissen, die nicht unbedingt eine Erhöhung des Sozialprodukts verlangen, etwa Selbstverwirklichung, Friede, Freiheit und politische Mitsprache, in letzteren starke Priorität genießt. 4.1.3. Die Umweltintensitit der Nachfrage
4.1.3.1. Indirekte Wirkung der PriJferenzrtrukJur Aus der Maslowschen Bedürfnishierarchie bzw. der Theorie vom postmaterialistischen Wertewandel läßt sich nicht nur eine starke relative Bedeutung materieller Güter für die Wohlfahrtsempfindung bei geringem Sozialprodukt und damit eine Aussage hinsichtlich der m erwartenden künftigen Umweltbelastung ableiten. Vielmehr ergeben sich daraus Hinweise auf die Umweltintensität in Abhängigkeit vom Ausgangsniveau. In Kapitel 2.3.1 hatten wir die Beziehung zwischen Sozialprodukt und Umwelt dargelegt und betont, daß ceteris paribus eine Erhöhung des ersteren eine msätzliche Umweltbelastung impliziert. Wir hatten ebenso angedeutet, daß unterschiedliche Elemente des Sozialprodukts unterschiedlich hohe U mweltbelastungen mit sich bringen. Dies hängt mm einen damit msammen, daß der für
8 Vgl. Pearce /Turner (1990), S. 224.
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4. Kapitel: Interdependenzen zwischen den unmittelbaren Faktoren
die Erstellung einer Gütereinheit nötige Ressourcenbedarf differiert, zum anderen aber auch damit, daß das Sozialprodukt ja bewertete Güter erfaßt. Die neoklassische Grenznutzentheorie unterstellt, daß es letztlich individuelle Präferenzen und Knappheilen sind, die den Wert eines Gutes ausmachen, nicht allein Arbeitskraft, wie die marxistische Theorie, aber auch Smith und Ricardo unterstellten, die Produktionskosten, woraus Neo-Ricardianer wie Sraffa den Wert ableiten, oder der reine Energiegehalt, wieneuere Ansätze der ökologischen Ökonomie betonen. 9 Das Beispiel eines Kunstwerks verdeutlicht dies recht anschaulich: Der Wert eines Gemäldes beruht in erster Linie auf seiner Seltenheit und dem Sozialprestige, das der erhält, dem dieses Bild gehört; der Material- oder Energiewert des Kunstwerkes selbst (Leinwand, Rahmen und Farbe) ist gering, ebenso wie die reine Arbeitskraft des Künstlers- ausgedrückt etwa im Kalorienbedarf während seiner Arbeitszeit - vernachlässigbar ist. Der Umweltkapitaleinsatz pro Werteinheit ist bei einem Picasso oder Van Gogh relativ gering. Anband dieses Beispieles können wir auch die Relevanz der Maslowschen Bedürfnishierarchie für die Umweltintensität erläutern: Der Erwerb eines Kunstwerks befriedigt vor allem Bedürfnisse nach sozialer Anerkennung bzw. Selbstverwirklichung; seine Funktion als Möbel- oder Dekorationsstück ist untergeordnet. Wir haben es hier also mit einem Fall zu tun, in dem die Befriedigung von Bedürfnissen höherer Ebenen zwar mit einem hohen Einkommenseinsatz, aber mit relativ geringer Umweltintensität verbunden ist. Es ist nun weiterhin plausibel, daß Menschen mit noch unbefriedigten Grundbedürfnissen mit den ihnen zur Verfügung stehenden knappen Mitteln solche Waren und Dienstleistungen erwerben, die überwiegend die grundlegenden Bedürfnisse decken. Die gleichzeitige Befriedigung übergeordneter Bedürfnisse ist von geringerer Priorität, sobald dies zusätzliches Einkommen aufzehrt. Dies bedeutet, daß Güter beschafft werden, deren Wert eng mit dem Materialbedarf und der unmittelbaren Arbeitszeit verbunden ist, die jedoch keine hohen immateriellen Wertkomponenten besitzen. Der Wert eines Kleidungsstücks eines Wohlhabenden enthält in deutlich stärkerem Maße Komponenten, die nicht den Materialwert oder die Arbeitskraft, sondern Faktoren wie Kreativität, Exklusivität und soziales Prestige widerspiegeln. Die Umweltkapitalnutzung pro Sozialproduktseinheit ist deshalb geringer, da die auf die letztgenannten Faktoren zurückzuführende Werterhöhung keinen oder nur geringen zusätzlichen physischen Materialeinsatz erfordert.
9 Vgl. Judson (1989). Die "embodied energy"-Theorien stehen der Neo-Ricardianischen Sicht nahe, da Wert bestimmten Objekten innewohnt und nicht von Menschen zugewiesen wird, wie es die Grenznutzentheorie unterstellt.
4.1. Der Einfluß des Pro-Kopf-Einkommens
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Generell ist die Bereitstellung von Basiselementen der Lebensqualität umweltintensiver als zusätzliche Güter- und Dienstleistungseinheiten bei schon bestehender Infrastruktur. In der Literatur werden diese grundlegenden Einrichtungen der Infrastruktur wie Energie, Straßen, Kommunikationseinrichtungen undWasserver-und -entsorgung als "social overhead capital" 10 bezeichnet. Ihre Bereitstellung weist aus statischer Sicht einen hohen Kapitalkoeffizienten auf, ist aber nötig, um langfristig eine effiziente Produktion zu ermöglichen. Niclrum bestätigt diese These in seiner Studie zur Wasserverknappung dahin gehend, daß dem Faktor "grundlegende Verbesserung des Lebensstandards" (Spültoilette, Bademöglichkeit, Änderung der Ernährungsgrundlage und Energiesteigerung) sogar ein höherer Erklärungsbeitrag zur Erklärung der Umweltproblematik in Zusammenhang mit diesem Medium zukommt als etwa dem Bevölkerungswachstum. 11 Ähnliche Tendenzen lassen sich auch für die Grundausstattung im Transport- und Kommunikationsbereich oder bei Dammbauten und Kraftwerken folgern. Die Abnahme der unbedingt nötigen materiellen Komponente von Bedürfnisstufe zu Bedürfnisstufe bedeutet also nicht nur eine zunehmend geringere Priorität für weitere Sozialproduktssteigerungen, sondern vor allem eine geringere Umweltintensität derselben aufgrundder höheren Dienstleistungs- bzw. immateriellen Komponente im Sozialprodukt. Es gibt aber auch Tendenzen, die den hier unterstellten Zusammenhang abschwächen bzw. sogar umkehren können: Mit steigendem Wohlstandsniveau werden auch Bedürfniskomponenten bedeutsam, die mit hoher Umweltintensität befriedigt werden. In einem Kommentar zum Verbraucherverhalten führt Schaefer Beispiele extremer Energienutzung bei hohem Wohlstandsniveau an: "So führt das Streben nach Unabhängigkeit von Nachbarn zu dem Wunsch nach freistehenden Gebäuden, individuelle Gestaltungsfreiheit setzt große Wohnflächen voraus, und Exklusivitätsdenken läßt den Wunsch nach einem beheizten Wintergarten wachwerden." 12 Der Autor begründet derartiges Handeln mit Bequemlichkeit, Desinteresse und Unkenntnis und bezeichnet es als irrational. Letzterem müssen wir widersprechen. In Kapitel 3 galt als Bedingung für die Bezeichnung der Myopie als irrational, daß die Handlung später bereut wird. Dies trifft hier so lange nicht zu, wie das betreffende Individuum nicht über seine Verhältnisse lebt. Die oben genannten Beispiele und ihre Hintergründe sind Teil menschlicher Bedürfnisse. Was Schaefer Desinteresse nennt, kann darauf beruhen, daß der Zeitauf-
10 Vgl. Zuvekas (1979), Kap. 6 und S. 38. 11 Vgl. Niclcum (1990), S. 23f. 12 ScluJejer (1992), S. 51f.
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4. Kapitel: Interdependenzen zwischen den unmittelbaren Faktoren
wand, um eine umweltschonendere Alternative zu ermitteln, als zu hoch angesehen wird. Gerade bei einem hohem Einkommensniveau und entsprechend hohem Grenzprodukt der Arbeit kann Zeit in anderer Verwendung nutzbringender eingesetzt werden. Ähnliches gilt, wenn eine starke Präferenz für Freizeit einen höheren Bedarf an zeitsparenden Hilfsmitteln (Küchenmaschinen, Wegwerfartikel, Fertigprodukten) nach sich zieht. Das Verhalten ist aus individueller Sicht völlig rational, obgleich sich daraus im konkreten Fall die Beibehaltung einer hohen Umweltintensität ergeben kann. Der gleiche Effekt tritt auf, wenn auch bei hohem Einkommensniveau noch eine hohe Nachfrage nach materiellen Gütern vorhanden ist, ein Sättigungseffekt also hinausgezögert wird. Der entscheidende qualitative Unterschied dieser potentiellen positiven Korrelation zwischen Umweltintensität und Einkommenshöhe und der vorher unterstellten negativen Korrelation zwischen beiden Faktoren besteht darin, daß bei auftretenden Ineffizienzen - und nur dann ist die hohe Umweltintensität ja ein Problem- durch Internalisierung der Externalitäten eine Verhaltensanpassung bei ersterem Fall in Richtung auf eine Umorientierung der Zusammensetzung des Sozialprodukts erfolgen kann, während im Fall der Armen eine Umorientierung aufgrund der mangelnden Befriedigung dringender Grundbedürfnisse nicht ohne erhebliche Wohlfahrtseinbußen möglich ist.
4.1.3.2. Direkle Nachfrage nach UmweltqualitiJt Aus den beiden vorangegangenen Abschnitten folgt die Abhängigkeit der direkten Nachfrage nach Umweltqualität (sog. environmental amenities wie saubere Luft, sauberes Wasser, Ruhe, Artenvielfalt) vom verfügbaren Einkommen. Ab einem bestimmten Einkommen übersteigt der aus besserer Umweltqualität erzielte Grenmutzen den Grenmutzen aus Konsum, da dieser bei zunehmender Befriedigung konventioneller Konsumgüter abnimmt. 13 Demnach ist bei höherem Sozialproduktsniveau die Einkommenselastizität der Nachfrage nach Umweltqualität hoch und nach Gütern des täglichen Bedarfs gering. Bei geringem Sozialproduktsniveau ist dagegen die Einkommenselastizität der Nachfrage nach Umweltqualität gering und nach Basisgütern hoch. 14 Auch hieraus ergibt sich eine geringere relative Wertschätzung für Umwelt und damit zum einen eine höhere Umweltintensität der Nachfrage, zum anderen aber auch eine stärkere Priorität für Güter bei geringer Höhe des Sozialprodukts.
13 Vgl. Walter(1915), S. 19, Rauscher(1992), S. 186 und Blaclchurst/Subramaniam(1992), S. 266 (FN 9).
14 Vgl. Oaapmon/Barker (1991), S. 724.
4.1. Der Einfluß des Pro-Kopf-Einkommens
97
Auch die Berücksichtigung des intertemporalen Aspekts verstärkt diese Tendenz: Ein Armer wird nicht nur stärkere Präferenz für Güter des Grundbedarfs haben, er wird deswegen auch eine höhere Präferenz für heutigen gegenüber späterem Konsum besitzen, da ihm das Potential zum Konsumverzicht, nämlich nicht unbedingt heute benötigtes Einkommen, fehlt. Er legt also seinen Entscheidungen eine höhere Zeitpräferenzrate zugrunde. 4.1.4. Die Umweltintensität des Angebots Es gibt also einige Anhaltspunkte, um aufgrund der Nachfrage eine hohe Umweltintensität bei geringem Einkommensniveau zu unterstellen. Trifft eine ähnliche Aussage auch für das Güterangebot zu, weist die einzelwirtschaftliche Produktion also in Abhängigkeit vom Ausgangsniveau unterschiedliche Umweltintensität auf? Die Stärke des Zusammenhangs zwischen Output und Umweltbelastung hängt bei gegebener Produktionsweise davon ab, welche Produktionsfunktion zugrunde gelegt wird. Die häufig getroffene Annahme konstanter Skalenerträge und daraus abgeleitet konstanter Verschmutzungskoeffizienten, was letztlich konstante Umweltintensität impliziert, ist angesichts der "typische[n] Nichtlinearitäten"15 ökologischer Zusammenhänge unwahrscheinlich. Doch auch die Annahme progressiv steigender Umweltbelastung, wie sie Siebert für plausibel hält16, kann nicht automatisch übernommen werden. Welche Skalenerträge insgesamt zu erwarten sind und wie sich diese auf die Umweltintensität auswirken, scheint von konkreten technischen und ökologischen Umständen abzuhängen und variiert deshalb u.a. in Abhängigkeit davon, ob die Umweltbelastung primär auf die fixen oder die variablen Komponenten der Produktion zurückzuführen ist. Allerdings lassen sich in Abhängigkeit vom Entwicklungsstand erhebliche Unterschiede in der generellen Produktivität sowie in der Fähigkeit zur Änderung der bislang als konstant angenommenen Produktionsweise, also technischem Fortschritt, feststellen: Zunehmende Umweltbelastung bei steigendem Sozialprodukt kann nämlich dadurch vermieden werden, daß sich über Verbesserungen in der Produktionsweise höhere Produktivität in geringerer Umweltintensität niederschlägt. Steigeode Produktivität beruht auf Erfahrung, dem Vorhandensein von Innovationsfähigkeit sowie Mitteln zur Entwicklung und Durchführung technischer Veränderungen. Alle drei Faktoren hängen eng vom bereits erreichten Umfang der Wirtschaftstätigkeit ab. Erfahrung ist eine Funk15 Frey (1985}, S. 29. 16 Vgl. Kap. 2.3.1. 7 Stenge!
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4 . Kapitel: Interdependenzen zwischen den unmittelbaren Faktoren
tion der Zeit und des Umfangs bestimmter Tätigkeiten: Je länger und umfangreicher bestimmte Prozesse durchgeführt werden, desto eher und stärker stellen sich Ersparnisse ein (Lern- bzw. Erfahrungskurve). Darüber hinaus setzt Innovation das Vorhandensein entsprechenden Wissens voraus, wiederum eine Funktion der Erfahrung mit bestimmten Problemen und vorhandener Mittel. Der Aufbau von Kapitalstock, der auf gespartem Einkommen früherer Perioden basiert, ist dazu essentiell. Je umfangreicher und ausgereifter eine Volkswirtschaft ist, desto mehr Erfahrung und technisches Wissen steht ihr im allgemeinen zur Verfügung. 17 Leistungs- bzw. produktivitätssteigemde Faktoren, wie die Ausnutzung der Skalenerträge bei höherem Grad der Arbeitsteilung, der allgemeine und fachspezifische Bildungsstand, Management, Arbeitsorganisation, Infrastruktur und Hilfsmittel, werden umso weniger vorhanden sein, je geringer die Ausgangsausstattung mit Sozialprodukt ist, was auf eine niedrigere Gesamtproduktivität aller Produktionsfaktoren und über diesen Effekt höhere Umweltintensität bei geringem Einkommensniveau hindeutet. 18 Nach Leibenstein besteht überdies ein Zusammenhang zwischen dem Konsumniveau (v .a. der Ernährung) und der Leistungsfähigkeit und damit der Arbeitsproduktivität bei gegebenem Faktorverhältnis. 19 Während also im allgemeinen eine Steigerung der Arbeitsproduktivität noch nicht per se als Steigerung der Gesamtproduktivität und damit als relative Verminderung der Umweltbelastung zu interpretieren ist, da diese auch auf Substitutionsvorgänge und daraufhin steigende Faktorproduktivität bei sinkendem Faktoranteil zurückgeführt werden könnte20, wäre in diesem von Leibenstein erwähnten Fall eine Verbesserung der Arbeitsproduktivität nicht auf veränderte Faktoranteile, sondern tatsächlich auf erhöhte Produktivität durch bessere Ernährung zurückzuführen. Eine Abhängigkeit der Umweltintensität vom Ausgangsniveau des Sozialprodukts läßt sich aber nicht nur über die Frage der Produktivität ableiten, sondern auch direkt aus der Ausstattung mit Produktionsfaktoren. Ein geringes Sozialprodukt ist nämlich ein Indikator dafür, daß eine geringe Ausstattung mit Sacbkapital vorbanden ist, da der Aufbau des Kapitalstocks Ersparnisse frü-
17 Vgl. PfeiJferu.a. (1982), S. 35-38 und Krugman lObstfeld (1991), S. 150f. Aufdiese Korrelation zwischen Produktivitätasteigenang und dem Umfang der Produktion veiWeist auch Swedish Ministry (1992), S. 460.
IS Vgl. ESCAP (1991), S. 91 und Stem (1991), S. 128. 19 Vgl. Stem (1989), S. 657 und Adelman (1986), S. 62f. 20 Von 1950 bis 1986 verdreifachte sich der Output der verarbeitenden Industrie in den USA bei Verdreifachung des Energie- und Vervierfachung des Kapitaleinsatzes sowie der bloßen Erhöhung des Faktors Arbeit um ein Drittel. Die jeweiligen Faktorproduktivitäten entwickelten sich also äußerst unterschiedlich, wobei eine extreme Erhöhung der Arbeitsproduktivität mit der Substitution dieses Faktors durch die Faktoren Kapital und Energie einherging. Vgl. Renner (1991), S. 11f.
4.1. Der Einfluß des Pro-Kopf-Einkommens
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heren Sozialprodukts voraussetzt. Dagegen ist der Umfang der zur Verfügung stehenden Arbeitskraft zunächst von der allgemeinen Bevölkerungsentwicklung und nicht von der Höhe des SOzialprodukts abhängig, ebenso wie die Ausstattung an Umweltkapital primär von der natürlichen Verfügbarkeil abhängt. Folgendes läßt sich daraus schließen: Zunächst ist infolge der geringen Anfangsausstattung an Kapital sein Anteil an der Produktion eines Gutes geringer (geringer Kapitalkoeffizient), der Anteil der beiden anderen Faktoren Arbeit und Umwelt dagegen höher. Zwei Implikationen sind also möglich, mit für die Frage der Umweltintensität völlig unterschiedlichen Konsequenzen:
In noch unterentwickelten Volkswirtschaften werden die erzeugten Güter (Nahrung, Kleidung) eher arbeitsintensiv hergestellt. 21 Erst mit zunehmender Höhe des Sozialprodukts wird der Produktionsfaktor Arbeit durch Kapital und den damit einhergehenden Einsatz von Umweltkapital (kommerzielle Energie, Material, Abfall) substituiert.22 Folgt man der These, daß ein materialintensiv erzeugtes Gut eine höhere Umweltintensität aufweist als die arbeitsintensive Produktion desselben Gutes23 , so ergibt sich daraus eine geringere Umweltintensität der Produktion bei geringerer Höhe des Sozialprodukts, was den Ergebnissen der Nachfrageseite zuwiderlaufen würde. Die Gültigkeit dieser These kann aber durch die zweite Möglichkeit begrenzt oder gar umgekehrt werden: Es ist zu bedenken, daß bei geringer Kapitalausstattung das entsprechende Gut zwar arbeitsintensiv erzeugt werden kann, aber je nach Ausstattung an Arbeit und Kapital und den Faktorkosten auch mit hohem Anteil an Umweltkapital im Verhältnis zu den anderen Produktionsfaktoren, also höherer relativer Umweltintensität. 24 Dies ist der Fall, wenn mangels Alternativen eine intensive Nutzung von Boden, Wasser, Holz bzw. der Aufnahmefähigkeit der Natur (durch den Ersatz des Kapitalguts wFilter" durch das Umweltgut wdirekte Aufnahme von Schadstoffen") erfolgt.
21 Dies folgt aus dem Rybczynski-Theorem, wonach bei "Erhöhung des Angebotes an Arbeit (Kapital) und einem gegebenen Güterpreisverhältnis die Produktion des arbeitsintensiv (kapitalintensiv) erzeugten Gutes steigt, während die des anderen Gutes tillt" (Neumann (1982a), S. 187). 22 Vgl. Renner (1991), S. 10f. 23 So wird argumentiert, die EnergieeffiZienz traditioneller Subsistenz-Landwirtschaft, u.a. der shifting cultivation, sei der modernen Landwirtschaft weit überlegen: Während erstere bis zum 20fachen des eingesetzten Inputs wiedergewinne, verbrauche letztere pro Brennwerteinheit erzeugter Nahrung bis zur zehnfachen Menge an Energie (vgl. Colüns/Sayer/Whitmore (1991), S. 30, Rees (1991), S . 23, Fritsch (1993), S. 129 und Baker (1984), S. 55). Ebenso sei nach Rees (1991) ein Fußginger oder Radfahrer dem Auto an EnergieeffiZienz überlegen, da letzteres "represents only a fraction ofthe energy and material (typically 25 metric tons) that has been permanently dissipated as pollution in the manufacturing process" (S. 23, Fußnote 10). 24 Hier sei nochmals auf die Unterscheidung zwischen Umweltintensität und relativer Umweltintensität verwiesen. 7*
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4. Kapitel: Interdependenzen zwischen den unmittelbaren Faktoren
Darüber hinaus leuchtet ein, daß die These von der Effizienz des nicht von Kapitaleinsatz unterstützten Produktionsfaktors Mensch zwar fiir sich betrachtet zutreffen mag, aber eben nur eine äußerst geringe absolute Outputmenge zuläßt. Gerade der Vergleich zwischen traditioneller und moderner Landwirtschaft sollte deutlich machen, daß erstere zwar möglicherweise pro Outputeinheit (in Kalorien gemessen) wesentlich weniger kalorischen Input verwendet, dafiir aber nur eine geringe absolute Produktionsmenge erlaubt. Ist diese nicht ausreichend, besteht also nach unserer Definition Armut, etwa weil andere Faktoren (Bevölkerungsdichte oder steigende Ansprüche) einen höheren Output fordern, so ist die notwendige Outputsteigerung mit Intensivierung des Arbeitseinsatzes nicht mehr zu bewältigen, die oben erwähnten Produktivitätsmängel bei geringem Sozialprodukt schlagen dann voll zu Buche. Auch die Behaup... tung, das Fahrrad sei effizienter als das Auto, verliert seine Aussagekraft, wenn man die Limitationen hinsichtlich Geschwindigkeit, Dauerbetrieb und Zeitersparnis einbezieht. Welcher Effekt schlägt nun in der Realität durch? Dem Effekt, daß die Umweltintensität bei sehr geringem Einkommen aufgrund der Arbeitsintensität der Produktion relativ geringer ist, kommt vor allem dann Bedeutung zu, wenn kein unmittelbarer Druck zur Steigerung des Outputs besteht, Umweltkapital kein limitierender Faktor ist und Industrie noch keine Rolle spielt. Empirische Belege stützen aber die These von der höheren Energieintensität bei geringem im Vergleich zu höherem Sozialproduktsniveau, sobald Industrialisierung und eine Ausweitung des Sozialprodukts einsetzen: "Um eine Einheit ihres Sozialprodukts herzustellen, benötigen die Chinesen knapp neunmal soviel Energie wie die Westdeutschen, die Argentinier dreimal, die Inder, Mexikaner und Venezolaner bis viermal soviel" 25 • Der hier dargestellte Zusammenhang ist selbst im nichtindustriellen Bereich zu beobachten: Die durchschnittliche Mahlzeit in Afrika wird mit etwa der fiinffachen Energiemenge eines europäischen Essens gekocht. 26 Hier wird offenkundig der Mangel an Kapitalausstattung in Form effizienter Öfen nur zum Teil durch Mehrarbeit, insbesondere der brennholzsammelnden Frauen, in erster Linie aber durch den Rückgriff auf vorhandenes Umweltkapital substituiert. Höhere Energieintensität ist nicht automatisch gleichzusetzen mit höherer Umweltintensität, da die Umweltbelastung durch Erzeugung und Verbrauch bei
25 Loske / Vorholz (1992), S. 54. Vgl. auch Fritsch (1993), S. 126-133. An dieser Stelle wird nochmals darauf hingewiesen, daß der Entwicklungsstand nur eine, nicht aber die einzige Detenninante der Energieintensität ist, was die erbeblichen Unterachiede im Energieverbrauch zwischen den USA, Europa und Japan verdeutlichen. Diese liegen vor allem an der unterachiedlichen Preisbildung für Energie bzw. der Verfügbarkeil eigener Quellen (vgl. die Ausführungen zum Ressourcenparadox in Abschnitt 4.4.2). 26vgl. Baueri/Uing(1992), S. 12.
4.1. Der Einfluß des Pro-Kopf-Einkommens
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verschiedenen Energiequellen erheblich differiert. Allerdings sind Entwicklungsländer gerade dadurch charakterisiert, daß sie aufgrund veralteter Technologie, fehlender Umweltschutzvorkehrungen wie Filtern oder- wie im Falle Chinas - wegen der Verwendung besonders umweltbelastender Energiequellen wie Kohle oder Holz eben zugleich auch besonders umweltintensive Energieerzeuger sind. 27 Die Erfahrung der Industrieländer zeigt, daß im Zeitablauf, d.h. mit zunehmender Entwicklung, nicht nur der Energieverbrauch, sondern auch die Schadstoffemissionen in geringerem Maße zunehmen als das Sozialprodukt, zuweilen sogar absolut sinken.28 Die Grundtendenz scheint also sowohl im Ländervergleich als auch in der Zeitanalyse hinsichtlich eines Landes zu gelten. Zwar unterliegen die vorangegangenen Aussagen neben dem hier erwähnten gegenläufigen Effekt der Einschränkung, daß die Umweltintensität auch von anderen Faktoren, etwa der natürlichen Ausstattung, der Verfügbarkeil anderer Produktionsfaktoren wie Arbeit und der Präferenzstruktur und den später noch zu betrachtenden Rahmenbedingungen abhängig ist, so daß wir empirische Daten mit Vorsicht betrachten müssen. Dennoch scheinen die Argumente zu überwiegen, die die These stützen, daß im Nettoeffekt auch auf der Angebotsseite die Stärke der Abhängigkeit zwischen Sozialprodukt und Umweltintensität mit steigendem Einkommen abnimmt. Ab einem bestimmten Schwellenwert des Sozialproduktniveaus wäre eine ausreichende Ausstattung mit Kapital vorhanden und die Faktorproduktivität würde nicht mehr von materiellen, sondern eher von geistigen Fähigkeiten (Organisation) bestimmt, ist also nicht mehr unmittelbar an zusätzliche Güterausstattung gekoppelt. 4.1.5. Relevanz der Verteilung für Präferenzen und Angebotsverhalten In einer Zwischenbilanz wollen wir betrachten, ob lediglich das Durchschnittseinkommen relevant ist oder auch die Verteilung desselben: Nehmen wir an, das Durchschnittseinkommen spiegle das verfügbare Einkommen eines jeden Individuums wider, die Einkommen seien also gleichmäßig verteilt und entsprächen einer Höhe, bei der die Bedürfnisse der untersten Stufe bereits voll befriedigt werden können. Dies würde bedeuten, daß die Individuen in der Wahl der Güter und deren Umweltintensität relativ frei sind. Sind dagegen die Einkommen ungleich verteilt, so daß einige Individuen nur sehr geringe Einkommen aufweisen, so sind sie auf Güter der unteren Bedürfnisstufen angewiesen, wählen also in jedem Fall eine relativ hohe Umweltintensität. Während
27 Vgl. zu den in Entwicklungsländern deutlich höheren Kohlendioxid-Emissionen pro Einheit Bruttoinlandsprodukt Allen (1992), S. 13.
2S Vgl. Sprösser (1988), S. 97f.
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4. Kapitel: Interdependenzen zwischen den unmittelbaren Faktoren
dies sicher ist, ist noch nicht garantiert, daß die reicheren Individuen durch die Wahl einer sehr geringen Umweltintensität dies ausgleichen, da die Enge des Zusammenhangs mit steigendem Einkommen sinkt. Ähnlich verhält es sich auf der Angebotsseite. Ist die Kapitalausstattung ungleich verteilt, so daß einige Produzenten kaum Kapital aufweisen, andere dagegen überdurchschnittlich damit ausgestattet sind, so tällt die negative Wirkung auf die Umweltintensität bei ersteren stärker ins Gewicht, da die Korrelation bei geringerem Einkommen stärker scheint. Gegenüber einer gleichmäßigen Verteilung der Kapitalausstattung scheint also die Ungleichverteilung die Umweltintensität zusätzlich negativ zu beeinflussen. 4.1.6. Zusammenhang zwischen der Höhe des Sozialprodukts und lnefTazienz
4.1. 6.1. Wohlfahrtsoptimale vs. ineffiziente Allokation Wir haben in den vorangegangenen Abschnitten dargelegt, daß eine geringe Ausstattung mit Einkommen über das Verhalten der Nachfrager und Anbieter die Umweltintensität negativ beeinträchtigt. Wir haben dieses Verhalten auf entsprechende Präferenzunterschiede und die Unterschiedlichkeil der Grundausstattung zurückgeführt, es war in diesem Sinne rational. Optimale Allokation basiert nun auf dem Prinzip der Freiwilligkeit der Entscheidungen vonAnbieterund Nachfrager. Zwar könnte man das beschriebene Verhalten als wohlfahrtsoptimal bezeichnen, wenn man die Anfangsausstattung als gegeben voraussetzt, man kann aber darüber streiten, ob eine niedrige Ausstattung mit Einkommen nicht selbst eine Verletzung des Prinzips der Freiwilligkeit impliziert. Ist Armut nicht freiwillig, so kann man daraus abgeleitete Variationen der bekundeten Präferenz nicht als "echte" Präferenzunterschiede im Sinne individueller Vorlieben deuten. Dieser Argumentationslinie folgt etwa Anderson, der behauptet, daß die Vorlieben und Präferenzen für alle Güter und Dienstleistungen, inklusive der Umwelt, zwischen Industrie- und Entwicklungsländern nicht voneinander abweichen und die geringere Nachfrage letzterer nach Umweltqualität lediglich Ausdruck der unterschiedlichen Verfügbarkeil von Einkommen sei. 29 Diese Interpretation ist zwar einerseits verständlich, andererseits würde eine konsequente Definition des Begriffs Präferenz als freiwillige Äußerung der Vorliebe schnell inhaltsleer werden. Betrachten wir nämlich andere Bestimmungsfaktoren von Präferenzen, etwa Kultur, Erziehung, sozialer Umgang (z.B. peer pressure), Mode oder Persönlichkeit, so dürfte allenfalls letztere zu "echten" Präferenzen führen, da in den anderen 29 Vgl. Anderson (1992b), S. 45.
4.1. Der Einfluß des Pro-Kopf-Einkommens
103
Fällen Fremdeinfluß dominiert, der als Zwang interpretiert werden kann. Entsprechende Deutungen sind auch in der Literatur durchaus zu erkennen, etwa in der Kritik an Werbung als Manipulation echter Präferenzen. 30 Es kommt in dieser Arbeit primär darauf an zu identifizieren, welche Faktoren die Umweltbelastung in welchem Maße erhöhen. Die Begriffsproblematik, die letztlich auf die Abgrenzung zwischen optimaler, also präferenzbedingter, und ineffizienter Allokation hinausläuft, wird zwar anerkannt. Die Grundaussagen unserer Analyse, nämlich die Etablierung einer Abhängigkeit der Umweltintensität vom Entwicklungsstand, werden dadurch aber nicht berührt. Lediglich der Interpretationsweg ist ein anderer. Wir wollen nun zeigen, inwieweit ein geringeS Einkommen a) selbst direkt eine Abweichung von den Standardannahmen darstellt und b) andere Formen von Abweichungen der die optimale Allokation sichemden Annahmen verursacht. In diesem Sinne könnten wir eine erhöhte Umweltintensität oder eine suboptimale Steigerung des Sozialprodukts als Ineffizienz bezeichnen. Wir wollen auch hier versuchen zu ermitteln, ob lediglich das vorhandene Durchschnittseinkommen oder auch dessen Verteilung effizienzrelevant ist. 4.1. 6. 2. Marktmiingel und die Höhe des Sozialprodukts
Führt man Ineffizienzen auf Abweichungen von den die optimale Allokation sichemden Modellbedingungen zurück, so ergibt sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen dem Auftreten derselben und der Höhe des aggregierten Sozialprodukts einer Volkswirtschaft. Der über die Zeit gewachsene Bestand an Gütern und Dienstleistungen und damit an Produktivkapital kann nämlich als Indikator des Umfangs der Marktbeziehungen und des Grades der Arbeitsteilung gelten, da nur am Markt angebotene Arbeitsleistung und nur am Markt gehandelte Güter überhaupt erfaßt werden. Die Schwäche des Sozialprodukts als Indikator für Wohlfahrt ist also eine Stärke, will man den Grad der Organisiertheil bzw. Institutionalisierung der Volkswirtschaft ermitteln. Nur in diesem Sinne ist die Unterscheidung in traditionelle und moderne, entwickelte und unterentwickelte Volkswirtschaften bzw. Industrie- und Entwicklungsländer zu interpretieren. Douglass North hält das Fehlen effizienzfördernder Institutionen in Entwicklungsländern für typisch: wDie Länder der Dritten Welt sind arm, weil die institutionellen Beschränkungen für politische bzw. ökonomische Tätigkeit ein System von Zahlungen vorsehen, die eine produktive Tätigkeit nicht begünstigen. wll Die Ursachen dieser Ineffizienz können wir erst nach Analyse
30 Vgl. Packord (1980). 3l Nonh (1992), S. 131. Vgl. auch S. 10.
104
4. Kapitel: Interdependenzen zwischen den unmittelbaren Faktoren
aller Rahmenbedingungen im zweiten Teil dieser Arbeit vollständig begreifen. Wir können jedoch bereits an dieser Stelle unmittelbar aus der Einkommenshöhe einige plausible Erklärungen ableiten, warum das Ausmaß der Abweichungen von unseren Standardannahmen in Volkswirtschaften mit geringerem Einkommensniveau höher ist. Wo Arbeitsteilung noch unterentwickelt ist, können fehlende Märkte zu Ineffizienzen führen. Je geringer der Umfang der Volkswirtschaft, in desto geringerem Maße werden Knappheilen und Präferenzen deutlich, da Preise nicht zustande kommen. Dies begünstigt externe Effekte. Fehlende Märkte für Ressourcen führen erwartungsgemäß zur Übernutzung derselben. Je unvollständiger die Zuteilung von Ressourcen über Märkte, umso eher werden diese als freie Güter behandelt. Die in der "Tragedy of the Commons" ausgedrückten Verhaltensweisen sind unmittelbare Folgen. Gerade Versicherungs-, Termin- und Kreditmärkte bilden sich erst ab einem bestimmten Grad der Tauschwirtschaft, da sie komplizierte Strukturen, Erfahrung und in hohem Maße technische und organisatorische Fähigkeiten verlangen. Länder mit geringem Niveau der Wirtschaftstätigkeit besitzen diese Voraussetzungen nicht. Ein weiterer Marktmangel, den wir in der Analyse von Ineffizienz kennengelernt haben, war asymmetrische oder generell inadäquate Information. Unterstellt man einen geringeren Bildungsstand aller Marktteilnehmer, insbesondere aber der Nachfrager, in Abhängigkeit vom Entwicklungsstand und mangelnde effizienzfördernde Institutionen aufgrund geringer Erfahrung, die sich etwa in fehlender Preisauszeichnung, fehlenden Verbraucherangaben auf Verpackungen oder fehlender Konsumentenvertretung ausdrücken, so deutet auch dies auf die höhere Wahrscheinlichkeit nichtknappheitsgerechter Einbeziehung von Umweltfaktoren hin. Klitgaard beklagt insbesondere die in Entwicklungsländern fehlende Information über die Qualität von Gütern und Dienstleistungen sowie die extrem asymmetrische Verteilung der Information und die daraus resultierende ineffiziente Ressourcennutzung. 32 Ein weiteres Problem in Verbindung mit Information bei sehr geringem Ausgangsniveau kann aus Überlegungen zu den zunehmenden Skalenerträgen des Faktors Information abgeleitet werden. 33 Bei geringem absoluten Forschungsbudget ergeben sich womöglich keine konkreten Nettonutzen. Der Wert der Informationsgewinnung ist also dann äußerst gering, wenn die Ausgangslage an Wissen gegen Null geht, was wir bei sehr geringem Einkommensniveau hin-
32 Vgl. Klitgaard (1991), S. 29-63 und Darr (1988), S. 659. 33 Vgl. Wilson (1975).
4.1. Der Einfluß des Pro-Kopf-Einkommens
105
sichtlich zahlreicher umweltrelevanter Daten unterstellen können. 34 Die Erforschung ökologischer Zusammenhänge bringt demnach nur geringen Nutzen, darüber hinaus fehlt oftmals von vornherein die notwendige Fachkompetenz (Personal, technische Geräte). Gerade in bezugauf anwendungsreife Umweltschutztechnologie besteht zudem ein hoher Zeitbedarf, dessen finanzielle Überbrückung in Entwicklungsländern schwer möglich ist. 35 Der Erwerb derartiger Technologie bzw. derartigen Wissens von außen (Import aus Industrieländern) erfordert wiederum hohe- nicht vorhandene- Mittel, zum anderen ist fraglich, ob für fremde Märkte und Gegebenheiten entwickelte Technologien bzw. in anderen Situationen erworbenes Wissen ohne Anpassungsverluste übertragbar sind. Eine geringe Anfangsausstattung beeinflußt auch eine weitere Voraussetzung optimaler Allokation, die Mobilität der Produktionsfaktoren, negativ: Fehlende Kreditmärkte, mangelhafte Kommunikationsinfrastruktur und Informationsdefizite implizieren begrenzte Mobilität des Faktors Kapital; die Arbeitsmobilität wird darüber hinaus durch die geringen Reserven, um die Suchzeit für alternative Arbeits- bzw. Lebensbedingungen zu überbrücken, eingeschränkt. 36 Niedriges Einkommen fördert das Auftreten von Monopolen bzw. Oligopolen dadurch, daß bei noch nicht etablierten Märkten neue Produkte oder Märkte zunächst unangefochtene Wettbewerbsstellungen haben, die aufgrund mangelnder Informationen erhalten werden können. Ist die Verteilung der Eigentums- und Verfügungsrechte überdies noch ungleich, so ergeben sich dadurch zusätzliche Verzerrungen durch Marktmacht. 4.1. 6. 3. Der Einfluß individueller Annut In vielen Fällen ist nicht das Fehlen der Märkte an sich problematisch (also ein zu geringes Durchschnittseinkommen), sondern daß bestimmte Teile der Bevölkerung keinen Zugang zu diesen haben, das Durchschnittseinkommen also ungleich verteilt ist. Wir können diese fehlende Anfangsausstattung mit
34 Es sei hier betont, daß diese These auf einzelne, meist indigene Gruppen nicht zutrifl\ und diese ein emebliches Wissen über das Zusammenwirken von Umweltfaktoren aufweisen. Allerdings ist dieses Wissen auf den unmittelbaren Lebensraum dieser Menschen beschränkt, bietet nicht unbedingt Lösungen, wenn dieser Lebensraum gestört wird und wird von den politischen Entscheidungsträgem in den entsprechenden Entwicklungsländern zumeist vernschlässigt oder gezielt unterdrückt (vgl. Kap. 7). Die obigen Aussagen beziehen sich also primär aufmoderne Technologie und umfassende wissenschaftliche Erkenntnis bzw. den tatsächlichen Kenntnisstand in den (politisch) entscheidungsrelevanten Ebenen in Entwicklungsländern.
35 Vgl. SprlJsser (1988), S. 214. 36Vgl. 1isdeU (1988), S. 380.
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4. Kapitel: Interdependenzen zwischen den unmittelbaren Faktoren
Einkommen als Abweichung von den Standardannahmen auffassen, da die Ableitung des theoretischen Optimums auf der Annahme ausreichender Tauschmittel und der Wahlfreiheit beruht. Individuelle Armut führt nun dazu, daß - die Betroffenen in stärkerem Maße auf frei zugängliche Ressourcen (Land, Wasser, Wald) angewiesen sind, da ihnen das Einkommen zum Erwerb von Land oder entsprechenden Substituten (Brennholz, sanitäre Anlagen, Getränke) fehlt. Oftmals sind diese den Armen zugänglichen Flächen gerade deshalb noch offen, weil sie zur Nutzung eigentlich nicht geeignet, also marginal sind. Arme nut.!en aus Mangel an Alternative dennoch derartige Gebiete, wie unfruchtbare Böden, Sumpfgebiete, erosions- und erdrutschgefährdete Flächen, Überschwemmungsgebiete sowie vergiftete oder unfallträchtige Gebiete (Müllhalden, Ränder von lndustriebetrieben). 37 - wenig Spielraum besteht, auf unmittelbaren Konsum zugunsten künftigen Nutzens zu verzichten. Individuen mit geringem Ausgangsniveau besitzen wegen der Dringlichkeit ihrer unmittelbaren Bedürfnisse und der Beschränktheit ihres Budgets eine ausgeprägtere Risikoaversion, so daß sie zukünftigen Nutzen (wie der, der sich aus umwelterhaltenden Maßnahmen langfristig ergibt) bzw. zukünftige Schäden (wie er aus der Übernutzung von Ressourcen folgt) stark abdiskontieren. 38 Die Zeitpräferenz fiir heutigen Konsum ist in Volkswirtschaften mit geringerer Höhe des Sozialprodukts höher als in reicheren Ländern. Der kürzere Zeithorizont der Armen ist dabei in starkem Maße durch fehlende Optionen erzwungen. - wegen fehlender Sicherheiten bzw. monetärer Mittel der Zugang zu Kreditund Versicherungsmärkten, sofern es diese überhaupt gibt, versperrt ist oder auf informelle Kanäle mit einer anderen Form von Marktunvollkommenheit, nämlich Marktmacht, beschränkt ist. 39 Wucherzinsen von Kredithaien, wie sie infolgedessen in Entwicklungsländern häufig sind, steigern den anzuwendenden Diskontsatz, mit den bekannten Folgen fiir die Umwelt. Längerfristige Investitionen unterbleiben aufgrund mangelnder Finanzierung, auch wenn der zu erwartende Nutzen bei "normaler" Diskontierung bei weitem überwiegen würde.
37 Vgl. Harborfh (1992), S. 59. Auch für die USA iat ein enger Zusammenhang zwischen Annut und durch Umweltprobleme belaateten Wohngebieten nachgewiesen. Aufgrund der dort vorhandenen Korrelation zwischen ethnischer Herkunft und Einkommen wird die Tatsache, daß Afro-Amerikaner und die spanisch sprechende Bevölkerung in deutlich stärkerem Maße als Weiße in Gebieten mit Giftmüllanlagen oder Müllhalden leben, atirker von Grundwasserkontamination betroffen sind und die Luftverschmutzung in ihren Wohngebieten deutlich höher liegt, von Kommentatoren als Umweltrassismus bezeichnet. Vgl. Rarding (1994), S. 27. 38 Vgl. Lutt/Young (1992), S. 249, 7isdeU (1988), S. 380 und Winpenny (1991), S. 214. 39 Vgl. Sum (1989), S. 665.
4.1. Der Einfluß des Pro-Kopf-Einkommens
107
- bei fehlenden Eigentumsrechten kein Anreiz besteht, langfristige Überlegungen anzustellen, da Unsicherheit über die künftigen Nutzungsrechte besteht: "Nothing incites people to deplete forests, soils, or water supplies faster than fear they will soon lose access to them. Neither hired workers, nor hired managers, nor tenant farmers care for land as weil as owners. "40 - ·bei fehlendem monetären Einkommen keine Möglichkeit besteht, auftretende Notsituationen (Krankheit, Mißernten) zu überbrücken; - lebensnotwendige Güter nicht mit der größtmöglichen Effizienz hergestellt werden, da die erzwungene Eigenerstellung derselben die Ausnutzung von Skalenerträgen durch Arbeitsteilung und Tausch am Markt unterbindet; - eigenerstellte Güter wegen fehlender Märkte, fehlenden Marketings und inadäquater Infrastruktur nicht am Markt verkauft und damit in Tauschrechte umgewandelt werden können; - aufgrund dieser fehlenden Tauschmittel produktivitätssteigemde Substitute bzw. Hilfmittel zur effizienteren Nutzung vorhandener Ressourcen nicht erworben werden können; 4 ' - die Tätigkeit im informellen Sektor größere Unsicherheit mit sich bringt, da Einkommen bzw. soziale Leistungen nicht langfristig gesichert sind und - die geringere Produktivität der ärmeren Schichten dadurch perpetuiert wird, daß die Notwendigkeit zum Einkommenserwerb und die begrenzten Ressourcen für Lernmittel ihre Schulausbildung limitieren. Nach einer vergleichenden Studie in Entwicklungsländern besteht nämlich zwischen der Dauer der Grundschulausbildung von Bauern und den Ernteerträgen ein deutlicher Zusammenhang. Bauern mit mehr als vier Jahren Grundschulausbildung erzielten bis zu dreizehn Prozent höhere Ernteerträge. 42 Die dargestellte Situation gilt insbesondere für die ländliche Bevölkerung, da diese unmittelbar auf Ressourcen angewiesen ist und im ländlichen Bereich formale Marktbeziehungen noch am geringsten ausgeprägt sind. Der Mangel an Eigentums- und Tauschrechten und das daraus folgende Defizit an Einkommenserzielungs- und Produktionsalternativen zwingt also zu Verhalten, das zwar rational, aber letztlich langfristig nicht nutzenmaximierend ist und die Umweltintensität über Gebühr erhöht. Die asiatische Entwicklungsbank be-
40 Duming
(1989), S. 42.
41
ln weiten Teilen der Dritten Welt wird Holzkohle oder Biomasse direkt verbrannt, obwohl eine Umwandlung in Alkohol effizienter ist und die Belastung durch Rauch vermindert. Wie bei der Verwendung eft-.zienterer Öfen, mangelt es nicht an der Verfügbarkeil der Technologie, sondern an der Finanzierung, obgleich die Pay-back-Periode kurz ist. Vgl. Simonis (1992), S. 81. 42 Vgl. o.V (1993m), S. 10.
108
4. Kapitel: Interdependenzen zwischen den unmittelbaren Faktoren
zeichnet deshalb die Unsicherheit der Landrechte als "the single most serious market and policy failure" 43 in Enwicklungsländern. Geringe Produktivität führt nun gerade im Bereich der Landwirtschaft dazu, daß zur Ernährung der Bevölkerung größere Flächen nötig werden und die Schwelle der Nachhaltigkeil überschritten wird. Die negative Folge von Armut tritt aber auch im städtischen Bereich auf, wenn Besitzlose zur Befriedigung der dringendsten Bedürfnisse öffentliche bzw. freie Güter überbeanspruchen. Die Besiedlung marginalen Landes, also die Slumbildung auf von Erdrutschen gefährdeten Böden, die Nutzung verschmutzten Wassers und die Einleitung organischer Abtille in Flüsse und Straßen sind Ausdruck dieses Zwanges. Es gibt also eine Viei7Jlbl von Indizien, daß ein geringes Durchschnittseinkommen im Vergleich zu höherem Einkommen zusätzliche Ineffizien.zen mit sich bringt, wobei die ungleiche Verteilung auch hier wiederum das Auftreten von Ineffizienz und damit unnötiger Umweltbelastung verstärkt.
4.1. 6. 4. Internalisierung externer Effekle und Einkommenshiihe Wie steht es nun mit den Möglichkeiten zur Internalisierung der auftretenden Extemalitäten? Für das Auftreten und die Vermeidung externer Effekte war unter anderem entscheidend, in welchem Maße Transaktionskosten vorhanden sind. Es gibt nun mehrere Gründe, die dafür sprechen, daß sie unterhalb eines bestimmten Schwellenwerts des Sozialprodukts besonders hoch sind: Die mit dem Sozialprodukt eng korrelierten Faktoren Bildung und Gesundheit beeinflussen die Transaktionskosten. Bei des Lesens und Schreibens unkundigen oder mangelhaft ernährten Menschen sind die Kosten von Informationsgewinnung, Verhandlungen und Einigung zum Teil prohibitiv. Mangelernährung führt zudem zu "letbargy, fatigue and apathy"44, drei Faktoren, die die Bereitschaft und Fähigkeit zur Aufnahme von Verhandlungen erheblich mindern. Arme haben es schwerer, sich zu organisieren und ihre Interessen durchzusetzen, da ihnen die finanziellen Ressourcen fehlen, Verhandlungen zeitlich durchzuhalten, Informationen einzuholen (Expertenwissen zu erwerben) und Versammlungs- und Vertretungskosten (Transport, Anwälte, Gebühren) zu tragen. Transaktionskosten sind auch dort höher, wo Infrastruktureinrichtungen fehlen, etwa hinsichtlich der Information (Kommunikationsinfrastruktur) oder
43
Asian Development Bank (1991), S. 245.
44 /ngles (1991), S. 108.
4.1. Der Einfluß des Pro-Kopf-Einkommens
109
räumlichen Einheiten (Transportinfrastruktur), und die Beteiligten nicht über Märkte miteinander verbunden sind. Internalisierung über den Markt via Verhandlungen stößt an Schranken, wenn Beteiligte keine ausreichende Anfangsausstattung an Ressourcen besitzen, da Kompensationsmöglichkeiten fehlen, also theoretisch mögliche Lösungen zur Paretoverbesserung ausgeschlossen sind. Dies ist auch dann der Fall, wenn Ineffizienzen im Angebot öffentlicher Güter durch Kostenanlastung vermindert werden könnten (etwa bei Müllentsorgung oder sanitären Einrichtungen), den Armen aber die finanziellen Mittel fehlen, sich daran zu beteiligen. Eine an sich wünschenswerte Internalisierung über eine Kostenanlastung würde hier zu negativen Verteilungswirkungen führen, die die Ursache der externen Effekte noch fördert und dadurch neue Ineffizienzen schafft. 45 Auch die Internalisierung durch Schaffung von Versicherungs- und Kreditmärkten wird dadurch eingeschränkt, daß Arme weder die anfallenden Prämien noch die geforderten materiellen Sicherheiten bieten können. Auch hier wird der Unterschied zwischen Nutzen und Finanzierung deutlich: Zwar überstiege der Nutzen der Internalisierung auch und gerade für Arme die Kosten, jedoch fällt dieser entweder zu spät oder in immaterieller Form an, so daß die Kosten zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht finanziert werden können. Entsprechendes gilt für staatliche Bemühungen, Externalitäten zu internalisieren bzw. für das Ausmaß von Ineffizienz durch Staatsversagen: Mit geringem Volkseinkommen und hohem Anteil der Bevölkerung in informeller Beschäftigung ist ein geringes Maß an Staatseinnahmen verbunden. Dies beschränkt den Umfang, in dem der Staat selbst öffentliche Güter, etwa unterstützende Bildungs-, Transport- und Kommunikationsinfrastruktur, aber auch Umweltgüter wie saubere Luft, Müllentsorgung und Wasserreinhaltung, anbietet. Es behindert auch die Fähigkeit und Bereitschaft, Institutionen zu schaffen und langfristig nutzenstiftende Investitionen zu tätigen, und limitiert die Verfügbarkeil von Personal und Kapital, das zur Entwicklung und Durchführung von Internalisierungsstrategien eingesetzt werden kann. Bei geringerem Einkommen ist das Wissen über verfügbare technische Möglichkeiten und die spezifischen Eigenheiten der jeweiligen Volkswirtschaft dürftig, denn auch die volkswirtschaftliche Statistik ist entsprechend schlecht ausgebaut, wenn finanzielle Ressourcen, staatliches Personal, technische Kapazität und leicht zu überschauende und dadurch erlaßbare Märkte fehlen. 46 Die Eigenentwicklung von Internalisierungsstrategien (einschließlich der geeigneten Technologie) ist dabei auch aufseitendes Staates durch das Fehlen ausgebilde-
45 Vgl. Lutz/Young (1992), S. 244 und Simonis (1992), S. 82.
46 Zur Datenlage in Entwicklungsländern siehe Barbier (1989a), S. 203f.
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4. Kapitel: Interdependenzen zwischen den unmittelbaren Faktoren
ter Fachleute eingeschränktY Auf die Problematik importierter Instrumente/ Techniken wurde bereits verwiesen. Winpenny'8 belegt dies am Beispiel der Bemühungen, die Bewertung von Umweltkapital zu verbessern: Die in der Literatur vorgeschlagenen Techniken sind auf Industrieländer zugeschnitten und kaum auf ihre Anwendbarkeit in unterentwickelten Gebieten überprüft. Tut man dies, so ergeben sich zahlreiche Einschränkungen der Anwendbarkeit, die in erster Linie auf das Fehlen von marktnahen Referenzpunkten und die allgemeine Datenlage, also eben gerade auf das höhere Auftreten von nicht kompensierten externen Effekten zurückzuführen ist. So kann die Zahlungsbereitschaft bei Armen nicht als Ausdruck der individuellen Präferenzen gelten, wie es einige Analysemethoden (etwa die Contingent-valuation-Methode) vorschlagen. Hier wird die in Kapitel 3 erwähnte Diskrepanz zwischen "willingness to pay" und "willingness to accept compensation" deutlich. 49 Dieselben Faktoren (fehlende Märkte, mangelndes Einkommen, mangelnde Äußerung der Präferenzen, Informationsdefizite), die zur Existenz von Ineffizienz geführt haben, erschweren auch die angemessene Berücksichtigung von Umwelteffekten in der politischen Analyse. Diese Defizite wirken sich auf die Effizienz einzelwirtschaftlicher wie staatlicher Entscheidungen aus. 4.1.7. Relevanz der Gegenargumente Wir haben in diesem Teil Argumente genannt, die dafür sprechen, daß die Umweltintensität bei geringem Einkommensniveau höher ist als bei höherem Einkommen. Wir wollen dabei nicht verschweigen, daß es auch gegenläufige Tendenzen gibt. So führt Harborth an, daß Armut zu sparsamer Nutzung aller verfügbaren Ressourcen zwingt und etwa in Bombay 90% des Mülls der Stadt von den Armen verlesen und wiederverwendet wird. 50 Auch die Verwendung "umweltfreundlicher" natürlicher Materialien zur Erfüllung derselben Bedürfnisse, die in Industrieländern durch industriell erzeugte Produkte bei gleicher Nutzenstiftung befriedigt werden, kann hier angeführt werden: In vielen Entwicklungsländern dienen Blätter als Teller, Pandanblätter und Blüten als Lufterfrischer, Zitronella als Insektenschutzmittel. Allerdings ist dieses Verhalten von Armen oftmals Indikator einer unmittelbaren Notsituation und mangelnder Alternativen, also keineswegs freiwilliges Anerkennen der Nutzen der Umwelt. Zudem sind derartige Praktiken oftmals nur dann umweltverträglich, wenn sie
47 Vgl. Asian Development Bank (1990), S. 64f und 85 und Ascher/Healy(1990), S. 181. 48 Vgl.
Winpenny (1991), v.a. S. 42~2.
49 Vgl. World Bank (199lb), S. 146.
SO Vgl. Harbonh (1992), S. 59 .
4.1. Der Einfluß des Pro-Kopf-Einkommens
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natürliche Mittel in geringen absoluten Mengen nutzen. Müßte man ein größeres Volumen produzieren, ist die Umweltverträglichkeit derartiger traditioneller Alternativen wegen ihrer geringen Produktivität wieder fraglich. Die Analogie zur Frage der Umweltintensität des Angebots ist offenkundig. Die These, daß Not erfinderisch macht, hat zwar zutreffende Elemente, ist aber nicht im Sinne einer positiven Korrelation zwischen Armut und Innovationsfähigkeit zu werten, da deren Haupthindernisse ja bestehenbleiben. Zudem macht das Beispiel der Müllverwerter in den Slums deutlich, daß mit dieser Form wumweltschonenden • Verhaltens umfassende soziale und ethische Probleme verbunden sind und es sich allenfalls um die teilweise Internalisierung anderweitig nicht lösbarer externer Effekte handelt. Eine dauerhafte, empfehlenswerte Strategie ist dies nicht. Auch das bereits erwähnte Auftreten verschwenderischen Konsums, die mit höherem Einkommen verbundene Wegwerfmentalität und die Tatsache, daß mehr Märkte, mehr Firmen, mehr Produkte und dadurch komplexere Zusammenhänge zusätzliche Externalitäten mit sich bringen, die in einfacher strukturierten Gesellschaften nicht gegeben sind, werden als Gegenargumente gegen die hier vertretene These angefiihrt. Wir wollen nochmals betonen, daß es sich in erstem Falle unserer Meinung weniger um Ineffizienz als um bei gestiegenem Einkommen auftretende höhere Präferenz fiir Bequemlichkeit handelt. Die zweite Argumentationslinie hat dagegen seine Berechtigung, bezieht sich aber auf die mit steigendem Umfang der Wirtschaft durch time-tags zwischen neuen Anforderungen und Institutionenbildung zunehmenden Externalitäten, weniger auf die Erhöhung der Umweltnutzung im Durchschnitt des Sozialprodukts. Die These, daß "environmental externalities appear to develop rapidly as an economy grows" 51 , scheint deshalb auch nur auf den ersten Blick unseren hier vertretenen Thesen zuwiderzulaufen. Denn sie besagt ja lediglich, daß die Umweltexternalitäten mit jeder (zusätzlichen) Sozialproduktseinheit steigen, während wir behaupten, daß dies bei geringerem Einkommensniveau in stärkerem Maße der Fall ist als bei höherem. 4.1.8. Zwischenbilanz
Die bisherige Untersuchung hat ergeben, daß ein geringer Bestand an Gütern und Dienstleistungen freiwillig oder aus Mangel an Alternativen zu einer zusätzlichen Vernachlässigung der Umwelt führt. Vorhandene gegenläufige Tendenzen scheinen von untergeordneter Relevanz. Besonders akut ist die positive Korrelation bei den Teilen der Bevölkerung, die unmittelbar von der Umwelt
51 Waller (1975), S. 17.
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4. Kapitel: Interdependenzen zwischen den unmittelbaren Faktoren
abhängen und nur geringe Marktbeziehungen haben, der ländlichen Bevölkerung: "The higher farmers' income Ievels, the more likely it is that environmentally benign actions will be taken", da "poor farmers tend to heavily discount benefits in the Ionger-term future, since pressing current needs have priority. "52 Anreize in Form künftiger Nutzen können deshalb nicht wahrgenommen werden. Die Lenkungsfunktion des Marktes versagt. Sowohl das Auftreten von externen Effekten als auch seine mangelnde Internalisierbarkeit sind also eine Funktion des Durchschnittseinkommens, wobei der Verteilung desselben ein zusätzlicher Erklärungsbeitrag zukommt. Es wird auch deutlich, daß sich wohlfahrtsoptimale Allokation und die Existenz von Ineffizienz in diesem Fall nicht sauber trennen lassen, da erst durch Ineffizienz die geringe Produktivität zustande kommt, die zu einer bestimmten Allokation bei geringer Kapitalakkumulation führt. Während ein höheres Sozialproduktsniveau über den größeren Output pro Kopf die Umwelt absolut stärker belastet, führt es relativ, also hinsichtlich der Umweltkapitalnutzung je Sozialproduktseinheit, zu einer Verminderung der Belastung. Die Grenzbelastung des Einkommens nimmt also mit steigendem Einkommen ab. Wir können also bereits hier von einer ambivalenten Rolle des Sozialprodukts sprechen.
4.2. Der Einfluß des Bevölkerungswachstums Als nächsten Schritt wollen wir die Rolle der Bevölkerung in die Analyse einbauen. Ausgangspunkt ist dabei die Aussage, daß ceteris paribus jede Zunahme der Bevölkerung die Umweltbelastung erhöht. Nun ist zu untersuchen, ob diese Behauptung auch nach Berücksichtigung des Zusammenhangs zwischen Bevölkerung und den beiden anderen anthropogenen Einflußfaktoren aufrechterhalten werden kann oder gar verstärkt wird. 4.2.1. Erhöht Bevölkerungswachstum die Umweltintensität?
WähreQ.d klar ist, daß eine höhere Bevölkerung zunächst auch einen höheren absoluten Bedarf an Ressourcen mit sich bringt, ist zu fragen, ob zusätzlich die Umweltbelastung über eine Erhöhung der Umweltintensität verstärkt wird oder kompensierende Wirkungen eintreten. Bei wohlfahrtsoptimaler Allokation, also bei Einbeziehung aller externen Effekte, sollte die gestiegene Umweltbelastung einer zunehmenden Bevölkerung dadurch kompensiert werden, daß die Umweltintensität sinkt. Im Optimum
S2 Lutz/Young(1992), S. 249.
4.2. Der Einfluß des Bevölkerungswachstums
113
würde nämlich der Knappheit von Ressourcen bzw. dem Platzbedarf mit steigenden Preisen derartiger Ressourcen begegnet, was wiederum zu einer sparsameren Nutzung derselben führen würde. Auch die aggregierte Nachfrage nach dem öffentlichen Gut Umwelt steigt mit zunehmender Bevölkerung, da sich bei öffentlichen Gütern im Gegensatz zu privaten Gütern die Nachfrage durch vertikale Addition der individuellen Nachfragekurven ergibt. 53 Je mehr Individuen vorhanden sind, desto höher ist ceteris paribus die aggregierte Nachfrage. 54 Eine reichlichere Ausstattung mit dem Produktionsfaktor Arbeit würde arbeitsintensivere Produktion und dadurch geringeren Materialeinsatz implizieren. Steigende Bevölkerungszahlen können zu einer Bevölkerungs- und damit Marktgröße führen, die die Ausnutzung von Skalenerträgen, Arbeitsteilung und Agglomerationsvorteilen und damit erhöhte Produktivität und verminderte Umweltintensität ermöglicht. 55 Die Umweltökonomie als Vertreter der neoklassischen Theorie sah deshalb keinen Anlaß, Bevölkerung als limitierenden Faktor explizit in die Analyse einzubauen. Dieses Ergebnis ist nicht mehr haltbar, wenn wir die zugrundegelegten Annahmen betrachten: Zum einen ist die Unterstellung, der Markt würde die auftretenden KnappbeiteD erkennen und entsprechend im Preis berücksichtigen, nach dem zuvor Gesagten problematisch. Zumindest ist mit einer erheblichen zeitlichen Verzögerung zu rechnen. Ebenso kann von einer größeren Bevölkerung nur dann eine Erhöhung der Gesamtnachfrage erwartet werden, wenn sich die Bevölkerung des Nutzens bewußt ist und entsprechende Nachfrage auch äußern kann. Überdies ist das theoretische Modell der vertikalen Addition der Nachfragekurven nur relevant, wenn die Bereitstellung öffentlicher Güter überhaupt ein Thema ist, was bei Umweltgütern in Entwicklungsländern nicht vorausgesetzt werden kann. Auch eine größeres Arbeitskräftepotential wirkt nur dann positiv, wenn vorher ein Defizit binsichtlich des Faktors Arbeit bestand, die höhere Bevölkerung diese Lücken also ausfüllen kann. Zudem sind zwei weitere gegenläufige Effekte zu beachten: die durch Bevölkerungswachstum veränderte Bevölkerungsstruktur und die positive Korrelation zwischen Bevölkerungsgröße und Ineffizienz. Bevölkerungswachstum basiert auf zwei Phänomenen: natürlicher Bevölkerungsentwicklung (biosozialer Bevölkerungsbewegung)56 und Wanderungs-
S3 Vgl. MusgraveiMusgraveiKullmer (1984), S. 65-68.
54 Vgl. dazu auch OUinger u.a. (1991), S. 89. 55 Vgl. Neumonn (1982b), S. 113 und Stem (1989), S. 643 zu positiven Effekten einer höheren Bevölkerungszahl. 56 Vgl. Bolte I Kappe I Schmid (1980), S. 13. Die Autoren ziehen den Begriffbiosoziale Bevölkerungsbewegung vor, um zu zeigen, daß die Geburten- und Sterbehäufigkeit auch von sozialen Faktoren determiniert wird. 8 Stengel
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4. Kapitel: Interdependenzen zwischen den unmittelbaren Faktoren
bewegung. Die Bevölkerung einer Region wächst, wenn c.p. die Geburten die Sterbefälle überkompensieren. Dies ist auf höhere Fruchtbarkeit, abnehmende Geoerationenabstäode, die Senkung von Säuglings- und Kindersterblichkeit sowie gestiegene Lebenserwartung (einschließlich dem Anteil der Geborenen, die das fortpflanzungsfähige Alter erreichen) zurückzuführen. Als Folge nimmt dabei zunächst der Anteil der noch nicht oder nicht mehr Erwerbstätigen, also der Kinder und Alten, zu; die Gesamtlastquote (Abhängigkeitsrate) steigt. Es ergibt sich aufgrund steigender Bevölkerungszahlen erst mit einer Zeitverzögerung ein höheres ArbeitskräftepotentialS7 , das überdies auch nur dann positiv wirkt, wenn nicht bereits ein Überangebot an Arbeitskräften besteht. Die aufgeund natürlichen Bevölkerungswachstums veränderte Bevölkerungsstruktur beeinflußt nun die Nachfragestruktur und damit die wohlfahrtsoptimale Umweltintensität. Muß das Einkommen zur Befriedigung grundlegeoder Bedürfnisse verwendet werden, da eine größere Zahl Abhängiger daraus zu ernähren ist, so nehmen Sparquote und damit auch das Potential zu umwelterhaltenden Investitionen sowie der Anteil nichtmaterieller Bedürfnisse ab58 , was zu einer Zunahme der Umweltintensität führt. Zudem steigt mit wachsendem Anteil sich nicht selbst versorgender Personen der Bedarf an sozialer Infrastruktur und Dienstleistungen (Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser, Altenheime), was mit Umweltschutzinvestitionen um knappe öffentliche Mittel konkurriert. Auch höhere Zuwanderungen wirken tendenziell in diese Richtung, denn man kann unterstellen, daß in eine Region solche Menschen zuwandern, die ihre Herkunftsregion aus wirtschaftlichen oder politischen Gründeo verlassen haben. Ihre Anfangsausstattung ist in der Regel äußerst gering, und sie weisen deshalb eine höhere wohlfahrtsoptimale Umweltintensität auf. Betrachten wir nun die Wirkung wachsender Bevölkerung und veränderter Bevölkerungsstruktur, so läßt sich aus beiden Faktoren eine Zunahme externer Effekte und damit eine Zunahme ineffizienter Umweltintensität schließen: Bei einer gegebenen Ausstattung werden die Grenzen der Tragfähigkeit umso eher überschritten, je größer die Bevölkerung des Gebietes ist: "pressure is (other things being equal) greatest where eodowments per capita are limited. "59 Eine Ressource ist so lange auch durch Arme mit geringer Produktivität nicht gefährdet, wie sie groß genug und die Anzahl der Nutzer gering genug ist, um die Nutzung zu verkraften. Eine Zusammenballung von Menschen gibt so lange
57 Vgl. Hemmer (1988), S. 281. Auch wenn Kinder in bestimmten Gesellschaften zur Arbeit herangezogen werden, so liegt aufgrund ihrer körperlichen Ausstattung bzw. ihrem Bildungsstand deren Produktivität i.d.R. unter dem der Erwachsenen.
SB Zum Rückgang der Sparquote vgl. Frey (1985), S. 95, Stem (1989), S. 642 und Zuvekas (1979), s. 86.
S9 Asian Development Bank (1990), S. 10.
4.2. Der Einfluß des Bevölkerungswachstums
115
sogar organisatorische Vorteile (Agglomerationsvorteile), wie sie eine bestimmte Dichte nicht überschreitet. Erst die nicht am Markt gelöste Nutzungskonkurrenz impliziert das Auftreten externer Effekte. Das Ausmaß der Konkurrenz um Wohnraum, Ressourcen und Assimilationskapazität ergibt sich ab« unmittelbar als Funktion der Bevölkerung. Es ist auch einleuchtend, daß eine höhere Bevölkerungszahl höhere Transaktionskosten mit sich bringt, da mehr Individuen beteiligt sind und sich so externe Effekte häufen. Auch die Notwendigkeit von Informationsaustausch und -erwerb steigt mit zunehmender Bevölkerung. Die Organisationsprobleme einer großen Bevölkerung beschreibt Naess eindringlich: "Very large populations create very large problems of freedom and organization, and centralization, giantism, and reduction of cultural diversity seem unavoidable features of life with a population of 5000 million. "60 Schwieriger wird bei zunehmender Bevölkerung auch die Definition von Eigentumsrechten. Je rascher die Bevölkerung dabei durch natürliche Vorgänge oder Wanderung wächst, desto größer ist der Anteil derjenigen, die keine oder nur eine geringe Ausstattung besitzen. Die in Verbindung mit der "Tragedy of the Commons" auftretenden Umweltprobleme nehmen also ceteris paribusmit steigender Bevölkerungsdichte zu. Das Tempo der Bevölkerungszunahme ist auch dahin gehend relevant, daß es den Zeitraum bestimmt, der zwischen einer bestimmten Bevölkerungsentwicklung und seiner Umweltwirkung und der (politischen und wirtschaftlichen) Reaktion darauf vergebt. Wächst die Bevölkerung zwar stetig, aber langsam, so können entsprechende institutionelle Veränderungen eingeleitet werden, die das Auftreten externer Effekte eindämmen oder gar unterbinden. Wie rasch auf den ersten Blick mäßige Wachstumsraten der Bevölkerung durchschlagen, wird erst deutlich, wenn man sich die Näherungsformel für die Verdoppelungszeit der Bevölkerung (70/r, mit r = Wachstumsrate der Bevölkerung61 ) anband von konkreten Beispielen vergegenwärtigt: Ein jährliches Bevölkerungswachstum von 3 Prozent, wie es in Schwarzafrika im Durchschnitt gegeben ist, führt zu einer Verdoppelung (!) innerhalb der nächsten Generation. Externe Effekte, also nicht knappheitsgerechte Preise der Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und Umwelt, führen auch dazu, daß der eingangs erwähnte Ausgleichseffekt einer höheren Bevölkerung über die steigende Arbeitsintensität nicht eintritt. Sind nämlich die Löhne rigide und die Faktoren Kapital und natürliche Ressourcen unterbewerte~, so entsteht eine Allokation, bei der Unterbeschäftigung herrscht, was die externen Effekte wiederum verstärkt. 60 Naess (1990), S. 92. 6! Vgl. FriiSch (1993), S. 78.
116
4. Kapitel: lntcrdcpcndcnzcn zwischen den unmittelbaren Faktoren
Ändert sich die Bevölkerungsstruktur im beschriebenen Sinne, so erhöht sich zusätzlich die Umweltintensität, weil der Anteil derer, die ihre Bedürfnisse durch Tausch (von Arbeitskraft bzw. daraus erzieltem Einkommen) am Markt befriedigen können, abnimmt, also der Umfang von Transfers, informeller Beschäftigung und der Inanspruchnahme öffentlicher Güter steigt. Die gesellschaftlichen Kosten des Bevölkerungswachstums sind dabei höher als die privaten, da die Allgemeinheit einen Teil der Kosten zusätzlicher Kinder in Form dieser öffentlichen Güter und externen Effekte trägt. 62 Wir können folgern, daß eine Zunahme der Bevölkerung die Umweltbelastung erhöht, da die absolute Zunahme der Ressourcennutzung nicht durch sinkende Umweltintensität kompensiert wird, sondern diese sogar dazu tendiert, zuzunehmen. Je schneller das Tempo der Bevölkerungssteigerung und je geringer die Ressourcenausstattung pro Kopf bereits ist, desto gravierender sind dabei die Effekte, die auf steigende Ineffizienz hinweisen. Lediglich bei einer sehr geringen Ausgangsbevölkerung, die in keinster Weise die ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen gefährden kann und im sozialen und wirtschaftlichen Sinne Unterbevölkerung darstellt, kann eine Zunahme der Bevölkerung über die höhere Effizienz aufgrund möglicher Arbeitsteilung und anderer Agglomerationsvorteile die Umweltintensität sogar vermindern. 4.2.2. Bevölkerungswachstum und Höhe des Sozialprodukts
Die Frage nach der Beziehung zwischen Bevölkerungsentwicklung und ProKopf-Einkommen ist seit langem Gegenstand der Forschung von Soziologen, Anthropologen, Historikern, Demographen und Ökonomen. Divergierende Aussagen sind dabei weniger Ausdruck kontroverser Thesen, sondern reflektieren vielmehr das Ausmaß, in dem andere Faktoren in die Betrachtung mit einbezogen werden. Eine enge Beziehung zwischen Bevölkerung und Sozialprodukt unterstellte vor fast 200 Jahren Thomas Maltbus (1766-1834) in seiner Schrift "An Essay on the Principle of Population" ( 1798). Maltbus wies darauf hin, daß ein über das Existenzminimum steigendes Pro-Kopf-Einkommen zu einer besseren Ernährung und Gesundheit und damit zu einem Sinken der Sterberaten führe, was bei biologisch bedingtem gleichbleibenden Geschlechtstrieb Bevölkerungswachstum impliziere. 63 Da er der Meinung war, die Nahrungsmittelproduktion ließe sich nur in arithmetischer Reihe steigern, während die Bevölkerung in geometrischer Reihe anwachse, prophezeite er einen Rückgang des Pro-Kopf62 Vgl. BojlJIMiJler!Unemo (1990), S. 32.
63 Vgl. Boüe/Kappe/Schmid (1980), S. 25fTund Stern (1989), S. 642.
4.2. Der Einfluß des Bevölkerungswachstums
117
Einkommens bis zum Subsistenzmaß, bei dem generatives Verhalten, Hungersnöte, Kriege, Epidemien und Plagen das Bevölkerungswachstum eindämmen. Der Umfang der Bevölkerung beschränkt also das Ausmaß des Pro-Kopf-Einkommens, das wiederum die Bevölkerung in Grenzen hält. Malthus' Prophezeiung hatte sich in den heutigen Industrieländern nicht bestätigt. Er übersah nämlich wesentliche Faktoren, die auf das Bevölkerungsverhalten wirken und eng mit dem Einkommen verbunden sind: Zum einen nimmt mit steigendem Einkommen die Fähigkeit zu, durch technischen Fortschritt der Nahrungsmittelverknappung zu begegnen. Zum anderen sinken mit steigendem Pro-Kopf-Einkommen nicht nur die Sterberaten aufgrund besserer Ernährung, medizinischer Versorgung und höherer Aufwendungen für sanitäre Einrichtungen, es gehen auch die Geburtenraten zurück. Dieses Phänomen beschreibt die Theorie des demographischen Obergangs, die in Abb. 4.1 dargestellt ist: 64
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Quelle: Vgl. HeUler (1990). S . 23
Abb. 4.1: Der demographische Übergang
Während mit steigendem Einkommen zunächst die Sterberaten fallen, passen sich mit einer gewissen Verzögerung die Geburtenraten an, verlaufen parallel oder unterschreiten die Sterberaten sogar und führen so das Bevölkerungs-
64 Vgl. Hemmer (1988), S. 276fT, Zuvekas (1979), S. 75fund Hauser (1990), S. 22-29.
118
4. Kapitel: Interdependenzen zwischen den unmittelbaren Faktoren
wachstum wieder zurück. Nach Durchlaufen der verschiedenen Phasen ist in der posttransformativen Phase im Vergleich zur Ausgangslage bei gleichem, geringerem oder gar negativem Bevölkerungswachstum die Lebenserwartung erheblich höher. Während Maltbus angenommen hatte, daß die Geburtenraten in der Nähe des Existenzminimums sinken65 , nehmen sie auch mit höherem Einkommen ab, da - mit steigendem Einkommen die ökonomische Bedeutung der Kinder als Arbeitskraft und Altersversorgung sinkt66 , mit steigendem Lebensstandard, der der Familie gewährt werden soll, ihre Kosten (Kleidung, Nahrung, Bildung) steigen, - verringerte Kindersterblichkeit die Notwendigkeit reduziert, durch viele Geburten die Chance zu erhöhen, eine bestimmte Zahl an Kindem bzw. Söhnen bis ins Erwachsenenalter zu bringen, 67 - die mit steigendem Einkommensniveau zunehmende Urbanisierung, Industrialisierung und Modemisierung die Vorteile zahlreicher Kinder (Arbeitskraft in der Landwirtschaft) in Nachteile umwandelt, 68 - moderne Instrumente der Familienplanung zur VerfUgung stehen, - zwar der ökonomischen Theorie folgend bei sonst unveränderten Bedingungen mit steigendem Einkommen auch der Wunsch nach Kindem steigt69 , demjedoch bei steigenden Ansprüchen v .a. in urbanen Gegenden zunehmende Opportunitätskosten entgegenstehen. "Vom Kaufrausch gepackt, falle der Kinderwunsch in der 'Konkurrenz der Genüsse' hinter Couchgamitur, Videorecorder und Sportwagen zurück" 70; - mit steigendem Einkommen die Bildung und damit die Berufstätigkeit der Frauen steigt, was die Opportunitätskosten der Kindererziehung erhöht. Neueste Studien der Weltbank bestätigen eine starke Korrelation zwischen steigender Bildung der Eltern, vor allem der Mütter, und abnehmender Kindersterblichkeit, späterem Gebäralter und allgemeiner Gesundheitsvorsorge. Dabei kommen diese positiven Effekte vor allem dann zum Tragen,
6S Ursachen sind z.B. hinausgeschobene Eheschließungen und höhere Todesfälle. Zu dieser Teilhypothese von Maltbus und seiner Widerlegung siehe Harbonh (1986), S. 114 und Neumann (1982b), s. 106.
66 Demnach werden "in Gebieten mit niedrigstem ökonomischen Niveau ... Kinder zu hundert Prozent als Alterssicherung betrachtet" (Dießenbacher (1993), S. 12). 67 Vgl. Omo-Fadaka (1984), S. 177 und Chandler (1990), S. 21.
68 Vgl. Schmid (1992), S. 109. 69
Vgl. Neumann (1982b), S. 107f und Zuvekas (1979), S. 95.
70 Kmse (1992), S. 28.
4.2. Der Einfluß des Bevölkerungswachstums
119
wenn das zusätzliche Einkommen den Frauen zufließt, da diese es in stärkerem Maße als Männer fiir Ernährung und Gesundheitspflege ausgeben. 71 - nach Becker analog zu langlebigen Konsumgütern mit höherem Einkommen auch besser gebildete Kinder "gewählt" werden, was durch höhere Bildung der Eltern noch verstärkt wird. 72 Mehrere Faktoren gefährden nun die Wirksamkeit der dargestellten Ausgleichsmechanismen in Entwicklungsländern: Zum einen ergibt sich aus der Theorie des demographischen Übergangs, daß das Absinken der Sterberate dem der Geburtenrate vorangeht, also ein time-lag besteht, während dessen die Bevölkerung stark wächst. Dies wird verstärkt, wenn die Sterberaten nicht aufgrund eines Anstiegs der Pro-Kopf-Einkommen, sondern infolge exogener Einflüsse zurückgehen. Anders als zu Malthus' Zeiten können heutige Entwicklungsländer nämlich über das Instrumentarium der Entwicklungshilfe auf die medizinischen bzw. hygienischen Errungenschaften weiter entwickelter Staaten auch dann zurückgreifen, wenn ihnen selbst die Fähigkeit zu deren Entwicklung und Finanzierung fehlt. Die Sterberaten in allen Entwicklungsländern sind aufgrund dieser Entwicklung drastisch gesunken, während eine entsprechende Wirkung auf die Geburtenraten aufgrund des weiterhin fehlenden Einkommensimpulses ausblieb. Hier besteht nicht nur ein time-lag, sondern eine Lücke, die sich mit der Zeit sogar ausweitet. Zum anderen setzt ein erfolgreicher demographischer Übergang voraus, daß im Zeitablauf auch die Pro-Kopf-Einkommen zunehmen: Die neoklassische Wachstumstheorie unterstellt, daß mit wachsender Bevölkerung der Output um so viel schneller steigt, daß positive Wachstumsraten des Pro-Kopf-Einkommens resultieren. Dies beruht aber auf der Annahme der Konstanz der Sparquote und der Skalenerträge, was zumindest fiir den Fall der Sparquote aufgrund der veränderten Bevölkerungsstruktur bezweifelt werden kann. 73 Ob mit wachsender Bevölkerung das Sozialprodukt überhaupt steigt, hängt u.a. von den Produktionselastizitäten von Arbeit und Kapital ab. Deren Stärke bestimmt, ob das Wachstum des Sozialprodukts ausreicht, um das ProKopf-Einkommen zu erhöhen. Nur bei einem Defizit an Arbeitskräften und hoher Produktionselastizität der Arbeit ist eine positive Wirkung des Bevölkerungswachstums zu erwarten. Die Ausstattung des Faktors Arbeit im Verhältnis zu den anderen Produktionsfaktoren ist also fiir die Wirkung entscheidend. 74
11 Vgl. o.V. (1993i), S. S8fund o .V. (1994h), S. 12. 72 Vgl. Neumann (1982b), S. 110. 73 Vgl. Frey (1985), S. 94f. 74 Vgl. Hemmer (1988), S. 281ff.
