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German Pages 750 Year 2012
Untersuchungen zum Europäischen Privatrecht Band 23
Grenzüberschreitende Titelgeltung in der Europäischen Union Die Wirkungen der Anerkennung, Vollstreckbarerklärung und Vollstreckbarkeit ausländischer Entscheidungen und gemeinschaftsweiter Titel
Von Max Christoph Peiffer
Duncker & Humblot · Berlin
MAX CHRISTOPH PEIFFER
Grenzüberschreitende Titelgeltung in der Europäischen Union
Untersuchungen zum Europäischen Privatrecht Band 23
Grenzüberschreitende Titelgeltung in der Europäischen Union Die Wirkungen der Anerkennung, Vollstreckbarerklärung und Vollstreckbarkeit ausländischer Entscheidungen und gemeinschaftsweiter Titel
Von Max Christoph Peiffer
Duncker & Humblot · Berlin
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT.
Die Hohe Juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität zu München hat diese Arbeit im Wintersemester 2010/2011 als Dissertation angenommen.
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Meinen Eltern Karin und Dr. Axel Peiffer
Vorwort Europa wächst zusammen. Was im Bereich wirtschaftlicher Kooperation bereits weit vorangeschritten ist, wird zunehmend auch auf dem Gebiet der justiziellen Zusammenarbeit Wirklichkeit. Schon bald sollen zivilrechtliche Gerichtsentscheidungen aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union im gesamten Gemeinschaftsgebiet unmittelbar gelten. Bürger und Unternehmen zwischen Malta und Estland, Bulgarien und Irland bekommen dann die Europäische Integration hautnah zu spüren: Egal in welchem Land sie verklagt werden – zukünftig müssen sie sich dem Verfahren stellen und dessen Resultat hinnehmen. Denn Urteile und andere Titel von Gerichten aus dem gesamten EU-Gebiet sollen demnächst in jedem Mitgliedstaat automatisch anerkannt und vollstreckt werden. Das Europäische Zivilverfahrensrecht steht damit am Vorabend einer Kopernikanischen Wende. Bald soll mit der jahrhundertealten Tradition, dass souveräne Staaten den Akten fremder Hoheitsträger im Inland grundsätzlich keine Bedeutung beimessen, für zivilrechtliche Entscheidungen vollständig gebrochen werden. Teilweise ist dieser Umbruch bereits vollzogen. Ihm nimmt sich die vorliegende Arbeit an. Sie versteht sich als breit angelegte Studie des Phänomens, dass Entscheidungen eines fremdländischen Gerichts im Inland umgesetzt werden. Dabei widmet sie sich nicht nur den klassischen Problemen von Anerkennung und Vollstreckbarerklärung, sondern geht auch auf die unmittelbare gemeinschaftsweite Titelgeltung ein, der in Europa die Zukunft gehört. Diese Untersuchung entstand in ihren wesentlichen Teilen während meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Internationales Recht und Rechtsvergleichung der Ludwig-Maximilans-Universität München. Im Wintersemester 2010/2011 wurde sie von der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität als Dissertation angenommen. Die mündliche Doktorprüfung fand am 03. März 2011 statt. Das Manuskript wurde im September 2010 abgeschlossen. Für die Druckfassung wurden Rechtsprechung und Literatur größtenteils noch bis September 2011 berücksichtigt. An dieser Stelle danke ich allen, die in den zurückliegenden Jahren auf unterschiedliche Weise die Entstehung dieser Arbeit unterstützt und gefördert haben. In erster Linie gilt dies für meine Doktormutter Prof. Dr. Dagmar Coester-Waltjen, LL.M. Sie hatte nicht nur die Idee für das Thema der
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Vorwort
Arbeit, sondern hat mich auch in großartiger Weise betreut. Ihre vielfältigen Anregungen und Hilfen sowie die Diskussionen im Rahmen mehrerer Doktorandenkollegs waren eine große Hilfe. Prof. Dr. Johannes Hager danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens. Prof. Dr. Hans Christoph Grigoleit hat dankenswerterweise bei der Doktorprüfung den Vorsitz übernommen. Weiterhin hat sich Prof. Dr. Peter Schlosser um diese Arbeit verdient gemacht: Er hat sich die Zeit für mehrere Treffen mit mir genommen, in denen ich mit ihm über die Thematik sprechen und ihm meine Lösungsansätze zur kritischen Würdigung vorstellen konnte. Er gab mir einige wertvolle Denkanstöße. Die Entstehung dieser Untersuchung wurde durch ein Promotionsstipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes gefördert. Als Gutachter für die Bewerbung um die Förderung agierten Prof. Dr. Bruno Rimmelspacher, Prof. Dr. Thomas Rüfner (Universität Trier) und Prof. Dr. Jens Adolphsen (Justus-Liebig-Universität Gießen), wofür ihnen an dieser Stelle ebenfalls Dank gebührt. Der „Förderungsfonds Wissenschaft“ der Verwertungsgesellschaft Wort hat die Drucklegung dieses Werkes dankenswerterweise durch eine großzügige Beihilfe ermöglicht. Des Weiteren danke ich ganz herzlich Susanne Quadbeck für die kritische Durchsicht des Manuskripts, ihre vielen hilfreichen Anmerkungen und die überaus erhellenden Gespräche mit ihr. Nikolaos Simantiras danke ich für seine Unterstützung bei der Recherche zum griechischen Recht. Meinem Lehrstuhl- und Promotionskollegen Dr. Philipp M. Reuss bin ich für seine vielen konstruktiven Beiträge nicht nur im Rahmen der Doktorandenkollegs dankbar. Besonderer Dank gilt schließlich meinen Eltern. Nicht nur durch umfangreiche finanzielle Unterstützung haben sie mir Studium und Promotion möglich gemacht, auch waren sie mir in den vielen zurückliegenden Jahren stets wichtige Begleiter, die mir mit Anteilnahme, Anerkennung und Ermunterung die Kraft gegeben haben, um den akademischen Werdegang bis zur Erlangung der Doktorwürde beschreiten zu können. Ihnen ist dieses Buch daher als Zeichen meiner Dankbarkeit gewidmet. Mein innigster Dank gebührt jedoch meiner lieben Ehefrau Dr. Evgenia Rumenova Peiffer, die mir nicht nur während meines Promotionsvorhabens, sondern schon seit vielen Jahren eine treue und unendlich solidarische Gefährtin ist. Während unzähliger fachlicher Gespräche, mit vielen wertvollen inhaltlichen Denkanstößen, durch mehrfache kritische Lektüre meiner Textentwürfe und dank einer unermüdlichen liebevollen Unterstützung hat sie ganz entscheidend zum Gelingen dieses Werkes beigetragen. Berlin, im September 2011
Max Christoph Peiffer
Inhaltsübersicht Teil I Einführung und Grundlegung §1
§2
Ausgangspunkt, Fragestellung und Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die zwei Gruppen von Entscheidungswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Der grenzüberschreitende Transport von Titelwirkungen und die sich hierbei ergebenden Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Methode der vorliegenden Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Begrenzungen des Untersuchungsgegenstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Plan der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45 45 45 47 49 49 50
Grundlagen der Durchsetzung ausländischer Titel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 A. Anerkennung und Vollstreckbarerklärung – ein dialektisches Schema? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 B. Interessen bei der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Titel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 C. Der Umbruch im europäischen Anerkennungs- und Vollstreckungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
Teil II Die Wirkungen der Anerkennung ausländischer Entscheidungen nach der EuGVVO
71
§3
Die allgemeine Kollisionsregel der Entscheidungswirkungen: Qualifikation, Verweisungsbefehl und Nachfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 A. Anknüpfungsgegenstand: Qualifikation der Entscheidungswirkungen 71 B. Anknüpfungspunkt: Der Verweisungsbefehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 C. Nachfrage: Sachnormqualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
§4
Der objektive Umfang der Rechtskraft ausländischer Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Überblick der Rechtskraftlehren in einzelnen Mitgliedstaaten . . . . . . . B. Die von der Rechtskraft erfassten Elemente in einzelnen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Der objektive Umfang der Rechtskraft anerkannter ausländischer Entscheidungen im jeweiligen Zweitland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
115 115 121 151
10
Inhaltsübersicht
§5
Die Wirkungen ausländischer Entscheidungen in subjektiver Hinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 A. Die subjektive Reichweite der Entscheidungswirkungen in einzelnen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 B. Die subjektive Wirkungsreichweite anerkannter ausländischer Entscheidungen im jeweiligen Zweitland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
§6
Die Gestaltungswirkung ausländischer Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . 265 A. Die Gestaltungswirkung in einzelnen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 B. Der Inhalt der Gestaltungswirkung anerkannter ausländischer Entscheidungen im jeweiligen Zweitland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
§7
Die Präklusion aufgrund der Rechtskraft ausländischer Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 A. Die Reichweite der rechtskraftbedingten Präklusionswirkung in einzelnen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 B. Die Präklusionswirkung anerkannter ausländischer Entscheidungen im jeweiligen Zweitland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307
Teil III Die Wirkungen der durch Exequatur nach der EuGVVO verliehenen Vollstreckbarkeit mitgliedstaatlicher Titel
317
§8
Ein Vergleich der Vollstreckbarerklärung mit der Anerkennung und Folgerungen hieraus für die Wirkungen ersterer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 A. Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Anerkennung und Vollstreckbarerklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 B. Der Inhalt der Vollstreckbarkeit im jeweiligen Zweitstaat – eine Prämissenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334
§9
Die Vollstreckung ausländischer Titel, die in ihrem Ursprungsland noch nicht Rechtskraft erlangt haben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Überblick der Grundstrukturen einzelner mitgliedstaatlicher Vollstreckungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die unterschiedlichen Grade der Vollstreckbarkeit bis Eintritt der Rechtskraft in einzelnen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen . . . . . . . C. Die rudimentären verordnungseigenen Regelungen zur Vollstreckung vor Rechtskraft: Art. 46 I, II, 47 EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Grenzüberschreitende Koordinierung gradueller Unterschiede der Vollstreckbarkeit bis zum Eintritt der Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Zusammenfassung: Art und Weise der Vollstreckung im Zweitland bis zum Rechtskrafteintritt im Ursprungsland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
348 348 354 372 381 397
Inhaltsübersicht § 10 Die Bestandsfestigkeit der Vollstreckbarkeit ausländischer Titel gegenüber Einwendungen gegen den titulierten Anspruch . . . . . . . . . . . A. Berücksichtigung materieller Einwendungen im Zweitland bis zur Rechtskraft des Exequaturs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Statthaftigkeit von Rechtsbehelfen im Zweitland zur Geltendmachung materieller Einwendungen nach Rechtskraft des Exequaturs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 11 Methoden und Grenzen der Zwangsanwendung bei Vollstreckung ausländischer Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die in einzelnen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen vorgesehenen Mechanismen zur Anspruchsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die im Zweitland geltenden Vollstreckungshindernisse und -schranken bei Durchsetzung ausländischer Titel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die im Zweitland anwendbaren Vollstreckungsmechanismen zur Durchsetzung ausländischer Titel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Die Wirkungen ausländischer Vollstreckungsakte (insbesondere ausländischer Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse) . . . . . . . . . . . . . . . E. Sonderfall: Verurteilungen zur Abgabe von Willenserklärungen und die Behandlung von § 894 ZPO bei der grenzüberschreitenden Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
400 401
411 442 443 443 481 486 509
521
Teil IV Die Wirkungen unmittelbarer Titelgeltung nach EuVTVO, EuGFVO, EuMVVO, EuUnthVO und EuEheVO § 12 Die Wirkungen unmittelbarer Vollstreckbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die Strukturmerkmale der unmittelbaren Vollstreckbarkeit im Vergleich zu jenen der Vollstreckbarerklärung und Folgerungen hieraus B. Die Vollstreckung Gemeinschaftsweiter Titel im Zweitland vor deren Rechtskrafteintritt im Ursprungsland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Beachtlichkeit materieller Einwendungen gegen Gemeinschaftsweite Titel im Vollstreckungsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Methoden und Grenzen der Zwangsanwendung bei der Vollstreckung aus Gemeinschaftsweiten Titeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 13 Die Wirkungen der Anerkennung Gemeinschaftsweiter Titel . . . . . . . . A. Vorab: Anerkennungsvoraussetzungen für Gemeinschaftsweite Titel B. Die Wirkungen der Anerkennung Gemeinschaftsweiter Titel . . . . . . . . C. Gemeinschaftsweite auf Abgabe einer Willenserklärung lautende Titel und deren Durchsetzung im Wege der Fiktion nach § 894 ZPO
534 535 535 557 573 597 607 607 625 633
12
Inhaltsübersicht Teil V Schluss
§ 14 Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO (Teil II) in zusammenfassender Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Wirkungen der Vollstreckbarerklärung nach der EuGVVO (Teil III) in zusammenfassender Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die Wirkungen unmittelbarer Titelgeltung (Teil IV) in zusammenfassender Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 15 Schlussbetrachtung: Einheitliches Modell grenzüberschreitender Titelgeltung innerhalb der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Wirkungserstreckung hinsichtlich „Ob“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Gleichstellung hinsichtlich „Wie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Zuordnung der Einzelaspekte und Sonderregel bei Gemeinschaftsweiten Titeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verzeichnis der zitierten Rechtstexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Konventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Innerstaatliches Recht Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Innerstaatliches Recht England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Innerstaatliches Recht Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Innerstaatliches Recht andere Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
640 640 640 649 656 659 659 660 660 662 662 663 665 666 667 668
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 670 Rechtsprechungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Sonstige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
707 707 708 716 723 728
Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 730
Inhaltsverzeichnis Teil I Einführung und Grundlegung §1
§2
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Ausgangspunkt, Fragestellung und Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die zwei Gruppen von Entscheidungswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Der grenzüberschreitende Transport von Titelwirkungen und die sich hierbei ergebenden Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Methode der vorliegenden Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Begrenzungen des Untersuchungsgegenstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Plan der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Grundlagen der Durchsetzung ausländischer Titel . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Anerkennung und Vollstreckbarerklärung – ein dialektisches Schema? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Interessen bei der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Titel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Der Umbruch im europäischen Anerkennungs- und Vollstreckungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Vollstreckbarerklärung als herkömmlicherweise zwingendes Erfordernis einer zwangsweisen Anspruchsdurchsetzung im Zweitland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Verschwinden der Vollstreckbarerklärung in der EU . . . . . . . 1. Die geplante Abschaffung des Exequaturverfahrens . . . . . . . . . 2. Die bisherige Verwirklichung des Konzepts der unmittelbaren grenzüberschreitenden Vollstreckbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Umgangs- und Kindesrückgabeentscheidungen i. S. v. Art. 40–45 EuEheVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Europäische Vollstreckungstitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die im Europäischen Mahn- und im Europäischen Bagatellverfahren zustande gekommenen Titel . . . . . . . . . . d) Die durch Art. 17–22 Europäische Unterhaltsverordnung eingeführte gemeinschaftsweite Vollstreckbarkeit für bestimmte Unterhaltsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die geplante Revision der EuGVVO: Wie geht es weiter? . . .
52
47 49 49 50
52 53 55
56 57 58 59 60 60 63
64 67
14
Inhaltsverzeichnis Teil II Die Wirkungen der Anerkennung ausländischer Entscheidungen nach der EuGVVO
§3
71
Die allgemeine Kollisionsregel der Entscheidungswirkungen: Qualifikation, Verweisungsbefehl und Nachfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 A. Anknüpfungsgegenstand: Qualifikation der Entscheidungswirkungen 71 I. Unterscheidung zwischen anerkennungsfähigen prozessualen Entscheidungswirkungen und rein materiellrechtlichen Nebenwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 II. Die erforderliche Abgrenzung als Frage der Qualifikation . . . . . . . 73 B. Anknüpfungspunkt: Der Verweisungsbefehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 I. Wirkungserstreckung durch Anerkennung als Grundsatz . . . . . . . . 76 1. Die Gründe für die Geltung der Wirkungserstreckung . . . . . . . 78 a) Zweck und Wesen der Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 b) Hinweis aus Art. 65 II S. 2 EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 c) Sicherstellung angemessener Rechtsschutzmöglichkeiten für die Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 d) Der prozessuale Vertrauensschutz für die Parteien . . . . . . . . 82 2. Die Lehre von der Gleichstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 a) Argument der territorialen Geltungsgrenze der Urteilswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 b) Argument aus dem Vergleich mit der Vollstreckbarkeit . . . 86 c) Der Praktikabilitätsgesichtspunkt bei Berücksichtigung der Wirkungen ausländischer Titel im zweitstaatlichen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 d) Der Äquivalenzgedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 e) Der lex fori-Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 3. Zusammenfassung und Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 II. Berücksichtigung der lex causae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 1. Die Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 2. Gründe für die Berücksichtigung der lex causae . . . . . . . . . . . . 91 a) Die Sachrechtsbezogenheit der Verfahrensvorschriften . . . . 93 b) Der materielle Gehalt des Verfahrensrechts . . . . . . . . . . . . . . 94 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 3. Gründe für die Geltung der lex fori und gegen die lex causae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 4. Ergebnis: Ggf. Wirkungsbegrenzung nach der lex causae . . . . 98 III. Wirkungsbegrenzung aus Rücksicht auf das Recht des Anerkennungslandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 1. Die drei denkbaren „Filter“ für eine Wirkungsbegrenzung . . . 99 2. Hinweise auf die richtige Begrenzung aus dem EuGVÜ . . . . . 101 a) Anhaltspunkte aus dem Jenard-Bericht zum EuGVÜ . . . . . 101
Inhaltsverzeichnis b) Die Aussage des EuGH in der Entscheidung Hoffmann ./. Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die rein vollstreckungsrechtliche Ausgangsproblematik des Falles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Einschränkungen der „Wirkungserstreckung“ im konkreten Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gründe für eine Wirkungsbegrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Praktikabilität und Unvereinbarkeit mit zweitstaatlicher Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Qualifikationsunterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Lex fori-Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Schutz der Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung und Entwicklung eines geeigneten Wirkungsbegrenzungsansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gesamtergebnis: Allgemeine Kollisionsregel nach dem DreiSchritt-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Nachfrage: Sachnormqualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . §4
Der objektive Umfang der Rechtskraft ausländischer Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Überblick der Rechtskraftlehren in einzelnen Mitgliedstaaten . . . . . . . I. Die Rechtskraft im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die englische res judicata-Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Rechtskraft im französischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die von der Rechtskraft erfassten Elemente in einzelnen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der objektive Umfang der Rechtskraft im deutschen Recht . . . . . 1. Die Grundentscheidung für eine enge Rechtskraftkonzeption in § 322 I ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätzliche Rechtskraftbegrenzung auf den Rechtsfolgenausspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausnahmsweise Vorfragenbindung gem. § 256 II ZPO und § 322 II ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Identität des Klageziels: Die begehrte Rechtsfolge . . . . . . . . . . 3. Identität des Klagegrundes: Der rechtskräftig entschiedene Lebenssachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der objektive Umfang der Rechtskraft im englischen Recht: cause of action und issues . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die rechtskräftigen Elemente beim cause of action estoppel 2. Die rechtskräftigen Elemente beim issue estoppel und dessen Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Entscheidung im Vorprozess „on the merits“ . . . . . . . . . . . . b) Identität des issues im Vor- und Folgeprozess . . . . . . . . . . .
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102 103 105 105 105 107 107 108 111 111 113 114 115 115 115 116 119 121 121 121 122 124 125 127 128 128 129 131 132 134
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Inhaltsverzeichnis c) Vorfrage tatsächlich Gegenstand des Vorprozesses . . . . . . . . d) Issue estoppel nur, wenn Ersturteil zum Nachteil der estopped party ausgegangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Grenzen der Rechtskraftwirkung im englischen Recht . . . . . . . III. Der objektive Umfang der Rechtskraft im französischen Recht . . 1. Die rechtskräftigen Urteilselemente im französischen Recht . . a) Der dispositif exprès – Erweiterung der Rechtskraft auf die Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der dispositif implicite ou virtuel – Erweiterung der Rechtskraft auf nicht ausdrücklich entschiedene Fragen . . . c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Begrenzung des Streitgegenstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die identité de chose demandée (objet) . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die identité de cause . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Traditionelle Abgrenzung nach rechtlichen Gesichtspunkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die neue Rspr. der Cour de cassation . . . . . . . . . . . . . . . c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsvergleichende Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die rechtskräftigen Entscheidungselemente . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Begrenzung des Klagegrundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Der objektive Umfang der Rechtskraft anerkannter ausländischer Entscheidungen im jeweiligen Zweitland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Schritt 1: Wirkungserstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Schritt 2: Lex causae-Rückgriff bei Abänderung eines französischen Unterhaltstitels durch deutsches Gericht (Fall 1.1) . . . . . . 1. Qualifikation der Abänderbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wirkungen der „Anerkennung der Abänderbarkeit“ . . . . . . . . . III. Schritt 3: Wirkungsbegrenzung aus Rücksicht auf das Recht des Anerkennungsstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fall 1.2: Im Erststaat mehr rechtskräftige Urteilselemente als im Zweitstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fall 1.3: Im Erststaat breiterer Streitgegenstandsbegriff als im Zweitstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Geltung eines „autonomen“ europäischen Rechtskraftgegenstandes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die „Kernpunkt-Theorie“ des EuGH im Rahmen von Art. 27 I EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Begriffspaar „Grundlage“ und „Gegenstand“ in der EuGH-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grund für die weite Streitgegenstandsdefinition des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kritik an der Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bedarf für einen autonomen Rechtskraftgegenstand? . . . . . . . .
135 138 139 141 141 142 144 145 145 146 147 147 149 149 150 150 151 151 152 154 156 158 159 160 162 163 163 164 166 167 168
Inhaltsverzeichnis a) Gefahr doppelter Prozessführung aufgrund unterschiedlicher nationaler Rechtskraftkonzepte (Fall 1.4) . . . . . . . . . b) Systematisch-teleologischer Zusammenhang zwischen Rechtskraft und -hängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Reichweite der Rechtshängigkeit als Obergrenze für den Rechtskraftgegenstand? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Reichweite der Rechtshängigkeit als Untergrenze für Rechtskraftgegenstand? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zusammenfassung und Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Lösungsvorschläge für ein europäisches Rechtskraftkonzept . . §5
Die Wirkungen ausländischer Entscheidungen in subjektiver Hinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die subjektive Reichweite der Entscheidungswirkungen in einzelnen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die subjektive Wirkungsreichweite von Entscheidungen im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsatz der Rechtskraftwirkung nur für und gegen die Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtskrafterstreckung und andere Drittwirkungen . . . . . . . . . . a) Rechtskrafterstreckung auf den Rechtsträger bei Prozessstandschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das Prinzip der Rechtskrafterstreckung bei Prozessstandschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Fälle von Prozessstandschaft, in denen Rechtskrafterstreckung eintritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Fälle von Prozessstandschaft, in denen Rechtskrafterstreckung nicht eintritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtskrafterstreckung auf den Rechtsnachfolger, § 325 I 2. Alt. ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Drittwirkungen bei materiellrechtlicher Abhängigkeit . . . . aa) Akzessorische Haftung Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Drittwirkung bei „schwacher“ Akzessorietät . . . . . (2) Drittwirkung bei „strenger“ Akzessorietät . . . . . . . (3) Die Rechtsnatur der Drittwirkung gegenüber dem akzessorisch Haftenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Andere Drittwirkungsfälle wegen materiellrechtlicher Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Gesamtschuld, Schuldbeitritt, Schuldübernahme . . (2) Gesamtgläubigerschaft und Vertrag zu Gunsten Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Weitere Fälle: § 546 II BGB, § 604 IV BGB, § 124 VVG, Einwendungsdurchgriff und § 9 TVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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169 170 170 172 173 173 176 176 176 177 178 178 178 180 181 183 184 184 184 185 187 188 188 189
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Inhaltsverzeichnis (4) Allgemeines Prinzip der Rechtskrafterstreckung kraft zivilrechtlicher Abhängigkeit? . . . . . . . . . . . . . d) Rechtskrafterstreckung auf unbestimmte Personengruppe und erga omnes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Interventions- bzw. Streitverkündungswirkung, §§ 68, 72 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die subjektive Reichweite der Bindungswirkungen im englischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätzliches Erfordernis der Parteiidentität im Vor- und Folgeprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Verfahrensführer und ihre Vertreter im englischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erweiterung des Parteibegriffs durch Anerkennung von deemed parties und represented parties . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erweiterung der Rechtskraftwirkungen auf Dritte in privity . . a) Die privies in blood und title . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die privies in interest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erzeugung von Drittbindungen durch third party notice . . . . . 4. Die erga omnes-Wirkung bei judgments in rem . . . . . . . . . . . . . III. Die subjektive Reichweite der Bindungswirkungen im französischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Erfordernis echter oder fingierter Parteiidentität . . . . . . . . . a) Parteiidentität und Konstellationen der Prozessstandschaft b) Parteiidentität im Falle echter Repräsentation . . . . . . . . . . . . c) Fingierte Parteiidentität durch Anerkennung fiktiver Repräsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Interessengemeinschaft (les co-intéressés) . . . . . . . . . . . bb) Gläubigermehrheit (les créanciers) . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Rechtsnachfolger (les ayants cause) . . . . . . . . . . . . 2. Das zusätzliche Erfordernis der identité de qualité . . . . . . . . . . 3. Opposabilité absolue und Möglichkeit der tierce opposition . . 4. Erzeugung von Wirkungen gegenüber Dritten durch intervention forcée . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Blick in die USA: Die subjektive Reichweite der Rechtskraft von Entscheidungen im class action-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff und Struktur der class action . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Zwecke der class action . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die subjektive Reichweite der Rechtskraft von Urteilen in class actions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzungen einer class action (r. 23(a) Fed.R.Civ.P.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die zulässigen Anwendungsfälle für eine class action (r. 23(b) Fed.R.Civ.P.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
191 192 193 195 195 196 197 199 200 201 205 205 208 208 208 211 212 212 214 215 216 217 218 220 221 222 224 226 227
Inhaltsverzeichnis aa) Die mandatory class actions (r. 23(b)(1), (2) Fed.R.Civ.P.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die common question class action (r. 23(b)(3) Fed.R.Civ.P.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Möglichkeit eines opt-out im Falle der common question class action i. S. v. r. 23(b)(3) Fed.R.Civ.P. . . . . . . . . . . . . . V. Rechtsvergleichende Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die vier Gründe für den Eintritt von Drittbindungen . . . . . . . . a) Fallgruppe 1: Drittbindung wegen Interessengleichheit zwischen Prozessbeteiligtem und Drittem . . . . . . . . . . . . . . . b) Fallgruppe 2: Drittbindung wegen Beteiligungsrechten des Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fallgruppe 3: Drittbindung wegen materieller Abhängigkeit des Dritten vom Gegenstand des Vorprozesses oder von einem der Prozessbeteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Fallgruppe 4: Drittbindung unter Verkürzung des rechtlichen Gehörs des Dritten zum Schutz anderer übergeordneter Rechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die beiden Zwecke von Entscheidungswirkungen gegenüber Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die verschiedenen dogmatischen Begründungen der Wirkungen gegenüber Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die subjektive Wirkungsreichweite anerkannter ausländischer Entscheidungen im jeweiligen Zweitland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorab: Qualifikation von Drittwirkungen als prozessual anerkennungsfähig und Abgrenzung zu den materiellrechtlichen Nebenwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Suche nach dem richtigen Qualifikationskriterium . . . . . . . . . . a) Erste Möglichkeit: Qualifikation der Drittwirkungen danach, ob aus der Entscheidung selbst fließend oder nicht b) Zweite Möglichkeit: Qualifikation der Drittwirkungen nach deren jeweiligem Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Dritte Möglichkeit: Qualifikation ausgehend vom Zweck der Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis: Geltungswurzel der Drittwirkung als Qualifikationskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendung des Qualifikationskriteriums auf die Fallgruppen 1 bis 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesamtergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Schritt 1: Wirkungserstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fall 2.1: Rechtskrafterstreckung aufgrund Rechtsnachfolge . . 2. Fall 2.2: Drittbindung aufgrund Prozesshandlung im Urteilsstaat (third party notice) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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227 228 229 230 231 231 232
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239 240 240 241 241 242 243 245 246 246 247
20
Inhaltsverzeichnis III. Schritt 2: lex causae-Rückgriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fall 2.3: Deutsch-französische Bürgschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fall 2.4: Deutsch-französische Gesamtschuld . . . . . . . . . . . . . . . 3. Lex causae-Rückgriff bei Prozessstandschaft nach fremdem Sachrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorab: Konstellationen von Prozessstandschaft nach ausländischem Sachrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anerkennung der Drittwirkungen infolge von Prozessstandschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Schritt 3: Wirkungsbegrenzung aus Rücksicht auf das Recht des Anerkenungsstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gewährleistungen des Anspruchs auf rechtliches Gehör und die drei Fragen zur Beurteilung ausländischer Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Handhabung von Fallgruppe 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Handhabung der Fallgruppen 1, 3 und 4 . . . . . . . . . . . . . . . 4. Insbesondere: Anerkennung der subjektiven Rechtskraftreichweite US-amerikanischer class action-Entscheidungen in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Eingrenzung der Fragestellung und Beispielfälle . . . . . . . . . b) Frage 2: Wahrung des rechtlichen Gehörs durch Teilnahmerechte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Frage 3: Wahrung des rechtlichen Gehörs durch Repräsentation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§6
Die Gestaltungswirkung ausländischer Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . A. Die Gestaltungswirkung in einzelnen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Der Inhalt der Gestaltungswirkung anerkannter ausländischer Entscheidungen im jeweiligen Zweitland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorab: Qualifikation der Gestaltungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Schritte 1 und 2: Wirkungserstreckung und lex causae-Rückgriff 1. Verweisungsbefehl im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fall 3.1: Vertragsaufhebung durch österreichisches Gericht nach französischem Recht und ihre Anerkennung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fall 3.2: Auflösung einer englischen Ltd. durch deutsches Gericht nach englischem Gesellschaftsrecht und ihre Anerkennung in Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Schritt 3: Wirkungsbegrenzung aus Rücksicht auf das Recht des Anerkennungsstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begrenzung des objektiven Inhaltes der Rechtsgestaltung . . . . 2. Begrenzungen der Rechtsgestaltung in subjektiver Hinsicht . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
248 249 250 251 251 253 254
254 256 258
259 259 262 263 264 265 265 267 267 270 270
272
273 275 275 277 280
Inhaltsverzeichnis §7
Die Präklusion aufgrund der Rechtskraft ausländischer Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die Reichweite der rechtskraftbedingten Präklusionswirkung in einzelnen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Umfang der Tatsachenpräklusion im deutschen Recht . . . . . . 1. Begrenzung auf den „ausgeurteilten“ Lebenssachverhalt . . . . . a) Natürliche Betrachtungsweise und „wesensmäßig“ anderer Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Berücksichtigung materiell-rechtlicher Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die zeitlichen Grenzen der Rechtskraftpräklusion . . . . . . . . aa) Zeitliche Zuordnung bei Gestaltungsrechten . . . . . . . . . bb) Partielle Fortwirkung der Rechtskraft trotz neuer Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Rechtskraft-Fortwirkung in die Zukunft bei PrognoseEntscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Eigenständigkeit des zeitlichen Abgrenzungskriteriums? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Reichweite der Tatsachenpräklusion zu Lasten des Klägers im Erstprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mehrfacher Zessionserwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtswirksamkeit eines Rechtsgeschäfts . . . . . . . . . . . . . . . c) Kein neuer Streitgegenstand durch neue rechtliche Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Sonderproblem Teilklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Umfang der Tatsachenpräklusion zu Lasten des Beklagten im Erstprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Reichweite der Henderson v. Henderson doctrine im englischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Präklusion hinsichtlich desselben cause of action . . . . . . . . . . . 2. Präklusion in Bezug auf einzelne issues . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die enge Tatsachenpräklusion im französischen Recht . . . . . . . . . 1. Möglichkeit für unterlegenen Kläger, erneut aus anderer cause zu klagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Möglichkeit für unterlegenen Beklagten, neue Einwendungen zu erheben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die zeitlichen Grenzen der Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sonderproblem Teilklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsvergleichende Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die objektive Bemessung der Präklusionswirkung . . . . . . . . . . 2. Die subjektive Begrenzung der Präklusionswirkung . . . . . . . . . 3. Die zeitliche Begrenzung der Präklusionswirkung . . . . . . . . . .
21
281 282 282 283 284 285 286 288 288 289 290 291 291 291 292 292 294 296 298 300 301 302 303 304 304 304 305 306 307
22
Inhaltsverzeichnis B. Die Präklusionswirkung anerkannter ausländischer Entscheidungen im jeweiligen Zweitland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorab: Qualifikation der Präklusionswirkung und Nachfrage . . . . II. Schritt 1: Wirkungserstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fall 4.1: Einwendungen gegen französisches Urteil im Exequaturverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fall 4.2: Vollstreckungsgegenklage in Deutschland gegen ein französisches Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Schritt 2: lex causae-Rückgriff (Fall 4.3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Schritt 3: Wirkungsbegrenzung aus Rücksicht auf das Recht des Anerkennungsstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fall 4.4: Teilklage im englisch-deutschen Verhältnis . . . . . . . . 2. Fall 4.5: Präklusion im deutsch-französischen Verhältnis . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
307 308 310 311 312 312 313 314 315 316
Teil III Die Wirkungen der durch Exequatur nach der EuGVVO verliehenen Vollstreckbarkeit mitgliedstaatlicher Titel §8
Ein Vergleich der Vollstreckbarerklärung mit der Anerkennung und Folgerungen hieraus für die Wirkungen ersterer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Anerkennung und Vollstreckbarerklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verfahrensunterschiede zwischen Anerkennung und Vollstreckbarerklärung als Grund für abweichenden Wirkungsbestimmungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der andere „Streitgegenstand“ bei der Vollstreckbarerklärung 2. Eigenes Erkenntnisverfahren und eigene Entscheidung im Zweitstaat als Grundlage der dortigen Vollstreckung . . . . . . . . . a) Argument Nr. 1: Grundlage der zweitstaatlichen Vollstreckung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Argument Nr. 2: Exequaturverfahren unter der EuGVVO als Erkenntnisverfahren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Qualitative Unterschiede zwischen den anerkennungsfähigen Wirkungen und der Vollstreckbarkeit als Grund für anderen Wirkungsbestimmungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die unterschiedlichen Adressaten der verschiedenen Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die unterschiedlichen Sachfragen der verschiedenen Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesteigertes Bedürfnis nach Rechtssicherheit in der Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
317
320 320
322 323 324 324 325 327
327 327 328 330
Inhaltsverzeichnis 4. Hohe Verflechtung des Inhaltes der Vollstreckbarkeit mit der nach zweitstaatlichem Recht ablaufenden Vollstreckung . . . . . III. Ergebnis des Vergleichs von Anerkennung und Vollstreckbarerklärung: Übereinstimmende Unterscheidung zwischen „Ob“ und „Wie“ einer Wirkung im Zweitland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Der Inhalt der Vollstreckbarkeit im jeweiligen Zweitstaat – eine Prämissenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Prämisse 1: Keine Veränderung des Leistungsbefehls des Urteils durch Vollstreckbarerklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Prämisse 2: Intensivere Wirkungen allein aufgrund Abweichungen funktionell entsprechender Vollstreckungsregelungen sind zu akzeptieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gründe für die Herrschaft der lex fori executionis über die Vollstreckung ausländischer Titel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grenzen der Wirkungsintensivierungen aufgrund Maßgeblichkeit der lex fori executionis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Prämisse 3: Keine Ungleichbehandlung von Titeln aus anderen Mitgliedstaaten und Inlandstiteln im Vollstreckungsverfahren . . . 1. Verbot der Schlechterstellung ausländischer Titel gegenüber inländischen wegen des gemeinschaftsrechtlichen „effet utile“-Grundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gebot der Besserstellung ausländischer Titel gegenüber inländischen aufgrund eines europarechtlichen Behinderungsverbotes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Geltung eines Behinderungsverbotes zu Gunsten ausländischer Titel aufgrund der europäischen Grundfreiheiten? b) Geltung eines Behinderungsverbotes zu Gunsten ausländischer Titel aufgrund des „Herkunftslandprinzips“? . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . §9
Die Vollstreckung ausländischer Titel, die in ihrem Ursprungsland noch nicht Rechtskraft erlangt haben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Überblick der Grundstrukturen einzelner mitgliedstaatlicher Vollstreckungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundstrukturen der Vollstreckung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . II. Grundstrukturen der Vollstreckung in England . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Grundstrukturen der Vollstreckung in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die unterschiedlichen Grade der Vollstreckbarkeit bis Eintritt der Rechtskraft in einzelnen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen . . . . . . I. Die vorläufige Vollstreckbarkeit im deutschen Recht . . . . . . . . . . . 1. Vollstreckungsgläubigerhaftung bei vorläufig vollstreckbaren Titeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung . . . . . . 3. Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung . . . . . . .
23
331
332 334 334
335 336 338 339
339
341 341 343 347 348 348 349 350 352 353 354 354 355 355 357
24
Inhaltsverzeichnis 4. Einstellung der Zwangsvollstreckung (§§ 707, 719 ZPO) und Nachleistungsfristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Sicherungsmöglichkeiten vor Vorliegen eines Hauptsachetitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das principle of finality of judgment im englischen Recht . . . . . . 1. Das principle of finality of judgment und die Vollstreckungsgläubigerhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Möglichkeit eines stay of execution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Exécution provisoire und Sicherungsvollstreckung im französischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Exécution provisoire und Vollstreckungsgläubigerhaftung . . . . 2. Die Sicherungsvollstreckung im französischen Recht . . . . . . . . IV. Die Exekution zur Sicherstellung im österreichischen Recht . . . . V. Rechtsvergleichende Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zeitpunkt der Erlangung von Vollstreckungsbefugnissen vor Rechtskraft und deren Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mechanismen zum zwischenzeitlichen Schutz des Vollstreckungsschuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenhang zwischen Gläubigerbefugnissen und Schuldnerschutzmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Die Fragestellung: Vollstreckung ausländischer Titel, die im Ursprungsland noch nicht rechtskräftig sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fall 5.1: Vollstreckungsbefugnisse im österreichisch-deutschen Verhältnis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fall 5.2: Erfordernis einer Sicherheitsleistung im deutschenglischen Verhältnis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die rudimentären verordnungseigenen Regelungen zur Vollstreckung vor Rechtskraft: Art. 46 I, II, 47 EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Art. 47 III EuGVVO: Beschränkte Vollstreckbarkeit bis zum Eintritt der Rechtskraft der Vollstreckbarkeitsentscheidung . . . . . . II. Art. 46 I, 47 III und 46 III EuGVVO: Möglichkeiten der Beschränkung der Vollstreckbarkeit bis zum Eintritt der Rechtskraft im Erststaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Art. 47 I, II EuGVVO: Vollstreckungsmaßnahmen, die weder Rechtskraft noch Vollstreckbarkeit des Ursprungstitels im Erststaat erfordern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Konstellationen, in denen die EuGVVO die Vollstreckungsbefugnisse bei fehlender Rechtskraft im Ursprungsstaat nicht regelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Grenzüberschreitende Koordinierung gradueller Unterschiede der Vollstreckbarkeit bis zum Eintritt der Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Reichweite der Vollstreckungsbefugnisse im Zweitland vor Rechtskraft des Titels im Ursprungsland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Folgerungen aus Prämisse 1 (Keine Veränderung des Leistungsbefehls) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
358 359 360 360 361 363 363 364 365 367 367 368 369 370 370 371 372 373
375
377
380 381 381 381
Inhaltsverzeichnis 2. Folgerungen aus Prämisse 2 (Intensivierungen allein aufgrund Abweichungen funktional entsprechender Vollstreckungsregelungen akzeptabel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Folgerungen aus Prämisse 3 (Keine Ungleichbehandlung aus- und inländischer Titel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die durch Auswertung der Prämissen gefundene Lösung und deren Anwendbarkeit neben den geschriebenen Regelungen der EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Erfordernis einer Sicherheitsleistung bei Vollstreckung vor Eintritt der Rechtskraft im Ursprungsland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Folgerungen aus Prämisse 1 (Keine Veränderung des Leistungsbefehls) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Folgerungen aus Prämisse 2 (Intensivierungen allein aufgrund Abweichungen funktional entsprechender Vollstreckungsregelungen akzeptabel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Folgerungen aus Prämisse 3 (Keine Ungleichbehandlung aus- und inländischer Titel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die durch Auswertung der Prämissen gefundene Lösung und deren Anwendbarkeit neben den geschriebenen Regelungen der EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Nachträgliche Einstellungen oder Beschränkungen der Vollstreckung ausländischer Titel aus Gründen fehlender Rechtskraft im Ursprungsland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Lösungshinweise aus den Prämissen 1 bis 3 . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendbarkeit neben den ausdrücklichen Regelungen der EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Grenzüberschreitende Beachtlichkeit von Nachleistungsfristen für noch nicht rechtskräftige Titel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Falllösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Lösung von Fall 5.1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Lösung von Fall 5.2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Zusammenfassung: Art und Weise der Vollstreckung im Zweitland bis zum Rechtskrafteintritt im Ursprungsland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 10 Die Bestandsfestigkeit der Vollstreckbarkeit ausländischer Titel gegenüber Einwendungen gegen den titulierten Anspruch . . . . . . . . . . . . . A. Berücksichtigung materieller Einwendungen im Zweitland bis zur Rechtskraft des Exequaturs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Variante 1: Ursprungstitel bereits rechtskräftig, Exequatur hingegen nicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vereinbarkeit mit Art. 45 I S. 1 EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aspekt der Prozessökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesichtspunkt des Schuldnerschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis und Kreis der statthaften Einwendungen sowie Sonderfall sog. „liquider Einwendungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
383 384
385 386 386
388 389
390
390 391 393 394 395 395 396 397 400 401 402 403 405 408 409
26
Inhaltsverzeichnis II. Variante 2: Weder Ursprungstitel noch Exequatur rechtskräftig . . B. Statthaftigkeit von Rechtsbehelfen im Zweitland zur Geltendmachung materieller Einwendungen nach Rechtskraft des Exequaturs . . . I. Vollstreckungsgegenrechtsbehelfe in den einzelnen Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Deutschland: Zweigleisigkeit der Rechtsbehelfe zur Geltendmachung materieller Einwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. England: Primäre Einordnung materieller Einwendungen in das Erkenntnisverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Frankreich: Vollstreckungsrechtliche Zuordnung materieller Einwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsvergleichende Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vorab: Antragsgegenstand von Vollstreckungsgegenrechtsbehelfen bei Vollziehung ausländischer exequierter Titel . . . . . . . . III. Variante 3: Ursprungstitel und Exequatur bereits rechtskräftig . . . 1. Internationale Zuständigkeit im Vollstreckungsland zur Geltendmachung materieller Einwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erfordernis internationaler Zuständigkeit nach Art. 2–24 EuGVVO für Vollstreckungsgegenrechtsbehelfe . . . . . . . . . . b) Vereinbarkeit der Vollstreckungsgegenrechtsbehelfe mit der Zuständigkeitsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zuständigkeit nach Art. 22 Nr. 5 EuGVVO im Vollstreckungsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vereinbarkeit mit Art. 45 I S. 1 EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Folgerungen aus den Prämissen der Wirkungen der Vollstreckbarerklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Folgerungen aus Prämisse 1 (Keine Veränderung des Leistungsbefehls) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Folgerungen aus Prämisse 2 (Intensivierungen aufgrund Abweichungen von funktional entsprechenden Vollstreckungsregelungen akzeptabel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Folgerungen aus Prämisse 3 (Keine Ungleichbehandlung aus- und inländischer Titel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die gezielte Gläubigerbegünstigung durch die EuGVVO bis zur Rechtskraft des Exequaturs und Gründe hierfür . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gründe für eine gezielte Gläubigerprivilegierung auch nach rechtskräftigem Exequatur durch Ausschluss von Vollstreckungsgegenrechtsbehelfen? . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung der gefundenen Einzelerkenntnisse und deren Zusammenführung in einem Lösungsmodell . . . . . . . . . . a) Gläubigerschutz durch Beschränkung der zweitstaatlichen Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
411 411 412 412 415 416 417 418 419 421 421 422 423 427 428 430 430
431 431
432
433 435 435 436
Inhaltsverzeichnis b) Angemessener Ausgleich mit dem erforderlichen Schuldnerschutz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ergebnis und Kreis der statthaften Einwendungen . . . . . . . . . . IV. Variante 4: Ursprungstitel noch nicht rechtskräftig, Exequatur hingegen schon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 11 Methoden und Grenzen der Zwangsanwendung bei Vollstreckung ausländischer Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die in einzelnen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen vorgesehenen Mechanismen zur Anspruchsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Methoden der Geldleistungsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Mobiliarvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Zugriff auf die Sache des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Rechtsfolgen des Zugriffs auf die Sache und deren Verwertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Vollstreckung in Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Beschlagnahme der Forderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Wirkungen der Beschlagnahme und die Verwertung der Forderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Immobiliarvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Vollstreckung in den Sachwert von Grundstücken . . . b) Die Vollstreckung in Erträge aus dem Grundstück . . . . . . . 4. Die Vollstreckung von Geldforderungen durch Beugemittel . . 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Methoden der Handlungs- und Unterlassungsvollstreckung . . 1. Die Grundfrage: Naturalexekution bei geschuldetem Verhalten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Vollstreckung von Ansprüchen auf Vornahme vertretbarer Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Vollstreckung von Ansprüchen auf Vornahme nicht vertretbarer Handlungen, Unterlassungen und Duldungen . . . . . . . a) Zwangsgeld und -haft sowie Ordnungsgeld und -haft in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die französische astreinte als indirektes Vollstreckungsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Regeln des englischen contempt of court . . . . . . . . . . . III. Die Herausgabevollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Durchsetzung von Ansprüchen auf Abgabe einer Willenserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Rechtsvergleichende Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unterschiedliche Reichweite des Naturalerfüllungszwangs bei Ansprüchen auf Vornahme unvertretbarer Handlungen . . . . . . 2. Unterschiedliche Vollstreckungsobjekte für die Durchsetzung desselben Anspruchsinhaltes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
437 439 440 442 443 443 444 444 445 446 448 448 451 453 453 455 455 458 458 459 464 464 465 467 470 473 475 477 478 478
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Inhaltsverzeichnis 3. Unterschiedliche Ausgestaltung der Zwangsmittel . . . . . . . . . . . 4. Sachliche Gründe für die Geltung abweichender Modalitäten der Zwangsausübung in den einzelnen Rechtsordnungen . . . . . B. Die im Zweitland geltenden Vollstreckungshindernisse und -schranken bei Durchsetzung ausländischer Titel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Folgerungen aus Prämisse 1 (Keine Veränderung des Leistungsbefehls) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Folgerungen aus Prämisse 2 (Intensivierungen allein aufgrund Abweichungen der Vollstreckungsregelungen akzeptabel) . . . . . . . III. Folgerungen aus Prämisse 3 (Keine Ungleichbehandlung ausund inländischer Titel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die im Zweitland anwendbaren Vollstreckungsmechanismen zur Durchsetzung ausländischer Titel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fall 6.1: Griechische Schuldhaft für deutschen Geldleistungstitel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fall 6.2: Französische astreinte für deutschen Unterlassungstitel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fall 6.3: Deutsches Zwangsgeld für italienischen Unterlassungstitel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Literaturmeinungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Berücksichtigung des Rechts des Ursprungslandes für die Frage, welche Zwangsmittel im Zweitstaat zur Verfügung stehen . . . . . . 1. Folgerungen aus Prämisse 1 (Keine Veränderung des Leistungsbefehls) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schützenswertes Vertrauen auf Geltung bestimmter Vollstreckungsmechanismen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Aus Sicht des Titelverpflichteten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Aus Sicht des Titelberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wahrung der Einheit von Leistungsbefehl und Durchsetzungsmechanismen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Notwendigkeit für die Berücksichtigung ausländischer Vollstreckungsmodalitäten? . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtliche Grundlage für eine Berücksichtigung ausländischen Vollstreckungsrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Folgerungen aus Prämisse 2 (Intensivierungen allein aufgrund Abweichungen der Vollstreckungsregelungen akzeptabel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Personalvollstreckung anwendbar, wenn im Erstland nur Realvollstreckung möglich? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
479 480 481 482 484 485 485 486 486 486 488 489 490 491 491 491 491 494 495 495 496 497 498
499 499
Inhaltsverzeichnis b) Durchsetzung in natura, wenn im Ursprungsland nur Schadensliquidierung möglich? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Folgerungen aus Prämisse 3 (Keine Ungleichbehandlung aus- und inländischer Titel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis und Lösungen der Beispielsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Lösungen der Fälle 6.1, 6.2 und 6.3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sonderfall von Art. 49 EuGVVO für Zwangsgelder und das Problem des richtigen Empfängers der beigetriebenen Geldmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Die Wirkungen ausländischer Vollstreckungsakte (insbesondere ausländischer Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse) . . . . . . . . . . . . . . . I. Voraussetzungen der Anerkennung ausländischer Vollstreckungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der ordre public-Vorbehalt gegenüber der Anerkennung ausländischer Vollstreckungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Reichweite der staatlichen Vollstreckungsgewalt des Ursprungslandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Internationale Vollstreckungszuständigkeit bei Nicht-Geldleistungsurteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Reichweite der jurisdiction to enforce bei Titeln auf unvertretbare Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Reichweite der jurisdiction to enforce bei Titeln auf vertretbare Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Internationale Zuständigkeit zur Vollstreckung in Geldforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Wirkungen der Anerkennung ausländischer Vollstreckungsakte (insbesondere ausländischer Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Sonderfall: Verurteilungen zur Abgabe von Willenserklärungen und die Behandlung von § 894 ZPO bei der grenzüberschreitenden Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Variante A: Entscheidung entstammt einer Rechtsordnung mit Abgabefiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die rechtliche Einordnung einer gem. § 894 ZPO im Urteilsland eingetretenen Abgabefiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Erstreckung“ einer im Ursprungsland fingierten Willenserklärung auf das Inland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Variante B: Titel gelangt aus einer Rechtsordnung ohne Abgabefiktion in eine Jurisdiktion mit einem solchen Vollstreckungsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung durch Abgabefiktion im Zweitland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
502 503 503 507 507
508 509 509 511 511 512 513 515 516 517
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521 521 523 525 527
528 528
30
Inhaltsverzeichnis 2. Internationale Vollstreckungszuständigkeit bei Ansprüchen gerichtet auf Willenserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Internationale Reichweite der Fiktion und Gefahr durch „enforcement shopping“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gefahr durch „enforcement shopping“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unzulässiges Doppelexequatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
529 530 531 532 532
Teil IV Die Wirkungen unmittelbarer Titelgeltung nach EuVTVO, EuGFVO, EuMVVO, EuUnthVO und EuEheVO § 12 Die Wirkungen unmittelbarer Vollstreckbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die Strukturmerkmale der unmittelbaren Vollstreckbarkeit im Vergleich zu jenen der Vollstreckbarerklärung und Folgerungen hieraus . . I. Strukturmerkmal 1: Die automatische gemeinschaftsweite Erweiterung der Vollstreckbarkeit ohne zweitstaatliche Verleihungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Umgangsund Kindesrückgabeentscheidungen i. S. v. Art. 40–45 EuEheVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigte Entscheidungen (EuVTVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unterhaltsentscheidungen i. S. v. Art. 17–22 EuUnthVO . . . . . . 4. Nach der EuGFVO zustande gekommene Europäische Bagatellurteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Nach der EuMVVO zustande gekommene Europäische Zahlungsbefehle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die automatische gemeinschaftsweite Erweiterung der Vollstreckbarkeit in zusammenfassender Betrachtung . . . . . . . . . . . . a) EU-weite Vollstreckbarkeit als automatische Erstreckung von im Ursprungsland vorhandener Durchsetzbarkeit . . . . . b) Unterscheidung zwischen gemeinschaftsweit europäisierten nationalen Befugnissen und europäischen gemeinschaftsweiten Befugnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Strukturmerkmal 2: Maßgeblichkeit der lex fori executionis und Gleichstellung in Bezug auf die Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Strukturmerkmal 3: Konzentration des gerichtlichen Rechtsschutzes im Ursprungsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zurückdrängung gerichtlicher Überprüfungsbefugnisse des Vollstreckungsstaates in Folge des Fehlens eines inländischen Exequaturs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zurückdrängung des Rechtsschutzes im Vollstreckungsstaat durch den Grundsatz der Euro-Ubiquität . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
534 535 535
536 536 538 540 541 543 544 544
546 547 548
550 550
Inhaltsverzeichnis 3. Grenzen des Konzentrationsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung und anwendbare Wirkungsprämissen . . . . . . . . 1. Geltung von Prämisse 1 (Keine Erweiterung des Leistungsbefehls) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Geltung von Prämisse 2 (Intensivierungen allein aufgrund Abweichungen der Vollstreckungsregelungen akzeptabel) . . . . 3. Geltung von Prämisse 3 (Keine Ungleichbehandlung ausund inländischer Titel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Vollstreckung Gemeinschaftsweiter Titel im Zweitland vor deren Rechtskrafteintritt im Ursprungsland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Vollstreckung von Entscheidungen i. S. v. Art. 40–45 EuEheVO vor Rechtskrafteintritt im Ursprungsland . . . . . . . . . . . . 1. Umfang einstweilen bestehender Vollstreckungsbefugnisse und Erfordernis einer Gläubigersicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Möglichkeiten, aus Gründen fehlender Rechtskraft im Ursprungsland die Vollstreckbarkeit auszusetzen oder zu beschränken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Vollstreckung Europäischer Vollstreckungstitel vor Rechtskraft der Entscheidung im Ursprungsland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Möglichkeiten, aus Gründen fehlender Rechtskraft im Ursprungsland die Vollstreckbarkeit auszusetzen oder zu beschränken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Umfang einstweilen bestehender Vollstreckungsbefugnisse und Erfordernis einer Gläubigersicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Unterhaltstitel i. S. v. Art. 17–22 EuUnthVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Möglichkeiten, aus Gründen fehlender Rechtskraft im Ursprungsland die Vollstreckbarkeit auszusetzen oder zu beschränken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Umfang der einstweilen bestehenden Vollstreckungsbefugnisse und Erfordernis einer Gläubigersicherheit . . . . . . . . . . . . . IV. Europäische Bagatellurteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Möglichkeiten, aus Gründen fehlender Rechtskraft im Ursprungsland die Vollstreckbarkeit auszusetzen oder zu beschränken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erfordernis einer Gläubigersicherheit und Umfang der einstweilen bestehenden Vollstreckungsbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . V. Europäische Zahlungsbefehle nach der EuMVVO . . . . . . . . . . . . . C. Beachtlichkeit materieller Einwendungen gegen Gemeinschaftsweite Titel im Vollstreckungsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die textliche Ausgangslage in EuVTVO, EuGFVO, EuMVVO, EuUnthVO und EuEheVO zur Frage der Geltendmachung materieller Einwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31 552 553 553 554 555 555 557 557 558 558
560 561
562 563 565
566 568 570
571 571 572 573
575
32
Inhaltsverzeichnis 1. Lösungshinweise aus Art. 23 EuVTVO und Art. 23 EuGFVO? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Hinweise aus Art. 23, 22 II und 26 EuMVVO? . . . . . . . . . . . . . 3. Hinweise aus Art. 21 I EuUnthVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung der Textanalyse und Lösungsansätze in der Lit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Folgerungen aus dem Konzentrationsprinzip (Strukturmerkmal 3) 1. Die zweitstaatliche Zuständigkeit für vollstreckungsrechtliche Rechtsbehelfe als Zuständigkeitsgrund für Vollstreckungsgegenrechtsbehelfe vor Ort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Konzentrationsprinzip als Argument gegen die Zuständigkeit für Vollstreckungsgegenrechtsbehelfe im Zweitland . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vereinbarkeit zweitstaatlicher Vollstreckungsgegenrechtsbehelfe mit der automatischen territorialen Vollstreckbarkeitserweiterung (Strukturmerkmal 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Erforderlichkeit von Vollstreckungsgegenrechtsbehelfen im Zweitstaat aus Gründen des Schuldnerschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausreichender Schutz des Schuldners durch verordnungseigene Rechtsbehelfe und durch die Möglichkeit, den Titel im Ursprungsland anzugreifen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesteigertes Schutzbedürfnis durch Entfall des Exequaturs . . . V. Ergebnis und Kreis der statthaften Vollstreckungsgegeneinwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Methoden und Grenzen der Zwangsanwendung bei der Vollstreckung aus Gemeinschaftsweiten Titeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Fortgeltung von Zwischenverfahren vor Vollstreckungszugriff . . . II. Handhabung besonderer Vollstreckungsvoraussetzungen . . . . . . . . III. Das für die Vollstreckungsschranken maßgebliche Recht . . . . . . . .
§ 13 Die Wirkungen der Anerkennung Gemeinschaftsweiter Titel . . . . . . . . A. Vorab: Anerkennungsvoraussetzungen für Gemeinschaftsweite Titel . . I. Wortlauthinweise aus den Vorschriften von EuVTVO, EuGFVO, EuMVVO, EuUnthVO und EuEheVO zur Frage der Anerkennungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die textliche Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorgaben in der EuVTVO, EuGFVO, EuMVVO und in Art. 40–45 EuEheVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorgaben in der EuUnthVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zusammenfassung: Eindeutige Rechtslage nur in der EuUnthVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Hinweise aus den Materialien des Gesetzgebungsprozesses . . . II. Teleologische Auslegungshinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Zweck der Beseitigung des Exequaturverfahrens . . . . . . . .
575 577 580 581 582
582 584 587
587 589
589 592 596 597 598 599 603 607 607
608 608 608 610 612 612 614 614
Inhaltsverzeichnis 2. Gleichlauf von Vollstreckbarkeit und Anerkennungsfähigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Erfordernis weiterer Wirkungen zur Absicherung der EU-weiten Titelgeltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Konstellation 1: Rückforderungsklage im Ausland nach Vollstreckungsbeginn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konstellation 2: Erneute Klage im Ausland nach Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Konstellation 3: Automatische Bindungswirkung vor Vollstreckungsbeginn? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Konstellation 4: Bindungswirkung bei Präjudizialität? . . . . . . . 5. Ergebnis: Begleitende Bindungswirkung nur ab Vollstreckungsbeginn erforderlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung: Die Anerkennungsmodalitäten für Gemeinschaftsweite Titel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Wirkungen der Anerkennung Gemeinschaftsweiter Titel . . . . . . . . I. Die Wirkungen der Anerkennung Europäisierter Titel . . . . . . . . . . II. Die Wirkungen der Anerkennung echter Europäischer Titel . . . . 1. Die objektive Reichweite der Rechtskraft Europäischer Titel 2. Die subjektive Reichweite der Rechtskraft und anderer Bindungswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Inhalt der Präklusionswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zeitliche Präklusionsgrenze bei Europäischen Zahlungsbefehlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zeitliche Präklusionsgrenze bei Europäischen Bagatellurteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Gemeinschaftsweite auf Abgabe einer Willenserklärung lautende Titel und deren Durchsetzung im Wege der Fiktion nach § 894 ZPO . . I. Vorab: Verpflichtungen zur Abgabe einer Willenserklärung gemeinschaftsweit titulierbar? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Konstellation A: Gemeinschaftsweiter Titel entstammt einem Land mit Fiktionsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Konstellation B: Gemeinschaftsweiter Titel gelangt in ein Land mit Fiktionswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
615 618 618 620 621 622 623 624 625 625 626 627 629 630 632 633 633 634 635 638
Teil V Schluss
640
§ 14 Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 640 A. Die Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO (Teil II) in zusammenfassender Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 640 I. Die objektive Reichweite der Rechtskraft ausländischer Entscheidungen (§ 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 641
34
Inhaltsverzeichnis II. Die subjektive Wirkungsreichweite ausländischer Entscheidungen (§ 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Gestaltungswirkung ausländischer Entscheidungen (§ 6) . . . . IV. Die Präklusion durch Rechtskraft ausländischer Entscheidungen (§ 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Wirkungen der Vollstreckbarerklärung nach der EuGVVO (Teil III) in zusammenfassender Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Modalitäten der Vollstreckung aus Auslandstiteln bis Rechtskrafteintritt im Ursprungsland (§ 9) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bestandsfestigkeit der Vollstreckbarkeit gegenüber materiellen Einwendungen (§ 10) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Methoden und Grenzen der Zwangsanwendung bei der Vollstreckung ausländischer Entscheidungen (§ 11) . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die Wirkungen unmittelbarer Titelgeltung (Teil IV) in zusammenfassender Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Wirkungen unmittelbarer Vollstreckbarkeit (§ 12) . . . . . . . . . . II. Die Wirkungen der Anerkennung Gemeinschaftsweiter Titel (§ 13) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 15 Schlussbetrachtung: Einheitliches Modell grenzüberschreitender Titelgeltung innerhalb der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Wirkungserstreckung hinsichtlich „Ob“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Gleichstellung hinsichtlich „Wie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Zuordnung der Einzelaspekte und Sonderregel bei Gemeinschaftsweiten Titeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verzeichnis der zitierten Rechtstexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Konventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Innerstaatliches Recht Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Innerstaatliches Recht England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Innerstaatliches Recht Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Innerstaatliches Recht andere Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
643 646 647 649 650 651 653 656 656 657 659 659 660 660 662 662 663 665 666 667 668
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 670 Rechtsprechungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Sonstige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
707 707 708 716 723 728
Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 730
Abkürzungsverzeichnis % & ./. £ §(§) e 1re ch. 1re civ. 2e civ. 3e civ. 4. ZPEMRK A&E a. A. a. a. O. ABl. EG ABl. EU Abs. A.C. AcP a. E. AEUV a. F. AG al. All ER allg. Alt. Am.J.Comp.L. AnfG Anh. Anm. Arg. Art. ass.pl. Aufl.
Prozent und gegen Pfund Sterling (Großbritannien) Paragraph(en) Euro première chambre (Cour d’appel) première chambre civile (Cour de cassation) deuxième chambre civile (Cour de cassation) troisième chambre civile (Cour de cassation) Viertes Zusatzprotokoll zur EMRK (s. Verz. d. Rechtstexte) Adolphus & Ellis’ Queen’s Bench Reports andere Ansicht am angegebenen Ort Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Amtsblatt der Europäischen Union Absatz Law Reports, Appeal Cases Archiv für die civilistische Praxis am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (s. Verz. d. Rechtstexte) alte Fassung Amtsgericht alinéa (frz., „Absatz“) All England Law Reports allgemein Alternative The American Journal of Comparative Law Anfechtungsgesetz (s. Verz. d. Rechtstexte) Anhang Anmerkung Argument Artikel assemblée plénière (Cour de cassation) Auflage
36 Ausg. AVAG B. & S. BAG BauR BayObLG BayObLGZ BB Bd. BeitrittsÜ Bek. BGB BGBl. BGH BGHZ Bing. Bl. BRAK BR-Drucks. Brit.Y.B.Int’l L. bspw. BT-Drucks. Bull. ass. plen. Bull. civ.
Bull. réun. BVerfG BVerfGE bzw. c. c/ Cal. 2d Cal. 3d C.B. N.S. c.c. CC CComm CCR Ch. Ch.D.
Abkürzungsverzeichnis Ausgabe Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz (s. Verz. d. Rechtstexte) Best & Smith’s Queen’s Bench Reports Bundesarbeitsgericht Zeitschrift für das gesamte öffentliche und zivile Baurecht Bayerisches Oberstes Landesgericht Sammlung des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Zivilsachen Betriebs-Berater Band Beitrittsübereinkommen Bekanntmachung Bürgerliches Gesetzbuch (s. Verz. d. Rechtstexte) Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bingham’s Common Pleas Reports Blatt Bundsrechtsanwaltskammer Bundesratsdrucksache British Year Book of International Law beispielsweise Bundestagsdrucksache Bulletin des arrêts de la Cour de cassation, assemblée plénière Bulletin des arrêts de la Cour de cassation, chambres civiles: I: première partie; II: deuxième partie; III: troisième partie; IV: quatrième partie; V: cinquième partie Bulletin des arrêts de la Cour de cassation, chambres réunies Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts beziehungsweise chapter contre (frz., „gegen“) California Reports, Second Series California Reports, Third Series Common Bench Reports (New Series) Codice Civile Italiano (s. Verz. d. Rechtstexte) Code Civil (s. Verz. d. Rechtstexte) Code de commerce (s. Verz. d. Rechtstexte) County Court Rules (s. Verz. d. Rechtstexte) Law Reports, Chancery Division (3rd Series); Chapter Law Reports, Chancery Division (2nd Series)
Abkürzungsverzeichnis Cic CISG civ. CJ CJQ CLR Clunet Co comm. COrgJud c.p.c. CPC CPO CPR Ctrav d. D. DAVorm.
37
culpa in contrahendo UN-Kaufrecht 1980 (s. Verz. d. Rechtstexte) chambre civile (Cour de cassation bis 1947) Chief Justice (England & Wales) Civil Justice Quarterly Commonwealth Law Reports Journal de droit international (JDI) Corporation chambre commerciale et finanière (Cour de cassation) Code de l’organisation judiciaire (s. Verz. d. Rechtstexte) Codice di Procedura Civile (s. Verz. d. Rechtstexte) Code de Procédure Civile (s. Verz. d. Rechtstexte) Civilprozeßordnung (jetzt ZPO) Rules of Civil Procedure (s. Verz. d. Rechtstexte) Code du travail (s. Verz. d. Rechtstexte) der/des District (USA) Der Amtsvormund (Rundbrief des Deutschen Instituts für Vormundschaftswesen) DDR Deutsche Demokratische Republik Décr. 1992 Décret nº 92–755 du 31 juillet 1992 (s. Verz. d. Rechtstexte) Décr. 2006 Décret nº 2006–936 du 27 juillet 2006 (s. Verz. d. Rechtstexte) De G.M.& G. De Gex, Macnaghten & Gordon’s Chancery Reports Den.C.C. Denison & Pearce’s Crown Cases Reserved ders. derselbe DGVR Deutsche Gesellschaft für Völkerrecht Dienstleistungs-RL Richtlinie 2006/123/EG (s. Verz. d. Rechtstexte) dies. dieselbe disp.pre.c.c. Disposizioni preliminari al codice civile (s. Verz. d. Rechtstexte) Diss. Dissertation doctr. doctrine DP Recueil périodique et critique de jurisprudence, de législation et de doctrine, Dalloz DS Recueil Dalloz Sirey de doctrine de jurisprudence et de législation DStR Deutsches Steuerrecht ebd. ebenda eG eingetragene Genossenschaft EG Europäische Gemeinschaft EGBGB Einführungsgesetz z. BGB (s. Verz. d. Rechtstexte) EGV Römischer Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (s. Verz. d. Rechtstexte)
38 ehem. Einl. einschl. EMRK endg. engl. entspr. Entw. EO E.R. ErwG. et al. etc. EU EuEheVO EuGFVO EuGH EU-Grundrechtecharta EuGVÜ EuGVVO EuGVVO-E 2010 EuInsVO EuMVVO EuR EuUnthVO EUV EUV n. F. EuVTVO EuZustVO EuZW EWCA Civ EWHC (Ch)
Abkürzungsverzeichnis ehemals Einleitung einschließlich Europäische Menschenrechtskonvention (s. Verz. d. Rechtstexte) endgültig englisch entsprechend Entwurf Exekutionsordnung (s. Verz. d. Rechtstexte) English Reports Erwägungsgrund et alii (und andere) et cetera Europäische Union Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 („Brüssel II-Verordnung“) (s. Verz. d. Rechtstexte) Verordnung (EG) Nr. 861/2007 („Bagatellverfahrens-Verordnung“) (s. Verz. d. Rechtstexte) Europäischer Gerichtshof Charta der Grundrechte der Europäischen Union (s. Verz. d. Rechtstexte) Brüsseler EWG-Übereinkommen v. 1968 (s. Verz. d. Rechtstexte) Verordnung (EG) Nr. 44/2001 („Brüssel I-Verordnung“) (s. Verz. d. Rechtstexte) Entwurf der Europäischen Kommission für die Neufassung der EuGVVO vom 14.12.2010 (KOM (2010) 748 endg.) Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 („Insolvenz-Verordnung“) (s. Verz. d. Rechtstexte) Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 („Mahnverfahrens-Verordnung“) (s. Verz. d. Rechtstexte) EUROPARECHT (Zeitschrift) Verordnung (EG) Nr. 4/2009 („Unterhalts-Verordnung“) (s. Verz. d. Rechtstexte) Vertrag über die Europäische Union (s. Verz. d. Rechtstexte) EUV i. d. F. des Vertrages von Lissabon (s. Verz. d. Rechtstexte) Verordnung (EG) Nr. 805/2004 („Vollstreckungstitel-Verordnung“) (s. Verz. d. Rechtstexte) Verordnung (EG) Nr. 1391/2007 („Zustellungs-Verordnung“) (s. Verz. d. Rechtstexte) Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Court of Appeal (Civil Division) (Entscheidungssammlung) England & Wales High Court (Chancery Division) (Entscheidungssammlung)
Abkürzungsverzeichnis f.; ff. F. F.2d F.3d FamFG FamRÄndG FamRZ fasc. Fed.R.Civ.P. FG Fn. FPR F.R.D. frz. FS F. Supp. G. Gaz. Pal. GbR gem. gen. GG ggf. GmbH GmbHG GmbH-Rdsch griech. Verf. griech. ZPO GRUR GS GVGA GWB H&C Hare HCEO Hdb. Herv. HGB High Court
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folgende Fall Federal Reporter, Second Series Federal Reporter, Third Series Familienrechtsverfahrensgesetz (s. Verz. d. Rechtstexte) Familienrechtsänderungsgesetz (s. Verz. d. Rechtstexte) Zeitschrift für das gesamte Familienrecht fascicule (frz., „Lieferung“) Federal Rules of Civil Procedure (s. Verz. d. Rechtstexte) Freundesgabe Fußnote Familie Partnerschaft Recht Federal Rules Decisions französisch Festschrift Federal Supplement Gesetz Gazette du Palais Gesellschaft bürgerlichen Rechts gemäß genannt Grundgesetz (s. Verz. d. Rechtstexte) gegebenenfalls Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbH-Gesetz (s. Verz. d. Rechtstexte) GmbH Rundschau griechische Verfassung (s. Verz. d. Rechtstexte) griechische ZPO (s. Verz. d. Rechtstexte) Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gedächtnisschrift Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher (s. Verz. d. Rechtstexte) Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (s. Verz. d. Rechtstexte) Hurlstone & Coltman’s Exchequer Reports Hare’s Chancery Reports High Court Enforcement Officer (England & Wales) Handbuch Hervorhebung Handelsgesetzbuch (s. Verz. d. Rechtstexte) High Court of Justice (England & Wales)
40 HKEntfÜ h. L. h. M. HMCS Hrsg.; hrsg. Hs. HUntStProt 2007 HZÜ I.C.R. i.d.Bek. i. d. F. IHR i. H. v. I.L.Pr. inc. insbes. Int. Encycl. Comp. Law InVo IPG IPR IPRax IPRspr. i. S. d.; i. S. v. i.Ü. i. V. m. IZVR J Jan. JbeitrO JBl. J.-Cl. Dr. intern. J.-Cl. Proc. civ. JCP JR jur. JURA JuS JW JZ
Abkürzungsverzeichnis Haager Kindesentführungsübereinkommen (s. Verz. d. Rechtstexte) herrschende Lehre herrschende Meinung Her Majesty’s Courts Service (England & Wales) Herausgeber; herausgegeben Halbsatz Haager Protokoll vom 23.11.2007 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht (s. Verz. d. Rechtstexte) Haager Zustellungsübereinkommen (s. Verz. d. Rechtstexte) Industrial Cases Reports in der Bekanntmachung in der Fassung Internationales Handelsrecht in Höhe von International Litigation Procedure incorporated insbesondere International Encyclopedia of Comparative Law Insolvenz & Vollstreckung Gutachten zum internationalen und ausländischen Privatrecht Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts Deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiete des internationalen Privatrechts im Sinne der/des; im Sinne von im Übrigen in Verbindung mit Internationales Zivilverfahrensrecht Justice (England & Wales) Januar Justizbeitreibungsordnung (s. Verz. d. Rechtstexte) Juristische Blätter Juris Classeur droit international Juris Classeur de procedure civile Juris-Classeur périodique, La semaine juridique Juristische Rundschau jurisprudence Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristen-Zeitung
Abkürzungsverzeichnis K.B. Kfz KG KOM krit. L. 1991 lat. LC LEC LG lit. Lit. LJ Lloyd’s Rep. Lloyd’s Rep. I.R. LM Losebl. LQR L.R.App.Cas. L.R. Ch.App. L.R. Ch.D. L.R. H.L. L.R.P.& D. LS Gaz Ltd. LugÜ M&W Man.& G. M.D. MDR MittBayNot MMR Moore P.C. MR m. w. N. nº N.B.W. N.D.
41
Law Reports, King’s Bench Kraftfahrzeug Kammergericht; Kommanditgesellschaft Dokument der Europäischen Kommission kritisch Loi nº 91–650 du 9 juillet 1991 (s. Verz. d. Rechtstexte) lateinisch Lord Chancellor (England & Wales) Ley de Enjuiciamiento Civil (Zivilprozessordnung Spanien) (s. Verz. d. Rechtstexte) Landgericht litera (Buchstabe) Literatur Lord Justice (England & Wales) Lloyd’s Law Reports Lloyd’s Law Reports Insurance & Reinsurance Lindenmaier-Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofes (Losebl.-Ausg.) Loseblatt Law Quarterly Review Law Reports, Appeal Cases (Second Series) Law Reports, Chancery Appeal Cases Law Reports, Chancery Division Law Reports, English & Irish Appeals Law Reports, Probate & Divorce Cases Law Society Gazette Private company limited by shares (England & Wales) Luganer Übereinkommen (s. Verz. d. Rechtstexte) Meeson & Welsby’s Exchequer Reports Manning & Granger’s Common Pleas Reports Middle District (USA) Monatsschrift für Deutsches Recht Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins, der Notarkasse und der Landesnotarkammer Bayern Multimedia und Recht – Zeitschrift für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht Moore’s Privy Council Cases Master of the Rolls (England & Wales) mit weiteren Nachweisen numéro (frz., „Nummer“) Nieuw Burgerlijk Wetboek (Zivilgesetzbuch Niederlande) (s. Verz. d. Rechtstexte) Northern District (USA)
42 Neuaufl. Neubearb. n. F. NI NJW NJW-RR NotBZ
Abkürzungsverzeichnis
Neuauflage Neubearbeitung neue Fassung Northern Ireland Law Reports Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift – Rechtsprechungs-Report Zeitschrift für die notarielle Beratungs- und Beurkundungspraxis Nr(n). Nummer(n) NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht OGH Oberster Gerichtshof (Österreich) OHG Offene Handelsgesellschaft OLG Oberlandesgericht OLGRspr. Rechtsprechung der Oberlandesgerichte auf dem Gebiete des Zivilrechts (hrsg. v. B. Mugdan u. R. Falkmann, 1900–1928) OLGZ Entscheidungssammlung der Oberlandesgerichte in Zivilsachen ord. order öZPO Zivilprozessordnung Österreich (s. Verz. d. Rechtstexte) p. page (frz., „Seite“) P. Law Reports, Probate para. paragraph(s) PD Practice Direction Pkt. Punkt PLC Public limited company (England & Wales) Prés. Président (Frankreich) pt. part Q.B. Law Reports, Queen’s Bench (3rd Series) Q.B.D. Law Reports, Queen’s Bench Division Q.C. Queen’s Counsel (England & Wales) r. rule RabelsZ Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Ratsdokument Dokument des Rates der Europäischen Union RCDIP Revue critique de droit international privé RD publ. Revue du droit public et de la science politique en France et à l’étranger req. chambre des requêtes (Cour de cassation) réun. chambre réunies (Cour de cassation) Rev. huissiers Revue des Huissiers de Justice Rev.trim.dr.civ. Revue trimestrielle de droit civil Rev.trim.dr.europ. Revue trimestrielle de droit européen RG Reichsgericht RGRK-BGB Reichsgerichtsrätekommentar zum BGB
Abkürzungsverzeichnis RGZ RHDI RheinZ RIW RIW/AWD
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Rechtsprechungssammlung des Reichsgerichts Revue Hellénique de droit international Rheinische Zeitschrift für Zivil- und Prozessrecht Recht der Internationalen Wirtschaft Recht der Internationalen Wirtschaft, Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters Rn. Randnummer(n) Rom I-VO Verordnung (EG) Nr. 593/2008 (s. Verz. d. Rechtstexte) Rom II-VO Verordnung (EG) Nr. 864/2007 (s. Verz. d. Rechtstexte) Rpfleger Der Deutsche Rechtspfleger RPflG Rechtspflegergesetz (s. Verz. d. Rechtstexte) Rs. Rechtssache RSC Rules of the Supreme Court (s. Verz. d. Rechtstexte) Rspr. Rechtsprechung s. section; siehe S. Seite(n); Satz; Sirey – Recueil général des lois et des arrêts S.A. société anonyme (Aktiengesellschaft, Frankreich) sch. schedule SchKG Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz Schweiz (s. Verz. d. Rechtstexte) S.D. Southern District (USA) SJZ Süddeutsche Juristenzeitung Slg. Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofs soc. chambre sociale (Cour de cassation) Sp. Spiegelstrich StAZ Zeitschrift für das Standesamtswesen st.Rspr. ständige Rechtsprechung SZIER Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht Term Rep. Durnford & East’s Term Reports, King’s Bench Tul. Mar. L.J. Tulane Maritime Law Journal u. und u. a. und andere; unter anderem UN-Zivilpakt 1966 International Covenant on Civil and Political Rights 1966 (s. Verz. d. Rechtstexte) U.S. United States Supreme Court Reports USA Vereinigte Staaten von Amerika U.S.C. United States Code (s. Verz. d. Rechtstexte) v. vom/von; versus (lat., „gegen“) Var. Variante VC Vice Chancellor (England & Wales) Verf. Verfasser VersR Zeitschrift für Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht
44 Verz. VG vgl. VO Vol. Vorbem. VVG VwVfG W.D. WL W.L.R. WM Y. & C. C. C. YPIL z. z. B. ZEuP ZfRV Ziff. ZInsO ZPO zust. ZVG ZZP ZZP Int.
Abkürzungsverzeichnis Verzeichnis Verwaltungsgericht vergleiche Verordnung Volume Vorbemerkung Versicherungsvertragsgesetz (s. Verz. d. Rechtstexte) Verwaltungsverfahrensgesetz (s. Verz. d. Rechtstexte) Western District (USA) Westlaw Weekly Law Reports Wertpapier-Mitteilungen – Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht Young & Collyer’s Chancery Reports Yearbook of Private International Law zur/zum/zu zum Beispiel Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Europarecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung Ziffer(n) Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht Zivilprozessordnung (s. Verz. d. Rechtstexte) zustimmend Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (s. Verz. d. Rechtstexte) Zeitschrift für Zivilprozeß Zeitschrift für Zivilprozess International
Teil I
Einführung und Grundlegung § 1 Ausgangspunkt, Fragestellung und Vorgehensweise Die vorliegende Untersuchung befasst sich mit sämtlichen Wirkungen, 1 die zivilrechtlichen Gerichtsentscheidungen außerhalb ihres Erlassstaates zukommen können. Urteilswirkungen lassen sich in zwei Gruppen einteilen [A.]. Entsprechend dieser Zweiteilung unterscheiden sich auch die Voraussetzungen, unter denen sie in einem anderen als dem Ursprungsland der Entscheidung gelten. Übereinstimmend stellt sich jedoch die Frage nach dem Inhalt der ins Ausland transportierten Wirkungen [B.]. Dieses Problem will diese Arbeit umfassend behandeln.
A. Die zwei Gruppen von Entscheidungswirkungen Am Ende eines zivilprozessualen Erkenntnisverfahrens steht in fast allen 2 Fällen eine Gerichtsentscheidung.1 Diese gibt das Ergebnis der richterlichen Tätigkeit wieder, welches nunmehr „in die Tat umgesetzt“ werden muss. Je nach Art der in einer Entscheidung2 enthaltenen Aussage geschieht dies auf unterschiedliche Weise und zu verschiedenen Zeitpunkten. Richterliche Festlegungen, die die Außenwelt des menschlichen Lebens betreffen, sind vollstreckungsfähig. Das bedeutet, dass sie – soweit nicht freiwillig befolgt – nur im Wege der Zwangsvollstreckung, also mit Hilfe staatlicher Gewalt durchgesetzt werden können. Dies ist bei allen Leistungstiteln der Fall, deren Vollstreckbarkeit zwar noch nicht selbst den Richterspruch umsetzt, dies aber ermöglicht. Soweit Gerichtsentscheidungen demgegenüber eine Rechtsgestaltung oder 3 bloße Feststellung enthalten, kommt ihnen ein nicht vollstreckungsfähiger Inhalt zu. Dieser kann sich unmittelbar von selbst durchsetzen: Da Gestaltungsurteile ausschließlich die gedankliche Ordnung des Rechts umformen 1 Ausnahmen hiervon sind etwa denkbar, wenn die Klage zurückgenommen wurde oder die Parteien einen gerichtlichen Vergleich geschlossen haben. 2 Wenn hier und im Folgenden von „Gerichtsentscheidung“, „gerichtlicher Entscheidung“, „Richterspruch“, „Rechtspruch“, „Judikat“ oder „Urteil“ die Rede ist, ist damit grundsätzlich dasselbe gemeint.
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Teil I: Einführung und Grundlegung
und Feststellungsurteile lediglich Sach- oder Rechtsfragen verbindlich klären, können beide Urteilsarten ohne weitere Vollzugsakte ihren Zweck erfüllen. Sie realisieren sich durch die ihnen zukommende Gestaltungs- und Feststellungswirkung. Insoweit kann man von einem Vollzug sprechen, der bereits im Urteil selbst enthalten ist. Oder auch von einer Vollstreckung im weiteren Sinne, die ohne Zwangsanwendung auskommt. Gleiches gilt für die Rechtskraftwirkung in ihrer objektiven und subjektiven Reichweite sowie die durch sie ausgelöste Präklusionswirkung. Diese Wirkungen setzen eine Eigenschaft des Richterspruchs um, die ebenfalls nicht vollstreckungsfähig ist, nämlich seine zukünftige Verbindlichkeit. Diese Eigenschaft wird – anders als Leistungspflichten, Rechtsgestaltungen und Feststellungen – nicht ausdrücklich vom Gericht angeordnet. Vielmehr hat jede Gerichtsentscheidung kraft ihres Wesens automatisch zukünftige Verbindlichkeit. Rechtskraft und Präklusion wirken auf der Ebene des Prozessrechts, indem sie für zukünftige Erkenntnisverfahren festlegen, welche Rechtsfragen in diesen geprüft und welche Tatsachen zu bestimmten Fragen gewürdigt werden dürfen. Auch diese dem Bestandsschutz der Entscheidung dienenden Vorgaben bedürfen keiner Vollstreckung, weil erwartet werden kann, dass staatliche Gerichte sich auch ohne Zwangsanwendung an sie halten werden. 4
Zur Zusammenfassung: Die in Gerichtsentscheidungen enthaltenen Inhalte lassen sich nach ihrer Vollstreckungsfähigkeit in zwei Gruppen einteilen. Nicht vollstreckungsfähig sind gerichtlich ausgesprochene Rechtsgestaltungen und Feststellungen, die jeweils schon allein durch die Gestaltungsbzw. Feststellungswirkung umgesetzt werden. Gleiches gilt für die in jeder Gerichtsentscheidung stillschweigend enthaltene Aussage, dass die Entscheidung verbindlich sein soll. Sie wird durch Rechtskraft- und Präklusionswirkung realisiert. Vollstreckungsfähig sind demgegenüber nur die gerichtlich angeordneten Leistungspflichten. Da diese nur durch ein Beitreibungsverfahren umgesetzt werden können, kommt Leistungstiteln Vollstreckbarkeit zu. Diese Titelwirkung ist im Vergleich zu den Wirkungen zur Umsetzung der nicht vollstreckungsfähigen Inhalte weniger und gleichzeitig mehr: Weniger, weil sie die Verwirklichung lediglich ermöglicht, diese noch nicht in sich trägt. Mehr, weil sie zur Durchführung eines Zwangsverfahrens berechtigt und insoweit auch Freiheitsbeschränkungen zu Lasten des Verpflichteten erlaubt.
§ 1 Ausgangspunkt, Fragestellung und Vorgehensweise
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B. Der grenzüberschreitende Transport von Titelwirkungen und die sich hierbei ergebenden Fragen Die Dualität vollstreckungsfähiger und nicht vollstreckungsfähiger Titel- 5 inhalte setzt sich im Internationalen Zivilverfahrensrecht fort, wenn es darum geht, die jeweiligen mit ihnen korrespondierenden Titelwirkungen über Landesgrenzen hinweg zu transportieren: Die prozessuale Anerkennung erfasst alle von ausländischen Entscheidun- 6 gen ausgehenden nicht vollstreckungsfähigen Effekte und erweitert sie territorial auf das Inland: Kommt dem Judikat im Anerkennungsland3 Rechtskraft zu, ist es auch für die dortigen Gerichte verbindlich. Entfaltet es hier zusätzlich Präklusionswirkung, ist das Vorbringen vermeintlich neuer Tatsachen auch im Zweitland ausgeschlossen. Genauso werden Gestaltungs- und Feststellungswirkung durch Anerkennung auf andere Länder ausgedehnt, mit der Folge, dass eine Umformung der Rechtslage bzw. eine Feststellung auch für das Ausland gilt. Im Gebiet der EU regeln zwar Art. 33–37 EuGVVO einheitlich die Voraussetzungen der Anerkennung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. Welche Rechtsfolgen sie hat, ist hingegen nicht festgelegt. Soweit die Entscheidungswirkungen in den berührten Rechtsordnungen unterschiedliche Inhalte haben, ist daher fraglich, was deren Anerkennung bedeutet: Bewirkt sie, dass dem Judikat im Zweitstaat dieselben Effekte zukommen, wie sie im dortigen Recht vorgesehen sind, oder richten sie sich nach den Vorschriften einer anderen Rechtsordnung? Sollen ausländische Titel im Inland vollstreckt werden, reicht deren An- 7 erkennung hierfür nicht aus. Vielmehr ist dann eine Vollstreckbarerklärung grundsätzlich unverzichtbar. Diese wird für den Zweitstaat von den dortigen Stellen nach dem EU-weit einheitlichen Verfahren gem. Art. 38–56 EuGVVO erteilt. Die sich daran anschließende Anspruchsdurchsetzung unterliegt jedoch nicht europäischem, sondern dem autonomen Recht des Vollstreckungsstaates.4 Vor dem Hintergrund, dass dessen Regelungen von denen anderer Länder abweichen können und ohnehin nur auf die Durchsetzung inländischer Titel zugeschnitten sind, ergibt sich ein ähnliches Problem wie bei der Anerkennung: Werden fremde Entscheidungen genauso 3 Wenn hier und im Folgenden von „Anerkennungsland“ oder „-staat“, „Zweitland“ oder „-staat“, „Vollstreckungsland“ oder „-staat“, etc. gesprochen wird, ist damit grundsätzlich dasselbe gemeint. Ebenso werden „Erstland“ oder „-staat“, „Ursprungsland“ oder „-staat“, „Ausgangsland“ oder „-staat“, „Entscheidungsland“ oder „-staat“, etc. gleichbedeutend verwendet. 4 In der EuGVVO treffen nur deren Art. 46, 47 und 49 eigene Regelungen für die Vollstreckung.
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Teil I: Einführung und Grundlegung
vollstreckt wie inländische oder ist ihrer ausländischen Herkunft im Vollstreckungsverfahren Rechnung zu tragen? 8
Die Vollstreckbarerklärung als Notwendigkeit für die Durchsetzung ausländischer Richtersprüche ist im Europäischen Internationalen Zivilverfahrensrecht allerdings im Niedergang begriffen. Neuerdings können bestimmte Titel auch unmittelbar, d.h. ohne vorheriges Zwischenverfahren im Zweitland beigetrieben werden (in dieser Arbeit werden diese Titel als „Gemeinschaftsweite Titel“ bezeichnet5). Was für Spezialbereiche bereits möglich ist, soll zukünftig in eine allgemeine Freizügigkeit von Entscheidungen im Gemeinschaftsgebiet münden.6 Hierbei stellen sich dieselben Fragen wie bei den herkömmlichen Wegen des Imports ausländischer Titel: Wie werden sie im Zweitland durchgesetzt? Welche Wirkungen hat deren Anerkennung? Und außerdem: Nach welchen Regeln werden sie eigentlich anerkannt?
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Das Europäische Internationale Zivilverfahrensrecht kennt also mit Anerkennung, Vollstreckbarerklärung und unmittelbar grenzüberschreitender Titelgeltung gegenwärtig drei Schienen, über die Gerichtsentscheidungen und andere Vollstreckungstitel in anderen Mitgliedstaaten Effekte entfalten können. Jeweils stellt sich die Frage, welchen Inhalt diese haben. Dies ist Thema der vorliegenden Arbeit, die Lösungsvorschläge für die Wirkungen von Anerkennung, Vollstreckbarerklärung und Vollstreckbarkeit ausländischer Titel im Zweitstaat entwickeln will. Eine gleichzeitige Behandlung verspricht ertragreich zu sein, weil Gemeinsamkeiten und Unterschiede der verschiedenen Arten des Titelimports aufgedeckt und damit möglicherweise Parallelen und Gegenschlüsse gezogen werden können. Auf jeder Schiene der territorialen Geltungserweiterung wird der Titel gleichsam seiner „angestammten“ Rechtsordnung entrissen und muss in das neue rechtliche System des Zweitstaates integriert werden. Jeweils sind also verschiedene Rechtsordnungen zu koordinieren.
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Der Systemwechsel im Europäischen Internationalen Zivilverfahrensrecht hin zur unmittelbaren Titelgeltung hat bereits die Hälfte seines Weges hinter sich. An diesem Punkt steht die vorliegende Arbeit. Sie will die gegenwärtige Rechtslage analysieren und sowohl Zweifelsfragen behandeln, die sich im „alten“ System ergeben, als auch diejenigen in den Blick nehmen, die im „neuen“ System auftreten. 5 Begrifflich werden im Folgenden zwei Arten von „Gemeinschaftsweiten Titeln“ unterschieden: Die sog. „Europäisierten Titel“ kommen nach autonomem Recht des Ursprungsstaates zustande und erlangen daraufhin kraft Gemeinschaftsrecht gemeinschaftsweite Vollstreckbarkeit. Demgegenüber werden die „Europäischen Titel“ direkt nach europäischem Recht erlassen und sind gemeinschaftsweit vollstreckbar. s. hierzu sogleich Rn. 37–51. 6 Vgl. hierzu sogleich Rn. 32–54.
§ 1 Ausgangspunkt, Fragestellung und Vorgehensweise
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C. Methode der vorliegenden Untersuchung Grundlage für die Behandlung der dargestellten Probleme des europäi- 11 schen Rechts sollen Vergleiche der jeweiligen Titelwirkungen in den einzelstaatlichen Rechtsordnungen sein. Schließlich müssen die EU-Regelungen die unterschiedlichen nationalen Strukturen bewältigen. Die vergleichende Darstellung einzelner mitgliedstaatlicher Rechte soll damit die Basis schaffen für eine aus dem nationalen Kontext losgelöste Betrachtung. Die Rechtsvergleichung dient in dieser Arbeit jedoch nicht dazu, herauszufinden, welche Rechtsordnung die beste Lösung einer Rechtsfrage bereithält. Vielmehr sollen die Probleme aufgezeigt werden, die durch die Divergenz der nationalen Konzepte entstehen und von den übergeordneten Regelwerken zu bewältigen sind. In erster Linie werden das deutsche, das englische7 und das französische 12 Recht in den Blick genommen. England und Frankreich waren weltweit Vorbilder für andere Rechtsordnungen. Außerdem unterscheiden sich ihre Rechtssysteme grundlegend, so dass ein Vergleich schon deshalb reizvoll ist. Dass auch das deutsche Recht betrachtet wird, bietet sich für den deutschen Leser an zur Schaffung einer vertrauten Ausgangsbasis. Punktuell werden an manchen Stellen aber auch die Besonderheiten anderer Rechtsordnungen betrachtet werden, soweit diese für die Untersuchung von Interesse sind. So wird etwa an einigen Stellen in das österreichische, italienische und griechische Recht geblickt, an einem Punkt auch die EU-Außengrenze überschritten und das Recht der USA betrachtet.
D. Begrenzungen des Untersuchungsgegenstandes Sollen Gerichtsentscheidungen und andere Vollstreckungstitel im Zweit- 13 land Wirkungen entfalten, stellt sich zunächst im Grundsatz immer die Frage nach deren Anerkennungsfähigkeit. Dieser Themenkomplex der Voraussetzungen von Anerkennung und Vollstreckbarkeit im Zweitland ist nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Insoweit kann auf die einschlägige wissenschaftliche Literatur verwiesen werden. Vorliegend geht es vielmehr um die nachgelagerte Problematik des Inhaltes von Titelwirkungen im Zweitstaat. Sie soll hier ausschließlich zum europäischen Anerkennungs- und Vollstreckungsrecht behandelt werden. 7 Zwar ist das Vereinigte Königreich ein Staat, der sich aus England, Wales, Schottland und Nordirland zusammensetzt. Ein gemeinsames Rechtssystem haben allerdings nur England und Wales, vgl. O’Malley/Layton, European Civil Practice, 1989, Rn. 56.01. Nur dieses ist gemeint, wenn hier und im Folgenden von „englischem Recht“ die Rede ist.
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Teil I: Einführung und Grundlegung
Ausgeklammert bleiben ausländische vollstreckbare Urkunden und Prozessvergleiche. Außerdem wird die Gestaltungswirkung nur knapp und die Feststellungswirkung nur am Rande thematisiert. Der Schwerpunkt liegt auf Rechtskraft- und Präklusionswirkung, anderen Drittbindungen (Interventions- und Streitverkündungswirkung) und der Vollstreckbarkeit.8 Auch die Neben- bzw. Tatbestandswirkung, die ohnehin nicht Gegenstand der prozessualen Anerkennung ist, wird nur in ihren Bezügen zu den anerkennungsfähigen Wirkungen berücksichtigt.
E. Plan der Untersuchung 15
Nach einer Einführung in einige Grundlagen der Durchsetzung ausländischer Titel [§ 2], wendet sich Teil II den Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO zu. Dabei verläuft die Untersuchung in methodischer Hinsicht vom Allgemeinen zum Besonderen: Zunächst soll ein generelles Konzept ausgearbeitet werden [§ 3], das dann auf einzelne Entscheidungswirkungen anzuwenden ist. Hierbei werden der Reihe nach die objektive Reichweite der Rechtskraft [§ 4], die Bindungen in subjektiver Hinsicht [§ 5], der Inhalt der Gestaltungswirkung [§ 6] und die rechtskraftbedingte Präklusionswirkung [§ 7] behandelt. Ausgangspunkt sind dabei jeweils Inhalt und Umfang der Wirkungen in den einzelnen Ländern. Sodann sind die Effekte ausländischer Titel im Zweitland zu thematisieren. Hierbei werden Fallbeispiele gebildet und Lösungen für diese vorgeschlagen (Fälle 1.1 bis 1.4 zur objektiven Rechtskraftreichweite ausländischer Entscheidungen; Fälle 2.1 bis 2.4 zu den subjektiven Bindungswirkungen; Fälle 3.1 und 3.2 zu den Wirkungen ausländischer Gestaltungstitel; Fälle 4.1 bis 4.5 zur Präklusionswirkung).
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Der darauf folgende Teil III behandelt die Wirkungen der Vollstreckbarerklärung nach der EuGVVO. Dieser beginnt wiederum mit der Entwicklung eines allgemeinen Wirkungsmodells [§ 8], nach dem sodann im Besonderen Einzelprobleme der Vollstreckung gelöst werden sollen. Im Einzelnen sind dies die Modalitäten der zweitstaatlichen Vollstreckung, solange der Titel im Ursprungsstaat noch nicht in Rechtskraft erwachsen ist [§ 9], die Bestandsfestigkeit der im Zweitstaat bestehenden Vollstreckbarkeit gegenüber materiellen Einwendungen [§ 10] und schließlich die Modalitäten und Grenzen der Zwangsanwendung im Zweitland [§ 11]. Auch hierzu werden Beispiele behandelt (Fälle 5.1 und 5.2 zur Vollstreckung vor Rechtskraft sowie die Fälle 6.1 bis 6.3 zu den Modalitäten der Zwangsausübung im Zweitland). 8 Vgl. Überblick über alle unterscheidbaren Urteilswirkungen bei Lüke, JuS 2000, S. 1042.
§ 1 Ausgangspunkt, Fragestellung und Vorgehensweise
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Ausgehend von den Ergebnissen aus Teil II und Teil III wendet sich 17 schließlich Teil IV den unmittelbar grenzüberschreitend vollstreckbaren Gemeinschaftsweiten Titeln9 zu. Für diese ist zunächst zu klären, welche Wirkungen deren unmittelbare Vollstreckbarkeit im Zweitland hat [§ 12]. Sodann sind die nicht vollstreckungsfähigen Wirkungen, die Gemeinschaftsweiten Titeln außerhalb ihres Erlassstaates zukommen, in den Blick zu nehmen. Es geht hierbei einerseits um die Voraussetzungen der Anerkennung dieser Wirkungen, andererseits um deren Inhalt im Zweitland [§ 13]. Im abschließenden Teil V werden die Ergebnisse zusammengefasst [§ 14] und es wird eine Schlussbetrachtung vorzunehmen sein [§ 15].
9 Was hier unter „Gemeinschaftsweiten Titeln“ verstanden wird, wird sogleich zu erläutern sein.
§ 2 Grundlagen der Durchsetzung ausländischer Titel 18
Nach einer einleitenden Überlegung zum Zusammenspiel von Anerkennung und Vollstreckbarerklärung [A.] und einer Übersicht der spezifischen Interessenlage bei der Übernahme ausländischer Titel [B.] ist der gegenwärtige Stand der Entwicklung im europäischen Recht hin zur unmittelbaren gemeinschaftsweiten Vollstreckbarkeit zu betrachten [C.].
A. Anerkennung und Vollstreckbarerklärung – ein dialektisches Schema? 19
Was rechtfertigt die gemeinsame Behandlung von Anerkennung und Vollstreckbarerklärung, die sich diese Arbeit vorgenommen hat?
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Bei äußerlicher Betrachtung handelt es sich um verschiedenartige Erscheinungen: Nach dem in Art. 33 I EuGVVO niedergelegten Grundsatz der automatischen Anerkennung entfalten Entscheidungen eines Mitgliedstaates in jedem anderen Mitgliedstaat ohne besondere Registrierung oder sonstigen formellen Akt Wirkungen, soweit sie nach Art. 34, 35 EuGVVO anerkennungsfähig sind. Demgegenüber wird die Vollstreckbarkeit für das Zweitland im Wege eines Exequaturverfahrens nach Art. 38–56 EuGVVO verliehen. Wegen dieser Verfahrensunterschiede wird allgemein davon ausgegangen, dass beide Wege des Titelimports ein unterschiedliches Wesen hätten: Die Anerkennung wird als Erstreckung der Wirkungen aus dem Ausland begriffen, weswegen auch deren Wirkungen nach h. M. grundsätzlich dem Recht des Ursprungslandes unterliegen.1 Die Vollstreckbarerklärung sei demgegenüber gerade keine Anerkennung, sondern eine originäre Verleihung der Durchsetzbarkeit, weswegen deren Inhalt vom Recht des Vollstreckungslandes vorgegeben werde.2
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Es ist aber fraglich, ob sich das Verhältnis zwischen beiden Arten des Titelimports wirklich nach einem derartigen dialektischen Schema beschreiben lässt. Denn auch das Exequatur dient letztlich der territorialen Erweiterung einer Titelwirkung. Schließlich setzt es voraus, dass der Titel im Erstland vollstreckbar ist, kann also im Ergebnis auch nur eine grenzüberschrei1 2
Geimer, IZPR, 6. Aufl. 2009, Rn. 2776 f. m. w. N. Geimer, IZPR, 6. Aufl. 2009, Rn. 2779 m. w. N.
§ 2 Grundlagen der Durchsetzung ausländischer Titel
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tende Wirkungserweiterung erzielen. Mit dem einzigen Unterschied, dass sich die Vollstreckbarerklärung in einem formellen Akt vollzieht, entspricht sie in ihrer Funktion damit der Anerkennung. Außerdem erfordern beide, dass die ausländische Entscheidung für das Zweitland – gemessen an den Art. 34, 35 EuGVVO – akzeptabel ist.3 Und beide haben prozessuale Wirkungen eines ausländischen Titels zum Gegenstand. Wegen dieser Gemeinsamkeiten muss man sich fragen, ob wirklich ein Antagonismus gilt und ob wirklich die Wirkungen von Anerkennung und von Vollstreckbarkerklärung nach grundlegend unterschiedlichen Ansätzen zu bestimmen sind. Es besteht daher der Verdacht, dass Anerkennung und Vollstreckbarerklä- 22 rung Varianten eines einheitlichen übergeordneten Anerkennungsprinzips darstellen und daher deren Wirkungen nach denselben Grundsätzen zu beurteilen sind. Diese Vermutung steht am Anfang dieser Arbeit und ist Ausgangspunkt für die gemeinsame Behandlung beider Formen der Rezeption ausländischer Titel. Am Schluss wird auf sie zurückzukommen sein. Angesichts dessen, dass im neueren Europäischen Internationalen Zivil- 23 verfahrensrecht die Vollstreckbarkeit ohne Zwischenverfahren unmittelbar ins Zweitland übertragen werden kann, fallen auch die äußerlich erkennbaren Unterschiede zur Anerkennung weg. Es stellt sich daher umso mehr die Frage, ob es ein Nebeneinander von unmittelbarer Vollstreckbarkeit und Anerkennung gibt und nach welchen Prinzipien deren jeweilige Wirkungen zu bestimmen sind. Falls zwischen der Übernahme anerkennungsfähiger Wirkungen und der Vollstreckbarkeit jemals ein grundlegender Wesensunterschied bestanden haben sollte, ist dessen Fortgeltung im neuen System grenzüberschreitender Titelgeltung schon auf den ersten Blick zweifelhaft. Das liefert für diese Arbeit den Anlass, auch die unmittelbare Titelgeltung in den Blick zu nehmen und nach den Grundsätzen für deren Wirkungsbestimmung zu fragen.
B. Interessen bei der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Titel Auch wenn Rechtsprechung in zivilrechtlichen Angelegenheiten „nur“ 24 private Rechtsverhältnisse betrifft, werden durch sie hoheitliche Befugnisse ausgeübt.4 Daher und weil jeder Staat völkerrechtliche Souveränität genießt, enden die Wirkungen einer Gerichtsentscheidung normalerweise an der Grenze des Erlassstaates und können nur dann und nur insoweit auch für das Gebiet eines weiteren Staates gelten, wie dieser es gestattet.5 Die Frage, 3 Die Anerkennungsvoraussetzungen werden im Exequaturverfahren aber nur auf Schuldnerrüge geprüft, vgl. Art. 45 I S. 1 EuGVVO. 4 Juenger, Am.J.Comp.L. 36 (1988), S. 1 (12).
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Teil I: Einführung und Grundlegung
ob und in welchem Maße ausländische Titel anerkannt und vollstreckt werden, berührt unterschiedliche Interessen. 25
Den Streitparteien erspart die Anerkennung Mühen und Kosten der Durchführung eines erneuten Verfahrens im Zweitland, wenn dort eine im Urteil entschiedene Frage streitig wird.6 Noch wichtiger für die siegreiche Seite ist die dortige Vollstreckungsmöglichkeit. Sie verhindert, dass der Schuldner sich seinen Verpflichtungen entzieht, indem er etwa Vermögen ins Ausland schafft. Damit tragen Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Titel nicht nur der Prozessökonomie Rechnung, indem eine Wiederholung von Rechtsprechungstätigkeit verhindert wird, sondern kommen insbesondere den Akteuren des internationalen Wirtschaftsverkehrs entgegen, weil diese beispielsweise nicht mehr von ihren ausländischen Handelspartnern Vorauszahlungen oder Garantien verlangen müssen, um sicher sein zu können, dass Verpflichtungen eingehalten werden. Dies kann die Transaktionskosten reduzieren.7 Gleichzeitig wird die zweitstaatliche Justiz entlastet, weil es in der Regel leichter ist, die Anerkennungsfähigkeit einer Entscheidung zu prüfen, als den Fall neu aufzurollen.
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Dem Anerkennungsstaat geht es zum einen darum, die inländischen Bewohner vor unzumutbaren Prozessen im Ausland mit unerträglichen Rechtsfolgen zu schützen. Zum anderen ist ihm an Anerkennungsfreundlichkeit gelegen, weil dies die Attraktivität der inländischen Unternehmen als Partner im internationalen Handelsverkehr fördert.8 Ein Land, das seine Bürger vor ausländischen Urteilen zu schützen versucht, erschwert deren Kredit im Ausland, da vorsichtige Gläubiger auf Vorausleistung bestehen werden.9 Die Bereitschaft zur Anerkennung ausländischer Judikate steht auch im Einklang mit dem Gedanken der Comitas gentium.10 Diese völkerrechtliche Doktrin gebietet im internationalen Rechtsverkehr die zwischenstaatliche Rücksichtnahme. Für die Übernahme ausländischer Entscheidungen spricht schließlich auch der Gedanke des internationalen Entscheidungseinklangs. Die Sinnhaftigkeit einer rechtlichen Ordnung wäre grundsätzlich in Frage gestellt, wenn sie an den Staatsgrenzen halt macht.11 Rechtsfrieden und -sicherheit werden damit insbesondere durch die Anerkennung erhöht.
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Georgiades, in: FS Zepos, Bd. II, 1973, S. 189 (194 f.). Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 877; Casad, Civil Judgment Recognition, 1981, S. 16 f. 7 Juenger, Am.J.Comp.L. 36 (1988), S. 1 (4). 8 Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 880. 9 Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 877. 10 Casad, Civil Judgment Recognition, 1981, S. 16. 11 Casad, Civil Judgment Recognition, 1981, S. 15. 6
§ 2 Grundlagen der Durchsetzung ausländischer Titel
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C. Der Umbruch im europäischen Anerkennungs- und Vollstreckungsrecht Das herkömmliche Erfordernis der Anerkennung und Vollstreckbarerklä- 27 rung für die Durchsetzung ausländischer Entscheidungen [I.] wurde innerhalb der EU (mit Ausnahme Dänemarks12) bereits für einige Teilbereiche abgeschafft; es soll in Zukunft vollständig durch das Konzept der unmittelbaren Titelgeltung ersetzt werden [II.]. Insofern handelt es sich um einem „System-“13 oder „Paradigmenwechsel“14. 12 Wenn hier und im Folgenden von „EU-weiter Geltung“ bzw. „Entscheidungen aus EU-Staaten“ die Rede ist, so sind im Bezug auf Dänemark Einschränkungen zu machen: Dieser Mitgliedstaat hat gem. Art. 69 EGV a. F. erklärt, dass u. a. die Maßnahmen im Bereich der Justiziellen Zusammenarbeit für ihn nicht verbindlich sind. Dies ist auch nach dem Vertrag von Lissabon nicht anders, dessen Protokoll Nr. 22 „über die Position Dänemarks“ (abgedruckt in ABl. EU 2008 Nr. C-115, S. 299–304) in Art. 2 regelt, dass die Vorschriften des Dritten Teils, Titel V des AEUV (hierin ist auch die Nachfolgerregelung des Kompetenztitels von Art. 65 EGV a. F., nämlich Art. 81 AEUV, enthalten) sowie die nach jenem Titel beschlossenen Maßnahmen nicht für Dänemark gelten. Zwar hat das Königreich gem. Art. 7 des Protokolls die Möglichkeit eines nachträglichen „opt-in“. Da es von diesem bislang aber keinen Gebrauch gemacht hat, sind die europäischen Verordnungen zum Zivilverfahrensrecht, und damit eigentlich auch die EuGVVO, in räumlicher Sicht nicht in Dänemark anwendbar (vgl. für die EuGVVO deren Art. 1 III). Allerdings hat das Königreich durch völkerrechtliches Abkommen zwischen der EG und Dänemark vom 19.10.2005 die Geltung der EuGVVO auf sich erstreckt (in Kraft getreten am 01.07.2007, vgl. „Unterrichtung über den Zeitpunkt des Inkrafttretens“ in ABl. EU 2007 Nr. L-94, S. 70). Die anderen im Rahmen dieser Arbeit behandelten Verordnungen, die aufgrund von Art. 65 EGV a. F. erlassen wurden, gelten allerdings nicht in Dänemark. Im Einzelnen sind dies die EuVTVO (vgl. Art. 2 III), EuMVVO (vgl. Art. 2 III), EuGFVO (vgl. Art. 2 III), EuUnthVO (vgl. ErwG. 47) sowie die EuEheVO (vgl. Art. 2 Nr. 3). Auch für das Vereinigte Königreich und Irland geifen Sonderregeln hinsichtlich der Gültigkeit von Sekundärrechtsakten im Bereich der Justiziellen Zusammenarbeit. Nach Art. 1 des Protokolls Nr. 21 „über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ zum Vertrag von Lissabon (abgedruckt in ABl. EU 2008 Nr. C-115, S. 295–298) beteiligen sich diese beiden Länder nicht an Maßnahmen aufgrund des Dritten Teils, Titel V des AEUV, haben aber nach Art. 3 desselben Protokolls die Möglichkeit eines „opt-in“. Damit hat sich durch den Vertrag von Lissabon nichts gegenüber Art. 69 EGV a. F. geändert. Irland hat zu allen im Rahmen dieser Arbeit behandelten europäischen Verordnungen von der „opt-in“-Möglichkeit Gebrauch gemacht, vgl. ErwG. 20 EuGVVO, ErwG. 30 EuEheVO, ErwG. 24 EuVTVO, ErwG. 31 EuMVVO, ErwG. 37 EuGFVO, ErwG. 46 EuUnthVO. Gleiches gilt für Großbritannien, allerdings mit der einzigen Ausnahme für die EuUnthVO, an der es sich vorerst nicht beteiligt, vgl. ErwG. 47 EuUnthVO. 13 Rauscher, Europäischer Vollstreckungstitel, 2004, Rn. 13; Preuß, ZZP 122 (2009), S. 3 (4). 14 Stadler, IPRax 2004, S. 2 (5); Schoibl, in: FS Leipold, 2009, S. 335 (345).
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Teil I: Einführung und Grundlegung
I. Die Vollstreckbarerklärung als herkömmlicherweise zwingendes Erfordernis einer zwangsweisen Anspruchsdurchsetzung im Zweitland 28
In erster Linie zum Schutze der völkerrechtlichen Souveränität war die Vollstreckbarerklärung bislang unverzichtbar. Jeder Staat hat selbst zu entscheiden, welche ausländischen Rechtsprechungsakte er inwieweit auf seinem eigenen Terrain durchsetzen will.15 Das Exequatur war darüber hinaus zur Wahrung des Demokratieprinzips erforderlich.16 Da alle Macht vom Volke ausgeht, kann der Einzelne nur an Entscheidungen von Hoheitsträgern gebunden sein, die das eigene Staatsvolk repräsentieren. Bei Durchsetzung ausländischer Titel kann die demokratische Legitimation dadurch gewahrt werden, dass mit der Vollstreckbarerklärung eine inländische Grundlage hierfür geschaffen wird.
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Herkömmlicherweise wird diese durch ein zweitstaatliches Vollstreckungsurteil verliehen, welches in einem ordentlichen kontradiktorischen Erkenntnisverfahren ergeht (vgl. etwa §§ 722 f. ZPO im deutschen autonomen Recht). Dessen Gegenstand ist u. a. die Frage, ob die Anerkennungsvoraussetzungen (in Deutschland in der Regel nach § 328 ZPO) erfüllt sind: Insbesondere Einhaltung der Anerkennungszuständigkeit, Vereinbarkeit mit dem zweitstaatlichen ordre public und Wahrung des rechtlichen Gehörs werden geprüft. Aus diesen Prüfungspunkten ergeben sich allerdings Einfallstore für Einwendungen des Schuldners, mit denen er die Vollstreckbarerklärung in missbräuchlicher Weise stark verzögern kann. Außerdem erweist sich die nach §§ 723 II, 328 I Nr. 5 ZPO noch erforderliche Verbürgung der Gegenseitigkeit als anerkennungsfeindlich.17
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Der traditionelle Grundsatz, dass die Vollstreckung einen inländischen Hoheitsakt voraussetzt, hat innerhalb der EU auch heute noch Gültigkeit. Allerdings wurde schon 1968 mit dem EuGVÜ das Verfahren bedeutend vereinfacht. Wichtigste Neuerung war der Wegfall der Anerkennungszuständigkeit als Versagungsgrund. Von Ausnahmen abgesehen konnte hierauf verzichtet werden, weil das EuGVÜ zugleich Regelungen der internationalen Zuständigkeit für das Erkenntnisverfahren enthält, von deren korrekter Anwendung durch die mitgliedstaatlichen Gerichte auszugehen war. Außer15
Vgl. bereits Fn. 5 (S. 7). Wengler, RGRK-BGB, Bd. VI, 12. Aufl. 1981, § 14 e) 1 (S. 386); Pfeiffer, in: FS Jayme, Bd. I, 2004, S. 675 (678). 17 Die Gegenseitigkeit ist dann verbürgt, wenn der ausländische Staat im Wesentlichen gleichwertige Bedingungen für die Vollstreckung eines deutschen Urteils gleicher Art schafft, vgl. BGH, 29.04.1999 – IX ZR 263–97, NJW 1999, S. 3198 (3201); BGH, 24.10.2000 – XI ZR 300/99, NJW 2001, S. 524. 16
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dem wurden die exorbitanten Gerichtsstände gestrichen. Das EuGVÜ markiert die „Geburtsstunde des europäischen Jurisdiktionsraums“.18 Auch sein am 01.03.2002 in Kraft getretener Nachfolger hat an dem 31 grundsätzlichen Erfordernis der Vollstreckbarerklärung nichts geändert:19 Die EuGVVO wurde als europäische Verordnung aufgrund des zwischenzeitlich eingeführten Kompetenztitels von Art. 65 i. V. m. 61 lit.c EGV (jetzt Art. 81 AEUV) erlassen. Sie hat eine verfahrensmäßige Beschleunigung gebracht, weil die Anerkennungshindernisse (Art. 34 f. EuGVVO) in das Rechtsbehelfsverfahren verlagert wurden, also nur noch geprüft werden, wenn der Schuldner sich gegen die Vollstreckbarerklärung in erster Instanz zur Wehr setzt (Art. 43 ff. EuGVVO). Freilich hat sich hierdurch der Verfahrensablauf in den meisten Fällen praktisch nicht geändert. Denn auch wenn im EuGVÜ die Anerkennungsversagungsgründe noch erstinstanzlich von Amts wegen zu prüfen waren, konnten sie, da der Schuldner zunächst nicht gehört wurde (Art. 34 I EuGVÜ), nur berücksichtigt werden, wenn sie sich schon aus dem Antrag auf Vollstreckbarerklärung bzw. dem Vortrag des Antragstellers ergaben. Für einige familienrechtliche Angelegenheiten wurde mit der EuEheVO eine Parallelverordnung geschaffen, die im Grundsatz von denselben Prinzipien wie die EuGVVO beherrscht ist. II. Das Verschwinden der Vollstreckbarerklärung in der EU Das Exequatur ist im Europäischen Justizraum unumkehrbar im Nieder- 32 gang begriffen.20 Mit seiner Abschaffung werden dem Gläubiger nicht nur Kosten erspart, sondern auch ein verzögerungsfreier Zugriff auf Schuldnervermögen gewährt. Egal in welchem Mitgliedstaat sich dieses befindet – der Gläubiger kann sofort vollstrecken, als wäre der Titel vor Ort ergangen.21 Schlechte Zahlungsmoral und langwierige grenzüberschreitende Forderungsdurchsetzung gefährden auch die europäischen Grundfreiheiten, namentlich die Warenverkehrs-, Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit.22 Darüber hinaus verwirklicht die Streichung des Exequaturverfahrens das politisch vorgegebene Prinzip der gegenseitigen Anerkennung.23 Auch das europäische Herkunftslandprinzip24 wird ein weiteres Stück ausgebaut, da die 18
Oberhammer, JBl. 2006, S. 477 (479). Hess/Bittmann, IPRax 2007, S. 277 (278). 20 Laborde, in: Freitag/Leible/Sippel u. a. (Hrsg.), Internationales Familienrecht Symposium Spellenberg, 2006, S. 77 (80). 21 Coester-Waltjen, in: FS Beys, Bd. II, 2003, S. 183 (186) zur EuVTVO. 22 Hüßtege, in: FS Jayme, Bd. I, 2004, S. 371; ders., in: Gottwald (Hrsg.), Justizielle Zusammenarbeit, 2004, S. 113 (115). 23 Cuniberti/Rueda, RabelsZ 75 (2011), S. 286 (292). 19
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Rechtmäßigkeitskontrolle der Vollstreckung zukünftig allein dem Urteilsstaat obliegt.25 Wegen des gegenseitigen Vertrauens wird die Abschaffung des „antiquierte[n] und von nationalen Vorbehalten geprägte[n] Exequaturverfahren[s]“ begrüßt.26 33
Mit diesem Schritt wird innerhalb der Europäischen Union das klassische Souveränitätsverständnis der Einzelstaaten zu Gunsten von Effektivitätsüberlegungen zurückgedrängt.27 Das Demokratieprinzip bleibt weiterhin gewahrt28: Zwar ist nur das primäre Gemeinschaftsrecht unmittelbar auf einen Akt der einzelstaatlichen Gesetzgeber zurückzuführen. Zumindest mittelbar sind aber auch die sekundärrechtlichen EU-Verordnungen, im Wege derer die unmittelbare Titelgeltung eingeführt wurde und werden soll, demokratisch legitimiert, soweit sie nach den Prinzipien des europäischen Primärrechts zustande kommen. 1. Die geplante Abschaffung des Exequaturverfahrens
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Durch den Vertrag von Amsterdam (in Kraft getreten am 01.05.1999) hat sich die EU dem Konzept eines „Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ als Zielvorgabe verpflichtet (ursprünglich Art. 2 4. Sp. EUV i. d. F. v. 1999; nach dem Vertrag von Lissabon jetzt Art. 2 II EUV n. F.). Gleichzeitig wurden die Maßnahmen im Bereich der Justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen von der intergouvernementalen dritten in die supranationale erste Säule überführt (Art. 65 EGV a. F.; jetzt Art. 81 AEUV). Der „Raum des Rechts“ erfordere – wie die Staats- und Regierungschefs wenige Monate nach Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages während ihres Sondergipfels von Tampere am 15./16.10.1999 erklärten – einen weiteren Abbau der Zwischenmaßnahmen, die notwendig sind, um die Anerkennung und Vollstreckung einer Gerichtsentscheidung im ersuchten Staat zu ermöglichen.29 Damals war zunächst also nur die Abschaffung des Exequaturverfahrens vorgesehen. Demgegenüber nennt das hierauf aufbauende 24 Im europäischen Binnenmarkt besagt dieses Prinzip, dass EU-weite Anbieter von Waren und Dienstleistungen nur die Anforderungen beachten müssen, die die Rechtsvorschriften des Ursprungsstaates vorgeben. s. zum Herkunftslandprinzip noch ausführlich unter Rn. 683–695. 25 Leible/Lehmann, NotBZ 2004, S. 453 (454); Staudinger, in: Schulze/Zulegg (Hrsg.), EurR, 2006, § 22 Rn. 147. 26 Hüßtege, in: Gottwald (Hrsg.), Justizielle Zusammenarbeit, 2004, S. 113 (137); ebenso Laborde, in: Freitag/Leible/Sippel u. a. (Hrsg.), Internationales Familienrecht Symposium Spellenberg, 2006, S. 77 (79): Das Exequaturverfahren laufe der Grundidee der Europäischen Einigung zuwider. 27 Schoibl, in: FS Leipold, 2009, S. 335 (344); dazu sogleich. 28 Pfeiffer, in: FS Jayme, Bd. I, 2004, S. 675 (680).