120
4. Kapitel: Interdependenzen zwischen den unmittelbaren Faktoren
Auch in jüngerer Zeit haben Autoren wie Boserup und Sirnon die positiven Effekte des Bevölkerungswachstums herausgestellt, die wir im Zusammenhang mit Effizienzsteigerungen in Abschnitt 4.2.1 bereits betrachtet haben. 75 So beharrt Boserup darauf, daß erst Bevölkerungsdruck Innovation und Dynamik hervorruft, die es ermöglichen die vorhandene Ausstattung effizienter zu nutzen, so daß "growing populations could be a blessing "76 • Auch Hirschman meint, daß der durch den Schock einer Bevölkerungsexplosion eingeleitete technische Fortschritt ("Hirschman-Effekt") die Minderung des Pro-Kopf-Einkommens aus der Bevölkerungsentwicklung überkompensiert. 77 Wir hatten jedoch bereits in Kap. 4.2.1 Zweifel an der Gültigkeit dieser These in den meisten der heutigen Entwicklungsländern angemeldet, insbesondere da kein Mangel an der Quantität, wohl aber an der Qualität des Faktors Humankapital besteht. Doch auch wenn das Sozialprodukt trotz oder wegen des Bevölkerungswachstums zunimmt, bedeutet dies noch nicht die Steigerung der Pro-KopfGrößen. In den 50er Jahren bemühte sich die neomalthusische Schule, Erklärungen zum Verhältnis zwischen den Wachstumsraten des Pro-Kopf-Einkommens und der Bevölkerung in Abhängigkeit vom Ausgangsniveau zu entwikkeln. Stagnierendes Einkommen wurde dabei auf die Existenz der Falle des niedrigen Gleichgewichtseinkommens ("low-level equilibrium trap") zurückgeführt, die auftritt, wenn Entwicklungsländer versuchen, die Unterentwicklung durch Kapitalakkumulation zu überwinden (Abb. 4.2). 78 Steigt infolge intensivierter Kapitalakkumulation das Pro-Kopf-Einkommen zunächst an, so nimmt auch die Bevölkerung durch die sinkenden Sterberaten zunächst stark zu. Wächst bei einem sehr geringen Pro-Kopf-Einkommen die Bevölkerung zu schnell, so muß ein großer Teil des Einkommens zur Grundversorgung verwendet und kann nicht gespart werden, da dies erst oberhalb eines bestimmten Existenzminimums möglich ist. Die Kapitalakkumulation wird gebremst, die Wachstumsrate des Gesamteinkommens (wy) hält mit der Wachstumsrate der Bevölkerung (w8) nicht mehr Schritt, die Pro-Kopf-Einkommen sinken. Ein stabiles Gleichgewicht (G) auf niedrigem Niveau wird etabliert, das wie eine Falle wirkt (Bevölkerungsfalle). Diese Falle muß nicht die ganze Gesellschaft umfassen, sondern kann lediglich den Teil der Bevölkerung enthalten, der unterhalb eines bestimmten Pro-Kopf-Einkommens liegt.
15 Vgl. Boserup (1981) und Simon (1981). 76 BojiJ/Miller/Unemo (1990), S. 32. Vgl. auch Wagner/Kaiser/Beimdiek (1989), S. 58f. 71 Vgl. Hemmer (1988), S. 285. 78 Vgl. Wagner/Kaiser/Beimdiek (1989), S. 53-51, NeumaM (1982b), S. 114ff und Zuvekas (1979), s. 84ff.
4.2. Der Einfluß des Bevölkerungswachstums
0
121
Pro-Kopf-Einkommen (Y/B)
QueUe: Val. Waper/Kaiaer/Beimdiek(1989), S. S6
Abb. 4.2: Die Falle des niedrigen Gleichgewichtseinkommens
Die zur Überwindung der Bevölkerungsfalle nötige Steigerung des Pro-KopfEinkommens gelingt nicht, wenn die Volkswirtschaft in einem Teufelskreis der Armut gefangen ist. Dieses Phänomen beschreibt die Theorie der zirkulären und kumulativen Verursachung. 79 Auf der Seite des Kapitalangebots führen die bei geringem Pro-Kopf-Einkommen mäßigen (bzw. unterhalb des Existenzminimums negativen) Sparquoten und die daraus folgenden geringen Investitionen zu einer unzureichenden Kapitalausstattung, womit die geringe Produktivität zementiert wird, die wiederum Ursache geringen Pro-Kopf-Einkommens ist. Auf der Kapitalnachfrageseite impliziert geringes Pro-Kopf-Einkommen eine niedrige Nachfrage nach Gütern, die keine Impulse zur Erhöhung der Investitionen und damit zu besserer Kapitalausstattung und Produktivität liefert. Bevölkerungswachstum verschärft nun diese Falle, da die Erhöhung der Gesamtlastquote die Umleitung von Investitionen zu den Aufgaben Gesundheit, Fürsorge und Bildung notwendig macht, was Kapitalaufbau weiter limitiert und zugleich die Sparquote weiter reduziert. Überdies steigt durch die Veränderung der Bevölkerungsstruktur der Anteil der Konsumenten im Verhältnis zur pro-
19 Vgl. hierzu Wagner/Kaiser/Beimdiek(1989), S. 44-S I.
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4. Kapitel: Interdependenzen zwischen den unmittelbaren Faktoren
duktiven Bevölkerung, womit ceteris paribuswiederum die Gesamtproduktivität sinkt, die aufgrund des geringeren Bildungsstandes bei höherer Kinderzahl bereits vermindert ist. Der Versuch der Anhebung der Pro-Kopf-Einkommen führt also über die steigende Bevölkerung zur Verschärfung des Teufelskreises der Armut, der zum einen das Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens verhindert, zum anderen wiederum das Bevölkerungswachstum perpetuiert. Je höher die Wachstumsrate der Bevölkerung und je geringer das Ausgangsniveau des Sozialprodukts, desto größer ist die Gefahr, daß die Kapitalakkumulation nicht in ausreichendem Maße steigt, um einen Rückgang der Pro-Kopf-Einkommen zu verhindern.
4.3. Wechselwirkung zwischen nichtanthropogenen und anthropogenen Faktoren Nachdem wir die Beziehungen der anthropogenen Faktoren untersucht haben, müssen wir vor einer abschließenden Zusammenschau aller unmittelbaren Einflußfaktoren noch die Beziehung zwischen den nichtanthropogenen Faktoren, also dem natürlichen Ressourcenauf- oder -abbau, und den anthropogenen Faktoren betrachten. 4.3.1. Der negative Einfluß menschlieben Handeins auf die natürliche Regeneration Der Umweltrestriktion liegt die Vorstellung zugrunde, daß menschliche Eingriffe die Ressourcenbasis nicht in einer Weise beeinträchtigen sollen, daß wesentliche Funktionen von Ökosystemen, wie die Fähigkeit, Störungen zu verkraften (Stabilität bzw. Resilienz), dauerhaft betroffen sind. Bei Erfüllung der Restriktion sollte deshalb die durch das Zusammenspiel der drei anthropogenen Faktoren folgende Nutzung des Umweltkapitals keine negative Wirkung auf die Fähigkeit der Ökosysteme, sich selbst zu regenerieren und m erhalten, mit sich bringen. Treten solche auf und wirken diese Einschränkungen wiederum negativ auf die Umweltrestriktion zurück, so weist dies darauf hin, daß die Nebenbedingung der nachhaltigen Entwicklung nicht erfüllt ist. Je größer der Umfang menschlicher Handlungen, desto stärker ist c.p. die Beeinträchtigung der natürlichen Regeneration. In welchem Maße dies bereits erreicht ist, zeigen Berechnungen von Forschern der Universität Stanford mm Umfang der menschlichen Nutzung der Nettoprimärproduktion. Letztere stellt die Gesamtmenge an biologisch fixierter (Sonnen)Energie dar, die nach Abmg des Energiebedarfs der autotrophen Lebewesen zum Verbrauch für heterotrophe Lebewesen (Konsumenten und Destruenten) verbleibt. Eine vorsichtige
4.3. Wechselwirkung zwischen nichtanthropogenen und anthropogenen Faktoren
123
Schätzung ergibt, daß der Mensch, nur eine von mehreren Millionen Arten, 40% der terrestrischen Nettoprimärproduktion in Anspruch nimmt, wobei auch der Rest starkem menschlichen Einfluß unterliegt. 80 Jede Ausweitung dieser Zahl bedeutet nicht nur, daß der Lebensraum anderer Arten entsprechend zurückgedrängt und dadurch deren Regenerationsfähigkeit gemindert wird, sondern auch, daß zunehmend weniger Pflanzen zur Erzeugung neuer Nettoprimärproduktion zur Verfügung stehen. Eine höhere prozentuale Inanspruchnahme des Umweltkapitals durch den Menschen schränkt also die Fähigkeit zur Regeneration und damit zur Erhaltung ein und zieht wegen der nunmehr geringeren Ressourcenbasis bei unverändertem menschlichen Eingriff automatisch einen höheren Anteil menschlicher Nutzung des Umweltkapitals nach sich. Eine Spirale immer höheren menschlichen Anteils an einer immer geringeren Ressourcenbasis ist damit vorprogrammiert. Besonders gravierend ist die Zerstörung ganzer Lebensräume, in denen keinerlei Regeneration mehr möglich ist. Auch die Beeinträchtigung des natürlichen Pflanzenschutzes durch übermäßigen Einsatz von Pestiziden und die dabei hervorgerufene Resistenz bzw. Vernichtung der natürlichen Feinde der Schädlinge und die Zerstörung des Lebensraums und der Ernährungsgrundlage wilder Tiere stellen menschliche Störungen stabiler Systeme dar. Oftmals genügen kleine Eingriffe, um die Regenerationstähigkeit einer Art zu zerstören. So ist die Gefährdung der Meeresschildkröten nicht etwa primär auf die Zerstörung des Lebensraums Meer, sondern auf die Störung während der Eiablage zurückzuführen, zu der die Schildkröten einmal im Jahr an bestimmte Strände kommen. Die Wirkung menschlicher Eingriffe hängt also nicht nur von der Intensität derselben, sondern auch von der Art und den spezifischen Bedürfnissen und Anpassungsfähigkeiten jeder Art und jedes Ökosystems ab. Entscheidend ist, ob menschliche Aktivität nur eine vorübergehende Verschlechterung der Umweltqualität bewirkt, die korrigiert werden kann, oder ob diese dauerhaft ist und weiteren Verfall nach sich zieht. Ob die Selbstheilungskräfte der Natur ausreichen bzw. mobilisiert werden können, die Umwelt also resilient ist, oder ob eine dauerhafte, sich weiter verstärkende Degradierung einsetzt, ist eine Gratwanderung. So erhöht selektiver Holzeinschlag die Bruttoprimärproduktion des Waldes, da Lücken in der Krone neues Wachstum fördern.U In Kap. 2.1.1 wurde allerdings bereits dargelegt, daß diese Reaktion nur dann zu erwarten ist, wenn der Eingriff nicht gravierend oder dauerhaft ist. Während bei natürlichen Streßsituationen, etwa durch Feuer, Stürme oder klimatische Störungen, das Kriterium der Einmaligkeit des Eingriffs gegeben
~ Vgl. Virousek u.a. (1986), S. 368. 81 Vgl. Colüns/Sayer1Whitmore(1991), S. 18.
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4. Kapitel: Interdependenzen zwischen den unmittelbaren Faktoren
ist und die Natur und ihre Subsysteme die Möglichkeit haben, sich schrittweise an neue Rahmenbedingungen anzupassen, ist dies bei menschlichen Eingriffen nur selten der Fall. Anthropogene Eingriffe in die Umwelt zeichnen sich oftmals durch ihren Wiederholungscharakter bis hin zur Dauerstörung und die Geschwindigkeit der aufeinanderfolgenden Belastungssituationen aus. Zeit für Anpassung, etwa durch Symbiosen oder Mutationen, bleibt in der Regel nicht. So zeigt denn auch die forstwirtschaftliche Praxis, daß in den überwiegenden Fällen unsachgemäßer, übermäßiger und in zu kurzen Zeitabständen sich wiederholender Holzeinschlag Erosion verursacht oder fördert, Lebensräume für Tiere derart stört, daß diese zum Aussterben verurteilt werden, und die Tragfähigkeit des Bodens nachhaltig mindert. 82 Die im zweiten Kapitel dargestellten Reaktionen der Natur auf anhaltende Störungen, Fragmentierung und Isolierung und die daraus resultierende Reduktion oder gar Umkehrung des natürlichen Aufbaus von Umweltkapital ist also in der Regel Folge menschlicher Eingriffe. Auch die offenkundige Zunahme von Naturkatastrophen nach Zahl und Wirkung im letzten Jahrzehnt83 deutet auf Veränderungen in ökologischen Abläufen hin, die nicht mehr mit natürlichen Ursachen erklärt werden können. Vermutete Zusammenhänge zwischen anthropogen verursachten Klimaveränderungen und der Zunahme von Stürmen, Bränden, Dürren, Unwettern oder extremen Witterungen (wie dem El-Niiio-Effekt84) erfahren zunehmend empirische Bestätigung. Vor allem die Intensität und das Ausmaß von Umweltkatastrophen ist unmittelbar vom Umfang der vorangegangenen menschlichen Einflüsse abhängig, zum Teil sind diese aber auch unmittelbare Auslöser. Durch Abholzung und die damit verbundene Erosion freigelegte Kohleflöze und Torfschichten entzünden sich leicht. Brandrodung und Brandstiftung sind nicht selten eigentliche Auslöser von Bränden, die - einmal gelegt - nur schwer unter Kontrolle zu bekommen sind. 85 Ungeschützte Felder, offene Flächen und auf wenige Lebensräume beschränkte Tier- und Pflanzenarten sind wesentlich anfälliger für verheerende Folgen von Umweltkatastrophen, während geschlossene Wälder, geschützte Küsten und artenreiche Ökosysteme weniger anfällig sind. Das Auffüllen natürlicher oder künstlicher Abflüsse ist oft erst die Ursache von Springfluten (flash floods). Wird der Boden durch Bebauung und Stra-
82 Vgl. RepeltO (1988b) und Amelung /Dieh/(1992). 83 Vgl. World Bank (1991b), S. 95 und am Beispiel der Philippinen Bautisla (1994), S. iv. 84 Als EI-Niiio-Phänomen bezeichnet man die in unregelmäßigen Abständen auftretende Veränderung des Luftdrucks und EIWärmung des Pazifiks an der Westküste Südamerilcas, die dort zu Überschwemmungen und an der gegenüberliegenden Küste - in Australien und Südostasien - zu Dürreperioden führt. Das Anhalten dea seit 1991 auftretenden Phänomena wird auf den Treibhauseffekt zurückgeführt. Die Kosten des EI Niiio 1982/83 wurden auf 8 Mrd. US $geschätzt. Vgl. o.V. (1994g), S. 9, o.V. (1994j), S. 11 und Kap. 5.3 zu den Folgen der Dürren in Indonesien. 85 Zu Ursachen von Bränden und Beispielen siehe Kap. 5.3.
4.3. Wechselwirkung zwischen nichtanthropogenen und anthropogenen Faktoren
125
ßen versiegelt und werden Wälder ausgedünnt, so versickert das Regenwasser nicht mehr, sondern wird in die durch Begradigung immer schneller fließenden Flüsse geleitet, wo sich Wasser rasch ansammelt. Hochwasser können also oftmals unmittelbar auf menschliche Eingriffe zurückgeführt werden. 86 Auch über die Wirkung von Umweltkatastrophen macht sich also der Einfluß anthropogener Belastung des natürlichenRessourcenauf-und -abbaus bemerkbar. 4.3.2. Rückwirkungen der Beeinträchtigung der natürlichen Faktoren auf den Menschen Betrachtet man die Beziehung zwischen Mensch und Umwelt, so wird deutlich, daß die Umwelt über ihren unmittelbaren Wohlfahrtseffekt (Kap. 2.1.2) und mittelbar über ihre Bedeutung fiir das ökonomische System (Kap. 2.3.1) das menschliche Wohlbefinden maßgeblich beeinflußt. Je stärker die Regeneration natürlicher Ressourcen, je höher die Assimilationskapazität der einzelnen Umweltmedien wie Luft, Wasser und Boden und je geringer Verluste durch Naturkatastrophen sind, desto größer ist das Umweltkapital, das Menschen in einer Periode über die Differenz zwischen der in der Ausgangssituation bestehenden Menge und der Sollmenge hinaus nutzen können, ohne die unmittelbar aus einer intakten Umwelt gezogenen Nutzen aufs Spiel zu setzen. Der Umfang der in einer Zeiteinheit vom Ökosystem netto produzierten Biomasse ist also ein Puffer an nutzbarem Kapital, das entweder zusätzlich zur Verfügung steht oder aber einen über das langfristig akzeptable Maß hinausgehenden Verzehr von Umweltkapital zumindest zum Teil kompensieren kann. Jede Beeinträchtigung des natürlichen Auf- und Abbaus von Umweltkapital wirkt also unmittelbar negativ auf Wohlfahrt und das ökonomische System. Geringere Ausstattung mit Umweltkapital begrenzt nicht nur absolut den Spielraum fiir nachhaltiges Wirtschaften, es beeinträchtigt bereits vor Erreichen desselben die Grenzproduktivität der anderen Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital. 87 Wird nämlich ein Umweltfaktor knapp, der nicht substituiert oder beliebig vermehrt werden kann, so kann dies die Produktion limitieren, unabhängig davon, in welchem Maße andere Produktionsfaktoren vorhanden sind. Viele der in Kap. 2.1.2 genannten Beispiele fiir negative Rückwirkungen natürlicher Systeme stellen sich bei genauerer Betrachtung weniger als Folge
86 Vgl. o.V. (1993h), S. 13 und Möhring (1993) anläßtich der Hochwasser zur Jahreswende 93/94. 87 Vgl. Heu.ss (1981), S. 101, 109.
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4. Kapitel: Interdependenzen zwischen den unmittelbaren Faktoren
zu hoher als vielmehr zu niedriger, also durch menschliches Handeln beeinträchtigter ökologischer Funktion dar. So führt ein Beamter der indonesischen Naturschutzbehörde die Zerstörung von Feldern und Häusern durch wilde Elefanten auf Sumatra unmittelbar auf die massive Abholzung des Dschungels und die Entwicklung neuer Siedlungen in diesem Gebiet zurück, die den Lebensraum dieser wilden Tiere soweit einschränkten, daß eine friedliche Anpassung nicht mehr erfolgen konnte. 88 Abholzung und Bergbau fördern auch die Ausbreitung von Malaria, da die Schutzzonen des Waldes durchbrochen und damit der Verbreitung förderliche Bedingungen geschaffen werden: "If there is forest, that means men are not close to borlies of water where the insects breed, and the insects will contact animals instead of humans. "89 Besonders ernstzunehmende Rückwirkungen der von Menschen angerichteten Beeinträchtigung natürlicher Funktionen ergeben sich hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen Wäldern und Klima. Der Verlust der Vegetation führt nämlich zum Rückgang der Evapotranspiration, was wiederum zu einem Rückgang der Regenfälle führt. Zudem scheint ein Zusammenhang zwischen Wäldern und der Wolkendecke zu bestehen, die wiederum sowohl die Temperatur als auch den Regenfall beeinflußt. Norman Myers führt empirische Beispiele aus Malaysia, den Philippinen, Indien, der Elfenbeinküste und Panama an, die auf reduzierte Regenfälle infolge der Regenwaldabholzung verweisen. Dies hat in den genannten Gebieten zu erheblichen Produktivitätsverlusten in der Landwirtschaft bis hin zum Ernteausfall und der Aufgabe von Flächen geführt. 90 Entsprechendes trifft auch auf die Auswirkungen von Naturkatastrophen zu. Wie in Kap. 4.3.1 gezeigt, werden die durch Unwetter, Vulkanausbrüche und Erdbeben verursachten monetären und nichtmonetären Schäden durch menschliche Übernutzung und die damit einhergehende Störung natürlicher Ausgleichsystemeund Öffnung von geschützter, resistenter Natur verstärkt. Es ist äußerst schwierig, die durch Umweltkatastrophen für das Wirtschaftssystem entstandenen Schäden zu quantifizieren. Noch schwieriger ist, bei Naturkatastrophen den Anteil der Schäden, der auf vorherige anthropogene Eingriffe zurückzuführen ist, von den nichtanthropogenen, also unvermeidbaren Einflüssen zu trennen. Die von verschiedenen Institutionen in jüngster Zeit angegebenen Zahlen sind allenfalls Untergrenzen und dürften die Schäden in Entwicklungsländern in wesentlich stärkerem Maße unterschätzen als in Industrieländern, da in letzteren über Versicherungen eine bessere Quantifizierung der ökonomischen Schäden entsteht.
88 Vgl. o.V. (19931), S. 17. Das Ausmaß der durch Elefanten angerichteten ökonomischen Schäden beläuft sich aufSumatra in Millionenhöhe. Vgl. Collins/Sayer/Whitmore (1991), S. 40. 89 Malariaforscher Prof. Femando lnfantosi, zitiert nach MacLeod (1993), S. 17. 90 Vgl.
Myers (1988), Myers (1992), S. 436 und Reichholf(I990), S. 165ff.
4.3. Wechselwirkung zwischen nichtanthropogenen und anthropogenen Faktoren
127
Nach Messung malaysischer Wissenschaftler wurde durch den durch Waldbrände in Indonesien im Herbst 1994 verursachten dichten Rauch die Photosyntheserate von Feldfrüchten in Malaysia um 30% reduziert, was entsprechende Ernteverluste erwarten läßt. 1991 hatten ähnliche Brände in Indonesien selbst 360.000 ba Ackerland geschädigt. Die Schätzungen der monetarisierbaren Schäden der Brände des Jahres 1994 in der Land- und Forstwirtschaft Indonesien belaufen sich auf ca. 310 Mio. DM, wobei dies die Verluste des privaten Sektors noch nicht einschließt. Flughäfen in der Region mußten wegen des Rauchs geschlossen werden, Verkehr und Handel wurden beeinträchtigt und die Häufung von Atemwegserkrankungen in Malaysia, Singapur und Indonesien war akut. 91 US-Behörden geben die Kosten von Naturkatastrophen in 13 Ländern Asien im Zeitraum zwischen 1980 und 1991 mit 42,6 Mrd. US$ an. 92 4.3.3. Möglichkeiten positiver Intervention des Menschen
In einigen Fällen ist es möglich, bei Entdecken abnehmender Regenerationsfähigkeit, die unkorrigiert zu dauerhaften, unzulässigen Schäden fiihrt, gegenzusteuern. Der Mensch hat also durchaus Spielräume für unmittelbare Beeinflussung natürlicher Wachstumsvorgänge. Wenn die Produktivität eines Agrosystems zurückgeht, so können Dünger, Pflanzenschutz oder die Entwicklung neuer Pflanzen dem entgegenwirken bzw. die bei Übernutzung Ernteverluste hervorrufenden Inputs, z.B. Pestizide, reduziert werden. Die Verminderung der Assimilationskapazität eines Gewässers, die wiederum zur untragbaren Verschlechterung der Wasserqualität führt, kann durch Vermeidung der belastenden Einleitungen, Unterstützung der Assimilationsfähigkeit bzw. durch Reinigung, etwa durch den Ausgleich von Überdüngung durch die Zugabe von Sauerstoff, korrigiert werden. Planmäßige Aufforstung und entsprechende forstwirtschaftliche Maßnahmen können die natürliche Regeneration deutlich beschleunigen und verbessern. Vom Aussterben bedrohte Arten können durch Aufzucht erhalten und Umweltkapital dadurch vermehrt werden, wobei neuen bio- und gentechnologischen Erkenntnissen große Bedeutung zukommt. Die Erholung der Ressourcen ist dann durchaus wieder möglich. Menschliebe Korrekturen sind bis zum gewissen Grade auch zur Vermeidung von Naturkatastrophen bzw. deren Schadenshöhe möglich, etwa durch schützende Aufpflanzungen, Küstenschutz und andere Maßnahmen zur Schadensvermeidung (Feuereindämmung). In zahlreichen Fällen, etwa bei Vulkanausbrüchen oder Stürmen, ist durchaus eine Vorwarnung möglich, die zumindest die
91 Vgl. Sinaga (1994), S. I, Soh (1994), Devan (1994), S. 11 und o.V. (199lb), S. 17. 92 Vgl. o.V. (1993h), S. 12.
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4. Kapitel: Interdependenzen zwischen den unmittelbaren Faktoren
Evakuierung betroffener Menschen und das Ergreifen schützender Maßnahmen möglich macht. Intervention kann aber auch dann einsetzen, wenn zwar der schädliche Effekt (z.B. Emissionen, Ozonloch) bereits eingetreten ist, deren Wirkung auf den Menschen aber durch Immissionsschutz vermindert werden kann, etwa durch das Tragen von Atemschutzmasken, Schutzanzügen oder die Verwendung von SonnenschutzmitteL In anderen Fällen sind einmal eingetretene Schäden kaum mehr zu korrigieren, v .a. wenn es sich um kumulative Effekte handelt oder dauerhafte Änderungen ökologischer Mechanismen auftreten. Es besteht auch stets die Gefahr, daß menschliche Interventionen die Störungen des ökologischen Systems nicht abschwächen, sondern ungewollt verstärken. Paradebeispiel sind die ökologischen Nebeneffekte der sogenannten grünen Revolution, des Versuchs, die Ernteerträge durch Einsatz von Düngern und Pestiziden erheblich zu steigern. 93 Ebenso mißlingt oft der Versuch, durch nichtheimische Arten das für den Menschen vor allem als Nahrung nutzbare Umweltkapital zu steigern. Die Einführung von Kaninchen, Rehen und Ziegen brachte etwa in Australien und Neuseeland erhebliche Waldschäden und die Gefährdung einheimischer Arten mit sich. In zahlreichen Seen, etwa dem Titicacasee in den Anden oder dem ostafrikanischen Viktoriasee, haben eingesetzte Fischarten das delikate ökologische Gleichgewicht gestört und ganze Arten aussterben lassen. Wiederum verursachte dies negative Rückwirkungen auf die einheimische Bevölkerung, deren Ernährung und Handel zum Teil von diesen Arten abhingen. 94 Damit ist nicht gesagt, daß der Versuch, in natürliche Abläufe einzugreifen, um die Nahrungsmittelversorgung oder den Gesundheitsstand der Bevölkerung zu verbessern, neue wirtschaftliche Optionen zu eröffnen oder Umweltprobleme zu korrigieren, a priori abzulehnen ist. Jedoch muß vor überschäumendem Optimismus hinsichtlich der Lösbarkeit auftretender Probleme durch technischen Fortschritt gewarnt werden. Die Erfahrungen auf dem Gebiet des Gesundheitswesens mahnen zur Besorgnis, da sie unmittelbar auf andere Umweltbereiche übertragbar sind: Zahlreiche Krankheiten und Seuchen, wie Tuberkulose, Cholera, Malaria und Pest, die durch Hygiene, Impfungen, großräumigen Einsatz von Pestiziden und die Entwicklung von Medikamenten überwunden schienen, erleben ein Comeback mit neuen Stämmen von Erregern und Überträgern, die sich gegenüber Insektiziden, Impfstoffen und Medikamenten resistent zeigen. 95 Es scheint, daß die Fähigkeit der die Krankheiten übertragenden Lebewesen, Viren und Bakterien, sich an Medikamente, Gifte
93 Zur "griinen Revolution" in der Dritten Welt siehe Fox (1991), Aden (1975), S. 992-995 und Ascher/Healy (1990), Kap. 3. 94 Vgl. Klamer (1993), S. N4. 95 Vgl. Mikena (1994), Johnson (1993), Loh (1993), S. 4, MacLeod (1993) und FUJhl (1993).
4.3. Wechselwirkung zwischen nichtanthropogenen und anthropogenen Faktoren
129
und Impfstoffe anzupassen, die Fähigkeit, solche zu entwickeln, bisweilen übersteigt. Je gebräuchlicher und allgemeiner der Einsatz dieser Gegenmittel ist, desto rascher ist auch die Anpassung und Resistenzbildung. Der zu häufige Einsatz von Antibiotika hat zur Bildung von resistenten Bakterien geführt, die bislang heilbare Krankheiten zu einem tödlichen Ausgang bringen können. Ein Wissenschaftler der Rockefeiler Universität in New York weist auf das Beispiel einer verbreiteten Art der Lebensmittelvergiftung hin, deren verursachende Bakterien nur noch gegen ein Mittel, Vancomycin, nicht resistent sind: "It is only a matter of time until Staphylococcus develops resistence to vancomycin and then we will have no way to treat these infections. We are playing a dangerous chess game ... and it is a game we are very close to losing. "96 4.3.4. Determinanten der Wirkungsrichtung anthropogener Einflüsse und des Ausmaßes der Rückwirkungen Aus dem Gesagten ergibt sich unmittelbar, daß jeder einzelne anthropogene Faktor das Ausmaß der negativen Einflüsse auf die natürlichen Auf- und Abbauprozesse erhöht. Eine höhere Bevölkerungszahl fordert mehr Platz und mehr Anteil an der Nettoprimärproduktion und schränkt dadurch die Regeneration anderer Systeme ein, ein höheres Sozialprodukt pro Kopf sowie eine höhere Umweltintensität tun ihresgleichen. Allerdings wirken auch die Interdependenzen zwischen den anthropogenen Faktoren entsprechend. Dies wird bei der Frage deutlich, welche Faktoren die Bereitschaft und Fähigkeit zur positiven Intervention bestimmen. Die hier angesprochenen Eingriffe, etwa Aufforstung, die Bekämpfung von Bränden oder der Aufbau von Überwachungs- und Informationsdiensten zur Beobachtung von Vulkanen, Erdbeben und Stürmen, erfordern nicht nur technisches Know-how, sondern auch hohe personelle und finanzielle Ressourcen. 97 Es kommt also zunächst darauf an, ob die aus den Umweltschutzmaßnahmen zu ziehenden Nutzen diese Kosten nach Dafürbalten der Menschen kompensieren. Wie ausführlich dargelegt, hängt diese Bewertung und das Ausmaß der Fehlbewertung sowohl von der Höhe des Pro-Kopf-Einkommens als auch von der Bevölkerungsgröße ab. Zudem müssen die Maßnahmen nicht nur nutzenstiftend, sondern auch finanzierbar sein. Es muß möglich sein, die Wartezeit zwischen Einsatz der unterstützenden Maßnahmen und der Steigerung des Ertrages bzw. spürbarer Min-
96 O.V. (1993t), S. 7. Zur Problematik des Einsatzes von Antibiotika sieheauch Mileua (1994), S. 210 und 214-216. 97 Vgl. Sinaga (1994), S. 6 zum Beispiel mangelnder technischer, personeller und finanzieller Kapazität lndonesiens, Waldbrände zu verhindem oder einzudämmen. 9 Stenge(
130
4. Kapitel: Interdependenzen zwischen den unmittelbaren Faktoren
derung der Belastung zu überbrücken. Die Finanzierbarkeil hängt aber von den zur Verfügung stehenden privaten und öffentlichen Mitteln, also Kreditmöglichkeiten, alternativen Einkommensquellen und Steuereinnahmen, ab und ist damit an die Höhe des Pro-Kopf-Einkommens gebunden. Die Bereitschaft und Fähigkeit zu positiven Interventionen ist auch. umsa höher, je größer das Bewußtsein um die Bedeutung der Umwelt ist und je stärker bereits versucht wird, das Auftreten von Fehlentwicklungen zu vermeiden. Letztere Faktoren neh.men aber oft erst dann zu, wenn negative Wirkungen bereits eingetreten sind, der Nutzen der Umwelterhaltung also offenkundig wird. Positive Intervention vollzieht sich also in der Regel mit einer Verzögerung, ist damit nachsorgend, selten präventiv. Nicht nur die Richtung menschlicher Wirkung auf nichtanthropogene Faktoren, sondern auch die Rückwirkung der Umwelt auf den Menschen ist von den untersuchten Determinanten abhängig. Je größer die Bevölkerung, desto größer ist ceteris paribusdie Zahl der von Rückwirkungen (Naturkatastrophen, Ernteschäden) und der Einschränkung der Produktivkraft Betroffenen. Je niedriger das Sozialprodukt pro Kopf, in desto geringerem Maße werden schadensverhindernde oder -reduzierende Maßnahmen getroffen, desto stärker sind also die negativen Folgen für die Menschen. Je höher die Umweltintensität (durch mangelnde Information, kürzere Zeithorizonte, Marktmängel oder fehlende Wahlfreiheit), desto eher schadet die Einschränkung der Verfiigbarkeit von Umweltkapital, da man in starkem Maße auf diesen Faktor angewiesen ist. Armut ist eng verbunden mit allen drei negativ wirkenden anthropogenen Effekten, nämlich hoher Bevölkerung, geringem Sozialprodukt pro Kopf und hoher Umweltintensität. Da Arme in stärkerem Maße auf die Nutzung natürlicher Faktoren angewiesen sind und nicht über Mittel verfügen, sie zu substituieren, sind sie gesundheitlich und ökonomisch unmittelbar und unausweichlich von Änderungen der natürlichen Regenerationsfähigkeit betroffen. Die technischen und finanziellen Mittel, Schäden zu vermeiden, zu beheben oder sich vor ihren Einwirkungen (Lärm, Gifte) zu schützen, fehlen. Daß Arme marginales, also besonders anfälliges Land bestellen oder bewohnen, verstärkt diesen Effekt. Negative Umwelteffekte sind in diesem Sinne regressiv, belasten also Gesellschaften und Individuen mit geringem Einkommen überproportionaL 4.3.5. Verändert ein reduzierter Mindeststandard das Ergebnis?
Beziehen wir die rechte Seite unserer Ungleichung, also die Höhe des gewählten Mindeststandards mit ein, so ergibt sich unter Berücksichtigung der in Kapitel 2.1.1 augedeutenden und oben weiter ausgeführten Abhängigkeit der Stabilität von der Umweltqualität eine äußerst aufschlußreiche Folgerung: Je höher der Mindeststandard gewählt wird, der extern dem sozio-ökonomischen
4.4. Folgerungen
131
System vorgegeben wird, desto größer ist zwar die Fähigkeit des Umweltkapitals, sich zu regenerieren bzw. umso geringer ist die Gefahr von Naturkatastrophen, aber umso geringer ist dann auch die Differenz zwischen dem Ist- und dem Sollzustand (bzw. wird sogar negativ) und damit das sich daraus ergebende verwendbare Umweltkapital. Versucht man dagegen durch die Wahl eines geringeren Soll-Wertes eine größere Verfügbarkeil von Umweltkapital zu erhalten, führt dies über die geringere Regenerationsfähigkeit des Umweltsystems und die höhere Anfälligkeit für Naturkatastrophen zu einer Reduktion des verfügbaren Umweltkapitals. Dies zeigt deutlich, daß sich durch eine politisch oder ökonomisch motivierte statt streng naturwissenschaftlich begründete Wahl des Mindestwerts der innerhalb der Restriktion zur Verfügung stehende Umfang des Naturkapitals nicht erweitern läßt. Die Fähigkeit der Natur, Umweltkapital hervorzubringen, ist also zum einen durch den Influx der Sonne und das Vorhandensein anderer Faktoren (Wasser, Nährstoffe) und zum anderen durch mögliche negative Rückkopplungen der Umweltnutzung beschränkt und bedeutet keineswegs, daß sich der menschliche Spielraum für Umweltnutzung durch Herabsetzung normativer Standards ausdehnen läßt.
4.4. Folgerungen Fassen wir die bisherigen Ergebnisse der paarweisen Betrachtung der Interdependenzen zwischen den unmittelbaren Faktoren zusammen und berücksichtigen die mehrdimensionalen Interdependenzen, so ergeben sich zwei potentielle Gefahrenkonstellationen, die für die Betrachtung von Umwelt- und Entwicklungsproblemen in der Dritten Welt von herausragender Bedeutung sind: die Bevölkerungs-Armuts-Umwelt-Falle und das Ressourcenparadox. 4.4.1. Die Bevölkerungs-Armuts-Umwelt-FaDe
Ausgangspunkt sei eine Situation niedrigen Sozialprodukts, das innerhalb der Tragfähigkeit des ökologischen Systems erzeugt wird (Fall indigener Stämme). Ein Abweichen von diesem nachhaltigen Gleichgewicht kann nun von zwei Seiten erfolgen: durch das Streben nach Wohlstand oder durch Gefährdung der Tragfähigkeit durch andere Faktoren (natürliche Faktoren, Bevölkerungssteigerung). Die Herausforderung für die jeweilige Gesellschaft ist die Bewältigung des demographischen Übergangs, also die Erzielung steigender Pro-Kopf-Einkommen, bei gleichzeitiger Berücksichtigung der ökologischen Restriktionen. Erfolgt die Einkommenssteigerung in einer Phase, in der die Tragfähigkeit des ökologischen Systems noch nicht überschritten ist, so birgt die in den vorherigen Abschnitten dargestellte zunehmende Umweltbelastung kein direktes 9*
132
4. Kapitel: Interdependenzen zwischen den unmittelbaren Faktoren
Problem. Nach Erreichen eines bestimmten Lebensstandards lassen sich alle drei Einflußfaktoren Bevölkerung, Umweltintensität und Sozialprodukt beschränken, sollte es zum Erreichen der Nachhaltigkeitsschwelle kommen. Sollte allerdings die Ausweitung des Sozialprodukts in einer Situation nötig werden, in der die Tragfähigkeit des ökologischen Systems bereits eingeschränkt ist (entweder durch zu geringe Ausstattung mit Umweltkapital, zu hohe Bevölkerung oder zu große Umweltintensität), so tritt ein Phänomen auf, das wir als Bevölkerungs-Armuts-Umwelt-Falle bezeichnen können: Liegt das Durchschnittseinkommen einer Gesellschaft oder einzelner Bürger unterhalb eines als ausreichend betrachteten Betrags und besteht bereits Bevölkerungsdruck, der durch Amiut verstärkt bzw. erhalten wird, so implizieren beide Aspekte Ineffizienz im Umgang mit Umwelt. Ist die Tragfähigkeit bereits erreicht, so wird sowohl das Sozialprodukt beschränkt als auch hohes Bevölkerungswachstum erhalten. Die sich ausweitende Spirale verstärkt Umweltschäden, führt zu Extemalitäten und Ineffizienz und erhält damit Armut: "Die sinkende Produktivität zwingt immer größere Anteile der verfügbaren Arbeitszeit in solche Aktivitäten zunick, die der Befriedigung der allernotwendigsten Grundbedürfnisse dienen - und entzieht sie damit anderen, potentiell entwicklungsfördernden Tätigkeiten. Es ist also genau dieser immer härtere Kampf ums Überleben, der um so aussichtsloser wird, je intensiver er geführt wird. "98
Eine neue Runde des Elendskreises wird damit eingeleitet: "resource mismanagement ist recursive: darnage to the resource base now makes the ability to recover from that damage, or from exogenous events such as reduced rainfall, Iess in the future. "99 Dieses Phänomen spiegelt sich auch in den Diskontsätzen wider: Die Übernutzung der Umwelt macht diese knapper, die unmittelbare Nutzung zur Überlebenssicherung dringender und die allgemeinen Investitionsrisiken größer, was eine Erhöhung der Zeitpräferenzrate bzw. des Marktzinses impliziert. Diese wiederum beschleunigt die Nutzung der Ressourcen bei ineffizienter Nutzung derselben. 100 Der fatale Kreislauf findet also in verschiedenen Indikatoren seine Entsprechung. Die Chance auf erfolgreichen Vollzug des demographischen Übergangs sinkt mit immer gravierenderer Verletzung der Tragfähigkeit. Die Wirkung negativer Extemalitäten ist dabei größer als vermutet: Werdeo Umweltkosten des Kapitaleinsatzes nicht in die Analyse einbezogen, so wird zu viel Kapital und zu wenig Arbeit (auch in Form von Innovation/Organisation) eingesetzt. Dies
9S Harlxmh (1992), S. S2f.
(1990), S. 343. 100 Vgl. Pearr:e/Markandya (1989), S. SI und Barbier (1989a), S. 199f.
99 Pearr:e/Tumer
4.4. Folgerungen
133
führt nicht nur zu ineffizienter Allokation und hoher Umweltintensität, sondern bei bestehendem Arbeitskräfteüberhang auch zu Arbeitslosigkeit und Persistenz von Armut, was wiederum Ineffizienz und Bevölkerungswachstum induziert.
In der Realität lassen sich Ursache und Wirkung innerhalb des Teufelskreises nicht mehr trennen. Ist die Bevölkerung arm, weil sie ineffizient oder die Ressourcenausstattung unzureichend ist, oder ist die Ressourcenausstattung nur deshalb dezimiert und Ineffizienz nur deshalb gegeben, weil die Bevölkerung arm ist? Die Spirale kann also dadurch ausgelöst werden, daß Armut Ressourcenausbeutung bewirkt, aber auch, daß Bevölkerungsdruck oder externe Katastrophen Umweltbelastungen mit sich bringen, die Armut erst erzeugen und damit den Kreislauf in Gang setzen, in dem die Überlebensstrategie die Vernichtung der Überlebensgrundlage nach sich zieht. Dieser Kreislauf, einmal begonnen, beschränkt sich nicht auf die Ausgangsregion, sondern breitet sich zwangsläufig aus: entweder durch den Rückgriff auf natürliche Ressourcen anderer Regionen und Gruppen oder die Flucht der am meisten betroffenen Bevölkerung, also der Armen, in andere Regionen. 101 Dort wird der Bevölkerungsdruck verstärkt und kann einen ähnlichen Kreislauf in Gang setzen: Die Zuwanderer weisen normalerweise ein geringes Sozialprodukt und damit hohe Umweltintensität auf und sind auch in der neuen Heimat anfällig für marginale Lebensweisen (Slumbildung). Aufgrund mangelnder Absicherung und schlechterer Gesundheits- und Bildungslage weisen sie besonders hohe Geburtenraten auf. 102 Aus lokaler Mißachtung der Nachhaltigkeil wird eine regionale und schließlich eine globale. Das Auftreten der ArmutsBevölkerungs-Umwelt-Falle bei einer Teilgruppe der Gesellschaft kann sich also rasch ausbreiten und damit die Gesamtheit der Gesellschaft in eine Falle führen, obgleich deren Durchschnittseinkonunen insgesamt zufriedenstellend wäre. Ausreichend hohes Pro-Kopf-Einkommen sichert also noch nicht die Immunität vor diesem Phänomen, wenn es ungleich verteilt ist. Auf der Suche nach Lösungsmöglichkeiten tritt die Ambivalenz des Sozialprodukts in Verbindung mit Verteilungsaspekten voll zutage: Eine Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens der Armen ist nötig, um zu einem Niveau zu gelangen, bei dem die Umweltintensität geringer ist und die Bevölkerungs-Armuts-Umwelt-Falle aufgelöst wird. Allerdings besteht aufgrundder höheren Umweltbelastung pro Sozialproduktseinheit bei geringerem Ausgangsniveau das Problem, daß jeder Versuch, dieses Niveau anzuheben, zunächst ja eine hohe Umweltnutzung mit sich bringt. Eine Senkung der Umweltintensität ist also nur zu erreichen, wenn vorher die Phase der hohen Um-
101 Zur Problematik der Umweltflüchtlinge WiJhlcke (1992). 102 Zur höheren Fruchtbarkeitsrate bei indonesischen Umsiedlem siehe Otten (1986), S. 71 .
134
4. Kapitel: Interdependenzen zwischen den unmittelbaren Faktoren
weltbelastung pro Sozialproduktseinheit durchlaufen wurde. Unterentwickelte Länder bzw. Arme müssen zuerst die Umwelt stärker belasten, um sich die Ausstattung an Kapital zu verschaffen, die es ihnen ermöglicht, effizienter zu wirtschaften. Dies ist deshalb problematisch, da man sich, wenn man Soziaiproduktssteigerung zum Durchbrechen der Annuts-Bevölkerungs-U mwelt-Falle benötigt, ja bereits jenseits der Tragfähigkeit des ökologischen Systems befindet. Zusätzliche Umweltbelastung, die zunächst direkt (via erhöhtes Sozialprodukt) und indirekt über die zunächst hohe Umweltintensität desselben erfolgt, ist eigentlich nicht mehr zulässig. Ein zweites potentielles Dilemma ist eng damit verbunden: Soll eine zu erzielende Einkommenssteigerung bevorzugt den Armen zukommen, um den obigen Zusammenhang aufzulösen, so kann es durch diese Umverteilung aufgrund der geringeren Sparquote und der geringeren Produktivität der Armen neben einer zunächst höheren Umweltintensität auch zu einer Begrenzung des Wachstums kommen. 103 Der materielle Spielraum zur Überwindung von Armut wird also zunächst durch die nötige Umverteilung beeinträchtigt. Die entscheidende Frage ist, wie schnell die positiven Effekte einer Auflösung oder Milderung der Armuts-Bevölkerungs-Umwelt-Falle die aus der geringeren Produktivität/Effizienz und höheren Umweltintensität bei geringerem Einkommensniveau resultierenden Tendenzen kompensieren können. Eine statische Betrachtung reicht hier nicht; die Dynamik der Entwicklung ist maßgeblich. Auch wenn man sich dieser Problematik bewußt ist, besteht zur Erhöhung des Sozialprodukts keine Alternative, da sich bei Bestehenbleiben der Bevölkerungs-Armuts-Umwelt-Falle in jedem Fall ein Zusammenbruch des Systems ergibt. Eine Entlastung des ökologischen Systems durch die Einschränkung von Bevölkerungswachstum, Umweltintensität und Konsum/Produktion, wie es bei Ländern mit erfolgter demographischer Transformation möglich ist, ist keine Option, da eine Senkung des Sozialprodukts die Erreichung der anderen beiden Ziele verhindert. Zudem ist Bevölkerungspolitik nicht zu erwarten, wenn die in Verbindung mit Unterentwicklung genannten Ineffizienzen auftreten. Entscheidend ffir den Erfolg einer Strategie nachhaltiger Entwicklung ist, wie rasch die Erhöhung des Einkommens die ursprünglich hohe Umweltintensität sinken läßt und damit die negativen Effekte durch höhere Umweltbelastung überkompensiert. Dies hängt maßgeblich davon ab, ob die Einkommenserhöhung den Zusammenhang zwischen Armut und Bevölkerungswachstum aufbricht, indem die reale Einkommensposition der Armen verbessert wird, und ob eine Steigerung des Sozialprodukts auch das Verhalten derjenigen ändert, die in der Ineffizienzfalle gefangen sind. Der Verteilung des Sozialprodukts
!03 Vgl. zu dieser These und ihrer Kritik GiJrgens (1988), S. 667f.
4.4. Folgerungen
135
direkt oder indirekt (über staatliche Hilfsleistungen, Internalisierung) kommt also entscheidende Bedeutung zu. Als Argument gegen die Vorstellung von der negativen Folgewirkung geringen Einkommens und die Folgerung der Notwendigkeit von Wirtschaftswachstum wird auf die Umweltverträglichkeit der Lebensweise traditioneller Gesellschaften (Indianer des Amazonas, indigener Völker Asiens und Afrikas) verwiesen. Diese hätten zwar eine geringe materielle Ausstattung, aber keineswegs hohes Bevölkerungswachstum, sie nutzen darüber hinaus die Umwelt sehr effizient. Allerdings darf daraus nicht geschlossen werden, daß diese Lehensweise, die wir als Ausgangspunkt betrachtet haben, auf diejenigen Gesellschaften übertragbar ist, die durch externe Störungen in die beschriebene Falle geraten sind. Die genannten indigenen Gesellschaften leben auf geringem absoluten Konsumniveau (freiwillig?) bei extrem geringer Bevölkerungsdichte. Eine Steigerung des Outputs zur Ernährung eines wodurch auch immer implizierten Bevölkerungswachstums können sie in der Regel nicht verkraften. Das System bricht zusammen. Dies kann erklären, warum auch in vorindustrieller Zeit Gesellschaften zerfielen und Landschaften verödeten. Ein Zurückkehren zu traditionellen Lebensweisen ist aufgrund der gewachsenen Bevölkerung und der gestiegenen Bedürfnisse nicht mehr möglich. Ein weiteres Phänomen ergibt sich aus der Analyse: Tendenzen zur Internalisierung von Externalitäten bzw. zur angemessenen Berücksichtigung von Umwelteffekten ergehen sich in der Regel erst, wenn diese aufgrunddes Auftretens negativer Erscheinungen ein bestimmtes Maß überschreiten: Erst das Erkennen von Schäden leitet Maßnahmen dagegen ein und läßt die Nachfrage nach Umwelt steigen. Mit zunehmender Gefährdung der Umweltrestriktion wird sparsame Nutzung der Umwelt erzwungen, Einfallsreichtum gefördert. Das Wissen um dieses "Aufbäumen" des Menschen bei Bedrohung muß aber mit gemischten Gefühlen gesehen werden. Es ist zu vermuten, daß bereits eingetretene Schäden sich nicht mehr oder nur mit erheblichen Kosten beseitigen lassen. Zum anderen muß bei bestehender Bevölkerungs-Armuts-UmweltFalle bezweifelt werden, ob die Notlage Innovationen in dem Maße hervorbringen kann, das nötig wäre, um die Situation zu entspannen. Gerade wenn wir uns in einer Falle befinden, stehen die zur Produktivitätssteigerung nötigen Komplementärfaktoren zur Arbeit nicht zur Verfügung; Umwelt- und Sachkapital, nicht der Produktionsfaktor Arbeit, sind die limitierenden Faktoren. Die These von der Reaktion auf Notlagen ist eher umgekehrt zu interpretieren, nämlich daß Menschen unabhängig vom Einkommensniveau zu höherer Ineffizienz neigen, solange die Lage noch unkritisch ist, die Beseitigung der Ineffizienz also relativ einfach wäre. Dementsprechend bestünde also eine klare Tendenz, die Entwicklung auf den kritischen Wert hintreiben zu lassen.
136
4 . Kapitel: Interdependenzen zwischen den unmittelbaren Faktoren
4.4.2. Das Ressourcenparadox Aus der Ceteris-paribus-Betrachtung und der Beobachtung einfacher paarweiser Beziehungen hatte sich die positive Wirkung einer hohen Ausstattung an Umweltkapital ergeben. Berücksichtigt man aber das zwangsläufige Auftreten von Ineffizienzen, so kann eine Situation entstehen, in der dieser "Reichtum" ins Gegenteil umschlägt und negativ rückwirkt. Diese Einschränkung der positiven Korrelation zwischen Umweltkapital und Wohlfahrt/Umwelt, die wir als Ressourcenparadox bezeichnen wollen, tritt auf, wenn a) die Nutzung der Ressourcen nicht nur Abbau derselben bedeutet, sondern auch andere Umweltfaktoren negativ beeinflußt und b) der vermeintliche oder tatsächliche Ressourcenreichtum mit ineffizientem Verhalten einhergeht. Das Phänomen ergibt sich zunächst aus der Multifunktionalität natürlicher Ressourcen und aus den starken Interdependenzen zwischen Ökosystemen. Dabei ist der Spielraum, der in bezugauf eine Umweltressource unter Beachtung der Nachhaltigkeil zur Verfügung steht, nicht für alle konkurrierenden Nutzungen gleich groß. Die vermeintlich nachhaltige Nutzung des Waldes aus forstwirtschaftlicher Sicht kann aus Sicht der Erhaltung der geologischen und hydrologischen Funktionen sowie der Rolle als Lebensraum für Tiere bereits zu hoch sein. Diese Gefahr wird vor allem bei der Nutzung erschöpfbarer Ressourcen übersehen. Bestünden keine Nebeneffekte und konkurrierenden Nutzungen, so könnte man die Ausbeutung von Bodenschätzen eigentlich nicht als Umweltproblem auffassen. Wir hätten es dann nur mit der Frage zu tun, wie die Ressourcennutzung optimal über die Zeit zu verteilen ist. Je reichlicher ein Land mit erschöpfbaren Rohstoffen ausgestattet ist, desto besser wäre es für dieses Land, da es sich bezüglich des Umweltkapitals im ungünstigsten Fall - nach Abbau aller Vorkommen - in derselben Position befände, als wenn es diese Ressourcen von vomherein nicht besessen hätte. Diese Betrachtung ändert sich aber, wenn wir Nebenwirkungen einbeziehen. Diese können entweder mit der Extraktion, der Weiterverarbeitung oder der Endnutzung der Ressourcen verbunden sein. Während des Abbaus von Rohstoffen wird erheblich in die Umwelt eingegriffen. Durch Tagebau, aber auch Untertagebau, Bohrlöcher, -türme und-plattformenund durch die notwendige Infrastruktur wird der Boden anderen Nutzungen entzogen und zum Teil irreversibel degradiert. Weitreichende Nebenwirkungen folgen, da der Betrieb der Abbaustätten Wasser-, Boden- und Luftverschmutzung mit sich bringt. Minenabraum führt zur Vergiftung und Verschlammung von Flußläufen; dies schädigt bis weit entfernt landwirtschaftliche Nutzflächen und Küstenbereiche, insbesondere die ökologisch wertvollen Mangroven, und hat direkte Gesundheitswirkun-
4.4. Folgerungen
137
gen auf die das Wasser verwendenden Lebewesen. Der Goldrausch, etwa in Südamerika und den Philippinen, hat zur Vergiftung der Gewässer mit Quecksilber geführt, das bei der Gewinnung von Gold eingesetzt wird. Erosion und eine Zunahme von Überschwemmungen werden mit dem Abbau von Bodenschätzen in Verbindung gebracht}04 Abbau von Uran birgt die Gefahr des Freiwerdens radioaktiver Strahlung. Die Schäden halten dabei noch an, wenn bereits alle Vorkommen erschöpft sind. Durch Nebenwirkungen auf andere Formen des Umweltkapitals ist es durchaus möglich, daß nach Abbau der Ressource das verbleibende Gesamtumweltkapital geringer ist, als wenn die Bodenschätze von vornherein nicht existiert hätten. Das Fehlen von Bodenschätzen und attraktiver, kommerziell verwertbarer erneuerbarer Ressourcen kann also paradoxerweise erhebliche Schutzfunktion für die Natur haben. Das hier beschriebene Problem ergibt sich natürlich nur, wenn nicht alle Funktionen der Umwelt angemessen in menschlichem Verhalten inkorporiert sind. Davon ist aber, wie wir bereits ausführlich erläutert haben, auszugehen. Es ist zudem wahrscheinlich, daß der Nutzen aus dem Abbau selbst bekannt ist, während die Nebenwirkungen zunächst ungewiß und damit unbeachtet bleiben. Es entspricht ökonomischer Rationalität, diejenigen Ressourcen bevorzugt zu nutzen, die vermeintlich reichlich vorhanden sind. Erhebliche Vorkommen an Rohstoffen verführen dazu, diese auch zu nutzen, wobei es zu einer erheblichen Reduktion des Umweltkapitals und einer Erhöhung der Umweltintensität kommen kann. Die hohe Umweltintensität in Form extremer Emissionen pro Produktionseinheit in China ist dort u.a. auf die Verfügbarkeit und deshalb bevorzugten Einsatz stark schwefelhaltiger Kohle zurückzuführen. 105 Bei bestehenden Ineffizieozen kann eine reichhaltige Ausstattung mit natürlichen Ressourcen also zum Fluch werden, wenn dadurch die Effizienz wirtschaftlichen Handeins negativ beeinflußt wird. Für die Relevanz dieses Phänomens gibt es zahlreiche Anhaltspunkte. Gerade den Ländern, die sich durch hohe Effizienz im Umgang mit Energie und Rohstoffen auszeichnen, vor allem Japan und der Schweiz, mangelt es - wie den wirtschaftlich erfolgreichen Schwellenländern Taiwan, Korea, Hongkong und Singapur - an natürlichen Ressourcen. 106 Diese Defizite in der Ausstattung mit Umweltkapital zwingt sie, die vorhandenen oder importierten Ressourcen möglichst effizient einzusetzen. Das Wissen um die Knappheit induziert also eine entsprechende Anpassung des Verhaltens und reduziert zugleich das Ausmaß der unbeabsichtigten negativen Nebenwirkungen. Leider ist der Umkehrschluß ebenso einleuchtend: Je reichli104 Zu den Umweltwirkungen des Bergbaus siehe Bautisla (1994), S. 3S-37, Donner (1987), Kap. 13, ESCAP (1990), S. 242 und Ong/Koh/Phan(l989), S. 13ff. 105 Vgl. Loske /Vorholz(1992), S. S4.
106 Vgl. Leipziger /7homas (1993), S. 3f.
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4. Kapitel: Interdependenzen zwischen den unmittelbaren Faktoren
eher die Ausstattung, desto unbedenklicherer Umgang ist damit zu erwarten. Alle Staaten mit eigenen Erdölvorkommen nutzen Treibstoff verschwenderisch, was sich in einem geringen Energiepreis ausdrückt. Dies schädigt nicht nur die Umwelt, sondern auch wirtschaftliche Abläufe. In seiner Studie zum Verlauf von Entwicklungspfaden sieht Ranis natürliche Ressourcen eher kritisch: "First, the !arger the initial resource endowment, the more irnportant the rents emanating from the prirnary sector and therefore the more anirnated the struggle among contending parties to appropriate these rents for themselves. Second, the !arger the natural resource endowment, the more exposed the system is to exogenaus fluctuations in the terms of trade." 107
Letzteres Argument basiert auf der höheren Preisfluktuation bei primären Gütern im Gegensatz zu den weniger ausgeprägten Zyklen, die bei einer diversifizierten, stärker auf Industriegütern und Dienstleistungen basierenden Wirtschaft auftreten. Eine hohe Anfangsausstattung kann also den Übergang zu effizientem Wirtschaften erschweren. Bestimmte Ressourcen, etwa Öl, Mineralien, aber auch einige Plantagenpflanzen, sind dabei wegen ihrer Kapitalintensität, Betriebsgröße und Komplexität des Abbaus anfälliger als andere für die Förderung rentensuchenden Verhaltens. 108 Ein gutes Beispiel ist Venezuela, das durch seinen Ölreichtum Wohlstand erzielte, diesen aber in verschwenderischem Konsum verbrauchte und geblendet vom Mythos anhaltenden Ölreichtums versäumte, notwendige Strukturanpassungsmaßnahmen zu treffen. Einen weiteren interessanten Aspekt natürlicher Ressourcenausstattung, der das vorliegende Paradox unterstützt, führen die Autoren des Weltentwicklungsberichts 1991 an: Sie führen Costa Ricas hohe politische Stabilität auch darauf zurück, daß dessen nährstoffarme Böden und spärliche Naturschätze die Gefahr feindlicher Übergriffe verminderte. 109 Denkt man an die Geschichte der Kolonialisierung, so ist dieser Punkt durchaus dahin gehend verallgemeinerbar, daß die Anziehungskraft eines Gebietes für Eroberung ganz wesentlich oder sogar primär von erwarteten Ressourcen ausgeht. Die Ausstattung mit natürlichen Ressourcen hat also auch Auswirkungen auf die Art des Wirtschaftens und die politische Stabilität. In Kapitel 6 und 7 werden wir zeigen, daß diese Faktoren wiederum das Ausmaß nachhaltigen Wirtschaftens beeinflussen. Das Ressourcenparadox beschreibt also negative Rückkopplungsprozesse, die von der Ausstattung mit Umweltkapital auf seine Nutzung ausgehen, wenn Ineffizienzen bestehen.
1°7 Ranis (1991), S. 103. Vgl. auch S. 89f. 108 Vgl. Ranis (1991), S. 96, 101f.
109 World Bank (1991c), S. 142.
Zweiter Teil
Rahmenbedingungen als Determinanten der realen Grenzen und Spielräume in Entwicklungsländern Die Analyse des ersten Teils ergab, daß die vier Faktoren, die unmittelbar die Umweltrestriktion beeinflussen, nicht unabhängig voneinander wirken und dies das Auftreten und die Vermeidbarkeil einer Übertretung der Umweltrestriktion maßgeblich bestimmt. Allerdings unterlag die vorherige Untersuchung den Ceteris-paribus-Bedingungen. Wir haben also gefragt, wie ein bestimmter Faktor unmittelbar auf die Umweltrestriktion und unsere Wohlfahrtszielsetzung wirkt, bzw. welche Interdependenzen zwischen den unmittelbaren Faktoren auftreten, wenn andere Bedingungen konstant sind. Im zweiten Teil wenden wir uns gerade diesen "anderen Bedingungen" zu, die die konkreten Ausprägungen der vier unmittelbaren Faktoren bestimmen und die Stärke ihrer Interdependenz beeinflussen. Ebenso wie die Erweiterung der Analyse durch die Einbeziehung der Interdependenz der unmittelbaren Faktoren zu einer Relativierung der ursprünglichen Ergebnisse geführt hatte, ist es möglich, daß sich durch die Berücksichtigung bisher vernachlässigter Faktoren wiederum Änderungen in der Interpretation der Problematik und den zu empfehlenden Strategien ergeben. So kann es durchaus sein, daß Maßnahmen bzw. Ausprägungen, die ceteris paribusvorteilhaft auf die Umweltrestriktion wirken, diese über unerwünschte Dritteffekte im Endergebnis negativ beeinflussen. Wir wollen im zweiten Teil dieser Arbeit die wesentlichen Faktoren analysieren, die in ihrer konkreten Kombination denjeweiligen Rahmen für das Zusammenspiel der unmittelbaren Faktoren in Entwicklungsländern darstellen. Dies sind zum einen die natürlichen Gegebenheiten selbst und die konkrete Ausgestaltung des ökonomischen Systems, d.h. des Wirtschaftssystems, der eingeschlagenen Entwicklungsstrategie und der zu ihrer Erreichung eingesetzten wirtschafts- und sozialpolitischen Maßnahmen. Zum anderen ist aber der Einfluß deljenigen institutionellen und perzeptorischen Variablen auf die unmittelbaren Faktoren und die eben genannten beiden Aspekte zu untersuchen,
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Zweiter Teil: Rahmenbedingungen als Determinanten
die Ginsburg unter dem Begriff "Kultur" subsumiert.• Als institutionelle Komponente dieses Faktors "Kultur" ist der direkte und- über die Wahl des ökonomischen Systems - indirekte Einfluß des gesellschaftlichen und politischen Rahmens auf die unmittelbaren Faktoren und ihr Zusammenwirken zu betrachten. Dem steht als perzeptorische Komponente der kulturelle Faktor im engeren Sinne gegenüber. Hier ist zu analysieren, wie das Weltbild, d.h. die spezifische Art der Wahrnehmung verschiedener Realitäten, die Lebensphilosophie, die traditionellen und religiösen Überzeugungen und Werte, das Verhältnis zwischen Ökonomie und Umwelt direkt und über die Ausgestaltung des gesellschaftspolitischen und ökonomischen Systems indirekt beeinflußt. Um der bereits im ersten Teil angedeuteten zeitlichen Perspektive gerecht zu werden, wollen wir mit einer Betrachtung der historischen Dimension der dargestellten Rahmenbedingungen den zweiten Teil abschließen. Aus dieser Analyse können wir konkrete Aufschlüsse darüber gewinnen, welche Rahmenkonstellationen in der Dritten Welt nachhaltige Entwicklung untergraben und inwiefern diese Ausprägungen charakteristisch sind. Bei der Untersuchung der jeweiligen Faktoren werden wir vor allem in Hinblick auf die Frage der Lösbarkeit auftretender Konflikte implizit beachten, in welchem Maße sie a) struktureller bzw. konjunktureller Art2 sind und b) sich aufgrund interner, also dem Entwicklungsland selbst zuzuschreibender, oder externer Einflüsse ergeben.
I Vgl. Ginsburg (1990), S. 4. 2 Entsprechend gliedert WiJhlcke (1990) die Faktoren für Entwicklung und Unterentwicklung, wobei er als konjunkturell "Ereignisse höherer Gewalt, konjunkturelle und kunfristige politische Entwicklungen • wie Katastrophen, Mißernten, Mißwirtschaft, Unruhen, Politik und als strukturelle Faktoren "physische Gegebenheiten und historisch gewachsene, relativ wandlungsresistente gesellschaftliche Strukturen" (S. 17) bezeichnet.
5. Kapitel
Natürliche Gegebenheiten Ein entscheidender Faktor zur Bestimmung des Spielraums für nachhaltige Entwicklung ist die natürliche Ausstattung mit UmweltkapitaL Deren Umfang ist das Ergebnis komplexer Entwicklung, die sich über Millionen von Jahren durch das Zusammenwirken biologischer, hydrologischer, klimatischer und geologischer Faktoren ergeben hat. Verfügbarkeil und Qualität von Wasser, Böden, Flora und Fauna sowie Dichtemeuerbaren Ressourcen wie Erdöl, Kohle, Erdgas, Mineralien und anderen Elementen ebenso wie die Assimilationskapazität verschiedener Umweltmedien differieren dabei von Region zu Region. Je nach Größe und geographischer Lage einer konkreten volkswirtschaftlichen Einheit stehen natürliche Ressourcen in unterschiedlichem Maße zur Verfügung. Natürliche Gegebenheiten determinieren, in welcher Art und Intensität Nutzung möglich ist, ohne das langfristige Überleben zu gefährden und negative Rückwirkungen zu veranlassen: "The scope for sustainable land use to meet these conditions is detennined by the ability of land (or land resources) to withstand higher use intensity, to absorb increasingly complex and higher Ievels of inputs, to tolerate a higher degree of disturbance and manipulation, and to rapidly regenerate in the event of darnage and destruction. " 1
Auf den ersten Blick scheinen viele Entwicklungsländer, vor allem die Lateinamerikas und Südostasiens, mit Ressourcenreichtum gesegnet zu sein: Sie besitzen die tropischen Regenwälder mit ihrer enormen Artenvielfalt, Mangrovenwälder und Korallenriffe, Bodenschätze, weite Flächen, riesige Ströme und Seen. Eine Einschränkung dieser optimistischen Sicht ergab sich jedoch bereits am Ende des 4. Kapitels mit der Darlegung des Ressourcenparadox. Der Reichtum an Bodenschätzen, aber auch prinzipiell an erneuerbaren Ressourcen, wenn sie wie erschöpfbare Ressourcen wabgeemtetw werden, kann durchaus problematisch sein, wenn Ineffizienzen bestehen. Eine weitere Einschränkung der angeblich reichlichen natürlichen Ausstattung der Entwicklungsländer wäre dann gegeben, wenn deren spezifische ökologische Bedingungen auf menschliche Nutzung äußerst sensibel reagieren bzw. diese nicht zulas-
I Jodha (1992), S. 63.
5. Kapitel: Natürliche Gegebenheiten
142
senoder andere natürliche Faktoren existieren, die die Spielräume nachhaltiger Entwicklung einschränken. Diese natürlichen Grenzen nachhaltiger Entwicklung der Dritten Welt wollen wir nun betrachten.
5.1. Natürliche Limitationen der landwirtschaftlichen Nutzung Die unmittelbarste Restriktion menschlicher Besiedlung eines Gebietes erfolgt durch dessen Eignung, die jeweilige Bevölkerung zu ernähren. Unter diesem Gesichtspunkt lassen sich "Gunst- und Ungunsträume" 2 der Erde hinsichtlich der landwirtschaftlichen Nutzbarkeit identifizieren. Erster kritischer Faktor ist zunächst das Klima und dabei dessen Schlüsselgrößen Temperatur und Niederschlag. In Abhängigkeit von diesen beiden Faktoren kann bereits eine erste Unterteilung in für Vegetation förderliche und hinderliche Gebiete erfolgen (Abb. 5.1).
kalt
Kältewüste
trocken
feucht
QueUe: Meaaerli u.a. (1987), S. 10
Abb. 5.1: Landwirtschaftliche Nutzungsmöglichkeiten in Abhängigkeit von Temperatur und Niederschlag
2 Messerli u.a. (1987), S. 6. Wenn im folgenden von Gunst- oder Ungunsträumen die Rede ist, bezieht sich dies auf die generelle Fähigkeit, in bestimmtem Umfang Nahrung bereitzustellen und nicht auf die Eignung, einzelne Arten zu erhalten. Kein Raum ist für alle Arten gleich gut geeignet, da diese in ihren Bedürfnissen differieren, so daß es nicht "den" optimalen Boden oder "die" optimale Lage gibt. Vgl. Evans (1982), S. 61.
S .l. Natürliche Limitationen der landwirtschaftlichen Nutzung
143
Extreme Konstellationen der beiden Klimagrößen Temperatur und Niederschlag sind der Biomassenproduktion abträglich. In sehr kalten Gebieten, ebenso wie in sehr trockenen, ist die Vegetation extrem beschränkt. Die Temperatur ist dabei zum einen vom Breitengrad abhängig, zum anderen aber auch von den Höhengrenzen, so daß Kältegebiete sogar in subtropischen und tropischen Gebieten auftreten können. Erst ab einer bestimmten Feuchtigkeit und Temperatur eignet sich ein Gebiet für landwirtschaftliche Nutzung, darunter ist zum Teil Viehzucht möglich. Doch ausreichende Niederschläge und Temperaturen sichern zwar hohe Biomassenproduktion, jedoch keineswegs die Eignung für intensive menschliche Nutzung. Den Begleitumständen des Klimas hinsichtlich des konkreten Auftretens von Niederschlägen und dem Eintreffen der Sonneneinstrahlung sowie dem Faktor Boden und der Topographie kommt entscheidende Relevanz zu. Dies macht sich vor allem in den tropischen Regionen bemerkbar. Hohe Strahlungsintensität, ausreichend ganzjährige Niederschläge und die geschichtete Struktur der Vegetation, die zu großer gesamter Blattoberfläche führt, bringen mit dem tropischen Regenwald ein Ökosystem höchster Biomassenproduktion hervor. Tropische Regenwälder besitzen einen enormen Artenreichtum, der mit zunehmender Höhe und abnehmenden Regenfällen abnimmt. 3 Zwar schwanken die Daten über die Zahl der bereits wissenschaftlich erfaßten {1,4 bis 5 Millionen) und der vermuteten, bislang unbekannten Arten (5 bis 30 Millionen) erheblich, und auch der Anteil, der auf den Regenwald entfällt, wird zwischen 40% und 90% recht unterschiedlich angegeben. Geht man aber davon aus, daß vor allem die in tropischen Wäldern lebenden Arten noch unbekannt und unerforscht sind, so ist eher die obere Grenze glaubhaft und bestätigt die Konzentration von Flora und Fauna auf "nur 6% der Erdoberfläche. 4 Die Üppigkeit der tropischen Flora und Fauna hatte bereits bei europäischen Forschern des 19. Jahrhunderts die Vorstellung erweckt, der Boden dieser Region sei besonders fruchtbar. So schwärmt der englische Naturforscher Henry Bates (1825-1892) über Amazonien: "Ein Gebiet fast so groß wie Europa, wo jeder Zentimeter Boden von üppiger Fruchtbarkeit ist. •S Auch sein Landsmann und Kollege Alfred Wallace (1823-1913) ließ sich täuschen: "Wenn ich an den außerordentlich geringen Arbeitsaufwand denke, der in diesem Land erforderlich ist, um den UIWald in grüne Wiesen und fruchtbare Plantagen zu veiWandeln, sehne ich mich fast danach, mit einem halben Dutzendarbeitswilliger
3 Vgl. FlJister u.a. (1986), S. 25 und S. 67-72. 4 Vgl. Greenpeace/KielerlnstitutfürWeltwirtschaft (1992), S. 8, Miller/Tangley (1991), S. xvii,
Winpenny (1991), S. 120, Caujield (1987), S. 78 und Myers (1992), S. 437.
S Zitiert nach Caujield (1987), S. 92.
144
5. Kapitel: Natürliche Gegebenheiten
und naturbegeisterter Freunde hierherzukommen; dann würden wir den Einheimischen einmal zeigen, wie schnell man ein Paradies auf Erden schaffen kann. "6
Beide Forscher übersahen, daß im Unterschied zur Vegetation in gemäßigten Breiten der Regenwald ein beinahe geschlossenes System darstellt, in dem die Nährstoffe fast ausschließlich in der lebenden Biomasse und nicht in der toten organischen Masse des Bodens enthalten sind. Nährstoffe werden zu über 99% in kurzer Zeit von der schwammigen, dünnen Schicht aus Wurzeln, Mineralien bindenden Pilzen (Mykorrhizen) und Bakterien absorbiert, so daß eine fast hundertprozentige Effektivität der Nährstoffnutzung durch die Pflanzen erfolgt. Da keine Stoffe nach außen verloren gehen, entsteht auch kein quantitativer und qualitativer Aufbau des Bodens. 7 Die Entstehung der Biomasse ist also von der Produktivität des Bodens weitgehend unabhängig; 8 Defizite desselben beeinträchtigen die Üppigkeit der natürlichen Vegetation nicht. Die landwirtschaftliche Nutzbarkeit tropischer Regionen ist nun dadurch limitiert, daß die Böden tropischer Regenwälder in weiten Teilen extrem nährstoffarm sind und nur eine dünne Krume besitzen. Dies ist zum einen auf das vollständige Recycling der Nährstoffe innerhalb der Biomasse zurückzuführen, zum anderen auf das hohe geologische Alter der entsprechenden Gebiete, da bei älteren Formationen keine Auswaschung von Mineralien aus dem Gestein mehr stattfindet und intensive chemische Verwitterung eingetreten ist. Mit Ausnahme der vulkanischen, jüngeren Böden und der Schwemmböden herrscht in den Tropen zu ca. 70% nährstoffarme und stark sauere Roterde (Latosole) vor. Liegt der Boden zur Vorbereitung der landwirtschaftlichen Bestellung offen, so entsteht Laterit, eine harte undurchdringbare Kruste. 9 Die dünne Humusschicht kann nämlich bei fehlender natürlicher Vegetation den klimatischen Elementen nicht widerstehen10: Die in den Tropen wesentlich höhere Gewalt der einzelnen Regengüsse, die sonst von der geschlossenen Baumkrone abgemildert werden, verdichtet die Erde, führt zur Versiegelung der Oberfläche und fördert damit geringe Infiltration und erhöhten Abfluß. Saisonale Regenfälle, also lange Perioden mit starken Niederschlägen, abgelöst von Trockenperioden, verstärken die hohen Verluste an Bodenkrume durch Wassererosion. Wasser kann aufgrund der Undurchlässigkeit der Böden nicht gespeichert werden und fließt ungenutzt ab; in der Trockenzeit wird die verbliebene geringe Humusschicht vom Wind weiter erodiert und durch die starke Strahlungsintensität der Sonne
6 Zitiert nach Caujie/J (1987), S. 93 .
7 Vgl. Schaarschmidl-Kohl (1984), S. 198f, Caujie/J (1987), S. 88 und Heinrich/Hergr (1990),
s. 107ff.
8 Vgl. FiJlsrer u.a. (1986), S. 16 und Ross (1980), S. 76.
9 Vgl. Caujie/J (1987), S. 84fund Coulrer (1992), S. 34. 10 Vgl. im folgenden Joseph (1985), S. 36f und Evans (1982), S. 371f.
5.1. Natürliche Limitationen der landwirtschaftlichen Nutzung
145
verfestigt. Die temperatur- und einstrahlungsbedingte hohe Evapotranspiration läßt den Boden selbst bei hohen absoluten Niederschlägen rasch austrocknen. Die drei grundlegenden Funktionen des Bodens, Feuchtigkeitsspender, Nährstoffquelle und mechanischer Halt11 , sind erheblich eingeschränkt. Defizite tropischer Böden können auch in wesentlich geringerem Maße als bei Böden in gemäßigten Breiten durch menschliche Intervention in die Regenerationstihigkeit natürlicher Systeme kompensiert werden. Aufgrund des hohen Auswaschungsgrades und der hohen Bodentemperatur können sich Düngerpartikel nicht im Boden binden, sondern werden sofort weggeschwemmt Zudem gehen Phosphorbauteile mit den bei sauerer Roterde reichlich vorhandenen Elementen Aluminium und Eisen stabile Bindungen ein, können also von den Pflanzen nicht aufgenommen werden. 12 Für die Landwirtschaft ist darüber hinaus nicht nur eine bestimmte Niederschlagsmenge-bei nicht zu hoher Intensität des Regens- wichtig, sondern auch der Zeitpunkt sowie die Zuverlässigkeit des Eintreffens der Regenfälle. Beides ist gerade in tropischen Regionen nicht immer gegeben: Wenn Regenzeiten sich verschieben oder gar ausbleiben, kann es zum Verlust der Ernte kommen. Ein weiterer kritischer Faktor in bezugauf die nachhaltige Nutzbarkeit einer Region ist die Topographie (Höhe und Terrain). Zum einen sinkt mit steigender Höhe die Temperatur, und es kann zu Frösten kommen, zum anderen ist die Neigung des Geländes ein ausschlaggebender Faktor beim Auftreten von Erosion, so daß Landwirtschaft ab einer bestimmten Hangneigung nicht mehr möglich ist: "The influence of topography on land capability is best seen in the increasing restrictions of possible alternative uses as terrain becomes more broken and rugged. Steep slopes, ridge-top exposure, waterlogging in gullies, ground strewn with rocks and boulders, all severely Iimit or prevent farming." 13
Montaner tropischer Regenwald ist also durch Heterogenität und extreme Nutzung ökologischer Nischenaufgrund starker räumlicher, physikalischer und biologischer Varianz auf relativ kleinem Gebiet, durch seine Fragilität als Folge der dünnen Böden und hohen Neigungswinkel und seine Marginalität gekennzeichnet. 14 Nur die geologisch jüngeren vulkanischen Böden oder Schwemmböden eignen sich in den Tropen von der Bodenbeschaffenheit her fiir intensive Landwirtschaft, auch sie sind allerdings äußerst anfällig fiir Ero-
II Vgl. Evans (1982), S. 61. 12 Vgl. Ross (1980), S. 77 und Caujield (1987}, S. 84. 13 Evans (1982), S. 61.
14 Vgl. Jodha (1992}, S. 64-67. 10 Stenge!
146
5. Kapitel: Natürliche Gegebenheiten
sion. Dies gilt insbesondere fiir vulkanische Böden, die häufig in gebirgigen Regionen liegen. 15 Fassen wir die Limitierungen zusammen, so ergibt sich, daß nur 11% der Böden dieser Welt ohne wesentliche Einschränkung fiir landwirtschaftliche Nutzung geeignet sind; 28% sind dagegen zu trocken, 23% weisen bodenchemische Probleme auf, 22% sind zu wenig mächtig, 10% zu feucht, und 6% sind durch Permafrost limitiert. 16 Dabei liegen die landwirtschaftlichen Gunsträume bis auf wenige Einschränkungen in den gemäßigten Breiten, vorwiegend Europa und breiten Küstenstreifen Nordamerikas, während die Tropen zumindest aufgrundausreichender Wassermenge-wenn auch nicht immer zum geeigneten Zeitpunkt und in ausreichender Qualität - gegenüber den ariden Gebieten Vorteile genießen, allerdings die genannten Einschränkungen der Bodenqualität aufweisen. Es gibt also ein eindeutiges Gefälle zwischen Industrie- und Entwicklungsländern hinsichtlich der landwirtschaftlich nutzbaren Räume. Doch auch unter den Entwicklungsländern können wir Diskrepanzen hinsichtlich des Anteils der ohne wesentliche Einschränkungen nutzbaren Böden nachweisen: Die am stärksten benachteiligte Region ist dabei Süd- und Südostasien mit nur 4 Prozent uneingeschränkt nutzbarer Fläche, gefolgt von Südamerika (11 %), Afrika (15 %) und Zentralamerika (21 %)Y Die klimatischen Bedingungen der Tropen haben weitere Einschränkungen der Produktivität von Ackerbau und Viehzucht zur Folge. Die hohen, gleichbleibenden Temperaturen, starken Niederschläge und die hohe Luftfeuchtigkeit fördern Krankheiten, Unkraut und Ungeziefer (die in gemäßigten Breiten durch die wechselnden Temperaturen und das Auftreten von Frost und Trockenzeiten in Grenzen gehalten werden). Dies kann bereits die Erträge erheblich mindern, impliziert aber darüber hinaus weiteren Verlust und Verderb zwischen Ernte und Verbrauch der Nahrung. 18 Die Viehzucht kann bei besonders ungünstigen klimatischen Umständen, etwa in weiten Teilen Afrikas, durch das Auftreten von Krankheiten, die durch Insekten übertragen werden, völlig eingeschränkt sein. Menschen werden solche Gebiete, auch wegen der hohen Gesundheitsgefährdung, zu meiden suchen. 19 Der Umfang, in dem tropische Regionen nachhaltig genutzt werden können, wird noch durch ein anderes Phänomen begrenzt. Bei hoher Artenvielfalt der tropischen Wälder - ein Hektar Regenwald kann bis zu 42.000 Arten und
15 Vgl. ICllfl (1986), S. 36. 16 Vgl. Messerli u.a. (1987), S. 13. 17 Vgl. Asian Deve1opment Bank (1991), S. 219.
18 Vgl. Colüns/Sayer/Whilmore (1991), S. 13 und Coulter (1992), S. 34.
19 Zum Beispiel Afrika siehe Zuvekas (1979), S. 32.
5.2. Wirkung natürlicher Gegebenheiten auf sozioökonomische Faktoren
147
Unterarten enthalten20 - wird Nutzungskonkurrenz dadurch vermieden, daß einzelne Arten in geringer Zahl und mit eng begrenztem Lebensraum und komplizierten Abhängigkeitsbeziehungen auftreten. Endemismus, das heißt die Verbreitung einer Art in nur einem Gebiet, ist häufig. 21 Die geringe Populationsdichte bringt allerdings mit sich, daß zur Erhaltung einer Art wesentlich größere Flächen erforderlich sind als in gemäßigten Zonen. Eine Homogenisierung der Lebensräume (Habitate) und damit Vergrößerung der Populationsdichte, die die kommerzielle Nutzung bestimmter Pflanzen- und Tierarten erleichtert, kann die Ökosysteme nachhaltig stören: Homogenisierung erhöht die Vermehrung von Schädlingen und Räubern, und die Unterdrückung bestimmter Arten durch dominierende Arten kann die Vernichtung von Kooperationsbeziehungen zur Folge haben, die zur Erhaltung nützlicher Arten unabdingbar sind. 22 Die enorme Produktivität der Regenwälder kann also nur genutzt werden, wenn das natürliche Gleichgewicht der Arten nicht gestört wird, was nur geringe Nutzungsintensität in Form von Sammeln und limitierter Jagd zuläßt. Bereits relativ geringe menschliche Eingriffe können die für den Menschen zu medizinischen Zwecken oder zur Erhaltung der Nahrungsmittelversorgung nutzbaren Arten rasch dezimieren. Wir haben es hier also im Vergleich zu Wäldern in gemäßigten Zonen mit äußerst fragilen Ökosystemen zu tun.
5.2. Wirkung natürlicher Gegebenheiten auf sozioökonomisch relevante Faktoren Die Bedeutung natürlicher Gegebenheiten beschränkt sich nicht allein auf die Fähigkeit, eine bestimmte Bevölkerung zu ernähren. Geographische und klimatische Bedingungen beeinflussen auch andere Faktoren, die sich in der bisherigen Untersuchung als kritisch für die Erfüllung unserer Zielfunktion unter Berücksichtigung der Umweltrestriktion erwiesen haben. Sie bestimmen, in welchem Maße Energiequellen zur Verfügung stehen, etwa Brennholz, Gas, Öl, Wasserkraft, Gezeiten oder Erdwärme, und sind damit wichtige Determinanten des wirtschaftlichen Entwicldungspotentials. Dabei wird durch die Verfügbarkeit bestimmter Arten und Qualitäten von Roh-
20 Vgl. Caufield (1987), S. 79.
21 Vgl. FiJlsteru.a. (1986), S. 25ff, Caujield (1987), S. 80-83 und Cartwrighl (1985), S. 179f. Greenpeace/KielerlnstitutfürWeltwirtachaft (1992) geben das Ausmaß des Endemismus mit80% an (S. 8). 22 Zum Beispiel der Abhängigkeit der kommerziell gut verwertbaren Paranußbäume von der Existenz eines ausgedehnten Mischwaids siehe Caufield (1987), S. 84. 10*
148
S. Kapitel: Natürliche Gegebenheilen
stoffen die Umweltintensität der Produktion bereits vordeterminiert, da das Vorhandensein bestimmter Energieträger diesen in einer Nutzen-Kosten-Analyse ökonomische Vorteile einräumt, wobei die ökologischen Konsequenzen kaum adäquat berücksichtigt werden. Der Zugang zu traditionellen natürlichen Energiequellen wie Brennholz und die Leichtigkeit der Versorgung mit Wasser und Nahrung ist zudem ein wichtiges Kriterium, das die Produktivität gerade der Armen beeinflußt, da damit festgelegt ist, wieviel Zeit für andere Tätigkeiten zur Verfügung steht. Klimatische Bedingungen beeinflussen auch den Bedarf an Energie bzw. materiellen Hilfsmitteln, der zur Erhaltung eines bestimmten Lebensstandards als notwendig erachtet wird. In kühleren Gebieten besteht das Erfordernis zu heizen, was den Verbrauch von Brennstoffen und höheren Einsatz etwa von Baustoffen zur Isolierung verlangt. Niedrige Temperaturen bringen auch einen höheren Aufwand für die entsprechende Verpackung von Gütern bzw. Maßnahmen wie Salzstreuung auf Straßen mit sich, die umweltrelevant sind. Allerdings ist damit noch nicht gesagt, daß der Energie- und Materialverbrauch in Gegenden mit ganzjährig hohen Temperaturen automatisch niedriger ist. Das Gegenstück zur Heizung sowohl in Wohnung als auch in Fahrzeugen ist die Klimaanlage, statt Isolierung gegen Kälte müssen Nahrungsmittel und andere Güter vor Wärme und Feuchtigkeit geschützt werden. Neben der Wirkung auf den Energie- und Materialverbrauch beeinträchtigen klimatische Faktoren überdies auch unmittelbar die Effizienz sozioökonomischer Systeme. Heißfeuchtes Klima ist der körperlichen Leistungsfähigkeit abträglich. In tropischen Gebieten sind darüber hinaus durch das stärkere Wirken der Elemente die Belastungen verschiedenen Materials höher, so daß die Erhaltung und Einsetzbarkeil von Sachkapital erheblich eingeschränkt ist. 23 Natürliche Faktoren wirken also unmittelbar auf die Nutzungsdauer verschiedener Investitionen. Wird die Wirkung unterschiedlicher klimatischer Bedingungen nicht angemessen berücksichtigt, so können externe Effekte durch die Überschätzung der Nutzungsdauer einer Investition entstehen. Besonders deutlich wurde dies bei Dammbauten, bei denen durch Vernachlässigung natürlicher Bedingungen wie Verschlammung, Erosion und Unregelmäßigkeiten im Niederschlagsverlauf die Nutzungsdauer falsch eingeschätzt wurde. Natürliche Gegebenheiten bestimmen auch, inwieweit Emissionen menschlicher Aktivitäten als Immissionen wirksam werden und Abfallstoffe absorbiert werden können. So ist etwa die Größe, Temperatur und Tiefe bzw. die Fließgeschwindigkeit eines Gewässers ausschlaggebend für dessen Fähigkeit, Abwässer zu assimilieren, und Temperatur, Niederschläge, Luftfeuchtigkeit und
23 Vgl. Winpenny (1991), S. 109.
5 .2. Wirkung natürlicher Gegebenheiten auf sozioökonomische Faktoren
149
Windverhalten determinieren die Auswirkungen von Luftverschmutzung. Dabei ist die Wirkungsrichtung bestimmter Ausprägungen natürlicher Gegebenheiten nicht immer eindeutig. So können starke Regenfälle und Winde zwar zur Verringerung der lokalen Luftverschmutzung durch rasche Dispersion führen, andererseits können sie auch zur weitläufigen Verbreitung bestimmter Schadstoffe beitragen. 24 Hitze und Trockenheit können den Abbau bestimmter Schadstoffe fördern, aber ebenso die Stauung derselben bedingen. Natürliche Gegebenheiten sind von jeher primäre Determinanten menschlicher Besiedlung. Der Zugang zu Wasser und die Eignung zur landwirtschaftlichen Produktion bzw. Viehzucht und Fischfang sind dabei ein Hauptkriterium. Andere sind die Zugänglichkeit des Gebietes und das Vorkommen von Rohstoffen, die zum Zeitpunkt der Besiedlung von ökonomischer Bedeutung sind. Siedlungen häufen sich daher an frei zugänglichen Küsten, Flüssen, in fruchtbaren Ebenen und nahe der Lagerstätten verschiedener Produktionsfaktoren. Die natürliche Ausstattung eines Landes mit geeigneten Flächen bestimmt dabei, in welchem Maße sich die vorhandene Bevölkerung auf wenige Gebiete konzentriert, dort stark ballt bzw. aufweniger geeignete, ökologisch sensiblere Gebiete ausweichen muß. Die Sensibilität eines Gebietes kann dabei in der Fragilität eines Ökosystems bestehen oder aber auch in der Fähigkeit der konkreten geographischen Lage, Schadstoffe zu assimilieren bzw. höhere Belastungen zu verkraften. Kessellagen wie in Mexiko City, Ankara oder Teheran stellen Schadstoffallen dar. Von Bergen umringte Ansiedlungen (Rio de Janeiro, Hongkong) implizieren mangels alternativer Ausbreitungsmöglichkeit die Bebauung der Hänge gerade durch die Armen und fördern damit Erdrutsche. Die Besiedlung kritischer Flächen, etwa instabilen Untergrunds wie in Mexiko, Bangkok und Jakarta hat bei Überlast und unkontrolliertem Zugriff auf das Grundwasser das Absinken des Geländes bzw. bei Küstenlagen Salzwassereinbrüche mit entsprechender Wirkung auf das Frischwasser zur Folge. 25 Natürliche Barrieren in Form von Flüssen, Ozeanen oder Bergen bzw. die Besiedlung von Landzungen (Bombay) erschweren die Organisation eines effizienten Transportsystems, das sich nur mit erheblichen Kosten und Umweltgefährdung realisieren läßt, etwa wenn Verbindungsdämme die Fließgeschwindigkeit von Gewässern blockieren bzw. deren Bewegung völlig unterbinden und damit deren natürliche Reinigungsfähigkeit reduzieren. Fehlen allerdings die Verbindungen zwischen Stadtteilen, so kommt es wegen Stauungen und längeren Fahrtwegen sowohl zu ökonomischen Verlusten als auch zu zusätzlichen Umweltproblemen.
24 Eine Ausbreiwog über Wind- bzw. Wolkenbewegungen erfolgte etwa nach dem Entweichen von Radioaktivität beim Unfall in Tschernobyl sowie bei Vulkanausbrüchen. 2S Vgl. Winpenny (1991}, S.38, 40 und ESCAP (1992), S. 5lf.
150
5. Kapitel: Natürliche Gegebenheiten
Natürliche Charakteristika eines Landes bestimmen auch, in welchem Maße bei Auftreten bestimmter Externalitäten Internalisierung möglich ist. Die Zugänglicbkeit von Regionen muß dabei aus Umweltsicht ambivalent betrachtet werden. Einerseits sind unzugängliche und unwirtliche Gebiete in stärkerem Maße vor menschlicher Störung geschützt. Undurchdringliche Wälder, Bergregionen und Sumpfgebiete stellen deshalb die komplexesten noch bestebenden Ökosysteme dar. Andererseits wandelt sich dieser Vorteilleicht in einen Nachteil, wenn menschliche Eingriffe erst einmal erfolgen. Bislang aufgrund ihrer Unzugänglichkeit unerforscbte Gebiete sind in der Regel bocbkomplex. Die ökologische Bedeutung ist nicht immer bekannt, so daß der Nutzen ihrer Erhaltung unterschätzt wird. 26 Externalitäten treten auch dadurch auf, daß diese Gebiete häufig Open-access-Cbarakter aufweisen, wenn nicht de jure, so doch aufgrund der Unkontrollierbarkeil de facto. Die Übernutzung der Ressourcen wird dadurch gefördert, daß die potentiell Geschädigten vom Schaden nicht oder erst mit erheblicher Verzögerung erfahren. Informationsmängel und Transportprobleme erschweren auch internalisierende Maßnahmen bei Erkennen der Externalitäten. Die Überwachung der Einhaltung von Eigentumsrechten ist schwierig, kostspielig und gefährlich. Transaktionskosten sind dementsprechend hoch. In schwer zugänglichen bzw. unwirtlichen Gegenden schränken zusätzliche Kosten, aufwendige Transporte und Informationsdefizite die Produktivität von Boden, Arbeit und Kapital erheblich ein. Unterstützende ~puts, wie Bildung, Dünger und Hilfsmittel, müssen mit großem Aufwand in die Gebiete gebracht werden; die Entfernung von Märkten behindert den Tausch der erzeugten Güter. Sobald also menschlicher Eingriff erfolgt ist, limitiert das Fehlen von Märkten und die Schwierigkeit, Eigentumsrechte durchzusetzen und Fehlverbalten zu sanktionieren, die umweltverträgliche Nutzung der Gebiete. Hiervon zeugt die unkontrollierte Ausbeutung von Grenzgebieten des Amazonas, Indochinas und Teilen Afrikas und Südostasiens.
5.3. Gefährdung durch Naturkatastrophen und Klimaänderungen Die bisherigen Abschnitte haben gezeigt, wie die natürliche Ausstattung das Verhältnis zwischen menschlichen Aktivitäten und Umweltwirkung beeinflußt. Doch auch Zahl, Intensität und Wirkung von Naturkatastrophen selbst sind nicht gleichmäßig über den Globus verteilt. 27 Bei acht von zehn Naturkatastrophen beißt der Schauplatz Asien. Unter den zehn am stärksten betroffenen Staaten befinden sich neun in Asien, an der Spitze die Philippinen, Hongkong,
26 So wurde der Urwald Arnazoniens als wertloser Dschungel betrachtet, der nach menschlicher Ordnung ruft. 27 Vgl. im folgendenLean/Hinrichsen/Marlcham(l990), S. 110-113.
5.3. Gefährdung durch Naturkatastrophen und Klimaänderungen
151
Indien und China. 85% aller Toten durch Naturkatastrophen werden in der asiatisch-pazifischen Region gezählt. Die Liste der zehn schlimmsten Tragödien 1991 (nach der Zahl der Opfer) zählt acht Naturkatastrophen, ausnahmslos in unterentwickelten Ländern. Die Ärmsten der Armen- Bangladesh (mit 131.000 Toten durch einen Zyklon), China, Indien, Afghanistan und Malawi -führen die Liste an. 28 Schwerpunkte für Dürren sind weite Teile Afrikas, Südasien und China sowie Teile der USA und Südamerikas, während Überschwemmungen vor allem in Asien und Südamerika auftreten. Auch das Auftreten von Erdbeben, Vulkanausbrüchen und Stürmen ist auf bestimmte Regionen konzentriert. Wiederum sind die bereits bei der landwirtschaftlichen Betrachtung als Gunsträume ausgewiesenen Gebiete der entwickelten Länder, mit Ausnahme der erdbeben- und sturmanfälligen US-Küste und Japans, seltener betroffen: Erdbeben beruhen auf tektonischen Plattenbewegungen und häufen sich daher an der gesamten Westküste Amerikas sowie in Klein- und Mittelasien, China und Süd- und Südostasien. 29 In ähnlicher Weise gefährden Vulkane vor allem Mittelamerika und den "ring of fire" Südostasiens, und Stürme (Hurrikane, Taifune und Zyklone) suchen aufgrund des spezifischen Zusammentreffens der tropischen Luftmassen in erster Linie Asien und die Karibik heim. Ungeschützte Küstenlinien sind dabei besonders anfällig, und weite niedrigliegende Deltas und Tiefebenen fördern das Auftreten katastrophaler Überschwemmungen und das Eindringen von Salzwasser in Süßwasserreservoirs. Entgegen naheliegender Vermutung bewahrt hoher absoluter Niederschlag in den Tropen nicht vor starker Anfälligkeit für Brände, da die Regenfälle saisonal anfallen und Böden schnell austrocknen. 30 Einmal ausgelöst, schwelen Brände aufgrund der Unzugänglichkeit der Gebiete oft monatelang vor sich hin: Im indonesischen Kalimantao (Borneo) fielen 1982/83 3,7 Millionen Hektar Wald den Flammen zum Opfer. Erneute schwere Brände in Kalimantan, Sumatra und Java 1991 und im Sommer/Herbst 1994 in Sumatra und Kalimantan, die nach stark schwankenden Schätzungen 1991 68.000 bis 500.000 ha und 1994 5,11 Millionen Hektar Land betrafen, hüllten Nachbarländer wie Singapur, Malaysia und Südthailand wochenlang in dichten Rauch. 31 Traditionelle 28 Zur Schadensstatistik siehe Datta-Ray (1993a), S. 26 und o.V. (1993h), S. 10 und 13. 29 In einer Liste der 55 schwersten Erdbeben dieses Jahrhunderts sind Länder der Dritten Welt und unterentwickelte Länder Europas (Türkei, Rumänien, Annenien) 46mal vertreten, die 9 genannten Erdbeben in Industrieländern konzentrieren sich dagegen auf nur drei Staaten, Italien, Japan und die USA. Auffällig ist auch, daß die Zahl der Toten in ersteren höher liegt, wobei das Erdbeben 1976 in Tangsban/China mit otTIZiell 242.000, inotTIZiell 800.000 Toten eine Spitzenstellung einnimmt, was auf die mangelnde Fähigkeit zur Vorbeugung der Schäden und zur angemeasenen Katastrophenhilfe rückschließen läßt. Vgl. o.V. (1993bb), S. 10.
30 Vgl. Evans (1982), S. 372. 31 Vgl. Sinaga (1994), Schwan (1991), S. 18ft', Nathan (1991), S. 19, o.V. (1994i), S. 3 und o.V. (1994), S. l.
152
5. Kapitel: Natürliche Gegebenheiten
Brandrodung, Brandstiftung und Unachtsamkeit, aber eben auch die hohe Anfälligkeit von knapp unter der Oberfläche liegenden Kohleflözen und Torf für kaum zu bekämpfende Schwelbrände bei anhaltender Trockenheit waren die Ursachen. 32 Auch die klimatischen Veränderungen treffen unterschiedliche Regionen allein aufgrund ihrer natürlichen Ausstattung unterschiedlich stark: Die aufgrund des Treibhauseffekts erwartete Erhöhung des Meeresspiegels träfe insbesondere die tiefliegenden Küstenregionen, insbesondere Deltagebiete wie Bangladesh, die Karibik und die ca. 300 pazifischen Atolle, und getihrdet die ökologisch wertvollen, die Küsten vor Erosion schützenden Mangrovenwälder. 33 Zwar sind Küsten der gemäßigten Zonen, etwa die Niederlande, ebenfalls betroffen, die Fähigkeit zu Gegenmaßnahmen liegt dort aber höher, so daß die Konsequenzen geringer sind. Insgesamt sind die Auswirkungen des Treibhauseffekts hinsichtlich seiner Wirkung auf Niederschlag und Temperatur und damit die landwirtschaftliche Nutzbarkeit noch unsicher. Erwartet wird aber, daß vor allem Kanada und die frühere Sowjetunion sowie Skandinavien durch höhere Temperaturen und mehr Niederschläge eher profitieren, während die heute bereits ariden und semi-ariden Gebiete Afrikas, Südamerikas und Asiens weiter austrocknen und die heutigen regenreichen Gebiete der tropischen Tiefebenen durch zunehmende Regenintensität sowohl anfälliger für Erosion als auch für Überschwemmungen werden. 34 Auch hier sind Entwicklungsländer eindeutig die Verlierer, während Industrienationen eher zu den Gewinnern zählen. 5.4. Toleranz der Gebiete gegenüber Störungen In den vorangegangenen Abschnitten wurde deutlich, daß viele natürliche Faktoren, die für Entwicklungsländer charakteristisch sind, die nachhaltige Nutzbarkeit des vorhandenen Umweltkapitals beschränken. Damit wird die Übertretung der Nachhaltigkeitsregel durch menschliche oder natürliche Störungen wahrscheinlicher. Die Fragilität gerade der tropischen Gebiete bedeutet
32 Vgl. Sinaga (1994), Ford (1994), S. 26 und Schwarz (1991), S. 18ff. Als wahrscheinliche Brandstifter wurden dabei unzufriedene Waldarbeiter sowie indigene Einwohner genannt. Die Brände in lndonesien sind auch ein klassisches Beispiel für die in Kap. 4.3.1 beschriebenen Rückwirkungen kumulativer anthropogener Eingriffe -hier die Freilegung von Kohle- und Torfschichten durch Erosion und Waldwirtschaft, Brandrodung und Brandstiftung sowie die durch den EI-NiiioEffekt verstärkte Dürre - auf das Auftreten und die Intensität von Naturkatastrophen. 33 Zur ökologischen Funktion der Mangroven siehe Baulisra (1994), S. 5. 34 Zu den erwarteten Effekten des Treibhauseffekts auf verschiedene Regionen siehe Lean I Hinrichsen/Marlcham (1990), ESCAP (1992), S. 305-311, S. 93-96, Fritsch (1993), S. 99fund Secleerman (1992), S. 262ff.
5.5. Zusammenfassung
153
aber nicht nur, daß diese Ökosysteme bestimmte menschliche Nutzungen wie landwirtschaftliche Aktivitäten, Entnahme von Wasser oder Überbebauung sowie außerordentliche natürliche Ereignisse nicht ohne nachhaltige Störung tolerieren können, sondern auch, daß diese Störungen in größerem Maße irreversibel sind. So ist die Regeneration tropischer Wälder nach starker Störung oder gar bei völliger Abholzung aufgrund fehlender Nährstoffe im Boden und dessen Antälligkeit für Erosion kaum mehr möglich: Savannen oder Steppen entstehen, deren Nutzung äußerst eingeschränkt ist. 3s Auch die Wiederherstellung der Artenvielfalt ist in Gebieten mit niedriger Populationsdichte äußerst schwierig, da nicht immer in ausreichender Nähe gestörter Gebiete geeignete Samen und die zu ihrer Verbreitung nötigen Arten vorhanden sind. Die Irreversibilität von Eingriffen wird zusätzlich von der konkreten geographischen Lage geprägt. Tropische Ökosysteme in Bergregionen und auf Inseln sind besonders getährdet. Bei letzteren verhindert das Fehlen benachbarter Lebensräume und damit geeigneter Sporen die Regeneration einmal zerstörter Systeme. 36 Doch nicht nur in Waldregionen scheint die generelle Toleranz tropischer Gebiete für Umweltstreß geringer zu sein. Ähnlich sensibel sind die hochproduktiven Feucht- und Küstengebiete. So weisen die in tropischen Breiten auftretenden Korallenriffe und Mangrovenwälder eine Artenvielfalt und Biomassenproduktion auf, die nur mit der der tropischen Regenwälder vergleichbar ist. 37 Allerdings sind diese eng miteinander verbundenen und für den Schutz der Küsten essentiellen Ökosysteme äußerst sensibel gegenüber Störungen. Eine Regeneration ist oftmals unmöglich. In derartigen Situationen versagt auch die Fähigkeit des Menschen, nachträglich korrigierend einzuwirken.
S.S. Zusammenfassung Als Grundtendenz können wir folgern, daß ein erheblicher Teil der Dritten Welt aus geographischen Ungunsträumen für die Besiedlung besteht, entweder aufgrund von Beschränkungen hinsichtlich der Ernährung und der klimatischen Bedingungen, die die Produktivität limitieren, oder aufgrund der mit Unzugänglichkeit verbundenen Probleme. Sofern die Ausstattung mit Ressourcen
35 Vgl. Albrecht (1992), S. 70. Das Ausmaß der Regenerationsfähigkeit tropischer Wälder ist nach wie vor umstritten, scheint aber von Intensität und Dauer der Störung sowie den konkreten natürlichen Umständen abzuhängen. Vgl. Soemarwoto (1991), S. 220 und Donner (1987), S. 230f. 36 Vgl. Donner (1987), S. 231. 37 Vgl. ESCAP (1992), S. 90-102, Bautista (1994), S. 4 und WRI/IIED(l991), S. 184. Welches dieser beiden Ökosysteme allerdings nun das produktivere ist, ist in der Literatur umstritten. Vgl. Nay Htun (1987), S. 22 als Quelletür die höhere Leistungsfähigkeit der Meere, Fölster u.a. (1986), S. 67 türdie Überlegenheit der tropischen Regenwälder.
154
5. Kapitel: Natürliche Gegebenheiten
bzw. bestimmten Umweltfunktionen reichlich ist, tritt die Gefahr des Ressourcenparadoxes auf, das in Entwicklungsländern aufgrund der Sensibilität und Fragilität der Gebiete sowie ihrer besonderen ökonomischen (Kapitel 6) und gesellschaftspolitischen (Kapitel 7) Lage besonders akut ist. Dies deutet bereits darauf hin, daß es problematisch ist, die Lage der Entwicklungsländer mit der Situation heutiger Industrieländer vor oder zu Beginn ihrer Industrialisierung zu vergleichen, da nicht nur die Höhe des Sozialprodukts diese Ländergruppen unterscheidet. Die Bevölkerungsdichte, die nachhaltig verkraftet werden kann, liegt in diesen Gegenden also niedriger als in Gunsträumen. Ein Vergleich der Bevölkerungsdichten von Entwicklungsländern und Industrieländern als Indikator der jeweiligen Umweltbelastung durch Überbevölkerung ist daher unzulässig. Es ist also auf dieses Nichterkennen der unterschiedlichen natürlichen Gegebenheiten zurückzuführen, wenn Vertreter der Dritten Welt behaupten: "Population cannot be the problern because even if some developing countries have large populations the density of population in nearly all developing countries is less than the density of population in most industrialised European countries. "38 Die Bevölkerungsforscher Paul und Anne Ehrlich weisen also zu Recht darauf hin, daß nicht die Bevölkerungsdichte, sondern die Bevölkerungszahl im Verhältnis zum vorhandenen Umweltkapital und dessen Fähigkeit, bestimmte Intensitäten dieser Bevölkerungszahl zu verkraften (Tragfähigkeit}, bestimmt, ob ein Zuviel an Menschen vorhanden ist. 39 Daß ein Großteil der Ressourcen dieser Welt in Entwicklungsländern zu finden ist, ist also nicht gleichzusetzen mit einer reichlichen Ausstattung an wirtschaftlich nutzbarem UmweltkapitaL Wir müssen berücksichtigen, daß diese Ressourcen entweder nicht erneuerbar sind oder sehr sensibel, d.h. mit erheblichen Externalitäten, auf Nutzung reagieren, was die im Vergleich zu gemäßigten Breiten stärkere Wirkung des Ressourcenparadoxons vermuten läßt. Eine Übernutzung potentiell erneuerbarer Ressourcen ist mit dem Abbau eines nicht erneuerbaren Rohstoffs durchaus gleichzusetzen. Dies trifft auf die Tropenwälder ebenso zu, wie fiit Inseln, Korallenriffe oder Parks, deren wirtschaftlicher Wert für den Tourismus von der Intaktheil der Ressource abhängt.
38 Balasubranumiam (1984), S. 22. 39 Vgl. Ehrlich/Ehrlich (1990), S. 38.
6. Kapitel
Ökonomische Rahmenbedingungen 6.1. Grundlagen der Analyse Die ökonomischen Rahmenbedingungen, die im folgenden zu untersuchen sind, können in drei gedankliche Ebenen gegliedert werden. Die übergeordnete institutionelle Ebene dieses ökonomischen Rahmens können wir als Wirtschaftsordnung oder -system bezeichnen. Die Wirtschaftsordnungstheorie verwendet zwei Kriterien zur Abgrenzung von Wirtschaftsordnungen: den Koordinationsmechanismus bzw. die Festlegung der Planungskompetenz sowie die Eigentumsverhältnisse. Bezüglich ersterem stecken die extremen Grundpositionen der freien Marktwirtschaft a Ia laisser-faire und vollkommener zentraler Planung (Dirigismus) die Bandbreite ab, innerhalb derer bestimmt wird, in welchem Maß der Staat selbst ökonomischer Entscheidungsträger ist. In bezug auf die Eigentumsverhältnisse wird zwischen privatem und gesellschaftlichem Eigentum differenziert. 1 Die grundlegende Intention und Ausrichtung des Staatseingriffs im Bereich der Wirtschaft können wir als Wirtschafts- bzw. Entwicklungsstrategit? eines Landes bezeichnen. Diese hat bezüglich übergeordneter Ziele Mittelcharakter, ist innerhalb des wirtschaftspolitischen Systems selbst aber Ziel. Ihre Umsetzung wiederum erfolgt durch den Einsatz wirtschaftspolitischer Instrumente, die die dritte Ebene des ökonomischen Rahmens darstellen. Sofern wir uns auf die Kombination bestimmter Ausprägungen aller drei Ebenen beziehen, wollen wir im folgenden vereinfacht von der Wirtschaftspolitik eines Landes sprechen. Diese Dreiteilung stellt eine leichte Modifikation und Ergänzung der in der deutschsprachigen Literatur geläufigen Zweiteilung der Wirtschaftspolitik in Ordnungs- und Prozeßpolitik bzw. Rahmen- und Ablaufpolitik dar, die für die Betrachtung von Entwicklungsländern vorteilhaft scheint, da das Bestehen oder Fehlen einer nationalen "Entwicklungsstrategie" explizit berücksichtigt wird.
1 Vgl. Klump (1989), S. 122-133.
2 Die Begriffe "Entwicklungsstrategie • und "Entwicklungsökonomie• werden im konventionellen Sprachgebrauch dann verwendet, wenn wir uns mit wirtschaftlichen Fragen von Entwicklungs- und Schwellenländern befassen. In diesem Sinne sollen die Begriffe auch hier verwendet werden.
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6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
Die Frage, die wir uns in diesem Kapitel stellen, lautet also: Wie wirken die drei Ebenen des ökonomischen Rahmens- Wirtschaftsordnung, Entwicklungsstrategie und eingesetzte Instrumente - nach Betrachtung aller relevanten Interdependenzen bezüglich unseres Ziels, nachhaltige Entwicklung zu erreichen? Diese Frage ist überaus komplex und nicht pauschal zu beantworten. Negative Wirkungen des ökonomischen Rahmens auf die Nachhaltigkeil wirtschaftlicher Entwicklung können auf Mängel aufjeder der drei Ebenen beruhen, wobei eine "falsche" Wahl auf einer Ebene eine "richtige" Entscheidung auf einer anderen zunichte machen kann. Ermitteln wir einen negativen Einfluß des ökonomischen Rahmens auf unser Zielsystem, so kann dies darauf beruhen, daß entweder die Entwicklungsstrategie selbst untauglich ist, die konkrete Ausgestaltung der Wirtschaftsordung die Umsetzung einer an sich geeigneten Strategie verhindert oder daß die eingesetzten Instrumente nicht geeignet sind, die angestrebte Wirtschaftsstrategie umzusetzen. Gerade die Identifizierung der eigentlichen Ursache der negativen Wirkung wird in der gegenwärtigen Umweltliteratur zumeist vernachlässigt, etwa bei pauschaler Kritik an der Umweltwirkung exportorientierter Entwicklungsstrategien. Der Wirtschaftspolitik eines Landes liegen unterschiedliche Zielsetzungen innerhalb des Oberziels "Steigerung des Wohlstands" zugrunde: Wirtschaftswachstum, konjunkturelle Stabilität, hoher Beschäftigungsgrad, Preisniveaustabilität, außenwirtschaftliches Gleichgewicht, gerechte Verteilung (personal und regional) und Effizienz der Allokation, worunter auch umweltpolitische Ziele zu subsumieren sind. 3 Die konventionelle Entwicklungsökonomie und vergleichende Wirtschaftssystemforschung hat verschiedene Wirtschaftssysteme, -Strategien und Instrumente vor allem in Hinblick auf ihre Fähigkeit verglichen, wirtschaftliches Wachstum einzuleiten. 4 Dieser Gesichtspunkt ist auch in unserer die Umwelt mit einbeziehenden Analyse nach wie vor bedeutsam, erfordert aber eine Differenzierung aufgrund der ambivalenten Rolle des Sozialprodukts hinsichtlich der Umweltrestriktion. Wirtschaftswachstum bringt ceteris paribuseine Erhöhung der Umweltbelastung mit sich. Auf der anderen Seite haben wir geringes Einkommen als Quelle von Ineffizienz identifiziert, wobei die Armuts-Bevölkerungs-Umwelt-Falle die eklatanteste Ausprägung bzw. Folge ist. Es genügt also nicht mehr, den "Erfolg oder Mißerfolg" eines Wirtschaftssystems, einer Entwicklungsstrategie und konkreterwirtschaftspolitischer Instrumente am erreichten Wirtschaftswachstum und gegebenenfalls noch an Verteilungseffekten zu messen.
3 Vgl. Klump (1989), S. 147 und Allmann (1985), I. Teil.
4 Zum Teil wurden - direkt oder unterschwellig - auch andere Kriterien herangezogen, etwa
Fragen der Gerechtigkeit bzw. Verteilung im Falle der Entwicklungsökonomie oder Fragen der Überlegenheit bestimmter Systemeaufgrund ethischer Kriterien wie Freiheit oder Menschenrechte.
6.2. Konventionelle Wohlfahrtseffekte wirtschaftspolitischer Aktivität
157
Wir müssen also versuchen, zunächst die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verschiedener Ausprägungen des ökonomischen Rahmens vergleichend zu überprüfen und dann den Nettoeffekt durch die Berücksichtigung der umfassenden und komplexen Interdependenzen zwischen Sozialprodukt, Effizienz und Umwelt abzuschätzen. Die Überlegungen, die wir hier anstellen, gehen zunächst von der Wahl.des ökonomischen Rahmens in seinen drei Dimensionen Wirtschaftsordnung, Wirtschaftsstrategie und wirtschaftspolitische Maßnahme auf nationaler Ebene aus. Hier müssen wir die einem Staat zur Erreichung der wirtschaftspolitischen Ziele zur Verfügung stehenden immateriellen Mittel, wie Information, Appelle, Gebote und Verbote, vor allem aber die materiellen Instrumente im Rahmen der Finanz- sowie der Geld- und Währungspolitik und die Beeinflussung der Wirtschaftsordnung selbst untersuchen. 5 Jedoch beeinflussen die Wirtschaftspolitik anderer Länder und die weltwirtschaftliehen Rahmenbedingungen6 das Ergebnis nationalen ökonomischen Handelns. Je nach Wahl der nationalen Wirtschaftspolitik sind dabei diese externen Faktoren von größerer oder geringerer Bedeutung. Wir müssen also auch überprüfen, inwieweit diese Einflüsse die Nachhaltigkeil einer Strategie oder Politik beeinträchtigen oder fördern. Dies ist insbesondere zur Klärung der Frage notwendig, welchen relativen Anteil interne bzw. externe Faktoren an der Entstehung von Umweltproblemen haben und in welchem Maße deshalb eine Hinwendung zu einer nachhaltigen Entwicklung überhaupt in der Macht nationaler Regierungen steht.
6.2. Konventionelle Wohlfahrtseffekte wirtschaftspolitischer Aktivität 6.2.1. Paradiemen der Entwicklungsökonomie
Mit dem Ende des zweiten Weltkrieges und der Unabhängigkeit zahlreicher Staaten gewann das Problem der Stagnation dieser Länder an Relevanz und wurde zum Gegenstand eines Zweiges der Wirtschaftswissenschaften, der sogenannten Entwicklungsökonomie. Die von Ökonomen dargebotenen Gründe für Unterentwicklung und die darauf aufbauenden Empfehlungen zu ihrer Überwindung haben die entwicklungspolitische Praxis maßgeblich geprägt. Das vorherrschende Paradigma der 50er bis in die 70er Jahre beruhte auf der Überzeugung, daß Kapitalmangel die eigentliche Ursache der Unterent-
5 Vgl. Reclaenwald (1983), S. 10.
6 Obwohl man diesen weltwirtschaftliehen Rahmen meist als Weltwirtschaftsordnung bezeichnet, umfaßt er - analog zu unserer Dreiteilung - auch die Strategien und konkreten politischen Maßnahmen der diese Wirtschaftsordnung reprisentierenden Institutionen.
158
6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
wicklung ist und deshalb Investitionen der Schlüssel zur Überwindung der Entwicklungsprobleme durch rasche Industrialisierung sind. Die theoretische Fundierung dieser Denkweise lieferte die postkeynesianische Wachstumstheorie von Harrod und Domar, die die Wachstumsrate des Sozialprodukts auf zwei Faktoren, die Investitionsquote und den reziproken marginalen Kapitalkoeffizienten, zurückfiihrt. 7 Die daraufhin empfohlenen Strategien zur Überwindung der Kapitalknappheit stützten sich zum einen auf die These, daß das wirtschaftliche Verhalten der Menschen in Entwicklungsländern nicht dem in der Theorie unterstellten Handeln entspricht und Marktwirtschaft dort nicht funktioniert. So wurde behauptet, in Entwicklungsländern herrsche das Bedarfsdeckungsprinzip bzw. das Prinzip des konstanten Bedürfnisniveaus vor und die Bevölkerung würde nicht wie von der neoklassischen Theorie unterstellt auf Preissignale reagieren. 8 Zum anderen lagen ihnen eine pessimistische Haltung in bezug auf die angeblichen Vorzüge des internationalen Handels und demzufolge gegenüber einer exportorientierten Politik zugrunde. Einige als Strukturalisten bezeichnete Ökonomen wie Lewis, Singer, Myrdal, Perroux, Nurkse, Rosenstein-Radan und Prebisch unterstellten eine Unterlegenheit der Entwicklungsländer im internationalen Handel, was etwa in Prebischs These von der säkularen Verschlechterung der TermsofTrade empirisch und in der Vorstellung der Entwicklungsländer als periphere (Prebisch) bzw. "dominierte Wirtschaft" (Perroux) theoretisch etabliert wurde. 9 Drohenden Zahlungsbilanzungleichgewichten sollte demnach durch Kapitaltransfer aus den Industrieländern in Form von Entwicklungshilfe, vor allem aber durch eine Strategie der Importsubstitution begegnet werden. Diese sollte den Markt für den vorgeschlagenen schnellen Wechsel von Gütern des primären Sektors zu solchen des sekundären Sektors etablieren. Eine derartige Strategie, wie sie in den 50er und Anfang der 60er Jahre populär war, forderte einen erheblichen Anteillenkender und bürokratischer Eingriffe in die Wirtschaft, so daß diese Schule bezüglich beider Kriterien der Wirtschaftsordnung klar zu einer planwirtschaftlichen, stark dirigistischen Linie mit hohem Anteil staatlicher Unternehmen hin tendierte. 10 In den 60er Jahren wurden vor allem in Lateinamerika mit den Abhängigkeitstheorien die außenhandelskritischen Theorien des vorherigen Jahrzehnts durch eine politisch-soziologische
7 Vgl. HelmschroaiOsterkamp ISchiJnherr (1992), S. 5-8. Der marginale Kapitalkoeffizient wird auch als ICOR (incremental capital-output ratio) bezeichnet. 8 Vgl. HelmschroaiOsterkampiSchiJnherr(l992), S. 9, Brand1Brand(l99l), S. 109f, Darr (1991), S. 32fund lAI (1985), S. IOf u.a. zur empirischen Kritik dieser Thesen. 9 Vgl. hierzu Abschnitt 6.2.3.
10 Zu diesem Paradigma vgl. Helmschroa I Osterkamp I SchiJnherr (1992), S. 5-13, Streeten (1986) und die Aufsätze in Lewis I Kallab (1986), insbesondere Lewis (1986), S. Sf, Meiler (1986), S. 7lfund Bhagwati (1986), S. 93ff.
6.2. Konventionelle Wohlfahrtseffekte wirtachaftspolitischer Aktivität
159
Interpretation ökonomischer Zusammenhänge im Sinne einer kapitalismuskritischen Ideologie (lmperialismustheorien) weiterverfolgt. 11 In den 70er Jahren verlagerte sich der Schwerpunkt von Wachstums- hin zu Verteilungsaspekten. Der These eines "Trickle-down"-Effekts der Vorteile hohen Wirtschaftswachstums auf die Ärmsten wurden immer stärkere Vorbehalte entgegengebracht und empfohlen, Armut durch eine grundbedürfnisorientierte Strategie zu bekämpfen. 12 Zunehmend wurde man sich auch der Bedeutung der qualitativen Aspekte des Humankapitals als eigentlich kritischem Faktor der Entwicklung bewußt, eine Überlegung, für die T.W. Schultz 1979 den Nobelpreis erhielt. 13 Die beschränkten Erfolge beider miteinander verbundenen Orientierungen- Grundbedürfnisstrategie und zunehmende Bildungsanstrengungen- zeigten aber rasch, daß sie losgelöst von einer Wachstumsstrategie nicht erfolgreich sind14, diese aber ergänzen müssen. Bereits in den 60er Jahren hatten Anhänger einer marktwirtschaftlichen, auf Privateigentum und -initiative basierenden Wirtschaftsverfassung und Politik die Gültigkeit des damals dominierenden Paradigmas in Frage gestellt und in den 80er Jahren zu einer "neoklassischen Gegenrevolution" ausgeholt. 15 Empirische Studien zeigten, daß der Zusammenhang zwischen Investitionsquote und Wachstumsrate gering ist und durch Staatseingriffe ausgelöste Investitionen zum einen private Investitionen verdrängten (crowding-out-Effekt), zum anderen oftmals ineffizient sind, also den marginalen Kapitalkoeffizienten ungünstig beeinflussen. 16 In einigen Ländern trat auch durchaus eine Umorientierung ein, die die Liberalisierung des Handels, den Verzicht auf direkte Staatsinterventionen und eine Hinwendung zur Exportförderung beinhaltete. Empirische Studien belegen, daß diese marktwirtschaftlich orientierten Staaten bezüglich Wachstums- und Verteilungszielen besser abschnitten als interventionistische Volkswirtschaften.17 Dieser Paradigmenwechsel wurde durch die Ölpreisschocks der 70er Jahre (1973 und 1979) und die davon ausgelösten Turbulenzen im Finanz11 Zu den Abhängigkeitstheorien (Dcpendencia-Ansätzen) vgl. Mtsch (1986) und Sauner (1986). 12 Vgl. Bautista (1992), S. 1 und Lewis (1986), S. 6f. Zur Grundbedürfnisstrategie, insbesonde-
re seiner Entstehung, siehe ausführlich die Habilitationsschrift von Jungfer (1987). 13 Vgl. SchuJtz (1971) und Schultz (1989).
14 Nach einer Studie in sechs Ländern Afrikas hatte die Auslandshilfe durch "einseitige Betonung der V ersorgungssicherbeit an Nahrungsmitteln und der Milderung der Armut .. .die Produktion von Agrarerzeugnissen für den Export untergraben und die technischen Faktoren zur V erbesscrung der Produktivität bei der Nahrungsmittelerzeugung vernachlässigt" (Weltbank (1990), S. 161). 15 Diese Denkrichtung ist mit den Namen Anne Krueger, Jagdish Bhagwati, Peter Bauer, Beta Belassa und Dcepak Lai verknüpft. Vgl. Todaro (1989), S. 82-85 und Lewis (1986), S. 6.
16 Zum schwachen Zusammenhang zwischen Einkommenswachstum und Investitionsquote siehe Helmschron/Osterkamp/Schiinherr(1992), S. 8. 17 Vgl. Klitgaard (1991), S. 3 und Dürr/Pjister(1991), S. 62~9.
160
6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
sektor (Schuldenkrise) gefestigt, wobei die makroökonomische Stabilisierung (Strukturanpassung) in den Mittelpunkt wirtschaftspolitischer Aktivität rückte und neoklassisch ausgerichtete Wirtschaftspolitik an Bedeutung gewann. 18 Mit dem Zusammenbruch der kommunistischen Systeme Osteuropas und der meisten sozialistischen Satellitenstaaten wurde - angesichts der dadurch erst in vollem Ausmaß sichtbaren ökonomischen, sozialen und ökologischen Defizite der auf Gemeineigentum beruhenden Planwirtschaft - die Marktwirtschaft zum allgemein anerkannten Paradigma, sogar in jenen Staaten wie China, Vietnam und Nordkorea, die sich als letzte Bastionen des Kommunismus zeigen und eine ganz spezifische Form einer sozialistischen Marktwirtschaft suchen. 1991 hatten 51 Staaten Darlehen des Internationalen Währungsfonds unter der Bedingung erhalten, strukturelle Anpassungsmaßnahmen zu betreiben. Dahinter verbirgt sich die Forderung nach Etablierung eines marktwirtschaftliehen Systems: "Plainly put, structural adjustment means less govemment, freer trade, and moreprivate enterprise. "19 6.2.2. Determinanten des wirtschaftlichen Erfolges
Die Euphorie über den "Sieg des Kapitalismus" als besserer wirtschaftlicher Rahmen darf nicht dazu verleiten, die Frage der geeigneten Wirtschaftspolitik als gelöst anzusehen. Zwar sind private Unternehmen und das Vorherrschen des Marktmechanismus, also die beiden konstituierenden Charakteristika des Kapitalismus20, zentrale Elemente einer effizienten Wirtschaftsordnung. Eine nur auf dem privaten Sektor beruhende und völlig dem Marktmechanismus überlassene Volkswirtschaft ist allerdings ein Grenzfall, dem in der Praxis allenfalls Hongkong nahe kommt. 21 Empirische Untersuchungen, die unterschiedliche marktwirtschaftliche und planwirtschaftliche Systeme vergleichen, stoßen auf Abgrenzungsprobleme, da, wie die Autoren einer Ifo-Studie betonen, "'sozialistische' oder 'staatsinterventionistische' Ordnungen mit einer großen Bandbreite marktwirtschaftlicher Elemente, andererseits 'kapitalistische' oder 'marktwirtschaftliche' Systeme mit extrem unterschiedlichen staatlichen Interventionsgraden" 22 existieren. Die Frage, wie stark, in welchen Bereichen 18 Vgl. Lewis (1986), S. 8f.
19 KlitgtuJrrl (1991), s. 2. 20 Zu dieser Definition siehe Ogata (1993), S. 46. In diesem praktischen, nicht ideologischen Sinne wollen wir den Begriff •Kapitalismus• auch verwenden. 21 Allerdings werden auch in Hongkong drei wichtige Preise kontrolliert, nämlich Zinssatz, Wechselkurs und Bodenpreise sowie durch subventionierten Wohnungsbau das Lohnniveau. Vgl. Swedish Ministry (1992), S. 129. 22 Helmschron/Osterkamp/Schönherr (1992), S. 13.
6.2. Konventionelle Wohlfahrtseffekte wirtschaftspolitischer Aktivität
161
und in welcher Form der Staat intervenieren soll, ist also nach wie vor nicht beantwortet, da lediglich der Fall umfassender Planung und extremer Staatsintervention als zum Scheitern verurteilt ad acta gelegt werden kann. In den letzten Jahren stellten deshalb Studien verstärkt darauf ab, die dem Wirtschaftswachstum förderlichen Determinanten zu identifizieren. Die folgenden Faktoren wurden, basierend auf einem Vergleich asiatischer Volkswirtschaften unterschiedlicher Wirtschaftsordnung und -politik, in einer vom schwedischen Außenministerium in Auftrag gegebenen Studie als entscheidend für rasches Wirtschaftswachstum genannt (Abb. 6.1):
• Stabilität und Kontinuität der Regierung • kompetente und ehrliche Bürokratie • relativ gleichmäßige Verteilung der Einkommen und Vermögen • gezielte Förderung von Humankapital • funktionsfähiger Arbeitsmarkt mit hoher Mobilität • hohe Sparquote • ein auf Banken basierender Finanzmarkt • makroökonomische Stabilität und Kontinuität sowie berechenbare Wt.rtschaftspolitik • adäquate physische Infrastruktur • niedrige bzw. fallende Geburtenraten • ausreichend hohe, positive Realzinsen • stabile Wechselkurse • geringe Preisverzerrung bei den sog. "big prices" wie Wechselkursen, Zinsen, Energiekosten, Lohnkosten und den Preisen für landwirtschaftliche Erzeugnisse • Exportförderung durch Freihandel für Exporte und Subventionen für ExporttörderungNermarktung • hohe Attraktivität für ausländische Direktinvestitionen im Exportsektor • Erziehungszölle (infant industry protection) mit irreversibel graduell abnehmendem Schutz • selektive Industriepolitik
QueUe: Swedish Miniatty (1992), S. 29-34 UDd S. 180-197; ciacne Ühene1ZW11
Abb. 6.1: Determinanten des wirtschaftlichen Erfolges
II Stenge!
162
6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
Ein umfangreiches Weltbank-Projekt zu den Ursachen des Erfolges ostasiatischer Volkswirtschaften, dessen Ergebnisse im Herbst 1993 veröffentlicht wurden, stützt diese Thesen. 23 Die Wissenschaftler der Weltbank fanden heraus, daß den erfolgreichen Staaten, deren Pro-Kopf-Einkommen sich in den letzten 25 Jahren fast vervierfachte24 , trotz erheblicher Unterschiede in der Wirtschaftspolitik bestimmte Kernelemente gemein waren: eine nach außen gerichtete Grundorientierung, makroökonomische Stabilität und Investitionen in Humankapital, gesichert durch flexibles und pragmatisches wirtschaftspolitisches Handeln und politische Stabilität. Die Übereinstimmungen zwischen den beiden hier genannten, unabhängig voneinander durchgeführten Studien sind auch in den Details eklatant. In ihrer Zusammenfassung des Berichts "1he East Asian Miracle" folgert die Weltbank: "While there is no recipe for success, there are some positive lessons: keep the macroeconomy stable; focus on early education; do not neglect agriculture; use banks to build a sound fmancial system; be open to foreign ideas and technology; and Iet relative prices reflect economic scarcities. And there are some negative ones: promoting specific industries or attempting to leap stages of technological development will generally fail; strongly negative real interest rates and large subsirlies to borrowers debilitate the fmancial system; and directing credit without adequate monitaring and selection of borrowers distorts allocation. Finally, we found that a successful export push, whether it results from an open economy and strong economic fundamentals, or from a combination of strong fundamentals and prudently chosen interventions, offers high economic gains. Of all the interventions we surveyed, those to promote exports were the most readily compatible with a wide diversity of economic circumstances. •2.5
Beide Studien plädieren eindeutig zugunsten der Marktwirtschaft. Die aufgeführten Punkte sind denn auch kompatibel mit den neun Aspekten, die Dürr als Bedingung für das Funktionieren der sozialen Marktwirtschaft nennt: a) die Gewährung von Privateigentum an Produktionsmitteln, b) das Vorhandensein von "dynamischen" Unternehmern, c) die Freiheit des Marktzugangs durch Gewerbefreiheit und freien Zugang zu Kredit-, Devisen- und Arbeitsmärkten, d) die Freiheit marktwirtschaftlicher Preisbildung, e) dynamischer Wettbewerb (workable competition in Abgrenzung zum vollständigen Wettbewerb der statischen Wohlfahrtstheorie), Sicherung desselben durch Wettbewerbspolitik und Markttransparenz, t) "normale" Reaktion auf Preissignale, g) stabiler Geldwert, h) Bereitschaft zum sozialen Ausgleich und i) starke Regierung. 26
23 Vgl. Leipziger/7homa.s(1993) und World Bank (1993). 24 Vgl. Leipziger/7homa.s (1993), S. l.
Bank (1993), S. 367. Dan- (1991), S. 19-26.
25 World
26 Vgl.
6.2. Konventionelle Wohlfahrtseffekte wirtschaftspolitischer Aktivität
163
Alle drei Quellen verweisen auf die Vorteilhaftigkeil stabiler und unverzerrter Preise (Geldwert, Wechselkurse, Zinsen, Löhne, Güterpreise) und eines soliden Staatshaushalts. Die Gründe liegen auf der Hand: Inflation verhindert die Wirksamkeit der Signalfunktion der Preise, vermindert Wettbewerb und Exportchancen, reduziert die Sparquote, fördert Spekulation, Kapitalflucht und Anlage in Immobilien statt Anlage in produktive Verwendung, vermindert Reallöhne und gefährdet somit auch die Stabilität der Löhne. Künstlich festgesetzte Mindestlöhne, subventionierte Energiepreise und manipulierte Wechselkurse führen zu Fehlallokationen von Ressourcen. Eine Verzerrung der Zinsen verhindert, daß diese die intertemporale Allokation von Ressourcen effizient signalisieren können. Stabilität und Kontinuität der Wirtschaftspolitik soll garantieren, daß nicht nur kurzfristiges Gewinnstreben in meist spekulativer Art fiir kurzzeitig hohe Wachstumsraten sorgt, sondern daß genügend Vertrauen fiir langfristige Investitionen in produktive Bereiche besteht. Die Reduktion der Unsicherheit, eines der Haupthemmnisse wirtschaftlicher Aktivität, steht hier im Vordergrund staatlicher Wirtschaftspolitik. Wirtschaftspolitik soll anreiz-, also marktkompatibel sein, den Wettbewerb fördern und somit die private Wirtschaftstätigkeit stützen. Allgemein anerkannt ist aber auch die Bedeutung dreier Aspekte, die, allerdings meist isoliert und deshalb wenig wirksam, bereits in entwicklungstheoretischen Diskussionen herausgestellt wurden: die Entwicklung von Humankapital, nicht zuletzt als Grundlage fiir das Entstehen von Unternehmern, die Notwendigkeit einer breiten Verteilung des Wirtschaftsergebnisses, um eine breite Grundlage fiir dauerhaftes Wachstum zu erhalten und negative Rückwirkungen etwa durch Unruhen zu verhindern, und die Ausstattung mit Infrastruktur zur Förderung von Handel durch Schaffung physischen Zugangs und Markttransparenz. 6.2.3. Die Bedeutung der Integration in die Weltwirtschart Die empirischen Studien betonen die positive Bedeutung einer Integration in die Weltwirtschaft, worunter man nach Wagner "alle Beziehungen und Verflechtungen, die durch den internationalen Handel sowie durch Bewegungen von Kapital und Arbeit zwischen Volkswirtschaften entstehen" 27 , versteht. Das Plädoyer fiir Exportorientierung und Offenheit gegenüber ausländischen Direktinvestitionen reflektiert dabei grundlegenden Optimismus bezüglich der Wirksamkeit des Marktmechanismus (Freihandelsthese), dessen theoretische Grundlage die klassisch-neoklassische Außenhandelstheorie ist. Die den Studien zugrundeliegenden empirischen Daten lassen den Schluß zu, daß die in dieser Theorie unterstellten Vorteile aus internationalem Handel durch verbesserte
27 II*
Wagner (1991), S. 1.
164
6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
Allokation knapper Ressourcen28 und der unterstellte systemendogene Stabilisierungsmechanismus - d.h. der automatische Ausgleich der Zahlungsbilanz durch die korrigierende Wirkung von Güterpreisen, Wechselkursen und Zins auch wirklich im Nettoeffekt zum Tragen kommen, auch wenn man in der Realität Abweichungen von den Standardannahmen der Theorie und die daraus resultierenden unvollkommenen Anpassungsmechanismen anerkennt. 29 Demnach fördert eine intensive weltwirtschaftliche Verflechtung die Entwicklung, da sie - die Produktivität durch internationale Arbeitsteilung und Spezialisierung fördert, - als Ventil fiir Überschußproduktion (vent for surplus) dient, - den Zugang zu Gütern und Leistungen ermöglicht, die das Land aufgrund fehlender Ressourcen wie Kapital, Wissen oder Technologie selbst nicht herstellen kann, - aufgrunddes internationalen Wettbewerbsdrucks die Produktivität erhöht, da dieser die Anpassung an kostengünstigste Produktion, höhere internationale Standards und moderne Technologie erzwingt,30 - die Industriestruktur durch backward und forward linkages vertieft und verbreitert und - höhere Sparquoten und damit Investitionen, nicht zuletzt zur Verbesserung des Humankapitals, einer weiteren Schlüsselgröße dauerhaften Wachstums, erlaubt. Der Zufluß ausländischen Kapitals - als privates Direktkapital oder Auslandshilfe- stellt einen wachstumssteigemden Devisenzufluß dar, der überdies zu Spillover-Effekten über den zunehmenden Bedarf an Vorleistungen, zusätzlichem Input und die Übertragung von technischem und organisatorischem Know-how fiihren kann. 31
28 Theoretisch gesehen entspricht dies der Möglichkeit, dun:h internationalen Handel Konsumpunkte jenseits der volkswirtschaftlichen Transformationskurve zu erreichen. 29 Ein Beispiel für diese Unvollkommenheit ist der J-Kurven-Effekt, der beschreibt, daß eine Abwertung staU mit der unterstellten Verbesserung der Leistungsbilanz zunächst mit einer Verschlechterung derselben aufgrund des schnelleren Wirkens von Preis- gegenüber Mengeneffekten verbunden ist. Vgl. Krugmon/Obstfeld (1991), S. 450fT. Ein weiteres Beispiel ist die zunehmende Abhängigkeit der Devisenmärkte von Finanztransaktionen staU realen Warenströmen, die die Anpassung des nominalen Wechselkurses an die Inflationsunterschiede im Sinne der Kaufkraftparitätentheorie verhindert und spekulatives Anlageverhalten fördert. Vgl. Wagner (1991), S. 21f. 30 Die produktivitätssteigemde Wirkung internationaler Konkurrenz belegt auch eine aktuelle McKinsey-Studie. Vgl. o.V. (1993t), S. 16 und o.V. (1993r), S. 34. 31 Vgl. Swedish Ministry (1992), S. 124f, Hemmer (1988), S. 238-241, S. 252fund Wagner (1991), s. 30.
6.2. Konventionelle Wohlfahrtseffekte wirtschaftspolitischer Aktivität
165
Der von Perroux, Myrdal und Prebisch-Singer bzw. auf soziapolitischer Ebene von Anhängern der Dependencia-Theorien unterstellten These von der dem internationalen Handel inhärenten Benachteiligung der Entwicklungsländer und der daraus folgenden Unmöglichkeit der Entwicklung bei Einbindung in den internationalen Handel wird also deutlich widersprochen. Diese Schule hatte den Blick auf die Asymmetrie zwischen Industrie- und Entwicklungsländern gelenkt, wonach die Dritte Welt bei ihren Exporten zum überwiegenden Teil aufkomplementäre Industrieländermärkte und dabei auf Primärgüterexport angewiesen ist, während Industrieländer vor allem untereinander Handel nach dem Prinzip des substitutiven Warenaustauschs betreiben und den Handel in Halb- und Fertigwaren dominieren. Diese Struktur reproduziere sich demnach im internationalen Handel durch systemimmanente Mechanismen und führe zu notorischen Zahlungsbilanzdefiziten der Entwicklungsländer. 32
Perroux sah die Ursache der Ungleichgewichte in der Beherrschung des Außenhandels durch Staat und Unternehmen der Industrieländer, die durch "Gewalt, Macht und Zwang" 33 aufrechterhalten wird. Der in der Freihandelstheorie unterstellte stabilisierende Ausgleich über Einkommens-, Preis-, Wechselkurs- oder Zinsmechanismen trete nicht auf, da aufgrundder unterschiedlichen Preis- und Einkommenselastizität der Nachfrage in Entwicklungs- und Industrieländern das Importvolumen ersterer überproportional mit dem Einkommen bzw. Preissenkungen zunimmt, während das der Industrieländer starr sei. Überdies überwiege der zinssteigemde Effekt gestiegener Kreditnachfrage bei Leistungsbilanzüberschüssen in Industrieländern die zinssenkende Wirkung derselben und führe dadurch eher zur Verstärkung der Überschüsse. Myrdal stellt in seiner These der "internationalen Kontereffekte • das neoklassische Faktorpreisausgleichstheorem in Frage, indem er kumulativ verstärkende Ungleichgewichte durch Förderung der bereits entwickelten Standorte gegenüber unterentwickelten Ländern (backwash-effects) unterstellt. Diese käme durch Lenkung von Sach-, Finanz- und Humankapital ("brain drain") in die bereits entwickelten Gebiete und Industrien mit höheren Renditen zustande, während die von Perroux erwähnten Elastizitätsunterschiede und die die Löhne niedrig haltende technologische Arbeitslosigkeit ein Durchsickern der Wachstumseffekte auf Entwicklungsländer verhindern.
Die empirische Manifestation dieser Thesen nahmen Prebisch und Singer vor, indem sie am Beispiel Englands zwischen 1876/80 und 1946/47 die These
32 Zu den folgenden außenhandelskritischen Thesen und ihrer (empirischen) Gegenkritik siehe Hemmer (1988), Teil ll, F, Jungfer (1982), S. 115-150 und Wagner/Kaiser/Beimdiek (1989), S. 59-66 und S. 73-77. 33 Hemmer (1988), S. 214.
166
6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
von der säkularen Verschlechterung der TermsofTrade der Primärgüter exportierenden Entwicklungsländer aufstellten und mit den unterschiedlieben Einkommens- und Preiselastizitäten und der Monopolisierung der Güter- und Faktormärkte in Industrieländern (z.B. Gewerkscbaftsmacbt) begründeten. Aufgrund letzterer würden die Preise der Industrieländerexporte auch bei Produktivitätsfortschritt aufgrundder Weitergabe als Lohnerhöhung stets steigen, während Produktivitätsgewinne in Entwicklungsländern wegen des Wettbewerbsdrucks stets an die Nachfrager, sprich Industrieländer, in Form niedrigerer Preise weitergegeben würden, also stets nur letzteren zugute kämen. Andere Anhänger der These von der systematischen Benachteiligung der Entwicklungsländer in der Weltwirtschaft führen die stärkerenExporterlös-und Beschäftigungsschwankungen in diesen Ländern an. Die entwicklungshemmende Wirkung internationaler Kapitalbewegung betont Baran, der ausländische Direktinvestitionen als Kapitaltransfer in Richtung Industrieländer sieht, da multinationale Unternehmen aufgrund ihrer Machtposition lokale Produktionsfaktoren gering entlohnen, aufgrund der besonderen Struktur der Produktion kaum Carry-over-Effekte zulassen und die Gewinne in die Heimatländer der Multis transferieren. In eine ähnliche Kerbe schlugen die Dependenztheorien, die in ihrer neomarxistischen Ausprägung ungleichen Tausch, d.h. überbewertete Waren der Industrie- gegen unterbewertete Waren der Entwicklungsländer, betonen und dies auf Monopole, Notwendigkeit des Verkaufs um jeden Preis, spezifische Lohnstrukturen und Elastizitäten, aber auch die von Baran hervorgebrachten Gewinntransfers - direkt und indirekt über Buchungsmanipulation, überhöhte Preise, Patent- und Lizenzgebühren - und die Übertragung westlicher Konsummuster zurückführen. Die genannten Theorien weisen bereits theoretisch deutliche Mängel auf: Mit Ausnahme der Prebisch-Singer-These sind die Thesen nicht falsifizierbar, sie konzentrieren sich auf Teilaspekte der Wirtschaftsbeziehungen - etwa die Betrachtung einfacher Warenaustauschverhältnisse (commodity terms of trade) statt der relevanten "einfachen faktoralen Austauschverhältnisse" (single factoral terms of trade) oder Einkommens-Terms of Trade34 -, sie vernachlässigen binnenwirtschaftliche Fehlentwicklung und erklären alle Entwicklungsprobleme als außenhandelsverursacht; sie lassen die von der neoklassischen Theorie betonten Vorzüge weltwirtschaftlicher Verflechtung außer acht. Diese Einwände wurden durch die eindeutigen empirischen Belege bestätigt: So zeigt die Statistik keineswegs eine "säkulare" Verschlechterung der TermsofTrade der
34 Diese beiden Meßzahlen ermöglichen die Berücksichtigung von Produktivitätsänderungen und Mengenreaktionen aufPreisänderungen. Vgl. Jungfer (1982), S. 11Sf, Jungfer (1987), S. 79fund Hemmer (1988), S. 231f.
6.2. Konventionelle Wohlfahnseffekte wirtsch.t\apolitischer Aktivität
167
Entwicldungsländerl5 , und die Exportmengen sind nicht wie unterstellt zurückgeblieben, so daß die Außenhandelsgewinne nicht stagnierten. Zudem können sinkende Terms of Trade auch durch eigene wirtschaftspolitische Maßnahmen verursacht sein, etwa durch eine Unterbewertung der Währung. Es zeigte sich, daß Exporterlöse der Entwicklungsländer zwar schwankten, dies aber "tendenziell um so stärker, je kleiner die Länder ... , je kleiner das Gesamtvolumen der Exporte, je niedriger das PKE [Pro-Kopf-Einkommen, der Verfasser] und je niedriger die DIP-Wachstumsrate waren. Dagegen konnte bislang keine eindeutige Abhängigkeit der Exporterlösschwankungsintensität vom Konzentrationsgrad der Exporte nachgewiesen werden. "36
Dies weist darauf hin, daß nicht das Ausmaß der Einbindung in die Weltwirtschaft, sondern die Abhängigkeit von einigen wenigen Rohstoffexporten zu Entwicklungsproblemen führt. Zwar ist es einsichtig, daß ein höherer Grad an Weltmarktverflechtung auch eine stärkere Betroffenheit bei Schocks impliziert, jedoch zeigt die Empirie, daß weltmarktorientierte Länder diese auch besser bewältigen können als binnenmarktorientierte Länder. 37 Auch hinsichtlich des Wirtschaftswachstums und des Ausgleichs der Zahlungsbilanz (d.h. des Ausmaßes von Auslandsverschuldung) sprechen die empirischen Belege eindeutig fiir das Überwiegen der oben angefiihrten positiven Effekte von Außenhandel und internationalen Kapitalbewegungen, und gerade die sich an den Dependenztheorien orientierenden lateinamerikanischen Volkswirtschaften schnitten trotz ihrer teilweise überlegenen Ausgangslage in dieser Zeit am schlechtesten ab.38 6.2.4. Die Rolle interventionistischer Maßnahmen
Trotz der grundlegenden Befiirwortung marktwirtschaftlicher Politik und des Freihandels relativiert vor allem die schwedische Studie in einigen Punkten diese Grundorientierung und die dabei zugrundegelegte Führungsrolle des privaten Sektors. Die Befiirwortung selektiver interventionistischer Maßnahmen spiegelt sich in dem Plädoyer fiir den Schutzjunger Unternehmen (infant industry protection)39 und dem Vorschlag aktiver und selektiver Industriepolitik
35 Vgl. auch Chacholiades (1990), S. 135ft'.
36 Hemmer (1988), S. 235. 37 Vgl. Hemmer (1988), S. 545. 38 Vgl. Stem (1989), S. 613,633 und Wagner/Kaiser/Beimdiek (1989), S. 214ft'
39 Die ZuläBBigkeitvon vorobergehenden Maßnahmen zum Schutzjunger Industrien hatte bereits John Stuart Mill betont; sie fand ihre Entsprechung in Lists Erziehungszollargument. Vgl. Chacholiades (1990), S. 174-178.
168
6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
wider. Auch aktive Unterstützung der eigenen Exportindustrie und gezielte Anlockung ausländischen Kapitals kann als interventionistischer Eingriff interpretiert werden. Hier standen zunächst weniger theoretische Schlüssigkeil als vielmehr empirische Belege, vor allem aus den ostasiatischen Wachstumswirtschaften, im Vordergrund. 40 Allerdings kann auch theoretisch eine derartige Politik gerechtfertigt werden, wenn sie - analog zur Notwendigkeit wirtschaftspolitischer Korrekturen auf binnenwirtschaftlicher Ebene - als Korrektur bestehender Marktunvollkommenheiten interpretiert wird. Ebenso wie Deutschland vor dem ersten Weltkrieg41 setzten auch die asiatischen Volkswirtschaften wie Japan, Korea und Taiwan zunächst auf eine Politik der Importsubstitution mit mehr oder weniger starkem Schutz der einheimischen Wirtschaft vor ausländischer Konkurrenz. Es zeigt sich, daß Exportförderung und Importsubstitution nur dann Gegensätze sind, wenn beide Begriffe als Grad der Manipulation der Wechselkurse definiert sind, Importsubstitution also einen Bias des effektiven Wechselkurses gegen Exporte impliziert. Nach Bhagwati hat sieb Importsubstitution in diesem Sinne deutlich als allokativ inferior erwiesen: Im Vergleich zu Strategien, die Exporte nicht diskriminieren, hat sie nämlich eine geringere Marktgröße, erhebliche Kosten durch Protektionismus und eine geringere Nachfrage nach Arbeitskräften pro Einheit eingesetzten Kapitals aufzuweisen. 42 Wird Importsubstitution dagegen nicht verstanden als Gegenstück zu Exportförderung, sondern komplementär dazu als vorübergehender Schutz heimischer Industrie zur Erlangung von Wettbewerbsfähigkeit, so spricht nach Streeten einiges dafür, daß die Vorteile einer solchen Strategie die oben angedeuteten Nachteile überkompensieren: "What is needed is to lay the foundations for responsiveness and flexibility. lf the succession of 'inward-looking' and 'outward-looking' policies is examined in this light ... some fonns of import-substitution and of the creation of an indigenous technological and institutional capacity behind protectionist barriers are the precondition for a subsequent successful liberalization phase. "43
Während beide Studien, die des schwedischen Ministeriums und der Weltbank, übereinstimmen, daß die erste Generation der ostasiatischen Erfolgswirt-
40 Vgl. Swediah Ministry (1992), S. 120-125, 195ft', World
s. 119-123.
Bank (1993) und Bradford (1986),
41 Vgl. Klitgaard (1991), S. 9. 42 Vgl. Bhagwati (1986) und Verbruggen (1987).
43 Streeten (1988), S. 451. Auch die Studie des schwedischen Außenministeriums betont die Schlüsselrolle einer anfänglichen lmponsubstitutionsstrategie, weist aber darauf hin, daß diese wahrscheinlich nur dcahalb erfolgreich war, weil relativ rasch ein Übergang zu einer exponorientienen Strategie gesucht wurde. Vgl. Swediah Ministry (1992), S. 121.
6.2. Konventionelle Wohlfahrtseffekte wirtschaftspolitischer Aktivität
169
schaften, Japan, Korea, Taiwan und Singapur, mit erheblichen Interventionen Erfolge erzielen konnten, warnen sie davor, Industriepolitik und Importsubstitution generell zu empfehlen. 44 Es kommt die Befürchtung zum Ausdruck, daß massive Intervention im Rahmen der Industriepolitik, also das Herauspikken aussichtsreicher Industriesektoren durch den Staat, generell nicht funktioniert. Der Erfolg einiger ostasiatischer Länder mit Interventionsstrategien sei auf deren solide und pragmatische anderweitige Politik und auf günstige internationale Rahmenbedingungen - etwa offene amerikaDisehe Märkte - zurückzuführen. Es scheint also angebracht, die letztgenannten Empfehlungen der Abb. 6.1 streng unter der Nebenbedingung zu akzeptieren, daß die anderen, v.a. makroökonomischen Voraussetzungen ebenfalls erfüllt sind und strengen qualitativen Beschränkungen unterliegen. Entscheidend für den Erfolg der Wirtschaftspolitik ist also nicht a priori die Intensität bzw. das Fehlen von Staatseingriffen, sondern die Intention und Art derselben in Abhängigkeit von den konkreten Umständen. Primäres Ziel sollte die Schaffung der Voraussetzungen für das Funktionieren einer Marktwirtschaft, wie Institutionen, Märkte, Kontrollen, Koordinationsmechanismen und Informationskanäle, sein. Hierzu ist durchaus staatliches Ordnen notwendig, wenn Märkte fehlen oder unvollkommen sind, da es durch eine Laissez-fairePolitik zu Instabilität, Spekulationen und externen Effekten kommen kann. Ein Beispiel ist etwa die Verbesserung der Effizienz des Agrarsektors durch Landreformen, wenn die vorhandene Eigentumsstruktur und die daraus folgenden Marktabläufe zu Verzerrungen führen. 45 Ebenso kann staatliches Eingreifen notwendig sein, wenn private Unternehmer fehlen, vorhandene Unternehmen zu klein sind, um Skalenerträge zu nutzen, bzw. aufgrund mangelnden Knowhows nicht wettbewerbsfähig sind. 46 Die Entwicklungen in der Volksrepublik China belegen zwar die enormen Wachstumsimpulse einer weitreichenden Liberalisierung der Märkte, die Vorzüge des Marktmechanismus und das Bestehen dynamischer Unternehmer sogar nach jahrzehntelanger planwirtschaftlieber Bevormundung. Sie zeigen aber auch, daß bei fehlenden institutionellen Grundlagen, wie einer stabilen, konvertierbaren Währung, funktionsfähigen Finanzmärkten47 und Marktordnungsprinzipien eine starke Tendenz zu Inflation, Spekulationen, Wildwuchs und anderen Verzerrungen besteht.
44 Vgl. Swedish Ministry (1992), S. 181, 195ffund World Bank (1993). 45 Zur Notwendigkeit, den Wirkungen und der Vereinbarkeil von Landrefonnen mit (sozialer) Marktwirtschaft vgl. Brand (1991).
46 Vgl. Swedish Ministry (1992), S. 187f.
47 Für stabilisierende Interventionen in Finanzmärkte v.a. durch die Etablierung und Kontrolle eines Bankensystems und gegen vollständige Liberalisierung der Finanzmärkte in Entwicklungsländern plädiert Akyüz (1993).
170
6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
Bei der Auswahl der Strategien und dem Einsatz der wirtschaftspolitischen Instrumente ist zu beachten, daß Schutz- und Förderungsmaßnahmen nicht den Zweck haben sollten, wirtschaftliche Sonderinteressen zu erhalten, sondern allenfalls Hilfen zur Schaffung besserer Wettbewerbschancen zu bieten. Eine hohe Eingriffsintensität des Staates - verkörpert durch die Anzahl der Staatsunternehmen, den Umfang administrativer Interventionen und die Größe des Staatsanteils- erfordert einen hohen Finanzierungsaufwand, der die Volkswirtschaft belastet, da Kapital aus produktiver Verwendung abgezogen wird. Es ist sicherzustellen, daß staatliche Maßnahmen effizienzorientiert sind, also langfristig einen positiven Nettoeffekt auf die gesamtwirtschaftliche Produktivität haben. Um die beijeder Art von Subventionen und Protektionismus immanente Gefahr des rentensuchenden, unproduktiven Verhaltens, der Korruption und der Wettbewerbsverzerrung zu verhindern, müssen solche Maßnahmen kurzfristig und vorübergehend sein und einer strikten Erfolgskontrolle unterliegen. Nur dann können die erhofften Vorteile, wie der Lerneffekt, die Möglichkeit des Eintritts in Auslandsmärkte und die Steigerung der Produktivität durch Erhaltung des Wettbewerbs, eintreten. Ziel muß also stets die Beschleunigung, nicht die Behinderung des Strukturwandels sein. Dies ist der entscheidende Unterschied, wenn man die gescheiterten interventionistischen Maßnahmen südamerikanischer und osteuropäischer Staaten vor Beginn der Liberalisierung in den 80er und 90er Jahren mit den ebenfalls interventionistischen Maßnahmen der erfolgreichen asiatischen Volkswirtschaften vergleicht. In ersteren führte Industriepolitik zu Monopolen, Vetternwinschaft und Korruption und damit zu einer Struktur, die Vargas Llosa treffend beschreibt: "The names of the favored individuals or consortia change with each new govem ment, but the system is always the same: not only does it concentrate the nation's wealth in a small minority but it also concedes to that minority the right to that wealth ... This system is not only immoral but inefficient. Within it, success does not depend on inventiveness and hard work but on the entrepreneur's ability to gain the sympathy of presidents, ministen, and other public functionaries (which usually means his ability to corrupt them) . . . Instead of favoring the production of new wealth, the system, owned, in effect, by the closed circle ofthose who benefit from it, discourages any such effort and prefen merely to recirculate an ever-diminishing amount of capital. "48
Die erfolgreicheren ostasiatischen Staaten dagegen unterzogen die geförderten Industrien und Firmen einer institutionalisierten Erfolgskontrolle, meist gemessen am Exporterfolg, Verzerrungen waren meist zeitlich beschränkt, und sie scheuten sich nicht, inflexiblen und nicht wettbewerbsfähigen Marktteil-
48 Vargas Uosa (1989), S. xvii.
6.2. Konventionelle Wohlfahrtseffekte wirtschaftspolitischer Aktivität
171
nehmern, darunter auch staatlichen Unternehmen, die Hilfe zu entziehen. 49 Ziel der Abschottung des heimischen Marktes war es nicht, heimischen Firmen unter Einsatz knapper staatlicher Mittel ein geruhsames Auskommen zu sichern, sondern diese für den Wettbewerbskampf auf den Weltmärkten zu stärken. Ebenso dienten Eingriffe in andere Märkte, etwa den Arbeitsmarkt (durch eine Politik der Druckung der Löhne), Kapitalmarkt (durch Regulierung der Kreditvergabe) und Devisenmarkt, nicht dazu, das Funktionieren des Marktmechanismus zu behindern, sondern im Gegenteil diesen zu sichern. Eine enge konstruktive Zusammenarbeit zwischen einer mächtigen, kompetenten und für den Erfolg ihrer Politik verantwortlich gemachten Bürokratie und dem privaten Sektor, Unternehmen wie Arbeitnehmervertretungen, bei der Ausarbeitung von Strategien und ihrer Überwachung erhöhte dabei die Wahrscheinlichkeit des Erfolges, der in der Erlangung bzw. Erhaltung internationaler Wettbwerbstihigkeit lag. so Der Unterschied in der Beziehung zwischen Markt und Staat in den erfolgreichen Ländern gegenüber den weniger erfolgreichen wird von den Autoren der schwedischen Studie knapp, aber recht treffend zusammengefaßt: "The former regimes have used the market and to some degree directed it. The latter have attempted to replace the market through direct government involvement in produclive sectors . .SI In der Qualität der Eingriffe, nicht in dessen bloßer Existenz, liegt das Geheimnis erfolgreicher Wirtschaftspolitik. Die Intensität des Staatseingriffes hängt nach Ogata in erster Linie von der vorgefundenen Ausgangslage ab: " ... greater intervention ofthe state may be desirable and necessary when the foilowing conditions exist: when ordinary citizens are neither weil educated nor weil informed; when the supply of essential goods and capital is clearly insufficient; and/or when the balance of payments position is extremely vulnerable; or more generaily when economic development is still in its very early stages. "52
In jedem Fall ist der Staatseingriff selbst dem Effizienzkriterium zu unterziehen. Geht die Ordnungsfunktion des Staates effizient vonstatten, muß sie nicht unbedingt mit einem aufgeblähten Staatshaushalt und einer hohen Anzahl an Staatsbediensteten und mit dem dadurch normalerweise verbundenen Verdrängungseffektprivater Aktivität und hoher Steuerlast einhergehen, sondern kann den Aufbau einer auf privater Initiative beruhenden Marktwirtschaft fördern. Kurzzeitige wirtschaftliche Erfolge, die selbst bei marktinkonformen
49 Vgl. Swedish Ministry (1992), S. 11, 193f, Wade (1993), S. 153, 156, BeUo/Rosenjeld (1990), S. 51ft', Leipziger/7homas(1993), S. 22ft' und World Bank (1993), insbes. S. 93-102.
SO Vgl. Leipziger/7homas (1993), S. 24, World Bank (1993), Ksp. 4, Akyüz (1993), S. 9, Bradjord (1986), S. 123, Hilpen (1992), S. 190-196 und Swedish Ministry (1992), S. 196, 461f. 51 Swedish Ministry (1992), S. 8.