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vom EU-Ministerrat (Justiz und Inneres) am 30.11.2000 beschlossene Maßnahmenprogramm auch: „Beschränkung der Gründe, die gegen die Anerkennung und Vollstreckung einer ausländischen Entscheidung geltend gemacht werden können“, wobei ausdrücklich die Abschaffung des ordre public-Einwandes erwähnt wird.30 Langfristiges Ziel ist also die Abschaffung jeglicher Überprüfung mit- 35 gliedstaatlicher Gerichtsentscheidungen, so dass diese dereinst in allen anderen Mitgliedstaaten genauso behandelt werden, als wären sie im Inland erlassen worden.31 Diese Zielvorgaben hat 2004 der Europäische Rat in dem sog. „Haager Programm“ – dem Nachfolger des Programms von Tampere – erneut aufgegriffen und erklärt, deren Umsetzung müsse Hauptpriorität haben und bis 2011 abgeschlossen sein.32 Dies ist ein weiterer Schritt in der Realisierung des durch den freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Personen und Kapital gekennzeichneten Binnenmarktes, der nun durch den „Freien Verkehr von Gerichtsentscheidungen“ ergänzt werden wird.33 Der Rat und die Kommission haben hierzu erklärt: „Die rasche Beitreibung ausstehender Forderungen ist eine absolute Notwendigkeit für den Handel.“34 2. Die bisherige Verwirklichung des Konzepts der unmittelbaren grenzüberschreitenden Vollstreckbarkeit Das Phänomen der Gemeinschaftsweiten Titel ist innerhalb des Europäi- 36 schen Zivilverfahrensrechts nicht neu. Vielmehr ist es für einige Spezialbereiche bereits Rechtswirklichkeit:
29
Vgl. die „Schlussfolgerungen des Vorsitzes“ v. 16.10.1999 (Dok.SI (1999)800 – SN 200/99), Nrn. 33 ff., verfügbar unter http://www.europarl.europa.eu/summits/ tam_de.htm. 30 Europäische Gemeinschaft, Maßnahmenprogramm 2000, S. 5 unter 2 (a)(i). 31 Europäische Gemeinschaft, Maßnahmenprogramm 2000, S. 5 unter 2 (b). 32 Europäische Gemeinschaft, Haager Programm 2005, S. 13. Diese Zielvorgabe ist auch in Pkt. 3.1.2. des Stockholmer Programms – dem Nachfolger des Haager Programms – enthalten, das von den Staats- und Regierungschefs am 10./11.12. 2009 in Brüssel beschlossen wurde (abgedruckt in ABl. EU 2010 Nr. C-115, S. 1–38). Vgl. hierzu Wagner, IPRax 2010, S. 97 ff. 33 Frattini, ZEuP 2006, S. 225 (228). 34 „Draft programme of measures for implementation of the principle of mutual recognition of decisions in civil and commercial matters“, ABl. EG 2001 Nr. C-12 S. 4.
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a) Umgangs- und Kindesrückgabeentscheidungen i. S. v. Art. 40–45 EuEheVO 37
Erstmals zum 01. März 2005 hat der Gemeinschaftsgesetzgeber den Systemwechsel gewagt und unmittelbar transnational vollstreckbare Titel eingeführt. Seitdem sind gem. Art. 40–45 EuEheVO bestimmte kindschaftsrechtliche Entscheidungen unmittelbar in allen EU-Ländern vollstreckbar. Dies gilt einerseits für Umgangsentscheidungen (Art. 40 I lit.a, 41 EuEheVO), die – wie sich der Legaldefinition des Begriffs „Umgangsrecht“ in Art. 2 Nr. 10 EuEheVO entnehmen lässt – insbesondere die vorübergehende Verbringung des Kindes an einen anderen Ort als seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort aussprechen.35 Erfasst sind also vor allem Besuchsregelungen. In erweiternder Auslegung dürfte auch der Umgang durch Fernkommunikation (Telefon, Brief, E-Mail) dazugehören.36 Andererseits gilt die unmittelbare Vollstreckbarkeit für bestimmte Entscheidungen, mit denen in Entführungsfällen die Rückgabe des Kindes angeordnet wird (Art. 40 I lit.b, 42 EuEheVO). Wie sich aus dem Verweis in Art. 40 I lit.b EuEheVO auf Art. 11 VIII EuEheVO ergibt, muss es sich um eine Rückgabeentscheidung handeln, die vom Gericht des ursprünglichen Aufenthaltsstaates des Kindes erlassen wurde, nachdem die Gerichte des Verbringungsstaates die Rückführung gem. Art. 13 HKEntfÜ abgelehnt hatten.37
38
Für diese beiden Typen von Titeln wurde die Vollstreckbarerklärung im Zweitland durch eine Bescheinigung ersetzt, die im Ursprungsland ausgestellt wird, wenn im Erkenntnisverfahren die Minimalanforderungen von Art. 41 II und 42 II EuEheVO gewahrt waren. Diese sollen einen Antragsgegnerschutz im Ursprungsverfahren sicherstellen, und die Kontrolle deren Einhaltung im Ursprungsland soll den Entfall eines Exequaturs im Zweitstaat rechtfertigen.38 Zusätzlich ist es aber die hohe Eilbedürftigkeit der von Art. 40–45 EuEheVO erfassten besonderen Verfahrensgegenstände, die eine erleichterte und schnelle Vollstreckung im Zweitland erfordern: Bei Umgangs- und Kindesherausgabetiteln kann nur eine zügige Durchsetzung verhindern, dass zwischen Kind und Elternteil Entfremdung eintritt. b) Der Europäische Vollstreckungstitel
39
Nach dem gleichen Schema erlaubt außerdem seit 21. Oktober 2005 die EuVTVO39, dass Urteile, gerichtliche Vergleiche und vollstreckbare Urkun35 36 37 38
Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. IV/Rauscher, 2010, Art. 40 EuEheVO Rn. 13. Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. IV/Rauscher, 2010, Art. 40 EuEheVO Rn. 13. EuGH, 11.07.2008 – Rs. C-195/08, Inga Rinau, Slg. I-2008, 5271. Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. IV/Rauscher, 2010, Art. 40 EuEheVO Rn. 2.
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den über unbestrittene Forderungen im Ursprungsland als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden, wenn die Voraussetzungen von Art. 6 EuVTVO gewahrt sind. Mit dieser Bestätigung kann sich der Gläubiger unmittelbar an das Vollstreckungsorgan im Zweitstaat wenden und die Durchsetzung betreiben (Art. 5 EuVTVO). Deren Grundlage ist nun der ausländische Titel selbst und nicht mehr eine im Zweitstaat erteilte Vollstreckbarerklärung.40 In der EuVTVO konnten zweitstaatliche Anerkennungsvorbehalte entfallen, weil stattdessen zum Schutz des rechtlichen Gehörs des Schuldners in den Art. 6, 12–19 EuVTVO Mindestanforderungen an das Verfahren der Titelerschaffung eingeführt wurden, deren Einhaltung im Erststaat überprüft wird. Die EuVTVO hat damit eine ähnliche Methode gewählt, wie einst das 40 EuGVÜ bei der Abschaffung der Anerkennungszuständigkeit: Der Verzicht auf einen Anerkennungsversagungsgrund wird mit der Schaffung von Einheitsrecht (diesmal nur Mindeststandards) gerechtfertigt; dessen Anwendung überlässt man den Gerichten des Erststaates und schreibt dem Zweitstaat Vertrauen in diese Rechtsanwendung vor.41 Beispielhaft lässt sich dies an der Wahrung des rechtlichen Gehörs verdeutlichen, die bislang durch das Anerkennungshindernis des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO sichergestellt wurde. An dessen Stelle treten jetzt die Mindeststandards von Art. 13–18 EuVTVO an die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks und des Art. 19 EuVTVO an die Möglichkeiten, im Erststaat eine Überprüfung der Entscheidung in Ausnahmefällen zu erlangen. Außerdem wurden Anerkennungsversagungsgründe teilweise in das zweitstaatliche Vollstreckungsverfahren verlagert: So erlaubt beispielsweise Art. 21 EuVTVO die Verweigerung der Vollstreckung, wenn die als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigte Entscheidung mit einer früheren Entscheidung unvereinbar ist, die im Zweitstaat ergangen oder dort anerkennungsfähig ist. Ein Verstoß gegen den zweitstaatlichen ordre public ist allerdings als 41 möglicher Grund für eine Verweigerung der Anerkennung ersatzlos entfallen. Dies hatte man wohl einerseits wegen der Vorkehrungen für die Gewährung des rechtlichen Gehörs im verfahrenseinleitenden Stadium für angemessen gehalten, andererseits deswegen, weil es um unbestrittene Forderungen geht. Insofern wäre auch eine Verlagerung der Prüfung des ordre public-Vorbehaltes in das Ursprungsland nicht in Betracht gekommen, weil wohl kein Richter von seinem Urteil behaupten wollte, dass es die öffentliche Ordnung des Zweitstaates verletzt.42 Die Streichung des ordre public39 Die EuVTVO ist am 21.01.2005 in Kraft getreten, vgl. Art. 33 I EuVTVO. Gem. Art. 33 II EuVTVO ist sie im Hauptteil ab 21.10.2005 anwendbar. 40 Geimer, in: FS Georgiades, 2006, S. 489 (494). 41 Oberhammer, JBl. 2006, S. 477 (480).
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Einwandes trägt entscheidend zur Verfahrensbeschleunigung bei: Zwar ist dieser Anerkennungsversagungsgrund in der Praxis nur selten erfüllt. Dennoch wird er von Parteien und deren Anwälten am meisten dazu missbraucht, die Anerkennung zu verzögern.43 Gleichzeitig ist aber gerade die Streichung des ordre public-Vorbehaltes besonders problematisch, weil dieser dem Schutz fundamentaler Gewährleistungen einer Rechtsordnung dient.44 Jüngere EuGH-Entscheidungen zeigen, dass die europäischen Nachbarn durchaus unterschiedliche Vorstellungen von Prozessgrundrechten, namentlich dem Anspruch auf rechtliches Gehör, haben.45 Bedenklich ist daher, dass die EuVTVO nur sehr lückenhaft Anforderungen an ein faires Verfahren vorgibt.46 42 Die EuVTVO gilt gem. Art. 1 für unbestrittene Forderungen. Hierunter fallen primär Versäumnis- (Art. 3 I lit.b, c EuVTVO) und Anerkenntnisurteile sowie gerichtliche Vergleiche (Art. 3 I lit.a EuVTVO). Erfasst sind gem. Art. 3 II EuVTVO aber auch streitige Entscheidungen, wenn sie infolge eines Rechtsbehelfs gegen die Titulierung einer unstreitigen Forderung ergangen sind. Daher kann etwa eine Entscheidung, die nach einem Einspruch gegen ein Versäumnisurteil ergangen ist, als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden.47 Obwohl die EuVTVO damit nur auf Forderungen anwendbar ist, die der Schuldner zumindest zu einem Zeitpunkt des Verfahrens nicht bestritten hatte, bewirkt sie bereits für einen Großteil der grenzüberschreitend zu vollstreckenden Titel die Abschaffung des Exequaturs. Denn Schätzungen zufolge sind 90% aller grenzüberschreitend durchzusetzenden Forderungen unbestritten48 und fallen damit in den Anwendungsbereich der EuVTVO. Dies liegt daran, dass insbesondere all diejenigen Entscheidungen unbestritten sind, die in Verfahren ergangen sind, 42 Oberhammer, JBl. 2006, S. 477 (496); Rechberger, in: FS Leipold, 2009, S. 301 (305). 43 Oberhammer, JBl. 2006, S. 477 (49 f.): „Der juristischen Originalität im durchaus negativen Sinne sind dabei keine Grenzen gesetzt“. 44 Vgl. etwa Coester-Waltjen, in: FS Beys, Bd. II, 2003, S. 183 (192 f.); Kohler, in: Baur/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel, 2002, S. 147 (156 ff.); Oberhammer, JBl. 2006, S. 477 (497): „Man opfert . . . einzelne, denen gröbstes Unrecht widerfahren ist, auf dem Altar des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten“. 45 Vgl. insbes. EuGH, 02.04.2009 – Rs. C-394/07, Marco Gambazzi ./. DaimlerChrysler Canada Inc., CIBC Mellon Trust Comany, NJW 2009, S. 1938 u. zuvor EuGH, 28.03.2000 – Rs. C-7/98, Krombach ./. Bamberski, Slg. I-2000, 1935. 46 Oberhammer, JBl. 2006, S. 477 (499). 47 Vgl. Coester-Waltjen, in: FS Yessiou-Faltsi, 2007, S. 39 (40 f.). 48 Vgl. „Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen“ v. 11./12.12.2002, ABl. EU 2003 Nr. C-85, S. 1, Nr. 3.1. Allerdings ist nicht klar, auf welche Statistik sich diese Schätzung stützt.
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an denen der Beklagte nicht beteiligt war. Gerade dann ist die Bereitschaft zur freiwilligen Befolgung besonders gering.49 c) Die im Europäischen Mahn- und im Europäischen Bagatellverfahren zustande gekommenen Titel Seit dem 12. Dezember 2008 ist das Europäische Mahnverfahren nach 43 der EuMVVO anwendbar, in dem Gläubiger in grenzüberschreitenden Fällen (Art. 3) einen Europäischen Zahlungsbefehl erwirken können.50 Wird dieser vom Ursprungsgericht für vollstreckbar erklärt (Art. 18 I EuMVVO), kann er ohne vorheriges Zwischenverfahren in den anderen Mitgliedstaaten vollstreckt werden (Art. 19 EuMVVO). Wie die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel ist der Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls nur möglich, wenn es sich um eine unbestrittene Forderung handelt, der Schuldner also zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens widersprochen bzw. er – beim Europäischen Vollstreckungstitel – die Forderung anerkannt hat. Der Europäische Zahlungsbefehl wird vom Ursprungsgericht ausgestellt 44 und in den Formen von Art. 12–14 EuMVVO dem Antragsgegner zugestellt. Daraufhin kann dieser innerhalb von 30 Tagen ab Zustellung (Art. 16 II EuMVVO) Einspruch einlegen. Ist ein solcher ausgeblieben, wird der Zahlungsbefehl für vollstreckbar erklärt, ohne dass dem eine Überprüfung des im Ursprungsland durchgeführten Verfahrens (insbesondere der Zustellung) vorausgehen müsste, vgl. Art. 18 I EuMVVO. Art. 18 I S. 2 EuMVVO verlangt vom Ursprungsgericht lediglich, das Zustellungsdatum des Zahlungsbefehls zu prüfen. Insofern wird also zumindest die Einhaltung der Einspruchsfrist von Art. 16 II EuMVVO sichergestellt. Gegen den für vollstreckbar erklärten Zahlungsbefehl steht dem Verpflichteten im Ursprungsland lediglich der in Art. 20 EuMVVO vorgesehene Rechtsbehelf offen. Mit diesem kann allerdings nur geltend gemacht werden, dass das rechtliche Gehör des Verpflichteten wegen ungeeigneter Zustellung (I lit.a) oder aufgrund höherer Gewalt (I lit.b) nicht gewahrt war oder der Europäische Zahlungsbefehl offensichtlich zu Unrecht erlassen wurde (II). Demgegenüber geht die seit 1. Januar 2009 anwendbare EuGFVO51 einen 45 Schritt weiter, weil in ihrem Anwendungsbereich erstmals auch für streitige Forderungen das Exequaturverfahren entfällt.52 Die EuGFVO führt das Euro49
Mankowski, in: FS Kropholler, 2008, S. 829 (833). Eingeführt durch die EuMVVO, die am 31.12.2006 in Kraft getreten ist, vgl. Art. 33 I EuMVVO. Gem. Art. 33 II EuMVVO ist sie in ihrem Hauptteil ab 12.12. 2008 anwendbar. 51 Die EuGFVO ist am 01.08.2008 in Kraft getreten, vgl. Art. 29 I EuGFVO. Gem. Art. 29 II EuGFVO ist sie grundsätzlich ab dem 01.01.2009 anwendbar. 50
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päische Bagatellverfahren ein, in dem geringfügige Forderungen (bis Streitwert von 2000 e, Art. 2 I) in grenzüberschreitenden Fällen (Art. 3) durch vereinfachtes und beschleunigtes Gerichtsverfahren kostengünstig tituliert werden können. Das in einem solchen Prozess ergangene Urteil ist unmittelbar in allen Mitgliedstaaten vollstreckbar (Art. 20 I EuGFVO). Das Bagatellverfahren hat gerade im grenzüberschreitenden Bereich große Bedeutung, da in diesem die Rechtsdurchsetzung besonders zeit- und kostenintensiv ist und sich deshalb insbesondere bei geringen Streitwerten nicht lohnt.53 46
Das Europäische Bagatellverfahren ist vor allem eine sinnvolle Ergänzung zum Mahnverfahren nach der EuMVVO, soweit dessen Streitwert 2000 e nicht überschreitet. Denn die Zeit- und Kostenersparnis, die sich der Gläubiger von der Einleitung eines Mahnverfahrens erhofft, tritt nicht ein, wenn der Schuldner die Forderung bestreitet. In diesem Fall kommt eine Fortsetzung als Bagatellverfahren in Betracht. Die EuGFVO regelt das Verfahren allerdings nur bis zum erstinstanzlichen Urteil und auch das nur fragmentarisch. Europäisches Mahnverfahren und Europäisches Bagatellverfahren unterscheiden sich von der EuVTVO und den Art. 40 ff. EuEheVO insofern, als dass sie nicht nur Mindeststandards an das nach nationalem Recht ablaufende Verfahren aufstellen, sondern vielmehr selbst Regelungen treffen, nach denen das Verfahren durchgeführt wird. Durch sie wurden also „europäische Erkenntnisverfahren“ eingeführt.54 Man kann daher die hiernach zustande gekommenen Titel auch als „Europäische Titel“ bezeichnen. d) Die durch Art. 17–22 Europäische Unterhaltsverordnung eingeführte gemeinschaftsweite Vollstreckbarkeit für bestimmte Unterhaltsentscheidungen
47
Den jüngsten Schritt auf dem Weg zur allgemeinen unmittelbaren Vollstreckbarkeit markiert die EuUnthVO, deren wesentliche Vorschriften ab 18. Juni 2011 Anwendung finden.55 Seitdem sind gem. Art. 17 dieser Ver52
Jahn, NJW 2007, S. 2890 (2891); Hess/Bittmann, IPRax 2008, S. 305 (311); Rechberger, in: FS Leipold, 2009, S. 301 (312). 53 Freitag/Leible, BB 2009, S. 2. 54 Freitag/Leible, BB 2008, S. 2750. 55 In Kraft getreten ist die Verordnung zwar schon am 30.01.2009 (vgl. Art. 76 I EuUnthVO). Anwendbar ist sie gem. Art. 76 III EuUnthVO aber frühestens ab dem 18.06.2011, wenn das Haager Protokoll vom 23.11.2007 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht (HUntStProt 2007) in der Gemeinschaft anwendbar ist. Nach dem Beitritt der EU zur Haager Konferenz für IPR kann sie das HUntStProt 2007 ratifizeren (dies ergibt sich auch aus Art. 24 HUntStProt 2007, welcher den Beitritt von „Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration“ regelt). Von dieser Möglichkeit hat die EU Gebrauch gemacht (Beschluss des Rates vom 30.11.2009, ABl. EU 2009 Nr. L-331, S. 17 f.) und ist als Staatenverbund mit Wir-
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ordnung Unterhaltsentscheidungen aus Mitgliedstaaten, die durch das Haager Protokoll vom 23.11.2007 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht (HUntStProt 2007) gebunden sind, ohne Exequatur gemeinschaftsweit vollstreckbar. Es ist allerdings nicht beabsichtigt, dass die einzelnen Mitgliedstaaten das HUntStProt 2007 ratifizieren. Vielmehr ist diesem die EU selbst beigetreten und hat es (mit Ausnahmen für Dänemark und das Vereinigte Königreich) gemeinschaftsweit in Geltung gesetzt.56 Im Ergebnis gilt damit durch die EuUnthVO ab dem 18.06.2011 eine allgemeine Freizügigkeit für Unterhaltstitel. Hierdurch wird die Abschaffung des Exequaturs einen deutlichen Schritt weiter getrieben: Anders als unter der EuVTVO und der EuMVVO sind nun auch streitige Entscheidungen erfasst. Ferner gilt sie auch für Streitgegenstände, die die 2000 e-Grenze der EuGFVO überschreiten. Nach Auffassung des Gemeinschaftsgesetzgebers ist der Wegfall des Exe- 48 quaturs in der EuUnthVO deshalb gerechtfertigt, weil durch die Kollisionsregeln des HUntStProt 2007 sichergestellt sei, dass ein akzeptables Sachrecht im Verfahren der Titelerschaffung angewendet wurde.57 Hintergrund für diese Annahme ist einerseits Art. 6 HUntStProt 2007, nach dem – mit Ausnahme für Unterhaltspflichten von Eltern gegenüber Kindern und zwischen Eheleuten – sich der auf Unterhalt in Anspruch Genommene damit verteidigen kann, dass ihn nach dem Recht des Staates seines gewöhnlichen Aufenthaltes im konkreten Fall keine Unterhaltspflicht treffen würde.58 Andererseits enthält Art. 14 HUntStProt 2007 eine international einheitliche kung zum 05.04.2010 dem HUntStProt 2007 beigetreten (Ausnahmen für das Vereinigte Königreich und Dänemark, vgl. ErwG. 11 f. des genannten Beschlusses; Irland hingegen beteiligt sich an der Annahme und Anwendung des Beschlusses, vgl. ErwG. 10). Allerdings ist das HUntStProt 2007 gem. seinem Art. 25 noch nicht in Kraft, weil hierfür mindestens zwei Ratifikationen erforderlich sind. Unabhängig davon hat die EU aber für sich das HUntStProt 2007 ab dem 18.06.2011 in Geltung gesetzt, vgl. Art. 4 I Beschluss des Rates vom 30.11.2009, ABl. EU 2009 Nr. L-331, S. 17 f. Das HUntStProt 2007 gilt damit als sekundäres Gemeinschaftsrecht, vgl. Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. IV/Andrae, 2010, Art. 15 EuUnthVO Rn. 22. Somit ist die EuUnthVO ab dem 18.06.2011 anwendbar (nicht jedoch im Vereinigten Königreich und in Dänemark, vgl. ErwG. 47 f. EuUnthVO; es gilt aber in Irland, vgl. ErwG. 46). 56 Vgl. zuvorige Fn. 57 Vgl. ErwG. 24 der EuUnthVO: „Die durch die Anwendung der Kollisionsnormen gebotenen Garantien sollten es rechtfertigen, dass Entscheidungen in Unterhaltssachen, die in einem durch das Haager Protokoll von 2007 gebundenen Mitgliedstaat ergangen sind, ohne weiteres Verfahren und ohne jegliche inhaltliche Prüfung im Vollstreckungsmitgliedstaat in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden und vollstreckbar sind.“ 58 Falls Unterhaltsanspruchsteller und in Anspruch Genommener eine gemeinsame Staatsangehörigkeit haben, kann nach Art. 6 HUntStProt 2007 auch geltend gemacht werden, dass nach diesem Recht keine Unterhaltspflicht bestünde.
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Sachnorm, kraft derer bei der Unterhaltsbemessung in jedem Fall („Even if the applicable law provides otherwise . . .“) die Bedürftigkeit des Berechtigten und die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten zu berücksichtigen sind. Ob mit diesen Regelungen alle Bedenken gegen einen vorbehaltlosen Import ausländischer Entscheidungen ausgeräumt sind, erscheint zweifelhaft. Insbesondere ist fraglich, ob sich die Aufgabe des ordre public-Einwandes rechtfertigen lässt. Schließlich wird durch die vereinheitlichten Kollisionsregeln dem materiellrechtlichen ordre public nur teilweise und dem praktisch wichtigeren verfahrensrechtlichen ordre public überhaupt nicht Rechnung getragen. 49
Gegenüber der EuVTVO geht die EuUnthVO noch einen deutlichen Schritt weiter, weil sie nicht einmal mehr eine Bestätigung vorsieht, deren Ausstellung verlangen würde, dass die Verfahrensdurchführung gewissen Mindestanforderungen genügte.59 Dementsprechend wurden die verfahrensrechtlichen Mindestanforderungen zur Wahrung des rechtlichen Gehörs auch nicht aus der EuVTVO in die EuUnthVO übernommen. Zwar regeln die Art. 11 I und 19 EuUnthVO eine zweifache Überprüfung des rechtlichen Gehörs im Ursprungsverfahren. Deren korrekte Anwendung wird aber nicht kontrolliert, bevor der Titel gemeinschaftsweite Vollstreckbarkeit erlangt: Gem. Art. 11 I EuUnthVO hat das Gericht – wenn der Beklagte seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Verfahrensland hat und sich auch nicht auf das Verfahren eingelassen hat – auszusetzen und sich zu vergewissern, dass der Beklagte das verfahrenseinleitende Schriftstück so rechtzeitig empfangen konnte, dass eine angemessene Verteidigung möglich war.60 Und Art. 19 EuUnthVO stellt dem Unterhaltsverpflichteten einen Rechtsbehelf zur Verfügung, in dem er geltend machen kann, dass ihm im Erkenntnisverfahren kein rechtliches Gehör gewährt wurde. Begleitend kann er gem. Art. 21 III S. 1 EuUnthVO im Vollstreckungsland die vollständige oder teilweise Aussetzung der Vollstreckung erreichen.
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Auch unter der EuUnthVO ist – wie in der EuVTVO – der Anerkennungsversagungsgrund der kollidierenden Entscheidungen (Art. 34 Nr. 3 f. EuGVVO) in das zweitstaatliche Vollstreckungsverfahren verlagert worden: Art. 21 II S. 3 EuUnthVO erlaubt bei Titelkollision eine vollständige oder teilweise Verweigerung der Vollstreckung.
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Soweit im Übrigen das HUntStProt 2007 im Ursprungsstaat der Entscheidung nicht gilt, bleibt es auch unter der EuUnthVO beim Erfordernis eines Exequaturverfahrens, das im Wesentlichen dem Verfahren nach der EuGVVO 59
Frattini, ZEuP 2006, S. 225 (229). Vorranig gelten aber – soweit anwendbar – die Art. 19 EuZustVO bzw. Art. 15 HZÜ, die dem Art. 11 I EuUnthVO ähnlich sind. Dass Art. 11 II, III EuUnthVO noch mal auf sie verweisen, ist insofern lediglich eine Klarstellung. 60
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entspricht, vgl. Art. 23–38 EuUnthVO. Dieses greift – entsprechend der territorialen Geltung des HUntStProt 2007 – seit 18. Juni 2011 für Entscheidungen aus Dänemark und dem Vereinigten Königreich. Diese Staaten haben aber die Möglichkeit, einzeln dem Protokoll als völkerrechtlichem Vertrag beizutreten. Falls sie von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, könnten auch die aus diesen Ländern stammenden Unterhaltsentscheidungen in den übrigen EU-Staaten ohne Exequatur vollstreckt werden gem. Art. 17–22 EuUnthVO. Andersherum, also für die Vollstreckung von Entscheidungen aus den übrigen Mitgliedstaaten in Dänemark und dem Vereinigten Königreich würde die EuUnthVO allerdings auch dann weiterhin nicht gelten. 3. Die geplante Revision der EuGVVO: Wie geht es weiter? Eine gemeinschaftsweite Titelfreizügigkeit gilt gegenwärtig also nur für 52 Ansprüche, die wegen ihrer besonderen Natur eine schnelle Durchsetzung erfordern61, geringwertig sind62 oder vom Schuldner nicht bestritten wurden63. Demgegenüber hat die Europäische Kommission für sämtliche zivilrechtlichen Ansprüche eine unmittelbare grenzüberschreitende Vollstreckbarkeit im Visier. In ihrem Grünbuch zur geplanten Revision der EuGVVO hatte sie im April 2009 die Abschaffung des Exequaturverfahrens zur Diskussion gestellt.64 Teilweise wurde eine Streichung der Vollstreckbarerklärung schlichtweg abgelehnt.65 Überwiegend wurde sie nur bei gleichzeitiger Einführung eines Rechtsbehelfs, mit dem der Schuldner im Vollstreckungsstaat eine Verletzung des ordre public geltend machen kann, für möglich gehalten.66 Selbst der von Hess, Pfeiffer und Schlosser erstellte sog. „Heidelberger Bericht“ 61
Umgangs- und Kindesrückgabeentscheidungen i. S. v. Art. 40–45 EuEheVO; Unterhaltsentscheidungen i. S. v. Art. 17–22 EuUnthVO. 62 Forderungen im Anwendungsbereich der EuGFVO. 63 Nach der EuVTVO bestätigte Titel und solche, die nach der EuMVVO zustande gekommen sind. 64 Vgl. KOM(2009) 175 endg., Grünbuch Überprüfung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, v. 21.04.2009, verfügbar unter http://eur-lex.europa.eu/de/editorial/registre.htm. 65 Deutscher Industrie- und Handelskammertag, Positionspapier v. 12.06.2009, verfügbar unter www.dihk.de. 66 So etwa „Stellungnahme des Bundesrates“, beschlossen am 10.07.2009, BRDrucks. 440/09(B), verfügbar unter www.bundesrat.de (unter „Parlamentsmaterialien“, „Beratungsvorgänge/Drucksachen“): Eine „subsidiäre“ ordre public-Kontrolle müsse möglich bleiben. Ebenso Stellungnahme BRAK, Nr. 26/2009, S. 3, verfügbar unter http://www.brak.de/seiten/pdf/Stellungnahmen/2009/Stn26.pdf.
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Teil I: Einführung und Grundlegung
über die Anwendung der EuGVVO empfiehlt lediglich eine Vereinfachung der Vollstreckbarerklärung.67 Auch das Europäische Parlament hat am 7. September 2010 gegenüber der Streichung des ordre public-Vorbehaltes eine ablehnende Position eingenommen68: Zwar sprach sich das Parlament für die Abschaffung des Exequaturverfahrens aus. Gleichzeitig forderte es aber ein „außerordentliches“ Verfahren, mit dem der Vollstreckungsgegner im Vollstreckungsland die bislang in Art. 34 EuGVVO enthaltenen Anerkennungsversagungsgründe geltend und sich gegen die Vollstreckung zur Wehr setzen kann. 53
Auf die Skepsis gegenüber einer ersatzlosen Streichung des Exequaturverfahrens hat die Kommission offenbar reagiert: Ihr am 14.12.2010 vorgelegter Entwurf für eine Neufassung der EuGVVO69 sieht zwar in Art. 38 I für fast alle Entscheidungen im Anwendungsbereich der Verordnung eine automatische vorbehaltlose gemeinschaftsweite Vollstreckbarkeit vor.70 Zur Wahrung der Rechte des Vollstreckungsschuldners sollen aber zwei neue Rechtsbehelfe eingeführt werden: Beruht der Titel auf Säumnis des Beklagten, kann dieser nach Art. 45 EuGVVO-E 2010 durch Rechtsbehelf im Erststaat geltend machen, dass seine Verteidigungsrechte mangels geeigneter Zustellung nicht gewahrt waren.71 Außerdem kann er nach Art. 46 EuGVVO-E 2010 die Gerichte des Vollstreckungsstaates anrufen, wenn der Durchsetzung des Titels „wesentliche Grundsätze entgegenstehen, die dem Recht auf ein faires Verfahren zugrunde liegen“. Mit diesem Rechtsbehelf kann der Schuldner insbesondere 67
Heß/Pfeiffer/Schlosser, Heidelberger Bericht, 2007, Rn. 559–563. „European Parliament resolution of 7 September 2010 on the implementation and review of Council Regulation (EC) No 44/2001 on jurisdiction and the recognition and enforcement of judgments in civil and commercial matters (2009/ 2140(INI))“, Dokument-Nr.: P7_TA(2010)0304 Nr. 2–6; verfügbar online unter http:// www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?type=TA&reference=P7-TA-2010-0304 &format=XML&language=EN#ref_1_21. 69 KOM (2010) 748 endg. v. 14.12.2010, verfügbar online unter http://eur-lex. europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2010:0748:FIN:DE:PDF. 70 Ausgenommen sind gem. Art. 37 III EuGVVO-E 2010 lediglich Entscheidungen 1. über außervertragliche Ansprüche wegen der Verletzung der Privatsphäre und von Persönlichkeitsrechten (einschließlich Ansprüche wegen Verleumdung) 2. über Schadensersatzansprüche, die einer Vielzahl von Geschädigten wegen rechtswidriger Geschäftspraktiken entstanden sind, wenn das Klageverfahren von einer staatlichen Stelle, einem Verbraucherschutzverband oder einer Gruppe von mehr als zwölf Klägern eingeleitet wurde. 71 Parallel kann er im Vollstreckungsstaat beantragen, dass dort die Vollstreckung auf Sicherungsmaßnahmen beschränkt, von der Leistung einer Sicherheit abhängig gemacht oder insgesamt oder teilweise ausgesetzt wird, vgl. Art. 44 I EuGVVO-E 2010. 68
§ 2 Grundlagen der Durchsetzung ausländischer Titel
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einen Verstoß gegen Art. 47 der EU-Grundrechtecharta geltend machen.72 Damit soll der materielle ordre public abgeschafft, der prozessuale ordre public jedoch beibehalten werden.73 Dieser wird gleichzeitig „vergemeinschaftet“, weil nicht mehr die fundamentalen Grundsätze der Mitgliedstaaten herangezogen werden, sondern die EU-Grundrechtecharta maßgeblich ist.74 Schließlich kann der Schuldner nach Art. 43 EuGVVO-E 2010 die Verweigerung der Vollstreckung im Vollstreckungsstaat beantragen, wenn die Entscheidung mit einer dort ergangenen oder anerkennungsfähigen Entscheidung unvereinbar ist. Der Entwurf der Kommission schafft einen Kompromiss zwischen dem Gläubigerinteresse an möglichst verzögerungsfreier Vollstreckung und dem Anliegen des Schuldners, sich gegen die Verletzung rechtsstaatlicher Mindestgarantien im Vollstreckungsland zur Wehr setzen zu können.75 Insoweit wird auf die erhebliche in der Lit. vorgetragene Kritik an der Abschaffung des ordre-public-Vorbehaltes reagiert.76 Damit bewirkt der Reformvorschlag hauptsächlich für die formelle Im- 54 plementierung des ausländischen Titels in das inländische Vollstreckungsverfahren einen grundlegenden Systemwechsel gegenüber der lex lata. Schon nach gegenwärtiger Rechtslage muss der Schuldner von sich aus tätig werden, wenn er sich gegen die Vollstreckung wenden will. Der EuGVVO-E 2010 steigert leidiglich die Verteidigungslast des Schuldners: Dieser kann sich nicht mehr gegen die Vollstreckbarerklärung zur Wehr setzen, sondern erst gegen die Vollstreckung an sich. Nach wie vor ist der Titel bzw. dessen Vollstreckung im Zweitland nicht unangreifbar. Das wirklich Neue liegt vielmehr darin, dass es keine inländische Vollstreckungsklausel bzw. Funktionsäquivalente anderer nationaler Vollstreckungsrechte mehr geben würde. Nach Art. 42 I EuGVVO-E 2010 legt der Gläubiger eine Ausfertigung der ausländischen Entscheidung und eine vom Ursprungsgericht ausgestellte Bescheinigung über deren Vollstreckbarkeit direkt den Vollstreckungsstellen des Zweitlandes vor. Wie für alle anderen Gemeinschaftsweiten Titel ist damit völlig offen, wie die Stellen des Vollstreckungsstaates den ausländischen Titel umzuset72
Vgl. ErwG. 24 EuGVVO-E 2010. Hess, IPRax 2011, S. 125 (128). 74 Hess, IPRax 2011, S. 125 (128). 75 Cuniberti/Rueda, RabelsZ 75 (2011), S. 286 (314). 76 s. zu dieser Kritik etwa Rechberger, in: FS Leipold, 2009, S. 301 (306 f. Fn. 27); Stadler, IPRax 2004, S. 2 (7–9); dies., RIW 2004, S. 801 (803 f.); Rauscher, Europäischer Vollstreckungstitel, 2004, Rn. 15–42; Mankowski, RIW 2004, S. 587 (588); Schlosser, IPRax 2010, S. 101 ff.; Beaumont/Johnston, IPRax 2010, S. 105 ff. 73
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Teil I: Einführung und Grundlegung
zen haben. Lediglich Art. 66 EuGVVO-E 2010 trägt Unterschieden der nationalen Vollstreckungsrechte Rechnung: „Enthält eine Entscheidung eine Maßnahme oder eine Verfügung, die im Vollstreckungsstaat nicht bekannt ist, passt die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaats die Maßnahme oder Verfügung, soweit möglich, an eine in ihrem Recht bekannte Maßnahme oder Verfügung an, mit der gleiche Wirkungen verbunden sind und die ähnliche Ziele und Interessen verfolgt“. An welchen Stellen sich derartige Anpassungsprobleme ergeben und wie sie gelöst werden können, wird diese Arbeit auch zu beantworten versuchen.
Teil II
Die Wirkungen der Anerkennung ausländischer Entscheidungen nach der EuGVVO Teil II ist der Frage gewidmet, welche Wirkungen eine ausländische Ent- 55 scheidung im Zweitstaat entfaltet, nachdem sie dort gemäß den Regeln der EuGVVO anerkannt wurde. Ob einer Gerichtsentscheidung überhaupt irgendwelche Effekte zukommen und welche dies sind, muss das Recht des Ursprungsstaates vorgeben, denn nur Vorhandenes kann anerkannt werden. Sind die Anerkennungsvoraussetzungen erfüllt, fragt sich, welchem Recht der genaue Inhalt der auch im Zweitstaat greifenden Wirkungen zu entnehmen ist. Es bedarf somit einer Kollisionsregel zur Bestimmung des auf die Entscheidungswirkungen anwendbaren Rechts. Diese soll zunächst allgemein entwickelt [§ 3] und dann auf einzelne Entscheidungswirkungen angewendet werden [§§ 4 bis 7].
§ 3 Die allgemeine Kollisionsregel der Entscheidungswirkungen: Qualifikation, Verweisungsbefehl und Nachfrage Drei Aspekte der gesuchten Kollisionsregel sind zu klären, nämlich ihr 56 Anknüpfungsgegenstand, d.h. für welche Wirkungen sie überhaupt gilt [A.], ihr Verweisungsbefehl, d.h. welches Recht den Inhalt der anerkannten Wirkungen vorgibt [B.] und schließlich die Reichweite dieses Verweisungsbefehls, d.h. auf welche Vorschriften er sich bezieht [C.].
A. Anknüpfungsgegenstand: Qualifikation der Entscheidungswirkungen Die Kollisionsregel zur Bestimmung der Rechtsordnung, die den Inhalt 57 der anerkannten Entscheidungswirkungen im Zweitland vorgibt, gilt für alle prozessualen Wirkungen, die den Art. 33 ff. EuGVVO unterliegen. Hiervon sind die materiellrechtlichen Nebenwirkungen, die ausländische Entscheidungen im Zweitland ebenfalls auslösen können, zu unterscheiden. Mit die-
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Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
sen wird das Phänomen beschrieben, dass die Entscheidung den Tatbestand einer Norm erfüllt und daher die Rechtsfolge dieser Norm eintritt [I.]. Die erforderliche Abgrenzung ist eine Frage der Qualifikation [II.]. I. Unterscheidung zwischen anerkennungsfähigen prozessualen Entscheidungswirkungen und rein materiellrechtlichen Nebenwirkungen 58
Nicht jede Auswirkung einer Gerichtsentscheidung auf zukünftige Rechtsbeziehungen ist Gegenstand der prozessualen Anerkennung. Ist der Effekt eines Urteils auf bestimmte Rechtslagen oder Personen keine prozessuale Entscheidungswirkung, richtet sich sein Inhalt nach dem Wirkungsstatut, welches nach den anwendbaren IPR-Regeln zu bestimmen ist. Dann handelt es sich um materiellrechtliche Nebenwirkungen, weil der Richterspruch den Tatbestand einer zivilrechtlichen Norm erfüllt und hierdurch eine Folge auf dem Gebiet des materiellen Rechts auslöst.1 Zwar ist auch diese an das Vorliegen einer gerichtlichen Entscheidung geknüpft, sie ergibt sich aber nicht aus dieser selbst. Wie auch bei anderen materiellrechtlichen Begründungs-, Änderungs- oder Erlöschenstatsachen bestimmt ausschließlich die Rechtsordnung, der das Rechtsverhältnis ohnehin unterworfen ist, wie sich das Vorliegen eines ausländischen Urteils zivilrechtlich auswirkt.2 Ausländische Judikate können im Inland Nebenwirkungen entfalten, ohne dass sie dafür prozessual anerkannt werden müssten.3
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Unterliegt beispielsweise die Verjährung deutschem Recht, kann sich die Frist durch Titulierung des Anspruchs im Ausland auf 30 Jahre erhöhen (§ 197 II Nr. 3 BGB), ohne dass das Urteil hierfür in Deutschland prozessual anerkannt zu werden braucht.4 Wird jemandem im Erststaat die Vornahme einer Handlung unter Androhung von Strafe gerichtlich verboten, so kann der Richter im Zweitstaat hieraus den Schluss ziehen, dass dem Verurteilten die Vornahme der fraglichen Handlung unmöglich ist, etwa wenn ein vertraglicher Anspruch hierauf eingeklagt wird.5 Erklären sich die Gerichte eines Staates zur Vornahme bestimmter Akte rechtskräftig für unzu1
Gleichbedeutend ist der Begriff „Tatbestandswirkung“. Kuttner, Nebenwirkungen, 1908, S. 134; Geimer, in: Geimer/Schütze (Hrsg.), Urteilsanerkennung, Bd. I/1, 1983, § 137 (S. 1031). 3 Matscher, JBl. 1954, S. 54. 4 MünchKomm/Grothe, 5. Aufl. 2006, § 197 BGB Rn. 13: Nach h. M. ist hierfür zwar erforderlich, dass das ausländische Urteil in Deutschland prozessrechtlich anerkennungsfähig ist. Dieses Erfordernis ergibt sich aber aus dem materiellen deutschen Recht, genauer gesagt aus den Grundsätzen der Substitution. Eine prozessuale Anerkennung muss gleichwohl nicht erfolgt sein. 5 Wengler, RGRK-BGB, Bd. VI, 12. Aufl. 1981, § 14 e 3 (S. 391). 2
§ 3 Allgemeine Kollisionsregel der Entscheidungswirkungen
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ständig, bedeutet dies für das Gericht des zweitbefassten Landes möglicherweise, dass im Ursprungsland kein Rechtsschutz erlangt werden kann und deshalb die Bedingungen für die Ausübung einer subsidiären Zuständigkeit im Zweitland gegeben sind. In all diesen Fällen ist eine prozessuale Anerkennung der Urteile nicht erforderlich. Prozessuale Anerkennung und Berücksichtigung der Titel als Tatsache 60 sind also strikt voneinander zu trennen.6 Letzteres hat mit der EuGVVO nichts zu tun, ist vielmehr ausschließlich eine Frage, die jedes Land nach seinem autonomen Recht zu lösen hat. Ausgangspunkt hierbei ist eine Sachnorm, deren Anwendbarkeit zuvor feststeht. Soweit das Auslandsurteil deren Voraussetzungen erfüllt, was ggf. eine Frage der Substitution ist, tritt ihre Rechtsfolge ein. Im Gegensatz dazu ist bei der prozessualen Anerkennung gerade fraglich, welche Wirkungen sie auslöst. II. Die erforderliche Abgrenzung als Frage der Qualifikation Damit ist eine Abgrenzung vorzunehmen zwischen materiellrechtlichen 61 Nebenwirkungen einerseits und anerkennungsfähigen prozessualen Entscheidungseffekten andererseits. Bei der erforderlichen Zuordnung handelt es sich in der Terminologie des Internationalen Privatrechts um eine Qualifikation. Diese Begrifflichkeit kann insofern auf den vorliegenden Zusammenhang übertragen werden, als – wie für die Anwendung von Kollisionsnormen – die Reichweite der prozessualen Anerkennung abzustecken ist. Fraglich ist vorliegend aber das Qualifikationsstatut, also die Rechtsordnung, der die Maßstäbe zur Abgrenzung zwischen prozessual anzuerkennenden Wirkungen und den materiellen Nebenwirkungen zu entnehmen sind. Diese Abgrenzung könnte nach dem Recht des Anerkennungslandes vor- 62 zunehmen, mithin entsprechend einer Qualifikation lege fori zu verfahren sein. Dieser im Bereich des IPR herrschende Grundsatz passt aber für das europäische Anerkennungsrecht nicht. Schließlich gilt allgemein, dass die in völkerrechtlichen Verträgen enthaltenen Kollisionsnormen nicht nach der lex fori qualifiziert werden können, weil sonst der Zweck der Rechtsvereinheitlichung vereitelt würde.7 Genauso verhält es sich letztlich mit der EuGVVO. Da diese ebenfalls gemeinschaftsweit vereinheitlichtes Recht schafft, kann ihr Anwendungsbereich nicht in jedem Anerkennungsland unterschiedlich ausfallen – je nach dem wie dort die Grenze zwischen prozessualen Titeleffekten und materiellen Nebenwirkungen gezogen wird. Aus demselben Grunde kann auch eine Qualifikation nach dem Recht des 63 Ursprungslandes nicht überzeugen. Für eine solche ließe sich zwar anführen, 6 7
Matscher, JBl. 1954, S. 54 (58). v. Hoffmann/Thorn, IPR, 8. Aufl. 2005, § 6 Rn. 16 (S. 227).
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Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
dass nach der – später noch ausführlich zu begründenden – Wirkungserstreckungslehre im Anerkennungsland ohnehin eine Auseinandersetzung mit dem Recht des Ursprungslandes erforderlich wird. Es würde daher nur wenig zusätzlichen Aufwand bedeuten, auch nach diesem Recht die Entscheidungswirkungen prozessual oder materiellrechtlich einzuordnen. Diese Vorgehensweise böte gleichzeitig den Vorteil, dass man bei der Qualifikation auf die Vorarbeit von Rechtslehre und -sprechung im Ursprungsland zurückgreifen und damit eher eine rechtssichere Abgrenzung zwischen anerkennungsfähigen und nicht anerkennungsfähigen Entscheidungswirkungen vornehmen könnte. Aber eine Qualifikation nach dem Recht des Ursprungslandes würde letztlich dazu führen, dass der Anwendungsbereich des europäischen Rechts von einem Mitgliedstaat für das gesamte Gemeinschaftsgebiet bestimmt werden könnte. Es drohte eine in der Sache nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung: Entscheidungen aus einem Land, welches Titeleffekte überwiegend als materiellrechtliche Nebenwirkungen erklärt, kämen weniger umfangreich in den Genuss des Anerkennungsregimes der EuGVVO, als Entscheidungen aus Ländern, in denen ein prozessuales Verständnis der Entscheidungswirkungen vorherrschend ist. Des Weiteren wäre es ein Zirkelschluss, schon das Qualifikationsstatut nach der Wirkungserstreckungslehre zu bestimmen, weil diese ja nur für die prozessuale Anerkennung gilt, wenn also bereits feststeht, dass es sich um eine prozessuale Entscheidungswirkung handelt. Daher kann der Kreis der anerkennungsfähigen Wirkungen nicht nach einzelstaatlichem Recht abgesteckt werden. 64
Dies steht im Einklang mit den allgemeinen Prinzipien der kollisionsrechtlichen Qualifikation. Allgemein richtet sich diese nämlich nach der Rechtsordnung, der die Kollisionsnorm entstammt, denn jeder Normgeber hat in erster Linie selbst über die Auslegung seiner Regelungen zu befinden.8 Dieser Grundsatz ist auch im Rahmen der EuGVVO tragfähig. Um deren einheitliche Anwendung in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten, müssen die Entscheidungswirkungen nach Maßstäben qualifiziert werden, die sich aus der Verordnung selbst ergeben.9 Qualifikationsstatut ist daher die EuGVVO. Ihr lässt sich zwar nicht ausdrücklich entnehmen, für welche Wirkungen sie gilt. Allerdings sind ihre Anerkennungsvorschriften auf Entscheidungen zugeschnitten, die die Rechtsverhältnisse unter den Parteien festlegen oder zumindest betreffen.10 Gerichtliche Zwischenentscheidungen, die lediglich den weiteren Verfahrensfortgang gestalten, sind demgegenüber vom Anwendungsbereich ausgeschlossen.11 8
Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, 2. Aufl. 1976, S. 123. Geimer, in: Geimer/Schütze (Hrsg.), Urteilsanerkennung, Bd. I/1, 1983, § 132 (S. 1015), zu den Art. 25 ff. EuGVÜ. 10 Schlosser, Bericht z. 1. EuGVÜ-BeitrittsÜ 1978, Nr. 184. 9
§ 3 Allgemeine Kollisionsregel der Entscheidungswirkungen
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Demnach sind im Grundsatz all diejenigen Effekte einer richterlichen Entscheidung nach der EuGVVO anerkennungsfähig, die die materiellrechtlichen Beziehungen zwischen den Prozessparteien und ggf. zu Dritten festlegen bzw. ausgestalten.12 Diese Grundformel ist freilich noch sehr grob und kann erst später anhand der einzelnen Entscheidungswirkungen präzisiert werden. Hierbei wird einer funktionellen Betrachtung entscheidende Bedeutung zukommen. Nach dieser sind ausländische Vorschriften entsprechend ihrem Sinn und Zweck zu erfassen und den Begriffen der Kollisionsnorm zuzuordnen.13 Für die Entscheidungswirkungen bedeutet dies u. a., dass es grundsätzlich keine Rolle spielt, ob sie in den nationalen Rechtsordnungen Teil des Prozess- oder des materiellen Rechts sind.14
B. Anknüpfungspunkt: Der Verweisungsbefehl Genauso wenig wie das EuGVÜ trifft die EuGVVO eine Aussage darü- 65 ber, welche Wirkungen der ausländischen Entscheidung aufgrund ihrer Anerkennung im Zweitland zukommen. In erster Linie sind zwei Lösungen denkbar: Das Judikat könnte im Anerkennungsland entweder dieselben Wirkungen entfalten wie im Land seines Ursprungs (Wirkungserstreckung) oder es werden ihm die Effekte beigemessen, die das Recht des Anerkennungslandes für inländische Richtersprüche gleicher Art vorsieht (Gleichstellung).15 Wie zu zeigen sein wird, ist allein die Wirkungserstreckungslehre als Grundsatz vorzugswürdig [I.]. Abweichend von diesem könnte es aber in bestimmten Fällen angebracht 66 sein, die Entscheidungswirkungen der in der Hauptsache anwendbaren lex 11
Schlosser, Bericht z. 1. EuGVÜ-BeitrittsÜ 1978, Nr. 187. Deswegen sind rein innerprozessuale Bindungswirkungen, die nur in einem schwebenden Verfahren greifen, nicht anerkennungsfähig, vgl. Geimer, in: Geimer/ Schütze (Hrsg.), Urteilsanerkennung, Bd. I/1, 1983, § 132 (S. 1015); Geimer, RIW/ AWD 1976, S. 139 (142). A. A. offenbar Schlosser, EuZPR, 3. Aufl. 2009, Art. 33 EuGVVO Rn. 3: „Innerprozessuale Bindungswirkungen von Entscheidungen [. . .] werden, beschränkt auf das Verfahren, in dem sie ergangen sind, ohne jeden Vorbehalt anerkannt.“ 13 v. Hoffmann/Thorn, IPR, 8. Aufl. 2005, § 6 A III 4 (S. 232). 14 Geimer, in: Geimer/Schütze (Hrsg.), Urteilsanerkennung, Bd. I/1, 1983, § 132 (S. 1016); ebenso für das autonome deutsche Anerkennungsrecht Stein/Jonas/Roth, 22. Aufl. 2006, § 328 ZPO Rn. 12. 15 Wenn die Urteilswirkungen nach dem Recht des Ursprungslandes und dem des Anerkennungslandes identisch sind, kann für die praktische Rechtsanwendung auf eine Entscheidung zwischen den beiden in Betracht kommenden Wirkungsstatuten verzichtet werden. So etwa in RG, 17.05.1929 – II 440/28, IPRspr. 1929, Nr. 151, wo Inhalt und Umfang der Rechtskraft in beiden in Betracht kommenden Rechtsordnungen identisch waren. 12
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Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
causae zu entnehmen, um den Zusammenhang zwischen prozessualen Wirkung und Sachrecht zu erhalten [II.]. 67
Da diese beiden Ansätze aus Sicht des Anerkennungslandes zu ausländischem Recht führen können, kann durch sie der Fall eintreten, dass dem anerkannten Richterspruch im Zweitland Wirkungen zukommen, die in ihrem Umfang über das hinausreichen, was im Recht des Anerkennungslandes vorgesehen wäre. Dann stellt sich die Frage nach einer Begrenzung der Wirkungen [III.]. I. Wirkungserstreckung durch Anerkennung als Grundsatz
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Dass Anerkennung nach der EuGVVO (bzw. dem EuGVÜ) – vorbehaltlich möglicher Begrenzungen – im Grundsatz Wirkungserstreckung bedeutet, ist in der Rspr. und Lit. Deutschlands16 sowie der Lit. Frankreichs17 – soweit ersichtlich – unbestritten. Für diesen Ansatz hat sich auch der EuGH unter Berufung auf den Jenard-Bericht zum EuGVÜ i. d. F.v. 196818 ausgesprochen.19 Unterschiedlich sind diesbezüglich allerdings die in England vertretenen Ansichten: Dortige Gerichte haben im Anwendungsbereich des EuGVÜ anerkannten ausländischen Entscheidungen eine Rechtskraft entsprechend englischem Prozessrecht beigemessen, obwohl deren Tragweite 16 Aus der deutschen Lit.: Sepperer, Rechtskrafteinwand, 2010, S. 154–161; Schlosser, EuZPR, 3. Aufl. 2009, Art. 33 EuGVVO Rn. 2; Kropholler, EuZPR, 8. Aufl. 2005, vor Art. 33 EuGVVO Rn. 9; B/B/G/S/Tschauner, Jun. 2011, Art. 33 EuGVVO Rn. 2. Geimer, in: Geimer/Schütze (Hrsg.), EuZVR, 3. Aufl. 2010, Art. 33 EuGVVO Rn. 1; Rauscher-EuZPR/EuIPR/Leible, 2011, Art. 33 EuGVVO Rn. 3a; Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 886 (sog. Kumulationstheorie, die aber auch nur eine Variante der Wirkungserstreckung ist); Ellrich, Sicherungsrechte, 2009, S. 171 f. Ebenso zum EuGVÜ: Geimer, RIW/AWD 1976, S. 139 (142); Schack, IPRax 1989, S. 139 (142). Aus der deutschen Rspr.: BGH, 05.04.1990 – IX ZB 68/89, NJW 1990, S. 3084 (zum EuGVÜ, beiläufig); OLG Frankfurt, 11.12. 1984 – 5 U 5/84, RIW 1985, S. 411 (zum EuGVÜ, objektive Reichweite der Rechtskraft); OLG Hamm, 11.02.1991 – 8 WF 30/91, FamRZ 1993, S. 213 (215) (zum EuGVÜ, subjektive Reichweite der Rechtskraft). Quasi alle Vertreter der Wirkungserstreckungslehre wollen allerdings – unterschiedlich restriktive – Wirkungsbegrenzungen im Einzelfall, vgl. hierzu später. 17 Zur EuGVVO: Gaudemet-Tallon, Règlement no 44/2001, 3. Aufl. 2002, Rn. 374 (jedenfalls im Grundsatz Wirkungserstreckung); Mayer/Heuzé, Droit international privé, 9. Aufl. 2007, Rn. 403. Zum EuGVÜ: Gaudemet-Tallon, Convention de Bruxelles, 1993, Rn. 327 (S. 226); Droz, Compétence judiciaire, 1972, Rn. 448 (S. 282); Goldman, Rev.trim.dr.europ. 1971, S. 1 (31). Allgemein: Batiffol/Lagarde, Droit international privé, Bd. II, 6. Aufl. 1976, Rn. 736; Holleaux, RCDIP 64 (1975), S. 85 (89). 18 Jenard, Bericht z. EuGVÜ 1968, S. 43, hierzu noch ausführlich Rn. 124–127. 19 EuGH, 04.02.1988 – Rs. 145/86, Hoffmann ./. Krieg, IPRax 1989, S. 159, Rn. 10 f., hierzu noch ausführlich Rn. 128–133.
§ 3 Allgemeine Kollisionsregel der Entscheidungswirkungen
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im konkreten Fall über das hinausging, was im Ursprungsland gegolten hätte, praktizierten also eine Gleichstellung.20 Auch zur EuGVVO ist in der englischen Lit. die Ansicht zu finden, der objektive und subjektive Umfang der Rechtskraft ausländischer Entscheidungen solle in England nach englischem Recht und unabhängig von den Bestimmungen des Ausgangsstaates beurteilt werden.21 Teilweise wird sogar ausdrücklich für die Geltung der Gleichstellungslehre plädiert.22 Andere englische Autoren fühlen sich allerdings dem Grundsatz der Wirkungserstreckungslehre verpflichtet.23 20 Court of Appeal (Civil Division), 18.02.1994 – Berkeley Administration Inc. and Others v. McClelland and Others [1995] I.L.Pr. 201: Die tatsächliche Feststellung eines französischen Gerichts, dass eine Klage nicht rechtsmissbräuchlich war, erwuchs in einem englischen Verfahren in Rechtskraft. Bemerkenswert hierbei ist, dass die englischen Richter ihr nationales Verständnis von subjektiver und objektiver Reichweite der Rechtskraft anwendeten. Court of Appeal (Civil Division), 02.04.1996 – Boss Group Ltd. v. Boss France S.A. [1997] 1 W.L.R. 351, 359 (Saville LJ): eine französische Entscheidung löste in England nur deswegen keinen issue estoppel aus, weil sie eine Voraussetzung nicht erfüllte, die die englische Rechtskraftlehre an den issue estoppel stellt. Auch im autonomen englischen Anerkennungsrecht gilt i.Ü. die Gleichstellungslehre: House of Lords, 18.05.1966 – Carl Zeiss Stiftung v. Rayner & Keeler Ltd. and others [1967] 1 A.C. 853; House of Lords, 05.03.1975 – Black-Clawson International Ltd. v. Papierwerke WaldhofAschaffenburg [1975] 2 Lloyd’s Rep. 11; House of Lords, 21.03.1985 – The Sennar No. 2 [1985] 1 W.L.R. 490 sowie House of Lords, 08.02.1993 – Republic of India and Another v. India Steamship Co. Ltd. [1993] A.C. 410. Die letztgenannte Entscheidung betrifft die Anerkennung der ojektiven Reichweite der Rechtskraft nach s. 34 des Civil Jurisdiction and Judgments Act 1982. Der Civil Jurisdiction and Judgments Act 1982 ist einerseits nationales Ausführungsgesetz, mit dem das EuGVÜ sowie – nach Änderungen durch den Civil Jurisdiction and Judgments Act 1991 – das LugÜ in England implementiert wurden. Andererseits regelt er die Anerkennung von Entscheidungen zwischen den einzelnen Teilstaaten des Vereinigten Königreiches (pt. II). Außerdem enthält er Regeln (wie etwa s. 32–34), die universell für das gesamte autonome englische Anerkennungsrecht gelten und damit insbesondere den Administration of Justice Act 1920, den Foreign Judgments (Reciprocal Enforcement) Act 1933 und die ungeschriebenen Anerkennungsregeln ergänzen bzw. modifzieren, vgl. Clarkson/Hill, Conflict of Laws, 3. Aufl. 2006, S. 156 f. Mit Anpassungen durch den Civil Jurisdiction and Judgments Order 2001 No. 3929 ist er auch für die Anerkennung und Vollstreckung nach der EuGVVO anwendbar. 21 Briggs, Jurisdiction and Judgments, 4. Aufl. 2005, Rn. 7.19 (S. 516) für die subjektive und die objektive Reichweite der Rechtskraft. Ebenso – für deren objektive Reichweite – Fawcett/Carruthers, Cheshire North Private International Law, 14. Aufl. 2008, S. 635 Fn. 320; diese Aussage steht damit allerdings im Widerspruch zur Festlegung auf die Wirkungserstreckungslehre auf S. 604. Clarkson/Hill, Conflict of Laws, 3. Aufl. 2006, S. 161 f. enthält sich einer Entscheidung zwischen Gleichstellung und Wirkungserstreckung, tendiert stattdessen zu einer euroautonomen Bestimmung der Anerkennungswirkungen. 22 Ausdrücklich gegen eine Wirkungserstreckung und für die Gleichstellung entscheiden sich Kaye, Jurisdiction and Enforcement, 1987, S. 1408 f. (für das EuGVÜ); Barnett, Foreign Judgments, 2001, Rn. 2.33 (allgemein).
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Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
Von einem europaweiten Konsens zum Begriff der Anerkennung kann also nicht die Rede sein. Daher sollen im Folgenden – in der gebotenen Kürze – die jeweiligen Argumente für die konträren Ansätze gegenübergestellt und miteinander abgewogen werden. 1. Die Gründe für die Geltung der Wirkungserstreckung
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Auch schon vor Erlass der EuGVVO wurde überwiegend der Grundsatz der Wirkungserstreckung verfochten. Er ist etwa in der Lit. zum autonomen deutschen Anerkennungsrecht herrschend.24 In einigen Fällen folgte ihm auch die deutsche Rechtsprechung.25 Ebenso wird im staatsvertraglichen Anerkennungsrecht überwiegend von seiner Geltung ausgegangen.26 Teilweise regeln die von Deutschland geschlossenen Abkommen ausdrücklich, dass ausländische Entscheidungen nach ihrer Anerkennung im Zweitstaat dort die gleichen Effekte haben sollen, wie im Ursprungsstaat.27 23
Vgl. Collins/Briggs/Harris u. a., Dicey & Morris, Bd. I, 14. Aufl. 2006, Rule 48, Rn. 14–225; O’Malley/Layton, European Civil Practice, 1989, Rn. 25.09 u. 25.10 (S. 664 f.) zum EuGVÜ. 24 Riezler, IZPR, 1949, S. 512; ders., in: Aubin/Neumayer/Francesakis (Hrsg.), Int FamR, 1955, S. 567; Müller, ZZP 79 (1966), S. 199 (205); Geimer, Gerichtsbarkeit, 1966, S. 26; Habscheid, FamRZ 1973, S. 431; Firsching, StAZ 1976, S. 153; Görgens, StAZ 1977, S. 79; Spellenberg, IPRax 1984, S. 304 (306); Martiny, Hdb. IZVR, Bd. III/1, 1984, Rn. 364; Gottwald, ZZP 103 (1990), S. 257 (261 f.); Bungert, IPRax 1992, S. 225 (227); Koshiyama, Rechtskraftwirkungen, 1996, S. 131; Geimer, IZPR, 6. Aufl. 2009, Rn. 2777; Stein/Jonas/Roth, 22. Aufl. 2006, § 328 ZPO Rn. 7. Fast alle Befürworter der Wirkungserstreckungslehre plädieren allerdings für – unterschiedlich restriktive – Wirkungsbegrenzungen, vgl. hierzu später. 25 RG, 17.05.1929 – II 440/28, IPRspr. 1929, Nr. 151; BGH, 07.12.1955 – IV ZR 177/55, BGHZ 19, 240 (245) (Gestaltungswirkung); OLG Saarbrücken, 09.12.1957 – 4 U 120/57, NJW 1958, S. 1046 (objektive Reichweite der Rechtskraft, entschieden zum Saarvertrag); wohl auch OLG Nürnberg, 03.07.1995 – 10 WF 1477/95, FamRZ 1996, S. 353 (objektive Reichweite der Rechtskraft) BayObLG, 20.07.1981 – BReg. 1 Z 6/81, BayObLGZ 1981, 246 (256) (Gestaltungswirkung); BayObLG, 07.06.1967 – BReg. 2 Z 81/65, BayObLGZ 1967, 218 (222 ff.) (objektive Reichweite der Rechtskraft); OLG Frankfurt, 12.11.1985 – 5 W 25/85, NJW 1986, S. 1443 (objektive Reichweite der Rechtskraft); LG Hamburg, 11.07.1991 – 302 0 49/91, IPRax 1992, S. 251 (254) (objektive Reichweite der Rechtskraft); wohl auch BGH, 04.06.1992 – IX ZR 149/91, VersR 1992, S. 1281 (Rechtskraftwirkung); OLG München, 08.03.1922, OLGRspr. 43 (1922), 142 (Reichweite der Präklusion); OLG Stuttgart, 11.07.1922, OLGRspr. 43 (1922), 143 (Reichweite der Präklusion). Beiläufig außerdem in BGH, 06.11.1985 – IV b ZR 73/84, NJW 1986, S. 1440 (1441) als Argument für eine zügige Vollstreckbarerklärung. 26 Vgl. Waehler, in: Martiny/Waehler/Wolff (Hrsg.), Hdb. IZVR, Bd. III/2, 1984, Rn. 124. 27 Vgl. etwa Art. 1 I S. 3 Deutsch-Belgisches Abkommen über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckbarerklärung von gerichtlichen Entscheidungen vom
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Auch im autonomen französischen Recht ist die Wirkungserstreckungslehre etabliert.28 Für diesen Ansatz könnten einerseits Zweck und Wesen der Anerkennung 71 [a)] und Art. 65 II S. 2 EuGVVO [b)] sprechen, andererseits der Erhalt eines den Wirkungen angemessenen Rechtsschutzes [c)] und das prozessuale Vertrauen in den Inhalt der Wirkungen [d)]. a) Zweck und Wesen der Anerkennung Für die Wirkungserstreckungslehre wird mit dem Zweck der Anerken- 72 nung argumentiert. Dem Grundgedanken der durch sie hergestellten Titelfreizügigkeit entspräche es am ehesten, wenn in jedem Land dieselben Wirkungen griffen.29 Hierfür wird außerdem das Ziel des internationalen Entscheidungseinklangs geltend gemacht.30 Dies überzeugt: Es dient der Stabilität der Privatrechtsverhältnisse, wenn Entscheidungen hierüber überall dieselbe Bedeutung haben. Hierzu lässt sich eine Parallele zu Art. 17 I EuInsVO ziehen. Danach haben Insolvenzeröffnungsbeschlüsse im gesamten Gemeinschaftsgebiet die Wirkungen, die ihnen im Eröffnungsland zukommen. Die EuInsVO folgt damit der Wirkungserstreckung.31 Dadurch soll zur Wahrung der Gleichheit der Gläubiger das in verschiedenen Mitgliedstaaten belegene Schuldnervermögen nach möglichst einheitlichen Re30.06.1958; Art. 1 I S. 2 Deutsch-Niederländischer Vertrag über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen vom 30.08.1962. Im staatsvertraglichen Bereich rechtfertigt sich die Wirkungserstreckung dadurch, dass man bei Ausarbeitung der Abkommen die beiden aufeinander treffenden Rechtssysteme im Blick gehabt hat. Durch den Abschluss eines Anerkennungsvertrages machen die jeweiligen Gesetzgeber deutlich, dass sie die im ausländischen Recht vorgesehenen Urteilswirkungen als unbedenklich sehen, vgl. Bungert, IPRax 1992, S. 225 (227). 28 So bereits Cour de cassation, req., 11.11.1908, Clunet 1909, S. 753, wonach ein ausländisches Scheidungsurteil in Frankreich „la même autorité que dans le pays où il a été rendu“ haben müsse; ferner Cour de cassation, 1re civ., 19.03.1974 – nº 72–11259, Bull. civ. I nº 90; Tribunal de grande instance de la Seine (5e Ch.), 11.12.1959, RCDIP 49 (1960), S. 123. Es finden sich aber bis in die jüngste Zeit auch Entscheidungen, die weiterhin nach der Gleichstellung verfahren, vgl. den Rspr.-Überblick bei Péroz, Réception des jugements étrangers, 2005, Rn. 234–239. 29 B/B/G/S/Tschauner, Jun. 2011, Art. 33 EuGVVO Rn. 2; B/B/G/S/Paraschas, Jun. 2011, Art. 21 EuEheVO Rn. 26; O’Malley/Layton, European Civil Practice, 1989, Rn. 25.10; Koch, Unvereinbarkeit, 1993, S. 153; Mansel, RabelsZ 70 (2006), S. 651 (720). 30 Martiny, Hdb. IZVR, Bd. III/1, 1984, Rn. 367; Spitzer, Einvernehmliche Prozessbeendigung, 2009, S. 229. 31 Gottwald, Insolvenz-Hdb., 4. Aufl. 2010, § 133 Rn. 10; Schmittmann/Hesselmann, ZInsO 2008, S. 957 (958).
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geln verwaltet und verwertet werden.32 Anerkennung dient im EU-Recht also durchaus dem internationalen Entscheidungseinklang. 73
Als Argument für die Wirkungserstreckung wird auch das Wesen der Anerkennung bemüht. Da diese die Geltung von Richtersprüchen über die Landesgrenzen hinweg erweitere, könne es sich nur um eine Erstreckung von Wirkungen handeln.33 Gleichwohl hat diese Betrachtung keine große Aussagekraft. Schließlich versteht es sich von selbst, dass nur anerkannt werden kann, was im Ursprungsland vorhanden ist. Dieser Grundmechanismus – man mag es Wesen nennen – wäre auch bei Anwendung der Gleichstellungslehre gewahrt. b) Hinweis aus Art. 65 II S. 2 EuGVVO
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Auch wenn die EuGVVO zur Wirkung der Anerkennung nicht ausdrücklich Stellung nimmt, könnte zumindest der Vorschrift des Art. 65 II S. 2 EuGVVO ein Hinweis auf die Geltung der Wirkungserstreckung entnommen werden. Hierbei handelt es sich um eine Sonderregelung für Judikate aus Ländern, deren Prozessrecht das Institut der Gewährleistungs- bzw. Interventionsklage nicht vorsieht.34 In solchen Ländern, wie etwa auch Deutschland, besteht nicht die Möglichkeit, direkt gegenüber Dritten einen Titel zu erstreiten. Stattdessen können hier durch die Streitverkündung Drittbindungen erzeugt werden (§§ 68, 74 ZPO). Für derartige Bindungswirkungen bestimmt Art. 65 II S. 2 EuGVVO, dass sie in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden müssen. Ganz offensichtlich kann sich diese Anerkennung nur nach der Wirkungserstreckung vollziehen35, weil die anderen europäischen Rechtsordnungen eine Interventionswirkung nicht kennen. Aus diesem Grunde kann Art. 65 II S. 2 EuGVVO als unterstützendes Argument für die allgemeine Geltung der Wirkungserstreckung unter der EuGVVO herangezogen werden.36 32 Gottwald, Insolvenz-Hdb., 4. Aufl. 2010, § 133 Rn. 5; Schmittmann/Hesselmann, ZInsO 2008, S. 957 (959). 33 Habscheid, FamRZ 1973, S. 431; Geimer, RIW/AWD 1976, S. 139 (141): Wirkungserstreckung folgt aus der „Natur der Sache“ der Anerkennung; ähnlich wohl auch Görgens, StAZ 1977, S. 79. 34 Diese gibt es in den meisten europäischen Rechtsordnungen: In England third party proceedings, s. unten Rn. 340; in Frankeich action en garantie, s. unten Rn. 387–390. 35 Mansel, in: Hommelhoff/Jayme/Mangold (Hrsg.), Europäischer Binnenmarkt, 1995, S. 161 (211) zur insoweit inhaltsgleichen Vorschrift in Art. V Abs. 2 S. 2 des 1. EuGVÜ-Protokolls. 36 So – zu Art. V Abs. 2 S. 2 des 1. EuGVÜ-Protokolls – auch: Staudinger/Spellenberg, Neubearb. 2005, § 328 ZPO Rn. 122; Kropholler, EuZPR, 4. Aufl. 1993,
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Allerdings wurde mit dieser Bestimmung auch schon im Wege eines Um- 75 kehrschlusses gegen die Wirkungserstreckungslehre argumentiert. Die Regelung wäre nicht erforderlich gewesen, wenn in der EuGVVO ohnehin die Wirkungserstreckung gelten würde.37 Da der Gemeinschaftsgesetzgeber sie dennoch für nötig hielt, könne man folgern, dass außerhalb dieser Regelung die Wirkungserstreckung keine Gültigkeit haben solle. Dieser Umkehrschluss ist allerdings angesichts des Zwecks der Vorschrift nicht überzeugend: Sie bezieht sich gerade nur auf die beiden Länder, in denen die in Art. 6 Nr. 2 und 11 EuGVVO vorgesehene Zuständigkeit für Gewährleistungs- oder Interventionsklagen nicht greift, nämlich Deutschland und Österreich (vgl. Art. 65 I S. 1 EuGVVO). Da die Interventionswirkung als prozessuale Urteilswirkung ohnehin anerkennungsfähig gewesen wäre38, enthält Art. 65 II S. 2 EuGVVO eine reine Klarstellung39. Sie dient den mit deutschem und österreichischem Recht nicht vertrauten Normanwendern, die ansonsten nicht hätten nachvollziehen können, warum in diesen Ländern der Gerichtsstand von Gewährleistungs- und Interventionsklage nicht gilt. Daher ist der geschilderte Umkehrschluss nicht überzeugend und 76 Art. 65 II S. 2 EuGVVO zumindest ein Hinweis auf die Geltung der Wirkungserstreckung zu entnehmen. c) Sicherstellung angemessener Rechtsschutzmöglichkeiten für die Parteien Die Wirkungserstreckungslehre stellt sicher, dass den Parteien – gemes- 77 sen an der prozessualen Tragweite des Urteils – ein angemessener Rechtsschutz zur Verfügung stand.40 Wie K. Müller ausgeführt hat, wird die Gestaltung des Erkenntnisverfahrens mitbestimmt von Inhalt und Folgen des an dessen Ende stehenden Urteils: Je größer deren Reichweite ausfällt, desto mehr wird ein Gesetzgeber darauf Wert legen, eine sorgfältige und eingehende Entscheidung des Rechtsstreits zu garantieren.41 Dies gilt für vor Art. 26 EuGVÜ Rn. 9; O’Malley/Layton, European Civil Practice, 1989, Rn. 25.10. 37 Zu Art. V Abs. 2 S. 2 des 1. EuGVÜ-Protokolls: Schack, IPRax 1989, S. 139 (142 Fn. 50); Kaye, Jurisdiction and Enforcement, 1987, S. 1422 Fn. 116. 38 Mansel, in: Hommelhoff/Jayme/Mangold (Hrsg.), Europäischer Binnenmarkt, 1995, S. 161 (212); Kropholler, EuZPR, 8. Aufl. 2005, vor Art. 33 EuGVVO Rn. 16. 39 Mansel, in: Hommelhoff/Jayme/Mangold (Hrsg.), Europäischer Binnenmarkt, 1995, S. 161 (211) zu Art. V Abs. 2 S. 2 des 1. EuGVÜ-Protokolls. 40 Müller, ZZP 79 (1966), S. 199 (204); Hausmann, Kollisionsrechtliche Schranken, 1980, S. 178. 41 Müller, ZZP 79 (1966), S. 199 (204).
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die objektive Bemessung der Rechtskraft, in besonderem Maße aber für deren subjektiven Umfang: Inwieweit unbeteiligte Dritte an eine Entscheidung gebunden sein können, hängt vor allem von deren prozessualen Möglichkeiten zur Beeinflussung des Verfahrensausgangs ab. Die Regelungen der Verfahrensdurchführung sind also auf die Wirkungen des Richterspruchs abgestimmt.42 78
Eine Gleichstellung wäre insbesondere dann unangemessen, wenn im Anerkennungsstaat die Folgen eines Urteils weiter reichen als im Ursprungsstaat. Dann standen den Parteien im Erkenntnisverfahren nur diejenigen prozessualen Mitwirkungsrechte offen, die auf die dort vorgesehenen engeren Urteilswirkungen zugeschnitten waren. Es drohte eine unangemessene Beeinträchtigung der Rechtsschutzmöglichkeiten43 bzw. die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör.44 Die Wirkungserstreckung schützt also die prozessualen Mitwirkungs- und Rechtsschutzmöglichkeiten der Parteien. d) Der prozessuale Vertrauensschutz für die Parteien
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Das stärkste Argument für die Wirkungserstreckungslehre ergibt sich aus dem berechtigten Vertrauen der Parteien darauf, dass die Gerichtsentscheidung im Zweitstaat weder ein Plus noch ein Minus an Effekten erlangt. Das Agieren im Verfahren hängt entscheidend vom Prozessrisiko ab, welches sich seinerseits auch danach richtet, welchen Umfang die Wirkungen des später zu erwartenden Urteils haben können.45 Käme es im Anerkennungsland zu einer Wirkungserweiterung, hätten die Parteien ihr Verhalten nicht an die Tragweite des Urteils anpassen können.46 Das Prozessrisiko würde im Vorfeld unkalkulierbar.47 Es kann auch nicht erwartet werden, dass sich die Beteiligten auf die im Anerkennungsland vorgesehenen Wirkungen einstellen48, denn im Erkenntnisverfahren ist in aller Regel völlig offen, in welchen Ländern das Urteil später anerkannt werden wird. 42
Martiny, Hdb. IZVR, Bd. III/1, 1984, Rn. 367. Müller, ZZP 79 (1966), S. 199 (205), zur Reichweite der Rechtskraft, was aber auch für andere Urteilswirkungen tragfähig ist. 44 Bungert, IPRax 1992, S. 225 (226). 45 Leipold, in: FS Nagel, 1987, S. 189 (192); Spellenberg, IPRax 1984, S. 304 (306); Hausmann, Kollisionsrechtliche Schranken, 1980, S. 178; auch Rimmelspacher, Materiellrechtlicher Anspruch, 1970, S. 184 ff. betont, dass das Parteiverhalten wesentlich von dem späteren Urteil und seiner Tragweite bestimmt wird. 46 Leipold, in: FS Nagel, 1987, S. 189 (192); Pfeiffer, in: Gilles (Hrsg.), Transnationales Prozeßrecht, 1995, S. 77 (105). 47 Bungert, IPRax 1992, S. 225 (226). 48 Spellenberg, IPRax 1984, S. 304 (306); Martiny, Hdb. IZVR, Bd. III/1, 1984, Rn. 367; Nelle, Anspruch, Titel u. Vollstr., 2000, S. 243. 43
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Eine Verletzung des prozessualen Vertrauens durch Gleichstellung ist auf 80 beiden Seiten denkbar: Der unterlegenen Partei widerführe dies, wenn die Entscheidungseffekte im Anerkennungsstaat erweitet würden. Denn dann vergrößerte sich der Prozessverlust nachträglich. Das Vertrauen der obsiegenden Seite könnte hingegen dadurch enttäuscht werden, dass im Anerkennungsstaat nur ein Minus an Entscheidungswirkungen greift. Dies würde einen Export des Prozesserfolges in vollem Umfang verwehren. Gleichwohl hängt es entscheidend von den möglichen Früchten eines Verfahrens ab, inwieweit sich die Investition von Zeit und Geld lohnt. Bei einer Verkürzung der Entscheidungstragweite könnte der Nutzen des Prozessaufwandes nachträglich zunichte gemacht werden. 2. Die Lehre von der Gleichstellung Die Gleichstellungslehre wurde vor allem in der älteren deutschen Litera- 81 tur vertreten.49 Größere Verbreitung findet sie in der deutschen50 und französischen51 Rspr. Lange Tradition hat sie in der englischen Rspr. zum autonomen Anerkennungsrecht. Hier folgt man ihr selbst dann, wenn das eng49 Reu, Fremdes Recht, 1938, S. 86; Reinl, Eheauflösungen, 1966, S. 58; auch Leipold, in: FS Nagel, 1987, S. 189 (190 Fn. 3) äußert „grundsätzliche [. . .] Sympathie für den Gleichstellungsgedanken“; in neuerer Zeit Spiecker gen. Döhmann, ne bis in idem, 2002, S. 70–74. Insbesondere im österreichischen autonomen Anerkennungsrecht gilt die Gleichstellungslehre, vgl. Matscher, JBl. 1960, S. 265 (270); ders., in: FS Schima, 1969, S. 265 (276 ff.); ders., ZZP 86 (1973), S. 404 (408) und ders., ZZP 103 (1990), S. 294 (306 ff.). Für den Anwendungsbereich des EuGVÜ folgt allerdings auch die Rspr. in Österreich der Wirkungserstreckungslehre, vgl. OGH, 15.03.2005 – 1 Ob 1/05m, ZfRV 2005, S. 116. 50 BGH, 06.10.1982 – IVb ZR 729/80, NJW 1983, S. 514 (515); BGH, 01.06.1983 – IV b ZR 386/81, NJW 1983, S. 1976 (ausländische Entscheidungen im Inland nach § 323 ZPO abänderbar); ebenso OLG Düsseldorf, 03.11.1981 – 6 UF 79/81, IPRax 1982, S. 152 und OLG Köln, 15.12.1986 – 26 UF 188/86, IPRax 1988, S. 30 (31); BGH, 27.06.1984 – IV b ZR 2/83, IPRax 1985, S. 224 (225) (objektive Reichweite der Rechtskraft); VG Stuttgart, 18.08.1981 – VRS 7 K 395/81, StAZ 1982, S. 218 (Rechtskraft und Gestaltungswirkung). Insbesondere im Rahmen von § 767 II ZPO folgen deutsche Gerichte faktisch oft einer Gleichstellung, vgl. Nachweise in Fn. 166 auf S. 310. 51 Zum autonomen Anerkennungsrecht: Cour de cassation, 1re civ., 29.03.1978 – Royon c/ Soc. Les grands travaux de l’Est, RCDIP 69 (1980), S. 114 (Gestaltungswirkung); Cour de cassation, civ., 28.10.1947, JCP 1947.II.3951 (objektive Reichweite der Rechtskraft). Zum französisch-algerischen Anerkennungsvertrag: Cour de cassation, 1re civ., 19.12.1972 – Guarte c/ dame Guarte, RCDIP 64 (1975), S. 83 (subjektive Reichweite der Rechtskraft). Im Ergebnis läuft auch der Ansatz von Péroz, Réception des jugements étrangers, 2005, Rn. 240–245 auf eine Gleichstellung hinaus: Sie will die Rechtskraft ausländischer Entscheidungen nach französischem Prozessrecht beurteilen, hierbei lediglich auf die ausländische Herkunft des Titels Rücksicht nehmen.
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Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
lische Recht im konkreten Fall weiterreichende Wirkungen vorsieht als der Ursprungsstaat.52 In einer Entscheidung bedeutete diese Wirkungserweiterung beinahe schon eine Rechtsverweigerung.53 Die Gleichstellung gilt auch mit der umgekehrten Konsequenz, dass der Entscheidung in England weniger, oder sogar überhaupt keine Wirkungen zukommen, weil die ausländische Entscheidung nach englischen Maßstäben einer Rechtskraft nicht fähig sei.54 82
Allerdings finden sich auch in England kritische Stimmen gegenüber der Gleichstellungslehre, soweit sie dazu führt, dass ausländischen Entscheidungen eine Vorfragenbindung, die in der englischen Rechtskraftlehre anerkannt ist55, beigemessen wird: Einerseits wird hieran kritisch gesehen, dass die mit ausländischem Recht nicht vertrauten englischen Richter kaum beurteilen könnten, welche Vorfragen tatsächlich im Ursprungsverfahren entschieden wurden.56 Andererseits wird befürchtet, dass eine rationale Partei 52 House of Lords, 18.05.1966 – Carl Zeiss Stiftung v. Rayner & Keeler Ltd. and others [1967] 1 A.C. 853: Grundsätzlich kann ein deutsches Urteil in England eine issue estoppel-Wirkung über Vorfragen entfalten, obwohl diese nach deutschem Prozessrecht im konkreten Fall nicht in Rechtskraft erwachsen wären. Ebenso House of Lords, 21.03.1985 – The Sennar No. 2 [1985] 1 W.L.R. 490: Eine ausländische Entscheidung löste einen issue estoppel aus, ohne dass überhaupt geprüft wurde, ob im Prozessrecht des Ursprungsstaates eine derartige Vorfragenbindung vorgesehen ist. s. zum issue estoppel Rn. 194–204. 53 Besonders problematisch in der Entscheidung House of Lords, 08.02.1993 – Republic of India and Another v. India Steamship Co. Ltd. [1993] A.C. 410, wo eine Teilklage über £9000, die mit Erfolg in Indien erhoben wurde, in England die klageweise Geltendmachung des restlichen Anspruchsteils i. H. v. £2.6 Millionen ausschloss. Zu diesem Ergebnis kamen die Richter unter Anwendung der englischen Rechtskraftregeln, nach denen eine Teilklage ausgeschlossen ist (s. Rn. 575). Krit. hierzu Briggs, Brit.Y.B.Int’l L. 68 (1997), S. 355 (357): Die Richter hätten die Zulässigkeit von Teilklagen nach indischem Prozessrecht beurteilen müssen. 54 Die ausländische Entscheidung muss aus englischer Sicht eine sog. „decision on the merits“ sein, vgl. House of Lords, 05.03.1975 – Black-Clawson International Ltd. v. Papierwerke Waldhof-Aschaffenburg [1975] 2 Lloyd’s Rep. 11: Das House of Lords maß einer Entscheidung des LG München, das eine Klage wegen Verjährung abgewiesen hatte, in England keine Rechtskraft bei. Lord Wilberforce, a. a. O., 26 begründete dies mit den Wirkungen der Verjährung im deutschen Recht: „German law, though classifying limitation as a matter of substance, did not, in relation to the subjet matter of the disupte, extinguish the right, but did affect the remedy.“ Und weiter: „Since in this case all that was adjudicated upon was that the plaintiffs have no remedy in Germany upon the bills, by reason of the expiry of the German limitation period, recognition of this fact does not prevent the appellants from suing in England.“ Und schließlich a. a. O., 27 f.: „. . . English law should . . . treat the foreign judgment as a decision as to the remedy procedurally available, or not available, in the foreign Court and nothing more.“ Die Gleichstellungslehre führt hier also faktisch zur Nichtanerkennung der ausländischen Entscheidung. 55 Vgl. ausführlich Rn. 194–204.
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von der Ausfechtung eines Falles deshalb abgesehen haben könnte, weil die Kosten des Prozessierens im Ausland außer Verhältnis zum Wert des eigentlichen Klagegegenstandes standen. In diesem Fäll wäre es problematisch, wenn diese Partei im Nachhinein an Vorfragen des Urteils gebunden wäre.57 Schließlich hat sie nur im Vertrauen darauf, dass das Urteil keine weitere Bedeutung erlangen würde, auf weitere Aufwendungen für das Verfahren verzichtet. Allein die Tatsache, dass die Gleichstellung zu einer Erweiterung der Wirkungen führen kann, stört demgegenüber allerdings kaum einen englischen Richter.58 Für die Gleichstellungslehre wird geltend gemacht, dass es dem Anerken- 83 nungsstaat freistehe, welche Wirkungen er dem ausländischen Judikat beimisst [a)]. Außerdem werden eine Parallele zur Vollstreckbarerklärung [b)], die Praktikabilität der Rechtsanwendung [c)], der Äquivalenzgedanke [d)] und der lex fori-Grundsatz [e)] als Argumente angeführt.
56 Lord Guest in House of Lords, 18.05.1966 – Carl Zeiss Stiftung v. Rayner & Keeler Ltd. and others [1967] 1 A.C. 853, 938E-F lehnt es ab, ausländischen Urteilen eine Vorfragenbindung zukommen zu lassen: „We are not familiar in this country with the practice and procedure in foreign countries, and it may be a matter of considerable nicety in certain cases to find what issues were determined and whether they were incidental or collateral to the main decision“. Diese Bedenken teilt auch Lord Reid, a. a. O., 918C, der letztlich aber wie die anderen drei Lordrichter grundsätzlich bereit ist, ausländischen Entscheidungen einen issue estoppel beizumessen. Dies müsse im Einzelfall angemessen sein: Lord Reid, a. a. O., 918B: „. . . reasons for being cautious in any particular case . . .“; ebenso Lord Hodson, a. a. O., 926D: „There may be cases of manifest injustice . . .“; Lord Wilberforce, a. a. O., 967D: „. . . receive the claim [of issue estoppel] with caution . . .“; ebenso Lord Upjohn, a. a. O., 948G-949C. 57 Vgl. Lord Reid, a. a. O., 917C-E: „The difficulty which I see about issue estoppel is a practical one. Suppose the first case is one of trifling importance but it involves for one party proof of facts which would be expensive and troublesome; and that party can see the possibility that the same point may arise if his opponent later raises a much more important claim. What is he to do? The second case may never be brought. Must he go to great trouble and expense to forestall a possible plea of issue estoppel if the second case is brought?“; ebenso Lord Hodson, a. a. O., 926D. Lord Reid, a. a. O., 918D: „. . . it might be most unjust to hold that a litigant here should be estopped from putting forward his case because it was impracticable for him to do so in an earlier case of a trivial character abroad, with the result that the decision in that case went against him.“ 58 In diesem Sinne nur Lord Reid, a. a. O., 919C: „. . . it seems to me to verge on absurdity that we should regard as conclusive something in a German judgment which the German courts themselves would not regard as conclusive. It is quite true that estoppel is a matter of the lex fori but the lex fori ought to be developed in a manner consistent with good sense.“
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Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
a) Argument der territorialen Geltungsgrenze der Urteilswirkungen 84
Für die Geltung der Gleichstellungslehre wird geltend gemacht, dass die zweitstaatliche Rechtsordnung frei festlegen könne, welche Wirkungen sie einer ausländischen Entscheidung beimessen wolle.59 Da Gerichtsentscheidungen nur für das Staatsgebiet, in dem sie erlassen wurden, Geltung beanspruchen können, würde auch nicht die fremde Hoheitsgewalt verletzt, wenn man ihnen im Anerkennungsland einen anderen Inhalt zukommen lasse.60
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Dass eine Gleichstellung nicht die Souveränität des ausländischen Staates verletzt und auch der Zweitstaat den Inhalt der anerkannten Wirkungen frei festlegen kann, bedeutet allerdings noch nicht, dass es sich hierbei um den besseren Ansatz handelt. Auch die Wirkungserstreckung verletzt die fremde Staatssouveränität nicht. b) Argument aus dem Vergleich mit der Vollstreckbarkeit
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Zur Begründung der Gleichstellungslehre wurde auch eine Parallele zur Vollstreckbarerklärung gezogen, die eine Gleichstellung mit inländischen Entscheidungen bewirke.61 Unter anderem weil das Exequatur die Vollstreckbarkeit originär für das Zweitland verleiht62, wird oft vertreten, dass sich ihr Inhalt im Zweitland ausschließlich nach dortigem Recht beurteile, mithin entsprechend der Gleichstellungslehre.63
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Matscher hält es für unverständlich, dass die übrigen Entscheidungswirkungen anders behandelt werden sollen.64 Diese und die Vollstreckbarkeit 59 BGH, 01.06.1983 – IV b ZR 386/81, NJW 1983, S. 1976 (1977); Matscher, ZZP 103 (1990), S. 294 (307). 60 Der BGH hat die Abänderung ausländischer Urteile im Inland vor allem damit begründet, dass sich der inländische Richter dabei im Rahmen der inländischen Hoheitsmacht bewege, BGH, 01.06.1983 – IV b ZR 386/81, NJW 1983, S. 1976 (1977). 61 Matscher, in: FS Schima, 1969, S. 265 (276 f.) zum autonomen österreichischen Anerkennungsrecht; ebenso Kaye, Jurisdiction and Enforcement, 1987, S. 1409 zum EuGVÜ. 62 Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 868; Geimer, in: Geimer/Schütze (Hrsg.), EuZVR, 3. Aufl. 2010, Art. 33 EuGVVO Rn. 2; Geimer, Anerkennung, 1995, S. 163. 63 Geimer, Anerkennung, 1995, S. 165. 64 Matscher, in: FS Schima, 1969, S. 265 (276 f.). Die Aussage bezog sich zwar nicht auf die EuGVVO, sondern auf das autonome österreichische Anerkennungsrecht. Da dies aber in seiner Grundstruktur der EuGVVO entspricht, kann die Aussage auch vorliegend herangezogen werden.
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seien das einheitliche Phänomen „Wirkungen einer ausländischen Entscheidung“ und dürften daher nicht aufgesplittert werden in verschiedene Aspekte, von denen manche dem Prozessrecht des Zweitstaates, andere dem des Ursprungsstaates unterliegen.65 Man müsse daher bei der Anerkennung genauso verfahren wie bei der Vollstreckbarerklärung.66 In der Tat sind die meisten anerkennungsfähigen Entscheidungswirkun- 88 gen in ihrem Wesen mit der Vollstreckbarkeit vergleichbar. Jeweils geht es darum, einem vorhandenen Richterspruch Geltungskraft zu verleihen. Auch die bereits eingangs herausgestellte Wesensidentität von Anerkennung und Vollstreckbarerklärung67 legt es nahe, die Auswirkungen beider nach einem einheitlichen Konzept zu bestimmen. Hieraus den Schluss zu ziehen, Anerkennung in der EuGVVO bedeute Gleichstellung, ist aber nur bei der gleichzeitigen Annahme folgerichtig, dass auch die Vollstreckbarerklärung nichts anderes sei. Ob tatsächlich die Vollstreckbarerklärung unter der EuGVVO dem Grundsatz der Gleichstellung unterliegt, wird in einem späteren Teil dieser Arbeit zu erörtern sein.68 An dieser Stelle muss daher die Feststellung genügen, dass sich aus dem Vergleich mit der Vollstreckbarerklärung allein noch kein Hinweis auf die Gleichstellungslehre im Bereich der Anerkennung gewinnen lässt. c) Der Praktikabilitätsgesichtspunkt bei Berücksichtigung der Wirkungen ausländischer Titel im zweitstaatlichen Verfahren Auch Praktikabilitätsgesichtspunkte werden für die Gleichstellung ins 89 Felde geführt. Diese erleichtere die Rechtsanwendung und vermeide ein Zusammentreffen ausländischer Urteilswirkungen mit dem insoweit inkompatiblen inländischen Rechtsschutzsystem, was auch die Rechtssicherheit im Anerkennungsland gefährden könne.69 Zwar ist prinzipiell denkbar, dass einzelne Entscheidungseffekte für die 90 inländische Rechtsordnung völlig fremd und daher mit dieser nicht kompatibel sind. Dies macht allerdings eine grundsätzliche Abkehr von der Wirkungserstreckungslehre nicht erforderlich, vielmehr kann mit einer Wir65
Matscher, ZZP 103 (1990), S. 294 (309). Vgl. auch Matscher, ZZP 103 (1990), S. 294 (306 f.), wonach die Vollstreckung einer ausländischen Entscheidung nur „ein Aspekt“ der Anerkennung sei. 67 Vgl. oben Rn. 24–26. 68 s. hierzu unten Rn. 627–682 (insbes. 660–664). 69 Matscher, in: FS Schima, 1969, S. 265 (279); Kaye, Jurisdiction and Enforcement, 1987, S. 1408. Auch Schwind, ZfRV 1968, S. 161 (176) verweist auf die Gefahr mangelnder Einpassungsfähigkeit ausländischer Wirkungen in das inländische Rechtssystem. 66
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Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
kungsbegrenzung im Einzelfall geholfen werden. Außerdem unterscheiden sich die Entscheidungswirkungen in aller Regel nicht prinzipiell voneinander und können grundsätzlich in einem weiten Rahmen akzeptiert werden, ohne dass ernsthafte Störungen der inländischen Rechtsordnung zu befürchten wären.70 91
Zutreffend ist lediglich, dass bei der Wirkungserstreckungslehre die Ermittlung der Entscheidungswirkungen nach dem ausländischen Recht mit höherem Aufwand verbunden sein kann. Allerdings ist auch die Gleichstellung nicht einfacher zu handhaben. Tatsächlich zwingt nämlich auch sie mitunter zur Analyse fremder Rechtsordnungen: Da nach ihr das ausländische Judikat einem inländischen Urteil gleichgestellt werden muss, wäre ein Vergleich in- und ausländischen Rechts notwendig, schwierige Abgrenzungen wären hierbei unausweichlich.71 Die ausländischen Wirkungen müssten in inländische Formen gezwängt bzw. in solche umgedeutet werden. Damit geht der scheinbare Reiz der Gleichstellung für die praktische Rechtsanwendung schnell verloren. d) Der Äquivalenzgedanke
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Zur Begründung der Gleichstellung wird auch der Äquivalenzgedanke herangezogen, wonach der Zweitstaat ausländische Entscheidungen als gleichberechtigt neben seinen eigenen anerkennen solle.72 Mehr als dies könne vernünftigerweise nicht verlangt werden.73 Dieser Gesichtspunkt ist aber nur von geringer Tragfähigkeit: Obgleich es zu befürworten ist, wenn ausländische Rechtsakte nicht diskriminiert werden, bedeutet Gleichwertigkeit aller Rechtsordnungen konsequenterweise, dass man die Urteilswirkungen nach ausländischem Recht grundsätzlich im Inland akzeptiert.74
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In England stört man sich auch deshalb nicht daran, ausländischen Entscheidungen eine Rechtskraftbindung entsprechend inländischer Vorstellung zukommen zu lassen, weil deren Sinn und Zweck gleichermaßen auch auf ausländische Urteile zutreffe und eine Gleichstellung rechtfertige.75 Hier70
Spellenberg, IPRax 1984, S. 304 (306). Martiny, Hdb. IZVR, Bd. III/1, 1984, Rn. 368. 72 Matscher, JBl. 1960, S. 265 (270). 73 Schack, IPRax 1989, S. 139 (142), der mit diesem Gedanken allerdings für die Kumulationstheorie plädiert, vgl. hierzu später. Ebenso Kaye, Jurisdiction and Enforcement, 1987, S. 1408 f., wonach Anerkennung nur erfordere, dass eine ausländische Entscheidung in England authority habe. Welche effects diese Entscheidung in England auslöst, könne allerdings das autonome englische Recht entscheiden. 74 Martiny, Hdb. IZVR, Bd. III/1, 1984, Rn. 367. 75 Lord Upjohn, House of Lords, 18.05.1966 – Carl Zeiss Stiftung v. Rayner & Keeler Ltd. and others [1967] 1 A.C. 853, 948G: „. . . for the purpose of the doctrine 71
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durch können allerdings die Prozessgrundrechte der Parteien verletzt werden. Der Äquivalenzgedanke ist damit kein schlagendes Argument für die Gleichstellung. e) Der lex fori-Grundsatz In der englischen Lit. wird versucht, die Gleichstellungslehre mit dem 94 lex fori-Grundsatz zu begründen. Dazu wird zwischen authority und effectiveness eines Richterspruchs unterschieden. Anerkennung ausländischer Entscheidungen bedeute nur, dass deren authority im Inland akzeptiert werde.76 Die Frage nach deren effectiveness, also ihren Auswirkungen im Zweitstaat, sei damit noch nicht beantwortet.77 Die EuGVVO regle nur, wann die authority anerkannt werden könne und müsse, die effectiveness unterliege hingegen der zweitstaatlichen lex fori.78 Von diesem Denkansatz ausgehend übertragen englische Kommentatoren die in ihrem autonomen Recht herrschende Gleichstellungslehre in den Anwendungsbereich des europäischen Anerkennungsrechts.79 Die Differenzierung zwischen authority und effectiveness ist insofern 95 richtig, als dass die EuGVVO nicht regelt, wie Wirkungen ausländischer Titel in die zweitstaatliche Rechtsordnung integriert werden. Die prozessuale Technik ist Sache des Anerkennungsstaates.80 Ausschließlich das örtliche Prozessrecht gibt vor, wie sich die Rechtskraft in einem dortigen Folgeprozess auswirkt – ob sie etwa ein ne bis in idem auslöst oder eine Bindungswirkung auf Ebene der Begründetheit. Die Trennlinie zwischen authority und effectiveness müsste daher in der Weise gezogen werden, dass letztere ausschließlich die Integration der Wirkung ins Verfahren betrifft. Alle anderen Aspekte, also Inhalt und Reichweite, lassen sich aber nicht von der Autorität einer Entscheidung trennen, da diese gerade von der Tragweite ihrer Wirkungen abhängt. Welchem Recht die authority zu unterstellen ist, ist damit noch nicht gesagt. Zumindest aber ergibt sich bei richof res judicata in general a prior foreign judgment may be just as effective as an English one.“ 76 O’Malley/Layton, European Civil Practice, 1989, Rn. 25.06. 77 O’Malley/Layton, European Civil Practice, 1989, Rn. 25.09. 78 Kaye, Jurisdiction and Enforcement, 1987, S. 1403 zum EuGVÜ; Briggs, Jurisdiction and Judgments, 4. Aufl. 2005, Rn. 7.19 (S. 516): Die englische res judicataLehre sei als Teil des englischen Beweisrechts vom Anwendungsbereich der EuGVVO nicht berührt. 79 Kaye, Jurisdiction and Enforcement, 1987, S. 1408 f.; Fawcett/Carruthers, Cheshire North Private International Law, 14. Aufl. 2008, S. 635 Fn. 320; Briggs, Jurisdiction and Judgments, 4. Aufl. 2005, Rn. 7.19. 80 Vgl. Geimer, in: Geimer/Schütze (Hrsg.), Urteilsanerkennung, Bd. I/1, 1983, § 133 I 3 (S. 1020).
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tiger Unterscheidung zwischen authority und effectiveness kein Argument für die Geltung der Gleichstellungslehre hinsichtlich des Inhaltes der Wirkungen im Zweitland. 3. Zusammenfassung und Ergebnis 96
Wie sich gezeigt hat, sprechen insbesondere das Anliegen des prozessualen Vertrauensschutzes und die Sicherstellung angemessenen Rechtsschutzes für die Wirkungserstreckungslehre. Art. 65 II S. 2 EuGVVO liefert einen zusätzlichen Hinweis auf ihre Geltung. Für die Gleichstellung können allenfalls Praktikabilitätsgesichtspunkte herhalten, denen aber auch bei Geltung der Wirkungserstreckungslehre durch eine Wirkungsbegrenzung im Einzelfall Rechnung getragen werden kann. Insgesamt ist daher allein die Wirkungserstreckungslehre als Grundsatz die sachgerechte Anerkennungstheorie. II. Berücksichtigung der lex causae
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Der Inhalt anerkannter Entscheidungswirkungen muss aber nicht zwingend der lex fori des Ursprungsgerichts unterstellt werden, könnte vielmehr auch dem in der Sache angewendeten Recht unterliegen. Jedenfalls in der Lit. finden sich Vorschläge für eine derartige Berücksichtigung der lex causae bei der Urteilsanerkennung.81 Wegen des inneren Zusammenhangs zwischen materiellem und Prozessrecht wird auch für andere Aspekte des Erkenntnisverfahrens eine „materiellrechtsfreundliche“ Qualifikation durchgeführt.82 So werden Beweislastvorschriften der lex causae entnommen, weil sie prozessrechtliche Hilfen bzw. Verstärkungen des materiellen Rechts sind.83 Auch die Entscheidungswirkungen könnten einen Bezug zum materiellen Recht haben, der es rechtfertigt, sie derselben Rechtsordnung wie dieses zu unterstellen.
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Nach einer Verdeutlichung der Fragestellung [1.] ist nach Gründen für die Berücksichtigung der lex causae [2.] bzw. der lex fori [3.] zu fragen.
81 So etwa Spellenberg, IPRax 1984, S. 304 (307); Grunsky, ZZP 89 (1976), S. 241 (258 f.); Zitelmann, IPR, Bd. II, 1912, S. 274–276; Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, 2. Aufl. 1976, S. 130. Dagegen aber Spiecker gen. Döhmann, ne bis in idem, 2002, S. 60 f.; Ellrich, Sicherungsrechte, 2009, S. 159. 82 Grunsky, ZZP 89 (1976), S. 241 (247); Basedow, in: Schlosser (Hrsg.), Int. ZwVollstr., 1992, S. 131 (137), der eine allgemeine Tendenz hierzu feststellt. 83 Vgl. Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rn. 658; Basedow, in: Schlosser (Hrsg.), Int. ZwVollstr., 1992, S. 131 (137).
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1. Die Fragestellung Hatte das Ursprungsgericht in der Hauptsache sein eigenes Sachrecht an- 99 gewandt, droht von vornherein kein unerwünschtes Auseinanderreißen von Prozess- und materiellem Recht, wenn man der Lehre der Wirkungserstreckung folgt. Denn diese verweist auch auf materielle Vorschriften des Forumstaates, soweit in diesen anerkennungsfähige Entscheidungswirkungen geregelt sind.84 Etwas anderes gilt aber, wenn das Ursprungsgericht – aus seiner Sicht – ausländisches Recht angewendet hatte. Dann stellt sich die Frage, ob von der Wirkungserstreckungslehre abzuweichen und im Anerkennungsland auf die im Ursprungsverfahren herangezogene lex causae zurückzugreifen ist. Zumindest für einen Moment könnte man auch überlegen, ob die vom 100 IPR des Anerkennungsstaates berufene lex causae zu berücksichtigen ist.85 Nach seiner eigentlichen Funktion hat das IPR im Rahmen der Urteilsanerkennung aber keine Relevanz. Es gibt vor, welchem Sachrecht ein Sachverhalt mit Auslandsberührung unterliegt. Bei der Entscheidungsanerkennung wird hingegen ein ausländischer Subsumtionsschluss übernommen. Wann dieser akzeptabel ist, ist eine Frage der Anerkennungsvoraussetzungen, die anderen Gesichtspunkten Rechnung tragen als das IPR. Außerdem ist seit der Streichung von Art. 27 Nr. 4 EuGVÜ die Abweichung vom inländischen Kollisionsrecht in der EuGVVO kein Anerkennungshindernis mehr. IPR-Gerechtigkeit spielt bei Anerkennungsfragen also keine Rolle. Im Folgenden ist also nur zu untersuchen, ob und inwieweit die Entscheidungswirkungen dem Recht zu entnehmen sind, das das Gericht des Ursprungsstaates angewendet hatte.86 2. Gründe für die Berücksichtigung der lex causae Die Entscheidungswirkungen dem Sachrecht zu unterstellen, könnte aus 101 denselben Gründen geboten sein, wegen derer im Erkenntnisverfahren der lex fori-Grundsatz begrenzt wird. Dieser Grundsatz besagt, dass das Verfah84 Spellenberg, IPRax 1984, S. 304 (305). Die Qualifikation als prozessuale Entscheidungswirkung i. S. der EuGVVO ist unabhängig von der nationalen Einordnung als materielles oder Prozessrecht, vgl. bereits Rn. 64. 85 Die zieht etwa Spellenberg, IPRax 1984, S. 304 (308) als Möglichkeit in Erwägung; ebenso BGH, 01.06.1983 – IV b ZR 386/81, NJW 1983, S. 1976. 86 Hier soll nicht weiter der Fall untersucht werden, dass das Erstgericht sein IPR falsch oder gar nicht befragt hat und daher die aus seiner Sicht „falsche“ Rechtsordnung angewendet hat. In einer solchen Konstellation dürfte es nur sinnvoll sein, das tatsächlich angewendete Recht heranzuziehen, soweit überhaupt ein lex causae-Rückgriff nach Schritt 2 durchzuführen ist, vgl. Spellenberg, IPRax 1984, S. 304 (308).
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ren nach dem Recht des Gerichtsstaates durchgeführt wird.87 Die Domäne des Forums-Rechts beschränkt sich aber auf Verfahrensgestaltung und -durchführung, während alle das Ergebnis bestimmenden Verfahrensnormen der lex causae unterliegen.88 Eine Begrenzung der Reichweite der lex fori dient vor allem der Wahrung des internationalen Entscheidungseinklangs.89 Dieser ist das Leitprinzip des IPR, wonach das Ergebnis der Rechtsanwendung auf eine bestimmte Sachfrage unabhängig sein soll vom in concreto angerufenen Forum.90 Mit den Worten Savignys sollen „die Rechtsverhältnisse, in Fällen einer Collision der Gesetze, dieselbe Beurtheilung zu erwarten haben, ohne Unterschied, ob in diesem oder jenem Staate das Urtheil gesprochen werde.“91 102
Entsprechend diesem Anliegen werden vor allem aus zwei Gründen ausländische Verfahrensvorschriften im Inland angewandt: Einerseits wegen der Sachrechtsbezogenheit des Verfahrensrechts, andererseits wegen dessen materiellen Gehalts. Diese Gründe könnten auch im vorliegenden Zusammenhang dafür herhalten, die Entscheidungswirkungen nicht der lex fori des Ursprungsgerichts zu entnehmen, sondern der lex causae [a) u. b)].
87 Wegen der Uneinigkeit in der Wissenschaft über die Begründung und die Reichweite des lex fori-Grundsatzes wird bisweilen bezweifelt, ob diesem überhaupt gewohnheitsrechtliche Geltung zukommt, vgl. Rixen, Ausländisches Verfahrensrecht, 1999, S. 72, wonach „[d]as ausnahmslose lex-fori-Prinzip [. . .] heute in Deutschland keine gewohnheitsrechtliche Geltung mehr“ beanspruchen könne. Die ganz h. M. geht allerdings – trotz Uneinigkeiten über dessen Reichweite – noch immer von dessen Geltung aus. Vgl. Schreiber, Vollstreckungsgläubigerhaftung, 2008, S. 79; Jaeckel, lex fori, 1995, S. 25; Böhm, in: FS Fasching, 1988, S. 107 (108): „ungeschriebener Rechtssatz“; Leipold, Lex fori, 1989, S. 27: an der normativen Geltung bestehe „kein Zweifel“; Niederländer, RabelsZ 20 (1955), S. 1: „allgemein anerkannte Regel“. Auch der BGH geht von ihm aus, vgl. BGH, 17.09.1980 – IVb ARZ 543/80, BGHZ 78, 108 (114); BGH, 27.06.1984 – IV b ZR 2/83, IPRax 1985, S. 224 (225). 88 Niederländer, RabelsZ 20 (1955), S. 1 (19, 39 ff.); Buciek, Beweislast, 1984, S. 60 ff. und passim; Grunsky, ZZP 89 (1976), S. 241 (253); Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rn. 658, wonach Einzelregelungen des Beweisrechts eine „Verkürzung der Wahrheitsermittlung“ ermöglichen und „materiellrechtliche Dispositionsbeschränkungen“ verlängern oder modifizieren sollen und daher als Annexe der materiellrechtlichen Rechtsstellung der lex causae zu entnehmen seien. 89 Wengler, RGRK-BGB, Bd. VI, 12. Aufl. 1981, § 14 b) 1. (S. 349 f.); Buciek, Beweislast, 1984, S. 63 f. 90 Buciek, Beweislast, 1984, S. 63. 91 v. Savigny, System des heutigen römischen Rechts VIII, 1849, Neudruck 1981, S. 27.
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a) Die Sachrechtsbezogenheit der Verfahrensvorschriften Bei der Verfahrensdurchführung können die Vorschriften des Verfahrens- 103 rechts strukturell so stark auf das materielle Recht abgestimmt sein, dass letzteres nur zusammen mit den dazugehörigen Prozessnormen sinnvoll angewendet werden kann. Solche „sachrechtsbezogenen Vorschriften“ sind der lex causae zu entnehmen.92 Beispiel hierfür ist § 778 I ZPO.93 Demnach ist vor Annahme der Erbschaft eine Zwangsvollstreckung wegen einer Nachlassverbindlichkeit nur in den Nachlass und nicht auch in das persönliche Vermögen des Erben zulässig. Hierdurch wird verhindert, dass sich Nachlassgläubiger aus einem Vermögen befriedigen können, von dem noch gar nicht feststeht, ob es ihnen endgültig haftet. Die Vorschrift basiert darauf, dass nach deutschem Recht die Erbschaft vorbehaltlich der Ausschlagungsmöglichkeit dem Erben mit dem Erbfall automatisch zufällt und passt daher nicht, wenn – wie in Österreich – der Erbe den Nachlass erst durch Beschluss des Nachlassgerichts erwirbt.94 Für solche Fälle schlägt v. Craushaar eine abgestufte Lösung vor je nach Sachnähe der in Betracht kommenden Verfahrensvorschriften.95 Dieser Ansatz hätte auch für die Entscheidungswirkungen Gültigkeit, 104 wenn diese unerlässlich sind für die Funktionsfähigkeit des Wirkungsstatuts. Teleologische Zusammenhänge sind durchaus feststellbar: So sichert etwa die Streitverkündung im deutschen Recht (§§ 72 ff. ZPO) materielle Rechte ab, indem sie sicherstellt, dass von alternativ bestehenden Ansprüchen zumindest einer prozessual durchgesetzt werden kann. Auch die Rechtskraft dient der Verwirklichung des Privatrechts, weil sie die Rechtslage fixiert.96 Dennoch handelt es sich in solchen Fällen nicht um Sachrechtsbezogenheit im beschriebenen Sinne. Entscheidungswirkungen betreffen nicht den Vorgang der Rechtsanwendung, sondern müssen im Zweitprozess, in dem sich eine Partei auf sie beruft, prozessual umgesetzt werden. Der Gedanke der Sachrechtsbezogenheit trägt insoweit nicht. Zum anderen gibt es überhaupt nur sachrechtsbezogene Verfahrensnormen, so dass eine rechtssichere Abgrenzung gar nicht möglich wäre.97
92
v. Craushaar, Anwendbarkeit deutscher Prozeßnormen, 1961, S. 30 ff. Vgl. v. Craushaar, Anwendbarkeit deutscher Prozeßnormen, 1961, S. 12 ff. 94 Vgl. Grunsky, ZZP 89 (1976), S. 241 (248). 95 v. Craushaar, Anwendbarkeit deutscher Prozeßnormen, 1961, S. 57 ff. 96 Meier, in: Schlosser (Hrsg.), Int. ZwVollstr., 1992, S. 1 (77, 91). 97 Grunsky, ZZP 89 (1976), S. 241 (249); Roth, in: FS Stree/Wessels, 1993, S. 1045 (1054): „Verfahrensrecht ist stets mehr oder weniger sachrechtsbezogen, da es der Durchsetzung des materiellen Rechts dient“. 93
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b) Der materielle Gehalt des Verfahrensrechts 105
Im Erkenntnisverfahren wird der lex fori-Grundsatz auch begrenzt, weil und soweit dem Verfahrensrecht ein materieller Gehalt zukommt. Prozessnormen haben zwar typischerweise eine hohe Organisationsbezogenheit, weil sie auf den Aufbau und die Besetzung der Gerichte, die Organisation der Rechtsanwaltschaft und sonstiger Parteivertretung abgestimmt sind.98 In der Regel sind sie daher „abstrakt“ vom materiellen Anspruch.99 Dennoch sind verfahrensrechtliche Bestimmungen nicht völlig wertneutral, verfolgen vielmehr eine „Gerechtigkeitsaufgabe“, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit Vorstellungen des materiellen Rechts steht.100
106
Ausgehend davon unterscheidet Roth drei Schichten des Prozessrechts entsprechend ihres materiellrechtlichen Gerechtigkeitsgehalts.101 Zur ersten zählen die genuin prozessrechtlichen Vorschriften, die „frei von materiellrechtlichen Einschlüssen“ sind, wie etwa Gerichtsorganisation, gesetzliche Zuständigkeitsbestimmungen, Formen und Fristen für Klage und Rechtsmittel. Diese unterliegen stets der lex fori, weil sie grundsätzlich für alle Prozesse passen. Insofern handele es sich um rein „technische“ Vorschriften, die durch die „Abstraktheit oder Universalität des Prozessrechts“ geprägt seien und „für die Verwirklichung jeglichen materiellen Rechts [. . .] geeignet sind“.102 Auf der anderen Seite steht die zweite Qualifikationsschicht, der das genuin materielle Recht zugeordnet ist, das keinen verfahrensrechtlichen Bezug hat. Dieser Bereich unterfalle unproblematisch der lex causae.103 Hierzu dürften gesetzliche Vermutungen und Fiktionen zählen.
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Problematisch ist die dritte Qualifikationsschicht, die das Grenzgebiet zwischen materiellem Recht und Verfahrensrecht kennzeichnet. Zu ihr gehören Regelungen, bei denen „materielles Recht mit Prozessrecht durchsetzt ist und umgekehrt“.104 Dies gelte insbesondere für die Urteilswirkungen wie Rechtskraft, Nebenintervention und Streitverkündung. Zur Behandlung solcher Fälle schlägt Roth eine Schwerpunktbetrachtung vor, die entweder zur lex causae oder zur lex fori führt.105 98
Leipold, Lex fori, 1989, S. 28. Leipold, Lex fori, 1989, S. 29. 100 Grunsky, ZZP 89 (1976), S. 241 (252). 101 Roth, in: FS Stree/Wessels, 1993, S. 1045 (1053–1056). 102 Roth, in: FS Stree/Wessels, 1993, S. 1045 (1053 ff.); so im Ergebnis auch Grunsky, ZZP 89 (1976), S. 241 (254 ff.), der allerdings die Vorschriften der „ersten Schicht“ deswegen der lex fori unterstellt, weil ausländische Parteien sich auf diese einstellen und ihr Verhalten an ihnen ausrichten können. 103 Roth, in: FS Stree/Wessels, 1993, S. 1045 (1056). 104 Roth, in: FS Stree/Wessels, 1993, S. 1045 (1053 f.). 99
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Diese Betrachtung ist aber schon im Ausgangspunkt bestreitbar, weil ori- 108 ginär prozessuale und materielle Gesichtspunkte als gleichwertig behandelt werden. Man legt gewissermaßen auf die eine Schale der Waage den prozessualen Gehalt der Vorschrift, auf die andere deren materielle Einschlüsse. Sobald man aber bei einer Verfahrensvorschrift überhaupt einen gewissen materiellen Gehalt feststellt, leuchtet es nicht ein, sie allein deswegen nicht zur Geltung kommen zu lassen, weil sie auch prozessuale Anteile in sich trägt, die die materiellen überwiegen. „Hat man sich erst zu der Erkenntnis durchgerungen, daß auch das Verfahrensrecht eine ‚Gerechtigkeitsaufgabe‘ hat und daß diese in unmittelbarem Zusammenhang mit den Vorstellungen steht, die das anwendbare materielle Recht verfolgt, so darf man sich eigentlich nicht mehr die Frage stellen, ob nicht ausnahmsweise bei Anwendbarkeit von ausländischem materiellem Recht nicht auch das dazu gehörige Verfahrensrecht anzuwenden sein kann. Die Frage muss jetzt vielmehr umgekehrt lauten, was es eigentlich rechtfertigt, im Verfahrensrecht eine andere Rechtsordnung als im materiellen Recht anzuwenden.“106 Dementsprechend ist es grundsätzlich auch bei den Entscheidungswirkun- 109 gen gerechtfertigt, sie der lex causae zu entnehmen, wenn in ihnen ein materiellrechtlicher Gehalt zum Ausdruck kommt.107 So wie die richterliche Entscheidung ihren Inhalt von der lex causae bezieht, wäre es angemessen, dass auch Bestandskraft und Tragweite der Entscheidung so bemessen wird, wie es das Recht jenes Staates vorsieht.108 Die prozessualen Entscheidungswirkungen können auch als „Zubehör“ des materiellen Rechts gesehen werden.109 Dessen „Absicherung“ erfordert, sie derselben Rechtsordnung zu unterstellen wie das Wirkungsstatut, soweit sie einen materiellen Gehalt haben.110 Insbesondere die subjektive Reichweite der Rechtskraft, der Inhalt 105 Roth, in: FS Stree/Wessels, 1993, S. 1045 (1056); ähnlich Böhm, in: FS Fasching, 1988, S. 107 (137 f.), der eine Einteilung danach vornimmt, ob eine Regelung den Merkmalen des materiellen Rechts funktionell gleichwertig ist (dann der lex causae zu unterstellen) oder verfahrensrechtlich zu deuten ist (dann der lex fori zu entnehmen). 106 Grunsky, ZZP 89 (1976), S. 241 (252 f.). 107 Grunsky, ZZP 89 (1976), S. 241 (258 f.). 108 Spellenberg, IPRax 1984, S. 304 (307); Niederländer, RabelsZ 20 (1955), S. 1 (19, 47). 109 Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, 2. Aufl. 1976, S. 130 für die Rechtskraft. 110 Grunsky, ZZP 89 (1976), S. 241 (259); Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, 2. Aufl. 1976, S. 130 für die Reichweite der Rechtskraft; Spellenberg, IPRax 1984, S. 304 (307). Ähnlich für die Rechtskraft schon Zitelmann, IPR, Bd. II, 1912, S. 274–276: deren subjektive Reichweite soll stets der lex causae unterliegen, die objektive Reichweite zumindest dann, wenn sie hinter der lex fori zurückbleibt. Das Sachstatut habe „seine Gründe“ für die Ausgestaltung der Rechtskraft, die man auch im Zweitland akzeptieren müsse.
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der Gestaltungswirkung und die Bestandskräftigkeit der Rechtskraft gegenüber zukünftigen Abänderungen sind Beispiele, bei denen der Inhalt prozessualer Wirkungen materiellrechtlichen Gesichtspunkten Rechnung trägt.111 c) Zwischenergebnis 110
Somit spricht für die Anwendbarkeit der lex causae auf die anerkannten Entscheidungswirkungen ihr materiellrechtlicher Gehalt. 3. Gründe für die Geltung der lex fori und gegen die lex causae
111
Es bleibt zu klären, aus welchen Gründen die Entscheidungswirkungen nicht der lex causae, sondern der lex fori des Ursprungsstaates zu unterstellen sein könnten. Allgemein spricht für die lex fori, dass die Verfahrensregeln auf die gerichtsverfassungsrechtlichen Strukturen zugeschnitten sind und daher von dem Land vorgegeben werden müssen, in dem der Prozess abläuft.112 Die Anwendung ausländischen Rechts kann außerdem die Verfahrensökonomie verschlechtern, weil dessen Inhalt allein zur Prozessdurchführung aufwendig ermittelt werden müsste.113 Diese beiden Einwände treffen aber nur auf Normen des Verfahrensablaufs zu. Im Bereich der Entscheidungswirkungen sprechen sie nicht für die lex fori, weil lediglich der Inhalt der Wirkungen im ausländischen Recht ermittelt werden müsste. Auch ist in der Anerkennungsphase das Verfahren im Ursprungsland bereits abgeschlossen.