52 Ogata (1993), S. 52.
6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
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wirtschaftspolitischen Maßnahmen und unter ineffizienten Strukturen durchaus auftreten können, dürfen den Drang zur weiteren Verbesserung der Effizienz des Ressourceneinsatzes nicht erlahmen lassen. Zeitweilig erfolgreiche Volkswirtschaften begeben sich häufig in die Gefahr, sich zu früh auf dem Erreichten auszuruhen, wie Koo treffend beschreibt: "Looking at Brazil, Argentina and Puerto Rico in perspective, their greatest failing was to become complacent before they became great. w53
6.3. Analyse umweltrelevanter Auswirkungen nationaler Wirtschaftspolitik in Entwicklungsländern Daß effiziente Wirtschaftspolitik Wirtschaftswachstum auch in unterentwikkelten Ländern auslösen kann, ist angesichts der empirischen Belege kaum umstritten. Allerdings wird nach wie vor angezweifelt, ob dieses Wirtschaftswachstum auch den ärmeren Bevölkerungsschichten zugute kommt und ob es nicht auf Kosten der Umwelt erreicht wurde, also bloßen Substanzverzehr darstellt. Beide Einwände sind aus Sicht nachhaltiger Entwicklung von maßgeblicher Bedeutung: der Aspekt der Armutsbeseitigung indirekt über die Bevölkerungs-Armuts-Umwelt-Falle und der Vorwurf der Umweltzerstörung direkt über die intensivierte Ressourcennutzung. Ein dritter Einwand gewann angesichts der weltweiten Rezession zu Beginn der 90er Jahre an Bedeutung: Die erfolgreiche Entwicklung einiger ostasiatischer Volkswirtschaften sei auf eine besonders günstige weltwirtschaftliche Konstellation zurückzuführen gewesen. Die damals erfolgreichen Strategien wären aber im heutigen Kontext nicht mehr erfolgversprechend. Wir müssen diesen Einwand ernst nehmen und als dritten Aspekt neben der Wirkung des nationalen ökonomischen Rahmens auf Armut und Umwelt die mögliche Relevanz der Änderung externer Rahmenbedingungen betrachten. 6.3.1. Wirtschaftliebe Entwicklung und Armut
6. 3.1.1. Theoretische und empirische Grundlagen zum Zusammenhang zwischen Armut und Wachstum
Es wurde bereits erwähnt, daß in den 70er Jahren vor allem aus dem Kreis der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und der Weltbank unter McNamara Bedenken gegen die Vorstellung eines automatischen "Trickle-down"-
53 Koo (1993), S. 34.
6.3. Analyse umweltrelevanter Auswirkungen nationaler Wirtschaftspolitik
173
Effekts des Wirtschaftswachstums und die Gleichsetzung desselben mit Entwicklung aufkamen und sich eine Umorientierung zu Verteilungsfragen vollzog. 54 Diese pessimistische Einstellung beruhte auf der Kumets-Kurve, die einen umgekehrt U-förmigen Zusammenhang zwischen Verteilung und ProKopf-Einkommen unterstellt. 55 Demnach verschlechtert sich in den frühen Phasen der Entwicklung die Einkommensverteilung bei Wirtschaftswachstum, ein Phänomen, das zumeist auf die Konzentration der Einkommenszuwächse auf die wenig beschäftigungsintensiven modernen Sektoren und die aufgrund des Arbeitskräfteüberschusses weiterhin niedrigen Löhne (Lewis-These des unbegrenzten Arbeitsangebots) zurückgeführt wird. 56 Empirische Studien, insbesondere aus den Reihen der Weltbank, stützten diese These. 57 Während die Kumets-Kurve selbst nur auf die Einkommensverteilung, also das Verhältnis von Wirtschaftswachstum zur relativen Armut abzielt, führten die Ergebnisse einer umfassenden Studie von Irma Adelman und Cynthia Taft Morris58 zur These vom Verelendungswachstum, der sowohl relativen als auch absoluten Verschlechterung der Einkommensposition der Armen in Entwicklungsländern durch den dualistischen Verlauf des Entwicklungsprozesses. Die dieser Argumentation zugrundeliegenden empirischen Daten müssen aber aufgrund ihrer methodologischen Schwächen - Zeitreihen für ein Land lagen kaum vor, so daß verschiedene Länder miteinander verglichen wurden-, aber auch aufgrund widersprechender Studien relativiert bzw. zurückgewiesen werden. Es zeigte sich, daß die Kumets-Kurve keineswegs ein zwingendes oder sogar - aufgrund einer unterstellten höheren Sparquote der Bezieher besserer Einkommen - erwünschtes Phänomen ist. Es sind wieder die asiatischen Wachstumswirtschaften, die im Vergleich zu anderen Entwicklungsländern sowohl die (am Gini-Koeffizienten gemessen) gleichmäßigste Einkommensverteilung aufwiesen als auch gerade in Phasen starken Wirtschaftswachstums die stärkste Verbesserung (im Sinne einer Minderung der Ungleichverteilung) erzielten. 59 Untersuchungen zeigen auch, daß der Erklärungsbeitrag des Einkommensniveaus und -wachstums in bezug auf Verteilung gering ist. 60 Nicht das Niveau
54 Vgl. Jungfer (1987), S. 15-29. 55 Vgl. Kuznets (1955).
56 Vgl. Lewis (1989), S. 639f, Lewis (1954) und Todaro (1989), S. 165. 57 Beispielhaft siehe Oshima (1962), Paulcert (1973) und Ahluwalia/Carter/Chenery (1979). S8 Vgl. Adelman/Monis (1973). 59 Vgl. World Bank (1993), S. 29fT. 60 Nach Meier (1985) ist allenfalls ein Viertel der Abweichung bezüglich relativer Ungleichheit aufden Einfluß des Einkommensniveaus zunickzuführen (S. 35). Ebenso Bautista (1992), S. 5-8.
174
6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
der wirtschaftlichen Entwicklung ist demnach entscheidend für Verteilungsfragen, sondern der Charakter derselben und die bestehenden sozia-politischen Rahmenbedingungen. Werden im Verlaufe des Wachstumsprozesses die eigentlichen Ursachen der Ungleichverteilung nicht korrigiert, so kann es durchaus zur Perpetuierung derselben kommen, was langfristig den Wachstumsprozeß zu hemmen droht. Überdies sind weniger die relativen als vielmehr die absoluten Einkommensverhältnisse relevant, da nicht die Einkommensverteilung, sondern das ProKopf-Einkommen entscheidende Variable der armutsbezogenen Sozialindikatoren ist. 61 Empirische Daten widersprechen weitgehend der These von Adelman/Morris. Generell besteht nämlich ein starker negativer Zusammenhang zwischen Armut und dem Pro-Kopf-Einkommen, unabhängig davon, mit welchem Indikator - geringes Einkommen, Lebenserwartung oder Analphabetenquote- Armut gemessen wird. Nach Bautista ist der alleinige Erklärungsbeitrag des Pro-Kopf-Einkommens an Armut mit 48-58% erheblich. 62 Insgesamt kann festgestellt werden, daß zwar kurzfristig eine Verschlechterung eines Verteilungsindexes eintreten kann, aber nicht muß, damit aber in der Regel keine Zunahme des Anteils der absolut Armen einhergeht, sondern durchaus Sickereffekte zu den Armen, gerade auch durch die positive Beschäftigungswirkung einer erfolgreichen Wachstumsstrategie, erfolgen. 63 Diese Sickereffekle sind weniger das Ergebnis einer Kausalbeziehung zwischen Wachstum und Armut, sondern vielmehr ist die Erfüllung beider Ziele, Wirtschaftswachstum und Armutsbeseitigung, Ergebnis derselben Gruppe von Instrumenten, die langfristige Effizienz der Ressourcenallokation sichern. Erwartungsgemäß drücken sich wirtschaftliche Erfolge auch in der demographischen Entwicklung aus: Während in Ostasien die Geburtenraten zwischen 1965 und 1980 um 40-50% fielen und das Bevölkerungswachstum erheblich eingedämmt wurde, konnten die geringen Rückgänge der Fruchtbarkeit in Afrika und Teilen Südasiens mit dem raschen Sinken der Sterberaten nicht mithalten: Die Wachstumsraten der Bevölkerung blieben weiterhin hoch oder stiegen sogar an. 64
61 Vgl. Jungfer (1987), S. 121-126. 62 Vgl. BaUZista (1992), S. 11-16, Weltbank (1990), S. SSff, Meier(l98S}, S. 22fund Jungfer (1987), s. 113-143. 63 Vgl. Lai (1985), S. 12f, der damit der Lewis-These von der flachen Angebotakurve massiv widerspricht und auf die deshalb folgenden positiven Wirkungen auf Lohnsatz und Einkommen der Annen hinweist. 64 Vgl. World Bank (1993), S. 38ft'.
6.3. Analyse umweltrelevanter Auswirkungen nationaler Wirtschaftspolitik
175
6.3.1.2. Elemente der Winschaftspolitik und ihre Wirkung alif Annut Hätten sich die genannten Thesen von der Verschlechterung der absoluten bzw. relativen Einkommensverhältnisse der Armen bestätigt, so hätte dies für die Betrachtung der Nachhaltigkeil des Entwicklungsprozesses die Konsequenz, daß Wirtschaftswachstum kritisch zu begegnen wäre, da eine der Ursachen von Umweltproblemen in Entwicklungsländern, die Bevölkerungs-Armuts-UmweltFalle, nicht aufgelöst werden könnte, auf der anderen Seite ein negativer Effekt über die Umweltfolgen der Industrialisierung und der Konsumorientierung der reicheren Bevölkerungsschichten erfolgen würde. Eine derartige zwingende Entwicklung muß nach den vorliegenden empirischen Daten nicht befürchtet werden. Allerdings ist auch der umgekehrte Zusammenhang nicht so stark, daß wir stets von einer positiven Nettowirkung ausgehen können. Auch wenn ungenügendes Wachstum eindeutig mit Armut verbunden ist, also keinesfalls eine Alternative sein kann, bedeutet dies nicht, daß positives Wirtschaftswachstum die absolute Armut in jedem Fall in so starkem Maße reduziert, daß der zunächst negative Effekt der Ausweitung der Wirtschaftstätigkeit auf die Umwelt kompensiert wird, insbesondere wenn bei bestehendem Bevölkerungswachstum zwar der Anteil der Armen an der Bevölkerung sinkt, nicht aber der aus Sicht der Umwelt relevante absolute Bestand an Armen. Wo die Ungleichverteilung an Einkommen und Vermögen Ursache umweltrelevanter externer Effekte ist, muß eine Reduzierung der Ungleichverteilung erreicht werden, nicht nur eine Erhöhung der absoluten Realeinkommen. Die die Bevölkerungs-Armuts-Umwelt-Falle begründenden Begleiterscheinungen der Armut, dies sind neben geringem Einkommen und dadurch geringer Kaufkraft etwa die niedrigere Bildung, schlechte Gesundheit, mangelnde Information und fehlende Verfügungsrechte, müssen im Wachstumsverlaufvermindert werden. Da Defizite bezüglich dieser Faktoren nicht nur Folge, sondern auch Ursache mangelnder Einkommensentwicklung sind, würde eine Bekämpfung derselben einem dauerhaften und ausgeglicheneren wirtschaftlichen Wachstum zugute kommen. Welche Wirtschaftspolitik ist nun geeignet, Wachstum in Armutsbeseitigung umzusetzen? Auch hier greifen wir auf die Ergebnisse der schwedischen Studie zurück, da diese getrennt von den bereits dargestellten Determinanten des Wachstums die strukturellen Faktoren und wirtschaftspolitischen Maßnahmen aufführt, die armutsreduzierend wirken und die Lebensqualität verbessemden Charakter haben (Abb. 6.2):
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6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
• relativ gleichmäßige Verteilung der Produktionsmittel und des Vermögens • hoher Grad an Grundschulbildung und Investitionen in Humankapital • adäquate Infrastruktur, vor allem im ländlichen Raum • Faktorpreise, die relative Knappheiten widerspiegeln • keine systematische Verzerrung (Bias) zu Lasten ländlicher Gebiete bzw. der Landwirtschaft gegenüber urbanen Regionen bzw. anderen Wirtschaftszweigen • keine systematische Verzerrung zu Lasten kleiner Unternehmen gegenüber modernen Großbetrieben des weiterverarbeitenden Sektors • Förderung einer hohen Beschäftigungselastizität • geringe regionale Entwicklungsdisparitäten • hohe soziale und geographische Mobilität und minimale Arbeitsmarktverkrustung • Mindestmaß an sozialer Sicherheit für Arme durch staatliche Sozialpolitik und/ oder traditionelle/gemeinschaftliche Absicherung • Förderung des Unternehmertums unter den Armen, z.B. durch Reduzierung des Risikos • Anerkennung grundlegender Menschenrechte • geringer Grad an Korruption innerhalb der Bürokratie • Förderung nachhaltigen Wachstums
QueUe: Swedioh Miniatry (1992), S. 35-39; ei&ene ÜbeneiZung
Abb. 6.2: Armutsreduzierende Faktoren
Es fällt auf, daß einige dieser Faktoren bereits in Abb. 6.1 zu finden waren: die gleichmäßige Verteilung von Vermögen, Humankapital, Infrastruktur, knappheitsgemäße Preisbildung, hohe Mobilität, vor allem auf den Arbeitsmärkten, und geringe Korruption. Hier zeigt sich, daß Maßnahmen zur Beseitigung der Armut keineswegs wachstumsdämpfend sein müssen, also Transfer von produktiver in konsumtive Verwendung darstellen müssen. EinTrade-off zwischen wachstums- und verteilungsorientierter Politik kann also durchaus vermieden werden. In die Liste der sowohl wachstumsfördernden als auch armutsmindernden Politikmaßnahmen gehört zweifellos ein Faktor, der zwar in der ersten, nicht aber in der zweiten Abbildung enthalten ist: die Begrenzung des Bevölkerungswachstums. Erklärbar ist das Fehlen dieses Faktors unter den armutsrelevanten Faktoren an sich nur dadurch, daß die Autoren in ihm eher eine Folge der Armut als eine Voraussetzung für Armutsbeseitigung sehen. Der Zusammenhang zwischen Armut, Bevölkerungswachstum und Wirtschaftswachstum ist jedoch wechselseitig, so daß gezielte Bevölkerungspolitik durchaus dazu beiträgt, den Armutskreislauf zu durchbrechen und ein Hauptproblem
6.3. Analyse umweltrelevanter Auswirkungen nationaler Wirtschaftspolitik
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in Entwicklungsländern, den zunehmenden Druck auf den Arbeitsmarkt, langfristig einzudämmen. In dieser Interpretation ist Bevölkerungspolitik Element der Wirtschaftspolitik. Hinzu kommen neben diesen bereits als wachstumsfördernd erkannten Faktoren auch einige Aspekte, die zur Armutsbeseitigung wichtig erscheinen, auch wenn ihre Bedeutung für die Höhe des Wachstums nicht eindeutig ist. Hier kann es durchaus sein, daß kurzfristig Wachstumseinbußen hingenommen werden müssen, um eine armutsbezogene Strategie durchzuführen, die dauerhafte Entwicklung möglich macht. Da der Großteil der Armen in ländlichen Regionen beheimatet ist und die Situation der ländlichen Armen als schlechter angesehen wird als die der Armen in Städten65 , muß eine systematische Verzerrung mikro- und makroökonomischer Größen zu Lasten der ländlichen Region vermieden werden. Die oben aufgeführten Aspekte hängen hier eng zusammen. Der Auf- und Ausbau der Infrastruktur in ländlichen Gebieten ist auch Instrument zum Ausgleich der Verzerrung gegenüber diesen Gebieten und der Landwirtschaft, da er Transport-, Marketing- und Informationsprobleme überwinden hilft. Eine Förderung der Landwirtschaft und kleiner Unternehmen fördert zugleich Beschäftigung vor allem der Armen, da die Beschäftigungselastizität dort größer ist. Dies ermöglicht wiederum die Verbesserung des Humankapitals, vor allem durch bessere Ausbildung der Kinder, was wiederum deren Beschäftigungschancen entscheidend bestimmt. Die Verteilung der landwirtschaftlichen Produktionsmittel ist sowohl in Hinblick auf die Effizienz als auch aus Verteilungsgründen zentral, so daß bei extremen Konzentrationen in diesem Bereich eine Landreform unabdingbares Element einer wachstums- wie armutsorientierten Politik sein muß. Mangelhafte Wirtschaftspolitik kann sich aufgrund des engen Zusammenhangs zwischen den Faktoren mehrfach negativ niederschlagen. Eine Unterbewertung des Produktionsfaktors Kapital durch Nichtberücksichtigung oder Subventionierung von Kapitalkosten sowie die Überbewertung des Faktors Arbeit, etwa durch die Festsetzung von Mindestlöhnen, führen zu einer geringeren Beschäftigung, als es aufgrundder wahren Knappheitsrelationen der Fall wäre. 66 Einseitige Importsubstitution ist in der Regel mit der Begrenzung von Agrarpreisen zur Subventionierung der städtischen Bevölkerung und der industriellen Arbeitskräfte verbunden und verschlechtert relativ und absolut die
65 Vgl. Weilbank (1990), S. 35fund Fritsch (1993), S. 251, 258-262. 66 Vgl. World Bank (1993), S. 265-272. In Indien führten gravierende Verzerrungen der Löhne zu einer enormen Diskrepanz zwiBChen formellem und informellem Sektor und zu einer niedrigeren formalen BeBChäftigung, zu kapitalintensiverer Produktion und geringerem Einkommen. Vgl. hierzu Swedish Ministry (1992), S. 67.
12 Stenge!
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6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
Einkommensverhältnisse auf dem Land. 67 Eine Überbewertung der heimischen Währung verschlechtert die Exportchancen und trifft so eher die Landwirtschaft und die arbeitsintensive, auf ungelernte Kräfte und deshalb gerade auf arme Bevölkerungsschichten abstellende Exportindustrie, während die geringeren Preise für Importe eher reicheren, städtischen Bevölkerungsschichten und kapitalintensiver Industrie zugute kommen. 68 Hier wirkt die Verzerrung von Preisen also nicht nur negativ auf das Wirtschaftswachstum, sondern trifft besonders die ärmsten Teile der Bevölkerung. Zuweilen wurde den Industrialisierungsstrategien im allgemeinen und den exportorientierten Strategien im besonderen vorgeworfen, sie gingen mit einer systematischen Verzerrung zu Lasten der Landwirtschaft und damit der ländlichen Region einher bzw. würden durch ihre hohe Kapitalintensität Beschäftigung hemmen. 69 Dies würde einen Konflikt zwischen den Zielen Wachstum und Armutsbeseitigung implizieren. Vor einer solchen Interpretation muß allerdings gewarnt werden. Daß wirtschaftliche Entwicklung mit Strukturwandel einhergeht und diesen benötigt, haben wir bereits betont. Dazu gehört, daß der Anteil des primären Sektors am Volkseinkommen und an den Beschäftigten sinkt und zunächst der sekundäre, später der tertiäre Sektor an Bedeutung gewinnen. Dieser Rückgang des Anteils der Primärproduktion ist nicht per se negativ zu bewerten, wie es Bello und Rosenfeld in ihrer Analyse Taiwans und Koreas pauschal tun, solange dieser Rückgang auf die höhere Produktivität anderer Sektoren zurückzuführen ist und nicht auf eine Verzerrung der Preisund Kostenstruktur zu Lasten der Landwirtschaft oder der Arbeitskräfte. Die oben empfohlenen Strategien bedeuten keinesfalls, daß eine Manipulation der Preise zugunsten ländlicher Gebiete, der Landwirtschaft oder arbeitsintensiver Produktion erfolgen sollte. Empirische Untersuchungen zeigen, daß die Produktivität und damit das Wachstum des landwirtschaftlichen Sektors selbst positiv mit dem Wachstum des Sozialprodukts im allgemeinen und dem des industriellen Sektors im besonderen korreliert ist. 70 Eine Verzerrung der Preise zu Lasten des sektoralen Sturkturwandels würde also kontraproduktiv wirken, da sie produktiveren Ressourceneinsatz verhindert und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz und Produktivität im dann geschützten Sektor unterbindet. Wir müssen also stets unterscheiden, ob die Art der wirtschaftlichen Entwicklung echten Knappheitsrelationen entspricht. Eine exportorientierte Entwicklungsstrategie sollte also auf Wettbewerbsvorteilen beruhen. Zwar können
67 Vgl. Swedisb Ministry (1992), S. 37. 68 Vgl. Weltbank (1990), S. 134, Swedisb Ministry (1992), S. 75 und Mellor (1986), S. 74.
69 So Bello/Rosenfeld(1990).
70 Vgl. Jungfer (1987), S. 117.
6.3 . Analyse umweltrelevanter Auswirkungen nationaler Wirtschaftspolitik
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diese, wie gezeigt, durch Eingreifen des Staates beeinflußt werden, jedoch darf dieser Eingriff nur als Starthilfe bzw. zur Nutzung der bereits bestehenden Kostenvorteile dienen. Eine Strategie, die dauerhaft auf der Manipulation der Preise beruht, ist nicht überlebenstähig, da sie den Strukturwandel in Richtung der tatsächlichen Wettbewerbsvorteile verhindert. Ist ein Land mit einem hohen Arbeitskräftepotential ausgestattet, so wird bei einer marktkonformen, exportorientierten Strategie eine arbeitsintensive Produktion erfolgen, so daß keineswegs eine Reduktion der Beschäftigung durch kapitalintensive Produktion resultieren muß. Geht eine exportorientierte Strategie trotz hoher Arbeitslosigkeit mit einem hohen Grad an Kapitalintensität einher, so spricht dies weniger für die mangelnde Eignung exportorientierter Strategien an sich, sondern vielmehr für das Bestehen anderweitiger Preisverzerrungen in der Wirtschaft. Allerdings kann auf diesem Wege eine an und fiir sich erfolgversprechende Strategie im Endeffekt zu negativen Ergebnissen fiihren. Bei jeder marktorientierten Strategie ist also zu prüfen, ob die Preise, die dem Marktmechanismus zugrunde gelegt werden, echte Marktpreise sind oder Verzerrungen beinhalten. Ist letzteres der Fall, so hat es wenig Sinn, die vorgeschlagene Strategie zu ändern, etwa von Exportorientierung zu Importsubstitution oder von marktwirtschaftlicher Steuerung zur staatlichen Planung überzugehen. Solange die Verzerrungen nicht behoben sind, werden sie sich negativ auswirken, und es gibt keinen Grund anzunehmen, daß dies bei den hier genannten Alternativstrategien in geringerem Maße der Fall ist.
6. 3.1. 3. Grundslitzliche Strategiekompatibilität bei potentiellem kurifristigen Konflikt Zusammenfassend können wir sagen, daß eine grundlegende Kompatibilität zwischen bestimmten Faktoren, die sich als besonders wachstumsfördernd und solchen, die sich als armutsreduzierend herausgestellt haben, besteht. Voraussetzung fiir die Nutzung dieser Kompatibilität ist aber die knappheitsgerechte Preisbildung, da sonst die Gefahr droht, daß das Wachstum die vorhandenen Ungleichgewichte eher noch verstärkt. Ein Dilemma läßt sich allerdings nicht vollständig ausräumen. Zwar scheint eine relativ hohe Korrelation zwischen dem Vorhandensein der in den Abbildungen 6.1 und 6.2 genannten Faktoren zu bestehen. Allerdings bedeutet dies nicht, daß Instrumente zur Erreichung dieser Faktoren unbedingt miteinander harmonieren müssen. Das wohl aktuellste und in seiner Auswirkung dramatischste Beispiel ist die Wirkung makroökonomischer struktureller Anpassungsmaßnahmen (structural adjustment) auf die Armut. 12*
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6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
Ein solider Haushalt, geringe Inflation und eine ausgeglichene Zahlungsbilanz sind notwendig, um Unsicherheiten zu eliminieren, eine Schuldenkrise zu beseitigen bzw. zu verhindem und die negative Wachstumswirkung einer ausufernden Staatstätigkeit zu verhindern. In den meisten Entwicklungsländern sind die vor allem vom Internationalen Währungsfonds mit mehr oder weniger großem Nachdruck empfohlenen Anpassungsmaßnahmen mit einer dramatischen Reduzierung des Budgets und der Korrektur makroökonomischer Daten verbunden. Dies kann zum einen mit einem Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, insbesondere durch die Begrenzung öffentlicher Investitionen einhergehen, zum anderen sind in vielen Fällen soziale Budgetbestandteile als erstes von Kürzungen betroffen. Beide Anpassungsfolgen führen zu einer Zunahme der Armutsproblematik. 71 Darüber hinaus bedeutet eine Reduzierung des Staatssektors auch die Entlassung überflüssiger Staatsbediensteter oder die Sanierung von Staatsuntemehmen, wobei Privatisierung oft mit einer Personalreduktion einhergeht. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist zwar die Streichung von Subventionen eine richtige Maßnahme, jedoch ist ein Teil der Bevölkerung nicht in der Lage, diese Kürzungen anderweitig, etwa durch Ersparnisse oder Zugang zu Krediten, zu kompensieren. Untere Einkommensschichten sind zudem von Freisetzungen am Arbeitsmarkt durch Nachfrageausfälle zuerst betroffen. Da die positiven Effekte der strukturellen Anpassung auf die Armen erst mit einer Zeitverzögerung eintreten, kann sich kurzfristig die Einkommensposition der Ärmsten verschlechtern. Dieses Dilemma könnte dadurch verhindert oder abgemildert werden, daß bei der Auswahl der zu kürzenden Budgetpositionen und makroökonomischen Korrekturen die Folgewirkungen derselben beachtet werden. Komponenten, die sowohl für das Wachstum als auch für Armutsbeseitigung wichtig sind, sollten erhalten bleiben, damit die Entwicklung des Humankapitals und der Infrastruktur sowie die grundlegende Versorgung nicht gefährdet werden. Gerade in Entwicklungsländern scheint das Potential für armutsneutrale oder sogar -begrenzende Budgetkürzungen durchaus vorhanden zu sein, etwa beim Militär oder in der Verwaltung sowie bei Staatsausgaben, die nicht nur die Armen, sondern auch die Bezieher mittlerer und höherer Einkommen effektiv subventionieren. Studien zeigen, daß Staatsausgaben sowie niedrige Realzinsen in erster Linie die Bezieher mittlerer und höherer Einkommen begünstigen. 72 Allerdings muß festgestellt werden, daß, wie in allen Anpassungssituationen, vorübergebende Härten nicht völlig vermieden werden können. Eine Streckung oder Hinauszögerung der Anpassung kann keine Lö-
11 Zur Wirkung von Strukturanpassungsmaßnahmen auf die Annen siehe Weltbank (1990), S. 125-146, ESCAP (1991), S. 98 und ausführlich am Beispiel der Philippinen Cruz/Repetto (1992). 12 Vgl.
Weltbank (1990), S. 134.
6.3. Analyse umweltrelevanter Auswirkungen nationaler Wirtschaftspolitik
181
sung sein, da die wachstumshemmenden Ursachen weiter bestehenbleiben. Allerdings kann versucht werden, die Anpassungen a) möglichst zügig durchzuführen, damit die positiven Effekte schnell zum Tragen kommen und b) gegebenenfalls bei den untersten Einkommensschichten durch vor allem produktivitätsorientierte Programme die negativen Folgen der Maßnahmen abzufedern. In der Übergangszeit ist es aber durchaus möglich, daß die umweltrelevanten Begleiterscheinungen der Armut, die wir in den vorherigen Kapiteln dargestellt haben, verstärkt werden. 6.3.2. Umweltwirkung wirtschaftspolitischer Maßnahmen
6.3.2.1. Rahmen und Ausgangspunkt der Untersuchung In den vorherigen Abschnitten konnten wir eher indirekte Argumente zugunsten bestimmter Ausprägungen wachstumsorientierter Wirtschaftspolitik aus Sicht der ökologischen Nachhaltigkeil finden. Wirtschaftswachstum allgemein wirkt zum einen dadurch positiv, daß größere Budgetspielräume zumindest das Potential zur Finanzierung umweltpolitischer Maßnahmen bieten. Zum anderen ist hohes dauerhaftes Wirtschaftswachstum Indikator einer effizienteren Allokation der Ressourcen, was tendenziell die Umweltintensität reduziert. Zudem kann ein durch sorgsam ausgewählte wirtschaftspolitische Maßnahmen ausgelöstes Wirtschaftswachstum auch zur Verminderung der Armut und dadurch zur Auflösung der Armuts-Bevölkerungs-Umwelt-Falle beitragen, in erster Linie durch den positiven Beschäftigungseffekt, der Menschen aus marginalen, allein aufs blanke Überleben ausgerichteten, umweltschädlichen Tätigkeiten hebt. Im folgenden soll nun die Wirkung der Wirtschaftspolitik auf die Nutzung der Umwelt gezielt betrachtet werden, um zu prüfen, ob wirtschaftspolitische Maßnahmen, die indirekt positiv auf unsere Umweltrestriktion wirken, über direkte Umweltbelastung zu negativen Nettowirkungen führen und sich unsere wirtschaftspolitischen Empfehlungen durch den gezielten Blick auf U mweltfaktoren ändern. Wir wenden uns also dem Bereich zu, den wir in Kapitel 3 bereits als "Staatsversagen" angesprochen haben. Grundsätzlich beinhaltet dies "the failure to intervene when necessary and beneficial, and the failure to refrain when intervention is unnecessary and detrimental. "73 Wir können darauf aufbauend vier Situationen von Versagen unterscheiden und die Rolle der Wirtschaftspolitik darin beschreiben:
73 Asian Development Bank (1991), S. 242.
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6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
1. Der Staat unterläßt die Korrektur umweltrelevanter, durch Marktunvollkommenheiten verursachter externer Effekte. Die Wirtschaftspolitik selbst ist umwelt"neutral".
2. Der Staat verzerrt durch seine Wirtschaftspolitik funktionierende Märkte und verursacht damit umweltrelevante externe Effekte.
3. Der Staat unterläßt die Korrektur bestehender umweltrelevanter externer Effekte und erzeugt zugleich durch wirtschaftspolitische Intervention zusätzliche externe Effekte. 4. Der Staat setzt zur Internalisierung externer Effekte falsche Instrumente ein.
Situation 1 stellt den Fall fehlender Umweltpolitik dar. Die Ursachen der Entstehung von Externalitäten gerade in Entwicklungsländern wurden bereits in Kapitel 3 und 4 angedeutet. Hierzu zählen die fehlende Finanzgrundlage zur Bereitstellung öffentlicher Güter, zur Vorfinanzierung korrigierender Maßnahmen und zum Ausgleich von Marktunvollkommenheiten, die quantitativ, vor allem aber qualitativ unzureichende Personalausstattung, die ungenügende Datengrundlage, mangelnde Technologie und geringere Priorisierung der Umwelt. Allein aufgrund des Auftretens nichtinternalisierter Marktunvollkommenheiten kann also die beste Wirtschaftspolitik zu einer nichtnachhaltigen Entwicklung führen. Da die Umweltwirkung des ökonomischen Rahmens, also der spezifischen Wahl einer Wirtschaftsordnung, einer Wirtschaftsstrategie und wirtschaftspolitischer Instrumente, eigentlicher Gegenstand dieses Kapitels ist, gilt unser besonderes Interesse den Punkten zwei und drei, also den Bereichen, in denen Wirtschaftspolitik zusätzlich negativ wirkt. Diese Aspekte hängen eng miteinander zusammen und sind in der Realität nicht immer sauber voneinander zu trennen. So geht die unter 2. genannte Situation bei Nichtinternalisierung der externen Effekte und Fortsetzung der wirtschaftspolitischen Strategie in die Situation 3, bei Nichtinternalisierung, aber Einstellen der schädlichen Wirtschaftspolitik, in die Situation 1 über. Das Staatsversagen einer Regierung zum Zeitpunkt t wird so zur Marktunvollkommenheit für die Regierung zum Zeitpunkt t + 1. Hier zeigt sich, daß die Bewertung einer Verzerrung als Markt- bzw. Staatsversagen z. T. Interpretationssache ist oder es darauf ankommt, welchen Zeitbezug die Betrachtung hat. Es ist leicht zu erkennen, daß sich das Ausmaß externer Effekte erheblich erhöht, wenn die schädliche Politik fortgeführt wird, da kumulative Wirkungen eintreten. Punkt 4 adressiert den Bereich unzulänglicher Umweltpolitik, also eine Situation, in der die Intention zur Korrektur von externen Effekten - ob aufgrund "reiner Marktmängel" oder vorangegangenen Staatsversagens - besteht, die eingesetzten Instrumente das Ziel aber nicht erreichen. Hier ergeben sich,
6.3. Analyse umweltrelevanter Auswirlrungen nationaler Wirtschaftspolitik
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in Abhängigkeit vom Zielerreichungsgrad, unterschiedliche Situationen. In der Regel ist davon auszugehen, daß eine vollständige Internalisierung externer Effekte schwierig oder gar unmöglich ist, etwa infolge von Transaktionskosten oder der Opportunitätskosten umweltpolitischer Eingriffe. Hier könnte man von suboptimaler Umweltpolitik sprechen, die aber gegenüber einem Nichteingriff dennoch vorzuziehen ist, da die externen Effekte zumindest reduziert werden. Ist die eingesetzte Umweltpolitik überhaupt nicht geeignet, externe Effekte zu reduzieren, so ist diese bestenfalls gleichrangig mit mangelnder Umweltpolitik (also Situation 1), aufgrundder Opportunitätskosten der Umweltpolitik in der Regel aber inferior. Es kann aber auch sein, daß Umweltpolitik nicht nur das Ziel verfehlt, die Externalität zu reduzieren, sondern diese sogar noch verstärkt. Dies ist dann denkbar, wenn die für die Umweltpolitik eingesetzten, aber wirkungslosen Mittel in alternativer Verwendung eine Entlastung für die Umwelt erbracht hätten oder die eingesetzten Instrumente nicht nur wirkungslos, sondern kontraproduktiv sind. Dieser letztgenannte Fall entspricht in seiner Wirkung der Situation 3 und unterscheidet sich nur darin, daß dort die Internalisierung gar nicht vorgesehen war. Der Unterschied zwischen Umweltpolitik und Wirtschaftspolitik liegt also in der Regel nicht in der Art der Instrumente, sondern in der Intention des Instrumenteneinsatzes. Eine Steuer kann aus umweltpolitischen wie aus wirtschaftspolitischen Gründen eingeführt werden, die Wirkung derselben auf die Umwelt ist davon unbelassen. So kann eine fehlgeleitete Steuer auf falsche Wirtschafts- wie auf falsche Umweltpolitik zurückgeführt werden, je nachdem, worauf die Einführung dieser Steuer gezielt war. Analog kann ein erfolgreiches wirtschaftspolitisches Instrument auch gute Umweltpolitik sein und ein gutes umweltpolitisches Instrument wirtschaftspolitische Vorzüge haben. Infolgedessen werden wir im folgenden auch die Wirkung von Umweltpolitik betrachten, da a) von einer mangelhaften Umweltpolitik auf die fehlende Eignung der dabei eingesetzten Instrumente zur Erreichung anderer wirtschaftspolitischer Ziele geschlossen werden kann und b) Umweltpolitik aufgrundihres Charakters als Eingriff in die Allokation von Ressourcen selbst als Teil der Wirtschaftspolitik aufgefaßt werden kann. Die für Wirtschaftspolitik Verantwortlichen verfügen über zahlreiche Instrumente, um das Verhalten der Wirtschaftssubjekte und damit die Allokation der Ressourcen und das Ergebnis des Wirtschaftsprozesses zu beeinflussen. Im Rahmen der materiellen und immateriellen Mittel sind dies steuerpolitische Instrumente, Abgaben- und Gebührenpolitik, die Regelung des Zugangs zu wirtschaftlicher Tätigkeit (Genehmigungen, Gewerheerlaubnis, Eigentumsrechte), Zölle und nicht-tarifäre Handelspolitik, direkte und indirekte Subventionen, Kreditpolitik, die Steuerung des Zinses und des Wechselkurses, die Gestaltung der Staatsausgaben (staatliche Nachfragepolitik, Infrastrukturpolitik, Bildungs-
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6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
politik) und gesetzliche Auflagen, etwa bezüglich Arbeitsschutz, technischer Standards und Umweltschutz. Diese Instrumente verändern a) die relativen Preise der Produktionsinputs, b) die Kosten des Produktionsprozesses selbst, c) die relativen Outputpreise und damit die Allokation innerhalb der Volkswirtschaft. Sie beeinflussen aber nicht nur die Effizienz innerhalb der einzelnen mikroökonomischen Einheiten, wenn Ressourcen nicht in die beste Verwendung gelenkt werden, sondern auch die Struktur der Wirtschaft, das heißt die Zusammensetzung der Güter und Dienstleistungen. Zwei Blickrichtungen sind also zunächst für uns relevant, wenn wir wirtschaftspolitische Maßnahmen zu identifizieren suchen, die nichtnachhaltiger Entwicklung entsprechen: 1. Inwieweit fördert der staatliche Eingriff ineffiziente Nutzung von Ressourcen? 2. Inwieweit führt die eingesetzte Politik zu einer umweltschädlicheren Wirtschaftsstruktur als ohne entsprechenden Staatseingriff? Zur Beantwortung dieser Fragen wollen wir zunächst die Rolle der Umweltpolitik selbst kurz betrachten (6.3.2.2). Mit den hier gefolgerten Ergebnissen können wir zur zweiten Frage überleiten, den möglichen Umweltwirkungen einer konkreten Wirtschaftsstruktur und damit implizit den Folgen staatlicher Eingriffe in dieselbe. Eine bestimmte Wirtschaftsstruktur ist - auch aus ökologischer Sicht- optimal, wenn alle Knappheitsrelationen adäquat berücksichtigt werden. Im folgenden werden verschiedene Determinanten der Wirtschaftsstruktur und ihre Ausprägungen dahin gehend untersucht, ob sie implizit oder explizit die Umwelt mehr oder weniger gefährden. Die zu betrachtenden Determinanten, deren Auswahl auch davon beeinflußt wurde, wie häufig sie in der Literatur als "ursächlich" für Umweltprobleme genannt werden, sind • Einkommensverwendung (6.3.2.3) • arbeits- vs. kapitalintensive Produktion (6.3.2.4) • Höhe des Staatsanteils (6.3.2.5) • Unternehmensgröße (6.3.2.6) • Unternehmenskonzentration (6.3.2.7) • regionale Verteilung (Stadt-Land-Bias) (6.3.2.8) • Grad der weltwirtschaftliehen Verflechtung (6.3.2.9). Können diesbezüglich Unterschiede identifiziert werden, so werden auch die angesprochenen Instrumente der Wirtschaftspolitik relevant, da diese gerade die Ausgestaltung der Wirtschaftsstruktur beeinflussen. Bei dieser Untersuchung ist streng darauf zu achten, daß die Umweltwirkung einer bestimmten Ausprägung
6.3. Analyse umweltrelevanter Auswirkungen nationaler Wirtschaftspolitik
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nicht in Isolation, sondern im Vergleich zur bestehenden Alternativausprägung bei Berücksichtigung des Wohlfahrtsbeitrages und seiner Rückwirkungen zu betrachten ist, um nicht zu übersehen, wenn ein dritter Faktor eigentliche Ursache der Externalität ist. In Abhängigkeit von den konkreten Umständen, wie Ausstattung mit natürlichen Ressourcen, Assimilationskapazität, Effizienz der Produktion und Verwendung, können unterschiedliche absolute Umweltnutzungsniveaus optimal sein, ohne Umweltprobleme zu implizieren. Von einer höheren Umweltkapitalnutzungbei einer bestimmten Ausprägung der Wirtschaftsstruktur kann noch nicht eindeutig auf eine negative Umweltwirkung geschlossen werden. 74 Allerdings läuft eine Wirtschaftsstruktur, die den Faktor Umwelt in geringerem Maße nutzt, wegen der nicht völlig zu vermeidenden Ineffizienzen geringere Gefahr, die Umwelt nachhaltig zu gefährden als eine Wirtschaftsstruktur, die von der Umwelt im absoluten Sinne reichlich Gebrauch macht. Eine gewisse Indikatorfunktion der absoluten Intensität der Umweltnutzung fiir die potentielle Nachhaltigkeil kann also nicht bestritten werden. 6.3.2.2. Förderung ineffizienter Ressourcennutzung im Rahmen staatlichen Eingreifens: Die Rolle der Umwelt- und Ressourcenpolitik Ineffiziente Ressourcennutzung ist auf die mangelnde Berücksichtigung echter Knappheit der Umwelt in den Preisen, die den wirtschaftlichen Entscheidungen zugrunde liegen, zurückzufiihren. Eine derartige Unterbewertung hängt gerade in Entwicklungsländern häufig mit staatlichem Handeln - durch aktives Eingreifen oder durch Unterlassen- zusammen. Wann immer der Staat in den Wirtschaftsprozeß eingreift, wird die Frage relevant, ob er dabei den Faktor Umwelt adäquat berücksichtigt. Dies trifft auf die Bestimmung staatlicher Ziele und die Gestaltung des Haushalts, die Auswahl, Planung und Durchfiihrung öffentlicher Infrastrukturprojekte und staatlicher Unternehmertätigkeit und die Bereitstellung öffentlicher Güter bzw. Versorgungsleistungen ebenso zu wie auf die institutionelle Ausgestaltung wirtschaftspolitischer Entscheidungsträger.
74 Ein hoher Einsatz an Energie, Pestiziden, Dünger, Wasser, Holz und anderen Ressourcen bzw. eine bestimmte Höhe an Emissionen sind per se noch kein Indikator für eine Mißachtung der Umweltrestriktion. Dieselbe Menge Dünger/Pestizid pro ha kann in einer Region zur höheren nachhaltigen Produktivität der Landwirtschaft beitragen, in einem anderen Gebiet jedoch irreversible Schäden verursachen. Norwegen weist zwar mit 25 .000 Kilowattstunden im Jahr den höchsten Pro-Kopf-Verbrauch an Energie auf, dies ist aberangesichtsder Energiegewinnung aus der dort umweltfreundlichen Wasserkraft, die keine Kohlendioxydemissionen erzeugt und eine emeuerbare Ressource darstellt, mit geringer Umweltbelastung verbunden und unmittelbar Ergebnis einer durch intensiven Wettbewerb erzwungenen EffiZienz und Billigkeit der Produktion. Vgl. o.V. (1993q).
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6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
Das Ausmaß staatlicher Berücksichtigung der Umwelt spiegelt sich ansatzweise wider in - der finanziellen und personellen Ausstattung der Umweltbehörden, - ihrer Stellung innerhalb der politischen Entscheidungsstruktur und - der Durchdringung aller Entscheidungen mit umweltpolitischen Überlegungen, etwa durch verpflichtende Umweltverträglichkeitsprüfungen (Umweltpolitik als Querschnittsaufgabe). Es ist also nicht so sehr entscheidend, ob eine Umweltbehörde überhaupt existiert, dies ist mittlerweile wohl in allen Staaten der Fall. Ausschlaggebend ist, ob diese Behörde, dem Umfang der akuten und potentiellen Probleme entsprechend, angemessen organisiert und ausgestattet ist und vor allem, ob sie gegenüber anderen Ressorts über echte Entscheidungskompetenzen verfügt. In Entwicklungsländern fehlt es typischerweise an Geld und vor allem ausgebildeten Fachkräften, um Umweltprobleme überhaupt zu identifizieren, Lösungen vorzuschlagen oder die Einhaltung eingesetzter Maßnahmen wirksam zu kontrollieren. In einer Studie zum Umweltmanagement in Entwicklungsländern stellt die Asiatische Entwicklungsbank (ADB) fest: " ... no monitoring, no compliance ... their monitorlog efforts so far have involved mainly the collection of lots of data (including both relevant and irrelevant data), Iack of quality control in data collection, Iack of interpretation needed if the data are to contribute to continuing country development, and Iack of economic justification. As a result, the economic decision makers have come to think of environmental monitaring as a waste of money"75 •
Überdies ist die Stellung der Umwelt gegenüber anderen Zielen und den dafür zuständigen Ressorts fast überall inferior, auch in Ländern mit recht guter Ausstattung der Umweltbehörden. Schnelle wirtschaftliche Entwicklung, politische Stabilisierung, gesellschaftliche Harmonie und Verteidigung genießen Priorität. Zwar wird die Bedeutung des Umweltschutzes zumindest rhetorisch mittlerweile anerkannt, so daß man ihn nicht mehr nur als Luxus sieht, den sich ein Entwicklungsland nicht leisten kann, in der Praxis bat sich aber an der untergeordneten Stellung der Umwelt wenig geändert.
In der Regel fehlt den Umweltbehörden die Kompetenz, in die Ressourcennutzung effektiv einzugreifen. Die Zuständigkeit für natürliche Ressourcen wie Land, Wasser, Wald, Luft liegt nämlich meist bei Ämtern für Raumplanung, öffentlichen Versorgungsunternehmen, Forst- und Agararbehörden, den Ministerien für Tourismus oder, etwa im Falle der Luftverschmutzung, den Industrieministerien. Der Spielraum der Umweltbehörden geht oftmals nicht über
15 Asian Development Bank (1990), S. 87.
6.3. Analyse umweltrelevanter Auswirkungen nationaler Wirtschaftspolitik
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empfehlende Maßnahmen hinaus, die Kommunikation zwischen den Behörden ist mangelhaft, eine Abstimmung der einzelnen Politikbereiche erfolgt allenfalls unzureichend. Hier schließt der dritte Indikator staatlicher Berücksichtigung von Umweltaspekten an, der Grad der Durchdringung staatlicher Instanzen mit umweltpolitischen Fragen. Die fehlende Entscheidungskompetenz der Umweltbehörden wäre nämlich irrelevant, wenn alle Behörden die Kosten der Umwelt in sämtlichen Entscheidungen adäquat berücksichtigten. Dies ist allerdings nicht der Fall: Die Leistung der einzelnen Ressorts wird in der Regel daran gemessen, wie gut sie sektorale Ziele erreichen, nicht an der Nachhaltigkeil der Nutzung der eingesetzten Mittel. Ziel des Landwirtschaftsministers ist die Einkommenssicherung für Bauern, Ziel des Wirtschaftsministers die Wachstumsrate des Sozialprodukts, und der für Fremdenverkehr zuständige Minister wird an der Zahl der angelockten Touristen oder der Bettenkapazität gemessen, nicht an den durch Hotel- und andere Freizeitanlagen angerichteten Umweltschäden. Die mangelnde integrative Politikplanung ist Folge traditioneller Rechnungslegung und Ursache ökonomischer wie ökologischer Fehlmaßnahmen. Die fehlende umweltpolitische Durchdringung aller wirtschaftlich relevanten Politikbereiche ist auch darauf zurückzuführen, daß die traditionellen ökonomischen Indikatoren, die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung und die allgemeine Statistik, die Kosten der Umwelt unterschätzen, vernachlässigen oder sogar als positiven Beitrag zum Sozialprodukt zählen. Bei fehlender Bestandsaufnahme des nationalen Umweltkapitals wird dessen Degenerierung nicht erfaßt, obwohl sie analog zu den Abschreibungen aufSachkapital Wertverzehr darstellt. Werden staatliche lostanzen an ihrer Leistung gemäß dieser wfalschenw Indikatoren gemessen, so muß es nicht verwundern, daß auf den schonenden Einsatz von Umweltkapital keine Rücksicht genommen wird. Ansätze für eine Berücksichtigung von Umweltaspekten in den volkswirtschaftlichen Daten sind zwar vorbanden, sie beschränken sich aber auf wenige Industrieländer und sind von einer WDurchdringungw weit entfernt.76 Ein Instrument, die Berücksichtigung von Umweltaspekten in allen staatlichen Sphären zu erreichen, ist die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) oder Environmental Impact Assessment (EIA). In Industrieländern und zunehmend in Schwellen- und Entwicklungsländern bestehen formale Vorschriften, die die Einbeziehung zu erwartender Umweltschäden erzwingen. So löblich und hilfreich diese Ansätze auch sind, dürfen sie - vor allem in Entwicklungsländern nicht automatisch als Zeichen erfolgreicher Integration von Umweltpolitik in andere Politikbereiche gelten. Die rechtliche Verpflichtung zur UVP bedeutet
76Vgl. Eben/Klaus1Reichert(l991).
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6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
in Entwicklungsländern noch nicht, daß diese tatsächlich durchgeführt wird. Hat die Nichtdurchführung keine oder nur geringe Konsequenz, etwa aufgrund fehlender Sanktionen, so ist eine Umgehung derzeit- und kostenaufwendigen Studie an der Tagesordnung. UVPs sind in der Regel nur für ganz bestimmte Projekte (etwa ab einer bestimmten Größe) oder bestimmte Industriezweige erforderlich, so daß sich die gesetzlichen Vorschriften relativ leicht umgehen lassen, etwa durch die Teilung der Parzellen, um aus der UVP-Pflicht zu fallen. Auch die Qualität der Studie und damit ihr praktischer Nutzen und ihre Stellung innerhalb der Projektplanung variiert erheblich. In den meisten Entwicklungsländern müssen UVPs nicht von qualifizierten Experten durchgeführt werden. Oberflächliche Analysen und bloße Anhängsel an die Projektplanung statt integrierter Planung, die die Umwelt von Anfang an berücksichtigt, verhindern, daß umweltpolitische Aspekte überhaupt Einfluß auf die Durchführung oder Ausgestaltung des Projekts haben. Der Nutzen der UVP ist dann gering, und sie verursacht zusätzliche Kosten und Zeitverzögerung. Umweltstudien werden von den erschließenden Unternehmen beauftragt und bezahlt, so daß das Ergebnis in der Regel in deren Sinne ausfällt, also keine unabhängige Untersuchung der echten Umweltkosten darstellt. Den überprüfenden Behörden fehlen die Mittel und die Kompetenz, die eingereichten Umweltverträglichkeitsanalysen sorgsam zu prüfen. Die Wirksamkeit von UVPs wird darüber hinaus dann limitiert, wenn sie auf Projekte privater Investoren abzielen, staatliches Eingreifen selbst aber keiner Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegt. 77 Nach der Betrachtung der Aspekte, die den Grad der "Durchdringung" der Politik mit Umweltfragen betreffen, können wir die Konsequenzen der Vernachlässigung der ökonomischen und ökologischen Interdependenzen ableiten: Umweltkosten, für die niemand verantwortlich ist und die niemand kennt, werden der Gesellschaft auferlegt und ihr Nutzen in Form von Renten von einzelnen abgeschöpft. Derartige Konstellationen sind in allen Politikbereichen und bei Verwendung aller denkbaren staatlichen Instrumente zu beobachten, so daß wir uns darauf beschränken, einige wenige Beispiele anzuführen: Zur Förderung der Landwirtschaft und aus sozialen Gründen werden Produktionsinputs subventioniert, also unter ihrem Marktpreis angeboten, etwa durch direkte Subventionen, erleichterten Zugang zu Krediten oder steuerliche Entlastungen. 78 Die resultierende Übernutzung dieser Ressourcen ist dann problematisch, wenn der Produktionsinput selbst eine knappe Ressource ist, etwa
71 Zur UVP in Entwicklungsländern vgl. Wemer (1990), ESCAP (1992), S. 259ft", Leong (1991), Adams (1990), S. 145-160, Tuntawiroon (1982), S. 372-375, Asian Development Bank (1990), S. 62ft", 84ft" und Allen (1992). 78 Vgl. Lutz /Young (1992), S. 244-247, Barbier (1989b), Fox (1991), S. 74-79 und Asian Development Bank (1991), S. 254-259.
6.3 . Analyse umweltrelevanter Auswirkungen nationaler Wirtschaftspolitik
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Wasser oder Land, oder potentiell umweltschädliche Wirkung bei Übernutzung hat, wie Dünger, mechanische Geräte, Pestizide oder Wasser. Die entstehenden Schäden sind in der Entscheidung zur Bereitstellung der Subventionen nicht oder ungenügend berücksichtigt, etwa weil die zuständigen Behörden bezüglich der ökologischen Folgewirkungen nicht kompetent sind oder ihre Interessen allein auf Einkommenserhaltung einer bestimmten Klientel abzielen. Die Nutzung von Wasser in Entwicklungsländern ist ein typisches Beispiel. Bewässerungssysteme werden stark subventioniert, was nicht nur mit einer enormen finanziellen Belastung des begrenzten Staatshaushalts, sondern auch mit einer ineffizienten Nutzung des Wassers in Form von ungleichmäßiger Verteilung- Bauern nahe der Einleitungsstelle ziehen größere Mengen ab, die weiter entfernten Feldern fehlen- und Übernutzung verbunden ist. Dies hat zu schwerwiegenden Problemen wie "waterlogging" und Versatzung und infolgedessen zu Produktivitätseinbußen, aber auch zu Gesundheitsproblemen durch die Förderung von Malaria und Bilharziose und die Störung des weiteren Wasserlaufes geführt. 79 Ein wichtiger Aufgabenbereich des Staates ist die Bereitstellung von Infrastruktur und Versorgungseinrichtungen wie Elektrizität, Müllentsorgung und Wasser. Werden die möglichen Folgewirkungen von Straßenbau, Dammbau, Erdbewegung, Luft- und Wasserversch.mutzung nicht in der Planung berücksichtigt und werden die Kosten nicht vollständig auf die Nutzer gelegt, so führt dies einerseits zu überdimensionierten oder an falschen Standorten plazierten Einrichtungen und andererseits zu einer überhöhten Nachfrage nach diesen Leistungen. Die Beachtung von Umweltaspekten dient bei lnfrastrukturprojekten, die wir als notwendig für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung eines Landes identifiziert haben, weniger dazu, Projekte zu verhindem - wobei auch dies im Einzelfall nicht ausgeschlossen ist -, sondern vor allem dazu, diese umweltverträglich auszugestalten. Durch begleitende Schutzmaßnahmen, den Einsatz geeigneter Technologie und die Kompensation negativer Wirkungen können Umweltschäden vermieden werden. Deshalb ist es auch kein Widerspruch, daß Infrastrukturprojekte wie Wasserkraftwerke und Dämme in Teilen der Literatur als "umweltfreundlich" 80 dargestellt werden, während sie in Entwicklungsländern von Umweltschützern heftig bekämpft werden bzw. als Quelle erheblicher Extemalitäten gelten. Es kommt also auf die konkrete Ausgestaltung und die danach stattfmdende Betreuung der Anlage an. 81
79 Vgl. Barghouti/LeMoigne (1991), Repelto (1989), S. 73-80, Winpenny (1991), S. 25-30, 115119, Shiva (1989), S. 125-142, ESCAP (1992), S. 2Sffund Mckum (1990), S. 25f.
rovgl. o.V. (1993q). 81 Vgl. Winpenny (1991), S. 161-197 und ESCAP (1991), Part Two.
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6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
Ein drittes Beispiel mangelnder Integration und lückenhafter Politik ist die Landnutzung im allgemeinen. Sie wird determiniert durch die Ausgestaltung der Eigentumsrechte, gesetzliche Nutzungseinschränkungen, Anreize zu einer bestimmten Nutzung und, angesichtsdes hohen Anteils in Staatsbesitz befindlichen Bodens, die Aufteilung desselben in private und staatliche Aktivität. Wird Umweltkapital dabei nicht angemessen berücksichtigt, so kann dies die Landnutzung in eine Richtung wenden, die nicht der besten Verwendung der Ressourcen entspricht. Dies betrifft in besonderem Maße die Umwandlung von Wäldern, da diese in Entwicklungsländern zu über 80% in Staatsbesitz sind. 82 In einigen Entwicklungsländern, wie Brasilien, Ostmalaysia (Sabah), Kongo, der Elfenbeinküste oder Papua Neuguinea, werden Eigentumsrechte an Land an diejenigen übertragen, die ein Gebiet "produktiv" nutzen, also Wälder in Ackerland oder Weide umwandeln. Dies wird verstärkt durch Subventionen für derartige Entwicklungen in Form von erleichtertem Zugang zu Krediten, Steuerbefreiungen und anderen Beihilfen. Eine solche Politik war ausschlaggebend für das Ausmaß der Regenwaldzerstörung im Amazonasgebiet, die sich nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch als Verlust erwies. Die dadurch angelockten Viehzuchtbetriebe konnten nämlich nur aufgrund der Subventionen Gewinne erzielen. Ohne sie wären derartige Projekte nicht profitabel gewesen und hätten im Durchschnitt Verluste in der Höhe der Hälfte des eingesetzten Kapitals eingefahren. Auch in bezug auf landwirtschaftliche Nutzung war die Wirkung der Beihilfen deutlich zu spüren. Neue Siedler, die unter das Regierungsprogramm fielen, rodeten 25% mehr Fläche als solche, die nicht in den Genuß der verschiedenen Formen von Subventionen kamen. 83 Eine Förderung der Holzwirtschaft durch steuerliche Konzessionen, mangelhafte Abschöpfung der Renten, niedrige Konzessionsgebühren oder Bereitstellung der Infrastruktur führt bei Mißachtung der vieltältigen Nutzen aus der Erhaltung des Waldes zur Rodung des Regenwaldes, allenfalls begleitet von der Errichtung neuer forstwirtschaftlicher Monokulturen. Die kurze Laufzeit der Konzessionen, die Unsicherheit über die Verläßlichkeit der Regierung und bestimmte Gebührenstrukturen veranlaßten zahlreiche Konzessionäre zu einem raschen und möglichst rigorosen Abbau der ihnen überlassenen Ressourcen. 84 Dabei waren selbst die kurzfristigen volkswirtschaftlichen Erträge gering oder sogar negativ, wie im Fall der Philippinen, wo die Staatseinnahmen aus dem Forstsektor die Kosten von Infrastruktur und Subventionen nicht deckten,
82 Vgl. Repetto (1988b), S. 1 und Hyde/Newman (1991), S. 35. 83 Vgl. Malwr (1989), Repeno (1989), S. 84, Repeno (1988b), S. 13, 27f und S. 73-81 und Amelung/Dieh/(1992), S. 85-91. 84 Zu der Wirkung der konkreten Ausgestaltung der Forstpolitik auf die Waldnutzung siehe Repetto (1988b), S. 17-27, BautisUJ (1994), S. 26-34 und Amelung/Dieh/(1992), S. 44-50.
6.3. Analyse umweltrelevanter Auswirkungen nationaler Wirtschaftspolitik
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während die Konzessionäre enorme Gewinne erzielten. 85 Doch selbst die scheinbare Internalisierung externer Effekte, etwa durch die angemessene Besteuerung von geschlagenem Holz, kann kontraproduktiv wirken, etwa wenn die dadurch erzielten Staatseinnahmen nicht umweltadäquat eingesetzt werden, sondern zur Finanzierung von Maßnahmen dienen, bei denen Umwelteffekte nicht berücksichtigt sind, oder wenn ein Abholzungsverbot nicht ausreichend überwacht wird und zu erhöhter illegaler und damit für den Staat nicht einmal über die Gebühren einträglicher Abholzung führt. 86 Potentiell sinnvolle Umweltpolitik wird hier ins Gegenteil verkehrt. Analoges gilt für landwirtschaftliche Produktion oder Bergbau, Industrie oder Tourismus, also jeden Sektor, solange er isoliert betrachtet wird. Die Umweltnutzung bzw. Umweltintensität ist dann höher als sie bei optimaler Allokation gewesen wäre. Während die eben genannten Ursachen von Umweltproblemen noch recht deutlich zu identifizieren sind, wird die Wirkung der Wirtschaftsstruktur und der sie beeinflussenden Faktoren in der Literatur vernachlässigt bzw. auf vereinfachte Kausalbeziehungen reduziert. Wir wollen diese Komponenten der Wirtschaftsstruktur deshalb systematisch analysieren, um ihre tatsächliche Umweltwirkung zu ermitteln.
6. 3. 2. 3. Einlwmmensverwendung Das erwirtschaftete Volkseinkommen kann zum privaten oder staatlichen Verbrauch (Konsum) verwendet oder gespart werden bzw. ins Ausland abfließen (Außenbei trag). 87 Eine hohe Wachstumsrate des Sozialprodukts mag zwar Anzeichen für heutige hohe Produktionskapazität sein, dauerhaft kann Wachstum aber nur sein, wenn das Produktivkapital auch langfristig erhalten bleibt und ausgebaut wird. Dieses setzt sich, wie in Kapitel 1 dargestellt, aus Sach-, Human- und Umweltkapital zusammen. In Entwicklungsländern wird wegen Mangel an Sach- und qualitativem Humankapital in starkem Maße auf Umweltkapital zurückgegriffen. Dies kann nur dann nachhaltig sein, wenn der daraus folgende Abbau und der in Entwicklungsländern hohe Materialverschleiß durch den Aufbau anderer Formen von Produktivkapital kompensiert wird. Ansonsten würde Volksvermögen aufgezehrt und die Grundlage weiterer Entwicklung untergraben. Die erforderlichen Investitionen verlangen vorangegangenes Sparen, also Konsumverzicht. Bei der Identifikation von Kriterien für
85 Vgl. Repetto (1988b), S. 26, 61, Baulisla (1994), S. 26-32 und Hyde/Newman (1991), S. 81. 86 Zu den möglichen negativen Nebenwirkungen eines Verbots der Abholzung vgl. Asian Development Bank (1991), S. 242. 87 Vgl. Neumann (1983), S. 85 und Woll (1987), S. 319fT.
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6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
anhaltendes Wachstum wurde eine hohe Sparquote deshalb als wesentlich angesehen (vgl. Abb. 6.1). Diese Forderung nach ausreichender Investition bedeutet nicht, daß jede Investition wünschenswert ist. Werden Umweltkosten nicht adäquat gewürdigt, so stellen bestimmte Ausgaben keine echten Investitionen in Produktivkapital dar, da mehr Ressourcen aufgezehrt als geschaffen werden. Die Art der Investitionen, d.h. das Ausmaß der Einbeziehung aller Kosten in die Investitionsentscheidung, ist also von zentraler Bedeutung. Die Verwendung des erwirtschafteten Volkseinkommens wird unmittelbar von staatlichem Eingreifen beeinflußt, so daß dieses gravierende Auswirkungen auf die Umweltnutzung und die Nachhaltigkeil von Entwicklung hat. Die Spar-, Investitions- bzw. Konsumneigung wird nämlich nicht nur von den Vorlieben der Wirtschaftssubjekte geprägt, sondern auch davon, welche Zukunftsnutzen diese heutigem Einkommen zumessen. Mehrere vom Staat beeinflußte bzw. beeinflußbare Faktoren können dies maßgeblich mitbestimmen: der reale Zinssatz, also der Preis, den ein Sparer für den Verzicht auf heutigen Konsum erhält und den ein Investor für Kredite entrichtet, die Stabilität der Währung, das heißt die Gefahr, daß der gesparte Nominalbetrag durch Inflation entwertet wird und später nur noch geringerem Realwert entspricht, die zu erwartenden Wechselkursschwankungen, die in engem Zusammenhang zur Inflation stehen, die Einschätzung der zukünftigen Wirtschaftslage, die bestimmt, ob eine Investition Früchte tragen kann, und die Ausgestaltung von Steuer- und Anreizsystemen. Besteben geringe Anreize zum Sparen bzw. Investieren in produktive Verwendung, so stehen grundsätzlich zwei Alternativen zur Verfügung: Konsum bzw. Investition in rein spekulative statt produktive Projekte sowie Kapitalflucht, das heißt die Verwendung des Einkommens außerhalb der Volkswirtschaft, in der es erwirtschaftet wurde. Letztere wird auch durch die Überbewertung der Währungen in zahlreichen Entwicklungsländern gefördert, die die Anlage im Ausland attraktiv macht und den Import von Konsumgütern begünstigt. 88 Einige Entwicklungsländer, etwa die ÖltOrderländer Lateinamerikas, Venezuela und Mexiko, haben durch die Entdeckung von Rohstoffen kurzfristig eine enorme Ausweitung des Sozialprodukts erfahren. Dieses wurde aber nicht zur Investition in den Aufbau von Sach- oder Humankapital oder zur Regeneration des durch die Extraktion verminderten Umweltkapitals genutzt, sondern floß in konsumtive Verwendung. Beide Länder nutzten ihre gestiegene Kreditwürdigkeit durch die Vorkommen an Rohstoffen überdies zur Anhäufung massiver Schulden, zur weiteren Ausdehnung öffentlicher Ausgaben, des Konsums und 88 Zum Beispiel Lateinamerikas siehe Maxjield (1989), S. 76ff.
6.3. Analyse umweltrelevanter Auswirkungen nationaler Wirtschaftspolitik
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der Anlage im Ausland. 89 In einem solchen Fall hat Wachstum einen Einmaleffekt, der a) auf wenige limitiert ist und b) über die Art der Verwendung die makroökonomische Stabilität des Landes gefährdet, statt fördert. Umweltkapital wurde aufgezehrt, ohne daß dem eine Kompensation auf seiten anderer Produktivfaktoren gegenüberstand. Welche staatlichen Maßnahmen tragen zu solchen ökonomischen wie ökologischen Miseren in Entwicklungsländern bei oder verursachen sie gar? Eine Ursache der geringen Sparquote ist die Konzentration der Gewinne aus kapitalintensiver Ressourcenextraktion in der Hand weniger Eigner, die diese Renten, wie im Falle Südamerikas, in konsumlive Verwendung lenken, in der Regel in Form von importierten Luxusgütern. Der Behauptung, die zur Rechtfertigung der Kumets-These aufgestellt wurde, daß eine ungleiche Einkommensverteilung aufgrund der höheren Sparquote reicherer Bürger positiv wirke, wird demnach widersprochen. Die Förderung solcher Gruppen, etwa durch Subventionierung der Extraktion oder Möglichkeit der Steuerausweichung, entbehrt also jeder ökonomischen Grundlage. Essentiell für die Aufteilung der Ergebnisse des Wirtschaftswachstums auf Konsum und Sparen/Investieren ist neben der Bedeutung prestigeträchtiger Konsumgüter für die neureichen Eliten vor allem der Anreiz zum Sparen und Investieren. In vielen Ländern wurde dieser durch niedrige oder gar negative Realzinsen, hohe Inflation, unsichere wirtschaftliche und politische Lage sowie die Ermöglichung von Kapital- und Steuerflucht untergraben. Die Wirkungen einer Veränderung des Zinssatzes auf Sparen, Investieren und Konsum sind aus theoretischer Sicht nicht eindeutig. Ein steigender Realzins bedeutet zwar mehr Entlohnung für Sparen, aber auch einen geringeren heutigen Konsumverzicht, um den gleichen künftigen Betrag zu erhalten. Ein steigender Zinssatz reduziert zumindest theoretisch die Investitionen, da ihre Finanzierung teuerer wird. 90 Die von der keynesianischen Theorie zur Überwindung des Kapitalmangels vorgeschlagene Absenkung des Zinssatzes unter seinen Gleichgewichtswert hat sich aber als Trugschluß erwiesen. Eine solche Politik kann zu einem Nachfrageüberbang führen, der nur durch expansive Geldpolitik beseitigt werden könnte, was aber inflationäre Tendenzen fördert. Aufgrund des starken negativen Zusammenhangs zwischen spürbarer Inflation und dem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts und der durch einen nach unten verzerrten Realzins steigenden Kapitalintensität der Produktion, die dem relativen Verhältnis der Produktionsfaktoren nicht entspricht (da in Entwicklungsländern in der Regel der Produktionsfaktor Arbeit reichlich vorhanden ist), ist diese Politik negativ
89 Vgl. Mansoorion (1991) und Frieden (1989), S. 30f. 90 Zu diesen Effekten siehe Dombusch/Fischer (1987}, S. llOf, 204f. 13 Stenge!
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6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
zu bewerten. 91 Ein Realzins, der der Knappheit von Kapital nicht ausreichend Rechnung trägt oder sogar negativ ist, vermindert nach der neoklassischen Theorie eindeutig Anreize zum Sparen, fördert Konsum, nicht nur durch den Verzicht auf Sparen, sondern vor allem durch Inanspruchnahme von Krediten, und ermöglicht Investitionen in Projekte, deren Renditen bei unverzerrtem (positivem) Realzins diesen nicht mehr decken würden, die dauerhaft also nicht überlebensfähig sind. Ein Realzins dagegen, der den echten Knappheitsverhältnissen entspricht, verhindert keineswegs rentable Projekte, stellt aber sicher, daß Investitionen nicht ungerechtfertigt kapitalintensiv sind, also knappe Ressourcen aufbrauchen, die in anderer Verwendung, etwa in Kombination mit arbeitsintensiverer Produktion, höhere einzel- und volkswirtschaftliche Erträge bringen. Auch Höhe und Art der Besteuerung spielen eine Rolle. Nach der angebotsorientierten Theorie drückt ein hoher Steuersatz die Ersparnis. Dabei kommt es auch auf die Form der Besteuerung an: Die Belastung der Einkommensentstehung, d.h. des Grundbetriebs, der Löhne, der Beschäftigung, des Kapitaleinsatzes und der Gewinne, statt die der Ressourcennutzung oder bestimmter Formen des Konsums, kann ebenso zur Erhöhung der Konsumneigung fiihren. Zukünftige Erwartungen, die von makroökonomischer Stabilität entscheidend beeinflußt werden, sind ein weiterer Parameter. Die v.a. makroökonomischen Empfehlungen der Weltbank und der schwedischen Studie sind also auch aus Umweltsicht angebracht: Preise sollen soweit wie möglich echten Angebotsund Nachfragebedingungen entsprechen und keinen extremen Schwankungen ausgesetzt sein, die die Signalfunktion verzerren könnten und spekulatives Verhalten fördern. Auch die Konzentration hoher Renten in der Hand weniger Individuen durch Verzicht auf staatliche Abschöpfung derselben muß hier wiederholt angefiihrt werden.
6.3.2.4. Arbeits- vs. kapitalintensive Produktion Bezüglich kapital- und arbeitsintensiver Produktion wird gemeinhin unterstellt, daß erstere aufgrund ihrer Abhängigkeit von Material- und Energieeinsatz umweltintensiver ist als arbeitsintensive Produktion. 92 Diese These ist zwar ceteris paribus plausibel, muß aber im Einzelfall dahin gehend relativiert werden, daß nicht nur das Verhältnis von Kapital zu Arbeit, sondern auch der mit diesen Produktionstypen verbundene Energie- und Ressourceneinsatz bzw. die
91 Zur theoretischen wie empirischen Diskussion der Spar- und Investitionswirkung des Zinses siehe Hemmer (1988), S. 347-368. 92 So Asian Development Bank (1991), S. 249.
6.3 . Analyse umweltrelevanter Auswirkungen nationaler Wirtschaftspolitik
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Art desselben angemessen berücksichtigt werden muß. So kann es durchaus sein, daß die kapitalintensive Herstellung eines Gutes zwar mit einem höheren Energieverbrauch und anfänglicher Ausstattung mit Sachkapital einhergeht, die arbeitsintensive Produktion desselben Gutes aber zu höherem Verschnitt und damit Materialverbrauch führt oder mit dem Einsatz eines Energietyps verbunden ist, der die Umwelt mehr belastet als der des kapitalintensiven Sektors. Auch aufgrund höheren Landbedarfs und des Einsatzes komplementärer umweltbelastender Ressourcen, etwa im Falle der als besonders arbeitsintensiv geltenden Landwirtschaft, kann noch nicht per se davon ausgegangen werden, daß arbeitsintensive Wirtschaftszweige stets umweltfreundlicher sind. Allerdings steht zu ihren Gunsten, daß sie bei Arbeitskräfteüberschüssen über den höheren Beschäftigungseffekt maßgeblich zur Armutsbeseitigung beitragen können. Wir hatten auch gezeigt, daß kapitalintensive Produktion, die in den Händen weniger Kapitaleigner liegt, zu einer Einkommenskonzentration führt, die über die konsumlive Verwendung zu negativen Umweltwirkungen führen kann. Auch dieser indirekte Umwelteffekt ist, wie der möglicherweise unterschiedliche Sozialproduktsbeitrag und dessen positive Folgewirkungen, in die Betrachtung einzubeziehen. In der Gesamtbewertung scheint aber eine Verzerrung (Bias) der Struktur zugunsten kapitalintensiver Produktion trotz der erwähnten Relativierung in stärkerem Maße Umweltschädigung zu implizieren als eine Verzerrung zugunsten arbeitsintensiver Produktion. In jedem Falle führt eine Manipulation der Struktur aber zur Fehlallokation, solange sie sich nicht auf die Korrektur von Marktunvollkommenheiten beschränkt. Staatliche Eingriffe erfolgen - beabsichtigt oder als unbeabsichtigte Folge sektoraler Politik - zugunsten kapitalintensiver Produktion durch bevorzugte Abschreibungsmöglichkeiten bei Sachkapital, Subventionen zur Anschaffung technischer Güter, Zollbefreiung beim Import bestimmter Kapitalgüter oder gesetzliche Regelungen im Bereich der Löhne bzw. der Lohnnebenkosten, die das Verhältnis von arbeits- zu kapitalintensiver Produktion verschieben. 93 Auch ein unter dem Gleichgewichtszins liegender nominaler Zinssatz verzerrt die Allokation in Richtung kapitalintensiverer Fertigung. Auf der anderen Seite können Importbeschränkungen und -zölle bei einer starken Abhängigkeit von importiertem Kapital und die Förderung arbeitsintensiver Industrien zu umgekehrten Tendenzen führen. Es kann durchaus sein, daß sich durch den Einsatz beider gegenläufiger Verzerrungen im Endeffekt keine Verschiebung der Wirtschaftsstruktur gegenüber der Nichtinterventionssituation ergibt. Dennoch wären aber auch in die93 Die negative Wirkung von Mindestlöhnen betont Asian Development Bank (1991), S. 250. 13*
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6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
semFall die Eingriffeaufgrund der nicht knappheitsgemäßen Veränderung der relativen Preise in den verschiedenen Sektoren nicht ebenso neutral bezüglich der Effizienz. Denn zum einen bindet der Einsatz staatlieber Instrumente knappe Ressourcen, die keinen positiven Effekt bringen, zum anderen bleibt die Förderung sowohl kapital- als auch arbeitsintensiver Betriebe und Sektoren unabhängig von ihrer wahren Leistungsfähigkeit bestehen, so daß ineffiziente Wirtschaftsaktivitäten erhalten bzw. erzeugt werden.
6.3.2.5. Höhe des Staatsanteils Inwieweit ist nun für die Umweltwirkung relevant, ob die wirtschaftliche Aktivität durch private Unternehmer oder den Staat selbst durchgeführt wird? Ökonomen sind sich einig, daß Staatsunternehmen typischerweise von ineffizienterem Umgang mit Ressourcen geprägt sind. Die Gründe dafür wurden bereits in Kapitel 3 stichpunktartig genannt. 94 Neben diesen Argumenten für eine höhere Effizienz der Privatwirtschaft, die sich auch in der Untersuchung der Entwicklungsstrategien bestätigten, besteht stets die Gefahr von Verdrängungseffekten (crowding-out) sowie die enorme fiskalische Belastung durch einen aufgeblähten Staatssektor. Eine ungerechtfertigte Diskriminierung privater Unternehmen, etwa durch Benachteiligung privater Unternehmer bei öffentlichen Vorhaben, unterschiedlichen Auflagen und prohibitiv hoher Besteuerung sowie die Subventionierung ineffizienter staatlicher Unternehmen, führt also recht eindeutig zu zusätzlichen negativen Externalitäten, die sich auch bezüglich der Umwelt niederschlagen. Die Forderung, die wir schon vorher aufgestellt hatten, nämlich Staatsunternehmen einer stringenten Effizienzkontrolle zu unterziehen, gilt angesichts dessen umso mehr. In Entwicklungsländern ist dieser Aspekt besonders relevant, da der Staat in starkem Umfang unternehmerisch tätig ist. Zusätzliche Externalitäten könnten vermieden und bestehende Externalitäten gemildert werden, wenn auch im Bereich öffentlicher Versorgung privaten Unternehmen größere Beachtung geschenkt würde. Die Bedeutung privaten Eigentums für Effizienz und Umweltverträglichkeit ist in Entwicklungsländern insbesondere im Bereich der Landnutzung relevant. Privates Management der Teeplantagen in Sri Lanka hatte sich als deutlich effizienter erwiesen als die staatlichen Teeplantagen. 95 Gerade in Entwicklungsländern haben die das Land bestellenden Bauern oftmals keine gesicherten Eigentumsrechte bzw. sind Pächter. Dies begrenzt zum einen die Effizienz der Landnutzung allgemein und fördert das Eindringen in ihnen zugängliche Gebie-
94 Vgl. auch Bemholz/Breyer (1984); Kap. 6 und 7. 95 Vgl. Kloepfer (1993a), S. 18. Siehe auch 6.3.2.6.
6.3 . Analyse umweltrelevanter Auswirkungen nationaler Wirtschaftspolitik
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te, insbesondere Wälder. Diese stehen ihnen meistens offen, da Wälder überwiegend Staatsbesitz sind und ihre Nutzung nur schwach kontrolliert wird. In diesem Sinne wirken fehlende private Eigentumsrechte für Kleinbauern doppelt schädlich, zumal aufgrund der Unsicherheit, die eine illegale, aber tolerierte Bestellung staatlichen Landes mit sich bringt, sich keine Investitionen in langfristige produktivitätssichemde Maßnahmen lohnen. Solange unter staatlicher Aufsicht stehende Waldgebiete kostenlos genutzt werden können, wird dadurch eine effizientere Nutzung vorhandenen Ackerlandes untergraben. 96
6.3.2.6. Unternehmensgröße Staatliche Wirtschaftspolitik kann diese Komponente der Wirtschaftsstruktur durch ungleichen Zugang zu Krediten, selektive Steuerpolitik, die Bereitstellung von Infrastruktur, Ausschreibungsbedingungen bei öffentlichen Projekten und direkt über die Art der Subventionen verzerren. Darüber hinaus können die Konsequenzen makroökonomischer Politik, wie die Verschuldung, einen erheblichen Bias zugunsten bestimmter Unternehmensgrößen implizieren. So stellten Untersuchungen zu den Folgen der schuldenfmanzierten kurzzeitigen Wachstumsphasen in Lateinamerika fest, daß große Industrie- und Handelsunternehmen über ihren besseren Zugang zu nationalen und internationalen Kapitalmärkten von der Kapitalverknappung geringer betroffen waren, Wechselkursspekulationen mit der überbewerteten heimischen Währung betreiben konnten und nach Zusammenbruch der Zahlungsfähigkeit von den Regierungen gedeckt wurden, während sie vom kreditfinanzierten Boom profitierten. Kleine und mittlere Unternehmen litten unter dem mangelnden Zugang zu Kapitalmärkten und waren den der Schuldenkrise folgenden Anpassungsmaßnahmen mitunter schutzlos ausgesetzt, was häufig zu ihrem Bankrott führte. 97 Die Unternehmensgröße ist aus Sicht der Nachhaltigkeil zunächst von indirekter Relevanz, da in der Literatur von einer Korrelation zwischen ihr und der Arbeitsintensität und damit dem Beschäftigungseffekt ausgegangen wird. Die Kapitalintensität nimmt mit steigender Betriebsgröße zu. Im Durchschnitt weisen demnach kleinere Unternehmen eine höhere Arbeitsintensität auf, tragen also überproportional stark zur Beschäftigung innerhalb einer Volkswirtschaft bei. Darüber hinaus verwenden sie relativ einfache Arbeitstechniken, was dem hohen quantitativen, aber schlecht ausgebildeten Arbeitskräftepotential von Entwicklungsländern genüge tut. 98 Dies wäre über den Armuts-Bevölkerungs-
96 Vgl. Asian Development Bank (1991), S. 246. 97 Vgl. Maxjield (1989), S. 75 , 80f. 98
Vgl. Bruch/Hiemenz(l984), S. I , 25fTund o.V. (1992e), S. I, 4-11.
6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
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Umwelt-Effekt ein wünschenswerter Beitrag zur Nachhaltigkeil der Entwicklung. Allerdings müssen diese Effekte bezüglich der industriellen Produktion dahin gehend relativiert werden, daß im Gegensatz zu den Industrieländern in Entwicklungsländern die Arbeitsproduktivität mit sinkender Betriebsgröße abnimmt und ihr Kehrwert, der Arbeitskoeffizient, d.h. die Anzahl der pro Einheit des erwirtschafteten Sozialprodukts benötigten Arbeitskräfte, steigt. Empirische Studien zeigen zwar keine ebenso eindeutige Beziehung zwischen Größe und Kapitalproduktivität, weisen aber darauf hin, daß die kleinsten Einheiten auch höhere Kapitalkoeffizienten, d.h. geringere Kapitalproduktivität aufweisen, während mittlere Unternehmen mitunter gegenüber sehr großen Unternehmen Vorteile haben können. 99 Littleweist also ganz zu Recht auf die Unzulässigkeil einer rein auf die Arbeitsintensität bezogenen Bewertung der Unternehmensgröße gerade in Entwicklungsländern hin: "Indeed, if only capital is scarce, capital productivity is crucial. If small enterprises have lower capital productivity than !arger ones, then one should invest in the latter, since more output is obtained. "100 Mögliche Vorteile einer auf kleinen Unternehmen basierenden Wirtschaftsstruktur in bezug auf das Beschäftigungsvolumen können also durch deren geringere Produktivität kompensiert werden, was einer Verschwendung des in Entwicklungsländern knappsten Produktionsfaktors, nämlich Kapital, gleich kommt. Effizienzanalysen aus Indien konstatieren bezüglich kleiner Unternehmen: "Where they have substantial advantage in employment generation, they are relatively inefficient; and where they are efficient, they do not have much advantage in employment generation. "101 Eine weitere Einschränkung ergibt sich aus vorhandenen Skalenerträgen: Gerade die Vermeidungskosten von Umweltbelastung unterliegen nämlich der Größendegression, so daß für kleinere Einheiten Umweltschutzmaßnahmen oftmals eine nicht tragbare Belastung darstellen, während größere Betriebe sie leichter inkorporieren können. 102 Es wäre demnach auch zu erwarten, daß die Ablehnung von gesetzlichen Umweltschutzregelungen dort geringer bzw. die freiwillige Implementation, etwa aus lmagegründen, eher gegeben ist. Generelle Überlegungen zum Verhalten kleiner und mittlerer gegenüber großen Unternehmen lassen sich auch auf ihre Reaktion auf Umweltprobleme anwenden. So wird unterstellt, daß kleinere Unternehmen ihre Entscheidungen aufgrund der persönlichen Einstellung des Eigentümers treffen, während große Unternehmen etablierten, klarer umrissenen Richtlinien folgen und deshalb eine 99 Vgl. zum Zusammenhang von Unternehmensgröße mit Arbeits- bzw. Kapitalproduktivität
Bruch/Hiemenz(1984), S. 25ff, Lirrle (1988) und o.V. (1992c), S. 5-11. 100 Lirrle
(1988), S. 2.
101 Goldor
(1988), S. 11.
102 Vgl. SprlJsser
(1988), S. 251f.
6.3. Analyse umweltrelevanter Auswirkungen nationaler Wirtschaftspolitik
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konsistentere Politik betreiben. Kleinere Unternehmen seien auch schwieriger zu einer gemeinsamen Haltung zu bewegen. Dies würde demnach auch die Etablierung einer umfassenden Umweltstrategie erschweren. Auf der anderen Seite wird angenommen, daß größere Unternehmen geringeres Interesse an sozialen und damit auch an Umweltfragen des jeweiligen Standorts haben, während lokale Firmen auch aufgrund ihrer Abhängigkeit lokale Bedürfnisse eher berücksichtigen. 103 Während theoretisch die Wirkung der Unternehmensgröße nicht eindeutig ist, gibt es empirische Hinweise, die darauf hindeuten, daß gerade in Entwicklungsländern das Umweltbewußtsein sowie die Fähigkeit zum Umweltschutz bei größeren Unternehmen stärker ausgeprägt sind. Länderstudien zeigen, daß große Unternehmen sich des Umweltschutzes thematisch und praktisch stärker annehmen als kleine Unternehmen, die weder das Interesse noch die Fähigkeit dazu haben. 104 In vielen Entwicklungsländern sind es aber gerade die kleinen und mittleren Unternehmen, zum Teil illegale Hinterhofbetriebe, die für einen erheblichen Teil der Umweltprobleme verantwortlich sind. Ihre Rolle darf auch deshalb nicht unterschätzt werden, da sie weder die finanzielle Basis noch das technische Wissen oder die personelle Ausstattung besitzen, die Umweltbelastung einzuschränken. Das Wissen darum und die organisatorischen Probleme der Überwachung unzähliger Kleinbetriebe fiihrt dazu, daß Aufsichtsbehörden bei größeren, vor allem ausländischen Unternehmen strengere Maßstäbe anlegen und die Einhaltung stärker kontrollieren. 105 Die Internalisierung externer Effekte ist bei wenigen Großbetrieben mit stärkerer finanzieller, personeller und technischer Ausstattung und Skalenerträgen leichter zu implementieren, ökonomisch sinnvoller und eher zu überwachen als bei vielen Kleinbetrieben. Besteht der Markt aus wenigen großen Wettbewerbern, so sind Vereinbarungen zu Umweltschutzbestimmungen und Beschränkungen leichter zu erreichen als im anderen Fall, solange wir es nicht mit Marktmacht zu tun haben. Nicht von ungefähr wird die relativ rasche Übereinkunft zum Schutz der Ozonschicht im Montreal-Protokoll und den Folgeprotokollen auch auf die Tatsache zurückgefiihrt, daß der kritische, umweltgefährdende Stoff nur von einer geringen Zahl von Unternehmen produziert wurde, was die Kontrolle erleichtert und Mißbrauch vermindert. 106 Auch in der Landwirtschaft ist das Argument der höheren Umweltverträglichkeit kleinerer Betriebe populär, eine These, die Harnpicke als "nahezu aus103 Vgl. Frederick/Davis/Post (1988), S. 339. 104 Vgl. Allen (1992), S. 169, 219, 247, 335 . lOS Vgl. Liu (1990), S. 91, Lim (1990), Wangwacharakul (1990), S. 350 und Allen (1992), S. 6f, 250 und 335. 106Vgl. Enders/Porges(l992), S. 141.
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6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
schließlich emotionell anstatt rational-analytisch begründet" 107 kritisiert. Die Theorie unterstellt, daß Großfarmen dazu neigen, Land extensiver zu nutzen als kleinere Unternehmen. 108 Dies kann jedoch in zweierlei Hinsicht interpretiert werden, zum einen als suboptimale Nutzung des vorhanden Landes und damit als Ressourcenverschwendung und zum anderen als geringere Belastung der durch Landwirtschaft bereits stark belasteten Böden. Welcher der beiden gegensätzlichen Aussagen zuzustimmen ist, hängt davon ab, inwiefern die Schwelle der Nachhaltigkeit erreicht bzw. überschritten ist und ob das Land selbst die knappe Ressource ist oder die Qualität des Bodens. In sogenannten Kulturlandschaften, wo das Angebot an landwirtschaftlicher Fläche reichlich ist und Flächen stillgelegt werden, kann extensivere Nutzung ökologische Entlastung bringen. In Ländern mit eingeschränkter landwirtschaftlich nutzbarer Fläche und nach wie vor zunehmendem Bedarf an Agrarproduktion kann eine extensivere Nutzung zur Notwendigkeit der Umwandlung bislang unberührter Vegetation fUhren, so daß intensivere Bewirtschaftung auch bei Berücksichtigung der dadurch verursachten Belastung durch Dünger, Pestizide und Bewässerung ökologisch vorzuziehen sein kann. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn, wie in zahlreichen Entwicklungsländern, große Anteile landwirtschaftlicher Nutzfläche in der Hand weniger Landbesitzer sind, die es sich leisten können, Teile des Landes brach liegen zu lassen oder nur gering zu nutzen, während die Masse der Kleinbauern auf kleinsten Flächen ihr Auskommen sucht und zur Übernutzung bzw. zum Eindringen in bislang ungenutzte Waldgebiete gezwungen ist. Gerade in Lateinamerika, aber auch auf den ähnlich strukturierten Philippinen, sind die Großfarmen deutlich ineffizienter als kleinere Einheiten und weite Teile liegen brach, während es zahlreichen Armen an Land mangelt. 109 Hier ist nicht das absolute Fehlen von Ackerland, sondern die ungleiche Verteilung Ursache des Problems. Gerade in der Landwirtschaft ist es also durchaus gegeben, daß kleinere Einheiten, sogenannte "smallholders", an Effizienzaufgrund der größeren Sorgfalt und Hege und der besseren Kontrolle bei kleineren Flächen den großen Plantagen überlegen sind. Dies ist etwa bezüglich Teeplantagen in Sri Lanka zu beobachten. 110 Eine Diskriminierung zu Lasten von Klein-
107 Hampicke (1991a), S. 284. 108 Die These von der zumindest theoretischen höheren Intensität der kleinbäuerlichen Landwirtschaft wird auch von Harnpicke anerkannt. Vgl. Hampiclce (1991a), S. 284f.
109 Vgl. Todaro (1989), S. 302-305, Hayami (1991), S. 163f und Myers (1992), S. 445. 110 Vgl. Kloepfer (1993a), S. 18. Eine Studie über den Zusammenhang zwischen Betriebsgröße und Umweltwirkung in der Landwirtschaft in der Bundesrepublik weist dagegen auf eine eher höhere Umweltverträglichkeit großer Betriebe hin, was auch auf die höhere Qualifikation der Inhaber zurückgeführt wird. Vgl. Nieben (1994).
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bauern würde hier sowohl aus Sicht der Produktivität, der Arbeitsbeschaffung und der sozialen Effekte negative Wirkung zeitigen. Eine generelle Aussage zur wünschenswerten Betriebsgröße ist unabhängig von der konkreten sozio-ökonomischen Situation nicht zulässig. Zwar ist richtig, daß Großunternehmen zu moderneren Techniken neigen, worauf die Vorstellung von der Agrarfabrik mit Massentierhaltung, enormem Gülleausstoß und hohem Pestizid- und Kunstdüngereinsatz beruht, allerdings darf dies nicht unkritisch negativ belegt werden. Zwar hat die moderne Agrarwirtschaft ihre Schattenseiten- wir hatten die Risiken der grünen Revolution bereits erwähnt-, allerdings wäre ohne sie die enorme Produktionssteigerung pro Hektar, die zur Ernährung der noch immer steigenden Weltbevölkerung und zur Bewahrung noch bestehender Vegetation vor der Umwandlung nötig ist, nicht möglich gewesen. Fehlentwicklungen sind hier weniger auf die Betriebsgröße an sich, sondern vielmehr auf durch falsche Anreize ausgelöste Überproduktion, Übernutzung und Fehlnutzung sowie eine problematische Einkommensverteilung zurückzuführen. Auch die Unternehmensgröße ist ein Beispiel für einen umweltrelevanten, aber oftmals aufgrund einseitiger Analysen fehlinterpretierten Faktor. Eine Verzerrung der Unternehmensgröße, etwa aus beschäftigungspolitischen Gründen, bedarf vorheriger eingehender Untersuchungen. Wir wollen zwar nicht behaupten, daß kleinere und mittlere Unternehmen umweltschädlicher sind, wollen aber auch vor einer Pauschalisierung der gegensätzlichen These warnen. 6.3.2. 7. Unternehmenskonzentration
Eine wichtige Determinante der Wirtschaftsstruktur eines Landes ist der Grad der Unternehmenskonzentration, also das Auftreten von Monopolen und Oligopolen, das durch fehlende Wettbewerbspolitik und staatliche Genehmigungspraxis gefördert wird. Doch auch makroökonomische Politik wirkt analog zum Fall der damit eng verbundenen Unternehmensgröße. Insofern kleine, selbständige Einheiten gegenüber großen Unternehmen, etwa bei der Kapitalaufnahme oder durch die Art der Verschuldung, benachteiligt werden, findet auch eine Zunahme der Unternehmenskonzentration statt. Den Widerspruch zwischen Theorie und beobachtbarer Realität bezüglich der Umweltwirkung unvollständigen Wettbewerbs hatten wir bereits in Kapitel 3 angesprochen. Unseres Erachtens sind die theoretischen Voraussetzungen für die Gültigkeit eines umweltschonenderen Verhaltens von Monopolen in der Realität in der Regel nicht gegeben und die Gegenargumente scheinen gewichtig. Allerdings bedeutet dies noch nicht, daß die Marktstruktur umso besser scheint, je mehr Unternehmen sich im Markt befinden, denn dies würde ja zugleich auch eine geringere Unternehmensgröße implizieren. Für jeden Markt gibt es also eine
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optimale Unternehmenszahl, die dennoch Wettbewerb sichert. Diese kann in bestimmten Branchen wegen hoher Fixkosten oder hoher Kontrollerfordernisse relativ gering sein. Eine geringe Anzahl von Anbietern muß aber noch nicht bedeuten, daß der Markt nicht äußerst wettbewerbsintensiv ist. Wir hatten in den Ausführungen zur Unternehmensgröße bereits erwähnt, daß wenige, große Unternehmen leichter zu umweltverträglichem Verhalten zu bringen bzw. zu zwingen sind als unzählige kleine. Zudem wurde konstatiert, daß Forschungsaufwendungen und Kapitalbelastung im UmwelttechnologieSektor eine höhere Unternehmensgröße und damit auch eine stärkere Konzentration erfordern. Eine Zunahme der Konzentration kann also im konkreten Fall durchaus die Internalisierung externer Effekte erleichtern, solange der Wettbewerb grundsätzlich aufrechterhalten und die negativen Wirkungen, etwa durch die bessere Position von Monopolisten gegenüber staatlichen Behörden, vermieden werden. Bestehen Monopolstellungen, so ist zwar die Förderung des Wettbewerbs angebracht, bei der Zerschlagung von Großunternehmen muß aber darauf geachtet werden, daß damit nicht auch zugleich die Fähigkeit zu Grundlagen- und Spezialforschung vernichtet wird und die Kontrollmöglichkeiten staatlicher Umweltbehörden untergraben werden. Wettbewerb sollte also stets im Sinne eines "workable competition • gesehen werden, also die mögliche positive Wirkung eines bestimmten Konzentrationsgrades berücksichtigen. Als Schlüsselkriterium bei der Beurteilung der Umweltwirkung von hoher Unternehmenskonzentration kann die Unterscheidung dienen, in wessen Hand sich Unternehmen befinden. Als entscheidendes Hemmnis eines langfristigen Wachstums sowie der Beseitigung von Armut und als maßgebliche Form bzw. Ursache von Marktunvollkommenheit hatten wir eine ungleiche Verteilung der Einkommen und Vermögen bezeichnet. Unternehmenskonzentration neigt zwar generell zu einer Konzentration von Einkommen und Vermögen in weniger Händen als bei intensiverem Wettbwerb, allerdings kommt es im Einzelfall auf die konkrete Unternehmensform an. Ist das Monopol in der Hand einer oder weniger Privatpersonen, so impliziert das größere negative Effekte als ein Monopol z.B. einer Aktiengesellschaft mit breiter Anteilseignerschaft. Deren gesetzliche Informationspflichten und die Thematisierung von Umweltaspekten auf Hauptversammlungen führen in der Grundtendenz zu einer Abmilderung der Informationsasymmetrie bei Monopolen und läßt eine stärkere Berücksichtigung von Umweltfragen erwarten. Die negativen Folgen einer starken Konzentration sind insbesondere in der Landwirtschaft zu beobachten. In zahlreichen Entwicklungsländern ist die Eigentumsverteilung bezüglich Land extrem ungleich, so daß ein Großteil des Bodens einigen wenigen gehört, während die Masse der Kleinbauern keine oder nur geringfügige Eigentumsrechte besitzt. Dies ist in Lateinamerika in stärkerem Maße der Fall als in Asien, dort aber ebenfalls zu beobachten, am
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augenfälligsten auf den Philippinen und Südasien. Dort ist das Pachtwesen üblich, wobei die Verträge in der Regel den Pächtern wenig Sicherheit und Manövrierspielraum und daher wenig Anreiz zu produktivitätssteigemden und -erhaltenden Maßnahmen bzw. zur Anpflanzung der umweltverträglicheren mehtjährigen Planzen lassen. 111 Diese Situation hat ähnliche Konsequenzen wie die völlige Abwesenheit privater Eigentumsrechte und das dadurch verursachte Eindringen in Regenwälder. Zu der resultierenden ineffizienten und umweltgefährdenden Landnutzung durch die marginalisierten Kleinbauern kommt dann meist hinzu, daß Großgrundbesitzer, wie im vorherigen Abschnitt angedeutet, ihr Land ineffizient nutzen.
6.3.2.8. Regionale Verteilung Als nächsten Aspekt müssen wir die regionale Verteilung der wirtschaftlichen Aktivität (der Produktion wie des Konsums), insbesondere in Hinblick auf das Verhältnis zwischen Stadt und Land, aus Umweltsicht überprüfen. Staatliche Manipulation dieser Verteilung kann dabei durch selektive Infrastrukturausgaben, gezielte Regionalförderung sowie Höchstpreise für bestimmte Güter, die von der einen Region (z.B. dem Land) erzeugt, in einer anderen Region (etwa der Stadt) konsumiert werden, erfolgen. In der Umweltliteratur wird die Verstädterung und dabei die Konzentration auf einige wenige Städte innerhalb des Landes als eine der Hauptursachen für Umweltprobleme, insbesondere Luft-, Boden- und Wasserverschmutzung, identifiziert. Diese Bewertung ist zwar zutreffend, aber unvollständig, wenn man die anderen entwicklungsländertypischen Umweltprobleme mißachtet, die ebenfalls auf bestimmter regionaler Verteilung beruhen, nämlich den Verlust des Regenwaldes samt wertvoller Artenvielfalt, die Degradierung von Ackerund Weideland oder die Vergiftung von Böden und Gewässern. Die Feststellung einer durch Verstädterung verursachten Problematik darf also noch nicht zu einer Forderung nach Revision derselben führen, solange nicht geprüft ist, ob die Alternative nicht größere Umweltschäden impliziert. Sonst könnte es leicht passieren - dies wird in vielen kritischen Studien zur Umweltproblematik in Entwicklungsländernaufgrund isolierender Darstellung vernachlässigt -, daß lediglich eine Verlagerung der Umweltprobleme in andere Gebiet und Umweltmedien stattfindet, die die Entlastung noch übertrifft. Da die städtischen Umweltprobleme in der Regel mit Industrialisierung, die ländlichen Umweltprobleme mit der Land- und Forstwirtschaft verbunden sind, ist die Frage der Regionalstruktur eng mit der Sektorstruktur verbunden, so
111 Vgl. Asian Development Bank (1991), S. 244f.
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6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
daß Sektorpolitik (lndustriepolitik, Exportförderung) immer auch regionalpolitische Wirkung hat und umgekehrt. Die folgende Darstellung dient in erster Linie dazu, vor pauschalen Äußerungen hinsichtlich des Verhältnisses von Land zu Stadt zu warnen und auf die Vielzahl der eigentlich zu berücksichtigenden Interdependenzen hinzuweisen. Das gleichzeitige Auftreten städtischer und ländlicher Umweltprobleme in Entwicklungsländern ist auf zwei unterschiedliche Ursachen zurückzuführen: Erstens auf die offenkundige Belastung durch Bevölkerungsdruck und zweitens auf das Vorhandensein negativer Externalitäten in beiden Gebieten. Eine Veränderung der regionalen Verteilung führt nicht zur Lösung der Umweltprobleme, wenn die Entlastung des einen eine zusätzliche Belastung des anderen Gebiets darstellt. Spielräume für eine sinnvolle Änderung der regionalen Verteilung sind allerdings dann gegeben, wenn die marginale Erhöhung der Umweltbelastung im Zuzugsgebiet geringer ist als die marginale Entlastung im Abwanderungsgebiet, die Migranten also in ihrer neuen Heimat geringeren Schaden anrichten als in ihrer alten Heimat. Ein derartiger Vergleich wäre nötig, ist aber aufgrundder unterschiedlichen Art der Umweltbelastung problematisch, wenn nicht unmöglich. Wir müßten nämlich abwägen, ob die stärkere Belastung des öffentlichen Verkehrs- oder Abwassernetzes durch einen neuen Slumbewohner als gravierender zu bewerten ist als die Entlastung marginalen Ackerlandes und Waldes durch Fortzug des Bauern. Trotz der Schwierigkeit, die marginalen Nutzen und Kosten regionaler Variationen quantitativ zu vergleichen, müssen wir die existierenden Alternativen zumindest einer qualitativen Abwägung unterziehen. Die Bewertung der regionalen Verteilung hängt in starkem Maße davon ab, ob und in welchem Gebiet umweltschädigende externe Effekte auftreten. Existieren in der Ausgangslage gravierende ländliche Umweltprobleme durch Überund Fehlnutzung, während urbane Räume entweder gering ausgeprägt oder wenig belastet sind, so würde eine Diskriminierung zugunsten der ländlichen Bevölkerung die Situation noch verstärken, eine höhere Konzentration auf Städte sie dagegen entspannen. Ist die Umweltsituation in einer Stadt kritisch, so kann die gleichmäßigere Verteilung auf andere Städte bzw. bei geringer Belastung des ländlichen Raumes eine Wanderung in Richtung des ländlichen Raumes Entlastung bringen. Auch hier kommt es auf die ganz konkreten marginalen Veränderungen sowohl im Zuzugs- als auch im Fortzugsgebiet an. Bei der Bewertung der regionalen Verteilung und seiner Umweltwirkungen sind folgende Aspekte zu berücksichtigen:
Erstens: Der Anteil der städtischen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung liegt zwar in der Regel in Enwicklungsländern niedriger als in lndustrielän-
6.3 . Analyse umweltrelevanter Auswirkungen nationaler Wirtschaftspolitik
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dem; diese konzentriert sich aber dort oftmals auf wenige Städte. 112 Das Problem ist also weniger die zunehmende Verstädterung durch Industrialisierung an sich, sondern die einseitige Konzentration derselben. Maßnahmen, die den Zuzug in Städte allgemein reduzieren, revidieren nicht die Konzentration der Stadtbevölkerung auf wenige Gebiete. Zweitens: Die absolute und relative Einkommensposition der ländlichen Armen gilt als schlechter als die der städtischen Armen. 113 Ein Umzug vom Land in die Stadt kann also trotz unzureichender städtischer Lebensqualität eine soziale Verbesserung sein und über diesen Effekt (z.B. verbesserter Zugang zu Schulen) positiv wirken. Drittens: Weite Landstriche in Entwicklungsländern sind dünn besiedelt, woraus vielfach das Ziel abgeleitet wurde, durch planmäßige Umsiedlungsaktionen eine gleichmäßigere Nutzung des Staatsgebiets zu erreichen. Gerade bei starker Belastung bisheriger traditioneller landwirtschaftlicher Gebiete ist diese Überlegung durchaus berechtigt. Allerdings wurden in der Praxis (z.B. bezüglich der Besiedlung des Amazonasgebiets und des indonesischen Transmigrasi-Programms) oftmals wesentliche Aspekte übersehen. In der Regel hat es nämlich einen guten Grund, warum bestimmte Gebiete dünn oder überhaupt nicht besiedelt sind. Dies liegt an deren geringerer Tragfähigkeit für menschliebe Nutzung und kann bei Nichtbeachten der ökologiseben Grenzen zu einer Persistenz der Armut bei Verödung des Gebietes und einer Verstärkung der nationalen Umweltprobleme führen. 114 Viertens: Trotz starker Interdependenz ist sorgfältig zwischen einer Diskriminierung der in einem Gebiet ansässigen Bevölkerung und der Förderung des Zuzugs in eine bestimmte Region zu unterscheiden. Ein Beispiel ist die in zahlreichen Entwicklungsländern übliche Subventionierung der Nahrungsmittelpreise, von der in erster Linie die städtische Bevölkerung profitiert, während die Bauern mit niedrigen Erzeugerpreisen zu kämpfen haben. Hier haben wir es mit einer Diskriminierung des ländlichen Raumes zu tun, die zwar zu einem Nettofortzug in die Städte führen kann, aber keine Entlastung des ländlichen Raumes bedeutet, da die zu niedrigen Preise landwirtschaftlieber Güter die Fähigkeit der Bauern zu Investitionen in nachhaltige Entwicklung untergräbt, also die Umweltprobleme des ländlichen Raumes verstärkt. In diesem Falle könnte sich die Umweltsituation in beiden Gebieten verschlechtern, in der Stadt durch den Zuzug und auf dem Land durch die zunehmende Verarmung der Bauern.
112 Vgl. World Bank (1992), S. 278f (fable 31: Urbanization) und ESCAP (1992), S. lllff. 113 Vgl. 6.3. 1.2. 114 Vgl. zu den sozialen und ökologischen Problemen des Transmigrasi-Projekts Donner (1987), S. 42-51, 249-262, Co/chester (1986a), Otten (1986), Secren (1986) und Fasbender/Erbe(l990).
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6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
Fanftens: Die Verbesserung der Einkommensposition und des Lebensstandards der ländlichen Bevölkerung ist essentiell zur Reduzierung ländlicher Umweltprobleme und zum Ausbau der volkswirtschaftlichen Nachfragebasis, birgt aber eine Gefahr, die bei der Ausgestaltung möglicher Einkommenspolitik nicht vernachlässigt werden darf: Höhere Agrarpreise bzw. geringere Kosten durch Aufbebung der in Entwicklungsländern häufigen Diskriminierung gegen landwirtschaftliche Erzeugnisse via Export- und Importzölle und Preisobergrenzen fiir Nahrungsmittel reduzieren nämlich über das höhere Einkommen der Bauern nicht nur die Armut und damit gewichtige Ursachen von Umweltbelastung, sie erzeugen zunächst generell eine Ausweitung des Angebots. Dies kann ohne Ausweitung von Flächen und damit Umwandlung von Wäldern erfolgen, wenn die zusätzlichen Einkommen Investititionen in intensivere Landwirtschaft ermöglichen.m Allerdings kann dies Umweltschädigung mit sich bringen, wenn die Intensivierung bei bestehenden Extemalitäten eine Übernutzung von Inputs wie schwerer Landmaschinen, Pestiziden und Dünger und damit nichtnachhaltige Nutzung impliziert. Eine über das umweltverträgliche und dann produktivitätssteigemde Maß binausgebende Intensivierung ist in Entwicklungsländern deswegen zu befürchten, weil diese als Ausgleich der oben genannten Diskriminierung bestimmte Produktionsinputs subventionieren, wodurch verschwenderische Nutzung ermutigt wird. 116 Die wünschenswerte Beseitigung der einen Marktstörung kann also nur dann ihre volle positive Wirkung entfalten, wenn andere Verzerrungen nicht weiterhin aufrechterhalten werden. Darüber binaus ist auch darauf zu achten, daß die Diskriminierung zu Lasten der Landwirtschaft nicht verkehrt wird in eine aktive Diskriminierung zugunsten derselben, da sonst die Ausweitung des Angebots zwangsläufig mit einer Überintensivierung bzw. der zusätzlichen Nutzung vorher nicht landwirtschaftlich genutzter Gebiete einhergeht. Dasselbe Dilemma besteht auch bei anderen armutsrelevanten Instrumenten, in erster Linie der Infrastrukturpolitik. Diese ist kritisch zur Erhöhung der Produktivität, zur Verbesserung der Vermarktung und Verminderung der Transportverluste. Darüber hinaus sind andere Faktoren wie sanitäre Anlagen, Zugang zu Inputs, Krediten und Gesundheitsvorsorge sowie die allgemeine Lebensqualität mit dem Ausbau der Infrastruktur (Märkte, Verkehrs- und Kommunikationsnetze sowie Energie- und Wasserversorgung) verbunden. Allerdings bedeuten diese Investitionen in der Regel erhebliche Eingriffe in die natürliche Umgebung. Diese sind zum einen direkter Art, etwa durch Straßen-
115 Vgl. Amelung/Dieh/(1992), S. 88fund Repeno (1989), S. 71. Nach Anderson (1992c) ist Intensivierung und nicht die Ausweitung der genutzten Fläche die dominierende Reaktion auf eine Agrarpreissteiggerong (S. 165). 116
Vgl. Repetto (1989), S. 73-80 und Waiford (1989), S. 14f.
6.3. Analyse umweltrelevanter Auswirkungen nationaler Wirtschaftspolitik:
207
bau, Bau von Staudämmen, Kraftwerken und Veränderungen im Dorfbild. Wichtiger noch sind aber die Folgeeffekte durch die Öffnung bislang schwer zugänglicher Gebiete. Es besteht die Gefahr, daß durch den vereinfachten Zugang zu denselben diese vermehrt genutzt und möglicherweise geschädigt werden. So hat der Bau der Transamazonas-Straße den Zugang zum Regenwald für illegale Bauern, Goldsucher, Viehzüchter und Holzfäller erst ermöglicht. Der Bau von Wasserkraftwerken in bislang ungenutzten Urwaldgebieten zieht ebenfalls den Aufbau vor allem energieintensiver Industrie nach sich, wobei diese oftmals generell eine hohe Umweltbelastung aufweist. 117 Wir können hieraus eine wichtige Lehre ziehen: Aufgrund der potentiellen umweltschädlichen Wirkung der Landwirtschaft - nach Amelung und Diehl beträgt der Anteil der Landwirtschaft an der Regenwaldvernichtung in den Tropen zwischen 80 und 100% 118 - muß bei der Auswahl von Instrumenten zu ihrer Förderung strengstens darauf geachtet werden, daß es zu einer Erhöhung der Produktivität und zur Verbesserung der Einkommenssituation der Bauern, nicht aber zu einer bloßen Ausweitung der Aktivität im ländlichen Raum kommt, die nicht auf nachhaltigem Wirtschaften beruht. Die jeweilige Aktivität, sei es Ackerbau, Viehzucht oder Forstwirtschaft, muß also die jeweiligen Umweltkosten miteinbeziehen. Auch hier gilt wieder die Forderung, nach den eigentlichen Ursachen der Probleme - nicht nur deren Begleiterscheinungen zu suchen und diese gezielt zu bekämpfen. Allgemeine Anreize zur Förderung der wirtschaftlichen Aktivitäten im ländlichen Raum werden bei bestehenden Marktunvollkommenheiten stets zur Übernutzung von Umweltkapital führen, solange sie nicht genau auf die Korrektur dieser externen Effekte abzielen, wie wir bereits bezüglich der Wirkung entsprechender Subventionen auf die Regenwaldvemichtung konstatiert haben (vgl. Kap. 6.3.2.2). Unter Bevölkerungsdruck ist eine Entscheidung unvermeidlich, die aus ökologischen Gründen schwer zu treffen ist: Ist es besser, Umweltschäden zu konzentrieren oder sie zu streuen? Ist es angebracht, auf einem Teil des Staatsgebietes erhebliche Umweltschäden zu erzeugen, andere aber dafür unberührt und unbelastet zu lassen, oder ist es sinnvoller, alle Gebiete gleichmäßig "ein wenig" zu schädigen, allerdings keine ökologisch unversehrten Gebiete zu haben? Eine ökologisch unproblematische Lösung existiert hier nicht. Gesucht ist lediglich das kleinere Übel. 117 Vgl. Ame/ung/Dieh/(1992), S. 115. Die Autoren weisen aber auch daraufhin, daß der Bau von Wasserkraftwerken in Waldgebieten nicht unbedingt eine Erhöhung der Abholzung bzw. Verschärfung der Umweltprobleme implizieren muß, wenn diese Energiequelle die vormals einzige und wesentlich umweltschädlichere Alternative - Brennholz bzw. Holzkohle - ersetzt. 118 Vgl. Amelung/Dieh/(1992), S. 117-120. Oftmals wurde der unzugängliche und für Kleinbauern schwer zu durchdringende Regenwald jedoch durch vorangegangene forstwirtschaftliche Eingriffe "geöffnet".
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6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
6.3.2.9. Grad der weltwirtschaftliehen Verflechtung
6.3.2.9.1. Grundsätzliches zur Umweltwirkung internationaler Wirtschaftsbeziehungen Eine wichtige Determinante der Wirtschaftsstruktur eines Entwicklungslandes ist das Ausmaß der Einbindung in die Weltwirtschaft, die a) die Handelsströme selbst, also Import- und Exportaktivitäten, b) internationalen Kapitaltransfer und damit das Ausmaß an ausländischen Direktinvestitionen und Auslandshilfe119 und c) die internationale Arbeitskräftewanderung umfaßt. 120 Insofern bei c) Arbeitskräfte"import" in Form von qualifizierten Fachkräften stattfindet, können wir dies unter b) subsumieren, während der "Export" des Faktors Arbeit in Form von Gastarbeitern einerseits und qualifizierten Kräften (brain drain) andererseits entscheidend von den gesetzlichen Einwanderungsbestimmungen anderer Länder abhängt. Wir deuten deshalb diesen Aspekt hier nur an und werden ihn bei der Analyse externer Einflüsse (Kap. 6.4.1) nochmals betrachten. Das Ausmaß der Einbindung in die Weltwirtschaft wird in starkem Maße von wirtschaftspolitischen Maßnahmen determiniert: Zölle, nicbttaritäre Handelshemmnisse und Protektion der heimischen Wirtschaft sowie import- und exportfördernde Maßnahmen wie erleichterter Zugang zu Finanzierung und Marketingunterstützung bestimmen die Aufteilung der Produktion für den heimischen und ausländischen Markt, also den Umfang der Exporte und Importe. Die Rolle ausländischer Direktinvestitionen und der ausländischen Kapitalaufnahme wird von der staatlichen Gestaltung der Anreizpolitik bzw. der Regulierung des Zugangs und von der Schuldenpolitik des Landes geprägt. Wir betrachten nun, wie a) der Grad der Außenhandelsverflechtung und b) verschiedene Formen von Kapitalimporten aus Umweltsicht zu beurteilen sind. Dies ist nötig, da von seiten zahlreicher Umweltorganisationen und Autoren direkt oder indirekt der Vorwurf erhoben wurde, daß internationaler Handel Ursache von Umweltproblemen in Entwicklungsländern sei. 121 Träfe diese 119 Wir richten unser Augenmerk hier also auf Kapitalimporte, nicht Kapitalexporte, die die zweite Komponente des internationalen Kapitaltransfers darstellen: Der Fall der Direktinvestitionen des Entwicklungslandes im Ausland wird indirekt berücksichtigt, wenn wir von den Vorteilen ausländischer Direktinvestitionen tür den Investor sprechen. Die negativen Effekte des für konsumlive Zwecke verwendeten Kapitelexports (Kapitalflucht) haben wir bereits betrachtet, wollen diese also an dieser Stelle nicht mehr wiederholen.
120 Vgl. Wagner (1991), S. 1. 121 Beispieletür eine weltmarktfeindliche Haltung sind Mayer-Tasch (1987), Shrybman (1992), Karten (1992) und Trainer (1990), der fordert "maximise independence from the global economy" (S. 284).
6.3. Analyse umweltrelevanter Auswirkungen nationaler Wirtschaftspolitik
209
Behauptung zu, so müßte die die weltwirtschaftliehen Beziehungen beeinflussende Wirtschaftspolitik eines Landes in einem anderen Licht gesehen werden. Nach der Theorie des internationalen Handels, insbesondere dem HeckscherOhlin-Theorem, produzieren und exportieren Länder "jene Güter ... , bei deren Erzeugung der relativ reichlich vorhandene Produktionsfaktor intensiv genutzt wird. " 122 Ein Faktor ist dabei reichlich vorhanden, wenn eine Volkswirtschaft darin einen komparativen Kostenvorteil aufweist. Die Attraktivität wirtschaftlicher Aktivitäten, die die Umwelt intensiv nutzen, also im umgangssprachlichen Sinne "schmutzig" sind, beruht demnach auf komparativen Kostenvorteilen bezüglich der Nutzung des Faktors Umwelt. Im Einklang mit der Theorie des internationalen Handels würde dies zur optimalen Allokation der Ressourcen fiihren und die Wohlfahrt mehren. Die Ausweitung der Produktion umweltintensiver Güter für Exportzwecke bzw. die Ansiedlung eines umweltverschmutzenden oder ressourcenintensiven ausländischen Unternehmens in einem Land ist also nicht negativ, sondern positiv zu bewerten, solange die komparativen Kostenvorteile des Gastlandes "echte" Kostenvorteile sind, der Faktor Umwelt also tatsächlich relativ reichlich vorhanden ist. Auf dieser Annahme basiert das interne Memo des damaligen Chefökonomen der Weltbank Lawrence Summers, mit dem er Anfang 1992, durch die Veröffentlichung des an die Presse durchgesickerten Textes im Economist, erheblichen internationalen Aufruhr verursachte. Unter der Frage "Just between you and me, shouldn't the World Bank be encouraging more migration of the dirty industries to the LDCs?" 123 führt Summers drei Argumente aus: 1. die geringeren Opportunitätskosten der Umweltverschmutzung in Form von Einkommensverlusten im Falle von Niedrigeinkommensländern, 2. die Unternutzung der Umwelt, etwa der Assimilationskapazität von Luft und der Aufnahmefähigkeit für Abfall, in unterbesiedelten Gebieten der Dritten Welt, die bei Nichtlinearität der Verschmutzungskosten, also der geringeren marginalen Kosten einer anfänglichen Umweltverschmutzung, ineffizient ist und 3. die hohe Einkommenselastizitätder Nachfrage nach Umwelt aus ästhetischen und Gesundheitsgründen. Auch wenn man moralische Einwände vor allem gegenüber der in 1. geäußerten impliziten Annahme hegen kann, daß der Wert eines Lebens nur an seinem Einkommen gemessen wird, das Leben eines Armen also wegen seines geringen Beitrags zum Sozialprodukt geringer zu schätzen ist, entspricht Summers Argumentation ökonomisch rationalen Überlegungen. Allerdings kann man der daraus abgeleiteten Empfehlung nur dann zustimmen, wenn alle Nutzen und Kosten vollständig in die Bestimmung der kom-
122 Neumann (1982a), S. 273. l23 O.V. (1992c), S. 62 (Abdruck des Memos von Lawrence Summers im Economist). 14 Stengel
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6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
parativen Kostendifferenzen eingehen. Eine Erweiterung des Exports umweltintensiver Produktion bzw. die Verlagerung umweltintensiver Industrien in Entwicklungsländer kann also durchaus auch in unserem Sinne nachhaltig sein, wenn tatsächlich reichlich Wasser, Holz oder braches Land zur Verfügung stehen und die Aufnahmefähigkeit der Umweltmedien für Abfallstoffe noch unausgeschöpft ist, eine Nutzung also keine unverantwortbaren Umweltschäden mit sich bringt. Gegen die Produktion dieser Güter für den Export und die Ansiedlung von ausländischen Unternehmen wäre also aus ökologischer Sicht auch dann nichts einzuwenden, wenn diese den Faktor Umwelt relativ intensiv nutzten. Im Gegenteil könnte man behaupten, dies ist im wesentlichen Summers' zweites Argument, daß eine Produktion in einer anderen Region höhere Umweltbelastung nach sich gezogen hätte, also durch die Verlagerung in Entwicklungsländer global eine Entlastung der Umwelt erfolgt. Internationaler Handel reduziert also dann die globale Umweltintensität, wenn die Allokation aufgrundtatsächlicher komparativer Kostenvorteile erfolgt, da eine die Umwelt intensiv nutzende Produktion in denjenigen Gebieten erfolgt, in denen die Grenzschäden am geringsten sind. Ist Umwelt aus betriebswirtschaftlicher Sicht allerdings nur deshalb reichlich und damit billig, weil bestehende Externalitäten auf die Gesellschaft abgewälzt werden können, würden internationale Handelsströme mit ineffizienter Allokation bei hohen Umweltschäden verbunden sein. Wir haben in dieser Arbeit bereits ausführlich dargestellt, weshalb der Faktor Umwelt in Entwicklungsländern unterschätzt wird. Zu untersuchen ist im folgenden die Frage, ob das Ausmaß der dabei entstehenden Umweltexternalitäten mit steigendem Grad der weltwirtschaftliehen Verflechtung zunimmt oder nicht. Während Teile der Umweltliteratur aus der Aufzählung von Einzelbeispielen, in denen internationale Verflechtung mit negativen externen Effekten verbunden ist, auf eine generell negative Rolle derselben schließen, wollen wir prüfen, ob dies einem Vergleich mit der jeweiligen Alternative- Binnenmarktorientierung, Importsubstitution, Verzicht auf ausländische Investitionen und Kapital - standhält. Tut es dies nicht, so wäre dies ein Indiz dafür, daß im Falle negativer Begleiterscheinungen der internationalen Beziehungen letztere weniger Ursache als vielmehr Überträger anderweitig verursachter Verzerrungen sind. 6.3.2.9.2. Grad der Außenhandelsverflechtung Zwar gilt in der Grundtendenz, daß eine intensive Exporttätigkeit als Indikator für einen höheren Grad der Außenhandelsverflechtung auch relativ hohe Importe impliziert, allerdings kann dies vor allem vorübergehend durch eine einseitige Ausrichtung, etwa die Kombination von Exportförderung mit Importsubstitution, außer Kraft gesetzt werden. Im allgemeinen und auf lange Sicht
6.3. Analyse umweltrelevanter Auswirkungen nationaler Wirtschaftspolitik
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erfordert aber ein starker Exportsektor auch Offenheit gegenüber Importen aufgrund des Drucks der Handelspartner und da der Exportsektor oftmals Produktionsfaktoren benötigt, die importiert werden müssen, wie Maschinen, technisches K.now-how, aber auch ausländische Fachkräfte. Darüber hinaus ermöglichen die Deviseneinnahmen aus dem Export auch die Bezahlung der Importe ohne Gefährdung der Zahlungsbilanz, während die Konzentration auf den Binnenmarkt aufgrund der fehlenden Deviseneinnahmen in der Regel auch nur ein geringes Importvolumen erlaubt. Umgekehrt erfordert ein hohes Maß an Importen langfristig ein entsprechend hohes Exportvolumen, um einen zu starken Bedarf an Nettokapitalzuflüssen zu verhindern. Wir können deshalb im großen und ganzen den Grad der Außenbeziehung als Determinante der Wirtschaftsstruktur nehmen und beide Ausprägungen, das Ausmaß der Exporte wie das Ausmaß der Importe, darunter subsumieren. Die Frage, ob Export- oder Binnenmarktproduktion (bzw. eine Importsubstitutionsstrategie) der Umwelt zuträglicher ist, hängt davon ab, a) welcher Sektor arbeits- oder kapitalintensiver sowie ressourcen- und energieintensiver produziert, b) ob die umweltrelevanten Externalitäten durch die Produktion oder den Konsum des Produkts erzeugt werden und c) ob die Umweltschädigung (also nicht vollständig internalisierte Umweltnutzung) im Inland oder Ausland größer ist. Bezüglich aller drei Punkte können keine generalisierenden Aussagen zugunsten oder zu Lasten der Außenorientierung (Export- und Importneigung) oder der Binnenmarktorientierung an sich getroffen werden. Gerade zu Beginn der Entwicklung besteht der überwiegende Teil der Exporte aus sogenannten "cash crops" wie Kaffee, Bananen, Tabak, Zucker bzw. aus Rohstoffen wie Öl oder Erze, Zinn, Bauxit, Uran. All diese Güter sind zunächst unmittelbar ressourcenorientiert. Sie beruhen auf der Nutzung knapper Umweltgüter wie Böden und Wasser bzw. Wald, den sie ersetzen. Während die Umweltschädigung bei Bodenschätzenaufgrund der Erschöpfliehkeil von Rohstoffen und des zu seiner Extraktion nötigen Eingriffs unvermeidlich ist, kann bei landwirtschaftlicher Produktion erst dann von einer Umweltunverträglichkeit gesprochen werden, wenn aufgrund der Intensität oder der Art des Anbaus natürliche Grenzen der Nachhaltigkeil überschritten werden. Zudem sind erstgenannte Ressourcen eher arbeitsintensiv in der Produktion, während Rohstoffe kapitalintensiv abgebaut werden und mit energieintensiver Folgeproduktion verbunden sind. Industrielle Exporte hingegen können sowohl kapitalintensiver als auch arbeitsintensiver Art sein und im Grad der Energie- und Ressourcennutzung erheblich differieren. Es kann alsoapriorikeine "typische" Struktur der Exportwirtschaft bezüglich des Ausmaßes der Umweltnutzung festgestellt werden. Allerdings können wir vermuten, daß mit höherer Einbindung in den internationalen Handel der Anteil der unmittelbar ressourcenbezogenen Exporte an den Gesamtexporten zurückgeht.
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6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
Zudem müssen wir den Exportsektor mit der Alternative, einer Produktion für den Binnenmarkt und dem Fehlen der durch Exporte erlösten Devisen, vergleichen. Wird der fehlende Export nicht durch eine stärkere Bedienung des Binnenmarktes kompensiert, so geht das Gesamtvolumen und dadurch das Wachstum zurück, mit entsprechender negativer Implikation für Beschäftigung, Armut und Staatshaushalt. Wird die Produktion für den Binnenmarkt verstärkt, so hängt die Umweltwirkung davon ab, ob sich die für den Binnenmarkt produzierten Güter wesentlich von den Exportgütern unterscheiden. Was wird hergestellt, wenn statt für den Export für die Binnenwirtschaft produziert wird? Im Bereich der Landwirtschaft ist diese Frage noch am ehesten zu beantworten: Es kann angenommen werden, daß statt Primärerzeugnissen fiir den Export Nahrungsmittel für die einheimische Bevölkerung angebaut werden. Auf dieser unterstellten Substitution basiert ein Argument der Außenhandelsgegner, da ihnen zufolge handelbare Exportproduktion ("cash crops") Ressourcen in Form von Land und Wasser bindet, die sonst zur Verbesserung der Ernährung, einem der Schlüsselfaktoren zur Armutsbeseitigung, zur Verfügung stünden und Subsistenzbauern so in marginale Gebiete drängt und ökologisch unverträgliche Bewirtschaftung impliziert. 124 Dagegen kann aber eingewandt werden, daß dieser negative Effekt dann nicht zustande kommt, wenn aufgrund der Deviseneinnahmen der Exportwirtschaft ausreichend Nahrungsmittel erworben werden können und durch entstehende Überschüsse weitere armutsmildemde bzw. produktivitätserhöhende Ausgaben möglich sind. Ein weiteres, gewichtiges Gegenargument folgt aus der Betrachtung ökologischer Charakteristika typischer Exporte. So weisen die meisten Exportprodukte aufgrundihrer Eigenschaft als Baum- bzw. Strauchfrüchte (etwa Tee, Kakao, Kaffee, Gummi, Palmöl, Bananen, Kokosprodukte wie Kopra) bis auf wenige Ausnahmen (Baumwolle, Erdnüsse, Cassava) gegenüber "food crops" wie Mais, Yams, Hirse oder Reis eine deutlich bessere ökologische Verträglichkeit auf: Sie haben bessere Eigenschaften in bezug auf Bodenqualität und Erosionsanfälligkeit, in erster Linie, da die Erde zu keiner Zeit bloß liegt, aber auch, weil sie eine völlige Rodung des Waldesaufgrund des dann sinkenden Grundwasserspiegels nicht tolerieren können. Überdies gedeihen sie oftmals besser im Schatten größerer Bäume, wobei dies sowohl die negativen Wirkungen der Elemente Wind, Hagel, Hitze oder Regen reduziert, die Erosion vermindert und die Ausbreitung von Krankheiten und Schädlingen verringert. 125 Zudem
124 Vgl. Goldsmith I Bildyard (1992), S. 35f, Messerli u.a. (1987), S. 30 und Myers (1986), S. 296ft". 125 Vgl. Repetto (1989), S. 72, Evans (1982), S. 356tTundAmelung/Diehl (1992), S. 87f. Neue Erkenntnisse relativieren sogar die Umwelteffekte der bislang (aufgrund des hohen Pestizidverbrauchs) kritisch gesehenen Baumwolle. Demnach stellen Baumwollfelder einen äußerst effektiven Ozonfilter dar, ohne daß die Pflanzen dadurch geschädigt würden. Vgl. o.V. (1994k), S. NI.
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eignen sie sich zur Anwendung neuer, ökologisch vielversprechender Mischanbauformen, etwa "intercropping" oder Agroforstwirtschaft, die zur Grundversorgung der Bauern beitragen können, die Abhängigkeit von einem Produkt vermindern, ökologische Vorteile bringen und den Beschäftigungseffekt der Exportwirtschaft, der meist geringer ist als bei food crops, deutlich verbessern können. 126 Ein weiteres Beurteilungskriterium ist der Einsatz bzw. die Gefahr des Übereinsatzes von Pestiziden bzw. Dünger. Auch hier gibt es Anhaltspunkte, die dafür sprechen, daß im Durchschnitt Exporterzeugnisse weniger belastend sind als food crops. Besonders hoch ist nämlich der Einsatz von Pestiziden und Düngern bei niedrigwachsenden und jährlich bzw. mehrmals pro Jahr geernteten, vor allem für den heimischen Markt gedachten Agrarprodukten wie Reis, Mais und insbesondere Gemüse. Hier mag zwar die Arbeitsintensität hoch sein, diese ist aber zugleich verbunden mit einer intensiven Bewirtschaftung, Behandlung und Störung des Bodens. Der Pestizideinsatz gerade vor Ernten führt dabei nicht nur zu einer Gefährdung des Wassers, sondern zugleich zu einer unmittelbaren Gesundheitsgefährdung bei der Nahrungsaufnahme. Dagegen ist vor allem der Pestizideinsatz bei Baumfrüchten gering. Zuletzt ist als weiteres Argument zugunsten von "export crops" festzustellen, daß einige dieser Produkte, wie Tee und Baumwolle, auf Land gedeihen, das zum Anbau von Grundnahrungsmitteln ungeeignet ist, bei Tee aufgrund der Hanglage, bei Baumwolle aufgrund der Aridität. Hier wird also marginales Gebiet produktiv genutzt, das sonst ungenutzt bliebe. Die grundsätzliche Nachhaltigkeil derartiger Anbauweisen zeigt sich insbesondere bei Tee, der in Sri Lanka seit langem -bestimmte Teepflanzen sind über 100 Jahre alt- gedeiht. 127 Auch für den industriellen Bereich kann die These von der generell höheren Kapital- und Umweltintensität der Exportwirtschaft nicht bestätigt werden. Gerade in der Anfangszeit beruhen die nicht landwirtschaftlichen Exporte auf arbeitsintensiver Produktion, etwa Textilien, später dem Zusammenbau von elektrischen und elektronischen Komponenten. Da eine auf den Binnenmarkt beschränkte Volkswirtschaft weder die Devisen noch die Absicht hat, Kapitalgüter zu importieren, hat dies, etwa bei einer Strategie der Importsubstitution, eher die Schwerpunktverlagerung in Richtung kapitalintensiver Produktion, insbesondere der Schwerindustrie zur Folge. Für diese Entwicklung gibt es deutliebe empirische Belege, sowohl aus den abgeschotteten früheren sozialistischen Staaten als auch aus den Entwicklungsländern, die Importsubstitution
126 Vgl. Aaian Development Bank (1990), S.
SS.
127 Die Argumente zur ökologischen Bewertung verschiedener Pflanzen, insbesondere ihrem
Pestizid- und Düngerbedarf, verdanke ich mehreren persönlichen Gesprächen mit dem DiplomAgronomen Gregg T. Baynon, Rohm & Haas, Singapore im Oktober/November 1993.
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6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
betrieben. Empirische Studien zeigen, daß im Durchschnitt eine Strategie der Exportförderung gegenüber Importsubstitution deutlich höhere Beschäftigung pro Wertschöpfungseinheit bewirkt, insbesondere durch den hohen Bedarf an ungelernter Arbeitskraft, die in Entwicklungsländern reichlich vorhanden ist. 128 Lediglich in bezug auf den auf der Ausbeutung von Rohstoffen beruhenden Exportsektor müssen wir neben dem aus der Kapitalintensität resultierenden geringen Beschäftigungseffekt auch von einem direkten negativen Umwelteffekt ausgehen, wenn unterstellt wird, daß ohne Export die Ausbeutung der Ressourcen aufgrund fehlenden heimischen Bedarfs nicht in derselben Höhe vollzogen würde. Als letztes wichtiges Argument für mögliche Pluspunkte der Exportsektoren muß die allgemein höhere Effizienz des Sektors und der Wirtschaft an sich angeführt werden. Exportorientierung zwingt zu höheren Standards, auch in bezugauf den Umweltschutz, unterliegt schärferer Kontrolle der Kunden sowie des Staates, steht in ständigem internationalen Wettbewerb, während eine abgeschlossene, binnenorientierte Wirtschaft ineffiziente und damit Ressourcen im Übermaß verzehrende Produktion fördert. Das reichliche Vorhandensein eines Rohstoffs führt eher zu seiner verschwenderischen Nutzung auf dem Binnenmarkt (siehe Ölverbrauch in den Erzeugerländern oder der Holzverbrauch in Regenwaldländern), wogegen das Bewußtsein, ihn gewinnbringend exportieren zu können, effizienzfördernde Verwendungskonkurrenz verursacht. Zudem ist eine Wirtschaft mit allgemeiner Exportorientierung breiter angelegt, ist also weniger abhängig vom Export einiger weniger Rohstoffe und deshalb seltener darauf angewiesen, diese um jeden Preis auszubeuten. Der Diversität des Exportsektors kommt deshalb insgesamt bei der Bewertung desselben eine nicht unerhebliche Rolle zu. Als weiteren Punkt (b) müssen wir hinterfragen, ob die umweltschädigenden Externalitäten durch die Produktion oder den Konsum zustande kommen. Ist bei einem Gut ersteres der Fall, so trifft die Umweltbelastung das Herstellerland in vollem Umfang. Wird das Produkt im Inland hergestellt, so wirkt die Umweltbelastung unabhängig davon, ob das Gut exportiert wird oder für den beimischen Gebrauch bestimmt ist. Allerdings ließe sieb durch eine höhere Importneigung bei solchen Gütern die Belastung vermindern, während eine Exportorientierung im Vergleich zur Alternativstrategie Binnenmarktorientierung dann zu höherer Umweltnutzung führt, wenn das Gesamtvolumen bei ersterer größer ist.
l2S Vgl. Bhogwoti (1986), S. 96 und Verbruggen (1987), S. 190f, 241,423-434. Die Förderung der von echter Nachfrage abgekoppelten und umweltschädlichen Schwerindustrie wird in der Literatur auch als klassische sowjetische Krankheit bezeichnet. Vgl. Swedish Ministry (1992), S.
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6.3. Analyse umweltrelevanter Auswirkungen nationaler Wirtschaftspolitik
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Im zweiten Fallliegt die Umweltbelastung im Exportfall auf dem importierenden Land, der Export des Gutes ist also allein aus Sicht der heimischen Umwelt extrem "umweltfreundlich". Dasselbe Gut wäre allerdings bei der Produktion für den heimischen Markt bzw. einem Import entsprechend "umweltschädlich". Die Bewertung ist dabei auch davon abhängig, ob die Umweltschädigung lokal, regional oder international anfällt, in welchem Maße also Spillover-Effekte auftreten. Zuletzt ist noch einzubeziehen, ob die Umweltbelastung eines bestimmten Gutes bei Herstellung im Inland oder Ausland höher ist (c). Importsubstitution, also lokale Herstellung statt Importen, kann zu einer höheren Umweltbelastung des Inlands führen, wenn das Gut umweltbelastend im Verbrauch ist und im Ausland mit höherer Qualität, also geringerer späterer Umweltbelastung, hergestellt wird. Selbst wenn die Umweltschädigung nicht mit dem Verbrauch, sondern mit der Produktion verbunden und ausschließlich globaler Art ist, also unabhängig vom Produktionsstandort wirkt, kann eine Eigenerstellung dann zu höherer Umweltbelastung des Inlandes führen, wenn die Umweltintensität der Produktion im Inland höher ist als im Ausland. Gerade in Entwicklungsländern ist anzunehmen, daß die aus den Industrieländern importierten (Kapital-)Güter eine geringere Umweltintensität- in Verbrauch und Produktion -aufweisen, als wenn Entwicklungsländer diese selbst herstellen, bzw. daß umweltfreundliche Technologieaufgrund mangelnden Know-hows nicht vorhanden ist. So weisen westliche Kraftwerke einen besseren Wirkungsgrad auf, sind also umweltschonender im Einsatz; Solarzellen, Rückhalteeinrichtungen und andere moderne Umwelttechnologie stehen in Entwicklungsländern gar nicht zur Verfügung; in Entwicklungsländern hergestellte Pestizide sind zum Teil erheblich toxischer und unberechenbarer als Produkte aus lndustrieländern. 129 Die höheren Qualitätsstandards industrialisierter Länder kommen also auch den importierenden Ländern zugute. Wir werden auf diesen Punkt bei der Beurteilung ausländischer Unternehmen gegenüber heimischen Unternehmen zurückkommen. Der letztgenannte Punkt ist nicht nur hinsichtlich anspruchsvoller Technologie relevant, sondern kann dahin gehend verallgemeinert werden, daß eine Beschränkung der lmportierbarkeit von Gütern die Wahl möglicher umweltverträglicherer Substitutionsgüter limitiert. Dies trifft etwa auf Brennmaterial zu, wenn durch Importverbote oder -hemmnisse gegenüber Öl oder Gas auf heimische Kohle oder Brennholz zurückgegriffen wird. Insgesamt kann bei dem Vergleich von Exportwirtschaft, Importneigung und Binnenorientierung nicht a priori festgestellt werden, wie eine Verzerrung der Preise, die zwischen diesen Charakteristiken diskriminiert, gerade bei bestehen-
129 Vgl. persönliche Gespräche mit Gregg T. Baynon.
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6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
den Externalitäten auf die Umwelt wirkt. Es spricht aber einiges für die These, daß eine Verzerrung zu Lasten der Außenhandelsverflechtung und zugunsten der Binnenorientierung im Durchschnitt größeren Schaden anrichtet als eine marktinkonforme Verzerrung zugunsten von Exporten/Importen und zu Lasten der Binnenorientierung. Wie bei anderen Komponenten der Wirtschaftsstruktur wäre jedoch ein Verzicht des Staates auf jede Form manipulierenden Eingriffs die beste Lösung, sofern es sich nicht nur um Korrektur bestehender Externalitäten handelt. Da ein höherer Grad an Außenhandelsverflechtung im Falle knappheitsgerechter Allokation eindeutig zur Verminderung der Umweltintensität der gesamten Wirtschaft führt, liegt es nahe, daß diese positiven Effekte auch bei unvollkommener Allokation zumindest teilweise zur Geltung kommen und dabei zudem im Vergleich zu einer Binnenmarktorientierung erhebliche Potentiale für die Nutzung umweltverträglicher Wirtschaftsweisen vorliegen. 6.3.2.9.3. Umfang ausländischer Direktinvestitionen Da in weiten Teilen der Umweltliteratur die Rolle ausländischer Unternehmen, insbesondere der sogenannten Multinationalen Unternehmen (Multis) in Entwicklungsländern kritisch betrachtet wird130, muß dieser Aspekt genauer hinterfragt werden. Die Standortwahl eines Unternehmens unterliegt dem Prinzip der Gewinnmaximierung, fordert also die Wahl des Ortes, "an dem ceteris paribus die Differenz zwischen standortbedingten Erträgen und standortabhängigen Aufwendungen die größtmögliche ist. "131 Standortabhängige Faktoren umfassen dabei etwa Lohn-, Kapital- und Transportkosten, Verfügbarkeil und Preis von Roh- und Betriebsstoffen sowie Land, Mieten, Agglomerationseffekte, Abgabenbelastung und Absatzmöglichkeiten. Letztere können auf den Export sowohl in das Heimatland des ausländischen Investors als auch in Drittmärkte abstellen oder auf die Durchdringung des jeweiligen Binnenmarktes abzielen, also auf den Bedarf des Gastlandes ausgerichtet sein - eine Unterscheidung, die nicht unerheblich ffir unsere Untersuchung ist. Die Attraktivität eines Standortes wird in erheblichem Maße von staatlicher Wirtschaftspolitik mitbestimmt, etwa der Lohnpolitik, Infrastrukturpolitik, vor allem aber der vergünstigten Bereitstellung entscheidungsrelevanter Produktionsfaktoren und steuerpolitischen Anreizen. Einige Entwicklungsländer, vor allem die Asiens, haben diese Instrumente genutzt, um ausländische Investoren
130 Vgl. Dauth (1989), S. 53-69, Die GRÜNEN (1990), Mayer·Tasch (1987), S. 64-68 und die verschiedenen Beiträge in Pearson (1987). 131 Wöhe (1984), S. 380.
6.3. Analyse umweltrelevanter Auswirkungen nationaler Wirtschaftspolitik
217
anzulocken, insbesondere wenn diese für Exportmärkte produzieren, also nicht auf die Penetration des heimischen Marktes gerichtet sind. Andere wiederum, etwa Indien und zahlreiche lateinamerikanische Staaten, haben das Ausmaß ausländischer Eigentümerschaft und Unternehmerfreiheit durch Local-contentRegeln oder direkte prozentmäßige Festlegung einheimischer Eigentümerschaft beschränkt und ausländische Direktinvestition dadurch verhindert. Aus Sicht der Umwelt wurde die Kritik erhoben, Entwicklungsländer dienten nicht nur als Steueroasen, sondern zunehmend als "pollution-haven • für umweltschädliche Produktionen der lndustrieländer. Daraus wurde gefolgert, ein hoher Anteil ausländischer Unternehmen sei Indikator für die Erzeugung umweltschädlicher Externalitäten und daher negativ zu beurteilen. Aufgrund der Unterschätzung der Kosten der Aufzehrung von Umweltkapital in Entwicklungsländern muß davon ausgegangen werden, daß ein überwiegender Teil der ausländischen Firmen, die sich aufgrundder hohen Verschmutzungsintensität ihrer Produktion im Gastland ansiedeln, vor allem aufgrund volkswirtschaftlicher Externalitäten einen Kostenvorteil haben. Bedeutet dies nun, daß in der Entwicklungspraxis die Ansiedlung ausländischer Unternehmen abzulehnen ist? Dies wäre nur dann der Fall, wenn ausländische Direktinvestitionen generell umweltintensiver wären als heimische, also a) überproportional schmutzige Industrien angelockt werden und/oder b) die inländische Konkurrenz geringere Umweltintensität aufweist. In seiner ausführlichen Studie über die Bedeutung der Umwelt als Wettbewerbsfaktor im internationalen Handel kommt Leonard zu dem Schluß, "that the environment probably has not been and will not become an important factor in determining the distribution of overall international comparative advantage in industrial production, even in the industrial sectors most profoundly affected by stringent environmental controls. There is no evidence that the industrial-flight hypothesis is valid in any but a very narrow range of industries" 132 •
Die Fähigkeit zur ungehinderten Umweltverschmutzung scheint also nur in Ausnahmefällen der entscheidende Grund für eine An- bzw. Umsiedlung des Unternehmens zu sein. Der These, daß überproportional schmutzige Industrien angelockt werden, muß also widersprochen werden. Dies schließt nicht aus, daß ausländische Unternehmen die ihnen gebotenen Kostenerleichterungen in Form subventionierter Umweltnutzung wahrnehmen, bereits vorhandene Verzerrungen also einen Mitnahmeeffekt auslösen, der zu Umweltexternalitäten führt. Die Ansiedlung ausländischer Unternehmen kann also trotzdem aufgrund
132 Leonard (1988), S. 117. Die geringe Bedeutung von aktuellen bzw. erwarteten Umweltschutzkosten bei der internationalen Standortentscheidung wird auch von Walter (1975), S. 132ff, SpriJsser (1988), S. 264, 272f, ESCAP (1988), S. 10fund World Bank (1992), S. 67 bestätigt.
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6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
externer Effekte zu einem gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtsverlust für das Gastland führen. Diese These kann aber in dieser Deutlichkeit nur so stehenbleiben, wenn die Nichtansiedlung dieser Unternehmen keine darüber hinausgehenden negativen Externalitäten implizieren würde. Hier ist zum einen der gesamtwirtschaftliche Nutzen samt Spinn-off-Effekten ausländischer Investition - Steuereinnahmen, Beschäftigung, Technologietransfer- und damit die Wirkung fehlender Auslandsunternehmen auf Wachstum und Armutsbeseitigung zu bedenken, zum anderen ist zu überlegen, welche Umweltschäden durch die einheimische Konkurrenz induziert würden. Die Nichtansiedlung eines ausländischen Betriebs bedeutet ja noch nicht, daß die unterbewerteten Umweltfaktoren nicht doch durch ein lokales Unternehmen ausgebeutet werden. Diente das ausländische Engagement im Entwicklungsland der Versorgung des lokalen Marktes, so muß angenommen werden,·daß dieser Markt nun von einheimischen Betrieben bedient wird. Auch bei Produktion für den Export, etwa bei Holz und Viehzucht, kann diese Rolle von einheimischen Unternehmen übernommen werden. Ist deren gesamtwirtschaftliche Produktivität geringer und ihre Umweltintensität höher als die ausländischer Unternehmen, so ist das Ergebnis aus ökonomischer und ökologischer Sicht inferior gegenüber der Situation mit ausländischer Beteiligung. Letztere wäre hier also das kleinere Übel, da sie zwar nach wie vor externe Effekte erzeugt, aber in geringerem Maße als im AlternativfalL In der Literatur wurde der Vergleich der Umweltintensität vergleichbarer Unternehmen verschiedener Nationalität bislang vernachlässigt. Was sich allerdings aus Studien, Einzelbeispielen und Gesprächen mit in Entwicklungsländern tätigen Vertretern der Wirtschaft ergibt, deutet darauf hin, daß ausländische Unternehmen in Entwicklungsländern zwar vor allem aufgrund mangelnder Internalisierung von Umweltkosten in der Gesellschaft Externalitäten verursachen und oftmals in verschmutzungsintensiven, da technisch anspruchsvollen Sektoren wie der chemischen Industrie tätig sind, ihren lokalen Konkurrenten aber hinsichtlich ihres Umgangs mit Umwelt überlegen sind. 133 Dies kann zum einen darauf zurückgeführt werden, daß ausländische Investoren in der Regel aus Ländern kommen, die ein höheres Entwicklungsniveau aufweisen, was mit längerer Erfahrung, besserer Technologie und höherer Produktivität verbunden ist. Wir hatten bereits festgestellt, daß die stärkere Berücksichtigung des Umweltschutzes, durch Entwicklung ungefiihrlicherer Substitute, effizienterer Anlagen und geringerer Toxizität von Produkten, in der Regel technisch anspruchsvoll und teuer ist und daher die Marktfiihrer-
133 Vgl. im folgenden die Ergebnisse umfangreicher Studien zu den Umwelteffekten transnationaler Unternehmen in ESCAP (1988), (1990) und Walter(l91S), S. 121-139, 168ft'. Entsprechende Bestätigung ergab sich in Gesprächen mit Vertretern v.a. der (petro-)chemischen Industrie.
6.3 . Analyse umweltrelevanter Auswirkungen nationaler Wirtschaftspolitik
219
schaftbezüglich umweltfreundlicher Alternativen bei Unternehmen aus Industrieländern liegt. Desweiteren können international tätige Unternehmen, in erster Linie die sog. Multis, Skalenerträge besser nutzen. Die Erfahrung und die Ergebnisse der ESCAP-Studien zeigen, daß Unternehmen aus entwickelten Ländern und besonders multinationale Unternehmen Standards ihrer Mutterunternehmen übernehmen und auch in Entwicklungsländern etablieren. Es ist erklärte Firmenpolitik zahlreicher Multis, daß ihre Fabrik in Indien nicht anders ausgestattet ist als in den USA oder Europa. Gerade in umweltintensiven Branchen haben sich die multinationalen Unternehmen zu verantwortlichem Umgang und z.T. über den lokalen gesetzlichen Vorschriften liegenden Standards verpflichtet, etwa im "Responsible Care"Programm der chemischen Industrie. 134 Eine Untersuchung von Allen bestätigt für asiatische Staaten, daß dort aktive Impulse des privaten Sektors zum Schutz der Umwelt in der Regel allenfalls von ausländischen Unternehmen, besonders solchen aus umweltintensiven Sektoren, wie der (petro)chemischen Industrie, kommen. 135 Mehrere Faktoren spielen bei diesen Managemententscheidungen eine Rolle: 1. Die in bisherigen Standorten gesammelten Erfahrungen, vor allem technischer, aber auch organisatorischer Art, können für neue Produktionsstätten genutzt werden, so daß die Vereinheitlichung der Produktionsweisen billiger ist als die standortspezifische Variation derselben. 136 2. Fabriken derselben Art sind leichter vergleichbar, so daß die weltweite Überprüfung der Leistung verschiedener Werke ermöglicht wird. 3. Internationale Unternehmen sind sich des Vorwurfs des Doppelstandards bewußt und wollen ihm aus Imagegründen entgegentreten. 137 Auch wenn "double standards" nach wie vor vorhanden sind, die Qualität der Tochterunternehmen in Entwicklungsländern also unter der der Mutterunternehmen liegt, etwa aufgrundunterschiedlicher Qualität der Arbeitskräfte, nicht vollständiger Kontrolle und Mentalitätsunterschieden, bestätigt sich, daß gerade Tochterunternehmen von multinationalen Unternehmen höhere Standards bezüglich Umwelt, aber auch bezüglich Arbeitsschutzmaßnahmen, Mitsprache und anderer Faktoren aufweisen. Im Vergleich zu lokalen Konkurrenten verfügen multinationale Unternehmen in der Regel sowohl über bessere Entsorgungseinrichtungen, eine explizite Umweltpolitik mit dafür verantwortlichem Personal, Aufklärungsprogramme für Beschäftigte und Kunden und werden regelmäßig von der Muttergesellschaft auf die Einhaltung von
134 Vgl. Chemical Week (1991). 13S Vgl. Allen (1992), S. 224f, 267fT. 136Vgl. World Bank (1992), S. 67. 137 Vgl. Allen (1992), S. 47-50 und Cartwright (1985), S . 183.
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6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
Standards inspiziert. Dies wird auch dadurch bestärkt, daß das Verhalten ausländischer Unternehmen sowohl von lokalen und internationalen Medien als auch von der Regierung des Gastlandes (z.T. auch des Heimatlandes) stärker überwacht wird als das einheimischer Unternehmen und Multis repressive Maßnahmen des Gastlandes eher fürchten müssen, so daß sich auch hieraus eine bessere Einhaltung gesetzlicher Regelungen ergibt. Betrachten wir als Beispiel die Rolle ausländischer Unternehmen in Entwicklungsländern in bezug auf Pestizide, die sowohl potentiell umweltschädlich in der Produktion als auch im Verbrauch sind. Zweifellos hat es durch multinationale Unternehmen der chemischen Industrie gravierende Umweltexternalitäten gegeben, die von den Medien ausgiebig dokumentiert sind: der von Union Carbide zu verantwortende Unfall im indischen Bhopal, der Verkauf von in Industrieländern verbotenen Pflanzenschutzmitteln in Länder der Dritten Welt und Menschenversuche zum Testen der Toxizität von Produkten. ns Ohne diese Vorfälle zu verharmlosen, muß aber davon ausgegangen werden, daß ein Großteil der hochgiftigen und in Industrieländern verbotenen Pestizide, die in der Dritten Welt zum Einsatz kommen, aus heimischer Produktion stammt und Nachahmungen alter Produkte multinationaler Unternehmen sind, und der überwiegende Teil der Unfälle in einheimischen Betrieben geschieht. Darüber hinaus ist die bei Pflanzenschutzmitteln essentielle Kundeninformation bei multinationalen Unternehmen intensiver. Fehlendes Know-how von Entwicklungsländern führt, wie auch in den früheren sozialistischen Staaten, zur Konzentration auf hochtoxische, breit wirkende Produkte, während die neuesten Produkte der multinationalen Marktführer deutlich geringere Giftigkeit aufweisen und wesentlich spezifischer bestimmte Schädlinge angreifen, andere Organismen aber nicht schädigen. Auch in der Herstellung und im Vertrieb der Produkte sind erhebliche Diskrepanzen zu entdecken, etwa bezüglich Markierung und Beschriftung, Verpackung und den Sicherheitsbestimmungen bei der Produktion. Aufgrund ihrer technischen Überlegenheit und des Drucks zur Einhaltung der Industrieländernormen haben multinationale Unternehmen sogar ein Interesse an strengeren Umweltstandards in Entwicklungsländern. Entsprechende Lobbytätigkeit der von multinationalen Unternehmen dominierten Thai Pesticide Association führte zu erheblichen Konflikten zwischen Multis und einheimischen Unternehmen, die die Verschärfung von Umwelt- und Sicherheitsbestimmungen ablehnten und einen eigenen Verband gründeten. 139 Ähn-
138 Vgl. Dauth (1989), S. 99-104, Gladwin (1987), Lepkowsld (1987), Consumers' Association of Penang (1985). 139 Vgl. Wangwachara/cul (1990), insbes. S. 346f. Die Bewertung des Umweltgebahrens in der chemischen Industrie beruht neben den ausführlichen ESCAP-Studien zur Rolle transnationaler Unternehmen in verschmutzenden Industrien in erster Linie aufpersönlichen Gesprächen mit Vertretern derselben, insbesondere mit Gregg Baynon, Rohm & Haas, Singapur.
6.3. Analyse umweltrelevanter Auswirkungen nationaler Wirtschaftspolitik
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liehe Tendenzen sind auch in anderen Industriezweigen zu konstatieren. Ein umweltpolitisch motivierter Verzicht auf die Ansiedlung ausländischer Unternehmen könnte also erhebliche kontraproduktive Wirkung haben. Dem Einwand gegen ausländische Unternehmen, daß diese kein inhärentes Interesse an dem Gastland und damit seiner Natur hätten und auf kurzfristigen Gewinn aus seien140, kann entgegengehalten werden, daß dies bei einheimischen Unternehmen unter gleichen Rahmenbedingungen kaum anders ist. Ist die Stabilität nicht gewährleistet und besteht Unsicherheit über die langfristigen Erfolgsaussichten, so werden alle Unternehmen, unabhängig von ihrer Nationalität, ihren Zeithorizont anpassen. In Einzelfällen mag eine engere Bindung einzelner entscheidungsrelevanter Wirtschaftssubjekte zur heimischen Umwelt vorhanden sein. Es scheint aus allgemeiner Beobachtung aber eher der Fall zu sein, daß ausländische Manager die in ihren Herkunftsländern höhere Wertschätzung für Umwelt mit bringen und zumindest versuchen, sie an ihrem neuen Wirkungsort umzusetzen. 141 Empirische Studien stellen die produktivitätssteigemde Wirkung der Existenz von Produktionsstätten ausländischer Mitbewerber auf inländische Unternehmen fest. 142 Dies läßt sich - abgesehen von der allgemeinen positiven Wirkung höherer Effizienz- auch auf Umweltfragen direkt übertragen. Schneiden ausländische Unternehmen tatsächlich bezüglich des Umweltschutzes besser ab, so wird die Existenz ausländischer Hersteller auch diese Standards zum Maßstab inländischer Unternehmen machen und einen Kopiereffekt auslösen. Da die positiven Effekte ausländischer Unternehmen in erster Linie auf das höhere Umweltbewußtsein und die übernommenen höheren Standards ihrer Herkunftsländer zurückgeführt werden, ist allerdings die Tatsache nicht unerheblich, daß die Unterstellung, daß Investoren in Entwicklungsländern stets aus hochentwickelten Industrieländern, sprich Europa, den USA und Japan, kommen, in zunehmendem Maße ihre Gültigkeit verliert. Obwohl die traditionellen Industrieländer nach wie vor an der Spitze ausländischer Direktinvestitionen stehen, nimmt der Anteil vor allem der sog. NICs (newly industrialized countries) wie der vier asiatischen "Tiger", Hongkong, Taiwan, Südkorea und Singapur, dramatisch zu. 143 Angesichts der vergleichsweise untergeordneten Rolle der Umwelt in diesen Gesellschaften und der Verfiigbarkeit von Kapital, 140 Die Asiatische Entwicklungsbank führt die angeblich geringere langfristige Orientierung internationaler Investoren auf die Unsicherheit bezüglich Inflation, politischem Klima und Rückführung der Gewinne zurück. Vgl. Asian Development Bank (1991), S. 263.
141 Darauf weist der hohe Anteil von "Expatriates" in Umweltgruppen in Singapur sowie bei Umweltkonferenzen hin. 142 Vgl. o.V. (1993t) und o.V. (1993r). 143 Vgl. Hilper1 (1992), S. 83-86 und 345 und fiir den Forstbereich Repetto (1988b), S. 17.
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6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
nicht aber in jedem Fall technischem Spitzen-Know-how, ist deren Einfluß aus Umweltsicht, ebenso wie aus Sicht anderer Standards, eher kritisch zu bewerten. Gillis bestätigt dies auch am Beispiel des indonesischen Forstsektors, wo amerikanische und britische Konzessionäre gegenüber solchen aus Malaysia und Hongkong deutlich höhere Berücksichtigung von Umweltaspekten zeigten, obwohl auch diese keineswegs als ausreichend bezeichnet werden konnte. 144 Im konkreten Fall kommt deshalb der Zusammensetzung der ausländischen Investoren in bezug auf Umwelt und Armutsbeseitigung eine nicht zu vernachlässigende Bedeutung zu. 6.3.2.9.4. Inanspruchnahme von Auslandskapital Der Zufluß ausländischen Kapitals in ein Entwicklungsland kann neben ausländischen Direktinvestitionen noch über zwei weitere Quellen erfolgen: Auslands- bzw. Entwicklungshilfe145 und die Kreditaufnahme auf dem internationalen Kapitalmarkt bzw. bei internationalen Entwicklungsbanken. Beide Typen stellen Kapitalimport dar, unterscheiden sich aber in Hinblick auf die damit verbundenen Verpflichtungen. Beide Arten von Kapitalimport werden in Zusammenhang mit Entwicklungs-, aber auch speziellen Umweltproblemen in Entwicklungsländern in der Literatur unter dem Themenkreis der Schuldenkrise und den Mängeln der Entwicklungshilfe kritisch betrachtet. 146 In Fortsetzung unserer bisherigen Vorgehensweise werden auch diese beiden Aspekte unter Berücksichtigung der einem Entwicklungsland verfügbaren Alternative betrachtet, um Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge von indirekten Effekten zu unterscheiden. Grundsätzlich ist die Aufnahme von Krediten auch unter Einbeziehung der Nachhaltigkeil nicht negativ zu bewerten. Fehlende Verfügbarkeit von und mangelnder Zugang zu Kreditmärkten wurden ja als Externalitäten erzeugende Marktmängel identifiziert. Daß eine kreditfinanzierte Investition Ressourcen verzehrt, ist ebenso unbestritten. Aus der ambivalenten Wirkung des Sozialprodukts folgend, müssen wir allerdings bereits einschränken, daß dies nicht in jedem Fall auch negative Umweltwirkungen in der Netto-Betrachtung implizi~ ren muß und eine Erhöhung des Gesamtkapitals in Entwicklungsländern nötig
144 Vgl. Gillis (1987), S. 84-89. Ein weiterer Indikator fiir laxe Standards der Schwellenländer ist, daß in Indonesien vor allem koreanische und taiwanesische Firmen von Streiks gegen ausbeutensehe Löhne, hohe Arbeitsbelastung und mangelnde Arbeitsstandards betroffen sind. Vgl. o.V. (1993u), S. 15. 145
Zur Diskussion um die Abgrenzung der beiden Begriffe siehe Hemmer (1988), S. 746f.
146 Vgl. WlJhlcke
(1990), Abschnitt C., Co/chester (1986a), Konen (1992), S. 176-180, Sabet (1991), Messerli u.a. (1987), S. 30, Die GRÜNEN (1990), S. 58, MacNeill (1989), S. 145f.
6.3. Analyse umweltrelevanter Auswirkungen nationaler Wirtschaftspolitik
223
ist. Auch aus auslandsfinanzierten Projekten kann also noch nicht per se auf eine nichtnachhaltige Entwicklung geschlossen werden. Werden allerdings mit den aufgenommenen Krediten a) Investitionen getätigt, die externe Effekte nach sich ziehen und nach Berücksichtigung aller Nutzen und Kosten keinen positiven Nettobeitrag mehr leisten, und werden zur zumindest teilweisen Ableistung des Schuldendienstes b) sowohl die vorhandenen natürlichen Ressourcen verschleudert und umwelt-und armutsorientierte Projekte aus Kapitalmangel zurückgestellt, dann können wir in beiderlei Hinsicht von schuldenverursachten Umweltexternalitäten sprechen. Wir müssen also bei der Beurteilung der Aufnahme von Auslandskrediten unterscheiden, wie diese Kredite verwendet werden und ob sie im Sinne der grundsätzlichen Zurückzahlbarkeil gesichert sind. Wirft man einen Blick auf die am stärksten verschuldeten Entwicklungsländer, die Länder Afrikas, Lateinamerikas sowie die Philippinen, so stellt man fest, daß diese mit denjenigen Ländern übereinstimmen, deren makroökonomische Disziplin mangelhaft und deren Staatshaushalte und Verwaltung aufgebläht waren, in denen Luxuskonsum statt produktiver Verwendung herrschte und in denen Investitionen in Prestigeprojekte oder überdimensionierte Anlagen flossen. Die in den Studien des schwedischen Außenministeriums und der Weltbank identifizierten Erfolgsbeispiele dagegen sind durch das weitgehende Fehlen einer Schuldenproblematik charakterisiert. Verschuldung ist also keine unentrinnbare Begleiterscheinung des Entwicklungsprozesses, sondern weist auf das Fehlen der für dauerhaftes und gesundes Wachstum notwendigen Grundbedingungen hin. Wo Preise keine Knappheilen und echten komparativen Wettbewerbsvorteile anzeigen, ist nicht zu erwarten, daß Kredite dort eingesetzt werden, wo durch hohe Rentabilität ihre Tilgung gewährleistet ist. Es verwundert deshalb nicht, daß gerade Länder mit hoher Auslandsverschuldung von starker Kapitalflucht geprägt sind, sind beide Phänomene doch Ergebnisse derselben makroökonomischen Verzerrung. 147 Der Zusammenhang zwischen Umwelt und Verschuldung läßt sich also erst durch Berücksichtigung von Marktmängeln und Staatsversagen vollständig begreifen: Die vorher beschriebenen Externalitäten durch verzerrte Preise, unter anderem der Umwelt, führen zu der beschriebenen umweltzerstörenden Verwendung der Auslandskredite und den entsprechenden Folgen beim Versuch, diese abzubauen. Auslandskredite wirken hier, ähnlich wie andere Determinanten der Wirtschaftsstruktur, als Katalysator, indem sie die negativen Folgen bestehender Marktmängel zum Tragen bringen bzw. verstärken.