112
Die Entscheidungswirkungen sollen aber deswegen im Anerkennungsland dem Recht zu entnehmen sein, dem auch das Verfahren im Ursprungsland unterlag, weil hierdurch für das erkennende Gericht die Tragweite seines Judikats vorhersehbar bleibe.114 Seinem eigenen Recht verhaftet, sei der Richter des Ursprungsverfahrens beispielsweise gewohnt, dass nur der Entscheidungstenor in Rechtskraft erwächst, und würde daher möglicherweise Vorfragen weniger gründlich prüfen. Käme seiner Entscheidung im Nachhinein trotzdem eine Vorfragenbindung zu, erwüchsen Punkte in Rechtskraft, die der Richter gar nicht verbindlich habe beurteilen wollen. Dennoch 111 s. zu diesen drei Problemgruppen Rn. 238–252 (Abänderung); Rn. 463–474 (subjektive Reichweite der Entscheidungswirkungen); Rn. 515–525 (Gestaltungswirkung). 112 Basedow, in: Schlosser (Hrsg.), Int. ZwVollstr., 1992, S. 131 (139). 113 Basedow, in: Schlosser (Hrsg.), Int. ZwVollstr., 1992, S. 131 (140); ebenso – für die Prüfung der internationalen Zuständigkeit – Bernstein, in: FS Ferid, 1978, S. 75 (94). 114 Zitelmann, IPR, Bd. II, 1912, S. 275 für die Rechtskraftwirkung.
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ist ein Interesse an der Geltung des „eigenen“ Rechts grundsätzlich nicht schutzwürdig. Auch bei der Anwendung fremden materiellen Rechts können Gerichte oftmals nicht genau abschätzen, welche Rechtsfolge ihre Entscheidung nach diesem im Einzelnen hat. Schutzwürdiger sind demgegenüber die Verfahrensparteien. In einem in- 113 ternational gelagerten Sachverhalt ist das in der Hauptsache anwendbare Recht in der Regel zumindest einer Seite fremd. Von dieser wird man nur eingeschränkt erwarten können, sich über die im Sachstatut geltenden Entscheidungswirkungen zu informieren und entsprechend zu prozessieren.115 Der Aufwand hierfür wäre unverhältnismäßig, da unklar ist, ob in der Anerkennungsphase die Titeleffekte tatsächlich der lex causae entnommen würden. Zumutbar sind demgegenüber die Regelungen des Forums, an dem die Parteien gerichtspflichtig waren. Für eine erfolgreiche Prozessführung mussten sie sich ohnehin mit den örtlichen Vorschriften befassen. Die Entscheidungswirkungen der lex fori zu unterstellen, ist auch deswe- 114 gen vorzugswürdig, weil dadurch der Zusammenhang zwischen Verfahrensdurchführung und späterer Tragweite des Judikats erhalten bleibt. Die Bindung der Parteien an das Prozessergebnis kann sinnvoll nur in dem Umfang angeordnet werden, in dem dessen Richtigkeit wegen der Gestaltung des Verfahrens ausreichend wahrscheinlich ist.116 Daher ist es angemessen, die Wirkungen eines Richterspruchs der lex fori zu entnehmen, nach der dieser auch zustande gekommen ist.117 So werden etwa Bindungen gegenüber Dritten durch Prozesshandlungen im Erkenntnisverfahren herbeigeführt. Andersherum ist Außenstehenden eine Wirkung vielleicht nur deshalb zumutbar, weil sie Interventionsmöglichkeiten hatten. Das Vertrauen auf die lex fori und dessen Abstimmung auf die Entschei- 115 dungstragweite machen das örtliche Recht aber nur insoweit gegenüber der lex causae vorzugswürdig, wie die Wirkungen nach letzterer in concreto weitergingen als nach ersterer. Soweit die lex causae einen engeren Wirkungsumfang vorsieht, spricht nichts dagegen, ihm zu folgen. Allein die siegreiche Partei wird hinterher darauf Wert legen, möglichst viele Effekte ins Zweitland zu transportieren. Auch droht eine gewisse Ressourcen-Verschwendung, wenn man sich in einem Punkt gestritten hat, dessen Verbindlichkeit nicht anerkannt würde. Aber insoweit sollte sich der Gerechtigkeitsgehalt der lex causae durchsetzen, der sich in der engen Bemessung der Entscheidungswirkungen niederschlägt. Diese sollte auch im Ausland res115
Ebenso Spiecker gen. Döhmann, ne bis in idem, 2002, S. 60. Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, 1970, S. 155; ähnlich Müller, ZZP 79 (1966), S. 199 (204); Rimmelspacher, Materiellrechtlicher Anspruch, 1970, S. 184. 117 Fischer, in: FS Henckel, 1995, S. 199 (205). 116
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pektiert werden.118 Prozessökonomische Einwände der siegreichen Partei wiegen demgegenüber weniger schwer. 116
Aus einem weiteren Grund muss die lex fori des Ursprungsstaates die Obergrenze für den Inhalt anerkannter Entscheidungswirkungen im Zweitland bilden: Ergäbe sich aus ihr kein Anerkennungslimit und unterstellte man – entsprechend dem zuvor geschilderten lex causae-Rückgriff – die Wirkungen der Anerkennung einem Statut, welches einen weiteren Wirkungsumfang vorsieht als die lex fori des Ursprungsstaates, führte die Entscheidungsanerkennung im Ergebnis zu einer Rechtserzeugung. Denn im Ursprungsland käme – mangels Auslandsberührung – grundsätzlich niemand auf die Idee, dem inländischen Judikat Entscheidungswirkungen nach fremdem Recht beizumessen. Würde man dies aber im Anerkennungsland machen, entfaltete die Entscheidung dort weitergehende Wirkungen als in ihrem Ursprungsstaat. Ein solches Ergebnis wäre aber vom Zweck der Anerkennung nicht mehr gedeckt und kann nur dadurch vermieden werden, dass die lex fori des Ursprungsstaates die Obergrenze für die Wirkungen der Anerkennung im Zweitstaat stellt. Etwas anderes mag ausnahmsweise dann gelten, wenn sich bereits im Ursprungsstaat die Entscheidungswirkungen nicht nach der lex fori richteten, sondern nach der Rechtsordnung eines anderen Staates. Dann muss diese die Obergrenze für den Inhalt der Anerkennungswirkungen im Zweitstaat vorgeben. 4. Ergebnis: Ggf. Wirkungsbegrenzung nach der lex causae
117
Die Prozessbeteiligten haben grundsätzlich also ein legitimes Interesse daran, dass die lex fori des Ursprungslandes die Entscheidungswirkungen vorgibt. Dieses steht der Berücksichtigung der im Ursprungsverfahren angewendeten lex causae aber dann nicht entgegen, wenn die darin vorgesehenen Wirkungen nicht über das hinausgehen, was am Forum des Ursprungsstaates gelten würde. Dort wiederum richten sich die Entscheidungswirkungen in aller Regel nach der örtlichen lex fori, möglicherweise aber auch nach einer anderen Rechtsordnung. Soweit die aus diesem oder jenem Recht vorgegebene Obergrenze eingehalten ist, ist ein Rückgriff auf die lex causae zur Bestimmung der Wirkungen der Anerkennung nicht nur unbedenklich, sondern auch geboten – soweit die darin geregelten Entscheidungswirkungen einen materiellrechtlichen Gehalt haben. 118 Außerhalb der Anerkennungsproblematik sollten i.Ü. die engeren Bindungswirkungen der lex causae auch in nachfolgenden Verfahren im Inland beachtet werden.
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Konkret bedeutet dies, dass der Inhalt des nach der Wirkungserstreckung 118 bestimmten Statuts für die Entscheidungswirkungen ggf. auf das Höchstmaß der im Ursprungsverfahren angewendeten lex causae zu begrenzen ist, wenn die darin vorgesehenen Entscheidungswirkungen materiellrechtlichen Gehalt haben. Wann dies im Einzelnen der Fall ist, kann erst nach den rechtsvergleichenden Untersuchungen in den §§ 4–7 geklärt werden. III. Wirkungsbegrenzung aus Rücksicht auf das Recht des Anerkennungslandes Da die Wirkungen (nach der EuGVVO) anerkannter ausländischer Ent- 119 scheidungen entweder den Vorschriften des Ursprungslandes (Wirkungserstreckung) oder – bei Rückgriff auf die lex causae – einer anderen ausländischen Rechtsordnung unterliegen, kann eine Wirkungsbegrenzung erforderlich sein, wenn das so bestimmte Statut stärkere Effekte vorsieht als das Recht des Anerkennungsstaates. Hierfür werden drei Ansätze vorgeschlagen [1.]. Zur Entscheidung zwischen diesen sind zunächst Auslegungshinweise zum EuGVÜ auszuwerten [2.]. Sodann stellt sich die Frage nach den Gründen für eine Wirkungsobergrenze [3.], ausgehend von denen ein geeigneter Begrenzungsansatz zu entwickeln ist [4.]. 1. Die drei denkbaren „Filter“ für eine Wirkungsbegrenzung Von den existierenden Vorschlägen zur Wirkungsbegrenzung ist die sog. 120 Kumulationstheorie am restriktivsten. Nach dieser bilden die Wirkungen einer entsprechenden inländischen Gerichtsentscheidung die Obergrenze der Anerkennung.119 Dieser Ansatz baut auf der Wirkungserstreckungslehre auf und unterscheidet sich im Ergebnis nur dann von der Gleichstellung, wenn 119
So zum europäischen Anerkennungsrecht: Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 886 (zur EuGVVO); ders., IPRax 1989, S. 139 (142) (zum EuGVÜ); B/B/G/S/Wolf, Jun. 2011, vor Art. 25–30 EuGVÜ Rn. 18; Gerling, Gleichstellung, 2006, S. 141. Ebenso zum autonomen deutschen Anerkennungsrecht: Stein/Jonas/ Roth, 22. Aufl. 2006, § 328 ZPO Rn. 8; Spiecker gen. Döhmann, ne bis in idem, 2002, S. 63; Hausmann, Kollisionsrechtliche Schranken, 1980, S. 180 f.; Geimer, Gerichtsbarkeit, 1966, S. 27; Müller, ZZP 79 (1966), S. 199 (207); Heidecker, ZZP 18 (1893), S. 453 (468 f.). Der Kumulationsansatz wird meist auch in der Rspr. zum autonomen deutschen Anerkennungsrecht angewendet, soweit man hier im Ausgangspunkt der Wirkungserstreckung folgt: OLG Nürnberg, 03.07.1995 – 10 WF 1477/95, FamRZ 1996, S. 353 (354); OLG Frankfurt, 12.11.1985 – 5 W 25/85, NJW 1986, S. 1443 (254); LG Hamburg, 11.07.1991 – 302 0 49/91, IPRax 1992, S. 251. Aus der französischen Lit. zum EuGVÜ: Droz, Compétence judiciaire, 1972, Rn. 448 (S. 282); ebenso Théry, Pouvoir juridictionnel et compétence, 1981, Rn. 356–368 mit Einschränkungen.
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die Urteilseffekte im Recht des Ursprungsstaates hinter denen des Anerkennungsstaates zurückbleiben. 121
Ein etwas toleranterer Begrenzungsansatz verlangt demgegenüber, dass die ausländischen Titelwirkungen im Recht des Anerkennungsstaates wenigstens ihrer Art nach bekannt sein müssen.120 Danach kann ein ausländischer Richterspruch im Inland zwar auch solche Effekte entfalten, die ein entsprechender – bzw. vergleichbarer – Inlandstitel nicht hätte. Diese dürfen aber der inländischen Rechtsordnung nicht völlig fremd sein.
122
Noch vorbehaltloser ist der Vorschlag, ausländische Titelwirkungen bis hin zur Grenze des zweitstaatlichen ordre public anzuerkennen.121 Hierfür sprechen das Ziel der möglichst weitgehenden Freizügigkeit von Judikaten und das Fehlen ausdrücklicher Festschreibungen einer Wirkungslimitierung.122 Von diesem Ansatz dürften sich im Ergebnis diejenigen nicht unterscheiden, die gar keine Begrenzung vornehmen, das ausländische Urteil also in vollem Umfang anerkennen wollen.123 Denn da von diesen der Vor120 Zum autonomen deutschen Anerkennungsrecht: Habscheid, FamRZ 1973, S. 431; Musielak/Musielak, 4. Aufl. 2005, § 328 ZPO Rn. 34; Musielak/Stadler, 8. Aufl. 2011, § 328 Rn. 34; Martiny, Hdb. IZVR, Bd. III/1, 1984, Rn. 382; Geimer, IZPR, 6. Aufl. 2009, Rn. 2780 („als solche“); Bernstein, in: FS Ferid, 1978, S. 75 (90) („unserem Recht nicht völlig wesensfremd“). Ähnlich Acocella, Anerkennung Schweiz-Italien, 1989, S. 148, wonach „völlig unbekannte oder erheblich weitergehende Wirkungen der ausländischen Entscheidung zurückzuweisen sind“. 121 Für die EuGVVO: Nagel/Gottwald, IZPR, 6. Aufl. 2007, § 11 Rn. 23; B/B/G/S/Tschauner, Jun. 2008, Art. 33 EuGVVO Rn. 2; Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. I/Leible, 2011, Art. 33 EuGVVO Rn. 3a. Ebenso zum autonomen deutschen Anerkennungsrecht: Gottwald, ZZP 103 (1990), S. 257 (263), wonach bei Entscheidungswirkungen, die im Inland gänzlich unbekannt sind oder dem ordre public widersprechen, die Grenze zu ziehen sei; ebenso MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 328 ZPO Rn. 5. Für den zweitstaatlichen ordre public als alleinige Grenze: Gesler, Anerkennung nach § 328 ZPO, 1933, S. 21, 50 f.; Fischer, in: FS Henckel, 1995, S. 199 (208); Staudinger/Spellenberg, Neubearb. 2005, § 328 ZPO Rn. 125 (Die Grenze des ordre public sei zurückhaltend zu ziehen). Aus der englischen Lit. zum EuGVÜ: O’Malley/Layton, European Civil Practice, 1989, Rn. 25.10 (nur der zweitstaatliche ordre public als Grenze). 122 Zum EuGVÜ: Geimer, RIW/AWD 1976, S. 139 (142); Martiny, in: Martiny/ Waehler/Wolff (Hrsg.), Hdb. IZVR, Bd. III/2, 1984, Rn. 70 (S. 41). 123 Aus der deutschen Lit.: Geimer, IZPR, 6. Aufl. 2009, Rn. 2784; Geimer, in: Geimer/Schütze (Hrsg.), EuZVR, 3. Aufl. 2010, Art. 33 EuGVVO Rn. 13; Kropholler, EuZPR, 8. Aufl. 2005, vor Art. 33 EuGVVO Rn. 9; Schlosser, EuZPR, 3. Aufl. 2009, Art. 33 EuGVVO Rn. 2 (alle Wirkungen sind „grundsätzlich“ anzuerkennen); Rauscher/Leible, 2. Aufl. 2006, Art. 33 EuGVVO Rn. 3 (anders Neuaufl.: RauscherEuZPR/EuIPR, Bd. I/Leible, 2011, Art. 33 EuGVVO Rn. 3a, wonach „allein der ordre public des Anerkennungslandes“ die Grenze bilde). Zum EuGVÜ: Geimer, RIW/AWD 1976, S. 139 (142); Martiny, in: Martiny/Waehler/Wolff (Hrsg.), Hdb. IZVR, Bd. III/2, 1984, Rn. 70 (S. 41). Zum autonomen deutschen Anerkennungsrecht wurde die „ungefilterte“ Wirkungserstreckungslehre – soweit ersichtlich – nur vertre-
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behalt des ordre public nicht in Frage gestellt wird, ist anzunehmen, dass auch sie dort eine Grenze ziehen, wo dieser durch einen Import einzelner Wirkungsbestandteile verletzt wäre. 2. Hinweise auf die richtige Begrenzung aus dem EuGVÜ Für die Frage nach der richtigen Begrenzungsmethode könnten einerseits 123 der Jenard-Bericht zum EuGVÜ [a)], andererseits die zu diesem Übereinkommen ergangene Rechtsprechung des EuGH [b)] aufschlussreich sein. a) Anhaltspunkte aus dem Jenard-Bericht zum EuGVÜ Als Bekenntnis für eine uneingeschränkte Wirkungserstreckung wird von 124 manchen eine Passage aus dem Jenard-Bericht zum EuGVÜ in der ursprünglichen Fassung von 1968 gewertet124: „Durch die Anerkennung sollen den Entscheidungen die Wirkungen beigelegt werden, die ihnen in dem Staat zukommen, in dessen Hoheitsgebiet sie ergangen sind.“125 Jenard war Mitglied des Sachverständigenausschusses zur Erarbeitung des EuGVÜ. Sein Bericht wurde mit den übrigen Sachverständigen abgestimmt und kann daher als Auslegungshilfe für den Willen der Verfasser des EuGVÜ herangezogen werden.126 Auch bei der Interpretation solcher EuGVVO-Vorschriften ist er relevant, die wörtlich aus dem EuGVÜ übernommen wurden.127 Diese Voraussetzung ist hier gegeben, da Art. 26 EuGVÜ, auf den sich die Aussage Jenards bezog, wortgleich ist mit Art. 33 EuGVVO. Gewisse Zweifel an der Aussagekraft der zitierten Textstelle ergeben sich 125 aber aus dem Bericht Schlossers zum ersten EuGVÜ-Beitrittsübereinkommen von 1978 mit Dänemark, Irland und Großbritannien. Darin heißt es ausdrücklich, dass der Sachverständigenausschuss es nicht als seine Aufgabe ansah, die Frage der Wirkungsweise einer anerkannten Entscheidung in allgemeiner Weise zu lösen.128 Ergänzend wird hinzugefügt, dass die ten von Riezler, IZPR, 1949, S. 520; ders., in: Aubin/Neumayer/Francesakis (Hrsg.), Int FamR, 1955, S. 569. Aus der französischen Lit.: Goldman, Rev.trim.dr.europ. 1971, S. 1 (31); Gaudemet-Tallon, Convention de Bruxelles, 1993, Rn. 327 (S. 226). 124 Kropholler, EuZPR, 8. Aufl. 2005, Einl. EuGVVO Rn. 9; Gaudemet-Tallon, Règlement no 44/2001, 3. Aufl. 2002, Rn. 348. 125 Jenard, Bericht z. EuGVÜ 1968, S. 43. 126 Kropholler, EuZPR, 8. Aufl. 2005, Einl. EuGVVO Rn. 8. Auch der EuGH bedient sich bei seiner Auslegung oft der Berichte, vgl. Kropholler, EuZPR, 8. Aufl. 2005, Einl. EuGVVO Rn. 45. 127 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vorschlag EuGVVO mit Begründung, 1999, S. 13; Kropholler, EuZPR, 8. Aufl. 2005, Einl. EuGVVO Rn. 45. 128 Schlosser, Bericht z. 1. EuGVÜ-BeitrittsÜ 1978, S. 127 f.
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Wirkungen in den einzelnen Rechtsordnungen sehr unterschiedlich ausfallen.129 Aus dieser Quelle wurde der Schluss gezogen, dass man sich auch schon 1968 nicht auf eine uneingeschränkte Wirkungserstreckungslehre festlegen konnte und wollte.130 Allerdings kann man dem Bericht Schlossers lediglich entnehmen, dass man zumindest 1978 die Frage nicht entscheiden wollte. Die Aussage des Jenard-Berichts wird dadurch nicht zwangsläufig in Frage gestellt.131 126
Ähnlich wie im Jenard-Bericht heißt es im Kerameusschen Report zum zweiten EuGVÜ-Beitrittsübereinkommen von 1982: „Die Anerkennung der Entscheidung zieht in dem Staat, in dem sie geltend gemacht wird, die Rechtsfolgen nach sich, die der Entscheidung in dem Urteilsstaat zukommen.“132 Nähere Erklärungen hierzu werden aber nicht gegeben, so dass offen bleibt, inwieweit diese Frage tatsächlich von den Verfassern des EuGVÜ i. d. F. v. 1982 erneut diskutiert und entschieden wurde. Dem Bericht zum dritten EuGVÜ-Beitrittsübereinkommen 1989 lässt sich zum Wesen der Anerkennung nichts entnehmen.133 Genauso schweigt der Bericht zum LugÜ zu dieser Frage.134 Den Materialien aus dem Entstehungsprozess zur EuGVVO lässt sich nur entnehmen, dass zu der Frage der Wirkungen der Anerkennung keine neuerliche Auseinandersetzung stattgefunden hat.135
127
Somit ist die genetische Auslegung nach den begleitenden Materialien wenig ertragreich. Zwar scheint die von Jenard gewählte Formulierung für eine unbegrenzte Wirkungserstreckung zu sprechen. Sie kann möglicherweise aber auch nur als Grundsatz verstanden werden, über dessen Reichweite und Ausnahmen im Einzelfall nicht das letzte Wort gesprochen wurde. Dies jedenfalls deutet der Schlosser-Bericht an. b) Die Aussage des EuGH in der Entscheidung Hoffmann ./. Krieg
128
Zu den Wirkungen der Anerkennung hat der EuGH bisher nur im Vorabentscheidungsverfahren Hoffmann ./. Krieg Stellung genommen.136 Darin 129
Schlosser, Bericht z. 1. EuGVÜ-BeitrittsÜ 1978, S. 127. So Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 886. 131 Mansel, in: Hommelhoff/Jayme/Mangold (Hrsg.), Europäischer Binnenmarkt, 1995, S. 161 (223). 132 Kerameus, Bericht z. 2. EuGVÜ-BeitrittsÜ 1982, S. 19. 133 de Cruz/Real/Jenard, Bericht z. 3. EuGVÜ-BeitrittsÜ 1989. 134 Jenard/Möller, Bericht z. LugÜ 1988. Auch Pocar, Bericht z. LugÜ i. d. F. v. 2007, Rn. 131–141 enthält hierzu keine Aussage. 135 Vgl. insbes. den ursprünglichen Kommissions-Vorschlag für die EuGVVO (KOM(1999) 348 endg. v. 14.07.1999) und den geänderten Vorschlag (KOM(2000) 689 endg. v. 26.10.2000). 136 EuGH, 04.02.1988 – Rs. 145/86, Hoffmann ./. Krieg, IPRax 1989, S. 159. 130
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erklärte er, dass eine nach Art. 26 EuGVÜ anerkannte Entscheidung im ersuchten Staat „grundsätzlich“ dieselbe Wirkung entfalten muss wie in ihrem Ursprungsland.137 Dies begründete er nur knapp: einerseits mit der soeben behandelten Passage aus dem Jenard-Bericht, andererseits damit, dass der freie Verkehr von Urteilen nur gewährleistet sei, wenn diese in allen Vertragsstaaten dieselben Wirkungen hätten.138 Auf den ersten Blick hat sich der EuGH anscheinend für eine vorbehaltlose Wirkungserstreckung entschieden. Bei genauerer Analyse der Entscheidung ergeben sich aber Zweifel, ob diese Frage tatsächlich endgültig geklärt werden sollte. aa) Die rein vollstreckungsrechtliche Ausgangsproblematik des Falles Zum einen ging es schon gar nicht um den Inhalt der anerkennungsfähi- 129 gen Wirkungen, sondern darum, ob ein deutsches Urteil in den Niederlanden für vollstreckbar erklärt werden konnte. Frau Krieg hatte 1979 vor dem AG Heidelberg Trennungsunterhalt gegen ihren Gatten Hoffmann erstritten. Im folgenden Jahr erwirkte dieser – zwischenzeitlich in die Niederlande übergesiedelt – vor der Arrondissementsrechtbank Maastricht eine rechtskräftige Scheidung. Erst danach ließ Frau Krieg den deutschen Unterhaltstitel in den Niederlanden für vollstreckbar erklären. Hiergegen wandte sich ihr Ehemann, weil der deutsche Titel mit dem niederländischen Scheidungsurteil unvereinbar sei gem. Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ (34 Nr. 3 EuGVVO). Die deutsche Entscheidung sei davon ausgegangen, dass die Parteien noch verheiratet sind, während die Ehe in den Niederlanden inzwischen rechtskräftig geschieden ist. Bevor sich der EuGH der Unvereinbarkeit von Unterhaltsund Scheidungsurteil zuwandte, antwortete er auf die erste Frage des vorlegenden Hoge Raad, in der dieser wissen wollte, welche Wirkungen die Anerkennung hat. Zur Handhabung der Unvereinbarkeitsregel von Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ 130 bietet es sich zwar an, nach den Wirkungen der anerkannten Entscheidung zu fragen, um abhängig davon die Kollision mit dem zweitstaatlichen Judikat zu bestimmen. Darum ging es dem Hoge Raad allerdings nicht.139 Die137 EuGH, 04.02.1988 – Rs. 145/86, Hoffmann ./. Krieg, IPRax 1989, S. 159 (Rn. 11). 138 EuGH, 04.02.1988 – Rs. 145/86, Hoffmann ./. Krieg, IPRax 1989, S. 159 (Rn. 10). 139 Ohnehin stellt der EuGH im Rahmen von Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ nicht darauf ab, ob sich die Entscheidungswirkungen widersprechen. „Unvereinbare“ Entscheidungen nimmt der EuGH vielmehr auch dann schon an, wenn Vorfragen-Beurteilungen nicht übereinstimmen – unabhängig davon, ob diese in Rechtskraft erwachsen, vgl. EuGH, 04.02.1988 – Rs. 145/86, Hoffmann ./. Krieg, IPRax 1989, S. 159, Rn. 22. Der Begriff der „Unvereinbarkeit“ i. S. v. Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ ist damit
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ser wollte vielmehr wissen, ob die Vollstreckung aus dem deutschen Urteil verweigert werden kann, obwohl dieses in Deutschland weiterhin vollstreckbar ist. Zuvor hatte Herr Krieg nämlich – wie der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen berichtet – unter Berufung auf das niederländische Scheidungsurteil beim AG Heidelberg die „Feststellung der Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung“ beantragt.140 Dieser Antrag wurde aber abgewiesen, weil das Scheidungsurteil in Deutschland noch nicht anerkannt worden war.141 Da somit der Titel im Ursprungsland weiterhin vollstreckbar war, hatte der Hoge Raad Zweifel, ob er ihm in den Niederlanden die Vollziehung verweigern kann. Dies deutet die Formulierung der ersten Vorlagefrage an: „Beinhaltet . . . [die Anerkennung], daß dieser Entscheidung in den anderen Vertragsstaaten dieselbe Wirkung zuerkannt werden muß, wie sie sie nach dem Recht des Urteilsstaats hat, und bedeutet dies, daß sie deshalb auch in den gleichen Fällen wie dort vollstreckt werden kann?“142 Diese Frage zielte also darauf ab, in welchem Land Vollstreckbarkeit i. S. v. Art. 31 EuGVÜ (Art. 38 I EuGVVO) gegeben sein muss. 131
Ausschließlich hierauf bezog sich auch die Antwort des EuGH.143 Er sprach zwar nur von den nach Art. 26 EuGVÜ anerkennungsfähigen Entscheidungen und nicht von deren Vollstreckbarerklärung. Dies dürfte aber seinen Grund darin haben, dass vor Erteilung des Exequaturs auch die Anerkennungsvoraussetzungen geprüft wurden.144 Der Antwort des EuGH lässt sich damit nur entnehmen, dass eine anerkannte Entscheidung im ersuchten Staat grundsätzlich dann vollstreckt werden kann, wenn sie auch im Ursprungsstaat durchsetzbar ist. Auf den Inhalt anerkennungsfähiger Wirkungen und auf deren mögliche Begrenzung im Zweitland kam es jedenfalls nicht an. weiter als der der Rechtskraft, vgl. Generalanwalt Darmon, Schlussanträge v. 09.07.1987 (C-145/86 – Hoffmann ./. Krieg), Slg. 1988, I-645 (Rn. 9) mit Vergleich zu Art. 27 Nr. 5 EuGVÜ, der nur bei entgegenstehender Rechtskraft eingreift. 140 Generalanwalt Darmon, Schlussanträge v. 09.07.1987 (C-145/86 – Hoffmann ./. Krieg), Slg. 1988, I-645 (Rn. 5). Welche Klageart der Generalanwalt mit dieser „Feststellung“ meint, ist nicht klar. Es dürfte sich aber um eine Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO gehandelt haben, Linke, RIW 1988, S. 822 (824). 141 Vgl. Generalanwalt Darmon, Schlussanträge v. 09.07.1987 (C-145/86 – Hoffmann ./. Krieg), Slg. 1988, I-645 (Rn. 5). Die Anerkennung von Auslandsscheidungen vollzog sich in Deutschland damals noch im besonderen Verfahren nach Art. 7 § 1 FamRÄndG a. F. 142 EuGH, 04.02.1988 – Rs. 145/86, Hoffmann ./. Krieg, IPRax 1989, S. 159, Rn. 7. 143 So wird die Vorlagefrage auch verstanden von Linke, RIW 1988, S. 822 (825). 144 Im EuGVÜ wurden sie noch erstinstanzlich geprüft, Art. 34 II EuGVÜ.
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bb) Die Einschränkungen der „Wirkungserstreckung“ im konkreten Fall Aber selbst wenn sich der EuGH in der Entscheidung Hoffmann ./. Krieg 132 zum Inhalt der anerkennungsfähigen Wirkungen festgelegt hätte, könnte seine Aussage kaum als Bekenntnis zu einer uneingeschränkten Wirkungserstreckung gewertet werden. Er entschied nämlich, dass eine ausländische Entscheidung „im Vollstreckungsstaat nicht weiter vollstreckt werden muss, wenn die Vollstreckung nach dem Recht [dieses Staates] aus Gründen, die außerhalb des Anwendungsbereichs des Übereinkommens liegen, nicht mehr möglich ist.“145 Man kann diese Aussage als Klarstellung verstehen, dass die Wirkungen einer ausländischen Entscheidung nicht das Maß einer solchen aus dem Anerkennungsland übersteigen dürfen, und damit sogar als teilweises Bekenntnis zur Gleichstellungslehre werten.146 So weit ist aus den dargestellten Gründen für eine Wirkungserstreckung 133 allerdings nicht zu gehen. Zumindest erklärt sich durch diese Einschränkung aber, dass der EuGH in der Antwort auf die erste Vorlagefrage ohnehin nur von einer „grundsätzlichen“ Wirkungserstreckung ausging. Es deutet sich an, dass sie gerade nicht vorbehaltlos ist. Eine allgemeine Formel zur Bestimmung der Entscheidungswirkungen bleibt der EuGH damit freilich schuldig. Auf eine uneingeschränkte Wirkungserstreckung kann aus der EuGH-Rspr. jedenfalls nicht geschlossen werden.147 3. Gründe für eine Wirkungsbegrenzung Um die Frage der Wirkungsbegrenzung sachgerecht zu lösen, ist nach 134 den Gründen zu fragen, die eine solche erforderlich machen. a) Praktikabilität und Unvereinbarkeit mit zweitstaatlicher Rechtsordnung Namentlich für die Kumulationstheorie wird argumentiert, diese verein- 135 fache die Rechtsanwendung im Zweitstaat und fördere dort Prozessrechtseinheit und Rechtssicherheit.148 Wegen der Begrenzung auf das inländische Maß könnten ersuchte Gerichte auf das ihnen vertraute Heimatrecht zurück145 EuGH, 04.02.1988 – Rs. 145/86, Hoffmann ./. Krieg, IPRax 1989, S. 159 (Rn. 18). 146 Gaudemet-Tallon, Règlement no 44/2001, 3. Aufl. 2002, Rn. 348; GaudemetTallon, RCDIP 77 (1988), S. 605 (608). 147 So im Ergebnis auch Gaudemet-Tallon, Règlement no 44/2001, 3. Aufl. 2002, Rn. 348. 148 Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 886; ders., IPRax 1989, S. 139 (142).
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greifen und den Inhalt der anerkannten Wirkungen rechtssicher und eindeutig ermitteln. Dies diene auch dem Interesse an Vorhersehbarkeit.149 136
Allerdings bedeutet es in der praktischen Rechtsanwendung nicht unbedingt eine Erleichterung, dass das eigene Recht zur Bestimmung der Obergrenze herangezogen werden kann. Dies entbindet schließlich nicht davon, zunächst ausländische Normen nach deren Inhalt zu befragen. Dies ist nach dem Kumulationsansatz die Vorstufe für die Begrenzung auf das inländische Maß. Auch diese ist alles andere als einfach, erfordert sie doch, für die ausländischen Entscheidungswirkungen inländische Entsprechungen zu finden. Die einheimischen Pendants sind aber nicht immer leicht auszumachen. Die Rechtskrafterstreckung auf Dritte in einer Rechtsordnung ist möglicherweise im Inland als Streitverkündungswirkung aufzufassen.150 Nach dem Kumulationsansatz hätte man dann etwa zu fragen, ob die Rechtskrafterstreckung im ausländischen Recht auf eine der deutschen Streitverkündung vergleichbare Prozesshandlung zurückzuführen ist. Ähnliche Zuordnungsschwierigkeiten ergeben sich bei der in manchen Rechtsordnungen vorgesehen Rechtskraftbindung an tatsächliche Feststellungen: Möglicherweise ist sie der rechtskraftbedingten Tatsachenpräklusion anderer Rechtsordnungen vergleichbar.151
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Der Gesichtspunkt der Praktikabilität könnte aber vielleicht für den großzügigeren Begrenzungsansatz sprechen, nach dem die Entscheidungswirkungen zumindest ihrer Art nach bekannt sein müssen. Sieht der Ursprungsstaat eine Rechtskraftbindung über tatsächliche Feststellungen vor, müsste das Gericht im Anerkennungsstaat dann nur fragen, ob in der inländischen Rechtsordnung überhaupt eine Bindung an Tatsachen bekannt ist, was ohne größeren Aufwand zu bewerkstelligen wäre.
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Dennoch können allein Praktikabilitätsgesichtspunkte nicht jede Begrenzung rechtfertigen. Auch im IPR stört man sich nicht daran, dass inländische Gerichte ggf. ein ausländisches und ihnen völlig unbekanntes Recht anwenden müssen. Nur weil eine Entscheidungswirkung im Zweitland ihrer Art nach unbekannt ist, kann ihr noch nicht die Anerkennung verweigert werden.152 Angesichts der europarechtlichen Anerkennungspflicht ist ferner fraglich, ob Begrenzungen überhaupt möglich sind.153 Hinzu kommt, dass 149
Schack, IPRax 1989, S. 139 (142). Gerasimchuk, Deutsch-russische Anerkennung, 2007, S. 82. 151 Vgl. Gerasimchuk, Deutsch-russische Anerkennung, 2007, S. 82. 152 Vgl. Schurig, IPRax 1986, S. 221 (223) für die Anerkennung von Adoptionen. 153 Solche Zweifel hat Mansel, in: Hommelhoff/Jayme/Mangold (Hrsg.), Europäischer Binnenmarkt, 1995, S. 161 (224) schon angesichts der staatsvertraglichen Anerkennungspflicht im EuGVÜ. Erst recht dürften sie im Bereich der EuGVVO angebracht sein. 150
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eine Wirkungslimitierung immer auf Kosten der im Ursprungsland siegreichen Seite geht. Diese sollte nur ausnahmsweise im Zweitland um ihren Prozesserfolg gebracht werden. Der Praktikabilitätseinwand ist daher allenfalls dann tragfähig, wenn das Gericht mit Entscheidungswirkungen konfrontiert wäre, die seiner eigenen Rechtsordnung gänzlich unbekannt sind und sich in diese nicht einfügen lassen.154 Nur gegenüber solchen schwerwiegenden Störungen der Rechtsanwendung sollte das primär schützenswerte Parteiinteresse am Wirkungserhalt zurücktreten. b) Qualifikationsunterschiede Schack plädiert unter anderem deswegen für den Kumulationsansatz, weil 139 dieser verhindere, dass ein Urteilsstaat die Anerkennungsverpflichtung der anderen Staaten einseitig erhöhe.155 Insbesondere Entscheidungsdrittwirkungen könnten entweder prozessual oder materiellrechtlich ausgestaltet werden. Allerdings sind nur die prozessualen Effekte anerkennungsfähig. Formte nun ein Mitgliedstaat die Bindungseffekte von Titeln gezielt prozessual aus, so müssten diese im anderen Land voll anerkannt werden, während die Rechtsprüche aus einer Jurisdiktion mit vorwiegend materiellen Wirkungen nur weniger umfangreich in den Zweitstaat transferiert werden könnten. Dieses Argument überzeugt allerdings deswegen nicht, weil die Qualifi- 140 kation von Entscheidungswirkungen als materiellrechtlich (damit zum Sachstatut gehörend) oder prozessual (damit Gegenstand der prozessualen Anerkennung) ausschließlich entsprechend der EuGVVO-autonomen Begriffe erfolgen muss.156 Ob das Recht des Erststaates seinerseits prozessual oder materiellrechtlich qualifiziert, ist völlig gleichgültig.157 Zu der von Schack befürchteten einseitigen Erweiterung der Anerkennungspflicht kann es also gar nicht kommen. c) Lex fori-Grundsatz Für eine Beschränkung der Urteilswirkungen auf das in der Rechtsord- 141 nung des Anerkennungsstaates vorgesehene Maß wird auch der lex foriGrundsatz angeführt.158 Dieser bringe es mit sich, dass das Recht des Landes, in dem der Zweitprozess stattfindet, vorgeben müsse, inwieweit der Zweitrichter an das ausländische Urteil gebunden ist. 154 Gottwald, ZZP 103 (1990), S. 257 (263); Martiny, Hdb. IZVR, Bd. III/1, 1984, Rn. 370. 155 Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 886; ders., IPRax 1989, S. 139 (142). 156 s. bereits Rn. 64. 157 Geimer, IZPR, 6. Aufl. 2009, Rn. 2787.
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Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
Wie sich ein Judikat auf spätere Verfahren auswirkt, wird zwar tatsächlich nach der jeweiligen lex fori beurteilt. So gibt etwa das Verfahrensrecht des Zweitstaates vor, wie der inländische Richter verfahrensmäßig vorzugehen hat, wenn Identität des Streitgegenstands oder Präjudizialität vorliegt.159 In diesem Sinne ist allerdings allgemein zu unterscheiden zwischen dem Umfang der Urteilswirkungen und ihren Auswirkungen auf den Zweitprozess.160 Soweit ersteres betroffen ist, handelt es sich nicht um einen Aspekt des Verfahrensgangs, der sich nach der lex fori richten müsste. Der eigentliche Inhalt der Entscheidungswirkungen muss daher nicht der lex fori des Zweitlandes unterliegen. Somit kann der lex fori-Grundsatz auch nicht eine Wirkungsbegrenzung verlangen. d) Schutz der Beteiligten
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Eine Wirkungsbegrenzung kann aber zum Schutz unverzichtbarer rechtsstaatlicher Anforderungen der zweitstaatlichen Rechtsordnung, also deren ordre public, erforderlich sein.161 Aus materiellrechtlichen Gründen schließt dieser die Anerkennung aus, wenn der Entscheidungsinhalt mit elementaren Prinzipien der Rechtskultur des Zweitstaates unvereinbar ist.162 Derartige Fälle sind selten, etwa bei Forderungen aus Drogenhandel und Spielschulden oder bei Strafschadensersatz (punitive damages).163 Vorrangig können Entscheidungswirkungen aber den verfahrensrechtlichen ordre public verletzen. Dieser greift ein, wenn es im Prozess zu schwerwiegenden Fehlern gekommen ist, so dass der Richterspruch nicht mehr als in einem geordneten, rechtsstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden kann.164
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Dass der Schutz rechtsstaatlicher Standards eine Wirkungsbegrenzung rechtfertigt, ergibt sich aus dem Vorbehalt in Art. 34 Nr. 1 EuGVVO. Durch die Anerkennung ausländischer Entscheidungen sollen grundlegende 158 Hausmann, Kollisionsrechtliche Schranken, 1980, S. 180 f. Englische Kommentatoren begründen mit dem lex fori-Gedanken auch die Geltung der Gleichstellungslehre, vgl. Rn. 94 f. 159 Martiny, Hdb. IZVR, Bd. III/1, 1984, Rn. 391. 160 Vgl. bereits Rn. 95. 161 Vgl. Müller, ZZP 79 (1966), S. 199 (206 f.) für den Anspruch auf rechtliches Gehör. 162 Stein, IPRax 2004, S. 181 (184). 163 Vgl. Wagner, IPRax 2002, S. 75 (90); Schlosser, EuZPR, 3. Aufl. 2009, Art. 34–36 EuGVVO Rn. 2, 3a; Heringer, Europäischer Vollstreckungstitel, 2007, S. 83. Vgl. zur Anerkennungsfähigkeit von punitive damages im autonomen deutschen Recht BGH, 04.06.1992 – IX ZR 149/91, VersR 1992, S. 1281; Bungert, ZIP 1992, S. 1707; Schütze, RIW 1993, S. 139; Deutsch, JZ 1993, S. 266. 164 Kropholler, EuZPR, 8. Aufl. 2005, Art. 34 EuGVVO Rn. 13.
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unverzichtbare Gewährleistungen nicht unterminiert werden.165 Dieser Vorbehalt, obwohl eigentlich als Anerkennungsversagungsgrund konzipiert, muss auch auf der Ebene einzelner Urteilswirkungen greifen, indem er diese ganz oder teilweise „herausfiltert“. Den genauen Inhalt des ordre public des Anerkennungsstaates kann nur das jeweilige nationale Recht vorgeben.166 Die EuGVVO steckt allerdings die Grenzen ab, innerhalb derer aus Gründen der öffentlichen Ordnung die Anerkennung verweigert werden darf.167 Nach der Rspr. des EuGH muss gegen einen wesentlichen Rechtsgrundsatz verstoßen worden sein und die anzuerkennende Entscheidung in einem nicht hinnehmbaren Gegensatz zur Rechtsordnung des Anerkennungsstaates stehen.168 Dies beschränkt sich zwar nicht auf Fälle der Verletzung menschenrechtlicher Garantien.169 Diese spielen nach der Lehre der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte aber eine wichtige Rolle für die Ausfüllung des Begriffs der öffentlichen Ordnung.170 Auch im europäischen Anerkennungsrecht sind daher grund- und men- 145 schenrechtliche Überlegungen angebracht. Zwar sind die Behörden der Mitgliedstaaten bei Anwendung und Vollzug sekundären Gemeinschaftsrechts grundsätzlich nicht durch ihre nationale Verfassung gebunden, dafür aber durch die europäischen Grundrechte.171 Diese hat der EuGH als verbindliche Rechtsgrundsätze entwickelt.172 Hierfür hat er einerseits rechtsverglei165
Geimer, Anerkennung, 1995, S. 58–61; Geimer, in: Bericht DGVR, Bd. 33, 1994, S. 213 (220). 166 Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 952; Kropholler, EuZPR, 8. Aufl. 2005, Art. 34 Rn. 6. 167 EuGH, 28.03.2000 – Rs. C-7/98, Krombach ./. Bamberski, Slg. I-2000, 1935, Rn. 23. 168 EuGH, 28.03.2000 – Rs. C-7/98, Krombach ./. Bamberski, Slg. I-2000, 1935, Rn. 37. 169 Pfeiffer, in: FS Jayme, Bd. I, 2004, S. 675 (684). 170 Völker, Dogmatik des ordre public, 1998, S. 120. In § 328 I Nr. 4 ZPO wird mittlerweile ausdrücklich der Grundrechtsschutz genannt. 171 Becker, Grundrechtsschutz, 2004, S. 72 ff. In Deutschland räumt das BVerfG dem Grundrechtsschutz auf europäischer Ebene – d.h. durch den EuGH – einen Vorrang ein, vgl. BVerfG, 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, Solange II, BVerfGE 73, 339. Allein wenn ein Beschwerdeführer darlegt, dass der unabdingbar gebotene Standard des Grundrechtsschutzes durch den EuGH generell nicht mehr gewährleistet wird, wäre eine Verfassungsbeschwerde gegen inländische Akte zulässig, die Gemeinschaftsrecht anwenden bzw. vollziehen. Faktisch bedeutet dies, dass allein der EuGH befugt ist, sekundäres Europarecht und darauf beruhende Vollzugsakte an der europäischen Grundrechtsordnung zu messen, vgl. Becker, Grundrechtsschutz, 2004, S. 74. Deutsche Behörden sind bei der Anwendung der EuGVVO also nicht mehr unmittelbar an die Vorschriften des GG gebunden. 172 Dass Grundrechte als Teil der allgemeinen Grundsätze der Gemeinschaftsrechtsordnung gelten, wurde erstmals entschieden in EuGH, 12.11.1969 – Rs. 29/69, Stauder ./. Stadt Ulm, Slg. 1969, 419, Rn. 7. Vgl. außerdem EuGH, 17.12.1970 –
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Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
chend die Verfassungsordnungen der Mitgliedstaaten herangezogen, andererseits die EMRK entweder als verbindliches Recht oder als Rechtserkenntnisquelle berücksichtigt.173 Mit dem Vertag von Lissabon ist der Grundrechtsschutz zudem primärrechtlich verankert: Zum einen erklärt Art. 6 III EUV n. F. die Grundrechte, wie sie sich aus der EMRK und aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen ergeben, zu allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts. Dies soll klarstellen, dass die ungeschriebenen vom EuGH entwickelten Grundrechte fortgelten.174 Zum anderen integriert Art. 6 I 1. Hs. EUV n. F. nun die schon seit dem Jahr 2000 bestehende EU-Grundrechtscharta rechtsverbindlich in das europäische Primärrecht.175 Außerdem sieht Art. 6 II EUV n. F. den EMRKBeitritt der EU als Staatenverbund vor. Ob ein unter Art. 34 Nr. 1 EuGVVO beachtlicher Verstoß gegen wesentliche Rechtsgrundsätze des Anerkennungsstaates vorliegt, kann somit insbesondere unter Rückgriff auf die Gewährleistungen der EMRK und der EU-Grundrechtecharta ermittelt werden.176 Rs. 11/70, Internationale Handelsgesellschaft, Slg. 1970, 1125, Rn. 4: Die EGGrundrechte ergeben sich einerseits aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten und müssen sich andererseits in die Struktur und die Ziele der Gemeinschaft einfügen. s. auch EuGH, 14.05.1974 – Rs. 4/73, Kohlenhandlung Nold, Slg. 1974, 491, Rn. 13: Auch die internationalen Verträge über den Schutz der Menschenrechte, an deren Abschluss die Mitgliedstaaten beteiligt waren oder denen sie beigetreten sind, erlauben Rückschlüsse auf die EG-Grundrechte. 173 Becker, Grundrechtsschutz, 2004, S. 95; Pache/Rösch, EuR 2009, S. 769 (771 f.). Dies hat der EuGH getan, obwohl er als Organ der Europäischen Gemeinschaften nicht unmittelbar an die EMRK gebunden war, da die EU bislang nicht der EMRK beigetreten ist. Dies soll sich aber zukünftig gem. Art. 6 II EUV n. F. ändern. 174 Pache/Rösch, EuR 2009, S. 769 (772). 175 Die EU-Grundrechtecharta ist nicht unmittelbar in den Vertragstext des EUV n. F. aufgenommen. Nach den ursprünglichen Planungen sollte sie Teil II des Europäischen Verfassungsvertrages bilden, der 2004 unterzeichnet wurde aber nicht in Kraft getreten ist. Nach dem Vertrag von Lissabon ist nun in Art. 6 I 1. Hs. EUV n. F. geregelt, dass die Union die Rechte, Freiheiten und Grundsätze der EU-Grundrechtecharta anerkenne. Damit wird die Charta der Grundrechte zur unmittelbaren Rechtsquelle des europäischen Primärrechts, vgl. Pache/Rösch, NVwZ 2008, S. 473 (474). Sie hat, wie Art. 6 I 2. Hs. EUV n. F. ergänzt, denselben Rang und dieselbe Rechtsverbindlichkeit wie die EU-Gründungsverträge selbst. Nur Großbritannien und Polen haben für sich einen „opt-out“ von der Bindungswirkung der EU-Grundrechte erreichen können. Dazu schränkt das „Protokoll über die Anwendung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union auf Polen und das Vereinigte Königreich“ (abgedruckt in ABl. EU 2007 Nr. C-306, S. 156 f.) die Justiziabilität der EU-Grundrechte ein: Gem. Art. 1 I hat der EuGH nicht die Befugnis, festzustellen, dass „Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die Verwaltungspraxis oder Maßnahmen“ dieser Länder mit den Gewährleistungen der EU-Grundrechtecharta nicht in Einklang stehen. Dieses Protokoll gilt nach einer erst im Laufe des Ratifikationsprozesses abgegebenen Zusatzerklärung auch für die Tschechische Republik, vgl. Mayer, JuS 2010, S. 189 (192).
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Insbesondere Art. 6 I EMRK können hierbei zentrale Verfahrensgarantien 146 entnommen werden (auch in Art. 47 II EU-Grundrechtecharta enthalten).177 Dessen Gewährleistungen können sowohl für als auch gegen eine Wirkungsbegrenzung sprechen. Der in Art. 6 I EMRK verankerte Justizgewährungsanspruch streitet für einen möglichst umfangreichen Import ausländischer Titeleffekte, denn Anerkennungsverweigerung erhöht die Gefahr, dass der Kläger sein Recht in jedem Staat aufs Neue erkämpfen müsste, und kann den Justizgewährungsanspruch territorial verkürzen.178 Dem stehen allerdings die einzuhaltenden Garantien der Gegenseite gegenüber, insbesondere der Anspruch auf ein faires Verfahren, der ebenfalls in Art. 6 EMRK enthalten ist.179 Bei der grenzüberschreitenden Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen müssen daher Gesichtspunkte des effektiven Rechtsschutzes und eines fairen Verfahrens in Ausgleich gebracht werden.180 e) Zwischenergebnis Zusammenfassend ergibt sich ausschließlich aus dem gebotenen Schutz 147 der Parteien ein Grund für die Wirkungsbegrenzung zur Bewahrung des ordre public. 4. Zusammenfassung und Entwicklung eines geeigneten Wirkungsbegrenzungsansatzes Abzulehnen ist damit die Kumulationstheorie, weil für sie allein das Ar- 148 gument spricht, dass durch sie die zweitstaatliche Rechtsanwendung erleichtert würde. Sie führt im Ergebnis aber dazu, dass der siegreichen Partei mehr genommen wird, als zum Schutz der Gegenseite erforderlich wäre. Gleichzeitig ist die durch sie erhoffte Erleichterung der Rechtsanwendung im Ergebnis nur eine sehr geringe. Somit schießt sie aus falschen Motiven 176 Vgl. EuGH, 28.03.2000 – Rs. C-7/98, Krombach ./. Bamberski, Slg. I-2000, 1935, Rn. 44; EuGH, 02.04.2009 – Rs. C-394/07, Marco Gambazzi ./. DaimlerChrysler Canada Inc., CIBC Mellon Trust Comany, NJW 2009, S. 1938, Rn. 28, wo jeweils die Gewährleistungen der EMRK in Bezug genommen wurden, um zu beurteilen, ob ein ordre public-Verstoß vorliegt. 177 Stein, IPRax 2004, S. 181 (185). 178 Geimer, in: Bericht DGVR, Bd. 33, 1994, S. 213 (220). Dass Art. 6 EMRK auch den Justizgewährungsanspruch und ein Recht auf effektiven Rechtsschutz einschließt: Matscher, in: FS Henckel, 1995, S. 593 (598, 614); Schilling, IPRax 2011, S. 31 (31 f.). 179 Matscher, in: FS Henckel, 1995, S. 593 (602); Schilling, IPRax 2011, S. 31 (31 f.). 180 Dieses Bild der sich gegenüberstehenden Interessen wird auch angedeutet von Becker, Grundrechtsschutz, 2004, S. 100.
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Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
über das Ziel hinaus. Damit ist nachfolgend zu klären, wie die Begrenzung richtigerweise erfolgen sollte. 149
Möglich wäre ein Test dahingehend, ob einzelne Aspekte von Urteilswirkungen mit der Rechtsordnung des Zweitlandes schlichtweg inkompatibel sind und damit vor Ort nicht anerkannt werden können. So könnte etwa eine Rechtskraftbindung in Bezug auf Vorfragen in Deutschland schlechthin nicht akzeptabel sein.181 Die enge Rechtskraftbegrenzung auf die Rechtsfolge könnte eine prinzipielle Wertentscheidung sein, die sich gegenüber ausländischen Entscheidungen durchsetzen muss.182
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Solche kategorischen Vorbehalte gegenüber ausländischen Wirkungen erscheinen aber problematisch. Schließlich sind Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen grundsätzlich hinzunehmen. Außerdem geht es bei der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in erster Linie um den Schutz und die Verwirklichung subjektiver Rechte.183 Vorbehalte haben daher nur insoweit Berechtigung, wie sie dem Schutz der Parteien dienen.184 Es ist nicht zumutbar, einzelne Ausschnitte von Entscheidungswirkungen prinzipiell zu versagen, wenn die Gegenseite gar nicht schutzwürdig ist, weil sie im Erkenntnisverfahren eine angemessene Möglichkeit hatte, den Inhalt der Entscheidungswirkung in ihrem Sinne zu beeinflussen.
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Dass Titelwirkungen in der einen Rechtsordnung weiter ausfallen als in einer anderen, bedeutet auch nicht zwangsläufig ein Mehr an Ungerechtigkeit. Prinzipiell ist das Institut der Rechtskraft eine Wertentscheidung zu Gunsten der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit.185 Die Gefahr der Perpetuierung einer falschen Entscheidung wird damit in Kauf genommen, kann aber minimiert werden durch ein Erkenntnisverfahren, das durch seine Ausgestaltung eine höhere Gewähr für die Richtigkeit der gefundenen Entscheidung bietet. Dies kann etwa durch Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte erreicht werden, mit denen Parteien den Entscheidungsinhalt beeinflussen können. Ferner kommt es darauf an, inwieweit der Beibringungsoder Amtsermittlungsgrundsatz gilt. Ein gerechter Ausgleich zwischen Rechtssicherheit und Rechtswahrheit kann damit auf zwei Arten erzielt werden: Entweder durch Begrenzung des Wirkungsumfangs oder durch Erhöhung der Chancen auf eine sachlich richtige Entscheidung. 181 Vgl. etwa Müller, ZZP 79 (1966), S. 199 (206 f.), weil damit zukünftig das rechtliche Gehör zu stark beschnitten werde. 182 Vgl. etwa Geimer, IZPR, 6. Aufl. 2009, Rn. 2781: Perpetuierung von Fehlentscheidungen solle vermieden werden. 183 Dieser Aspekt wird besonders deutlich bei Gottwald, in: FS Musielak, 2004, S. 183 (258 f.). 184 Casad, Civil Judgment Recognition, 1981, S. 17. 185 Habscheid, in: FS Fragistas, 1966, S. 529 (530).
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Allein der Befund, dass eine Entscheidungswirkung aus Sicht des Aner- 152 kennungsstaates außergewöhnlich weit reicht, kann folglich nicht ausreichen für die Diagnose eines ordre public-Verstoßes. Hierfür muss vielmehr auch das vorausgegangene Verfahren im Erststaat inklusive der dortigen Gewährleistungen betrachtet werden. Entscheidend ist ausschließlich, ob der konkret durchgeführte Prozess ausreichend war, um die Rechte aus Art. 6 EMRK zu garantieren.186 Daher ist eine pauschale Begrenzung der Wirkungen anerkannter ausländischer Entscheidungen auf das Maß entsprechender inländischer Entscheidungen abzulehnen.
IV. Gesamtergebnis: Allgemeine Kollisionsregel nach dem Drei-Schritt-Modell Die vorangegangenen Untersuchungen haben zunächst gezeigt, dass die 153 Wirkungserstreckungslehre im Grundsatz der vorzugswürdige Ansatz ist. Darüber hinaus hat sich ergeben, dass ggf. eine Begrenzung vorzunehmen ist nach Maßgabe der vom Ursprungsland angewendeten lex causae. Und schließlich kann aus Rücksicht auf das Recht des Anerkennungslandes eine Limitierung der Titeleffekte greifen. Das auf die Entscheidungswirkungen anwendbare Recht wird demnach in drei Schritten bestimmt: Schritt 1: Zunächst ist auf das Recht des Ursprungsstaates zurückzugrei- 154 fen. Dies ergibt sich aus der Wirkungserstreckungslehre. Die Verweisung auf das Ursprungsland umfasst allerdings nicht nur das dortige Prozessrecht, sondern das gesamte Recht dieses Staates. Schritt 2: Sodann ist die vom Ursprungsgericht angewendete lex causae 155 zu befragen. Nur soweit die Entscheidungswirkungen nach dieser hinter der lex fori zurückbleiben und einen materiellrechtlichen Gehalt haben, setzt sich der engere Wirkungsumfang durch. Andernfalls bleibt es beim Forumsrecht des Ursprungsstaates. Schritt 3: Abschließend ist eine konkrete ordre public-Prüfung durch- 156 zuführen, die der Wahrung zwingender Gerechtigkeitsvorstellungen des Anerkennungsstaates dient. Es ist dabei grundsätzlich hinzunehmen, wenn die Wirkungen über den im Recht des Anerkennungsstaates vorgesehenen Umfang hinausgehen. Es müssen aber insbesondere die Gewährleistungen von Art. 6 I EMRK, d.h. rechtliches Gehör und faires Verfahren, eingehalten sein. 186 Ebenso Fischer, in: FS Henckel, 1995, S. 199 (208); Gesler, Anerkennung nach § 328 ZPO, 1933, S. 21: die pauschale Begrenzung der Rechtskraft auf das im Inland gültige Maß sei „ein durch nichts begründetes, willkürliches Kriterium“; Gottwald, ZZP 103 (1990), S. 257 (263).
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Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
C. Nachfrage: Sachnormqualifikation 157
Mit dem Verweis auf eine nationale Rechtsordnung ist aber das letzte Wort noch nicht gesprochen. Vielmehr muss präzisiert werden, welche Normen anzuwenden und welche nicht mehr vom Verweisungsbefehl erfasst sind. Zunächst ist an dieser Stelle festzuhalten, dass – wie auch im IPR – eine Qualifikation in der verwiesenen Rechtsordnung zu unterbleiben hat. Es bleibt also bei dem einmal gefundenen Qualifikationsergebnis.187 Dass eine Wirkung als prozessual qualifiziert wurde, schließt es damit nicht aus, dass sie sich letztlich nach Regelungen beurteilt, die die ausländische Rechtsordnung dem materiellen Recht zuordnet. Insofern ist der Ausspruch, die Wirkungserstreckungslehre bedeute Anwendung des Prozessrechts des Urteilsstaates verkürzend.188 Ein dem prozessualen Rechtskraftverständnis verhaftetes deutsches Gericht wird also eine ausländische Rechtskraftregelung auch dann anwenden können, wenn diese nach ausländischem Verständnis materiellrechtlich ist.
158
Der Verweisungsbefehl erfasst im Grundsatz nur die ausländischen Vorschriften über den Inhalt der Entscheidungswirkungen. Die instrumentelle Seite der anerkannten Wirkungen bestimmt hingegen das nationale Recht des Anerkennungsstaates.189 Wie sich die Entscheidungswirkungen auf das nachfolgende Verfahren im Anerkennungsstaat auswirken, ist also kein vom Verweisungsbefehl erfasster Aspekt.
187 Geimer, IZPR, 6. Aufl. 2009, Rn. 2787; Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 1021 f. 188 Spellenberg, IPRax 1984, S. 304 (305). 189 Schlosser, EuZPR, 3. Aufl. 2009, Art. 33 EuGVVO Rn. 3; Rauscher-EuZPR/ EuIPR, Bd. I/Leible, 2011, Art. 33 EuGVVO Rn. 4b; Mayer/Heuzé, Droit international privé, 9. Aufl. 2007, Rn. 403.
§ 4 Der objektive Umfang der Rechtskraft ausländischer Entscheidungen Nachdem sich in den vorangegangenen Untersuchungen herausgestellt 159 hat, dass die Urteilsanerkennung in ausländisches Recht führen kann, ist an dieser Stelle ein Vergleich der Entscheidungswirkungen in den einzelnen Rechtsordnungen angebracht. Nach einem einführenden Überblick über die nationalen Rechtskraftlehren [A.] sollen die unterschiedlichen gegenständlichen Reichweiten der Rechtskraft gegenübergestellt werden [B.]. Ausgehend davon wird anschließend die Frage des objektiven Rechtskraftumfangs ausländischer Entscheidungen im Anerkennungsstaat unter Heranziehung des Drei-Schritt-Modells zu behandeln sein [C.].
A. Überblick der Rechtskraftlehren in einzelnen Mitgliedstaaten Indem eine Gerichtsentscheidung in Rechtskraft erwächst, erlangt sie zu- 160 künftige Verbindlichkeit. Dieses Phänomen ist zwar in allen Rechtsordnungen bekannt, wird aber dogmatisch durchaus unterschiedlich erklärt. I. Die Rechtskraft im deutschen Recht Die materielle Rechtskraft verleiht einem Richterspruch im deutschen 161 Recht inhaltlichen Bestandschutz, da dieser nicht erneut verhandelt und überprüft werden kann.1 Sie ist Ergänzung zur formellen Rechtskraft und tritt deswegen zusammen mit dieser erst bei Unanfechtbarkeit der Entscheidung i. S. v. § 705 ZPO ein.2 Während die formelle Rechtskraft die Beendigung des Ausgangsrechtsstreits sicherstellt, dient die materielle der inhaltlichen Absicherung der Entscheidung in zukünftigen Rechtsstreitigkeiten. Trotz unterschiedlicher Akzente lassen sich beide auf die Generalziele Rechtssicherheit, Schaffung von Rechtsfrieden und Entlastung der Justiz zurückführen.3 1 Musielak/Musielak, 8. Aufl. 2011, § 322 ZPO Rn. 1, 4; Doderer, NJW 1991, S. 878; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, 16. Aufl. 2004, § 150 I Rn. 1. 2 Musielak/Musielak, 8. Aufl. 2011, § 322 ZPO Rn. 5. 3 BVerfG, 01.07.1953 – 1 BvL 23/51, BVerfGE 2, 380 (403); BVerfG, 20.04.1982 – 2 BvL 26/81, BVerfGE 60, 253 (267 f.); BGH, 16.06.1993 – I ZB 14/91, BGHZ 123, 30 (33 f.).
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Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
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Die materielle Rechtskraft zeigt sich in zwei Ausprägungen: In erster Linie macht sie ein erneutes gerichtliches Verfahren über denselben Streitgegenstand unzulässig.4 Hat jedoch der Folgeprozess einen anderen Gegenstand, hängt aber seine Entscheidung von einer bereits rechtskräftig entschiedenen Vorfrage ab, greift eine Präjudizbindung auf der Ebene der Begründetheit.5 Dann hat das Gericht der Rechtsermittlung das rechtskräftige Urteil zu Grunde zu legen. In dogmatischer Hinsicht wird die Rechtskraft nach heutiger Vorstellung als ein prozessuales Wiederholungsverbot (ne bis in idem) verstanden, das eine erneute Verhandlung und Entscheidung verhindert, die materielle Rechtslage im Übrigen unberührt lässt.6
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Da die materielle Rechtskraft nicht nur dem Schutz der Parteien dient, sondern zugleich der Sicherung der staatlichen Rechtsordnung und der Entlastung der Gerichte, wird sie sowohl bei Identität des Streitgegenstands als auch bei Präjudizialität in allen Instanzen von Amts wegen beachtet.7 II. Die englische res judicata-Lehre
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In England hat jede die Instanz beendende Gerichtsentscheidung (final decision) ab dem Tag ihres Erlasses die Wirkung einer res judicata.8 Erst wenn sie aufgrund eines Rechtsmittels aufgehoben wird, entfällt auch ihre Rechtskraft wieder; allein die Anhängigkeit eines Rechtsmittels suspendiert sie hingegen nicht.9 Die Begründungen des res judicata-Effektes sind zweierlei: Einerseits erfordere das gesellschaftliche Interesse an Rechtsfrieden, 4 Negative Prozessvoraussetzung, MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 322 ZPO Rn. 38. 5 MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 322 ZPO Rn. 50. 6 So die herrschende Rspr. und Lit.: BGH, 16.06.1993 – I ZB 14/91, BGHZ 123, 30 (34); BGH, 19.11.2003 – VIII ZR 60/03, NJW 2004, S. 1252 (1253); BGH, 03.03.2004 – IV ZB 43/93, NJW 2004, S. 1805 (1806); Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, 16. Aufl. 2004, § 150 Rn. 7 f.; Stein/Jonas/Leipold, 22. Aufl. 2008, § 322 ZPO Rn. 39. Demgegenüber galt in Deutschland früher die materiell-rechtliche Theorie. Vgl. etwa Pagenstecher, Materielle Rechtskraft, 1905, passim; RG, 21.03.1912, JW 1912, S. 642; RG, 20.02.1900 – Rep. VIa 395/99, RGZ 46, 334 (336): das rechtskräftige Urteil schaffe Recht, „mit der Wirkung, daß selbst ein bis dahin in Wirklichkeit nicht vorhanden gewesenes Recht von nun an zu einem bestehenden Rechte wird.“ Vgl. zu weiteren Begründungsansätzen der Lit. Musielak, Grundkurs ZPO, 9. Aufl. 2007, Rn. 562; Stein/Jonas/Leipold, 22. Aufl. 2008, § 322 ZPO Rn. 18–38. 7 MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 322 ZPO Rn. 57; BGH, 24.06.1993 – III ZR 43/92, NJW 1993, S. 3204 (3205). 8 Vgl. r. 40.7 CPR: „A judgment or order takes effect from the day when it is given or made, or such later date as the court may specify“. 9 High Court Queen’s Bench Division, 1862 – Scott v. Pilkington (1862) 2 B. & S. 11; Spellenberg, in: FS Henckel, 1995, S. 841 (844).
§ 4 Objektiver Umfang der Rechtskraft ausländischer Entscheidungen
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dass gerichtliche Entscheidungen endgültig und bindend sind.10 Andererseits soll der einzelne vor mehrfacher gerichtlicher Inanspruchnahme wegen ein und derselben Sache geschützt werden bzw. soll ihm ein Prozesserfolg nicht wieder streitig gemacht werden können.11 Das Interesse an Ermittlung der Wahrheit ist demgegenüber nachrangig.12 Eine res judicata kann in späteren Verfahren nicht mehr in Frage gestellt 165 werden.13 Hat die Klage Erfolg, erlischt nach herkömmlicher Vorstellung der geltend gemachte Klagegrund und geht in das Urteil über, das fortan den alleinigen Rechtstitel darstellt (transit in rem judicatam).14 Weil der Klagegrund im Urteil aufgegangen ist, kann er nicht erneut geltend gemacht werden.15 Diese auch als principle of merger in judgment16 bezeichnete Denkweise war schon im römischen Recht bekannt.17 Wird die Klage hingegen als unbegründet abgewiesen, greift ein res judicata estoppel, der dem Kläger verbietet, in späteren Gerichtsverfahren erneut das Bestehen des Klagegrundes zu behaupten.18 Insoweit ist die Rechtskraft Teil der dem Beweisrecht zuzurechnenden estoppel-Lehre.19 10 Court of Appeal (Civil Division), 21.01.1885 – In re May (1885) 28 Ch.D. 516, 518 (Brett MR): „it is one of the most fundamental doctrines of all Courts, that there must be an end to litigation“. Handley, Res Judicata, 3. Aufl. 1996, Rn. 10: „interest rei publicae ut sit finis litium“. 11 Court of Appeal (Civil Division), 19.12.1963 – Thoday v. Thoday [1964] 1 All ER 341, 352C (Diplock LJ): „. . . an application of the rule of public policy expressed in the Latin maxim, ‚nemo debet bis vexari pro una et eadem causa‘ “; House of Lords, 06.03.1877 – Lockyer v. Ferryman (1877) 2 A.C. 519, 530 (Lord Blackburn): „The object of the rule of res judicata is always put upon two grounds – the one public policy, that it is in the interest of the State that there should be an end of litigation, and the other, the hardship on the individual, that he should be vexed twice for the same cause“. 12 House of Lords, 08.02.1993 – Republic of India and Another v. India Steamship Co. Ltd. [1993] A.C. 410, 415 (Goff LJ): „res judicata is founded upon the public interest in the finality of litigation rather than achievement of justice as between individual litigants“. 13 Handley, Res Judicata, 3. Aufl. 1996, Rn. 9 f.; House of Lords, 18.05.1966 – Carl Zeiss Stiftung v. Rayner & Keeler Ltd. and others [1967] 1 A.C. 853, 933 f (Guest LJ): „. . . any party . . . is estopped in any subsequent litigation from disputing such decision on the merits“. 14 Handley, Res Judicata, 3. Aufl. 1996, Rn. 183. 15 Dixon J in High Court of Australia, 27.05.1939 – Blair and others v. Curran and others (1939) 62 CLR 464, 532: „The very right or cause of action claimed or put in suit has in the first proceedings passed into judgment, so that it merged and has no longer an independent existence.“ 16 House of Lords, 08.02.1993 – Republic of India and Another v. India Steamship Co. Ltd. [1993] A.C. 410, 417 (Goff of Chieveley LJ): „. . . transit in rem iudicatam . . .“ 17 Stürner, in: FS Schütze, 1999, S. 913 (921).
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Dieser wiederum liegt das Verbot widersprüchlichen Verhaltens zu Grunde: Tatsächliche Behauptungen, die in Diskrepanz zum früheren Verhalten der Streitparteien stehen, sind estopped, können daher nicht mehr vor Gericht bewiesen werden.20 Teilweise wird dieser Aspekt der res judicata-Lehre heute auch als Teil der öffentlichen Ordnung gesehen.21 Beide Facetten – merger in judgment und res judicata estoppel – lassen sich zusammenfassen unter dem Begriff der res judicata-Wirkung.22 166
Eine einheitliche Einordnung der Rechtskraft als prozessrechtliches oder materiellrechtliches Phänomen ist in England nicht möglich.23 Der merger 18 Handley, Res Judicata, 3. Aufl. 1996, Rn. 183; Court of Appeal (Civil Division), 19.12.1963 – Thoday v. Thoday [1964] 1 All ER 341, 352C (Diplock LJ): „If the cause of action was determined to exist, i. e. judgment was given upon it, it is said to be merged in the judgment. If it was determined not to exist, the unsuccessful plaintiff can no longer assert that it does; he is estopped per rem judicatam“. 19 Briggs, Jurisdiction and Judgments, 4. Aufl. 2005, Rn. 7.19 (S. 516); Court of Appeal (Civil Division), 27.01.1939 – Marginson v. Blackburn Borough Council [1939] All ER 273, 277H (Slesser LJ): „the broader rule of evidence which prohibits the reassertion of a cause of action which has been litigated to a finish – estoppel by res judicata“; Court of Appeal (Civil Division), 07.06.1961 – Morrison Rose & Partners v. Hillman [1961] 2 Q.B. 266, 277 (Pearson LJ): „To my mind the easiest line of approach to this question is to regard the previous decision as conclusive evidence“; High Court King’s Bench Division, 23.04.1923 – Ord v. Ord [1923] 2. K.B. 432, 440 (Lush J): „The litigant must admit that which has been judicially declared to be the truth with regard to the dispute that he raised“. 20 Keane, Law of Evidence, 6. Aufl. 2006, S. 668: „. . . estopped in subsequent proceedings from giving evidence to contradict the facts on which the earlier judgment was based“; v. Bernstorff, Engl. Recht, 4. Aufl. 2011, S. 160; Cohn, in: FS Nipperdey, Bd. I, 1965, S. 875 (876). 21 So etwa Diplock LJ in High Court Queen’s Bench Division, 09.03.1967 – Mills v. Cooper [1967] 2 Q.B. 459, 469: „Whatever may be said of other rules of law to which the label of ‚estoppel‘ is attached ‚issue estoppel‘ is not a rule of evidence. True [. . .] it has the effect of preventing the party ‚estopped‘ from calling evidence to show that the assertion which is the subject of the issue estoppel is incorrect but that is because [. . .] of [. . .] there being no issue [. . .] to which such evidence would be relevant. Issue estoppel is a particular application of the general rule of public policy that there should be finality in litigation“; bestätigt in Judicial Committee of the Privy Council, 19.05.1976 – Director of public prosecutors v. Humphrys [1977] A.C. 1, 27 f. u. 48 f. Von einer rein beweisrechtlichen Norm gehen demgegenüber aus House of Lords, 07.04.1982 – Vervaeke (formerly Messina) v. Smith and Others [1983] 1 A.C. 145, 162 (Glaisdale LJ); House of Lords, 08.02.1993 – Republic of India and Another v. India Steamship Co. Ltd. [1993] A.C. 410, 422 (Goff LJ). 22 Handley, Res Judicata, 3. Aufl. 1996, Rn. 6. 23 Die beweisrechtliche Regelung spricht eher für eine prozessuale Einordnung der Rechtskraft, Vgl. etwa House of Lords, 07.04.1982 – Vervaeke (formerly Messina) v. Smith and Others [1983] 1 A.C. 145, 162 (Glaisdale LJ). Handley, Res Judicata, 3. Aufl. 1996, Rn. 9 spricht sich hingegen für eine materiellrechtliche Rege-
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in judgment scheint tendenziell dem materiellen Recht zuzurechnen zu sein, während die estoppel-Wirkung eher prozessrechtlichen Charakter hat. Die res judicata-Lehre wird als Erscheinung des allgemeinen Verbots des abuse of process gesehen. Heute regelt r. 3.4 (2) CPR ausdrücklich die allgemeine Kompetenz der Gerichte zur Abwehr missbräuchlichen Verhaltens: Ein Vorbringen kann zurückgewiesen werden, wenn für dieses kein vernünftiger Grund ersichtlich ist bzw. es sich als missbräuchlich darstellt. Manche gehen mittlerweile davon aus, dass eine Unterscheidung zwischen abuse of process estoppel und res judicata estoppel nicht möglich sei.24 Nach Ansicht anderer bedarf es in Fällen, in denen das tatsächliche Vorbringen einen abuse of process darstellt, keiner Beurteilung darüber, ob zugleich ein Fall von res judicata estoppel vorliegt.25 Herkömmlicherweise wurde die Rechtskraft nur auf Einrede der Parteien 167 berücksichtigt.26 Dieser Grundsatz wird aber unter Geltung der neuen CPR von 1998 in Frage gestellt. Diese sehen in r. 1.1 (2)(e) CPR als overriding objective vor, dass auf zivilrechtliche Streitigkeiten Gerichtsressourcen nur soweit erforderlich zu verwenden sind. Hieraus wird gefolgert, dass es einem Gericht stets freistehen müsse, die Rechtskraft auch von Amts wegen zu beachten.27 III. Die Rechtskraft im französischen Recht In Frankreich ist die materielle Rechtskraft (autorité de la chose jugée) 168 einerseits im Code Civil im Abschnitt der gesetzlichen Vermutungen (présomtions légales) geregelt (Art. 1351 CC), andererseits in Art. 480 Code de Procédure Civile. Beide Vorschriften spielen zusammen: Art. 1351 CC gibt vor, unter welchen Voraussetzungen die autorité de la chose jugée in nachfolgenden Verfahren Beachtung findet, nämlich bei Identität von Parteien, Klageziel (chose demandée) und Klagegrund (cause). Art. 480 CPC legt fest, dass nur der Rechtsfolgenausspruch (dispositif) in Rechtskraft erlung aus. Die englische Prozessrechtswissenschaft setzt sich ansonsten aber nicht mit der dogmatischen Einordnung der res judicata-Lehre auseinander. Dies sei darauf zurückzuführen, dass in England die wissenschaftliche Befassung mit dem Prozessrecht weniger dogmatisch-analytischer Natur sei, vgl. Cohn, in: FS Nipperdey, Bd. I, 1965, S. 875 (880); Habscheid, in: FS Fragistas, 1966, S. 529 (532 Fn. 6). 24 Vgl. Court of Appeal (Civil Division), 17.01.1980 – McIlkenny v. Chief Constable of West Midlands Police Force and another [1980] 2 All ER 227. 25 Court of Appeal (Civil Division), 15.02.1996 – Desert Sun Loan Corporation v. Hill [1996] I.L.Pr. 406, 420 (Evans LJ). 26 Court of Appeal (Civil Division), 07.06.1961 – Morrison Rose & Partners v. Hillman [1961] 2 Q.B. 266. 27 Zuckerman, Civil Procedure, 2. Aufl. 2006, Rn. 24.61.
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wächst. Anders als im deutschen Recht hat auch ein noch nicht formell rechtskräftiges Urteil autorité de la chose jugée. Diese wird allerdings mit Einlegung eines ordentlichen Rechtsmittels unterbrochen (Art. 539 CPC). Mit Unanfechtbarkeit erlangt die Entscheidung dann „volle“ Rechtskraft (force de la chose jugée, Art. 500 CPC). Die bis dahin greifende autorité de la chose jugée verhindert vor allem, dass die unterlegene Partei – statt Rechtsmittel einzulegen – dieselbe Sache erneut anderweitig anhängig macht. Funktional entspricht dies einer Rechtshängigkeitssperre.28 169
Die Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung wirkt auf zweierlei Weise in nachfolgenden Prozessen: aspects positif et négatif de l’autorité de la chose jugée. Einerseits begründet sie die Einrede der Unzulässigkeit (fin de non-recevoir) bei erneuter Klage mit identischem Streitgegenstand. Andererseits kann sie bei Präjudizialität auf der Ebene der Begründetheit eine Bindungswirkung auslösen.29 In der französischen doctrine classique wurde die Rechtskraft als ein materiellrechtliches Phänomen begriffen: Die Gerichtsentscheidung löste damals eine absolute Richtigkeitsvermutung aus.30 Dass auch der historische Gesetzgeber von diesem Verständnis ausging, lässt sich daran erkennen, dass die Rechtskraft im Code Civil als gesetzliche Vermutung geregelt ist. In der neueren französischen Lehre wird allerdings auch ein prozessuales Rechtskraftverständnis vertreten.31
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Weil die Rechtskraft nach französischer Vorstellung in erster Linie privaten Interessen dient, muss sie nicht von Amts wegen beachtet werden.32 Dem Gericht steht es aber frei, sie von sich aus zu berücksichtigen, etwa wenn die rechtskräftige Vorentscheidung vom zweitangerufenen Gericht selbst stammt33 oder wenn aus Wertungen des materiellen Rechts eine Parteidisposition unbeachtlich ist34.
28
Spellenberg, in: FS Henckel, 1995, S. 841 (843). Perrot/Fricéro, J.-Cl. Proc. civ. fasc. 554 (Stand: III 2006), S. 1 (Rn. 2). 30 Garsonnet/Cézar-Bru, Traité théorique et pratique, Bd. III, 1913, Rn. 703: „. . . une présomption absolue de vérité, en vertu de laquelle les faits constatés les droits reconnus ne peuvent être contestés à nouveau, ni devant le tribunal qui a rendu le jugement ni devant une autre jurisdiction“; vgl. auch Guinchard, Droit et pratique, 5. Aufl. 2006, Rn. 421.05. 31 Vgl. Perrot/Fricéro, J.-Cl. Proc. civ. fasc. 554 (Stand: III 2006), S. 1 (Rn. 3 f.) m. w. N.; Habscheid, Droit Privé, 1981, S. 322 (rechtsvergleichend). 32 Cour de cassation, 2e civ., 10.04.1995, Bull. civ. II nº 121; Cour de cassation, 2e civ., 15.09.2005, Bull. civ. II nº 218. Art. 125 al.2 CPC bestimmt, dass das Gericht die Einrede der Rechtskraft (fin de non-recevoir tirée de la chose jugée) von Amts wegen berücksichtigen kann. Dazu ist es aber nicht verpflichtet, wie sich aus dem systematischen Zusammenhang mit Art. 125 al.1 CPC ergibt, wo die fins de non-recevoir geregelt sind, die von Amts wegen berücksichtigt werden müssen. 33 Cour de cassation, 1re civ., 29.10.1990, Bull. civ. I nº 225. 29
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B. Die von der Rechtskraft erfassten Elemente in einzelnen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen Der objektive Umfang der Rechtskraft beschreibt, welche Elemente eines 171 Urteils zukünftig unverrückbar feststehen. Dabei geht es einerseits um die Frage, ob nur der Rechtsfolgenausspruch oder auch Vorfragenbeurteilungen erfasst sind. Andererseits kommt es auf die Begrenzung des rechtskräftig entschiedenen Klagegegenstandes an. I. Der objektive Umfang der Rechtskraft im deutschen Recht Im deutschen Zivilprozessrecht besteht eine Rechtskraftbindung grund- 172 sätzlich nur hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs [1.], soweit Ersturteil und nachfolgende Klage dasselbe Klageziel [2.] und denselben Klagegrund [3.] zum Gegenstand haben. 1. Die Grundentscheidung für eine enge Rechtskraftkonzeption in § 322 I ZPO Gem. § 322 I ZPO sind Gerichtsentscheidungen nur insoweit der Rechts- 173 kraft fähig, wie über den durch Klage oder Widerklage erhobenen Anspruch entschieden wurde. Dieser Regelung lassen sich zwei Grundaussagen zum objektiven Umfang der Rechtskraft entnehmen. Die erste bezieht sich auf die von ihr erfassten Bestandteile eines Judi- 174 kats. Dazu heißt es, dass eine Bindung ausschließlich („nur insoweit“) hinsichtlich des konkreten Rechtsfolgenausspruchs („entschieden“) greift. Damit ist ein wesentliches Charakteristikum der objektiven Reichweite der Rechtskraft im deutschen Recht gefunden: Nur der Subsumtionsschluss als Ganzes, nicht seine Glieder sind von ihr erfasst.35 Das zweite Wesensmerkmal verbirgt sich in dem Textbaustein „durch 175 Klage oder durch Widerklage erhobenen Anspruch“ in § 322 I ZPO. Diesem lässt sich entnehmen, dass sich die Rechtskraft nur auf den zur Entscheidung gestellten „Anspruch“ bezieht.36 Unter „Anspruch“ wird – dies ergibt sich nicht aus dem Wortlaut – nicht der materiellrechtliche Anspruch 34 Cour de cassation, 2e civ., 10.03.1993, Bull. civ. II nº 89: Wurde im Rahmen eines Strafverfahrens auch über zivilrechtliche Ansprüche entschieden, erstreckt sich die von Amts wegen zu beachtende strafrechtliche Rechtskraft auch auf die Entscheidung über die zivilrechtlichen Ansprüche. 35 MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 322 ZPO Rn. 86; Stein/Jonas/Leipold, 22. Aufl. 2008, § 322 ZPO Rn. 71. 36 MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 322 ZPO Rn. 112.
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im Sinne einzelner Anspruchsgrundlagen verstanden, sondern das davon unabhängige prozessuale Rechtsschutzbegehren. Dieses setzt sich zusammen aus der beantragten Rechtsfolge (Klageziel) und dem Lebenssachverhalt, aus dem diese hergeleitet wird (Klagegrund).37 Zur Begrenzung des Klagegegenstands gilt also ein sachverhalts- und kein anspruchsgrundlagenorientierter Streitgegenstandsbegriff. Dieser bringt es mit sich, dass mit der Entscheidung über die Rechtsfolge alle konkurrierenden materiellrechtlichen Ansprüche rechtskräftig beschieden sind, aus denen sich diese – bei gleichem Lebenssachverhalt – ergeben kann, selbst falls einzelne Anspruchsgrundlagen übersehen wurden.38 a) Grundsätzliche Rechtskraftbegrenzung auf den Rechtsfolgenausspruch 176
Da grundsätzlich ein Urteil nur in seinem Rechtsfolgenausspruch rechtskräftig wird und nicht auch hinsichtlich seiner Begründung, sind weder die tatsächlichen Feststellungen durch das Gericht39 noch die Beurteilung rechtlicher Vorfragen40 zukünftig verbindlich. 37 Diesen zweigliedrigen Streitgegenstandbegriff wendet heute die Rspr. an. Vgl. etwa BGH, 19.11.2003 – VIII ZR 60/03, NJW 2004, S. 1252 (1254); BGH, 29.06.2006 – I ZR 235/03, GRUR 2006, S. 960 (961); BGH, 26.09.2000 – VI ZR 279/99, NJW 2001, S. 157; BGH, 20.03.2000 – II ZR 250/99, NJW 2000, S. 1958; BGH, 19.12.1991 – IX ZR 96/91, BGHZ 117, 1 (5); BAG, 27.09.2001 – 2 AZR 389/00, NJW 2002, S. 1287 (1288). Ihm folgt auch die wohl h. L.: Musielak/Musielak, 8. Aufl. 2011, § 322 ZPO Rn. 16; Musielak, NJW 2000, S. 3593 (3593 f.); MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 322 ZPO Rn. 113; Heiderhoff, ZZP 118 (2005), S. 185 (187); Schilken, ZPR, 5. Aufl. 2006, Rn. 1019; a. A. etwa Stein/ Jonas/Leipold, 22. Aufl. 2008, § 322 ZPO, Rn. 91. Zu den anderen in der Lit. entwickelten Streitgegenstandsbegriffen, vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, 16. Aufl. 2004, § 92 III (S. 613–617). 38 Schilken, ZPR, 5. Aufl. 2006, Rn. 1019; Beys, in: Prozessuales Denken aus Attika, 2000, S. 488 (490); MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 322 ZPO Rn. 108. 39 KG, 24.11.2005 – 12 U 188/04, NJW 2006, S. 1677 (1678); BGH, 11.11.1994 – V ZR 46/93, NJW 1995, S. 967 (968); BGH, 14.07.1995 – V ZR 171/94, NJW 1995, S. 2993; BGH, 07.07.1993 – VIII ZR 103/92, NJW 1993, S. 2684; BGH, 03.06.1987 – VIII ZR 158/86, NJW-RR 1988, S. 199 (200); Rosenberg/Schwab/ Gottwald, ZPR, 16. Aufl. 2004, § 132 III 5. Tatsächliche Feststellungen werden allerdings durch die Präklusionswirkung insoweit teilweise bestandsfest, als in nachfolgenden Prozessen mit identischem Rechtsschutzziel derselbe Lebenssachverhalt nicht abweichend gewürdigt werden kann, vgl. MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 322 ZPO Rn. 97. s. zur Präklusionswirkung Rn. 543–593. 40 KG, 24.11.2005 – 12 U 188/04, NJW 2006, S. 1677 (1678); BGH, 26.06.2003 – I ZR 269/00, NJW 2003, S. 3058 (3059); BAG, 27.09.2001 – 2 AZR 389/00, NJW 2002, S. 1287 (1288); BGH, 11.11.1994 – V ZR 46/93, NJW 1995, S. 967 (968); BGH, 08.02.1996 – IX ZR 215/94, NJW-RR 1996, S. 826 (827); BGH,
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Ersteres bedeutet, dass das Gericht im Folgeprozess Beweismittel anders 177 würdigen kann als im Erstprozess. Entscheidet etwa ein Gericht, dass ein Vertrag infolge Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nichtig ist, so steht damit rechtskräftig nur die Unwirksamkeit des Vertrages fest, nicht jedoch die Tatsache der Täuschung. Eine spätere Schadensersatzklage kann deshalb abgewiesen werden, weil das Gericht den Tatbestand einer arglistigen Täuschung verneint.41 Erst recht nehmen überschießende Feststellungen42 und obiter dicta43 nicht an der Rechtskraft teil. Die fehlende Bestandskraft rechtlicher Vorfragenbeurteilungen bringt es 178 mit sich, dass präjudizielle Rechtsfragen in nachfolgenden Prozessen abweichend beurteilt werden können. So wird etwa durch die Entscheidung über eine Herausgabeklage (§ 985 BGB) das Eigentum weder rechtskräftig zunoch aberkannt.44 Genauso wenig sind Entscheidungen über Einwendungen, Einreden oder Gegenrechte des Beklagten zukünftig verbindlich (Ausnahme nur für die Aufrechnung).45 Dies ist nur dann anders, wenn Wider- oder Zwischenfeststellungsklage erhoben wurde.46 Der Grundsatz der fehlenden Bindung rechtlicher Vorfragenbeurteilungen hat in der obergerichtlichen Rspr. nur ganz vereinzelte Ausnahmen erfahren. So ist es etwa gefestigte Rspr., dass die rechtskräftige Entscheidung über die Herausgabeklage aus Vindikation (§ 985 BGB) auch hinsichtlich der Vorfrage nach dem Bestand der Vindikationslage Rechtskraft entfaltet.47 07.03.1990 – VIII ZR 25/89, NJW-RR 1990, S. 701 (702); BGH, 30.01.1985 – IV b ZR 67/83, NJW 1985, S. 1340; BGH, 25.02.1985 – VIII ZR 116/84, BGHZ 94, 29 (33); BGH, 17.03.1964 – Ia ZR 193/63, BGHZ 42, 340 (350); Musielak/Musielak, 8. Aufl. 2011, § 322 ZPO Rn. 17; MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 322 ZPO Rn. 92. 41 BGH, 26.06.2003 – I ZR 269/00, NJW 2003, S. 3058 (3059). 42 Vgl. BGH, 15.11.1989 – IVb ZR 95/88, NJW-RR 1990, S. 194 (195): Soweit sich tatsächliche Feststellungen im Unterhaltsurteil nicht auf die Unterhaltsbemessung ausgewirkt haben, gehören sie nicht zu den Grundlagen, deren Veränderung eine Abänderung des Unterhalts rechtferigen (§ 323 ZPO). 43 OLG Köln, 12.01.1998 – 16 U 58/97 (juris), Rn. 8: Diese sind folglich auch nicht präkludiert. 44 MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 322 ZPO Rn. 104; Stein/Jonas/Leipold, 22. Aufl. 2008, § 322 ZPO Rn. 91. 45 Doderer, NJW 1991, S. 878; Stein/Jonas/Leipold, 22. Aufl. 2008, § 322 ZPO Rn. 86; BGH, 27.09.1984 – IX ZR 53/83, NJW 1985, S. 189 (190): Bei einer Zug um Zug-Verurteilung steht der Bestand des Gegenanspruchs nicht rechtskräftig fest. In Rechtskraft erwächst lediglich, dass der Anspruch des Klägers nur eingeschränkt besteht, so dass in einem Folgeprozess nicht mehr uneingeschränkte Leistung verlangt werden kann, vgl. BGH, 19.12.1991 – IX ZR 96/91, NJW 1992, S. 1172 (1173). 46 MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 322 ZPO Rn. 110. Außerdem gilt für die Aufrechung die Sonderregelung von § 322 II ZPO (dazu sogleich).
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Ein weiterer Ausnahmefall ist das Urteil auf Grundbuchberichtigung (§ 894 BGB), welches Rechtskraft auch hinsichtlich der Vorfrage entfaltet, ob dem Kläger das dingliche Recht an dem Grundstück zusteht.48 Ferner bindet die Abweisung einer Hypothekenklage auf Duldung der Zwangsvollstreckung (§ 1147 BGB) im Verfahren um Erteilung einer Löschungsbewilligung.49 b) Ausnahmsweise Vorfragenbindung gem. § 256 II ZPO und § 322 II ZPO 179
Dem deutschen Recht ist eine Rechtskraftbindung über Vorfragen allerdings nicht gänzlich fremd. Mit der Zwischenfeststellungsklage können Parteien eine bindende Entscheidung über präjudizielle Rechtsverhältnisse, die Tatbestandsvoraussetzungen des Klage- oder Widerklageanspruchs sind, herbeiführen (§ 256 II ZPO). Ein Feststellungsinteresse muss hierfür nicht geltend gemacht werden, vielmehr reicht die Präjudizialität des Rechtsverhältnisses aus.50 Nach dem Wortlaut von § 256 II ZPO ist zwar erforderlich, dass das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien streitig geworden ist. Aus prozessökonomischen Erwägungen wird eine Zwischenfeststellung aber schon dann zugelassen, wenn allein die Möglichkeit besteht, dass das inzidenter ohnehin zu klärende Rechtsverhältnis über den gegenwärtigen Streitgegenstand hinaus Bedeutung hat oder gewinnen kann.51
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Die zweite Ausnahme von der engen res judicata-Bindung ist die Rechtskrafterweiterung in § 322 II ZPO für Fälle einer vom Beklagten geltend gemachten Aufrechnung. Sie ist eine Durchbrechung des Grundsatzes, dass die Entscheidung über Gegenrechte des Beklagten von der Rechtskraft nicht erfasst ist. Eine verneinende oder – in erweiternder Auslegung des Wortlauts – bejahende52 Entscheidung über den Bestand der Gegenforderung wird insoweit rechtskräftig, wie sie im Wege der Aufrechnung geltend gemacht wurde. Dies schützt den Aufrechnungsgegner vor einer erneuten Inanspruchnahme aus der Gegenforderung. 47 BGH, 13.03.1981 – V ZR 115/80, NJW 1981, S. 1517: Scheitert die Herausgabeklage an der fehlenden Vindikationslage, steht damit auch für nachfolgende Klagen auf Folgeansprüche aus §§ 987 ff. BGB das Fehlen der Vindikationslage rechtskräftig fest. Analog dazu begründet ein Herausgabeurteil aus § 985 BGB die rechtskräftige Feststellung, dass eine Vindikationslage besteht, BGH, 26.07.2005 – X ZR 109/03, NJW 2006, S. 63 (64). 48 BGH, 30.10.2001 – VI ZR 127/00, NJW-RR 2002, S. 516 (517). 49 RG, 13.04.1921 – 497/20 V, JW 1921, S. 1245. 50 MünchKomm/Becker-Eberhard, 3. Aufl. 2008, § 256 ZPO Rn. 76. 51 BGH, 21.02.1992 – V ZR 273/90, NJW 1992, S. 1897. 52 BGH, 13.12.2001 – VII ZR 148/01, NJW 2002, S. 900.
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Die – außerhalb der §§ 256 II und 322 II ZPO – enge Rechtskraftbegren- 181 zung kann durchaus zu unbefriedigenden Ergebnissen im Einzelfall führen. Hat etwa der Käufer erfolgreich den Verkäufer auf Übereignung und Übergabe der Kaufsache verklagt, erscheint es nicht sachgerecht, wenn dieser in einer gegen ihn gerichteten nachträglichen Kaufpreisklage seinerseits die Wirksamkeit des Kaufvertrages bestreiten kann. Wegen solcher und anderer Fälle unternimmt die Lit. Versuche, die materielle Rechtskraft auf präjudizielle Rechtsverhältnisse zu erweitern, und zwar im Rahmen von „(zwingenden) Sinnzusammenhängen“ und „Ausgleichszusammenhängen“.53 Der BGH hat solche Vorschläge einer Rechtskrafterweiterung ausdrücklich zurückgewiesen.54 2. Identität des Klageziels: Die begehrte Rechtsfolge Nach dem zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff setzt Rechtskraftbin- 182 dung eine Identität des Klageziels, d.h. der beantragen Rechtsfolge voraus. Identität des Antragsziels liegt aber auch dann vor, wenn der frühere Beklagte den Streit nunmehr in seiner Umkehrung anhängig macht und das sog. kontradiktorische Gegenteil der im ersten Prozess ausgesprochenen Rechtsfolge begehrt.55 Zwar wird in solchen Fällen im Zweitprozess formal ein anderer Antrag gestellt als im Erstverfahren.56 Dieser könnte aber mit 53 Insbes. Zeuner, Sinnzusammenhänge, 1959, S. 75 ff., 115 f.; außerdem Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, 1970, S. 175 ff., 198 ff.; Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, 2. Aufl. 1974, § 47 IV 2b; Blomeyer, Zivilprozeßrecht, 2. Aufl. 1985, § 89 V 4a. Grundgedanke dieser Ansätze ist, dass die Parteien nicht an alle Urteilsgründe gebunden sein sollen, sondern nur an solche, die in einem gewissen Zusammenhang mit dem Klageziel stehen. 54 BGH, 26.06.2003 – I ZR 269/00, NJW 2003, S. 3058 (3095); zuvor schon BGH, 02.05.2002 – I ZR 45/01, NJW-RR 2002, S. 1617 (1618 f.). Eine Vorfragenbindung wäre mit den ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmungen nicht zu vereinbaren, ferner ließe sich nicht rechtssicher abgrenzen, welche Vorfragen an der präjudiziellen Rechtskraft teilnehmen sollen, vgl. Musielak, in: FS Nakamura, 1996, S. 423 (428 f.); Batschari/Durst, NJW 1995, S. 1650 (1652); Schilken, ZPR, 5. Aufl. 2006, Rn. 1021; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, 16. Aufl. 2004, § 153 IV. 55 BGH, 07.07.1993 – VIII ZR 103/92, NJW 1993, S. 2684 (2685); BGH, 11.11.1994 – V ZR 46/93, NJW 1995, S. 967 (968); BGH, 17.03.1995 – V ZR 178/93, NJW 1995, S. 1757; BGH, 26.06.2003 – I ZR 269/00, NJW 2003, S. 3058 (3059); Doderer, NJW 1991, S. 878 (879). 56 Deswegen wird teilweise auch angenommen, das kontradiktorische Gegenteil habe nicht denselben Streitgegenstand. Die Vertreter dieser Auffassung schließen die Geltendmachung des kontradiktorischen Gegenteils dennoch aus, indem sie der Rechtskraft die eigenständige Wirkung beimessen, dass im Folgeprozess das kontradiktorische Gegenteil nicht verhandelt werden darf, so etwa Germelmann, Rechtskraft in der EU, 2009, S. 48 f. Dies würde der Normzweck von § 322 ZPO gebieten, vgl. Musielak/Musielak, 8. Aufl. 2011, § 322 ZPO Rn. 21.
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der Entscheidung im Erstverfahren nicht in Einklang gebracht werden, denn die rechtskräftige Feststellung (Bestehen einer Rechtsfolge) enthält zugleich die Feststellung des Nichtvorliegens des kontradiktorischen Gegenteils (Nichtbestehen der Rechtsfolge).57 Unvereinbarkeit liegt auch vor, wenn im Folgeprozess das durch rechtskräftiges Urteil Zugesprochene wieder zurückgefordert werden soll mit der Begründung, der Rechtsstreit sei unrichtig entschieden worden.58 183
Dem Fall der Antragsidentität ähnlich ist die Konstellation, dass im Vorprozess über ein Rechtsverhältnis als Hauptfrage rechtskräftig entschieden wurde, das im neuerlichen Prozess präjudiziell ist für die dort fragliche Rechtsfolge. Zwar haben in diesem Fall die beiden Klagen einen anderen Streitgegenstand, die Zweitklage ist daher auch nicht unzulässig. Es kann aber eine Präjudizbindung greifen, wegen der der Richter die Vorentscheidung ohne sachliche Prüfung seinem Subsumtionsschluss zu Grunde zu legen hat.59 Ob Präjudizialität in diesem Sinne vorliegt, ergibt sich aus den materiellrechtlichen Voraussetzungen der zu beurteilenden Rechtsfolge.60 So ist etwa die rechtskräftige Feststellung des Eigentums präjudiziell für eine nachfolgende Herausgabeklage aus § 985 BGB.61 Im Übrigen gelten bei rechtskraftbedingter Bindungswirkung auf der Ebene der Begründetheit dieselben Regeln wie bei der rechtskraftbedingten Unzulässigkeit. So greift eine Präjudizbindung nur, soweit zur Vorfrage derselbe Lebenssachverhalt vorgetragen wird.62 Außerdem sind auch dem Vortrag neuer Tatsachen zu derselben Vorfrage durch die Präklusionswirkung des rechtskräftigen Ersturteils Grenzen gesetzt.63 57 BGH, 07.07.1993 – VIII ZR 103/92, NJW 1993, S. 2684 (2685); BGH, 17.03.1995 – V ZR 178/93, NJW 1995, S. 1757; BGH, 17.12.2003 – IV ZR 28/03, FamRZ 2004, S. 863 (864); Musielak/Musielak, 8. Aufl. 2011, § 322 ZPO Rn. 21; Stein/Jonas/Leipold, 22. Aufl. 2008, § 322 ZPO Rn. 186. 58 BGH, 02.03.2000 – IX ZR 285/99, NJW 2000, S. 2022 (2023). 59 BGH, 22.11.1988 – VI ZR 341/87, NJW 1989, S. 393; BGH, 19.11.2003 – VIII ZR 60/03, NJW 2004, S. 1252; BGH, 26.06.2003 – I ZR 269/00, NJW 2003, S. 3058 (3059); BGH, 24.09.2003 – XII ZR 70/02, NJW 2004, S. 294 (295); BGH, 17.03.1995 – V ZR 178/93, NJW 1995, S. 1757; BGH, 14.02.2006 – VI ZR 322/04, NJW-RR 2004, S. 712 (714); Musielak/Musielak, 8. Aufl. 2011, § 322 ZPO Rn. 10; MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 322 ZPO Rn. 50. 60 Stein/Jonas/Leipold, 22. Aufl. 2008, § 322 ZPO Rn. 194. 61 MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 322 ZPO Rn. 51. Ebenso schafft die positive oder negative Feststellungsklage hinsichtlich einer Forderung Rechtskraft für eine spätere Leistungsklage, vgl. BGH, 14.02.2006 – VI ZR 322/04, NJW-RR 2004, S. 712 u. BGH, 22.11.1988 – VI ZR 341/87, NJW 1989, S. 393. 62 BGH, 22.11.1988 – VI ZR 341/87, NJW 1989, S. 393; BGH, 19.11.2003 – VIII ZR 60/03, NJW 2004, S. 1252; BGH, 14.02.2006 – VI ZR 322/04, NJW-RR 2004, S. 712 (714).
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3. Identität des Klagegrundes: Der rechtskräftig entschiedene Lebenssachverhalt Neben der Identität des Klageziels erfordert die Rechtskraftbindung eine 184 Identität des Klagegrundes. Dieser wird aus dem gesamten Tatsachenstoff gebildet, der dem Erstprozess zu Grunde lag.64 Ob eine Tatsache dazu gehört, ist leicht feststellbar, wenn sie zuvor vorgetragen und gewürdigt wurde, was insbesondere der Urteilsbegründung entnommen werden kann. Soweit allerdings Tatsachen im Vorprozess nicht geltend gemacht wur- 185 den, ist ihre Zuordnung zum Klagegrund nicht immer eindeutig. Auch solche Tatsachen sind nämlich insofern zum Klagegrund zu rechnen, als sie wegen der Rechtskraft des Ersturteils präkludiert sind.65 Die Präklusion bewirkt, dass die im Vorprozess unterlegene Partei sich in einem neuen Rechtsstreit zur Erreichung einer gegenteiligen Entscheidung nicht mehr auf solche Tatsachen berufen kann, die zum ausgeurteilten Lebenssachverhalt gehören und im maßgeblichen Zeitpunkt bereits vorlagen. Dies verhindert, dass eine Partei – bewusst oder unbewusst – den Sachverhalt nur selektiv vorträgt und dann gestützt auf verändertes tatsächliches Vorbringen eine erneute Verhandlung und Entscheidung erreichen kann.66 Dies würde die Endgültigkeit eines Richterspruchs gefährden und wäre Rechtsfrieden und -gewissheit abträglich.67 Zur Bestimmung des Lebenssachverhalts, den das Gericht im Erstverfah- 186 ren rechtlich gewürdigt hat, sind ggf. Tatbestand und Entscheidungsgründe aus dem Urteil und der dort in Bezug genommene Parteivortrag ergänzend heranzuziehen.68 Insbesondere bei klageabweisenden Urteilen ist auf diese ergänzenden Gesichtspunkte zurückzugreifen, denn die Urteilsformel lässt nicht erkennen, aus welchem Streitgegenstand der Kläger den Anspruch hergeleitet hat.69 Die genauen Details hierzu werden weiter unten im Rahmen der Präklusionswirkung darzustellen sein.70 63 BAG, 12.01.1977 – 5 AZR 593/75, NJW 1977, S. 1895 (1896); BGH, 24.09.2003 – XII ZR 70/02, NJW 2004, S. 294. s. zur rechtskraftbedingten Tatsachenpräklusion Rn. 541–596. 64 BGH, 19.12.1991 – IX ZR 96/91, BGHZ 117, 1 (6). 65 Nach wohl überwiegender Ansicht in der Lit. ist die Tatsachenpräklusion in diesem Sinne ein Aspekt der Rechtskraftwirkung und keine eigenständige Wirkung. Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, 16. Aufl. 2004 § 154 II 1 Rn. 5; Zöller/ Vollkommer, 27. Aufl. 2009, vor § 322 ZPO Rn. 68; so offenbar auch BGH, 15.10.1986 – IV b ZR 78/85, BGHZ 98, 353 (359). 66 BGH, 17.03.1995 – V ZR 178/93, NJW 1995, S. 1757 (1757 f.); BGH, 19.12.1991 – IX ZR 96/91, BGHZ 117, 1. 67 Stein/Jonas/Leipold, 22. Aufl. 2008, § 322 ZPO Rn. 218. 68 BGH, 13.12.1989 – IV b ZR 19/89, NJW 1990, S. 1795 (1796). 69 BGH, 13.12.1989 – IV b ZR 19/89, NJW 1990, S. 1795 (1796).
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4. Zusammenfassung 187
Charakteristisch für die objektive Reichweite der Rechtskraft im deutschen Recht ist ihre grundsätzliche Beschränkung auf den Urteilsausspruch. Dem liegt eine bewusste Wertentscheidung zu Grunde.71 Einerseits wäre nicht immer leicht feststellbar, welche weiteren Punkte tatsächlich Gegenstand des früheren Prozesses waren.72 Andererseits wollte man keine Bindung in Fragen, deren Bedeutung für künftige Prozesse ex ante nicht erkennbar war.73 Eine enge Rechtskraftbegrenzung minimiert ferner die Gefahr der Perpetuierung von Fehlurteilen.74 Auch sprechen prozessökonomische Erwägungen für sie, weil Vorfragenbeurteilungen entbehrlich werden können.75
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Das zweite Charakteristikum der objektiven Reichweite der Rechtskraft in Deutschland ist die sachverhaltsorientierte Betrachtungsweise des Klagegrundes. Wie sich später noch zeigen wird, führt diese zu einer im internationalen Vergleich weitreichenden Präklusion. II. Der objektive Umfang der Rechtskraft im englischen Recht: cause of action und issues
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Im englischen Prozessrecht besteht eine Rechtskraftbindung einerseits über den Klagegegenstand (cause of action), andererseits hinsichtlich tragender Vorfragen (issues). Insofern werden cause of action estoppel [1.] und issue estoppel [2.] unterschieden.76 70
s. hierzu Teil II § 7 A. I. (Rn. 546–569). Das belegt die Entstehungsgeschichte des § 322 ZPO: In der Gesetzgebungskommission wurde der Antrag, § 283 des CPO-Entwurfs (heute § 322 ZPO) so zu fassen, dass auch präjudizielle Rechtsverhältnisse an der Rechtskraft teilnehmen, abgelehnt. Vgl. Protokolle der Kommission, S. 106–108 (13. Sitzung, 05.05.1875), in: Hahn, Materialien zur CPO, 1880, S. 607–609. 72 Protokolle der Kommission, S. 107, in: Hahn, Materialien zur CPO, 1880, S. 609. 73 Protokolle der Kommission, S. 107 f., in: Hahn, Materialien zur CPO, 1880, S. 609 f. 74 Geimer, IZPR, 6. Aufl. 2009, Rn. 2781; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, 16. Aufl. 2004, § 152 I 1. 75 Wolf, in: FS Schwab, 1990, S. 561 (564 f.): So kann etwa das Gericht die Wirksamkeit eines Vertragsverhältnisses offen lassen und die Vergütung alternativ aus ungerechtfertigter Bereicherung zusprechen. Dies kann aufwendige, im Ergebnis aber unnötige Tatsachenermittlungen und Rechtsprüfungen vermeiden. 76 Andrews, English Civil Procedure, 2003, Rn. 40.10, wobei der Begriff cause of action estoppel genau genommen nur einen Teil des Phänomens res judicata beschreibt, deren anderer Aspekt merger in judgment heißt, s. bereits Rn. 165. Oftmals 71
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1. Die rechtskräftigen Elemente beim cause of action estoppel Die res judicata schließt ein erneutes Verfahren über denselben cause of 190 action aus.77 Dieser setzt sich aus dem Rechtsschutzziel und dessen Grundlage zusammen. Letztere wird durch alle Tatsachen gebildet, deren Beweis erforderlich ist, um eine anerkannte rechtliche Grundlage für das geltend gemachte Rechtsschutzziel zu begründen.78 Der cause of action beinhaltet also nicht das gesamte vorgetragene tatsächliche Geschehen, sondern wird danach abgesteckt, ob die Tatsachen ausreichen, um einen möglichen Anspruchsgrund zu erfüllen. Dies meint aber nicht unbedingt Anspruchsgrundlage im technischen Sinne, sondern den sachlichen Haftungsgrund.79 Kommen mehrere deliktische Anspruchsgrundlagen für dasselbe Ziel in 191 Betracht, handelt es sich demnach nicht um zwei causes of action: Hat ein Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber auf Ersatz nach dem Employers Liability Act 1880 verklagt, kann er ihn nicht erneut aus common law-Grundsätzen gerichtlich in Anspruch nehmen; es ist jeweils dasselbe Interesse aus demselben Grund betroffen, daher handelt es sich um denselben cause of action.80 Wurden etwa durch ein einheitliches tatsächliches Verhalten mehrere Pflichten aus ein und demselben Vertrag verletzt, bilden alle Ansprüche wird in England von cause of action estoppel gesprochen und damit auch der merger in judgment gemeint. 77 House of Lords, 25.04.1991 – Arnold and Others v. National Westminster Bank PLC [1991] 2 A.C. 93, 103 (Keith of Kinkel LJ): „Cause of action estoppel arises, where the cause of action in the later proceedings is identical to that in the earlier proceedings . . .“; Handley, Res Judicata, 3. Aufl. 1996, Rn 176 f.: „identity of subject matter“. 78 Court of Appeal (Civil Division), 15.06.1964 – Letang v. Cooper [1965] 1 Q.B. 232, 242G-243A (Diplock LJ): „A cause of action is simply a factual situation the existence of which entitles one person to obtain from the court a remedy against another person“; Andrews, English Civil Procedure, 2003, Rn. 40.12: „. . . the set of material facts, or core factual matrix, which supports a recognized legal ground of claim“; ebenso House of Lords, 08.02.1993 – Republic of India and Another v. India Steamship Co. Ltd. [1993] A.C. 410, 419 (Goff of Chieveley LJ); High Court Queen’s Bench Division, 05.05.1989 – Black v. Yates [1992] Q.B. 526, 543 (Potter J); Court of Appeal (Civil Division), 29.07.2008 – Redcar & Cleveland Borough Council v. Brainbridge & Ors [2008] EWCA Civ. 885, para. 254–261. 79 Vgl. Court of Appeal (Civil Division), 15.06.1964 – Letang v. Cooper [1965] 1 Q.B. 232, 239E,F (Lord Denning MR): „. . . we divide the causes of action now according as the defendant did the injury intentionally or unintentionally. If one man intentionally applies force directly to another, the plaintiff has a cause of action in assault and battery . . .“. Die beiden Anspruchsgrundlagen assault (= Körperverletzung) und battery (= tätliche Beleidigung) bilden also einen einheitlichen cause of action, weil jeweils die vorsätzliche Verletzung haftungsbegründend ist. 80 Court of Appeal (Civil Division), 19.06.1940 – Hills v. Co-Operative Wholesale Society, Ltd. [1940] 2 K.B. 435; ebenso (Verbot der Aufspaltung nach An-
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wegen dieser Verhaltensweise einen einzigen cause of action.81 Hat hingegen jemand ein und dieselbe vertragliche Pflicht zu verschiedenen Zeitpunkten wiederholt nicht beachtet, handelt es sich um verschiedene causes of action.82 192
Kann sich das klägerische Begehren aus verschiedenen causes of action ergeben und wurde nur einer von ihnen im Vorprozess mit Erfolg geltend gemacht, sind damit auch die anderen causes of action, aus denen sich dasselbe Klageziel ergeben könnte, nach der Regel des merger in judgment verbraucht.83 Der Kläger kann daher nur aus einer Anspruchsgrundlage befriedigt werden und muss somit entscheiden, aus welcher er vorgehen will.84 War hingegen die Klage im Vorprozess erfolglos, so greift hinsichtlich paralleler causes of action in der Regel die Präklusionswirkung (cause of action preclusion).85 Im Grundsatz gilt damit im englischen Recht eine sachverhaltsorientierte Betrachtungsweise des Streitgegenstands.86
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Die Rechtskraft erstreckt sich allerdings nicht auf mehrere nebeneinander stehende causes of action, wenn es sich um verschiedene Klageziele hanspruchsgrundlagen) High Court Queen’s Bench Division, 05.05.1989 – Black v. Yates [1992] Q.B. 526. 81 House of Lords, 08.02.1993 – Republic of India and Another v. India Steamship Co. Ltd. [1993] A.C. 410, 420–1: „the factual basis . . . giving rise to the two breaches is the same“. Wegen eines Schiffsbrandes wurde ein Teil der Ware über Bord geworfen, der andere konnte nur beschädigt geliefert werden. Zunächst wurde wegen „damage to cargo“ ein Teilbetrag von £9000 eingeklagt. Die Rechtskraft dieses Urteils machte eine weitere Klage über rund £2.6 Millionen wegen „short delivery“ unzulässig. Krit. hierzu Collins, LQR 108 (1992), S. 393 (394); Davenport, LQR 110 (1994), S. 25 (27). 82 Handley, Res Judicata, 3. Aufl. 1996, Rn. 413. 83 Judicial Committee of the Privy Council, 20.08.1940 – United Australia, Ltd. v. Barclays Bank, Ltd. [1941] A.C. 1, 28 (per Lord Atkin): „he [der Kläger, d. Verf.] was restricted to one of the two remedies . . . Having recovered in contract . . . [it] cannot . . . recover in tort. Transit in rem judicatam“. Und weiter a. a. O., 30: „. . . on a question of alternative remedies no question of election arises until one or other claim has been brought to judgment. Up to that stage the plaintiff may pursue both remedies together, or pursuing one may amend and pursue the other: but he can take judgment only for the one and his cause of action on both will then be merged in the one.“ 84 Handley, Res Judicata, 3. Aufl. 1996, Rn. 405. In diesem Sinne auch Court of Appeal (Civil Division), 15.06.1964 – Letang v. Cooper [1965] 1 Q.B. 232: Die Klägerin machte sowohl negligence als auch trespass to the person geltend. Das Gericht ordnete den Tatsachenvortrag insgesamt als eine Klage aus negligence ein. Hierauf kam es an, weil Ansprüche wegen negligence früher verjährten als solche wegen trespass to the person. 85 s. Teil II § 7 A. II. (Rn. 570–577). 86 Otte, Streitentscheidung, 1998, S. 121; Stürner, in: FS Schütze, 1999, S. 913 (922).