147 Im Falle der zehn größten Schuldnerländer floß zwischen Mitte der 70er und Mitte der 80er Jahre ein Betrag von 200 Milliarden US$ bei einer Neuverschuldung von 450 Milliarden US$ ins Ausland zurück. Vgl. Wagner (1991), S. 18 und Frieden (1989), S. 30f.
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6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
Daß die Wirkung sowohl der Verschuldung als auch der Entschuldung auf die Umwelt in der Literatur als ambivalent dargestellt wird, verwundert angesichts des zuvor Gesagten nicht. Hansen führt in seinem Aufsatz zur Schuldenkrise und Umwelt Beispiele aus Brasilien an, bei denen mit Auslandskrediten die nichtnachhaltige Ausbeutung und Zerstörung von Ressourcen betrieben wurde, weist aber auch auf Einzelfälle hin, wo Kapitalimport zum besseren Management natürlicher Ressourcen führte. Als logische Konsequenz hat auch der Schuldendienst bzw. die bei fehlender Zahlungsfähigkeit sinkende Kreditwürdigkeit ambivalente Wirkung. Letzteres entspricht ja einer exogenen Erhöhung des Zinssatzes mit den bekannten Folgen: Der Gesamtumfang der Investitionen geht zurück und entlastet so die Umwelt. Hansen berichtet etwa, daß ehrgeizige Straßenbauprojekte im Amazonasgebiet aus Geldmangel Ende der 70er Jahre aufgegeben wurden und somit eine noch weitere Zurückdrängong des Regenwaldes unterblieb. 148 Zugleich trifft dieser Rückgang aber auch den Ausbau alternativer Einkommenserzielungschancen, so daß die Ableistung des Schuldendienstes und die Finanzierung des bedrängten Staatshaushalts ein Land in stärkerem Maße auf die natürliche Ressourcen zurückgreifen läßt und ein Druck auf dieselben durch den Überlebenskampf der Armen entsteht. Darüber hinaus sind von hohen Kapitalmarktzinsen und Einsparungsmaßnahmen, die ja Strukturanpassungsmaßnahmen darstellen, in der Praxis auch oder gerade umweltfreundliche bzw. armutsbeseitigende Projekte betroffen. 149 Ein Schuldenerlaß durch die Gläubiger hat analog dazu ebenfalls ambivalente Wirkung: Er nimmt zwar den Druck auf natürliche Ressourcen, fördert aber durch den neuen Kapitalzufluß möglicherweise neue umweltgefährdende Projekte. 150 Entsprechendes trifft nun folglich auch für die Betrachtung des Kreditzuflusses in Form von Auslands- bzw. Entwicklungshilfe zu. Eine Verstärkung der Umweltbelastung tritt über die kapital- und damit investitionserhöhende Wirkung auf, eine Entlastung kann durch die damit verbundenen Wachstumseffekte in Verbindung mit Armutsbeseitigung und Effizienzgewinnen eintreten. Auch hier kommt es darauf an, wie die ausländische Hilfe verwendet wird. Die in der Literatur angeführten Beispiele für negative Wirkung von Auslands- und Entwicklungshilfe beziehen sich auf die Verwendung derselben für militärische Zwecke, überdimensionierte Prestigeprojekte, Abfluß in Renten und unrentable und Umweltexternalitäten erzeugende Projekte. Aus dieser Darstellung wird wiederum deutlich, daß auch hier, wie in der Frage der Verschuldung, nicht der Kapitalimportper se, sondern Kapitalimport
148Vgl. Bansen (1989), S. 81f. 149 Vgl. MacNeill (1989), S. 145f und Croz/Repeno (1992). 150 Zur ambivalenten Wirkung der Entschuldung und der fehlenden empirischen Korrelation von Abholzung und Verschuldungsindikatoren siehe Bauerlllling (1992), S. 12.
6.3. Analyse umweltrelevanter Auswirkungen nationaler Wirtschaftspolitik
225
in Verbindung mit bestehenden Marktmängeln und staatlichen Preisverzerrungen das eigentlich die Umwelt bedrohende Phänomen ist. Die einseitige Konzentration der Literatur auf die negativen Folgen von Entwicklungshilfe und Verschuldung selbst und das Benennen einiger Beispiele birgt die Gefahr, zur Lösung des Problems den Verzicht auf ausländische Hilfe, Schuldenerlaß bzw. debt-for-nature-swaps vorzuschlagen. Ohne begleitende oder vorausgehende Korrektur der in den betreffenden Ländern bestehenden Verzerrungen ist jedoch zu erwarten, daß diese Vorschläge die erhoffte Wirkung nicht erreichen. 6.3.3. Die Reichweite wirtschaftspolitischer Eingriffe: Beispiele und Folgerung
Die untersuchten Determinanten sind eng miteinander verwoben und nicht unabhängig voneinander zu sehen. Staatsunternehmen sind in der Regel größer und ressourcenintensiver als Privatunternehmen derselben Branche, eine hohe Außenhandelsverflechtung erhöht die Wahrscheinlichkeit eines höheren Anteils ausländischer Unternehmen. Kapitalintensive Unternehmen sind meist ebenso wie ausländische Unternehmen auf die Städte konzentriert. Die Landwirtschaft gilt als besonders arbeitsintensiv. 151 Eine Beeinflussung der Ausprägung einer dieser Determinanten durch Wirtschaftspolitik verändert also unbeabsichtigt auch die Ausprägung anderer Determinanten, mit u. U. weitreichenden Konsequenzen für die Umweltnutzung. Ein und dasselbe Instrument wirkt dann gleichzeitig auf verschiedene Determinanten. Die bedeutsamsten dieser Instrumente wollen wir nun in ihrer Gesamtwirkung kurz zusammenfassen.
6. 3. 3.1. Subventionen Ein häufig eingesetztes, zunächst von Umweltfragen unabhängig scheinendes Instrument, die Subventionierung heimischer Industrie durch verbilligtes Kapital oder steuerliche Vorzugsbehandlung kann zugleich erhebliche Auswirkungen auf die Umweltnutzung haben: Die Subventionen ziehen Budgetkomponenten aus anderen. möglicherweise produktivitätserhöhenden oder umweltverbessernden Verwendungen ab, in der Regel werden Großunternehmen bevorzugt, was arbeitsintensive kleine Unternehmen benachteiligen und zu einer Verstärkung der Armut führen kann. Konzentrationsprozesse können zu den genannten monopolbedingten Ineffizienzen führen. Die Industrialisierung und ihre Kapitalintensität wird über das ökonomisch sinnvolle Maß gefördert und damit Umweltverschmutzung verursacht, der kein Wohlfahrtsbeitrag gegenübersteht. Ausländische Produkte werden benachteiligt und in geringerem Maße einge-
ISt Vgl. Amelung/Diehl (1992), S. 51. 15 Stenge!
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6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
setzt, was bei höherer Effizienz und Umweltverträglichkeit derselben negative Konsequenzen haben kann. Die Förderung konzentriert sich auf die industrialisierten städtischen Bereiche und verzerrt so die regionale Einkommensverteilung. Zuweilen werden Subventionen gezielt als Maßnahmen der Umweltpolitik vorgeschlagen, etwa in indirekter Form als Steuererleichterungen für Umweltschutztechnologie oder als direkte Beihilfen. Die strukturellen Folgewirkungen lassen solche Empfehlungen allerdings in einem anderen Licht erscheinen. Darüber binaus werden durch die Subventionierung von End-of-pipe-Technologien gerade umweltschädliche Industrien begünstigt und die Entwicklung alternativer Produktionsverfahren, die die Versehrnutzung bereits in der Entstehung vermeiden, gehemmt. 152
6. 3. 3. 2. Wechselkursmanipulation Gerade die Verzerrung makroökonomischer Preise birgt wegen ihrer Breitenwirkung besonderes Potential für unerwünschte Folgewirkungen und dies nicht nurwegen ihrer offenkundig negativen Wirkung aufWachsturn und Verteilung. Dabei ist in der Regel unerheblich, welche Richtung die Verzerrung annimmt, was sich am Beispiel von Wechselkursmanipulationen besonders verdeutlichen läßt: Eine Überbewertung der Währung, wie sie in Entwicklungsländern aufgrund expansiver Geld- und Fiskalpolitik und zum Schutz heimischer Industrien häufig ist, verfehlt zum einen in der Regel die beabsichtigte ökonomische Wirkung, da der Schutz die einheimische Wirtschaft nur träger und ineffizienter macht, den Exportsektor schwächt, die indirekte Subvention als Renten abgeschöpft und Kapitalflucht und Spekulation ermutigt werden. 153 Überdies kann eine Überbewertung zu unerwarteten Nebenwirkungen auf die Umwelt führen, wenn dadurch umweltbelastende "food crops" gegenüber umweltverträglicheren Agrarexporten, der Import kapitalintensiver Güter gegenüber angepaßten heimischen Technologien, kapital- gegenüber arbeitsintensiver Fertigung und der Import potentiell umweltschädlicher Inputs (Pestizide, schwere Maschinen) subventioniert werden, ohne daß dies auf echten Wettbewerbsvorteilen (also etwa bei Pestiziden auf überlegeneren, hochwertigereD Produkten) beruht. 154 Es besteht also ein auf den ersten Blick überraschender Zusammenhang zwischen
152 Vgl. Asian Development Bank (1990), S. 80. IS3 Vgl. Kaufinan/Stallings(1989), S. 202 und Maxjield (1989), S. 76f am Beispiel Lateinamerikas. IS4 Vgl. Swedish Ministry (1992), S. 75.
6 .3. Analyse umweltrelevanter Auswirkungen nationaler Wirtschaftspolitik
227
der Diskriminierung von Exporten und der Landwirtschaft. Mellor stellt deshalb zugunsten einer Strategie der Exportförderung fest, daß diese aufgrund der ihr innewohnenden Abneigung gegen Überbewertung von allen Entwicklungsstrategien "the one least deleterious to agriculture" 155 sei. Der zuweilen unterstellte positive Umwelteffekt einer überbewerteten Währung aufgrund der unterstellten negativen Wirkung auf Ressourcenexporte wie Holz tritt in der Praxis oftmals nicht ein bzw. verkehrt sich ins Gegenteil: Aus Ghana wird berichtet, daß infolge der Überbewertung der Schmuggel von Holz erheblich zunahm, jedoch nicht einmal ein Teil der privaten Erlöse durch den Staat abgeschöpft werden konnte und damit der volkswirtschaftliche Verlust noch verstärkt wurde. 156 Ebenso wurde auch die Hoffnung einiger Länder, durch massive Unterbewertung der Währung Vorteile beim Export zu erzielen, in der Regel enttäuscht, weil auch hier Ineffizienz und Lethargie und das Abschöpfen der Zusatzgewinne durch Zwischenhändler eine positive Wirkung verhindern. Auch Unterbewertung der Währung kann zu negativen Umweltwirkungen führen, wenn dadurch der Import effizienterer Technologie, insbesondere Umweltschutztechnologie verhindert oder der Export externe Effekte verursachender Produkte wie Holz gefördert wird. Die Hoffnung, durch eine über die Korrektur bestehender Verzerrung hinausgehende Manipulation des Wechselkurses positive Umwelteffekte zu erzielen, etwa da der Import schädlicher Pestizide oder Luftverschmutzung verursachender Erdölprodukte reduziert bzw. die ländlichen Einkommen angehoben werden157 , beruht also auf einer isolierten Betrachtung nur einer einzigen Relation und kann gefährliche Nebenwirkung haben. Zum einen wird nicht nur der Import potentiell umweltschädlicher, sondern auch der umweltfreundlicher Güter verhindert, und einheimische Ersatzprodukte können womöglich gefährlicher sein (etwa bei Pestiziden). Häufig nehmen auch die ländlichen Einkommen nicht zu, da die Preiserhöhung durch Mittelsmänner in Form von Renten abgeschöpft wird158 , wenn ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen diesen und den Bauern besteht. Außerdem würde eine Einkommenserhöhung auch dann ihre Wirkung verfehlen, wenn die Umweltprobleme nicht auf mangelndem Einkommen, sondern auf ungesicherten Eigentumsrechten oder verzerrten Inputpreisen beruhen. Zudem besteht die Gefahr der anderen oben genannten negativen Rückwirkungen. Insgesamt müssen bei der Bewertung der Wirkung solcher Änderungen wie Wechselkursschwankun-
ISS
Mellor (1986), S. 74.
IS6 Vgl. Repetro (1988b), S. 21. IS7
Vgl. Miranda/Muzondo (1991), S. 26.
ISS
Vgl. Pearce/Tumer (1990), S. 356.
15*
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6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
gen alle Einflüsse herangezogen werden, das heißt bei einer Abwertung der eigenen Währung nicht nur die Verteuerung der in anderen Währungen aufgenommenen Kredite, die Verteuerung der Importe oder die Verschlechterung der Tenns of Trade, sondern auch die Verbesserung der Exportmöglichkeiten und die höhere Attraktivität für ausländische Anleger und Touristen. Aus dieser Gegenüberstellung wird klar, daß zwar die marktkonforme Variation derartiger makroökonomischer Größen nicht aus befürchteten negativen Wirkungen unterbleiben sollte, der Einsatz eines solchen Instrumentes im Rahmen der Umweltpolitik aber kontraproduktiv wirken kann und deshalb mit Vorsicht zu genießen ist. Es kann hier leicht der als Situation 4 des Abschnitts 6.3.2.1 beschriebene Fall eintreten, daß statt Internalisierung externer Effekte eine Verstärkung derselben eintritt. Werden diese Fehlentwicklungen nun erkannt und steuert man der Verzerrung der jeweiligen Determinanten bzw. der unerwünschten Nebenwirkung entgegen, so besteht die Gefahr, daß eine neue Runde von Interventionen zu unvorhersehbaren weiteren Verzerrungen führen, solange nicht die eigentlich verursachende Verzerrung, sondern nur eine ihre Folgewirkungen korrigiert wird.
6.3.3.3. Zinsmanipulation Die Identifizierung der Ursachen eines Umweltproblems bedeutet noch nicht, daß damit auch die Internalisierungsfrage gelöst ist. In Kapitel 3 und 4 wurde die Diskontierung zukünftiger Nutzen und Kosten als Ursache bzw. Form von Ineffizienz beschrieben, die die Umwelt besonders benachteiligt. In Teilen der Literatur wurde daraus gefolgert, daß eine Manipulation des Zinssatzes zur Korrektur der Verzerrungen angemessen sei: "A low value of r then means that a safer future is held in high esteem, and vice versa. A value of r approaching zero means a value of the NPV [net present value, d.Verf.] approaching infmite and expresses the fact that the community is prepared to pay the price C for conserving the availability of the environmental functions at stake in the future ... "Jjg
Zwar bezieht sich die Literatur zur Diskontierung in erster Linie auf staatliche Nutzen-Kosten-Analysen und die Auswahl des dabei zugrundeliegenden Diskontsatzes. Da die Implikationen aber auch für eine staatliche Manipulation der Marktzinssätze gelten und verschiedentlich auch Besorgnis über die Umweltwirkung hoher Zinsen in Entwicklungsländern geäußert wurde160, können wir die Wirkung einer umweltpolitisch motivierten Wahl des Diskontsatzes bei IS9 Hueting, (1991), S. SS. Vgl. auch Gowdy (1991), S . 81fT. 160 Vgl. 7isdell (1988), S. 380.
6.3. Analyse umweltrelevanter Auswirkungen nationaler Wirtschaftspolitik
229
öffentlichen Projekten und hoher Zinsen im allgemeinen gemeinsam untersuchen. Betrachten wir zunächst den Fall einer generellen Senkung des Zinses zur Berücksichtigung von Umweltexternalitäten oder gar eines Zinses von 0, wie ihn das obige Zitat implizit befürwortet. Erhofft werden in Ableitung der Ergebnisse der Ressourcenökonomie ein schonenderer Umgang mit natürlichen Ressourcen durch die höhere Bewertung künftiger Erträge und ein Verzicht auf kurzfristige Zerstörung. Übersehen wird dabei, daß ein niedriger Zinssatz auch andere, gegenläufige Folgen hat: Wie bereits erwähnt, fördert nämlich ein niedriger Zinssatz Investitionen ganz allgemein, da die Erzielung eines positiven gegenwärtigen Nettonutzens erleichtert wird, während er das Sparen eindämmt. Dabei kommt es nicht nur durch den Mengeneffekt einer höheren Nachfrage nach Produktionsinputs und Assimilationskapazität zu einer höheren Umweltbelastung, sondern auch noch durch die Erleichterung von Investitionen mit geringer Rendite zu einer Förderung ineffizienter Projekte sowie zu einer Erhöhung der Kapitalintensität. Da ein zu niedriger Zins das Sparen reduziert, besteht zwar einerseits eine Illusion billigen Kapitals mit den genannten Folgen, in Wahrheit aber erhebliche KapitalknappheiL Da nunmehr nicht mehr die tatsächliche Rentabilität einer geplanten Investition die Kapitallenkung bestimmt, sondern politische Faktoren (Beziehungen, Kontingentierung), Zufall oder der Zeitpunkt der Nachfrage nach Kredit, sinkt die Qualität des Kapitaleinsatzes und damit die Möglichkeit der Schaffung langfristigen Sach- und Humankapitals. Es besteht auch die berechtigte Befürchtung, daß gerade umweltgetährdende Projekte mit hohen Kapitalkosten, etwa bestimmte Infrastrukturprojekte, ökonomisch rentabel erscheinen und ohne weitergebende Überlegungen durchgeführt werden. Nicht einmal bezüglich des Ressourcenabbaus selbst ist die positive Wirkung niedrigerer Zinsen eindeutig, da diese zugleich auch die Kapitalkosten notwendiger Ressourcenextraktion senken und, wie Endres und Querner betonen, "tendenziell zu einer Höherdimensionierung der optimalen Anlagengröße, zu einer Ausweitung der Förderkapazität" 161 führen. Ein umweltpolitisch motiviertes Projekt würde so die Wirtschaftsstruktur, hier die Einkommensverwendung sowie die Faktorintensität, in einer Weise beeinflussen, die negativ auf die Umwelt zurückwirken könnte. Ist die Senkung des Zinssatzes mit makroökonomischer Instabilität verbunden, so kann die Lenkungsfunktion des Preises außer Kraft geraten und zu einer gravierenden Fehlallokation der knappen Ressourcen fiihren. Über die Wirkung auf Ausmaß und vor allem Art des Wirtschaftswachstums (insbesondere bezüglich Beschäftigung und A.rmutsbeseitigung) können weitere negative Effekte auftreten. 16 1 Endres/Quemer(1993), S. 86.
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6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
Einige Autoren, die diese Problematik erkannt haben, schlagen nun vor, durch eine Differenzierung des Zinssatzes die Umwelt angemessen zu berücksichtigen, ohne die negativen Effekte einer allgemeinen Zinssenkung hervorzurufen. So befürwortet Bromley die Verwendung zweier unterschiedlicher Zinssätze für die Bewertung von Nutzen und die Bewertung von Kosten. 162 Bedenkt man, daß die Nutzen des einen Projektes zugleich die Opportunitätskosten des Alternativprojektes darstellen, so wird die Willkür dieser Argumentation rasch offenbar: In einem Projektvergleich würde dieselbe Komponente unterschiedlich bewertet, je nachdem, ob man sie als Nutzen des einen oder als Kosten des anderen Projektes defmiert. Andere wiederum fordern die Differenzierung nach unterschiedlichen Projekten bzw. Sektoren in Abhängigkeit vom Umweltbezug der Nutzen und Kosten. Es wird vorgeschlagen, öffentliche Projekte, die der Erhaltung bzw. Schaffung von Umweltkapital dienen, mit niedrigen Zinssätzen zu diskontieren, andere Projekte dagegen mit einem hohen Diskontsatz zu belegen, um derartige Investitionen nicht zu fördern bzw. "umweltschädliche" Sektoren über den Kapitalmarkt mit höheren Zinsen zu belasten.163 Die Probleme eines solchen Vorgehens liegen auf der Hand. Im Falle der Differenzierung bei öffentlichen Projekten müßte vor Durchführung der Nutzen-Kosten-Analyse festgestellt werden, welches denn ein umweltfreundliches und welches ein umweltschädliches Projekt ist. Wie ist dies zu ermitteln, wenn der zur Bewertung der Nutzen und Kosten notwendige Zinssatz erst nach Feststellung der Umweltverträglichkeit zugewiesen wird? Eine pauschale Kategorisierung wäre willkürlich und könnte bei unbeabsichtigten Nebenwirkungen zur Förderung gerade umstrittener Projekte führen. Darüber hinaus wäre der administrative Aufwand enorm. Auch bei der Differenzierung nach Sektoren treten diese Probleme auf. Eine Fehlallokation von Ressourcen ist dabei wahrscheinlich und der erwartete Nutzen umstritten. Nach Siebert würde nämlich die Spaltung des Kapitalmarkts dazu führen, daß gerade im Ressourcenmarkt die erwartete Verzinsung gering ist, es sich also lohnt, die Ressource heute zu verkaufen und zum höheren Zins in andere Sektoren zu investieren. 164 Noch gewichtiger als die hier genannten Einwände ist jedoch der folgende Aspekt: Eine Manipulation des Zinssatzes verändert nur den Wert derjenigen Nutzen und Kosten, die überhaupt erfaßt sind. Wir hatten jedoch in Kapitel 3 festgestellt, daß es gerade die Vernachlässigung der Umweltnutzen und -kosten bei der privaten wie öffentlichen Nutzen-Kosten-Abschätzung ist, die das Hauptproblem darstellt. Nutzen der Umwelterhaltung, wie zum Beispiel nach-
162 Vgl. Bromley (1989), S. 874. 163 Vgl. zu Vorschlägen zur Differenzierung und ihrer Kritik BojlJ /Miiler/Unemo (1990), S. 68f, OECD (1989), S. 61 und Pearce/Markondya/Barbier (1989), S. 150f. 164 Vgl. Sieben (1978), S. 163.
6.3. Analyse umweltrelevanter Auswirkungen nationaler Wirtschaftspolitik
231
haltige Erträge der Waldnutzung, etwa Jagd, das Sammeln von Wurzeln, Früchten oder Heilpflanzen, oder die ökologische Funktion der Waldes zur Regulierung des Wasserhaushalts, werden schlichtweg vergessen, woran auch ein noch so niedriger Diskontsatz nichts ändert. Wird aber erst der Nutzen der Umwelt anerkannt, was ja Voraussetzung dessen ist, daß eine Diskontsatzänderung überhaupt eine Wirkung bat, so wäre eine adäquate Berücksichtigung auf wesentlich direkterem Wege möglich, etwa durch die möglichst vollständige Erfassung aller Nutzen der Erhaltung und der Kosten der Zerstörung der Umwelt, die Einbeziehung auch nichtmonetärer Werte (Menschenleben, Ästhetik, Artenschutz), die Berücksichtigung von Irreversibilitäten in den Wahrscheinlichkeilen oder die Festsetzung eines einzuhaltenden Mindeststandards. 165 Der Zins ist selbst ein Indikator für Knappheit. Hohe Zinsen können die übermäßige Belastung natürlicher Ressourcen und die zunehmende Verknappung derselben reflektieren. Ein hoher Zinssatz kann also die Existenz einer Armuts-Bevölkerungs-Umwelt-Falle anzeigen166 , ist aber nicht zwangsläufig ihre Ursache. Die Argumentation gegen eine Herabsetzung des Zinssatzes aus Umweltgründen darf allerdings nicht fehlinterpretiert werden als ein Plädoyer für hohe Zinssätze. Studien zu den Bedingungen für dauerhaftes Wachstum hatten zwar ergeben, daß moderat positive Realzinsen ein wesentliches Element einer erfolgreichen Entwicklungsstrategie sind. Diese müssen aber echte Knappheilen widerspiegeln und auch nicht durch Spekulation oder Wucher überhöht sein, da sonst die Lenkungsfunktion nicht greift und Ressourcen in spekulative statt produktive Verwendung gelenkt werden. Auch eine kreditfinanzierte Ausweitung der Staatsnachfrage, eine geringe Spartätigkeit und insbesondere Inflation können ein hohes Zinsniveau implizieren167, das zu negativen Effekten wie der Verdrängung privater Investition führen kann. 168 Auch hier ist das Zinsniveau aber nicht Ursache, sondern lediglich Indikator einer Fehlentwicklung. Makroökonomische Solidität und eine hohe Sparleistung sind also marktkonforme, zinssenkende Mechanismen. Spekulation ist auch nicht ausschließlich typisch für einen hohen Zinssatz, wie von Keynes unterstellt wurde169 , sondern ist überall dort anzutreffen, wo Preise keine echten Knappheiten, sondern politische Präferenzen repräsentieren.
l6SygJ. World Bank (1991b), S. 149, Pearce/Tumer (1990), S. 224f, Bojö!Mlller/Vnemo (1990), s. 69. 166 Vgl. 4.4.1.
167 Vgl. Harnpicke (1992), S. 443. 168 Vgl. /ssing (1993), S. 13. 169 Vgl. Gowdy (1991), S. 81.
232
6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
6.3.3.4. Gefahren wirtschaftspolitischer Eingriffe
Das Problem bei staatlicher Manipulation makroökonomischer Größen besteht darin, daß bei einer Bestandsaufnahme der Umweltsituation nicht immer auf den ersten Blick erkennbar ist, was nun die ursächliche Verzerrung eigentlich gewesen ist, bzw. von einer beobachteten Korrelation zwischen bestimmten Ausprägungen einer Determinante und der Verletzung der Nachhaltigkeitsrestriktion auf eine kausale Beziehung geschlossen wird. Gerade dies ist in der Umweltliteratur leider häutig der Fall, wie wir bereits im Falle des Zinssatzes, der Wechselkurse und der Verschuldung ausgeführt haben. Es trifft aber auch auf die Determinanten der Wirtschaftsstruktur zu: So wird die Vernichtung des Regenwaldes kausal auf den Export von Tropenholz zurückgeführt, obwohl dieser in der Regel nur Katalysator einer vorhandenen Fehlbewertung natürlicher Ressourcen ist. Bleibt die Fehlbewertung bestehen, so kann auch eine Eindämmung der Exporte den Raubbau nicht aufhalten, wie die Folgen von Exportverboten bzw. -beschränkungen für unbearbeitete Hölzer in einigen Entwicklungsländern wie Thailand, den Philippinen und lndonesien zeigen. Gefördert wurde nämlich wegen mangelnder Überwachung die illegale Abholzung, die Umwandlung des nunmehr "wertlosen" Waldes in andere Nutzungsformen sowie die heimische Ausbeutung und Weiterverarbeitung, die in hohem Maße von Ineffizienz geprägt ist. Darüber hinaus hat die Nachfrage nach Tropenholz durch den Aufbau einheimischer Verarbeitungskapazität zugenommen. 170 Ein Beispiel aus der jüngsten Geschichte Pakistans zeigt die Interdependenzen sehr anschaulich: Bis zur Einsetzung des Interim-Premiers Qureshi 1993 wurde Einkommen aus der Landwirtschaft praktisch nicht besteuert. Davon profitierten vor allem die feudalen Großgrundbesitzer, die darüber hinaus auch andere Einkünfte als "landwirtschaftlich" deklarierten und so effektiv trotz enormen Reichtums und Einkommens keine bzw. nur wenig Steuern zahlten. 171 Dies ist nicht nur ein Beispiel folgenreicher Sektorpolitik, sondern auch der enormen Anreizwirkung staatlicher Preismanipulation. Sie wirkt auch auf andere Sektoren, da nicht nur Landeigner, sondern auch Industriebetriebe durch Umdeklarierung ihrer Einkünfte Renten zu sichern suchten. Die ökonomischen Verluste und sozialen Folgen waren enorm. Hier war bei oberflächli-
170 Vgl. Asian Development Bank (1991), S. 245, Repetto (1988b), S. 20, 23-26 und Amelung I Diehl(l992), S. 47ft'. Hierzu muß gesagt werden, daß die Beschränkung der Exporte vor allem in lndonesien nicht aus Umweltgründen, sondern eben gerade zur Förderung eigener Weiterverarbeitung erfolgte. 171 Zum Beispiel Pakistan siehe Clifton/Qureshi (1993) und o.V. (1993s). Nach Schälzungen des Interim-Premiers Qureshi wurden höchstens 5-10% der tilligen Steuern tatsächlich eingezogen. Vgl. Kamal (1993), S. 29.
6.3 . Analyse umweltrelevanter Auswirkungen nationaler Wirtschaftspolitik
233
eher Beobachtung die Konzentration der Wirtschaft zu hoch, die Betriebsgröße zu groß und die Förderung ländlicher Gebiete ungerechtfertigt. Letztlich lag die Ursache aber in der ungleichen, durch politische Macht aufrechterhaltenen Ausgangsverteilung, die durch eine mangelhafte wirtschaftspolitische Maßnahme perpetuiert wurde. Die Lehre aus diesen Beispielen sollte klar sein: Wirtschaftspolitisches Eingreifen und Umweltpolitik müssen auch die Folgewirkungen, insbesondere auf die Umwelt, berücksichtigen. Bei der Förderung eines bestimmten Produkts, Wirtschaftszweiges oder Unternehmens muß vorher sichergestellt sein, daß keine umweltrelevanten Externalitäten bestehen oder durch die Wirtschaftspolitik geschaffen werden. Diese können bei Umweltpolitik dann auftreten, wenn durch Maßnahmen gegen umweltschädliche Produkte Substitutionsprozesse in Richtung auf andere Güter einsetzen, die sich als ebenso problematisch oder sogar noch schädlicher erweisen. Die unvollständige Einbeziehung aller Verursacher kann kontraproduktiv sein. Aufgrund ihrer ungewissen Wirkung ist vor der Verwendung umfassend wirkender, insbesondere makroökonomischer Instrumente zu warnen, wenn sie zu einer Abweichung von Knappheitspreisen führen. Zur Internalisierung externer Effekte und zur Behebung anderweitiger wirtschaftspolitischer Probleme ist gezielt auf die eigentliche Ursache einzuwirken. Dann, und nur dann, wirken die anderen wachstumsfördernden und armutsbeseitigenden Strategien und die sich am Markt ergebende "optimale" Wirtschaftsstruktur auch wirklich eindeutig wohlfahrtsfördernd. Wird die Knappheit der Ressourcen nicht adäquat am Markt wiedergegeben, so führt jede Wirtschaftspolitik und jede Wirtschaftsstruktur zu Externalitäten, wobei anzunehmen ist, daß diese a) umso größer sind, je mehr zusätzliche Verzerrungen hinzutreten und b) mit größerem Sozialproduktsvolumen absolut stärker ins Gewicht fallen, da das Gesamtvolumen größer ist. Dies führt zur expliziten Forderung, die zugrundeliegenden Preise gerade bei zu vermutenden wachstumsfördernden Effekten auf ihre Knappheitsadäquanz zu überprüfen, da sonst die Befürchtung besteht, daß der positive Umwelteffekt des Wachstums durch die absolut zunehmende Umweltbelastung überkompensiert wird. Wachstum allein garantiert also noch keineswegs nachhaltige Entwicklung, da es auf dem Konsum von Ressourcen beruhen kann, dem keine dauerhafte Erhöhung des Gesamtkapitals gegenübersteht. Umweltpolitik, definiert als Internalisierung externer Effekte, ist deshalb Voraussetzung einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik um sicherzustellen, daß auch langfristig die Wohlfahrt eines Staates zunimmt. Dabei ist allerdings auf eine marktkonforme Wahl der umweltpolitischen Instrumente zu achten, um die Verstärkung von Verzerrungen zu vermeiden.
234
6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
Bei der Internalisierung der Verzerrungen sollte auf die vorangegangene Diskriminierung verzichtet oder die konkreten Ursachen der Externalitäten (etwa fehlende Bildung, fehlende Sicherheit des Eigentums oder zu große Bevölkerung) korrigiert werden. Der zusätzliche Einsatz gegenläufiger positiver Diskriminierung ist nicht ratsam. Wer gegensätzliche Ausprägungen subventioniert, erzielt keinerlei positive Effekte, verursacht aber hohe Opportunitätskosten und fördert Ineffizienz. Der Vorschlag zahlreicher Umweltschützer, den vorbandenen Marktmängeln durch weitere Interventionen zu begegnen, ist deshalb eine riskante Strategie. Pauschale Export- oder Nutzungsverbote sind bis auf wenige Extremfälle Strategien, die kontraproduktiv wirken können und wenig Aussicht auf Erfolg versprechen, solange die eigentlichen Ursachen und Marktmängel, etwa das Bestehen von Armut, nicht beseitigt sind. Nutzungsverbote unterbinden nicht nur die Möglichkeit ressourcengerechter Bepreisung. Solange sie nicht tatsächlich in Kraft gesetzt werden können, etwa mangels Überwachung, fördern sie illegalen Handel und Ausbeutung, bei der die Ressourcenrente zu 100% an die privaten Nutzer fließt, die Gesellschaft also keine Möglichkeit hat, zumindest einen Teil des Schadens durch Gebühren oder Steuern abzudecken. Aus den bisherigen Ausführungen dieses Kapitels wurde zudem deutlich, daß in der Umweltbewegung populäre Pauschalurteile wie "small is beautiful" oder "produce locally" 172 oder die Romantisierung der dörflichen Selbstversorgung und die Verteufelung großräumiger internationaler Handelsbeziehungen keine rationale Grundlage haben. Sie bedürfen ebenso der kritischen Abwägung wie alle anderen entwicklungspolitischen Strategien. Pauschalbewertungen verzichten in der Regel auf eine fallweise Überprüfung aller Effekte. Letzteres ist angesichtsder Komplexität der Zusammenhänge zugegebenermaßen schwierig, aber unabdingbar. In Abhängigkeit von unterschiedlichen Rahmenbedingungen und Externalitäten kann dieselbe Wirtschaftspolitik völlig unterschiedliche Wirkung haben: Beinhalten die Preise auch die Kosten für Umwelt, so führen die zur Wachstumsförderung empfohlenen Strategien zu einem eindeutig positiven Ergebnis; bestehen aber bereits Ineffizienzen, so können sie zu Umweltproblemen enormen Ausmaßes führen. Daraus allerdings eine Strategie der wirtschaftlichen Zurückhaltung zu folgern, wäre eine Fehlinterpretation der Ergebnisse: Bei Weiterbestehen der Marktunvollkommenheiten sind auch die Alternativstrategien mangelhaft, in der Regel sogar schlechter, und bei Korrektur der Marktmängel ist wirtschaftliche Zurückhaltung gegenstandslos.
172 Vgl. zu der dahinter stehenden Öko-Philosophie Schumacher (1989).
6.4. Externe Einflüsse auf Entwicklungsländer
235
6.4. Externe Einflüsse auf Entwicklungsländer Bislang richtete sich die Betrachtung der ökonomischen Rahmenbedingungen auf die Entwicklungs- und Umweltwirkung wirtschaftspolitischer Eingriffe der Entwicklungsländer. Im folgenden sollen nun Aspekte analysiert werden, die sich dem unmittelbaren Einfluß eines Staates entziehen. Es ist zu prüfen, in welchem Ausmaß externe Konstellationen die positiven Effekte einer starken Weltmarktintegration bzw. einer in den vorherigen Abschnitten als wachstumsförderlich und umweltverträglich erachteten Wirtschaftspolitik in Frage stellen. Dies ermöglicht eine Abschätzung des Umfangs der Umweltexternalitäten, die aus Sicht eines Entwicklungslandes nicht selbst verursacht sind. Ebenso kann die These geprüft werden, die empirisch belegten Erfolge der exportorientierten asiatischen Volkswirtschaften beruhten zumindest zum Teil auf günstigen externen Einflüssen, ihre Allgemeingültigkeit sei aber fraglich. In der politischen und publizistischen Umwelt- und Entwicklungsdiskussion wird aufgrundsolcher externer Einflüsse von einer "Schuld des Nordens" 173 an den Problemen der Dritten Welt gesprochen. Während wir uns einer derartigen moralischen Bewertung verweigern wollen, sollen die folgenden Ausführungen dazu beitragen, die sehr emotional geführte Diskussion zu versachlichen. Gehen von Handlungen ausländischer Akteure negative Folgen auf ein Land aus, so ist zu überlegen, inwieweit das betroffene Land diese Handlungen zuläßt oder gar herausfordert, sich also entsprechende Reaktionen selbst zuzuschreiben hat. So ist fraglich, ob die nichtnachhaltige Nutzung eines Regenwaldes durch ausländische Investoren deren "Schuld" ist oder nicht primär auf fehlende Rahmenbedingungen im Entwicklungsland zurückzuführen ist. Die Kennzeichnung zumindest als "Verursachet" einer Externalität ist allerdings dann akzeptabel, wenn ausländische Akteure Marktunvollkommenheiten nutzen, die nicht primär im Verantwortungsbereich nationaler Politik liegen, etwa aufgrund internationaler Monopolpositionen. Ist ein Entwicklungsland aufgrund seiner finanziellen, technischen oder personellen Ausstattung und seines Wissensstandes nicht in der Lage, externe Effekte zu internalisieren, so ist zweifelhaft, ob ihm die Verantwortung dafiir zugeschrieben werden kann.
6.4.1. Der Einfluß internationaler wirtschaftlicher Akteure
Der Gesamtumfang internationaler Wirtschaftsbeziehungen und der Anteil eines Entwicklungslandes an seinen Gewinnen ist zwar auch von der Offenheit
173 So der Titel des Buches von Sabet (1991). Ähnlich Die GRÜNEN (1990), S. 15-20, 39fT und Wernicke (1992).
236
6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
der jeweiligen Volkswirtschaft, seiner quantitativen und qualitativen Ausstattung mit Produktionsfaktoren und den konkreten wirtschaftspolitischen Maßnahmen abhängig, zum maßgeblichen Teil aber wird er von Offenheit, Wettbewerbsstrukturen und der Wirtschaftspolitik anderer Nationen beeinflußt. Eine Ausweitung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen durch Exporte ist nur dann möglich, wenn andere Länder willens sind, zu importieren. Die Aufnahme von Kapital hängt nicht nur von der Bereitschaft des Entwicklungslandes ab, ausländische Investitionen zuzulassen und Kredite aufzunehmen, sondern ebenso von dem Vorhandensein und dem konkreten Verhalten der ausländischen Anleger und Kreditgeber. Während ein Land die absoluten Wettbewerbsfaktoren selbst beeinflussen kann, sind die relativen Kostenvorteile, die die Allokation im Endeffekt bestimmen, eben auch von den absoluten Ausstattungen und der Wirtschaftspolitik der Partner bzw. Konkurrenten abhängig. Da sich diese externen Einflüsse im Zeitablauf ändern, kann es durchaus sein, daß eine bestimmte Ausstattung oder eine wirtschaftspolitische Strategie (z.B. Exportförderung), die zu einem bestimmten Zeitpunkt hohe Wohlfahrtsgewinne mit sich brachte, in einem anderen Kontext scheitert, weil andere Länder mit ähnlicher Ausstattung oder Strategie Marktanteile für sich beanspruchen oder das vormals offene Importland den Umfang der Importe einschränkt. Sofern diese variierenden Allokationen auf echten komparativen Kostenvorteilen und Veränderungen derselben beruhen, sind sie zwar Ergebnis effizienter globaler Ressourcenallokation, können aus Sicht eines konkreten Landes aber wachstums- und entwicklungshemmende Wirkung haben, etwa wenn die steigende Zahl der Anbieterländer in einem Exportbereich zu sinkenden Preisen und dadurch sinkenden TermsofTrade führt. Kommen die veränderten Strukturen allerdings durch Marktunvollkommenheiten und -Verzerrungen zustande, so ist die Situation zugleich aus globaler Sicht ineffizient, da ein geringeres Nutzenniveau erreicht wird als im optimalen Fall. Derartige internationale Ineffizienzen verschaffen einzelnen Ländern Gewinne und anderen Verluste, die nicht die wahre Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaften widerspiegeln. Um ein globales Optimum zu erreichen, ist also auch eine Internalisierung der länderübergreifenden Externalitäten nötig. Untersuchungsrelevante Akteure sind alle Staaten, Organisationen und Wirtschaftssubjekte, die die internationale Allokation direkt oder indirekt beeinflussen, etwa die Regierungen der verschiedenen Staaten oder Staatengruppen durch ihre Wirtschaftspolitik, die einzelnen international tätigen Unternehmen (Importeure, Exporteure, ausländische Investoren), die am Kapitalmarkt aktiven privaten und institutionellen Anleger, in nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) zusammengesChlossene Interessengruppen, Medien und internationale Organisationen wie der Internationale Währungsfonds IWF, die Vereinten Nationen, die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
6.4. Externe Einflüsse auf Entwicklungsländer
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Jung OECD, die Weltbankgruppe und andere Entwicklungsbanken 114 oder das Handelsabkommen GATI. Die Umweltverträglichkeit einer Entwicklung wird in einem Land also auch von dem Verhalten dieser Gruppen bestimmt. Auf direktem Wege beeinflussen vor allem ausländische Kapitalgeber die Umweltverträglichkeit von Investitionen in Entwicklungsländern. Obwohl die Festsetzung geeigneter Rahmenbedingungen grundsätzlich der Verantwortung des Gastgeberlandes obliegt und der Import ausländischen Kapitals und Güter zumindest keinen inhärenten Bias gegen Entwicklung und Umwelt enthält, ist die konkrete Wirkung von der persönlichen Haltung der Investoren abhängig. Ein ausländischer Investor oder Exporteur ist lediglieb gezwungen, sieb an lokale Gesetze zu halten, und auch hier ist bei mangelnder Überwachung ein Ausweichen möglich. Es unterliegt seiner auch moralischen Einschätzung, ob er davon abweichende, höhere Standards hinsichtlieb Umwelt, Arbeitssicherheit und sozialer Versorgung einhält und in welchem Maße gezielt Entwicklungsprobleme angegangen werden bzw. Technologie transferiert wird. Es besteht ein Handlungsspielraum für die Übertragung ausländischer Wertschätzungen für Umwelt und andere Werte. Variationen im Verhalten übertragen sieb dann in Variationen der Umweltverträglichkeit eines Entwicklungsprozesses, die nicht auf nationales Handeln zurückzuführen sind. Solche Schwankungen sind in starkem Maße zu erkennen: Auf der einen Seite gibt es durch internationale Organisationen und Unternehmerverbände ausgearbeitete "Codes of Conduct" und die Übertragung boher Standards durch international operierende Unternehmen, auf der anderen Seite gibt es zahlreiche "schwarze Schafe", die die Unfähigkeit nationaler Regierungen, Schutzbestimmungen zu etablieren oder zu sichern, ausnutzen und wider besseres Wissen Schäden verursachen. Dies trifft sowohl auf den Import möglicherweise gefährlicher Stoffe als auch auf potentiell umweltschädigende Produktion zu. 175 Inwieweit Wirtschaftsakteure aus Industrieländern aufgrund ihrer Machtstellung hinsichtlich finanzieller Ressourcen, Technologie und Wissen eine 174 Zu den Entwicklungsbanken zählen neben der Weltbankgruppe (die die International Bank for Reconstruction and Development (IBRD, i.d.R. als "die Weltbank" bezeichnet), die International Development Association (IDA), die International Finance Corporation (IFC) und die Multilateral Investment Guarentee Agency (MIGA) umfaßt) die Asiatische Entwicklungsbank (ADB), die Afrikanische Entwicklungsbank (AfDB), die Arabische Bank für ökonomische Entwicklung in Afrika (ABEDA), die Karibische Entwicklungsbank (CDB), die Interamerikanische Entwicklungsbank (IDB) und die Islamische Entwicklungsbank (IDB). Zur Entstehung und Entwicklung dieser Institutionen siehe Andersen/Woyke (1985) und Cassen (1990), S. 385-392. 175 So stellte eine Studie des US-amerikanischen "Office of Technology Assessment (OTA) • fest, daß bei amerikanischen Medikamenten, die in Entwicklungsländern verkauft werden, Beschreibungen fehlen oder irreführend sind. Während die betroffenen Finnenjede moralische Verantwortung damit von sich weisen, daß die Dokumentierungsregelungen zwischen den Ländern differierten, sahen die US-Behörden in diesem Vorgehen eine sträfliche Ausbeutung unwissender Menschen. Vgl. o.V. (1993cc), S. 6.
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6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
besondere Verantwortung für nachhaltiges Wirtschaften unabhängig von den konkreten gesetzlichen Regelungen der Entwicklungsländer haben, ist durchaus umstritten. Die Ausnutzung von Monopolstellungen im internationalen Handel bringt zweifellos mit sich, daß Industrieländerexporte in Entwicklungsländer Monopolrenten beinhalten, etwa in Form überzogener Beratergehälter sowie überteuerter und unangemessener Kapitalgüter. Ausländische Anleger aus Industrienationen können sich durch das Gegeneinanderausspielen verschiedener Standorte in der Dritten Welt und durch Drücken von Standards die Gewinne aus Handel aneignen. Gerade in bezugauf (umweltverträgliche) Technologien sind zahlreiche Entwicklungsländer auf die Unterstützung der industrialisierten Länder angewiesen, da ihnen entsprechende Mittel selbst nicht zur Verfügung stehen. Die Existenz von Monopolstellungen gerade in diesem Schlüsselbereich kann also durchaus die Nachhaltigkeit der Entwicklung behindern, ohne daß das Entwicklungsland darauf Einfluß nehmen kann. Die Forderung von Umweltschützern und Entwicklungsländern nach Internalisierung solcher Externalitäten ist unter diesem Gesichtspunkt also durchaus gerechtfertigt. Ein ähnlicher Konflikt ist bezüglich der Auslands- und Entwicklungshilfe176 zu konstatieren. Auch hier hatten wir festgestellt, daß in der Gesamtbetrachtung deren Wirkung die wirtschaftliche und ökologische Situation in Entwicklungsländern eher verbessert als verschlechtert. Diese generalisierende Bewertung besagt aber noch nicht, daß die Art der Verwendung ausländischer Gelder das Ausmaß des Nutzens für das Entwicklungsland nicht erheblich beeinflußt, also durchaus durch ausländisches Verhalten der Nutzen äußerst unterschiedlich ausfallen kann bzw. im Einzelfall sogar in Nettoschäden umschlägt. Letzteres ist etwa dann der Fall, wenn gut gemeinte Nahrungsmittelspenden die Agrarmärkte der Entwicklungsländer unterwandern. Gerade die bilaterale und multilaterale Entwicklungshilfe siebt sich mitunter dem Vorwurf ausgesetzt, ihr Beitrag zur Verminderung der Armut sei unter ihren Möglichkeiten und würde Umweltzerstörung in zahlreichen Fällen begünstigen. Dies sei darauf zurückzuführen, daß ausländische Gelder einen starken Bias zugunsten kapitalintensiver Methoden, über- und fehldimensionierter Großprojekte im Bereich der Infrastruktur und anderer Mammutprojekte wie Umsiedlungen hätten. 177 Betrachtet man die Struktur der bilateralen Entwicklungshilfe, so gibt die Tatsache zu denken, daß ein nicht unerheblicher Teil derselben an Länder mit hohem und mittlerem Einkommen geht (1988: 41 Prozent). 178 Bezüglich der
176 In den Entwicklungsländern mit niedrigem Einkommen stellt die Entwicklungshilfe fast 70 % der Kapitalimporte dar, wobei der Anteil in Einzelfällen, v .a. in Afrika, noch höher liegt. Vgl. Weltbank (1990), S. 154. 177 Vgl. ESCAP (1991), S. 192-196, Repetto (1988b), S. 40 und Piddington (1992), S. 217. 178 Vgl. Weltbank (1990), S. 154.
6.4. Externe Einflüsse auf Entwicklungsländer
239
Pro-Kopf-Zuweisungen führt Israel mit 295 US$ pro Person die Liste der Empfänger an, gefolgt von Jordanien, Jamaika und Ägypten, während etwa Indien mit 1,90$ und China (1,80$) am Ende der Liste stehenY9 Dies bestätigt, daß bilaterale Entwicklungshilfe in starkem Maße aus strategisch-politischen Überlegungen vergeben wird und die Verwendung eher in militärische oder machterhaltende Projekte fließt. Dies trifft vor allem auf die Auslandshilfe der USA und der früheren Sowjetunion zu, während britische und französische Hilfe eher auf vormalige Kolonien gerichtet ist. 180 Ein weiterer Aspekt, der den volkswirtschaftlichen Nutzen dieser Gelder betrifft, ist die Bindung derselben an Importe aus Geberländern. Nicht immer ist dabei der Einsatz der Entwicklungshilfe auch wirklich im Interesse des Entwicklungslandes, etwa wenn technisch aufwendige und teure Anlagen oder Beratertätigkeiten mehr oder weniger "aufgedrängt" werden. Derartige Bindung der Hilfe ist vor allem bei japanischer und z. T. europäischer Entwicklungshilfe gegeben, ist aber auch ein Element der 1993 von Präsident Clinton vorgeschlagenen "National Export Strategy" . 181 Insgesamt weisen die Geberländer deutlich unterschiedliche Schwerpunkte auf, wobei die Eigennützigkeit bei den skandinavischen Ländern am geringsten eingeschätzt wird. 182 Mit steigendem ökonomischen Eigeninteresse der Geberländer geht erfahrungsgemäß auch eine geringere Berücksichtigung sowohl der sozialen bzw. kulturellen als auch der Umweltaspekte des Empfängerlandes einher. Japan hat hier unter allen Industrieländern gerade aus Umweltsicht den schlechtesten Ruf. Zum einen besteht in Japans Entwicklungshilfe eine recht offensichtliche Verquickung mit kommerziellen Interessen, die oftmals die Zerstörung der Umwelt im Empfängerland vorangetrieben hat. Zum anderen fällt das Umweltbewußtsein Japans, sofern es das Ausland betrifft, deutlich hinter andere westliche Nationen zurück. Das wohl augenfälligste Beispiel ist hier die massive Regenwaldvernichtung in Südostasien durchjapanische Unternehmen, wobei diese nach der weitgehenden Abholzung der Wälder Thailands und der Philippinen über Malaysia und Indonesien nach Papua Neuguinea weiterzogen. 183
179 Vgl. o.V. (1992d), S. 34. 180 Vgl. Weltbank (1990), S. 156 und Cassen (1990), S. 379-382. Für Frankreich steht dabei auch die Förderung der französischen Sprache ganz im Vordergrund. 181 Vgl. o.V. (1993dd), S. I. Die Strategie beinhaltet neben der Bindung von Entwicklungshilfe an Importe aktive Unterstützung amerikanischer Unternehmen im Ausland durch Netzwerke und Lobbytätigkeit von Beamten.
182 Vgl. UNDP (1991), S. 8 und Hilpen (1992), S. 297-303. 183 Vgl. Maul/ (1992), v .a. S. 354f, 363ff, Myers (1986), S. 297fund Tuntawiroon (1982), S. 370-375.
240
6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
Trotz dieser durchaus kritischen Betrachtung ist auch zu berücksichtigen,
daß die deutliche Verbesserung der medizinischen Versorgung in der Dritten
Welt maßgeblich auf finanzielle und technische Hilfe ausländischer Organisationen zurückzuführen ist. In welchem Maße dies positiv oder gar in Zusammenhang mit dem Bevölkerungswachstum ambivalent zu bewerten ist, bleibt dahingestellt.
Multilaterale Stellen der Vereinten Nationen und die Entwicklungsbanken orientieren sich zwar stärker an den Bedürfnissen der Empfängerländer, auch deren Aktivität wird aber vor allem von Umweltgruppen kritisch betrachtet. Gerade der Weltbank wurde vorgeworfen, sie finanziere umweltschädliche Großprojekte in der Dritten Welt bzw. vernachlässige bei ihren Projekten Umweltgesichtspunkte. Im Laufe der letzten Jahre hat sich in der Vergabepraxis der Weltbank, aber auch aller anderen Geberinstitutionen ein deutlicher Wandel hinsichtlich der expliziten Berücksichtigung der Umwelt ergeben. Es wurden Umweltabteilungen eingerichtet und ausgestattet, Richtlinien zur umweltverträglichen Entwicklung aufgestellt, die Förderung umweltfreundlicher Projekte erweitert, länderspezifische Umweltstudien erstellt und die Konditionalität auf die Einhaltung von Umweltschutzmaßnahmen, etwa die Erfordernis von Umweltstudien vor Projektdurchführung, ausgeweitet. Zwar ist aus Sicht vieler Umweltgruppen die Berücksichtigung von Umweltaspekten nach wie vor unzureichend, zweifellos bat sich aber eine stärkere Gewichtung derselben ergeben. 184 Während die Vergabepraxis von Entwicklungshilfe direkt auf die Beziehung zwischen Umwelt und Entwicklung wirkt, ist der Einfluß multilateraler Organisationen und Institutionen, wie Währungsfonds, GATT oder OECD, auf die Umwelt eher indirekt. Insofern sie- wie GATT und Staatenbünde- Handelsströme durch ihre Regeln und Vereinbarungen beeinflussen, wird ihre potentielle Wirkung in den folgenden Abschnitten dargestellt. Unter den zahlreichen internationalen Organisationen hat sich neben der Weltbank vor allem der Währungsfonds (IWF) den Vorwurf eingehandelt, "er sei das Sinnbild des 'entmenschlichten' weltwirtschaftliehen Konzepts der Industrieländer" 185 , was auf die bereits diskutierten möglichen negativen Nebenwirkungen der vom Währungsfonds geforderten Strukturanpassungsmaßnahmen abzielt. Wie bereits analysiert, ist bei einer derartigen Bewertung zu beachten, daß es sich dabei weniger um von den IWF-Maßnahmen verursachte Probleme handelt, sondern
184 Zur Kritik, aber auch zunehmenden Berücksichtigung von Umweltaspekten in der Weltbank vgl. Hein (1988), Seda (1993), S. 5-28 und Piddington (1992) und aus Sicht der Weltbank World Bank (1992), S. 81 und World Bank (1991a). 185 Vorwurfzentralamerikanischen Bischöfe, zitiert in Klein (1993), S. 79. Vgl. auch MacNeill (1989), S. 145f und Hein (1988).
6.4. Externe Einflüsse auf Entwicklungsländer
241
um durch nationale Fehlentscheidungen verursachte Marktmängel, deren Beseitigung durchaus schmerzhaft sein kann. Allerdings muß man dem Währungsfonds zumindest dahin gehend einen gewissen Einfluß zurechnen, daß er durch die Art der Konditionalität und der Beratungstätigkeit das Ausmaß der negativen Anpassungseffekte durchaus mindern kann, wenn etwa Umweltwirkungen von vomherein adäquat einbezogen werden. Da makroökonomische Disziplin - wie in diesem Kapitel deutlich gezeigt - Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklungsstrategie ist, muß die Rolle des Währungsfonds, der dahin gehenden Druck auf Entwicklungsländer ausübt, insgesamt eher positiv gesehen werden. Aufgrund der kritischen Rolle des Humankapitals und der deutlichen Überlegenheit entwickelter Länder in dieser Hinsicht, können ausländische Akteure diesen Faktor entscheidend beeinflussen. Im positiven Sinne erfolgt dies durch die Ausbildung von Arbeitskräften in Entwicklungsländern im Rahmen ausländischer Direktinvestition oder Entwicklungshilfe oder durch die Lerneffekte im Verlaufe der Handelsbeziehungen selbst. Allerdings ist die Wirksamkeit derartiger Ausbildungshilfen dann eingeschränkt, wenn sie sich auf akademische und anderweitige Bildung in Industrieländern bezieht und die dort ausgebildeten Arbeitskräfte in den entwickelten Ländern verbleiben. In dem Maße, wie diese Ausbildung nicht durch Stipendien der Industrieländer, sondern durch die Entwicklungsländer selbst finanziert wurde, tritt ein Nettokapitalexport von Entwicklungs- zu Industrieländern ein, der durch den Verlust des knappen Humankapitals (brain drain) noch verstärkt wird. 186 Während die Offenheit des Arbeitsmarktes entwickelter Länder für ausländische Fachkräfte und Wissenschaftler aus Sicht der Entwicklungsländer problematisch ist, wäre sie in bezug auf ungelernte Kräfte vorteilhaft, da der eigene Arbeitsmarkt entlastet wird und durch die Rücküberweisungen erhebliche Kapitalzuflüsse erfolgen. 187 In beiden Bereichen spielen dabei die gesetzlichen Regelungen des Industrielandes und weniger die des Entwicklungslandes die ausschlaggebende Rolle. Über sämtliche hier genannten Verflechtungen kann sich die Haltung anderer Länder zur Umwelt auf ein Entwicklungsland übertragen. Wie diese sich konkret ausdrücken, werden wir in Kapitel 7 bei der Darstellung externer Einflüsse aus gesellschaftspolitischer Sicht betrachten.
186 Im Falle Koreas verblieben von 7200 im Bereich der NPturwissenschaft und des Ingenieurwesens in den USA ausgebildeten Kräften 6000 in den USA. Die Zahl der taiwanesischen Wissenschaftler und Ingenieure in den USA wird auf30000 geschätzt. Vgl. Bello/Rosenfeld (1990), S. ll6 und 275. 187 Die Rücküberweisungen ausländischer Arbeitnehmer betrugen 1978 24 Mrd. US$. Vgl. Wagner(l991), S. 14. 16 Stenge!
242
6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
6.4.2. Wirkung weltwirtschaftlicher Störungen und Schocks
Die Entwicklung der Dritten Welt kann durch das Auftreten weltwirtschaftlieber Schocks, also. unerwarteter Verzerrungen auf Güter-, Finanz- und Devisenmärkten, erheblich beeinflußt werden. Die Ursachen solcher Störungen sind dabei äußerst verschieden. Oftmals lassen sie sich aber auf die Manipulation von Preisen durch einzelne Länder b:Z:W. eine Ländergruppe zurückführen, die aufgrund ihrer Größe oder Monopolstellung in der Lage sind, Weltmarktpreise zu beeinflussen. Paradebeispiel sind die Ölkrisen der frühen und späten siebziger Jahre, ausgelöst durch die Vervierfachung des Ölpreises 1973 und der Verdreifachung 1979. Sie schlugen sich in der Weltwirtschaft vor allem zu Beginn der achtziger Jahre in Gestalt eines steigenden Dollarkurses, in dem Ölgeschäfte abgewickelt werden, nieder. Zudem kam es bei Rohstoffverknappung zu Stagflationären Tendenzen, d.h. Inflation aufgrund stark expansionärer Geldpolitik bei gleichzeitigem radikalen Nachfragerückgang. Für die meisten erdölimportierenden Entwicklungsländer bedeutete dies eine akute Devisenverkoappung. Neben dieser erhöhten Nachfrage nach Kapital führte die Ölkrise zum einen über den gestiegenen Dollarkurs zu einer Erhöhung des Schuldendienstes und zum anderen über das "Recycling" der Petrodollars auf den internationalen Kapitalmärkten zu einem reichlichen Kapitalangebot mit teilweise negativen Realzinsen. 188 Der Bedarf und die leichte Verfügbarkeil von Krediten für z.T. dubiose Projekte ungeachtet der Kreditwürdigkeit hat maßgeblich zur Schuldeokrise beigetragen, zeigt also die Vielzahl externer Einflüsse, die diese konstituierte. Auch aus Umweltsicht schien die Ölkrise zunächst problematisch zu sein. Die akute Verschuldung der Entwicklungsländer beschleunigte nicht nur die Exporte von natürlichen Ressourcen. Sie führte aufgrund abnehmender Nachfrage und zunehmenden Angebots auch zu sinkenden Preisen, die in der Regel durch weitere Mengenausweitung kompensiert wurden. 189 Allerdings muß diese Beurteilung durchaus differenziert werden, wenn man unterstellt, daß der Preis der erschöpfbaren Ressource Öl vor Beginn der Ölkrise zu niedrig war, da er die durch Extraktion, Transport und Verbrauch des Öls verursachten Umweltkosten nur unzureichend berücksichtigte. Trifft dies zu, so wäre vor der Ölkrise der Umfang nationaler und globaler ölverbrauchender Wirtschaftsaktivität zu hoch gewesen und die Einschränkung auch des internationalen Handels durch nun gestiegene Ölpreise, die sich in höheren Energie-, Transport- und Produktionskosten niederschlugen, wäre aus Wohlfahrtssicht erwünscht.
188 Vgl. Wagner (1991), S. 17f, 78f, Chacholiades (1990), S. 394f. 189 Vgl.
am Beispiel Brasiliens Hansen (1989), S. 8Jf.
6.4. Externe Einflüsse auf Entwicklungsländer
243
Es überrascht nicht, daß die Ölkrise eine aus Sicht der Umweltökonomie zu erwartende Entwicklung mit sich brachte, nämlich die erhebliche Verbesserung der Effizienz der Nutzung dieser Ressource und einen Rückgang des Energieverbrauchs. 190 Gerade unter Berücksichtigung des Aspekts der Nachhaltigkeil wäre die Erhöhung der Ölpreise im allgemeinen also eher als wünschenswerte Internalisierung externer Effekte zu betrachten, wenn sie in einer Weise erfolgt wäre, die eine Anpassung der Volkswirtschaften und Wirtschaftssubjekte an die veränderten Gegebenheiten ermöglicht hätte. Durch ihren Schockeffekt und die damit verbundene Destabilisierung der Welt- und Binnenwirtschaft konnten sich allerdings die negativen Effekte entwickeln und in Form sich fortpflanzender Marktunvollkommenheiten ausbreiten, während eine graduelle Anpassung der Ölpreise den betroffenen Ländern die Möglichkeit gegeben hätte, ihre Allokation nach dem Gesichtspunkt der so veränderten Wettbewerbspositionen neu auszurichten. Ein zweites Beispiel für wirtschaftspolitische Entscheidungen eines Landes, die sich über den Weltmarkt auf andere Länder übertragen, ist das Leistungsbilanz- und Budgetdefizit der USA, das unter Reagan durch die Kombination von steigenden Staatsausgaben (v.a. zu Gunsten des Verteidigungshaushalts) und angebotsorientierter Steuersenkung entstanden ist. 191 Die notorisch unzureichende Sparquote der USA erforderte zur Abdeckung der Budgetdefizite den Import ausländischen Kapitals durch ein hohes Zinsniveau und führte somit zu einem Anstieg des Kurses des US-Dollars, der sich in Leistungsbilanzdefiziten niederschlug. Eine Aufwertung des US-Dollars verteuert die Importe von Gütern aus den USA und trifft solche Länder negativ, die auf Dollar-Basis verschuldet sind, da sich allein durch die Aufwertung ihr Schuldendienst erhöht. Zunächst positiv beeinflußt werden dagegen die Exportnationen, da das Leistungsbilanzdefizit der USA erhebliche Leistungsbilanzüberschüsse anderer Staaten ermöglicht. Allerdings ist auch hier vor zu positiver Interpretation der Wirkung zu warnen, führt doch - wie der Fall USA zeigt - ein anhaltendes Leistungsbilanzdefizit zum einen zum verstärkten Ruf nach protektionistischen Maßnahmen, dem eine Begrenzung des Gesamtumfangs des internationalen Handels entspräche. Zum anderen steigt durch außenwirtschaftliche Ungleichgewichte die Gefahr von internationalen Vertrauenskrisen, spekulativen Schwankungen von Zins und Wechselkursen und damit realwirtschaftlichen Fehlallokationen. 192
190 Vgl. von Weizs4cker(J992), S. 67fT, Renner(1988), S. 18fT; 26fTund Lean/Hinrichsenl Markham (1990), S. 118. 191 Vgl. Krugman lObstfeld (1991), S . 300fT, 570fT. 192 Vgl. Wagner (1991), S. 25f. 16*
244
6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
Ein weiteres Phänomen mit weltwirtschaftlicher Dimension hat in den letzten Jahrzehnten zunehmende Brisanz erhalten und ist von erheblicher Relevanz für die Effizienz internationaler Allokation und damit fiir die Quantität und Qualität wirtschaftlicher Entwicklung in der Dritten Welt. Nicht zuletzt durch die rasanten Innovationen im Bereich der Kommunikationstechnologien werden internationale Kapitalströme in immer stärkerem Maße von Finanztransaktionen bestimmt, die auf die Nutzung von Spekulationsgewinnen abzielen und durch erhebliche Schwankungen aufgrund unübersehbarer Informationen, Unsicherheit und instabiler Erwartungen gekennzeichnet sind, und nicht mehr - wie von der Außenhandelstheorie idealisiert - reale Veränderungen der jetzigen und erwarteten Außenhandelsströme wiedergeben. 193 Folge davon sind erratische Wechsel- und Aktienkursschwankungen, die keine solide Grundlage für realwirtschaftliche Allokationsentscheidungen mehr liefern, da die Preise auf den Märkten die realen Knappheitsbedingungen nicht mehr adäquat widerspiegeln. Sie bringen die Gefahr mit sich, daß knappe Ressourcen statt in produktiver Verwendung in sich selbst aufschaukelnden und erhaltenden "Seifenblasen" (hubbles) in Form kollosal überbewerteter Wertpapiere und Immobilien ohne produktive Wirkung zirkulieren. So schnell sich im Sinne einer "self-fulfilling prophecy" durch Gerüchte und Vermutungen verzerrte Preise aufschaukeln, so akut ist auch die Gefahr des Platzens dieser Seifenblase, wenn Gerüchte über bevorstehende Kursverluste zu einem panikhaften Ausstieg aus den entsprechenden Papieren oder Märkten führen. Der Börsenkrach vom Oktober 1987 hat auf die Folgen derartiger Schwankungen hingewiesen. Entwicklungsländer sind von solchen Finanztransaktionen in mehrerlei Hinsicht betroffen. Die Umlenkung von Kapital in spekulative Verwendung trifft die auf den produktiven Einsatz desselben besonders angewiesenen unterentwickelten Volkswirtschaften in höherem Maße. Der Ausbau der Finanzmärkte in der Dritten Welt, der zunehmend zu beobachten ist, ist also nur unter dem Aspekt des größeren Interesses in Anlagen in Entwicklungsländern positiv zu betrachten, enthält aber ein deutlich spekulatives Element, das zur Fehlallokation der knappen Erträge der Volkswirtschaft führen kann. Kurzzeitige Erfolge an den Börsen führen zur Ausweitung der Einkommensdiskrepanzen bzw. zum Drängen Bezieher geringerer Einkommen in spekulative Anlagen, die allzuhäufig fehlschlagen. 194Auch die Aufblähung des Immobilienmarktes ist in vielerlei Hinsicht problematisch, da sie neben den Opportunitätskosten unterlassener Alternativinvestition zudem zu erheblichen negativen Verteilungseffekten über die Verteuerung des innerstädtischen Wohnraums führen kann.
193 Vgl. Wagner (1991), S. 120f. 194
90.
Zum Umfang und den Folgen spekulativen Verllaltens in Malaysia vgl. Khor (1987), S. 83-
6.4. Externe Einflüsse auf Entwicklungsländer
245
Die soeben genannten Beispiele können auf unvollkommene Anpassungen und Marktmängel der internationalen Märkte zurückgeführt werden und beeinflussen über deren Transmission nationale Entwicklungstendenzen. Die Betroffenheit von derartigen Einflüssen ist zwar positiv mit dem Grad der Integration in die Weltwirtschaft verbunden, darf aber nicht zu der Schlußfolgerung führen, daß diese deshalb einzuschränken sei. Zum einen zeigen Studien, daß mit zunehmender Weltmarktorientierung die Fähigkeit, mit weltwirtschaftlieben Störungen und Krisen fertig zu werden, steigt und die Anfälligkeit für Verscbuldungsprobleme sinkt. 195 Zum anderen treten weltwirtschaftliche Effekte eben nicht nur im negativen Sinne bei globalen Schocks und Rezessionen auf, sondern auch im positiven Sinne im weltwirtschaftliehen Boom. In derartigen Situationen können Entwicklungsländer ohne eigenes Zutun vom Wirtschaftswachstum anderer Länder profitieren (Lokomotiv-Funktion), wobei die zu erwarteten Gewinne positiv mit dem Umfang der Integration in die Weltwirtschaft gekoppelt sind. 6.4.3. Handelshemmnisse: Die Wirkung des Protektionismus
6.4.3.1. Formen und Begrundung des Protektionismus
Die Realität weicht in starkem Maße von der neoklassischen Idealvorstellung des Freihandels ab. Die weltwirtschaftliehen Verflechtungen sind von zahlreichen Einschränkungen und Verzerrungen des internationalen Handels durch nationalstaatliche Interventionen charakterisiert. Insofern diese Politik in Hinblick auf den Außenhandel "auf den Schutz inländischer Produzenten gegen die ausländische Konkurrenz gerichtet ist" 196 , wird sie als Protektionismus bezeichnet. Zur Verfügung stehen dabei zum einen taritäre Maßnahmen wie Zölle (Mengen-, Wert- oder Gleitzölle) und nichttaritäre Interventionen, die offen (Quoten, Kontingente, Import- und Exportverbote) oder versteckt sein können. Zu letzteren zählen Qualitäts-und Sicherheitsbestimmungen197 , Verwaltungsgebühren, die Einführung zeitraubender Verfahren der Genehmigung und Abfertigung, komplizierte Methoden der Zollermittlung, Verbrauchssteuern auf Güter,
195 Vgl. Hemmer (1988), S. 545 .
196 Gablers Wirtschaftslexikon (1984), Bd. 4, Sp. 878. 197 Hoek:man / Leidy (1992) weisen aber daraufhin, daß Qualitätsstandards fiir Importeure dann von Vorteil sein können, wenn Konsumenten Zweifel an der Qualität ausländischer Produkte haben. In diesem Fall dient die Festsetzung von Qualitätsstandards fiir Importe dazu, die Güte ausländischer Produkte amtlich zu bestätigen, kann also zu einer Verschiebung der Nachfrage auf diese Produkte führen (S. 236) .
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6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
für die keine nennenswerte inländische Produktion besteht, Formalitäten für Warenbegleitpapiere und Ursprungsdokumente (z.B. Übersetzungskosten), die Diskriminierung ausländischer Anbieter bei staatlicher Auftragsvergabe, fortwährende Änderung der Vorschriften, unzureichende Information, sog. Selbstbeschränkungsabkommen, Unterstützung der einheimischen Erzeuger durch Werbung und aktive Förderung, Begünstigung der Exporte durch Subventionen, steuerliche Vorteile, Bürgschaften, Marketing-Hilfen und Manipulationen von Zinsen und Wechselkursen. Auch Dumping, der Export zu Preisen unterhalb des im Exportland geforderten Preises, kann durch staatliche Hilfen, etwa Marktabschottung und damit hohe Preise auf dem dortigen Markt, ermöglicht werden. Das GA1T nennt rund 600 verschiedene Formen solcher Barrieren. 198 Die Entwicklungsorganisation der Vereinten Nationen (UNDP) hält nur 7% des Welthandels für völlig frei bzw. voll den GAlT-Richtlinien entsprechend. 199 Die Gründe, die für handelsbeschränkende Maßnahmen eines Landes angeführt werden, sind vielfältig: Man beruft sich auf die Notwendigkeit stabilisierender Maßnahmen, um negative Auswirkungen weltweiter wirtschaftlicher, politischer oder naturbedingter Schocks zu vermeiden, etwa durch eine Manipulation des Nahrungsmittelsektors in Richtung auf Selbstversorgung aus Gründen der nationalen Sicherheit.200 Mit dem Argument, die "kulturelle Idet;ltität" des Landes vor der Dominanz ausländischer Einflüsse schützen zu müssen, widersetzen sich so unterschiedliche Länder wie Frankreich, Indien und Singapur einer Liberalisierung des Film-, Funk- und Femsehsektors. 201 Furcht vor "Überfremdung" und "Ausverkauf" kann die Akzeptanz ausländischer Unternehmen beeinflussen. Aus politischen bzw. humanitären Gründen werden Handelsembargos und -beschränkungen verhängt bzw. angedroht, etwa im Falle der USA gegenüber Vietnam und Kuba, gegenüber China nach dem Tienanmen-Massaker oder gegen Irak und Serbien in Verbindung mit Kriegshandlungen. Zur Aufrechterhaltung nationaler Souveränität versuchen Staaten, ausländische Einflüsse einzudämmen. Die Frage nationaler Souveränität und Sicherheit spielt auch bei der Beschränkung der internationalen Mobilität des Faktors Arbeit eine Rolle, etwa in Form von Einwanderungs- und Gastarbeiterregelungen. In der Praxis ist dabei nur schwer zu untersche!den, ob die Handelsbeschränkungen nun aufgrund dieser übergeordneten Erfordernisse oder
198 Vgl. Wagner (1991), S. 33f und Chacholiades (1990), S. 190-221. 199 Vgl. o.V. (1992h). S. 17. 200 Mit der Notwendigkeit der unabhängigen Sicherung der Versorgung mit Reis wurde etwa die Abschließung des japanischen Reismarktes begründet. 201 Entsprechend wurde auch die EG-Femsehrichtlinie von 1991 begründet, die eine Quote von 50 Prozent für europäische Produktionen festschreibt. Vgl. o.V. (1993rr).
6.4. Externe Einflüsse auf Entwicklungsländer
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schlichtweg zugunsten der eigenen Wettbewerbsfähigkeit verhängt werden. Letzteres ist eindeutig der Fall, wenn protektionistische Maßnahmen zur Erhaltung einer bestimmten wirtschaftlichen Struktur, also zur Vermeidung von möglicherweise schmerzhaftem Strukturwandel erfolgt bzw. gezielt heimische Industrie gefördert wird, etwa mit dem Erziehungszollargument, das junge Wirtschaftszweige in der kritischen Startphase schützen soll. Ist ein übergeordnetes, außerökonomisches Interesse nur schwer zu begründen, werden derartige Eingriffe damit verteidigt, daß man ungerechtfertigte Benachteiligungen korrigieren wolle, also Verzerrungen der Wettbewerbsstruktur, verursacht durch unfaire Maßnahmen anderer Nationen, Marktmacht und "natürliche" Marktunvollkommenheiten. In der Tat ist der Unterschied zwischen der Förderung echter Kostenvorteile und ihrer Verzerrung nicht immer ersichtlich. Kostenvorteile werden auch durch wirtschaftspolitisches Eingreifen "geschaffen". Einige der in Kapitel 6.2.2 empfohlenen Strategien gehen eindeutig in diese Richtung, etwa aktive Anreize für ausländische Direktinvestitionen, Erziehungszölle oder aktive Exportförderung. Offensichtlich sind einige der protektionistischen Maßnahmen durchaus aus Sicht des sie verfügenden Landes wachstumsfördemd, stellen aber aus Sicht der anderen Mitspieler am Weltmarkt handelsverzerrende Instrumente dar. Die Frage, ob solche Eingriffe nun effizienzerhöhende Verbesserungen der Wettbewerbspositionen darstellen oder ineffiziente Fehlallokationen verursachen, ist also nicht immer eindeutig. Wir hatten bereits bei der Untersuchung der binnenwirtschaftlichen Effekte darauf hingewiesen, daß derartige Maßnahmen ganz bestimmte Konditionen erfüllen müssen- kurzfristig, abnehmender Schutz, Kontrolle der Produktivität-, um wirksam zu sein. Dies kann ein Referenzpunkt sein, um legitime Instrumente zur Erhöhung der Effizienz von bloßen Schutzmaßnahmen zu unterscheiden. In welchem Maße letzteres dominiert, wird dadurch sichtbar, daß protektionistische Tendenzen vor allem in vermeintlichen Krisenzeiten laut werden, wenn globale Rezession zur Freisetzung von Arbeitskräften führt, Außenhandels- oder Budgetdefizite bestehen oder externe Schocks als negative Folge zu intensiver Handelsverflechtungen interpretiert werden. 6.4.3.2. Konventionelle Wohlfahrtselfekle des ProtekJionismus
Handelsbeschränkende oder -verzerrende Maßnahmen stellen zum einen aus globaler Sicht ineffiziente Allokation dar, zum anderen besteht die Gefahr protektionistischer Gegenreaktion anderer Länder, die wiederum zum Anlaß genommen werden kann, eigene Protektionen zu verstärken (tit-for-tat). Derartige kumulative Prozesse können in Handelskriege ausarten bzw. bei aktiver Förderung der eigenen Industrien zu Überbietungswettläufen bezüglich Subventionen, Steuererleichterungen und Exporthilfen bzw. zu Unterbietungswett-
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6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
hewerb bei der Anlockung von Unternehmen durch verminderte Arbeits- und Umweltstandards führen. Einige der in Kapitel6.2.2 aufgeführten Instrumente verlieren also ihre Effektivität, wenn andere Nationen ähnliche Mittel wählen. Statt der erhofften Verbesserung der relativen Wettbewerbssituation werden lediglich zusätzliche Kosten verursacht und die volkswirtschaftlichen Vorteile zugunsten privatwirtschaftlicher Renten verschoben. Statt der Ausweitung des Handels ist durch Handelskriege eine Verminderung des Gesamtvolumens zu befürchten, die eine mögliche Verbesserung der relativen Wettbewerbsposition kompensieren kann. Die Kosten des Protektionismus bestehen zum einen in aktiven Staatsausgaben (durch Subventionen) und dem Verzicht auf Staatseinnahmen (etwa bei Steuererleichterungen) bzw. bei der Abblockung ausländischer Wettbewerber in einem höheren Preisniveau und damit der suboptimalen Versorgung der Verbraucher. Letztere tragen direkt oder indirekt als Steuerzahler die Kosten der Eingriffe, deren Nutzen in der Regel relativ eng abgegrenzten Gruppen zugute kommen. Eine GATT-Studie zeigt, daß vom Protektionismus vor allem Bezieher geringerer Einkommen betroffen sind, da Güter des Grundbedarfs besonders stark den Handelsbeschränkungen unterliegen. 202 Der Agrarsektor ist der dramatischste Fall für weltweiten Protektionismus durch taritäre und nichttaritäre Handelshemmnisse, bei dem zumal die Wirkung auf Entwicklungsländer besonders eklatant ist. Bis zur Uruguay-Runde war dieser Sektor von den GATT-Runden zum Abbau der Handelshemmnisse ausgespart. 203 Im Verlauf der Uruguay-Runde verhinderte die fehlende Einigung gerade im Agrarhereich mehrmals den fristgerechten Abschluß, der ursprünglich auf 1990 festgesetzt war und danach Jahr für Jahr hinausgeschoben wurde. Erst im Dezember 1993 kam eine Einigung zustande, allerdings mit erheblichen Konzessionen gerade im Agrarbereich. Nach Berechnungen der OECD wurde die Landwirtschaft im Jahr 1990 mit 300 Milliarden US$ direkt subventioniert, vor allem in den USA, der EG und einigen asiatischen Volkswirtschaften (Japan, Korea). Die Einkommensstützungen für Bauern durch Subventionen und überhöhte Preise beliefen sich in den USA innerhalb zweier Jahre auf $309 Mrd., in der EG auf 425 Mrd. und in Japan auf 241 Mrd. US $. Dies schließt die Kosten für exportfördernde Maßnahmen und die Lagerung und Verwertung der Überproduktionen noch nicht ein. Zahlreiche Länder, wie die Schweiz, Norwegen und Japan, garantieren ihren Bauern über zwei Drittel ihres Einkommens. 204 Einjapanischer Verbrau-
202 Vgl. o.V. (1993ee). 203 Vgl. Junz/Boonekamp (1991) und Ostry (1991). 204 Vgl. Murphy (1992), S. 9.
6.4. Externe Einflüsse auf Entwicklungsländer
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eher zahlt für diese Politik mit einem Reispreis, der um das Fünf- bis Siebenfache über dem des Weltmarktes liegt. Der Zuckerpreis, den ein amerikanischer Konsument in den 80er Jahren beglich, betrug das Dreifache des Weltmarktpreises. 205 Doch nicht nur die einheimischen Verbraucher und Steuerzahler, auch das Ausland, insbesondere die Entwicklungsländer, sind davon negativ betroffen. Die in den Industrieländern erzeugten Überschüsse werden auf das wesentlich niedrigere Weltmarktpreisniveau herabsubventioniert und verdrängen somit Anbieter z.B. aus Entwicklungsländern, die bei freiem Handel gegenüber den Agrarprodukten aus entwickelten Ländern deutliche Kostenvorteile besäßen. Die geringen Preise hemmen den Aufbau einer leistungsfähigen Landwirtschaft, die sowohl Exporterlöse erwirtschaften als auch zur Beseitigung ländlicher Armut beitragen könnte. Es wird geschätzt, daß die Subventionsprogramme der Industrienationen einen Einkommensverlust der Entwicklungsländer von mehr als 26 Mrd. US$ pro Jahr verursachen. 206 Das Zusammentreffen von Importbeschränkungen seitens der USA und subventionierter Exporte seitens der EG führte zum Zusammenbruch des Weltzuckermarktes, der etwa für die DonUnikanische Republik zu einem Rückgang der Produktion um 40 Prozent, zur Stagnation des Sozialprodukts und zu realen Einkommensverlusten der ländlichen Bevölkerung von 40 Prozent führte, was von einer Zunahme der Armut begleitet war. 207 Umfassende Studien zeigen, daß die Gewinne aus einer Liberalisierung des Agrarmarktes durch die OECD-Länder für fast alle Beteiligten erheblich wären. Anderson beziffert die jährlich möglichen Nettowohlfahrtsgewinne auf 62,4 Mrd. US-Dollar bei einer Liberalisierung seitens der Industrieländer und auf 106,5 Mrd. US-Dollar bei einer Liberalisierung in Industrie- und Entwicklungsländern. Die Gewinne der Verbraucher und Steuerzahler würden die Verluste der Produzenten deutlich überwiegen. Während die Industrieländer erwartungsgemäß die größten Einsparungen erzielen könnten, gewinnen nach Andersons Untersuchungen auch Entwicklungsländer, von wenigen Ausnahmen, wie den Ölländern des Nahen Ostens und den Schwellenländern Nordostasiens, abgesehen. Der positive Effekt selbst auf Länder, die Nahrungsmittelimporteure sind, würde dadurch ausgelöst, daß die durch den Wegfall der subventionierten Überproduktion zu erwartenden Preiserhöhungen den Bauern der Entwicklungsländer zugute kommen, die im Durchschnitt ärmer sind als die städtische Bevölkerung, für die die Liberalisierung bei Importen zunächst
205 Vgl. Schmin (1993a), S. 8 und Weltbank (1990), S. 148.
206 Vgl. Murphy (1992), S. 10. 207 Vgl. Weltbank (1990), S. 148.
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6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
höhere Nahrungsmittelpreise bedeutet. Zudem ist die Produktivität und der technische Fortschritt positiv mit den zu erwartenden höheren Renditen und der bei Freihandel geringeren Preisfluktuation verbunden. Dadurch ist durchaus möglich, daß ein Land vom Nahrungsmittelimporteur zum -exporteur wird, wodurch die Gewinne aus Liberalisierung weiter steigen. Anderson und Tyers weisen in ihrer Untersuchung darauf hin, daß die erzielbaren Wohlfahrtsgewinne für Entwicklungsländer größer sind, wenn diese auf eigene Verzerrungen der Agrarmärkte verzichten. Anders ausgedrückt limitiert eine auf Protektionismus ausgerichtete heimische Agrarpolitik die Gewinne, die ein Entwicklungsland aus einer Liberalisierung der OECD-Länder ziehen kann. Das Land schadet sich damit selbst. 208 Auch andere Bereiche unterliegen erheblichen Handelshemmnissen durch Industrieländer, etwa elektronische Erzeugnisse, Autos, Stahl, Spielwaren und Textilien, mit teilweise schwerwiegenden Folgen für Entwicklungsländer. Ein Beispiel ist die Beschränkung des Textilhandels durch Zölle und das MultiFibre-Agreement (MFA) des Jahres 1974, das bis zum Abschluß der UruguayRunde eine Ausnahme im GATT darstellte, da es das bilaterale Aushandeln von Quoten erlaubte. Es traf neben den asiatischen Schwellenländer gerade die ärmsten Länder wie Bangladesh besonders, da diese im Aufbau einer Textilindustrie eine Chance gesehen hatten, arbeitsintensive Produktion mit der Erwirtschaftung von Devisen und der Entlastung der Landwirtschaft zu verbinden. Die 1985 von den USA, Kanada und europäischen Ländern erlassenen Quoten führten in Bangladesh zur Schließung unzähliger Fabriken. Ein wesentliches Problem für Entwicklungsländer waren die variierenden Quoten, die eine langfristige Planung oder Modernisierung der Betriebe aufgrund der inhärenten Unsicherheit verhinderten und zu erheblichen Beschäftigungsschwankungen führten. 209 Die Abschaffung des Welttextilabkommens könnnte die Beschäftigung in einigen Entwicklungsländern um 20 bis 45 Prozent erhöhen. 210 Die im Dezember 1993 abgeschlossene Uruguay-Runde des GATT, deren Beschlüsse im Juli 1995 in Kraft treten, sieht einen schrittweisen Abbau der Quoten des MFA und eine Einbindung des Textilhandels ins GATT über einen Zeitraum von 10 Jahren vor. 211 Aus der Zielsetzung des Protektionismus der Industrie- gegenüber den Entwicklungsländern ergibt sich unmittelbar, daß dieser in solchen Bereichen
208 Zu den erwarteten Entwicklungen bei Liberalisierung des Agrarmarktes siehe Anderson (1992c) und Anderson!Tyers (1989).