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delt. Ob Klageziele verschieden sind, wird im Deliktsrecht nach einer subtilen Unterscheidung beurteilt: Seit der Entscheidung Brunsden v. Humphrey ist eine getrennte klageweise Geltendmachung der verletzten Interessen möglich, auch wenn es sich um einen einzigen tatsächlichen Vorgang und einen einheitlichen Haftungsgrund handelt: In diesem Fall hatte der Kläger zunächst erfolgreich den Schaden eingeklagt, der an seiner Kutsche bei einem Verkehrsunfall entstanden war. Dies hinderte ihn nicht daran, nachfolgend Schäden wegen einer bei demselben Unfall eingetretenen Körperverletzung geltend zu machen.87 Zu diesem Ergebnis kam das Gericht durch eine Betrachtung der Beweismittel: Da im Erstverfahren andere Beweise erforderlich waren (für den Schaden an der Kutsche) als im Zweitverfahren (für die Körperverletzung) handelt es sich um verschiedene causes of action.88 2. Die rechtskräftigen Elemente beim issue estoppel und dessen Voraussetzungen Issue estoppel bezieht sich auf die einzelnen Voraussetzungen (condi- 194 tions) eines rechtskräftig entschiedenen cause of action. Wird eine solche Voraussetzung im Rahmen eines anderen cause of action wieder zum Streitpunkt (issue), kann sie nicht erneut beurteilt werden.89 Diese Vorfragenbindung wird unmittelbar aus dem cause of action estoppel abgeleitet, da mit der Gesamtentscheidung über einen cause of action zugleich sämtliche diesen tragende issues verbindlich geklärt werden.90 Würde im Nachhinein 87 Court of Appeal (Civil Division), 12.07.1884 – Brunsden v. Humphrey [1884] 14 Q.B.D. 141. Im Ergebnis allerdings leicht abweichend Court of Appeal (Civil Division), 12.03.1993 – Talbot v. Berkshire County Council [1994] Q.B. 290: Wenn über die Haftung aus einem Verkehrsunfall gestritten wird, ist eine spätere Geltendmachung von Schäden wegen Körperverletzung aus demselben Unfall präkludiert. Angesichts der neuen engen Rspr. in England zur Präklusionswirkung (s. hierzu Rn. 571: Präklusion nur noch bei Rechtsmissbrauch) ist allerdings fraglich, ob dies noch gültig ist. 88 Court of Appeal (Civil Division), 12.07.1884 – Brunsden v. Humphrey [1884] 14 Q.B.D. 141, 146 (per Lord Brett MR): „. . . whether the same sort of evidence would prove the plaintiff’s case in the two actions.“ 89 Vgl. House of Lords, 25.04.1991 – Arnold and Others v. National Westminster Bank PLC [1991] 2 A.C. 93, 105 (Keith of Kinkel LJ): „Issue estoppel may arise where a particular issue forming a necessary ingredient in a cause of action has been litigated and decided and in subsequent proceedings between the same parties involving a different cause of action to which the same issue is relevant one of the parties seeks to re-open that issue.“ 90 Vgl. Cullen, Q.C. und Williamson Q.C. in House of Lords, 25.04.1991 – Arnold and Others v. National Westminster Bank PLC [1991] 2 A.C. 93, 97: „Both logic and principle support the approach that the judicial determination of an entire
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eine notwendige Voraussetzung des Rechtsfolgenausspruchs im Vorprozess abweichend beurteilt, wäre damit zugleich eine Säule des rechtskräftigen Urteils zu Fall gebracht, dessen Bindungswirkung die Grundlage entzogen. Vom issue estoppel können einerseits rechtliche Vorfragen erfasst sein91, andererseits tatsächliche Feststellungen92. Letzteres verwehrt es einer Partei, dasjenige, was das Gericht im Vorprozess als erwiesen festgestellt hat, durch neue Beweise zu widerlegen.93 195
Ein issue estoppel hat mehrere Voraussetzungen: Zunächst muss die Vorentscheidung „on the merits“ gewesen [a)] und mit dem im Folgeprozess in Frage stehenden issue identisch sein [b)]. Weiterhin muss die Vorfrage tatsächlich Gegenstand des Vorprozesses gewesen [c)] und zum Nachteil desjenigen entschieden worden sein, der im Zweitprozess estopped ist [d)]. a) Entscheidung im Vorprozess „on the merits“
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Der Grundsatz, dass nur Sachentscheidungen („on the merits“) Rechtskraft zukommt, gilt eigentlich auch für den cause of action estoppel, hat hier aber keine Bedeutung, da ein solcher nur hinsichtlich des gesamten Entscheidungsergebnisses greift, mithin immer dann, wenn eine Entscheidung in der Sache vorliegt. Wurde allerdings die Klage als unzulässig abgecause of action is in fact the determination of every issue which is fundamental to establishing the entire cause of action. Thus, the assertion that the determination on one of the issues is flawed is equivalent to asserting that the whole judgement is flawed.“ 91 Bspw. House of Lords, 25.04.1991 – Arnold and Others v. National Westminster Bank PLC [1991] 2 A.C. 93: Im Vorprozess wurde als Vorfrage entschieden, dass eine Vertragsklausel in einer bestimmten Weise auszulegen ist. Dies galt wegen issue estoppel auch in einem Folgeprozess mit einem anderen cause of action. Ähnlich Court of Appeal (Civil Division), 24.10.1980 – Tebbutt v. Haynes and another [1981] 2 All ER 238. 92 Bspw. High Court King’s Bench Division, 23.04.1923 – Ord v. Ord [1923] 2. K.B. 432 (Die Entscheidung, dass ein Ehebruch bewiesen wurde, löst einen issue estoppel aus); Court of Appeal (Civil Division), 17.01.1980 – McIlkenny v. Chief Constable of West Midlands Police Force and another [1980] 2 All ER 227; House of Lords, 19.11.1981 – Hunter v. Chief Constable of the West Midlands Police and others [1982] A.C. 529 (Da behauptete Körperverletzungen zuvor nicht nachgewiesen werden konnten, stand dies per issue estoppel auch zukünftig fest); High Court Chancery Division, 02.07.1842 – Barrs v. Jackson, 1 Y. & C. C. C. 585 (Die Entscheidung aus dem Vorprozess, dass die Abstammung einer Person nicht ausreichend nachgewiesen wurde, löste issue estoppel aus). 93 Vgl. High Court King’s Bench Division, 23.04.1923 – Ord v. Ord [1923] 2. K.B. 432, 439 (Lush J): „An estoppel, therefore is an admission; or something which the law treats as equivalent to an admission, of an extremely high and conclusive nature – so high and so conclusive, that the party whom it affects is not permitted to aver against it or offer evidence to controvert it.“
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wiesen, ist nicht eindeutig, ob dies eine Entscheidung on the merits ist, die hinsichtlich prozessualer Vorfragen der Zulässigkeit einen issue estoppel auslösen kann. Nach einer allgemeinen Formel liegt eine Entscheidung „on the merits“ 197 dann vor, wenn das Gericht Tatsachen aufgeklärt, den einschlägigen Rechtssatz benannt und hieraus eine Folgerung gezogen hat.94 Demnach kann auch die Beurteilung rein prozessualer Vorfragen einen estoppel auslösen. Allerdings muss sich das Gericht zur Beurteilung der Vorfrage für zuständig gehalten haben, selbst wenn die Klage im Ergebnis unzulässig ist.95 So beinhaltet die Entscheidung, wegen einer wirksamen ausschließlichen Prorogation der Gerichte eines anderen Landes international unzuständig zu sein, dahingehend eine Bindungswirkung, dass die Gültigkeit der Zuständigkeitsabrede nicht mehr in Frage gestellt werden kann.96 Schließlich hatte das Gericht die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung nach rechtlichen Maßstäben geprüft. Hatten die Richter die Klage hingegen abgewiesen, weil sie sich von vornherein, d.h. ohne jegliche Sachprüfung für unzuständig hielten, kann die Klageabweisung keinen issue estoppel auslösen.97 94 Vgl. Brandon of Oakbrook LJ in House of Lords, 21.03.1985 – The Sennar No. 2 [1985] 1 W.L.R. 490, 499: „. . . a decision on the merits is a decision which establishes certain facts as proved or not in dispute; states what are the relevant principles of law applicable to such facts; and expresses a conclusion with regard to the effect of applying those principles to the factual situation concerned.“ 95 Vgl. Diplock LJ in House of Lords, 21.03.1985 – The Sennar No. 2 [1985] 1 W.L.R. 490, 493: ‚On the merits‘ bedeute, „. . . that the court has held that it has Jurisdiction to adjuciate upon the issue raised in the cause of action to which the particular set of facts give rise“. 96 Bspw. House of Lords, 21.03.1985 – The Sennar No. 2 [1985] 1 W.L.R. 490: Die Entscheidung eines niederländischen Gerichts, dass hinsichtlich des Klagegegenstandes eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung zu Gunsten sudanesischer Gerichte bestand, löste für das erneute Verfahren des Anspruchstellers in England einen issue estoppel dergestalt aus, dass das englische Gericht die Entscheidung über die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung hinnehmen und sich ohne weitere Prüfung für unzuständig erklären musste. Dem Unzuständigkeitsentscheid wäre hingegen keine Vorfragenbindung zugekommen, wenn das Gericht lediglich die maßgebliche Regelung zur internationalen Zuständigkeit angewandt und sich für unzuständig erklärt hätte, ohne in die Prüfung der Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung einzusteigen. Ebenso High Court Queen’s Bench Division (Commercial Court), 06.10.1982 – Tracomin SA v. Sudan Oil Seeds Co Ltd [1983] 1 All ER 404, 414b: Klageabweisung in der Schweiz wegen wirksamer Schiedsklausel ist „decision on the merits“. Ähnlich House of Lords, 18.05.1966 – Carl Zeiss Stiftung v. Rayner & Keeler Ltd. and others [1967] 1 A.C. 853: Klageabweisung in Deutschland wegen fehlender Vertretungsmacht ist eine Entscheidung „on the merits“ hinsichtlich des (Nicht)Bestehens der Vertretungsmacht. 97 Bspw. House of Lords, 05.03.1975 – Black-Clawson International Ltd. v. Papierwerke Waldhof-Aschaffenburg [1975] 2 Lloyd’s Rep. 11: Ein deutsches Gericht, das den Klageanspruch als verjährt ablehnt, hat – aus englischer Sicht – schlichtweg
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Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
b) Identität des issues im Vor- und Folgeprozess 198
Vorfragenbindung im Zweitprozess setzt voraus, dass es dort exakt auf dieselbe Frage ankommt, die auch Gegenstand des Vorprozesses war.98 Hierbei gilt ein sehr enges Begriffsverständnis.99 Rechtliche Vorfragen sind nur in Bezug auf diejenigen Aspekte entschieden, die konkret im Vorprozess verhandelt wurden. Wurde dort etwa die Wirksamkeit einer letztwilligen Verfügung allein wegen fehlender Eindeutigkeit in Frage gestellt, vom Gericht allerdings bejaht, können später andere Unwirksamkeitsgründe geltend gemacht werden.100 Die Annahme eines wirksamen Mietvertrages versperrt im Folgeprozess nicht die erstmalige Behauptung, der Vertrag sei in Wahrheit als Darlehensvertrag auszulegen.101
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Tatsächliche Feststellungen können nur dann einen issue estoppel auslösen, wenn die Beweise in beiden Prozessen unter demselben Tatbestandsmerkmal zu würdigen sind. Einen reinen „fact estoppel“ in dem Sinne, dass bestimmtes tatsächliches Vorbringen allgemein ausgeschlossen wäre, begründet die res judicata nicht.102 Dass Tatsachen nach Überzeugung des Gerichts (nicht) vorlagen, hat nur Gültigkeit in Bezug auf die konkret geprüfte Norm. Dieselben Beweismittel können jedoch zu einem anderen Tatbestandsmerkmal erneut gewürdigt werden.103 Etwas anderes gilt nur dann, wenn entschienichts entscheiden wollen, gewissermaßen ohne Rechtsanwendung kategorisch eine Entscheidung abgelehnt; daher keine rechtskraftfähige „decision on the merits“. 98 Bspw. Court of Appeal (Civil Division), 06.05.1977 – Turner v. London Transport Executive [1977] I.C.R. 952. 99 Bspw. House of Lords, 13.12.1938 – New Brunswick Railway Co. v. British & Frensh Trust Corporation, Ltd. [1938] All ER 747: Ein Investor hatte 992 Unternehmensanleihen (bonds) der New Brunswick Railway Co. gekauft. Als der Investor vom Emmittenten Rückzahlung der Anleihen begehrte, entstand Streit über die Auslegung der in der Inhaberschuldverschreibung enthaltenen Regelung zur Zinshöhe. Daraufhin klage der Investor aus einer einzigen seiner 992 Anleihen; der Emittent wurde zur Zahlung der höheren Summe verurteilt. Sodann klagte der Investor erneut, diesmal aus den anderen 991 Bonds. Der Emittent machte geltend, die Klausel auf den Schuldverschreibungen sei so zu verstehen, dass nur der geringere Betrag geschuldet sei. Der Kläger berief sich auf issue estoppel, der das Vorbringen des Emittenten ausschließe. Das Gericht entschied, dass die Auslegung der einen Anleihe ein anderes issue sei als die der übrigen Bonds (obwohl sie alle einen identischen Wortlaut hatten). Daher kein issue estoppel. 100 Judicial Committee of the Privy Council, 01.08.1913 – Kennedy v. Kennedy [1914] A.C. 215, 220. 101 Judicial Committee of the Privy Council, 10.12.1963 – Kok Hoong v. Leong Cheong Kweng Mines Ltd. [1964] A.C. 993. 102 Diplock LJ in Court of Appeal (Civil Division), 19.12.1963 – Thoday v. Thoday [1964] 1 All ER 341, 352 G: „. . . ‚issue estoppel‘ must not be confused with ‚fact estoppel‘, which . . . is not a species of estoppel per rem iudicatam.“ Tatsachen können aber präkludiert sein, vgl. unten Teil II § 7 A. II. (Rn. 570–577).
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den wurde, dass bestimmte Beweismittel schlechthin unglaubwürdig sind. Dann müssen sie im Folgeprozess – egal zu welcher Rechtsfrage – nicht erneut berücksichtigt werden.104 Der issue estoppel über Tatsachen soll jedenfalls nur greifen, wenn es sich zweifelsfrei um dasselbe issue handelt.105 c) Vorfrage tatsächlich Gegenstand des Vorprozesses Eine Vorfrage war nur Gegenstand des Vorprozesses, wenn sie für dessen 200 Ausgang erheblich war und auch tatsächlich vom Gericht entschieden worden ist. Ersteres ist sie dann, wenn sie „essential and necessary“ für den Klagegegenstand war.106 Da sich die Verbindlichkeit der Vorfragen aus der Rechtskraft über das Gesamtergebnis ableitet, sind die für dieses unerheblichen Randfragen nicht von der res judicata-Wirkung erfasst.107 Bildlich 103 Anschaulich Court of Appeal (Civil Division), 19.12.1963 – Thoday v. Thoday [1964] 1 All ER 341: Im Vorprozess beantragte eine Ehefrau die Scheidung, weil ihr Gatte sie misshandelt habe (cruelty). Da nach Auffassung des Gerichts die Misshandlungen nicht ausreichend bewiesen werden konnten, blieb der Scheidungsantrag erfolglos. Als im Folgeverfahren der Ehegatte Scheidungsantrag stellte mit der Begründung, dass ihn seine Frau verlassen habe, rechtfertigte diese ihren Auszug aus der Ehewohnung mit Misshandlungen durch den Ehemann (just cause for the separation). Dabei berief sie sich hauptsächlich auf dieselben Tatsachen, die sie schon im Vorprozess vorgetragen hatte zum Beleg der körperlichen Misshandlungen ihres Mannes, aber nicht beweisen konnte. Das Gericht entschied, dass die Entscheidung des Erstgerichts, dass cruelty nicht bewiesen werden konnte, das Zweitgericht nicht daran hindert, im Folgeprozess dieselben Beweismittel dahingehend zu würdigen, ob sich aus diesen ein just cause for the separation ergibt. Vgl. Willmer LJ, a. a. O., 348 E-F: „. . . I think, that conduct of a grave and weighty nature [des Ehemannes, d. Verf.], not amounting to cruelty because of failure to give satisfactory proof of injury to health, may yet constitute just cause as a defence to a charge of desertion or may be sufficient to found a charge of construction desertion.“ 104 Vgl. Willmer LJ in Court of Appeal (Civil Division), 19.12.1963 – Thoday v. Thoday [1964] 1 All ER 341, 348 C-D: „. . . if the previous adjudication went on the basis that the party raising the issues was not a credible witness, so that the court could not be satisfied that the events complained of had ever taken place, then the party should not be allowed to raise those issues or that issue again“. 105 Vgl. Willmer LJ in Court of Appeal (Civil Division), 19.12.1963 – Thoday v. Thoday [1964] 1 All ER 341, 346 A: „. . . only [. . .] in plain and obvious cases . . .“ 106 Handley, Res Judicata, 3. Aufl. 1996, Rn. 182; Lord Denning MR in Court of Appeal (Civil Division), 20.04.1964 – Penn-Texas Corporation v. Murat Anstalt and others (No. 2) [1964] 2 Q.B. 647, 660: „In my opinion a previous judgment between the same parties is only conclusive on matters which were essential and necessary to the decision“; Dixon J in High Court of Australia, 27.05.1939 – Blair and others v. Curran and others (1939) 62 CLR 464, 532: „. . . matters of law or fact which are subsidiary or collateral are not covered by the estoppel.“ 107 Vgl. Diplock LJ in Court of Appeal (Civil Division), 19.12.1963 – Thoday v. Thoday [1964] 1 All ER 341, 352 D-F: „There are many causes of action which can only be established by proving that two or more different conditions are ful-
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gesprochen stehen nur die Säulen, auf denen der cause of action wie ein Tempeldach ruht, unverrückbar fest. Eine abweichende Beurteilung von obiter dicta könnte den Tempel nicht zum Einsturz bringen, weswegen diese auch keinen issue estoppel auslösen.108 201
Zusätzlich muss die Vorfrage tatsächlich durch das Erstgericht entschieden worden sein. Dies ist jedenfalls dann gegeben, wenn in den Entscheidungsgründen die Ansicht der Richter zum Tatsachen- bzw. Rechtsaspekt wiedergegeben ist.109 Sind die Gründe insoweit nicht aufschlussreich, ist es auch möglich, aus dem Entscheidungstenor und dem zu Grunde liegenden Sachverhalt Rückschlüsse auf die notwendigerweise entschiedenen Vorfragen zu ziehen.110 Dabei gilt aber ein strenger Maßstab111: Nur wenn das Ergebnis einer Entscheidung aus Gründen des materiellen Rechts oder der Logik zwingend voraussetzt, dass rechtliche oder tatsächliche Vorfragen in der einen oder anderen Weise entschieden worden sein müssen, kann eine entsprechende Vorfragenbeurteilung abgeleitet werden.112 Bei rechtlichen filled. Such causes of action involve as many separate issues between the parties as there are conditions to be fulfilled by the plaintiff in order to establish his causes of action; and there may be cases where the fulfilment of an identical condition is a requirement common to two or more different causes of action. If in litigation upon one such cause of action any of such separate issues as to whether a particular condition has been fulfilled is determined by a court . . . neither party can, in subsequent litigation between one another upon any cause of action which depends upon the fulfilment of the identical condition, assert that the condition was fulfilled if the court has in the first litigation determined that it was not, or deny that it was fulfilled if the court in the first litigation determined that it was.“ 108 Court of Appeal (Civil Division), 20.04.1964 – Penn-Texas Corporation v. Murat Anstalt and others (No. 2) [1964] 2 Q.B. 647. 109 Handley, Res Judicata, 3. Aufl. 1996, Rn. 179. 110 Handley, Res Judicata, 3. Aufl. 1996, Rn. 180. 111 Lane LJ, in Court of Appeal (Civil Division), 06.05.1977 – Turner v. London Transport Executive [1977] I.C.R. 952, 966: „. . . a case of issue estoppel cannot begin to be established unless it can be ascertained with some degree of precision what it was that the dominant judgment decided.“ 112 Handley, Res Judicata, 3. Aufl. 1996, Rn. 184; High Court Chancery Division, 06.03.1896 – Shoe Machinery Co v. Cutlan [1896] 1 Ch. 667, 670 f. (Romer J): „It is not necessary, in considering the question of res judicata, that there should be an express finding in terms, if, when you look at the judgment and examine the issues raised before the Court, you see that the point came to be decided as a separate issue for decision, and was decided between the parties.“ Vgl. auch Court of King’s Bench, 11.02.1803 – Outram v. Morewood Clerk and Ellen, his Wife, 102 E.R. 630, 634 (per Lord Ellenborough CJ): „. . . a finding upon title in trespass not only operates as a bar to the future recovery of damages for a trespass on the same injury, but also operates by way of estoppel to any action for an injury to the same supposed right of possession“. Wurde allerdings im Vorprozess nur Schadensersatz wegen Eingriffs in Grundbesitz (possession) zugesprochen, wurde damit nicht rechtskräftig über das fee in freehold (entspr. Grundeigentum) entschieden, vgl.
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Fragen ist dies in der Regel unproblematisch, weil sich die Voraussetzungen einer Rechtsfolge dem materiellen Recht entnehmen lassen. Bei Tatsachen muss hingegen genau ermittelt werden, von welchen Fest- 202 stellungen das Gericht ausgegangen war.113 Dies lässt sich anhand der Rechtssache Ord v. Ord114 verdeutlichen, in der es zwei Mal um die Frage ging, ob eine Ehefrau einen Ehebruch begangen hatte. Dies konnte der Gatte im ersten Verfahren nicht beweisen. Nachdem er Zeugen gefunden hatte, wurde ihm im anschließenden Prozess gestattet, erneut den Beweis des Ehebruchs anzutreten. Im Vorprozess sei es nur um Ehebruch in einem ganz bestimmten Fall gegangen, während nunmehr andere Fälle geltend gemacht wurden. Gegenstand des Erstverfahrens sei nicht schlechthin die Frage gewesen, ob die Frau ehebrüchig war, sondern nur, ob bei einer ganz bestimmten Gelegenheit ein Ehebruch vorlag. Dies ergab sich aus dem Vorbringen des Mannes und den angeführten Beweismitteln.115 Bei gerichtlichen Vergleichen sind nur die Vorfragen von der Rechtskraft 203 erfasst, die einerseits für den Entscheidungsinhalt erheblich waren und andererseits von den Parteien als streitgegenständlich erkannt wurden.116 Nur dann ist anzunehmen, dass sich der Vergleich nach dem Parteiwillen auch auf sie erstreckte.117 Noch eingeschränkter ist die issue estoppel-Wirkung bei Versäumnisurteilen. Die Gründe, aus denen sich der Beklagte dazu entschieden hat, säumig zu bleiben, können unterschiedlich sein, so dass die Säumnis nicht automatisch auch als Zugeständnis in den Vorfragen zu werten ist.118 a. a. O., 635: „In trespass, damages for an injury to possession are the only thing demanded by the declaration: the judgment can only give the plaintiff an ascertained right to his damages, and the means of obtaining them: it concludes nothing upon the ulterior right of possession, much less of property, in the land“. 113 Vgl. Lush J in High Court King’s Bench Division, 23.04.1923 – Ord v. Ord [1923] 2. K.B. 432, 440: „In order to see what the fact is that he [die Partei gegen die der issue estoppel greifen soll, d. Verf.] must admit the truth of one has always to see what is the precise question, the precise fact that has been disputed and decided“. 114 High Court King’s Bench Division, 23.04.1923 – Ord v. Ord [1923] 2. K.B. 432. 115 Vgl. Lush J in High Court King’s Bench Division, 23.04.1923 – Ord v. Ord [1923] 2. K.B. 432, 440: „The plea [im Vorprozess, d. Verf.] only means this, that the defendant alleges a certain act, or acts, of misconduct specified in particulars, if any are given, if not, to be specified in the evidence“. 116 Bspw. High Court Chancery Division, 14.03.1991 – McGucken v. McGucken and another [1991] NI 33; Judicial Committee of the Privy Council, 19.03.1929 – Kinch v. Walcott and others [1929] A.C. 482. 117 Handley, Res Judicata, 3. Aufl. 1996, Rn. 39. 118 Vgl. Wright LJ in House of Lords, 13.12.1938 – New Brunswick Railway Co. v. British & Frensh Trust Corporation, Ltd. [1938] All ER 747, 766H-767A: „There are grave reasons of convenience why a party should not be held to be bound by
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Wird etwa nur ein geringwertiger Anspruch eingeklagt und wäre eine gerichtliche Verteidigung gleichzeitig kostenaufwendig, nimmt möglicherweise der Beklagte schon aus prozessökonomischen Überlegungen davon Abstand, vor Gericht zu erscheinen.119 Versäumnisurteile lösen daher nur hinsichtlich solcher issues einen estoppel aus, die notwendigerweise und mit eindeutiger Sicherheit im Vorprozess zu entscheiden gewesen wären.120 d) Issue estoppel nur, wenn Ersturteil zum Nachteil der estopped party ausgegangen 204
Die Entscheidung über ein issue kann eine Partei nur dann im späteren Verfahren binden, wenn der ganze Vorprozess zu ihrem Nachteil ausgegangen ist.121 Diese Voraussetzung für einen issue estoppel ergibt sich aus der Überlegung, dass die Bindung an eine gerichtliche Entscheidung nur dann every matter of fact of law fundamental to the default judgment. It is, I think, too artificial to treat the party in default as bound by every such matter as if by admission.“, in seiner dissenting opinion lehnt Wright LJ eine issue estoppel-Wirkung von Versäumnisurteilen vollständig ab („. . . illegitimate extension of the doctrine . . .“). Nach der majority opinion der Richter können Versäumnisurteile dann eine Vorfragenbindung auslösen, wenn die Vorfrage „necessarily, and with complete precision, decided by the previous judgment“ wurde, Lord Maugham LC, a. a. O., 756 A. 119 Lord Maugham LC in House of Lords, 13.12.1938 – New Brunswick Railway Co. v. British & Frensh Trust Corporation, Ltd. [1938] All ER 747, 755F-G: „In my view not all estoppels are ‚odious‘, but the adjective might well be applicable if a defendant, particularly if he is sued for a small sum in a country distant from his own, is held to be estopped not merely in respect of the actual judgment obtained against him, but from defending himself against a claim for a much larger sum on the ground that one of the first issues in the first action (issues which he never saw, though they were doubtless filed) had decided as a matter of inference his only defence in the second action.“ 120 Lord Maugham LC in House of Lords, 13.12.1938 – New Brunswick Railway Co. v. British & Frensh Trust Corporation, Ltd. [1938] All ER 747, 756A: „. . . necessarily, and with complete precision, decided by the previous judgment . . .“; ebenso Judicial Committee of the Privy Council, 10.12.1963 – Kok Hoong v. Leong Cheong Kweng Mines Ltd. [1964] A.C. 993, 1012: „default judgments . . . must always be scrutinised with extreme particularity for the purpose of ascertaining the bare essence of what they must necessarily have decided“; Handley, Res Judicata, 3. Aufl. 1996, Rn. 51. 121 Lord Denning MR in Court of Appeal (Civil Division), 24.10.1980 – Tebbutt v. Haynes and another [1981] 2 All ER 238, 242: „I ventured to suggest this principle: if there has been an issue raised and decided against a party in circumstances in which he has had a full and fair opportunity of dealing with the whole case, then that issue must be taken as being finally and conclusively decided against him.“ Ebenso Lord Denning MR in Court of Appeal (Civil Division), 17.01.1980 – McIlkenny v. Chief Constable of West Midlands Police Force and another [1980] 2 All ER 227; Handley, Res Judicata, 3. Aufl. 1996, Rn. 205.
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zumutbar ist, wenn die Möglichkeit bestand, sie durch Rechtsmittel überprüfen zu lassen.122 Ging ein Urteil aber zu Gunsten einer Partei aus, war diese nicht beschwert, hätte daher mangels Rechtsschutzinteresses auch kein Rechtsmittel einlegen können. Die Verbindlichkeit eines issues ist somit einer Partei unzumutbar, wenn dieses zwar zu ihrem Nachteil entschieden wurde, die Partei den Prozess insgesamt aber gewonnen hat. Diese Voraussetzung des nachteiligen Entscheidungsausgangs überschneidet sich mit dem zuvor dargestellten Erfordernis, dass das issue für die Entscheidung tragend gewesen sein muss: Wenn das Ersturteil trotz Unterliegens in einer Vorfrage zu Gunsten der Partei ausgegangen ist, kann die Vorfrage schon nicht „fundamental“ gewesen sein, so dass eine Entscheidung diesbezüglich auch keinen estoppel auslösen würde.123 3. Grenzen der Rechtskraftwirkung im englischen Recht Trotz Vorliegens der allgemeinen Tatbestandsvoraussetzungen greift in 205 „special circumstances“ keine Rechtskraft. Eine Neuverhandlung ist etwa denkbar, wenn die Entscheidung durch schwerste Verfahrensfehler oder durch unerlaubte Handlung beeinflusst wurde.124 Werden später neue Beweismittel zu einem bereits gerichtlich geltend gemachten cause of action aufgefunden, rechtfertigt dies einen review of the decision grundsätzlich nicht.125 Demgegenüber liegen beim issue estoppel eher „special circumstances“ 206 vor, die eine Einschränkung im Einzelfall rechtfertigen.126 Dieser general122 Lord Denning MR in Court of Appeal (Civil Division), 20.04.1964 – Penn-Texas Corporation v. Murat Anstalt and others (No. 2) [1964] 2 Q.B. 647, 660: „The English company would not be bound by a ruling from which they could not appeal“; so auch Handley, Res Judicata, 3. Aufl. 1996, Rn. 205. 123 Handley, Res Judicata, 3. Aufl. 1996, Rn. 202. Von dieser Vorstellung geht auch Lord Denning MR aus in Court of Appeal (Civil Division), 20.04.1964 – Penn-Texas Corporation v. Murat Anstalt and others (No. 2) [1964] 2 Q.B. 647, 660: „One of the tests in seeing whether a matter was necessary to the decision or only incidental to it, is to ask: Could the party have appealed from it?“ 124 House of Lords, April 1776 – Duchess of Kingston’s Case [1775–1802] All ER Rep. 623; Court of King’s Bench – Boswell v. Coaks (No. 2) (1894) 6 R 167 (berichtet von Handley, Res Judicata, 3. Aufl. 1996, Rn. 367 Fn. 33). 125 Court of Appeal (Civil Division), 28.07.1972 – In re Barrell Enterprises [1973] 1 W.L.R. 19. Wenn sich allerdings aus neuen Tatsachen ein neuer cause of action ergibt, kann dieser in den Grenzen der Präklusionswirkung nachträglich geltend gemacht werden. 126 Lord Denning MR in Court of Appeal (Civil Division), 23.02.1965 – Fidelitas Shipping Co., Ltd. v. V/O Exportchleb [1965] 2 All ER 4, 640: „this is not an infle-
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klauselartige Vorbehalt gegenüber issue estoppels entspricht der allgemeinen Zurückhaltung bei Annahme einer Vorfragenbindung.127 Zum einen muss im Zweitprozess sehr genau geprüft werden, ob es dort tatsächlich auf dasselbe issue ankommt wie im Vorprozess.128 Zum anderen löst eine Entscheidung dann keinen issue estoppel aus, wenn sich zwischenzeitlich die Rechtslage geändert hat – entweder weil neue Gerichtsentscheidungen (case law) vorliegen129 oder weil rückwirkend die statutes geändert wurden130. Eine Ausnahme vom Grundsatz des issue estoppel ist auch möglich, wenn der Partei, gegen die der estoppel wirken soll, im Vorprozess eine Verteidigung nicht umfassend und angemessen möglich war.131 Vor allem aus Sicht des Beklagten wird der issue estoppel allgemein kritisch gesehen132: Hat dieser am Obsiegen im Vorprozess wegen geringen Streitwertes xible rule“; Lord Bingham in Judicial Committee of the Privy Council, 19.06.2001 – Jennifer Gairy v. Attorney General of Grenada [2002] 1 A.C. 167, para. 27: Kein issue estoppel „where circumstances have so changed as to make it both reasonable and just for a party to raise the issue or pursue the claim in question in later proceedings.“ 127 Vgl. etwa Lord Keith of Kinkel in House of Lords, 25.04.1991 – Arnold and Others v. National Westminster Bank PLC [1991] 2 A.C. 93, 108: „. . . there is room for the view that the underlying principles upon which estoppel is based, public policy and justice, have greater force in cause of action estoppel, the subject matter of the two proceedings being identical, than they do in issue estoppel where the subject matter is different.“ 128 Eine zurückhaltende Anwendung fordert etwa Chadwick LJ in Court of Appeal (Civil Division), 18.07.2001 – Friend v. Civil Aviation Authority [2001] 4 All ER 385, para. 42: „[issue estoppel is a tool], which must be used with caution. It is essential that, before a claimant is prevented from bringing his claim before the court on the ground of issue estoppel, the court must be satisfied after careful examination of all circumstances that the issue present in the present claim is indeed the same issue as that which has been considered and decided in earlier proceedings“. 129 House of Lords, 25.04.1991 – Arnold and Others v. National Westminster Bank PLC [1991] 2 A.C. 93 (Allerdings ging das House of Lords auch deswegen von „exceptional circumstances“ aus, weil der Kläger gegen die Entscheidung im Vorprozess keine Rechtsmittel einlegen konnte); High Court Family Division, 04.02.2002 – S v. S [2002] 3 W.L.R. 1372, wonach eine Änderung der Rechtsprechung grundsätzlich zur Beseitigung eines gerichtlichen Vergleiches berechtigen könne. 130 Court of Appeal (Civil Division), 24.05.1991 – Hines v. Birkbeck College and another (No. 2) [1992] Ch. 33, 43 f-44C (per Nourse LJ), wonach die nachträgliche Änderung der Rechtslage „special or exceptional circumstances“ darstellen. 131 Lord Denning in Court of Appeal (Civil Division), 17.01.1980 – McIlkenny v. Chief Constable of West Midlands Police Force and another [1980] 2 All ER 227, 239. 132 Vgl. Lord Reid in House of Lords, 18.05.1966 – Carl Zeiss Stiftung v. Rayner & Keeler Ltd. and others [1967] 1 A.C. 853, 917.
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kein großes Interesse und wäre die Verteidigung besonders kostenintensiv, wird er möglicherweise ganz von einem Ausfechten des Streits absehen. III. Der objektive Umfang der Rechtskraft im französischen Recht Die Frage nach der objektiven Reichweite der Rechtskraft hat auch im 207 französischen Recht zwei Aspekte: Einerseits ist fraglich, welche Elemente eines Urteils in Rechtskraft erwachsen [1.]. Andererseits ist der Begriff des Streitgegenstands zu umreißen [2.]. 1. Die rechtskräftigen Urteilselemente im französischen Recht Nach der ausdrücklichen Bestimmung in Art. 480 CPC sind Urteile nur 208 hinsichtlich ihres Subsumtionsschlusses (dispositif) rechtskräftig.133 Außerdem regelt Art. 455 al.2 CPC, dass das Entscheidungsergebnis im dispositif ausgegeben werden soll.134 Aus diesen beiden Vorschriften ergibt sich eigentlich eindeutig, dass es eine Vorfragenbindung nicht gibt. Allerdings hatte sich in der französischen Rechtsprechung schon vor Erlass des Art. 480 CPC135 ein wesentlich weiter reichendes Rechtskraftverständnis entwickelt, nach dem der rechtskräftige dispositif nicht auf den formellen Subsumtionsschluss beschränkt ist. Diese Rspr. hat sich bis heute grundsätzlich erhalten.136 Einerseits wird Bestandteilen der niedergeschriebenen Entscheidungs- 209 gründe (motifs) Rechtskraft beigemessen, die zusammen mit dem formellen Subsumtionsschluss den dispositif exprès bilden [a)]. Andererseits lässt man auch solche Vorfragenbeurteilungen an der Rechtskraftbindung teilhaben, die an keiner Stelle des Urteils – weder in den Gründen noch im Tenor – ausdrücklich entschieden wurden. Es handelt sich hierbei um stillschweigende gerichtliche Festlegungen, die unter dem Begriff des dispositif implicite ou virtuel zusammengefasst werden [b)].
133 Art. 480 CPC: „Le jugement qui tranche dans son dispositif tout ou partie du principal, . . . a, dès son prononcé, l’autorité de la chose jugée relativement à la contestation qu’il tranche.“ (Herv. v. Verf.) 134 Art. 455 II CPC: „Le jugement énonce la décision sous forme de dispositif“. 135 Im Jahre 1978 als Art. 480 Nouveau Code de Procédure Civile. 136 Guinchard, Droit et pratique, 5. Aufl. 2006, Rn. 421.40–421.73.
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a) Der dispositif exprès – Erweiterung der Rechtskraft auf die Entscheidungsgründe 210
Im Grundsatz ist die Rechtskraft auf den formellen dispositif beschränkt137 und die Entscheidungsgründe können nur zur Auslegung des genauen Inhalts des Tenors herangezogen werden138. Der dispositif exprés wird aber in zwei Richtungen erweitert.139
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Einerseits werden motifs décisifs hinzugezählt. Das sind Elemente der Urteilsbegründung, die eine notwendige Stütze des Rechtsfolgenausspruchs darstellen.140 Hat etwa ein Gericht im Subsumtionsschluss die Wirksamkeit eines Vertrages festgestellt und in der Begründung ausgeführt, dass eine Partei bei Vertragsschluss keinem Willensmangel unterlag, nimmt dies als notwendige Stütze des Ergebnisses an der Rechtskraft teil.141 Erklärt sich in einem Mietrechtsstreit das Gericht für unzuständig, weil es sich um gewerbliche Miete handelt, steht die gewerbliche Natur des Mietverhältnisses rechtskräftig fest, so dass seine Wirksamkeit in Zukunft zwangsläufig nach den Vorschriften für Gewerbemietverträge zu beurteilen ist.142 Die Festlegung des Grenzverlaufes zwischen Grundstücken soll demgegenüber keine implizite rechtskräftige Entscheidung über die Eigentümerverhältnisse be137 Cour de cassation, civ., 21.07.1890, DP 1891 I 15; Cour de cassation, 1re civ., 08.07.1994 – nº 91–17250 (légifrance); Cour de cassation, comm., 22.03.1994 – nº 92–12984 (légifrance); Cour de cassation, 2e civ., 10.07.2003, Bull. civ. II nº 238; Cour de cassation, 2e civ., 22.01.2004, Bull. civ. II nº 15; Perrot/Fricéro, J.-Cl. Proc. civ. fasc. 554 (Stand: III 2006), S. 1 (Rn. 99). 138 Cour de cassation, soc., 08.12.1999 – nº 97–43104, 97–45291 (légifrance); Guinchard, Droit et pratique, 5. Aufl. 2006, Rn. 421.62. 139 In manchen Entscheidungen wird eine Erweiterung der Rechtskraft auf andere Urteilsbestandteile kategorisch abgelehnt. Vgl. Cour de cassation, comm., 17.06.1963, Bull. civ. IV nº 304; Cour de cassation, 2e civ., 05.04.1991, Bull. civ. II nº 109; Cour de cassation, 2e civ., 16.11.1983, Bull. civ. II nº 180; Cour de cassation, 2e civ., 16.07.1993, Bull. civ. II nº 253; Cour de cassation, soc., 11.05.1994 – nº 91–41101 (légifrance). Diese Linie hat sich aber nicht als herrschend durchgesetzt. 140 „qui sont le soutien nécessaire du dispositif“, vgl. Cour de cassation, réun., 19.05.1965, Bull. réun. nº 1; Cour de cassation, 2e civ., 17.10.1973, Bull. civ. II nº 259; Cour de cassation, 3e civ., 28.10.1974, Bull. civ. III nº 382; Cour de cassation, 3e civ., 27.04.1982, Bull. civ. III nº 106; Cour de cassation, 3e civ., 12.07.1988, Bull. civ. III nº 128; Cour de cassation, 1re civ., 08.07.1994, Bull. civ. I nº 240; Cour de cassation, 3e civ., 06.11.2001 – nº 00–13780 (légifrance). 141 Cour de cassation, 3e civ., 28.10.1974, Bull. civ. III nº 382. 142 Cour de cassation, 3e civ., 27.04.1982, Bull. civ. III nº 106. In diesem Zusammenhang ist die Sonderregel von Art. 95 CPC zu beachten, wonach auch Vorfragen, die zur Beurteilung der Zuständigkeit notwendigerweise entschieden werden mussten, in Rechtskraft erwachsen. Art. 95 CPC: „Lorsque le juge, en se prononçant sur la compétence, tranche la question de fond dont dépend cette compétence, sa décision a autorité de chose jugée sur cette question de fond.“
§ 4 Objektiver Umfang der Rechtskraft ausländischer Entscheidungen
143
inhalten.143 Präzise Kriterien dafür, wann Entscheidungsgründe eine notwendige Stütze für die Rechtsfolge sind und an der Rechtskraft teilnehmen, fehlen, so dass der richterliche Spielraum insoweit groß ist.144 Bisweilen wird sogar ausdrücklich die Verbindlichkeit der motifs décisifs abgelehnt.145 Andererseits werden teilweise auch die motifs décisoires zum rechtskraft- 212 fähigen Gegenstand gezählt. Hierbei handelt es sich um Festlegungen, die zwar in den Urteilsgründen enthalten sind, aber eigentlich in den Entscheidungstenor gehört hätten. Die Gerichtsentscheidung hat insofern also einen formellen Fehler, durch den ihre Rechtskraft aber nicht beschnitten werden soll.146 Diese falsch platzierten Elemente des Urteilstenors unterscheiden sich von den motifs décisifs dadurch, dass sie keine notwendige Stützte des Rechtsfolgenausspruchs sein müssen. Da eine rechtssichere Einordnung als motifs décisoires nicht möglich ist und weil sie mit dem Wortlaut von Art. 480 CPC nicht zu vereinbaren sind, werden sie in der Lit. mitunter kritisch gesehen.147 Auch in der Rspr. ist die Rechtskraft der motifs décisoires teilweise auf Ablehnung gestoßen.148 Zu diesem ohnehin unübersichtlichen und unklaren Bild kommt die teil- 213 weise aufgestellte weitere Voraussetzung, dass nur solche Vorfragen-Entscheidungen in Rechtskraft erwachsen können, die zwischen den Parteien umstritten waren. Vorfragen, die keine points litigieux betreffen, werden vom Gericht nicht rechtskräftig entschieden.149 Hat der Beklagte im Prozess 143
Cour de cassation, 3e civ., 28.10.1992, Bull. civ. III nº 282. Guinchard, Droit et pratique, 5. Aufl. 2006, Rn. 421.63. 145 So etwa Cour de cassation, comm., 09.07.1985, Bull. civ. IV nº 206; Cour de cassation, 2e civ., 13.02.1985, Bull. civ. II nº 37; Cour de cassation, 1re civ., 08.07.1994 – nº 91–17250 (légifrance); Cour de cassation, 2e civ., 03.10.1984, Bull. civ. II nº 140; Cour de cassation, 2e civ., 03.06.1998, Bull. civ. II nº 171; zustimmend Guinchard, Droit et pratique, 5. Aufl. 2006, Rn. 421.63. 146 Cour de cassation, 2e civ., 03.02.1965, Bull. civ. II nº 109: „. . . il est des cas où certaines parties du dispositif ayant pris place dans les motifs, c’est au caractère décisoire de ce dispositif et non à la place qu’il occupe qu’il faut s’attacher“; Cour de cassation, 3e civ., 21.11.1974 – nº 73–12397 (légifrance); Cour de cassation, 1re civ., 25.11.1986, Bull. civ. I nº 275. 147 Vgl. Guinchard, Droit et pratique, 5. Aufl. 2006, Rn. 421.64. 148 Cour de cassation, 2e civ., 16.11.1983, Bull. civ. II nº 180; Cour de cassation, soc., 11.06.1987, Bull. civ. V nº 386; Cour de cassation, comm., 15.07.1987, Bull. civ. IV nº 182; Cour de cassation, 2e civ., 17.05.1993, Bull. civ. II nº 173. 149 Cour de cassation, 1re civ., 05.11.1985, Bull. civ. I nº 283; Cour de cassation, 3e civ., 21.11.1984, Bull. civ. III nº 196. Perrot/Fricéro, J.-Cl. Proc. civ. fasc. 554 (Stand: III 2006), S. 1 (Rn. 101 f.). Bspw. Cour de cassation, 3e civ., 11.10.1972, Bull. civ. III nº 513: Im Erstprozess ging es allein um Schäden wegen Verletzung von Nutzungsrechten. Da in diesem Verfahren die Eigentumslage nicht umstritten war, löste die Entscheidung hinsichtlich der Eigentumslage keine Rechtskraftbindung aus. 144
144
Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
Gegenrechte geltend gemacht, erwächst die Entscheidung hierüber in Rechtskraft, weil sie in den Prozess eingeführt wurden.150 b) Der dispositif implicite ou virtuel – Erweiterung der Rechtskraft auf nicht ausdrücklich entschiedene Fragen 214
Die französische Rspr. erstreckt die Rechtskraftbindung auch auf solche Vorfragen, deren Beurteilung nicht ausdrücklich in der Entscheidung wiedergegeben ist, die aber gleichwohl beurteilt worden sein müssen, um zum Ergebnis in der Hauptsache zu gelangen (dispositif implicite ou virtuel). Hierbei geht es also nicht darum, Ausschnitte der niedergeschriebenen Urteilsbegründung zum Kreis der rechtskräftigen Bestandteile zu erheben. Vielmehr wird einzelnen unausgesprochenen Vorfragenbeurteilungen Verbindlichkeit beigemessen. Dies gilt für alle Vorfragen, die notwendige Voraussetzungen der ausgesprochenen Rechtsfolge betreffen.151
215
Hat etwa das Gericht eine vertragliche Leistungsklage nur wegen fehlender Fälligkeit abgewiesen, kann das Urteil zugleich die bindende Feststellung enthalten, dass die vertragliche Verpflichtung überhaupt besteht.152 Wurde in einem Abstammungsprozess die Erstellung eines Gutachtens zur Ermittlung der Vaterschaft angeordnet, ist damit zugleich entschieden, dass deren Feststellung zulässig war.153 Wurde eine Partei zur Unterlassung von Wettbewerbshandlungen verurteilt, wobei sich ein Unterlassungsanspruch nur aus einer vertraglichen Konkurrenzklausel ergeben konnte, steht rechtskräftig die Wirksamkeit dieser Klausel fest, auch wenn sich das Gericht des Vorprozesses in den Urteilsgründen nicht zur Klausel geäußert hatte.154
216
In der französischen Lit. wird die Ausdehnung der Rechtskraft auf stillschweigende Vorfragenbeurteilungen kritisch gesehen.155 Zum einen fehle es hierfür an präzisen Abgrenzungskriterien, zum anderen sei dies mit Art. 480 CPC unvereinbar.156 Außerdem sei problematisch, Vorfragen der 150
Kössinger, Rechtskraftprobleme, 1993, S. 101. Cour de cassation, 3e civ., 30.01.2001 – nº 99–14537 (légifrance); Cour de cassation, 2e civ., 22.05.1995, Bull. civ. II nº 150; Cour de cassation, comm., 15.11.2005 – nº 03–13606 (légifrance): „. . . autorité ne peut être attachée à un dispositif implicite ou virtuel qu’à la condition qu’il constitue la suite certaine et necessaire de la decision“. 152 Cour de cassation, 3e civ., 30.01.2001 – nº 99–14537 (légifrance). 153 Cour de cassation, 2e civ., 07.03.2002, Bull. civ. II nº 34. 154 Cour de cassation, 3e civ., 20.03.1978, Bull. civ. III nº 126. 155 de Puybusque, Gaz. Pal. 1986 I doctr., S. 133 (134); Normand, Rev.trim.dr.civ. 87 (1988), S. 386 (390–392). 156 Normand, Rev.trim.dr.civ. 87 (1988), S. 386 (391 einerseits, 388 andererseits). 151
§ 4 Objektiver Umfang der Rechtskraft ausländischer Entscheidungen
145
Rechtskraft zuzuführen, wenn sie im Verfahren nicht verhandelt wurden und es für die Parteien daher auch keinen Anlass gab, Einwände gegen ihre Beurteilung vorzubringen.157 Auch in jüngeren Entscheidungen der Cour de cassation deutet sich eine restriktivere Linie an.158 Vorfragen könnten nur dann in Rechtskraft erwachsen, wenn sie tatsächlich im Verfahren zwischen den Parteien umstritten waren.159 c) Zwischenergebnis Es ist festzuhalten, dass – anders als der insoweit klare Wortlaut von 217 Art. 480 CPC vermuten ließe – Vorfragenbeurteilungen in einem weiten Umfang von der Rechtskraft erfasst sind. Die wichtigsten Fallgruppen hierbei sind die sog. motifs décisifs und die motifs implicites, die beide vom gleichen Grundgedanken ausgehen: Alle Vorfragen, die eine zwingende Voraussetzung für den Rechtsfolgenausspruch sind, nehmen an der Rechtskraft teil – unabhängig davon, ob sie ausdrücklich in den Entscheidungsgründen berichtet sind (motif décisif) oder nicht (motif implicite). Voraussetzung für eine Vorfragenbindung ist allerdings stets, dass die Vorfrage zwischen den Parteien umstritten war und vom Gericht tatsächlich entschieden wurde. Diese umfassende Vorfragenbindung hat zur Konsequenz, dass – anders als im deutschen Recht – auch die Entscheidung über geltend gemachte Gegenrechte des Beklagten an der Rechtskraft teilnimmt. 2. Die Begrenzung des Streitgegenstands Während die Vorfragenbindung im französischen Recht umfangreich aus- 218 fällt, wird dort der Streitgegenstand klassischerweise eng umrissen. Art. 1351 CC regelt, dass Rechtskraft nur hinsichtlich dessen greift, „qui a fait l’objet de jugement“ und verlangt dazu die Identität von chose demandée [a)] und cause [b)].160 157 Guinchard, Droit et pratique, 5. Aufl. 2006, Rn. 421.73., der dafür plädiert, implizit entschiedene Vorfragen nur dann der Rechtskraft zuzuführen, wenn diese wenigstens im Verfahren selbst vor dem Richter diskutiert wurden. 158 Grundsätzlich gegen motifs décisoires: Cour de cassation, 2e civ., 22.01.2004, Bull. civ. II nº 15. Gegen motifs décisifs: Cour de cassation, 1re civ., 08.07.1994, Bull. civ. I nº 240; Cour de cassation, 2e civ., 10.07.2003, Bull. civ. II nº 238. 159 Bspw. Cour de cassation, 1re civ., 18.01.2000, Bull. civ. I nº 11: Wurde gegen den Bürgen ein Zahlungsbefehl erlassen, steht noch nicht rechtskräftig fest, ob die Bürgschaft wegen arglistiger Täuschung anfechtbar ist. Ähnlich Cour de cassation, 2e civ., 23.06.2005 – nº 03–16379 (légifrance); Cour de cassation, 2e civ., 24.02.1988 – nº 87–10156 (légifrance); Cour de cassation, 1re civ., 01.07.1997, Bull. civ. I nº 219; Cour de cassation, comm., 08.07.1997, Bull. civ. IV nº 219.
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Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
a) Die identité de chose demandée (objet) 219
Eine Rechtskraftbindung setzt einerseits voraus, dass dieselbe chose demandée anhängig gemacht wird. Hierunter wird allgemein das beantragte Klagebegehren verstanden161, was dem in Art. 4 CPC als objet definierten Verfahrensgegenstand entspricht.162 Wann Identität der chose demandée vorliegt, richtet sich einerseits nach einer äußerlichen Betrachtung der Rechtsfolge, andererseits werden hierfür auch materiell-rechtliche Gesichtspunkte herangezogen.
220
In erster Linie entspricht das Klageziel dem geltend gemachten sachlichen Interesse. So handelt es sich um zwei verschiedene choses demandées, wenn im Erstprozess Schadensersatz für den Verlust der Mietsache geltend gemacht, der Zweitprozess hingegen um ausstehende Mietzahlungen für dieselbe Mietsache geführt wird.163
221
Zusätzlich wird eine juristische Betrachtung herangezogen. Wird etwa zunächst der geschuldete Mietzins aus einem verlängerten Mietvertrag gerichtlich festgesetzt (demande en fixation), steht dies einer nachträglichen Klage nicht entgegen, mit der geltend gemacht wird, der Mietvertrag habe sich nicht automatisch verlängert.164 Genauso wenig handelt es sich um dieselbe chose demandée, wenn im Erstverfahren ein Dritter vom Erwerber eines Grundstücks Herausgabe verlangt, im Zweitverfahren sodann der Verkäufer gegen den Erwerber vorgeht und die Nichtigkeit des Kaufvertrages geltend macht.165 Demgegenüber hat die Klage gerichtet auf Nichtigerklärung (demande en nullité) einer Hypothekenbestellung dasselbe Antragsziel, wie eine Klage, mit der die Undurchsetzbarkeit (inopposabilité) dinglicher Ansprüche aus dieser Hypothek geltend gemacht wird.166 160 Art. 1351 CC: „L’autorité de la chose jugée n’a lieu qu’à l’égard de ce qui a fait l’objet du jugement. Il faut que la chose demandée soit la même; que la demande soit fondée sur la même cause . . .“ (Herv. v. Verf.) Alternative Ansätze in der Lit., die das traditionelle Rechtskraftkonzept aus objet und cause zu Gunsten eines einheitlichen Begriffs, der sog. question litigieuse aufgeben wollen, haben sich in der Rechtspraxis nicht durchgesetzt, vgl. zu diesem Ansatz etwa Vizioz, Études de Procédure, 1956, S. 252–255. 161 Perrot/Fricéro, J.-Cl. Proc. civ. fasc. 554 (Stand: III 2006), S. 1 (Rn. 154); Solus/Perrot, Droit Judiciaire Privé III, 1991, Rn. 68. 162 Isenburg-Epple, Ausländische Rechtshängigkeit, 1992, S. 179. 163 Cour de cassation, 1re civ., 04.07.1960, Bull. civ. I nº 361. Ebenso Cour de cassation, 3e civ., 21.01.1975, Bull. civ. III nº 20: Der Bauherr verlangt von Architekt und Bauunternehmer zunächst Aufwendungsersatz für die Nachbesserung der Bausache durch Selbstvornahme und nachfolgend Schadensersatz wegen anderer Mängel an derselben Bausache. 164 Cour de cassation, 3e civ., 27.02.1970, Bull. civ. III nº 160. 165 Cour de cassation, 3e civ., 18.12.1972, Bull. civ. III nº 681.
§ 4 Objektiver Umfang der Rechtskraft ausländischer Entscheidungen
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Gelegentlich werden rechtliche Gesichtspunkte auch in der Weise berücksichtigt, dass darauf abgestellt wird, ob beide Verfahren dieselbe Rechtsfrage betreffen. So handelt es sich beispielsweise um verschiedene Klageziele, wenn im ersten Verfahren darum gestritten wurde, ob überhaupt ein Vertrag abgeschlossen wurde (Abschlusstatbestand), während die nachfolgende Klage die Gültigkeit dieses Vertrages (es wurde seine nullité geltend gemacht) zum Gegenstand hat.167 Andererseits steht ein Urteil, das die Gültigkeit eines Kaufvertrages feststellt, einer gegen diesen Vertrag gerichteten Aufhebungsklage (action en rescision), die auf ein Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung (lésion) gestützt wird, entgegen.168 b) Die identité de cause Rechtskraftbindung setzt des Weiteren voraus, dass die zweite Klage „soit 222 fondée sur la même cause“ wie die erste. Cause lässt sich mit Klagegrund übersetzen. Er wird herkömmlicherweise nach materiell-rechtlichen Gesichtspunkten begrenzt [aa)]. Neuerdings zeichnet sich in der Rspr. eine Wende hin zu einer sachverhaltsorientierten Betrachtung ab [bb)]. aa) Traditionelle Abgrenzung nach rechtlichen Gesichtspunkten Für die Begrenzung des cause gilt traditionellerweise ein rechtliches Ver- 223 ständnis.169 Danach ist er gleichbedeutend mit der klagebegründenden Rechtsregel.170 Nicht geltend gemachte weitere causes kann das Gericht nach dem Prinzip „ne ultra petita“ nicht von sich aus würdigen.171 Der Begriff des cause ist streng zu unterscheiden von den moyens. Letztere sind „les éléments qui démontrent l’existence de la cause afin que le juge fasse droit à la prétention, peu important qu’ils soient tirés des faits (moyens de 166
Cour de cassation, 1re civ., 08.03.2005, Bull. civ. I nº 113. Cour de cassation, 2e civ., 19.12.2002, Bull. civ. II nº 292. 168 Cour de cassation, 3e civ., 11.06.1997 – nº 95–20298 (légifrance). 169 Habscheid, in: FS Schnitzer, 1979, S. 179 (193); Zeuner, in: FS Zweigert, 1981, S. 603 (609); Stürner, in: FS Schütze, 1999, S. 913 (929). 170 Gilli, La cause juridique, 1962, S. 81: „le principe juridique sur lequel est fondé le texte invoqué par le demandeur“; Auby, in: Mélanges Walline II, 1974, S. 267 (274): „. . . le principe juridique qui sert de fondement aux règles de droit invoquées par le demandeur.“; Savatier, DP 1928, 1, S. 158–156. Dieses Verständnis herrschte auch in der Rspr., vgl. Perrot/Fricéro, J.-Cl. Proc. civ. fasc. 554 (Stand: III 2006), S. 1 (Rn. 169–177). In der Lit. gibt es Vorschläge, die cause sachverhaltsorientiert zu bestimmen, vgl. Motulsky, Écrits, 1973, S. 101–129. 171 Auby, in: Mélanges Walline II, 1974, S. 267 (274): „Le juge saisi d’une demande fondée sur une certaine cause ne peut établir sa décision sur la base d’une cause différente.“ 167
148
Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
fait) ou déduits d’un texte ou d’une notion juridique (moyens de droit)“.172 Es handelt sich also um einzelne Beweismittel und rechtliche Argumente, mit denen ein bestimmter cause begründet werden soll. Werden in einem nachfolgenden Verfahren lediglich neue moyens vorgebracht, die den bereits im Erstverfahren geltend gemachten cause betreffen, ist die zweite Klage unzulässig.173 224
Ob es sich im Einzelfall um einen neuen cause oder lediglich ein zusätzliches moyen handelt, ist nicht immer eindeutig. Für Ansprüche aus zivilrechtlicher Haftung (responsabilité civile) hat sich in der Rspr. der Grundsatz etabliert, dass cause immer nur die jeweilige Haftungsnorm ist, auf die sich die Klage stützt.174 Der Kläger kann also z. B. noch aus Art. 1382 CC klagen, wenn er zuvor mit Art. 1384 al.1 CC gescheitert ist.175 Jede gesetzliche Vorschrift ist ein eigenständiger cause i. S. v. Art. 1351 CC.176 Auch bei Nichtigkeitsklagen (actions en nullité des actes juridiques) wird der cause sehr stark durch rechtliche Gesichtspunkte umrissen. Soweit ein und derselbe Akt an verschiedenen Nichtigkeitsgründen (vices) leidet und diese Gründe unterschiedlicher Natur sind, geht man davon aus, dass jeder Wirksamkeitsmangel einen eigenen cause begründet.177 Wer etwa mit einer Kaufauflösungsklage (action en résolution d’une vente) wegen verborgener Mängel gescheitert ist, kann ein zweites Mal Klage auf Vertragsaufhebung (demande en annulation) wegen Verstoßes gegen Regeln des Kreditkaufes erheben.178 Soweit allerdings verschiedene Nichtigkeitsgründe in ihrer Natur identisch sind, bilden sie einen einheitlichen cause.179 So sind etwa Irrtum, Arglist und Drohung bei vertraglicher Einigung verschiedene Nichtigkeitsgründe im Sinne des materiellen Rechts, bilden aber einen einheitlichen cause180, ebenso mehrere Formverstöße181. 172
Perrot/Fricéro, J.-Cl. Proc. civ. fasc. 554 (Stand: III 2006), S. 1 (Rn. 168). Cour de cassation, 2e civ., 18.09.2003 – nº 01–17198 (légifrance); Cour de cassation, 1re civ., 28.03.1995, Bull. civ. I nº 139; Cour de cassation, 2e civ., 04.03.2004, Bull. civ. II nº 84. 174 Cour de cassation, req., 23.11.1927, DP 1928, 1, 121; Cour de cassation, 2e civ., 30.10.1963, Bull. civ. II nº 686. 175 Cour de cassation, req., 09.06.1928, DP 1928, 1, 153; Cour de cassation, 2e civ., 24.06.1970, Bull. civ. II nº 221. 176 Perrot/Fricéro, J.-Cl. Proc. civ. fasc. 554 (Stand: III 2006), S. 1 (Rn. 173). 177 Perrot/Fricéro, J.-Cl. Proc. civ. fasc. 554 (Stand: III 2006), S. 1 (Rn. 175): So kann etwa in der ersten Klage ein Formmangel geltend gemacht werden, in der zweiten fehlende Geschäftsfähigkeit und in der dritten schließlich das Fehlen einer Einigung. 178 Cour de cassation, comm., 14.03.1972, Bull. civ. IV nº 88; ähnlich Cour de cassation, ass.pl., 03.06.1994, Bull. ass. plen. nº 4. 179 Perrot/Fricéro, J.-Cl. Proc. civ. fasc. 554 (Stand: III 2006), S. 1 (Rn. 176). 180 Cour de cassation, 1re civ., 20.07.1964, Bull. civ. I nº 399. 173
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Auch beim Erwerbsgrund erfolgt eine rechtliche Differenzierung. Wer 225 beispielsweise die Herausgabeklage (demande en revendication) über ein Grundstück verliert und sich dabei auf Ersitzung berufen hat (prescription acquisitive), kann in einem zweiten Prozess seine Klage auf einen rechtsgeschäftlichen Erwerbsgrund stützen.182 bb) Die neue Rspr. der Cour de cassation In jüngster Zeit scheint sich in der Rspr. eine sachverhaltsorientierte Be- 226 trachtungsweise durchzusetzen. So hat die Cour de cassation in ihrem Urteil vom 04.03.2004 die cause maßgeblich unter Berücksichtigung tatsächlicher Gesichtspunkte abgegrenzt. In diesem Fall stützte die Klägerin ein Zahlungsverlangen im ersten Verfahren auf einen Darlehensvertrag und verfolgte dasselbe Ziel in der zweiten Klage erneut unter Geltendmachung von Ansprüchen aus Geschäftsbesorgung, Geschäftsführung ohne Auftrag und ungerechtfertigter Bereicherung. Das Gericht entschied, dass beide Klagen denselben cause hätten.183 Es führte dazu aus, dass der cause aus dem gesamten rechtlichen und tatsächlichen Fundament (fondement juridique) des Anspruchs besteht, wie er im Erstprozess geltend gemacht wurde.184 Ausgangspunkt sind die rechtlichen Voraussetzungen eines Anspruchs, wobei in zweiter Hinsicht mehrere rechtliche Ansprüche wegen Einheit der Tatsachen zusammengefasst werden.185 Einige weitere seitdem ergangene Entscheidungen folgen dieser neuen sachverhaltsorientierten Betrachtung.186 Zum gegenwärtigen Zeitpunkt lässt sich aber nicht endgültig abschätzen, ob sich die neue Streitgegenstandsbemessung allgemein fest etablieren wird. c) Zusammenfassung Der französische Streitgegenstandsbegriff ist herkömmlich nicht sachver- 227 haltsorientiert, sondern durch einzelne rechtliche Gesichtspunkte umrissen. 181
Cour de cassation, 1re civ., 31.01.1978, Bull civ. I nº 37. Cour de cassation, 3e civ., 09.12.1981, Bull. civ. III nº 210. 183 Cour de cassation, 2e civ., 04.03.2004, Bull. civ. II nº 84. 184 „la cause de l’action . . . réside dans le fondement juridique et factuel du rapport d’obligation, tel qu’il a été envisagé devant les premiers juges“. 185 Vgl. Germelmann, Rechtskraft in der EU, 2009, S. 134 f. 186 Bspw. Cour de cassation, ass.pl., 07.07.2006, Bull. ass. plen. nº 8: Arbeitslohn für erbrachte Dienste wurde zunächst aus dem Code rural eingeklagt, dann aus ungerechtfertigter Bereicherung. Beides stelle nach Auffassung des Gerichts denselben cause dar. Ebenso Cour de cassation, 3e civ., 13.02.2008, Bull. civ. III nº 28; Cour de cassation, 1re civ., 28.05.2008, Bull. civ. I nº 153. 182
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Neuerdings folgt die Rspr. aber einem faktisch-rechtlichen Ansatz. Ob damit die Abgrenzung nach Rechtsargumenten endgültig überwunden ist, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sagen. IV. Rechtsvergleichende Zusammenfassung 228
Die rechtsvergleichenden Untersuchungen haben zunächst ergeben, dass die zukünftige Verbindlichkeit einer res judicata auf unterschiedliche Weise erklärt werden kann. Während das deutsche Recht einem rein prozessualen Verständnis folgt, gilt in Frankreich traditionellerweise ein materiellrechtliches.187 Für das englische Recht ist eine eindeutige Zuordnung nicht möglich: Die merger-Regel dürfte materiellrechtlich einzuordnen sein, während die estoppel-Wirkungen eher prozessrechtlicher Natur sind.188 In der objektiven Tragweite der Rechtskraft haben sich vor allem in zwei Gesichtspunkten Abweichungen zwischen den nationalen Rechtsordnungen ergeben: Einerseits ist der Kreis der feststehenden Entscheidungselemente unterschiedlich groß [1.], andererseits wird der Klagegrund nach differierenden Methoden abgesteckt [2.]. 1. Die rechtskräftigen Entscheidungselemente
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Bei der Frage, welche Entscheidungsbestandteile an der Rechtskraft teilnehmen, reicht die Bandbreite der nationalen Lösungen von einer strengen Begrenzung ausschließlich auf den Rechtsfolgenausspruch (so im Grundsatz in Deutschland189), über die zusätzliche Rechtskraftbindung auch hinsichtlich rechtlicher Vorfragenbeurteilungen (so in England und Frankreich190) bis hin zu einer noch weitergehenden Bindung auch über tatsächliche Feststellungen (so in England191).
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Dass in einer Rechtsordnung mehr Elemente an der Rechtskraft teilhaben, als in einer anderen, hat seinen Grund in abweichenden nationalen Gerechtigkeitsauffassungen. Jeweils geht es um einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Anliegen nach Rechtssicherheit und dem nach Rechtswahrheit. Ersterem wird man umso gerechter, je breiter die Rechtskraftwirkung ausfällt, denn desto weniger gerichtliche Festlegungen können erneut in Frage gezogen werden. Letzterem ist demgegenüber durch eine möglichst schmale res judicata-Wirkung gedient, denn je enger diese ausfällt, desto 187 188 189 190 191
s. s. s. s. s.
Rn. Rn. Rn. Rn. Rn.
162 (Deutschland) u. 169 (Frankreich). 166. 173–181. 194–204 (England) u. 214–216 (Frankreich). 199, 202.
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geringer ist die Gefahr einer Perpetuierung von Fehlurteilen und desto besser sind die Möglichkeiten einer gerichtlichen Neubeurteilung. Zwischen diesen antagonistischen Erfordernissen eines Rechtsstaates stellen die nationalen Rechte auf unterschiedliche Art und Weise den Ausgleich her. Diesbezügliche Unterschiede gründen sich auf nationale Rechtstraditionen und unterschiedliche Gewichtungen des einen oder des anderen Interesses. Materiellrechtliche Gesichtspunkte spielen hierbei keine Rolle, weil die Grundsätze der objektiven Bemessung der Rechtskraft in allen verglichenen Rechtsordnungen universell für jede Anspruchsart gelten. 2. Die Begrenzung des Klagegrundes Die einzelstaatlichen Rechtskraftkonzepte begrenzen den ausgeurteilten 231 Klagegrund unterschiedlich. Ein sachverhaltsorientierter Streitgegenstandsbegriff (England und Deutschland192) steht einem rechtlich geprägten (herkömmlich Frankreich193) gegenüber. Bei ersterem erstreckt sich die Rechtskraft auf das gesamte geltend gemachte tatsächliche Geschehen, bei letzterem nur auf die dem Gericht vorgetragen Rechtsargumente.
C. Der objektive Umfang der Rechtskraft anerkannter ausländischer Entscheidungen im jeweiligen Zweitland Ausgehend von dem vorausgegangenen Überblick über die unterschied- 232 liche Bemessung der Rechtskraft in verschiedenen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen ist im Folgenden zu klären, welche objektive Rechtskraftwirkung anerkannten ausländischen Entscheidungen im Zweitland zukommt. Die hierfür maßgebliche Rechtsordnung ist nach den zuvor in § 3 erarbeiteten Schritten zu bestimmen.194 Demnach gilt entsprechend Schritt 1 grundsätzlich die Wirkungserstre- 233 ckung, wonach das Recht des Ursprungslandes für den Inhalt anerkannter Entscheidungswirkungen maßgeblich ist [I.]. Abweichend hiervon ist im Schritt 2 ein Rückgriff auf die im ausländischen Verfahren angewendete lex causae möglich, wenn in dieser die objektive Reichweite der Rechtskraft aus materiellrechtlichen Gründen abweichend ausgestaltet ist. Allerdings hat sich in dem vorausgegangenen Rechtsvergleich kein Fall ergeben, in dem die objektive Bemessung der Rechtskraft auf materielle Wertentschei192 193 194
s. Rn. 190–193 (England) u. 182–186 (Deutschland). s. Rn. 222–226. s. Rn. 153–156.
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dungen zurückzuführen wäre.195 Die einzige Ausnahme könnte aber bezüglich der Abänderbarkeit ausländischer Unterhaltsentscheidungen bestehen und insofern einen lex causae-Rückgriff rechtfertigen. Nachfolgend soll dies ausführlicher untersucht werden [II.]. 234 Im Schritt 3 stellt sich schließlich die Frage einer Wirkungsbegrenzung aus Rücksicht auf das Recht des Anerkennungslandes, soweit in diesem die Rechtskraftwirkungen enger bemessen sind, als in dem nach den Schritten 1 und 2 ermittelten Statut. Der Begrenzung kommt große Bedeutung zu, da – wie die vorangegangenen Untersuchungen gezeigt haben – die objektive Reichweite der Rechtskraft in den einzelnen Rechtsordnungen teilweise erheblich voneinander abweicht.196 Sie ist daher gesondert zu thematisieren [III.]. Angesichts der großen Abweichungen zwischen den Rechtsordnungen in Dogmatik und Umfang der rechtskräftigen Streitgegenstände ist schließlich der Frage nachzugehen, ob für eine verbesserte Anwendung der EuGVVO ein einheitliches europäisches Rechtskraftkonzept gelten sollte [IV.]. I. Schritt 1: Wirkungserstreckung 235
Die Wirkungserstreckungslehre, der in Schritt 1 zu folgen ist, bedeutet, dass das im Zweitland zuständige Gericht das Recht des Ursprungslandes anzuwenden hat und hiernach die Voraussetzungen für eine Rechtskraftwirkung des anerkannten Urteils zu prüfen und deren Inhalt zu bestimmen hat. 236 Vorab stellt sich jedoch die Frage der Qualifikation. Für diese spielt es keine Rolle, dass die Bindungswirkung einer res judicata in manchen Mitgliedstaaten prozessual erklärt wird, in anderen hingegen materiellrechtlich.197 Nach der gebotenen funktionalen Betrachtung geht es in jedem Fall um die Verbindlichkeit eines Richterspruchs, so dass es sich nach der eingangs gefundenen Formel198 um eine anerkennungsfähige Wirkung handelt.199 Bestrebungen, die Rechtskraftwirkungen dem Recht zu unterstellen, dem auch der judizierte Anspruch unterliegt, spielen bei der Qualifikation der Rechtskraft noch keine Rolle.200 Denn über das anwendbare Recht wird erst auf der Ebene der Verweisung entschieden. 195
s. auch Rn. 230. s. Rn. 229, 231. 197 Sepperer, Rechtskrafteinwand, 2010, S. 59. 198 s. oben Rn. 64. 199 Kropholler, EuZPR, 8. Aufl. 2005, vor Art. 33 EuGVVO Rn. 11; RauscherEuZPR/EuIPR, Bd. I/Leible, 2011, Art. 33 EuGVVO Rn. 4; Nelle, Anspruch, Titel u. Vollstr., 2000, S. 240; Geimer, IZPR, 6. Aufl. 2009, Rn. 2809. Die formelle Rechtskraft im deutschen Recht bezeichnet hingegen nur die Unanfechtbarkeit der Entscheidung und kommt daher von vornherein nicht als anerkennungsfähige Wirkung in Betracht. 196
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Das Problem des anwendbaren Rechts stellt sich allerdings nicht hinsicht- 237 lich der prozessualen Auswirkungen ausländischer rechtskräftiger Entscheidungen. Auf welche Weise solche in Prozessen vor Gerichten des Zweitlandes zu effektuieren sind, regelt allein das dortige Recht.201 Dieses gibt also vor, wie sich der Richter etwa bei Identität des Streitgegenstands zu verhalten hat: Auch wenn die Rechtskraft im Ursprungsland materiellrechtlich eingeordnet wird, löst sie beispielsweise vor deutschen Gerichten ein ne bis in idem aus.202 Auch ob sie von Amts wegen zu berücksichtigen ist oder nur auf Einrede der Parteien, regelt das zweitstaatliche Recht.203 Nach a. A. ist dies eine Frage der Intensität der Rechtskraft, daher entsprechend der Wirkungserstreckungslehre zu beurteilen.204 Da eine Entscheidung im Zweitstaat keine stärkere Wirkung haben solle, als im Ursprungsland, dürfe ein deutscher Richter die Rechtskraft etwa einer französischen Entscheidung nur auf Einrede beachten. Allerdings ist ein Bedarf für die Anerkennung hinsichtlich der Dispositionsbefugnis über die Rechtskraft nicht ersichtlich.205 Eine diesbezügliche Nichtanerkennung brächte lediglich insoweit eine Intensivierung der Wirkung mit sich, als der von ihr Gebundene um die Chance gebracht würde, dass die Gegenseite sich nicht auf sie beruft. Dieser geringe Nachteil kann die Durchbrechung des lex fori-Grundsatzes nicht rechtfertigen. Es wäre schließlich nicht praktikabel, wenn der Richter zunächst ausländisches Recht ermitteln müsste, um zu wissen, wie er sich zu verhalten hat. Gerade hinsichtlich des Verfahrensablaufs rechtfertigt sich die 200 Anders aber Grunsky, ZZP 89 (1976), S. 241 (258 f.), der für eine materiellrechtliche Qualifikation der Rechtskraft plädiert, um zu gewährleisten, dass die materiellrechtlichen Vorschriften und die Wirkungen auf dem Gebiet des Prozessrechts ein und derselben Rechtsordnung entstammen. Für eine materiellrechtliche Qualifikation auch Spellenberg, IPRax 1984, S. 304 (307). 201 So schon Kuttner, Nebenwirkungen, 1908, S. 135; Schlosser, EuZPR, 3. Aufl. 2009, Art. 33 EuGVVO Rn. 3; Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. I/Leible, 2011, Art. 33 Rn. 4b; MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, Art. 33 EuGVVO Rn. 2; Geimer, IZPR, 6. Aufl. 2009, Rn. 2808. 202 Geimer, IZPR, 6. Aufl. 2009, Rn. 2808; Kössinger, Rechtskraftprobleme, 1993, S. 132, zum EuGVÜ. 203 Georgiades, in: FS Zepos, Bd. II, 1973, S. 189 (201); Martiny, Hdb. IZVR, Bd. III/1, 1984, Rn. 392. 204 Geimer, IZPR, 6. Aufl. 2009, Rn. 2807; ders., in: Geimer/Schütze (Hrsg.), EuZVR, 3. Aufl. 2010, Art. 33 EuGVVO Rn. 35. 205 Kössinger, Rechtskraftprobleme, 1993, S. 158. Ein weiterer Ansatz geht unter Berufung auf EuGH, 30.11.1976 – Rs. 42/76, De Wolf ./. Cox, NJW 1977, S. 495 davon aus, dass durch die EuGVVO die amtswegige Prüfung der Rechtskraft vorgegeben sei, vgl. Gaudemet-Tallon, Règlement no 44/2001, 3. Aufl. 2002, Rn. 373. Ebenso aufgrund historischer, systematischer, teleologischer und rechtsvergleichender Auslegung der EuGVVO Sepperer, Rechtskrafteinwand, 2010, S. 116–124.
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Maßgeblichkeit örtlicher Bestimmungen damit, dass dieser nicht effizient möglich wäre, wenn die handelnden Stellen vor dem jeweils nächsten Schritt den Inhalt fremder Vorschriften ermitteln müssten.206 II. Schritt 2: Lex causae-Rückgriff bei Abänderung eines französischen Unterhaltstitels durch deutsches Gericht (Fall 1.1) 238
Ein entsprechend Schritt 2 möglicher Rückgriff auf die im Ursprungsland angewendete lex causae könnte geboten sein bei der Bestimmung der Abänderbarkeit ausländischer Leistungstitel. Dass richterliche Entscheidungen auch durch Gerichte eines anderen Landes abgeändert werden können, wird heute nicht mehr bezweifelt.207 Voraussetzung hierfür ist zum einen, dass im Zweitland eine entsprechende internationale Zuständigkeit eröffnet ist. Zum anderen muss die ausländische Entscheidung dort anerkennungsfähig sein; andernfalls wäre erneut auf Leistung zu klagen. Da aber bei der Abänderungsklage im Zweitland die Rechtskraft der ausländischen Entscheidung durchbrochen208 bzw. zumindest deren zeitliche Grenze abgesteckt209 wird, stellt sich die Frage, welches Recht die Voraussetzungen vorgibt, unter denen der Titel außerhalb seines Erlasslandes abgeändert werden kann.
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Dies soll Fall 1.1 verdeutlichen: Nach der Scheidung von ihrem Ehemann wurde der Unterhaltsberechtigten durch ein französisches Gericht unter Anwendung deutschen Sachrechts nachehelicher Unterhalt zugesprochen. Weil sich ihre Bedürfnisse inzwischen verändert hätten, begehrt sie später vor deutschen Gerichten eine Erhöhung der Zahlungen. Der ehemalige Gatte macht geltend, dass in Frankreich eine derartige Abänderung nicht vorgesehen wäre, der französische Titel daher auch im Ausland nicht angetastet werden dürfe, weil dort die Abänderungsregelung des französischen Rechts zu beachten sei. Dieses kennt nachehelichen Unterhalt nicht, 206
Basedow, in: Schlosser (Hrsg.), Int. ZwVollstr., 1992, S. 131 (140). Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 1108, 1111; MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 323 ZPO Rn. 127 f.; Henrich, Internationales Scheidungsrecht, 2. Aufl. 2005, Rn. 240; Schlosser, IPRax 1981, S. 120; Georgiades, in: FS Zepos, Bd. II, 1973, S. 189 (195 f.); BGH, 01.06.1983 – IV b ZR 386/81, NJW 1983, S. 1976: Ein völkerrechtlich unzulässiger Eingriff in die Souveränität des Ursprungsstaates liegt darin nicht. A. A. noch Kallmann, Anerkennung, 1946, S. 47 f.; Reu, Zuständigkeit, 1938, S. 58 f. 208 So zum deutschen Recht etwa BGH, 02.12.1981 – IVb ZR 638/80, BGHZ 82, 246. 209 Nach a. A. im deutschen Recht handelt es sich nur um die Geltendmachung eines neuen Streitgegenstandes, weil die Rechtskraft des Urteils von vornherein bis zum Eintritt wesentlicher Veränderungen der Verhältnisse zeitlich begrenzt ist, vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, 16. Aufl. 2004, § 157 Rn. 4. 207
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sondern lediglich eine pauschale Ausgleichszahlung (prestation compensatoire), vgl. Art. 270 al.2 CC.210 Diese kann in Raten und ausnahmsweise als lebenslängliche Rente zugesprochen werden.211 Eine nachträgliche Anpassung der Rente ist nur in Form einer Reduzierung möglich.212 Demgegenüber beruft sich die Antragsstellerin auf die deutsche Vorschrift des § 238 I S. 2 FamFG. Nach dieser kann ein Unterhaltstitel abgeändert werden, sobald sich die ihm Grunde liegenden tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse wesentlich verändert haben. Für das deutsche Gericht stellt sich in Fall 1.1 somit die Frage, ob die 240 Abänderbarkeit des französischen Titels nach französischem oder nach deutschem Recht zu beurteilen ist. Für ersteres könnte der Umstand sprechen, dass die abzuändernde Entscheidung in Frankreich erlassen wurde. Für zweiteres ließe sich anführen, dass bereits im Ursprungsverfahren deutsches Recht als Unterhaltsstatut angewendet wurde und dass das Abänderungsverfahren nun in Deutschland durchgeführt wird. Welches Recht die Abänderungsvoraussetzungen bei ausländischen Titeln vorgibt, wird in Rspr. und Lit. unterschiedlich beantwortet: Manche wollen die Abänderbarkeit der lex fori des Gerichts entnehmen, das mit der Abänderungsklage befasst ist (vorliegend also § 238 I S. 2 FamFG).213 Andere entscheiden nach dem aus Sicht des deutschen IPR maßgeblichen Unterhaltsstatut214, beurteilen also die Abänderbarkeit nach demselben Recht, welches auch für die Neubemessung des Unterhalts heranzuziehen wäre215. Ein dritter Lösungsweg sieht vor, die Abänderbarkeit eines Titels als Teil seiner prozessualen Wirkungen einzuordnen, wodurch vorliegend der Anwendungsbereich der 210
Vgl. Streicher/Köblitz, Auslandsberührung, 2008, § 11 Rn. 17; Dopffel/Buchhofer, Unterhaltsrecht in Europa, 1983, S. 413. 211 Vgl. Art. 275 al.1, 2 CC (Raten) und Art. 276 al.1 CC (Rente). 212 Art. 276 al.2 CC. 213 So etwa LG Essen, 16.03.1967 – 1 T 27/67, DAVorm. 1968, S. 173; OLG Karlsruhe, 22.06.1989 – 16 WF 41/89, FamRZ 1989, S. 1210; Leipold, in: FS Nagel, 1987, S. 189 (208); Matscher, ZZP 86 (1973), S. 404 (408 f.); Henrich, IPRax 1988, S. 21; Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 1118. 214 MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 323 ZPO Rn. 137; OLG Düsseldorf, 03.11.1981 – 6 UF 79/81, IPRax 1982, S. 152; Henrich, IPRax 1982, S. 140 (141); Georgiades, in: FS Zepos, Bd. II, 1973, S. 189 (204–206); AG Hamburg, 24.01.1985 – 289 F 134/182, IPRspr. 1985, Nr. 71. 215 Dass sich die Neubemessung des Unterhalts nach dem jeweils anwendbaren Unterhaltsstatut richtet, vgl. OLG Düsseldorf, 03.11.1981 – 6 UF 79/81, IPRax 1982, S. 152. A. A. BGH, 01.06.1983 – IV b ZR 386/81, NJW 1983, S. 1976 (1978), der auf das Statut abstellen will, welches auch im Ursprungsland angewendet wurde, weil dies dem internationalen Entscheidungseinklang diene; ebenso OLG Karlsruhe, 22.06.1989 – 16 WF 41/89, FamRZ 1989, S. 1210. Für den nachehelichen Ehegattenunterhalt dürfte dies angesichts Art. 18 IV EGBGB nicht mehr aufrecht zu erhalten sein, vgl. Riegner, FamRZ 2005, S. 1799 (1802).
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Art. 33 ff. EuGVVO eröffnet wäre. Hiernach gelangen manche – der Wirkungserstreckungslehre konsequent folgend – zur Rechtsordnung des Staates, in dem der Titel ergangen ist216, andere hingegen wollen die „anerkannte“ Abänderbarkeit dem Recht unterstellen, nach dem das Ursprungsgericht den Unterhaltsanspruch beurteilt hatte217. 241
Zur Lösung von Fall 1.1 sind gedanklich also zwei Schritte auseinanderzuhalten, die nachfolgend zu behandeln sind: Zunächst ist die Abänderbarkeit von Titeln zu qualifizieren [1.], sodann ist der maßgebliche Verweisungsbefehl zu klären [2.]. 1. Qualifikation der Abänderbarkeit
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Die Regelungen der Voraussetzungen einer Abänderung von Titeln könnten unter drei verschiedene Kollisionsregeln qualifiziert werden: Es könnte sich einerseits um eine Bestimmung des materiellen Rechts handeln, so dass das Unterhaltsstatut maßgeblich wäre, welches nach dem IPR des zweitbefassten Gerichts zu bestimmen wäre. Andererseits wäre eine verfahrensrechtliche Einordnung denkbar, mit der Folge der Geltung der lex fori. Und schließlich kommt in Betracht, die Abänderbarkeit als Teil der prozessualen Entscheidungswirkungen einzuordnen, so dass die Regeln der prozessualen Urteilsanerkennung anwendbar sind.
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Für eine Qualifikation der Abänderungsvoraussetzungen unter das Unterhaltsstatut lässt sich deren enger Zusammenhang zu den Bestimmungen des Unterhaltsrechts anführen.218 Indem die Abänderbarkeit dem Unterhaltsstatut unterstellt wird, wird gewährleistet, dass die unterhaltsrechtlichen Vorschriften auch im Abänderungsforum so angewendet werden, wie im Land ihres Ursprungs. Demgegenüber argumentieren die Vertreter einer Einordnung der Abänderungsregeln als verfahrensrechtliche Vorschrift gerade mit der Abstraktheit der Abänderungsregeln vom materiellen Recht.219 Der Zusammenhang zwischen Abänderungsregelung und materiellem Unterhaltsrecht sei nicht enger als z. B. bei einer Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO), für deren Zulässigkeit unstreitig die lex fori gilt.220 Ferner werden auch Praktikabilitätsgründe dafür angeführt, die Abänderbarkeit der lex fori des Abänderungsgerichts zu entnehmen.221 216
OLG Köln, 22.06.1988 – 27 UF 14/88, IPRax 1989, S. 53. So OLG Köln, 15.12.1986 – 26 UF 188/86, IPRax 1988, S. 30 (31); offengelassen vom BGH, 01.06.1983 – IV b ZR 386/81, NJW 1983, S. 1976, der nur für die Neufestsetzung des Unterhaltsanspruchs das ursprünglich angewendete Recht heranzieht. 218 Georgiades, in: FS Zepos, Bd. II, 1973, S. 189 (204–206). 219 Leipold, in: FS Nagel, 1987, S. 189 (208). 220 Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 1115. 217
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Sowohl die Argumentation für die unterhaltsrechtliche Qualifikation als 244 auch die für eine prozessrechtliche übersehen jedoch, dass das Abänderungsverfahren seinen Ausgangspunkt in einem anerkennungsfähigen auswärtigen Titel hat. Dieser soll angepasst werden; nicht etwa wird der Unterhaltsanspruch erstmals bzw. völlig neu eingeklagt. Das ausländische Urteil hat den Unterhaltsanspruch prozessual fixiert und die Bestandskraft dieser Festlegung soll im Zweitstaat angetastet werden. Die prozessuale Geltungskraft von Entscheidungen wird im Wege des prozessualen Anerkennungsrechts über die Grenzen transportiert. Die Urteilsanerkennung hat Vorrang vor einer Neuprüfung nach materiellem Recht. Auch die Parallele zur Vollstreckungsgegenklage kann nicht überzeugen: 245 Freilich unterliegen deren Zulässigkeitsvoraussetzungen deutschem Recht, auch wenn sie gegen einen ausländischen Titel gerichtet ist. Welche materiellrechtlichen Einwendungen gegen den im Ausland titulierten Anspruch vorgebracht werden können, bestimmt sich demgegenüber aber natürlich nach dem Inhalt der prozessual anzuerkennenden Präklusionswirkung des Titels.222 Die Abänderbarkeit einer Entscheidung entspricht – auch wenn es sich hierbei um eine Zulässigkeitsfrage handelt – insofern der Präklusionswirkung, als auch sie vorgibt, inwieweit eine Entscheidung gegenüber neuen Einwendungen bestandskräftig ist. Man kann daher eine Parallele ziehen und muss die Abänderbarkeit genauso ins Zweitland importieren wie die Präklusionswirkung – nämlich im Wege der prozessualen Urteilsanerkennung. Im Übrigen würde man der Rechtskraft des ausländischen Titels im 246 Zweitland die Anerkennung verweigern, wenn man diesen dort leichter abändern könnte als im Ursprungsland. Damit würde sich der Zweitstaat seiner völkerrechtlichen Anerkennungspflicht gegenüber ausländischen Entscheidungen entziehen, was in keiner Weise gerechtfertigt wäre. Genauso wenig wäre es stimmig, wenn andersherum im Zweitland höhere Anforderungen an die Abänderbarkeit gestellt würden als im Ursprungsland. Dann würde die Bestandskraft des Titels im Zweitland erweitert, wofür es ebenfalls keine sachlichen Gründe gäbe. Welche prozessuale Bestandskraft einem ausländischen Titel im Zweitland zukommt, muss vielmehr nach den Regeln beurteilt werden, die auch sonst für die Anerkennung ausländischer Entscheidungen gelten. Schließlich gehören zu den prozessual anerkennungsfähigen Wirkungen alle Effekte eines Titels, die seine Verbindlichkeit herstellen bzw. ausgestalten.223 Dies trifft auch auf die Abänderbarkeit des Titels zu. 221 222 223
Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 1118. Vgl. zu deren Inhalt im Zweitland Rn. 603–619. s. oben Rn. 64.
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Schließlich erhöht es auch den internationalen Entscheidungseinklang, wenn die Abänderbarkeit ausländischer Titel nach den europaweit einheitlichen Regeln der Entscheidungsanerkennung behandelt wird. Sowohl bei der Qualifikation unter das Unterhaltsstatut als auch unter die lex fori wäre der Entscheidungseinklang gefährdet. Denn einerseits wird das Unterhaltsstatut in jedem Land grundsätzlich abweichend bestimmt, andererseits fällt der Inhalt der lex fori im Grundsatz überall anders aus. Eine Qualifikation der Abänderbarkeit als Teil der prozessual anzuerkennenden Entscheidungswirkungen erscheint daher stimmiger. 2. Wirkungen der „Anerkennung der Abänderbarkeit“
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Nachdem sich gezeigt hat, dass die Abänderbarkeit ausländischer Entscheidungen eine Facette der Entscheidungswirkungen ist, die im Wege der Entscheidungsanerkennung nach Art. 33 ff. EuGVVO importiert wird, ist nach den Schritten 1 bis 3224 das im Zweitstaat auf die Abänderbarkeit anwendbare Recht zu bestimmen. Nach Schritt 1 ist im Grundsatz entsprechend der Wirkungserstreckungslehre das Recht des Entscheidungsstaates maßgeblich, so dass im Fall 1.1 französisches Recht die Abänderbarkeit des französischen Titels vorzugeben hätte.
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Jedoch könnte man über Schritt 2 zu der im vorausgegangenen französischen Verfahren angewendeten lex causae gelangen. Voraussetzung dafür wäre, dass die Abänderbarkeit einen materiellrechtlichen Gehalt hat. Dies ist deswegen zu bejahen, weil dem Umfang der Anpassungsfähigkeit nachehelicher Zahlungsansprüche eine spezifische Wertentscheidung zu Grunde liegt. Im Fall 1.1 wird dies deutlich: Das französische Recht will die Rechtsbeziehungen zwischen den ehemaligen Gatten endgültig beenden („clean break“) und bewältigt den finanziellen Ausgleich daher durch die Gewährung eines Pauschalbetrages, der im Nachhinein nicht mehr geändert werden kann. Das deutsche Recht gestaltet nacheheliche Unterhaltsforderungen hingegen von vornherein als wiederkehrende Leistungen aus, die bei Änderung der Lebensverhältnisse anpassungsfähig sind. Würde man in Fall 1.1 das nach deutschem Sachrecht zustande gekommene Urteil französischen Abänderungsregeln unterstellen, ließe man die materielle Wertentscheidung der vom französischen Gericht angewendeten lex causae außer Acht.
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Nicht nur würde dies die materielle Wertentscheidung des Unterhaltsstatuts konterkarieren. Vielmehr kollidierten dann auch nicht aufeinander abgestimmte Regelungen: Die eingeschränkte Abänderbarkeit nach französischem Recht rechtfertigt sich durch den hohen Pauschalbetrag der presta224
s. zu diesen Rn. 153–156.
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tion compensatoire, der alle zukünftigen im Durchschnitt zu erwartenden Eventualitäten abgelten soll. Demgegenüber gehen die geringeren und anhand einer Momentaufnahme bemessenen Unterhaltszahlungen des deutschen Rechts mit einer großzügigen Möglichkeit der Anpassung an spätere Entwicklungen einher. Zu einer Kollision dieser unterschiedlichen Lösungsmodelle käme es, wenn in Fall 1.1 ein nach deutschem Recht bemessener Unterhalt nach französischen Vorschriften abgeändert werden sollte. Da nach diesen eine Abänderung nicht möglich wäre, entstünde ein Ergebnis, das von keiner der zur Auswahl stehenden Rechtsordnungen vorgesehen ist: Die Unterhaltsberechtigte erhielte lediglich die geringfügigen regelmäßigen Zahlungen entsprechend deutschem Recht, könnte dennoch nicht deren Anpassung erlangen, weil sie diesbezüglich so behandelt würde, als ob sie eine prestation compensatoire erhalten hätte. IPR-rechtlich gesprochen drohte ein Normenmangel Um dies zu verhindern und der Wertentscheidung der ursprünglich ange- 251 wendeten lex causae Rechnung zu tragen, ist es geboten, in Schritt 2 den Abzweig zur lex causae zu nehmen. Im Fall 1.1 ist also die Abänderbarkeit des französischen Judikats nach deutschem Recht, mithin nach § 238 FamFG zu beurteilen. Im Übrigen sollten auch bei einer in Frankreich selbst erhobenen Abänderungsklage die deutschen Abänderbarkeitsregeln vom französischen Gericht berücksichtigt werden. Stammte – in Abwandlung von Fall 1.1 – das Ausgangsurteil von einem 252 deutschen Gericht, welches nach französischem Recht eine prestation compensatoire zugesprochen hatte, müssen die Abänderungsvoraussetzungen dieses Titels sowohl in Deutschland als auch in Frankreich dem französischen Recht zu entnehmen sein. Beließe man es hier bei Schritt 1, drohte – IPR-rechtlich gesprochen – eine Normenhäufung: Die hohe Einmalzahlung könnte dann nämlich zusätzlich angepasst werden, obwohl sie eigentlich dazu gedacht war, den nachehelichen Unterhalt „ein für alle Mal“ abzugelten. III. Schritt 3: Wirkungsbegrenzung aus Rücksicht auf das Recht des Anerkennungsstaates Eine in Schritt 3 mögliche Wirkungsbegrenzung kommt in Betracht, 253 wenn das nach den Schritten 1 und 2 bestimmte ausländische Recht eine weitergehende Rechtskraft vorsieht, als das Recht des Anerkennungsforums. Dies ist denkbar, wenn dort weniger Elemente von der Rechtskraft erfasst sind als im ausländischen Recht (Fall 1.2, hierzu 1.) oder der rechtskräftig entschiedene Streitgegenstand enger bemessen wird (Fall 1.3, hierzu 2.).
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1. Fall 1.2: Im Erststaat mehr rechtskräftige Urteilselemente als im Zweitstaat 254
Insbesondere wenn englische oder französische Gerichtsentscheidungen nach Deutschland gelangen, kann sich die Frage stellen, inwieweit dort Vorfragenbindungen anerkennungsfähig sind. Zur Verdeutlichung soll von folgendem Fall 1.2 ausgegangen werden: Der Elektrohändler D aus Deutschland kaufte vom Hersteller E aus England 1000 Fernseher. In dem Vertrag wurde bestimmt, dass er deutschem Recht unterliegen soll, und eine Gerichtsstandsvereinbarung getroffen, wonach für die Ansprüche aus dem Vertrag sowohl englische als auch deutsche Gerichte international zuständig sein sollen.225 Nachdem D mit dem Verkauf der Fernseher begonnen hatte, erhielt er von vielen seiner Kunden Reklamationen, weil die Geräte nicht einwandfrei funktionierten. Daraufhin erklärte er Minderung und verlangte klageweise in England von E teilweise Rückzahlung des Kaufpreises. Die Klage scheiterte aber, weil das Gericht der Auffassung war, dass die Fehlerquote der Fernseher innerhalb des üblichen Toleranzbereichs lag. Nachdem das Urteil rechtskräftig geworden war, klagte D in Deutschland erneut gegen E und verlangte diesmal Schadensersatz. Er machte geltend, dass infolge der hohen Fehlerquote der verkauften Ware der exzellente Ruf seines Unternehmens gelitten habe. Der Beklagte beruft sich auf die Rechtskraft der englischen Entscheidung, die nach dortigem Recht per issue estoppel rechtskräftig auch festgestellt hat, dass die gelieferte Ware nicht mangelhaft ist. Der Kläger macht geltend, dass Deutschland eine allgemeine Vorfragenbindung nicht kenne, eine solche daher hier auch nicht anerkannt werden könne.
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Nach Schritt 3 kommt es darauf an, ob ein issue estoppel mit dem deutschen ordre public vereinbar ist. Dies wird unterschiedlich beurteilt: Während manche sowohl tatsächliche als auch rechtliche Vorfragenbindungen in Deutschland für anerkennungsfähig halten226, sehen andere die engen deutschen Rechtskraftgrenzen als grundsätzliche Wertentscheidung, die sich auch gegenüber ausländischen Entscheidungen durchsetzen müsse227. Demzufolge wird die Bindung an rechtliche Vorfragen von einigen Autoren in 225 Solche Prorogationen, in denen gleichzeitig die Gerichte zweier Länder als zuständig vereinbart werden, sind in der Praxis zwar selten, aber möglich, vgl. Takahashi, YPIL 10 (2008), S. 57 (59). 226 Fischer, in: FS Henckel, 1995, S. 199 (208 f. für rechtliche Vorfragen u. 209 f. für tatsächliche Feststellungen); Martiny, Hdb. IZVR, Bd. III/1, 1984, Rn. 381 f.; Lauk, Rechtskraft ausländischer Urteile, 1989, S. 189; Mansel, in: Heldrich/Kono (Hrsg.), Herausforderungen, 1994, S. 63 (73). 227 Müller, ZZP 79 (1966), S. 199 (206); Pfeiffer, in: Gilles (Hrsg.), Transnationales Prozeßrecht, 1995, S. 77 (105); Geimer, IZPR, 6. Aufl. 2009, Rn. 2781; Gesler, Anerkennung nach § 328 ZPO, 1933, S. 51.
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Deutschland für nicht anerkennungsfähig gehalten228, während die Anerkennung der Bindung an vorgreifliche Tatsachenfeststellungen sogar überwiegend abgelehnt wird229. Grundsätzliche Bedenken können jedenfalls nicht gegen die Anerken- 256 nungsfähigkeit von Vorfragenbindungen sprechen, da solche auch der deutschen Rechtsordnung nicht unbekannt sind. Es sei nur an §§ 256 II und 322 II ZPO erinnert.230 Ferner kennt das deutsche Recht auch in § 256 I F.3 ZPO (Feststellung der Unechtheit einer Urkunde) und in der Interventionswirkung nach § 68 ZPO eine Bindung an tatsächliche Feststellungen.231 Außerdem zeigt die Diskussion in der deutschen Lit. über die Einführung einer Vorfragenbindung, dass viele sie für grundsätzlich akzeptabel halten.232 Es ist daher nicht ersichtlich, warum die Anerkennung der Verbindlichkeit rechtlicher und tatsächlicher Vorfragen mit grundlegenden Wertentscheidungen des deutschen Rechts inkompatibel sein sollte. Es können also keine prinzipiellen Vorbehalte gegen eine Vorfragenbin- 257 dung bestehen – auch wenn sie sich auf tatsächliche Feststellungen bezieht. Man wird daher im Einzelfall prüfen müssen, ob der Anspruch auf rechtliches Gehör gewahrt ist. Notwendig ist insofern einerseits, dass die Parteien erkennen konnten, dass ein streitiges Rechtsverhältnis entscheidungserheblich ist und dass dieses in zukünftigen Prozessen von Bedeutung sein kann.233 Diesen beiden Gesichtspunkten wird die englische res judicataLehre in aller Regel durch die hohen Anforderungen an eine Vorfragenbindung gerecht. Einerseits greift eine solche nur, soweit die Vorfrage auch tatsächlich umstritten war und zum Nachteil der nunmehr gebundenen Partei entschieden wurde. Andererseits steht sie stets unter der Voraussetzung der Angemessenheit im Einzelfall. Die Gefahr einer Überrumpelung mit Vorfragenbindungen ist daher in aller Regel ausgeschlossen. Zusätzlich sollte berücksichtigt werden, ob die Parteien ausreichende Möglichkeiten hatten, die Beurteilung der Vorfrage in ihrem Sinne zu beeinflussen. Hieran könnte es fehlen, wenn es sich um eine völlig nebensächliche Frage handelte, die den Aufwand für ein Prozessieren im Ausland im Einzelfall nicht gerechtfertigt hätte. Aber auch diesem Gesichtspunkt kann im Rahmen des im englischen Recht vorgesehenen Vorbehalts der Angemessenheit im Einzelfall Rechnung 228 Müller, ZZP 79 (1966), S. 199 (206); Hausmann, Kollisionsrechtliche Schranken, 1980, S. 180 f. 229 Zusätzlich zu den in Fn. 228 Genannten: Geimer, IZPR, 6. Aufl. 2009, Rn. 2782; Gesler, Anerkennung nach § 328 ZPO, 1933, S. 51. 230 s. Rn. 179–181. 231 s. zu letzterem Rn. 334. 232 Gottwald, ZZP 103 (1990), S. 257 (262). s. zu dieser Diskussion Rn. 181. 233 Fischer, in: FS Henckel, 1995, S. 199 (208 f.).
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getragen werden. Grundsätzlich kann damit in Fall 1.2 hinsichtlich der Frage des Mangels ein issue estoppel greifen. 2. Fall 1.3: Im Erststaat breiterer Streitgegenstandsbegriff als im Zweitstaat 258
Die Rechtskraft des Ursprungslandes geht auch dann über den im Anerkennungsstaat geltenden Umfang hinaus, wenn ein sachverhaltsorientierter Streitgegenstandsbegriff auf einen nach rechtlichen Maßstäben umgrenzten trifft. In Fall 1.3234 besuchte ein Mitarbeiter des in Deutschland beheimateten Vertriebsunternehmens D den in Frankreich ansässigen Kaufinteressenten F. Bei dem Verkaufsgespräch wurde ein Rechtsgut von F verletzt, woraufhin ein Vertragsschluss nicht mehr zustande kam. Anschließend verlangte der Geschädigte seinen Schaden klageweise in Deutschland von D ersetzt (internationale Zuständigkeit nach Art. 2 I EuGVVO). Das Gericht wendete deutsches Recht an, von dessen Anwendbarkeit die Parteien übereinstimmend ausgingen, verneinte aber eine Haftung des Geschäftsherrn nach § 831 BGB, weil sich dieser nach Überzeugung des Gerichts exkulpieren konnte, vgl. § 831 I S. 2 BGB. Ein Anspruch aus culpa in contrahendo (cic) wurde nicht geprüft, da F hierzu keine Tatsachen vorgetragen hatte.
259
Daraufhin klagt F seinen Schaden erneut ein, diesmal allerdings in Frankreich (internationale Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO). Dort macht er einen deliktischen Schadensersatzanspruch aus Art. 1384 CC geltend. D beruft sich auf die Rechtskraft des Urteils aus Deutschland. Nach deutschem Recht sind bei identischem Sachverhalt auch neue Anspruchsgrundlagen versperrt. In Frankreich ist dies herkömmlicherweise grundsätzlich nicht der Fall.
260
In solch einem Fall ist die pauschale Behauptung, der weitere Streitgegenstand deutscher Prägung widerspreche französischen Grundüberzeugungen, nicht angebracht. Vielmehr kommt es darauf an, ob im Einzelfall schützenswerte Interessen und Prozessgrundrechte der Beteiligten einer Anerkennung entgegenstehen. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs scheint insofern nicht möglich, da es jeder Partei freigestanden hätte, weitere Tatsachen vorzutragen. Die Parteien haben den Prozess nach deutschem Recht geführt, konnten sich daher auch in zumutbarer Weise auf dessen Rechtskraftregelungen einstellen. Würde man eine Rechtskraft nur entsprechend französischem Umfang anerkennen, erhielte der Kläger unter Berufung auf neue Anspruchsgrundlagen eine zweite Prozesschance. Damit müsste im Fall 1.3 die Rechtskraft der deutschen Entscheidung in Frankreich anerkannt werden und dort eine zweiten Klage ausschließen. 234
Nach Kössinger, Rechtskraftprobleme, 1993, S. 141.
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IV. Geltung eines „autonomen“ europäischen Rechtskraftgegenstandes? Die bisherigen Ausführungen fußten auf der Grundannahme, dass die 261 Reichweite der anerkannten Rechtskraft von einem einzelstaatlichen Recht – des Ausgangs-, Anerkennungs- oder eines Drittstaates – vorgegeben wird. Es könnte aber auch ein EuGVVO-autonomer Rechtskraftbegriff de lege ferenda angebracht sein. De lege lata beurteilt der EuGH bereits die Rechtshängigkeitssperre von Art. 27 EuGVVO nach autonomen Maßstäben [1.]. Davon ausgehend wäre zu überlegen, auch die Reichweite der Rechtskraft von Entscheidungen aus Mitgliedstaaten autonom zu definieren [2.]. Fraglich ist dann, wie ein europäischer Rechtskraftgegenstand aussehen könnte [3.]. 1. Die „Kernpunkt-Theorie“ des EuGH im Rahmen von Art. 27 I EuGVVO Sind in verschiedenen Mitgliedstaaten Klagen „wegen desselben An- 262 spruchs“ anhängig, setzt gem. Art. 27 I EuGVVO das später angerufene Gericht das Verfahren aus. Ob es sich um denselben Anspruch handelt, bestimmt der EuGH nach der sog. „Kernpunkt-Theorie“, wonach Klagen sich schon dann ausschließen, wenn sie im Kern denselben Gegenstand haben.235 Eine aufschlussreiche Entscheidung hierzu ist in der Rechtssache Tatry ./. 263 Maciej Rataj ergangen, in der zunächst die Schuldner in den Niederlanden negative Feststellungsklage hinsichtlich eines Schadensersatzanspruchs erhoben, dessen sich die Gläubiger berühmt hatten. Diese klagten daraufhin in England auf Leistung eben dieses Schadensersatzes. In Anwendung von Art. 27 I EuGVVO entschied der EuGH, dass beide Klagen denselben Gegenstand haben und daher die negative Feststellungsklage die nachfolgende Leistungsklage sperrt.236 Während sich in diesem Fall beide Verfahren um denselben Anspruch 264 drehten, war 1987 in der Rechtssache Gubisch ./. Palumbo das Verhältnis zweier lediglich teilidentischen Klagen zu klären. Damals verlangte der Inhaber eines vertraglichen Zahlungsanspruchs in Deutschland Leistung, woraufhin der Schuldner in Italien negative Feststellungsklage ausschließlich hinsichtlich der Wirksamkeit des Vertragsverhältnisses anhängig machte. 235 EuGH, 08.12.1987 – Rs. 144/86, Gubish ./. Palumbo, Slg. 1987, 4861, Rn. 16 und EuGH, 06.12.1994 – Rs. C-406/92, Tatry ./. Maciej Rataj, Slg. I-1994, 5439, Rn. 39–45; zuletzt EuGH, 14.10.2004 – Rs. C-39/02, Mærsk Olie & Gas ./. Firma M. de Haan en W. de Boer, Slg. I-2004, 9657, Rn. 38. 236 EuGH, 06.12.1994 – Rs. C-406/92, Tatry ./. Maciej Rataj, Slg. I-1994, 5439.
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Auch für diese Konstellation entschied der EuGH, dass beide Klagen denselben Gegenstand i. S. v. Art. 27 I EuGVVO haben.237 Zur Begründung machte der Gerichtshof unter anderem geltend, dass es auf formale Antragsidentität nicht ankomme.238 a) Das Begriffspaar „Grundlage“ und „Gegenstand“ in der EuGH-Rechtsprechung 265
Der EuGH zog in Gubisch ./. Palumbo einen Streitgegenstandsbegriff heran, der sich aus zwei Komponenten zusammensetzt. Unter Berufung auf die französische Textfassung des EuGVÜ („demandes ayant le même objet et la même cause“) stünden sich Klagen dann entgegen, wenn deren „Grundlage“ und „Gegenstand“ identisch seien.239 Der EuGH übersah dabei nicht, dass sich die Sprachfassungen deutlich voneinander unterscheiden. Während die deutsche Übersetzung lediglich von „Klagen wegen desselben Anspruchs“ spricht, verlangt der englische Text – ähnlich der französischen Ausgabe – „proceedings involving the same cause of action“. Diese Inkongruenz der nationalsprachlichen Verordnungstexte überwindet der EuGH und meint, dass auch die deutsche Fassung so zu verstehen sei wie die übrigen und eine Übereinstimmung der Klagen in „Gegenstand“ und „Grundlage“ erforderlich sei.
266
Als „Grundlage“ wurde in Gubisch ./. Palumbo „dasselbe Vertragsverhältnis“ bezeichnet.240 Ob hiermit lediglich die einzelnen Rechtsnormen gemeint sind, was dem französischen Verständnis von cause nahe käme, oder ob der gesamte Tatsachenvorgang rund um den Vertragsabschluss erfasst ist, wie es dem deutschen Begriffsverständnis von „Klagegrund“ entspräche, bleibt allerdings offen.241 In der Entscheidung Tatry ./. Maciej Rataj heißt es jedenfalls: „‚Grundlage‘ des Anspruchs [umfasst] den Sachverhalt und die Rechtsvorschrift, auf die die Klage gestützt wird“.242
267
Ein besonders weites Verständnis wendet der EuGH bei der Handhabung des Begriffs „Gegenstand“ an. In Gubisch ./. Palumbo wird hierzu auf den Zweck der jeweiligen Klagen abgestellt: „Die auf Vertragserfüllung gerichtete Klage [verfolgt] den Zweck, diesen Vertrag wirksam werden zu lassen, 237
EuGH, 08.12.1987 – Rs. 144/86, Gubish ./. Palumbo, Slg. 1987, 4861. EuGH, 08.12.1987 – Rs. 144/86, Gubish ./. Palumbo, Slg. 1987, 4861, Rn. 17. 239 EuGH, 08.12.1987 – Rs. 144/86, Gubish ./. Palumbo, Slg. 1987, 4861, Rn. 14. Die französische Formulierung hat sich in der EuGVVO nicht geändert. 240 EuGH, 08.12.1987 – Rs. 144/86, Gubish ./. Palumbo, Slg. 1987, 4861, Rn. 15. 241 Rüßmann, ZZP 111 (1998), S. 399 (404 f.). 242 EuGH, 06.12.1994 – Rs. C-406/92, Tatry ./. Maciej Rataj, Slg. I-1994, 5439, Rn. 39. 238
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während die Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit und Auflösung ihm gerade jede Wirksamkeit nehmen soll. Kernpunkt beider Rechtsstreitigkeiten ist somit die Wirksamkeit dieses Vertrages.“243 Auch in Tatry ./. Maciej Rataj wird der „Gegenstand“ der Klage mit ihrem Zweck gleichgesetzt, der einheitlich darin liege, den Bestand einer Schadensersatzhaftung zu klären, auch wenn im einen Land auf Leistung, im anderen auf Feststellung geklagt wurde.244 Nach dem Streitgegentandsbegriff des EuGH kommt es also nicht auf 268 den Antrag an, sondern auf die dahinterstehende Motivation. Schon wenn sie sich auf dieselbe Rechtsfrage oder dasselbe Rechtsverhältnis beziehen, haben die Klagen denselben Gegenstand. Maßgebliche Bedeutung zur Begrenzung des Streitgegenstands erlangt damit die Grundlage der Klage.245 Dem EuGH geht es primär darum, sachlich miteinander unvereinbare Entscheidungen in Prozessen um Ansprüche aus gemeinsamer Rechtsgrundlage zu vermeiden.246 Da Streitgegenstandsidentität bereits dann gegeben ist, wenn hinsichtlich vorgreiflicher Rechtsverhältnisse ein Widerspruch droht, wurde auch schon von einer „materiellen“ Streitgegenstandsdefinition gesprochen.247 Sie läuft letztlich auf eine Vorfragenbindung hinaus, wie insbesondere in Gubisch ./. Palumbo sichtbar wird. Dieses Streitgegenstandsverständnis ist allerdings weit, angesichts dessen, dass in Deutschland, England und Frankreich Streitgegenstandsidentität voraussetzt, dass Klagegrund und Antrag identisch sind.248 Auch eine Vorfragenbindung ist in Europa die Ausnahme. Zwar gibt es sie in England und Frankreich. In Deutschland und vielen anderen Mitgliedstaaten ist sie demgegenüber unbekannt.249
243 EuGH, 08.12.1987 – Rs. 144/86, Gubish ./. Palumbo, Slg. 1987, 4861, Rn. 16. 244 EuGH, 06.12.1994 – Rs. C-406/92, Tatry ./. Maciej Rataj, Slg. I-1994, 5439, Rn. 41–44. 245 Gottwald, in: Gottwald/Greger/Prütting (Hrsg.), Symposium Schwab, 2000, S. 85 (91). 246 Böhm, in: Bajons/Mayr/Zeiler (Hrsg.), EuGVÜ und LugÜ, 1997, S. 141 (153). 247 Linke, RIW 1988, S. 822 (823). 248 Gleiches berichtet Isenburg-Epple, Ausländische Rechtshängigkeit, 1992, S. 193–195 von sechs weiteren europäischen Rechtsordnungen. 249 Vgl. Ritter, ZZP 87 (1974), S. 138: Grundsätzlich keine Vorfragenbindung gibt es bspw. in Österreich (a. a. O., S. 138 f.), der Schweiz (a. a. O., S. 141), Spanien (a. a. O., S. 144 f.), Portugal (a. a. O., S. 147 f.), Schweden (a. a. O., S. 153–157), Norwegen (a. a. O., S. 159); gegenüber Vorfragenbindungen großzügiger sind etwa Italien (a. a. O., S. 149–151), Rumänien (a. a. O., S. 180), Polen (a. a. O., S. 183) und Bulgarien (a. a. O., S. 189).
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b) Grund für die weite Streitgegenstandsdefinition des EuGH 269
Zu dem weiten Streitgegenstandsbegriff kam der EuGH in erster Linie wegen des in Art. 34 Nr. 3 EuGVVO vorgesehenen Vorrangs inländischer vor anzuerkennenden ausländischen Entscheidungen.250 Demnach ist ein Titel nicht anerkennungsfähig, wenn er unvereinbar ist mit einer im Anerkennungsland ergangenen Entscheidung.
270
Der EuGH wollte verhindern, dass sich eine Partei diesen Anerkennungsversagungsgrund in der Weise zu Nutze macht, dass sie, nachdem sie in einem Land verklagt wurde, ihrerseits in einem anderen Forum, in dem Vollstreckung droht, Klage erhebt. Wird die ausländische Rechtshängigkeit entgegen Art. 27 I EuGVVO missachtet und kommt es zu einem Urteil, würde sich dieses gem. Art. 34 Nr. 3 EuGVVO gegenüber dem ausländischen durchsetzen und den Schuldner in diesem Land vollstreckungsimmun machen. Freilich nützt dies dem Schuldner nur dann, wenn der Inlandsprozess in seinem Sinne ausgegangen ist. Er kann sich aber zumindest eine zweite Prozesschance verschaffen.
271
Dieser prozessuale Trick wäre vor allem deswegen sehr effektiv, weil Art. 34 Nr. 3 EuGVVO in der Auslegung des EuGH sehr umfassend die Anerkennung ausländischer Entscheidungen sperrt. Der Gerichtshof hat an anderer Stelle entschieden, dass Entscheidungen schon dann im Sinne dieser Vorschrift miteinander unvereinbar sind, „wenn sie Rechtsfolgen haben, die sich gegenseitig ausschließen“.251 Mit dieser Formulierung ist allerdings nicht gemeint, dass sich die Entscheidungsformeln bei gleichem Streitgegenstand widersprechen müssten. Vielmehr reicht es sogar schon aus, dass Entscheidungsgründe inkompatibel sind: Unvereinbar sind etwa ein inländisches Scheidungsurteil und ein ausländischer Titel, der zu Unterhalt aufgrund bestehender Ehe verpflichtet.252 Genauso soll ein Judikat, das Schadensersatz wegen Nichterfüllung eines Vertrages gewährt, mit einem inländischen Richterspruch unvereinbar sein, der den Vertrag für nichtig erklärt.253 Der EuGH 250 Vgl. EuGH, 08.12.1987 – Rs. 144/86, Gubish ./. Palumbo, Slg. 1987, 4861, Rn. 18, wo der Zusammenhang zwischen Art. 21 EuGVÜ (Art. 27 EuGVVO) und Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ (Art. 34 Nr. 3 EuGVVO) besonders betont wird; ebenso EuGH, 06.12.1994 – Rs. C-406/92, Tatry ./. Maciej Rataj, Slg. I-1994, 5439, Rn. 32. 251 EuGH, 04.02.1988 – Rs. 145/86, Hoffmann ./. Krieg, IPRax 1989, S. 159, Rn. 22; ebenso zuvor EuGH, 08.12.1987 – Rs. 144/86, Gubish ./. Palumbo, Slg. 1987, 4861 und später EuGH, 06.06.2002 – Rs. C-80/00, Italian Leather ./. WECO Polstermöbel, Slg. I-2002, 4995. 252 EuGH, 04.02.1988 – Rs. 145/86, Hoffmann ./. Krieg, IPRax 1989, S. 159, vgl. hierzu bereits oben Rn. 128–133. 253 Jenard, Bericht z. EuGVÜ 1968, S. 45, zu Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ.
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dehnte damit den Begriff der Unvereinbarkeit i. S. v. Art. 34 Nr. 3 EuGVVO sehr weit aus und erstreckte ihn auch auf die Gründe, ohne danach zu fragen, welche Rechtskraftwirkung die Gerichtsentscheidung im Anerkennungsland hätte.254 Mitgliedstaaten können sich bei dieser weiten Auslegung von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO leicht ihrer Anerkennungspflicht entziehen.255 Damit sich eine Partei genau dieses großzügige Inlandsprivileg nicht in 272 missbräuchlicher Absicht zu Nutze machen kann, folgt der EuGH auch bei der Rechtshängigkeit dem zuvor beschriebenen weiten Begriff. Insgesamt ist dies konsequent: Da für Entscheidungsunvereinbarkeit i. S. v. Art. 34 Nr. 3 EuGVVO auch schon ein Widerspruch hinsichtlich der Entscheidungsgründe reicht, sperrt Rechtshängigkeit im Ausland bereits dann eine erneute Klage, wenn sich diese nur hinsichtlich einer Vorfrage mit einem anderen Verfahren überschneidet. Der EuGH hat durch die weite Auslegung von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO die Tür zum Missbrauch aufgestoßen, die er über einen weiten Rechtshängigkeitsbegriff in Art. 27 EuGVVO wieder zu schließen versucht. c) Kritik an der Rechtsprechung des EuGH Indes hätte der Begriff der Unvereinbarkeit i. S. v. Art. 34 Nr. 3 273 EuGVVO nicht derart weit ausgelegt werden müssen und damit auch der Rechtshängigkeitsgegenstand enger gefasst werden können.256 Zwar ist es richtig, dass Art. 34 Nr. 3 EuGVVO nicht nur dann die Aner- 274 kennung ausschließen soll, wenn Inlandsurteil und anzuerkennender Auslandstitel denselben Streitgegenstand betreffen und sich im Tenor widersprechen.257 Nicht hinnehmbare Kollisionen können durchaus auch dann schon entstehen, wenn die ausländische Gerichtsentscheidung eine Vorfrage rechtskräftig beurteilt, die im Anerkennungsland bereits als Hauptfrage abweichend mit Rechtskraft entschieden wurde. Käme es in zukünftigen Streitigkeiten im Zweitland erneut auf diese Frage an, stünden sich zwei rechtskräftige Beurteilungen unvereinbar gegenüber, so dass Art. 34 Nr. 3 EuGVVO den Konflikt zu Gunsten des Inlandsurteils lösen muss. Ein gleichermaßen auflösungsbedürftiger Konflikt entstünde, wenn zunächst im Anerkennungsland über ein präjudizielles Rechtsverhältnis als Vorfrage rechtskräftig entschieden wurde, dieses in der anzuerkennenden Entscheidung je254 Gegen dieses weite Verständnis offenbar Wolf, in: FS Schwab, 1990, S. 561 (565 f.), der zur Bestimmung der Unvereinbarkeit ausschließlich auf die Rechtskraftwirkung abstellt. 255 Krit. daher auch Schack, IPRax 1989, S. 139 (141). 256 Böhm, in: Bajons/Mayr/Zeiler (Hrsg.), EuGVÜ und LugÜ, 1997, S. 141 (154). 257 Vgl. Koch, Unvereinbarkeit, 1993, S. 22–45.
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doch als Haupt- oder Vorfrage abweichend mit Rechtskraft beurteilt wurde. In diesen Fällen würde die Anerkennung jeweils zu einer unauflösbaren Rechtskraftkollision führen. 275
Weichen jedoch Auslands- und Inlandsentscheidung in nicht rechtskräftigen Punkten ab, stört dies nicht, ist vielmehr von der beschränkten Rechtskraft genauso gewollt. Ob eine nicht hinnehmbare Urteilskollision i. S. v. Art. 34 Nr. 3 EuGVVO vorliegt, ließe sich daher immer unter Betrachtung der jeweiligen Rechtskraftwirkungen lösen.258 Hierbei ist nach der Wirkungserstreckungslehre auf das Recht des Ursprungslandes abzustellen. Indem der EuGH Unvereinbarkeit auch dann schon annimmt, wenn sich Urteile in einzelnen Vorfragen überschneiden, die nach den einzelstaatlichen Rechten gar nicht in Rechtskraft erwachsen würden, hat er die Entscheidungswirkungen nach nationalem Recht in unangemessener Weise ignoriert. 2. Bedarf für einen autonomen Rechtskraftgegenstand?
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Der Kritik am Rechtshängigkeitsmodell des EuGH ungeachtet ist fraglich, ob allein dessen Geltung auch einen EuGVVO-autonomen Rechtskraftbegriff erfordert.259 Europäische Verordnungen sind autonom260 auszulegen, soweit ein einheitliches Begriffsverständnis zur Erreichung derer Regelungsziele erforderlich ist und in den Mitgliedstaaten unterschiedliche Deutungen existieren.261 Ein autonomer Rechtskraftbegriff könnte zur Vermeidung doppelter Prozesse [a)] und wegen des Zusammenhangs mit der Rechtshängigkeit [b)] erforderlich sein.
258 Tsikrikas, in: Stürner/Matsumoto/Lüke u. a. (Hrsg.), FS Leipold, 2009, S. 351 (356 f.); Leipold, in: GS Arens, 1993, S. 227 (234); Wolf, in: FS Schwab, 1990, S. 561 (566). A. A. Koch, Unvereinbarkeit, 1993, S. 22–45, der eine nicht hinnehmbare Entscheidungskollision auch dann schon annimmt, wenn in den Entscheidungen dieselbe Vorfrage unterschiedlich beurteilt wird, obwohl diese Vorfragenbeurteilungen nicht in Rechtskraft erwachsen. 259 So etwa Böhm, in: Bajons/Mayr/Zeiler (Hrsg.), EuGVÜ und LugÜ, 1997, S. 141 (153), wonach der europäische Rechtshängigkeitsbegriff ein europäisches Rechtskraftkonzept voraussetze. 260 Seit EuGH, 14.10.1976 – Rs. 29/76, LTU ./. Eurocontrol, Slg. 1976, 1541 als „vertragsautonome“ Interpretation anerkannt, hat aber als verordnungsautonome Auslegung weiterhin Gültigkeit. 261 EuGH, 08.12.1987 – Rs. 144/86, Gubish ./. Palumbo, Slg. 1987, 4861, Rn. 7–11.
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a) Gefahr doppelter Prozessführung aufgrund unterschiedlicher nationaler Rechtskraftkonzepte (Fall 1.4) Die nationalen Unterschiede in der sachlichen Reichweite der Rechtskraft 277 könnten von Parteien gezielt für eine doppelte Prozessführung ausgenutzt werden und daher eine gemeinschaftsweit einheitliche Rechtskraftdefinition erfordern. Problematisch ist etwa die Handhabung der französischen Rechtskraft im internationalen Rechtsverkehr, wenn im Zweitland ein anderes Sachrecht zur Anwendung kommt, was Fall 1.4262 verdeutlichen soll: Wie im Fall 1.3 hat F aus Frankreich bei Vertragsverhandlungen mit dem 278 Mitarbeiter des in Deutschland ansässigen D einen Schaden erlitten. Diesen macht F diesmal zunächst vor einem französischen Gericht geltend und trägt vor, der Beklagte habe für das Verschulden seines Mitarbeiters einzustehen. Unter Anwendung französischen Rechts wird der Anspruch aber verneint, weil der Mitarbeiter von D nach Auffassung des Gerichts den Schadenseintritt nicht zu vertreten habe. Daraufhin zieht F vor deutsche Gerichte und verlangt Schadensersatz aus cic, weil beabsichtigt gewesen sei, für den Vertrag deutsches Recht zu wählen. Die Zulässigkeit der deutschen Klage erscheint jedoch fraglich angesichts 279 der rechtskräftigen französischen Entscheidung. In dieser wurde eine vertragsähnliche Haftung zwar nicht geprüft, so dass der Zweitprozess einen anderen cause hätte, und damit nach französischer Streitgegenstandslehre zulässig wäre. Gleichwohl hätte eine neuerliche Klage des F in Frankreich keine Erfolgsaussichten, da das französische Recht eine cic-Haftung nicht kennt, mithin die Geltendmachung eines weiteren cause hier nicht möglich wäre. Daher sollte in Fall 1.4 die Rechtskraft der französischen Entscheidung auch in Deutschland ein neues Verfahren verhindern. Ein solches wäre auch zum Schutz des F nicht erforderlich, da das französische Deliktsrecht Funktionsäquivalente zur cic-Haftung bereit hält und damit in Fall 1.4 einen gleichwertigen Haftungsschutz bietet: Aufgrund der deliktischen Generalklausel in Art. 1382 CC sind – wie bei der cic im deutschen Recht – reine Vermögensschäden ersatzfähig und Art. 1384 al.5 CC sieht im Bereich des Deliktsrechts – wie bei der cic im deutschen Recht nach § 278 BGB – eine Zurechnung von Verschulden des Verrichtungsgehilfen an den Geschäftsherrn ohne Exkulpationsmöglichkeit vor.263 Ausgehend von der dargestellten Fallkonstellation wäre ein europaweit 280 einheitlicher Rechtskraftgegenstand geeignet, den grenzüberschreitenden Rechtsfrieden zu erhöhen, wenn er sachverhaltsorientiert wäre. Dann ließe 262 263
Nach Kössinger, Rechtskraftprobleme, 1993, S. 136 f. Lorenz, ZEuP 1994, S. 218 (220 f.).