209 ZurWirkung des MFA siehe Weltbank (1990), S. 149 und Bella/Rosenfeld (1990), S. 121f. 2JO Vgl. Weltbank (1990), S. 151f. Im Falle Bangladeshs wird der zusätzliche Einkommensgewinn auf 340 Mio. Dollar und damit 44 Prozent der Gesamtexporte 1986 geschätzt. 211 Vgl. o.V. (1993p), S. 15.
6.4. Externe Einflüsse auf Entwicklungsländer
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höher ist, in denen inländische Wettbewerber existieren, und dort geringer ist oder fehlt, wo sich die Exporte der Entwicklungsländer auf Produkte beziehen, die das Industrieland selbst nicht herstellt. In der Regel werden unverarbeitete Rohstoffe weniger belastet als bereits weiterverarbeitete Waren (Gleitzölle). 212 Dadurch wird die Erzielung von "value-added" (Wertschöpfung) in Entwicklungsländern behindert, während sie in Industrieländern subventioniert wird. Den drohenden Wachstumshemmnissen und dem verzögerten Strukturwandel weg von Primärproduktion zu Verarbeitung und Dienstleistungen begegnen Entwicklungsländer oftmals mit einer aktiven Unterstützung der betroffenen Wirtschaftszweige bzw. Belastung der Primärgüterbereiche (etwa durch Exportzölle oder -verbote auf unverarbeitete Produkte und Investitionsanreize für dessen Verarbeitung). Dies birgt zum einen die Gefahr der bereits erwähnten Subventionswettläufe in sich, führt zur Fehlallokation von Ressourcen und fördert den Autbau und die Abschottung ineffizienter Verarbeitungsbetriebe, ganz abgesehen von den unmittelbaren Kosten der Subventionierung. Wenn die Liberalisierung des Handels so vorteilhaft ist - die OECD veranschlagt die Gewinne einer vollständigen Liberalisierung des Welthandels auf 430 Milliarden Dollar jährlich213 -, was verhindert eine völlige Öffnung der Märkte? Was war der Grund, daß nur deutliche protektionistische Konzessionen die Uruguay-Runde nach siebenjähriger Verhandlung überhaupt retten konnten? Zum einen stehen sich innerhalb eines Landes stets Gewinner und Verlierer gegenüber, und eine Liberalisierun_g ist fraglich, wenn letztere hohen politischen Einfluß besitzen, was etwa auf die Bauern der Industrieländer zutrifft. Zum anderen ist durchaus möglich, daß, vor allem bei Vernachlässigung der handelserweiternden und produktivitätssteigemden Wirkung der Liberalisierung, ein Land glaubt, vorübergehende wirtschaftliche Einbußen hinnehmen zu müssen. 214 Der Hauptgrund besteht aber darin, daß viele Konstellationen im heutigen Welthandel einer Situation ähneln, die wir aus der Spieltheorie als "Gefangenendilemma" kennen. Zwei Spielern (Ländern) stehen je zwei Optionen zur Verfügung- in unserem Fall Freihandel (F) und Protektionismus (P). Obwohl die Gesamtwohlfahrt dadurch maximiert werden könnte, daß beide sich für F entscheiden, also kooperieren, kommt diese paretooptimale Wahl nicht zustan-
212 Zu den Folgen von Gleitzöllen siehe Weltbank (1990), S. 149.
213 Vgl. o.V. (1993w), S. 19. Allein durch die Liberalisierung im Rahmen der Uruguay-Runde des GATI werden Einkommensgewinne in Höhe von 213-300 Milliarden US Dollar erwartet. 214 Dies kann auf einige afrikanische Länder zutreffen, die nur wenige Güter exportieren und unter dem gegenwärtigen System bestimmte Präferenzen, etwa im Rahmen des Lome-Abkommens, genießen. Vgl. Weltbank (1990), S. 150.
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6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
de, da ein Spieler, der sich für Strategie F entscheidet, Einbußen hinnehmen muß, wenn der Mitspieler die Strategie P wählt. Sind beide Spieler risikoavers, d.h. wollen sie ihre Verluste minimieren (Minimax-Strategie), und befürchten sie ein nichtkooperatives Verhalten des anderen, so wählen sie ihrerseits Strategie P. Es kommt also zu einer Lösung, in der beide Spieler (Länder) sich protektionistisch verhalten, obwohl damit beide schlechtergestellt sind als in der kooperativen Lösung. Jede Partei kann nämlich das Risiko, durch Betrug bzw. Vertragsbruch des Gegenspielers schlechtergestellt zu werden, dadurch ausschalten, daß sie sich von vornherein nichtkooperativ verhält. 215 Wir können also als Ursache von Protektionismus die (gerechtfertigte oder ungerechtfertigte) Antizipation protektionistischer Verhaltensweisen der Handelspartner bzw. -gegner identifizieren. Handelshemmnisse müssen dann nicht einmal Gegenreaktion auf Barrieren anderer sein, sondern können prophylaktische Retaliation darstellen. Nach der Spieltheorie ist ein Gefangenendilemma allerdings nur dann zwingend zu erwarten, wenn es sich um einmalige Spiele handelt, was ja auf den internationalen Handel nicht zutrifft. Robert Axelrod hatte in einem berühmten Experiment gezeigt, daß bei wiederholten Spielen eine Strategie des Gleichesmit-Gleichem-Vergelten (tit-for-tat) erfolgreich war. 216 Mit den befürchteten Ergebnissen ist also dann zu rechnen, wenn Protektionismustendenzen erst einmal aufgetreten sind. Beispielhaftes Vorangehen und die Schaffung gegenseitigen Vertrauens sind also Schlüsselfaktoren zur Überwindung bzw. Vermeidung von Protektionismus.
6.4.3.3. Umwelteffekte von Protektionismus und Liberalisierung Welche Bewertung ergibt sich nun, wenn man den Faktor Umwelt mit berücksichtigt, also die Gewinne aus einer Liberalisierung nicht nur mit konventionellen Wohlfahrtsmaßen mißt? Führt nicht die Ausweitung des Handels zu einer Zunahme umweltverschmutzender Produktion in einem Land? Komparativ-statische Analysen zeigen, daß eine Liberalisierung des Handels in Gütern, deren Produktion Umweltverschmutzung verursacht, in solchen Ländern zu einer eindeutigen Erhöhung von Wohlfahrt und Umweltqualität führt, die durch die veränderte Allokation das Gut importieren. Beim Export eines solchen Gutes steht ein eindeutig positives Ergebnis zumindest dann fest, wenn die Umweltkosten, etwa durch eine adäquate Steuer, berücksichtigt sind. Handelt es sich um die Liberalisierung des Handels in Gütern, deren Konsum umwelt-
215 Vgl. Wagner (1991), S. 112fT. 216 Vgl. Axelrod (1986).
6.4. Externe Einflüsse auf Entwicklungsländer
253
schädlich ist, so ergeben sich eindeutige Wohlfahrtsgewinne für das Land, das diese Güter nunmehr vermehrt exportiert, während auch beim Import derselben positive Ergebnisse entstehen, wenn die Umweltkosten internalisiert sind. 217 Die hinter diesen theoretischen Studien stehende Überlegung ist einsichtig: Bei Beseitigung preisverzerrender Handelshemmnisse wird auch potentiell umweltschädliche Produktion/Konsumtion in solche Länder gelenkt, in denen - bei gleichem Grenznutzen -die Grenzkosten der Umweltnutzung am geringsten sind. Aus globaler Sicht geht also die Umweltnutzung zurück, während es in einigen Undern selbstverständlich zu einer absoluten Zunahme derselben kommen kann. Da umweltintensive Produktion jedoch in diejenigen Gebiete gelenkt wird, in denen noch eine positive Differenz zwischen Grenznutzen und Grenzkosten der Umweltnutzung besteht, ist diese Zunahme dennoch mit einer nachhaltigen Wohlfahrtssteigerung verbunden. Der Einwand, daß eine Liberalisierung nicht nur die Allokation selbst verändert, sondern auch zu einer Ausweitung der Produktion führt und so - trotz möglicher effizienterer Ressourcennutzung - eine Steigerung der absoluten Umweltbelastung mit sich bringt, verliert dann an Bedeutung, wenn vormals protektionistische Praktiken durch die Subventionierung von Gütern mit einem Überangebot verbunden waren, das bei Liberalisierung verschwände. Ob eine Ausweitung umweltschädlicher Produktion oder umweltschädlichen Konsums erfolgt, hängt also von der Art der Verzerrung am Weltmarkt ab, das heißt ob und in welchen Ländern die Preise dieser Güter künstlich erhöht oder vermindert wurden. 218 Eine zusätzliche Möglichkeit, auch im Falle einer Ausweitung der Produktion bzw. des Handelsvolumens die Umwelt durch Liberalisierung zu entlasten, besteht, wenn neben den komparativ-statischen Wirkungen einer effizienteren Primärallokation dynamische Wirkungen einbezogen werden. Diese können bei der Zunahme des Wirtschaftswachstums in der erhöhten Beschäftigung und reduzierten Armut sowie den positiven Spin-offs höherer Einkommen auf die Produktivität und damit Ressourcenintensität bestehen. Ein weiterer Aspekt kommt hinzu, wenn durch Handelshemmnisse gerade solche Wirtschaftszweige in Entwicklungsländern behindert wurden, die eine umweltverträglichere Alternative darstellen, und aufgrund der Konzentration der ohne Beschränkungen handelbaren Produkte auf unverarbeitete Rohstoffe diese vermehrt in Anspruch genommen werden. Gerade in der Forstwirtschaft bestehen erhebliche Gleitzölle der importierenden Nationen, was den Export von unverarbeitetem Holz begünstigt, jedoch gegenüber höheren Verarbeitungsstufen geringe Wertschöpfung bei hoher
217 Vgl. Anderson (1992b). 218 Vgl. Anderson (1992c), S. 145f.
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6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
Umweltintensität impliziert. 219 Zahlreiche Entwicklungsländer haben durch Exportverbote für unbehandeltes Holz und erheblichen Protektionismus zugunsten einer weiterverarbeitenden Industrie versucht, diese Nachteile auszugleichen. Wie wir bereits vorher angemerkt haben, führen aber zwei gegenläufige protektionistische Maßnahmen keineswegs zur Aufhebung, sondern vielmehr zur Verstärkung von Ineffizienzen. Die Gegenmaßnahmen der Entwicklungsländer führten nämlich zum Aufbau einer geschützten und dadurch ineffizienten weiterverarbeitenden Industrie, zu einer Verzerrung der internationalen Allokation und hoben direkten Subventionskosten, die der Entwicklung einer nachhaltigen Forstwirtschaft zutiefst abträglich sind. 22° Daß die positiven Effekte einer Liberalisierung auch in solchen Sektoren eintreten, die den Faktor Umwelt intensiv nutzen, zeigt das Beispiel der Landwirtschaft. Diese steht ja zur Umwelt in der Dritten Welt in einem ambivalenten Verhältnis, zum einen als wichtiger Faktor der Beschäftigung und Versorgung, zum anderen als potentiell umweltgefährdender Sektor. Die diese Effekte mit einbeziehende Untersuchung von Anderson schätzt die Gefahr der Umweltzerstörung durch Umwandlung von Waldgebieten in Ackerland gering ein, da die Ausweitung der landwirtschaftlichen Produktion durch eine Intensivierung bestehender Flächen erfolgt, da nach empirischen Ergebnissen die Landfläche der am wenigsten reagierende Faktor bei einer Agrarpreisanbebung ist. 221 Zwar ist zu erwarten, daß der globale Einsatz von Agrarchemikalien zurückgebt, allerdings steht der Entlastung in Industrieländern auf seiten der Dritten Welt eine Erhöhung des Einsatzes von Pestiziden und Düngeraufgrund deren positiver Korrelation zum Agrarpreis gegenüber, die zwar global die positiven Effekte nicht kompensiert (aufgrund des höheren Ausgangsniveaus der lndustrieländer), aber aus Siebt der Umweltsituation in Entwickungsländern bedenklich sein könnte. Dem kann entgegnet werden, daß die Vorteile aus internationalem Handel ja umso größer sind, je weniger die Entwicklungsländer selbst ihren Agrarinput manipulieren und durch die Liberalisierung des Welthandels die Notwendigkeit zu einer Subventionierung solcher Inputs wegfällt. Im Endeffekt würde dies, wenn nicht zu einer Reduzierung der Gesamtmenge, so doch zu einer höheren Effizienz des Einsatzes moderner Agrarinputs führen, was in Anbetracht der geringeren Produktivität und des geringeren Inputeinsatzes in Entwicklungsländern durchaus auch aus Umweltsicht wünschenswert wäre. 222
219 Vgt. Repetto (l988a), S. 26fund zurhöheren Umweltintensität niedriger Verarbeitungsstufen Kap. 4. 220
Vgt. Repetto (1988b), S. 23ff und S. 40.
221
Vgt. Ander.son (1992c), S. 165.
222
Vgl. Ander.son (1992a), S. 162fT, 168 und (1992c), S. 162f.
6.4. Externe Einflüsse auf Entwicklungsländer
255
6.4.4. Folgen der Begrenzung des Handels aus Umweltgründen
Die positive Bewertung der Liberalisierung auch aus Umweltgründen beruht auf der Annahme, daß sie Marktmängel beseitigt, die die echten komparativen Wettbewerbsvorteile der Staaten verzerrten. Dies wäre, wie auch theoretische Studien zeigen, nur dann in jedem Fall gegeben, wenn nach der Liberalisierung alle Nutzen und Kosten, also auch die der Umwelt, entsprechend ihrer realen Knappheiten zugerechnet werden. 223 In Kap. 6.3.2.9 wurde zwar argumentiert, daß verstärkte internationale Wirtschaftsbeziehungen keine systematische Verzerrung (Bias) gegenüber der Umwelt besitzen und auch bei Vorliegen von Umweltexternalitäten insgesamt eine Entlastung der Umwelt durch Liberalisierung zu erwarten ist. Im Einzelfall kann es aber durchaus zu einer Verstärkung negativer Umweltexternalitäten kommen, die nach Korrektur verlangen. Derartige Eingriffe werden in der Praxis dann gefordert, wenn im Preis des ausländischen Anbieters Umweltkosten nicht oder nur unvollständig enthalten sind. Derartige Vorwürfe wurden etwa in Zusammenhang mit der "Pollutionhaven"-These geäußert. 224 Bei der Beantwortung der Frage, ob solche Einwände auch aus Effizienzsicht gerechtfertigt sind, ist zu berücksichtigen, inwieweit absolut niedrigere Umweltstandards in Entwicklungsländern auf echten Wettbewerbsvorteilen, etwa aufgrundniedrigerer Nachfrage nach Umweltqualität oder höherer Assimilationskapazität, beruhen oder ob sie zu externen Effekten führen, also Kosten verursachen, die von der Gesellschaft statt den am Handel beteiligten privaten Akteuren getragen werden. Während diese Externalitäten bereits zur suboptimalen Ressourcenallokation führen, wenn das verschmutzende Land sie trägt, werden die verzerrenden Effekte noch verstärkt, wenn andere Länder die Kosten der Umweltnutzung tragen müssen. Dies ist der Fall, wenn die Umweltnutzung zu internationalen Spillover-Effekten führt bzw. es sich um sogenannte "global commons" wie die Weltmeere, die Antarktis oder die Ozonschicht handelt. Beispiele solcher grenzüberschreitender Externalitäten sind nicht nur die Versehrnutzung des Rheines oder der Nordsee durch einzelne Anrainer und die Verschlechterung der Luftqualität in Skandinavien durch britische, kontinentale und osteuropäische Industrien, sondern auch der Verlust der Artenvielfalt, ihrer medizinischen Nutzungsmöglichkeiten und der ästhetischen Werte durch die Abholzung der Regenwälder. Dabei ist es mitunter umstritten, ob es sich bei der genutzten Ressource um nationales oder globales Eigentum handelt. Versucht ein Land, seine Wettbewerbsposition durch die Erzeugung solcher Externalitäten und die 223 Zur Abhängigkeit der positiven Wohlfahrtseffekte aus Liberalisierung von angemessener Umweltpolitik siehe Anderson (1992a) und (1992b). 224 Vgl. Kap. 6.3.2.9.3.
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6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
Verlagerung der Kosten auf andere Länder zu verbessern, so wären auch aus Effizienzgründen Gegenmaßnahmen der Handelspartner gerechtfertigt. Die reale oder vermeintliche Existenz "unfairer" Wettbewerbsvorteile und ihre Vernachlässigung im Rahmen der GATT-Regeln bzw. anderer handelspolitischer Regelwerke, hat zu einem Disput zwischen Umweltschützern und Anhängern der Liberalisierung geführt. 225 So argumentiert Shrybman, eine Liberalisierung des Welthandels "removes the only compliance mechanism - economic sanctions - that is available to a nation seeking to enforce international environmental norms. "226 Umweltschützer zeigten sich empört über die Entscheidung eines GATT-Ausschusses, der 1991 das amerikaaisehe Importverbot mexikanischen Thunfischs als unvereinbar mit GATT-Regeln erklärt hatte. Das Importverbot war verhängt worden, da die von der mexikanischen Fangflotte benutzten Treibnetze zahlreichen Delphinen zum Verhängnis wurden.227 Ein Vertreter des WWF beklagte das GATT-Urteil: "It's a major setback because it totally disregards nationallegislation designed to provide environmental protection for common resources. "228 Ähnliche Konflikte zwischen Umweltschutz und Handelsabkommen hat es auch in der EG gegeben, etwa bezüglich des dänischen Verbots von Einwegflaschen, der deutschen Verpakkungsvorschriften und nahrungsmittelrechtlichen Regelungen. 229 Aus diesen Gründen stehen Umweltschützer Freihandelszonen, wie der EG und der nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA, ebenso wie dem GATT, kritisch gegenüber. Sie fürchten eine Erosion hoher Umweltstandards durch die Förderung ausländischer Konkurrenz mit geringeren Standards. 230 Während in einigen Fällen, etwa beim Handel mit bedrohten Tierarten231 oder Sondermüll232 (radioaktiven Stoffen, Giftmüll), analog zum Handel mit
225 Beispielhaft Shrybman (1990), (1992), Rirchie (1990) und Sorsa (1992). 226 Shrybman (1992), S. 102.
227 Zu diesem Fall siehe Vidal (1991), S. 13 und Brown/Goold/Cavanagh (1992), S. 318f.
228 Vidal (1991), S. 13.
229 Vgl. Sorsa (1992), S. 120, o.V. (1991a), S. 28 und o .V. (1992g), S. 62. 230 Vgl. Brown/Goold/Cavanagh (1992) und Seda (1993), S. 30. Im September 1993 wies ein US-Bundesgericht die Klage eines Verbrauche!Verbandes auf Durchführung einer Prüfung der Umweltwirkung von NAFI"A aus formalenGrunden ab (vgl. o.V. (1993d), S. 3). 231 Derartige Einschränkungen des Handels in bedrohten Tier- und Pflanzenarten werden durch das Washingtoner Artenschutzabkommen (CITES) überwacht. Allerdings bestehen Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der zu schützenden Arten, was die Dispute um die Wiederaufnahme des Elfenbeinhandels, den Walfang und Tropenhölzer zeigen. Vgl. World Bank (1992), S. 67 und Wandtner (1994). 232 Allerdings gibt es auch hinsichtlich des Müllhandels Stimmen, die einwenden, daß durch ein Handelsverbot auch die Möglichkeit unterbunden wird, internationale Kostenunterschiede in der Beseitigung von Müll zu nutzen. Vgl. World Bank (1992), S. 67 und Nathan (1994), S. 21.
6.4. Externe Einflüsse auf Entwicklungsländer
257
Waffen oder Drogen Handelsbeschränkungen durchaus angemessen sein können, weisen die Anhänger der Freihandelsidee, etwa die Vertreter des GATI, die Idee einer generellen Einschränkung des Handels aus Umweltgründen von sich. 233 Zum einen ist nämlich nicht eindeutig zu trennen, welche Handelseinschränkungen aus Umweltgründen gefordert werden und welche lediglich diese vorschieben, um eigene Industrien zu schützen. Daß rein protektionistische Überlegungen eine erhebliche Rolle spielen, zeigt die ungewöhnliche Allianz von Umweltschützern und Industrie in Fragen der Beschränkung ausländischer Anbieter. 234 Gerade aus Kreisen der Industrie wird auf die wettbewerbsverzerrende Wirkung unterschiedlicher Umweltstandards ("Umweltdumping") hingewiesen und eine Korrektur derselben, entweder durch Rücknahme oder Verzicht auf weitere Verschärfung der eigenen Umweltschutzbestimmungen oder Schutz vor ausländischer Konkurrenz zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit, gefordert. 23S Nationale Umweltpolitik soll dann mit handelspolitischen Maßnahmen verbunden sein, die die Verschlechterung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit kompensieren, entweder durch Importzölle auf ausländische Produkte oder die Subventionierung der Umweltschutzkosten. 236 Während die Bewertung der Umwelt bei Unternehmen und Umweltschützern differiert- erstere sehen primär die heimische Belastung durch Umweltschutz als zu hoch, während letztere die ausländischen Standards als zu niedrig ansehen- kommen beide zu derselben Folgerung, daß eine ungerechtfertigte, "unfaire" Diskrepanz zwischen heimischen und ausländischen Umweltschutzbestimmungen besteht und handelspolitische Gegenmaßnahmen ergriffen werden sollten. Diese können sowohl in tarifären als auch in jeden der genannten Dichttarifären Handelshemmnisse bestehen. Inwiefern diese Forderung berechtigt ist, bleibt umstritten. Die empirischen Erkenntnisse, daß Lohnkosten, Produktivitätsentwicklung und andere Standortfaktoren bei weitem wichtiger sind als Umweltkosten, nähren die Vermutung, daß das emotionale Umweltthema zur Erlangung protektionistischer Vorteile mißbraucht wird. Doch auch wenn unterschiedliche Umweltstandards tatsächlich spürbare Allokationswirkung haben, stellt sich die Frage, wodurch sich Umweltstandards von Arbeitsschutzbestimmungen, Lohnnebenkosten oder steuerlichen Variationen unterscheiden. Sie sind -wie die natürliche Ausstattung selbst - Determinanten der Wettbewerbsposition eines Landes. Höhere Umweltstandards weisen eben auch auf die Knappheit dieses Faktors und die 233 Vgl. den Aufsatz des GATI-Mitarbeitera Subramanian (1992).
234 Vgl. Anderson/Blackhurst(l992), S. 5f und Hillman/Ursprung(l992), S. 216. 23S Vgl. o.V. (I 993ft) und zu Beispielen aus der Zink- und Papierindustrie o.V. (1993e), S. 16 und o.V. (1992f). 236 Vgl. Snape (1992), S. 87. 17 Stenge!
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6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
Wertschätzung dafür hin. Eine Vereinheitlichung der Umweltstandards ist aus diesen Gründen nicht zu rechtfertigen. Eine Entlastung der Unternehmen von Umweltkosten, etwa durch Subventionierung, würde im Gegenteil der Internalisierung externer Effekte zuwiderlaufen, da diese Umweltkosten genauso real sind, wie andere Kosten auch. Korrekturen sind lediglich dort einsichtig, wo unterschiedliche Umweltstandards durch externe Effekte aufrechterhalten werden. Im anderen Falle wären sie der Umwelt abträglich, da durch die verminderte Effizienz und das verminderte Wachstum umweltverträgliche Verhaltensweisen eher gebremst werden. Auch das Argument, GATI ließe Umweltschutzpolitik nicht zu, weist die Organisation von sich. Lediglich die unterschiedliche Behandlung inländischer und ausländischer Produzenten, wie sie etwa im Thunfischfall und bei den EG-Streitigkeiten konstatiert wurde, wird abgelehnt. Allerdings können hinsichtlich der Anwendung einiger Subventionen als Instrument der Umweltpolitik Konflikte mit GATI auftreten. 237 Wägt man beide Seiten ab, so verbleiben Grenzbereiche, in denen eine Entscheidung für oder wider Freihandel problematisch ist. Dieser Grenzbereich ist durch die Existenz internationaler Umweltexternalitäten gekennzeichnet. Sind diese auf konkrete Verursacher zurückzuführen, so wäre eine Anlastung der Kosten auf dieselben im Sinne optimaler Allokation. Die Frage ist allerdings, mit welchen konkreten Maßnahmen diese Internalisierung vorgenommen wird. Zielt sie wie im Thunfisch-Fall generell auf ausländische Produktion ab, während sie einheimische unberührt läßt, so läßt sich der Eindruck nicht vermeiden, die Maßnahme diene weniger Umwelt- als reinen Handelsaspekten. Bei anderen Interventionen, etwa dem Boykott tropischer Hölzer zur Vermeidung der bei der Rodung des Regenwaldes verursachten tatsächlichen Externalitäten238 , stellt sieb vor allem die Frage nach der Wirksamkeit derartiger Handelsbeschränkungen. Die Studie von Diehl und Amelungen warnt ebenso wie Seda vor derartigen Boykottmaßnahmen, da sie durchaus zu einer Ausweitung der Zerstörung durch Umwandlung der nun weniger wertvollen Wälder in andere Verwendungen und zu erhöhter heimischer Produktion bzw. Weiterverarbeitung führen, die wirtschaftliche Entwicklung des Landes bremsen und die lokale Umweltschutzbewegung und Versuche einer nachhaltigen Forstwirtschaft untergraben können.239 Aufgrund der tiefgreifenden Alloka-
237 Vgl. Sorsa (1992). Es wurde aber eingeräumt, Subventionen zugunsten umweltfreundlicher Technologien und Verfahren könnten als "non-countervailable" subsidies eine Ausnahmeregelung erfahren (S. 127). 238 Ein derartiger Boykott tropischer Hölzer besteht bereits in zahlreichen EG-Lindem bei öffentlichen Projekten. Vgl. Seda (1993), S. 32.
239 Vgl. Amelung/Dieh/(1992), S. 126fTund Seda (1993), S. 33fT. Ebenso Bramble/Poner (1992), s. 345.
6.4. Externe Einflüsse auf Entwicklungsländer
259
tionswirkungen von Handelsmaßnahmen besteht stets die Gefahr, daß durch unbeabsichtigte Nebenwirkungen das Ausmaß der Externalitäten nicht gemindert, sondern erhöht wird. Zudem sind die Wirkungen eines derartigen Boykotts dann eingeschränkt, wenn nicht alle Handelspartner sich daran beteiligen, sondern die sinkenden Weltmarktpreise zu einer Erhöhung der Nachfrage nutzen. Wie bereits bei nationaler Umweltpolitik kommt es nicht nur auf die Intention, sondern auf die Auswahl des richtigen Instruments an. Auch bei internationalen Umweltproblemen ist stets zu überlegen, ob die angestrebte Internalisierung nicht auf direkterem Wege besser erreicht werden kann. Verhandlungen, Information, Kompensationszahlungen, technische Hilfe und die Abschaffimg eigener Handelshemmnisse zur Förderung der echten Kostenvorteile der Entwick.Jungsländer können hier effizientere Lösungen sein. Handelshemmnisse sollten stets als letzte Möglichkeit dienen. Sie können zwar insofern Erfolg haben, als deren Androhung in Verbindung mit internationalem politischen Druck Nationen zu einer Überprüfung ihrer Politik zwingen kann, bergen aber auch stets die Gefahr, daß die dadurch in ihrem Selbstwertgefühl angegriffenen Staaten in ihrer Position bestärkt werden und Gegenmaßnahmen ergreifen. Gerade bei internationalen Umweltproblemen wie der Erhaltung der Artenvielfalt, dem Ozonloch oder dem Treibhauseffekt sind Handelsbeschränkungen gegen Entwick.Jungsländer auch aus der Sicht des Verursacher- bzw. Nutznießer-Prinzips zweifelhaft. Es stellt sich nämlich die Frage, ob es wirklich einer verursachergerechten Internalisierung entspricht, denjenigen Ländern, die zur Entstehung der globalen Probleme relativ wenig beigetragen haben, die volle Anpassungslast zu übertragen, nur weil sie sich anschicken, Ressourcen, die von Industrieländern seit Jahrzehnten oder Jahrhunderten übernutzt wurden, auch zu nutzen. Aus Sicht des Verursacherprinzips wären also Kompensationen eher gerechtfertigt, während man auch in bezug auf die Regenwalderhaltung einen Beitrag der Industrieländer zu den Opportunitätskosten der Erhaltung erwarten könnte. Umweltpolitik kann allerdings nicht nur dann Auswirkungen aufEntwickJung und Umwelt anderer Länder haben, wenn sie handelspolitische Instrumente umfaßt. Auch nichtdiskriminierende nationale Umweltpolitik kann advers wirken, etwa wenn die Aufgabe oder Verminderung umweltschädlicher Produktion im Inland zu einer erhöhten Produktion im Ausland führt oder der Weltmarkt nunmehr von solchen Herstellern bedient wird, die die betreffenden Produkte noch umweltintensiver erzeugen. Ist die so erzeugte Umweltverschmutzung globaler Art und wird die Umweltwirkung ihrer Reduktion in Industrieländern aufgrund der technischen Unterlegenheit der Entwick.Jungsländer durch die relativ höheren Schäden des Produktionsanstiegs in der Dritten Welt überkom17*
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6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
pensiert, so verschlechtert sich nicht nur die Umweltqualität des Entwicklungslandes, sondern auch die des Industrielandes, das die Umweltpolitik betreibt. Ist die Umweltverschmutzung lokaler Art, so wird bei bestehenden Externalitäten in Entwicklungsländern die Verbesserung der eigenen Umwelt durch eine Verstärkung dieser Externalitäten in der Dritten Welt erkauft. Auch die Reduktion der Preise durch sinkende Nachfrage nach umweltschädlichen Gütern kann zu einer überproportionalen Nachfrageausweitung in anderen Ländern fiibren240 bzw. davon abhängige Länder dazu verleiten, die gesunkenen Preise durch erhöhte Produktion wettzumachen. Im Falle großer Volkswirtschaften, die internationale Preise beeinflussen können, können auch Terms-of-Trade-Effekte durch die Einführung von Umweltpolitik in Industrieländern auftreten, wenn das davon betroffene teurer gewordene Gut von Entwicklungsländern importiert wird und keine Produktionsverlagerung in Entwicklungsländer stattfindet. 241 Es läßt sich auch nicht ausschließen, daß notwendige heimische Produktstandards bei höheren Erfüllungskosten aufseitenausländischer Unternehmen indirekt als nicbttarifäre Handelshemmnisse wirken. 242 In diesem Fall könnte es im Interesse einheimischer Unternehmen liegen, die Anhebung einheimischer Qualitätsstandards zu fordern. Solange die Umweltpolitik zu einer Internalisierung vormaliger Externalitäten führt und auch in anderen Ländern Umweltfaktoren adäquat berücksichtigt werden, wären die hier genannten Fälle nur Beispiele für eine effiziente Umschichtung der Allokation, auch wenn es im Eitt..zelfall einige Länder negativ trifft. Ist dies nicht der Fall, so kann von heimischer Umweltpolitik unbeabsichtigt eine die Externalitäten in den Entwicklungsländer verstärkende oder sogar negativ auf die eigene Umwelt zurückschlagende Wirkung ausgeben. 6.4.5. UmCang und Grenzen gegenseitiger Einflußnahme Aus den beschriebenen möglichen Gegenreaktionen ergeben sieb auch die Grenzen ausländischer Einflußnahme. Diese darf zwar angesichts der Dominanz industrialisierter Länder in finanzieller und technischer Hinsiebt nicht unterschätzt, aber auch nicht überbetont werden. Jede noch so überlegte ausländische Politik kann durch falsche nationale Politik oder bestehende Unvollkommenheiten zunichte gemacht werden. Strikte umweltorientierte Konditionalität und Besteben auf marktkonformen Verhaltensweisen kann positiv wirken, wenn die betreffenden Länder bereit sind, darauf einzugehen, werden aber
240 Vgl. am Beispiel kohlenstoffhaltiger Energieträger Piggot/Whalley/Wigle (1992). 241 Vgl. Ander.ron (1992b), S. 44fund Rauscher (1992), S. 173.
242Vgi.Hoekman/Leidy (1992),
s. 235f.
6.4. Externe Einflüsse auf Entwicklungsländer
261
oftmals als ungerechtfertigte Eingriffe in die nationale Souveränität interpretiert und abgelehnt. 243 Das Beharren auf bestimmten Umweltschutzbestimmungen kann zu gegenteiligen Wirkungen führen, wenn eine nationale Regierung oder deren Bevölkerung mit Ablehnung oder gar Verzicht auf die vorgeschlagene Zusammenarbeit reagiert. In einer Untersuchung zu internationalen Beziehungen folgert Stern: "There is also reason to doubt that even draconian trade policies such as embargoes can ever be very effective in changing the behaviour of foreign govemments and their constituencies. Trade can have powerful effects. But when used as a weapon, it seems more likely to generate resistance, rather than fear, in the hearts of its victims ... "244
Die Verweigerung von Weltbankkrediten in Indien (Narmada-Damm) und Thailand (Nam Choan-Projekt) infolge der Verschärfung der Umweltschutzbestimmungen der Weltbank zeigt, daß dem gut gemeinten Einfluß internationaler Stellen Grenzen gesetzt sind, wenn das Empfängerland inländische oder ausländische anderweitige Finanzierungsmöglichkeiten hat. In beiden Fällen war Japan nämlich zunächst als Geldgeber eingesprungen, mußte sich aber nach massiven Protesten internationaler Umweltgruppen zumindest aus dem Narmada-Projekt zurückziehen. 245 Der von Umweltgruppen geforderte Ausstieg der Entwicklungsbanken und des IWF aus Projekten mit Umweltexternalitäten kann also im Einzelfall sogar zu einer Verschlechterung der Umweltsituation führen, wenn die Alternative aufgrund geringeren technischen Wissens oder Interesses in noch stärkerem Maße externe Effekte impliziert. Diese Grenzen bestehen auch hinsiebtlieh der "Disziplinierbarkeit" von Entwicklungsländern in Hinblick auf ihre Wirtschaftspolitik. Die Verfügbarkeil alternativer Finanzierung hatte auch in den 70er Jahren dazu geführt, daß sieb viele Länder bei privaten Kapitalgebern und nicht bei der Weltbank oder dem Währungsfonds verschuldeten, deren Auflagen wesentlich strikter waren. 246 Druck des Auslands auf nationale Regierungen bat also nur dann Aussiebt auf Erfolg, wenn die Auslandsfront entsprechend stark und kein Ausweichen möglich ist. Positive Wirkung üben dahin gehend die für die Mitgliedschaft im
243 Zur Kritik der Dritten Welt an westlicher Einmischung siehe auch Lewis (1986), S. 8 und 21f. 244 Zitiert nach Blackhurst/Subramaniam (1992), S. 261. 245 Im Falle Indiens kam die dortige Regierung einer drohenden Verweigerung der Kredite zuvor, indem sie aufdiese verzichtete. China hat bei seinem Großprojekte bei den "Drei Schluchten• (Three Gorges), bei dem eine Million Menschen umgesiedelt werden sollen, von vomherein auf Weltbankhilfe verzichtet, nicht zuletzt da Weltbankinvolvierung eine stärkere Publizität bedeutet. Vgl. dazu Seda (1993), S. 19, 47 (FN44), Maull (1992), S. 366 und o.V. (1993gg), S.17. 246 Vgl. Wagner (1991), S. 18.
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6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
GATI und dem IWF notwendigen Bedingungen aus, da die Mitgliedschaft für ein Land, das internationalen Handel betreiben will, nicht zu umgehen ist. So verlangt die Aufnahme eines Landes ins GATI die Konvertibilität der Währung und die Einhaltung bestimmter Handelspraktiken und erzwingt - will das Land nicht international isoliert sein -so kooperatives Verhalten. Ebenso erfordert die Inanspruchnahme von IWF-Programmen solide makroökonomische Politik. Da die Aufnahme in die Weltbank die Mitgliedschaft im IWF voraussetzt, gelten deren Bedingungen hier automatisch. 247 Die Frage, in welchem Maße Staaten sich von ausländischem Druck- über Handelsrestriktionen bzw. deren Androhung248 , politische Drohungen oder Medienberichte - beeinflussen lassen und in welche Richtung dieser Einfluß geht, ist äußerst umstritten, betrifft aber nicht nur Umwelt-, sondern etwa auch Menschenrechtsfragen. In einigen Situationen scheint sich eine Aufweichung von Positionen und eine Anpassung an "internationale Spielregeln" zu ergeben, um aus der Schußlinie zu geraten. In anderen Fällen gewinnt man eher den Anschein einer Verhärtung der Positionen mit entsprechenden Gegenmaßnahmen249 bzw. eine zumindest rhetorische Zuspitzung des Nord-Süd-Konflikts. Gerade die Anwendung von Handelsbeschränkungen muß also im Einzelfall sorgtältig überprüft werden. Doch nicht nur die ausländische Einflußnahme auf eine Volkswirtschaft hat ihre Grenzen. Ebenso ist durch das Wechselspiel von Aktion und Reaktion die Souveränität einer Volkswirtschaft über ihre eigene Entwicklung begrenzt, was sich im positiven wie im negativen auswirken kann. Dies erfordert eine gewisse Relativierung der aus den Erfahrungen der ostasiatischen Länder abgeleiteten Wachstumsbedingungen. Diese hatten durch Exportförderung bei gleichzeitigen protektionistischen Maßnahmen deutliche Leistungsbilanzüberschüsse erzielt und damit enorme Entwicklungssprünge erreicht. Aus dem vorher Gesagten geht allerdings hervor, daß eine derartige Handlungsweise Gegenreaktionen der Handelspartner hervorzurufen droht und ihre Grenzen als generelle globale Strategie darin hat, daß Ländern mit Leistungsbilanzüberschüssen immer solche mit -defiziten gegenüberstehen müssen. Betrachtet man die Ent-
247 Vgl.
o.V. (1993hh), S. 5 und Wagner (1991), S. 51
Der EinsalZ der Drohung von Sanktionen ist in der Regel häufiger als die tatsächliche Durchführung, wohl auch, weil sich Regierungen der Risiken solcher Maßnahmen zumindest unterschwellig bewußt sind. Bhagwatl (1986) stellt deshalb auch fest, "that the bark has been morc evident than the bite" (S. 98). 248
249 So führte die Einführung einer Markierungsvorschrift für Tropenholz in Österreich 1992 zur Androhung von Boykottmaßnahmen gegen Österreichische Unternehmen durch Malaysia, worauf das Österreichische Parlament die Regelung zurücknahm. Vgl. o.V. (1993o).
6.4. Externe Einflüsse auf Entwicklungsländer
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wicklung von Ländern wie Japan250 , Taiwan und Südkorea251 , so stellt man fest, daß es zwar in erster Linie eine effiziente heimische Politik war, die zu den Wachstumserfolgen geführt hat, daß diese aber durch besonders günstige externe Einflüsse erst ermöglicht bzw. erleichtert wurde. Dabei ist insbesondere auf die aktive und passive Unterstützung dieser Länder durch die damals dominierende Handelsmacht USA zu denken, die aus politischen Gründen zum Schutz vor der Ausweitung kommunistischer Machtsphären, wie auch in Europa durch den Marshallplan, erfolgte. Aktiv war diese Unterstützung dahin gehend, daß die USA Militär- und Entwicklungshilfe in enormem Ausmaß leisteten, passiv war sie dahingehend, daß sie ihren Markt bewußt und aus einem Freihandelsideal heraus offen hielten. Besondere historische Umstände, wie die durch den Korea- und Vietnam-Krieg ausgelösten bedeutsamen Nachfrageimpulse in Asien252 , sowie die Tatsache, daß damals nur wenige Länder eine derartige Politik betrieben, haben diese Entwicklung unterstützt. Es waren also politische Faktoren, die die Handelspartner davon abhielten, die an sich zu erwartenden Gegenmaßnahmen zu treffen. Es ist deswegen nicht zu erwarten, daß andere Entwicklungsländer mit oben genannter aggressiver Strategie ähnliche Erfolge aufweisen, ohne auf Gegenmaßnahmen zu stoßen bzw. sich gegenseitig in einem gnadenlosen Unterbietungswettbewerb zu ruinieren. Die Verschärfung der Haltung der USA gegenüber Dumping sowie Patent- und Copyright-Verletzungen durch Entwicklungsländer deutet bereits darauf hin. Obwohl Grenzen der Entscheidungssouveränität eines Entwicklungslandes durchaus zu erkennen sind, darf nicht übersehen werden, daß bei vielen dieser Einflüsse auch die Art der Gegenreaktion bestimmt, ob sie negativ oder positiv wirken. Die "beggar-thy-neighbour"-Politik eines Handelspartners, also dessen bewußte Abwertung der Währung zur Verbesserung der Leistungsbilanr53 , kann auf ein Entwicklungsland negativ wirken, wenn die Betroffenen ihrerseits nach Protektionismus rufen, bietet aber auch die Chance zur Verbesserung der
250 Das Ausmaß der gezielten Förderung Japans durch die USA aus Furcht vor einer kommunistischen Unterwanderung wurde durch erst Anfang der 90er Jahre deklassifJZierte Dokumente aus den 50er Jahren offenkundig. Ein Bericht des nationalen Sicherheitsrats der USA im Jahre 1953 spricht davon, daß "'increasing access to markets in the US' was needed to halt the 'economic deterioration and falling living stsndards in Japan which creates fertile ground for communist subversion'" (Auerbach (1993), S. 13). Als Folge dieser Politik wurden mehrere 100 Mio. US $ an Entwicklungs- und Militärhilfe in die japanische Volkswirtschaft geleitet und die Weltbank dazu gedrängt, Japan trotz dessen geringer Kreditwürdigkeit mit Darlehen zu bedenken. 251 Im Falle Koreas betrug die Auslandshilfe in den 50er Jahren mehr als 75 Prozent der Gesamtersparnis (vgl. Weltbank (1990), S. 157). Nach Angaben vonBello/Rosenjeld (1990) finanzierten die USA in den 50er Jahren mit ihrer Entwicklungshilfe 95% des damaligen taiwanesischen HandelsdefiZits und mehr als 80% der koreanischen Importe (S. 4 und 178). 252 Vgl. Bello/Rosenjeld (1990), S. 5, 178. 253 Vgl. Wagner (1991), S. 100f.
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6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
eigenen Wettbewerbsposition, da sie Anstrengungen zur Steigerung der Produktivität durch Rationalisierung und Verbesserung der Qualität bewirkt und Strukturwandel, etwa durch die Verlagerung von Produktionsstätten, beschleunigen kann. So führte die Aufwertung des Yen und anderer asiatischer Währungen ab Mitte der 80er Jahre zwar kurzfristig zu Gewinneinbrüchen, langfristig nahm allerdings durch die dadurch eingeläuteten Anpassungsmaßnahmen die Wettbewerbsfähigkeit der asiatischen Volkswirtschaften zu, während die zunächst von der Dollar-Abwertung profitierenden amerikanischen Exporteure diese Gewinne als "windfall-profits" einsteckten. Hilpert stellt deswegen fest, daß "per saldo ... das amerikaDisehe Leistungsbilanzdefizit nicht trotz, sondern wegen der Abwertung des US-Dollars" 254 wuchs. Die Lebren daraus lauten: Jede Krise bietet die Chance zur Verstärkung der Anstrengungen, während eine zu komfortable Position zu Stillstand verleitet. Der Verlust eines Marktes und andere externe Faktoren können eine produktive Suche nach neuen Optionen und einen Schumpeterschen Prozeß der "schöpferischen Zerstörung" einleiten. Eine Veränderung der weltwirtschaftliehen Rahmendaten darf also keineswegs als Rechtfertigung dauerhafter Entwicklungsprobleme herangezogen werden. Als Fazit der Einbeziehung externer Faktoren bleibt bestehen: Nicht die Integration in die Weltwirtschaft im allgemeinen ist aus Sicht der nachhaltigen Entwicklung problematisch, sondern allenfalls eine nichtmarktkonforme und die Umwelt nicht angemessen berücksichtigende Politik. Die Mechanismen internationaler Wirtschaftsbeziehungen, denen so oft die Schuld an Entwicklungsund Umweltproblemen gegeben wird, wirken nämlich lediglich als Katalysator und zwar im positiven wie im negativen. Ebenso wie nämlich Protektionismus einer Seite protektionistische Gegenmaßnahmen herausfordert und marktinkonforme Maßnahmen wie ein Boomerang2ss negativ auf das sie einsetzende Land zurückschlagen können, fördert bei starker internationaler Verflechtung die Liberalisierung bestimmter Märkte bzw. einzelner Partner entsprechende Aktionen auf anderen Märkten bzw. anderer Partner, und alle Beteiligten können bei kooperativem Verhalten an den Vorteilen des Handels partizipieren.
6.5. Zusammenfassung der ökonomischen Rahmenbedingungen Die Möglichkeiten, durch eine effiziente Ausgestaltung der ökonomischen Rahmenbedingungen den Spielraum fiir nachhaltige Entwicklung zu erweitern, sind beträchtlich. Gleichsam werden durch eine mangelhafte Wirtschaftspolitik
254 Hilpen (1992), S. 63. ZSS Den Boomerang-Effektbeschreibt Reich (1991) anband der negativen Rückwirkung hoher Ölpreise auf die Ölländer durch die daraus folgende Rezession.
6.5. Zusammenfassung der ökonomischen Rahmenbedingungen
265
lneffizienzen erzeugt und aufrechterhalten, die erhebliche Umweltschädigungen mit sich bringen. Ein wichtiger Faktor ist dabei, in welchem Maße es einem Staat gelingt, dauerhaftes und gesundes Wirtschaftswachstum zu erzeugen. Die Determinanten, die sich dabei als kritisch erwiesen haben, tragen auch dazu bei, das Auftreten von Armut zu mindern und Marktmängel zu reduzieren. In diesem Sinne ist die hier empfohlene Wachstumsstrategie grundsätzlich kompatibel mit nachhaltiger Entwicklung. Dies schließt nicht aus, daß es kurzfristig und im Einzelfall zu Konflikten kommt, wenn etwa notwendige Strukturanpassungsmaßnahmen gerade die Einkommensposition der Armen verschlechtern. In dieser Zwischenzeit kann es dann auch zu einer Verstärkung der Umweltprobleme kommen. Bei der Ausgestaltung der Wirtschaftspolitik sind also derartige kurzfristige Effekte und ihre möglichen Rückwirkungen zu beachten.
In einem nächsten Schritt wurden die Umweltwirkungen wirtschaftspolitischer Maßnahmen im Detail untersucht. Dabei wurden Mängel in der Umweltpolitik der Entwicklungsländer festgestellt. Bedeutsam sind aber auch die indirekten und meist unbeabsichtigten Nebenwirkungen, die von einer bestimmten Ausgestaltung der Wirtschaftsstruktur herrühren. Dies betrifft die Einkommensverteilung, die Faktorintensität, die Höhe des Staatsanteils, die Unternehmenskonzentration, die regionale Verteilung und den Grad der weltwirtschaftliehen Verflechtung. Bestimmte Ausprägungen dieser Determinanten der Wirtschaftsstruktur, vor allem eine starke Einbindung in die Weltwirtschaft, wurden in der Umweltliteratur als "Ursache" von Umweltproblemen genannt. In unserer Analyse konnten wir jedoch zeigen, daß solche vereinfachten Thesen einer genaueren Überprüfung nicht standhalten. Bei einigen Determinanten waren gegenläufige Tendenzen in Hinblick auf die Umweltwirkung zu konstatieren, wobei der Nettoeffekt nicht eindeutig zu ermitteln war. Bei anderen Faktoren, insbesondere der Handelstätigkeit, konnten gängige Thesen der Umwelt- und Entwicklungsliteratur dagegen deutlich widerlegt werden. Es stellte sich heraus, daß eine Diskriminierung zu Lasten des internationalen Handels die Spielräume für nachhaltige Entwicklung einengt. Bei der Untersuchung aller Ausprägungen der genannten Determinanten der Wirtschaftsstruktur istjedoch zu konstatieren, daß jede Verzerrung der Struktur, die nicht auf langfristigen komparativen Kostenvorteilen beruht, negative Implikationen mit sich bringt. Dabei haben sieb bestimmte, in Entwicklungsländern häufig eingesetzte Instrumente der Wirtschaftspolitik, Subventionen und die Manipulation makroökonomischer Preise, als besonders problematisch erwiesen. Nicht nur nationale wirtschaftspolitische Maßnahmen, auch externe Einflüsse sind von Bedeutung. Es zeigt sieb zwar nach wie vor, daß die Solidität der
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6. Kapitel: Ökonomische Rahmenbedingungen
Wirtschaftspolitik eines Entwicklungslandes selbst der entscheidende Faktor der Entwicklung ist und sich durch die Einbeziehung externer Faktoren die wirtschaftspolitischen Empfehlungen nicht revidieren. Jedoch kann die konkrete Entwicklung eines Landes durch das Handeln anderer Nationen beeinflußt werden. Aus Sicht der Dritten Welt ist Protektionismus der industrialisierten Länder dabei das bedeutendste Hindernis. Entgegen zahlreichen Behauptungen schadet Protektionismus in besonderem Maße der Umwelt. Deshalb ist auch handelsbeschränkenden Maßnahmen, die mit Umweltschutzmotiven begründet werden, mit besonderer Vorsicht zu begegnen. Es ist nämlich leicht möglich, daß derartige Umweltschutzmaßnahmen durch Handelsbeschränkung über die vielfältigen Nebenwirkungen negativ auf die Umwelt zurückwirken. Dabei kommt es im konkreten Fall darauf an, ob die Umweltschädigung lokal oder überregional anfällt, ob es Unterschiede bezüglich der Umweltintensität unterschiedlicher Staaten gibt, welche Alternativen aufseitender von der Umweltschädigung und den Handelsrestriktionen Betroffenen bestehen und in welchem Maße die Umweltschutzmaßnahmen zieladäquat sind. In vielen Fällen scheint es effizientere Maßnahmen zu geben, um die Internalisierung internationaler Umweltexternalitäten zu erwirken.
7. Kapitel
Politische und gesellschaftliche Einflußfaktoren 7.1. Idealbild einer guten Regierung ("good governance") Das letzte Kapitel zeigte, daß die konkrete Ausgestaltung der Wirtschaftspolitik den Spielraum für nachhaltige Entwicklung in starkem Maße erweitert oder beschränkt. Er ist größer, wenn der Staat korrigierend eingreift, wo akute Marktmängel bestehen, indem er selbst effizienzverbessernden technischen und institutionellen Wandel schafft, wenn der Markt dies nicht vermag, jedoch diese Aufgabe privater Initiative überläßt, wo dies möglich und mit geringeren Kosten verbunden ist. Eine effiziente Mischung von Staatseingriff und Marktmechanismus ist erreicht, wenn die Grenmutzen staatlichen Eingreifens, verkörpert etwa durch die Vorteile neuer Institutionen, sicherer Rechte und korrigierter Marktmängel, mit den Grenzkosten des staatlichen Eingreifens in Form sowohl staatlicher Fehlentscheidungen als auch der Kosten kollektiver Entscheidungen, den Interdependenzkosten 1, übereinstimmen. Die Fähigkeit einer Regierung, den Nettonutzen staatlichen Handeins zu maximieren und die "optimale" Kombination zwischen Markt und Staat zu finden, spiegelt sich in dem zunehmend populärer werdenden Begriff des "good govemance" 2 wider. Welche konkreten Eigenschaften eines politischen Systems sind diesem Ideal förderlich? Sowohl die Studie des schwedischen Außenministeriums zu den Determinanten wirtschaftlichen Wachstums als auch die Weltbank-Studie zum Erfolg der ost-und südostasiatischen Volkswirtschaften führen politische Stabilität und Kontinuität der Regierung sowie eine kompetente, relativ korruptionsfreie und neutrale Bürokratie als Voraussetzungen des Erfolges an. 3 Beide fügen Pragmatismus im wirtschaftspolitischen Handeln hinzu, wobei hierunter das weitgehende Fehlen ideologisch motivierter Ent-
1 Vtl. Bemholz/Breyer (1984), S. 246-253 und J(jnch (1983), S. 48-60. Aufgeworfen wurden diese Uberlegungen von Buchanan/Tullock (1962). 2 Unsere Interpretation ist umfassender als die Weltbank-Definition, die darunter "the efficiency and effectiveness of a govemment in promoting the economic well-being of its people" (Swedish Ministry (1992), S. 24) versteht. Aus Sicht nachhaltiger Entwicklung muß "good governance" sich aber explizit auf Wohlfahrt als nicht ausschließlich materiellen Faktor beziehen. 3 Vgl. Kap. 6.2.2.
268
7. Kapitel: Politische und gesellschaftliche Einflußfaktoren
scheidungen und die Bereitschaft, gescheiterte Maßnahmen zu revidieren, verstanden wird. 4 Darüber hinaus wird Berechenbarkeil der Regierungspolitik, die Transparenz von Regeln, öffentlichen Verfahren, Verträgen und Projekten, die Rechenschaftspflicht der politischen und administrativen Führung, freier Informationsfluß und Offenheit der politischen Entscheidungen sowie die Herrschaft von Recht und Gesetz und damit die Existenz eines entsprechenden Rechtssystems mit unabhängiger und kompetenter Justiz als unabdingbar fiir wirkungsvolles Handeln des Staates in der Wirtschaft erachtet. 5 Ziel der Regierung in diesem Idealstaat ist es, die Wohlfahrt der gesamten Gesellschaft zu maximieren, nicht die einzelner Interessen. Aus Sicht nachhaltiger Entwicklung muß sie dabei auch zukünftige Interessen berücksichtigen. Bürokratie in diesem Staat ist Bürokratie im Webersehen Sinne, gekennzeichnet durch Unpersönlichkeil und Neutralität, Berechenbarkeil und Zuverlässigkeit, Sachkompetenz durch Auswahl der Staatsdiener nach Qualifikation und Leistung (Meritokratie), Disziplin und Entscheidungenaufgrund formaler ("rationaler") Regeln und fehlende Käuflichkeit durch die Trennung von öffentlichem und privatem Bereich. Sie unterliegt nicht der Parkinsonschen Tendenz zur steten Ausweitung und Schaffung immer neuer und unnötiger Aufgabenbereiche und gleitet nicht in einen Orwellschen Beamtenstaat ab, in dem Bürokratie einer allumfassenden, lähmenden Kontrolle entspricht. 6 Der hier dargestellte Staat ist eine ldealvorstellung, wie sie implizit der traditionellen Theorie der Wirtschaftspolitik zugrunde liegt und erst von der Neuen Politischen Ökonomie (NPÖ) einer genaueren Überprüfung unterzogen wurde. Ebenso wie wir in Kap. 6 versucht haben, diejenigen ökonomischen Rahmenbedingungen zu identifizieren, die dazu beitragen, dem Idealbild eines vollkommenen Marktes so nahe wie möglich zu kommen, wollen wir im folgenden versuchen, diejenigen politischen Bedingungen zu bestimmen, unter denen ein Staat ent- und bestehen kann, der unserem Idealbild möglichst nahe kommt, bzw. negativ ausgedrückt diejenigen Ausprägungen aufzuzeigen, die uns vom Idealmodell wegführen. So wie wir im ersten Fall die Qualität der Wirtschaftspolitik daran orientiert haben, inwieweit unerwünschte Ineffizienzen in Form von externen Effekten vermieden werden können, wollen wir die Eignung eines politischen Systems nun daran messen, inwieweit es die von der Neuen Politischen Ökonomie prophezeiten Ineffizienzen durch den politischadministrativen Prozeß, wie Ausweitung der Staatstätigkeit, rentensuchendes Verhalten oder Verzerrung von Präferenzen, impliziert. 4 Vgl. Leipziger/1homa.s (1993), S. 4, World Bank (1993) und Swedish Ministry (1992), S. 135.
S Vgl. Swedish Ministry (1992), S. 19, Repnik/Mohs(1992), S. 29fund Koh (1993a), S. 34. 6 Vgl. Evers I Schiel (1988), S. 70 und S. 231 f zur Charakterisierung der drei Bürokratie-Typen.
7 .2. Demokratie und Freiheitsrechte: Voraussetzung oder Hindernis?
269
Zum Bereich des politischen Systems müssen wir nicht nur das System der Entscheidungstindung und den Aufbau des Staates, sondern auch die gesellschaftliche Struktur eines Staates zählen und dessen Bedeutung für unsere Fragestellung, welche Faktoren nachhaltige Entwicklung fördern und welche diese behindern, ermitteln.
7.2. Demokratie und Freiheitsrechte: Voraussetzung oder Hindernis nachhaltiger Entwicklung? 7.2.1. Vorbemerkung zur "Legitimität" der FragesteDung
Weite Teile der Literatur beantworten die Frage nach dem erwünschten politischen System eindeutig zugunsten der Demokratie im westlichen Sinne. Es besteht die Tendenz, Demokratie und Marktwirtschaft als untrennbare Kombination zu betrachten, der als Gegensatz die Kombination Einparteienstaat/ kommunistische Diktatur und Zentralplanwirtschaft gegenübersteht. 7 Da die letztgenannte Alternative mit einem kompletten Fehlschlag endete, scheint der zu beschreitende Entwicklungsweg mit der Marktwirtschaft, dessen generelle Vorzüge wir bereits ausgeführt haben, automatisch auch Demokratie zu implizieren. 8 Diese Auffassung kommt bei Fritsch in aller Deutlichkeit zum Vorschein, wenn er sagt: "Undemokratische Staatssysteme sind grundsätzlich unvereinbar mit marktwirtschaftliehen Allokationsprinzipien. "9 Sogar in Untersuchungen, die die Wirkung demokratischer Verfahrensweisen durchaus kritisch betrachten, wie der polit-ökonomischen Studie von Bernholz und Breyer, wird die grundsätzliche normative Überlegenheit der Demokratie nicht in Frage gestellt und die Kombination "autoritäres System- Marktwirtschaft" überhaupt nicht untersucht. 10 Westliche Autoren und internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen betonen die Unabdingbarkeil demokratischer Strukturen für den Entwicklungsprozeß und zählen zunehmend Demokratie zu den Grundvoraussetzungen für "good governance" . 11 Die populärwissenschaftliche Umwelt-
7 Diese einseitige Betrachtung in der traditionellen Ökonomie kritisiert auch Schumacher (1989),
s. 302f.
8 Diese Vorstellung von der Zusammengehörigkeit beider Aspekte - politischer und wirtschaftlicher Öffnung - wurde in den beiden von Gorbatschow geprägten Begriffen Glasnost und Perestroika popularisiert. 9 Fritsch (1993), S. 12. 10 Vgl. Bernholz!Breyer (1984). Die Vernachlässigung dieser zumindest theoretischen Option ist umso auftilliger, als die Autoren sogar die Kombination Demokratie-Zentralverwaltungswirtschaft kurz überpriifen. 11 Vgl. UNDP (1991), S. 1, Repnik/Mohs (1992), S. 30 und Koh (1993a), S. 34.
270
7. Kapitel: Politische und gesellschaftliche Einflußfaktoren
und Entwicklungsliteratur, in vielen Ländern eng mit Bürger- und Menschenrechtsbewegungen bzw. der Friedensbewegung verbunden, plädiert von jeher zu basisdemokratischen Prinzipien, wie lokaler Selbstbestimmung und kleinräumlicher Entwicklung. Man kann sich allerdings des Eindrucks nicht erwehren, daß bei dieser Betrachtung häufig eine nicht ganz zulässige Vermischung normativer und positiver Elemente stattfindet, die in Hinblick auf Entwicklungsländer zu problematischen Empfehlungen fUhren kann. Von einer moralisch abgeleiteten normativen Überlegenheit der Demokratie wird geschlossen, daß Demokratie auch aus Effizienzsicht vorzuziehen sei. Einegenaue Untersuchung der ökonomischen Effizienz des demokratischen Systems, vor allem in unterentwickelten Staaten, findet zumeist überhaupt nicht mehr statt. Politikversagen in demokratischen Systemen wird verharmlost. 12 Eine derartige Sicht der Dinge birgt die Gefahr in sich, daß Schwächen eines politischen Systems bei der Lösung bestimmter Probleme nicht mehr nüchtern betrachtet werden, da ein Urteil zu Lasten der Demokratie politisch-ideologisch nicht legitim erscheint. Ziel dieses Abschnittes ist es, die Eignung alternativer politischer Konstellationen zur Bewältigung der Umwelt-Entwicklungs-Herausforderung zu analysieren. Die Effizienz des politischen Systems steht dabei im Vordergrund. Dies bedeutet keineswegs, daß Werturteile über die Wünschbarkeil verschiedener Regierungsformen, etwa aus Gründen der Gerechtigkeit, Legitimität oder Menschenwürde, außer acht gelassen werden. All diese Werturteile gehen ja auch in die Nutzenfunktion von Individuen und damit in die Ermittlung des zumindest hypothetischen gesellschaftlichen Nutzenmaximums ein. Vermieden werden soll allerdings, daß nicht die Werturteile der jeweils untersuchten Individuen, hier der Menschen in Entwicklungsländern, sondern die der Beobachter die Betrachtung dominieren. Es ist unseres Erachtens nicht zulässig, ohne Berücksichtigung möglicher Unterschiede in den normativen Haltungen westliche Maßstäbe anzulegen. Eine Analyse politischer Faktoren, die dem Rechnung trägt, ist eher in der Lage, echte Konfliktfelder aufzudecken und praktische Empfehlungen abzugeben. Im folgenden sollen also alternative politische Systeme daraufbin untersucht werden, ob sie dem Prinzip des "good governance" torderlieh sind. Politisches Referenzmodell sei zunächst das Modell westlicher Demokratie. Dies ist deshalb der Fall, weil a) die Neue Politische Ökonomie explizit oder implizit die Verhaltensweisen öffentlicher Entscheidungsträger in einem demokratischen System nach westlichem Vorbild untersucht, b) in der internationa-
12 Eine Ausnahme im deutschsprachigen Raum ist die Habilitationsschrift von PrinwilZ (1990), die das Vemältnis von Demokratie und Umweltpolitik durchaus kritisch anspricht (S. 169-180).
7.2. Demokratie und Freiheitsrechte: Voraussetzung oder Hindernis?
271
len Diskussion, wie oben erwähnt, Demokratie als eigenständiges Ziel der Entwicklung genannt wird und c) auch in der Realität ein weltweiter Trend zur Demokratisierung erkennbar ist. 13 Demokratie umschreibt nach Huntington eine politische Ordnung, in der "its most powerful decision-makers are selected through fair, honest, periodic elections in which candidates freely compete for votes and in which virtuaUy aU the adult population is eligible to vote . . . From this foUow other features characteristic of democratic systems. Free, fair, and competitive elections are only possible if there is some measure of freedom of speech, assembly, and press, and if opposition candidates and parties are able to criticize incumbents without fear of retaliation. Democracy is thus not only a means of constituting authority, it is also a means of limiting authority." 14
Gewaltenteilung, Freiheitsrechte, Repräsentation, Öffentlichkeit und Partizipation sind also die konstituierenden Kriterien der Demokratie. 15 Nach westlicher Vorstellung tritt als weiteres Charakteristikum der Demokratie hinzu, daß friedliche Machtwechsel auch tatsächlich zustande kommen. 16 7.2.2. Stärken der freiheitlichen Demokratie
Argumente für die Vorzüge demokratischer Entscheidungstindung unter dem Gesichtspunkt des effizienten Wirtschaftens in einer Marktwirtschaft können zunächst unmittelbar aus einem Analogieschluß abgeleitet werden. So wie der freie Wettbewerb der Wirtschaftssubjekte am Markt durch das Wirken der unsichtbaren Hand dem Gemeinwohl dient, soll der Wettbewerb politischer Parteien zu einer automatischen Ausrichtung des Angebots an politischen Leistungen an den Präferenzen der Bürger führen und so die bestmögliche Versorgung mit öffentlichen Gütern gewährleistenY In periodischen Wahlen, in denen alle erwachsenen Bürger frei unter echten Alternativen wählen können, werden sie sich für das ihnen am meisten zusprechende Programm entscheiden, so daß der Bewerber die Wahl gewinnt, der den Präferenzen der Individuen am nächsten kommt. Auch hier ist die freie Entscheidung des Individuums aus13 Vgl. UNDP (1991), S. 19, Freedom House (1990), Encyclopa:dia Britannica (1993), S. 344-
504 (World Affairs) und Iindenberg /Devarajan (1993), S. 170. 14 Huntington (1993a), S. 28.
lS Vgl. Prinwitz (1990), S. 171. 16 Vgl. Huntington (1993a), S. 41 und Olan (1993), S. 4f. Das Fehlen von Machtwechseln bis zum Jahre 1993 in Japan ist der Grund, warum Japan oftmals eher als Beispiel eines autoritären Regierungsstils bezeichnet und dessen wirtschaftlicher Erfolg auf diese politische Konstanz zuriickgeffihrt wird. 17 Zu dieser Analogie siehe von Amim (1993).
272
7. Kapitel: Politische und gcscllschaftlichc Einflußfaktoren
schlaggebend. Dem Markt wie der Demokratie liegt also die Vorstellung zugrunde, der einzelne wisse am besten Bescheid, was für ihn Wohlfahrt bedeutet. Im Human Development Report 1991 des UNDP (United Nations Development Programme) wird dieser grundlegende Aspekt besonders herausgestellt, wenn bezüglich des zentralen Kriteriums der menschlichen Entwicklung (human development) ausgesagt wird: "lts very objective of increasing people's choices could not be achieved without people actually being free to choose what they wanttobe and how they want to live. "18 Im Gegensatz zum Markt, der gewisse Eigentums- und Verfügungsrechte voraussetzt, verlangt die Teilnahme am Wahlakt kein materielles Eigentum oder Vermögen, so daß die Verzerrungen, die durch die Nichtberücksichtigung der Interessen Armer entstehen, hier vermieden werden. Die gleichberechtigte Teilnahme am politischen Prozeß gibt nach dieser Vorstellung allen Bürgern ein Gefühl der Eigentümerschaft, verleiht der Regierung Legitimation und fördert die Unterstützung nationaler Entwicklungsziele durch die Bevölkerung. 19 Vergleicht man die Kriterien für "good govemance" mit den genannten Elementen der Demokratie, sind weitere harmonische Beziehungen erkennbar. Transparenz der Politik, Rechenschaftspflicht der politischen Entscheidungsträger und weitreichende Partizipation sind zum einen Voraussetzungen für effizientes Handeln, da sie Fehlverhalten der politischen Organe über den Wahlpro.zeß bestrafen, zum anderen sind sie eigenständige Ziele im demokratischen System. Dasselbe trifft für das Rechtssystem zu. Demokratischen Systemen liegt das Prinzip der Gewaltenteilung zugrunde, was nicht nur eine Trennung von Exekutive und Legislative erfordert, sondern auch einer unabhängigen Judikative starke Stellung verleiht und ein System der "checks and balances" etabliert, das Willkür und Unberechenbarkeit vermeidet. Die beiden anderen Gewalten im Staat bestimmen also nicht selbstherrlich, was rechtens ist und was nicht; sie haben sich in ihren Entscheidungen der Herrschaft des Gesetzes unterzuordnen. Änderungen sind nur mit entsprechenden Mehrheiten möglich, zentrale Grundsätze durch die Verfassung geschützt. Für das Funktionieren der Wirtschaft wiederum ist dies von enormer Bedeutung: Ein stabiles, politischer Willkür nicht ausgesetztes Rechtssystem verleiht klare Eigentumsrechte, sichert die Einhaltung von Verträgen und damit die Berechenbarkeil wirtschaftlichen Handeins durch Verminderung der Externalitäten erzeugenden Unsicherheit. Als Hindernis für ein effizientes Arbeiten des Marktes sind fehlende, verzerrte oder verzögert eintreffende Informationen bedeutsam. Auch hier sind die
18 UNDP (1991}, S. 3. 19 Vgl. UNDP (1991), S. 71.
7.2. Demokratie und Freiheitsrechte: Voraussetzung oder Hindernis?
273
demokratischen Pfeiler der Informations-, Meinungs- und Pressefreiheit und der Partizipation der Bürger sowie die bestehende Parteienkonkurrenz fiir das ökonomische System von Nutzen. Konkurrieren mehrere Parteien, so werden diese nicht nur die Vorzüge eigener Programme anpreisen, sondern auch auf die Schwächen anderer Parteien hinweisen, so daß Bürger die Vor- und Nachteile politischer Programme von verschiedenen Seiten vermittelt bekommen. In demokratischen Systemen können sich auch Interessengruppen als potentiell effizienzfördernde Institutionen herausstellen. Organisierte Interessenvertretungen sind in der Lage, Informationen über die Präferenzen und Ansichten ihrer Mitglieder kostengünstig zu sammeln und an das politische System weiterzuleiten. Dies vermindert die Kosten bei der Beschaffung von Daten über den Wählerwillen und die wirtschaftliche und soziale Lage verschiedener Teile der Gesellschaft durch die politischen Akteure. Zum anderen stellen sie auch direkt Informationen fiir Produzenten, Lieferanten und Kunden zur Verfügung, sind also fiir den Informationsfluß im Wirtschaftssystem selbst unabdingbar. 20 Als Katalysator organisierter wie unorganisierter Interessen dienen auch die Medien. 21 Indem sie Unzulänglichkeiten aufdecken und Fehlverhalten anprangern, drängen sie in Richtung auf effizienteres Management von Wirtschaft und Staat. Da Systemen- wie Menschen - eine gewisse Trägheit bzw. Lethargie innewohnt, erfüllen sie die neben der Kontrolle wichtige Funktion, Diskussionen anzuregen und Alternativen ins Gespräch zu bringen. Die Verschleierung von Problemen durch politische Akteure wird dadurch erschwert. Interessenvertretungen und Medienvielfalt fördern aber nicht nur die Aufdekkung des Volkswillens gegenüber den politischen Entscheidungsträgern. Sie stellen selbst Formen der Institutionenbildung dar. In vielfältiger Art vermindern sie Transaktionskosten, wenn durch die Existenz identifizierbarer, kompetenter und mit Ressourcen ausgestatteter Interessenvertreter Verhandlungen erleichtert werden, da die Zahl der beteiligten Akteure reduziert wird. Nach der pluralistischen Harmonielehre verhindert die Offenheit des Systems die Dominanz einzelner Interessen durch das Entstehen von Gegenkräften, die sich ausbalancieren (Galbraiths •countervailing powers j bzw. durch das Phänomen, daß die Individuen stets zugleich mehreren Interessengruppen angehören, deren Programme sich nicht überlagern müssen. Der Druck zur Erlangung von Mehrheiten mildert überdies die Zersplitterung von Interessen. 22
20 Vgl. Bernholz/Breyer(1984), S. 349-362. 21 Die Aufklärungsfunktion der Medien betont auch der Human Development Report. Vgl. UNDP (1991), S. 9. 22 Vgl. Galbraith (1952), von Amim (1993), Bemholz/Breyer (1984), S. 357-360 und Grindle (1991), s. 47. 18 Stengel
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7. Kapitel: Politische und gesellschaftliche Einflußfaktoren
Zu den Grundfesten demokratischer Prinzipien zählt auch die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz und die Vergabe von Ämtern nach Qualifikation statt nach Herkunft, Rasse oder Gruppenzugehörigkeit. Diese Orientierung an der persönlichen Leistung ist gleichsam die Grundlage für effiziente Verwaltung und Regierung. Sie erlaubt das Wirksamwerden formaler Regeln, nach Weber einer Grundvoraussetzung rationaler Rechts- und Verwaltungsstrukturen. 23 Hinsichtlich der Stabilität des Systems läßt sich argumentieren, daß Demokratien aufgrund ihrer hohen Akzeptanz bei der Bevölkerung als Gesamtsystem stabil sind, auftretende Mängel also nicht auf das System, sondern auf die jeweiligen Amtsinhaber zurückgeführt werden, die ersetzt werden können. 24 Die Existenz und Persistenz demokratischer Institutionen wird von diesen Änderungen kaum berührt; die Kontinuität grundlegender Rahmenbedingungen ist dadurch gesichert. 7.2.3. Demokratie und unerwünschte Abweichungen vom Optimum
7.2.3.1. Mlingel bei der Aggregation individueller Präferenzen Der Maximierung des Nettonutzens staatlicher Eingriffe liegt die Forderung zugrunde, daß die Kosten des politischen Entscheidungsprozesses, die sogenannten Interdependenzkosten, zu minimieren seien. Diese ergeben sich als Summe der Entscheidungskosten und der zu erwartenden externen Nachteile, wobei erstere Kostenkomponente mit der Zahl der für eine Entscheidung nötigen Ja-Stimmen wächst, letztgenannte Kostenkomponente mit dieser aber sinkt. Die von Wiekseil vorgeschlagene Einstimmigkeitsregel führt zwar zur Abwesenheit externer Nachteile, ist aber mit hohen Konsensfindungskosten verbunden und deshalb aus Gesamtsicht nicht effizient. 25 Es gibt also aus Effizienzsicht keine Präfererenz für eine konkrete Zustimmungsquote; diese ist von den konkreten Rahmenbedingungen abhängig.
In der Praxis demokratischer Gesellschaften haben sich bestimmte Zustimmungsquoten eingebürgert, die in erster Linie auf Gerechtigkeitsüberlegungen beruhen. Sowohl in direkten Demokratien26 als auch bei Abstimmungen in den
23 Vgl. Andresld (1983), S. 28f. 24 So Huntington (1993a), S. 41f. 2S Vgl. hierzu Recktenwald (1983), S. 133, 706, Blankart (1991), S. 23, 36f und Bemholzl Breyer (1984), S. 262f. Bei geforderter Einstimmigkeit ist bei nichttrivialen Entscheidungen zudem zweifelhaft, ob solche überhaupt zustande kommen. 26 Bei großen Gemeinwesen sind die Interdependenzkosten der direkten Demokratie so hoch, daß andere politische Entscheidungsverfahren nötig werden. Vgl. Bemholz/Breyer (1984), S. 253.