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sich trotz der Abweichungen zwischen den nationalen Rechtskraftlehren leicht feststellen, ob im Zweitverfahren ein anderer Gegenstand anhängig ist als in der Ursprungsklage. Zwingend ist ein europaweit einheitlicher Streitgegenstandsbegriff deswegen aber nicht. Denn mit entsprechender Sensibilisierung für den Inhalt ausländischen Rechts ließe sich schon heute durch die Wirkungserstreckungslehre gewährleisten, dass eine Gerichtsentscheidung gemeinschaftsweit dieselbe Bindungswirkung entfaltet. Damit ergibt sich also aus der in Fall 1.4 geschilderten Konstellation noch kein Grund für die Geltung eines einheitlichen europäischen Rechtskraftmodells. b) Systematisch-teleologischer Zusammenhang zwischen Rechtskraft und -hängigkeit 281
Zwischen Rechtskraft und -hängigkeit besteht ein teleologischer Zusammenhang, da beide widersprechende Entscheidungen vermeiden sollen.264 Allerdings gibt ausschließlich die Rechtskraft die „Tragweite“ eines Judikats vor, bestimmt also auch, inwieweit es mit anderen Richtersprüchen kollidieren kann. Daher resultiert normalerweise der Umfang der Rechtshängigkeitssperre aus dem Ausmaß der Rechtskraft.265 Die gegenwärtige Ausgangssituation ist allerdings umgekehrt: Da die Rechtshängigkeit mit der EuGH-Rspr. in ihrer Reichweite fixiert wurde, fragt sich nun, ob hieraus Rückschlüsse auf den Rechtskraftumfang gezogen werden können: Aus der Rechtshängigkeit könnte sich entweder eine Obergrenze für die Rechtskraft ergeben [aa)] oder eine Untergrenze [bb)]. aa) Reichweite der Rechtshängigkeit als Obergrenze für den Rechtskraftgegenstand?
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Möglicherweise ist erforderlich, dass die Rechtskraft die Rechtshängigkeit in ihrem Umfang nicht übersteigt und deswegen euroautonom auf diese begrenzt bleiben muss. Reicht die Rechtskraft weiter als die Rechtshängigkeit, ist denkbar, dass der Prozess in einem Staat das Verfahren in einem anderen – bildlich gesprochen – überholt. Diese Gefahr lässt sich anhand eines Falles verdeutlichen, der englische und französische Gerichte beschäftigt hatte266: 264
Walker, ZZP 111 (1998), S. 429 (449). Im autonomen deutschen Recht ist daher der Streitgegenstandsbegriff für Rechtskraft und für Rechtshängigkeit identisch, MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 322 ZPO Rn. 114. Wegen des Zusammenhangs zwischen Rechtskraft und Rechtshängigkeit will Wolf, in: FS Schwab, 1990, S. 561 (570) auch die Reichweite der europäischen Litispendenz grundsätzlich nach der Wikungserstreckungslehre bestimmen. 265
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Ein französisches Unternehmen hatte erfolglos seine ehemaligen Ange- 283 stellten in Frankreich und England verklagt, weil sie in diesen Ländern eine eigene Geschäftstätigkeit aufgenommen und sich hierbei nach Behauptung des Klägers Betriebsgeheimnisse zu Nutze gemacht haben. Die ehemaligen Mitarbeiter setzten daraufhin zum Gegenschlag an und verlangten Schadensersatz wegen missbräuchlicher Rechtsverfolgung, und zwar zunächst in England und dann auch in Frankreich. In Frankreich wurde zu einem früheren Zeitpunkt als in England rechtskräftig entschieden, dass die vom ehemaligen Arbeitgeber ursprünglich erhobene Klage nicht missbräuchlich war. Die Rechtskraft dieser Entscheidung wurde sodann im parallelen englischen Verfahren anerkannt und wirkte sich auch auf dessen Ausgang aus. Das abgeschlossene französische Verfahren hatte einen anderen Gegenstand als das noch laufende englische: Im ersteren ging es um das rechtsmissbräuchliche Verhalten diesseits des Ärmelkanals, während zweiteres einen behaupteten Rechtsmissbrauch jenseits des Kanals zum Gegenstand hatte.267 Dennoch maß das englische Gericht der französischen Entscheidung einen issue estoppel hinsichtlich tatsächlicher Feststellungen bei, weil der Beurteilung der Rechtsmissbräuchlichkeit in jedem Verfahren dieselbe Frage zu Grunde liege, nämlich ob der Ex-Arbeitgeber in rechtsmissbräuchlicher Weise seine ehemaligen Angestellten von ihrer Geschäftstätigkeit abhalten wollte.268 Das französische Gericht entschied also über die Rechtsmissbräuchlich- 284 keit, obwohl dieselbe Frage auch in England schon rechtshängig war. Den französischen Richtern ist aber kein Vorwurf zu machen, da sie kaum davon ausgehen konnten, dass ihre Entscheidung in England Rechtskraftwirkungen hinsichtlich tatsächlicher Feststellungen entfalten würde, zumal im Frankreich eine Rechtskraftbindung an Tatsachen nicht bekannt ist. Hätten 266 Court of Appeal (Civil Division), 18.02.1994 – Berkeley Administration Inc. and Others v. McClelland and Others [1995] I.L.Pr. 201. 267 Vgl. Court of Appeal (Civil Division), 18.02.1994 – Berkeley Administration Inc. and Others v. McClelland and Others [1995] I.L.Pr. 201, 211 para. 32 (per Dillon LJ): „. . . the subject matter of the French proceedings brought by the Maccorp companies was whether the French proceedings started by the plaintiffs were an abuse of process, and not whether the commencement of the property order and the Mareva injunctions were an abuse of process.“ 268 Vgl. Court of Appeal (Civil Division), 18.02.1994 – Berkeley Administration Inc. and Others v. McClelland and Others [1995] I.L.Pr. 201, 212 para. 33 (per Dillon LJ): „The underlying question [is] whether the claim that Maccorp had been trading unfairly by misusing, for its own ends, confidential information as to the Paris properties was a genuine claim, or a spurious claim put forward for the by-purpose of preventing Maccorp from setting up in business in Paris. That is precisely what is urged in paragraph 15 of the plaintiffs’ statement of contentions on the inquiry in relation to the obtaining of the property order [= die Klageschrift im englischen Verfahren, Anm. Verf.] . . .“
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Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
die englischen Richter die Wirkungserstreckungslehre angewandt, wäre der Zusammenhang zwischen Rechtskraft und -hängigkeit gewahrt worden: Das französische Urteil hätte dann nur soviel Rechtskraft ausgelöst, wie die französischen Richter bei Prüfung der Rechtshängigkeit voraussehen konnten. 285
Solche Prozessüberholungen können dadurch verhindert werden, dass die Rechtskraft in ihrem Umfang auf die Rechtshängigkeit limitiert ist. Angesichts des enorm weiten europäischen Rechtshängigkeitsbegriffs, der fast immer die nationalen Rechtskraftkonzepte übersteigt, ist die Gefahr sich ausbremsender Prozesse allerdings sehr gering. Aus dieser ergibt sich damit auch kein sehr gewichtiger Grund für die Notwendigkeit eines europäischen Rechtskraftgegenstandes. bb) Reichweite der Rechtshängigkeit als Untergrenze für Rechtskraftgegenstand?
286
Möglicherweise lässt sich aber aus dem Rechtshängigkeitsbegriff ein Mindestumfang hinsichtlich der Rechtshängigkeit ableiten und damit ein Argument für einen euroautonomen Rechtskraftgegenstand.
287
Bleibt die res judicata-Wirkung in ihrem sachlichen Umfang hinter der Litispendenzsperre zurück, können dem Klagewilligen dadurch Nachteile entstehen, dass die zweite Klage bis zum rechtskräftigen Abschluss der ersten gesperrt ist, obwohl in der zuerst rechtshängig gewordenen Klage nicht über den Gegenstand entschieden werden wird, den der Rechtsschutzsuchende durchsetzen wollte. Er müsste also mit seiner Rechtsverfolgung das Ende der Rechtshängigkeit abwarten. Dies diente zumindest nicht der Verfahrensbeschleunigung und der Stärkung des Rechtsschutzes.269 Es könnte auch der Justizgewährungsanspruch verletzt sein, wenn die vorübergehende Versperrung des Zugangs zu Gericht nicht durch gute Gründe gerechtfertigt wäre. Hinzu kommt, dass dem nach Klage Heischenden zwischenzeitlich Verjährung droht.
288
Dennoch halten sich die Nachteile daraus, dass die Klage vorübergehend einen „Zwischenstopp“ einlegt, in Grenzen. In aller Regel wird es der von der Rechtshängigkeit betroffenen Partei möglich sein, weitere Klagegegenstände in das Erstverfahren einzuführen und dadurch eine Verjährungshemmung zu erreichen. Außerdem bietet das Anhalten der zweiten Klage nicht nur den Vorteil, dass widersprechenden Entscheidungen vorgebeugt wird – Vorbeugung ist insofern besser als Anerkennungsversagung. Zusätzlich ver269
Wolf, in: FS Schwab, 1990, S. 561 (566).
§ 4 Objektiver Umfang der Rechtskraft ausländischer Entscheidungen
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hindert sie auch sinnlose Doppelprozesse, erhöht damit entscheidend die Effizienz der internationalen Rechtspflege. Die Möglichkeit gleichzeitiger Prozesse in verschiedenen Ländern birgt auch eine hohe Missbrauchsgefahr, weil es gerade die schwache Seite sehr belastet, sich vor mehreren Fora gleichzeitig verteidigen zu müssen. Aus diesem Grunde erscheint es insgesamt angemessen, wenn die Rechtshängigkeitssperre in sachlicher Reichweite die Rechtskraft übersteigt. Es gibt also keinen Grund dafür, die Rechtskraft in der Weise an die Rechtshängigkeit zu koppeln, dass letztere eine Untergrenze für erstere bildet. c) Zusammenfassung und Ergebnis Somit ist für ein ordnungsgemäßes Funktionieren der Anerkennungs- und 289 Zuständigkeitsvorschriften der EuGVVO die Geltung eines gemeinschaftsweit einheitlichen Rechtskraftkonzeptes nicht erforderlich. Die Frage, wie der Streitgegenstand von rechtskräftigen Entscheidungen aus anderen Mitgliedstaaten im Anerkennungsland zu bestimmen ist, liegt folglich außerhalb des Regelungsbereichs der Verordnung.270 Ihr können damit keine Vorgaben für einen eigenen europäischen Streitgegenstandsbegriff entnommen werden. Insbesondere lässt sich aus dem Rechtshängigkeitsbegriff nicht darauf schließen, dass sich die Rechtskraft im europäischen Recht zwangsläufig auch auf Vorfragen erstrecken müsste.271 Für die Geltung einer europaweit einheitlichen Rechtskraftlehre wäre auch die Zeit noch nicht reif. Schließlich besteht zwischen dem Rechtskraftumfang eines Urteils und dem Verfahrensrecht, nach dem dieses zustande gekommen ist, ein enger innerer Zusammenhang. Es macht daher keinen Sinn, einen eigenen Rechtskraftbegriff einzuführen, ohne dass das Erkenntnisverfahren angepasst würde. 3. Lösungsvorschläge für ein europäisches Rechtskraftkonzept Befürwortet man entgegen der hier vertretenen Ansicht ein europäisches 290 Rechtskraftkonzept, schließt sich die Frage an, wie dieses de lege ferenda aussehen könnte. Dies ist letztlich eine rechtspolitische Festlegung, die entscheidend davon abhängt, ob man den Akzent eher auf Rechtssicherheit setzt durch eine möglichst weitreichende Bindungswirkung oder das Interesse der Rechtswahrheit stärker betont, indem möglichst wenig Bestandteile einer res judicata zukünftig verbindlich sind. An dieser Stelle kann nur untersucht werden, ob ein bestimmtes Rechtskraftkonzept der Internationalität des gemeinschaftsweiten Rechtsverkehrs am besten gerecht würde. 270 271
Sepperer, Rechtskrafteinwand, 2010, S. 140–151. Ebenso Schack, ZZP 107 (1994), S. 279 (296 Fn. 117).
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Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
291
Fraglich ist zunächst, ob eine Vorfragenbindung zu befürworten ist. Eine solche könnte zur Vermeidung von Entscheidungskollisionen i. S. v. Art. 34 Nr. 3 EuGVVO beitragen, weil gewährleistet wäre, dass präjudizielle Rechtsverhältnisse in verschiedenen Mitgliedstaaten einheitlich beurteilt werden.272 Dies würde dem Umstand Rechnung tragen, dass der EuGH Entscheidungen schon dann für unvereinbar hält, wenn sie sich in Vorfragen widersprechen.273 Die damit eröffnete Gefahr der Kollision in Vorfragen wird aber bereits durch den breiten Rechtshängigkeitsbegriff entscheidend abgemildert. Sobald die Rechtshängigkeit beendet und von der Rechtskraft abgelöst ist, steht eine nicht hinnehmbare Entscheidungskollision lediglich dann zu befürchten, wenn sich die rechtskräftigen Bestandteile widersprechen. Dies hängt aber gerade davon ab, welches Rechtskraftkonzept gilt. Dies wäre die erste Frage, die der europäische Gesetzgeber zu beantworten hätte. Dass die Antwort zu Gunsten einer Vorfragenbindung ausfallen müsste, ist jedenfalls zur Vermeidung kollidierender Entscheidungen nicht notwendig.
292
Gegen eine Vorfragenbindung spricht allgemein das Risiko der Perpetuierung von Fehlurteilen, welches im Bereich grenzüberschreitender Rechtspflege noch größer ist als im rein internen Bereich. Denn man wird von Parteien nur in geringerem Maße erwarten können, Vorfragen auszufechten, wenn dies mit den gesteigerten Belastungen einer Prozessführung im Ausland verbunden und die zukünftige Bedeutung der Vorfrage nicht absehbar ist. Damit wäre es de lege ferenda vorzugswürdiger, eine Vorfragenbindung grundsätzlich nur restriktiv zuzulassen. Das europäische Recht sollte aber als Ausgleich entsprechende Fälle vorsehen, in denen entweder kraft Gesetzes oder aufgrund von Prozesshandlungen gerichtliche Beurteilungen präjudizieller Rechtsverhältnisse Verbindlichkeit erlangen.
293
Die andere Frage, die ein europäisches Rechtskraftkonzept zu beantworten hätte, ist, wie der Streitgegenstand begrenzt werden soll – sachverhaltsbezogen oder ausgehend von Anspruchsgrundlagen. Vor dem Hintergrund der verschiedenen einzelstaatlichen Sachrechte wird wohl eine sachverhaltsorientierte Begrenzung einfacher zu handhaben sein.274 Dies würde auch einer eingeschränkten Vorfragenbindung gerecht werden. Diese beinhaltet 272 Koch, Unvereinbarkeit, 1993, S. 154–161. Auch Court of Appeal (Civil Division), 18.02.1994 – Berkeley Administration Inc. and Others v. McClelland and Others [1995] I.L.Pr. 201, 212 (Dillon LJ) wertet die EuGH-Rspr. in Gubisch ./. Palumbo als Bekenntnis für eine Vorfragenbindung im europäischen Recht. Zusätzlich will Koch in einem europäischen Rechtskraftkonzept die Rechtskraft auch von Amts wegen geprüft wissen, vgl. a. a. O., S. 160 f. 273 EuGH, 04.02.1988 – Rs. 145/86, Hoffmann ./. Krieg, IPRax 1989, S. 159; vgl. hierzu zuvor Rn. 262–275. 274 Vgl. hierzu bereits Fall 1.4, Rn. 277–280.
§ 4 Objektiver Umfang der Rechtskraft ausländischer Entscheidungen
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nämlich grundsätzlich das Risiko, dass eine Partei ein aus rechtlicher Sicht leicht abgewandeltes Klageziel verfolgt und damit eine erneute Prüfung von Punkten erreichen kann, in denen sie bereits gescheitert war. Eine breite sachverhaltsorientierte Betrachtungsweise kann der künstlichen Aufspaltung von wirtschaftlich identischen Klagegegenständen vorbeugen.
§ 5 Die Wirkungen ausländischer Entscheidungen in subjektiver Hinsicht 294
Im Folgenden soll untersucht werden, welche subjektive Wirkungsreichweite anerkannten ausländischen Entscheidungen im Zweitstaat zukommt. Dabei geht es in erster Linie darum, welche Personen von der Rechtskraft solcher Judikate gebunden sind. Die Untersuchung soll aber nicht auf die subjektive Reichweite der res judicata-Wirkung beschränkt sein. Vielmehr sind auch andere Bindungswirkungen miteinzubeziehen, die typischerweise gegenüber anderen Personen als den Parteien des Ausgangsverfahrens greifen. Hierbei ist etwa an die Streitverkündungs- bzw. Interventionswirkung zu denken, ggf. auch an materiellrechtliche Nebenwirkungen, soweit sie als anerkennungsfähig zu qualifizieren sind. Nach einer rechtsvergleichenden Darstellung der subjektiven Wirkungsreichweite von Entscheidungen in einzelnen Rechtsordnungen [A.] sind die Wirkungen ihrer Anerkennung im Zweitland zu untersuchen [B.].
A. Die subjektive Reichweite der Entscheidungswirkungen in einzelnen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen 295
In allen hier verglichenen nationalen Rechten gilt der Grundsatz, dass sich die Rechtskraft nur auf die Parteien des Verfahrens beschränkt. Da der Zivilprozess – insbesondere bei Geltung des Beibringungsgrundsatzes – nur eine prozessuale Wahrheit ermitteln kann, ist es in der Regel nicht angemessen, eine Gerichtsentscheidung auch gegenüber denjenigen wirken zu lassen, die an deren Entstehung nicht beteiligt waren und auf ihren Inhalt folglich keinen Einfluss nehmen konnten.1 I. Die subjektive Wirkungsreichweite von Entscheidungen im deutschen Recht
296
Neben den Parteien [1.] sind in Deutschland in mehreren Fällen Dritte aufgrund Rechtskrafterstreckung oder materiellrechtlicher Nebenwirkung an Gerichtsentscheidungen gebunden [2.]. Auch die Streitverkündung erweitert die Bindung in subjektiver Hinsicht [3.]. 1 Perrot/Fricéro, J.-Cl. Proc. civ. fasc. 554 (Stand: III 2006), S. 1 (Rn. 130) zum französischen Recht.
§ 5 Wirkungen ausländischer Entscheidungen in subjektiver Hinsicht
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1. Grundsatz der Rechtskraftwirkung nur für und gegen die Parteien § 325 I 1. Alt. ZPO stellt klar, dass die Rechtskraft nur relativ für und 297 gegen die Prozessparteien greift. Da der Inhalt einer Entscheidung durch das Parteiverhalten bestimmt wird, kann er Unbeteiligten nicht zugemutet werden.2 Der inter partes-Grundsatz ist eng verwoben mit dem Prozessgrundrecht auf rechtliches Gehör (Art. 103 I GG), an dem Drittbindungen zu messen sind.3 Der Einzelne soll nicht Objekt richterlicher Entscheidung sein, sondern zu Wort kommen, um auf Verfahren und Ergebnis Einfluss nehmen zu können.4 Eine Rechtskrafterstreckung auf Dritte ist daher grundsätzlich nur hinzunehmen, wenn deren rechtliches Gehör ausreichend gewahrt ist – etwa durch Anhörung oder Beiladung – oder wenn der Eingriff in Art. 103 I GG wegen kollidierender Grundrechte Dritter oder sonstiger Verfassungswerte gerechtfertigt werden kann.5 Die Parteien sind entsprechend der formellen Betrachtungsweise die als 298 solche im Urteil bezeichneten.6 Ist ein Prozessvertreter aufgetreten, so ist ausschließlich der Vertretene Partei und auch nur dieser an die res judicata gebunden. Die Rechtskraft greift im deutschen Recht nur zwischen Parteien verschiedener Seiten und damit nicht unter Streitgenossen.7
2 MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 325 ZPO Rn. 1; Marotzke, ZZP 100 (1987), S. 164 (164 f.); Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, 16. Aufl. 2004, § 155 I; Bettermann, Vollstreckung, 1948, S. 81. 3 Bettermann, Vollstreckung, 1948, S. 80 f. Auch in der Rspr. des BVerfG sind Dritte, die durch das Urteil in ihrer Rechtsstellung betroffen sind, anspruchsberechtigt nach Art. 103 I GG. Vgl. BVerfG, 08.02.1994 – 1 BvR 765/89, 1 BvR 766/89, BVerfGE 89, 381 (390); BVerfG, 14.04.1987 – 1 BvR 332/86, BVerfGE 75, 201 (215); BVerfG, 03.11.1983 – 2 BvR 348/83, BVerfGE 65, 227 (233). 4 BVerfG, 30.04.2003 – 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, 395 (409); v. Mangoldt/ Klein/Stark/Nolte, 5. Aufl. 2005, Art. 103 GG Rn. 86. 5 Vgl. etwa Calavros, Wirkungen zu Lasten Dritter, 1978, S. 47 f., der eine Rechtskrafterstreckung auf unbeteiligte Dritte dann für zumutbar hält, wenn deren Nachteile durch materiellrechtliche Regeln, wie etwa Gewährung von Schadensersatz, ausgeglichen werden. Zum Zusammenhang zwischen Recht auf rechtliches Gehör und Urteilsdrittwirkungen: Marotzke, ZZP 100 (1987), S. 164; Jauernig, ZZP 101 (1988), S. 361; Schlosser, JZ 1967, S. 431; Zeuner, Rechtliches Gehör, 1974. 6 BGH, 11.03.1983 – V ZR 287/81, NJW 1984, S. 126 (127). Der Versuch, einen weitergehenden materiellen Parteibegriff zu entwickeln um damit eine subjektiv weiterreichende Rechtskraftbindung zu erklären, konnte sich nicht durchsetzen, vgl. hierzu Henckel, ZZP 70 (1957), S. 448 (452 ff., 456 ff. u. passim). 7 Vgl. zur notwendigen Streitgenossenschaft: BGH, 12.01.1996 – V ZR 246/94, NJW 1996, S. 1060.
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Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
2. Rechtskrafterstreckung und andere Drittwirkungen 299
Vier Fallgruppen von Drittwirkungen können im deutschen Recht unterschieden werden: Zu einer Rechtskrafterstreckung kommt es einerseits bei Prozessstandschaft [a)] und Rechtsnachfolge [b)]. Andererseits kann sich aus der materiellrechtlichen Abhängigkeit Dritter ergeben, dass diesen gegenüber eine fremde Gerichtsentscheidung gilt [c)]. Ausnahmsweise erstreckt sich die Rechtskraft auf einen nicht abschließend festgelegten Personenkreis bzw. sogar erga omnes [d)]. a) Rechtskrafterstreckung auf den Rechtsträger bei Prozessstandschaft
300
Eine Rechtskrafterstreckung kann eintreten, wenn nicht der Berechtigte oder Verpflichtete selbst als Kläger oder Beklagter prozessiert hat, sondern ein prozessführungsbefugter Rechtsfremder. Es ist eine eigene Kategorie des deutschen Prozessrechts, dass Personen im eigenen Namen Prozesse über fremde Rechte führen können (Prozessstandschaft). Hierbei ist nur der Rechtsfremde Partei, der eigentliche Rechtsträger hingegen ein außenstehender Dritter, der nach dem inter partes-Grundsatz nicht an das Urteil gebunden wäre.8 Insbesondere für den Fall, dass der Prozessgegner obsiegt, dient hier die Rechtskrafterstreckung dazu, die Früchte des Prozesses auch gegenüber dem Rechtsträger zu erhalten.9 Dies bedarf andererseits einer Rechtfertigung, da grundsätzlich niemand den Wirkungen eines Prozesses unterworfen werden kann, an dem er nicht teilgenommen hat.10 aa) Das Prinzip der Rechtskrafterstreckung bei Prozessstandschaft
301
Ob sich bei Prozessstandschaft die Rechtskraft auf den Aktiv- bzw. Passivlegitimierten erstreckt, beurteilt sich daher anhand eines Vergleiches der Beteiligteninteressen.11 Dem Gegner des Prozessstandschafters ist die Wir8
Dies folgt aus dem formellen Parteibegriff, MünchKomm/Lindacher, 3. Aufl. 2008, vor §§ 50 ff. ZPO Rn. 2. 9 Bettermann, Vollstreckung, 1948, S. 86. 10 Sinaniotis, ZZP 79 (1966), S. 78 (79). 11 Stein/Jonas/Leipold, 22. Aufl. 2008, § 325 ZPO Rn. 55; MünchKomm/ Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 325 ZPO Rn. 46 ff.; Sinaniotis, ZZP 79 (1966), S. 78 (90); Bettermann, Vollstreckung, 1948, S. 86. Früher hatte man das Urteil über ein fremdes Recht als eine Verfügung über dieses verstanden. Demnach machte man die Rechtskrafterstreckung von der Verfügungsbefugnis des Prozessstandschafters abhängig, vgl. etwa Henckel, ZZP 70 (1957), S. 448 (462). Dieser Erklärungsversuch ist aber ungeeignet, weil das Urteil nicht über das Recht verfügt, sondern grundsätzlich nur dessen Inhalt feststellt, vgl. Sinaniotis, ZZP 79 (1966), S. 78 (83 ff.).
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kungslosigkeit des Urteils gegenüber dem Rechtsträger zumutbar, wenn letzterer weiterhin prozessführungsbefugt war.12 Dann hätte er auch direkt gegen diesen klagen (bei Prozessstandschaft auf Beklagtenseite) bzw. diesen im Wege parteierweiternder Drittwiderklage in das Verfahren hineinziehen können (bei Prozessstandschaft auf Klägerseite).13 Nutzt er diese Möglichkeiten nicht, kann ihm die Immunität des Rechtsträgers zugemutet werden.14 Dass die Exklusivität der Prozessführungsbefugnis ein tragfähiges Krite- 302 rium ist, bestätigt auch die typische Interessenlage in den Konstellationen der Prozessstandschaft: Ist die Prozessführungsmacht des Dritten ausschließlich, besteht sie in aller Regel nur im Interesse des Rechtsträgers, denn andernfalls wäre es nicht gerechtfertigt, ihn von der Prozessführung auszuschließen. Der Prozessstandschafter verfolgt dann keine eigenen Interessen, sondern wird im Anliegen des Hintermannes tätig, so dass letzterem eine Bindung an die Gerichtsentscheidung zugemutet werden kann.15 Bleibt hingegen der Rechtsträger prozessführungsbefugt, besteht die Prozessstandschaft in aller Regel im eigenen Interesse des Standschafters, so dass dessen Prozessführung dem Rechtsinhaber nicht zumutbar ist.16 Im Ergebnis ist ein durch den Verfahrensstandschafter erstrittenes Urteil gegenüber dem Rechtsträger verbindlich, wenn die Prozessführungsbefugnis in dessen Interesse bestand, was wiederum dann anzunehmen ist, wenn diesem eine eigene Prozessführung nicht möglich war.17
12
A. A. Berger, Subjektive Grenzen, 1990, S. 29–34, 287. Eine solche Drittwiderklage ist jedenfalls dann zulässig, wenn sie (1.) sich zugleich gegen den Kläger richtet, (2.) sie in einem rechtlichen Zusammenhang mit der Klage steht und wenn (3.) der Dritte und der widerbeklagte Kläger Streitgenossen im Sinne von § 59 oder § 60 ZPO sind. Vgl. BGH, 21.02.1975 – V ZR 148/73, NJW 1975, S. 1228; BGH BGH, 20.05.1981 – VIII ZR 270/80, NJW 1981, S. 2642. 14 Sinaniotis, ZZP 79 (1966), S. 78 (91); Stein/Jonas/Leipold, 22. Aufl. 2008, § 325 ZPO Rn. 55; MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 325 ZPO Rn. 46; Schack, NJW 1988, S. 865 (869). 15 Sinaniotis, ZZP 79 (1966), S. 78 (91). 16 MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 325 ZPO Rn. 47; Sinaniotis, ZZP 79 (1966), S. 78 (92). 17 So im Ergebnis auch: BGH, 23.01.1981 – V ZR 146/79, NJW 1981, S. 1097, Rn. 9; Sinaniotis, ZZP 79 (1966), S. 78 (91 ff.); Stein/Jonas/Leipold, 22. Aufl. 2008, § 325 ZPO Rn. 55; MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 325 ZPO Rn. 46. 13
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bb) Fälle von Prozessstandschaft, in denen Rechtskrafterstreckung eintritt 303
Exklusive Prozessführungsbefugnis haben in erster Linie die Parteien kraft Amtes: Insolvenz- (§ 80 InsO), Nachlass- (§§ 1984 I, 1985 I BGB) und Zwangsverwalter (§ 152 ZVG) sowie Testamentsvollstrecker (§§ 2197 ff. BGB).18 Ein Urteil, das diese hinsichtlich des verwalteten Vermögens erstreiten, muss der Rechtsträger für und gegen sich gelten lassen.19 Dies wird in § 327 I ZPO eigens angeordnet für Prozesse des Testamentsvollstreckers über einen der Verwaltung unterliegenden Erbschaftsgegenstand.20 Obwohl der Testamentsvollstrecker für Nachlassverbindlichkeiten keine exklusive Prozessführungsbefugnis hat – diese können auch direkt gegen den Erben eingeklagt werden, § 2213 I S. 1 BGB – ordnet § 327 II ZPO in Erweiterung des allgemeinen Prinzips eine Rechtskrafterstreckung auf den Erben an.21
304
Den Parteien kraft Amtes vergleichbar gestaltet sich die Lage bei Urteilen, die sich auf das Gesamtgut der in Gütergemeinschaft lebenden Ehegatten beziehen. Soweit einem Gatten die Verwaltung alleine obliegt, hat er gem. § 1429 S. 2 BGB eine ausschließliche Prozessführungsbefugnis hinsichtlich des Gesamtgutes. Dementsprechend binden Urteile, die er über dazugehörige Gegenstände erstreitet, auch den anderen Ehegatten.22 Auch die in § 1629 III S. 2 BGB angeordnete Rechtskrafterstreckung folgt dem allgemeinen Prinzip: Da die nach Abs. III S. 1 dieser Vorschrift bestehende Prozessführungsbefugnis eines Elternteils über Unterhaltsansprüche des Kindes gegen den anderen Elternteil ausschließlich ist, ist es nur folgerichtig, dass ein entsprechender Unterhaltsbeschluss Wirkung für und gegen das 18 Nach der herrschenden Amtstheorie steht diesen Personen eine Prozessführungsbefugnis zu, vgl. Stein/Jonas/Leipold, 22. Aufl. 2008, § 325 ZPO Rn. 15. Nach a. A. handelt es sich um Vertreter. 19 Schack, NJW 1988, S. 865 (867); MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 325 ZPO Rn. 48. 20 Diese Anordnung ist an sich überflüssig, weil der Testamentsvollstrecker für derartige Prozesse die alleinige Prozessführungsmacht hat (§ 2212 BGB), so dass nach dem allgemeinen Prinzip der Rechtskrafterstreckung bei Prozessstandschaft ohnehin eine Rechtskrafterstreckung eintreten müsste. 21 Diese Erweiterung der Rechtskraft besteht im Interesse des Nachlassgläubigers, der sowohl gegen den eigentlichen Schuldner (Erbe) als auch gegen denjenigen klagen kann, der Zugriff auf die Erbschaftsgegenstände hat (Testamentsvollstrecker), Sinaniotis, ZZP 79 (1966), S. 78 (93 f.). 22 MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 325 ZPO Rn. 50; Stein/Jonas/Leipold, 22. Aufl. 2008, § 325 ZPO Rn. 57; Sinaniotis, ZZP 79 (1966), S. 78 (95 f.). Dies gilt auch für Urteile, die der andere Ehegatte nach § 1429 S. 2 BGB im Rahmen seines Notverwaltungsrechts erstreitet, MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 325 ZPO Rn. 50.
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Kind hat. Weitere Fälle der Rechtskrafterstreckung bei Prozessstandschaft finden sich in § 760 II S. 2 HGB23 und § 126 II S. 2 VVG24. Schließlich ist noch an die gewillkürte Prozessstandschaft zu denken, bei der die Rechtskraft ebenfalls den Rechtsträger erfasst, da dieser selbst dem Dritten die Prozessführungsbefugnis eingeräumt hatte.25 Auch im Falle der Veräußerung des streitbefangenen Gegenstandes behält 305 der ehemalige Rechtsträger gem. § 265 II ZPO grundsätzlich die Befugnis zur Fortführung des Prozesses. Zusätzlich greift eine Rechtskrafterstreckung auf den Rechtsträger, vgl. § 325 I 2. Alt. ZPO. Dies trägt der Veränderung der materiellrechtlichen Lage nach Rechtshängigkeit Rechnung, ist letztlich aber eine Durchbrechung des allgemeinen Prinzips, wonach die Exklusivität der Prozessführungsmacht ausschlaggebend ist für den Eintritt der Rechtskrafterstreckung. Genauso funktionieren die §§ 407 II, 408 BGB, nach denen ein dem Schuldner günstiges Urteil aus einem Prozess mit dem Zedenten auch gegenüber dem Zessionar Wirkungen entfaltet. Hiervon sind Fälle erfasst, in denen die Forderung noch vor Rechtshängigkeit abgetreten wurde, der Schuldner von der Abtretung aber keine Kenntnis hatte und daher auch nicht in der Lage war, vor Gericht die fehlende Aktivlegitimation des Alt-Gläubigers geltend zu machen. cc) Fälle von Prozessstandschaft, in denen Rechtskrafterstreckung nicht eintritt Prozessstandschaft ohne Rechtskrafterstreckung kommt vor allem bei 306 Mitberechtigten vor, wenn einer von diesen das gemeinsame Recht zur Leistung an alle gerichtlich geltend macht.26 Eine solche Befugnis, die vom Grundsatz gemeinschaftlicher Verwaltung (§ 744 I BGB) abweicht, ordnet das Gesetz an bei Mitgläubigerschaft (§ 432 I S. 1 BGB), Bruchteils23
Rechtskrafterstreckung auf Schiffseigentümer bei Klage gegen Ausrüster oder Kapitän. Dies ist eine Erweiterung des allgemeinen Prinzips, weil die Prozessführungsbefugnis hier nicht exklusiv ist. 24 Rechtskrafterstreckung auf Rechtsschutzversicherer bei Klage gegen Schadensabwicklungsunternehmen. Dies bestätigt das allgemeine Prinzip, weil das Schadensabwicklungsunternehmen exklusiv prozessführungsbefugt ist. 25 BGH, 03.07.1980 – IV a ZR 38/80, NJW 1980, S. 2461 (2463); Häsemeyer, ZZP 101 (1988), S. 385 (404); MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 325 ZPO Rn. 55. 26 MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 325 ZPO Rn. 47; Zeuner, in: FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 337 (365); Sinaniotis, ZZP 79 (1966), S. 78 (94 f.); Schack, NJW 1988, S. 865 (879). Zu § 1011 BGB: BGH, 23.01.1981 – V ZR 146/79, NJW 1981, S. 1097; BGH, 26.10.1984 – V ZR 67/83, NJW 1985, S. 385; BGH, 28.06.1985 – V ZR 43/84, NJW 1985, S. 2825. Zu § 2039 BGB: RG, 07.06.1918 – VII 45/18, RGZ 93, 127 (129).
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gemeinschaft (§ 744 II BGB), Miteigentum (§ 1011 BGB) und für die Erbengemeinschaft (§ 2039 BGB). Dass in keinem dieser Fälle das Prozessführungsrecht exklusiv ist, liegt darin begründet, dass es jeweils nur im Interesse des Prozessstandschafters besteht und nicht – zumindest nicht in erster Linie – der Interessenwahrnehmung für die übrigen Mitberechtigten dient.27 Diese sollen daher durch fremde Prozessführung nicht um ihre Chance gebracht werden, sind von der Rechtskraft mithin nicht erfasst. Dies steht auch in Einklang mit dem Grundsatz der Einzelwirkung, der in § 432 II BGB für die Mitgläubigerschaft angeordnet ist.28 Gleiches gilt bei der Rechtspfändung, in deren Folge gem. § 1281 S. 2 BGB sowohl der Gläubiger als auch der Pfandgläubiger Leistung an beide verlangen können. Hier gibt es genauso wenig eine Rechtskrafterstreckung wie beim Nießbrauch an Rechten, vgl. § 1077 I S. 2 BGB.29 Für Prozesse gegen die Mitberechtigten eines einzigen Gegenstands bedarf es keiner Rechtskrafterstreckung, weil ohnehin nur alle Rechtsträger gemeinsam verklagt werden können (notwendige Streitgenossenschaft gem. § 62 2. Alt. ZPO).30 307
Auch bei der ehelichen Gütergemeinschaft in Einzelverwaltung gibt es im Fall von § 1428 BGB eine Prozessstandschaft ohne Rechtskrafterstreckung. Nach dieser Vorschrift kann der an sich nicht prozessführungsbefugte Ehegatte ein zum Gesamtgut gehörendes Recht gerichtlich geltend machen, wenn der verwaltende Ehegatte ohne die erforderliche Zustimmung seines Ehepartners über dieses verfügt hat. Diese Prozessführungsbefugnis tritt neben die des verwaltenden Ehegatten, besteht somit im Interesse des Prozessstandschafters, so dass sie nicht mit einer Rechtskrafterstreckung einhergeht.31 § 1428 BGB entspricht § 1544 Nr. 8 BGB, der bei gemeinschaftlicher Gesamtgutsverwaltung ausnahmsweise eine Einzelprozessführungsbefugnis des übergangenen Ehegatten vorsieht. Auch hier erstreckt sich die Rechtskraft nicht auf den anderen Ehegatten.32 Für die Zugewinn27
Stein/Jonas/Leipold, 22. Aufl. 2008, § 325 ZPO Rn. 59. Auch um den anderen Mitberechtigten die Vorteile eines ihnen günstigen Urteils zugute kommen zu lassen, ist eine Rechtskrafterstreckung nicht erforderlich, weil bei der Klage nur eines Mitberechtigen die Vollstreckung – entsprechend dem Tenor der Entscheidung – nur zu Gunsten aller betrieben werden kann, vgl. Schack, NJW 1988, S. 865 (869). 29 Sinaniotis, ZZP 79 (1966), S. 78 (95). 30 Trotz kumulativer Prozessführungsbefugnis ist grundsätzlich von einer Rechtskraftwirkung gegenüber dem Rechtsträger auszugehen, wenn die Prozessführung mit Zustimmung des Rechtsträgers erfolgte, vgl. Stein/Jonas/Leipold, 22. Aufl. 2008, § 325 ZPO Rn. 64. Ebenso BGH, 28.06.1985 – V ZR 43/84, NJW 1985, S. 2825: das klageabweisende Urteil gegen einen Miteigentümer wirkt auch gegenüber den anderen Miteigentümern, wenn diese der Klageerhebung zugestimmt hatten. 31 Stein/Jonas/Leipold, 22. Aufl. 2008, § 325 ZPO Rn. 57; Sinaniotis, ZZP 79 (1966), S. 78 (96). 28
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gemeinschaft ist schließlich auf § 1368 BGB zu verweisen: Ist die Verfügung eines Ehegatten über dessen Vermögen mangels erforderlicher Einwilligung des anderen Gatten unwirksam (§§ 1365, 1369 BGB), kann nach § 1368 BGB der Übergangene als Prozessstandschafter des anderen dessen Rückabwicklungsansprüche gerichtlich geltend machen. Es handelt sich hierbei um eine Prozessführungsbefugnis kumulativer Art, die somit nicht zu einer Rechtskrafterstreckung führen kann. b) Rechtskrafterstreckung auf den Rechtsnachfolger, § 325 I 2. Alt. ZPO Gem. § 325 I 2. Alt. ZPO erstreckt sich die Rechtskraft auf Personen, 308 die nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit Rechtsnachfolger der Parteien geworden sind oder die in Streit befangene Sache in qualifizierter Weise zu Besitz erlangt haben. Bis zum Eintritt der Rechtskraft schützt diese Regelung vor allem den laufenden Prozess: Dem Gegner des Rechtsvorgängers (nunmehr Prozessstandschafter, § 265 II S. 1 ZPO) nützt das Urteil nur, wenn es auch gegenüber dem Rechtsnachfolger wirksam ist. Bei Rechtsübergang nach Rechtskraft ist Grund für die Rechtskrafterstreckung nach § 325 I 2. Alt. ZPO die materiell-rechtliche Rechtsänderung.33 Der Gegenstand ist gewissermaßen mit dem Prozessergebnis belastet und in diese Rechtslage tritt der Rechtsnachfolger ein. Daher ist auch dessen Anspruch auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 I GG durch die Rechtskrafterstreckung auf ihn nicht verletzt.34 § 325 I 2. Alt. ZPO erfasst sowohl Gesamt- als auch Einzelrechtsnach- 309 folge, gleichgültig ob durch Rechtsgeschäft, Gesetz oder Hoheitsakt, ob im Wege abgeleiteten oder originären Erwerbs. Außerdem gilt er bei Erlangung einer minderen Rechtsstellung an dem Gegenstand (Pfandrecht, Hypothek, Nießbrauch, Besitz oder bloßes Buchrecht).35 Ein Urteil gegenüber dem Eigentümer wirkt somit auch für und gegen den Pfandgläubiger, Hypothekengläubiger, Nießbraucher, etc., wenn dieser sein Recht erworben hat, nachdem der Streit um das Eigentum rechtshängig geworden war. Überflüssig ist daher die ausdrückliche Anordnung in § 325 I 2.Alt ZPO, dass auch der unmittelbare Besitzer an die Rechtskraft gebunden ist, wenn er Besitzmittler für eine der Parteien oder deren Rechtsnachfolger ist.36 Ob die Schuldnach32
MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 325 ZPO Rn. 47. MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 325 ZPO Rn. 14; Blomeyer, ZZP 75 (1962), S. 1 (19); Bettermann, Vollstreckung, 1948, S. 70. 34 Jauernig, ZZP 101 (1988), S. 361 (375 f.). 35 Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, 16. Aufl. 2004, § 155 Rn. 8; MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 325 ZPO Rn. 18, 27. 33
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folge (durch befreiende Schuldübernahme) der Rechtsnachfolge gleichgestellt werden kann, wird von der Rspr. und einem Teil der Lit. abgelehnt37, von einem anderen Teil der Lit. hingegen bejaht38. c) Drittwirkungen bei materiellrechtlicher Abhängigkeit 310
In mehreren Fällen kennt das deutsche Recht Wirkungen gegenüber Dritten, deren materiellrechtliche Stellung von der Rechtslage einer der Parteien abhängt. Ein solcher Fall ist auch die bereits behandelte Rechtskrafterstreckung auf den Rechtsnachfolger. Darüber hinaus sind weitere Fälle einer Bindungswirkung kraft materiellrechtlicher Abhängigkeit anerkannt: aa) Akzessorische Haftung Dritter
311
Am häufigsten begegnet materiellrechtliche Abhängigkeit bei Fällen der akzessorischen Haftung, die für Sicherungsrechte charakteristisch ist. So richtet sich etwa die Bürgenhaftung nach der Verbindlichkeit des Hauptschuldners (§§ 767 I, 768 BGB) und ist die dingliche Haftung des Grundstückseigentümers gegenüber dem Hypothekar vom Bestand der gesicherten Forderung abhängig (§§ 1113, 1137 BGB). Auch die Haftung des Eigentümers der verpfändeten Sache richtet sich nach der Pflicht des persönlichen Schuldners (§§ 1210, 1211 BGB). Außerhalb der Sicherungsrechte ist insbesondere die Gesellschafterhaftung für Verbindlichkeiten der OHG und KG akzessorisch (§§ 128 f., 161 II HGB). Nicht in all diesen Fällen wirkt allerdings das rechtskräftige Urteil über den Primäranspruch gleichermaßen für und gegen den akzessorisch Haftenden. Vielmehr ist zwischen „schwacher“ [(1)] und „strenger“ [(2)] Akzessorietät zu unterscheiden. (1) Drittwirkung bei „schwacher“ Akzessorietät
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„Schwach“ akzessorische Haftung zeichnet sich dadurch aus, dass das Haftungsrisiko des Dritten nicht im Nachhinein einseitig erweitert werden kann. Für den Bürgen ist dies in § 767 I S. 3 BGB angeordnet und ergibt sich auch aus § 768 II BGB, wonach seine Einreden einer Fremddisposition entzogen sind. Der Eigentümer des hypothekarisch belasteten Grundstücks 36 MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 325 ZPO Rn. 30; a. A. Schilken, ZPR, 5. Aufl. 2006, S. 70 f. 37 BGH, 12.07.1973 – VII ZR 170/71, NJW 1973, S. 1700; MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 325 ZPO Rn. 34. 38 Calavros, Wirkungen zu Lasten Dritter, 1978, S. 63; Blomeyer, ZZP 75 (1962), S. 1 (21 f.).
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ist bereits durch das Eintragungserfordernis vor einer Haftungserweiterung ohne seine Mitwirkung geschützt, § 1115 I BGB. Darüber hinaus schützt ihn – bei Verschiedenheit von dem persönlichen Schuldner – § 1137 II BGB vor einem unfreiwilligen Verlust seiner Einreden. Genauso wenig kann die Haftung des Eigentümers der verpfändeten Sache nachträglich einseitig erweitert werden (§ 1210 I S. 2 BGB) oder können ihm seine Einreden verloren gehen (§ 1211 II BGB). Diesen Fällen liegt ein einheitliches Modell schwach-akzessorischer Haf- 313 tung zu Grunde, so dass auch die Drittwirkung des Urteils über die Hauptforderung einheitlich beantwortet werden kann39: Jeweils gilt, dass die Rechtskraft einer dem Gläubiger günstigen Entscheidung gegen den Hauptschuldner nicht zu Lasten des akzessorisch Haftenden wirkt.40 Schließlich darf die Stellung des Dritthaftenden nicht einseitig verschlechtert werden.41 Andersherum wirkt ein Urteil, durch das der Hauptanspruch verneint wird, zu Gunsten des akzessorisch Haftenden.42 Dieser hat schließlich auch sonst die Einreden des Hauptschuldners.43 (2) Drittwirkung bei „strenger“ Akzessorietät Die Gesellschafterhaftung für Verbindlichkeiten von OHG und KG 314 (§§ 128, 161 II HGB) ist streng akzessorisch, weil sie in Fortbestand und 39
So auch Blomeyer, ZZP 75 (1962), S. 1 (23); Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, 16. Aufl. 2004, § 155 II 4 Rn. 28. 40 Für die Bürgschaft: BGH, 09.07.1998 – IX ZR 272–96, NJW 1998, S. 2972 (2973 f.); BGH, 28.02.1989 – IX ZR 130/88, BGHZ 107, 92; BGH, 09.03.1993 – XI ZR 179/92, NJW 1993, S. 1594 (1595); BGH, 12.03.1980 – VIII ZR 115/79, BGHZ 76, 222 (230 f.); BGH, 12.02.1987 – III ZR 178/85, WM 1987, S. 616 (617). Für die Hypothek: MünchKomm/Eickmann, 4. Aufl. 2004, § 1137 BGB Rn. 30. Etwas anderes wurde aber zur Bürgschaft vertreten, wenn sich der Bürge erst nach rechtskräftiger Titulierung der Hauptforderung verbürgt: Hier ist das Urteil auch diesem gegenüber verbindlich, vgl. Bettermann, Vollstreckung, 1948, S. 139. Außerdem muss der Bürge dann die Rechtskraft des Urteils gegen den Hauptschuldner gegen sich gelten lassen, wenn er sich dem Gläubiger gegenüber hierzu verpflichtet hat, vgl. Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht, 3. Aufl. 2008, Rn. 575. Dies ist insbesondere bei der mit einer Sicherheitsleistung funkiontsäquivalenten Prozessbürgschaft (§ 108 I ZPO) der Fall, BGH, 19.03.1975 – VIII ZR 250/73, NJW 1975, S. 1119 (1121). 41 Blomeyer, ZZP 75 (1962), S. 1 (23); BGH, 09.07.1998 – IX ZR 272–96, NJW 1998, S. 2972 (2974) (Arg. aus dem Rechtsgedanken von § 767 I S. 3 BGB); BGH, 12.03.1980 – VIII ZR 115/79, BGHZ 76, 222 (230). 42 Für die Bürgschaft: BGH, 11.12.1986 – IX ZR 165/85, NJW-RR 1987, S. 683 (685); BGH, 16.11.1951 – V ZR 17/51, BGHZ 3, 385 (390); BGH, 24.11.1969 – VIII ZR 78/68, WM 1970, S. 12. 43 Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht, 3. Aufl. 2008, Rn. 575 zur Bürgschaft.
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Umfang vollständig an die Gesellschaftsschuld gekoppelt ist (vgl. § 129 I HGB).44 Daher gehen Erweiterungen der Gesellschaftsverbindlichkeiten ohne weiteres zu Lasten des Gesellschafters und sind diesem Einwendungen und Einreden abgeschnitten, wenn sie auch der Gesellschaft nicht mehr zustehen.45 Diese strenge Haftung des Gesellschafters rechtfertigt sich dadurch, dass er an allen Geschäfts- und Prozesshandlungen der Gesellschaft unmittelbar beteiligt ist, §§ 125–127 HGB.46 315
Entsprechend der strengen Haftungsakzessorietät wirkt ein Urteil über die Gesellschaftsverbindlichkeit stets auch im Verhältnis zum Haftenden: Er kann sich einerseits gegenüber dem Gläubiger auf ein Urteil berufen, das zwischen diesem und der Gesellschaft zu Gunsten letzterer ergangen ist (also einen gegen sie geltend gemachten Anspruch verneint hat).47 Das gilt auch, wenn die Klage erst nach Ausscheiden des Gesellschafters rechtshängig geworden ist.48 Andererseits besteht auch eine Bindungswirkung zum Nachteil des persönlich Haftenden: Ist die Gesellschaft rechtskräftig zur Leistung verurteilt, kann er wegen § 129 I HGB nicht mehr geltend machen, die Verbindlichkeit habe nicht bestanden.49 Diese Bindungswirkung besteht aber nur insoweit, wie es sich im Folgeprozess um denselben Streitgegenstand handelt. Seine eigenen Einreden werden dem Gesellschafter daher nicht abgeschnitten.
44
Genauso gestaltet sich die Gesellschafterhaftung der rechtsfähigen GbR, für die §§ 128 f. HGB analog gilt. 45 BGH, 09.07.1998 – IX ZR 272–96, NJW 1998, S. 2972. 46 MünchKomm/Bydlinski, 5. Aufl. 2007, § 425 BGB Rn. 30. 47 Baumbach/Hopt/Hopt, 34. Aufl. 2010, § 128 HGB Rn. 43; Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 49 VI 1; MünchKomm/Schmidt, 2. Aufl. 2006 § 129 HGB Rn. 12; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, 16. Aufl. 2004, § 155 II 4 Rn. 24; Blomeyer, ZZP 75 (1962), S. 1 (24 f.). 48 MünchKomm/Bydlinski, 5. Aufl. 2007, § 425 BGB Rn. 30. 49 BGH, 11.12.1978 – II ZR 235/77, NJW 1979, S. 1361 (1362); BGH, 18.03.1975 – X ZB 12/74, NJW 1975, S. 1280 (1281); BGH, 11.12.1995 – II ZR 220/94, NJW 1996, S. 658; BGH, 09.07.1998 – IX ZR 272–96, NJW 1998, S. 2972; BGH, 13.07.1970 – VIII ZR 230/68, NJW 1970, S. 1740 (1741); BGH, 15.06.1993 – XI ZR 133/92, WM 1993, S. 1585; Baumbach/Hopt/Hopt, 34. Aufl. 2010, § 128 HGB Rn. 43, § 129 Rn. 7. Dies gilt nicht, wenn der Gesellschafter bereits vor Klageerhebung aus der Gesellschaft ausscheidet, denn dann konnte er die Prozessführung der OHG nicht mehr beeinflussen, MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 325 ZPO Rn. 60.
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(3) Die Rechtsnatur der Drittwirkung gegenüber dem akzessorisch Haftenden Umstritten ist die Rechtsnatur der Bindung gegenüber dem akzessorisch 316 Haftenden. Es könnte sich um eine Rechtskrafterstreckung handeln50 oder um eine materiellrechtliche Folge, die an das Vorliegen des Urteils geknüpft ist51. Letzterenfalls wäre die Titulierung der Hauptschuld lediglich Tatbestandsvoraussetzung für die Umgestaltung der Haftung des akzessorisch Verpflichteten. Die Frage nach der dogmatischen Einordnung der Drittwirkung hat für die praktische Rechtsanwendung im rein nationalen Kontext keinerlei Bedeutung.52 Handelt es sich um eine Erstreckung der Rechtskraft, kann das judizierte Rechtsverhältnis im Zweitprozess nicht mehr in Frage gestellt werden. Ist das Urteil hingegen Tatbestandsmerkmal, muss das Gericht bei Anwendung der materiellen Vorschrift schlicht prüfen, ob ein Urteil vorliegt und wie es sich auf die akzessorische Haftung auswirkt. Im Ergebnis macht sich dieser dogmatische Unterschied nicht bemerkbar. Bei Urteilen ausländischer Herkunft macht es demgegenüber einen Unter- 317 schied, ob die Drittwirkung prozessual ist: Ist dies der Fall, führt der Weg nur über die Anerkennung nach der EuGVVO. Andernfalls, also bei materiellrechtlicher Natur der Drittwirkung, ist direkt das jeweils anwendbare Sachrecht heranzuziehen.53 Im internationalen Rechtsverkehr kann es also für den Ausgang des Zweitprozesses durchaus auf die Rechtsnatur die Drittwirkungen ankommen. Da allerdings die Qualifikation im Rahmen der 50 So Calavros, Wirkungen zu Lasten Dritter, 1978, S. 110 ff.; Huber, JuS 1972, S. 621 (624); Blomeyer, ZZP 75 (1962), S. 1 (6 f., 24 f.); Bettermann, Vollstreckung, 1948, S. 113 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, 16. Aufl. 2004, § 155 II 4 Rn. 24; Schwab, ZZP 77 (1964), S. 124 (131, 147) für die Wirkung eines gegen den Hauptschuldner ergangenen Urteils gegenüber dem Bürgen. Auch der BGH spricht in manchen Entscheidungen von einer „Erstreckung“ der Rechtskraft. Vgl. etwa BGH, 24.11.1969 – VIII ZR 78/68, WM 1970, S. 12; BGH, 28.02.1989 – IX ZR 130/88, BGHZ 107, 92 (96); BGH, 12.03.1980 – VIII ZR 115/79, BGHZ 76, 222 (230); BGH, 24.11.1969 – VIII ZR 78/68, WM 1970, S. 12; BGH, 11.12.1995 – II ZR 220/94, NJW 1996, S. 658. 51 Jauernig/Hess, ZPR, 30. Aufl. 2011, § 63, Rn. 41 zur Drittwirkung gegenüber Bürgen; in diesem Sinne wohl auch BGH, 16.11.1951 – V ZR 17/51, BGHZ 3, 385 zur Wirkung gegenüber Bürgen; Schack, NJW 1988, S. 865 (870 u. passim) für diverse Drittwirkungen; Kuttner, Nebenwirkungen, 1908, S. 104 f. für die Drittwirkung bei § 129 HGB; ähnlich Schwab, ZZP 77 (1964), S. 124 (147), der in Bürgschaftsfällen von einer bloßen „Drittwirkung der Rechtskraft“ ausgeht. 52 MünchKomm/Schmidt, 2. Aufl. 2006, § 129 HGB Rn. 13; Matscher, JBl. 1954, S. 54. Dogmatisch sind materielle Rechtskraft und die Nebenwirkungen freilich voneinander zu trennen. 53 Dessen Anwendbarkeit richtete sich nach dem IPR des Anerkennungslandes. Ggf. ergäbe sich dann das internationalprivatrechtliche Problem der Substitution.
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EuGVVO verordnungsautonom erfolgen muss,54 ist die nationale Einordnung von Bindungen als materiell- oder prozessrechtlich nicht relevant. Es kann daher im Rahmen des vorliegenden Rechtsvergleiches offenbleiben, welche Rechtsnatur die Drittbindung gegenüber dem akzessorisch Haftenden im deutschen Recht hat. Vielmehr wird die Qualifikation der Drittbindungen zur Einteilung in prozessuale und materiellrechtliche an späterer Stelle allgemein länderübergreifend zu thematisieren sein.55 bb) Andere Drittwirkungsfälle wegen materiellrechtlicher Abhängigkeit 318
Über die Fälle der akzessorischen Haftung hinaus gibt es weitere Konstellationen, in denen nach materiellem Recht ein Rechtsverhältnis von einem anderen abhängt bzw. von diesem beeinflusst wird. Auch hier stellt sich die Frage nach einer – materiellrechtlich oder prozessual zu erklärenden – Drittwirkung des Urteils. (1) Gesamtschuld, Schuldbeitritt, Schuldübernahme
319
Für die Gesamtschuld regelt § 425 II i. V. m. I BGB, dass ein Urteil zwischen dem Gläubiger und einem der Gesamtschuldner nur Einzelwirkung hat. Dies entspricht dem Wesensmerkmal der Gesamtschuld, die durch Gleichstufigkeit der Verpflichtungen geprägt ist: Anders als bei der Akzessorietät ist hier keine Forderung von der anderen abhängig, vielmehr haftet im Außenverhältnis jeder Schuldner gleichrangig.56 Abgesehen von den in §§ 422–424 BGB genannten Fällen haben deshalb Tatsachen grundsätzlich nur Einzelwirkung, vgl. § 425 I BGB. Die fehlende Rechtskrafterstreckung kann dazu führen, dass im Regressprozess eines Gesamtschuldners gegen den anderen (§ 426 BGB) Haftungsgrund und -umfang unterschiedlich beurteilt werden, als dies im vorausgegangenen Verfahren zwischen Gläubiger und nun Regress nehmendem Gesamtschuldner geschehen war.57
320
Ähnlich gestaltet sich die Lage beim Schuldbeitritt, durch den ebenfalls eine Gesamtschuld entsteht.58 Tatsachen aus der Zeit nach dem Beitritt wir54
In diesem Sinne bereits oben Rn. 61 f. s. Rn. 437–455. 56 Medicus/Lorenz, SchR AT, 19. Aufl. 2010, Rn. 839, 846; Looschelders, SchR AT, 8. Aufl. 2010, Rn. 1198; BGH, 26.01.1989 – III ZR 192/87, BGHZ 106, 313 (319). 57 BGH, 22.09.1969 – VII ZR 116/67, VersR 1969, S. 1039. 58 Looschelders, SchR AT, 8. Aufl. 2010, Rn. 1174. 55
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ken nur nach Maßgabe der §§ 422–425 BGB gegenüber dem Beigetretenen. Ein Urteil zwischen Gläubiger und Altschuldner entfaltet folglich keine Rechtskraft gegenüber dem Neuschuldner (§ 425 II BGB). Etwas anders gilt nur hinsichtlich Einwendungen des Altschuldners, die im Zeitpunkt des Beitritts bereits begründet waren: Da sich die Verpflichtung des Beitretenden nach dem Inhalt der mitübernommenen Schuld richtet, kann der Beitretende dem Gläubiger analog § 417 I BGB alle Einwendungen des Altschuldners entgegenhalten, die im Zeitpunkt des Beitritts begründet waren.59 Wurde einer Schuld beigetreten, die zuvor schon rechtskräftig zuerkannt war, so dass dem Altschuldner durch die Rechtskraft Einwendungen verwehrt sind, kann auch der Beigetretene keine weitergehenden Einwendungen geltend machen.60 Diese Drittwirkung wird als materiellrechtliche Nebenwirkung eingeordnet.61 Die Haftung des neuen Inhabers eines Handelsgeschäfts nach § 25 HGB 321 beurteilt sich wie ein Schuldbeitritt, so dass auch hier entsprechend § 425 II BGB ein Urteil gegen den ehemaligen Inhaber keine Wirkungen zu Lasten des Neuinhabers entfaltet.62 Schließlich ist noch die Schuldübernahme nach §§ 414 ff. BGB zu nen- 322 nen, bei der der Neuschuldner die Verbindlichkeit in der Lage übernimmt, wie sie bei Übernahme bestand. Demgemäß schließt die Rechtskraft eines Urteils über diese Forderung den Neuschuldner mit Einreden aus, die auch der Altschuldner nicht geltend machen konnte. Hier erklärt sich die Drittwirkung des Urteils durch die privatautonome Übernahme der Schuld.63 (2) Gesamtgläubigerschaft und Vertrag zu Gunsten Dritter Auch bei Gesamtgläubigerschaft (§§ 428 ff. BGB) wirkt ein rechtskräfti- 323 ges Urteil zwischen einem Gesamtgläubiger und dem Schuldner nicht gegenüber den anderen Gläubigern, vgl. §§ 425 II i. V. m. 429 III BGB. Von der Gesamtgläubigerschaft unterscheidet sich der Vertrag zu Gunsten Dritter zwar insofern, als der Schuldner hier ausschließlich an den Dritten schuld59
Looschelders, SchR AT, 8. Aufl. 2010, Rn. 1174. BGH NJW BGH, 25.09.1980 – VII ZR 301/79, NJW 1981, S. 47. 61 Schack, NJW 1988, S. 865 (869). 62 BGH, 08.05.1989 – II ZR 237/88, NJW-RR 1989, S. 1055 (1056). In entsprechender Anwendung von § 417 I BGB wirkt ein Urteil, welches noch vor Übernahme des Handelsgeschäfts gegen den Inhaber rechtskräftig wurde, auch gegen den Neuinhaber, vgl. Baumbach/Hopt/Hopt, 34. Aufl. 2010, § 25 HGB Rn. 10. 63 Nach a. A. handelt es sich um eine Rechtskrafterstreckung. Vgl. Rosenberg/ Schwab/Gottwald, ZPR, 16. Aufl. 2004, § 155 II 2 Rn. 17, S. 1080; Bettermann, Vollstreckung, 1948, S. 136. 60
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befreiend leisten kann. Dennoch sind auch hier mehrere Forderungsberechtigte vorhanden, die unabhängig voneinander vom Schuldner dieselbe Leistung verlangen können: einerseits der Dritte (§ 328 I BGB), andererseits der Versprechensempfänger (§ 335 BGB). Insofern ist die Lage mit der Gesamtgläubigerschaft vergleichbar. Wegen der Unabhängigkeit beider Forderungsrechte wirkt ein zwischen Versprechensempfänger und Versprechendem erstrittenes Urteil weder für noch gegen den Dritten.64 (3) Weitere Fälle: § 546 II BGB, § 604 IV BGB, § 124 VVG, Einwendungsdurchgriff und § 9 TVG 324
Ist der Hauptmieter rechtskräftig zur Räumung verurteilt worden, stellt sich die Frage, ob das Räumungsurteil auch gegenüber dem Untermieter wirkt, wenn gegen letzteren der Herausgabeanspruch aus § 546 II BGB durchgesetzt werden soll. Dies wird zum Teil bejaht65, ganz überwiegend aber verneint66. Gleiches gilt für den nach § 604 IV BGB herausgabepflichtigen Unterleiher, dessen Rechtsstellung der des Untermieters strukturell entspricht.67
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§ 124 VVG ordnet Urteilsdrittwirkungen an, wenn Versicherer und Versicherungsnehmer gesamtschuldnerisch haften68: Die Abweisung einer Klage des Geschädigten gegen den Versicherer oder Versicherungsnehmer wirkt auch zu Gunsten des jeweils anderen. Dies verhindert, dass der in Anspruch genommene Versicherer mehr leisten muss („soweit“), als der Geschädigte vom Schädiger verlangen kann.69 Wurde der Anspruch des Dritten gegen den Versicherer rechtskräftig festgestellt, ist dieses auch gegenüber dem Versicherungsnehmer verbindlich, § 124 II VVG. Dies sichert den Regress des Versicherers ab.70 64 BGH, 16.11.1951 – V ZR 17/51, BGHZ 3, 385 unter Heranziehung des Rechtsgedankens von § 425 II BGB. 65 AG Hamburg, 24.04.1992 – 43 b C 1967/91, NJW-RR 1992, S. 1487; Blomeyer, ZZP 75 (1962), S. 1 (26); Bettermann, Vollstreckung, 1948, S. 218 f. 66 BGH, 12.07.2006 – XII ZR 178/03, NZM 2006, S. 699; Blank/Börstinghaus, MietR, 3. Aufl. 2008, § 546 BGB Rn. 49; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, 16. Aufl. 2004, § 155 II 4 Rn. 28; MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 325 ZPO Rn. 74; Musielak/Musielak, 8. Aufl. 2011, § 325 ZPO Rn. 18; MünchKomm/ Bydlinski, 5. Aufl. 2007, § 425 BGB Rn. 30. 67 MünchKomm/Bydlinski, 5. Aufl. 2007, § 425 BGB Rn. 30. 68 Hierzu kommt es, wenn der Geschädigte ausnahmsweise gegen den Versicherer einen Direktanspruch nach § 115 VVG hat, vgl. § 116 VVG. 69 Schimikowski, in: Rüffer/Halbach/Schimikowski (Hrsg.), VVG, 2009, § 124 VVG Rn. 1. 70 Schimikowski, in: Rüffer/Halbach/Schimikowski (Hrsg.), VVG, 2009, § 124 VVG Rn. 3. Der Anspruch hierauf ergibt sich aus § 116 I S. 2 VVG.
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Zeichnet sich der Leasinggeber wirksam von seiner Haftung frei, indem 326 er die gegen den Lieferanten gerichteten Gewährleistungsansprüche an den Leasingnehmer abtritt, hat er ein Urteil im Gewährleistungsprozess bindend hinzunehmen.71 Dabei handelt es sich um eine antizipierte vertragliche Unterwerfung unter die Gerichtsentscheidung. Gem. § 9 TVG erstreckt sich die Rechtskraft einer Entscheidung über 327 Rechtsstreitigkeiten zwischen den Tarifvertragsparteien aus dem Tarifvertrag auch auf Rechtsstreitigkeiten zwischen den tarifgebundenen Parteien sowie zwischen diesen und Dritten. Dies dient der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit über den Inhalt und die Wirksamkeit des Tarifvertrages, die für die Normunterworfenen verbindlich geklärt werden soll.72 (4) Allgemeines Prinzip der Rechtskrafterstreckung kraft zivilrechtlicher Abhängigkeit? Ausgehend davon, dass in mehreren Einzelfällen eine Drittbindung we- 328 gen materiellrechtlicher Abhängigkeit geregelt bzw. anerkannt ist, wurden in der Lit. Ansätze für ein allgemeines Rechtskrafterstreckungsprinzip bei materiellrechtlicher Abhängigkeit entwickelt. Manche glaubten, dass es ein allgemeines Prinzip der „Rechtskrafterstreckung kraft Präjudizialität“ gebe.73 Andere plädierten für eine Rechtskrafterstreckung kraft zivilrechtlicher Abhängigkeit, soweit Parteien nach materiellem Recht Verfügungsbefugnis über die Rechtsposition des Dritten haben.74 Wieder andere wollten die Rechtskrafterstreckung zusätzlich davon abhängig machen, ob sie dem Dritten zumutbar ist.75 Zu nennen ist schließlich auch die Lehre von der „Drittwirkung der Rechtskraft“, wonach der Dritte zwar nicht selbst an das Urteil gebunden ist, aber den Bestand des rechtskräftig ausgeurteilten präjudiziellen Rechtsverhältnisses gegen sich gelten lassen muss.76 All diese Ansätze konnten sich allerdings nicht durchsetzen. 71
BGH, 16.09.1981 – VIII ZR 265/80, BGHZ 81, 298 (305). ErfKomm/Franzen, 11. Aufl. 2011, § 9 TVG Rn. 1. 73 Vgl. etwa Pagenstecher, RheinZ VI (1914), S. 489 (507 ff.) u. Wach, in: Wach/Laband (Hrsg.), Rechtskraftlehre, 1899, S. 16 f., die aber beide von der materiellen Rechtskraftlehre ausgingen: Soweit Parteien durch Rechtsgeschäfte ihre Rechtsverhältnisse gestalten und damit auf die hiervon abhängigen Verhältnisse Dritter einwirken können, müsse ihnen dies auch im Wege der Prozessführung möglich sein. 74 Bettermann, Vollstreckung, 1948, S. 61 ff., insbes. 88 ff., weil Prozessführung mit einer Verfügung nach materiellem Recht zumindest vergleichbar sei. 75 Blomeyer, ZZP 75 (1962), S. 1 (9 f.). 76 Schwab, ZZP 77 (1964), S. 124 (128 ff.); ablehnend jetzt Rosenberg/Schwab/ Gottwald, ZPR, 16. Aufl. 2004, § 155 III Rn. 34 ff. (S. 1082). 72
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Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
d) Rechtskrafterstreckung auf unbestimmte Personengruppe und erga omnes 329
Der Grundsatz der Relativität der Rechtskraft wird am stärksten durchbrochen in Fällen, in denen eine Vielzahl von Dritten durch das Urteil gebunden ist oder sogar eine Wirkung erga omnes greift. Anders als in den zuvor behandelten Fällen der Bindungen gegenüber Dritten ist hier die Anzahl der gebundenen Personen nicht von vornherein abschließend bestimmt. Eine erga omnes-Wirkung kommt insbesondere den rechtsgestaltenden Gerichtsentscheidungen (z. B. Scheidungsbeschlüsse) zu, da die durch sie bewirkte Änderung der Rechtslage von jedem hinzunehmen ist. Da es sich hierbei aber nicht um eine Rechtskraft- bzw. vergleichbare Bindungswirkung handelt, sondern um die Gestaltungswirkung, die später getrennt behandelt wird77, ist an dieser Stelle noch nicht auf die Gestaltungsurteile einzugehen.
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Zu einer Rechtskrafterstreckung auf einen bestimmten Personenkreis kommt es im deutschen Recht insbesondere bei Rechtsverhältnissen zwischen mehreren Personen, die notwendigerweise allen Beteiligten gegenüber einheitlich beurteilt werden müssen. Mit dieser Erwägung rechtfertigt sich etwa die Regelung von § 856 IV, V ZPO für die mehrfache Forderungspfändung: Ein zwischen Drittschuldner und Überweisungsgläubiger ergangenes Urteil über den gepfändeten Anspruch wirkt auch gegenüber den übrigen Gläubigern. Dies gilt uneingeschränkt zu Gunsten der Pfändungsgläubiger. Soll das Urteil auch zu deren Lasten greifen, müssen sie zur mündlichen Verhandlung geladen worden sein, vgl. § 856 V, III ZPO. Ähnlich wirkt auch das Insolvenzfeststellungsurteil gem. § 183 InsO für und gegen alle Insolvenzgläubiger und den Insolvenzverwalter. Schließlich ist die Feststellung der Nichtigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses gem. §§ 249 I S. 1 i. V. m. 248 S. 1 AktG für und gegen alle Aktionäre sowie die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats verbindlich. Ähnliches gilt für die Rechtskraft des Feststellungsurteils nach § 252 I AktG. In diesen Fällen geht es um körperschaftsrechtliche Fragen, die notwendigerweise gegenüber allen Beteiligten einheitlich beurteilt werden müssen.78
331
Eine Rechtskrafterstreckung erga omnes regelt des Weiteren § 184 II FamFG für Beschlüsse in Abstammungssachen. Diese Vorschrift erfasst sowohl feststellende Entscheidungen (etwa Bestehen oder Nichtbestehen eines Eltern-Kind-Verhältnisses) als auch solche mit gestaltendem Inhalt (Anfechtung einer Vaterschaft).79 Grund für die weite subjektive Rechtskraftwir77 78
s. hierzu ausführlicher Rn. 502–507. Calavros, Wirkungen zu Lasten Dritter, 1978, S. 113.
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kung derartiger Beschlüsse ist das öffentliche Interesse.80 Hier geht es nicht lediglich um ein Leistungsbegehren des Klägers, sondern vielmehr um die persönliche Beziehung der Parteien, d.h. um Güter, die nach Art. 6 I GG unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen. Außerdem ist hier wegen des Untersuchungsgrundsatzes (§ 26 FamFG) die Bindung von Dritten eher hinnehmbar. 3. Die Interventions- bzw. Streitverkündungswirkung, §§ 68, 72 ZPO Auch die Interventionswirkung gem. § 68 ZPO geht in subjektiver Hin- 332 sicht über den inter partes-Grundsatz hinaus. Sie entsteht einerseits dadurch, dass ein Dritter freiwillig als Nebenintervenient dem Streit beitritt. Gem. § 66 I ZPO kann er dies dann, wenn er am Obsiegen der von ihm unterstützten Partei ein rechtliches Interesse hat, was etwa in Fällen gegeben ist, in denen die Entscheidung des Rechtsstreits für die Rechtsbeziehung des Dritten zu einer der Parteien vorgreiflich ist.81 Die Interventionswirkung greift andererseits auch gegenüber solchen Drit- 333 ten, denen eine der Parteien den Streit verkündet hatte, und zwar selbst dann, wenn diese untätig geblieben und dem Prozess ferngeblieben sind, vgl. § 74 III ZPO. Eine Streitverkündung ist gem. § 72 ZPO möglich, wenn der Verkünder im Fall eines ungünstigen Prozessausgangs Ansprüche aus Gewährleistung oder Schadloshaltung gegen den Dritten zu haben glaubt oder solche Ansprüche von diesem befürchtet. Über den Wortlaut hinaus kann von dieser Möglichkeit auch dann Gebrauch gemacht werden, wenn von alternativen Ansprüchen im materiellen Recht zumindest einer besteht. Zu einer solchen alternativen Schuldnerschaft kann es dadurch kommen, dass das Vorliegen oder Ausscheiden eines Tatbestandsmerkmals zugleich die Haftung des einen begründet und die eines anderen ausschließt.82 Die Streitverkündung ist ein prozessuales Institut, welches ausschließlich der Verwirklichung des materiellen Rechts dient. Sie ist das Spiegelbild der materiellrechtlichen Gewährleistungs-, Schadloshaltungs- und Alternativansprüche.83 Durch sie wird verhindert, dass eine Partei dadurch „zwischen 79
Bumiller/Harders, FamFG, 10. Aufl. 2011, § 184 FamFG Rn. 3. Auch abweisende Urteile in Abstammungssachen entfalten Rechtskraft, vgl. BGH, 30.10.2002 – XII ZR 345/00, NJW 2003, S. 585. 80 Calavros, Wirkungen zu Lasten Dritter, 1978, S. 117 für Statussachen allgemein. 81 Meier, Grenzüberschreitende Drittbeteiligung, 1994, S. 17. 82 Bsp. BGH, 09.10.1975 – VII ZR 130/73, BGHZ 65, 127: Bei einem Hausbau entstand ein Schaden, der von einem der beiden unabhängig voneinander tätigen Baufirmen verursacht worden sein muss.
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zwei Stühlen sitzen bleibt“, dass zwei Prozesse nacheinander durchgeführt werden, in denen jeweils nur eine relative Wahrheit ermittelt werden kann. 334
Die Streitverkündungs- bzw. Interventionswirkung unterscheidet sich von der Rechtskraft und bindet das Gericht im Folgeprozess an die tatsächlichen Feststellungen und deren rechtliche Würdigung im Urteil des Vorprozesses.84 Sie greift nur zwischen dem Intervenienten und der unterstützten Hauptpartei bzw. zwischen dem Streitverkündungsempfänger und der streitverkündenden Hauptpartei.85 In objektiver Hinsicht erfasst sie gem. § 68 1. Hs. ZPO die „Richtigkeit“ der Entscheidung. Hierzu gehören nicht nur die im Urteilstenor angegebene Rechtsfolge, sondern auch alle anderen Urteilselemente, soweit sie für den Entscheidungsausgang erheblich waren.86 Die Streitverkündungs- bzw. Interventionswirkung kann ganz oder teilweise mit der Einrede abgewehrt werden, der Vorprozess sei von der Hauptpartei mangelhaft geführt worden, vgl. § 68 2. Hs. ZPO.
335
Eine weitere Möglichkeit, einen bislang unbeteiligten Dritten in ein laufendes Verfahren einzubeziehen, bietet die Widerklage gegen Dritte, die in der Rechtsprechung des BGH auf zunehmende Akzeptanz stößt: Ursprünglich war die parteierweiternde Widerklage nur zulässig, wenn sie gleichzeitig gegen den Kläger erhoben wurde. Außerdem musste zwischen Drittbeklagtem und Kläger eine Streitgenossenschaft i. S. v. §§ 59, 60 ZPO bestehen und war erforderlich, dass die Voraussetzungen einer Klageänderung (§§ 263, 267 ZPO) erfüllt waren.87 Zwischenzeitlich hält der BGH ausnahmsweise auch eine isolierte Drittwiderklage für zulässig, wenn Klage und Drittwiderklage tatsächlich und rechtlich eng miteinander verknüpft sind und der Gegenstand der Drittwiderklage im Prozess ohnehin geprüft worden wäre.88 Seit Neuestem wird die (isolierte) Drittwiderklage sogar dadurch begünstigt, dass der Bundesgerichtshof auf sie auch den besonderen 83
Meier, in: Schlosser (Hrsg.), Int. ZwVollstr., 1992, S. 1 (67). MünchKomm/Schultes, 3. Aufl. 2008, § 68 ZPO Rn. 6. 85 MünchKomm/Schultes, 3. Aufl. 2008, § 68 ZPO Rn. 7. Umstritten ist, ob sie nur zum Nachteil des Dritten greift oder auch zu seinen Gunsten, vgl. a. a. O., § 68 ZPO Rn. 9–13. 86 OLG Hamm, 20.11.1995 – 18 U 39/95, NJW-RR 1996, S. 1506; BGH, 14.11.1991 – I ZR 136/89, BGHZ 116, 95 (102). 87 BGH, 17.10.1963 – II ZR 77/61, BGHZ 40, 185 (187 ff.); BGH, 12.12.1995 – VII ZR 209/94, BGHZ 131, 76 (79 f.); BGH, 28.02.1991 – I ARZ 711/90, NJW 1991, S. 2838. 88 BGH, 05.04.2001 – VII ZR 135/00, BGHZ 147, 220 (222 ff.) (Der Beklagte erklärte gegenüber dem Kläger die Aufrechnung und machte die Gegenforderung – weil sie die Hauptforderung überstieg – gleichzeitig gegen den Zedenten der Klageforderung drittwiderklagend geltend); BGH, 13.03.2007 – VI ZR 129/06, NJW 2007, S. 1753 (Die abgetretene Klageforderung und die mit der Drittwiderklage geltend gemachte Forderung resultierten aus einem einheitlichen Schadensereignis); 84
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Gerichtsstand des § 33 ZPO analog anwendet.89 Die Drittwiderklage kann also auch dann erhoben werden, wenn das Prozessgericht für eine Klage gegen den Dritten örtlich nach den §§ 12 ff. ZPO gar nicht zuständig wäre. Die Drittwiderklage ist die einzige „Drittbeteiligungsform“ des deutschen Rechts, die zu einer direkten Verurteilung des Dritten führen kann.90 II. Die subjektive Reichweite der Bindungswirkungen im englischen Recht Nach der englischen doctrine of privity greift die Rechtskraft grundsätz- 336 lich nur relativ zwischen den Parteien des Vorprozesses (parties) [1.], erfasst ausnahmsweise aber auch einige als privies bezeichnete Dritte [2.].91 Drittbindungen können außerdem auch durch Prozesshandlung erzeugt werden [3.]. Bei der Bestimmung der subjektiven Reichweite der Rechtskraft hat die aus dem Grundsatz der Waffengleichheit abgeleitete doctrine of mutuality Bedeutung. Nach dieser kann die Rechtskraft einer Gerichtsentscheidung ausschließlich denjenigen zugute kommen, die auch den Bindungswirkungen der Entscheidung unterliegen.92 Es gibt also grundsätzlich keine einseitige Wirkung nur zu Gunsten oder nur zum Nachteil von Partei oder Drittem. Für sog. judgments in rem greift eine Sonderregel: Sie wirken erga omnes [4.]. 1. Grundsätzliches Erfordernis der Parteiidentität im Vor- und Folgeprozess Zu den Parteien des Vorprozesses gehören einerseits diejenigen, die tat- 337 sächlich selbst oder durch Vertreter an diesem beteiligt waren [a)]. Andererseits werden auch sog. represented und deemed parties zum Kreis der Verfahrensbeteiligten gezählt [b)]. BGH, 13.06.2008 – V ZR 114/07, NJW 2008, S. 2852 (2854 f.) (negative Feststellungsdrittwiderklage gegen den Zedenten der Klageforderung). 89 BGH, 30.09.2010 – Xa ARZ 191/10, NJW 2011, S. 460. Anders noch BGH, 28.02.1991 – I ARZ 711/90, NJW 1991, S. 2838. 90 Meier, Grenzüberschreitende Drittbeteiligung, 1994, S. 19 f. 91 High Court King’s Bench Division, 15.02.1939 – Townsend v. Bishop [1939] 1 K.B. 805; Kennett, Enforcement in Europe, 2000, Rn. 3.04. 92 House of Lords, 19.11.1981 – Hunter v. Chief Constable of the West Midlands Police and others [1982] A.C. 529; Court of Appeal (Civil Division), 17.01.1980 – McIlkenny v. Chief Constable of West Midlands Police Force and another [1980] 2 All ER 227, 235F (Lord Denning MR): „The doctrine of mutuality says that, in order that there should be an estoppel, it must be such that both of the two parties and their privies must be bound by the estoppel, whichever way it goes. Win or lose, each party must be bound. It is said that, in any contest, that is the only fair thing.“
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a) Die Verfahrensführer und ihre Vertreter im englischen Recht 338
Die formellen Verfahrensparteien (parties) sind in späteren Prozessen nur insoweit an eine Entscheidung gebunden, wie es darin um dieselbe bereits judizierte Rechtsposition geht. Klagt hingegen ein Unfallgeschädigter zunächst seinen persönlichen Schaden ein, hindert ihn die Rechtskraft nicht daran, später als Vertreter seiner Tochter deren Ansprüche geltend zu machen.93 Bei Streitgenossen auf der Beklagtenseite kann die Entscheidung auch einen issue estoppel zwischen den in Anspruch Genommenen auslösen.94
339
Auch das englische Recht kennt die Prozessvertretung, Kläger und Beklagter müssen also nicht notwendig selbst als Verfahrensführer auftreten. So werden etwa Minderjährige und geistig nicht zurechnungsfähige Parteien (protected parties) durch einen prozessualen Stellvertreter (litigation friend) vertreten.95 Auch eine gewillkürte Stellvertretung vor Gericht ist möglich, wobei – wie in den Fällen gesetzlich vorgeschriebener Repräsentation – das Urteil nur für und gegen die vertretene Partei wirkt.96
340
Der englische Prozess ist darauf ausgerichtet, möglichst alle von einem Verfahren Betroffenen einzubinden. So kann etwa das Gericht von sich aus Außenstehende als zusätzliche Verfahrensbeteiligte hinzuziehen, wenn dies für die Streitentscheidung förderlich ist.97 Außerdem kann der Beklagte in einem bestehenden Verfahren von sich aus gegen verfahrensunbeteiligte Dritte einen sog. additional claim erheben und sie dadurch in das Verfahren hineinziehen. Diese third party proceedings sind in Teil 20 der CPR geregelt und werden daher auch Part 20 claims genannt. 93 Court of Appeal (Civil Division), 27.01.1939 – Marginson v. Blackburn Borough Council [1939] All ER 273; zust. High Court Chancery Division, 17.01.1977 – Gleeson v. J. Wippell & Co. Ltd. [1977] 1 W.L.R. 510, 514. 94 High Court Queen’s Bench Division, 09.11.1989 – North West Water Ltd v. Binnie ua Partners [1990] 3 All ER 547. Bspw. Court of Appeal (Civil Division), 12.03.1993 – Talbot v. Berkshire County Council [1994] Q.B. 290: Ein Verkehrsunfallopfer klagte zugleich gegen den Fahrer des unfallverursachenden Kfz und die für den Zustand der Straße verantwortliche Behörde. Die gerichtlich festgelegte Verantwortungsquote von 2/3 zu 1/3 stand zukünftig zwischen den Beklagten rechtskräftig fest. 95 Vgl. r. 21.2 CPR. Die Bestellung des litigation friend ist im Einzelnen geregelt im r. 21.4–9 CPR. 96 Baumgarten, Prozessführungsbefugnis, 2001, S. 222–224. 97 Vgl. r. 19.2 CPR: „The court may order a person to be added as a new party, if (a) it is desirable to add the new party so that the court can resolve all the matters in dispute in the proceedings; or (b) there is an issue involving the new party and an existing party which is connected to the matters in dispute in the proceedings, and it is desirable to add the new party so that the court can resolve the issue.“
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Third party proceedings sollen verhindern, dass in getrennten Verfahren widersprüchliche Entscheidungen ergehen.98 Die hierfür gem. r. 20.5 (1) CPR erforderliche gerichtliche Genehmigung kann schon dann erteilt werden, wenn der gegen den Dritten geltend gemachte Anspruch mit der prinzipalen Forderung in Verbindung steht.99 R. 20.6 (1) CPR nennt die Konstellation, dass der Erstbeklagte gegen den Dritten einen Anspruch auf Schadloshaltung (claim for indemnity) oder aus einem Haftungsbeitrag (claim for contribution) geltend machen will. Ein third party claim ist außerdem schon möglich, wenn der ursprüngliche Klageanspruch und die gegen den Dritten gerichtete Forderung ähnlich sind und aus denselben Fakten resultieren.100 Auch die hinzugezogene Partei kann ihrerseits gegen weitere Beklagte ein third party proceeding anstrengen.101 b) Erweiterung des Parteibegriffs durch Anerkennung von deemed parties und represented parties Zu den von der Rechtskraft gebundenen Parteien werden auch die deem- 341 ed parties gerechnet. Hierunter fallen generell all diejenigen, über deren eigene Rechtsposition bereits im Vorverfahren entschieden wurde. Ihnen gegenüber greift die Rechtskraft dann, wenn sie als Intervenient in das Verfahren eingetreten sind und damit Prozessbeteiligte wurden.102 Ggf. reicht es auch schon aus, wenn sie die Möglichkeit hierzu gehabt hätten, diese aber nicht nutzten.103 Zur Kategorie der deemed parties gehören ferner diejenigen, deren Rechte im Vorprozess durch Rechtsfremde geltend gemacht wurden. Diese an die deutsche Prozessstandschaft erinnernde Konstellation 98
O’Hare/Hill, Civil Litigation, 8. Aufl. 1997, S. 320. O’Hare/Browne, Civil Litigation, 13. Aufl. 2007, Rn. 18.003. Bspw. High Court Chancery Division, 14.02.1967 – Standard Securities v. Hubbard, Telesurance [1967] Ch. 1056: Wird der Veräußerer eines Grundstücksrechts auf Vertragserfüllung in Anspruch genommen, kann er Drittwiderklage gegen denjenigen erheben, der ihm Verschaffung des eingeklagten Grundstücksrechts schuldet. Ausreichend ist sogar, wenn die Ansprüche ähnlich sind und sich aus ähnlichen Umständen ergeben, High Court Chancery Division, 20.06.1973 – Myers v. Sherick (N&J) [1974] 1 W.L.R. 31. 100 Bspw. O’Hare/Hill, Civil Litigation, 8. Aufl. 1997, S. 321: Wird etwa nach einem Verkehrsunfall der Fahrer vom Unfallopfer in Anspruch genommen, kann dieser gleichzeitig gegen den Verkäufer des Kfz klagen, um die Ursächlichkeit eines Fahrzeugfehlers geltend zu machen. 101 O’Hare/Browne, Civil Litigation, 13. Aufl. 2007, Rn. 18.006; O’Hare/Hill, Civil Litigation, 8. Aufl. 1997, S. 320. 102 Court of Appeal (Civil Division), 24.10.1980 – Tebbutt v. Haynes and another [1981] 2 All ER 238. 103 Court of Appeal (Civil Division), 11.04.1990 – House of Spring Gardens Ltd. v. Waite and others [1991] 1 Q.B. 241. 99
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Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
kommt im englischen Recht allerdings nur ausnahmsweise vor. Die nach common law bestehenden legal rights können nämlich ausschließlich vom Rechtsinhaber selbst geltend gemacht werden.104 Insoweit gestattet also das englische Recht eine Prozessstandschaft nicht. 342
Etwas anderes gilt aber für die sog. equitable interests, die nicht immer vom Inhaber selbst gerichtlich durchgesetzt werden können. Zum Verständnis muss hier kurz ausgeholt werden: Das Recht der equity hat in der englischen Rechtsordnung vor allem in zwei Formen Ergänzungsfunktion105: Einerseits können nach ihm Rechtsbindungen bestehen, wo im common law ein Entstehungstatbestand nicht erfüllt ist. Andererseits können equitable rights das Gefüge der nach common law zustehenden legal rights dergestalt überlagern, dass der Inhaber eines legal title an einem Gegenstand oder einer Forderung im Innenverhältnis gegenüber Dritten zur Verwaltung oder Rechtsausübung in bestimmter Weise verpflichtet ist. Der Dritte ist dann in equity berechtigt. Beispiel hierfür und zugleich wichtigste von der equity herausgebildete Rechtsfigur ist der trust. Bei diesem erlangt eine Person (Treuhänder, trustee) Vermögenswerte als legal title, unterliegt aber gleichzeitig der Verpflichtung, diese oder daraus erwachsende Vorteile anderen Personen (Begünstigter, beneficiary) zuzuwenden.106
343
Zurück zur Frage der gerichtlichen Geltendmachung von equitable interests: Die in equity Berechtigten können ihre Rechtsposition jedenfalls gegen den in equity Verpflichteten einklagen.107 So kann etwa der beneficiary die ihm vom Begründer des trust zugedachte Rente oder die vorgesehene Auflösung und Verteilung des trust-Vermögens vor Gericht vom trustee verlangen.108 Wird jedoch ein equitable interest durch Dritte beeinträchtigt, so obliegt es primär dem Inhaber des legal title, aus dieser ihm eigenen Rechtsposition at law gegen den Schuldner oder Störer vorzugehen und damit auch die am Gegenstand bestehenden equitable interests des in-equityBerechtigten wahrzunehmen.109 Für den trust bedeutet dies, dass grundsätzlich nur der trustee im eigenen Namen die Interessen des beneficiary geltend machen kann.110 Insofern übernimmt die Figur des trust hier also die 104
Baumgarten, Prozessführungsbefugnis, 2001, S. 174. Bei Mitberechtigung an legal rights ist gem. r. 19.3 (1) CPR grundsätzlich gemeinsame Prozessführung durch alle Mitberechtigen erforderlich. Das Gericht kann aber auch einem Einzelnen die Klage gestatten, vgl. r. 19.3 (1) a. E. (2) a. E. CPR. 105 Henrich/Huber, Englisches Privatrecht, 3. Aufl. 2003, S. 37–44. 106 Halsbury’s Laws of England, Vol. 48, para. 501. 107 Baumgarten, Prozessführungsbefugnis, 2001, S. 190. 108 Halsbury’s Laws of England, Vol. 48, para. 935 ff. 109 Baumgarten, Prozessführungsbefugnis, 2001, S. 191. 110 Jetzt ausdrücklich in r. 19.7A (1) CPR. So aber auch schon zuvor, vgl. High Court Chancery Division, 06.12.1967 – Pople v. Evans [1969] 2 Ch. 255, 261D-G
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Funktion der Prozessstandschaft.111 Das vom trustee erstrittene Urteil bindet schon deswegen den beneficiary, weil dessen Rechtsposition in equity am trust-Vermögen dem Bestand des legal right in der Person des trustee folgt.112 Schließlich ist auf die Erscheinung der sog. representative parties ein- 344 zugehen: Die r. 19.6–19.8 CPR regeln Fälle, in denen Außenstehende durch eine der Parteien repräsentiert werden, so dass das Urteil auch gegenüber diesen wirkt. In erster Linie gilt dies bei den sog. representative actions, mit denen in komplexen Streitigkeiten ein Musterfall bis zur Rechtskraft durchentschieden wird, während alle anderen Verfahren mit ähnlichem Streitgegenstand ausgesetzt werden, vgl. r. 19.6 (1) CPR. Die Zulassung einer representative action setzt voraus, dass es den mehreren Personen um dieselbe Rechtsposition geht (same interest).113 Die Rechtskraft des Urteils bindet dann alle übrigen Betroffenen.114 Von dieser representative action ist die sog. Group Litigation Order (GLO) i. S. v. r. 19.11 CPR zu unterscheiden. Mit dieser können mehrere bereits erhobene Klagen zur Entscheidung über gemeinsame Rechts- und Tatsachenfragen zusammengefasst werden. 2. Erweiterung der Rechtskraftwirkungen auf Dritte in privity Allgemein sind im englischen Recht auch all diejenigen Dritten an eine 345 Entscheidung gebunden, die sog. privies of blood, title or interest einer der Parteien sind.115 Von den zuvor behandelten deemed parties unterscheiden sich die privies dadurch, dass nicht deren eigene Rechtsposition Gegenstand des Vorprozesses war, sondern ein für sie fremdes Recht, von dem lediglich ihre eigene Stellung abhängt bzw. anderweitig mit diesem in Verbindung steht.116 Unter privity in blood und in title sind einige Fallgestaltungen der Rechtskrafterstreckung fest etabliert [a)], während die Figur der (per Ungoed-Thomas J). Etwas andere kann aber dann gelten, wenn der trustee untätig bleibt und dem Anschein nach die Interessen des trust-Begünstigten bewusst missachtet. Dann kann der beneficiary zur Klage im eigenen Namen gerichtlich ermächtigt werden. Vgl. High Court Chancery Division, 15.11.1876 – Yeatman v. Yeatman (1877–78) L.R. 7 Ch.D. 210; Court of Appeal (Civil Division), 03.07.1871 – Touche v. Metropolitan Railway Warehousing (1870–71) L.R. 6 Ch.App. 671. 111 Spellenberg, ZZP 106 (1993), S. 283 (287). 112 Vgl. r. 19.7A (2) CPR; Baumgarten, Prozessführungsbefugnis, 2001, S. 217. 113 O’Hare/Hill, Civil Litigation, 8. Aufl. 1997, S. 104. 114 O’Hare/Hill, Civil Litigation, 8. Aufl. 1997, S. 105. Vgl. r. 19.6 (4) CPR: „binding on all persons respresented in the claim“. 115 House of Lords, 18.05.1966 – Carl Zeiss Stiftung v. Rayner & Keeler Ltd. and others [1967] 1 A.C. 853, 910G (per Lord Reid); „privy“ könnte man wörtlich etwa mit „Eingeweihter“ übersetzen. 116 Kennett, Enforcement in Europe, 2000, Rn. 3.18.
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privity in interest generalklauselartig weit ist und verschiedene Konstellationen erfassen kann [b)]. a) Die privies in blood und title 346
Privies in blood sind die Erben einer Partei.117 Sämtliche andere Fälle der Gesamt- und Einzelrechtsnachfolge werden unter den privies in title zusammengefasst.118 Hierzu gehören etwa die gesellschaftsrechtliche Fusion119, die Abtretung120 und der Übergang von Grundstücksrechten (dann spricht man auch von privies in estate)121. Aber auch der Insolvenzverwalter (liquidator) ist privy in title des insolventen Unternehmens.122 Über die Rechtsnachfolger hinaus ist auch der Mieter (tenant) privy in estate des Vermieters (landlord), gegenüber dem hinsichtlich der Mietsache ein Urteil ergangen ist.123 Bei Rechtsnachfolge greift eine Rechtskrafterstreckung grundsätzlich nur dann, wenn die Nachfolge erst nach Entscheidungserlass eingetreten ist.124
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Auch in Fällen der Gesamtschuld (joint and several liability) gibt es eine Rechtskrafterstreckung: Wird im Prozess gegen einen der Schuldner der Bestand der Verbindlichkeit verneint, gilt dies auch in einem nachfolgenden Verfahren gegen die übrigen Mithaftenden zu deren Gunsten.125 Für Fälle gesamtschuldnerischer Schadenshaftung ist dieser Grundsatz nun in s. 1 (5) 117 House of Lords, 27.02.1880 – Dundas v. Waddell (1879–80) L.R. 5 App. Cas. 249. 118 Halsbury’s Laws of England, Vol. 16 (2), para. 999. 119 Vgl. Court of Appeal (Civil Division), 17.05.1971 – Mercer Alloys Corporation and another v. Rolls Royce Ltd. [1972] 1 All ER 211, wo noch vor Vorliegen des Titels Rechtsnachfolge eingetreten war. Der Titel kann nachträglich entsprechend umgeschrieben werden. 120 Court of Appeal (Civil Division), 17.05.1971 – Mercer Alloys Corporation and another v. Rolls Royce Ltd. [1972] 1 All ER 211. 121 Crown Court, 1852 – Regina v. Robert Baugh Blakemore (1852) 2 Den.C.C. 410. 122 Court of Appeal (Civil Division), 04.11.1894 – Rs South American and Mexican Co Ex p. Bank of England [1895] 1 Ch. 37. 123 Halsbury’s Laws of England, Vol. 16 (2), para. 999. 124 Court of Appeal (Civil Division), 07.05.2004 – Wiltshire v. Powell and others [2004] EWCA Civ. 534, para. 18 (per Latham LJ). Nach Handley, Res Judicata, 3. Aufl. 1996, Rn. 231 (S. 121) und Court of Appeal (Civil Division), 21.01.2008 – Kolden Holding Ltd. v. Rodette Commerce Ltd. and anoter [2008] EWCA Civ. 10, para. 87–92 reicht schon aus, wenn nach commencement of the proceedings Rechtsnachfolge eingetreten ist. Geht nach Einleitung des Verfahrens der geltend gemachte Anspruch oder die Haftung des Beklagten auf einen Dritten über, kann das Gericht gem. r. 19.2 (4) CPR den Austausch einer Partei durch einen Dritten anordnen. 125 Court of Exchequer, 11.11.1863 – Phillips v. Ward and Others (1863) 2 H & C 717.
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Civil Liability (Contribution) Act 1978 festgelegt. Umgekehrt stellt dieses Gesetz in s. 3 klar, dass es eine Rechtskrafterstreckung zum Nachteil anderer Gesamtschuldner nicht gibt. Dies entspricht dem allgemeinen Grundsatz, dass niemand an die Ergebnisse fremder Prozessführung gebunden ist. Dass demgegenüber zu Gunsten der übrigen Gesamtschuldner – wie zuvor dargestellt – eine Rechtskraftwirkung greift, ist also eine Durchbrechung der doctrine of mutuality126. Sie war erforderlich, weil nur durch eine Wirkung zum Vorteil der anderen Haftenden vermieden wird, dass dem zunächst – erfolglos – in Anspruch genommenen Schuldner sein Prozesserfolg über die Rückgriffsmöglichkeit zwischen den Gesamtschuldnern wieder genommen wird127: Der Gesamtschuldner, der sich zunächst erfolgreich gegen eine Haftung verteidigt hatte, müsste letztlich doch zahlen, wenn der Gläubiger gegen einen anderen Schuldner eine Verurteilung zur Zahlung erwirkt hat. Die Vorschriften des Civil Liability (Contribution) Act 1978 einschließlich der Rechtskraftregelungen werden nach h. M. in England heute auf alle Fälle der Gesamtschuld angewendet.128 Dass ferner der Haftpflichtversicherer ein Urteil gegen den Versicherten 348 über dessen Haftung auch gegen sich gelten lassen muss, wird allerdings nicht auf die res judicata-Wirkung zurückgeführt, sondern auf den entsprechend ausgelegten Versicherungsvertrag, in dem sich der Versicherer dazu verpflichtet hat, das fremde Urteil anzuerkennen.129 b) Die privies in interest Privies in interest sind allgemein diejenigen, die am Ausgang des fremden 349 Rechtsstreits ein persönliches Interesse haben und mit einer der Parteien in einem bestimmten Näheverhältnis stehen.130 Dass unter diesen Voraussetzungen eine Rechtskrafterstreckung greift, rechtfertigt sich einerseits dadurch, dass das englische Prozessrecht grundsätzlich jedem erlaubt, in einen fremden Rechtsstreit einzutreten.131 Andererseits kann die Bindung eines 126
s. zu dieser Rn. 336. Phipson/Whale, 16. Aufl. 2005, Rn. 44–28, S. 1(1) Civil Liability (Contribution) Act 1978 sieht eine entsprechende Rückgriffsklage (contribution) des in Anspruch Genommenen vor. 128 Vgl. m. w. N. Ellrich, Sicherungsrechte, 2009, S. 141 f. 129 Handley, Res Judicata, 3. Aufl. 1996, Rn. 225. 130 Kennett, Enforcement in Europe, 2000, Rn. 322; House of Lords, 18.05.1966 – Carl Zeiss Stiftung v. Rayner & Keeler Ltd. and others [1967] 1 A.C. 853, 910G-911C (per Lord Reid): Lord Reid nennt beispielhaft den Fall, dass die im Vorprozess unterlegene Seite einen Dritten beauftragt, das eingeklagte Recht der Gegenseite zu verletzen und damit einen Folgeprozess über dieselbe Rechtsposition anzuzetteln. Dann müsse das Ersturteil auch dem Dritten gegenüber gelten. 127
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Dritten deshalb angemessen sein, weil dieser über eine der Parteien den Ausgang der Entscheidung hätte beeinflussen können.132 Wann ein Dritter privy in interest ist und ihm daraus eine Interventions- bzw. Einflussnahmeobliegenheit erwächst, wird nicht nach starren Voraussetzungen geprüft. Denn die Gerichte genießen aufgrund ihrer inherent jurisdiction to prevent abuse of process einen weiten Ermessensspielraum für die Anordnung einer Rechtskrafterstreckung im Einzelfall.133 350 Grundlegende Aussagen zum Begriff der privity of interest traf 1977 Sir Megarry VC.134 Er entschied, dass irgendein Interesse am Ausgang des Rechtsstreits jedenfalls noch keine privity begründet.135 Sie liegt selbst dann noch nicht vor, wenn sich der Dritte gegenüber einer Partei zur Schadloshaltung verpflichtet hat.136 Genauso wenig reicht es, wenn der Dritte eine Partei bei der Prozessführung finanziell unterstützt hat.137 Vielmehr sind nach Megarry VC nur solche Dritte privies in interest, die mit einer der Parteien einen „hinreichenden Grad“ an Identität haben, der ihnen gegenüber eine Rechtskraftbindung gerecht erscheinen lässt.138 Auch wenn diese Formel einen Zirkelschluss enthält, wurde sie vom House of Lords 131 Courts of Probate and Divorce, 30.05.1871 – Wytcherley v. Andrews (1869–72) L.R. 2 P. & D. 327, 328. Der Dritte muss seine Zulassung zum Rechtsstreit beantragen, r. 19.4(2)(b) CPR. 132 High Court Chancery Division, 17.01.1977 – Gleeson v. J. Wippell & Co. Ltd. [1977] 1 W.L.R. 510, 516 (per Sir Megarry VC): „He [der Dritte, d. Verf.] ought not to be concluded by failure of the defence and evidence adduced by another defendant in other proceedings unless his standing in those proceedings justifies the conclusion that a decision against the defendant in them ought fairly and truly to be said to be in substance a decision against him“. 133 Zuckerman, Civil Procedure, 2. Aufl. 2006, Rn. 24.51. 134 High Court Chancery Division, 17.01.1977 – Gleeson v. J. Wippell & Co. Ltd. [1977] 1 W.L.R. 510, 515. 135 High Court Chancery Division, 17.01.1977 – Gleeson v. J. Wippell & Co. Ltd. [1977] 1 W.L.R. 510, 515 (per Sir Megarry VC): „I do not think that in the phrase ‚privity of interest‘ the word ‚interest‘ can be used in the sense of mere curiosity or concern.“ 136 High Court Chancery Division, 17.01.1977 – Gleeson v. J. Wippell & Co. Ltd. [1977] 1 W.L.R. 510, 515 (per Sir Megarry VC): „an agreement to indemnify creates no privity“. 137 Kennett, Enforcement in Europe, 2000, Rn. 3.22. 138 High Court Chancery Division, 17.01.1977 – Gleeson v. J. Wippell & Co. Ltd. [1977] 1 W.L.R. 510, 515 (per Sir Megarry VC): Dritte sind grundsätzlich nicht gebunden, „unless there is a sufficient degree of identity between the successful defendant and the third party“ (Herv. v. Verf.). Megarry VC führt weiter aus: „I do not say that one must be the alter ego of the other: but it does seem to me that, having due regard to the subject-matter of the dispute, there must be a sufficient degree of identification between the two to make it just to hold that the decision to which one was party should be binding in proceedings to which the other is party. It is in that sense that I would regard the phrase ‚privity of interest‘“.
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bestätigt und wird seitdem stets in der Rspr. herangezogen.139 Ihre Voraussetzungen sind jedenfalls dann erfüllt, wenn der Außenstehende vom Prozess wusste und ihm eine Streitintervention möglich gewesen wäre.140 Eine Rechtskrafterstreckung kann auch deswegen greifen, weil das Gericht dem Dritten erlaubt hatte, durch Stellungnahmen am Verfahren mitzuwirken.141 Außerdem wurde privity of interest etwa in einem Fall angenommen, in 351 dem der Geschädigte erfolgreich drei Urheberrechtsverletzer gemeinsam verklagt hatte. Lediglich zwei von diesen betrieben daraufhin – erfolglos – die Aufhebung des Urteils wegen Prozessbetrugs. Als der Dritte in einem weiteren Verfahren seinerseits die Umstände für Prozessbetrug vortragen wollte, hielt ihn das Gericht für estopped, weil er vom Vorprozess Kenntnis hatte und sich gleichermaßen an ihm hätte beteiligen können.142 In einem anderen Fall hatte eine Partei erfolglos ein Recht an einem Grundstück gerichtlich geltend gemacht, wobei der Dritte von dem Prozess wusste und die Prozessführung durch Bereitstellung von Beweismaterialien unterstützte. Dies genügte für eine Rechtskraftbindung, die ihn daran hinderte, in einem späteren Verfahren dasselbe Grundstücksrecht gegen die im Vorprozess erfolgreiche Partei geltend zu machen.143 Wurde in einer Nachlassstreitigkeit (probate case) entschieden, dass ein Testament wirksam ist, kann keiner, dem die Unwirksamkeit zugute käme und der von dem Verfahren Kenntnis hatte, im Nachhinein auf eigene Faust die Wirksamkeit der letztwilligen Verfügung gerichtlich anfechten.144 Im Recht der Bürgschaft (suretyship bzw. contract of guarantee) gilt der 352 Grundsatz, dass ein Urteil, welches zwischen Hauptschuldner und Gläubiger 139
House of Lords, 14.12.2000 – Johnson v. Gore Wood & Co [2002] 2 A.C. 1, 32 E-G (per Lord Bingham of Cornhill); Court of Appeal (Civil Division), 07.05.2004 – Wiltshire v. Powell and others [2004] EWCA Civ. 534, para. 13; High Court Chancery Division, 11.03.2009 – Dean & Dean v. Angel Airlines SA and another [2009] EWHC 447 (Ch), para. 97–99; Court of Appeal (Civil Division), 28.11.2007 – Aldi Stores Ltd. v. WSP Group plc and others [2007] EWCA Civ. 1260, para. 8–11. 140 Zuckerman, Civil Procedure, 2. Aufl. 2006, Rn. 24.70; High Court King’s Bench Division, 1789 – Duffield v. Scott (1789) 3 Term Rep. 374: Der Bürge ist an das Urteil gegen den Hauptschuldner gebunden, wenn der Bürge vom Hauptschuldner aufgefordert wurde, diesen im Hauptschuldprozess zu unterstützen, dies aber abgelehnt hatte. 141 Court of Appeal (Civil Division), 24.10.1980 – Tebbutt v. Haynes and another [1981] 2 All ER 238. 142 Court of Appeal (Civil Division), 11.04.1990 – House of Spring Gardens Ltd. v. Waite and others [1991] 1 Q.B. 241. 143 Judicial Committee of the Privy Council, 06.11.1957 – Nan Ofori Atta II. v. Nana Abu Bonsra II. [1958] A.C. 95. 144 Court of Appeal (Civil Division), 25.01.1964 – Re Langton [1964] 1 All ER 749.
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über den Bestand der Hauptschuld erstritten wurde, keinerlei Bindungswirkung gegenüber dem Bürgen entfaltet, sobald dieser in einem nachfolgenden Prozess auf Zahlung in Anspruch genommen wird.145 Entsprechend der doctrine of mutuality gilt dies weder zu Gunsten noch zu Lasten des Bürgen. Auch im englischen Bürgschaftsrecht können Gläubiger und Hauptschuldner nicht das Haftungsrisiko des Bürgen nachträglich vergrößern.146 Eine Bindungswirkung des Hauptschuldurteils gegenüber dem Bürgen wurde ausnahmsweise nur in einem Fall anerkannt, in dem der Hauptschuldner zuvor den Bürgen aufgefordert hatte, ihn in seinem Prozess zu unterstützen, letzterer dies aber ablehnte.147 353
Privy in interest kann auch eine natürliche Person sein, die als Geschäftsführer und Hauptanteilseigner hinter einer Körperschaft steht: Erstere kann einen eigenen Anspruch gegen den Beklagten, den letztere bereits gerichtlich verfolgt hatte, nicht mehr geltend machen. Voraussetzung hierfür ist eine wesentliche Identität des Sachverhaltes, aus dem sich die Ansprüche ergeben.148 Auch zwischen Mutter- und Tochterunternehmen kann es zu einer Bindungswirkung wegen privity in interest kommen.149 Als privies in interest wurden ferner zwei Unternehmen eingeordnet, die in demselben Gebäude Geschäftsräume angemietet hatten und getrennt die Werkunternehmer verklagten, die das Bauwerk errichtet hatten. Das Gericht stellte darauf ab, dass die Grundlage der jeweils geltend gemachten Ansprüche im Wesentlichen die gleiche sei und das eine Unternehmen von der Klage des anderen gewusste hatte.150
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Die Rechtskrafterstreckung auf privies hängt nach der doctrine of mutuality nicht davon ab, ob sie konkret zum Vor- oder Nachteil des Dritten wäre.151 Daher kann ein Dritter nur dann von der res judicata profitieren, 145 Court of Exchequer, 17.06.1841 – Bain, Public Officer v. Cooper (1841) 8 M & W 751; Court of Appeal (Civil Division), 12.05.1881 – Ex parte Young, Re Kitchin (1881) 17 Ch.D. 668; Court of Common Pleas, 06.06.1843 – Pritchard v. George Hitchcock (1843) 6 Man. & G. 151, 167; Court of Appeal (Civil Division), 05.08.1873 – Parker v. Lewis (1874) L.R. 8 Ch.App. 1035. 146 Chitty/Whittaker, 30. Aufl. 2008, Rn. 44–091. 147 High Court King’s Bench Division, 1789 – Duffield v. Scott (1789) 3 Term Rep. 374, 377; Court of Exchequer, 26.01.1841 – Mary Ann Jones v. John Williams (1841) 7 M & W 493. 148 House of Lords, 14.12.2000 – Johnson v. Gore Wood & Co [2002] 2 A.C. 1. Zur Begründung stellt das Gericht auch darauf ab, dass es der natürlichen Person bereits im Erstprozess möglich gewesen wäre, ihre persönliche Klage gegen den Beklagten geltend zu machen, a. a. O., 32 (per Lord Bingham of Cornhill). 149 Court of Appeal (Civil Division), 12.01.2007 – Special Effects Ltd. v. L’Oreal S.A. and another [2007] EWCA Civ. 1, para. 81 f. (obiter). 150 Court of Appeal (Civil Division), 28.11.2007 – Aldi Stores Ltd. v. WSP Group plc and others [2007] EWCA Civ. 1260.
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wenn ihm im konkreten Fall auch die Bindung an diese zumutbar wäre.152 Die doctrine of mutuality kann also im Einzelfall eine Hilfestellung für die Begrenzung des Kreises der privies sein.153 3. Erzeugung von Drittbindungen durch third party notice Für einige Klagegegenstände („claims relating to (a) the estate of a de- 355 ceased person, (b) property subject to a trust, (c) the sale of any property“) regelt r. 19.8A CPR einen der deutschen Streitverkündung vergleichbaren Mechanismus, mit dem die Prozessparteien eine Bindung Dritter an das Urteil herbeiführen können. Dazu müssen sie vor Urteilserlass beantragen, dass dem Dritten ein notice of claim zugestellt wird, r. 19.8A (2)(a) CPR. Der Außenstehende kann dann dem Verfahren als weitere Partei beitreten, r. 19.8A (5) CPR. Macht er hiervon keinen Gebrauch, wirkt das Urteil auch ihm gegenüber, als ob er Partei des Verfahrens gewesen wäre, r. 19.8A (6) CPR. Darüber hinaus können die Parteien auch erst nach Urteilserlass beantragen, dass dem Dritten ein notice of judgment zugestellt wird, r. 19.8A (2)(b) CPR. Auch hierdurch entsteht eine Drittbindung. Allerdings kann der Dritte innerhalb von 28 Tagen ein Verfahren auf Aufhebung oder Abänderung des Urteils anstrengen, r. 19.8A (8) CPR. 4. Die erga omnes-Wirkung bei judgments in rem Eine erga omnes-Wirkung kennt das englische Recht bei sog. judgments 356 in rem. Hierbei handelt es sich um Gerichtsentscheidungen, die den rechtlichen Status einer Person, Sache oder eines Vermögensrechts mit allgemeiner Verbindlichkeit klären.154 Nur soweit sie diesen rechtlichen Status betreffen, sind derartige Urteile von jedem zu beachten.155 Demgegenüber haben judgments in personam nur Rechtsverhältnisse zwischen grundsätzlich zwei Personen zum Gegenstand und können lediglich entsprechend der be151 High Court Chancery Division, 05.02.1969 – Carl Zeiss Stiftung v. Rayner & Keeler Ltd. and others (No. 3) [1970] 1 Ch. 506, 541D (per Buckley J): „The relationship cannot be conditional upon the character of the decision“. 152 High Court Chancery Division, 17.01.1977 – Gleeson v. J. Wippell & Co. Ltd. [1977] 1 W.L.R. 510, 516 (per Sir Megarry VC). 153 Phipson/Whale, 16. Aufl. 2005, Rn. 44–27. 154 Kennett, Enforcement in Europe, 2000, Rn. 3.35; Court of Appeal (Civil Division), 30.05.1949 – Lazarus-Barlow v. Regent Estates Co [1949] 2 K.B. 465, 475: „determining the status of a person or thing, or the disposition of a thing (as distinct from the particular interest in it of a party to the litigation)“. 155 Handley, Res Judicata, 3. Aufl. 1996, Rn. 213: „conclusive upon the world“, Rn. 234; Kennett, Enforcement in Europe, 2000, Rn. 3.36; Tapper, On Evidence, 11. Aufl. 2007, S. 94.
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reits behandelten doctrine of privity Dritte binden. Ihnen kann jedoch in Vorfragen eine Verbindlichkeit erga omnes zukommen, soweit sie eine in rem-Beurteilung enthalten.156 357
In rem sind etwa Judikate, die die Existenz, Wirksamkeit, Nichtigkeit oder Auflösung einer Ehe aussprechen157, ebenso die Entscheidung über die Wirksamkeit eines Patents158. Ferner sind im öffentlich-rechtlichen Bereich einige Fälle anerkannt. In rem ist beispielsweise die Entscheidung, dass eine Landstraße öffentlich ist und von der öffentlichen Hand unterhalten werden muss.159 Gleiches gilt für die Festlegung, dass ein öffentliches Wegerecht besteht.160
358
Ein judgment in rem ergeht außerdem aufgrund eines sog. claim in rem, den es im englischen Seeprozess (admiralty proceeding) gibt und der sich gegen den Inhaber eines Schiffes oder Flugzeuges bzw. dazugehöriger Sachen (etwa die Fracht) richtet.161 Die Seegerichtsbarkeit ist historisch aus der besonderen Disziplinarhoheit auf den Schiffen der englischen Flotte hervorgegangen, wurde später erweitert auf Kaufmannsschiffe und allgemeine seerechtliche Streitigkeiten.162 Heute sind die Queen’s Bench Division des High Courts und die County Courts für admiralty proceedings zuständig.163 In ihnen kann ein claim in rem betrieben werden, der sich gegen den Inhaber der jeweiligen res richtet. Für die Klagezustellung, durch die eine internationale Zuständigkeit englischer Gerichte begründet wird, reicht es bei einer action in rem schon aus, dass sich die res in englischem Ho156
Court of Common Pleas, 16.11.1864 – Hobbs v. Henning (1864) 17 C.B. N., S. 791, 824; Court of Common Pleas, 1831 – Dalgleishs v. Hodgson (1831) 7 Bing. 495, 504; Kennett, Enforcement in Europe, 2000, Rn. 3.38. 157 House of Lords, 27.05.1927 – Salvesen or von Lorang v. Administrator of Austrian Property [1927] A.C. 641, 662 (Lord Wiscount Dunedin): „A metaphysical idea, which is what the status of marriage is, is not strictly a res, but it, to borrow a phrase, savours of a res, and has all along been treated as such.“; Handley, Res Judicata, 3. Aufl. 1996, Rn. 237. Sie werden auch als actions quasi in rem bezeichnet, vgl. Collier, Conflict of Laws, 3. Aufl. 2001, S. 71. 158 Court of Appeal (Civil Division), 07.05.2004 – Wiltshire v. Powell and others [2004] EWCA Civ. 534, Rn. 71–74. 159 House of Lords, 15.12.1903 – Wakefield Corp v. Cooke [1904] A.C. 31. 160 High Court Queen’s Bench Division (Divisional Court), 20.02.1973 – Armstrong v. Whitfield [1974] Q.B. 16. Weitere Fallgruppen bei Handley, Res Judicata, 3. Aufl. 1996, Rn. 252–259. 161 Fawcett/Carruthers, Cheshire North Private International Law, 14. Aufl. 2008, S. 414. 162 Hutton, Tul. Mar. L.J. 28 (2003), S. 81 (85 f.): Richard Löwenherz hatte im Jahre 1190 Lehensmänner zur Leitung der englischen Flotte während der Kreuzzüge bestimmt, die vermutlich disziplinarische Fälle bereits selbst entscheiden konnten. 163 Vgl. s. 20 (1) Supreme Court Act 1981, s. 26 (1) County Courts Act 1984.
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heitsgebiet befindet.164 Mit oder nach Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks wird die res beschlagnahmt (warrant of arrest) zur Sicherung der Anspruchsdurchsetzung.165 Die spätere Gerichtsentscheidung kann zwar nur in die res vollstreckt werden, ist aber gleichzeitig hinsichtlich deren Haftung für jedermann verbindlich.166 Diese erga omnes-Wirkung bezieht sich allerdings nur auf Bestand und Höhe der Haftung der res, nicht auch auf Anspruchsgrund oder Vorfragen.167 Grundlage des claim in rem ist ein sogenanntes maritime lien an der res, 359 das zusammen mit dem Anspruch immer dann entsteht, wenn ein claim in rem aus zuständigkeitsrechtlicher Sicht angemessen ist.168 Voraussetzung ist ein hinreichender Bezug zur jeweiligen Sache. Dieser kann bei vertraglichen Ansprüchen gegeben sein, etwa bei Lohnforderungen der Seeleute oder Aufwendungsersatz des Kapitäns, aber auch bei deliktischer Haftung wegen Kollision und für andere durch das Schiff verursachte Schäden und schließlich bei geschuldeter Entlohnung für die Bergung des Fahrzeugs (salvage action).169 Wodurch sich der claim in rem sachlich rechtfertigt, 164 Ursprünglich ging man davon aus, das Schiff selbst sei der Beklagte, vgl. etwa Court of Appeal (Civil Division), 13.02.1907 – The Burns [1907] P. 137, 149 (Fletcher Moulton LJ): „. . . the action in rem is an action against the ship itself. It is an action in which the owners may take part, if they think proper, but whether or not they do so is a matter for them to decide . . .“ Neuerdings hat sich aber die Ansicht durchgesetzt, dass der Inhaber des Schiffes Beklagter ist, vgl. House of Lords, 16.10.1997 – Republic of India and Others v. India Steamship Co Ltd. [1997] 4 All ER 380. 165 Vgl. r. 61.5 CPR. Ingenhoven, Grenzüberschreitender Rechtsschutz, 2001, S. 46 f.: Wegen dieser einfachen Befriedigungsmöglichkeit wird die action in rem der weiterhin möglichen action in personam in der Regel vorgezogen. Der Beklagte kann aber die Beschlagnahme durch Sicherheitsleistung rückgängig machen, vgl. r. 61.5–7 CPR. 166 House of Lords, 04.04.1869 – Castrique v. Imrie (1869–70) L.R. 4 H.L. 414; Huber, forum non conveniens, 1994, S. 41. 167 Vgl. Court of Appeal (Civil Division), 30.07.1896 – Ballantyne v. MacKinnon [1896] 2 Q.B. 455: Zunächst wurde durch judgment in rem entschieden, dass ein geborgenes Schiff für den Bergelohn haftet. Damit stand in der nachfolgenden Rückgriffsklage des Schiffseigentümers gegen den Versicherer jedoch nicht fest, dass die Haftung durch ein (versichertes) Seeunglück ausgelöst wurde. Hierauf erstreckt sich die erga omnes-Wirkung der in rem-Entscheidung nicht. 168 Judicial Committee of the Privy Council, 10.12.1851 – Bold Buccleugh, VII Moore P.C. 267, 284 (Sir John Jervis): „. . . and whilst it must be admitted that where such a lien exists, a proceeding in rem may be had, it will be found to be equally true, that in all cases where a proceeding in rem is the proper course, there a maritime lien exists, which gives a privilege to claim upon the thing, to be carried out into effect by legal process.“ 169 Hutton, Tul. Mar. L.J. 28 (2003), S. 81 (87); vgl. im Einzelnen s. 21(2) i. V. m. 20(2)(a),(b),(c),(s), 21(3) Supreme Court Act 1981 und s. 28(3) County Courts Act 1984.
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wird unterschiedlich beantwortet170: Manche machen den Gedanken der Objekthaftung geltend, andere betonen den zuständigkeitsrechtlichen Aspekt, dass es dem Klagewilligen unzumutbar sei, vor fremde unter Umständen weit entfernte Gerichte zu ziehen, obgleich sich das Fahrzeug vor Ort befindet und die Ansprüche einen engen Bezug zu diesem haben. III. Die subjektive Reichweite der Bindungswirkungen im französischen Recht 360
Art. 1351 CC regelt in seinem letzten Halbsatz, dass ein Urteil dann in späteren Verfahren Rechtskraftbindung auslöst, wenn letzteres „soit entre les mêmes parties, et formée par elles contre elles en la même qualité“. Neben der Parteiidentität [1.] ist also erforderlich, dass sich die Parteien in Folge- und Erstverfahren in der gleichen Qualität gegenüberstehen [2.]. Gegenüber allen Personen, in denen diese beiden Voraussetzungen nicht erfüllt sind, ist das Urteil aber faktisch beachtlich (opposable) [3.]. Außerdem können die Parteien gezielt durch intervention forcée eine Drittbindung erwirken [4.]. 1. Das Erfordernis echter oder fingierter Parteiidentität
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Parteiidentität liegt dann vor, wenn in Vor- und Folgeprozess tatsächlich dieselben Akteure auftraten [a)]. Ferner kann sich die Rechtskraft auch auf Dritte erstrecken, die durch einen Repräsentanten wirklich [b)] oder fiktiv [c)] am Verfahren beteiligt waren. a) Parteiidentität und Konstellationen der Prozessstandschaft
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Prinzipiell sind nur diejenigen vom Richterspruch gebunden, die als Parteien am vorausgegangenen Verfahren teilgenommen haben.171 Hierbei stehen sich alle Beteiligten gleich, so dass auch zwischen Streitgenossen eine Bindung greift.172
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Auch das französische Recht kennt die in Deutschland als Prozessstandschaft bekannte Erscheinung, dass jemand im eigenen Namen ein fremdes 170
Vgl. Hutton, Tul. Mar. L.J. 28 (2003), S. 81 (91–97). Vgl. etwa Cour de cassation, comm., 05.11.1963, Bull. civ. III nº 459; Cour de cassation, comm., 25.05.1965, Bull. civ. III nº 332; Cour de cassation, 2e civ., 16.01.1974, Bull. civ. II nº 23; Cour de cassation, 2e civ., 28.10.1987, Bull. civ. II nº 211. 172 Cour de cassation, req., 21.05.1855 – Jacquot c/ veuve Jacquot, DP 1865, 1, S. 258. 171
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Recht gerichtlich geltend macht. Allerdings hat sich für dieses Phänomen keine eigenständige Kategorie des Prozessrechts etabliert.173 Vielmehr ergibt es sich daraus, dass in bestimmten Fällen auch einem Rechtsfremden das Klagerecht (action) zustehen kann. Gem. Art. 30 CPC versteht man unter der action das Recht, vor Gericht zur Sache gehört zu werden und über diese eine Entscheidung zu erhalten (droit d’agir en justice).174 Diese Befugnis unterscheidet sich von dem jedermann zustehenden allgemeinen Recht auf Zugang zu den Gerichten. In ihr deutet sich noch das aktionenrechtliche Denken des römischen Privatrechts an, nach dem die materiellen Rechtspositionen in einzelne Klagerechte eingebettet waren, die erst Zugang zu Gericht sowie eine Entscheidung zur Sache ermöglichten. Gem. Art. 31 Var. 1 CPC steht die action im französischen Recht jedem 364 zu, der ein intérêt légitime au succès ou au rejet d’une prétention hat, was nicht nur bei demjenigen erfüllt ist, der eigene subjektive Rechte geltend macht.175 So setzt etwa die Gesamtgläubigerschaft (solidarité entre les cránciers) gem. Art. 1197 CC und die Gesamtschuld (dette solidaire) gem. Art. 1200 CC nach materiellem Recht begrifflich Einzelklageberechtigung voraus. Gleiches gilt für die Gesamthandsschuld (indivisibilité), die gem. Art. 1222 CC entsteht, wenn sich mehrere zu einer unteilbaren Leistung verpflichten. Auch bei mehrheitlicher Berechtigung an Sachen, die im französischen Recht stets als Bruchteilsgemeinschaft (propriété indivise) ausgestaltet ist, haben die Miteigentümer in bestimmten Fällen ein Individualklagerecht hinsichtlich der gemeinschaftlichen Sache.176 Weitere der Prozessstandschaft entsprechende Konstellationen entstehen 365 dort, wo das Gesetz das Klagerecht Personen überträgt, die nicht schon aufgrund eines eigenen intérêt légitime klageberechtigt wären. Dass es solche gesetzlichen Klagerechtsübertragungen (action attirée) gibt, stellt Art. 31 Var. 2 CPC klar und bezeichnet diese Form der Prozessführungsbefugnis als qualité. In solchen Fällen führt die Partei den Prozess im eigenen Na173 Ausnahme nur Morel, Traité elementaire, 2. Aufl. 1949, Rn. 31 Fn. 2, der den Begriff subrogation procédural vorschlägt und die hierunter fallende Konstellation folgendermaßen beschreibt: „Il est certains cas dans lesquels une personne, bien que non-titulaire d’un droit, a qualité pour défendre ce droit en justice. Ces cas ne doivent pas être confondus aves ceux dans lesquels une personne agit en justice comme représentant autrui.“ 174 Die Bezeichnung action wird auch im Sinne eines Klageantrags verwendet. Vorliegend wird hierunter nur das prozessuale Recht des Klägers verstanden, sich an die Gerichte zu wenden, um die Anerkennung und den Schutz seiner Rechte zu erlangen, sowie das Recht des Prozessgegners, sich auf ein Klagebegehren einzulassen. Vgl. Art. 30 al. 1 CPC: „L’action est le droit, pour l’auteur d’une prétention, d’être entendu sur le fond de celle-ci afin que le juge la dise bien ou mal fondée.“ 175 Baumgarten, Prozessführungsbefugnis, 2001, S. 110–112. 176 Wunderlich, Prozeßstandschaft im internationalen Recht, 1970, S. 82 f.
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men, aber „en qualité“ als Standschafter, wobei der Name des Hintermannes nicht benannt werden muss.177 366
Als Beispiel für eine gesetzliche Klagerechtsübertragung ist vor allem die action oblique gem. Art. 1166 CC zu nennen, mit der ein Gläubiger alle Rechte seines Schuldners gerichtlich durchsetzen kann, soweit diese keinen höchstpersönlichen Charakter haben.178 Dies setzt einerseits voraus, dass der Schuldner zahlungsunfähig ist179 bzw. es zu werden droht,180 andererseits, dass er die Einziehung und Verfolgung seiner Forderung gegen seinen Schuldner vernachlässigt181. Der Gläubiger macht dann die Rechte des Schuldners im eigenen Namen geltend.182 Das Urteil bindet den Schuldner aber nur, wenn dieser am Verfahren infolge einer intervention beteiligt war.183 Die geltend gemachte Rechtsposition verbleibt im Vermögen des Schuldners, ist damit auch dem Zugriff anderer Gläubiger ausgesetzt. Darüber hinaus gestattet die action paulienne gem. Art. 1167 CC einem Gläubiger, Rechtshandlungen seines Schuldners, die seine Befriedigungsmöglichkeit vereiteln würden, im eigenen Namen für nichtig zu erklären. Ebenso hat der verwaltende Ehegatte in der Gütergemeinschaft (communauté) ein Klagerecht hinsichtlich des gemeinschaftlichen Vermögens184, ist insofern also Prozessstandschafter. Ferner besitzt die Mutter das Klagerecht um die Abstammung ihres Kindes väterlicherseits klären zu lassen.185
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In all diesen und weiteren Fällen186, in denen Rechtspositionen durch Rechtsfremde geltend gemacht werden können, ist der Prozessstandschafter 177
Baumgarten, Prozessführungsbefugnis, 2001, S. 99. Art. 1166 CC: „Néanmoins, les créanciers peuvent exercer tous les droits et actions de leur débiteur, à l’exception de ceux qui sont exclusivement attachés à la personne.“ 179 Cour de cassation, 1re civ., 17.05.1982, Bull. civ. I nº 176; Cour de cassation, 1re civ., 14.06.1984, Bull. civ. I nº 197; Cour de cassation, 1re civ., 02.12.1992, Bull. civ. I nº 294. 180 Cour de cassation, 1re civ., 07.02.1966, Bull. civ. I nº 88. 181 Cour de cassation, 3e civ., 19.02.1970 – Kadouch c/ Pfeifle et autres, Gaz. Pal. 1970, 1, jur., S. 282. 182 So jedenfalls die h. M., vgl. Baumgarten, Prozessführungsbefugnis, 2001, S. 116. 183 Vincent/Guinchard, Procédure civile, 24. Aufl. 1996, S. 104; Schweickert, Subjektive Rechtskraftgrenzen, 1967, S. 112 f.; Wunderlich, Prozeßstandschaft im internationalen Recht, 1970, S. 79. Vgl. zu den Formen der intervention forcée und der intervention volontaire Rn. 387–390. 184 Cour de cassation, 1re civ., 23.07.1979, Bull. civ. I nº 223. 185 Cour de cassation, 1re civ., 23.11.1977, Bull. civ. I nº 441. 186 Vgl. zu weiteren Einzelfällen Baumgarten, Prozessführungsbefugnis, 2001, S. 113–126. 178
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jeweils Partei und damit grundsätzlich von der Rechtskraft der Entscheidung gebunden (Ausnahme nur bei der action oblique). b) Parteiidentität im Falle echter Repräsentation Im französischen Recht gibt es zwei Arten der représentation vor Ge- 368 richt. Unter der einfachen Vertretung in Verfahrenshandlungen (représentation ad litem) wird der Fall der Prozessvertretung im deutschen Sinne verstanden, bei der der Repräsentant den Rechtsstreit im Namen des Vertretenen führt. Bei Einschaltung eines derartigen Prozessvertreters (mandataire) i. S. v. Art. 411 CPC besteht die Rechtskraftbindung gegenüber der eigentlichen Partei.187 Dies gilt insbesondere für den Fall der rechtsgeschäftlich erteilten Vollmacht gem. Art. 1984 CC (mandat conventionnel).188 Darüber hinaus gibt es auch eine Vertretung im Klagerecht, bei der der 369 Repräsentant selbst als Partei auftritt. Eine solche représentation ad agendum ist dadurch gekennzeichnet, dass der Repräsentant nicht weisungsgebunden ist, und liegt in Fällen vor, in denen der ursprüngliche Inhaber des Klagerechts zur Prozessführung nicht in der Lage ist.189 Ist der représentant ad agendum vor einem bestimmten Gericht nicht postulationsfähig, muss er ggf. einen eigenen représentant ad litem bestellen.190 Das vom représentant ad agendum erstrittene Urteil bindet auch den Rechtsträger.191 Beispiel für die représentation ad agendum ist der nicht geschäftsfähige 370 Minderjährige, der gem. Art. 389–3 ff. CC durch seinen gesetzlichen Vertreter (administrateur légal), in der Regel die Eltern, repräsentiert wird. Der erwachsene Geschäftsunfähige (incapable majeur) unter Pflegschaft wird durch einen gerichtlich bestellten tuteur vertreten, vgl. Art. 495 CC. Das Urteil wirkt jeweils auch gegenüber dem Rechtsinhaber. Im Falle eines Insolvenzverfahrens (liquidation judiciaire) ist der Masseverwalter (liquidateur) Vertreter des Unternehmens, Art. L641–1 al.2 CComm. Ein von diesem erstrittenes Urteil wirkt einerseits gegenüber dem insolventen Unternehmen, andererseits auch gegenüber den anderen Gläubigern, weil der 187 Cour de cassation, 2e civ., 13.10.1965, Bull. civ. II nº 730; Cour de cassation, 2e civ., 16.06.1966, Bull. civ. II nº 700; Perrot/Fricéro, J.-Cl. Proc. civ. fasc. 554 (Stand: III 2006), S. 1 (Rn. 136); Cour de cassation, 1re civ., 21.09.2005, Bull. civ. I nº 340; Perrot/Fricéro, J.-Cl. Proc. civ. fasc. 554 (Stand: III 2006), S. 1 (Rn. 137). Guinchard, Droit et pratique, 5. Aufl. 2006, Rn. 421.112. 188 Perrot/Fricéro, J.-Cl. Proc. civ. fasc. 554 (Stand: III 2006), S. 1 (Rn. 139). 189 Cadiet/Jeuland, Droit judiciaire privé, 5. Aufl. 2006, Rn. 493. 190 Cadiet/Jeuland, Droit judiciaire privé, 5. Aufl. 2006, Rn. 493. 191 Cadiet/Jeuland, Droit judiciaire privé, 5. Aufl. 2006, Rn. 733.
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Insolvenzverwalter nicht in seinem eigenen, sondern im öffentlichen Interesse handelt.192 371
Das Mandat zur Vertretung im Klagerecht (représentation ad agendum) kann auch durch Vereinbarung erteilt werden193, was der gewillkürten Prozessstandschaft im deutschen Recht entspricht. Soweit der Rechtsträger die Prozessstandschaft erteilt hat, ist er von der Rechtskraft gebunden.194 Nach Veräußerung des Streitgegenstandes hat der Veräußerer, anders als im deutschen Recht, keine Prozessführungsbefugnis; der Erwerber muss den Streit übernehmen.195 c) Fingierte Parteiidentität durch Anerkennung fiktiver Repräsentation
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Über die Fälle „echter“ Vertretung hinaus bedient sich die französische Rechtsprechung des Begriffes der représentation auch um die Rechtskraftwirkung auf weitere Personen zu erweitern, die formell nicht am Verfahren beteiligt waren. Es handelt sich also um eine Art stillschweigende bzw. fiktive Vertretung.196 Sie greift in Fällen der Interessengemeinschaft [aa)], der Gläubigermehrheit [bb)] und der Rechtsnachfolge [cc)]. aa) Interessengemeinschaft (les co-intéressés)
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Eine stillschweigende Vertretung wird in den Fällen sog. co-intéressés angenommen. Hierbei handelt es sich um Dritte, die am Rechtsstreit dasselbe Interesse haben wie eine der streitbeteiligten Parteien und daher so behandelt werden, als ob sie von dieser Partei vertreten worden wären. Wegen der identischen Interessenlage ist zu erwarten, dass durch die prozessführende Partei auch die Belange des Dritten ausreichend geltend gemacht werden. Entsprechend diesem Gedanken bindet die rechtskräftige Entscheidung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber über die Wirksamkeit eines Arbeitsvertrages auch das Arbeitsamt, wenn dieses auf Arbeitslosengeld in Anspruch genommen wird.197 Ebenso wirkt eine zwischen Gläubiger und 192 Cour de cassation, comm., 16.06.1971, Bull. civ. IV nº 173; Perrot/Fricéro, J.-Cl. Proc. civ. fasc. 554 (Stand: III 2006), S. 1 (Rn. 138). 193 Baumgarten, Prozessführungsbefugnis, 2001, S. 141. 194 Cour de cassation, civ., 26.07.1848, DP 1852, 5, S. 97; Cour de cassation, comm., 16.02.1948, S. 1948, 1, S. 82. 195 Spellenberg, ZZP 106 (1993), S. 283 (288). 196 Tomasin, l’autorité de la chose jugée, 1975, Rn. 41. 197 Cour de cassation, soc., 28.01.1982, Bull. civ. V nº 53. Andererseits aber Cour de cassation, comm., 09.12.1981, Bull. civ. IV nº 433, wo im Vorprozess gegen den Wechselaussteller die Verpflichtung aus dem Grundgeschäft wegen wirk-
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einem Gesamtschuldner ergangene Gerichtsentscheidung auch gegenüber den anderen unbeteiligten Gesamtschuldnern (codébiteurs solidaires), weil diese als im Interesse vertreten gelten.198 Gleiches gilt bei Ansprüchen zur gesamten Hand (indivisibilité), die gem. Art. 1222 CC entstehen, wenn sich mehrere zu einer unteilbaren Leistung verpflichten, und strukturell der Gesamtschuld entsprechen.199 Wegen Interessengemeinschaft wirkt in Bürgschaftsfällen (Art. 2011 ff. 374 CC) die Rechtskraft eines Urteils zwischen Gläubiger und Hauptschuldner im Grundsatz sowohl für als auch gegen den Bürgen. Dies gilt für die im französischen Recht bekannte caution solidaire (Art. 2021 2.Var. CC), die der kumulativen Schuldübernahme entspricht und zu einer Gesamtschuld führt.200 Aber auch bei der caution simple, die mit der Bürgschaft im deutschen Recht vergleichbar ist, kann der Bürge einerseits über Art. 2036 CC den Einwand entgegenstehender Rechtskraft erheben.201 Andererseits muss er sich jedoch – anders als nach deutschem Recht – auch die negativen Folgen der Rechtskraft entgegenhalten lassen, d.h. die Verurteilung des Schuldners zur Zahlung.202 Hiervon besteht eine Ausnahme, wenn sich der Bürge auf ihm persönlich zustehende Einwendungen berufen kann, denn insoweit trifft die Überlegung der gleichgelagerten Interessen nicht mehr zu.203 Die Rechtskraftwirkung gegenüber dem Bürgen wird in Frankreich einer- 375 seits mit der Akzessorietät der Bürgenhaftung begründet, andererseits mit der Überlegung, dass der Hautschuldner seinerseits ein besonderes Interesse an allen die Hauptschuld betreffenden Fragen (Entstehung, Erlöschen, Höhe und Fälligkeit) habe.204 Obwohl sich damit die Frage der Rechtskrafterstresamer Wechselverbindlichkeit verneint wurde. Diese Entscheidung löst keine Rechtskraftwirkung im Wechselprozess gegen den Bezogenen aus. 198 Cour de cassation, soc., 13.12.1951 – Bernard c/ Lallemant, DP 1952, jur., S. 435; Cour de cassation, comm., 01.06.1999, Bull. civ. IV nº 115. 199 Cour de cassation, soc., 07.10.1981, Bull. civ. V nº 764; Cour de cassation, 1re civ., 21.02.1968, Bull. civ. I nº 77. 200 Vgl. Art. 2021 2.Var. CC, der die Anwendung der Gesamtschuldregeln anordnet. Die Rechtskraftwirkung für und gegen alle Gesamtschuldner gilt also auch hier. Vgl. Cour de cassation, comm., 01.06.1999, Bull. civ. IV nº 115; Eusterhus, Akzessorietät im Bürgschaftsrecht, 2002, S. 98. 201 Cour de cassation, comm., 15.07.1987, Bull. civ. IV nº 182. 202 Cour de cassation, comm., 06.06.1961, Bull. civ. III nº 258; Cour de cassation, 1re civ., 29.03.1978 – Royon c/ Soc. Les grands travaux de l’Est, RCDIP 69 (1980), S. 114. 203 Cour d’appel d’Angers, 15.10.1958 – époux G. c/ Crédit Industriel de l’Ouest, JCP 1959.II.11315; andeutungsweise auch Tribunal de Commerce d’Angers, 04.12.1957 – Cons. G. c/ Crédit de l’Ouest, DP 1958, jur., S. 378. 204 Schweickert, Subjektive Rechtskraftgrenzen, 1967, S. 69; Eusterhus, Akzessorietät im Bürgschaftsrecht, 2002, S. 98 f.
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ckung im französischen Recht anders beurteilt als im deutschen, ist in beiden Rechtsordnungen die materiellrechtliche Rechtsstellung des Bürgen identisch: Wie in Deutschland ist auch im französischen Recht die Bürgenhaftung bei der caution simple insofern schwach-akzessorisch, als der Bürge durch das Verbot der Fremddisposition vor nachträglichen Haftungserweiterungen durch den Schuldner geschützt ist, vgl. Art. 2015 letzter Hs. CC (der insofern dem § 767 I S. 3 BGB entspricht). bb) Gläubigermehrheit (les créanciers) 376
Eine stillschweigende Vertretung durch Interessengemeinschaft ist ferner in einigen Fällen der Gläubigermehrheit anerkannt. Die nicht privilegierten Gläubiger (sog. créanciers chirographaires) haben kein dingliches Pfand-, sondern nur ein persönliches Zugriffsrecht auf das Schuldnervermögen. Gem. Art. 2093 CC steht ihnen zwar ein Generalpfandrecht (gage commun) am gesamten Vermögen ihres Schuldners zu. Dies bewirkt allerdings keine sachenrechtliche Verstrickung der einzelnen Gegenstände, sondern begründet lediglich ein persönliches Zugriffsrecht. Das gage commun bringt also nur zum Ausdruck, dass das Vermögen des Schuldners Haftungsgegenstand für die Gläubiger ist; seine Existenz erklärt sich dadurch, dass der Gesetzgeber ursprünglich von einer Trennung von Schuld und Haftung ausging.205
377
Somit entspricht die Stellung von Chirographargläubigern derjenigen schuldrechtlicher Gläubiger im deutschen Recht. Im französischen Recht wirkt allerdings jedes Urteil, das das Schuldnervermögen betrifft, auch für und gegen die Chirographargläubiger.206 Deren Recht macht also sämtliche Schwankungen mit, denen das Schuldnervermögen ausgesetzt ist. Jedes Urteil, das eine Verpflichtung des Schuldners feststellt oder verneint, bewirkt eine Verminderung oder Vermehrung dessen Vermögens.207
378
Genauso beurteilt sich die Lage eines bevorrechtigten Gläubigers (créancier privilégié) i. S. v. Art. 2095–2113 CC und eines Hypothekars (créancier hypothécaire) i. S. v. Art. 2114–2145 CC: Ein Urteil, welches das belastete Vermögensstück zum Gegenstand hat, wirkt auch für und gegen den Inhaber des Sicherungsrechts.208 Eine Hypothek besteht an Immobilien, vgl. 205
Wunderlich, Prozeßstandschaft im internationalen Recht, 1970, S. 163. Vgl. etwa Cour de cassation, 1re civ., 08.11.1976, Bull. civ. I nº 331: Nach Verurteilung eines Ehegatten beantragt der andere Gatte Gütertrennung (separation de biens). Deren Anordnung wirkt auch Gläubigern gegenüber. 207 Schweickert, Subjektive Rechtskraftgrenzen, 1967, S. 102. 208 Cour de cassation, 2e civ., 20.10.1965, Bull. civ. II nº 765 (Nutzungspfandrecht an ein einem Grundstück, nantissement). 206
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Art. 2118 CC, während hingegen eine privilegierte Gläubigerstellung sowohl an Mobilien als auch Immobilien begründet werden kann, vgl. Art. 2100–2102 bzw. 2103–2105 CC. Diese Rechtskrafterstreckung dürfte aber nur bei der contestation relative à la propriété des biens saisis i. S. v. Art. 128 Décr. 1992 praktische Bedeutung erlangen. Mit diesem Rechtsbehelf kann bei Pfändung einer schuldnerfremden Sa- 379 che deren Aussonderung erreicht werden. Diese contestation ähnelt der deutschen Drittwiderspruchsklage, allerdings kann mit ihr nur Eigentum an der Sache geltend gemacht werden, nicht auch ein sonstiges „die Veräußerung hinderndes Recht“.209 Da in Frankreich rechtskräftige Entscheidungen über die Haftung des Schuldners alle Gläubiger dieses Schuldners binden, hat eine contestation relative à la propriété des biens saisis allerdings eher Erfolg als die Drittwiderspruchsklage im deutschen Recht: Ein Herausgabeurteil, das rechtskräftig das Eigentum des Gläubigers an der Sache feststellt, entfaltet gegenüber Drittgläubigern des Schuldners im deutschen Recht keine Bindung. Pfändet nun ein solcher Drittgläubiger die noch beim Schuldner befindliche Sache, kann der Gläubiger gegenüber dem Drittgläubiger zwar sein Recht an der Sache durch Drittwiderspruchsklage geltend machen. Mangels Rechtskrafterstreckung des Herausgabeurteils auf den Drittgläubiger ist aber nicht ausgeschlossen, dass das Gericht zu dem Ergebnis kommt, dass die Sache noch im Eigentum des Schuldners steht, und die Drittwiderspruchsklage abweist. Dies wäre bei einer contestation in Frankreich nicht denkbar. cc) Die Rechtsnachfolger (les ayants cause) Auch die Rechtsnachfolger (ayants cause) werden so behandelt, als ob 380 sie im Prozess über das Recht vom Rechtsvorgänger (auteur) vertreten worden wären.210 Daher wirkt ein Urteil über dieses Recht sowohl zum Vorals auch zum Nachteil des Einzelrechtsnachfolgers (ayant cause à titre particulier), wenn der Prozess vor dem Rechtsübergang rechtshängig geworden ist.211 Gleiches gilt für die Gesamtrechtsnachfolge etwa durch Erbfall: Hier wirkt das Urteil für und gegen den Gesamtrechtsnachfolger (ayant cause universel ou à titre universel).212 Zur Begründung der Rechtskrafterstre209
Traichel, Franz. ZwVollstrR., 1995, S. 69. Perrot/Fricéro, J.-Cl. Proc. civ. fasc. 554 (Stand: III 2006), S. 1 (Rn. 143). 211 Cour de cassation, comm., 28.04.1987 – nº 85–12727 (légifrance) (Übertragung eines Handelsunternehmens nach Rechtshängigkeit und vor Rechtskraft); Cour de cassation, 1re civ., 12.03.1974, Bull. civ. I nº 83 (Abtretung nach Rechtskraft). 212 Guinchard, Droit et pratique, 5. Aufl. 2006, Rn. 421.111; Cour de cassation, 1re civ., 05.11.1962, Bull. civ. I nº 460; Cour de cassation, 3e civ., 30.05.1969, Bull. civ. III nº 436. 210
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ckung bei Gesamtrechtsnachfolge wird aber nicht auf die Interessenwahrnehmung durch den Rechtsvorgänger abgestellt. Einerseits beruft man sich auf Art. 1122 CC213, wonach allgemein vermutet wird, dass Verträge auch mit Wirkung für Erben und Rechtsnachfolger abgeschlossen werden. Andererseits folgt die Rechtskrafterstreckung aus dem Rechtsnachfolgeprinzip, wonach der Rechtsnachfolger in eine judizierte Rechtsstellung eintritt.214 2. Das zusätzliche Erfordernis der identité de qualité 381
Nach Art. 1351 CC besteht eine Rechtskraftwirkung nur gegenüber solchen Parteien, die im Folgeverfahren in der gleichen Eigenschaft („en la même qualité“) auftreten wie im Erstverfahren. Die Rechtskraft greift demnach, wenn die Beteiligten in beiden Verfahren über denselben Rechtstitel gestritten haben bzw. streiten.215 Dieses Erfordernis hat eigenständige Bedeutung nur in den bereits thematisierten Fällen, in denen das Klagerecht (action) i. S. v. Art. 30 CPC von einem Rechtsfremden ausgeübt wurde bzw. ein Repräsentant agiert hatte.216 Dann wirkt gegenüber dem rechtsfremden Akteur das Urteil nur, wenn im Nachhinein wieder dasselbe fremde Recht fraglich ist. Umgekehrt ist der im Vorprozess unbeteiligte Rechtsträger nur insoweit an das fremde Urteil gebunden, wie im Folgerechtsstreit wieder dessen eigenes Recht in Frage steht. 382 Eine identité de qualité liegt beispielsweise nicht vor, wenn eine Partei im Vorprozess als représentant einer juristischen Person klagte und im Folgeprozess dasselbe Anspruchsziel aus eigenem Rechtstitel verfolgt217, oder wenn die natürliche Person zunächst aus eigenem Recht vorging und dann denselben Anspruch im Namen einer Handelsgesellschaft als deren Geschäftsführer geltend macht218. Gleiches gilt, wenn der Erbe zunächst deliktische Ansprüche gegen den verstorbenen Schuldner forderte: Scheitert diese Klage, kann der Schaden erneut gegen den Erben geltend gemacht werden, wenn dieser nunmehr als Schädiger in Anspruch genommen wird.219 213 Schweickert, Subjektive Rechtskraftgrenzen, 1967, S. 89 f. Hierin klingt die alte franz. Lit.-Auffassung durch, wonach die Rechtskraft auf die Annahme eines Vertrages zwischen den Parteien gestützt wurde. 214 Perrot/Fricéro, J.-Cl. Proc. civ. fasc. 554 (Stand: III 2006), S. 1 (Rn. 144). 215 Perrot/Fricéro, J.-Cl. Proc. civ. fasc. 554 (Stand: III 2006), S. 1 (Rn. 145). 216 Vgl. hierzu oben Rn. 363 f. u. 368–371. 217 Cour de cassation, comm., 05.01.1962, Bull. civ. III nº 8 (mangels Rechtsfähigkeit der Gesellschaft wurde die Erstklage als unzulässig abgewiesen); Cour de cassation, comm., 07.01.1997 – nº 94–19057 (légifrance). Genauso beurteilt sich die Lage, wenn der Beklagte zunächst als Geschäftsführer einer Gesellschaft in Anspruch genommen wurde und sodann dasselbe Recht gegen ihn persönlich geltend gemacht wird, Cour de cassation, 1re civ., 07.01.1976, Bull. civ. I nº 7. 218 Cour de cassation, 3e civ., 30.04.1969, Bull. civ. III nº 344.
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3. Opposabilité absolue und Möglichkeit der tierce opposition Von dem in Art. 1351 CC verankerten Grundsatz, dass die Rechtskraft 383 eines Urteils nur zwischen den Parteien wirkt, die entweder am Rechtsstreit beteiligt oder darin vertreten waren, besteht insofern eine Ausnahme, als Urteile Dritten gegenüber zumindest eine sog. opposabilité absolue auslösen. Hiermit ist gemeint, dass jedermann Gerichtsentscheidungen in ihrer Faktizität hinnehmen muss (sie sind opposable aux tiers).220 Diese absolute opposabilité ist von der autorité de la chose jugée, die nur relativ wirkt, zu unterscheiden. Sie ist auch nicht identisch mit der allgemeinen Tatbestandswirkung von Gerichtsentscheidungen, denn sie hängt nicht davon ab, ob das Urteil den Tatbestand einer Norm erfüllt, die die Rechtsverhältnisse zwischen Dritten betrifft. Vielmehr zeigt sich die opposabilité eines Urteils darin, dass seine tatsächliche Befolgung oder Vollstreckung die Situation des Dritten beeinflusst.221 Allerdings hält das französische Recht mit der tierce opposition in 384 Art. 582–592 CPC einen außerordentlichen Rechtsbehelf bereit, mit dem faktisch von einem Richterspruch betroffene Dritte diesen aufheben lassen oder auf seine Abänderung hinwirken können. Diesem Rechtsinstitut liegt die Überzeugung zugrunde, dass die Beschränkung der Rechtskraft eines Urteils auf die Parteien nicht zu verhindern vermag, dass dieses in seiner Faktizität den inter-partes-Grundsatz überschreitet.222 Dritte können eine tierce opposition erheben, wenn sie hierfür ein legitimes Interesse geltend machen, Art. 583 al.1 CPC. So können etwa die Kinder des Mieters gegen eine Gerichtsentscheidung, durch die der Mietvertrag ihres Vaters aufgelöst wurde, opponieren, weil sie in derselben Wohnung leben.223 Die tierce opposition kann allerdings nicht von denjenigen erhoben werden, die auch von der Rechtskraft der Entscheidung gebunden sind224, also entweder Partei des Ausgangsverfahrens waren bzw. in diesem (tatsächlich oder fiktiv) vertreten worden sind. 219 Cour de cassation, 2e civ., 06.07.1967, Bull. civ. II nº 247: Das Handelsunternehmen der Klägerin wurde besetzt. Nachdem der Besetzer verstorben war, machte sie die ursprünglich gegen diesen bestehenden Ansprüche auf Räumung und Schadensersatz gegen dessen Tochter geltend. Nachdem die Klage scheiterte, hielt die Tochter weiterhin die Geschäftsräume besetzt. Daraufhin wurde sie erneut auf Räumung verklagt, diesmal aber aus eigener zivilrechtlicher Verantwortlichkeit. Dieser Klage stand keine Rechtskraft entgegen. 220 Perrot/Fricéro, J.-Cl. Proc. civ. fasc. 554 (Stand: III 2006), S. 1 (Rn. 149). 221 Spellenberg, ZZP 106 (1993), S. 283 (296). 222 Schober, Drittbeteiligung, 1990, S. 101 f. 223 Bspw. Cour de cassation, 3e civ., 25.11.2009 – nº 08–14823 (légifrance). 224 Cadiet/Jeuland, Droit judiciaire privé, 5. Aufl. 2006, Rn. 852.
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Die erga omnes-Wirkung in Form der opposabilité kommt jedem Urteil zu. Dass dies für einige personenstandsrechtliche Entscheidungen noch einmal ausdrücklich gesetzlich geregelt ist, ist insofern eine Wiederholung: So ordnet etwa Art. 324 al.1 CC für Abstammungsentscheidungen die opposabilité absolue an, Art. 91 al.3 CC für die gerichtliche Todeserklärung (jugement déclaratif de décès). In Art. 100 CC ist ferner klargestellt, dass jede Gerichts- oder Verwaltungsentscheidung, durch die eine Festlegung des Personenstands berichtigt wird, opposable gegenüber jedermann ist. Dasselbe trifft nach Art. 262 CC auf das Scheidungsurteil hinsichtlich seiner güterrechtlichen Auswirkungen zu. Diese gesetzlichen Normierungen der opposabilité schließen jedenfalls nicht aus, dass gegen solche Entscheidungen eine tierce opposition erhoben werden kann.225
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Nur bei einer echten Rechtskraftbindung erga omnes (autorité absolue de chose jugée) können Dritte keine tierce opposition erheben.226 Eine solche gibt es etwa bei Gerichtsentscheidungen, mit denen Handelsgesellschaften aufgelöst oder Patente für nichtig erklärt werden.227 Ebenso müssen Strafurteile in zivilrechtlichen Streitigkeiten stets beachtet werden, entfalten insofern eine autorité absolue.228 4. Erzeugung von Wirkungen gegenüber Dritten durch intervention forcée
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Die Art. 331–338 CPC sehen zwei Varianten der sog. intervention forcée vor, mit der Dritte in ein laufendes Verfahren als weitere Partei hineingezogen werden können.229 Hierdurch wird der Dritte jeweils am Ort des anhängigen Verfahrens gerichtspflichtig, ungeachtet der sonstigen örtlichen Zuständigkeitsregeln.230 Mit einem sog. appel en déclaration de jugement commun kann eine Partei beantragen, dass das spätere Urteil auch gegenüber einem Dritten Verbindlichkeit erlangt (Art. 331 al.2 CPC). Dem An225
Vgl. Cour de cassation, 1re civ., 07.01.1975, Bull. civ. I nº 6 für Entscheidungen i. S. v. Art. 100 CC; ebenso Cour de cassation, 1re civ., 07.06.1995, Bull. civ. I nº 237 für Abstammungsentscheidungen, für die dies inzwischen ausdrücklich in Art. 324 al.1 S. 2 CC geregelt ist. 226 Cadiet/Jeuland, Droit judiciaire privé, 5. Aufl. 2006, Rn. 734, 852. 227 Tomasin, l’autorité de la chose jugée, 1975, Rn. 66 f. und 68–71. 228 Cour d’appel d’Orléans, 17.12.2008 – nº 07/03374 (légifrance); Cour d’appel de Lyon, 16.10.2003 – nº 2002/02219 (légifrance). 229 Interveniert hingegen der Dritte von sich aus, spricht man von einer intervention volontaire, Art. 328–330 CPC. Sie gibt es entweder als Hauptintervention (intervention volontaire principale, Art. 329 CPC), wenn der Dritte eine eigene Rechtsposition geltend macht, oder als Nebenintervention (intervention volontaire accessoire, Art. 330 CPC), bei der der Dritte nur Streithelfer wird. 230 Art. 333 CPC.
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trag entspricht das Gericht dann, wenn ein entsprechendes Interesse an einer Bindungswirkung vorliegt.231 Der Dritte erhält daraufhin einen eingeschränkten Parteistatus, der ihm lediglich rechtliches Gehör im Verfahren einräumt.232 Durch déclaration de jugement commun wird die Rechtskraft des Urteils zwischen den Hauptparteien auf den Dritten ausgedehnt.233 Begehrt die Partei des Ausgangsverfahrens nicht nur eine Rechtskrafter- 388 streckung, sondern sogar einen Vollstreckungstitel gegen den Dritten, kann sie im anhängigen Verfahren eine Garantieklage erheben (appel en garantie Art. 331 al.1, 334–338 CPC). Dies setzt voraus, dass die ursprünglich in Anspruch genommene Partei ihrerseits einen Garantieanspruch gegen den Dritten hat. Das Gesetz unterscheidet zwischen der garantie simple und der garantie formelle (Art. 334 F.1 und F.2 CPC). Bei der garantie simple (akzessorische Haftung) haftet zwar der zunächst 389 in Anspruch Genommenen (garanti) selbst, hat aber einen Rückgriffsanspruch gegen den Garanten (garant). Die typischen Fälle sind Bürgschaft und Versicherungsvertrag.234 Möglich ist sie aber auch im Bereich der Gesamtschuld und im Deliktsrecht.235 Bei der garantie simple bleibt der garanti gem. Art. 335 CPC auch nach Erhebung der Garantieklage Partei. Hält das Gericht den Haupt- und gleichzeitig den Garantieanspruch gegen den Dritten für begründet, verurteilt es zusätzlich den Dritten am Gerichtsstand des garanti auf Leistung.236 Diese condamnation en garantie begründet gegenüber dem Dritten nicht nur einen Vollstreckungstitel, sondern entfaltet auch Rechtskraft im Verhältnis zu ihm.237 Demgegenüber fallen unter die garantie formelle die Fälle, in denen der 390 Garantiekläger als bloßer Besitzer einer Sache (détenteur d’un bien) in Anspruch genommen wird. Dieser kann dann Garantieklage gegen denjenigen erheben, gegen den er einen Gewährleistungsanspruch hinsichtlich Besitz bzw. Eigentum hat. Wird etwa der Käufer einer Sache von einem Dritten auf Herausgabe verklagt, kann er seinerseits gegen den Verkäufer Garantieklage erheben, weil der Verkäufer die Sache frei von Rechtsmängeln zu verschaffen hat, vgl. Art. 1625 1. Alt. CC.238 Eine Obliegenheit zur Garan231 Blanc, NCPC Vol. 1, 2004, Art. 331 CPC, p. 1. Ein ausreichendes Interesse liegt etwa dann vor, wenn der Dritte später auf Regress in Anspruch genommen werden soll, vgl. Cour de cassation, soc., 21.07.1986, Bull. civ. V nº 317. 232 Vgl. Art. 331 al.3 CPC. 233 Cour de cassation, 3e civ., 23.06.1981, Bull. civ. III nº 132. 234 Blanc, NCPC Vol. 1, 2004, Art. 334 CPC, p. 4. 235 Schober, Drittbeteiligung, 1990, S. 130 f. 236 Blanc, NCPC Vol. 1, 2004, Art. 335 CPC, p. 5. 237 Cour de cassation, 2e civ., 01.03.1989, Bull. civ. II nº 54; Cour de cassation, soc., 28.01.1982, Bull. civ. V nº 53.
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tieklage begründet Art. 1640 CC, wonach der Gewährleistungsanspruch gegen den garant entfallen kann, wenn dieser nicht in das Verfahren hinzugezogen wurde. Anders als bei der garantie simple kann der Garantiekläger bei Klage gegen den garant formel verlangen, aus dem Verfahren entlassen zu werden, so dass allein der Dritte an seiner Stelle das Verfahren fortführen muss, Art. 336 al.1 CPC.239 Unabhängig von der gewählten Gestaltungsmöglichkeit kann das gegen den garant formel ergangene Urteil auch gegen den garanti vollstreckt werden. Dass dies auch dann möglich ist, wenn dieser nicht am Verfahren beteiligt war, wird damit gerechtfertigt, dass der garant die Interessen des garanti mitvertritt.240 IV. Blick in die USA: Die subjektive Reichweite der Rechtskraft von Entscheidungen im class action-Verfahren 391
Eine im internationalen Vergleich besonders hervorhebenswerte Rechtskrafterstreckung auf unbeteiligte Dritte kennt der US-amerikanische Rechtskreis für die sog. class action. Bei dieser Klageart werden die Ansprüche vieler gleichermaßen Betroffener (zusammengefasst in der class) durch einen oder mehrere Repräsentanten (class representative(s)) geltend gemacht.241 Die gerichtliche Entscheidung, die am Ende einer solchen class action steht, entfaltet Rechtskraft für alle Gruppenmitglieder (class members), selbst wenn diese am Verfahren nicht beteiligt waren. Die Unbeteiligten können sich aber unter bestimmten Voraussetzungen durch Erklärung eines sog. opt-out der Bindungswirkung des Urteils entziehen. In jüngster Zeit gibt es auch in Europa Rechtsordnungen, die eine Gruppenklage nach diesem Modell vorsehen – teilweise mit opt-out-Möglichkeit, teilweise auch in der Form, dass sich Unbeteiligte nachträglich einem Urteil anschließen können (opt-in).242 Die class action nach US-amerikanischem 238
Blanc, NCPC Vol. 1, 2004, Art. 334 CPC, p. 4. Er kann aber auch von sich aus oder auf Verlangen des Klägers als Nebenintervenient am Verfahren beteiligt bleiben, vgl. Art. 336 al.2 CPC. 240 Blanc, NCPC Vol. 1, 2004, Art. 337 CPC, p. 5. 241 Ein class action-Verfahren ist auch in der Form möglich, dass die Gruppe auf der Beklagtenseite steht. Die vorliegende Untersuchung wird sich jedoch auf den praktisch wichtigeren Fall der class auf Klägerseite beschränken. 242 Vgl. Fallon/Tzakas, in: FS Siehr, 2010, S. 653 (662–665): Gruppenklagen nach dem opt-out-Modell kennen etwa das dänische, portugiesische und das niederländische Recht. Eine opt-in-Gruppenklage sehen das französische Recht für Verbraucher und Kapitalanleger sowie das schwedische Recht vor. Außerdem ordnen Fallon/Tzakas die Group Litigation Order nach englischem Recht als opt-in-Gruppenklage ein, vgl. a. a. O. (663). s. zur Group Litigation Order Rn. 344. Mit dem 239
§ 5 Wirkungen ausländischer Entscheidungen in subjektiver Hinsicht
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Recht hat daher durchaus eine europäische Dimension, weswegen es angebracht erscheint, im Folgenden auf die besondere Rechtskraftreichweite der in dieser Prozessart zustande kommenden Entscheidungen einzugehen [3.]. Zuvor sind jedoch Grundstruktur [1.] und Funktion [2.] der Sammelklage im US-amerikanischen Recht zu betrachten. 1. Begriff und Struktur der class action Die class action – für die US-Bundesgerichte in r. 23 Fed.R.Civ.P. gere- 392 gelt243 – wird im Namen der class geführt, obwohl die unbeteiligten Anspruchsinhaber ihrer prozessualen Vertretung nicht zugestimmt haben. Mit Ausnahme des oder der agierenden Kläger müssen die Betroffenen nicht einmal einzeln bekannt sein – ausreichend ist, wenn ihre Zugehörigkeit zur class bestimmbar ist.244 In einem bekannten Fall klagte ein Privatmann gegen ein Taxiunternehmen aus Los Angeles, bei dem er über viele Jahre hinweg Kunde war. Er warf dem Unternehmen vor, die Taxameter seiner Fahrzeuge absichtlich falsch eingestellt und dadurch unzulässig hohe Fahrpreise berechnet zu haben. Der Kläger verlangte aber nicht nur das seinerseits zu viel Gezahlte zurück, sondern machte auch die Ansprüche aller anderen gleichermaßen geschädigten Passagiere geltend. Die vertretene class setzte sich zusammen aus sämtlichen Fahrgästen des Taxiunternehmens, denen in den letzten vier Jahren überhöhte Fahrpreise berechnet worden waren.245 Die Merkmale zur Beschreibung der class members müssen so gewählt 393 sein, dass die class-Zugehörigkeit leicht festgestellt werden kann.246 Erforderlich sind äußerliche Kriterien.247 Die Klassenzugehörigkeit kann daher beispielsweise nicht allein von einer persönlichen Einstellung abhängig gemacht werden.248 Ungeeignet sind außerdem zu breite oder unbestimmte Gruppenbeschreibungen.249 Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) wurde auch im deutschen Zivilprozess ein Musterverfahren gesetzlich verankert. Gem. § 16 III KapMuG wirkt der Musterentscheid auch für und gegen die Beigeladenen, auch wenn sie dem Verfahren nicht beigetreten waren. 243 R. 23 Fed.R.Civ.P. ist zusätzlich in r. 23 des 28 U.S.C.-Appendix wiedergegeben. Auch vor den einzelstaatlichen Gerichten der US-Bundesstaaten ist der Verfahrenstypus der class action vorgesehen, der Landesvorschriften unterliegt, die in ihren Grundstrukturen den Bundesvorschriften entsprechen. Wenn im Folgenden von class action die Rede ist, ist immer die i. S. v. r. 23 Fed.R.Civ.P. gemeint. 244 Eichholtz, Class Action, 2002, S. 29. 245 California Supreme Court, 15.11.1967 – Daar v. Yellow Cab Co., 67 Cal. 2d 695. 246 US District Court D. Columbia, 03.11.1992 – Lewis v. National Football League, 146 F.R.D. 5, 8. 247 Vgl. Greiner, Class action und ordre public, 1998, S. 66 f.
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In jüngerer Zeit werden spektakuläre Prozesse gegen Tabakkonzerne, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, Banken und Hersteller von Asbest berichtet.250 Im Wege der class action können aber nicht nur viele kleine Anspruchsposten (sog. Streuschäden) gebündelt werden. Praktische Bedeutung hat sie auch bei sog. Großschäden infolge von Umweltkatastrophen oder Flugzeugabstürzen, bei denen es durchaus um hohe Einzelschäden geht. In solchen Fallgestaltungen können Haftungsfragen so kompliziert sein, dass der Aufwand für Gutachten, etc. erst angesichts des gesamten Klagevolumens angemessen ist. Auch Produkthaftungsfälle sind ein Anwendungsgebiet der class action. Außerdem können mit ihr Verstöße gegen Bürgerrechte, Regeln des unlauteren Wettbewerbs oder Verhaltensnormen zum Schutz von Kapitalanlegern geltend gemacht werden.251 Für Aufsehen sorgten in jüngerer Zeit Klagen von Holocoustopfern und NS-Zwangsarbeitern. 2. Die Zwecke der class action
395
Die Einrichtung der class action erfüllt mehrere Funktionen.252 Einerseits soll sie die Prozessökonomie erhöhen und die Justiz entlasten, indem sie eine einheitliche Klärung von Rechts- und Tatsachenfragen zu gleichartigen Ansprüchen und damit die Abarbeitung einer Vielzahl von Klagen in einem einzigen Prozess erlaubt.253 Andererseits ist das Verfahren wegen der weitgehenden subjektiven Bindungswirkungen des an seinem Ende stehenden Urteils geeignet, für den Gegner der class die Rechtssicherheit zu erhöhen, weil der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen in gleichgelagerten Fällen vorgebeugt wird.
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Entscheidender rechtspolitischer Zweck der Bündelung vieler Einzelbetroffener ist allerdings eine Verbesserung des Rechtsschutzes. So ermöglicht beim Eintreten massenhafter geringfügiger Einzelansprüche erst das Kollektivverfahren deren sinnvolle Durchsetzung. Individualklagen wären 248
Vgl. US Court of Appeals 5th Circuit, 03.11.1970 – De Bremaecker v. Short, 433 F.2d 733, 734: Undurchführbar ist eine class action, die im Namen aller in der Friedensbewegung aktiven Einwohner eines Bundesstaates erhoben wurde; US District Court S.D. Mississippi (Jackson Division) – 18.05.1964, Chaffee v. Johnson, 229 F. Supp. 445, 448: Die Beschreibung der class als alle Personen, die sich für ein Ende der Rassendiskriminierung einsetzen, ist zu unbestimmt. 249 US Court of Appeals 8th Circuit, 03.05.1972 – Ihrke v. Northern States Power Co., 459 F.2d 566, 573: „those unable to pay“ zu breit; US Court of Appeals 8th Circuit – 25.10.1994, Coleman v. Watt, 40 F.3d 255, 259: „others similarly situated“ zu unbestimmt. 250 Hess, JZ 2000, S. 373. 251 Greiner, Class action und ordre public, 1998, S. 33–37. 252 Vgl. zum Ganzen Greiner, Class action und ordre public, 1998, S. 40–45. 253 Greiner, Class action und ordre public, 1998, S. 41.
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223
hier nicht lohnenswert, weil die Verfahrenskosten außer Verhältnis zur Anspruchshöhe stünden. Die class action wird damit gleichzeitig zu einem Instrument der Verhaltenssteuerung, weil sie verhindert, dass sich Schädiger eine faktische Rechtsschutzlücke zu Nutze machen, indem sie ihr Fehlverhalten gezielt so gestalten, dass sie eine individuelle Rechtsverfolgung angesichts marginaler Einzelschäden nicht zu befürchten haben.254 Zusätzlich hat das Verfahren einen erheblichen Abschreckungseffekt vor unlauterem Geschäftsgebaren: Einerseits wird durch die Bündelung sämtlicher Ansprüche einer Klasse die Trägheit der einzelnen Geschädigten überwunden, die möglicherweise gar nicht geklagt hätten. Andererseits muss bei einem erfolgreichen Verfahren die unterlegene Seite nicht nur die Ansprüche der representatives befriedigen, sondern den gesamten für die Klasse geltend gemachten – ggf. zu schätzenden – Klagebetrag hinterlegen; die treuhänderische Verwaltung dieses Betrages obliegt der Staatsanwaltschaft des zuständigen Gerichts.255 Darüber hinaus kann die Kumulation der Einzelansprüche die Qualität ih- 397 rer prozessualen Durchsetzung verbessern. Dies ergibt sich daraus, dass Anwälte in den USA in Abhängigkeit der erstrittenen Urteilssumme bezahlt werden. Da sich bei einer Gruppenklage das Anwaltshonorar nach der Gesamtsumme der Einzelansprüche richtet, sind die Anreize für eine engagierte Prozessvertretung entsprechend größer. Wegen der sog. american rule of costs, nach der jede – auch die obsiegende – Seite ihre Verfahrenskosten im Grundsatz selbst zu tragen hat256, ist es außerdem üblich, durch eine erfolgsabhängige Anwaltsbezahlung das Kostenrisiko auf den Rechtsvertreter zu verlagern.257 Da sich ein Anwalt umso eher einer Klage annimmt, je höher ihr Volumen ist, erhöht die Zusammenlegung der Einzelansprüche die Chancen auf kostengünstigen Zugang zu Gericht.258 Wegen der enormen wirtschaftlichen Anreize, die class actions für An- 398 wälte bieten, geht die Initiative für deren Erhebung allerdings in aller Regel von den Rechtsvertretern selbst aus, die sich einen passenden Kläger su254
Eichholtz, Class Action, 2002, S. 12. Witzsch, JZ 1975, S. 277 (278). 256 Für die Verfahren vor Bundesgerichten gilt r. 54(d)(1) Fed.R.Civ.P.: „costs – other than attorney’s fees – should be allowed to the prevailing party.“ Welche Kosten erstattungsfähig sind, ist in 28 U.S.C. § 1920 abschließend aufgezählt. Demnach sind ausschließlich Gerichtsgebühren, Aufwendungen für Schreib- und Übersetzungsarbeiten und die Entlohnung für gerichtlich bestellte Sachverständige ersatzfähig. Diese Kosten bleiben aber im Verhältnis zu Anwaltshonoraren und sonstigen Aufwendungen vernachlässigenswert, vgl. Breyer, Prozesskostensysteme, 2006, S. 109, Fn. 391. Zu den Ausnahmen der american rule, vgl. Breyer, Prozesskostensysteme, 2006, S. 109–118. 257 Neufang, Kostenverteilung USA, 2001, S. 31 f. 258 Beuchler, Class Actions, 2008, S. 49 f. 255
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chen.259 Da außerdem das Anwaltshonorar in der Regel die Individualansprüche der Einzelkläger um ein Vielfaches übersteigt, besteht die Gefahr, dass die Gruppenklage nicht im Interesse der class, sondern in dem der Anwälte durchgeführt wird, weswegen die class action auch in den USA kritisch gesehen wird.260 Es verwundert jedenfalls nicht, dass schon innerhalb von drei Wochen nach Explosion der Ölplattform „Deepwater Horizon“ im April 2010 rund 100 Sammelklagen im Namen von Fischern, Restaurantbetreibern, Ferienwohnungs-Besitzern, Bootsvermietern und Küstenanwohnern angestrengt wurden, in denen Schadensersatz wegen der Verschmutzungen durch das auf dem Meeresgrund auslaufende Erdöl geltend gemacht wurde.261 3. Die subjektive Reichweite der Rechtskraft von Urteilen in class actions 399
Im Grundsatz sind alle Klassenmitglieder von der Rechtskraft der Entscheidung gebunden, unabhängig davon, ob sie ihren eigenen „day in court“ gehabt hatten.262 Diese Bindung tritt oftmals ein, ohne dass den passiven Gruppenmitgliedern die Durchführung eines Verfahrens überhaupt bekannt war. Das Prinzip der class action ist eine Stellvertreterklage, wenn auch die passiven class members nie eine Vollmacht erteilt haben. Die Vertretung der gesamten class durch einzelne ihrer Mitglieder wird deswegen für akzeptabel gehalten, weil die gleiche Interessenlage aller Gruppenmitglieder erwarten lässt, dass der Repräsentant den Prozess im Sinne der Unbeteiligten führt.
400
Außerdem sieht man das rechtliche Gehör dadurch gewahrt, dass grundsätzlich jedem class member eine Mitwirkung am Prozess möglich ist durch Klagebeitritt (intervention), eigene Stellungnahmen vor Gericht oder Beobachtung des Prozessverlaufs.263 Diese Teilnahmerechte sind allerdings nur teilweise durch eine Information an die passiven Gruppenmitglieder über die Durchführung einer class action abgesichert: Es steht dem Gericht grundsätzlich frei, ob es durch notice der ganzen Klasse mitteilt, dass in 259
Schneider, Class Actions, 1999, S. 57 f. Vgl. Greiner, Class action und ordre public, 1998, S. 87; krit. auch Eichholtz, Class Action, 2002, S. 21 f. 261 www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,694665,00.html vom 13.05.2010. 262 US Supreme Court, 25.06.1984 – Cooper v. Federal Reserve Bank of Richmond, 467 U.S. 867; US Supreme Court, 12.11.1940 – Hansberry v. Lee, 311 U.S. 32; US Supreme Court, 26.06.1985 – Phillips Petroleum Co. v. Shutts et al., 472 U.S. 797. Eichholtz, Class Action, 2002, S. 29. 263 Dass diese Möglichkeiten bestehen, ergibt sich aus r. 23(c)(2)(B) und r. 23(d)(1)(B) Fed.R.Civ.P. 260
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deren Namen ein Verfahren anhängig ist; nur in manchen Fällen ist dies zwingend erforderlich.264 Während des Verfahrens kann das Gericht allerdings jederzeit auf geeignete Art und Weise durch notice über aktuelle Entwicklungen des Prozesses informieren.265 Außerdem ist vor Abschluss eines für die gesamte Klasse gültigen Vergleichs deren Benachrichtigung zwingend vorgeschrieben.266 Im Interesse der passiven Gruppenmitglieder sind außerdem die Reprä- 401 sentanten zu einer fairen und angemessenen Interessenvertretung verpflichtet267, was während des Verfahrens durch das Gericht überwacht werden kann268. Dieses ist außerdem in Situationen zu einer inhaltlichen Prüfung verpflichtet, in denen der Interessengleichlauf zwischen Repräsentant und Gruppe prinzipiell gefährdet ist.269 Der Eintritt einer Rechtskrafterstreckung auf alle Gruppenmitglieder setzt 402 allerdings voraus, dass die class action nach r. 23 Fed.R.Civ.P rechtmäßig war. Die hierin enthaltenen Voraussetzungen werden zwar zu Beginn des Verfahrens geprüft, bevor die Zulassung (certification) der class action erteilt wird.270 Sie sind aber gleichermaßen heranzuziehen, wenn im Nachhinein fraglich ist, ob das Urteil gegenüber solchen Personen, die am Vorprozess nicht beteiligt waren, als Mitglieder einer vertretenen class Bindungen entfaltet.271 Einerseits müssen hierfür die in r. 23(a) Fed.R.Civ.P. aufgezählten allgemeinen Anforderungen an eine class action erfüllt sein [a)]. Andererseits muss einer der in r. 23(b) Fed.R.Civ.P. abschließend aufgezählten Gründe vorgelegen haben, wegen derer eine Gruppenklage überhaupt nur zulässig ist [b)]. Auch wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, können sich die passiven Gruppenmitglieder in manchen Fällen durch optout der Bindungswirkung entziehen [c)]. 264
Möglich ist die notice in den von r. 23(c)(2)(A) Fed.R.Civ.P genannten Fällen („may“). Zwingend ist sie, soweit r. 23(c)(2)(B) einschlägig ist („must“). Wann dies der Fall ist, und wie die notice im Einzelnen ausgestaltet ist, vgl. unten Rn. 410. 265 R. 23(d)(B) Fed.R.Civ.P. Wann eine Benachrichtigung angeordnet wird und welche Informationen sie enthält, steht im Ermessen des Gerichts, vgl. Eichholtz, Class Action, 2002, S. 142. 266 R. 23(e) Fed.R.Civ.P. 267 R. 23(g)(4) Fed.R.Civ.P. 268 So kann das Gericht schon die Zulassung des Prozessvertreters verweigern, weil er nicht zu einer fairen und angemessenen Interessenvertretung der Klasse in der Lage ist, r. 23(g)(2) Fed.R.Civ.P. Außerdem kann das Gericht nach r. 23(d)(1)(B)(iii) Fed.R.Civ.P. die Klassenmitglieder darauf hinweisen, dass sie sich dazu äußern können, ob sie die Vertretung fair und angemessen finden. 269 Eichholtz, Class Action, 2002, S. 57. 270 Die certification ist geregelt in r. 23(c)(1) Fed.R.Civ.P. 271 Vgl. Eichholtz, Class Action, 2002, S. 216. Allerdings lässt nicht jede Unregelmäßigkeit im Erstverfahren die Rechtskraftbindung entfallen.
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Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
a) Allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzungen einer class action (r. 23(a) Fed.R.Civ.P.) 403
R. 23(a) Fed.R.Civ.P. stellt vier allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzungen einer class action auf. Zunächst muss die Anzahl der Betroffenen so groß sein, dass eine Klageverbindung nicht mehr praktikabel wäre („numerosity“).272 Dies ist nicht nur dann gegeben, wenn allein die Anzahl der Gruppenmitglieder einer Klageverbindung im Wege steht273, sondern kann auch bei wenigen Betroffenen durch besondere Einzelfallumstände erfüllt sein.274 So kann etwa wegen der geographischen Verteilung der Betroffenen die Durchführung mehrerer Individualklagen unpraktikabel sein und eine class action rechtfertigen.275
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Weiterhin erfordert r. 23(a) Fed.R.Civ.P., dass die Individualansprüche in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht Gemeinsamkeiten aufweisen („commonality“).276 Diese Anforderung wird weit ausgelegt und kann schon dann erfüllt sein, wenn nur eine einzige Streitfrage alle Betroffenen gleichermaßen betrifft. Commonality kann demnach beispielsweise selbst dann vorliegen, wenn jeder Betroffene zwar Schadensersatz in individueller Höhe beansprucht, die Verantwortlichkeit des Schädigers gegenüber allen Betroffenen aber auf denselben Grund zurückzuführen ist.277
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Die dritte und vierte Voraussetzung für die Zulässigkeit einer class action beziehen sich auf den bzw. die Repräsentanten. Deren Ansprüche müssen einerseits für die Ansprüche der gesamten Gruppe typisch sein („typicality“).278 Andererseits muss gewährleistet sein, dass die Repräsentanten die Interessen der gesamten class gerecht und angemessen vertreten („representativeness“).279 Dies ist nicht der Fall, wenn es zwischen dem Kläger bzw. seinem Anwalt und der Gruppe einen Interessenantagonismus gibt.280 272 R. 23(a)(1) Fed.R.Civ.P.: „. . . the class is so numerous that joinder of all members is impracticable“. 273 Vgl. US Supreme Court, 12.05.1980 – General Telephone Co. of the Northwest v. Equal Employment Opportunity Commission, 446 U.S. 318, 330: Bei über 40 Mitgliedern kommt eine Klageverbindung in der Regel nicht in Betracht, bei 15 Betroffenen ist sie dagegen im Allgemeinen ohne weiteres möglich. 274 US Court of Appeals 2nd Circuit, 07.03.1968 – Demarco v. Edens, 390 F.2d 836, 854. 275 Vgl. US District Court N.D. Illinois (Eastern Division), 10.11.1986 – Riordan v. Barney, 113 F.R.D. 60, 62: 29 Mitglieder aus neun verschiedenen Staaten wurden zur class action zugelassen. Weitere Nachweise bei Eichholtz, Class Action, 2002, S. 83. 276 R. 23(a)(2) Fed.R.Civ.P.: „. . . there are questions of law of fact common to the class.“ 277 Eichholtz, Class Action, 2002, S. 84. 278 R. 23(a)(3) Fed.R.Civ.P.: „. . . the claims or defenses of the representative parties are typical of the claims of defenses of the class“.
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b) Die zulässigen Anwendungsfälle für eine class action (r. 23(b) Fed.R.Civ.P.) Die Zulässigkeit einer class action hängt nicht nur davon ab, dass die so- 406 eben behandelten allgemeinen Voraussetzungen von r. 23(a) Fed.R.Civ.P. erfüllt sind. Zusätzlich erfordert sie, dass einer der in r. 23(b) Fed.R.Civ.P. abschließend aufgezählten Fallkonstellationen gegeben ist. Hierbei lassen sich mehrere Fälle sog. mandatory class actions [aa)] und die Form der common question class action [bb)] unterscheiden. aa) Die mandatory class actions (r. 23(b)(1), (2) Fed.R.Civ.P.) R. 23(b)(1) und (2) Fed.R.Civ.P. erfasst die sog. mandatory class actions. 407 Dabei handelt es sich um Fälle, in denen die Individualansprüche der Gruppenmitglieder dergestalt innerlich verbunden sind, dass sich eine gerichtliche Entscheidung über jeden einzelnen Anspruch unmittelbar auf die Stellung der übrigen Gruppenmitglieder auswirkt.281 So erklärt r. 23(b)(1) Fed.R.Civ.P. eine class action für zulässig, wenn Individualurteile zu einer Benachteiligung des Gegners der Gruppe (Variante A) oder der übrigen Gruppenmitglieder (Variante B) führen könnten.282 Variante A gilt beispielsweise, wenn eine unterschiedliche Beurteilung der verschiedenen Ansprüche den Gegner der class zu widersprüchlichem Verhalten zwingen würde, so etwa wenn dieser auf ein tatsächliches Verhalten in Anspruch genommen wird und gesetzlich zur Gleichbehandlung aller Betroffenen verpflichtet ist.283 Variante B ist insbesondere in den sog. limited fund-Fällen einschlägig, in denen nur eine beschränkte Haftungsmasse zur Befriedigung 279 R. 23(a)(4) Fed.R.Civ.P.: „. . . the representative parties will fairly and adequately protect the interests of the class.“ 280 Vgl. US Supreme Court, 12.11.1940 – Hansberry v. Lee, 311 U.S. 32. 281 Eichholtz, Class Action, 2002, S. 99. 282 Die Alternative (A) stellt dabei auf die Benachteiligung des Gegners der Gruppe ab: „. . . if prosecuting separate actions . . . would create a risk of inconsistent or varying adjudications with respect to individual class members that would establish incompatible standards of conduct for the party opposing the class“. Demgegenüber schützt Alternative (B) in erster Linie die Interessen der unbeteiligten class members: „. . . if prosecuting separate actions . . . would create a risk of adjudications with respect to individual class members that . . . would be dispositive of the interests of the other members not parties to the individual adjudications or would substantially impair or impede their ability to protect their interests“. 283 Vgl. US Court of Appeals D. Columbia Circuit, 17.02.1976 – Larionoff v. United States, 533 F.2d 1167, 1181; US District Court D. Minnesota (4th Division), 30.04.1993 – White et al. v. National Football League, 822 F. Supp. 1389, 1407 ff.
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der Gläubiger zur Verfügung steht.284 Hier soll die class action – ähnlich einem Konkursverfahren – die gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger sicherstellen und einen „run to the courthouse“ verhindern.285 408
Gem. r. 23(b)(2) Fed.R.Civ.P. ist eine class action ferner zulässig, wenn der Gegner der class gegenüber allen Gruppenmitgliedern zur Gleichbehandlung verpflichtet ist. Dies ist vor allem in Fällen gegeben, in denen Bürgerrechte oder staatliche Sozialleistungen für eine Vielzahl Gleichbetroffener geltend gemacht werden.286 bb) Die common question class action (r. 23(b)(3) Fed.R.Civ.P.)
409
Die meisten Gruppenklageverfahren fallen unter r. 23(b)(3) Fed.R.Civ.P. Nach ihrer breiten Formulierung setzt diese Vorschrift lediglich voraus, dass die Rechts- und Tatsachenfragen, die alle Gruppenmitglieder betreffenden, die individuellen Streitpunkte der Einzelansprüche überwiegen, und dass die class action unter Berücksichtigung aller Umstände und einer Abwägung von Effizienz und Einzelfallgerechtigkeit in concreto einer individuellen Rechtsverfolgung überlegen ist.287 Entscheidend ist, ob die Effizienzvorteile der class action im Ergebnis so groß sind, dass sie den besonderen Aufwand eines solchen Verfahrens und die mit ihm verbundene geringere Rücksichtnahme auf Besonderheiten des Einzelfalls rechtfertigen.288 In diesen Fällen wird die class action also nicht wegen einer inneren Verbundenheit der Einzelansprüche durchgeführt, sondern allein aus Zweckmäßigkeitsüberlegungen.289 Typischerweise fallen Schadensersatz284
Vgl. US Court of Appeals 2nd Circuit, 29.06.1990 – County of Suffolk v. Long Island Lighting Co., 907 F.2d 1295, 1303; US Court of Appeals 2nd Circuit, 04.12.1992 – In re Joint Eastern and Southern District Asbestos Litigation, 982 F.2d 721, 735 f. 285 Eichholtz, Class Action, 2002, S. 102. 286 US District Court M.D. Alaska (Nothern Division), 03.01.1985 – Jordan v. Swindall, 105 F.R.D. 45: geschlechtsspezifische Diskriminierung; US District Court D. Nevada, 08.02.1991 – Riley v. Nevada Supreme Court, 763 F. Supp. 446: Gefängnisbedingungen; US District Court W.D. Michigan, 30.11.1993 – Roman et al. v. Korson et al., 152 F.R.D. 101: staatliche Leistungen. Vgl. Eichholtz, Class Action, 2002, S. 99. 287 „. . . the court finds that the questions of law of fact common to class members predominate over any questions affecting only individual members, and that a class action is superior to other available methods for fairly and efficiently adjudicating the controversy.“ Richtlinien, die bei Beurteilung dieser Voraussetzungen für eine common question class action zu berücksichtigen sind, zählt r. 23(b)(3)(A)-(D) Fed.R.Civ.P. auf. 288 Eichholtz, Class Action, 2002, S. 106. 289 Vgl. etwa California Supreme Court, 10.05.1971 – Vasquez v. Superior Court of San Joaquin County, 4 Cal. 3d 800: Für die Zulassung der class action stellte
§ 5 Wirkungen ausländischer Entscheidungen in subjektiver Hinsicht
229
fälle unter diese Fallgruppe, da die Fälle der mandatory class action bei Geldzahlungen in aller Regel nicht erfüllt sind.290 Insbesondere wenn – wie bei Großschäden – der Sachverhalt komplex und die Beweisaufnahme aufwendig ist, ist das Zweckmäßigkeitskriterium erfüllt. c) Möglichkeit eines opt-out im Falle der common question class action i. S. v. r. 23(b)(3) Fed.R.Civ.P. Ausschließlich bei common question class actions i. S. v. r. 23(b)(3) 410 Fed.R.Civ.P. kann jedes Gruppenmitglied seinen Ausschluss aus der class verlangen und sich damit den Bindungswirkungen des späteren Urteils entziehen (opt-out). Um hiervon Gebrauch machen zu können, hat das Gericht die Gruppenmitglieder bereits nach Anhängigkeit des Verfahrens zwingend durch entsprechende notice über ihr opt-out-Recht zu informieren und sie davon in Kenntnis zu setzen, dass – erklären sie keinen opt-out – ein späteres Urteil ihnen gegenüber verbindlich sein wird.291 Da in diesem Zeitpunkt meist noch nicht endgültig feststeht, wer alles zum Kreis der vertretenen Gruppe gehört, muss die notice lediglich über den „im Einzelfall geeignetsten Weg“ erfolgen und braucht nur insoweit den Gruppenmitgliedern individuell zugehen, wie diese mit angemessenem Aufwand ermittelt werden können.292 Allerdings entbinden hohe Kosten allein noch nicht von der Pflicht, class members ausfindig zu machen.293 Soweit eine individuelle Benachrichtigung ausscheidet, kann auf öffent- 411 liche Formen zurückgegriffen werden, wie etwa Veröffentlichungen in Massenmedien oder Aushänge in öffentlichen Gebäuden.294 In der Benachrichtigung setzt das Gericht eine Frist, innerhalb derer der Austritt erklärt werden das Gericht vor allem darauf ab, dass die einzelnen Ansprüche für eine ökonomische getrennte Durchsetzung zu geringfügig waren. Bei einer class action sei daher die Chance größer, dass dem betrügerischen Beklagten die rechtswidrig erlangten Vermögensvorteile wieder verlustig gehen. 290 Eichholtz, Class Action, 2002, S. 101 f., 104 f. 291 R. 23(c)(2)(B) Fed.R.Civ.P. Zusätzlich müssen in der notice weitere Einzelheiten über den Gegenstand des anhängigen Verfahrens angegeben sein, vgl. r. 23(c)(B)(i)–(vii) Fed.R.Civ.P. 292 R. 23(c)(2)(B) Fed.R.Civ.P.: „. . . the court must direct to class members the best notice that is practicable under the circumstances, including individual notice to all members who can be identified through reasonable effort.“ 293 US Supreme Court, 28.05.1974 – Eisen v. Carlisle & Jacquelin et al., 417 U.S. 156, 173–176. 294 US Court of Appeals 2nd Circuit, 21.04.1987 – In re „Agent Orange“ Product Liability Litigation, 818 F.2d 145, 168 f.; US Court of Appeals 9th Circuit, 18.05.1990 – Six (6) Mexican Workers v. Arizona Citrus Growers, 904 F.2d 1301, 1304.
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Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
muss. Diese endet regelmäßig lange bevor das Ergebnis der class action abzusehen ist.295 Die Gruppenmitglieder, die nicht ordnungsgemäß benachrichtigt wurden, werden später auch nicht von der Rechtskraft erfasst sein.296 412
Ein Austrittsrecht besteht allerdings nicht bei mandatory class actions i. S. v. r. 23(b)(1), (2) Fed.R.Civ.P., weswegen bei diesen auch eine notice anlässlich der Anhängigkeit nicht zwingend vorgeschrieben ist.297 In diesen Fallkonstellationen macht die Gruppenklage nur Sinn, wenn der Rechtsstreit allen Betroffenen gegenüber einheitlich entschieden wird, schließlich dient sie hier gerade dem Schutz der Dritten. Außerdem sind hier die Interessen der Gruppenmitglieder viel homogener, was eine angemessene Vertretung der Gruppe durch den Repräsentanten sicherstellt.298 Man meinte daher, auf ein Austrittsrecht der passiven Gruppenmitglieder verzichten zu können.299 V. Rechtsvergleichende Zusammenfassung
413
Zum Schutz des Anspruchs auf rechtliches Gehör sind grundsätzlich nur die Verfahrensparteien an die Rechtskraft einer Gerichtsentscheidung gebunden.300 In Ausnahme hierzu kennt aber jede der zuvor verglichenen Rechtsordnungen Drittbindungen gegenüber Personen, die nicht als Verfahrensführer am Prozess beteiligt waren. Keine Dritten in diesem Sinne sind folglich alle, die im Laufe des Verfahrens zum Kläger oder Beklagten wurden und vollen Parteistatus erhielten. Möglich ist dies entweder aus eigener Initiative – so etwa bei der Hauptintervention im deutschen Recht – oder auf Antrag eines der ursprünglichen Beteiligten – wie dies beispielsweise die französische Garantieklage oder das englische third party proceeding erlauben. Im Verhältnis zu Personen, die erst im Laufe des Verfahrens Partei wurden, ergeben sich bei der Entscheidungsanerkennung insoweit keine Besonderheiten, als sie regulären Klägern oder Beklagten gleichstehen.
414
Echte Drittbindungen, deren Anerkennung im Zweitland nachfolgend einer näheren Untersuchung bedürfen, treten in den zuvor verglichenen Rechtsordnungen bei zusammenfassender Betrachtung aus vier verschiedenen Gründen auf [1.], verfolgen zwei Generalzwecke [2.] und werden auf dogmatisch unterschiedliche Weise erklärt [3.]. 295
Eichholtz, Class Action, 2002, S. 148. Eichholtz, Class Action, 2002, S. 140. 297 Dem Gericht steht es aber frei, eine solche notice zu veranlassen, vgl. r. 23(c)(A) Fed.R.Civ.P. („may“). 298 Schneider, Class Actions, 1999, S. 46. 299 Eichholtz, Class Action, 2002, S. 57. 300 s. Rn. 295 (allgemein), 297 f. (Deutschland), 336 (England), 360 u. 362 (Frankreich). 296
§ 5 Wirkungen ausländischer Entscheidungen in subjektiver Hinsicht
231
1. Die vier Gründe für den Eintritt von Drittbindungen Es lassen sich vier verschiedene Gründe ausmachen, wegen derer es zu 415 Drittbindungen kommt. Manche Drittbindungsfälle haben mehrere kumulative Ursachen. Es darf daher nicht verwundern, dass im nachfolgenden Versuch einer Systematisierung der Wirkungen gegenüber Dritten einzelne Konstellationen zugleich in mehreren Fallgruppen auftauchen werden. In erster Linie sind Unbeteiligte deshalb an fremde Urteile gebunden, 416 weil sie dasselbe Interesse am Prozessausgang haben wie einer der Prozessakteure und daher ihre Interessen als im Prozess gewahrt gelten dürfen [a)]. In manchen Fällen rechtfertigt sich demgegenüber die Bindung Außenstehender durch deren Beteiligungsrechte [b)]. In anderen wiederum liegt sie in der Zurechenbarkeit fremder Prozessführung aus materiellrechtlichen Ursachen begründet [c)]. Als vierter Grund für den Eintritt von Drittbindungen lassen sich schließlich übergeordnete Interessen ausmachen, die im Einzelfall eine Verkürzung des rechtlichen Gehörs rechtfertigen [d)]. a) Fallgruppe 1: Drittbindung wegen Interessengleichheit zwischen Prozessbeteiligtem und Drittem In vielen Fällen ist ein Außenstehender deshalb an ein fremdes Urteil ge- 417 bunden, weil er am Prozessausgang dasselbe Interesse hat wie einer der Prozessbeteiligten. Wegen derartiger Interessenkongruenz kann davon ausgegangen werden, dass der Prozessakteur mit der Durchsetzung eigener Anliegen zugleich die Belange des Außenstehenden ausreichend geltend macht, weswegen letzterem das Ergebnis fremder Prozessführung zugemutet werden kann. Nach diesem Grundgedanken beurteilen sich im deutschen Recht sämtli- 418 che Fälle gesetzlicher Prozessstandschaft. In diesen erstreckt sich die Rechtskraft eines durch den Rechtsfremden erstrittenen Urteils regelmäßig dann auf den Rechtsträger, wenn ersterer nicht nur für sich selbst, sondern auch im Interesse des Hintermannes handelte.301 Wann dies der Fall ist, lässt sich wiederum an der Exklusivität der Prozessführungsbefugnis des Akteurs ablesen und ist dementsprechend etwa bei den Parteien kraft Amtes gegeben302 ferner bei der elterlichen Prozessführungsbefugnis über die Unterhaltsansprüche von Kindern gem. § 1629 III S. 2 BGB und bei der Prozessführungsmacht des allein verwaltenden Ehegatten hinsichtlich des Gesamtgutes303. 301 302 303
s. Rn. 302. s. Rn. 303. s. Rn. 304.
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419
Auch im französischen Recht findet sich das Konzept der Interessengleichheit zur Begründung der Rechtskrafterstreckung auf Außenstehende. Dies lässt sich in Fällen beobachten, in denen einzelnen Mitberechtigten oder -verpflichteten hinsichtlich der gesamten Rechtsposition ein Klagerecht zukommt.304 Unter dem Stichwort der co-interessés besteht dann zwischen Gesamtschuldnern und -gläubigern eine Rechtskrafterstreckung.305 Grundüberlegung ist hierbei jeweils, dass der Prozessführer dasselbe Ziel wie ein mitverpflichteter oder -berechtigter Außenstehender verfolgt. Ein weiteres Beispiel für die Interessengleichheit als Drittbindungsgrund ist die US-amerikanische mandatory class action (§ 23 (b)(A), (B) Fed.R.Civ.P). Dass bei dieser die unbeteiligten class members nicht einmal die Möglichkeit eines opt-out haben, liegt unter anderem im starken Interessengleichlauf zwischen representative und passiven class members begründet.306
420
Eine Rechtskrafterstreckung allein wegen Interessengleichheit kennt das englische Recht nicht, obwohl das Konzept der privity in interest ursprünglich wohl in diesem Sinne verstanden wurde. Mittlerweile geht man jedoch nur dann von privies in interest aus, wenn der Außenstehende eine Möglichkeit zur Intervention in den Prozess oder sonstigen Einflussnahme auf diesen gehabt hätte, diese gleichwohl ungenutzt verstreichen ließ.307 Die privity in interest ist daher in Fallgruppe 2 einzuordnen. b) Fallgruppe 2: Drittbindung wegen Beteiligungsrechten des Dritten
421
Ein weiterer Grund für Drittbindungen sind die Beteiligungsrechte des Außenstehenden. Diese begründen eine Rechtskraftbindung meist deshalb, weil der Dritte durch sie im Prozess zu Wort kam und daher seine Anliegen dem Gericht vortragen konnte. Auslöser einer Drittbindung kann aber auch allein die Tatsache sein, dass der Dritte eine Interventions- oder Mitwirkungsmöglichkeit hatte, hiervon jedoch keinen Gebrauch gemacht hat. In diesen Fällen erfordert der Eintritt einer Bindung kraft Unterlassens typischerweise, dass der Dritte auch subjektiv in der Lage gewesen wäre, seine Beteiligungsrechte auszuüben. Dies wird üblicherweise durch eine förmliche Benachrichtigung des Dritten über die Anhängigkeit des Prozesses sichergestellt.
422
In Deutschland gehören in diese Fallgruppe die Bindungswirkung aufgrund Nebenintervention und Streitverkündung.308 Auch wenn diese Instru304 305 306 307 308
s. s. s. s. s.
zu den Individualklagerechten Rn. 364 f. Rn. 373. Rn. 412. Rn. 349–354. Rn. 332 f.
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233
mente der Umsetzung materiellen Rechts dienen, liegt die eigentliche Rechtfertigung für die Drittbindung jeweils in der Prozessteilnahme des Dritten bzw. seiner Möglichkeit hierzu. Aus dem englischen Recht sind die Instrumente third party proceeding 423 und third party notice zu nennen309, wobei erstere keine echte Drittbindung erzeugt, den Dritten vielmehr zum vollwertigen Verfahrensbeteiligten macht. Auch die Fälle der privity of interest rechtfertigen sich damit, dass der Dritte Kenntnis vom Verfahren hatte, dennoch von seinen Interventionsoder Einflussnahmemöglichkeiten keinen Gebrauch gemacht hat. Eine förmliche Benachrichtigung über die Anhängigkeit eines Verfahrens ist hierfür nicht erforderlich, faktische Kenntnis vielmehr ausreichend.310 Aus dem französischen Recht ist die déclaration de jugement commun zu nennen, deren Beantragung dem Dritten Mitwirkungsrechte verschafft.311 Außerdem ist an die Garantieklage zu denken (appel en garantie), die allerdings nicht zu einer Drittwirkung im eigentlichen Sinne führt, den Dritten vielmehr zur Partei macht.312 Ferner dürfte die Annahme einer opposabilité absolue im französischen Recht dadurch gerechtfertigt sein, dass der Dritte durch tierce opposition abgesichert ist.313 Zumindest Mitgrund für die Rechtskrafterstreckung bei der common question class action in den USA ist die Möglichkeit des Dritten zum opt-out.314 Dies ist zwar kein Mitwirkungsrecht; aber das Nichtgebrauchmachen vom Austrittsrecht hat die Bedeutung einer nachträglichen Zustimmung zur fremden Prozessführung, ist insofern einer Mitwirkung vergleichbar. Ferner steht es jedem class member frei, sich am Prozess zu beteiligen.315 Die Drittwirkungen aufgrund von Beteiligungsrechten des Dritten können 424 weiter unterteilt werden in Fälle unfreiwilliger und solche freiwilliger Drittbeteiligung. Bei ersterer wird der Dritte entgegen seinem Willen entweder in das Verfahren hineingezogen (Garantieklage, third party proceeding) bzw. ihm gegenüber eine Obliegenheit zur Teilnahme hergestellt (Streitverkündung, third party notice). Bei freiwilliger Drittbindung schaltet sich der Dritte von sich aus in ein fremdes Verfahren ein (Intervention). In beiden Fällen liegt jedoch einheitlich die Rechtfertigung für die Drittbindung in den Mitwirkungsrechten, von denen der Dritte Gebrauch gemacht hat oder hätte machen können. 309 310 311 312 313 314 315
s. s. s. s. s. s. s.
Rn. Rn. Rn. Rn. Rn. Rn. Rn.
340 einerseits und Rn. 355 andererseits. 349–351, 353. 387. 388–390. 383–385. 410. 400.
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c) Fallgruppe 3: Drittbindung wegen materieller Abhängigkeit des Dritten vom Gegenstand des Vorprozesses oder von einem der Prozessbeteiligten 425
In der dritten Gruppe sind alle Fälle zusammenzufassen, in denen dem Außenstehenden aus materiellrechtlichen Gründen die Wirkungen eines „fremden“ Urteils zurechenbar sind. Dies ist in drei Formen denkbar:
426
Die erste Form der Drittbindung kraft materieller Abhängigkeit ist dadurch gekennzeichnet, dass die materielle Lage des Dritten so stark von der Rechtsstellung einer der Parteien des Vorprozesses abhängt, dass der Dritte das Ergebnis des fremden Gerichtsverfahrens hinzunehmen hat. Dies gilt insbesondere für die akzessorisch Haftenden im deutschen Recht, deren Rechtsposition an die des Hauptschuldners materiellrechtlich angelehnt ist. Dementsprechend trifft den abgeleitet Haftenden die Prozessführung des Hauptschuldners, wenn die Haftungsakzessorietät streng ausgestaltet ist.316 Auch im französischen Recht ist die Rechtskrafterstreckung des Hauptschuldurteils auf den Bürgen Folge der materiellen Abhängigkeit des Bürgen von der Rechtsstellung des Hauptschuldners.317
427
Die zweite Form der Drittbindung kraft materieller Abhängigkeit besteht darin, dass es im Prozess um dieselbe Rechtsposition ging, in die nunmehr der Außenstehende eingetreten ist. Die Rechtslage des Dritten ist dann nicht nur angelehnt an die Rechtsstellung einer der Parteien des Vorprozesses, sondern sogar identisch mit der zuvor ausgeurteilten Rechtslage. Dies ist bei sämtlichen Konstellationen der Rechtsnachfolge der Fall, in denen der Sukzessor kraft materiellen Rechts in die Stellung des Prozessakteurs eintritt und damit dessen Recht so übernimmt, wie dieser es als ursprünglicher Inhaber gerichtlich erstritten bzw. verteidigt hat.318 Aus dem deutschen Recht ist ferner an die Fälle zu denken, in denen Dritte einer fremden Schuld beitreten bzw. eine Schuld oder ein Handelsgeschäft übernehmen. Die Eintretenden müssen sich hier Urteile über Verbindlichkeiten zurechnen lassen, da die judizierte Rechtsposition nunmehr der ihrigen entspricht.319 Auch die Rechtskrafterstreckung, die mit der Prozessstandschaft bei Veräußerung der in Streit befangenen Sache (§ 265 II ZPO) einhergeht, sowie im Falle der Abtretung gem. § 407 II, § 408 BGB rechtfertigt sich durch das Nachfolgeprinzip.320 Im französischen Recht ist an das Verhältnis meh316
s. Rn. 311–315. s. Rn. 374 f.: Die Rechtskrafterstreckung hat hier ihren Grund zumindest auch im materiellen Recht. 318 s. für Deutschland Rn. 308 f., zu den privies in blood und in title im englischen Recht Rn. 346 und zu den ayants cause in Frankreich Rn. 380. 319 s. zum deutschen Recht Rn. 320–322. 317
§ 5 Wirkungen ausländischer Entscheidungen in subjektiver Hinsicht
235
rerer Gläubiger desselben Schuldners (créanciers) zu denken. Dass hier ein Urteil zwischen Gläubiger und Schuldner auch andere Gläubiger bindet, hat seinen Grund darin, dass der Anspruch die Schwankungen mitmacht, denen die Haftungsobjekte unterliegen, wurzelt damit im materiellen Recht.321 Die dritte Form von Drittbindungen kraft materieller Abhängigkeit ist da- 428 durch gekennzeichnet, dass sich der Dritte das durch einen fremden Verfahrensführer erstrittene Prozessergebnis zurechnen lassen muss, weil der Fremde kraft Gesetzes oder Einwilligung befugt war, mit Fremdwirkung zu Prozessieren. Hierzu sind aus allen Rechtsordnungen sämtliche Fälle gewillkürter322 und gesetzlicher323 Vertretungsmacht vor Gericht zu rechnen. Freilich ist hier der „Prozessherr“ unter formaler Betrachtung selbst Partei, so dass es sich gar nicht um eine Drittbindung im eigentlichen Sinne handelt. Da es nichtsdestotrotz um die Zurechnung fremder Verfahrensführerschaft geht, seien diese Fälle hier genannt. Eine echte Rechtskrafterstreckung liegt jedenfalls vor, wenn der Verfahrensführer kraft Prozessführungsmacht befugt ist, im eigenen Namen über ein fremdes Recht zu prozessieren. Im deutschen Recht gehören hierzu insbesondere die gewillkürte Prozessstandschaft, die stets mit einer Rechtskrafterstreckung einhergeht324, und die Fälle gesetzlicher Prozessstandschaft325, denen allerdings primär das Drittbindungsprinzip der Interessengleichheit zugrunde liegt326. Im englischen Recht gibt es eine vergleichbare Erscheinung: Dort darf der in law-Berechtigte die equitable rights Dritter deshalb auch mit Wirkung für und gegen diese geltend machen, weil deren Rechtsposition von der des in law-Berechtigten abhängt.327
320
s. Rn. 305. Rn. 376 f.: Die französische Rspr. ordnet diese Fälle zwar als stillschweigende Vertretung wegen Interessengemeinschaft ein. Der eigentliche Grund für die Rechtskrafterstreckung dürfte aber im materiellen Recht liegen, vgl. Rn. 376 f. Aus diesem Grunde scheint für die rechtsvergleichende Systematisierung vorliegend eine Einordnung als „Rechtskrafterstreckung kraft Zurechenbarkeit aus Gründen des materiellen Rechts“ zutreffend. 322 Vgl. für England Rn. 339, für Frankreich Rn. 368 (représentation ad litem) u. Rn. 371 (représentation ad agendum). 323 Vgl. für England Rn. 339, für Frankreich Rn. 369 f. (représentation ad agendum). 324 Vgl. für Deutschland Rn. 304, zu dem funktional entsprechenden Institut des französischen Rechts Rn. 371. 325 Rn. 303–305. 326 Deshalb wurden sie auch oben in Fallgruppe 1 eingeordnet, vgl. Rn. 418. 327 Rn. 342 f. 321
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Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
d) Fallgruppe 4: Drittbindung unter Verkürzung des rechtlichen Gehörs des Dritten zum Schutz anderer übergeordneter Rechtsgüter 429
Nur ausnahmsweise rechtfertigt sich eine Drittbindung aus übergeordneten anderweitigen Interessen. Diese Fallgruppe unterscheidet sich insofern von den zuvor behandelten, als dass bei ihr nicht ein anderweitiger Ausgleich zu Gunsten des unbeteiligten Dritten dessen Bindung an das fremde Prozessergebnis angemessen sein lässt. Weder rechtfertigt sich hier die Drittbindung durch Beteiligungsrechte (wie in Fallgruppe 2), noch kann auf solche verzichtet werden, weil die Prozessführung ohnehin im Interesse des Dritten erfolgt (Fallgruppe 1) oder dieser aus Gründen des materiellen Rechts die Folgen fremder Prozessführung zu akzeptieren hat (Fallgruppe 3). Die Fallgruppe 4 ist vielmehr dadurch gekennzeichnet, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör zu Gunsten anderweitiger übergeordneter Rechtsgüter zurücktritt. Teilweise greifen zum Schutz des Dritten ergänzende Ausgleichsmechanismen (wie Schadensersatz oder eine Einschränkung des Beibringungsgrundsatzes). Diese sind in den von Fallgruppe 4 erfassten Fällen aber nicht der eigentliche Grund für den Eintritt von Drittbindungen, sondern eher Begleiterscheinung.
430
Das rechtliche Gehör wird typischerweise eingeschränkt, wenn ein zwingendes Bedürfnis für die subjektive Erweiterung der Urteilswirkungen vorliegt, gleichwohl eine Verfahrensbeteiligung aller Dritter die Verfahrenseffizienz zu stark beeinträchtigen würde. Letzteres droht insbesondere, wenn der Personenkreis zu groß wäre um alle anzuhören. Aus dem deutschen Recht ist vor allem an Entscheidungen in Abstammungssachen zu denken, die gem. § 184 II FamFG deshalb erga omnes wirken, weil die Abstammungsfrage für die Beteiligten von herausragender Bedeutung ist und daher einheitlich feststehen soll.328 Das rechtliche Gehör tritt hier also hinter dem Bedarf nach einheitlicher Entscheidung und dem Anliegen der Verfahrenseffizienz zurück. Hier ist die Drittbindung auch deshalb akzeptabel, weil im Verfahren eingeschränkt der Amtsermittlungsgrundsatz gilt (§ 177 FamFG). Andererseits sind die Fälle von § 856 IV, V ZPO, § 183 InsO und §§ 248 S. 1, 252 I AktG zu nennen, in denen eine Bindung gegenüber Personen in Kauf genommen wird, die am Verfahren selbst nicht mitwirken konnten.329 Auch die Rechtskrafterstreckung nach § 9 TVG rechtfertigt sich durch übergeordnete Interessen der Allgemeinheit.330
431
Das englische Recht kennt judgments in rem, die den Status einer Person (bspw. Scheidung) oder Sache (bspw. Bestand eines Wegerechts) betreffen, 328 329 330
s. Rn. 331. s. Rn. 330. s. Rn. 327.
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und ebenfalls wegen der besonderen Natur des Verfahrensgegenstandes zukünftig einheitlich feststehen sollen.331 Auch bei den actions in rem in Seerechts-Angelegenheiten ist zur Sicherstellung der dinglichen Haftung des Schiffes eine weltweite Wirkung vorgesehen, die mit einer Verkürzung des rechtlichen Gehörs der Betroffenen einhergeht.332 Im englischen Recht ist ferner an das Phänomen der represented parties bei Musterprozessen zu denken, das ebenfalls prozessualen Effizienzbedürfnissen Rechnung trägt.333 Aus dem französischen Recht ist die autorité absolue de chose jugée für besondere Statusfragen zu nennen.334 Außerdem lässt sich die weite Rechtskraftwirkung US-amerikanischer 432 Gruppenklagen unter Einschränkung des rechtlichen Gehörs Einzelner mit übergeordneten Interessen begründen. Sowohl mandatory class action als auch common question class action sollen vor allem die Verfahrenseffizienz erhöhen und gleichzeitig den Rechtsschutz insgesamt verbessern.335 2. Die beiden Zwecke von Entscheidungswirkungen gegenüber Dritten Erweiterungen der Entscheidungswirkungen über den inter partes-Grund- 433 satz hinaus verfolgen vor allem zwei Aufgaben: Einerseits dienen sie rein prozessualen Zwecken, andererseits verhelfen sie dem materiellen Recht zur effektiven Umsetzung. Primär prozessualen Zwecken sind solche Drittwirkungen geschuldet, die den Parteien den Prozesserfolg bzw. dessen Wert erhalten oder bestimmten prozessualen Lagen Rechnung tragen. So dient insbesondere die Rechtskrafterstreckung auf den Rechtsnachfolger dem genuin im Prozessrecht verankerten Anliegen, ihm die Früchte des Prozesses zu erhalten. Auch die Rechtskrafterstreckung auf den Rechtsträger bei Prozessstandschaft bzw. die Bindung des Prozessherrn im Falle der Prozessvertretung stellt sicher, dass ein Verfahren nicht umsonst geführt wurde. Originär prozessrechtlich ist auch die Rechtskrafterstreckung, die mit der Prozessstandschaft bei Veräußerung der in Streit befangenen Sache gem. § 265 II ZPO einhergeht. Gleiches gilt für die class action, soweit sie prozessökonomischen Zwecken dient. Andererseits dienen Drittwirkungen der Verwirklichung des materiellen 434 Rechts, so insbesondere in den Drittbindungsfällen kraft materiellrechtlicher Abhängigkeit (Fallgruppe 3). Ob und wie ein Dritter vom Urteil gebunden ist, hängt hier stark von dessen Stellung im materiellen Recht ab, was sich 331 332 333 334 335
s. s. s. s. s.
Rn. Rn. Rn. Rn. Rn.
357. 358 f. 344. 386. 407 f. einerseits, Rn. 409 andererseits.
238
Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
insbesondere anhand der Drittbindungen in Fällen akzessorischer Haftung beobachten lässt.336 Auch Streitverkündung, third party notice und intervention forcée dienen der Effektuierung des Sachrechts.337 Aus dem deutschen Recht sind ferner einige Sonderfälle zu nennen, in denen Drittbindungen spezifische im materiellen Recht wurzelnde Wertentscheidungen umsetzen – so etwa § 124 VVG und § 9 TVG.338 3. Die verschiedenen dogmatischen Begründungen der Wirkungen gegenüber Dritten 435
Die Bindungswirkungen für oder gegen Prozessfremde haben in den verglichenen Rechtsordnungen eine unterschiedliche Rechtsnatur. Eine echte Rechtskrafterstreckung kennt das deutsche Recht nur in einigen Fällen; meist handelt es sich hier um materiellrechtliche Nebenwirkungen.339 Prozessrechtlicher Natur sind hier aber die Streitverkündungs- und Interventionswirkung. Demgegenüber werden in England Drittbindungen einheitlich als res judicata-Wirkung erklärt. Auch third party proceeding bzw. third party notice lösen übereinstimmend Rechtskrafterstreckung aus. Genauso erklärt das französische Recht subjektive Erweiterungen der Entscheidungswirkungen stets mit einer Ausweitung der autorité de la chose jugée. So führt etwa auch die intervention forcée zu einer Rechtskrafterstreckung.340 Auch die Bindung des class action-Urteils gegenüber den unbeteiligten class members im US-amerikanischen Recht ist prozessrechtlicher Natur.341
B. Die subjektive Wirkungsreichweite anerkannter ausländischer Entscheidungen im jeweiligen Zweitland 436
Im Folgenden ist zu untersuchen, welche Wirkungen anerkannte ausländische Entscheidungen im Zweitland in subjektiver Hinsicht entfalten. Damit Drittbindungen überhaupt anerkannt werden können, müssen sie zunächst als prozessuale Wirkungen qualifiziert werden [I.]. Die Wirkungen ihrer Anerkennung sind nach den in § 3 herausgearbeiteten Schritten zu be336
s. Rn. 426. s. Rn. 333 (Streitverkündung), 355 (third party notice), 387–390 (intervention forcée). 338 s. Rn. 325, 327. 339 s. insbes. Rn. 316 f. zur Rechtsnatur der Drittwirkung gegenüber akzessorisch Haftenden. 340 s. Rn. 387–390. 341 s. Rn. 399. 337
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stimmen342: Nach Schritt 1 unterliegen sie grundsätzlich dem Recht des Ursprungsstaates [II.]. Es fragt sich aber im Schritt 2, ob die vom Ursprungsgericht angewendete lex causae maßgeblich ist [III.]. Schließlich kann sich im Schritt 3 die Frage einer Wirkungsbegrenzung aus Rücksicht auf das Recht des Anerkennungslandes stellen [IV.]. I. Vorab: Qualifikation von Drittwirkungen als prozessual anerkennungsfähig und Abgrenzung zu den materiellrechtlichen Nebenwirkungen Für die Qualifikation von Entscheidungsdrittwirkungen sind System- 437 begriffe heranzuziehen, die vom nationalen Recht losgelöst sind. Dass etwa die h. M. in Deutschland die Bindung eines Hauptschuldurteils gegenüber dem Bürgen materiellrechtlich erklärt, während sie in Frankreich als Teil der Rechtskraft aufgefasst wird343, kann für die Qualifikation im europäischen Anerkennungsrecht keinen Unterschied machen. Insbesondere kann es der Anerkennungsfähigkeit einer Drittbindung nicht entgegenstehen, dass sie in ihrem Ursprungsland materiellrechtlich erklärt wird, da andernfalls Entscheidungen aus diesem Land diskriminiert würden.344 Nach der allgemeinen Formel sind alle Effekte eines Richterspruchs anerkennungsfähig, die die materiellrechtlichen Beziehungen zwischen den Prozessparteien und zu Dritten festlegen bzw. ausgestalten.345 Wann diese Voraussetzung bei Auswirkungen einer Entscheidung auf Dritte erfüllt ist, muss nachfolgend präzisiert werden. Zu weit geht jedenfalls die These, alle Drittwirkungen seien von den Anerkennungsregeln der EuGVVO erfasst.346 Denn nicht jeder noch so entfernte Effekt eines Urteils für die Rechtsstellung Dritter kann über die prozessuale Anerkennung transnational übertragen werden. Vielmehr ist eine Abgrenzung zu den materiellrechtlichen Nebenwirkungen erforderlich.347 Daher ist zunächst das richtige Qualifika342
s. hierzu Rn. 153–156. s. hierzu für Deutschland oben Rn. 316 f. und für Frankreich Rn. 374. Ob man wiederum in einer Rechtsordnung die Rechtskraft damit erklärt, das Urteil gestalte die materielle Rechtslage um, oder sie als ein ne bis in idem begreift, hat für die Qualifikation der Rechtskraft als prozessuale Urteilswirkung keine Bedeutung, s. bereits Rn. 61 f. 344 Vgl. auch Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 886 und Schack, IPRax 1989, S. 139 (142), der aber einen anderen Blickwinkel wählt: Durch die Statuierung zusätzlicher prozessualer Urteilsdrittwirkungen könnte ein Land den Umfang der Anerkennungspflicht gegenüber seinen Urteilen einseitig erweitern. Schack will das Problem durch den Kumulationsansatz lösen, vgl. bereits Rn. 139 f. 345 s. oben Rn. 64. 346 So aber Köckert, Drittbeteiligung, 2010, S. 182. 347 s. Rn. 57 ff. 343
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tionskriterium zu ermitteln [1.] und dieses im nächsten Schritt auf die einzelnen zuvor gefundenen Fallgruppen von Drittwirkungen anzuwenden [2.]. 1. Suche nach dem richtigen Qualifikationskriterium 438
Zunächst ist das Kriterium zu klären, nach dem zu entscheiden ist, ob eine Drittwirkung über die EuGVVO anerkennungsfähig ist. a) Erste Möglichkeit: Qualifikation der Drittwirkungen danach, ob aus der Entscheidung selbst fließend oder nicht
439
Zur Abgrenzung der anerkennungsfähigen Drittbindungen von materiellen Nebenwirkungen könnte man darauf abstellen, ob sich die jeweilige Drittwirkung aus der Gerichtsentscheidung selbst ergibt oder aus einer Norm „außerhalb“ von dieser. Demnach wäre eine Wirkung dann anzuerkennen, wenn der Richter ausdrücklich oder stillschweigend auch mit Verbindlichkeit für einen Dritten entschieden hat. Würde die Drittwirkung hingegen – gewissermaßen erst im Nachhinein – ausgelöst, weil der Titel Tatbestandsvoraussetzung einer Vorschrift ist, handelte es sich um eine materielle Nebenwirkung.
440
Nach dieser Unterscheidung wäre die deutsche Streitverkündungswirkung wohl nicht anerkennungsfähig, weil die Streitverkündung als solche im eigentlichen Vorprozess keinerlei Bedeutung hat. Vielmehr sind die Voraussetzungen einer gültigen Streitverkündung nach §§ 72, 73 ZPO erst im Folgeprozess zu prüfen. Demgegenüber wäre aber die Drittbindung aufgrund der französischen déclaration de jugement commun anzuerkennen, weil sie bewusst vom Gericht ausgesprochen wird. In der Sache wäre diese Ungleichbehandlung von Streitverkündung und déclaration de jugement commun aber durch nichts gerechtfertigt, da beide Instrumente eine große funktionale Ähnlichkeit aufweisen.
441
Nach diesem Qualifikationsansatz wäre genauso wenig die Folge des § 768 I BGB348 anerkennungsfähig, da es sich hierbei um eine Auswirkung des Urteils auf eine andere Rechtsbeziehung handelt, die gar nicht Gegenstand des richterlichen Verdikts war. Ferner dürfte nach diesem Unterscheidungskriterium beispielsweise die Rechtskrafterstreckung auf den Rechtsnachfolger nicht anerkennungsfähig sein, da im Vorprozess nicht auch dessen Rechtsstellung beurteilt wurde, die Bindung ihm gegenüber vielmehr erst im Nachhinein durch das Urteil ausgelöst wird. Es steht aber außer Zweifel, dass auch die Rechtskraftwirkung gegenüber dem Rechtsnachfol348 Der Bürge kann sich auf eine im Verhältnis zum Hauptschuldner ergangene Entscheidung, durch die der Bestand der Hauptforderung verneint wurde, berufen.
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241
ger anerkennungsfähig sein soll. Andernfalls wären grenzüberschreitende Rechtssicherheit und -gewissheit genauso wenig gewährleistet, wie die notwendige Effizienz des Rechtsschutzes, zumal Veränderungen der Rechtszuständigkeit häufig vorkommen und auch von den Parteien selbst herbeigeführt werden können. Es zeigt sich daher: Die Unterscheidung danach, ob eine Drittwirkung aus dem Urteil selbst fließt oder aus einer Regelung bzw. einem Umstand außerhalb des Urteils, reduziert den Kreis der anerkennungsfähigen Wirkungen insgesamt zu sehr und ist daher untauglich. b) Zweite Möglichkeit: Qualifikation der Drittwirkungen nach deren jeweiligem Zweck Man könnte Drittwirkungen auch nach ihrem Zweck qualifizieren. Wie 442 sich gezeigt hatte, sichern sie entweder den Prozesserfolg ab oder verhelfen materiellem Recht zur Geltung.349 Allerdings rechtfertigt jede dieser beiden Funktionen, dass die ihnen geschuldeten Bindungen auch im Zweitland greifen. Schließlich sprechen die Anerkennungsinteressen – insbesondere Förderung des internationalen Entscheidungseinklangs und Bewahrung der prozessualen Erfolge für das Zweitland – gleichermaßen für die Anerkennung von Entscheidungswirkungen, die prozessualen Zwecken dienen, sowie solchen, die materiellrechtliche Wertungen umsetzen. Die Anerkennungsfähigkeit kann daher nicht von einer Zweckbetrachtung abhängen. c) Dritte Möglichkeit: Qualifikation ausgehend vom Zweck der Anerkennung Da die Frage der Qualifikation der Entscheidungswirkungen eine Frage 443 nach der Reichweite der Urteilsanerkennung ist, soll die Suche nach dem richtigen Qualifikationskriterium ihren Ausgangspunkt im Zweck der Entscheidungsanerkennung nehmen. Dieser besteht darin, das Urteil genau so in das Zweitland zu übertragen, wie es im Ursprungsland vorliegt. Durch seinen Import sollen die Entscheidungswirkungen weder vermehrt noch verringert werden.350 Erkennt ein Staat eine ausländische Entscheidung an, bedeutet dies, dass er bereit ist, die Tätigkeit des ausländischen Rechtsprechungsorgans zu akzeptieren. Dessen Ermittlung bzw. Gestaltung der Rechtslage hält er – gemessen an den in Art. 34 f. EuGVVO normierten Voraussetzungen – für annehmbar. Damit sind für ihn alle Wirkungen akzeptabel, die auf die Tätigkeit des ausländischen Richters zurückzuführen sind, denn diese ist es, die der Zweitstaat hinzunehmen bereit ist. Andere 349 350
s. Rn. 433 f. Vgl. bereits Rn. 79.
242
Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
Effekte, die demgegenüber ihren primären Geltungsgrund nicht in der ausländischen richterlichen Tätigkeit als solcher haben, will der Zweitstaat nicht deshalb übernehmen, weil er die ausländische Entscheidung für anerkennungsfähig hält. Es lässt sich damit die allgemeine These aufstellen, dass mit ausländischen Urteilen all diejenigen Effekte importiert werden sollen, die ihre eigentliche Geltungswurzel in der richterlichen Entscheidung haben. 444
Eine solche Wurzel besteht – abstrakt formuliert – bei all denjenigen Wirkung, die allein deshalb greifen, weil der Richter in der ein oder anderen Weise entschieden hat. Denn dann hätten die Beteiligten im Prozess theoretisch die Möglichkeit gehabt, auf den Inhalt der richterlichen Entscheidung und damit auf den Bestand der Drittbindung einzuwirken. Soweit Drittgebundene nicht beteiligt waren, konnten sie den Entscheidungsausgang zwar nicht beeinflussen. Aber es ist dann – soweit die Wirkung in erster Linie wegen der richterlichen Entscheidung besteht – eine im Inbegriff des ausländischen Prozesses wurzelnde Festlegung, dass den Unbeteiligten eine Bindung zumutbar ist. Diese sollte mit übertragen werden, wenn der Zweitstaat die Entscheidung und das dieser vorausgegangene Verfahren für akzeptabel hält und das Rechtsprechungsergebnis auch für sich gelten lassen will. Möglicherweise ist dann auf Ebene von Schritt 3 eine Wirkungsbegrenzung durchzuführen.
445
Eine Drittwirkung hat – um konkreter zu werden – einerseits dann ihre Geltungswurzel in der richterlichen Tätigkeit, wenn der Richter wissentlich mit Wirkung gegenüber dem Dritten entschieden hat. Hatte er ein solches Bewusstsein allerdings nicht, kann die Geltungswurzel andererseits angenommen werden, wenn der Richter auch bei Kenntnis von Person und Position des Drittbetroffenen nicht anders entschieden hätte, weil sich dessen Existenz auf die Sachentscheidung nicht ausgewirkt hätte. Lässt sich demgegenüber in einem Entscheidungseffekt kein bzw. nur ein sehr geringer Rückbezug zum richterlichen Tätigwerden feststellen, handelt es sich um eine Regelung, die die materielle Rechtslage an den Richterspruch anpasst, diesem gewissermaßen nur Rechnung trägt. Solche Effekte sind lediglich Reflexe eines Rechtspruchs und von der Anerkennung nicht mehr erfasst. d) Zwischenergebnis: Geltungswurzel der Drittwirkung als Qualifikationskriterium
446
Als Zwischenergebnis kann damit festgehalten werden, dass Drittwirkungen ausländischer Entscheidungen immer dann in den Anwendungsbereich der EuGVVO fallen, wenn sie ihre Geltungswurzel in der richterlichen Tätigkeit bzw. Entscheidung im Ursprungsland haben. Wann dies
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erfüllt ist, ist nunmehr konkret für die einzelnen Fallgruppen von Drittwirkungen zu klären.351 2. Anwendung des Qualifikationskriteriums auf die Fallgruppen 1 bis 4 Die unter Fallgruppe 1 zusammengefassten Drittwirkungen haben ihre 447 Ursache darin, dass von demjenigen, der vor Gericht aufgetreten ist, angenommen werden kann, dass er die Belange des Hintermannes ausreichend vertritt. Diese Annahme rechtfertigt sich aus dem Interessengleichklang von Akteur und Drittem in Bezug auf das Prozessergebnis. Dieser Gleichklang verspricht, dass die Belange des Dritten ausreichend in den Prozess eingeflossen sind und bei der richterlichen Entscheidung angemessen gewürdigt wurden. Folglich haben alle Drittwirkungen, die sich mit dieser Interessengleichheit erklären, letztlich ihre Wurzel in der richterlichen Entscheidung, da der entscheidende Richter – ohne es zu wissen – auch Belange des Drittbetroffenen berücksichtigt hat. Somit sind die in Fallgruppe 1 zusammengefassten Drittwirkungen entsprechend dem maßgeblichen Qualifikationskriterium nach der EuGVVO anzuerkennen. Fraglich ist, ob auch die in Fallgruppe 2 zusammengefassten Drittbin- 448 dungsfälle nach Art. 33 ff. EuGVVO anerkannt werden können. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass sich der Dritte am Verfahren beteiligt hat oder dies hätte tun können und daher sein rechtliches Gehör gewahrt wurde bzw. aus seiner Passivität gefolgert werden kann, dass der Dritte mit dem Prozess und seiner Führung einverstanden ist. Auch die hierdurch ausgelöste Drittbindung hat letztlich ihre Geltungswurzel in der richterlichen Entscheidung: Für den Fall dass sich der Dritte beteiligt hat, folgt dies schon daraus, dass der Dritte seinen Standpunkt im Verfahren artikuliert hat und sein Vorbringen daher bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden konnte. Ist der Dritte hingegen passiv geblieben, ist sein Unterlassen als stillschweigende Zustimmung zur fremden Prozessführung zu werten. Auch die hieraus ableitbaren Drittbindungen haben ihre Geltungswurzel in der richterlichen Entscheidung, weil die Passivität des Dritten so zu werten ist, dass dieser keine eigenen Aspekte zur Entscheidungsfindung einführen wollte, der Richter mithin auch bei seiner Teilnahme nicht anderes entschieden hätte. Insofern sind Streitverkündungs- und Interventionswirkung anerkennungsfähig.352 Dasselbe gilt für Drittbindungen aufgrund privity in interest oder third party proceeding. Auch die in Fallgruppe 4 zusammengefassten Fälle von Drittbindungen 449 sind letztlich als anerkennungsfähige Entscheidungswirkungen zu qualifizie351 Vgl. zu den Fallgruppen die rechtsvergleichende Zusammenfassung oben Rn. 413–432.
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ren. Hier handelt es sich jeweils um Streitgegenstände, die aufgrund ihrer besonderen Natur bzw. besonderen Bedeutung mit in subjektiver Hinsicht großer Wirkungsreichweite entschieden werden. Den Richtern muss es schon allein wegen der spezifischen Materie des Streits bewusst gewesen sein, dass ihre Entscheidung eine weitreichende Bindungswirkung entfaltet. Daher ist auch hier anzunehmen, dass die Geltungswurzel der Drittwirkungen in der richterlichen Entscheidung liegt. Entscheidend für die Anerkennungsfähigkeit spricht auch, dass die besonderen subjektiven Wirkungen von Fallgruppe 4 typischerweise den Anliegen des Verfahrensgegenstandes bzw. -ablaufes Rechnung tragen. Solche Wirkungen haben ihren Grund also nicht darin, dass im Nachhinein die Rechtslage nur an das Judikat angepasst werden soll, sondern tragen gerade der richterlichen Tätigkeit als solcher Rechnung, indem sie diese sinnvoll und effektiv machen. 450
Nicht eindeutig ist die Qualifikation der in Fallgruppe 3 zusammengefassten Konstellationen. Übereinstimmend kommt es in ihnen deshalb zu einer Drittbindung, weil die materielle Rechtsstellung des Dritten vom Vorprozess abhängig ist. Diese Abhängigkeit ist aber unterschiedlich ausgeprägt:
451
Am stärksten ist sie dann, wenn die Rechtsstellung des Dritten der Rechtslage entspricht, die im Vorprozess streitgegenständlich war, was insbesondere bei der Rechtsnachfolge der Fall ist. Hier entscheidet der Richter exakt über dieselbe Rechtsposition, die nunmehr der Sukzessor innehat. Dass hier die Drittbindung gegenüber dem Rechtsnachfolger ihre Geltungswurzel in der richterlichen Entscheidung hat, liegt daran, dass der Richter über dieselbe Rechtslage entschieden hat, die auch den Dritten betrifft. Zwar wird das ausländische Gericht bei seiner Entscheidung in aller Regel nicht auch an den Rechtsnachfolger gedacht haben. Dies steht jedoch nicht der Aussage entgegen, dass die Wirkung gegenüber dem Rechtsnachfolger ihre Geltungswurzel in der richterlichen Entscheidung hat. Da es sich schließlich um exakt dieselbe Rechtslage handelt, hätte sich die Kenntnis des Richters vom Rechtsnachfolger auf das Entscheidungsergebnis nicht ausgewirkt. Daher sind die Drittbindungsfälle kraft Rechtsnachfolge anerkennungsfähig. Dies wird auch durch eine Zweckbetrachtung bestätigt: Diese Drittbindung dient dazu, der obsiegenden Partei ihren Prozesserfolg zu erhalten. Der Prozess könnte seinen Sinn nicht erfüllen, wenn er schon wegen zwischenzeitlicher Veränderung von Rechtszuständigkeiten ins Leere liefe. Die Gründe für eine Rechtskrafterstreckung auf den Rechtsnachfolger, erfordern auch im Zweitland eine Anerkennung der so erstreckten Rechtskraft. 352 So für die Streitverkündungs- und Interventionswirkung Kropholler, EuZPR, 8. Aufl. 2005, vor Art. 33 EuGVVO Rn. 16; Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. I/Leible, 2011, Art. 33 EuGVVO Rn. 8; Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 1015.
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245
Weniger stark fällt die materielle Abhängigkeit des Dritten dann aus, 452 wenn dieser lediglich den Wirkungen einer fremden Verfahrensführung unterworfen ist. Dennoch sind auch diese Drittwirkungen als anerkennungsfähig zu qualifizieren. Soweit der Verfahrensführer im fremden Namen agiert hat (Prozessvertretung), ergibt sich dies schon daraus, dass der Richter wissentlich auch für und gegen den Hintermann entschieden hat. Gleiches gilt im Falle der Prozessstandschaft und vergleichbarer Erscheinungen, weil der Richter hier jeweils erkennen konnte, wen die Entscheidung in der Sache betrifft. Daher liegt der Geltungsgrund der Drittbindung hier jeweils in der richterlichen Entscheidung. Am schwächsten fällt die materielle Abhängigkeit dann aus, wenn die 453 Rechtsstellung des Dritten lediglich von derjenigen eines Prozessbeteiligten abhängt – mithin in sämtlichen Fällen der akzessorischen Haftung. Die subjektive Wirkungserweiterung ist hier allein darauf zurückzuführen, dass die Rechtsstellung des Dritten in irgendeiner Weise an die im Vorprozess behandelte Rechtsposition gekoppelt ist. Inhalt und Umfang der Drittbindung richten sich daher entscheidend nach dem materiellen Recht, und zwar danach, wie dieses die Stellung des Dritten ausgestaltet. Die Drittbindung ist daher nicht auf die richterliche Entscheidung im Vorprozess zurückzuführen, zumal es im Prozess gegen den Hauptschuldner in keinster Weise um die Rechtsstellung sekundär Haftender geht. Wieweit das Hauptschuldurteil auch den akzessorisch Haftenden bindet, hängt von der Ausgestaltung der Akzessorietät im materiellen Recht ab und hat seine Geltungswurzel nicht in der richterlichen Beurteilung. Es handelt sich daher um eine rein materiellrechtliche Nebenfolge, die nicht nach der EuGVVO anerkannt werden kann.353 3. Gesamtergebnis Ob Auswirkungen von Gerichtsentscheidungen auf Dritte nach den 454 Art. 33 ff. EuGVVO anerkannt werden können, hängt davon ab, ob sich ihre Geltung in erster Linie auf die richterliche Entscheidung im Ursprungsland zurückführen lässt, sie also in dieser ihre Wurzel hat. Wie die vorangegangenen Ausführungen gezeigt haben, ist dies dann der Fall, wenn der Richter entweder bewusst auch für den Dritten entschieden hat oder eine solche Kenntnis zwar nicht hatte, diese sich aber auch nicht auf das Entscheidungsergebnis ausgewirkt hätte. Danach gilt, dass die Wirkungen der 353 Gleiches gilt auch für die Regelung des § 775 I Nr. 4 BGB, bei der das ausländische Urteil lediglich eine Tatsache darstellt: Allein wegen dessen Vorhandenseins entsteht ein Anspruch (soweit die sonstigen Voraussetzungen eines Aufwendungsersatzanspruchs erfüllt sind). Mit der eigentlich judizierten Forderung gegen den Bürgen hat dies nichts zu tun. Es handelt sich um einen völlig anderen Anspruch.
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Fallgruppen 1, 2 und 4 stets anerkennungsfähig sind, während aus Fallgruppe 3 diejenigen Drittbindungen nicht anerkannt werden können, die allein auf eine materiellrechtliche Akzessorietät der Stellung des Dritten zurückzuführen sind. Alle übrigen in Fallgruppe 3 zusammengefassten Fälle von Entscheidungswirkungen gegenüber Dritten sind allerdings ebenfalls prozessual anerkennungsfähig. 455 Bei der Falllösung hat man also die konkret in Rede stehende Drittwirkung in die jeweilige Fallgruppe einzuordnen und sodann die Qualifikation durchzuführen. Handelt es sich danach um eine prozessual anzuerkennende Wirkung, ist das Wirkungsstatut entsprechend der nachfolgenden Grundsätze zu bestimmen. II. Schritt 1: Wirkungserstreckung 456
Nach der Wirkungserstreckungslehre gilt im Grundsatz, dass sich die subjektive Reichweite der Bindungswirkungen ausländischer anerkannter Entscheidungen im Anerkennungsland nach dem Recht des Ursprungslandes richtet. Dies soll anhand der nachfolgenden zwei Beispielfälle verdeutlicht werden. 1. Fall 2.1: Rechtskrafterstreckung aufgrund Rechtsnachfolge
457
Vor einem deutschen Gericht verklagt der in Deutschland ansässige Käufer den Verkäufer aus England auf Herausgabe einer beweglichen Sache, die der Verkäufer in Deutschland hätte liefern sollen (Gerichtsstand des Erfüllungsortes: Art. 5 Nr. 1 lit. b 1. Sp. EuGVVO). Vor Urteilserlass aber nach Rechtshängigkeit hatte der Kläger die streitbefangene Sache an einen Dritten weiterveräußert und die Klage auf Leistung an den Rechtsnachfolger umgestellt (Relevanztheorie). Unter Anwendung englischen Sachrechts als lex rei sitae verurteilt das deutsche Gericht den englischen Beklagten auf Herausgabe an den Rechtsnachfolger. In einem späteren englischen Prozess zwischen diesem und dem englischen Beklagten kommt es erneut auf die Eigentümerstellung an der Sache an. Der Rechtsnachfolger macht nun die Rechtskraft des deutschen Urteils zu seinen Gunsten in England geltend. Hiergegen wendet der in England ansässige ursprüngliche Beklagte ein, der Dritte könne sich auf die Rechtskraft nicht berufen, weil nach englischem Recht eine Rechtskrafterstreckung auf den Rechtsnachfolger nur greift, wenn die Rechtsnachfolge nach Entscheidungserlass eingetreten ist.354
458
Fraglich ist mithin, welche Wirkungen die Anerkennung des deutschen Urteils für den Rechtsnachfolger des damaligen Klägers hat. Wie sich zuvor 354
Vgl. Rn. 346.