7.2. Demokratie und Freiheitsrechte: Voraussetzung oder Hindernis?
275
Gremien der indirekten Demokratie sind Entscheidungen mit einfacher Mehrheit oder bei besonders bedeutsamen Entscheidungen (z.B. auf Verfassungsebene) mit Zweidrittelmehrheiten üblich. Auch wenn man bei indirekter Demokratie unterstellt, daß die gewählten Vertreter die Interessen des Wahlvolkes exakt repräsentieren, ist keinesfalls sichergestellt, daß die jeweilige Zustimmungsqote genau mit dem Minimum der Interdependenzkosten übereinstimmt, die gewählte Entscheidungsregel also optimal ist. Da überdies nicht sicher ist, daß selbst im Minimum der Interdependenzkosten diese durch die Nutzen aus der kollektiven Entscheidung kompensiert werden, die kollektive Entscheidung also dem Wirken des Marktes überlegen ist, stellen demokratische Abstimmungsmechanismen nur zufälligerweise eine effiziente Aufteilung der Funktionen zwischen Markt und Staat dar. Darüber hinaus fiihrt die demokratische Regel "jedem Wähler eine Stimme" zu einer Vernachlässigung tatsächlicher Präferenzen, da die Intensität des empfundenen Verlustes oder Gewinns nicht berücksichtigt wird. Empfindet eine Mehrheit eine Alternative A jeweils als leichten Gewinn und die Angehörigen der Minderheit diese Alternative als starken Verlust, so kann sich im Sinne unseres Kaldor-Hicks-Kriteriums durchaus eine Verschlechterung der Wohlfahrt bei der bei demokratischer Wahl erfolgenden Entscheidung fiir Alternative A einstellen, da die Gewinner nicht einmal hypothetisch in der Lage wären, die Verlierer zu kompensieren. Auf ein weiteres Dilemma demokratischer Entscheidung hat Kenneth Arrow 1951 in seiner Arbeit zum Problem der Aggregation individueller Präferenzen hingewiesen. 27 Er stellte in dem nach ihm benannten Theorem fest, daß es bei drei oder mehr Alternativen keine Abstimmungsregel gibt, die einige allgemeine, in Demokratien unabdingbarer Regeln der Fairness28 und gleichzeitig eine Bedingung der Logik - nämlich die Transitivität der resultierenden gesellschaftlichen Präferenzordnung und damit nach Arrow kollektive Rationalität - erfiillt. Transitivität, also die Unabhängigkeit des Ergebnisses vom Pfad, ist jedoch unabdingbare Voraussetzung dafür, daß das Gemeinwohl bzw. gesellschaftliche Wohlfahrt durch kollektive Entscheidung widerspruchslos ermittelt werden
27 Vgl. Arrow (1951). Arrows Theorem ist eine Verallgemeinerung des von Condorcet im 18. Jahrhundert entwickelten und von Duncan Black 1940 wieder in Erinnerung gerufenen Wahlparadoxons, das auf die Möglichkeit fehlender Eindeutigkeit hinwies. Der Hinweis auf die Nichtgültigkeit des Arrow-Theorems bei zwei Alternativen kann aus praktischer Sicht damit verworfen werden, daß in der Realität binäre Entscheidungen kaum auftreten und allenfalls durch den politischen Entscheidungsprozeß geschaffen werden, selbst also wiederum Ergebnis vorangegangener Auswahl mit allen damit verbundenen Mängeln sind. 28 Diese Kriterien sind Zulässigkeilaller logisch möglichen individuellen Ordnungen, (schwache) Pareto-Optimslilit (als Voraussetzung für Monotonität und Souveränität der Bürger), Unabhängigkeit von irrelevanten Annahmen und Nicht-Diktatur. Zur Rechtfertigung dieser Kriterien, insbesondere aus Sicht der Demokratietheorie, und zum Arrow-Theorem siehe Riker (1982). 18*
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7. Kapitel: Politische und gesellschaftliche Einflußfaktoren
kann, da sonst nicht allein die Präferenzen der Wähler, sondern die Rahmenbedingungen entscheiden. 29 Kollektive Entscheidungstindung kann zu Ergebnissen fiihren, die von einer Mehrheit der Wähler als schlechter empfunden werden als zuvor abgelehnte Vorschläge. Die Wahl kann dabei durch Manipulation beeinflußt werden. Dies kann durch strategisches Wahlverhalten, also die falsche Belrundung individueller Interessen, etwa in Form von Stimmentausch, oder durch die Beeinflussung des Wahlablaufs, z.B. der Reihenfolge der Abstimmung, der Zahl der zur Entscheidung stehenden Alternativen, Kontrolle von Stimmen (z.B. durch Fraktionsdisziplin) oder die Multidimensionalität von Wahlentscheidungen erfolgen. Diese Manipulationen können zu Abweichungen vom Optimum fiihren und erzeugen Ungleichgewichte, die aus theoretischer Sicht Instabilitäten im politischen System erwarten lassen. 30 Wie Riker ausführt, wird politische Stabilität, wie sie in der Praxis der Industrieländer zu beobachten ist, in erster Linie dadurch erreicht, daß institutionelle Vorkehrungen, wie die Etablierung von Zweiparteiensystemen (etwa durch das Mehrheitswahlrecht), getroffen werden, die wiederum den aufgestellten Regeln der Fairness nicht vollständig gerecht werden. 31 Wahlen ist also ein immanenter Konflikt zwischen Gerechtigkeit und Rationalität und damit Optimalität zu eigen. 32 Die offenkundigen Manipulationsmöglichkeiten sowie die Abweichung des Ergebnisses bestimmter Wahlverfahren vom Prinzip der bestmöglichen Repräsentanz der Wählerinteressen offenbart sich beim relativen MehrheitSwahlrecht darin, daß es durchaus möglich ist, daß eine Partei die Mehrheit der Sitze erringt, ohne insgesamt die Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung zu besitzen, wobei die Ergebnisse durch Variation der Wahlkreisgrenzen erheblich verändert werden können. In einem System mit proportionaler Repräsentation steht dagegen die Koalitionsbildung im Mittelpunkt und in der Regel agieren mehr als zwei Parteien. Diese Konstellation ist nach Watanuki "good for interest articulation but not necessarily good for interest aggregation "33 , kann also zu Verzögerungen, Taktieren und Friktionen sowie politischer Instabilität aufgrund unsicherer Koalitionen führen. Das Mehrheitswahlrecht sichert also eher politische Stabilität, wird aber aus diesen Gründen auch als weniger demokra-
29 Vgl. hierzu Blankan (1991), S. 97-100 und Riker (1982), S. 137. Riker führt auch zahlreiche theoretische und empirische Beispiele an. Als wohl deutlichster Fall einer derartigen inkonsistenten Wahl gilt die Ablehnung einer Alternative, die im paarweisen Vergleich alle anderen Alternativen schlägt, also ein Condorcet-Gewinner wäre. 30 Vgl. Riker (1982), Kap. 6 und 7. Bemholz/Breyer (1984) gehen von der Suboptimalität des Stimmentausches aus, da er zu einem zu großen Angebot öffentlicher Güter und generell zu einer Ausweitung der Staatstätigkeit und des Staatsapparates führt (S. 386ft). 31 Vgl. Riker (1982), S. 188-192.
32 Vgl. Riker (1982), S. 136. 33 Watanuki (1975), S. 150.
7.2. Demokratie und Freiheitsrechte: Voraussetzung oder Hindernis?
277
tisch, da einige Prinzipien der Fairness verletzend, betrachtet. Aufgrund der möglichen Verzerrungen der Präferenzen im Verhältniswahlrecht kann auch dieses generell als fairer erachtete Wahlsystem nicht als echt fair und logisch im theoretisch geforderten Sinne betrachtet werden. Selbst die nonnative Überlegenheit demokratischer Abstimmungsmechanismen bricht dann zusammen, wenn diese nicht zu fairer Repräsentanz des Wählerwillens führt. Darüber binaus wird die Übereinstimmung von echten Präferenzen und Wählerentscheidungen durch Phänomene wie das "rationale Nichtwissen" 34 der Wähler, deren Vergeßlichkeit und die Ausnutzung dessen durch politische Parteien (politischer Konjunkturzyklus), Wählerloyalitäten und Wahlketten in Frage gestellt. 35 Unabhängig vom konkreten Wahlsystem hat die Neue Politische Ökonomie, angeführt von Anthony Downs, in verschiedenen Ansätzen aufgezeigt, daß die gewählten Volksvertreter eben nicht lediglich die Präferenzen des Wahlvolkes vertreten, sondern selbst "politische Unternehmer" sind, also eigene nutzenmaximierende Ziele verfolgen. Diese Ziele bestanden bei Downs zunächst in der Maximierung der Wählerstimmen, also der Machterhaltung. Das Konzept kann jedoch, der Theorie der Regulierung folgend, dahin gehend erweitert werden, daß es sämtliche positiven wie negativen Einflüsse erfaßt, die die "Interessenfunktion" eines politischen Unternehmers bestimmen. 36 Solche Einflüsse können Wählerstimmen, finanzielle Zuwendungen von Interessengruppen oder politischer oder anderweitiger Druck derselben - etwa die Drohung, Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern oder die Mitglieder gegen die Regierung zu aktivieren -, aber auch die Abhängigkeit der staatlichen Organe von Informationen der Interessenvertreter sein. Bernholz und Breyer weisen in ihrer Studie darauf hin, daß derartige Zusammenhänge besonders in einer Demokratie zur Geltung kommen, da dort der Wahlvorgang im Mittelpunkt der politischen Willensbildung steht und damit die Gefahr des Machtverlusts in der nächsten Wahl eine entsprechende Einflußnahme besonders wirksam macht. 37 Ein weiterer Bereich des politischen Systems und ein zweites Hauptuntersuchungsgebiet der Neuen Politischen Ökonomie liegt im administrativen Bereich. Auch diesbezüglich haben Autoren wie Niskanen, Downs und Parkinson Thesen zu den Folgen entwickelt, wenn Bürokraten ihren eigenen Nutzen maximieren, der Einkommen, Ansehen, Macht, Handlungsspielräume und anderweitige aus dem Amt erzielte Vorteile umfassen kann. Nach Niskanen folgt eine Tendenz zur Maximierung des Budgets und damit der Ausweitung
34 Vgl. North (1992), S. 61, 130. 3S
Vgl. hierzu Kirsch (1983), S. 158-162 und Bemholz/Breyer (1984), S. 295-301.
36 Vgl. zur formalen Darstellung des Interest Function-Ansatzes Borbach (1991) und Klaus I
Borbach (1991).
37 Vgl. Bemholz/Breyer (1984), S. 349.
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7. Kapitel: Politische und gesellschaftliche Einflußfaktoren
der staatlichen Leistungen, Downs betont das Interesse am Bestand der Verwaltung und Parkinson befürchtet die Schaffung unnötiger Arbeit türeinander, wobei dies jeweils mit einer Fehlversorgung der Bevölkerung mit öffentlichen Gütern verbunden ist. 38 Horbach weist zu Recht darauf hin, daß bei einer solchen Analyse das Verhältnis von Bürokraten und politischen Entscheidungsträgem sowie der Einfluß von Interessengruppen eine Rolle spielt. 39 Besteht eine hierarchische Ordnung, so wirkt die Bedeutung der Wählerstimmen für den Politiker auch auf die Handlungen der Bürokraten ein, etwa über die Zuweisung des Budgets. So würden solche Maßnahmen auch von seilen der Bürokratie gefördert, bei denen höhere Stimmengewinne zu erreichen sind. Umgekehrt können einflußreiche Bürokraten sehr wohl Unterstützung leisten oder Druck auf politische Unternehmer ausüben; deren Interessen gehen also in die Interessenfunktion des Politikers als positive oder negative Einflußeinheiten ein. Ähnlich der bereits angedeuteten Beeinflussung von Politikern durch Interessengruppen bestehen solche Interaktionen auch zwischen Bürokraten und Interessenvertretem, in erster Linie Unternehmern. Die Interessen der Bürokraten führen dabei zu Ergebnissen, die vom ökonomischen Optimum abweichen, etwa weil der Wunsch der Bürokraten nach diskretionärem Handlungsspielraum sie zu nicht marktwirtschaftliehen Instrumenten neigen läßt, bei denen geringere Widerstände von seilen der Unternehmen, aber auch anderer Interessengruppen zu erwarten sind. In demokratischen Systemen besteht also nach den Erkenntnissen der NPÖ umfassend Raum für Abweichungen politischer von ökonomischen Optima. Die herausragende Bedeutung des Wahlaktes und umfangreicher Interessenartikulation in Demokratien impliziert eine starke Orientierung an Wählerstimmen. Mögliche Verzerrungen können dabei dadurch zustande kommen, daß - in Gleichklang mit den Wahlperioden "politische Konjunkturzyklen" auftreten, wenn vor den Wahlen unpopuläre Entscheidungen aufgeschoben werden, während zu Beginn einer Wahlperiodeaufgrund des Vergessens der Wähler entsprechende Opfer gefordert werden, - aufgrunddes primären Interesses der Politiker, die nächste Wahl zu gewinnen, kurzfristige Aspekte in den Mittelpunkt geraten, - die Wähler nicht über die wahren Folgen unterschiedlicher Programme informiert sind, sie ihre Entscheidungen also anband weniger, für sie bedeutsamer Aspekte treffen,
38 Zur Bürokratietheorie vgl. Kirsch (1983), S. 170-177, Blankart (1991), S. 390, 39ff und Bemholz/Breyer (1984), S. 337-351.
39 Vgl. Borbach (1991), S. 147-241.
7 .2 . Demokratie und Freiheitsrechte: Voraussetzung oder Hindernis?
279
- Wähler auch über solche Fragen abstimmen, von denen sie selbst nicht berührt sind, deren Kosten sie also nicht zu tragen haben40 und - verschiedene Interessen unterschiedliche Macht haben, ihren Einfluß geltend zu machen und so unterschiedliche Berücksichtigung zu erfahren. Letzter Aspekt wurde vor allem von Mancur Olson betont, der auf die leichtere Organisierbarkeil kleinerer, spezialisierter Interessen hinweist. 41 Aber auch die finanziellen Potentiale von Interessengruppen und deren Fähigkeit, Wählerstimmen zu lenken, sind in diesem Zusammenhang bedeutsam. Ein Ausbalancieren unterschiedlicher Interessen, wie von Bentley, Truman und der pluralistischen Harmonielehre unterstellt, ist also nicht zu erwarten. 42 Die Existenz von Interessengruppen und Medien und ihr Einfluß ist - wie der Wahlvorgang selbst -ein konstituierendes Merkmal der Demokratie, da sie unmittelbar aus Versammlungs-, Rede-, Vereinigungs- und Pressefreiheit bzw. generell der Forderung nach Partizipation der Bürger und Öffentlichkeit des politischen Prozesses hervorgeht. Was wir im vorangegangenen Abschnitt als Stärke der Demokratie interpretiert haben, hat durchaus seine Grenzen. Interessengruppen stellen nicht nur wichtige Informationen bereit, sie filtern sie auch in ihrem Interesse und lenken sie zwangsläufig. Ihre Bedeutung in der Gesellschaft stellt ihnen Druckmittel zur Verfügung, die zur Erlangung spezieller Vorteile eingesetzt werden können. Medien stellen ebenfalls machtvolle Interessengruppen dar, da sie die Meinung breiter Wählerschichten mehr oder weniger subtil beeinflussen können. Auch ihnen stehen Druckmittel zur Verfügung, etwa die Verweigerung von Kooperation, Kampagnen gegen einzelne Politiker und Bürokraten, die Organisation von Protestkundgebungen und vor allem selektive Berichterstattung. Medien sind in vielfacher Hinsicht auch Unternehmer. Sie müssen sich, sofern sie nicht über externe Finanzierung verfügen und schon deshalb voreingenommen sind43 , dem ökonomischen Kalkül stellen und deshalb eine "Ware Information" anbieten, die Absatz, d.h. hohe Auflage oder Einschaltquoten, verspricht. Dies ist vielfach mit Enthüllungsjournalismus, Klatsch und Sensationshascherei eher zu erreichen als mit nüchterner Betrachtung und sorgfältiger und damit kostenintensiver Berichterstattung. In wirtschaftlichen Fragen sind emotionale Berichte über Arbeitsplatzverluste dem Leser oder Zuschauer leichter 40 Vgl. Hayek (1979), S. 9-19. 41 Vgl. 0/son (1965). 42 Vgl. Bemholr.!Breyer (1984), S. 351. Vor Vertrauen in einen Interessenausgleich im politischen Wettbewerb warnt auch Mesrmllcker (1993), S. 13. 43 Hier ist etwa an Partei- oder Kirchenblätter zu denken oder an die Abhängigkeit der Medien von Werbeeinnahmen, die einen gewissen Einfluß der entsprechenden Kunden auf die Programmund Textgestaltung vermuten läßt.
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7. Kapitel: Politische und gesellschaftliche Einflußfaktoren
verständlich zu machen als umfangreiche und undurchsichtige, langfristige Nutzen-Kosten-Betrachtungen. Die in den Medien notwendige Verknappung und sprachliche Vereinfachung der Information kann so zu einer verzerrten Vorstellung über bestimmte wirtschaftspolitische Maßnahmen beitragen. Manipulation von Bildmaterial, Stellen von Szenen und die Unterschlagung von Fakten zur Erzielung eines stärkeren Effekts sind ebenfalls keine Ausnahmen, sondern gehören zum Geschäft. Auch in Demokratien ist keineswegs automatisch sichergestellt, daß wahrheitsgemäß und ausgewogen berichtet wird. Das massive Ansteigen von Gewalt in der industrialisierten Welt hat die Frage aufgeworfen, inwieweit die sensationsorientierte Berichterstattung bzw. die Prominenz, die Gewalttätern in den Medien gewidmet wird, diese Tendenz hervorruft bzw. zumindest unterstützt. Die Haltung der Medien bei Ereignissen wie den Rassenunruhen in Los Angeles, den rechtsextremistischen Ausschreitungen in Europa und dem Geiseldrama von Gladbeck nährt die Befürchtung, Medien seien in Demokratien eine von keiner Seite kontrollierte Kraft. Daß Quantität der Information nicht automatisch "verbesserte Information" bedeutet, wird auch daran deutlich, daß die Fähigkeit, die immer größer werdenden Datenmengen zu verarbeiten, offenkundig nicht schrittzuhalten vermag.
7. 2. 3. 2. Demokratie und weitere Voraussetzungen Jar "good governance" Erinnern wir uns an die als Voraussetzungen für "good governance" genannten Aspekte: politische Stabilität und Kontinuität der Regierung, kompetente, relativ korruptionsfreie und neutrale Bürokratie und Pragmatismus, also keine ideologisch motivierten Entscheidungen und die Bereitschaft, falsche Maßnahmen zu revidieren. Bereits der erste Punkt steht in einem gewissen Spannungsverhältnis zur Demokratie. Gerade der Machtwechsel war ja eines der konstituierenden Charakteristika derselben. Kontinuität der Regierung ist einem demokratischen System suspekt, da dies eine Machtkonzentration zu implizieren scheint. Häufige Regierungswechsel bedeuten aber die Dominanz kurzfristiger Entscheidungen, die Gefahr willkürlicher Änderung der Politik und damit die Zunahme der Unsicherheit für ökonomische Akteure, ein Entscheidungsvakuum im zeitlichen Umfeld der Wahlen sowie Einarbeitungszeit und Friktionen bei der Übergabe der Macht. Darüber hinaus präferieren politische Parteien in Wahldemokratien diskretionäre Eingriffe gegenüber einer Regelpolitik, da erstere ihnen größere Spielräume für wahltaktische Überlegungen und verteilungspolitische Maßnahmen zugunsten bestimmter Wählergruppen lassen. 44 Regelpolitik ist aber gerade in solchen Situationen, in denen ein großes
44 Vgl. Wagner (1991), S. 144f.
7.2. Demokratie und Freiheitsrechte: Vorau88etzung oder Hindernis?
281
Potential an rentensuchenden Individuen existiert, diskretionärer Politik vorzuziehen, während letztere aufgrund ihrer größeren Flexibilität dann Vorzüge hat, wenn die Gefahr rentensuchenden Verhaltens durch die Ausgestaltung des politischen Systems eingedämmt ist. 45 Bezüglich der Bürokratie scheinen die hier geforderten Charakteristika dann nicht gegeben zu sein, wenn die Administration politischen Interessen folgt, womit nach Erkenntnissen der NPÖ in Demokratien zu rechnen ist. Pragmatismus wiederum kann von politischen Gegnern als Orientierungslosigkeit ausgeschlachtet und Revisionen entsprechend als Schwäche der Regierung dargestellt werden, was die politische Akzeptanz dieser beiden Aspekte in Demokratien in Frage stellt. Aufgrund der relativ kurzen Legislaturperioden besteht in demokratischen Systemen die Gefahr, daß bei gescheiterter Politik, so sie revidiert wird, das Scheitern zum Wahlkampfthema der Opposition erhoben wird, während die Zeit nicht mehr ausreicht, um die Revisionen wirksam werden zu lassen. Es besteht die Tendenz, mangelhafte Instrumente und Maßnahmen weiterzuführen und vehement zu verteidigen oder allenfalls still und heimlich ausklingen zu lassen.
7.2.3.3. Der demokratische Staat und die Rolle des Marktes Es kann also resümiert werden, daß demokratische Systeme keineswegs mit unserem Idealbild eines Staates harmonieren, dem ja die Vorstellung zugrunde lag, daß der Staat nur dort in marktwirtschaftliche Abläufe eingreift, wo dies aufgrund von Marktmängeln nötig ist und er diese Aufgabe auch effizient übernehmen kann. Es zeigt sich darüber hinaus, daß Demokratien, mit der Kompetenzkompetenz ausgestattet, dazu neigen, immer mehr Bereiche staatlicher Einflußnahme zu unterziehen, um möglichst vielen konkurrierenden Interessen gerecht werden zu können. Sie schaffen damit externe Effekte, die wiederum nach staatlichen Eingriffen rufen. 46 Der Markt und seine Ergebnisse werden von Individuen häufig als unfair oder undemokratisch erachtet, oftmals in Unkenntnis ökonomischer Handlungsabläufe und der bestehenden Ressourcenbeschränkung. Diese Unzufriedenheit mit der eigenen Position am Markt kann nun in demokratischen Systemen im politischen Prozeß kundgetan werden. Da politische Unternehmer Interesse ha-
45 Wade (1993) begründet so die Vorteile diskretionirer Politik in Taiwan, dessen Bürokratie von Interessengruppeneinflüssen relativ gut abgeschirmt war. Nach Wade ist "the supply ofrentseekers .. . a function of the type of political regime, among other things, because the political regime affects the ease of entry to different parts of the state" (S. 162). 46 Vgl.
Bemholz/Breyer (1984), S. 410-414.
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7. Kapitel: Politische und gesellschaftliche Einflußfaktoren
ben, unzufriedene Wähler zu mobilisieren, wird die Korrektur des Marktergebnisses zwangsläufig zum Teil der politischen Agenda. Dies wird dadurch politisch besonders attraktiv, da die von einer Maßnahme (etwa der Streichung von Subventionen) negativ Betroffenen dies entsprechend stärker empfinden als die Nutmießer, da a) der Verlust vorhandener Privilegien in der Regel intensiver empfunden wird als der Gewinn bestimmter bislang noch nicht erhaltener Vorteile und b) die Gewinner des Wirkens des Marktmechanismus bzw. die Verlierer seiner Restriktion sich der Abhängigkeit ihrer Lage von bestimmten wirtschaftlichen Gegebenheiten oft nicht bewußt sind. Nutmießer des Marktmechanismus sind nämlich in erster Linie die Konsumenten, deren Nutzen sich auf viele Konsumgüter erstreckt, deren Wissen über die ökonomischen Zusammenhänge gering und deren Mobilisierbarkeit demzufolge niedrig ist. Produzenteninteressen ebenso wie Sonderinteressen konzentrieren sich dagegen auf einzelne Bereiche, die Interessen an der Aufrechterhaltung bestimmter Privilegien sind also stark. Es lohnen sich die Kosten des politischen Lobbyismus bzw. sie sind als Wählergruppe deshalb bedeutsam, da ihre Wahlentscheidung durch konkrete politische Entscheidung beeinflußbar ist. 47 Sie werden deshalb überproportional Einfluß auf das politische System nehmen. Auf derartige asymmetrische Information, die unterschiedliche Streuung von Nutzen und Kosten und die unterschiedlichen Einflußmöglichkeiten betroffener Gruppen lassen sich zahlreiche als wirtschaftspolitische Fehlentscheidungen identifizierten Maßnahmen, wie Subventionen, Importbeschränkungen, Preisverzerrungen, Fehlangebot an öffentlichen Gütern, Erhaltung alter Industriezweige und Arbeitsplätze, über die Produktivitätszunahme hinausgehende Lohnerhöhungen, Wettbewerbsbeschränkungen oder Staatsverschuldung zurückfiihren.48 Gerade die Tendenz zu Protektionismus ist in besonderem Maße mit dem demokratischen System verbunden, da die Kosten zumindest scheinbar auf Nichtwähler, eben Bürger des Auslandes, abgewälzt werden bzw. die Belastung der eigenen Bevölkerung verschleiert werden kann und Handelsbarrieren zunächst eine billige Möglichkeit scheinen, Sonderinteressen zu fördern. 49 Da die Geldschöpfung durch den Staat und die Unpopularität von Sparmaßnahmen in Demokratien eine wirksame Bekämpfung der Inflation erschwert und der 47 Zur größeren Wahrscheinlichkeit politischer Konzentration der Produzenten bzw. kleiner Interessengruppen gegenüber Verbrauchern vgl. Friedman (1984), S. 186fundBemholz/Breyer (1984), s. 376f.
48 Zu diesen und den folgenden Punkten siehe auch die Einzelanalyse bei Semholz I Breyer (1984), Kap. 13.
49 Zur Antilligkeit von Wahldemokratien flir Protektionismus siehe Wagner (1991), S. 3lf. In den letzten Wochen der Uruguay-Runde wurde deutlich, daß etwa die französischen Forderungen nach Korrekturdes Blair-House-Abkommens keineswegs handelspolitisch, sondern rein innenpolitisch bedingt waren. Nach-außen gezeigter Widerstand gegen amerikaDisehe Interessen versprach hier wahlpolitische Vorteile. Vgl. o.V. (1993ii), S. 17.
7.2. Demokratie und Freiheitsrechte: Voraussetzung oder Hindernis?
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Verteilungskampf unterschiedlicher Interessen preistreibend wirkt, wird Inflation auch als "economic disease of democracies" 50 bezeichnet. Im Schumpeterschen Sinne erfordert Wirtschaftswachstum einen Prozeß der "schöpferischen Zerstörung". Der Wandel der Wirtschaftsstruktur und damit die Aufgabe unproduktiver Industriezweige und der vorübergehende Verlust von Arbeitsplätzen sind also notwendige Bedingung wirtschaftlicher Entwicklung. In Demokratien kann der Umstrukturierungsprozeß allerdings dadurch gebremst werden, daß die "zerstörerische" Komponente politisch nicht akzeptabel scheint und damit auch die "innovative, effizienzsteigemde" Komponente blockiert wird. Eine derartige, letztlich wachstumsbindemde Tendenz ist in westlichen Demokratien deutlich zu beobachten, wo Arbeitnehmer und Arbeitgeber in stagnierenden Sektoren als politisch aktivstes Wählerpotential auch am stärksten umworben werden. Doch nicht nur die Ausweitung der Rolle des Staates in der Wirtschaft, sondern auch die Forderung nach Demokratisierung aller Bereiche gesellschaftlichen Lebens, bat seine Gefahren, wie Huntington ausführt: "In many situations the claims of expertise, seniority, experience, and special talents may override the claims of democracy as a way of constituting authority. During the surge of the 1960s, however, the democratic principle was extended to many institutions where it can, in the long run, only frustrate the purposes of those institutions. A university where teaching appointments are subject to approval by students may be a more democratic university but it is not likely to be a better university ... "51
Andere Bereiche, in denen ein Übermaß an demokratischer Willensbildung ungeeignet sein kann, sind die Armee, aber auch das wirtschaftliche Leben selbst, das auf der Existenz absoluter Entscheidungen von Einzelpersonen oder Personengruppen basiert. Die Tendenz zur Ausweitung demokratischer Entscheidungen und Eingriffen in den Marktablauf steht so in einem Spannungsverhältnis zum Markt und damit zur wirtschaftlichen Souveränität des Individuums. Dies führt bei marktwirtschaftlichen bzw. liberalen Ökonomen zur Forderung nach Trennung von politischer und ökonomischer Sphäre und einer Beschränkung des Umfangs demokratischer Entscheidungsräume gegenüber der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit. Hayek warnt vor der Zwangsläufigkeit, mit der die Regierung zum Spielball von Sonderinteressen wird, wenn dem Diktat der Majorität nicht Einhalt geboten wird:
50 Crozier/Hunlington/Watanuld(1915), S. 164. Zur "politischen Ökonomie der Inflation" siehe auch Haggard I Kaufman (1992b). SI Hunlington (1975), S. 113f.
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7. Kapitel: Politische und gesellschaftliche Einflußfaktoren
"Only lirnited govemment can be decent govemment, because there does not exist (and cannot exist) generat moral rules for the assignments of particular benefits ... It is not democracy or representative govemment as such, but the particular institution, chosen by us, of a singleomnipotent 'legislature' that make it necessarily corrupt. u52
Eine liberale Ausrichtung der Demokratie, im Sinne einer gesetzlich festgelegten Begrenzung demokratischer Entscheidungsfindung, kann negativen Tendenzen entgegenwirken, die bei einer sozialistischen oder populistischen Demokratiesicht, die den kollektiven Entscheidungsprozeß in den Vordergrund stellt, anstelle der beim Liberalismus betonten Begrenzung der Übergriffe des Staates auf das Leben von Individuen, entstehen. 53
7. 2. 3. 4. Gefahr der Selbstzerstörung im demokratischen System Vor allem in den 70er Jahren wiesen namhafte Autoren wie Hayek, Moss, Sontheimer und Hailsham auf die Defekte demokratischer Mechanismen hin. 54 1975 äußerten die Politologen Huntington, Crozier und Watanuki in einer von der Trilateralen Kommission in Auftrag gegeben Studie Zweifel an der Regierungsfähigkeit und Zukunft demokratischer Systeme. Der Bericht weist darauf hin, daß intrinsische Faktoren des demokratischen Systems "function so as to give rise to forces and tendencies which, if unchecked by some outside agency, will eventually Iead to the undermining of democracy ... in recent years, the operations of the democratic process do indeed appear to have generated a breakdown of traditional means of social control, a delegitimation of political and other forms of authority, and an overload of demands on govemment, exceeding its Capacity to respond. nSS
Es ist charakteristisch, daß die hier sich äußernden Politikwissenschaftler auf ähnliche Phänomene hinweisen, wie die Analytiker der politischen Ökonomie:
52 Hayek (1979), S. 11. Auch Schumpeter (1950) teilt diese Sicht: "No rcsponsible person can view with equanimity the conscquences of extending the democratic method, that is to say the spherc of 'politics', to all economic a ffairs • (S. 299).
53 Empfehlenswert als Lektüre zur Notwendigkeit der Beschränkung demokratischer Verfahrensweiscn durch unabänderliche Regeln ist Hayek (1979). Vgl. zum unterschiedlichen Verständnis von Markt und Demokratie in liberaler und sozialistischer/populistischer Sicht Pierson (1992) und Riker (1982) und zum Verständnis liberaler Demokratie Parelch (1992) und Friedman (1984).
S4 Vgl. Hayek (1979) und die dort angegebene Literatur. SS Croz:ier/Huntington/WatanuJd(191S), S. 8. In der Diskussion dieser Studie durch die Trilaterale Kommission wurde sogar eine grundlegende Gegensätzlichkeit zwischen "democracy" und "governability" unterstellt: • An excess of dcmocracy means a deficit in governability; easy governability suggcsts faulty dcmocracy. At Iimes in the history of democratic govemmcnt the pcndulum has swung too far in one direction or the other. • (Croz:ier/Huntington/WatanuJd(191S), S. 173).
7.2. Demokratie und Freiheitsrechte: Voraussetzung oder Hindernis?
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erratische politische Maßnahmen, schwache Entscheidungen, ein Verstecken der politisch Verantwortlichen hinter der zunehmenden Komplexität, Erpreßbarkeit staatlicher Organe, die ambivalente Rolle der Medien. Sie gehen aber noch einen Schritt weiter, indem sie auf die möglichen Verstärkungsmechanismen und Rückwirkungen auf das politische System selbst eingehen. Die mit der Demokratisierung einhergehende Ausweitung der Ansprüche der Bürger und die zunehmende Partizipation der Bürger gefährden demnach die Funktionsfähigkeit der Demokratie selbst. Huntington kommt zu der zunächst überraschenden Folgerung, daß "the effective operation of a democratic political system usually requires some measure of apathy and noninvolvement on the part of some individuals and groups. "56 Das politische System sei bei zunehmender Mobilisierung dieser Gruppen und deren Wahrnehmung demokratischer Rechte nicht mehr in der Lage, alle Ansprüche zu erfüllen. Die Zahl der Teilnehmer und deren Ansprüche überfordern das politische System. Darüber hinaus zerstören nach Crozier die der Demokratie zugrundeliegenden Freiheitsrechte der Bürger und deren Selbstverständnis in immer stärkerem Maße traditionelle Autorität wie Kirche, Schulen oder die Armee, während der Staat nicht in der Lage ist, neue Institutionen zur Erhaltung der sozialen Kontrolle zu schaffen, die zur Bewältigung zunehmender Konzentration, Interdependenz und Komplexität erforderlich werden. Zwei in Demokratien starke Gruppen, Intellektuelle und die Medien, fördern diese Diskrepanz zwischen Bedarf und Angebot an Ordnung. Nach Crozier führt eine Identitätskrise in intellektuellen Kreisen zu der Unfähigkeit derselben, Auswege aus der Krise zu finden. 57 Die Massenmedien hingegen "made it impossible to maintain the cultural fragmentation and hierarchy that was necessary to enforce traditional forms of social control" 58 • Vereinfachung, Pauschalisierung und die Dominanz der Oberflächlichkeit erschweren die Lösung komplexerer Probleme. Die Allpräsenz der Medien beraubt die Regierung und die Verwaltung des Informationsvorsprungs, der manchmal nötig ist, um Maßnahmen wirksam zu implementieren. Die eigentliche Gefahr für das System besteht dabei in der Verzerrung der Realität durch den den Medien inhärenten Bias zugunsten der Sensation gegenüber dem Alltäglichen, den schlechten Nachrichten gegenüber den Guten, den Warnungen gegenüber den Hoffnungen. "Als Erzeuger von Gefühlsimpulsen des Volkes ist das Kommerzfernsehen ein höchst unberechen-
56 HUIIlington (1975), S. 114. 51 Vgl. Crozier(1915). S. 25-37. Auch Schumpeter teilt diese kritische Sichtgegenüber Intellektuellen, da sie den etablierten Institutionen inhärent feindlich gegenüberstünden, Utopien nachstrebten und so das kapitalistische System untergraben. Vgl. den Kommentar zu Schumpeters "Capitalism, Socialism and Democracy" in Iipsel (1993), S. 44ft'.
58 Crozier (1975), S. 34.
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7. Kapitel: Politische und gesellschaftliche Einflußfaktoren
barer Faktor. "59 Die Bevorzugung extremer Ansichten durch Medien und die Angst der Politiker vor Unzufriedenen, nähre auch die Tendenz zur Polarisierung von Interessen, da diesen am ehesten Gehör verliehen wird. Die eigentliche Aufgabe jedes politischen Prozesses, nämlich das Aggregieren von Interessen, wird dadurch erschwert. Zusammenfassend befürchten die Autoren der Studie, daß der politische Wettbewerb, die Konkurrenz der Parteien, Interessengruppen und Medien, zu einer Disaggregierung der Interessen und einer Delegitimisierung von Autorität führt. Dies schafft ein Klima der Panik und Frustration, der Ziellosigkeit, der Wut und Empörung und vermindert so das Vertrauen der einzelnen in ihre Führer und das politische System an sich. 60 Die Befürchtungen der 70er Jahre haben nach der Euphorie des demokratischen Erwachens der Ostblockländer rasch wieder Eingang in den politischen Alltag gefunden. Die Desillusionierung und Resignation unter den Bürgern angesichtsder empfundenen Unfähigkeit, die Rezession zu bekämpfen, macht auch in der Bundesrepublik unter dem Begriff "Politikverdrossenheit" Schlagzeilen und hat zur Abkehr von politischer Partizipation und Hinwendung zu Extremparteien geführt. Das Wort von der "Führungslosigkeit" macht die Runde in der politikwissenschaftlichen Diskussion. Regierungen scheinen nicht mehr in der Lage zu sein, dringliche Probleme wie den Zerfall der sozialen Ordnung, die Krise der Gesundheits- und Altersversorgung, Kriminalität und Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Diese Führungskrise scheint sich auch bezüglich der Unfähigkeit widerzuspiegeln, außenpolitische Maßnahmen zu treffen. Sowohl intern als auch extern, etwa bezüglich der Bürgerkriege im ehemaligen Jugoslawien, Somalia und Ruanda, scheint eine Politik des zögernden Fehteingriffs vorzuherrschen, die durchaus im Sinne obiger Demokratiemängel interpretiert werden kann. Die Tatsache, daß sich zwar in den westlichen Demokratien die dargestellten Tendenzen beobachten lassen, bislang aber das befürchtete Ergebnis einer Auflösung der Demokratie nicht eingetreten ist, spricht für die Widerstandsfähigkeit der Demokratie in diesen Ländern, kann aber die grundlegenden Bedenken nicht ausräumen.
59 Widmann (1993), S. 183. ln Widmanns Kommentar spiegelt sich die These George Kennans wieder, daß Medienberichte eine ausschlaggebende Rolle in der amerikanischen Außenpolitik, z.B. beim Einsatz in Somalia, spielen und dabei Sachkenntnis in den Hintergrund tritt. 60 Vgl. Crozier (1975), S. 20-36 und Crozier!Huntington/Watanuld(1915), Ch. V (Conclusion).
7.2. Demokratie und Freiheitsrechte: Voraussetzung oder Hindernis?
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7.2.4. Interpretation mit Blick auf Umwelt Es ist beinahe überflüssig zu erwähnen, daß sich sowohl die Stärken als auch die Schwächen der Demokratie hinsichtlich der Effizienz über die in dieser Arbeit bereits ausführlich dargestellten Rück- und Wechselwirkungen auch in der Nachhaltigkeil der Nutzung der Umwelt niederschlagen. Sofern Demokratie dazu beiträgt, Ineffizienzen zu verhindem (erzeugen), wird im Vergleich zu einem anderen politischen System die Umwelt entlastet (belastet).
7. 2. 4.1. Vorteile der Demokratie im Umgang mit Umwelt Die Beteiligung der Bürger an Entscheidungen und die Offenheit der Informationen sorgen für eine schnellstmögliche Wahrnehmung von Umweltproblemen, garantieren die Aufklärung der Bevölkerung über mögliche oder bestehende Gefährdungen und fördern rasches Gegensteuern nicht zuletzt durch die in Demokratien übliche Eigeninitiative der Bürger. Ein Beispiel für die aus demokratischem Denken heraus entwickelten und für die Umwelt äußerst relevanten Mechanismen sind etwa die "environmental right-to-know"-Gesetze der USA, z.B der Community-Right-to-Know-Act von 1986, der die Rechte der Bevölkerung an Information und die Pflicht von Unternehmen, diese bereitzustellen, regelt. 61 Je offener die Gesellschaft ist, je mehr Informationen auch vonseitender Unternehmen an die Bevölkerung gegeben werden muß, desto größer ist für die Verursacher oder die politisch Verantwortlichen die Gefahr negativer Rückwirkungen bei Umweltschäden durch Abwahl, Proteste, Verbraucherboykotteoder schlichtweg negative Publicity. Ein formalisiertes Rechtssystem, das nicht der Weisung der gerade Herrschenden unterliegt, ermöglicht, daß sich Betroffene gegen empfundene Schäden wehren können, und regelt die Kompensation von entstandenen Schäden. Hinsichtlich der in Kapitel 3 ermittelten, die Umwelt überproportional benachteiligenden Marktmängel, insbesondere den Informationsmängeln, der Ungewißheit und der fehlenden Berücksichtigung aller Betroffenen, verfügt die Demokratie über Mechanismen, diese zu reduzieren. So finden die am Markt unter Umständen vernachlässigten Interessen der Armen und der Umwelt über den politischen Prozeß stärkere Berücksichtigung. In der Entwicklung der Umweltbewegung auf nationaler und internationaler Ebene zeigt sich die Bedeutung der freien Presse und der Interessengruppen. Ohne die alarmierenden Meldungen der Medien und die diese Kanäle nutzenden Aktionen von Umweltgruppen wie Greenpeace, Robin Wood oder Friends of the Earth zu Wald61 Vgl. hierzu Sarokin/Schullcin (1991).
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7. Kapitel: Politische und gesellschaftliche Einflußfaktoren
sterben, Regenwaldvemichtung, Klimawandel oder der Artenzerstörung wäre das derzeitige Umweltbewußtsein in den Industrieländern nicht denkbar gewesen. 62 Die Sensibilisierung der Bevölkerung spiegelt sich nach empirischen Erkenntnissen mit einem relativ kurzen timelag in der Berücksichtigung von Umweltfragen im Gesetzgebungsprozeß wider. 63 Der Anstoß zu umweltpolitischem Handeln kommt also zunächst von der Basis der Gesellschaft. Doch nicht nur indirekt über die Öffentlichkeitsarbeit und damit die Beeinflussung der Wähler, sondern auch über direkte Lobbytätigkeit können Entscheidungen zumindest teilweise zugunsten der Umwelt verändert werden. Die Lobbytätigkeit solcher Gruppen umfaßt nach Stairs und Taylor "education, information dissemination, research, and advocacy which is used to influence decision-makers - including not only members of parliaments but also agency officials, international delegation members and industry representatives. "64 Die Öffnung politischer Entscheidungsverfahren zur aktiven Beteiligung von Interessengruppen ist ein wesentlicher Teil demokratischer Politik. Die Vorzüge sogenannter non-governmental organizations (NGOs), "flexibility, imagination, resiliency, Iack of bureaucracy, specialized expertise, and independence"6s, kommen so auch im politischen System zum Tragen. Eine wichtige Rolle kommt Umweltgruppen auch bei der Implementierung von Maßnahmen zu, da durch die frühzeitige und umfassende Beteiligung von NGOs ein Druck in Richtung auf tatsächliche Umsetzung der vereinbarten Maßnahmen besteht und die konstruktive Mitwirkung der Beteiligten die Erfolgsaussichten erhöht. Für die Gewinnung und Verbreitung von Informationen über Umweltprobleme, die enormes Fachwissen erfordern, sind sogenannte "erkenntnisschaffenden Gruppen" (epistemic communities), also Experten und Wissenschaftler, von enormer Bedeutung. 66 Auch ihre Stellung und ihr Einfluß kann im Rahmen der Demokratie gelordert werden. Zum einen sind Freiheitsrechte und der Austausch von Informationen Voraussetzung oder zumindest Antrieb für Forschung und Entwicklung. Zum anderen ist die Meinung von Experten in einer Atmosphäre des Wettbewerbs der Argumente verschiedener Interessenvertreter gefragt. Auch auf wissenschaftlicher Ebene führt ein gesteigerter Wettbewerb und der Zwang zur Auseinandersetzung mit gegenläufigen Argumenten, der durch die Presse- und Meinungsfreiheit erzeugt wird, zu einer Intensivierung der Forschung und einer Verbreiterung der Wissensbasis. Die Nachfrage nach
62 Vgl. zur Rolle von Umweltorganisationen Stairs /Taylor (1992) und BrambleIPorter (1992). 63 Vtl. Borbach (1991), S. 143. 64 Stairs/Taylor(1992), S. 1ll. 6S Stairs /Taylor (1992}, S. 135. 66 Zur Bedeutung der "cpistemic communities" siehe Baas (1989).
7.2. Demokratie und Freiheitsrechte: Voraussetzung oder Hindernis?
289
wissenschaftlicher Untermauerung von Interessenpositionen führt auch dazu, daß der Wissenschaft in stärkerem Maße Ressourcen zugeleitet werden. Die Betrachtung dieser Interdependenzen zwischen der Beachtung der Umwelt und Demokratie erklärt, warum Prittwitz "vitale Demokratie" auch als für wirksame Umweltpolitik notwendige "institutionelle Handlungskapazität" interpretiert. Demokratische Charakteristika sind dabei vor allem für den umweltpolitischen Handlungstypus nötig, den Prittwitz als "strukturelle Ökologisierung" bezeichnet. 67 Ein grundlegender Wertewandel in diese Richtung erfordert nämlich Partizipation und Öffentlichkeit im obigen Sinne.
7. 2. 4. 2. Nachteile demokratischer Systeme aus Umweltsicht In der Umweltliteratur wird aus diesen Gründen Demokratie als Voraussetzung für umweltgerechtes Handeln erachtet. Dabei werden mögliche negative Beziehungen "unterschlagen", die sich aus den dargestellten Mängeln der Demokratie ergeben. Zahlreiche Elemente, die für demokratische Systeme konstituierend sind, implizieren nämlich durchaus ein Abweichen von ökonomischer Effizienz. Dies kann zum einen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und über diesen Effekt die Umwelt negativ beeinflussen, etwa wenn politisches Kalkül die Aufrechterhaltung von Subventionen oder Protektionismus bzw. die Erhaltung der Einkommensverteilung impliziert. Gerade die Abschaffung von Pfründen ist in demokratischen Systemen nur schwer möglich. Zum anderen gibt es Anzeichen dafür, daß im Kampf der Interessen gerade die durch Umweltschädigung Betroffenen vernachlässigt werden, wenn diesen im Vergleich zu anderen Interessen, etwa der Arbeitnehmer oder Unternehmen, die finanziellen oder politischen Mittel fehlen, die notorischen Informationsdefizite eine angemessene Berücksichtigung auch im politischen Rahmen verhindem oder der kurzfristige Aspekt des politischen Entscheidungssystems die Berücksichtigung langfristiger Umweltaspekte politisch nicht lohnend erscheinen läßt. Das politische System, das Umweltgruppen Gehör verschafft, steht nämlich auch - gegebenenfalls sogar mit offeneren Ohren - gegenläufigen Interessen zur Verfügung. Darüber hinaus ist umstritten, ob die Einflußnahme von Umweltgruppen in jeder Hinsicht positiv auf die Umwelt wirkt. In ihrer politökonomischen Studie zeigen Hiliman und Ursprung nämlich, daß Umweltgruppen protektionistische Politik bevorzugen bzw. strategisches Verhalten vorkommt. 68 Dies kann nach den Erkenntnissen dieser Arbeit durchaus zu nichtbeabsichtigten kontraproduktiven Folgen führen. 67 Vgl. Prittwitz (1990), S. 175-180. 68 Vgl. Hiliman I Ursprung (1992). 19 Stenge!
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7. Kapitel: Politische und gesellschaftliche Einflußfaktoren
Politische Einflußnahme steht in demokratischen Systemen über den Wahlprozeß den heute lebenden, erwachsenen Mitgliedern einer Gesellschaft zu. Kinder und Ungeborene haben kein Wahlrecht. Ihre Interessen gegebenenfalls sogar gegen den Willen der heute Lebenden zu vertreten, bringt keine meßbaren Wählerstimmen oder anderweitigen Vorteile. Der demokratische Entscheidungsprozeß diskriminiert also gerade diejenigen Gruppen, die das größte Interesse an der Erhaltung der Umwelt besitzen, und enthält eine klare Bevorzugung kurzfristiger Aspekte. Problembereiche werden in Demokratien erst dann relevant, wenn sie von breiten Bevölkerungsschichten als solche aufgefaßt werden, nicht aber, wenn lediglich Experten und Minderheiten ein Problem erkennen. Aufgrund der Komplexität zahlreicher Umweltprobleme, der enormen wissenschaftlichen Unsicherheiten und des inhärenten time-lags kann Umwelt gegenüber unmittelbarer scheinenden Interessen, wie Einkommen, Arbeitsplatzerhaltung oder Stabilität zurücktreten. Diese Vernachlässigung langfristig wirkender staatlicher Maßnahmen betrifft auch Investitionen in Humankapital, d.h. Bildungsinvestitionen und das Gesundheitswesen, die für die Beseitigung von Armut und damit wiederum für die Umwelt von Relevanz sind. 69 Nach Prittwitz schlägt sich dies auch im Verhalten der Bürokraten nieder: "In einer Gesellschaft, deren Werte- und Interessenkonstellationen durch unmittelbare kurzfristige Nutzengesichtspunkte bestimmt sind, Umweltaspekte also nur marginale oder überhaupt keine gesellschaftliche und politische Bedeutung haben, wird sich eine starke Bürokratie also als verstärkendes Moment der (herrschenden) Denk- und Verhaltensweisen zu Lasten ökologischer Zusammenhänge auswirken. "70
Erst das gesellschaftliche Umdenken bewirkt eine entsprechende umweltpolitische Mobilisierung der Bürokratie. Überdies ergibt sich aus politökonomischer Sicht eine Bevorzugung diskretionärer Politikelemente durch die Bürokraten, was einer Bevorzugung von Auflagen und Genehmigungen gegenüber marktorientierten, theoretisch effizienteren Instrumenten entspricht. Es ist bezeichnend, daß Horbach zur Vermeidung der sich aus den politökonomischen Erkenntnissen ergebenden negativen Entwicklungen auf die Umwelt seine Hoffnung auf "soziale Transistoren • setzt. 71 Dieses von HerderDomeich aufgebrachte Konzept beruht darauf, daß durch Eingriffe unterhalb der Merklichkeitsgrenze bzw. Hemmschwelle, durch Verschleierung der Per-
69 BemholzlBr?er (1984) merken hierzu an, daß sich diese Unterversorgung bei Spürbarwerden derselben in eine Uberversorgung umkehren kann, also ineffiZiente politische Zyklen auch in der Versorgung mit öffentlichen Gütern bestehen (S. 3001). 70 Prittwil"l. (1990), S. 183.
71 Vgl. Horbach (1991), S. 253ffund Klaus/Horbach (1991), S. 406f.
7.2. Demokratie und Freiheitsrechte: Voraussetzung oder Hindernis?
291
sondesEingreifenden und durch zeitliche Verschiebungen unerwünschte Rückkopplungen durch das politische System vermieden werden können. Alle genannten Elemente können zwar als pragmatisch und situativ angemessen bezeichnet werden, entsprechen aber kaum den Vorstellungen von einer demokratischen Entscheidungstindung und der geforderten Offenheit politischen Handelos. Es bestätigt sich, daß Abweichungen von normativen Vorstellungen zugunsten der Durchsetzbarkeil effizienter Politik in Kauf zu nehmen sind, solange die Alternative, die Festschreibung eines Grundkonsenses bezüglich der Entscheidungsregeln und ihres Anwendungsraumes auf Verfassungsebene, wegen des fehlenden Konsenses versperrt ist. Während einer der drei von Prittwitz identifizierten umweltpolitischen Handlungstypen, die strukturelle Ökologisierung, wie bereits erwähnt, mit Demokratie harmoniert, stehen die anderen zwei Typen - Gefahrenabwehr und Risikomanagement - eher in einem Konfliktverhältnis zur Demokratie im westlichen Sinne. 72 Der Notwendigkeit raschen Eingreifens zur Abwendung akuter Gefahren und dem Gewicht von Expertenwissen beim Risikomanagement steht die Komplexität und Dauer demokratischer Entscheidungsverfahren hinderlich entgegen. Der politische Konsultationsprozeß, Rücksichtnahme auf Parteiinteresse, die Verzögerung von Entscheidungen durch rechtsstaatliche Prinzipien, etwa Planfeststellungsverfahren, die Dauer des Gesetzgebungsprozesses und die Blockierung desselben durch Opposition und Interessengruppen, kann notwendige Entscheidungen lähmen. Der Kompromiß, "in einer parlamentarischen Demokratie die 'klassische' Lösung von Zielkonflikten "73 , sowie die "Politik kleiner Schritte" sind nach Sprösser als Mechanismen im Bereich der Umweltpolitik ungeeignet, während die wegen der Verwendbarkeit von Umweltindikatoren anwendbare Regelbindung in Demokratien unbeliebt ist. Fälle, in denen Maßnahmen auch gegen den Willen der Bevölkerung durchgesetzt werden müssen, sind in Demokratien kaum zu bewältigen. Massive Beschränkungen des Verkehrs zur Reduzierung schädlicher Emissionen, etwa auch durch eine signifikante Erhöhung des Treibstoffpreises, sind in vielen etablierten Demokratien tabu, in den USA, wo Mobilität und Demokratie in der Vorstellung der Menschen eng verbunden sind, ebenso wie in weiten Teilen Europas. Einige Bedenken hinsiebtlieb des Einflusses der Medien lassen sich auch im Umgang mit Umweltproblemen identifizieren. Gerade im Umweltbereich kann man das Phänomen beobachten, daß bestimmte Probleme enorme Pressewirkung erlangen, wenn sie sensationell scheinen, also, wie im Fall Tschernobyl, akute Bedrohung erwecken oder wenn sich aufgrund ihrer emotionellen Bedeu-
72 Vgl. Prittwitz (1990), S. 178-180. 73 SpriJsser (1988), S. 288. Zur Angemessenheit politischer Entscheidungsmechanismen aus Umweltsicht siehe S. 288-291. 19*
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7. Kapitel: Politische und gesellschaftliche Einflußfaktoren
tung hohe Einschaltquoten oder Auflagen erzielen lassen, wie im Falle der Robben oder Wale. Weniger spektakuläre, schleichende Umweltschädigung, wie die Verödung von Flächen, die Vernichtung der Wälder in Industrieländern oder die Zerstörung von heimischer Flora und Fauna, genießen nur geringe Beachtung. Eine gewisse Irrationalität ist im Umgang mit der Umwelt zu entdecken, wenn Millionen für die Rettung eines gestrandeten Wales gespendet werden, die Zerstörung der Korallenriffe der Welt oder die enorme Energieverschwendungjedoch unbeachtet bleiben. Zahlreiche Berichte über Umweltgefahten, z.B. die Gesundheitsgefährdung durch bestimmte Giftstoffe oder die Risiken der Gentechnologie, werden von Wissenschaftlern als Panikmache kritisiert, die notwendige Forschungen behindert. Die Gefahr der Teilnahmslosigkeit auf der einen Seite und der Dramatisierung möglicher Risiken auf der anderen Seite kann durchaus als Hindernis für eine sachgerechte Abwägung der Nutzen und Kosten menschlicher Aktivitäten angesehen werden, da in beiden Fällen technische und institutionelle Innovationen verhindert werden. 74
7.3. Sind nichtdemokratische Systeme eine Alternative? Der Beschreibung demokratischer Systeme wurde bewußt der Zusatz "im westlichen Sinne" angefügt, um als "demokratisch" nur jene Staaten zu kennzeichnen, die alle von Huntington angeführten Charakteristika zumindest im wesentlichen erfüllen75 , da sich praktisch alle Staaten dieser Erde selbst als "demokratisch" bezeichnen. Nichtdemokratische Systeme sind eindeutig solche, deren politische Führer nicht durch periodische Wahlen an die Macht kommen oder vorhandene Wahlen undemokratisch in dem Sinne sind, daß nur eine oder nur bestimmte Parteien zugelassen werden, die Wahl bestimmter Parteien "bestraft" wird, Wahlbetrug stattfindet oder Parteien benachteiligt werden, etwa bezüglich der Mittelvergabe, des Zugangs zu Medien oder anderer Möglichkeiten zur Kommunikation mit den Wählern. Solche undemokratischen Systeme können als absolute Monarchien, Diktaturen, Oligarchien oder auch
74 Vgl. auch World Bank (1992), S. 84. 75 Diese voraichtige Beschreibung ergibt sich aus der Tatsache, daß Freiheits- und andere politi-
sche Rechte stets einer gewissen Einschränkung bedürfen, also relativ zu sehen sind. ln dem vom Entwicklungaprogramm der Vereinten Nationen verwendeten Humana-lndex der politischen und anderen Freiheitsrechte erfüllte keiner der untersuchten 88 Staaten alle Kriterien. Vgl. UNDP (1991), S. 19. Es ist also schwierig zu entscheiden, ab wann von einem demokratischen System gesprochen werden kann. Asiatische Autoren entwerfen Konzepte "asiatischer Demokratien", die zwar freie, faire Wahlen beinhalten, aber die Rolle der Gemeinschaft betonen, Autorität akzeptieren, in der eine dominierende Partei und eine starke, zentralisierte Bürokratie bestehen. Diesem Typus kommen Staaten wie Singapur und Malaysia sehr nahe, was erklärt, warum diese Staaten in einigen Studien alsun-oder halbdemokratisch (Huntington, Case), in anderen als liberale Demokratien (Fukuyama) bezeichnet werden. Vgl. Chan (1993), S. 4f und 20-25 und Case (1992).
7.3. Sind nichtdemokratische Systeme eine Alternative?
293
als "Scheindemokratien" auftreten, wenn zumindest formal Wahlen stattfinden. Nichtdemokratisch ist ein System auch, wenn keine unabhängige dritte Gewalt besteht und wesentliche politische Rechte, vor allem Meinungs- und Pressefreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, vorenthalten werden. Wir wollen zur Abgrenzung deshalb für solche Systeme auch den Begriff "autoritär" synonym für nichtdemokratisch in westlichem Sinne verwenden, zumal dieser Begriff in der politischen Diskussion für Systeme gebräuchlich ist, die westlichen Vorstellungen von Demokratie nicht entsprechen. 7.3.1. Potentielle Stärken autoritärer Systeme
Aus der Ableitung der Schwächen demokratischer Verfahrensweisen ergeben sich Hinweise auf die Effizienz nichtdemokratischer Systeme. Als positiv würde sich das Fehlen verschiedener Eigenarten der Demokratie erweisen, da die damit verbundenen Verzerrungen nicht zu erwarten wären. Die jeweiligen politischen Führer könnten ohne Rücksicht auf Partikularinteressen eine Wirtschafts- und Umweltpolitik verwirklichen, die die Wohlfahrt der Gesellschaft auch langfristig maximiert. Kein kurzfristiges Denken der um ihre Posten fürchtenden Politiker verhindert weitsichtiges Kalkül. Bürokraten müssen nicht auf Wahlzyklen Rücksicht nehmen. Autoritäre Herrscher könnten unpopuläre Maßnahmen wirkungsvoll umsetzen und ihnen stünde frei, die bestehende Eigentumsordnung zu ändern, wenn dies zu einer Verbesserung der ökonomischen Effizienz beiträgt, etwa im Falle von Landreformen. Diese Option steht in einer rechtsstaatlich-demokratischen Ordnung aufgrund des Prinzips der Unantastbarkeit des Eigentums und der zu erwartenden Widerstände in der Regel nur eingeschränkt zur Verfügung. 76 Zudem würde eine autoritäre Ordnung wegen des Fehlens von Regierungswechseln ja inhärent die Konstanz der Politik ermöglichen. Sie könnte auch die Interessen künftiger Generationen, die bei demokratischen Wahlverfahren unbeachtet bleiben, adäqtiat berücksichtigen. Wäre nicht der "weise Diktator" das ideale politische System aus Sicht ökonomischer Effizienz? Nicht umsonst liegt der klassischen Theorie der Wirtschaftspolitik dieses Ideal implizit zugrunde. Auch die Ergebnisse der NPÖ deuten in diese Richtung: Riker weist darauf hin, daß "the only effective way to guarantee consistency in social outcomes is to require some kind of concentration of power in society - a dictator, an oligarchy, or a collegium. "77
76 So wird bezweifelt, daß die fiir den wirtschaftlichen Erfolg Chinas in den SOer Jahren essentielle Landreform mit einer Umverteilungsfläche von über 800 000 km2 in einem demokratischen System möglich gewesen wäre. Vgl. Swedish Ministry (1992), S. 53. Ähnliche Zweifel hegt auch Runrington (1993a), S. 29. 77 Riker (1982), S. 132.
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7. Kapitel: Politische und gesellschaftliche Einflußfaktoren
Man könnte diese Frage durchaus mit einem "Ja" beantworten, wenn der autoritäre Herrscher auch tatsächlich zugleich "weise" wäre. Gerade dies muß in zweierlei Hinsicht kritisch hinterfragt werden: zum einen bezüglich der Ftihigkeit, weise oder wohlwollend78 im hier verwendeten effizienzbezogenen Sinne zu sein, zum anderen aber bezüglich des Willens zum weisen Handeln. 7.3.2. Erste Einschränkung: Die Fähigkeit zum wohlwoUenden Handeln
Betrachten wir zunächst die grundsätzliche Vereinbarkeil von effizientem staatlichen Handeln und nichtdemokratischen Systemen und unterstellen, daß der Herrscher den Willen hat, allein das Wohl des Volkes zu mehren. Ein effizienteres Handeln eines autoritären Herrschers gegenüber demokratischen Regierungen ist nur gegeben, wenn er bessere Informationen über die Präferenzen der Individuen und über die umfassenden Rück- und Wechselwirkungen im ökonomisch-ökologischen System besitzt und diese auch widerspruchsfrei aggregieren kann. Wir hatten zwar festgestellt, daß die Präferenzenaggregation in demokratischen Systemen nicht optimal im ökonomischen Sinne ist, dies besagt aber noch keineswegs, daß undemokratische Systeme dies besser vermögen. Auch der Diktator, der die individuellen Präferenzen kennt, also nicht durch einen Wahlprozeß ermitteln muß, steht vor dem Aggregationsproblem, das sich bei mehrgipfligen Präferenzen ergibt. Seine Entscheidung ist nur dann besser, wenn er die individuellen Präferenzen unverzerrter empfängt. Dies ist aber nicht sicher: Ein Vorteil freiheitlich-demokratischer Strukturen besteht nämlich im zusätzlichen Informationsfluß durch die Existenz von Interessengruppen und konkurrierenden Parteien, den offenen Austausch von Informationen und die Rückwirkungen zwischen Regierten und Regierung durch Partizipation und freie Meinungsäußerung. Sofern Freiheitsrechte vorenthalten werden, können deren effizienzfördernde Mechanismen nicht in Anspruch genommen werden. Ohne freie Presse, Konsultationsprozesse oder organisierte Interessen hat die Regierung wenig Möglichkeit, Informationen über die wirtschaftliche Lage der Bevölkerung, ihre Qualifikationen, Wünsche und Potentiale zu erhalten. Diese Informationen sind aber unabdingbar für die Planung staatlicher Tätigkeiten. Nur in Gesellschaften, in denen ein Wissensgefälle zwischen Herrscher und Volk besteht, kann angenommen werden, daß autoritäre Systeme die Interessen der Bürger besser kennen. Bereits aus diesen Gründen ist auch bei autoritärer Entscheidung die Existenz gewisser Freiheiten für das Funktionieren der Wirtschaft wichtig. Unverzichtbar sind in jeder Marktwirtschaft die ökonomischen Freiheitsrechte, d.b. Ver-
78 Im Englischen wird hier zumeist der Begriff "benevolent authoritarianism" verwendet.
7.3. Sind nichtdemokratische Systeme eine Alternative?
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tragsfreiheit, die Freiheit der Preisgestaltung und des Informationsaustauschs am Markt und die Absicherung dieser Rechte durch rechtsstaatliche Prinzipien. Totalitäre Systeme, die die Freiheit ihrer Bürger begrenzen und kein unabhängiges Rechtssystem - zumindest bezüglich wirtschaftlicher Aspekte - besitzen, sind mit Marktwirtschaft inkompatibel. Die Einschränkung der individuellen Freiheit bedeutet also auch, daß dem Marktmechanismus wichtige Impulse entzogen werden. Fehlt eine unabhängige Presse, so können den Unternehmen wichtige Daten über internationale Entwicklungen fehlen; ein Verbot des Austauschs von Informationen bremst zwangsläufig die technische Entwicklung. In diesem Sinne besteht auch ein Zusammenhang zwischen Freiheitsrechten und einem der Schlüsselfaktoren für Entwicklung, dem Humankapital, v.a. dem Bildungsstand der Bevölkerung. Die Förderung von Humankapital gerade in qualitativer Hinsicht wird durch Einschränkung der Meinungsfreiheit, durch Zensur und Filtern von Informationen und unkritische Erziehung behindert. 79 Eng gesehen würde es zur Gestaltung eines effizienten Wirtschaftsablaufs genügen, die Freiheitsrechte auf den ökonomischen Bereich zu beschränken. Auch Friedman weist darauf hin, daß eine kapitalistische Wirtschaft prinzipiell mit unfreien politischen Strukturen zu vereinbaren ist. 80 In der Praxis ist diese Trennung von ökonomischen und politischen Rechten nur unvollkommen möglich. Zu sehr gehen wirtschaftliche und ökonomische Fragen ineinander über. Kritik an der Wirtschaftspolitik etwa kann als rein ökonomische Analyse, aber auch als politische Meinungsäußerung aufgefaßt werden. Ein System, in dem politische Rechte eingeschränkt sind, schafft zugleich eine Atmosphäre des Zwanges, die der Kreativität und Innovation abträglich ist. Die Unsicherheit, was erlaubt ist und was nicht, lähmt. Eine weitere, die Effizienz wirtschaftlichen Handeins in Frage stellende Gefahr autoritärer Systeme ergibt sich aus der begründeten Annahme, daß der Zwangscharakter in diesen größer ist als in Demokratien. Zwang lähmt und fordert Widerstand heraus. Bevormundung nimmt den Menschen die Eigeninitiative, die bei freiwilliger Partizipation gegeben ist. Das Ausmaß des nötigen Zwangs zur Aufrechterhaltung des jeweiligen Systems hängt dabei von der Legitimation, d.h. der Akzeptanz des Systems bei der Bevölkerung ab. Legitimation ergibt sich in Demokratien durch das Verfahren selbst. In nichtdemokratischen Systemen kann sie zwar vorhanden sein, etwa bei Anerkennung einer "göttlichen" Auswahl eines Herrschers oder der Anerkennung der Führungsqualität desselben. Häufig ist die Legitimation des Herrschers aber dünn 79 Vgl. Repnik/Mohs (1992), S. 33. IKl Vgl. Friedman (1984), S. 30. Ebenso meintBarher (1992): • An efficient free market after all requires that consumers be free to vote their dollars on competing goods, not that citizens be free to vote their values and beliefs on competing political candidates and programs" (S. 59).
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7. Kapitel: Politische und gesellschaftliche Einflußfaktoren
oder instabil, so daß er in stärkerem Maße auf Zwang zum Erhalt der Herrschaft zurückgreifen muß. Zwang bedeutet aus ökonomischer Sicht, daß Ressourcen zur Durchsetzung staatlicher Herrschaft verwendet werden müssen, etwa in Form hoher Aufwendungen für Polizei, Militär und Sicherheitsdienste und ständiger Kontrolle aller Teile der Gesellschaft. 81 Insofern die Akzeptanz des politischen Systems durch wirtschaftliche Erfolge "erkauft" wird, in diesem Sinne also "Legitimation durch Ergebnis" vorliegt, ist das autoritäre System auch darauf angewiesen, das Wirtschaftswachstum aufrechtzuerhalten, steht also unter ähnlichem bzw. größerem Handlungsdruck als Wahldemokratien. 82 Steht die Wohlfahrt der Bevölkerung im Mittelpunkt staatlieben Handelns, so umfaßt diese nicht allein ökonomische Wohlfahrt, sondern auch andere Elemente der Wohlfahrtsfunktion, z.B. Frieden, Sicherheit, Freiheit und Bewahrung der Menschenwürde. Insofern gerade Freiheits- und Menschenrechte vorenthalten bzw. durch den starken Zwangscharakter des Staates vernachlässigt werden und diese Beschränkung von der Gesellschaft als gravierend erachtet wird, besteht berechtigter Zweifel daran, ob autoritäre Systeme der Wohlfahrt der Menschen gerecht werden können. Die Notwendigkeit der Existenz wirtschaftlicher Akteure, die bestimmte Freiheitsrechte benötigen, die Erfordernis umfangreicher Kontrollorgane und der Bedarf an Staatsbediensteten und Beratern bedeutet auch im Falle eines einzelnen Diktators, daß sieb durchaus Interessengruppen innerhalb des Systems bilden, die in verschiedener Form Macht ausüben können. Die aus der Demokratie bekannten Einflüsse verschiedener Interessen und damit Prozesse rentensuchenden Verhaltens lassen sich also nie völlig vermeiden. Auch der weise Diktator ist anfällig für Druck etwa der beimischen Unternehmen oder potentiell rebellierender Massen. Die Abwesenheit eines bedeutungsvollen Wahlvorgangs bedeutet also noch nicht die Abwesenheit von Interessenfunktionen und der damit verbundenen möglichen Abweichungen vom Optimum. 7.3.3. Zweite Einschränkung: Der Wille zum wohlwoUenden Handeln
Auf noch unsichereren Beinen steht die zweite Voraussetzung: der Wille des Diktators zum weisen, effizienten Handeln. Während es in der Demokratie nämlich durch den Wahlmechanismus zumindest Mechanismen der Korrektur
81 Vgl. UNDP (1991), S. 48. 82 so Hunlingron (1993a), S. 41fund IEAP (1988), S. 20f. BeUo/Roserifeld (1990) vertreten diese Meinung im Falle Singapurs, Koreas und Taiwans (S . 13), Drake (1989), S. 54 ffir Lateinamerika. Die Auffassung, autoritäre Systeme seien noch stärker als demokratische auf Wirtschaftswachstum angewiesen, ist aber umstritten, da andere Phänomene, etwa die Fähigkeit, Unzufriedenheit der Bevölkerung zu unterdrücken, gegenläufige Tendenzen implizieren.
7.3. Sind nichtdemokratische Systeme eine Alternative?
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groben Fehlverhaltens gibt, bestehen solche Kontrollmechanismen in nichtdemokratischen Systemen nicht. Es gibt keine Garantie fiir das Wohlverhalten autoritärer Herrscher. Neben den genannten ökonomischen Kosten autoritärer Systeme kommt die immanente Gefahr hinzu, daß der oder die Herrscher ihre Entscheidungen nach engen Kalkülen des eigenen ökonomischen Vorteils auswählen. Es soll damit zwar nicht gesagt werden, daß keine wohlwollenden bzw. gütigen Diktatoren vorstellbar sind; jedoch bieten nichtdemokratische Systeme zumindest eine ideale Plattform fiir Machtmißbraucb. Das von Lord Acton geprägte Sprichwort "Power tends to corrupt and absolute power corrupts absolutely" 83 drückt diese Befiirchtung aus. Dabei ist es noch nicht einmal notwendig, daß der Diktator selbst seine Macht mißbraucht. Wir hatten jedoch festgestellt, daß die Unterdrückung weiter Teile der Gesellschaft eine starke Position bestimmter Organe wie Polizei oder Militär oder auch der Verwaltung erfordert. In allen diesen Bereichen können die so entstandenen Machtpositionen zum eigenen Vorteil ausgenützt werden, ohne daß die in Demokratien vorhandenen Kontrollmecbanismen, Bürgerprotest, Medien, Überwachung durch die Justiz/Rechnungshöfe, existieren. Wir können ohne weiteres folgern, daß die Auswirkungen von Machtmißbrauch in autoritären Systemen gravierender sind als die in demokratischen Systemen. Zum einen ist der Einflußbereich in autoritären Systemen umfassender, also der potentielle Raum fiir persönliche Bereicherung größer, zum anderen ist die Schwelle, ab der Widerstand zu erwarten ist, höher, da systemkonforme Interessenartikulation bzw. Widerstand nicht möglich ist und gewaltsamer bzw. rebelliöser Widerstand eine Hemmschwelle besitzt. Dies hat auch Folgen fiir die Betrachtung der politischen Stabilität autoritärer Systeme: Sie sind zwar zunächst aufgrund ihrer Machtkonzentration und fehlender systemkonformer Widerstände stabiler; wenn jedoch einmal die Unzufriedenheit der Bevölkerung eine bestimmte Schwelle erreicht bat, ist die Gefahr eines radikalen und chaotischen Systemsturzes umso immanenter. 84 Instabilität und damit Inkonsistenz der Wirtschaftspolitik kann also durch die Abfolge gewaltsamer Machtwechsel erfolgen. In autoritären Systemen ohne vom jeweiligen Herrscher unabhängige staatliebe Institutionen fiibrt dies jedesmal zum Verlust der fiir das Wirtschaften notwendigen institutionellen Basis. Die chaotischen Zustände nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zeugen hiervon. Machtwechsel innerhalb autoritärer Systeme sind also disruptiver als solche in demokratischen Systemen.
83 Zitiert in Tu (1984), S. 29. 84 Auf diese Risiken "unartikulierter Gewaltausbrüche" in nichtdemokratischen Systemen verweist auch Kirsch (1983), S. 123f. Der Stun lateinamerikanischer Diktaturen in Zusammenhang mit der Schuldenkrise kann als Beleg dieser These gelten. Vgl. dazu auch Drake (1989), S. 49, 54.
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7. Kapitel: Politische und gesellschaftliche Einflußfaktoren
7.3.4. Folgerungen aus Umweltsicht
Vorteile autoritärer Systeme im Umweltmanagement lassen sich aus den Schwächen demokratischer Systeme ableiten, z.B. im Gefahren- und Risikomanagement, aber auch hinsichtlich allgemeiner effizienzrelevanter Phänomene. Die Schranken ergeben sich aus dem Fehlen der positiven Charakteristika demokratischer Verfahren, z.B. bezüglich struktureller Ökologisierung, so daß sich eine nochmalige Aufzählung hier erübrigt. Darüber hinaus lassen sich zusätzliche Einwände erheben: Zweifelhaft ist zum einen, ob der autoritäre Herrscher nicht nur das ökonomische Wohl der Bevölkerung im Auge hat, sondern auch die Bedeutung der Umwelt richtig erkennt. Gerade hier hatte sich ja erwiesen, daß die ersten Hinweise auf Umweltprobleme selten "von oben", sondern in der Regel "von unten" kommen. Zum anderen ist mehr als fraglich, ob autoritäre Systeme bereit sind, Umweltprobleme einzugestehen, da diese ja auch stets Indikatoren für vorangegangenes Fehlverhalten sind. Das Vertuschen von Problemen ist also aus Gründen der Legitimation in autoritären Systemen wahrscheinlich; es ist überdies dort auch in stärkerem Maße möglich als in Demokratien, wie das traurige Beispiel Osteuropas zeigt. Es ist deshalb zu befürchten, daß die potentiellen Vorteile autoritärer Systeme beim Umgang mit Umweltproblemen nicht zum Tragen kommen, seine Schwächen, insbesondere die durch Unterdrückung verursachte Lethargie, auch im Umgang mit Umwelt allerdings voll durchschlagen. 85 7.3.5. Bewertung des politischen Systems
Welche Schlüsse lassen sich nun aus den bisherigen Überlegungen ziehen? Es wurde deutlich, daß bestimmte Rechte und Institutionen für das Funktionieren der Wirtschaft unabdingbar sind, der Wahlmechanismus selbst aber keineswegs unverzichtbar für effizientes Regieren ist und durchaus negative Wirkungen von bestimmten demokratischen Institutionen ausgehen können. Unsere Analyse stützt also die Meinung Buchanans, "dass es keine verallgemeinerbare instrumentelle Verteidigung politischer Verfahren gibt. "86 Ein autoritärer Herr-
ss Vgl. Prinwi14 (1990), S. 152. 86 Buchanan (1990), S. 62. Er argumentiert weiter: "wenn man ein unabhängig existierendes politisches Ziel voraussetzt,- heisse es 'Wahrheit' oder 'Gemeinwohl'- und wenn man Politik als die Suche nach diesem Ziel versteht, [müssen] gewöhnliche Abstimmungsprozesse, wie sie nach weitveroreiteter Meinung die 'Demokratie' kennzeichnen, nicht als notwendig oder wünschenswert erachtet werden .. . Die Effizienz von politischer Entscheidungsfindung kann durch einen Ausschuss von Fachleuten, eine Gruppe von Philosophen-Königen, die herrschende Clique einer einzigen Partei, eine Militäljuilts oder einen einzigen Monarchen gesichert werden- wobeijede dieser Institutionen als besser geeignet gelten kann, 'das, was für alle Mitglieder des Gemeinwesens gut
7.4. Die Wirkung des politischen Systems in Entwicklungsländern
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scher kann durchaus besser abschneiden als eine demokratisch gewählte Regierung, wenn er es vermag, notwendige ökonomische Rechte und Rechtssicherheit zu gewähren, also in gewissem Sinne eine Mischung autoritärer Entscheidungsfindung mit demokratischen Charakteristika existiert. Sind die Präferenzen der Bevölkerung für politische Freiheiten dann im Verhältnis zu ökonomischen Bedürfnissen gering und überwiegen die Vorteile aus einem raschen, gezielten, von Interessenkämpfen unbeeinflußten wirtschaftspolitischen Handeln gegenüber den Nachteilen aus eingeschränkter Kreativität und Fehlen bestimmter gesellschaftlicher Interaktion, so wäre dies gegeben. Es zeigt sich aber, daß solche erfolgversprechenden Systeme eher semi-autoritären, selektiven Charakter haben müssen, um die Vorteile der Demokratien nicht völlig zu verlieren. Auch hinsichtlich des politischen Systems müssen wir also eine nüchterne Nutzen-Kosten-Grenzbetrachtung vollziehen, deren Ergebnis von den konkreten Umständen abhängt. Das Ergebnis wird dabei in starkem Maße davon geprägt, auf welcher Entwicklungsstufe das jeweilige Land steht, da dies a) die Präferenzen für verschiedene Wohlfahrtsziele beeinflußt, b) die Kosten verschiedener politischer Verfahren determiniert und c) den Bedarf an Institutionalisierung prägt. Als Quintessenz bleibt bestehen, daß kollektive Entscheidungen, wie autoritär oder demokratisch auch immer, stets Ansatzpunkte für negative externe Effekte bieten. Wir gewinnen daraus die Erkenntnis, daß die in Kapitel 6 dargelegten Schwächen in der Gestaltung der Wirtschaft nicht allein und auch nicht zum Großteil auf die "Unfähigkeit" bestimmter Politiker geschoben werden können, sondern Folge der Logik des politischen Systems selbst sind und deshalb nur minimiert, nie beseitigt werden können.
7.4. Die Wirkung des politischen Systems in Entwicklungsländern Die bisherige Analyse der Wirkung des politischen Systems konnte lediglich die potentiellen Vor- und Nachteile verschiedener politischer Systeme umreißen, traf aber noch keine Aussage darüber, wie diese in einer Gesamtbetrachtung im Falle von Entwicklungsländern abschneiden, welche Seite der Medaille also in verschiedenen Phasen des Entwicklungsprozesses überwiegt. Hier ist eine Betrachtung der konkreten Umstände in Entwicklungsländern und damit ein Blick auf empirische Daten nötig.
ist', zu verwirklichen als gewöhnliche Abstimmungsprozesse im Rahmen eines allgemeinen Wahlrechts" (S. 6lf). Bereits hier sei darauf verwiesen, daß Buchanan damit keineswegs gegen Demokratie plädiert, sondern vielmehr aus diesen Gründen die Verwendung instrumenteller Kriterien ablehnt. Für ihn ergibt sich Legitimation allein aus prozeduralen Kriterien (Legitimation durch Verfahren), wobei er freiwillige Zustimmung der Betroffenen fordert (S. 62ft).
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7. Kapitel: Politische und gesellschaftliche Einflußfaktoren
7.4.1. Besteht eine eindeutige Korrelation zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und politischem System?
Empirische Daten über das Verhältnis zwischen Entwicklung und politischen Faktoren sind alles andere als eindeutig. Eine Gegenüberstellung von ProKopf-Einkommen und der Einschätzung des Grades der Freiheit als Maßzahl fiir Demokratie (Tabelle 7.1) interpretiert Robert Bartley zunächst als "powerful association between successful economies and free societies. "87 An der Spitze der nach Pro-Kopf-Einkommen geordneten Liste stehen die demokratischen Industrieländer, am Ende rangieren unfreie Systeme. Betrachtet man die Aufstellung genauer, ergeben sich Zweifel, ob sie als Plädoyer fiir Demokratie interpretiert werden kann. Zum einen läßt eine Korrelation zwischen beiden Faktoren noch keine klare Aussage zur Kausalität zu. Es ist also offen, ob eine bessere wirtschaftliche Entwicklung Folge demokratischer Gestaltung des politischen Systems ist oder umgekehrt wirtschaftliche Entwicklung Ursache demokratischer Entwicklung ist. Hinsiebtlieh der Aussagetähigkeit fiir Entwicklungsländer verzerrt zum anderen die Auflistung der demokratischen Industrienationen die Ergebnisse. Bleiben Industrienationen unberücksichtigt, so finden sich unter den erfolgreichsten Entwicklungs- bzw. Schwellenländern gerade Staaten, deren politische Systeme nicht als demokratisch bezeichnet werden: die ölreichen Monarchien des Mittleren Ostens und Asiens (Brunei) und die erfolgreichen ostasiatischen Volkswirtschaften. Im Mittelfeld der Liste scheinen freie und weniger freie Staaten eher unkorreliert zu sein und erst am unteren Ende ist eine Beziehung zwischen geringem Einkommen und mangelnder politischer Freiheit deutlich erkennbar. Auch hier ist allerdings nicht klar, ob das geringe Einkommen Folge mangelnder Demokratie oder die fehlende Demokratie Folge unzureichender Entwicklung ist. Eine derartige Auflistung birgt stets die Gefahr, historische Entwicklungen unzulässig zu verzerren. Eine Bewertung der Freiheit verschiedener Staaten ist stets eine Zeitpunktbetrachtung, hier eine Einschätzung der frühen 90er Jahre. Bei erst kürzlichen Regimewechseln kann dies zu einer Fehlinterpretation führen, wenn die ökonomische Lage statt dem "alten" dem "neuen" Regime gutgeschrieben bzw. angekreidet wird. So wird Südkorea ebenso wie Chile als "frei" geführt, obwohl beide Staaten bis vor kurzem stark autoritären Militärregimen unterlagen, denen in Länderstudien der wirtschaftliche Erfolg in der Regel zugeschrieben wird. 88 87 Banley (1993a), S. 64.
88 Im Falle Chiles wird behauptet, daß bei der Abkehr von der Diktatur die Stabilität erhalten blieb, weil Revanchegelüste der Gruppen, die besonders unter der Diktatur zu leiden hatten, in Schach gehalten werden, also eine "überwachte Demokrstie" herrscht. Vgl. Haubrich (1993).
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7.4. Die Wirkung des politischen Systems in Entwicklungsländern
Tabelle 7.1 Pro-Kopf-Einkommen und Grad der Freiheit Pro-Kopf-BSP/ BIP 19119"
Nationen
Grad der Fräheit"
Rechte•
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