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gezeigt hat, ist die Rechtskrafterstreckung auf den Rechtsnachfolger als anerkennungsfähige Wirkung zu qualifizieren.355 Auf der Ebene des Verweisungsbefehls ist Schritt 1 maßgeblich, weil die Rechtskrafterstreckung allein der prozessualen Situation des Ausgangsrechtsstreits Rechnung trägt. Er führt hier zu deutschem Recht. Für einen Rückgriff auf englisches Recht als lex rei sitae im Schritt 2 fehlt es an dem erforderlichen materiellen Gehalt der Ausgestaltung der Rechtskrafterstreckung auf Rechtsnachfolger. Damit richtet sich im englischen Zweitprozess in Fall 2.1 die Rechtskrafterstreckung auf den Rechtsnachfolger nach deutschem Recht. Dies bedeutet vorliegend, dass auch eine Rechtsnachfolge nach Rechtshängigkeit zur Rechtskrafterstreckung führen kann und es auf die diesbezüglich abweichende Vorgabe des englischen Rechts nicht ankommt. Wer Rechtsnachfolger geworden ist, besagt allerdings die über das IPR des Zweitlandes zu bestimmende lex causae.356 2. Fall 2.2: Drittbindung aufgrund Prozesshandlung im Urteilsstaat (third party notice) Der in England ansässige Privatmann P hatte vom Händler H aus Frank- 459 reich ein Kfz gekauft. Nachdem P dieses in Frankreich abgeholt und nach England verbracht hatte, wird er dort gerichtlich von D in Anspruch genommen, der sein Eigentum an der Kaufsache geltend macht. Im Verfahren lässt P gem. r. 19.8A CPR dem Verkäufer aus Frankreich eine third party notice über die eingeleitete Klage zustellen. Die notice war zulässig, ihre Zustellung ordnungsgemäß. Nachdem P rechtskräftig auf Herausgabe an D verurteilt wurde, klagt er nunmehr in Frankreich gegen H auf Kaufpreisrückzahlung, weil dieser das geschuldete Eigentum nicht verschafft hatte. Dazu macht er die durch third party notice ausgelöste Rechtskrafterstreckung der englischen Gerichtsentscheidung auf H geltend. Die durch third party notice herbeigeführte Drittbindung ist als Entschei- 460 dungswirkung im Sinne der EuGVVO zu qualifizieren, weil sie ihren Grund in den Mitwirkungsrechten des Außenstehenden hat, damit in Fallgruppe 2 einzuordnen ist, welche zuvor für anerkennungsfähig befunden wurde.357 Die Drittbindungen, die durch Prozesshandlungen entsprechend dem Ver- 461 fahrensrecht des Ursprungslandes erzielt wurden, unterliegen ausschließlich 355 Sie wurde in Fallgruppe 3 eingeordnet als Fall, in der die Rechtsstellung des Dritten der Rechtsposition entspricht, über die im Vorprozess entschieden wurde, vgl. Rn. 427. Hierbei handelt es sich um eine anerkennungsfähige Wirkung, vgl. Rn. 451. 356 Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 1012. 357 Vgl. zur Einordnung in Fallgruppe 2 oben Rn. 423 und zur Qualifikation der hierunter gefassten Fälle oben Rn. 448.
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der lex fori des Ursprungsgerichts. Allgemein richten sich nicht nur Voraussetzungen und Form einer Prozesshandlung nach der lex fori, sondern auch deren Wirkungen. Es kann nur in einem deutschen Gerichtsverfahren der Streit verkündet, die third party notice ausschließlich von englischen Richtern erlassen und die déclaration de jugement commun lediglich in Frankreich beantragt werden. Welche Wirkungen diese Instrumente entfalten und gegenüber welchen Personen sie greifen, kann naturgemäß auch nur von der lex fori vorgegeben werden, nach der sie durchgeführt wurden. Schließlich hat in diesen Fällen die Drittbindung ihren Grund im Ablauf des Prozesses bzw. dem Verhalten des Dritten. Ob dieser untätig bleibt oder eine Interventionsmöglichkeit nutzt, muss er vernünftigerweise nur nach den Vorgaben des anwendbaren Verfahrensrechts entscheiden. Somit können die Wirkungen von Streitverkündung und funktional entsprechenden Instrumenten anderer Rechtsordnungen auch im Anerkennungsland nur vom Recht des Ursprungslandes vorgegeben werden.358 462
Damit gilt für Fall 2.2, dass die Wirkungen der third party notice gegenüber dem französischen Verkäufer H auch in Frankreich nach englischem Recht zu beurteilen sind. Dies bedeutet auch, dass das französische Gericht anhand englischer Vorschriften die Wirksamkeit der third party notice überprüfen muss. Hierin liegt keine unzulässige révision au fond, denn nur wenn die notice zulässig und formgerecht war, löst sie überhaupt Wirkungen aus, die anerkennt werden können.359 Bei der Prüfung der Zustellung dürfte auch die Wertung von Art. 34 Nr. 2 EuGVVO zu berücksichtigen sein: Formfehler in der Zustellung sind demnach unbeachtlich, soweit rechtzeitige Kenntnisnahme möglich war. Zustellungsmängel sind aber nur insoweit unschädlich, wie sie nicht nach dem Recht des Ursprungsstaates die Bindungswirkung entfallen lassen. Denn andernfalls greift nach der Wirkungserstreckung schon gar keine anerkennungsfähige Urteilswirkung. III. Schritt 2: lex causae-Rückgriff
463
Gerade bei der subjektiven Reichweite der Entscheidungswirkungen hat Schritt 2 Bedeutung. Wie der vorausgegangene Rechtsvergleich gezeigt hat, dienen Drittwirkungen häufig der Effektuierung materieller Rechtslagen bzw. stehen in einem inneren Zusammenhang mit der angewendeten lex causae.360 Dort, wo Entscheidungswirkungen ein materieller Gehalt zukommt, sollte der lex causae der Vortritt gelassen werden gegenüber Rege358
Ebenso für die Streiverkündungswirkungen Milleker, ZZP 80 (1967), S. 288
(306). 359 360
Mansel, in: Heldrich/Kono (Hrsg.), Herausforderungen, 1994, S. 63 (74). Vgl. oben Rn. 434.
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lungen der lex fori des Ursprungsstaates. Dies gilt jedenfalls insoweit, wie diese im Wirkungsumfang hinter dem zurück bleiben, was die lex fori vorsieht. Die subjektive Reichweite der Entscheidungswirkungen nach der lex causae zu beurteilen, kommt insbesondere in Betracht, wenn die Bindungswirkungen ihren Grund in materiellrechtlicher Abhängigkeit haben [1. u. 2.], ferner dann, wenn sich die Prozessführungsbefugnis im Verfahren vor dem Gericht des Ursprungslandes aus nach dessen Sicht ausländischem Recht ergeben hatte [3.]. 1. Fall 2.3: Deutsch-französische Bürgschaft Die in Deutschland ansässige Bank B hat sich für den Hauptschuldner 464 mit Wohnsitz in Frankreich verbürgt. Nachdem gegen letzteren der Gläubiger G in Frankreich erfolgreich auf Leistung geklagt hatte (das französische Gericht hatte die Hauptschuld nach deutschem Recht beurteilt), die Zwangsvollstreckung allerdings erfolglos blieb, verklagt G nunmehr in Deutschland die B. Da diese vor Gericht den Bestand der Hauptschuld bestreitet, möchte G die Rechtskraft der französischen Gerichtsentscheidung über die Hauptschuld in Deutschland anerkennen lassen und der beklagten B entgegenhalten. Diese wendet ein, dass es im deutschen Recht eine Bindung zum Nachteil des Bürgen nicht gibt und die Hauptschuld in Frankreich nach deutschem Recht beurteilt wurde. Der Gläubiger will hingegen von der in Frankreich vorgesehenen Rechtskrafterstreckung gegen den Bürgen profitieren, schließlich wurde das Hauptschuldurteil dort erlassen. Außerdem macht er geltend, dass die Bürgenverpflichtung nach dem IPR des zweitangerufenen Gerichts (hier also deutschem IPR) französischem Sachrecht unterliegt (weil beispielsweise für den Bürgschaftsvertrag eine wirksame Rechtswahl vorliegt361). In diesem Fall ist schon fraglich, ob die Drittbindung gegenüber dem 465 Bürgen überhaupt als eine nach Art. 33 ff. EuGVVO anerkennungsfähige Entscheidungswirkung zu qualifizieren ist. Im Rahmen der rechtsvergleichenden Zusammenfassung wurde sie in Fallgruppe 3 eingeordnet als Drittbindung kraft materieller Abhängigkeit, die sich daraus ergibt, dass die Rechtsstellung des Bürgen an die eines der Prozessbeteiligten angelehnt ist.362 Diese Form der Drittbindung wurde allerdings als nicht anerkennungsfähig qualifiziert, weil sie sich lediglich als Reflex auf die richterliche 361 Z. B. BGH, 10.04.2003 – VII ZR 314/01, NJW 2003, S. 2605 (2607): Konkludente Rechtswahl dadurch, dass sich der Text des Bürgschaftsvertrages an den Regelungen des materiellen Bürgschaftsrechts eines bestimmten Landes orientierte (entschieden zu Art. 27 I S. 2 EGBGB). 362 Vgl. Rn. 426.
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Entscheidung darstellt, nicht jedoch ihren Geltungsgrund in der richterlichen Entscheidung selbst hat.363 Es handelt sich demnach um eine schlichte Nebenwirkung. Wie sich das französische Urteil auf die Stellung des Bürgen auswirkt, beurteilt sich daher nach dem auf seine Haftung anwendbaren Sachrecht. Mithin hängt die Lösung des Falles davon ab, ob deutsches oder französisches Recht anwendbar ist. Ersterenfalls kann der Bürge den Bestand der Hauptforderung bestreiten, letzterenfalls hingegen nicht. 2. Fall 2.4: Deutsch-französische Gesamtschuld 466
Der Gläubiger einer Gesamtschuld, die nach deutschem und nach französischem IPR einheitlich deutschem Recht unterliegt, verklagte zunächst in Frankreich den dort ansässigen Gesamtschuldner 1 auf Erfüllung. Nachdem dieser antragsgemäß verurteilt wurde, die Zwangsvollstreckung gegen ihn aber erfolglos blieb, verlangt der Gläubiger in Deutschland von Gesamtschuldner 2 die Zahlung. Als dieser den Bestand der Gesamtschuld bestreitet und negative Feststellungsklage in Deutschland erhebt, beruft sich der Gläubiger auf die Rechtskraft der französischen Gerichtsentscheidung mit der Begründung, dass in Frankreich auch gegenüber dem anderen Gesamtschuldner eine Rechtskraftbindung greift. Der Schuldner macht geltend, dass die Gesamtschuld sowohl aus deutscher als auch aus französischer Sicht deutschem Recht unterliegt, in dem es eine Rechtskrafterstreckung zum Nachteil der übrigen Gesamtschuldner nicht gibt.
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Die französische Rechtskraftregel im Verhältnis zwischen Gesamtschuldnern wurde zuvor als anerkennungsfähig qualifiziert, weil sie ihren Grund in der Interessengleichheit zwischen den mehreren Schuldnern hat und deshalb in die anerkennungsfähige Fallgruppe 1 einsortiert wurde.364 Nach Schritt 1 wäre sie damit als lex fori des Ursprungsstaates grundsätzlich im Zweitland anwendbar, wenn es dort um die Wirkungen der Anerkennung des französischen Urteils geht. Aber in Schritt 2 ist zu fragen, ob sich möglicherweise die enger bemessene subjektive Rechtskraftreichweite nach deutschem Recht durchsetzen soll, weil die Gesamtschuld in Frankreich nach diesem beurteilt wurde. Dies hängt davon ab, ob die engere Rechtskraftbemessung im deutschen Recht einen materiellrechtlichen Gehalt in sich trägt.365 Dies dürfte zu bejahen sein angesichts der Tatsache, dass die fehlende Rechtskrafterstreckung zwischen den Gesamtschuldnern ihren Grund in der materiellrechtlichen Ausgestaltung der Gesamtschuld in Deutschland hat. Daher setzt sich in Fall 2.4 die deutsche Maßgabe durch 363 364 365
Vgl. Rn. 453. Vgl. Rn. 419 u. 447. s. Rn. 117 f.
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und die französische Entscheidung entfaltet im Verfahren in Deutschland keine Rechtskraftwirkung gegenüber dem Gesamtschuldner 2. 3. Lex causae-Rückgriff bei Prozessstandschaft nach fremdem Sachrecht Ein Abweichen von der Wirkungserstreckungslehre zu Gunsten der lex 468 causae nach Schritt 2 kommt auch dann in Betracht, wenn sich die Prozessführungsbefugnis des Verfahrensführers im Erstverfahren nicht aus dem Recht des Entscheidungsstaates ergeben hatte, sondern aus einer anderen Rechtsordnung. Da die Prozessführungsbefugnis eine Prozessvoraussetzung ist, unterliegt sie freilich im Grundsatz der lex fori des Ursprungsgerichts.366 Sie kann sich aber auch aus einem anderen Statut ergeben [a)]. Soweit dies im Ursprungsverfahren der Fall war, stellt sich die Frage, nach welchem Recht im Anerkennungsland der Personenkreis zu beurteilen ist, gegenüber dem das ausländische Urteil verbindlich ist [b)]. a) Vorab: Konstellationen von Prozessstandschaft nach ausländischem Sachrecht Bei Prozessen mit Auslandsberührung hängt das auf die Prozessstand- 469 schaft anwendbare Recht davon ab, ob der Rechtsfremde die Verfahrensführerschaft aus prozessualen Gründen hat oder ob sie durch das materielle Recht bedingt ist. Der rechtsvergleichende Überblick hatte im deutschen Recht einige Fälle 470 zu Tage befördert, in denen die Prozessstandschaft im materiellen Recht wurzelt. Zu nennen sind etwa die Verfahrensführungsrechte des Nießbrauchers und des Pfandgläubigers einer Forderung367, die verfahrensrechtliche Gegenstücke zu der nach materiellem Recht bestehenden Einziehungsermächtigung sind. Zu denken ist ferner an die Prozessführungsbefugnisse einzelner Mitberechtigter (§§ 432 I S. 1, 744 II, 1011, 2039 BGB) sowie des verwaltenden Ehegatten oder des nicht verwaltenden aber übergangenen Gatten.368 In diesen Fällen ergänzt die Verfahrensstandschaft besondere Verwaltungsbefugnisse in prozessualer Hinsicht. Derartige Konstellationen, in denen sich die Prozessstandschaft als Ergänzung des materiellen Rechts darstellt, sind abzugrenzen von Fällen, in 366
Geimer, IZPR, 6. Aufl. 2009, Rn. 2234. s. Rn. 306. 368 Vgl. zu den Fällen der Mitberechtigung Rn. 306, zu den Prozessstandschaften im ehelichen Güterrecht Rn. 304 u. 307. 367
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denen aus rein prozessualen Gründen einem Rechtsfremden eine Prozessführungsbefugnis eingeräumt ist. Ein solcher Fall ist insbesondere die Prozessstandschaft des Veräußerers der streitbefangenen Sache (§ 265 II ZPO), die vor allem den Prozessgegner schützt369, ferner die Prozessstandschaft eines Elternteils für die Unterhaltsansprüche des Kindes gegen den anderen Elternteil (§ 1629 III S. 1 BGB), die verhindern soll, dass das Kind im Scheidungsstreit der Eltern als Verfahrensbeteiligter in Erscheinung tritt370. 471
Ausgehend von dieser Unterscheidung zwischen den beiden Gründen der Prozessstandschaft kann nun geklärt werden, welchem Recht sie in Prozessen mit Auslandsberührung unterliegt: Wurzelt sie im Prozessrecht, kann nur die lex fori maßgeblich sein. Daher unterliegt die Prozessstandschaft des Veräußerers der streitbefangenen Sache stets der lex fori, auch wenn auf die zugrunde liegende Veräußerung ausländisches materielles Recht anwendbar wäre.371 Demgegenüber kann eine Prozessstandschaft, die im materiellen Recht wurzelt, nicht der lex fori unterliegen. Schließlich sind hier Prozess- und materielles Recht so aufeinander abgestimmt, dass letzteres erst im Zusammenspiel mit prozessualen Gegenstücken zur vollen Geltung kommen kann. Entnähme man hier die Prozessstandschaft der lex fori, bestünde etwa die Gefahr, dass ein Kläger, der nach dem anzuwendenden ausländischen Recht zur Prozessführung befugt wäre, mit der Klage mangels Verfahrensführungsberechtigung abgewiesen wird. In derartigen Fällen ist daher gemäß der dienenden Funktion des Prozessrechts die Prozessstandschaft nach dem Recht zu beurteilen, aus dem sich auch die materielle Einziehungsermächtigung bzw. die Verwaltungsbefugnis ergibt.
472
Konkret bedeutet dies, dass nach den allgemeinen Kollisionsnormen die Rechtsordnung zu bestimmen ist, die auch die Zulässigkeit einer im materiellen Recht wurzelnden Prozessstandschaft vorgibt, so dass insoweit durchaus ausländisches Recht anwendbar sein kann.372 Ein derartiger lex causae-Ansatz gilt für sämtliche Fälle von Prozessstandschaft im deutschen Recht, die materiellrechtlich bedingt sind. Auch dürfte er für die Prozessführungsbefugnis der Parteien kraft Amtes geboten sein: Soweit ein im ausländischen Recht bestehendes Amt im Zweitland anerkannt wird, muss auch der Rechtsordnung, aus der sich das Amt ergibt, die Prozessführungsbefugnis des Amtsträgers entnommen werden.373 Demgegenüber unterliegt 369
Vgl. hierzu Rn. 305. Gernhuber/Coester-Waltjen, 6. Aufl. 2010, § 59 Rn. 41. s. zu § 1629 BGB bereits Rn. 304. 371 Wunderlich, Prozeßstandschaft im internationalen Recht, 1970, S. 160. 372 Fragistas, in: FS Lewald, 1953, S. 471 (480–484); Wunderlich, Prozeßstandschaft im internationalen Recht, 1970, S. 156–159 (insbes. 158 f.); Geimer, IZPR, 6. Aufl. 2009, Rn. 2235. 373 Fragistas, in: FS Lewald, 1953, S. 471 (484). 370
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die gewillkürte Prozessstandschaft im deutschen Recht der lex fori, da sie auf einem prozessualen Rechtsgeschäft beruht.374 Im französischen Recht dürfte der lex causae-Ansatz etwa für die action 473 oblique nach Art. 1166 CC angemessen sein, weil das durch sie dem Gläubiger eingeräumte Prozessführungsrecht den Inhalt und damit den Wert des schuldrechtlichen Anspruchs ausmacht, dem Gläubiger mithin auch außerhalb Frankreichs zustehen sollte.375 Auch die Klageberechtigung im französischen Recht bei Gesamtschuld, Gesamtgläubigerschaft, Gesamthandsschuld und Miteigentum sollte nach dem in der Sache anwendbaren materiellen Recht beurteilt werden.376 b) Anerkennung der Drittwirkungen infolge von Prozessstandschaft Aus der Anerkennungsperspektive erscheint es nur sachgerecht, auch die 474 Wirkungen eines durch einen Prozessstandschafter erstrittenen Urteils gegenüber dem Rechtsträger nach dem Recht zu bestimmen, aus dem sich die Prozessstandschaft im Ursprungsprozess ergeben hatte.377 Für den Fall, dass dies nicht das Recht des Urteilslandes war, sondern eine andere in der Sache angewendete Rechtsordnung, sind damit insoweit auch die Entscheidungswirkungen in subjektiver Hinsicht nach der lex causae zu beurteilen. Folgte die Prozessführungsmacht aus einem anderen Statut (etwa der lex causae), muss dieses auch im Anerkennungsland für die Frage herangezogen werden, inwieweit Dritte an die fremde Prozessführung gebunden sind. Es ist mithin der nach Schritt 2 mögliche lex causae-Rückgriff durchzuführen. Ergab sich umgekehrt die Prozessführungsmacht allein aus den prozessualen Vorschriften des Ursprungslandes, muss auch die lex fori des Ursprungslandes vorgeben, inwieweit den Hintermann die Wirkungen der Prozessführung treffen. Es bleibt dann bei Schritt 1.
374
Fragistas, in: FS Lewald, 1953, S. 471 (483); Wunderlich, Prozeßstandschaft im internationalen Recht, 1970, S. 167; Gottwald, IPRax 1995, S. 157. 375 So im Ergebnis Geimer, IZPR, 5. Aufl. 2005, Rn. 2239; a. A. (für einen lex fori-Ansatz) Fragistas, in: FS Lewald, 1953, S. 471 (483), weil action oblique lediglich Vorbereitungshandlung zur Zwangsvollstreckung; Wunderlich, Prozeßstandschaft im internationalen Recht, 1970, S. 165. Vgl. zur action oblique oben Rn. 365. 376 Vgl. hierzu Rn. 364. 377 Ebenso Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 1013. Ähnlich Wunderlich, Prozeßstandschaft im internationalen Recht, 1970, S. 183, der aber in jedem Fall auch die Regeln der lex fori berücksichtigen will.
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Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
IV. Schritt 3: Wirkungsbegrenzung aus Rücksicht auf das Recht des Anerkenungsstaates 475
In Schritt 3 stellt sich schließlich die Frage, ob die in den Schritten 1 und 2 bestimmten Wirkungen in subjektiver Hinsicht zu begrenzen sind. Soweit das Recht des Anerkennungslandes Drittwirkungen vorsieht, die denen des anzuerkenennden Urteils entsprechen, kommt ein ordre public-Verstoß von vornherein nicht in Betracht.378 Ist dieser Vergleichsmaßstab jedoch überschritten, könnte die öffentliche Ordnung des Anerkennungslandes eine Begrenzung zur Sicherung des Anspruchs auf rechtliches Gehör erfordern. Hierbei muss geprüft werden, ob im konkreten Einzelfall die Verteidigungsrechte des von der Entscheidung gebundenen Dritten gewahrt waren bzw. ob dessen Bindung aus anderen Gründen akzeptabel ist.379 Nach einer allgemeinen Entwicklung des insoweit anzuwendenden Prüfungsschemas [1.] soll dieses auf die Einzelfälle von Drittbindungen angewendet werden [2. u. 3.] um abschließend die besonderen Probleme bei der Anerkennung US-amerikanischer class action-Entscheidungen zu betrachten [4.]. 1. Gewährleistungen des Anspruchs auf rechtliches Gehör und die drei Fragen zur Beurteilung ausländischer Entscheidungen
476
Bei der Beurteilung ausländischer Entscheidungswirkungen anhand der Gewährleistungen des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach dem Recht des Anerkennungslandes stellen sich drei Fragen:
477
Zunächst ist nach dem Recht des Zweitstaates zu klären, ob den jeweiligen drittbetroffenen Personen überhaupt ein Anspruch auf rechtliches Gehör im Ursprungsverfahren zugekommen wäre. Allgemein gilt insoweit für das deutsche Recht, dass der Personenkreis, dem die Gewährleistungen dieses Anspruchs zustehen, jedenfalls nicht auf diejenigen beschränkt ist, die formell die Stellung als Verfahrensbeteiligte hatten.380 Andernfalls hätte es der einfache Gesetzgeber in der Hand, den Inhalt verfassungsrechtlich verbürgter Garantien auszugestalten, obwohl er doch selbst an diese gebunden ist.381 Die Gewährleistungen des Anspruchs auf rechtliches Gehör müssen vielmehr im Grundsatz auch all denjenigen zugute kommen, die durch die 378
Köckert, Drittbeteiligung, 2010, S. 196. s. allg. oben Teil II § 3 B. III. 4. (Rn. 148–152). 380 So aber noch früher ein Teil der Lit. und der Rspr. Vgl. Nachw. bei Waldner, Rechtliches Gehör, 1983, S. 223; Calavros, Wirkungen zu Lasten Dritter, 1978, S. 21. 381 Calavros, Wirkungen zu Lasten Dritter, 1978, S. 21 f. 379
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zu erwartende Entscheidung möglicherweise zu Unrecht in ihren Rechten betroffen sein können.382 Was die Rezeption ausländischer Entscheidungswirkungen anbelangt, bedeutet dies, dass über den ordre public zumindest dann eine Anerkennungsgrenze greifen kann, wenn sich Bindungswirkungen auf Personen erstrecken, denen aus Sicht des Zweitstaates im Ursprungsverfahren ein Anspruch auf rechtliches Gehör zugestanden hätte. Hatten Personen, die diese Voraussetzungen erfüllen, im ausländischen 478 Verfahren Beteiligungsrechte, kann man sich hiermit allerdings noch nicht automatisch zufrieden geben und die Bindungswirkung diesen gegenüber anerkennen. Vielmehr ist dann zu klären, ob die gewährten Beteiligungsrechte den Anforderungen des Anspruchs auf rechtliches Gehör genügten. Hierbei kommt es auf die inhaltlichen Gewährleistungen dieses Anspruchs nach dem Recht des Zweitstaates an. Nach deutscher Vorstellung besteht er im Wesentlichen aus drei Elementen383: Dem Berechtigten ist vor Gericht Gelegenheit zur Äußerung zu geben (Recht zur Stellungnahme); außerdem hat das Gericht ihn über die Sach- und Rechtslage zu informieren (Recht auf Information); und schließlich muss es die Stellungnahme des Berechtigten hinreichend bei seiner Urteilsfindung würdigen (Recht auf Beachtung). Für den Fall, dass das ausländische Verfahren diesen Anforderungen nicht 479 genügte oder dass der Drittbetroffene in diesem überhaupt nicht beteiligt wurde, stellt sich schließlich die Frage, ob die ungenügende bzw. fehlende Beteiligung aus Sicht des Anerkennungsstaates durch anderweitige Mechanismen im Erkenntnisverfahren ausgeglichen oder aufgrund übergeordneter Interessen gerechtfertigt ist und daher eine Drittbindung auch ohne bzw. bei ungenügenden Beteiligungsrechten akzeptabel ist. Die fremdländischen Regelungen zur subjektiven Reichweite von Entscheidungswirkungen sind dabei unter Berücksichtigung des Systems und der Strukturen des gesamten ausländischen Verfahrensrechts zu würdigen.384 Zusammenfassend hat man sich also folgende drei Fragen zu stellen, um 480 Drittbindungen auf ihre Vereinbarkeit mit dem ordre public des Anerkennungslandes zu beurteilen: Frage 1: Hatte aus Sicht des Zweitstaates der Drittgebundene einen Anspruch auf rechtliches Gehör? Falls hierauf mit „ja“ geantwortet wird, folgt Frage 2: Wurden dem Dritten im Ursprungs382 Zum deutschen Art. 103 I GG: Schlosser, JZ 1967, S. 431 (432); Zeuner, Rechtliches Gehör, 1974, S. 12 ff.; Calavros, Wirkungen zu Lasten Dritter, 1978, S. 34–43; Waldner, Rechtliches Gehör, 1983, S. 226–228. Ähnlich, aber etwas enger („unmittelbar rechtlich von dem Verfahren betroffen“): BVerfG, 03.11.1983 – 2 BvR 348/83, BVerfGE 65, 227 (233); BVerfG, 22.04.1964 – 2 BvR 190/62, BVerfGE 17, 356 (373); BVerfG, 01.02.1967 – 1 BvR 630/64, BVerGE 21, 132 (137). 383 v. Mangoldt/Klein/Stark/Nolte, 5. Aufl. 2005, Art. 103 I GG Rn. 29. 384 Köckert, Drittbeteiligung, 2010, S. 189.
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verfahren Teilnahmerechte gewährt, die – aus Sicht des Zweitstaates – den Gewährleistungen des Gehörsanspruchs entsprochen haben? Falls man diese Frage verneint, weil der Dritte nicht oder nicht ausreichend beteiligt wurde, folgt Frage 3 : Wurde die fehlende Beteiligung anderweitig ausreichend kompensiert bzw. ist sie aus Gründen anderweitiger übergeordneter Interessen im Einzelfall akzeptabel? Auch dies muss aus Sicht der Rechtsordnung des Zweitstaates beurteilt werden. 481
Nachfolgend ist nun dieses Prüfungsschema auf die einzelnen Fallgruppen385 der Drittbindungen anzuwenden: 2. Die Handhabung von Fallgruppe 2
482
Die Wahrung des rechtlichen Gehörs ist insbesondere in Fallgruppe 2 fraglich. In den hierin zusammengefassten Fällen rechtfertigt sich die Drittbindung ausschließlich aus den Beteiligungsrechten des Dritten. Daher ist insbesondere Frage 2 nach den inhaltlichen Anforderungen an die Beteiligungsrechte relevant. Vor allem in Konstellationen einer unfreiwilligen Einbeziehung Dritter und in den Fällen, in denen sich der Dritte am Verfahren nicht beteiligt hatte, muss man konkret ermitteln, ob und inwieweit der Dritte subjektiv und objektiv in der Lage war, sich in den Prozess einzuschalten und das Entscheidungsergebnis inhaltlich zu beeinflussen, und ob diese Möglichkeiten aus Sicht des Anerkennungsstaates ausreichend waren.386
483
Dabei ist eine einzelfallbezogene Prüfung durchzuführen, die insbesondere zu betrachten hat, ob der Dritte Kenntnis vom Verfahren hatte bzw. in zumutbarer Weise hätte erlangen können. Insbesondere kann eine Wirkungsbegrenzung nicht allein damit begründet werden, dass eine im Ursprungsverfahren vorgesehene Benachrichtigung über das Verfahren formell nicht ordnungsgemäß erfolgt ist. Denn insofern kann Art. 34 Nr. 2 EuGVVO herangezogen werden, wonach auch bei der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks formelle Fehler allein noch kein Anerkennungshindernis begründen, solange der Beklagte vom Verfahren ausreichend Kenntnis erlangen konnte. Gleiches muss auch für die Benachrichtigung zur Erzeugung von Drittbindungen gelten.387 Man hat daher etwa in Fall 2.1388 zu fragen, ob der französische Beklagte die third party notice in einer Art 385
s. zu den Fallgruppen Rn. 415–432. Vgl. Köckert, Drittbeteiligung, 2010, S. 189 f. für die Anerkennung der Streitverkündungs- und Nebeninterventionswirkung. 387 Ob Art. 34 Nr. 2 EuGVVO überhaupt auf Streitverkündungsschriften und vergleichbare Instrumente (analog) anwendbar ist, kann offenbleiben. Vgl. zu dieser Frage Köckert, Drittbeteiligung, 2010, S. 191. 388 s. Rn. 457 f. 386
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und Weise erhalten hat, dass er sich in das Verfahren einschalten konnte. Waren allerdings die Zustellungsmängel so gravierend, dass nicht mal mehr nach englischem Recht eine Drittbindung eintritt, kann eine solche auch nicht in Frankreich anerkannt werden. Die Anerkennung einer durch Streitverkündung bzw. vergleichbare Er- 484 scheinung anderer Rechtsordnungen erzielten Drittbindung könnte auch deswegen aus Gründen des rechtlichen Gehörs am ordre public scheitern, weil die Mitteilung in einer dem Empfänger unbekannten Sprache verfasst war. Grundsätzlich wird man eine Übersetzung verlangen müssen.389 Etwas anderes könnte im Einzelfall aber dann gelten, wenn sichergestellt ist, dass der Dritte die Benachrichtigung in einer ihm fremden Sprache ohne besonderen Aufwand verstehen konnte. Dies könne sich etwa daraus ergeben, dass die benachrichtigende Partei und der Dritte bereits zuvor in derselben Sprache kommuniziert hatten. Was die im französischen und englischen Recht möglichen Gewährleis- 485 tungs- und Garantieklagen anbelangt, steht deren Anerkennungsfähigkeit im Rahmen der EuGVVO außer Frage, da hier Art. 65 II S. 1 EuGVVO eine Anerkennungspflicht normiert. Insofern wird sich Deutschland auch unter Hinweis auf den inländischen ordre public kaum einer Anerkennung entziehen können. Die Einbeziehung Dritter in fremde Rechtsstreitigkeiten als Beklagte dürfte ohnehin nicht mit grundlegenden deutschen Rechtsprinzipien unvereinbar sein. Insoweit kann einerseits auf die Vorschriften über die Streitverkündung (§§ 72 ff. i. V. m. 66 ff. ZPO) verwiesen werden, die zumindest mittelbaren Druck auf den Dritten zur Teilnahme am Prozess ausüben.390 Andererseits kennt das deutsche Recht mit der Drittwiderklage selbst das Phänomen, dass Dritte als Beklagte in ein Verfahren hineingezogen werden können. Dies gilt nach der neuen Rspr. des BGH zu § 33 ZPO selbst dann, wenn gegen den Dritten kein allgemeiner oder besonderer Gerichtsstand am Verfahrensort eröffnet wäre.391 Insofern ist wohl schon ein ordre public-Verstoß in Deutschland kaum begründbar.392 Die Anerkennungsfähigkeit ausländischer Garantieurteile wurde bislang 486 auch wegen fehlender Anerkennungszuständigkeit bezweifelt, da durch die Garantieklage die Zuständigkeit des Hauptklagegerichts auf den Gewährleistungsanspruch gegen den Dritten erweitert wird. Aus diesem Grunde wurden im autonomen deutschen Recht Garantieurteile nur dann anerkannt, 389 Mansel, in: Hommelhoff/Jayme/Mangold (Hrsg.), Europäischer Binnenmarkt, 1995, S. 161 (79). 390 Pfeiffer, in: Gilles (Hrsg.), Transnationales Prozeßrecht, 1995, S. 77 (107). 391 s. Rn. 335. 392 Pfeiffer, in: Gilles (Hrsg.), Transnationales Prozeßrecht, 1995, S. 77 (107); Meier, Grenzüberschreitende Drittbeteiligung, 1994, S. 164 f.
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wenn das Gericht nach allgemeinen Regeln auch für den Anspruch gegen den Drittbeklagten international zuständig war.393 Da in der EuGVVO die Gerichtszuständigkeit aber grundsätzlich kein Anerkennungshindernis mehr ist, ist ein Garantieurteil grundsätzlich auch dann anerkennungsfähig, wenn durch die Garantieklage für den Dritten eine Gerichtspflichtigkeit in einem Land begründet wurde, dessen Gerichte an sich nicht international zuständig wären. Ausnahmen sind nach Art. 35 I EuGVVO aber denkbar. 3. Die Handhabung der Fallgruppen 1, 3 und 4 487
Zur Wirkungsbegrenzung unter Berücksichtigung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kommt es in den Fallgruppen 1, 3 und 4 insbesondere auf Frage 3 an. Da sich in diesen Fallgruppen die Drittbindungen nicht durch Beteiligungsrechte Dritter rechtfertigen, macht die bei Frage 2 durchzuführende Betrachtung der Beteiligungsmöglichkeiten ohnehin keinen Sinn. Hier muss vielmehr aus Sicht der Rechtsordnung des Anerkennungslandes betrachtet werden, ob die jeweilige Rechtfertigung für den Eintritt einer Drittbindung akzeptabel ist. Für die Fallgruppen 1 und 3 ist demnach fraglich, ob die anderweitigen Ausgleichsmechanismen bzw. Schutzvorkehrungen aus Sicht des Anerkennungslandes ausreichend sind. Bei Fallgruppe 4 steht im Vordergrund, ob auch aus Sicht des Zweitstaates eine Einschränkung des rechtlichen Gehörs wegen übergeordneter Interessen angemessen erscheint. 488 Für den Rechtsverkehr zwischen Deutschland, England und Frankreich kann allgemein auf die rechtsvergleichende Zusammenfassung verwiesen werden: Hier hatte sich nicht nur gezeigt, dass sich sämtliche Drittbindungsfälle auf mindestens eine von vier Ursachen zurückführen lassen. Vielmehr ist auch deutlich geworden, dass in jeder der verglichenen Rechtsordnungen die vier Drittbindungsgründe der Sache nach bekannt sind.394 Man wird daher die allgemeine Aussage treffen dürfen, dass die Anerkennung von Drittbindungen aus den Fallgruppen 1, 3 und 4 in keinem der ge393 BGH, 15.10.1969 – VIII ZR 122/68, MDR 1970, S. 135 u. OLG Karlsruhe, 10.10.1973 – 5 U 198/72, NJW 1974, S. 1059; zust. Milleker, ZZP 84 (1971), S. 91; Bernstein, in: FS Ferid, 1978, S. 75 (88); Meier, Grenzüberschreitende Drittbeteiligung, 1994, S. 155–158. A. A. Geimer, NJW 1970, S. 387 (388) u. Geimer, ZZP 85 (1972), S. 196, mit dem Arg., dass die Streitverkündung aus zuständigkeitsrechtlicher Sicht mit der Garantieklage vergleichbar sei, weil beide Instrumente eine Gerichtspflichtigkeit des Dritten begründeten: Die Streitverkündung übe mittelbar Druck auf ausländische Parteien aus, sich am deutschen Prozess zu beteiligen. Daher sei unter Anwendung des Spiegelbildprinzips auch für Garantieklagen eine Anerkennungszuständigkeit gegeben. Dass dieses Argument zutreffend ist, ergibt sich mittlerweile auch daraus, dass der BGH § 33 ZPO auch auf die (isolierte) Drittwiderklage analog anwendet; s. Rn. 335. 394 s. die rechtsvergleichende Zusammenfassung oben Rn. 415–432.
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nannten Länder auf grundsätzliche Vorbehalte stoßen dürfte. Etwas anderes kann sich aber im Einzelfall ergeben. 4. Insbesondere: Anerkennung der subjektiven Rechtskraftreichweite US-amerikanischer class action-Entscheidungen in Deutschland Die Frage nach der subjektiven Wirkungsreichweite ausländischer Ent- 489 scheidungen im Anerkennungsland stellt sich insbesondere bei Urteilen, die in den USA im Gruppenklageverfahren ergangen sind und nach dortigem Recht grundsätzlich gegenüber allen Mitgliedern der class einen res judicata-Effekt entfalten.395 Vor allem angesichts dieses großen Kreises gebundener Personen wird in der Lit. thematisiert, inwieweit vor dem Hintergrund des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 I GG) der deutsche ordre public die Anerkennung solcher class action-Urteile verbietet.396 Diese Diskussion spielt sich zwar im Rahmen des insoweit anwendbaren § 328 I Nr. 4 ZPO ab. Da hierbei aber prinzipiell dieselben Überlegungen anzustellen sind wie im Anwendungsbereich der EuGVVO, soll vorliegend kurz auf die Anerkennungsgrenzen für class action-Entscheidungen in Deutschland eingegangen werden. Dies scheint für die vorliegende Untersuchung deshalb angebracht, weil mittlerweile auch einige EU-Mitgliedstaaten class actions nach US-amerikanischem Vorbild eingeführt haben.397 a) Eingrenzung der Fragestellung und Beispielfälle Jedenfalls die Bindung der representatives, die von vornherein als Par- 490 teien im Prozess agiert bzw. sich dem laufenden Verfahren angeschlossen haben, stößt im Hinblick auf die Wahrung des rechtlichen Gehörs im Re395
s. hierzu oben Rn. 399–412. Freilich stößt die Anerkennungsfähigkeit von class action-Urteilen unter mehreren Gesichtspunkten auf Bedenken: Manche halten sie mit dem deutschen Dispositionsgrundsatz für unvereinbar. Vgl. Greiner, Class action und ordre public, 1998, S. 189; Mann, NJW 1994, S. 1187 (1188). Ferner könnte sich aus der Verhängung von punitive oder treble damages, die oftmals in class actions erfolgen, oder aus den anwaltlichen Erfolgshonoraren ein Anerkennungshindernis ergeben, vgl. Mann, NJW 1994, S. 1187 (1188). Die Auseinandersetzung soll sich vorliegend allerdings auf die Frage beschränken, inwieweit die subjektive Reichweite der Bindungswirkungen von class action-Urteilen mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör zu vereinbaren ist. Diese Beschränkung erscheint vertretbar, weil es im vorliegenden Kapitel nur darum geht, welche subjektive Wirkungsreichweite anerkannten ausländischen Entscheidungen im Zweitstaat zukommt. 397 s. Fn. 242 (S. 220). 396
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gelfall auf keinerlei Bedenken. Sie waren schließlich aktiv am Prozess beteiligt, konnten daher in aller Regel durch Stellungnahmen und Anträge in ausreichender Weise auf das Entscheidungsergebnis einwirken. Genauso wenig wird sich eine Partei, gegen die eine class einen Titel erstritten hat, einer Vollstreckung aus diesem mit dem Argument fehlender Gehörswahrung widersetzen können.398 Problematisch ist allerdings, ob die Rechtskraftbindung gegenüber den passiven Gruppenmitgliedern in Deutschland anerkannt werden kann. 491
Diese Frage kann vor einem deutschen Gericht durchaus relevant werden. Denkbar ist etwa, dass eine Partei aus den USA passives Mitglied einer class auf Klägerseite war und nun in Deutschland erneut gegen den bereits jenseits des Atlantik Beklagten vorgehen will – etwa weil die Klage dort als unbegründet abgewiesen wurde oder nur teilweise Erfolg hatte. In diesem Fall hätte das deutsche Gericht zu klären, ob die Rechtskraft der amerikanischen class action-Entscheidung einem erneuten Prozess in Deutschland entgegensteht. Möglich ist auch, dass passive Gruppenmitglieder außerhalb der USA ansässig sind: So hatten etwa einige von rund 9000 deutschen Investoren im Namen aller in den USA gegen einen dort ansässigen Anlageberater eine class action erhoben.399 Sie machten Schadensersatz geltend wegen des Wertverlustes eines Rohstoff-Fonds, dessen Anteile sie erworben hatten, und warfen dem Beklagten vor, unzutreffend über die Risiken der Anlageform beraten zu haben.400 Falls diese Klage in den USA als unbegründet abgewiesen wird, könnten die bislang passiven Gruppenmitglieder auf die Idee kommen, in eigener Regie ihr Recht zu verfolgen und in Deutschland Klage zu erheben (Gerichtsstand: § 32 ZPO). Auch dann käme es im deutschen Ver398 Stiefel/Stürner, VersR 1987, S. 829 (829 f.); Stadler, JZ 2007, S. 1047 (1050): Die Vollstreckung einer class action scheitert auch nicht daran, dass dieser Verfahrenstypus zu einer Kumulation vieler Einzelschäden führt. Auch der Dispositionsgrundsatz steht einer Vollstreckung grundsätzlich nicht entgegen. Ebenso im Ergebnis für das schweizerische Recht Favalli/Matthews, SZIER 2007, S. 611 (626). 399 Berichtet von Mark, EuZW 1994, S. 238 (240). 400 Allerdings nehmen US-amerikanische Gerichte class actions im Namen ausländischer Kläger nicht immer zur Entscheidung an. Auch wenn die minimum contacts zur Begründung der personal jurisdiction gegeben sein mögen (vgl. hierzu Greiner, Class action und ordre public, 1998, S. 143 f., 63 f.), wurde die Zulassung der class action im Rahmen des Überlegenheitserfordernisses nach r. 23(b)(3) Fed.R.Civ.P. abgelehnt, wenn die zu erwartende US-amerikanische Entscheidung in den Heimatländern der Kläger nicht anerkennungsfähig wäre und daher die Gefahr erneuter Klagen bestünde. Dann könne die class action nicht als das überlegenere Mittel der fairen und effektiven Konfliktlösung gelten. Vgl. US District Court S.D. New York, 24.05.2007 – In re Vivendi Universal, 242 F.R.D. 76; US District Court D. Delaware, 10.06.2003 – In re DaimlerChrysler AG Securities Litigation, 216 F.R.D. 281; US Court of Appeals 2nd Circuit, 28.04.1975 – Bersch v. Drexel Firestone, Inc., 519 F.2d 974.
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fahren auf die subjektive Reichweite der Bindungen des amerikanischen class action-Urteils an. Ein weiteres Beispiel, in dem sich diese Frage stellen kann, wird aus dem Kartellrecht berichtet401: Hauptsächlich deutsche Aktionäre haben in den USA Sammelklage gegen die Infineon Technologies AG erhoben und dieser Aktienkursmanipulation aufgrund von Kartellrechtsverstößen vorgeworfen, die eine bewusst falsche Bilanzierung zum Ergebnis gehabt haben sollen. Auch in diesem Fall wäre denkbar, dass bislang passive Gruppenmitglieder in Deutschland klagen, nachdem die class action abgewiesen worden ist. In der Lit. halten manche die Rechtskraftbindung gegenüber passiven 492 Gruppenmitgliedern im Lichte des Anspruchs auf rechtliches Gehör schlichtweg für ordre public-widrig.402 Andere sehen den ordre public erst dann verletzt, wenn die class members nicht durch notice über das Verfahren informiert wurden und daher von ihren Teilnahmerechten keinen Gebrauch machen konnten.403 Die Rspr. hat sich noch nicht mit dieser Frage befasst, hatte bislang vielmehr nur class actions zu beurteilen, die gegen Beklagte aus Deutschland gerichtet waren. Hierbei wurde jeweils entschieden, dass allein die Verfahrensform als solche nicht mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts unvereinbar sei, bei deren missbräuchlicher Verwendung allerdings ein ordre public-Verstoß in Betracht käme.404 Zu untersuchen ist daher im Folgenden, ob die Bindungswirkung von class 493 action-Urteilen gegenüber passiven Gruppenmitgliedern mit dem deutschen ordre public vereinbar ist. Es hatte sich bereits gezeigt, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht nur den formellen Verfahrensbeteiligten zukommt, sondern allen, die durch das Verfahren (unmittelbar) rechtlich betroffen 401
Berichtet auf www.tilp.de/110_980.htm. Mann, NJW 1994, S. 1187 (1188 f.); Mark, EuZW 1994, S. 238 (242) wenn das passive Gruppenmitglied in Deutschland ansässig ist; etwas anderes soll wohl gelten, wenn das Gruppenmitglied seinen gewöhnlichen Aufenthalt in den USA hat, ebd. (240 f.). Die Rechtskraftbindung gegenüber passiven class members hält auch LG Stuttgart, 24.11.1999 – 24 O 192/99, IPRax 2001, S. 240 (241 f.) für prinzipiell nicht anerkennungsfähig (allerdings entschieden im Rahmen einer Anerkennungsprognose). 403 Greiner, Class action und ordre public, 1998, S. 185; Schneider, Class Actions, 1999, S. 99–104; Hess, JZ 2000, S. 373 (379); Koch/Zekoll, ZEuP 2010 (115 f.). Ebenso Favalli/Matthews, SZIER 2007, S. 611 (633) für das schweizerische Recht; bei einer mandatory class action tendieren dies. sogar dazu, auch ohne notice eine Rechtskraftbindung gegenüber dem passiven Gruppenmitglied anzuerkennen, ebd. (626). 404 Eine solche Klage könne daher grundsätzlich nach dem HZÜ zugestellt werden: BVerfG, 14.06.2007 – 2 BvR 2247/06 u. a., NJW 2007, S. 3709 (3711); BVerfG, 04.09.2008 – 2 BvR 1739/06 u. a., WM 2008, S. 2033 (2034); OLG Frankfurt, 21.03.1991 – 20 VA 2/91, OLGZ 1992, S. 89 (94 f.). 402
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sind.405 Auf Frage 1 (s. Rn. 480) ist daher zu antworten, dass die passiven class members schon wegen der Rechtskrafterstreckung anspruchsberechtigt sind.406 Damit rücken die Fragen 2 [b)] und 3 [c)] in das Blickfeld. b) Frage 2: Wahrung des rechtlichen Gehörs durch Teilnahmerechte? 494
In Frage 2 ist zu untersuchen, ob der Anspruch auf rechtliches Gehör dadurch erfüllt ist, dass die passiven Gruppenmitglieder als Partei dem Verfahren beitreten, in ihm Stellungnahmen abgeben und ggf. für einen Ausschluss aus dem Verfahren optieren können.407 Durch all diese Beteiligungsrechte kann der Anspruch auf rechtliches Gehör jedoch nur gewahrt werden, wenn die Unbeteiligten ausreichend Kenntnis vom Verfahren hatten.
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Es ist daher im Einzelfall zu prüfen, ob dem Unbeteiligten eine Kenntnisnahme möglich gewesen wäre. Abgesehen von dem Fall, dass ein Vergleichsvorschlag zustande kommt, ist nur für die Anhängigkeit einer common question class action i. S. v. r. 23(b)(3) Fed.R.Civ.R. eine notice an die class zwingend vorgeschrieben. Dass diese ggf. in öffentlicher Form erfolgen kann, steht grundlegenden Vorstellungen in Deutschland nicht entgegen, da auch hierzulande öffentliche Benachrichtigungen möglich sind408: Einerseits kennt man die öffentliche Zustellung, etwa bei unbekanntem Aufenthaltsort des Zustellungsempfängers, § 185 ZPO. Andererseits tritt bei verwaltungsrechtlichen Massenverfahren die öffentliche oder ortsübliche Bekanntmachung an die Stelle individueller Zustellung.409 Gleiches ist im Insolvenzrecht vorgesehen.410 Insofern ist bei der common question class action stets von einer ausreichenden Information der unbeteiligten Gruppenmitglieder auszugehen, so dass auch deren rechtliches Gehör als gewahrt gelten muss.
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Etwas anderes gilt aber für mandatory class actions i. S. v. r. 23(b)(1), (2) Fed.R.Civ.R. Bei diesen steht eine notice an die Gruppenmitglieder im Er405
s. Rn. 476. Greiner, Class action und ordre public, 1998, S. 176; Schneider, Class Actions, 1999, S. 100. 407 s. Rn. 399–401. 408 Schneider, Class Actions, 1999, S. 102. 409 §§ 67 I S. 4–6, 69 II S. 3–6 VwVfG. 410 So ist etwa der Beschluss, durch den Verfügungsbeschränkungen angeordnet werden, öffentlich bekannt zu machen, vgl. 23 I S. 1 InsO. Gleiches gilt für den Eröffnungsbeschluss, vgl. § 30 I S. 1 InsO. Diese öffentlichen Bekanntmachungen sollen potentiell betroffene Parteien vor Verfügungsbeschränkungen des Schuldners warnen. Zwar greifen sie gem. § 81 I InsO auch ohne Bekanntmachung. Diese bewirkt aber gem. § 82 S. 2 InsO eine Beweislastumkehr: Der Leistende trägt bei Leistung nach der öffentlichen Bekanntgabe selbst die Beweislast für seine Gutgläubigkeit. 406
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messen des Gerichts. Es ist also durchaus denkbar, dass das Verfahren durchgeführt wird, ohne dass die unbeteiligten class members von ihm Kenntnis erlangen konnten. Für die Anerkennung muss daher im Einzelfall geprüft werden, ob die Klassenmitglieder eine ausreichende Möglichkeit hatten, von der class action zu erfahren und damit von ihren Teilnahmerechten hätten Gebrauch machen können. Soweit dies der Fall ist, muss ihr rechtliches Gehör als gewahrt gelten, so dass ihnen eine Rechtskraftbindung wegen der unfangreichen Beteiligungsrechte zumutbar ist. Die Rechtskrafterstreckung verstößt dann nicht gegen den ordre public, und zwar unabhängig davon, ob die Klassenmitglieder in den USA oder in Deutschland ansässig sind, denn dieser Gesichtspunkt ist nur im Rahmen der Anerkennungszuständigkeit zu berücksichtigen.411 Soweit aber die unbeteiligten Klassenmitglieder keine Kenntnis von Verfahren erlangen konnten, ist auf Frage 2 zu antworten, dass durch die Beteiligungsrechte der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht gewahrt wurde. c) Frage 3: Wahrung des rechtlichen Gehörs durch Repräsentation? Lautet die Antwort auf Frage 2, dass die Beteiligungsrechte der Dritten 497 mangels ausreichender notice nicht geeignet waren, deren rechtliches Gehör zu wahren, schließt sich Frage 3 an. Nach dieser ist zu beleuchten, ob die Bindung der nicht ausreichend benachrichtigten Klassenmitglieder wegen anderweitiger Schutzmechanismen mit Art. 103 I GG vereinbart werden kann. Denkbar ist, dass die Außenstehenden durch die Prozessführung der aktiven Gruppenmitglieder, die am Verfahrensausgang dasselbe Interesse haben wie die passiven, ausreichend geschützt sind. Fraglich ist aber, ob eine solche mittelbare Wahrung des rechtlichen Gehörs durch die prozessuale Beteiligung von Repräsentanten aus deutscher Sicht ausreichend ist. Zwar können auch im deutschen Prozessrecht die Prozessbeteiligten Drit- 498 ten rechtliches Gehör vermitteln, soweit sie als deren Prozessstandschafter oder -vertreter auftreten.412 Eine Parallele zur gewillkürten Prozessstandschaft oder Vollmacht im deutschen Recht lässt sich aber mangels Ermächtigung durch die passiven class members nicht ziehen.413 Die class action wurde allerdings schon mit der gesetzlichen Prozessstandschaft im deutschen Recht verglichen, weil auch hier der Hintermann keinerlei Ermächtigung erteilt.414 Dieser Vergleich kann jedoch nicht überzeugen: Anders als bei der gesetzlichen Prozessstandschaft hat der Repräsentant bei der class 411 Anders aber Mark, EuZW 1994, S. 238 (242), der offenbar diesen Punkt im Rahmen des ordre public-Vorbehaltes berücksichtigen will. 412 Sog. Fallgruppe 1, vgl. oben Rn. 418. 413 Schneider, Class Actions, 1999, S. 100.
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Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
action keinerlei materiellrechtliche Verbindung zu den übrigen class members. Vielmehr spielt sich die class action nur im prozessualen Bereich ab. Wo ein gesetzlicher Prozessstandschafter im deutschen Recht mit Wirkung für den Rechtsträger prozessieren kann, hat er entweder besondere Verwaltungsbefugnisse über das fremde Vermögen.415 Oder der Rechtsträger ist materiell vom Prozessstandschafter abhängig,416 bzw. steht ihm zumindest nahe.417 Eine Verbindung allein zum Zwecke des Prozesses bei gleichzeitiger Rechtskrafterstreckung auf die Hintermänner, wie dies Kennzeichen der class action ist, kennt das deutsche Recht nicht. Daher erscheint eine Vergleichbarkeit zwischen gesetzlicher Prozessstandschaft und class action fraglich.418 499
Genauso wenig lässt sich eine Parallele zur gesetzlichen Vertretungsmacht im deutschen Recht herstellen. Denn die gesetzliche Vertretungsmacht ist dadurch gekennzeichnet, dass der Vertreter kraft besonderer materiellrechtlicher Stellung mit Wirkung für und gegen den Hintermann agieren kann, während es in der class action eine solche materiellrechtliche Beziehung nicht gibt. Eine Vertretung für eine große im Einzelnen noch nicht feststehende Gruppe von Personen ohne materiellrechtlichen Bezug zueinander kennt das deutsche Recht nicht. Folglich ist auf Frage 3 zu antworten, dass die Drittbindung ohne Beteiligungsrechte im class action-Verfahren aus deutscher Sicht auch nicht durch den Gedanken der Repräsentation akzeptabel wird. d) Ergebnis
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Die Rechtskraftbindung gegenüber passiven Gruppenmitgliedern wird im Falle einer common question class action regelmäßig anerkennungsfähig sein. Voraussetzung ist lediglich, dass die obligatorische notice in einer angemessenen Form ergangen ist, wobei auch öffentliche Bekanntmachungen ausreichend sind. Bei mandatory class actions ist eine Rechtskraftbindung nur dann mit dem deutschen ordre public vereinbar, wenn tatsächlich eine ausreichende notice ergangen ist. 414 Gottwald, ZZP 91 (1978), S. 1 (9) und Koch, Prozessführung im öffentlichen Interesse, 1983, S. 127, die die class action als gesetzliche Prozessstandschaft qualifizieren. 415 So bei den Parteien kraft Amtes und den verwaltungsberechtigten Ehegatten, s. Rn. 303 f. 416 So bei der Prozessstandschaft nach § 265 II ZPO, wo der Prozessstandschafter Rechtsvorgänger des Rechtsträgers ist, s. Rn. 305. 417 So bei § 1629 III S. 1 BGB, s. Rn. 304. 418 Ebenso allerdings mit anderer Begründung Greiner, Class action und ordre public, 1998, S. 175.
§ 6 Die Gestaltungswirkung ausländischer Entscheidungen Gerichtsentscheidungen können im Zweitland auch Gestaltungswirkung 501 entfalten. Hierunter wird der Effekt verstanden, dass der Urteilsausspruch den Inhalt des Rechts nicht nur feststellt, sondern – weitergehend – eine Änderung der materiellen Rechtslage bewirkt. Nach einem rechtsvergleichenden Überblick zur Gestaltungswirkung in den einzelstaatlichen Rechtsordnungen [A.] sind die Wirkungen ihrer Anerkennung im Zweitland zu untersuchen [B.].
A. Die Gestaltungswirkung in einzelnen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen Weder im englischen noch im französischen Recht hat sich für rechts- 502 gestaltende Effekte von Judikaten eine eigenständige Wirkungskategorie so fest etabliert, wie dies in der deutschen Rechtsdogmatik der Fall ist. Die Erscheinung, dass die materielle Rechtslage erst durch richterlichen Gestaltungsakt umgeformt wird, gibt es gleichwohl auch in diesen Rechtsordnungen (zu Einzelfällen sogleich). Obwohl die vorliegende Arbeit um eine länderübergreifende, d.h. von na- 503 tionalen Denkkonzepten losgelöste Behandlung ausländischer Titelwirkungen bemüht ist, folgt sie insofern einer rein deutschen Dogmatik, als dass sie die Gestaltungswirkung als eigenständige Kategorie auffasst. Nicht nur ist dies mit dem internationalisierten Blickwinkel der Untersuchung vereinbar, da nichts dagegen spricht, der aus einem Land bekannten Einteilung auch für übergreifende Betrachtungen zu folgen, zumal sich die vorliegende Arbeit an den deutschen Leser richtet und daher der Systematik folgen sollte, die diesem vertraut ist. Vielmehr erscheint eine isolierte Betrachtung der Gestaltungswirkung sogar vorzugswürdig, weil man sich so den spezifischen Anerkennungsproblemen zuwenden kann, die sich ausschließlich bei ihr stellen. Allerdings ergibt sich damit das Einteilungsproblem, wann es sich bei ei- 504 nem Titeleffekt um eine Gestaltungswirkung handelt. Insbesondere zwei Eigenschaften sind für sie kennzeichnend: Einerseits ändert sich bei ihr die Rechtslage erst durch das Urteil, weswegen das Judikat typischerweise ex
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nunc wirkt. Andererseits lässt sich eine Gestaltungswirkung daran erkennen, dass sie in aller Regel von allen zu beachten ist. 505
Ausgehend von diesen zwei Merkmalen finden sich im französischen Recht Titeleffekte, die als Gestaltungswirkung einzuordnen sind. So seien etwa Urteile genannt, die auf Aufhebung gegenseitiger Verträge (résolution d’un contrat) oder auf deren Anpassung (révision) lauten. Hier werden Inhalt und Bestand vertraglicher Beziehungen nicht – wie im deutschen Recht – durch Rücktritt oder Minderung verändert, sondern erst durch eine dahingehende richterliche Entscheidung.1 Dennoch hat sich in der französischen Rechtsdogmatik die Gestaltungsklage nicht als eigenständige Kategorie entwickelt. Nur vereinzelt wird in der Lit. der effet constitutif de jugement begrifflich unterschieden.2
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Genauso wenig wird in England die Rechtsgestaltung von den übrigen Entscheidungswirkungen getrennt. Beispiele für Gestaltungsurteile finden sich gleichwohl – etwa bei den judgments in rem, deren Rechtskraft erga omnes greift.3 Soweit solche Entscheidungen den Status von Sachen oder Personen betreffen, kommt ihnen Gestaltungskraft zu. Allerdings dürften die Effekte von im admiralty-Prozess ergangenen judgments in rem nicht als Gestaltungswirkung einzuordnen sein, weil nach englischer Vorstellung die Haftung des Schiffes schon mit der Entstehung des Anspruchs begründet wird.4 Auch Entscheidungen, die nicht den Status einer res betreffen, haben in England Gestaltungskraft. So können etwa in Scheidungsurteilen nach s. 21–26 Matrimonial Causes Act 1973 umfangreiche Scheidungsfolgen nach freiem richterlichem Ermessen festgelegt werden. Möglich ist beispielsweise die Anordnung von finanziellem Ausgleich und Unterhaltszahlungen durch financial provision order (s. 23) oder die Zuweisung von Vermögen, Hausrat oder der Ehewohnung nach Billigkeit durch property adjustment order (s. 24, 24a).5 Da es sich hierbei um Rechtspositionen handelt, auf die bis zur richterlichen Anordnung kein entsprechender materieller Anspruch bestand, enthalten derartige Urteile in der Sache Gestaltungsakte.
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Im Übrigen kann man sich angesichts der merger in judgment-Regel6 fragen, ob nicht jedem anspruchsbejahenden Urteil im englischen Recht eine 1
s. dazu sogleich Fall 3.1, Rn. 519–521. Bléry, L’efficacité substantielle, 2000, Rn. 141–146. 3 Vgl. oben Rn. 356–359. Dementsprechend werden ausländische Gestaltungsurteile in England wie judgments in rem behandelt, vgl. Fawcett/Carruthers, Cheshire North Private International Law, 14. Aufl. 2008, S. 532 f. 4 s. Rn. 359. 5 Z. B. BGH, 12.08.2009 – XII ZB 12/05, NJW-RR 2010, S. 1 (2). 6 s. Rn. 165. 2
§ 6 Die Gestaltungswirkung ausländischer Entscheidungen
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Gestaltungswirkung innewohnt. Nach dortiger Vorstellung begründen derartige Entscheidungen einen eigenen Rechtstitel, der mit der ursprünglichen Anspruchsposition verschmilzt bzw. – wenn es sich um ein in der Sache falsches Urteil handelt – völlig neu zur Entstehung gelangt. Insbesondere die Begründung neuer Rechtstitel erinnert stark an eine Rechtsgestaltung. Sie erfüllt allerdings nicht das zweite der beiden eingangs aufgestellten Kriterien für die Annahme einer Rechtsgestaltung. Denn der res judicata-Effekt und damit auch der merger greifen grundsätzlich nur relativ zwischen den Parteien.7 Es fehlt also gerade an der für die Gestaltungsurteile so typischen Wirkung erga omnes. Folglich kann man auch nicht jedem englischen Leistungstitel Gestaltungswirkung beimessen.
B. Der Inhalt der Gestaltungswirkung anerkannter ausländischer Entscheidungen im jeweiligen Zweitland Soweit die Gestaltungskraft als eine nach Art. 33 ff. EuGVVO anerken- 508 nungsfähige Entscheidungswirkung zu qualifizieren ist [I.], stellt sich die Frage nach dem Statut der so anerkannten Wirkungen im Anerkennungsland [II.] und nach einer Wirkungsbegrenzung aus Rücksicht auf die dortige Rechtsordnung [III.]. I. Vorab: Qualifikation der Gestaltungswirkung Fraglich ist, ob der rechtsgestaltende Effekt eines richterlichen Verdikts 509 als prozessuale Entscheidungswirkung im Sinne der EuGVVO zu qualifizieren ist. Nach der eingangs aufgestellten Formel8 unterliegen der prozessualen Anerkennung all diejenigen Folgen, die die materiellrechtlichen Beziehungen zwischen den Prozessparteien und ggf. zu Dritten ausgestalten und nicht nur die materielle Rechtslage im Nachhinein an das Judikat anpassen. Wie die durch ausländisches Urteil bewirkte Umformung der materiellen Rechtslage anzuerkennen ist, wird in der Lit. allerdings unterschiedlich beurteilt.9 Zwei Alternativen stehen sich gegenüber: Nach dem kollisionsrechtlichen Ansatz gilt die Rechtsgestaltung dann auch im Zweitland, wenn aus dessen Sicht die Entscheidung entweder dem Land entstammt, dessen Recht auf das zu gestaltende Rechtsverhältnis Anwendung findet, oder sie in diesem Land 7
s. Rn. 336. s. oben Rn. 64. 9 Die Frage nach der Anerkennung der Gestaltungswirkung ausländischer Urteile wurde schon als „quaestio famosa des IZPR“ bezeichnet, vgl. Martiny, Hdb. IZVR, Bd. III/1, 1984, Rn. 404. 8
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Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
zumindest anerkennungsfähig ist.10 Herrschend ist demgegenüber allerdings die prozessuale Anerkennung nach Art. 33 ff. EuGVVO.11 510
Die Gestaltungswirkung auf dem Wege des Kollisionsrechts anzuerkennen, wird damit begründet, dass sie die materielle Rechtslage verändert und daher keine „prozessuale“ Entscheidungswirkung im eigentlichen Sinne sei.12 Anders als etwa die Rechtskraft betreffe sie nicht allein prozessuale Aspekte, sondern unmittelbar die materiellen Rechtsbeziehungen. Sie wirke daher – wie sonstiges materielles Recht – nicht raum-, sondern sachverhaltsbezogen.13 Der kollisionsrechtliche Ansatz wird ferner damit begründet, dass die Rechtsgestaltung per Richterspruch stets voraussetzt, dass das Gericht hierzu durch die lex causae ermächtigt wurde. Eine Rechtsgestaltung gelte daher aufgrund der materiellrechtlichen Norm, zu deren Tatbestand das Vorliegen eines entsprechenden Gestaltungsurteils gehört. In Parallele zu den Nebenwirkungen, die sich aus dem jeweils anwendbaren Sachrecht ergeben14, sei auch für die Gestaltungswirkungen vom IPR auszugehen und nach diesem das Gestaltungsstatut zu bestimmen, aus dessen Sicht das Urteil akzeptabel sein muss. Hierfür spricht auch der Ursprung des Gestaltungsklagerechts: Ihm liegt ein materielles Gestaltungsrecht zu Grunde, das wegen der besonderen Bedeutung der betroffenen Materie nur unter gerichtlicher Mitwirkung ausgeübt werden kann.15
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Eine derartige Gleichbehandlung der Gestaltungswirkung mit den Nebenwirkungen ist allerdings deshalb nicht passend, weil der Geltungsgrund der Rechtsgestaltung nicht die materiellrechtliche Vorschrift ist, sondern vielmehr in der Rechtsmacht liegt, die ein Land seinem Rechtsprechungsorgan zuerkennt.16 Immerhin tritt die Rechtsveränderung erst durch den gerichtlichen Akt ein. Dieser ist als Ausübung von Hoheitsmacht in der Rechtsordnung des Entscheidungsstaates verankert.17 Die Rechtslage wird wegen des prozessual wirksamen Aktes einer ausländischen Gerichtsgewalt umgeformt. 10 Süß, in: FS Rosenberg, 1949, S. 229 (255–258); Hausmann, Kollisionsrechtliche Schranken, 1980, S. 198 f.; Nitzinger, Betreuungsrecht, 1998, S. 124. 11 Müller, ZZP 79 (1966), S. 199 (222 f.); Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 869; Martiny, Hdb. IZVR, Bd. III/1, 1984, Rn. 409–412; Geimer, Anerkennung, 1995, S. 41 f.; Schütze, GmbH-Rdsch 1967, S. 6 (7); Fischer, in: FS Henckel, 1995, S. 199 (202 f.); Geimer, Gerichtsbarkeit, 1966, S. 32 f.; Kropholler, EuZPR, 8. Aufl. 2005, vor Art. 33 EuGVVO Rn. 15; Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. I/Leible, 2011, Art. 33 EuGVVO Rn. 7. 12 Süß, in: FS Rosenberg, 1949, S. 229 (256). 13 Hausmann, Kollisionsrechtliche Schranken, 1980, S. 199. 14 Vgl. Rn. 58–60. 15 Becker, AcP 188 (1988), S. 24 (30). 16 Müller, ZZP 79 (1966), S. 199 (217). 17 Martiny, Hdb. IZVR, Bd. III/1, 1984, Rn. 410.
§ 6 Die Gestaltungswirkung ausländischer Entscheidungen
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Es erscheint daher sachgerechter, zum Zwecke der Anerkennung die Kriterien heranzuziehen, die auch sonst greifen, wenn zu entscheiden ist, ob ein ausländisches Urteil im Zweitland akzeptiert werden kann. Für das Erfordernis einer prozessualen Anerkennung spricht außerdem, dass andernfalls die Anerkennungsvoraussetzungen von Art. 34 f. EuGVVO umgangen werden könnten. Beim kollisionsrechtlichen Ansatz wäre etwa das rechtliche Gehör nicht immer über Art. 34 Nr. 2 EuGVVO geschützt. Schließlich sollte die Gestaltungswirkung auch deswegen prozessual aner- 512 kannt werden, um Widersprüche zwischen ihr und den anderen prozessualen Urteilswirkungen zu vermeiden: Würde erstere über das IPR importiert, während man letztere hingegen dem IZVR zuordnete, könnte eine Situation eintreten, in der zwar die Gestaltungswirkung eines ausländischen Urteils nicht anerkannt wird (weil das IPR auf das Recht eines Landes verweist, in dem das Urteil weder erlassen wurde noch anerkennungsfähig ist), dessen Rechtskraft hingegen schon. Dann käme es zu Spannungen, denn die erlangte Rechtsgestaltung wäre im Zweitstaat nicht beachtlich, gleichwohl stünde dort die Rechtskraft der Erhebung einer erneuten Gestaltungsklage entgegen.18 Im Rahmen der EuGVVO sprechen gegen den kollisionsrechtlichen An- 513 satz auch praktische Erwägungen: Durch die Verordnung soll nämlich die Anerkennung von Urteilen erleichtert werden, was gerade nicht gewährleistet wäre, wenn man zur Prüfung der Anerkennungsfähigkeit zunächst das materiell anwendbare Recht ermitteln müsste, gefolgt von einer möglichen zusätzlichen Anerkennungsprüfung nach dem Anerkennungsrecht eines Drittlandes. Internationalprivatrechtliche Gesichtspunkte werden schließlich vollständig aus der Anerkennungsprüfung in der EuGVVO herausgehalten. So wurde Art. 27 Nr. 4 EuGVÜ, wonach die Entscheidung über das anwendbare Recht in engen Grenzen überprüft werden konnte, nicht in Art. 34 EuGVVO übernommen. Es wäre außerdem unzweckmäßig, das Bündel von Urteilswirkungen aufzuschnüren und sie verschiedenen Voraussetzungen zu unterwerfen.19 Gestaltungswirkung und Rechtskraft stehen nicht unverbunden nebeneinander: Die Gestaltungskraft tritt erst ein, wenn das Urteil formell rechtskräftig ist. 18
Müller, ZZP 79 (1966), S. 199 (220 f.). Manche Vertreter der kollisionsrechtlichen Lösung wollen dieses missliche Ergebnis dadurch vermeiden, dass die Rechtskraft „kollisionsrechtlich relativiert“, d.h. der lex causae angepasst wird, vgl. Hausmann, Kollisionsrechtliche Schranken, 1980, S. 206 f. Teilweise wird auch eine Kumulation von lex causae-Ansatz und prozessualer Anerkennung vorgeschlagen. Danach muss das Gestaltungsurteil einerseits die prozessualen Anerkennungsvoraussetzungen erfüllen. Andererseits muss es entweder aus einem Land stammen, das die lex causae stellt, oder zumindest in diesem anerkennungsfähig sein, vgl. Nachweise bei Geimer, Anerkennung, 1995, S. 40 f. 19 Martiny, Hdb. IZVR, Bd. III/1, 1984, Rn. 411.
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Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
Im Ergebnis erscheint es überzeugender, die Gestaltungswirkung als prozessuale Urteilswirkung im Sinne der EuGVVO zu qualifizieren. Hat man sich für eine verfahrensrechtliche Anerkennung ausländischer Gestaltungsurteile entschieden, schließt sich die Frage an, welche Wirkungen diese hat. II. Schritte 1 und 2: Wirkungserstreckung und lex causae-Rückgriff
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Nachdem also innerhalb der EU auch die Gestaltungswirkung ausländischer Judikate nach den Regeln der EuGVVO anerkannt wird, ist deren Inhalt im Zweitland nach den zuvor in § 3 ermittelten Grundsätzen zu beurteilen. Auf diese kommt es aber nicht an, soweit der neue Inhalt der Rechtslage im Urteilstenor selbst angeordnet ist. Wurde etwa eine Vertragsstrafe durch richterliches Urteil herabgesetzt (im deutschen Recht nach § 343 BGB), so stellt sich im Rahmen der Anerkennung des Herabsetzungsurteils im Zweitland nicht die Frage nach dem auf die Gestaltungswirkung anwendbaren Recht. Schließlich ergibt sich die neuerliche Höhe der Vertragsstrafe aus dem Titel selbst. Etwas anderes gilt aber, wenn das ausländische Gestaltungsurteil Systembegriffe verwendet, deren genauer Inhalt sich erst dem dazugehörigen Recht entnehmen lässt. Dann kommt es darauf an, welche Rechtsordnung den Inhalt der Gestaltungswirkung vorgibt. Dies soll zunächst allgemein geklärt [1.] und dann anhand von Beispielen verdeutlicht werden [2. u. 3.]. 1. Verweisungsbefehl im Allgemeinen
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Entsprechend der Wirkungserstreckungslehre unterliegt die Gestaltungswirkung grundsätzlich dem Recht des Entscheidungsstaates (Schritt 1). Dem lex causae-Rückgriff nach Schritt 2 kommt aber dann Bedeutung zu, wenn das Gericht im Ursprungsstaat ein aus seiner Sicht fremdes Sachrecht angewendet und nach diesem die Rechtsgestaltung vorgenommen hatte. In diesem Falle richtet sich schon im Ursprungsland der Inhalt der Gestaltungswirkung nach der lex causae – selbst wenn die Gesetze des Ursprungslandes eine vergleichbare Rechtsgestaltung nicht vorsehen.20 Es handelt sich also hier um einen der wenigen Fälle, in denen eine Entscheidungswirkung im Urteilsland nicht von der dortigen lex fori selbst vorgegeben wird.21 Für den vorliegenden Zusammenhang ist die Frage interessant, inwieweit auch im Zweitland die dort anerkannte Gestaltungswirkung der lex causae unterliegt, die das Ursprungsgericht angewendet hatte. 20 21
Schlosser, Gestaltungsklagen, 1966, S. 314. Vgl. zu diesem Fall bereits oben Rn. 116 a. E.
§ 6 Die Gestaltungswirkung ausländischer Entscheidungen
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Als allgemeine Voraussetzungen dafür, dass im Anerkennungsland der In- 517 halt der Entscheidungswirkungen der vom Ursprungsgericht herangezogenen lex causae zu entnehmen ist, wurde erarbeitet, dass einerseits der Inhalt der Entscheidungswirkung einen materiellen Gehalt haben muss und andererseits der Entscheidung durch den lex causae-Rückgriff nicht mehr Wirkungen zukommen dürfen, als sie im Ursprungsland selbst hätte.22 Diese beiden Voraussetzungen sind bei der Gestaltungswirkung erfüllt: Ihr materiellrechtlicher Gehalt ergibt sich schon daraus, dass sie gerade die umgeformte Rechtslage vorgibt. Andererseits ist auch die Obergrenze der Anerkennungswirkungen durch das im Ursprungsland Gültige nicht überschritten: Schließlich hätte das anzuerkennende Gestaltungsurteil auch innerhalb des Ursprungslandes den Wirkungsgehalt, den das angewendete Sachstatut vorgibt. Damit gilt im Ergebnis: Der Inhalt einer Rechtsgestaltung im Anerken- 518 nungsland unterliegt immer dem Recht, nach dem der Richter sie im Ursprungsland vorgenommen hatte.23 Ob etwa eine Ehe geschieden oder nur eine Trennung der Ehegatten ohne Lösung des Ehebandes ausgesprochen wurde und welche Wirkungen dies hat, muss das jeweilige Sachrecht vorgeben.24 Wurde etwa in Frankreich nach inländischem Recht eine separation de corps ausgesprochen, die die Pflicht zur ehelichen Lebensgemeinschaft beendet, ohne das Eheband aufzuheben (Art. 296 ff. CC)25, richtet sich nach deren Anerkennung im Zweitland auch dort der Status der Ehegatten nach französischem Recht.26 Folglich sind Eheleute beispielsweise auch in Deutschland nur von Tisch und Bett getrennt, obwohl das hiesige Recht eine solche Gestaltung nicht vorsieht. Zwar werden Scheidungs- bzw. Trennungsurteile nicht nach der EuGVVO anerkannt, sondern nach der EuEheVO. Die maßgeblichen Anerkennungsgrundsätze sind hierbei aber dieselben. Weitere Beispiele für den lex causae-Rückgriff sollen nachfolgend Fall 3.1 und Fall 3.2 geben:
22
s. Rn. 117 f. Staudinger/Spellenberg, Neubearb. 2005, Art. 21 EuEheVO Rn. 49; Schlosser, Gestaltungsklagen, 1966, S. 160; Geimer, IZPR, 6. Aufl. 2009, Rn. 2777, 2816. 24 OLG Hamburg, 12.07.1983 – 2 VA 1/83, IPRspr. 1983, Nr. 184. 25 Cornu, droit de la famille, 9. Aufl. 2006, Rn. 419. 26 Staudinger/Spellenberg, Neubearb. 2005, Art. 21 EuEheVO Rn. 47. 23
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Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
2. Fall 3.1: Vertragsaufhebung durch österreichisches Gericht nach französischem Recht und ihre Anerkennung in Deutschland 519
Im Fall 3.1 hatte ein Privatier aus Österreich im Januar 2009 von einem in Straßburg ansässigen Kfz-Händler einen Gebrauchtwagen gekauft. Der Vertrag wurde in den Geschäftsräumen des Verkäufers wirksam abgeschlossen, was unmittelbar das Eigentum an der Kaufsache übergehen ließ (Konsensualprinzip, Art. 1583 CC). Das Fahrzeug wurde vereinbarungsgemäß zum Käufer nach Hause geliefert. Nachdem die geschuldete Kaufpreiszahlung ausblieb, erhob der Verkäufer am Wohnsitz des Käufers in Österreich Klage (Gerichtsstand: Art. 5 Nr. 1 lit.b 1. Sp. EuGVVO) und beantragte die Aufhebung (résolution) des Vertrages. Das österreichische Gericht wendete auf den Kaufvertrag französisches Recht an (als Recht des Verkäufers, vgl. Art. 4 I lit.a Rom I-VO) und erklärte gem. Art. 1654 CC den Vertrag wegen Zahlungsverzuges des Käufers für aufgelöst. Das Urteil wurde im Januar 2010 rechtskräftig. Nach französischem Recht lässt die gerichtliche Vertragsauflösung automatisch mit Wirkung ex tunc das Eigentum an der Kaufsache wieder an den Verkäufer zurückfallen.27 Dies ist gewissermaßen das Gegenstück zum Konsensualprinzip. Auf einen Anspruch auf Rückgewähr der Leistungen wird im Vertragsaufhebungsverfahren grundsätzlich nur erkannt, wenn dies ausdrücklich beantragt wurde.28
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Noch vor Rechtskraft des österreichischen Urteils hatte der Käufer den Gebrauchtwagen nach Deutschland verbracht und dort an den D weiterverkauft und übereignet. Als der französische Erstverkäufer hiervon erfährt, erhebt er nach rechtskräftigem Abschluss des österreichischen Verfahrens in Deutschland Klage gegen D und verlangt Herausgabe des Gebrauchtwagens. Vor dem deutschen Gericht stellt sich nun die Frage, ob der Drittkäufer nach deutschem Recht als lex loci der Sache (Art. 43 I EGBGB) an dieser wirksam Eigentum erworben hat. Da die Gestaltungswirkung des österreichischen Urteils im deutschen Verfahren anzuerkennen und ihr Inhalt – nach den zuvor erarbeiteten Grundsätzen – französischem Recht (als der in Österreich angewendeten lex causae) zu entnehmen ist, muss das deutsche Gericht allerdings auch gegenüber D davon ausgehen, dass der Erstkäufer als Nichteigentümer den Gebrauchtwagen veräußert hat (vorbehaltlich einer sogleich zu diskutierenden Wirkungsbegrenzung). Denn insoweit ist der französische Grundsatz heranzuziehen, dass die Rückwirkung der 27 Wenner/Schödel, in: von Westphalen (Hrsg.), EG-Kaufvertragsrecht, 1992, S. 417 (Rn. 103); Larroumet, Droit Civil III, 5. Aufl. 2003, Rn. 713. 28 Z. B. Cour de cassation, 3e civ., 11.03.1987, DS 1987, IR, S. 71. Das Gericht kann dies aber von sich aus anordnen, vgl. Cour de cassation, 3e civ., 29.01.2003, JCP 2003.II.10116.
§ 6 Die Gestaltungswirkung ausländischer Entscheidungen
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Vertragsaufhebung auch Dritten gegenüber gilt.29 Im deutschen Verfahren sind folglich die §§ 932 ff. BGB über den gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten anzuwenden, um zu prüfen, ob D wirksam Eigentum am Kfz erworben hat. Hätte – in der Alternative – das österreichische Gericht zuvor nicht nach 521 französischem, sondern nach deutschem Recht über die Rückabwicklung des Vertrages infolge einer Rücktrittserklärung entschieden, wäre dem anzuerkennenden Urteil schon keine Gestaltungswirkung zugekommen, kraft derer das Eigentum wieder an den französischen Verkäufer zurückgefallen wäre. Dann wäre im deutschen Verfahren davon auszugehen gewesen, dass der Erstkäufer noch Eigentümer war, als er die Kaufsache übereignet hatte. Die Frage des wirksamen Eigentumserwerbs durch D hätte das deutsche Gericht dann nach den §§ 929 ff. BGB zu beurteilen. 3. Fall 3.2: Auflösung einer englischen Ltd. durch deutsches Gericht nach englischem Gesellschaftsrecht und ihre Anerkennung in Österreich Fünf Freunde, die sich noch aus Schulzeiten kennen, betreiben in 522 Deutschland eine Gebrauchtwagenhandlung und haben hierfür in England eine Private company limited by shares (Ltd.) wirksam nach englischem Recht gegründet. Jeder der fünf ist Gesellschafter (shareholder), während sie den gemeinsamen Freund G entsprechend s. 154 (1) Companies Act 2006 zum Geschäftsführer (director) bestellt haben. Das einzige Geschäftslokal des Unternehmens und seine Hauptverwaltung befinden sich in Deutschland. Nachdem es zwischen den Gesellschaftern zu Zerwürfnissen über die Unternehmensstrategie kommt, erhebt einer von ihnen in Deutschland eine auf Auflösung der Ltd. gerichtete Klage. Die internationale Zuständigkeit hierfür folgt aus Art. 22 Nr. 2 EuGVVO, weil nach dem – insoweit maßgeblichen, vgl. Art. 22 Nr. 2 S. 2 EuGVVO – deutschen Recht der Sitz der Gesellschaft entscheidend ist, der sich wiederum am Ort der Hauptverwaltung befindet30. Das angerufene deutsche Gericht bestimmt englisches Recht zum an- 523 wendbaren Gesellschaftsstatut.31 Nach diesem ist die Auflösung einer Ltd. 29 Vgl. Larroumet, Droit Civil III, 5. Aufl. 2003, Rn. 713 (S. 816): Sie können aber nach Art. 2279 CC gutgläubig erwerben. 30 So zumindest die bislang h.Lit. und Rspr. in Deutschland. Vgl. BGH, 21.03.1986 – V ZR 10/85, NJW 1986, S. 2194 (2195): „der Tätigkeitsort der Geschäftsführung und der dazu berufenen Vertretungsorgane, also der Ort, wo die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden.“
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Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
unter anderem dann möglich, wenn dies dem Gericht angemessen und gerecht erscheint.32 Das angerufene Gericht kommt zu dem Ergebnis, dass unüberbrückbare Differenzen zwischen den Gesellschaftern vorliegen, die eine Auflösung der Ltd. rechtfertigen und erlässt eine winding-up order, die nach englischem Recht unter anderem die Wirkung hat, dass sämtliche zukünftigen Verfügungen über das Gesellschaftsvermögen nichtig sind.33 524
Nachdem das Urteil rechtskräftig geworden war, verkauft und übereignet G im Namen der Ltd. ein Fahrzeug aus dem Bestand des Gesellschaftsvermögens an den Privatmann Ö aus Österreich. Dieses Fahrzeug hatte die Ltd. zuvor von einem anderen Kunden aus der Alpenrepublik in Zahlung genommen, aber noch nicht bei diesem abgeholt. G hatte es über ein Gebrauchtwagenportal im Internet angeboten und nach Abschluss des Kaufvertrages mit Ö diesen ermächtigt, das Fahrzeug selbst in Österreich abzuholen. Nachdem für die in Auflösung befindliche Ltd. ein liquidator bestellt wurde und dieser von dem Auto-Verkauf erfuhrt, klagte er in Österreich gegen Ö auf Herausgabe des Kfz. Das österreichische Gericht beurteilte die Wirksamkeit des Eigentumserwerbs nach österreichischem Recht (lex rei sitae). Der Kläger berief sich auf die Wirkungen der winding-up order des deutschen Gerichts, die die österreichischen Richter auch anzuerkennen bereit waren. Sie stellten sich aber die Frage, welche Wirkungen diese auslöst.
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Nach dem hier vertretenen lex causae-Rückgriff ist der Inhalt der anerkannten Gestaltungswirkung des deutschen Urteils im Fall 3.2 englischem Recht zu entnehmen (vorbehaltlich einer sogleich zu diskutierenden Wirkungsbegrenzung). Da in diesem die winding-up order u. a. dem Gesellschaftsvermögen die Verfügungsfähigkeit nimmt, begründet die deutsche Entscheidung ein auch im österreichischen Verfahren beachtliches Verfügungsverbot, weswegen Ö kein Eigentum am Kfz erwerben konnte. Hätte demgegenüber das deutsche Gericht die Ltd. nach den §§ 61, 60 I Nr. 3 31 Insoweit folgt es also der Gründungstheorie, zu der es sich durch die in Art. 49, 54 AEUV (ehemals Art. 43, 48 EGV) normierte Niederlassungsfreiheit und die Rspr. in EuGH, 09.03.1999 – Rs. C-212/97, Centros, Slg. I-1999, 1459; EuGH, 05.11.2002 – Rs. C-208/00, Überseering, Slg. I-2002, 9919 und EuGH, 30.09.2003 – Rs. C-167/01, Inspire Art, Slg. I-2003, 10155 veranlasst sieht. 32 Vgl. s. 122(1)(b) Insolvency Act 1986: „A company may be wound up by the court if the court is of the opinion that it is just and equitabel that the company should be would up.“ Die Antragsberechtigung der Anteilseigner folgt aus s. 124(2) Insolvency Act 1986. Bei dieser Zwangsabwicklung handelt es sich entgegen dem Namen des anwendbaren englischen Gesetzes nicht um eine insolvenzrechtliche Liquidation. Das Verfahren in Fall 3.2 fällt daher nicht in den Anwendungsbereich der EuInsVO, so dass es auf die darin enthaltenen Regelungen der internationalen Zuständigkeit und des anwendbaren Rechts vorliegend nicht ankommt. 33 Fritz/Hermann, Private Limited Company, 2008, Rn. 315 m. w. N.
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GmbHG aufgelöst34, hätte die Gestaltungswirkung des Auflösungsurteils nicht auch ein Verfügungshindernis beinhaltet35, so dass ein solches auch in Österreich nicht beachtlich gewesen wäre. III. Schritt 3: Wirkungsbegrenzung aus Rücksicht auf das Recht des Anerkennungsstaates In Schritt 3 kommt zum Schutz der Rechtsordnung des Anerkennungslan- 526 des eine Wirkungsbegrenzung in Betracht, wenn die Wirkungen des anerkannten ausländischen Urteils stärker sind als die Entscheidungswirkungen, die das Recht des Anerkennungslandes vorsieht. Dieser Filter könnte im Bereich der Gestaltungswirkung einerseits in der Form greifen, dass einzelne Elemente der Rechtsgestaltung „ausgeschnitten“ werden [1.], andererseits wäre eine Begrenzung in subjektiver Hinsicht denkbar [2.]. 1. Begrenzung des objektiven Inhaltes der Rechtsgestaltung Aus Rücksicht auf die Rechtsordnung des Zweitstaates käme in Betracht, 527 dort eine Rechtsgestaltung nur in Ausschnitten anzuerkennen, mithin ihren objektiven Inhalt zu verkürzen. So wäre im soeben behandelten Fall 3.2 denkbar, das deutsche Auflösungsurteil über die Ltd. ohne den Effekt eines Verfügungsverbotes zu importieren. In Fall 3.1 könnte man erwägen, die in Österreich ausgesprochene Vertragsauflösung in Deutschland nur auf der schuldrechtlichen Ebene zu beachten, dort also den Rückfall des Eigentums an den Verkäufer nicht gelten zu lassen. Derartige Begrenzungen ausländischer Entscheidungseffekte wären nur 528 gerechtfertigt, soweit sie durch den inländischen ordre public gefordert sind. Wie sich bereits gezeigt hat, ist eine pauschale Limitierung auf das Maß vergleichbarer inländischer Entscheidungen grundsätzlich nicht gerechtfertigt.36 Eine solche wäre bei Gestaltungsurteilen auch kaum möglich angesichts der Vielzahl denkbarer Entscheidungsinhalte. Wie sollte man etwa die Tragweite einer nach französischem Recht ausgesprochenen Vertragsauflösung entsprechend der Kumulationstheorie auf das deutsche Maß limitieren? Es würde jedenfalls keine brauchbaren Ergebnisse liefern, hielte man ein solches Urteil etwa neben ein deutsches Judikat über einzelne An34 Zu deren Anwendbarkeit hätte es aufgrund der Sitztheorie gelangen können, weil die Ltd. funktional der GmbH entspricht. 35 Das Auflösungsurteil im deutschen Recht führt zur Entstehung einer Liquidationsgesellschaft, die den §§ 66–74 GmbHG unterliegt, vgl. Baumbach/Hueck/ Haas, 19. Aufl. 2010 § 61 GmbHG Rn. 22. 36 s. Rn. 152.
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sprüche aus einem Rückgewährschuldverhältnis, das infolge eines Rücktritts entstanden ist (§§ 346 ff. BGB). An dieser Stelle zeigt sich einmal mehr, dass die Kumulationstheorie im europäischen Anerkennungsrecht genauso wenig Platz hat wie der Wirkungsbegrenzungsansatz, wonach ausländische Urteilswirkungen zumindest ihrer Art nach im Zweitland bekannt sein müssen.37 529
Aber auch bei Beachtung des Maßstabes des inländischen ordre public ist Zurückhaltung in der Wirkungsbegrenzung geboten: Da infolge der Rechtsgestaltung die materielle Rechtslage so umgeformt werden muss, dass ein funktionsfähiges Gebilde entsteht, können die einzelnen Bestandteile nicht beliebig zerschnitten und neu kombiniert werden.38 Hierbei bestünde die Gefahr des Aufeinanderprallens von inkompatiblen Rechtsfolgen. Zur Verdeutlichung dieses Problems sei einmal mehr auf Fall 3.1 verwiesen: Die Vertragsauflösungsklage nach französischem Recht macht nur Sinn, wenn sie auch aus Sicht des Anerkennungslandes den gesamten Vertrag rückgängig macht, d.h. – entsprechend deutscher Begrifflichkeit – sowohl die schuldrechtliche als auch die dingliche Ebene umgestaltet. Würde das Urteil für Deutschland nur den Kaufvertrag auflösen, drohten Rechtsschutzlücken: Müsste der Verkäufer nach gerichtlicher Vertragsauflösung etwa in Deutschland auf Rückübereignung der Kaufsache klagen, hätte das deutsche Gericht im französischen Vertragsrecht nach der vertraglichen Anspruchsgrundlage zu suchen, könnte sie hier aber nicht finden, da es eine solche im Code Civil nicht gibt.
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Bei Gestaltungsurteilen sind Wirkungsbegrenzungen in der Anerkennungsphase auch deshalb nur mit Vorsicht zu genießen, weil sie den internationalen Entscheidungseinklang in besonderem Maße stören können. Man stelle sich vor, dass in Fall 3.2 Verfügungen in einem Land nichtig sind, in einem anderen hingegen wirksam bleiben: Je nachdem, welches Forum befasst ist, würde sich dann die Eigentumslage unterschiedlich beurteilen. Die Beteiligten liefen Gefahr, dass ihr Eigentum in einem Land nicht anerkannt und ein Herausgabeanspruch gegen sie judiziert würde. Eine derartige Rechtszersplitterung ist vor dem Hintergrund konkurrierender Gerichtsstände und erleichterter Vollstreckungsmöglichkeiten im Ausland besonders problematisch.
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Zwar kann auch bei den anderen Titeleffekten eine Wirkungsbegrenzung in der Anerkennungsphase den internationalen Entscheidungseinklang gefährden. Löst etwa ein Urteil in verschiedenen Ländern unterschiedliche 37
s. zu diesen Ansätzen bereits Rn. 120 f. und zu ihrer Ablehnung Rn. 148–152. Geimer, IZPR, 6. Aufl. 2009, Rn. 2783; Schlosser, RIW 1983, S. 473 (480) zu ausländischen Konkursentscheidungen. 38
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Rechtskraftbindungen aus, sind in manchen Fora abweichende Entscheidungen möglich, deren Anerkennung in anderen Fora wiederum ausgeschlossen wäre (Art. 34 Nr. 3 EuGVVO). Die Gefahr für den internationalen Entscheidungseinklang durch selektive Anerkennung ist bei der Gestaltungswirkung aber größer, da sie facettenreicher ist. Sie betrifft im Unterschied zu den anderen Entscheidungswirkungen nicht nur die Tragweite eines Entscheidungsergebnisses, sondern gibt sogar dessen Inhalt vor: Oftmals ist erst dem Statut der Gestaltungswirkung zu entnehmen, welche Gestaltung der Richter überhaupt vorgenommen hat. Es handelt sich um ein Sinngefüge mehrerer Einzelaspekte, die möglicherweise auf ganz unterschiedliche Rechtsbeziehungen ausstrahlen. Umso stärker kann die Rechtszersplitterung werden, wenn man die vielen Aspekte nur selektiv über die Grenzen trägt. Zusätzlich ist im Bereich der Gestaltungsurteile eine ungleiche Rechts- 532 lage in den verschiedenen Jurisdiktionen besonders problematisch, weil diese oftmals den Status von Personen betreffen, wie insbesondere bei Ehescheidungen. Bei diesen ist der internationale Entscheidungseinklang im Interesse der Beteiligten besonders wichtig. Somit erscheint eine Wirkungsbegrenzung in der Form, dass einzelne Bestandteile der Gestaltungswirkung nicht ins Zweitland transportiert werden, nur in ganz seltenen Fällen akzeptabel. Sie setzt einerseits einen ordre public-Verstoß im Zweitland voraus und steht andererseits unter dem Vorbehalt, dass das Urteil in seinem anerkennungsfähigen Rest noch sinnvoll bleibt und keine Rechtsunsicherheit für die Beteiligten mit sich bringt. In den Fällen 3.1 und 3.2 dürften diese Voraussetzungen nicht erfüllt sein. 2. Begrenzungen der Rechtsgestaltung in subjektiver Hinsicht Andererseits stellt sich bei der Anerkennung von Gestaltungsurteilen die 533 Frage nach einer Wirkungsbegrenzung in subjektiver Hinsicht. Da Rechtsgestaltungen typischerweise erga omnes gelten, könnte insbesondere zum Schutz des rechtlichen Gehörs der zweitstaatliche ordre public eingreifen. So ist beispielsweise in Fall 3.239 der Erwerber aus Österreich von den Wirkungen des deutschen Auflösungsurteils betroffen, ohne dass er im Verfahren angehört wurde. Gleichermaßen ist in Fall 3.140 der Käufer aus Deutschland durch die vom österreichischen Gericht ausgesprochene Vertragsaufhebung beeinträchtigt, ohne dass er am Verfahren mitwirken konnte. Es ist daher fraglich, ob auch gegenüber den Drittbeteiligten die Rechtsgestaltung in Österreich bzw. Deutschland anerkannt werden kann. 39 40
s. Rn. 522–525. s. Rn. 519 f.
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Wie sich bereits für die Rechtskraft und die Drittbindungen gezeigt hatte, sind zu deren Begrenzung in subjektiver Hinsicht aus Rücksicht auf das Recht des Anerkennungslandes ggf. drei Fragen41 zu beantworten: Anhand der im Anerkennungsland gültigen Maßstäbe ist zunächst zu klären, ob dem Dritten Beteiligungsrechte im Ursprungsverfahren hätten zukommen müssen (Frage 1), sodann ob dessen Beteiligung im Ursprungsverfahren ausreichend war (Frage 2) und schließlich ob eine nicht ausreichende Beteiligung wegen anderer Schutzmechanismen oder aus übergeordneten Interessen akzeptabel ist (Frage 3). Nach diesem Schema ist auch die Begrenzung der Gestaltungswirkung ausländischer Urteile in subjektiver Hinsicht zu behandeln.
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Demnach ist in Frage 1 zu klären, ob aus Sicht des Anerkennungslandes Personen, die am Ursprungsverfahren nicht beteiligt waren, im Verhältnis zu denen aber im Zweitland eine Gestaltungswirkung greifen soll, in Ausgangsverfahren ein Beteiligungsrecht einzuräumen gewesen wäre. Diese Frage ist unter Heranziehung des inländischen Pendants der ausländischen Gestaltungsklage zu beantworten. Besteht dieses ebenfalls in einer Gestaltungsklage, können deren Verfahrensregelungen nach der Beteiligungsnotwendigkeit befragt werden. So wird etwa in jeder der hier verglichenen Rechtsordnungen eine Ehe im Wege der Gestaltungsklage geschieden. Man kann daher die Regelungen des inländischen Scheidungsverfahrens danach befragen, inwieweit Dritten aus Sicht des Anerkennungslandes Beteiligungsrechte eingeräumt werden müssen.
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Sieht jedoch das Recht des Anerkennungslandes keine vergleichbare Gestaltungsklage vor, wie etwa in Fall 3.1 – zwar werden Verträge in Frankreich durch Urteil aufgelöst, in Deutschland, dem Anerkennungsstaat, hingegen nicht –, müssen allgemeinere Strukturmerkmale des zweitstaatlichen Rechts berücksichtigt werden. Für das deutsche Recht lässt sich insofern feststellen, dass der Zivilprozess die Anhörung möglicher Drittbetroffener grundsätzlich nicht kennt. Dass in einigen familienrechtlichen Angelegenheiten Behörden, wie das Jugendamt, angehört werden42, hat seinen Grund nicht in Drittbetroffenheit. Die im Adoptionsverfahren vorgesehene Anhörung der Kinder des Annehmenden und des Anzunehmenden gem. § 193 FamFG dürfte insoweit der einzige Fall sein, in dem einem Dritten allein wegen möglicher Auswirkungen der Entscheidung rechtliches Gehör gewährt wird. Hiervon abgesehen gilt im deutschen Recht, dass Dritte weder 41
s. Rn. 476–480. Das Jugendamt wird etwa in Kindschafts- (§ 162 I S. 1 FamFG), Abstammungs- (§ 176 I S. 1 FamFG) Adoptions- (§§ 194 f. FamFG), Wohnungszuweisungs- (§ 205 FamFG) und Gewaltschutzsachen (§ 213 I FamFG) angehört. Eine Anhörung von Behörden ist ferner vorgesehen in Betreuungs- (§ 279 II FamFG) und Unterbringungssachen (§ 320 S. 2 FamFG). 42
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bei Gestaltungs- noch bei Leistungs- oder Feststellungsklagen allein deswegen angehört werden, weil sich die Entscheidung möglicherweise faktisch auf sie auswirkt. Gleichwohl kennt das deutsche Recht durchaus faktische Drittwirkungen, 537 die sich allein aus einer Veränderung der materiellen Rechtslage ergeben: Wer sein Eigentum wirksam veräußert, kann hierdurch seinen Gläubiger benachteiligen, indem er diesem pfändbares Vermögen entzieht. Wer eine fremde Sache veräußert, kann den eigentlichen Eigentümer seiner Rechtsstellung entziehen, wenn die Voraussetzungen eines gutgläubigen Erwerbes vorliegen. Dennoch ist eine Beteiligung derartig Drittbetroffener im deutschen Zivilprozess nicht vorgesehen: Wenn etwa ein gutgläubiger Erwerb vor Gericht geprüft wird, ist der ursprüngliche Rechtsinhaber nicht anzuhören, weil das materielle Recht dessen Stellung bereits abstrakt gewertet hat (§ 935 BGB: kein gutgläubiger Erwerb an abhanden gekommenen Sachen). Genauso wenig verlangt das deutsche Recht bei Gestaltungsklagen eine 538 Anhörung möglicher Drittbetroffener, obwohl eine Rechtsgestaltung durchaus faktische Drittwirkung hat. Aus mehreren Gründen ist dies gerechtfertigt: Erstens ist auch sonst auf Ebene des materiellen Rechts – wie soeben gesehen – eine faktische Drittbetroffenheit unausweichlich. Insofern macht es keinen Unterschied, ob die Rechtslage durch gerichtliche Gestaltung oder privatrechtswirksames Verhalten verändert wurde. Zweitens kann davon ausgegangen werden, dass die Regelungen des materiellen Rechts die Position des Dritten abstrakt mitwerten, so dass dessen Anhörung im Verfahren nicht erforderlich ist. Das materielle Recht hätte sonst eben gar keine Rechtsgestaltung gestattet, wenn sie die Position des Dritten unangemessen beeinträchtigt. Und drittens ist die Drittbetroffenheit aufgrund Gestaltungswirkung wesentlich schwächer als diejenige, die etwa die Rechtskraft begründet, da sie anders als jene den Zugang zu Gericht gerade nicht versperrt. Zusammenfassend zeigt sich damit, dass aus Sicht des deutschen Rechts 539 Dritteffekte auf Ebene des materiellen Rechts – egal ob durch gerichtliche oder „private“ Rechtsgestaltung eingetreten – hinnehmbar sind. In aller Regel wird es daher nicht erforderlich sein, Dritten allein deswegen ein gerichtliches Beteiligungsrecht einzuräumen, weil sich die Veränderung der materiellen Rechtslage auch ihnen gegenüber bemerkbar macht. Aus deutscher Sicht muss daher gelten, dass Gestaltungseffekte nicht in subjektiver Hinsicht begrenzt werden müssen, weil Frage 1 zu verneinen ist. Außerdem ist erneut auf die bereits thematisierten besonderen Vorbehalte gegenüber einer Wirkungslimitierung bei Gestaltungsurteilen zu verweisen. Diese greifen auch dann, wenn die Gestaltungskraft in subjektiver Hinsicht begrenzt und nicht gegenüber allen anerkannt würde. Für einen Teil der Rechtsteil-
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nehmer gälte dann eine abweichende materielle Rechtslage als für die übrigen. Dies kann Rechtssicherheit und internationalen Entscheidungseinklang gefährden, weswegen eine Beschränkung der anerkennungsfähigen Gestaltungswirkung in subjektiver Hinsicht in den seltensten Fällen angemessen erscheint. 3. Ergebnis 540
Somit gilt, dass die Gestaltungswirkung ausländischer Entscheidungen nur in sehr engen Grenzen aus Rücksicht auf das zweitstaatliche Recht begrenzt werden kann. Aus Sicht des deutschen Rechts ist eine subjektive Relativierung nicht erforderlich und ein Herausfiltern einzelner Elemente der Rechtsgestaltung nur in extremen Fällen denkbar.
§ 7 Die Präklusion aufgrund der Rechtskraft ausländischer Entscheidungen Innerhalb eines rechtskräftig entschiedenen Streitgegenstandes ist in zu- 541 künftigen Prozessen der Vortrag von Tatsachen verwehrt, die geeignet sind, das Ergebnis der vorausgegangenen Entscheidung in Frage zu stellen.1 Dieser als Präklusionswirkung bekannte Effekt der Rechtskraft trifft – im Rahmen desselben Klageziels – sowohl den im Vorprozess erfolglosen Kläger als auch einen dort unterlegenen Beklagten: Ersterer kann keine präkludierten Tatsachen vortragen, um einen rechtskräftig verneinten Anspruch im Nachhinein doch zu begründen. Letzterem sind Fakten abgeschnitten, soweit aus ihnen Einwendungen gegen den zuvor bejahten Anspruch hergeleitet werden sollen.2 In Abgrenzung zur objektiven Rechtskraft, der § 4 dieser Arbeit gewid- 542 met war, betrifft die Präklusionswirkung ausschließlich die Ebene der Tatsachen, die vor Gericht geltend gemacht werden können. Insofern ergänzt sie also die Rechtskraft bzw. steckt erst deren objektive Reichweite in Bezug auf den rechtskräftig ausgeurteilten Sachverhalt ab. Aus diesem Grunde wird sie teilweise auch nicht als eigenständige Entscheidungswirkung eingeordnet, die neben der Rechtskraft steht, sondern nur als Teil von dieser verstanden.3 Ob die Präklusionswirkung nur ein Aspekt der Rechtskraft oder in dogmatischer Hinsicht von dieser zu trennen ist, braucht hier jedoch nicht 1 Wieczorek/Schütze/Büscher, 3. Aufl. 2007, § 322 ZPO Rn. 171; Habscheid, in: FS Fragistas, 1966, S. 529 (547). 2 Wieczorek/Schütze/Büscher, 3. Aufl. 2007, § 322 ZPO Rn. 171. Die Präklusion zeigt sich dabei einerseits auf der Ebene der Begründetheit, da das Gericht bei der Anspruchsprüfung einzelne Tatsachen nicht berücksichtigen kann. Andererseits kann die rechtskraftbedingte Präklusion auch zur Unzulässigkeit der Klage führen: Wenn etwa der Kläger sein Klageziel nur mit Tatsachen begründet, die für dieses Klageziel präkludiert sind, ist im Ergebnis der Streitgegenstand der neuerlichen Klage mit dem des Erstprozesses identisch, so dass die Klage unzulässig ist, vgl. Heiderhoff, ZZP 118 (2005), S. 185 (188). 3 In diesem Sinne etwa in Deutschland Henckel, Parteilehre und Streitgegenstand, 1961, S. 302. Für den Präklusionseffekt als eigenständige Entscheidungswirkung im deutschen Recht demgegenüber etwa Habscheid, in: FS Fragistas, 1966, S. 529 (547); Rosenberg, SJZ 1950, S. 313. In England wird die Präklusionswirkung eher als eigenständig behandelt, vgl. Rn. 571, in Frankreich hingegen hat sich für den präklusiven Effekt nicht einmal eine eigenständige Terminologie entwickelt, vgl. Guinchard, Droit et pratique, 5. Aufl. 2006, Rn. 42.05.
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vertieft werden. Denn zumindest für die in dieser Arbeit interessierende Frage nach dem präklusiven Effekt anerkannter ausländischer Entscheidungen scheint eine getrennte Behandlung sinnvoll. Nach einem rechtsvergleichenden Überblick [A.] ist zu klären, inwieweit ausländischen Entscheidungen durch ihre Anerkennung auch im Zweitstaat Präklusionswirkung zukommt [B.].
A. Die Reichweite der rechtskraftbedingten Präklusionswirkung in einzelnen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen 543
Die rechtskraftbedingte Präklusion hat in den einzelnen Ländern einen unterschiedlichen objektiven Umfang. Dieser richtet sich im Grundsatz zwar überall nach Antragsziel und hierzu vorgebrachter Tatsachenbasis. Letztere wird aber nach abweichenden Konzepten umrissen, wobei sich insbesondere die Diskrepanzen zwischen den einzelstaatlichen Streitgegenstandslehren auswirken. Andererseits unterscheidet sich die Präklusionswirkung insofern, als in den einzelstaatlichen Rechtsordnungen der subjektiven Möglichkeit zur Geltendmachung der Tatsachen im Vorprozess unterschiedliche Bedeutung zukommt. I. Der Umfang der Tatsachenpräklusion im deutschen Recht
544
Wegen des sachverhaltsorientierten Streitgegenstandsbegriffs erfasst die rechtskraftbedingte Präklusion im deutschen Recht alle Tatsachen, die dem im Vorprozess gewürdigten Lebenssachverhalt zuzurechnen sind [1.]. Zu Lasten des Klägers erstreckt sie sich auf Umstände, die das Klageziel hätten begründen können [2.], gegenüber dem Beklagten auf solche Fakten, die eine Klageabweisung hätten herbeiführen können [3.].
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Die rechtskraftbedingte Präklusion ist in Deutschland keine Missbrauchsregel, tritt daher ohne Rücksicht auf die subjektive Kenntnis von der Tatsache ein.4 Eine Geltendmachung ist selbst dann nicht möglich, wenn die Partei die Umstände im Vorprozess nicht kannte und daher damals nicht in der Lage war, sie vorzubringen.5 Ferner ist die Rechtskraft verschuldensunab4
BGH, 19.11.2003 – VIII ZR 60/03, NJW 2004, S. 1252 (1253); BGH, 24.09.2003 – XII ZR 70/02, NJW 2004, S. 294 (295); BAG, 27.09.2001 – 2 AZR 389/00, NJW 2002, S. 1287 (1288); BGH, 08.02.1996 – IX ZR 215/94, NJW-RR 1996, S. 826 (827); Zöller/Vollkommer, 27. Aufl. 2009, vor § 322 ZPO Rn. 70; Stein/Jonas/Leipold, 22. Aufl. 2008, § 322 ZPO Rn. 230. 5 Etwas anderes gilt, wenn die Kenntnis einer Partei von bestimmten Tatsachen zum rechtserheblichen Tatbestand gehört, wie etwa das Wissen des Schuldners von der Abtretung bei § 407 BGB. Hier kann die Tatsache der Kenntniserlangung nach-
§ 7 Die Präklusion aufgrund der Rechtskraft
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hängig, hängt also nicht davon ab, ob Parteien die Tatsachen hätten kennen müssen.6 Dieser objektive Ansatz rechtfertigt sich daraus, dass die Rechtskraft andernfalls unter dem Vorwand der Unkenntnis allzu leicht überwunden werden könnte.7 Zweck der Tatsachenpräklusion durch Rechtskraft ist allein der Bestandschutz der gerichtlichen Entscheidung und nicht die Sanktionierung nachlässiger Prozessführung.8 1. Begrenzung auf den „ausgeurteilten“ Lebenssachverhalt Im Rahmen desselben Klageziels sind alle Tatsachen präkludiert, die zum 546 Lebenssachverhalt gehören, der der rechtskräftigen Entscheidung zu Grunde lag.9 Dessen Reichweite muss normativ bestimmt werden, denn insbesondere die nicht vorgetragenen Fakten sind präkludiert10. Ansonsten könnten die Parteien zunächst den Sachverhalt nur selektiv darstellen und sich damit die Möglichkeit offen halten, im Folgeprozess durch zusätzlichen Sachvortrag erneut „ihr Glück zu versuchen“.11 Es kommt auf die prozessuale Wertung an, ob Tatsachenkomplexe Gegenstand eines Verfahrens sein sollen oder auch selbständig zur Entscheidung gestellt werden können.12 Die Begrenzung des Lebenssachverhaltes wird in erster Linie anhand ei- 547 ner natürlichen Betrachtungsweise [a)] und nur selten unter Berücksichtigung des materiellen Rechts [b)] durchgeführt. Zusätzlich sind zeitliche Grenzen der Präklusion zu beachten [c)].
träglich vorgetragen werden; Wieczorek/Schütze/Büscher, 3. Aufl. 2007, § 322 ZPO Rn. 178. 6 Greger, ZZP 89 (1976), S. 332 (335); Zöller/Vollkommer, 27. Aufl. 2009, vor § 322 ZPO Rn. 70. 7 Foerste, NJW 1996, S. 345 (347 f.). 8 Greger, ZZP 89 (1976), S. 332 (335). 9 Heiderhoff, ZZP 118 (2005), S. 185 (189). s. zum Zusammenspiel von Klagegrund und Klageziel Rn. 175. 10 BGH, 19.11.2003 – VIII ZR 60/03, NJW 2004, S. 1252 (1253). 11 BGH, 17.03.1995 – V ZR 178/93, NJW 1995, S. 1757. 12 MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 322 ZPO Rn. 117; ebenso der BGH, der zum Klagegegenstand des Erstprozesses alle Tatsachen zählt, die zur sachgerechten Beurteilung der geltend gemachten Rechtsfolge erforderlich gewesen wären, vgl. BGH, 24.09.2003 – XII ZR 70/02, NJW 2004, S. 294 (296); BGH, 22.07.2002 – II ZR 286/01, NJW 2002, S. 3465 (3466); ähnlich Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, 16. Aufl. 2004, § 92 IV 1 Rn. 22.
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Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
a) Natürliche Betrachtungsweise und „wesensmäßig“ anderer Sachverhalt 548
Nach der vom BGH häufig verwendeten Abgrenzungsformel gehören zum Klagegrund alle Tatsachen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden Betrachtung zu dem durch ihren Sachvortrag zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehört hätten.13 Teilweise wird diesbezüglich auch die „Verkehrsanschauung“ befragt.14 Demnach handelt es sich um einen einheitlichen Sachverhalt, wenn die neu vorgetragenen Umstände in engem tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang mit dem ursprünglichen Klageziel stehen.15 Bloße Ergänzungen oder Berichtigungen der tatsächlichen Angaben sind noch keine Änderung des Klagegrundes.16 Wird etwa die Haftungsklage gegen einen Arzt wegen eines Behandlungsfehlers als unbegründet abgewiesen, kann nicht erneut unter Berufung auf einen weiteren Behandlungsfehler geklagt werden, wenn es sich um ein einheitliches Behandlungsgeschehen handelte.17
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Nach einem weiteren Ansatz des BGH hat der neue Prozess einen anderen Klagegrund zum Gegenstand, wenn sich der vorgetragene Sachverhalt von dem des Vorprozesses wesentlich unterscheidet.18 Wurde etwa erfolglos Werklohn eingeklagt, weil nicht bewiesen werden konnte, dass der Beklagte der Besteller war, kann anschließend aus ungerechtfertigter Bereicherung geklagt werden.19 Da es im Folgeprozess nur um den Rechtsgrund zum Behaltendürfen der Leistung gehe, handele es sich nach „seinem Wesen“ um einen anderen Sachverhalt.20 Allerdings ist diese Unterscheidung kaum mit dem sachverhaltsorientierten Streitgegenstandsbegriff zu vereinbaren.21 13 BGH, 07.07.1993 – VIII ZR 103/92, NJW 1993, S. 2684 (2685); BGH, 19.11.2003 – VIII ZR 60/03, NJW 2004, S. 1252 (1253); BGH, 11.07.1996 – III ZR 133/95, NJW 1996, S. 3151 (3152); BGH, 20.03.2000 – II ZR 250/99, NJW 2000, S. 1958; BGH, 19.12.1991 – IX ZR 96/91, NJW 1992, S. 1172 (1173). 14 BGH, 11.11.1994 – V ZR 46/93, NJW 1995, S. 967 (968); BGH, 08.02.1996 – IX ZR 215/94, NJW-RR 1996, S. 826 (827). 15 BGH, 19.11.2003 – VIII ZR 60/03, NJW 2004, S. 1252 (1253). 16 BGH, 11.10.2006 – KZR 45/05, NJW 2007, S. 83 (84); BGH, 03.04.2003 – I ZR 1/01, NJW 2003, S. 2317. 17 OLG Hamm, 27.01.1999 – 3 U 58–98, NJW-RR 1999, S. 1589; OLG Saarbrücken, 12.07.2000 – 1 U 1082/99, MDR 2000, S. 1317. 18 BGH, 13.12.1989 – IV b ZR 19/89, NJW 1990, S. 1795 (1796); BGH, 22.05.1981 – V ZR 111/80, NJW 1981, S. 2306; BGH, 19.09.1985 – VII ZR 15/85, NJW 1986, S. 1046. 19 BGH, 13.12.1989 – IV b ZR 19/89, NJW 1990, S. 1795. 20 BGH, 13.12.1989 – IV b ZR 19/89, NJW 1990, S. 1795 (1796). 21 Krit. Musielak, NJW 2000, S. 3593 (3598): In beiden Prozessen geht es um die rechtliche Bewertung desselben tatsächlichen Vorgangs, nämlich des Einbaus
§ 7 Die Präklusion aufgrund der Rechtskraft
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Präkludiert sind jedenfalls solche Umstände, die bloß Anlass geben, Alt- 550 tatsachen („Primärtatsachen“) neu zu bewerten.22 Solche Hilfs- oder „Sekundärtatsachen“ sind lediglich als eine Ergänzung des im Vorprozess vorgetragenen Sachverhalts anzusehen.23 Dies gilt genauso, wenn Beweismittel erst nach Abschluss des Vorprozesses auftauchen, selbst wenn sich aus diesen ergibt, dass das Gericht im Vorprozess seinem Urteil falsche Tatsachen zu Grunde gelegt hat.24 Ausnahme hierzu ist die Restitutionsklage beim nachträglichen Auffinden bzw. nachträglicher Benutzbarkeit einer Urkunde, durch die eine günstigere Entscheidung herbeigeführt werden kann (§ 580 Nr. 7a, b ZPO). Diese ausnahmsweise mögliche Durchbrechung der Rechtskraft wird mit der besonderen Beweiskraft von Urkunden begründet.25 Auch wenn durch neue wissenschaftliche Methoden nachträglich neue Beweise erbracht werden können, sind sie präkludiert.26 b) Die Berücksichtigung materiell-rechtlicher Gesichtspunkte Die natürliche Betrachtungsweise stößt bisweilen an ihre Grenzen. Einer- 551 seits ist eine rechtssichere Abgrenzung der Vorkommnisse, die zum „Lebenssachverhalt“ des Vorprozesses gehören, nicht möglich.27 Andererseits versagt die rein äußerliche Betrachtung, wenn zwei Rechtsbegründungsakte zeitlich zusammen fallen, etwa wenn bei Abschluss des Kaufvertrags zur Abdeckung der Kaufpreisforderung zugleich erfüllungshalber eine Wechselverbindlichkeit eingegangen wurde. Äußerlich betrachtet würde die Wechselklage die Grundgeschäftsklage versperren, was nach h. M. aber nicht der Fall ist.28 Wegen derartiger Schwächen der natürlichen Betrachtungsweise wurden 552 in der Lit. Lösungen entwickelt, nach denen in engerer Anlehnung an das materielle Recht darauf abgestellt wird, ob sich der entscheidungserhebliche Kern der zu beurteilenden Sachverhalte wesentlich unterscheidet oder von Türen und Fenstern in ein Haus. Daher sei von einem einheitlichen Streitgegenstand auszugehen. 22 Foerste, NJW 1996, S. 345 (346). 23 Stein/Jonas/Leipold, 22. Aufl. 2008, § 322 ZPO Rn. 220. 24 BGH, 24.06.1993 – III ZR 43/92, NJW 1993, S. 3204 (3205). 25 BGH, 12.12.1962 – IV ZR 127/62, NJW 1963, S. 715. 26 Foerste, NJW 1996, S. 345 (346). Das ist nur bei Beschlüssen über die Abstammung anders, gegen die gem. § 185 FamFG bei neuen Abstammungsgutachten ein Restitutionsantrag statthaft ist. 27 Musielak, NJW 2000, S. 3593 (3595). 28 In solchen Fällen ist von zwei Streitgegenständen auszugehen, vgl. MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 322 ZPO Rn. 119; Zöller/Vollkommer, 27. Aufl. 2009, vor § 322 ZPO Rn. 54; Musielak, NJW 2000, S. 3593 (3595).
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nicht.29 So wurde etwa vorgeschlagen, zum Klagegrund alle Tatsachen zu zählen, auf deren Existenz bzw. Nichtexistenz es für die Anwendung des den Klageantrag rechtfertigenden Rechtssatzes ankommt.30 Mit einer derart starken Berücksichtigung materiell-rechtlicher Gesichtspunkte passt es allerdings nicht zusammen, dass Gerichte den Bestand oder Nichtbestand einer geltend gemachten Rechtsfolge aus einem bestimmten Sachverhalt stets unter allen rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen haben.31 553
Wegen der sachverhaltsorientierten Betrachtungsweise können materiellrechtliche Gesichtspunkte nur beschränkt zur Abgrenzung des gewürdigten Lebenssachverhaltes herangezogen werden. Allein wenn sich aufgrund des materiellen Rechts der tatsächliche Vortrag wesentlich unterscheidet, spaltet der BGH den Sachverhalt auf: „Eine Mehrheit von Streitgegenständen liegt auch bei gleichem Antrag dann vor, wenn die materiellrechtliche Regelung die zusammentreffenden Ansprüche erkennbar unterschiedlich ausgestaltet“.32 c) Die zeitlichen Grenzen der Rechtskraftpräklusion
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Da die materielle Rechtslage laufend Änderungen unterworfen ist, kann sich die Rechtskraft als verbindliche Feststellung der Rechtslage zwangsläufig nur auf einen bestimmten Zeitpunkt beziehen.33 Spätere Veränderungen 29
So insbes. Musielak, NJW 2000, S. 3593 (3595). Für die grundsätzliche Beachtlichkeit materiell-rechtlicher Regelungen zur Bestimmung des Klagegrundes auch Baumgärtel, JuS 1974, S. 69 (70); Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, 2. Aufl. 1974, § 5 II 2; Blomeyer, Zivilprozeßrecht, 2. Aufl. 1985, § 89 III. Stein/ Jonas/Leipold, 22. Aufl. 2008, § 322 ZPO Rn. 99 will anhand der Unterschiede in den Rechtsfolgen der konkurrierenden materiell-rechtlichen Anspruchsgrundlagen ermitteln, ob diese einen einheitlichen Streitgegenstand bilden. 30 Musielak, NJW 2000, S. 3593 (3595) mit Einschränkungen. 31 Für die Klageabweisung BGH, 13.12.1989 – IV b ZR 19/89, NJW 1990, S. 1795 (1796); BGH, 17.03.1995 – V ZR 178/93, NJW 1995, S. 1757 (1758). 32 Bspw. BGH, 27.05.1993 – III ZR 59/92, NJW 1993, S. 2173: Ein Anspruch aus öffentlich-rechtlicher Aufopferung ist ein anderer Streitgegenstand als die Ansprüche aus Gefährdungshaftung und Amtspflichtverletzung, weil die materiellrechtlichen Regelungen die zusammentreffenden Ansprüche erkennbar unterschiedlich ausgestalten. Vgl. auch die leicht abweichende – aber auch auf materiellrechtliche Gesichtspunkte abstellende – Begründung in BGH, 11.07.1996 – III ZR 133/95, NJW 1996, S. 3151: Ein Amtshaftungsanspruch und ein polizeirechtlicher Entschädigungsanspruch wegen desselben tatsächlichen Vorgangs sind ein einheitlicher Streitgegenstand, weil der polizeirechtliche Entschädigungsanspruch dem gleichen Ziel diene wie die Amtshaftung, nämlich der Gewährleistung umfassenden Rechtsschutzes für den Bürger. 33 Leipold, in: FS Mitsopoulos, Bd. II, 1993, S. 797 (798); Rosenberg/Schwab/ Gottwald, ZPR, 16. Aufl. 2004 § 154 Rn. 1.
§ 7 Die Präklusion aufgrund der Rechtskraft
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können vom Gericht grundsätzlich nicht im Voraus berücksichtigt worden sein.34 Zeitliche Grenze der Tatsachenpräklusion ist daher die letzte Tatsachenverhandlung.35 Wenn der Rechtsstreit in die Berufung gelangt, ist der Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz entscheidend, weil in dieser nach § 531 II S. 1 Nr. 3 ZPO neu entstandene Tatsachen und neue Beweismittel für „alte“ Tatsachen eingeführt werden können.36 In der Revisionsinstanz werden gem. § 559 I ZPO grundsätzlich keine neuen Tatsachen berücksichtigt, auch wenn sie erst nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht eingetreten sind.37 Nur soweit die Revisionsinstanz in einem der anerkannten Ausnahmefälle nachträglich entstandene Tatsachen berücksichtigt hat, verschiebt sich die Rechtskraftgrenze auf den Schluss der mündlichen Revisionsverhandlung.38 Diese zeitliche Grenze der materiellen Rechtskraft wird durch die in § 767 II ZPO für die Vollstreckungsgegenklage normierte Einwendungspräklusion bestätigt. Die zeitliche Grenze gilt gleichermaßen für solche Tatsachen, die im Erstverfahren verspätet vorgebracht, deswegen vom Gericht zurückgewiesen wurden und somit im Erstverfahren unberücksichtigt geblieben sind.39 34
Musielak/Musielak, 8. Aufl. 2011, § 322 ZPO Rn. 28. BGH, 11.03.1983 – V ZR 287/81, NJW 1984, S. 126 (127); BGH, 28.06.1985 – V ZR 43/84, NJW 1985, S. 2825 (2826); Doderer, NJW 1991, S. 878. Wird ein schriftliches Verfahren durchgeführt (§ 128 ZPO) ist der gerichtlich bestimmte Zeitpunkt maßgeblich, bis zu dem noch Schriftsätze eingereicht werden können. 36 § 531 II S. 1 Nr. 3 ZPO erlaubt neue Angriffs- und Verteidigungsmittel, wenn deren unterbliebene Geltendmachung im ersten Rechtszug keine Nachlässigkeit der Partei darstellt. Bei Tatsachen, die erst nach Abschluss der mündlichen Verhandlung in der Vorinstanz entstanden sind, kann Nachlässigkeit von Haus aus nicht vorliegen, weil die Partei sie in den Vorprozess nicht einführen konnte. Daher ist die Geltendmachung nachträglich entstandener Tatsachen und das Vorbringen neuer Beweismittel zu „alten“ Tatsachen in der Berufungsinstanz stets möglich. Vgl. MünchKomm/Rimmelspacher, 3. Aufl. 2007, § 531 ZPO Rn. 24; Rimmelspacher, ZZP 107 (1994), S. 421 (447–449). 37 BGH, 28.11.1963 – I a ZR 8/63, NJW 1964, S. 590; BGH, 27.09.1984 – IX ZR 102/83, WM 1984, S. 1545. 38 Stein/Jonas/Leipold, 22. Aufl. 2008, § 322 ZPO Rn. 233; Rosenberg/Schwab/ Gottwald, ZPR, 16. Aufl. 2004, § 154 Rn. 1. Nach st.Rsp. sind aus prozessökonomischen Gründen solche neu vorgetragenen Tatsachen zu berücksichtigen, die unstreitig sind und für die Entscheidung materiellrechtlich Bedeutung haben, sofern schützenswerte Belange der Gegenpartei nicht entgegenstehen. Vgl. BGH, 25.04.1988 – II ZR 252/86, NJW 1988, S. 3092 (3094); BGH, 07.05.1992 – V ZR 192/91, NJW-RR 1992, S. 1149. Vgl. zu einzelnen Fallgruppen MünchKomm/Wenzel, 3. Aufl. 2007, § 559 ZPO Rn. 24–33. 39 BGH, 25.09.1975 – VII ZR 243/74, ZZP 89 (1976), S. 330 (331). Dies erfordert der Normzweck von § 296 ZPO. 35
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Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
aa) Zeitliche Zuordnung bei Gestaltungsrechten 555
Ein Gestaltungsrecht wird nach st.Rspr. dann zum Lebenssachverhalt des Vorprozesses gerechnet, wenn es im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung erstmals ausgeübt werden konnte.40 Allein die Ausübung sei keine neue Tatsache. Bestand etwa im Präklusionszeitpunkt bereits die Aufrechnungslage, ist der Beklagte im Nachhinein mit der Aufrechnung präkludiert, auch wenn sie im Vorprozess noch nicht erklärt worden war.41 Für diese strenge Auffassung sprechen Rechtssicherheit und Prozessökonomie.42 Demgegenüber geht die h.Lit. davon aus, dass die Ausübung eines Gestaltungsrechts eine neue Tatsache ist, die nicht zum Vorprozess zu rechnen ist, wenn sie damals noch nicht erfolgt ist.43 Dabei hat sie in erster Linie diejenige Partei im Blick, der das Gestaltungsrecht bereits zustand, die hiervon aber keine Kenntnis hatte. Schließlich könnte sie sich wegen der rein objektiv zu bemessenden Präklusionswirkung auch nicht auf Unkenntnis berufen. bb) Partielle Fortwirkung der Rechtskraft trotz neuer Tatsachen
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Eine Neuverhandlung kann allerdings nicht schon durch das Vorbringen irgendwelcher nachträglich entstandenen Tatsachen erreicht werden, da sich die Rechtskraft sonst allzu leicht aushebeln ließe.44 Neue Umstände gestatten vielmehr nur insoweit eine erneute sachliche Prüfung und ggf. abweichende Entscheidung, wie sie zu einer abweichenden Beurteilung der Anspruchsvoraussetzungen, Einwendungen und Einreden führen können.45
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Insbesondere wenn die Erstklage wegen Fehlens eines bestimmten Tatbestandsmerkmals als unbegründet abgewiesen wurde, steht die Rechtskraft einer späteren klageweisen Geltendmachung desselben Anspruchs nicht entgegen, soweit sich dem Vorurteil entnehmen lässt, dass die Klage wegen 40 BGH, 25.02.1985 – VIII ZR 116/84, BGHZ 94, 29 (34); BGH, 16.10.1995 – II ZR 298/94, BGHZ 131, 82 (88). 41 BGH, 11.04.1957 – VII ZR 212/56, BGHZ 24, 97 (99). 42 Wieczorek/Schütze/Büscher, 3. Aufl. 2007, § 322 ZPO Rn. 179. 43 Musielak/Musielak, 8. Aufl. 2011, § 322 ZPO Rn. 41; MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 322 Rn. 165; Stein/Jonas/Leipold, 22. Aufl. 2008, § 322 ZPO Rn. 241; Zeuner, in: FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 337 (361); Gaul, in: GS KnobbeKeuk, 1997, S. 135; Heiderhoff, ZZP 118 (2005), S. 185 (192); Leipold, in: FS Mitsopoulos, Bd. II, 1993, S. 797 (811). 44 Stein/Jonas/Leipold, 22. Aufl. 2008, § 322 ZPO Rn. 245; Leipold, in: FS Mitsopoulos, Bd. II, 1993, S. 797 (803 f.). 45 BGH, 02.03.2000 – IX ZR 285/99, NJW 2000, S. 2022 (2023); BGH, 11.03.1983 – V ZR 287/81, NJW 1984, S. 126 (127); BGH, 22.05.1981 – V ZR 111/80, NJW 1981, S. 2306; Leipold, in: FS Mitsopoulos, Bd. II, 1993, S. 797 (805); Heiderhoff, ZZP 118 (2005), S. 185 (188).
§ 7 Die Präklusion aufgrund der Rechtskraft
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Fehlens des Tatbestandsmerkmals abgewiesen wurde, das nun geltend gemacht wird.46 Scheiterte etwa der Kläger allein wegen fehlender Fälligkeit, kann er erneut klagen, wenn die Forderung zwischenzeitlich fällig wurde.47 Eine weitere bereicherungsrechtliche Klage ist möglich, wenn der Rechtsgrund für das Behaltendürfen im Nachhinein weggefallen ist.48 Dies ist anders, wenn die Klage durch Versäumnisurteil – gegen den Kläger – abgewiesen wurde: Hier lässt sich dem Urteil nicht entnehmen, an welchem Tatbestandsmerkmal die Klage scheiterte (vgl. § 313b I S. 1 ZPO), da das Versäumnisurteil allein wegen der Säumnis des Klägers ergeht (§ 330 ZPO). Der Kläger kann sich daher nicht in einem Zweitprozess darauf berufen, seinem Anspruch habe lediglich ein vorübergehendes und inzwischen behobenes Hindernis entgegengestanden.49 Eine Neuverhandlung ist hingegen ausgeschlossen, wenn im Vorprozess 558 eine Honorarklage als unbegründet abgewiesen wurde, weil der Kläger keine prüfbare Abschlussrechnung vorgelegt hat: Erstellt er nachträglich eine Abrechnung, hat sich hierdurch der maßgebliche Sachverhalt nicht verändert.50 Keine Präklusion greift demgegenüber, wenn die Klage wegen fehlender Aktivlegitimation abgewiesen wurde und der Kläger nunmehr geltend macht, die Forderung sei ihm zwischenzeitlich abgetreten worden.51 cc) Rechtskraft-Fortwirkung in die Zukunft bei Prognose-Entscheidungen Von dem Grundsatz, dass zum selben Klageziel nachträglich entstandene 559 Tatsachen geltend gemacht werden können, gilt eine Ausnahme bei gerichtlichen Prognoseentscheidungen. Bei solchen rechtfertigt die spätere Ent46 BGH, 17.12.2002 – XI ZR 90/02, NJW 2003, S. 1044. Es muss sich nicht aus dem Tenor ergeben, an welchem Tatbestandsmerkmal die Klage scheiterte; zur Auslegung kann auch die Urteilsbegründung herangezogen werden. Vgl. BGH, 28.09.2000 – VII ZR 57/00, NJW-RR 2001, S. 310; Leipold, in: FS Mitsopoulos, Bd. II, 1993, S. 797 (804). Ferner kann das materielle Recht berücksichtigt werden. Vgl. Musielak/Musielak, 8. Aufl. 2011, § 322 ZPO Rn. 29. 47 LG Freiburg, 19.12.1996 – 5 O 282/96, MDR 1997, S. 396: Dafür ist nicht erforderlich, dass die Klage ausweislich des Tenors als zur Zeit unbegründet abgewiesen wurde. 48 BGH, 02.03.2000 – IX ZR 285/99, NJW 2000, S. 2022 (2024). 49 BGH, 17.12.2002 – XI ZR 90/02, NJW 2003, S. 1044. 50 OLG Düsseldorf, 23.04.1992 – 8 U 228/89, NJW 1993, S. 802 (803): „Für die Abweisung der Klage [im Erstprozess] war [. . .] der Umstand [maßgebend], daß die vom Kl. angeblich erbrachten Leistungen nicht ordnungsgemäß dargelegt waren. Die Lückenhaftigkeit des Sachvortrages kann nicht zu einer Abschwächung der Rechtskraft führen.“ 51 BGH, 19.09.1985 – VII ZR 15/85, NJW 1986, S. 1046 (1047).
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Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
wicklung grundsätzlich kein Abgehen von der Rechtskraft.52 Wurde bei einer Schadensersatzklage eine Prognose über die zukünftig zu erwartenden Schäden durchgeführt, können neu eintretende Schäden nicht als neue Tatsachen in Folgeverfahren geltend gemacht werden.53 Dies gilt allerdings grundsätzlich nur insoweit, wie der Eintritt der neuen Tatsachen für einen Sachkundigen aus der Perspektive des Vorprozesses vorhersehbar war.54 Unvorhersehbare Spätschäden können nur dann von der Prognose umfasst sein, wenn sich eindeutig aus dem Klageantrag ergibt, dass auch sie Gegenstand der Prognoseentscheidung sein sollen.55 Bei Urteilen für künftig wiederkehrende Leistungen (§ 258 ZPO), also insbesondere Unterhaltstiteln, kann eine wesentliche Veränderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse, die der Entscheidung zu Grunde lagen, im Wege einer Abänderungsklage nach § 323 ZPO bzw. §§ 238, 240 FamFG geltend gemacht werden. Hierbei handelt es sich nach h. M. um eine Durchbrechung der Rechtskraft.56 dd) Eigenständigkeit des zeitlichen Abgrenzungskriteriums? 560
Zur Bestimmung des Umfangs der rechtskraftbedingten Präklusion behandelt der BGH das zeitliche Kriterium in der Regel als zusätzliche Abgrenzungsregel: Demnach sind alle Tatsachen präkludiert, die einerseits zum Tatsachenkomplex des Vorprozesses gehören, andererseits erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung im Vorprozess eingetreten sind.57 Die Notwendigkeit dieses zusätzlichen zeitlichen Kriteriums wird allerdings bezweifelt.58 Eine Tatsache, die erst nach dem Präklusionszeitpunkt eingetreten ist, kann zwingend nicht Teil des Tatsachenkomplexes sein, über den bereits im Vorprozess rechtskräftig entschieden wurde, und gehört daher stets zu einem anderen Streitgegenstand.59 52
BGH, 28.05.1986 – IV a ZR 197/84, NJW 1986, S. 2645 (2646). BGH, 14.02.2006 – VI ZR 322/04, NJW-RR 2004, S. 712 (714). 54 BGH, 14.02.2006 – VI ZR 322/04, NJW-RR 2004, S. 712 (714). A. A. MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 322 ZPO Rn. 144: Das Risiko, dass der Eintritt einer Tatsache voraussehbar war, dennoch von der Partei nicht vorausgesehen wurde, belaste sie zu stark. Außerdem sei das Kriterium der Vorhersehbarkeit nicht rechtssicher handhabbar. 55 BGH, 14.02.2006 – VI ZR 322/04, NJW-RR 2004, S. 712 (714). 56 MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 323 ZPO Rn. 7. 57 Vgl. etwa BGH, 08.02.1996 – IX ZR 215/94, NJW-RR 1996, S. 826 (827); BGH, 07.07.1993 – VIII ZR 103/92, NJW 1993, S. 2684 (2685); BGH, 19.09.1985 – VII ZR 15/85, NJW 1986, S. 1046 (1047). 58 MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 322 ZPO Rn. 152; Heiderhoff, ZZP 118 (2005), S. 185 (187 f.). s. auch Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, 16. Aufl. 2004 § 154 Rn. 1, wo die zeitlichen Grenzen der Rechtskraft als Konsequenz des Gegenstandsbegriffs von § 322 I ZPO gesehen werden. 53
§ 7 Die Präklusion aufgrund der Rechtskraft
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2. Reichweite der Tatsachenpräklusion zu Lasten des Klägers im Erstprozess Da die allgemeinen Maßstäbe zur Abgrenzung des rechtskräftig entschie- 561 denen Lebenssachverhaltes nicht immer eindeutige Ergebnisse liefern, werden im Folgenden einige Beispiele aus der Rechtsprechung für die Reichweite der Tatsachenpräklusion zu Lasten des Klägers gegeben. Dabei zeigt sich tendenziell eine Obliegenheit des Klägers, alle Geschehnisse vorzutragen, die sein Klageziel stützen können. a) Mehrfacher Zessionserwerb Die zweifache Abtretung derselben Forderung zwischen denselben Per- 562 sonen bildet einen einheitlichen Lebenssachverhalt. Scheitert der Zessionar mit seiner Klage, weil die behauptete Abtretung nicht nachgewiesen werden konnte, kann er nicht erneut klagen unter Berufung auf eine zweite Abtretung, die vor Schluss der mündlichen Verhandlung des Erstprozesses erfolgt sein soll.60 Weil beide Verfahren ein und dieselbe Forderung zum Gegenstand haben und beide möglichen Erwerbsgründe bereits im Zeitpunkt des Erstverfahrens vorgelegen haben, hätte der Kläger nach Ansicht des BGH beide Zessionen schon im Erstverfahren geltend machen müssen.61 Bei natürlicher Betrachtungsweise ist allerdings fraglich, ob beide Abtretungen, die in casu mit einem zeitlichen Abstand von rund eineinhalb Jahren erfolgten, einen einheitlichen Geschehensablauf darstellten.62 Macht der Zessionar nacheinander geltend, die Klageforderung von verschiedenen Zedenten abgetreten bekommen zu haben, bildet jeder der beiden Erwerbstatbestände jedenfalls einen eigenen Lebenssachverhalt.63 b) Rechtswirksamkeit eines Rechtsgeschäfts Wird über die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts gestritten, zählen sämt- 563 liche die Wirksamkeit dieses Rechtsgeschäfts betreffenden Vorgänge zu dem zur Entscheidung gestellten Lebenssachverhalt.64 Hatte ein Kläger 59 MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 322 ZPO Rn. 152; Leipold, in: FS Mitsopoulos, Bd. II, 1993, S. 797 (799). 60 BGH, 25.09.1975 – VII ZR 243/74, ZZP 89 (1976), S. 330. 61 BGH, 25.09.1975 – VII ZR 243/74, ZZP 89 (1976), S. 330 (331). 62 Vom Ergebnis daher nicht überzeugt: Musielak, NJW 2000, S. 3593 (3598); Greger, ZZP 89 (1976), S. 332 (334). 63 BGH, 19.09.1985 – VII ZR 15/85, NJW 1986, S. 1046. 64 BGH, 08.02.1996 – IX ZR 215/94, NJW-RR 1996, S. 826 (827); BGH, 11.11.1994 – V ZR 46/93, NJW 1995, S. 967.
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etwa erfolglos Feststellung der Nichtigkeit eines mit dem Beklagten geschlossenen Ankaufsvertrages bezüglich eines Grundstücks begehrt und dies nur mit einer angeblichen Schwarzgeldabrede begründet, kann er sich im Folgeprozess, in dem er auf Übereignung des betreffenden Grundstücks verklagt wird, nicht mehr auf die Formunwirksamkeit dieses Vertrages berufen.65 Der Lebenssachverhalt des Vorprozesses wird hier gekennzeichnet durch die Gesamtumstände, die der Vereinbarung des Ankaufsrechts zu Grunde lagen. Die Schwarzgeldabrede gehört ebenso wie die unterlassene Beurkundung des Vertrages zu demselben Lebenssachverhalt, nämlich zu den Umständen, die zu dem Vertrag geführt haben.66 c) Kein neuer Streitgegenstand durch neue rechtliche Würdigung 564
Kein neuer Streitgegenstand liegt vor, wenn der Kläger dasselbe tatsächliche Geschehen im Folgeprozess lediglich abweichend rechtlich bewertet.67 Im Vorprozess hatte ein Gebrauchtwagenkäufer Wandelung verlangt, weil das Fahrzeug entgegen der ausdrücklichen vertraglichen Vereinbarung nicht unfallfrei war. Nachdem die Klage wegen Verjährung abgewiesen wurde, klagte der Käufer erneut und machte eine zwischenzeitlich erklärte Anfechtung wegen arglistiger Täuschung geltend. Nach Ansicht des BGH stehe die im Folgeprozess behauptete Arglist mit der im Vorprozess bereits geltend gemachten Zusicherung der Mangelfreiheit in einem „tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang“, so dass über sie bereits mit entschieden wurde.68 Die Ausübung des Anfechtungsrechts durch den Kläger führte lediglich zu einer Änderung der materiell-rechtlichen Anspruchsgrundlage für die vom Kläger begehrte Rückabwicklung des Kaufvertrages, was keine Änderung des Streitgegenstandes bedeute.69 Diese Einordnung ist insoweit überzeugend, als der Autokauf mit allen dabei eingetretenen Widernissen ein und derselbe Lebensvorgang, die gleiche Geschichte ist.70 d) Sonderproblem Teilklagen
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Wird nur ein Teil eines Anspruchs eingeklagt, stellt sich die Frage, ob sich die Rechtskraft des Urteils auch auf den restlichen Teil des Anspruchs erstreckt mit der Folge, dass eine Nachforderungsklage ausgeschlossen ist. 65 66 67 68 69 70
BGH, 17.03.1995 – V ZR 178/93, NJW 1995, S. 1757. BGH, 17.03.1995 – V ZR 178/93, NJW 1995, S. 1757 (1758). BGH, 19.11.2003 – VIII ZR 60/03, NJW 2004, S. 1252. BGH, 19.11.2003 – VIII ZR 60/03, NJW 2004, S. 1252 (1253). BGH, 19.11.2003 – VIII ZR 60/03, NJW 2004, S. 1252 (1254). So Heiderhoff, ZZP 118 (2005), S. 185 (189 f.).
§ 7 Die Präklusion aufgrund der Rechtskraft
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Ist die Teilklage erfolgreich, bezieht sich die Rechtskraft nur auf den be- 566 anspruchten Teil, weil der Rest nicht rechtshängig wurde.71 Auch wenn der materiellrechtliche Rechtsgrund für beide Anspruchsteile identisch ist, ist die Entscheidung hierüber ein bloßes Urteilselement, das nicht an der Rechtskraft teilnimmt.72 Folglich kann Nachforderungsklage erhoben und über sie abweichend entschieden werden. Dieser Grundsatz für die offene Teilklage gilt auch für die erfolgreiche verdeckte Teilklage, bei der der Kläger nicht ausdrücklich klarstellt, dass er nur einen Teil seines Anspruchs verlangt.73 Scheitert allerdings die Teilklage, stellt sich die Frage, ob der Kläger an- 567 schließend erneut sein Glück versuchen und den übrigen Anspruchsteil einklagen kann. Rspr. und überwiegende Lit. halten dies sowohl bei offener74 als auch bei verdeckter75 Teilklage für möglich. Dies wird damit begründet, dass der Restbestandteil des Anspruchs nicht Gegenstand der Erstklage war. Nach a. A. ist jedenfalls bei verdeckter Teilklage eine Nachforderungsklage ausgeschlossen, weil mit der Abweisung eines Anspruchsteils notwendigerweise die Grundlage für den gesamten Anspruch verneint wurde.76 Teil71 BGH, 30.01.1985 – IV b ZR 67/83, NJW 1985, S. 1340; BGH, 15.06.1994 – XII ZR 128/93, NJW 1994, S. 3165. 72 BGH, 30.01.1985 – IV b ZR 67/83, NJW 1985, S. 1340 (1341). 73 BGH, 09.04.1997 – IV ZR 113/96, NJW 1997, S. 1990; BGH, 02.05.2002 – I ZR 45/01, NJW-RR 2002, S. 1617. Zust. MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 322 ZPO Rn. 132; Jauernig, in: FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 311 (331 f.). Von diesem Grundsatz macht die Rspr. Ausnahmen in Fällen, in denen die Auslegung des ersten Urteils und des prozessualen Verhaltens des Klägers im Erstprozess ergibt, dass er den gesamten ihm aus einem bestimmten Lebenssachverhalt zustehenden Anspruch geltend gemacht hat. Das wird etwa angenommen, wenn ein unbezifferter Klageantrag gestellt und damit die genaue Anspruchshöhe dem gerichtlichen Ermessen überlassen wurde, sowie bei Klagen auf zukünftige wiederkehrende Leistungen, insbes. Unterhaltsklagen. Vgl. BGH, 15.06.1994 – XII ZR 128/93, NJW 1994, S. 3165 (3166); BGH, 28.06.1985 – V ZR 43/84, NJW 1985, S. 2825 (2826); Musielak/Musielak, 8. Aufl. 2011, § 322 ZPO Rn. 68; Marburger, in: GS KnobbeKeuk, 1997, S. 187 (189, 194–199), der jedoch bei einer verdeckten Teilklage die Möglichkeit eines Nachforderungsprozesses verneint, wenn der Kläger den gesamten Anspruch schon im Vorprozess hätte geltend machen können. 74 BGH, 15.07.1997 – VI ZR 142/95, NJW 1997, S. 3019 (3020); BGH, 28.05.1998 – I ZR 275–95, NJW 1999, S. 287 (289); OLG Düsseldorf, 06.07.2001 – 24 U 211/00, MDR 2001, S. 1257 (Rn. 10); Zöller/Vollkommer, 27. Aufl. 2009, vor § 322 ZPO Rn. 47; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, 16. Aufl. 2004, § 153 Rn. 15; MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 322 ZPO Rn. 129. 75 BGH, 15.06.1994 – XII ZR 128/93, NJW 1994, S. 3165; Zöller/Vollkommer, 27. Aufl. 2009, § 322 ZPO Rn. 48; MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, § 322 ZPO Rn. 134. 76 Stein/Jonas/Leipold, 22. Aufl. 2008, § 322 ZPO Rn. 142; Jauernig, in: FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 311 (333–335); Marburger, in: GS Knobbe-Keuk, 1997, S. 187 (199).
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Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
weise wird auch nach offener abgewiesener Teilklage einem erneuten Prozessieren der Erfolg abgesprochen.77 3. Der Umfang der Tatsachenpräklusion zu Lasten des Beklagten im Erstprozess 568
Zu Lasten der im Erstprozess beklagten Seite greift die rechtskraftbedingte Tatsachenpräklusion hinsichtlich aller Alttatsachen, die Einreden und Einwendungen gegen das damalige Klageziel begründen können.78 Ein Urteil, welches dem Klageantrag stattgibt, enthält zugleich die Feststellung, dass im Zeitpunkt der letzten Tatsachenverhandlung dem rechtskräftig festgestellten keine rechtshindernden, -vernichtenden oder -hemmenden Tatsachen entgegenstanden.79 Nach der vom BGH verwendeten Formel ergibt sich die Reichweite der den Beklagten treffenden Präklusion aus der sachverhaltsorientierten Betrachtungsweise und erstreckt sich auf alle Tatsachen, die bei natürlicher Anschauung zu dem im Vorprozess vorgetragenen Lebensvorgang gehören.80 Genau genommen spielt die Betrachtung des Lebenssachverhalts allerdings nur dann eine Rolle, wenn es um die Individualisierung des eingeklagten Rechts geht. Es ist Sache des Beklagten, alles gegen den Klageantrag Sprechende vorzutragen81, so dass sich die Rechtskraftpräklusion auf alle Tatsachen erstreckt, die den klagegegenständlichen Anspruch entfallen ließen oder undurchsetzbar gemacht hätten.82 Wurde etwa ein Erbe verurteilt, zwei Grundstücke aus der Erbmasse an einen Vermächtnisnehmer zu übereignen, kann er nicht in einem nachfolgenden Verfahren Rückauflassung der Grundstücke an ihn verlangen mit der Begrün77 Musielak/Musielak, 8. Aufl. 2011, § 322 ZPO Rn. 71: Zwar macht die Rechtskraft des ersten Urteils eine erneute Klage nicht unzulässig. Es greift aber eine Präjudizbindung auf der Ebene der Begründetheit. 78 Genauer ist damit das Vorbringen rechtshindernder und rechtsvernichtender Tatsachen (Einwendungen im materiellrechtlichen Sinne) und rechshemmender Tatsachen (Einreden im materiellrechtlichen Sinne) ausgeschlossen. Einwendungen und Einreden im materiellrechtlichen Sinne sind nach dem Verständnis der ZPO „Einreden“. 79 BGH, 17.03.1995 – V ZR 178/93, NJW 1995, S. 1757 (1758). 80 BGH, 24.09.2003 – XII ZR 70/02, NJW 2004, S. 294 (295 f.); BGH, 07.07.1993 – VIII ZR 103/92, NJW 1993, S. 2684; BGH, 17.03.1995 – V ZR 178/93, NJW 1995, S. 1757 (1758); Doderer, NJW 1991, S. 878 (879). 81 Grunsky, LM § 322 ZPO, Nr. 139, S. 732. 82 Sehr weit etwa BGH, 07.07.1993 – VIII ZR 103/92, NJW 1993, S. 2684 (2685): „Wird ein beendetes Factoring-Verhältnis abgerechnet, so gehören sämtliche den Saldo beeinflussende Vorgänge – Ankauf, Vergütungen, Rückbelastungen, Provisionen, Spesen, u. ä. – zu dem zur Entscheidung gestellten Lebenssachverhalt“. Kritisch hierzu Schwab, in: FS Lüke, 1997, S. 793 (799): Dieses Präklusionsverständnis sei nicht mehr aus der Rechtskraft der Erstentscheidung begründbar.
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dung, er habe die Grundstücke schon durch Rechtsgeschäft unter Lebenden vom Erblasser erworben.83. Da die Entscheidung über Gegenrechte des Beklagten grundsätzlich nicht 569 in Rechtskraft erwächst, greift hinsichtlich solcher Gegenrechte, die der Beklagte nicht geltend gemacht hat, grundsätzlich auch keine Präklusion. So sind etwa Tatsachen, aus denen sich ein konnexer Gegenanspruch ergibt, der im Wege des allgemeinen Zurückbehaltungsrechts hätte geltend gemacht werden können (§ 273 BGB), nicht präkludiert.84 Die Gegenforderung kann also nachträglich weiterhin eingeklagt werden. Nur für das Gegenrecht der Aufrechnung, die in § 322 II ZPO eine besondere Rechtskraftregelung erhalten hat, kann eine Tatsachenpräklusion greifen: Bestand im Vorprozess bereits eine Aufrechnungslage und machte der Beklagte von dieser keinen Gebrauch, ist er mit dem Aufrechnungseinwand in einer Vollstreckungsgegenklage gegen die Titulierung der Hauptforderung präkludiert.85 Eine isolierte gerichtliche Geltendmachung der Gegenforderung wird hingegen für zulässig gehalten.86 Nicht abschließend geklärt ist die 83 BGH, 11.11.1994 – V ZR 46/93, NJW 1995, S. 967. Nach der Begründung des BGH stehe die Frage des Grundstückserwerbs vom Erblasser zu dessen Lebzeiten in einem engen tatsächlichen Zusammenhang mit dem Grundstückserwerb durch Erbeinsetzung, denn die Übertragungsvorgänge zwischen dem Erblasser und dem Erben „hingen zusammen“: Übereignung und Erbeinsetzung seien teilweise zum gleichen Zeitpunkt erfolgt und beide Erwerbsvorgänge hätten ihren Grund in der persönlichen Beziehung zwischen Erblasser und Erbe, vgl. BGH, 11.11.1994 – V ZR 46/93, NJW 1995, S. 967 (968). Auf den engen Zusammenhang zwischen den Erwerbstatbeständen wäre es richtigerweise nicht angekommen, denn den Beklagten hätte im Erstprozess auch dann die Obliegenheit getroffen, vorzutragen, dass die streitgegenständlichen Grundstücke nicht zur Erbmasse gehörten, wenn der Erwerb der Grundstücke in keinerlei Zusammenhang mit der Erbeinsetzung gestanden hätte, vgl. Grunsky, LM § 322 ZPO, Nr. 139, S. 732. 84 OLG Köln, 30.11.2007 – 20 U 172/06 (juris), Rn. 133; OLG Brandenburg, 27.06.2007 – 7 U 188/06 (juris), Rn. 18. Auch wenn das Zurückbehaltungsrecht erfolglos geltend gemacht wurde, wird die Gegenforderung nicht rechtskräftig aberkannt, weil die Ausnahmeregelung für die Aufrechnung in § 322 II ZPO nicht auf andere Gegenrechte ausgedehnt werden kann, BGH, 16.04.1996 – XI ZR 302/95, NJW-RR 1996, S. 828. 85 BGH, 11.04.1957 – VII ZR 212/56, BGHZ 24, 97 (98); BGH, 10.03.1988 – VII ZR 8/87, BGHZ 103, 362, Rn. 10; BGH, 07.07.2005 – VII ZR 351/03, NJW 2005, S. 2926. Dies folgt aus der zeitlichen Rechtskraftbegrenzung des BGH bei Gestaltungsrechten. Demnach kommt es für deren Präklusion auf den Zeitpunkt an, in dem das Gestaltungsrecht erstmals bestand. 86 Vgl. Musielak, JuS 1994, S. 817 (820). Hatte hingegen der Beklagte bereits im Zeitpunkt des Vorprozesses die Aufrechnung materiellrechtlich erklärt, sich im Prozess allerdings nicht auf diese Tatsache berufen, verliert er nach h. M. seine Gegenforderung, vgl. Musielak, JuS 1994, S. 817 (821). Durch die Aufrechnungserklärung wird also die Gegenforderung Teil des Streitgegenstands, über den rechtskräftig entschieden wurde. Auch dann, wenn im Vorprozess die Aufrechnung prozessual gel-
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Präklusion gegen den Beklagten, wenn dieser aus einem gegenseitigen Vertrag auf unbedingte Leistung verurteilt wurde, weil er die Einrede des nicht erfüllten Vertrages gem. § 320 BGB nicht oder erfolglos erhoben hatte. Nach h. M. soll hier eine nachträgliche gerichtliche Geltendmachung des Gegenanspruchs durch den Beklagten ausgeschlossen sein, weil diesem Klageziel die Rechtskraft des Ersturteils entgegenstehe.87 II. Die Reichweite der Henderson v. Henderson doctrine im englischen Recht 570
Im englischen Recht wurde die Tatsachenpräklusion zum Bestandsschutz rechtskräftiger Entscheidungen in der Rechtssache Henderson v. Henderson88 entwickelt und ist noch heute vor allem unter diesem Namen bekannt.89 „[P]arties who are involved in litigation are expected to put before the court all the issues relevant to that litigation. If they do not, they will not normally be permitted to have a second bite at the cherry“.90 Dieser tend gemacht wurde, der Vortrag der Tatsachen, der die Voraussetzungen der Aufrechnung, insbesondere den Bestand der Gegenforderung darlegen soll, hingegen als verspätet zurückgewiesen wurde (§ 296 ZPO), wird die Gegenforderung vom Gericht als nicht existent betrachtet und gem. § 322 II ZPO rechtskräftig aberkannt, so dass der Beklagte auf diese Forderung nicht mehr anderweitig zurückgreifen kann. Vgl. BGH, 03.11.1960 – VII 150/59, NJW 1961, S. 115 (117); BGH, 12.12.1990 – VIII ZR 355/89, NJW-RR 1991, S. 971 (972). 87 Doderer, NJW 1991, S. 878 (881): In der unbedingten Verurteilung liege gleichzeitig die Feststellung, dass keine synallagmatisch verknüpften Gegenansprüche bestünden. Zumindest für dieses Argument spricht wohl auch BGH, 19.12.1991 – IX ZR 96/91, NJW 1992, S. 1172 (1173). A. A. Batschari/Durst, NJW 1995, S. 1650 (1652): Die Zug-um-Zug-Leistung war niemals Streitgegenstand des ersten Prozesses. 88 High Court Chancery Division, 20.07.1843 – Henderson v. Henderson (1843) 3 Hare 100. 89 Teilweise ist auch die Bezeichnung abuse of process estoppel gebräuchlich, vgl. Zuckerman, Civil Procedure, 2. Aufl. 2006, Rn. 24.78. 90 Lord Woolf CJ in Court of Appeal (Civil Division), 04.02.2002 – Taylor and another v. Lawrence and another [2003] Q.B. 528, 535; ebenso High Court Chancery Division, 20.07.1843 – Henderson v. Henderson (1843) 3 Hare 100, 115: „. . . the court requires the parties to that litigation to bring forward their whole case, and will not (except under special circumstances) permit the same parties to open the same subject of litigation in respect of matter which might have been brought forward as part of the subject in contest, but which was not brought forward, only because they have, from negligence, inadvertence, or even accident, omitted part of their case. The plea of res judicata applies, except in special cases, not only to points upon which the court was actually required by the parties to form an opinion and pronounce a judgement, but to every point which properly belonged to the subject of litigation, and which the parties, exercising reasonable diligence, might have brought forward at the time.“
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präklusive Effekt bezieht sich damit auf alle Aspekte, die nicht in das Erstverfahren eingeführt wurden, und unterscheidet sich insofern vom estoppel per rem judicatam, der sich auf das bereits Vorgetragene beschränkt91. Der preclusive effect greift zum einen hinsichtlich des gesamten Rechtsschutzziels (cause of action) des Vorprozesses [1.], zum anderen auf Ebene einzelner Vorfragen desselben (issues) [2.]. Es wird unterschiedlich beurteilt, ob die Henderson-Regel Teil der doc- 571 trine of res judicata ist oder eine Variante des allgemeinen Verbots des Missbrauchs von Gerichtsprozessen (abuse of process).92 In einer neueren Entscheidung hat das House of Lords betont, dass die Tatsachenpräklusion nur mit großer Vorsicht angewendet werden darf.93 Als Ausdruck des abuse of process-Verbotes greife sie ausschließlich, wenn die neuerliche Klage rechtsmissbräuchlich ist.94 Dies ist nicht automatisch schon dann der Fall, wenn Parteien im Zeitpunkt des Erstverfahrens subjektiv in der Lage gewesen wären, weitere Tatsachen zur Begründung oder Leugnung des Klageanspruchs vorzutragen.95 Vielmehr muss sich aus den Umständen des Einzelfalls ergeben, dass das Nichtvorbringen der fraglichen Umstände rechtsmissbräuchlich war.96 Vor allem zum Schutz des Justizgewährungs-
91 s. zum issue estoppel Rn. 194–204 und zum cause of action estoppel Rn. 190–193. 92 Für einen Unterfall von res judicata etwa: House of Lords, 25.04.1991 – Arnold and Others v. National Westminster Bank PLC [1991] 2 A.C. 93, 104 (Lord Keith of Kinkel); Court of Appeal (Civil Division), 23.02.1965 – Fidelitas Shipping Co., Ltd. v. V/O Exportchleb [1965] 2 All ER 4, 642 (per Diplock LJ); High Court Chancery Division, 20.07.1843 – Henderson v. Henderson (1843) 3 Hare 100, 115. Für einen Fall des Missbrauchsverbots hingegen: Judicial Committee of the Privy Council, 27.01.1975 – Yat Tung Investment Co. Ltd. v. Dao Heng Bank Ltd. and others [1975] A.C. 581, 590; Court of Appeal (Civil Division), 12.03.1993 – Talbot v. Berkshire County Council [1994] Q.B. 290, 13j (Stuart-Smith LJ). 93 House of Lords, 14.12.2000 – Johnson v. Gore Wood & Co [2002] 2 A.C. 1, 22C (per Lord Bingham): „Litigants are not without scrupulous examination of all the circumstances to be denied the right to bring a genuine subject of litigation before the court“. 94 House of Lords, 14.12.2000 – Johnson v. Gore Wood & Co [2002] 2 A.C. 1, 59F (per Lord Millett). Von einer Ausprägung des abuse of process-Verbots gehen auch aus: Court of Appeal (Civil Division), 18.07.2001 – Friend v. Civil Aviation Authority [2001] 4 All ER 385, para. 21 (per Brown LJ); Andrews, English Civil Procedure, 2003, Rn. 40.60 mit dem Argument, die Präklusion sei deswegen kein Teil der res judicata-Wirkung, weil sie sich auf Tatsachen beziehe, über die gerade noch nicht entschieden worden sei. 95 House of Lords, 14.12.2000 – Johnson v. Gore Wood & Co [2002] 2 A.C. 1, 31C (per Lord Bingham): „It is . . . wrong to hold that because a matter could have been raised in earlier proceedings it should have been, so as to render the raising of it in later proceedings necessarily abusive“; ebenso 59G-H (per Lord Millett).
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anspruchs sei die Präklusionswirkung restriktiv zu handhaben.97 Ob sie greift, ist anhand einer Interessenabwägung im Einzelfall zu beurteilen.98 1. Präklusion hinsichtlich desselben cause of action 572
In gegenständlicher Hinsicht kann in erster Linie die Geltendmachung der tatsächlichen oder rechtlichen Punkte versperrt sein, die zur Unterstützung bzw. Negierung des Klageanspruchs im Vorprozess sinnvollerweise hätten geltend gemacht werden müssen.99 Dies gilt einerseits für alle Tatsachen, mit denen ein bereits geltend gemachter cause of action erneut begründet bzw. nachträglich in Frage gestellt werden kann.100 War die Erstklage erfolglos, können dem Kläger später die Punkte abgeschnitten sein, die denselben cause of action doch noch begründen könnten.101 Kann der Kläger sein Klageziel aus mehreren causes of action herleiten, schneidet die Henderson v. Henderson doctrine andererseits grundsätzlich jeden möglichen Klagegrund für ein und dasselbe Klageziel ab.102 War die Klage erfolgreich, sind alle parallelen causes of action nach der merger-Regel mit dem Urteilsspruch verschmolzen. Dies und die Henderson-Regel gelten jeweils nur in Bezug auf dasselbe Klageziel.
573
Die nachträgliche Geltendmachung ist im Gegensatz zur Rechtslage in Deutschland allerdings nur hinsichtlich solcher Tatsachen versperrt, die die Parteien subjektiv in den Erstprozess hätten einführen können. Hieran wird ersichtlich, dass die englische Rechtskraftlehre dem Gedanken des Missbrauchsverbotes nahe steht. Unkenntnis im Erstprozess ist entschuldbar, 96 House of Lords, 14.12.2000 – Johnson v. Gore Wood & Co [2002] 2 A.C. 1, 31D (per Lord Bingham). 97 Vgl. House of Lords, 14.12.2000 – Johnson v. Gore Wood & Co [2002] 2 A.C. 1, 59C-D (per Lord Millett). 98 Vgl. Germelmann, Rechtskraft in der EU, 2009, S. 239 m. w. N.; House of Lords, 14.12.2000 – Johnson v. Gore Wood & Co [2002] 2 A.C. 1, 59F (per Lord Millett): „There is, therefore, only one question to be considered in the present case: whether it was oppressive or otherwise an abuse of the process of the court for Mr. Johnson to bring his own proceedings against the firm when he could have brougt them as part of or at the same time as the company’s action. This question must be determined as at the time when Mr. Johnson brought the present proceedings and in the light of everything that had then happened“. 99 Court of Appeal (Civil Division), 04.02.2002 – Taylor and another v. Lawrence and another [2003] Q.B. 528. 100 Handley, Res Judicata, 3. Aufl. 1996, Rn. 191. 101 Judicial Committee of the Privy Council, 27.01.1975 – Yat Tung Investment Co. Ltd. v. Dao Heng Bank Ltd. and others [1975] A.C. 581. 102 Handley, Res Judicata, 3. Aufl. 1996, Rn. 410; so auch Court of Appeal (Civil Division), 12.03.1993 – Talbot v. Berkshire County Council [1994] Q.B. 290.
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wenn die Partei auch bei Anwendung vernünftiger Sorgfalt keine Kenntnis über die Tatsachen hätte erlangen können.103 Soweit sich allerdings die Unkenntnis nur auf die rechtliche Bedeutung der Tatsachen bezog, ist ihre spätere Geltendmachung nicht mehr möglich.104 Haben sich hingegen zwischenzeitlich die rechtlichen Rahmenbedingungen verändert, kann dies für den Kläger ein legitimer Grund sein, im nachfolgenden Verfahren Tatsachen erstmals vorzubringen, die ihm bereits im Zeitpunkt des Ersturteils bekannt waren.105 Demgegenüber sah man tatsächliches Vorbringen als missbräuchlich an, 574 wenn Fakten im Vorprozess zurückgehalten wurden, obwohl der Richter ausdrücklich nach ihnen gefragt hatte.106 In diesem Fall hatte ein Unternehmen zunächst erfolglos wegen Patentverletzung gegen seine ehemaligen Angestellten geklagt. Im Verfahren hatte der Richter dem Kläger gegenüber erklärt, dass der Fall leichter und eindeutiger zu beurteilen wäre, wenn der Kläger geltend machen könnte, dass die Beklagten durch die Verwendung von Betriebsgeheimnissen nachvertragliche Treuepflichten verletzt hätten. Dem Kläger waren damals bereits die Tatsachen bekannt, aus denen sich eine derartige Treuepflichtverletzung ergeben könnte. Dennoch erwiderte er, dass man Ansprüche wegen Verletzung von Treuepflichten nicht einklagen wolle, sondern sich nur auf die patentrechtlichen Ansprüche stütze. Als diese Klage scheiterte, klagte der Kläger nunmehr aus vertraglicher Pflichtverletzung. Diese spätere Geltendmachung einer Vertragspflichtverletzung wurde als missbräuchlich zurückgewiesen.107 Anders als im deutschen Recht sind Teilklagen in England überhaupt 575 nicht möglich.108 Dieses Ergebnis wird allerdings nicht als preclusive effect 103
High Court Chancery Division, 06.03.1896 – Shoe Machinery Co v. Cutlan [1896] 1 Ch. 667, 672 (Romer J); House of Lords, 06.03.1877 – Lockyer v. Ferryman (1877) 2 A.C. 519 (525). 104 Handley, Res Judicata, 3. Aufl. 1996, Rn. 196. 105 Judicial Committee of the Privy Council, 19.06.2001 – Jennifer Gairy v. Attorney General of Grenada [2002] 1 A.C. 167, para. 27 (per Lord Bingham). 106 Court of Appeal (Civil Division), 22.03.2005 – Markem Corp. v. Zipher Ltd. [2005] EWCA Civ. 267. 107 Court of Appeal (Civil Division), 22.03.2005 – Markem Corp. v. Zipher Ltd. [2005] EWCA Civ. 267, Rn. 132 (per Jacob LJ): „Once Markem had available all of the information it needed to make the allegations of breach of confidence now beeing made, . . . they were under an obligation either to pursue the issue of breach of confidence or to abandon it. What they were not entitled to do was to keep that issue in reserve . . .“ 108 Dies ergibt sich aus House of Lords, 08.02.1993 – Republic of India and Another v. India Steamship Co. Ltd. [1993] A.C. 410, wo sich die Rechtskraft der Entscheidung über einen cause of action auch auf einen anderen cause of action erstreckte. A fortiori kann es dem Kläger nicht gestattet sein, nur einen Teil des
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erklärt, sondern über die Rechtskraftwirkung des cause of action estoppel109 erreicht: Eine rechtskräftige Entscheidung steht einer erneuten Klage aus demselben cause of action auch dann entgegen, wenn hier eine im Erstverfahren noch nicht eingeklagte Nachforderung geltend gemacht wird.110 2. Präklusion in Bezug auf einzelne issues 576
Auch der issue estoppel wird durch das Henderson-Prinzip ergänzt. Alle Tatsachen, die bereits im Zeitpunkt des Vorprozesses vorgelegen haben und die eine Partei bei Anwendung ordnungsgemäßer Sorgfalt hätte geltend machen können, können im Zweitprozess präkludiert sein, soweit es dort um dieselbe Vorfrage geht.111 Entsprechend des engen englischen Begriffsverständnisses von issue kann aber auf Ebene der Vorfrage die Präklusionswirkung nur in wenigen Fällen greifen: Allein soweit Tatsachen exakt denselben rechtlichen Aspekt betreffen, der zuvor gerichtlich behandelt worden war, ist dies denkbar, und nur soweit die Vorfrage tatsächlich als notwendige Voraussetzung entschieden worden sein musste.112 Außerdem unterliegt die Henderson-Regel auch hier der allgemeinen Anforderung, dass sich das Geltendmachen neuer Tatsachen als missbräuchlich darstellen muss.113 Dies ist etwa dann nicht der Fall, wenn neue Beweise auftauchen, die zur Zeit der Erstentscheidung nicht verfügbar waren bzw. bei Anwendung der angemessenen Sorgfalt nicht eingebracht werden konnten. Allerdings ist auch dann eine Neuverhandlung nur möglich, wenn sie so entscheidend sind, dass sie „entirely changes the aspect of the case“.114 cause of action einzuklagen um nachfolend den anderen geltend zu machen. In diesem Sinne offenbar auch Stürner, in: FS Schütze, 1999, S. 913 (922): „Es gilt praktisch das Verbot der Teilklage“. 109 s. zu diesem Rn. 190–193. 110 Handley, Res Judicata, 3. Aufl. 1996, Rn. 409. 111 Vgl. Lord Keith of Kinkel in House of Lords, 25.04.1991 – Arnold and Others v. National Westminster Bank PLC [1991] 2 A.C. 93, 106: „Issue estoppel, too, has been extended to cover not only the case where a particular point has been raised and specifically determined in the earlier proceedings, but also that where in the subsequent proceedings it is sought to raise a point which might have been but was not raised in the earlier.“ 112 Judicial Committee of the Privy Council, 10.12.1963 – Kok Hoong v. Leong Cheong Kweng Mines Ltd. [1964] A.C. 993, 1014. 113 Lord Denning in Court of Appeal (Civil Division), 17.01.1980 – McIlkenny v. Chief Constable of West Midlands Police Force and another [1980] 2 All ER 227, 237. 114 House of Lords, 19.11.1981 – Hunter v. Chief Constable of the West Midlands Police and others [1982] A.C. 529, 545E (per Lord Diplock); Court of Appeal (Civil Division), 05.02.1996 – Smith v. Linskills (a firm) and another [1996] 1 W.L.R. 763, 771.
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In zeitlicher Hinsicht ist die Präklusion auf den Beurteilungszeitpunkt des 577 Erstprozesses begrenzt: Wenn etwa eine Klage auf Rückzahlung eines Darlehens mangels Fälligkeit dieses Anspruchs noch nicht begründet war, kann die mittlerweile eingetretene Fälligkeit in einem nachfolgenden Verfahren geltend gemacht werden.115 Die rechtskräftige Feststellung, dass eine Person ein festes Zuhause hat, schließt nicht die Geltendmachung aus, dass sie zwischenzeitlich obdachlos geworden ist.116 Anders als in Deutschland oder Frankreich fallen bei Schadensersatzklagen grundsätzlich auch Zukunftsschäden unter den rechtskräftig entschiedenen Lebenssachverhalt.117 III. Die enge Tatsachenpräklusion im französischen Recht Das französische Recht kennt wegen seines herkömmlicherweise nach 578 rechtlichen Gesichtspunkten abgegrenzten Streitgegenstandsbegriffs eine Präklusionswirkung nur in sehr engem Umfang. Sie bezieht sich immer nur auf das tatsächliche Vorbringen zu dem cause, der Gegenstand des Vorprozesses war.118 Durch die Regel des „non cumul des responsabilités“ werden aber bei Konkurrenz vertraglicher und deliktischer Ansprüche in der Praxis Verdopplungen von Prozessen und Titeln vermieden. Demnach kann der Gläubiger nur den vertraglichen Anspruch verfolgen, weil die rechtliche Sonderbeziehung vorrangig ist.119 Die Nachteile der engen Präklusionswirkung werden durch die umfang- 579 reiche Vorfragenbindung ausgeglichen. Da nicht nur der Rechtsfolgenausspruch in Rechtskraft erwächst, sondern prinzipiell auch alle zwischen den Parteien erörterten und vom Gericht entschiedenen notwendigen Vorfragen (motifs décisifs)120, erhöht sich die Bestandskraft rechtskräftiger Entscheidungen. Neue causes zum selben Klageziel können demnach nur zu einer abweichenden Entscheidung führen, wenn hierdurch nicht von den rechtskräftig entschiedenen Vorfragen abgewichen wird. Soweit im Übrigen die Cour de cassation neuerdings den cause unter Berücksichtigung des Sachverhalts begrenzt,121 erhält auch die Präklusionswirkung eine größere Reichweite. 115
Court of Queen’s Bench, 1839 – Palmer v. Temple (1839) 9 A & E, 521. High Court Queen’s Bench Division, 09.03.1967 – Mills v. Cooper [1967] 2 Q.B. 459; vgl. auch Court of Appeal (Civil Division), 30.07.1947 – Burman v. Woods [1948] 1 K.B. 111. 117 Vgl. House of Lords, 24.07.1929 – Clark and others v. Urquhart [1930] A.C. 28, wonach in Schadensersatzklagen auch die zukünftigen Schäden abgegolten werden müssen. 118 Conseil d’État, 02.05.1962 – Caucheteux et Desmonts, RD publ. 1963, S. 278. 119 Otte, Streitentscheidung, 1998, S. 104. 120 s. Rn. 211–213. 116
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1. Möglichkeit für unterlegenen Kläger, erneut aus anderer cause zu klagen 580
Die enge Tatsachenpräklusion bedeutete herkömmlicherweise für den im Vorprozesses abgewiesenen Kläger, dass er im Nachhinein dasselbe Klageziel erneut verfolgen durfte, soweit er sich auf einen anderen rechtlichen Grund stützen konnte.122 Weitere rechtliche Gründe konnten auch dann geltend gemacht werden, wenn sie bereits im Zeitpunkt des Erstprozesses vorgelegen haben. Entscheidend war ausschließlich, dass sie dort noch nicht vorgebracht worden waren.123
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So konnte etwa der Eigentümer eines Grundstücks zwei Mal gegen ein Bergbauunternehmen klagen, von dem sein Grundstück beeinträchtigt wurde.124 Im Erstprozess war der Eigentümer mit seiner Klage auf Zahlung einer einmaligen Summe als Ersatz für die erlittene Wertminderung gescheitert. Daraufhin klagte er erneut auf einen jährlich zu zahlenden Ersatzanspruch wegen Besitzstörung und Beschränkung der Nutzungsmöglichkeit. Diese Klage hatte Erfolg, insbesondere stand ihr nicht die Rechtskraft des Ersturteils entgegen, weil nach Auffassung des Gerichts beide Klagen nach cause und objet verschieden waren.
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Jüngst hat allerdings die Cour de cassation entschieden, dass den Kläger im Erstprozess die Obliegenheit treffe, alle moyens vorzutragen, die geeignet wären, sein Klageziel zu begründen, und dass dies insbesondere auf alle konkurrierenden Anspruchsgrundlagen zutreffe.125 In einer Entscheidung von 2008 ging sie sogar noch weiter und erkannte die Obliegenheit an, alle Anspruchziele geltend zu machen, die sich aus einem einheitlichen Vertrag ergeben.126 Dies bedeutet eine Erweiterung der klassischen Präklusionswirkung im französischen Recht, die auf ein neues breiteres Verständnis des Begriffs cause zurückzuführen ist.
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Vgl. hierzu oben Rn. 226. Kössinger, Rechtskraftprobleme, 1993, S. 104 f. 123 Zeuner, in: FS Zweigert, 1981, S. 603 (608). 124 Cour de cassation, civ., 14.07.1875 – Bally c/de Lepinerays, S. 1876, 1, S. 9. 125 Cour de cassation, ass.pl., 07.07.2006, Bull. ass. plen. nº 8. 126 Cour de cassation, 1re civ., 28.05.2008, Bull. civ. I nº 153: „. . . il incombe au demandeur de présenter dans la même instance toutes les demandes fondées sur la même cause“. 122
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2. Möglichkeit für unterlegenen Beklagten, neue Einwendungen zu erheben Für den unterlegenen Beklagten des Vorprozesses bedeutet die klassische 583 enge Präklusionswirkung, dass er im Nachhinein die Entscheidung mit neuen rechtlichen Argumenten in Frage stellen kann. Wenn er also im Vorprozess vergeblich das Erlöschen der Schuld aus einem bestimmten Rechtsgrund behauptet hat, kann er später immer noch das Erlöschen aus einem anderen rechtlichen Argument geltend machen, auch wenn die Tatsachen, auf die dieses gestützt ist, bereits im Vorprozess vorlagen.127 Wurde etwa eine Partei zu einer vertraglichen Leistung verurteilt und 584 hatte sie sich ausschließlich damit verteidigt, sie habe den Vertrag nie unterzeichnet, hindert sie die Rechtskraft nicht daran, im Nachhinein geltend zu machen, der Vertrag sei mangels gültigen Vertragszwecks (cause) unwirksam, selbst wenn sie sich hierzu auf alte Tatsachen beruft.128 Genauso wenig ist ein Beklagter, der im Erstverfahren zur Zahlung verurteilt wurde, daran gehindert, später – sei es im Zwangsvollstreckungsverfahren oder im Rahmen einer Bereicherungsklage – eine Quittung zu präsentieren, um nachzuweisen, dass die Schuld bereits bei Erlass des Ersturteils durch Zahlung erloschen war.129 Voraussetzung ist allerdings stets, dass der Beklagte die Einwendungen nicht schon in einem anderen Prozess – selbst wenn es in diesem um einen anderen Streitgegenstand ging – geltend gemacht hat. Soweit nämlich über eine Einwendung einmal entschieden wurde, erwächst – und das übersteigt das deutsche Rechtskraftverständnis – diese Beurteilung in Rechtskraft. In einer neueren Entscheidung hat die Cour de cassation allerdings be- 585 tont, dass den Beklagten im Erstprozess die Obliegenheit treffe, alle moyens vorzutragen, die geeignet sind, den Klageantrag scheitern zu lassen. Dabei wendete sie ein weites Verständnis des cause an: Wird der Beklagte auf Erfüllung verklagt und versäumt er es, eine gerichtliche Aufhebung des Vertrages wegen Übervorteilung (recision pour lésion) geltend zu machen, kann er dies auch im Nachhinein nicht mehr tun.130
127
Kössinger, Rechtskraftprobleme, 1993, S. 105. Bspw. Cour d’appel Aix-enProvence, 24.11.2006 – nº 04–19490 (légifrance): Ob eine Bürgschaft wirksam zustande gekommen ist und ob der Bürge wegen Vorschriften des Verbraucherschutzes möglicherweise nicht verpflichtet ist, sind zwei verschiedene Fragen, so dass die Prüfung von Vorschriften des Verbraucherschutzes als Wirksamkeitshindernis nicht präkludiert ist. 128 Cour de cassation, 2e civ., 19.12.2002, Bull. civ. II nº 292. 129 Kössinger, Rechtskraftprobleme, 1993, S. 105. 130 Cour de cassation, 3e civ., 13.02.2008, Bull. civ. III nº 28.
304
Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
3. Die zeitlichen Grenzen der Rechtskraft 586
Auch in Frankreich erfasst die Rechtskraft nur den Sachverhalt im Zeitpunkt der letzten Tatsacheninstanz.131 Auch nachdem der Schädiger rechtskräftig auf Zahlung von Schadensersatz verurteilt wurde, kann erneut auf Schadensersatz geklagt werden, wenn zwischenzeitlich neue Schäden eingetreten sind.132 Die zeitliche Präklusionsgrenze hat in Frankreich aber nur geringe Bedeutung, weil auch Alttatsachen nur präkludiert sind, wenn sie zum Streitgegenstand des Erstprozesses gehören. Für die Präklusion von Gestaltungsrechten (Aufrechnung) ergibt sich folglich kein Zuordnungsproblem: Die Aufrechnung kann im Nachhinein geltend gemacht werden, solange die Gegenforderung noch nicht aufrechnungsweise in den Vorprozess eingeführt wurde. 4. Sonderproblem Teilklagen
587
Anders als in Deutschland gestaltet sich die französische Rechtslage bei Teilklagen. Diese Problematik wird hier über die Figur des dispositif implicite gehandhabt. Einerseits schließt die Klageabweisung hinsichtlich des gesamten Rechts auch die stillschweigende Entscheidung über einen Teil mit ein, so dass eine nachfolgende Teilklage ausgeschlossen ist („in toto pars continetur“).133 Die Rechtskraft des dispositif implicite bringt es andererseits mit sich, dass sich der unterlegene Kläger, der nur einen Teil eingeklagt hat, die ablehnende Entscheidung zum Rechtsgrund auch in einer späteren Klage über den weitergehenden Teil entgegen halten lassen muss.134
IV. Rechtsvergleichende Zusammenfassung 588
In vergleichender Betrachtung zeigt sich dreierlei: Einerseits wird der objektive Umfang der rechtskraftbedingten Präklusion verschieden bemessen [1.], andererseits kommt der subjektiven Komponente eine unterschiedliche Bedeutung zu [2.]. Abweichungen bestehen ferner in der Begrenzung der Präklusionswirkung in zeitlicher Hinsicht [3.].
131 Perrot/Fricéro, J.-Cl. Proc. civ. fasc. 554 (Stand: III 2006), S. 1 (Rn. 152); Stürner, in: FS Schütze, 1999, S. 913 (931); Cour de cassation, 1re civ., 22.10.2002, Bull. civ. I nº 234; Cour de cassation, soc., 24.05.1967, Bull. civ. IV nº 418. 132 Cour de cassation, 2e civ., 30.10.1989, JCP G 1989.IV.420; Cour de cassation, 2e civ., 05.01.1994, Bull. civ. II nº 15. 133 Cour de cassation, soc., 19.12.1973, Bull. civ. V nº 680. 134 Stürner, in: FS Schütze, 1999, S. 913 (927).
§ 7 Die Präklusion aufgrund der Rechtskraft
305
1. Die objektive Bemessung der Präklusionswirkung Die objektive Reichweite der rechtskraftbedingten Tatsachenpräklusion 589 hängt in erster Linie von der maßgeblichen Definition des Klagegrundes ab. Dementsprechend gilt im deutschen Recht eine außerordentlich weite Präklusion, weil hier ein sachverhaltsorientierter Streitgegenstandsbegriff herrscht. Der Kläger muss zur Anspruchsbegründung alle Tatsachen vortragen, die zusammen mit den geltend gemachten Geschehnissen einen einheitlichen Lebenssachverhalt bilden.135 Ob dies der Fall ist, wird nur in engen Grenzen auch unter Berücksichtigung materiellrechtlicher Gesichtspunkte beurteilt.136 Für die Reichweite der Präklusion gegen den Beklagten kommt es hingegen nur indirekt auf die natürliche Betrachtungsweise des Streitgegenstands an: Er muss im Prinzip alles vortragen, was zu einem abweichenden Entscheidungsergebnis führen kann.137 Auch das englische Recht folgt einer sachverhaltsorientierten Streitgegenstandsdefinition, bemisst daher die Präklusionswirkung in objektiver Hinsicht breit: Soweit subjektiv in der Lage, haben die Parteien im Vorprozess die Obliegenheit, alles vorzutragen, was geeignet wäre, den streitgegenständlichen Anspruch zu begründen oder zu erschüttern.138 In Frankreich gilt demgegenüber herkömmlicherweise eine sehr schmale 590 Präklusionswirkung, nämlich nur im Rahmen des engen cause-Begriffs. Demnach ist das Vortragen neuer Tatsachen stets möglich, soweit diese unter einem neuen rechtlichen Argument zum bereits rechtskräftig entschiedenen Streitgegenstand gewürdigt werden sollen.139 Allerdings geht die Cour de cassation zunehmend von einer sachverhaltsorientierten Betrachtung aus.140 Wie weit sich diese allgemein durchzusetzen vermag, ist gegenwärtig allerdings nicht abschätzbar. Ausgehend von der unterschiedlichen Definition des Klagegrundes in den 591 einzelnen Rechtsordnungen hat die Präklusionswirkung in den nationalen Rechten eine leicht abweichende Funktion. So übersteigt sie in Deutschland und Frankreich nicht den im Vorprozess geltend gemachten Klagegrund, während dies in England der Fall ist: In Deutschland wird der Klagegrund durch den gesamten geltend gemachten Lebenssachverhalt gebildet, was auch für die Reichweite der Tatsachenpräklusion gilt.141 Genauso spielt 135 136 137 138 139 140 141
s. s. s. s. s. s. s.
Rn. Rn. Rn. Rn. Rn. Rn. Rn.
548–550; 561–567. 551–553. 568 f. 572, 576. 578–581, 583 f. 579, 582, 585. 546–550.
306
Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
sich im französischen Recht die Präklusion nur im engen Rahmen des cause-Begriffs ab.142 Demgegenüber übersteigt die Präklusionswirkung im englischen Recht den Klagegrund gegenständlich. Ein cause of action wird hier nicht durch eine sachverhaltsbezogene Betrachtung begrenzt, sondern entspricht einem anerkannten Rechtsgrund für das Klageziel.143 Die Präklusionswirkung erstreckt sich aber auf alle anderen parallelen causes of action, soweit sie geeignet sind, dasselbe Klageziel zu begründen.144 Somit führt erst die Präklusionswirkung zu einer sachverhaltsorientierten Rechtskraftwirkung im englischen Recht. 592
Abweichungen bestehen auch in Bezug auf die Möglichkeit von Teilklagen: Während im deutschen Recht nach h. M. sowohl bei erfolgreicher als auch bei gescheiterter Teilklage eine Nachforderung zulässig ist145, schließt in England und Frankreich eine Teilklage die Nachforderung aus – egal ob sie Erfolg hatte oder nicht146. 2. Die subjektive Begrenzung der Präklusionswirkung
593
Darüber hinaus bestehen Unterschiede in der Berücksichtigung der subjektiven Komponente. Im englischen Recht kommt ihr eine entscheidende Bedeutung zu: Hier wird die Tatsachenpräklusion nicht als Facette der Rechtskraft behandelt, sondern als Mittel zur Sanktionierung missbräuchlicher Prozessführung. Daher sind nach der neuen Rspr. des House of Lords Tatsachen nur präkludiert, wenn deren gezielte Zurückhaltung missbräuchlich war, was wiederum nur hinsichtlich solcher Fakten denkbar ist, die dem Kläger im Vorprozess bekannt waren.147
594
Demgegenüber komplettiert die Präklusion im deutschen Recht lediglich den Bestandsschutz des Urteils und ist daher von subjektiven Elementen völlig unabhängig.148 Dies ist im französischen Recht genauso. Da die Präklusion hier ohnehin nur hinsichtlich der im Vorprozess geltend gemachten rechtlichen Aspekte greift149, belastet es die Parteien in der Regel kaum, dass Tatsachen trotz Unkenntnis präkludiert sind.
142 143 144 145 146 147 148 149
s. Rn. 578. s. bereits Rn. 190–193. s. Rn. 572. s. Rn. 566 zur erfolgreichen Teilklage u. Rn. 567 zu erfolglosen Teilklage. s. Rn. 575 (England) u. 587 (Frankreich). s. Rn. 571. s. Rn. 545. Vgl. Rn. 580 f., 583 f.
§ 7 Die Präklusion aufgrund der Rechtskraft
307
3. Die zeitliche Begrenzung der Präklusionswirkung In zeitlicher Hinsicht gilt übereinstimmend, dass Tatsachen grundsätzlich 595 nur insoweit präkludiert sind, wie sie noch im Ursprungsverfahren hätten vorgebracht werden können.150 Die zeitliche Grenze der Rechtskraft hängt damit entscheidend davon ab, inwieweit im Rechtsmittelverfahren neue Tatsachen vorgetragen werden können. Unterschiede ergeben sich aber in Details: So sind etwa Gestaltungsrechte 596 im französischen Recht erst dann präkludiert, wenn sie im Zeitpunkt des Ursprungsverfahrens bereits ausgeübt worden waren und dies in den Prozess eingeführt wurde.151 Demgegenüber kommt es in Deutschland auf den Zeitpunkt an, in dem das Gestaltungsrecht hätte ausgeübt werden können.152 Außerdem kennt das deutsche Recht in bestimmten Fällen ausnahmsweise eine Fortwirkung der Rechtskraft über die letzte Tatsacheninstanz hinaus.153 Derartiges ist dem französischen Recht fremd154, während das englische Recht zumindest für Zukunftschäden eine Rechtskraftfortwirkung vorsieht.155
B. Die Präklusionswirkung anerkannter ausländischer Entscheidungen im jeweiligen Zweitland Fraglich ist, in welchem Umfang anerkannte ausländische Entscheidun- 597 gen im Zweitland eine Präklusionswirkung auslösen. Diese Frage stellt sich nicht nur dann, wenn gegen den Titel im Zweitland eine Vollstreckungsgegenklage (bzw. ein vergleichbarer Rechtsbehelf anderer Rechtsordnungen) erhoben wurde.156 Sie hat gleichermaßen Relevanz, wenn es in einem zweitstaatlichen Erkenntnisverfahren auf eine bereits im Ausland rechtskräftig entschiedene Frage ankommt. Dass sowohl in der einen als auch in der anderen Konstellation die ausländische Entscheidung im Zweitland eine Präklusionswirkung auslöst, folgt übereinstimmend aus dem Verbot der révision au fond. Dieser Grundsatz ist in Art. 45 II EuGVVO festgehalten, der wegen seiner systematischen Stellung eigentlich nur das Rechtsbehelfsverfahren gegen die Erteilung des Exequaturs betrifft. Dennoch handelt es 150
s. Rn. 554 (Deutschland), 577 (England) u. 586 (Frankreich). s. Rn. 586. 152 s. Rn. 555. 153 So hinsichtlich unerheblichen nachträglichen tatsächlichen Veränderungen (Rn. 556–558) und bei Prognose-Entscheidungen (Rn. 559). 154 s. Rn. 586. 155 s. Rn. 577. 156 Ob und inwieweit gegen ausländische gerichtliche Entscheidungen Vollstreckungsgegenrechtsbehelfe zulässig sind, wird später zu klären sein, s. Rn. 854–936. 151
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Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
sich hierbei um ein Prinzip, das auch in anderen Zusammenhängen allgemein zu beachten ist, wie sich auch Art. 36 EuGVVO entnehmen lässt. 598 Vorab ist zu klären, wann die Präklusion als Entscheidungswirkung im Sinne der Art. 33 ff. EuGVVO zu qualifizieren ist [I.]. Sodann ist anhand der in § 3 entwickelten Schritte157 zu prüfen, welches Recht die Präklusionswirkung aufgrund Anerkennung der Rechtskraft ausländischer Entscheidungen im Zweitland vorgibt: Zunächst ist der Verweisungsbefehl entsprechend Schritt 1 und Schritt 2 zu bestimmen [II. u. III.]. Schließlich ist in Schritt 3 fraglich, wann aus Rücksicht auf das Recht des Anerkennungslandes eine Wirkungsbegrenzung greift [IV.]. I. Vorab: Qualifikation der Präklusionswirkung und Nachfrage 599
Ob durch die Anerkennung ausländischer Entscheidungen diesen im Zweitstaat auch eine Präklusionswirkung zukommt, ist eine Frage der Qualifikation. Dies ist angesichts des Zwecks der Präklusionswirkung fraglich. Schließlich dient sie auch dazu, nachlässiges Prozessverhalten zu sanktionieren durch Auferlegung einer Einlassungslast der Beteiligten, fördert insofern das Erkenntnisverfahren im Ursprungsland. Die Urteilsanerkennung dient aber nicht der Unterstützung ausländischer Prozesse. 600 Nicht nur in England dient die Tatsachenpräklusion der Vermeidung rechtsmissbräuchlichen Verhaltens. Eine rechtskraftfremde Präklusion gibt es auch in Deutschland, etwa wenn zum Vorbringen von Angriffs- und Verteidigungsmitteln eine Frist bestimmt wurde. Wird der tatsächliche Vortrag schuldhaft158 zu spät vorgebracht, kann er zurückgewiesen werden (§§ 296, 530 ff. ZPO). So zurückgewiesene Tatsachen sind auch in künftigen Prozessen präkludiert.159 Rechtskraftfremd ist auch die Präklusion gem. § 767 II 2. Hs. ZPO, die gegen Versäumnisurteile auch die Einwendungen abschneidet, die durch Einspruch hätten geltend gemacht werden können. Gleiches gilt gem. § 14 I Nr. 1 AVAG hinsichtlich Einwendungen, die durch Beschwerde hätten vorgebracht werden können. 601 Ob Präklusionswirkungen über die Anerkennung auch im Zweitstaat zum Tragen kommen können, ist ausschließlich nach Standards zu entscheiden, die sich aus der EuGVVO selbst ergeben, und kann nicht von einzelstaatlichen dogmatischen Einordnungen abhängen.160 Im Grundsatz muss die Präklusionswirkung – egal ob rechtskraftbedingt oder nicht – auch im Zweitland greifen, denn die Anerkennung dient gerade der territorialen Erweite157 158 159 160
s. Rn. 153–156. MünchKomm/Prütting, 3. Aufl. 2008, § 296 ZPO Rn. 132. MünchKomm/Prütting, 3. Aufl. 2008, § 296 ZPO Rn. 181. s. bereits oben Rn. 64.
§ 7 Die Präklusion aufgrund der Rechtskraft
309
rung der Bestandskraft einer Entscheidung.161 Auch die Präklusion betrifft deren Bestandskraft und es ist kein Grund ersichtlich, warum das Urteil im Zweitstaat leichter in Frage gestellt werden kann als in seinem Ursprungsland. Würde man zwischen rechtskraftbedingter und -fremder Präklusion unterscheiden, drohte ferner eine Diskriminierung von Entscheidungen aus Rechtsordnungen, in denen die Präklusion nicht als Facette der Rechtskraft aufgefasst wird. Daher ist die Präklusionswirkung stets über die Entscheidungsanerkennung ins Zweitland transportierbar.162 Gleiches gilt für die Präklusion von verspäteten Einwendungen.163 Damit ist noch nicht beantwortet, auf welche präklusionsrelevanten Nor- 602 men die einschlägige Kollisionsregel verweist. Dies ist eine Frage der Sachnormqualifikation. Jedenfalls solche Vorschriften, die lediglich das Verfahren zur Geltendmachung von Einwendungen betreffen, sind im Zweitland nicht beachtlich. Als Beispiel hierfür dienen Regelungen, die vorgeben, ob Einwendungen im Vollstreckungsverfahren geltend zu machen sind (etwa in Deutschland nach § 775 Nr. 4, 5 ZPO für bestimmte Erfüllungseinwände) oder in einem nachgelagerten Erkenntnisverfahren (etwa § 767 ZPO).164 Derartige Regelungen betreffen die Durchführung von Rechtsbehelfen, sind daher der jeweiligen lex fori zu entnehmen. Nur die Vorgaben über Präklusionsgrenzen sind vom Verweisungsbefehl erfasst: Dass etwa in England unverschuldet nicht vorgebrachte Einwendungen nicht präkludiert sind, ist auch in Deutschland beachtlich, soweit hier die englische Gerichtsentscheidung anerkennungsfähig ist.165 161 A. A. für das autonome deutsche Anerkennungsrecht Nelle, Anspruch, Titel u. Vollstr., 2000, S. 258, der eine rechtskraftfremde Präklusionswirkung für nicht anerkennungsfähig hält, weil es sich systematisch nicht um eine Urteilswirkung handle. Grundlage der rechtskraftfremden Präklusion sei nicht das Urteil, sondern ein Prozessverhalten des Beklagten im Ursprungsprozess. 162 Geimer, IZPR, 6. Aufl. 2009, Rn. 2812; ders., in: Geimer/Schütze (Hrsg.), Urteilsanerkennung, Bd. I/1, 1983, § 134, S. 1029; Martiny, Hdb. IZVR, Bd. III/1, 1984, Rn. 385 ff.; Nelle, Anspruch, Titel u. Vollstr., 2000, S. 240; Kropholler, EuZPR, 8. Aufl. 2005, vor Art. 33 EuGVVO Rn. 14; Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. I/Leible, 2011, Art. 33 EuGVVO Rn. 6. Auf die Frage, ob die rechtskraftbedingte Präklusion ein Teil der Rechtskraft ist oder vielmehr eine eigene von dieser zu unterscheidende Wirkung, kommt es hier nicht an. 163 A. A. für das autonome deutsche Anerkennungsrecht Nelle, Anspruch, Titel u. Vollstr., 2000, S. 264: Die als verspätet zurückgewiesenen Einwendungen seien nur dann auch im Ausland präkludiert, wenn sie nach dem Ursprungsrecht unabhängig vom Vortrag des Beklagten Teil des rechtskräftig entschiedenen Streitgegenstandes wären. 164 Diesbezüglich ist die Rechtslage in den Ländern unterschiedlich, s. Rn. 857–871. 165 Schlosser, EuGVÜ, 1996, Art. 26 EuGVÜ Rn. 2. A. A. für das autonome deutsche Anerkennungsrecht Nelle, Anspruch, Titel u. Vollstr., 2000, S. 263 mit
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Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
II. Schritt 1: Wirkungserstreckung 603
Als Teil der anerkennungsfähigen Urteilswirkungen unterliegt die Reichweite der Präklusion gemäß Schritt 1 im Grundsatz dem Recht des Ursprungslandes.166 Dieser Ansatz wird im Bereich der Präklusionswirkung durch die zusätzliche Überlegung gestützt, dass zwischen der Reichweite der Präklusion und dem Rechtsmittelrecht im Ursprungsland ein enger innedem Argument, dass Einschränkungen der Präklusionskraft, die auf dem individuellen Unvermögen der Partei beruht, die Einwendung vorzubringen, der Sache nach eine Durchbrechung der Präklusion sei und daher nicht dem Statut der Präklusionswirkung unterfalle. 166 Geimer, Anerkennung, 1995, S. 180; ders., in: FS Georgiades, 2006, S. 489 (503); Nelle, Anspruch, Titel u. Vollstr., 2000, S. 277–279; Roth, RabelsZ 68 (2004), S. 379 (383) mit Begrenzung nach dem Kumulationsansatz; ebenso BGH, 15.10.1992 – IX ZR 231/91, NJW 1993, S. 1270 (1271) für die zeitliche Grenze der Präklusion im Deutsch-österreichischen Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrag 1959 und BGH, 05.05.1982 – IVb ZR 697/80, BGHZ 84, 17 für die zeitliche Präklusionsgrenze im autonomen deutschen Anerkennungsrecht. Maßgeblich ist demnach der Zeitpunkt, zu dem nach dem Prozessrecht des Ursprungslandes die Einwendung noch hätte geltend gemacht werden können. Allgemein für Wirkungserstreckung im Bereich der Präklusion auch OLG Hamburg, 18.06.1993 – 6 W 21/93, RIW 1994, S. 424 (425). A. A. allerdings BGH, 13.04.1983 – VIII ZB 38/82, NJW 1983, S. 2773 (2774): Bei einer Vollstreckungsgegenklage gegen ein nach dem EuGVÜ für vollstreckbar erklärtes italienisches Urteil wird einfach auf den Zeitpunkt abgestellt, in dem das Urteil ergangen ist – ohne den italienischen Streitgegenstandsbegriff heranzuziehen. Ebenso BGH, 16.05.1979 – VIII ZB 8/79, NJW 1980, S. 528: Im Rahmen der Vollstreckbarerklärung eines französischen Arrestbefehls wurde § 13 AVAG a. F. (jetzt § 12 AVAG) in der Form angewendet, dass der Beklagte gegen einen vertraglichen Anspruch den Einwand der Arglistanfechtung nicht vorbringen durfte, obwohl dies nach französischem Recht noch möglich gewesen wäre. Ebenso unzutreffend OLG Hamm, 28.12.1993 – 20 W 19/93, NJW-RR 1995, S. 189 (191): Im Rahmen der Vollstreckbarerklärung einer französischen ordonnance de référé wurde der Aufrechnungseinwand des Beklagten nicht berücksichtigt, weil die Aufrechnungslage schon vor Erlass der Entscheidung bestanden habe. Unzutreffend auch OLG Frankfurt, 21.08.1978 – 20 W 402/78, RIW/AWD 1980, S. 63 (64): In Deutschland wurde die Aufrechnung gegen eine in Frankreich titulierte Forderung versperrt, weil die Aufrechnungslage bereits zuvor bestanden habe. In diesen Fällen wurde der deutsche sachverhaltsorientierte Streitgegenstandsbegriff auf französische Urteile angewendet. Ebenso OLG Koblenz, 28.11.1975 – 2 W 625/75, NJW 1976, S. 488, das sich sogar ausdrücklich zur Gleichstellung bekennt. Auch in BGH, 05.07.1972 – VIII ZR 118/71, BGHZ 59, 116 (124) wurde im Rahmen eines Vollstreckbarerklärungsverfahrens nach § 723 ZPO die Reichweite der Präklusionswirkung des ausländischen Urteils nach der Gleichstellungslehre bestimmt; außerdem beurteilt BGH, 05.05.1982 – IVb ZR 697/80, BGHZ 84, 17 (23) die objektive Reichweite der Präklusion im Anwendungsbereich des autonomen deutschen Anerkennungs- und Vollstreckungsrechts nach der Gleichstellung. Ähnlich Gerling, Gleichstellung, 2006, S. 140 f.: Im Grundsatz Gleichstellung, ggf. aber auf den Umfang des Ursprungslandes begrenzt, wenn dieser geringer ist als im Anerkennungsland.
§ 7 Die Präklusion aufgrund der Rechtskraft
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rer Zusammenhang besteht, der auch in der Anerkennungsphase erhalten bleiben sollte. Außerdem würde eine über den im Ursprungsland geltenden Umfang hinausreichende Präklusion insbesondere nicht durch das Verbot der révision au fond gedeckt. Die praktische Bedeutung der Wirkungserstreckung bei Anerkennung der Präklusionswirkung ist nachfolgend anhand des Falls 4.1 [1.] und des Falls 4.2 [2.] zu verdeutlichen. 1. Fall 4.1: Einwendungen gegen französisches Urteil im Exequaturverfahren S aus Deutschland verkaufte an das französische Unternehmen F eine Be- 604 tonrohrfertigungsmaschine.167 Nach deren Inbetriebnahme ergaben sich Schwierigkeiten, die der Käufer auf Mängel der Maschine, der Verkäufer auf unsachgemäße Bedienung zurückführte. F verklagte den Verkäufer S in Frankreich auf Rücknahme der Maschine, Rückzahlung des Kaufpreises und Zahlung von Schadensersatz. Nachdem S antragsgemäß verurteilt worden war, ließ F den Titel in Deutschland für vollstreckbar erklären. Gegen die Vollziehung dieses Titels setzte sich der Schuldner in Deutschland mittels Vollstreckungsgegenklage zur Wehr und machte aufrechnungsweise Gegenansprüche geltend. Nach deutschem Recht ist der Aufrechnungseinwand schon dann präklu- 605 diert, wenn im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung die Aufrechnungslage bereits vorlag.168 Danach könnte vorliegend die Aufrechnung nicht geltend gemacht werden. Dies würde der Regelung von § 12 I AVAG entsprechen und wird auch von der deutschen Rspr. so gehandhabt.169 Demgegenüber wäre der Aufrechnungseinwand nach französischem Recht nicht präkludiert.170 Wenn man entsprechend Schritt 1 nach der Wirkungserstreckungslehre verfährt, sollte man richtigerweise diese französische Präklusionsregel heranziehen. § 12 I AVAG sollte also korrigiert werden, weil er im Ergebnis zu einer Gleichstellung führt.
167
Fall nach BGH, 05.07.1972 – VIII ZR 118/71, BGHZ 59, 116. s. Rn. 555. 169 BGH, 05.07.1972 – VIII ZR 118/71, BGHZ 59, 116 (124): Für die Frage, welche Einwendungen im Vollstreckbarerklärungsverfahren nach § 723 ZPO geltend gemacht werden dürfen, wurde das deutsche Präklusionsverständnis herangezogen. 170 s. Rn. 586. 168
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Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
2. Fall 4.2: Vollstreckungsgegenklage in Deutschland gegen ein französisches Urteil 606
Unternehmer S aus Deutschland kauft in Frankreich beim Winzer G mehrere Kisten Wein, die noch vor Ort an ihn übergeben werden.171 Da einige Flaschen ungenießbar sind, zahlt S den geschuldeten Kaufpreis i. H. v. 1000 e zunächst nicht, woraufhin G in Frankreich Zahlungsklage einreicht, die ordnungsgemäß an S zugestellt wird. Als dieser von der Klage erfährt, erklärt er gegenüber G nach erfolgloser Fristsetzung (Art. 47 CISG) gem. Art. 50 CISG Minderung des Kaufpreises auf 500 e und zahlt diese Summe sogleich an G. S hält damit die Angelegenheit für erledigt und erscheint nicht zum Verhandlungstermin in Frankreich. Daraufhin wird er durch Versäumnisurteil (jugement rendu par défaut, Art. 472 CPC) zur Zahlung von 1000 e verurteilt. Nach Vollstreckbarerklärung in Deutschland, erhebt S dort Vollstreckungsgegenklage und macht die Minderung geltend.
607
Nach deutscher Vorstellung wäre die Geltendmachung der Minderung als Gestaltungsrecht präkludiert, weil diese in zeitlicher Hinsicht zum rechtskräftig entschiedenen Streitgegenstand zu rechnen wäre. Anders wäre dies in Frankreich, wo Gegenrechte nicht präkludiert sind, solange sie nicht in den Vorprozess eingeführt wurden. Für den vorliegenden Fall würde dennoch § 14 I AVAG eine Geltendmachung der Minderung versperren. Diese Regelung schreibt somit den Gleichstellungsansatz vor, was mit den Prinzipien der Urteilsanerkennung nach Art. 33 ff. EuGVVO nicht vereinbar ist. III. Schritt 2: lex causae-Rückgriff (Fall 4.3)
608
Fraglich ist, welche Bedeutung die lex causae hat zur Bestimmung der Reichweite der Präklusionswirkung ausländischer anerkannter Gerichtsentscheidungen. Der vorausgegangene Rechtsvergleich hat ergeben, dass der Präklusionsumfang nicht von materiellrechtlichen Wertungen abhängt. Ein innerer Zusammenhang besteht nichtsdestotrotz, wie folgender Fall 4.3 verdeutlichen soll:
609
Bei Vertragsverhandlungen in Frankreich wurde ein Rechtsgut des Klägers aus Frankreich durch das Verhalten eines Mitarbeiters des in Deutschland ansässigen Beklagten verletzt. Der Kläger macht daraufhin zunächst vor einem französischen Gericht Schadensersatz geltend mit der Begründung, der Beklagte habe für das Delikt seines Gehilfen einzustehen. Es wird französisches Recht angewendet (Art. 1384 al.5 CC) und die Klage abgewiesen, weil ein Fehlverhalten des Verrichtungsgehilfen nicht nach171
Fall nach Röthel/Sparmann, WM 2006, S. 2285 (2291).
§ 7 Die Präklusion aufgrund der Rechtskraft
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gewiesen werden konnte. Nunmehr verlangt der Kläger vor einem deutschen Gericht Schadensersatz aus den Grundsätzen der cic mit der Begründung, es sei beabsichtigt gewesen, für den Vertrag deutsches Recht zu wählen. Nach der Wirkungserstreckungslehre hat französisches Recht vorzugeben, 610 ob das tatsächliche Vorbringen zur cic-Haftung präkludiert ist. Nach diesem würde eine Präklusion nicht eintreten, weil die cic-Haftung einen anderen cause darstellt. Dennoch wäre aber in Frankreich eine erneute Klage ausgeschlossen, weil es eine cic-Haftung hier nicht gibt.172 Dies muss auch im Ausland berücksichtigt werden, wenn man mit der Wirkungserstreckungslehre ernst machen will. Durch den Verweis auf die ausländische Rechtsordnung darf dieses Recht nicht nur ausschnittsweise angewendet werden, sondern muss in seiner Gesamtheit betrachtet werden. Man kann dasselbe Ergebnis auch erzielen, indem das Gericht des Zweit- 611 landes bei der Überprüfung der bereits rechtskräftig entschiedenen Frage dasselbe Recht anwendet, das bereits vom Ursprungsgericht tatsächlich herangezogen wurde. Eine solche Bindungswirkung der Entscheidung des Ursprungsgerichts hinsichtlich des anwendbaren Rechts ist für die Prüfung der materiellen Einwendungen im Rahmen einer Vollstreckungsgegenklage im Zweitland anerkannt.173 Sie rechtfertigt sich aus Gründen des internationalen Entscheidungseinklangs.174 Sie muss gleichermaßen gelten, wenn im Zweitstaat eine im Erststaat bereits rechtskräftig entschiedene Frage unter anderen möglicherweise präkludierten Aspekten erneut entschieden werden soll. IV. Schritt 3: Wirkungsbegrenzung aus Rücksicht auf das Recht des Anerkennungsstaates Fraglich ist die Handhabung von Konstellationen, in denen die Präklu- 612 sion nach dem Recht des Ursprungsstaates weiter reicht als nach dem Recht des Anerkennungslandes. Es wurde bereits geklärt, dass nur aus Gründen des zweitstaatlichen ordre public eine Wirkungslimitierung angemessen ist.175 Erwägungen des rechtlichen Gehörs sind bei der Präklusion 172
s. hierzu bereits oben Rn. 279. So etwa Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 1039; Geimer, IZPR, 6. Aufl. 2009, Rn. 3115; ders., in: Geimer/Schütze (Hrsg.), Urteilsanerkennung, Bd. I/2, 1984, § 209 (S. 1628); Gerling, Gleichstellung, 2006, S. 143. A. A. Nelle, Anspruch, Titel u. Vollstr., 2000, S. 313–320, wonach es nur dann eine Bindung an die Feststellung des anwendbaren Rechts gebe, wenn im Recht des Ursprungsstaates eine entsprechende Vorfragenbindung bekannt sei. 174 Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 1039. 175 s. Rn. 148–152. A. A. für die Präklusion Roth, RabelsZ 68 (2004), S. 379 (383), der für eine Kumulation plädiert. 173
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Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
besonders relevant, weil sich diese auf Tatsachen bezieht, die typischerweise im Ursprungsland noch nicht gerichtlich gewürdigt wurden. Insbesondere in den in Fall 4.4 [1.] und Fall 4.5 [2.] behandelten Konstellationen kommt eine Wirkungsbegrenzung aus Rücksicht auf das zweitstaatliche Recht in Betracht. 1. Fall 4.4: Teilklage im englisch-deutschen Verhältnis 613
D aus Deutschland klagt in England gegen seinen dort ansässigen Geschäftspartner auf Schadensersatz wegen Abbruchs von Vertragsverhandlungen ohne triftigen Grund. Er macht geltend, für die Verhandlungen Aufwendungen i. H. v. 200.000 e gehabt zu haben, fordert zunächst jedoch nur einen Teilbetrag i. H. v. 60.000 e (Teilklage). Das englische Gericht spricht dem D die beantragte Summe zu. Danach klagt dieser erneut in Deutschland und macht dort seine restlichen 140.000 e geltend. Da die res judicata nach englischem Recht eine Nachforderungsklage ausschließen würde176, wäre gem. Schritt 1 an sich der Prozess vor deutschen Gerichten unzulässig. Nach deutscher Rechtslage versperrt eine erfolgreiche Teilklage die gerichtliche Geltendmachung eines weiteren Anspruchsteils jedoch nicht177, so dass fraglich ist, ob nach Schritt 3 die von dem englischen Urteil ausgehende Rechtskraft begrenzt werden soll. Dies würde voraussetzen, dass ein Ausschluss einer Nachforderungsklage mit dem deutschen ordre public unvereinbar ist.
614
Die Rechtskrafterstreckung auf den nicht geltend gemachten Restanspruch könnte im Widerspruch zu der Dispositionsmaxime stehen, die zu den Fundamentalprinzipien des deutschen Zivilprozesses zählt. Danach bestimmen die Anträge der Parteien, worüber das Gericht zu entscheiden hat, ein späteres Urteil und seine Rechtskraft dürfen also nicht über das hinausgehen, was Gegenstand des Prozesses war. Dieses Prinzip könnte verletzt sein, wenn sich die Rechtskraft auf einen eigentlich nicht eingeklagten Anspruchsteil erstreckt.
615
Zu bedenken ist jedoch, dass der Dispositionsgrundsatz auch im deutschen Recht nicht schrankenlos gilt. So kann es das Gericht etwa aus verfahrensökonomischen Gründen ablehnen, über das Vorbringen einer Partei im Prozess zu entscheiden, wenn dieses verspätet erfolgt ist (§ 296 ZPO). Gerade der Gedanke einer konzentrierten Streiterledigung wird von Teilen des deutschen Schrifttums maßgeblich dafür angeführt, dass nach rechtskräftig zuerkannter Teilklage eine Nachforderung ausgeschlossen bleiben 176 177
s. Rn. 575. s. Rn. 565–567.
§ 7 Die Präklusion aufgrund der Rechtskraft
315
soll.178 Hinzu kommt, dass die weit reichende Rechtskraft nach englischem Recht für einen Kläger aus Deutschland nicht überraschend sein kann. Von einer sorgfältig im Ausland prozessierenden Partei kann erwartet werden, sich auf das örtliche Prozessrecht einzustellen. Würde man außerdem in Fall 4.4 der res judicata nicht die Wirkung bei- 616 messen, eine Nachforderungsklage auszuschließen, würde sie zumindest auf der Ebene der Begründetheit eine Präjudizbindung auslösen und den Ausgang des deutschen Prozesses beeinflussen. Auch wenn in der englischen Rechtskraftlehre die positive Entscheidung über eine Teilklage nach der merger in judgment-Regel den gesamten Anspruch entfallen lässt, kann sie zumindest eine Bindung hinsichtlich einzelner Vorfragen und tatsächlicher Feststellungen begründen (issue estoppel). Diese wäre – wie bereits oben gezeigt179 – in Deutschland anerkennungsfähig. Was grundsätzlich unbedenklich ist, führte aber in Fällen der Teilklage zu ungereimten Ergebnissen: Dass bei der Nachforderung eine Vorfragenbindung greift, widerspricht sowohl der Intention des deutschen Rechts, nach dem das zusprechende Erstjudikat über einen Anspruchsteil grundsätzlich keine Bindungswirkung im Rahmen der Begründetheitsprüfung der Nachforderungsklage auslösen würde, als auch der des englischen Rechts, das eine solche Klage von vornherein nicht zugelassen hätte. Im Fall 4.4 könnte die anzuerkennende Vorfragenbindung die Erfolgsaussichten der deutschen Nachforderungsklage erhöhen, weil einzelne Aspekte des Haftungsgrundes oder tatsächliche Feststellungen verbindlich wären. Die Wirkungsbegrenzung liefe dann aus Sicht beider Rechtsordnungen auf eine Wirkungserweiterung hinaus. Hieran wird ersichtlich, dass ein ausschnittsweiser Import ausländischer Entscheidungswirkungen zu erheblichen Störungen der grenzüberschreitenden Rechtspflege führen kann und daher nur in Ausnahmefällen zugelassen werden sollte. Somit sollten anerkannte ausländische Entscheidungen auch im Zweitland grundsätzlich in vollem Umfang die Präklusionswirkung entfalten, die ihnen im Ursprungsland zukommt. 2. Fall 4.5: Präklusion im deutsch-französischen Verhältnis Der Käufer klagt in Deutschland gegen den Verkäufer auf Schadensersatz 617 wegen Mangelfolgeschadens; als Anspruchsgrundlagen kommen Vertrag und Delikt in Betracht. Im deutschen Verfahren trägt er lediglich Tatsachen vor, aus denen sich ein vertraglicher Anspruch ergeben kann. Nachdem die Klage abgewiesen wird, prozessiert er in Frankreich erneut mit gleichem 178 Marburger, in: GS Knobbe-Keuk, 1997, S. 187 (190) m. w. N.; vgl. zu den anderen Stimmen für eine Rechtskrafterstreckung im deutschen Recht Rn. 565–567. 179 Vgl. Rn. 254–257.
316
Teil II: Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO
Antragsziel, beruft sich diesmal allerdings ausschließlich auf eine deliktische Haftung. Entsprechend dem weiten deutschen Streitgegenstandsbegriff wäre das tatsächliche Vorbringen, aus dem sich eine solche ergeben könnte, präkludiert.180 Anders wäre dies in Frankreich nach dem dortigen anspruchsgrundlagenorientierten Streitgegenstandsbegriff181, so dass nach Schritt 3 eine Begrenzung der Anerkennungswirkung angebracht sein könnte. 618
Für eine Begrenzung der Präklusion aus Gründen des französischen ordre public besteht aber kein Grund: Einerseits finden sich in der jüngeren französischen Rspr. ebenfalls Tendenzen zu einer sachverhaltsorientierten Bestimmung des Streitgegenstands.182 Andererseits ist nicht ersichtlich, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt würde, denn der Kläger hätte im deutschen Verfahren die Chance gehabt, die Tatsachen für die Begründung des deliktischen Anspruchs vorzutragen. Eine Begrenzung der Präklusion nach zweitstaatlichen Maßstäben würde ferner Missbrauchsversuchen Tür und Tor öffnen. Schließlich könnte sich eine Partei gezielt in ein Forum mit knapp bemessener Präklusion begeben, um dort die Rechtskraftwirkung einer Klageabweisung im Ausland auszuhebeln. 3. Ergebnis
619
Gründe für eine Begrenzung der Präklusion nach oben sind kaum erkennbar. Allenfalls dann, wenn im Ursprungsland gegen das rechtskräftige Urteil gar keine Einwendungen möglich sein sollten, wäre überlegenswert, ob sich ein engeres Präklusionskonzept des Anerkennungslandes durchsetzen sollte.183 Solche Fälle dürften aber eher theoretischer Natur sein.
180
s. Rn. 548–553. s. Rn. 580 f. 182 s. Rn. 582. 183 So etwa Gerling, Gleichstellung, 2006, S. 142, wonach § 767 ZPO angewendet werden soll, wenn im Ursprungsland gar keine Einwendungen mehr möglich sind. 181
Teil III
Die Wirkungen der durch Exequatur nach der EuGVVO verliehenen Vollstreckbarkeit mitgliedstaatlicher Titel Im Folgenden geht es um die Vollstreckbarkeit, die den nach der 620 EuGVVO exequierten Entscheidungen im Zweitstaat zukommt. Sie ist nicht Gegenstand der Anerkennung, sondern wird originär für das jeweilige Staatsgebiet verliehen.1 Vor allem wegen dieser Verleihung wird allgemein von der Geltung der Gleichstellungslehre ausgegangen: Die Vollstreckbarkeit ausländischer Titel soll inhaltlich deckungsgleich sein mit derjenigen, die inländischen Entscheidungen zukommt.2 Ob dies uneingeschränkt zutrifft, soll allerdings nachfolgend einer kritischen Überprüfung unterzogen und ggf. präzisiert werden. Es wird nicht in Abrede gestellt, dass die Prozedur der Beitreibung dem 621 Recht des Vollstreckungsstaates (sog. lex fori executionis) unterliegen muss.3 Insofern sind aber Vollstreckung und Vollstreckbarkeit begrifflich auseinander zu halten. Erstere meint das Verfahren der Beitreibung, d.h. das Agieren der Vollstreckungsbehörden im Zweitstaat. Diese instrumentelle Seite der Anspruchsdurchsetzung kann nur dem örtlichen Recht unterliegen.4 Insofern – also hinsichtlich der Vollstreckung – trifft die Aussage von der Maßgeblichkeit der lex fori executionis zu. Etwas anderes könnte jedoch für die Vollstreckbarkeit gelten. Hierunter ist nicht nur die Geeignetheit eines Titels zur zwangsweisen Durchsetzung zu verstehen. Vielmehr kann die Vollstreckbarkeit auch Informationen bezüglich Art und Weise der 1 Geimer, in: Geimer/Schütze (Hrsg.), EuZVR, 3. Aufl. 2010, Art. 38 EuGVVO Rn. 1; Geimer, Anerkennung, 1995, S. 163; Rosenberg/Gaul/Schilken, ZwVollstrR, 11. Aufl. 1997, § 12 I 1 (S. 137); Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 868; Geimer, in: FS Georgiades, 2006, S. 489 (492). 2 Etwa Geimer, in: Geimer/Schütze (Hrsg.), EuZVR, 3. Aufl. 2010, Art. 38 EuGVVO Rn. 8; Geimer, Anerkennung, 1995, S. 165 für das autonome deutsche Recht. 3 EuGH, 02.07.1985 – Rs. 148/84, Deutsche Genossenschaftsbank ./. Brasserie du Pecheur, Slg. 1985, 1981, Rn. 18. Die EuGVVO regelt nur Verfahren und Voraussetzungen der Vollstreckbarerklärung. Zur Geltung der lex fori executionis s. auch Rn. 671–674. 4 s. zu den Gründen hierfür später ausführlich unter Rn. 671–674.
318
Teil III: Die Wirkungen der Vollstreckbarkeit mitgliedstaatlicher Titel
Durchsetzung enthalten, insoweit also die Vollstreckung determinieren. Derartige Vorgaben zum Verfahrensablauf können durchaus unterschiedlichen Inhalt haben, so dass es einen großen Unterschied machen kann, welchem Recht sie zu entnehmen sind. Inwieweit auch die so verstandene Vollstreckbarkeit der lex fori executionis unterliegt, ist nachfolgend zu untersuchen. 622
Die Abgrenzung zwischen Vollstreckbarkeit und Vollstreckung ist jedoch nicht immer eindeutig, schließlich zeigt sich erst bei Durchführung des Beitreibungsverfahrens, welchen Inhalt die Vollstreckbarkeit im Einzelnen hat. Es ist daher nicht möglich, von vornherein einfach eine Grenze zwischen Vollstreckung und Vollstreckbarkeit zu ziehen und erstere einem bestimmten Recht zu unterstellen, zweitere hingegen einem anderen. Insbesondere kann die eingangs getätigte Aussage, die Vollstreckung unterliege der lex fori executionis, dadurch an Allgemeingültigkeit einbüßen, dass einzelne Aspekte der Vollstreckbarkeit von einem ausländischen Recht vorgegeben werden und daher auswärtige Titel in der Vollstreckung anders zu behandeln sind als rein inländische.
623
Man kann sich für jeden einzelnen Aspekt des Beitreibungsverfahrens fragen, nach welchem Recht er zu behandeln ist. Insofern kann man vom „Internationalen Zwangsvollstreckungsrecht“ sprechen, welches zu klären hat, welche Vorschriften für die Vollstreckung ausländischer Titel gelten.5 Hierbei ist von der Maßgeblichkeit der lex fori executionis als Grundkollisionsnorm auszugehen.6 Abweichend von dieser können aber für einzelne Aspekte – IPR-rechtlich gesprochen – Sonderanknüpfungen greifen und auf andere als die örtlichen Bestimmungen verweisen. Ebenso ist denkbar, das inländische Vollstreckungsrecht wegen der Auslandsberührung durch die Titelherkunft modifiziert anzuwenden.7 Diese Fragen sind in Teil III zu beantworten. Fürs Erste soll dies allgemein geschehen anhand eines Vergleichs von Anerkennung und Vollstreckbarerklärung [§ 8]. Sodann sind ausgewählte Einzelaspekte der Vollstreckung ausländischer exequierter Titel in den Blick zu nehmen:
624
Hierbei soll zunächst untersucht werden, wie ausländische Titel durchzusetzen sind, die in ihrem Ursprungsland noch nicht in Rechtskraft erwachsen sind [§ 9]. In den einzelstaatlichen Rechtsordnungen wird der feh5 Vgl. Jahr, in: Lüke/Prütting (Hrsg.), Lexikon Zivilverfahrensrecht, 1995, S. 157 (157 f.), der das „Internationale Zwangsvollstreckungsrecht“ als Kollisionsrecht der Einzelzwangsvollstreckung sieht. 6 Vgl. zur EuGVVO EuGH, 02.07.1985 – Rs. 148/84, Deutsche Genossenschaftsbank ./. Brasserie du Pecheur, Slg. 1985, 1981, Rn. 18; EuGH, 04.02.1988 – Rs. 145/86, Hoffmann ./. Krieg, IPRax 1989, S. 159. 7 So etwa Kerameus, in: FS Lüke, 1997, S. 337 (341); ebenso Gottwald, IPRax 1991, S. 285 (286), der insofern von „Sonderregeln“ spricht.
Teil III: Die Wirkungen der Vollstreckbarkeit mitgliedstaatlicher Titel
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lenden Bestandskraft auf unterschiedliche Weise Rechnung getragen: Entweder werden solche Entscheidungen genauso vollstreckt wie rechtskräftige Titel oder aber man gestattet eine Beitreibung nur teilweise, wobei insoweit eine unterschiedliche Reichweite denkbar ist. Unterschiedlich geregelt ist auch, ob zu Gunsten des Schuldners durch Stellung von Sicherheiten Vorsorge getroffen wird für den Fall, dass der Titel nach Vollziehung letztlich wieder aufgehoben werden sollte. In der Vollstreckungsphase ergibt sich auch die Problematik, wie der 625 Schuldner neue materielle Einwendungen gegen den titulierten Anspruch geltend machen kann, um sich einer Beitreibung zu entziehen. Hierbei stellt sich auch die Frage, welche Einwendungen im Nachhinein noch beachtlich sind. Diese Fragestellungen, die in den einzelstaatlichen Vollstreckungsrechten abweichend geregelt sind, müssen auch bei der Vollziehung ausländischer Titel beantwortet werden [§ 10]. Und schließlich muss die Art und Weise der Zwangsanwendung aus aus- 626 ländischen Titeln im Zweitland geklärt werden. Dies betrifft einerseits die Frage nach den Vollstreckungsmethoden, die die zweitstaatlichen Vollzugsorgane anwenden können: Nach welchem Recht ist etwa zu beurteilen, ob zur Durchsetzung von Geldleistungstiteln der Schuldner in Haft genommen werden darf? Welche Rechtsordnung gibt beispielsweise bei der Vollstreckung von Titeln gerichtet auf Vornahme oder Unterlassung von Handlungen vor, wem das Zwangsgeld zufließen soll? Andererseits ist zu klären, welchem Recht die Vollstreckungshindernisse und -beschränkungen unterliegen: Soll etwa ein Anspruch im Zweitland deshalb nicht vollstreckt werden, weil seiner Betreibung im Ursprungsland ein Vollstreckungshindernis entgegenstünde? Diese und andere Fragen werden im Folgenden unter dem Begriff der „Modalitäten“ der Zwangsanwendung zur Durchsetzung ausländischer Titel behandelt [§ 11].
§ 8 Ein Vergleich der Vollstreckbarerklärung mit der Anerkennung und Folgerungen hieraus für die Wirkungen ersterer 627
Welche Wirkungen einem ausländischen Titel im Zweitstaat durch die Vollstreckbarerklärung zukommen, ist nicht geregelt. Art. 38 I EuGVVO besagt lediglich, dass ein Exequatur erteilt werden muss, was zu einer Gleichstellung führen oder auch eine Wirkungserstreckung in dem Sinne bedeuten könnte, dass sich die Vollstreckbarkeit im Zweit- mit der im Ursprungsland inhaltlich deckt. Diese beiden Ansätze sind uns bereits in Teil II begegnet bei der Frage nach den Wirkungen der Anerkennung. Damals hatte sich gezeigt, dass im Grundsatz allein eine Wirkungserstreckung zutreffend ist.1 Ausgehend davon muss man sich fragen, inwieweit dieser Ansatz auch zur Bestimmung der Wirkungen der Vollstreckbarerklärung Geltung beanspruchen kann. Andersherum gewendet: Warum und inwieweit passt dieser Ansatz für die Vollstreckbarerklärung nicht, so dass hier nach einer anderen Methode zu verfahren ist? Zur Antwort hierauf sollen im Folgenden Anerkennung und Vollstreckbarerklärung miteinander verglichen werden [A.] um ausgehend hiervon allgemeine Grundsätze für die Wirkungen der Vollstreckbarerklärung aufzustellen [B.].
A. Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Anerkennung und Vollstreckbarerklärung 628
Sollen zwei Erscheinungen verglichen werden, ist einerseits nach deren Gemeinsamkeiten zu fragen, andererseits nach den Unterschieden zwischen ihnen zu suchen. Anerkennung und Vollstreckbarerklärung unterscheiden sich zunächst dadurch, dass bei letzterer die Vollstreckbarkeit für das Zweitland konstitutiv neu begründet wird2, während bei ersterer die Effekte direkt aus dem Ursprungsland übernommen werden. Rechtskraft-, Gestaltungs- und Präklusionswirkung sind allein aufgrund Anerkennung im Zweitstaat beachtlich. Demgegenüber verlangt die Vollstreckung im Zweitstaat zusätzlich ein Exequatur. Ungeachtet dieses Unterschieds dienen beide Varianten des Titelimports übereinstimmend dazu, die Titelverbindlichkeit ter1 2
Vgl. oben Rn. 65–96. Fn. 1 (S. 317).
§ 8 Vergleich der Vollstreckbarerklärung mit der Anerkennung
321
ritorial auf das Gebiet des Zweitlandes zu erweitern. Insofern kann die Vollstreckbarerklärung auch als eine „besondere Form der Anerkennung“ bezeichnet werden.3 Wegen dieser Wesensidentität beider Formen des Titelimports erscheint es prima vista naheliegend, die Wirkungen beider nach demselben Ansatz zu bestimmen4, mithin auch den Inhalt der für das Zweitland verliehenen Vollstreckbarkeit dem Recht des Ursprungslandes zu entnehmen. Hierfür spricht auch, dass anerkennungsfähige Wirkungen einerseits und 629 die Vollstreckbarkeit andererseits Ausschnitte des einheitlichen Phänomens „prozessuale Entscheidungswirkungen“ sind. Sie betreffen übereinstimmend Inhalt und Umfang der Verbindlichkeit eines Judikats. Man muss sich daher fragen, warum manche von ihnen dem Recht des einen Landes zu unterstellen sind, andere hingegen einer hiervon abweichenden Rechtsordnung unterliegen sollen. Man könnte insbesondere geltend machen, das Exequatur beschränke sich darauf, den ausländischen Titel vollstreckbar zu machen, wolle daher den Titelinhalt nicht verändern.5 Bei der Vollstreckbarerklärung geschähe also nichts anderes als bei bloßer Anerkennung. In § 3 hatte sich vor allem deswegen die Wirkungserstreckungslehre als 630 vorzugswürdige Anerkennungstheorie erwiesen, weil sie sowohl eine Erweiterung als auch eine Reduzierung der Entscheidungswirkungen im Zweitland vermeidet.6 Dieser Gedanke ist grundsätzlich auch im Bereich der Vollstreckbarerklärung tragfähig, denn es ist durchaus denkbar, dass das Vollstreckungsrecht im Zweitland stärkere Befugnisse kennt als das des Ursprungslandes. Dies spricht dafür, auch die Wirkungen der Vollstreckbarerklärung nach der Wirkungserstreckung zu beurteilen. Möglicherweise gibt es aber zwischen beiden Varianten des Titelimports Unterschiede, die die 3
Mansel, IPRax 1995, S. 362; ebenso Nelle, Anspruch, Titel u. Vollstr., 2000, S. 408: „Viel naheliegender ist es, im Exequatur eine formalisierte Anerkennung der Vollstreckungswirkung der ausländischen Entscheidung zu sehen“. Ähnlich schon Schütze, Anerkennung und Vollstreckung, 1960, S. 56, wonach sowohl Anerkennung als auch Vollstreckbarerklärung Hoheitsakte seien, durch die Wirkungen ausländischer Urteile auf das Inland erstreckt werden. Diese Aussage Schützes dürfte sich jedoch angesichts seiner Ausführungen auf S. 12 nur auf eine solche Anerkennung bezogen haben, die sich durch formellen zweitstaatlichen Akt vollzieht und daher nur eingeschränkt für die formlose Inzident-Anerkennung, die in der EuGVVO gilt, heranzuziehen sein. Auch Schlosser, in: FS Leipold, 2009, S. 435 (438 Fn. 4) geht davon aus, dass die Vollstreckbarerklärung auf dem Boden der Wirkungserstreckungskonzeption stehe. 4 Auch Hess, IPRax 2005, S. 23 (25 Fn. 25) scheint die Wirkungen der Vollstreckbarerklärung und der Anerkennung einheitlich nach der Wirkungserstreckungslehre behandeln zu wollen. 5 So etwa Gaudemet-Tallon, RCDIP 77 (1988), S. 605 (607). 6 s. Rn. 79 f.
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Teil III: Die Wirkungen der Vollstreckbarkeit mitgliedstaatlicher Titel
Geltung eines differenzierten Wirkungsbestimmungsansatzes erfordern. Zum einen bestehen verfahrensrechtliche Abweichungen zwischen Anerkennung und Vollstreckbarerklärung [I.], zum anderen sind die anerkennungsfähigen Wirkungen auf der einen und die Vollstreckbarkeit auf der anderen Seite verschiedenartig [II.]. I. Verfahrensunterschiede zwischen Anerkennung und Vollstreckbarerklärung als Grund für abweichenden Wirkungsbestimmungsansatz 631
Anders als die Anerkennung dient das Exequaturverfahren nicht nur der Prüfung der Anerkennungsfähigkeit (bei Rechtsbehelf gem. Art. 43 EuGVVO), sondern auch der formellen Implementierung des ausländischen Titels in das inländische Verfahren.7 So wird etwa in Deutschland die zur Vollziehung unerlässliche Vollstreckungsklausel erteilt, § 4 I AVAG. Insofern kann jedenfalls von einer formellen Gleichstellung mit inländischen Titeln in Bezug auf die Vollstreckung gesprochen werden. Welchen Inhalt die Vollstreckbarkeit hat, ist damit aber noch nicht gesagt. Auf einem anderen Blatt steht etwa, wie weit die Durchsetzung gehen darf, wenn der Titel im Ursprungsland noch nicht rechtskräftig ist, welche materiellen Einwendungen im Zweitland geltend gemacht werden können und wie dies verfahrensrechtlich erfolgen soll. Ebenso ist noch nicht beantwortet, welche Vollstreckungsmechanismen anwendbar sind bzw. welches Recht die Vollstreckungshindernisse vorgibt. Allein der Unterschied, dass die Vollstreckbarerklärung auch eine formelle Implementierung schafft, die Anerkennung hingegen nicht, liefert also noch keinen Hinweis auf die Geltung eines unterschiedlichen Wirkungsbestimmungsansatzes.
632
Es ist daher nach weiteren Unterschieden zwischen „bloßer“ Anerkennung und Vollstreckbarerklärung zu suchen. Insofern besteht der prozessuale Unterschied, dass nur letztere in einem formellen Verfahren erfolgt und in einen zweitstaatlichen Hoheitsakt mündet. Demgegenüber vollzieht sich die Anerkennung formlos und inzidenter.8 Ob möglicherweise wegen dieser Verfahrenseigenheit die Vollstreckbarerklärung – anders als die Anerkennung – eine inhaltliche Gleichstellung hinsichtlich der Vollstreckbarkeit bewirkt, ist nachfolgend zu untersuchen.
7 Oberhammer, IPRax 2010, S. 197 (197–199); Oberhammer, JBl. 2006, S. 477 (482); Heringer, Europäischer Vollstreckungstitel, 2007, S. 45. 8 Auch das von Art. 33 II EuGVVO vorgesehene isolierte Verfahren ist kein förmliches Anerkennungsverfahren, sondern ermöglicht lediglich die rechtskräftige Feststellung der Anerkennungsfähigkeit.
§ 8 Vergleich der Vollstreckbarerklärung mit der Anerkennung
323
1. Der andere „Streitgegenstand“ bei der Vollstreckbarerklärung Dass allein die Vollstreckbarerklärung in einem formellen Verfahren er- 633 folgt, macht zunächst einen dogmatischen Unterschied: Hierbei wird über einen Anspruch des Titelinhabers gegen den Zweitstaat auf Erteilung des Exequaturs entschieden.9 Ein vergleichbarer Anspruch auf Anerkennung ist aus begrifflichen Gründen hingegen nicht konstruierbar. Schließlich würde dieser bereits mit seiner Entstehung befriedigt, da sich sowohl in der EuGVVO als auch – mit Ausnahmen für Ehesachen10 – im autonomen deutschen Recht die Anerkennung ex lege vollzieht.11 Nichtsdestotrotz gibt es auch hier einen Anspruch, der sich allerdings darauf beschränkt, dass die zweitstaatlichen Gerichte die anerkennungsfähigen Wirkungen berücksichtigen.12 Dieser dogmatische Unterschied zwischen beiden Varianten des Titel- 634 imports erfordert allerdings nicht, deren Auswirkungen nach unterschiedlichen Herangehensweisen zu bestimmen. Der Sache nach geht es nämlich einheitlich darum, ob die ausländische Entscheidung im Zweitstaat hinzunehmen ist. Dass diese Frage gleichgelagert ist, sieht man schon daran, dass Anerkennung und Vollstreckbarerklärung grundsätzlich dieselben Voraussetzungen haben. Auch Art. 38 I EuGVVO, der die Erteilung des Exequaturs zusätzlich von der Vollstreckungsfähigkeit im Urteilsstaat abhängig macht, verändert das Prüfungsprogramm nicht in grundsätzlicher Hinsicht gegenüber den Voraussetzungen für die Berücksichtigung einer anerkennungsfähigen Wirkung im Zweitstaat. Denn auch alle anderen Entscheidungswirkungen können nur übernommen werden, soweit sie im Ursprungsland vorliegen. Art. 38 I EuGVVO wiederholt damit nur, was ohnehin allgemeine Voraussetzung für den Import ausländischer Titelwirkungen ist. Anerkennung und Vollstreckbarerklärung haben also im Grunde dieselben 635 Voraussetzungen, so dass sich die dogmatische Abweichung beider Formen des Titelimports in der praktischen Rechtsanwendung nicht auswirkt. Dass 9 Vgl. Schütze, Anerkennung und Vollstreckung, 1960, S. 57, 63 für das autonome deutsche Anerkennungsrecht: Neben dem Anspruch des Titelgläubigers auf Vollstreckbarerklärung besteht auch ein Anspruch des Schuldners auf Verweigerung des Exequaturs, wenn die hierfür erforderlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind; ebenso allg. Geimer, IZPR, 6. Aufl. 2009, Rn. 3105. 10 § 107 FamFG (weitgehend identisch mit Art. 7 § 1 FamRÄndG a. F.) sieht für die Anerkennung mancher ausländischer Entscheidungen in Ehesachen ein besonderes Anerkennungsverfahren vor. 11 Schütze, Anerkennung und Vollstreckung, 1960, S. 12 zum autonomen deutschen Anerkennungsrecht. 12 Schütze, Anerkennung und Vollstreckung, 1960, S. 12 zum autonomen deutschen Anerkennungsrecht.
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Teil III: Die Wirkungen der Vollstreckbarkeit mitgliedstaatlicher Titel
sich nur die Vollstreckbarerklärung durch formellen Hoheitsakt vollzieht, spricht also noch nicht dafür, dass deren Wirkungen nach einem anderen Ansatz zu bestimmen sind als die der Anerkennung. 2. Eigenes Erkenntnisverfahren und eigene Entscheidung im Zweitstaat als Grundlage der dortigen Vollstreckung 636
Bei der Vollstreckbarerklärung gibt es – anders als bei der isolierten Anerkennung – eine eigene positive zweitstaatliche Entscheidung über den Import des ausländischen Judikats. Dies wird von der herrschenden Lehre zur Begründung des Gleichstellungsgedankens herangezogen: Entweder wird darauf abgestellt, Grundlage der zweitstaatlichen Beitreibung sei eben die dortige Vollstreckbarerklärung und nicht ein ausländischer Richterspruch.13 Oder die Gleichstellung wird damit gerechtfertigt, dass die Vollstreckbarerklärung in einem eigenen Erkenntnisverfahren ergangen sei.14 Ergänzend wird darauf hingewiesen, dem Zweitstaat stehe es frei, welche Wirkungen er dem Auslandstitel beimessen will.15
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Die Überzeugungskraft dieser beiden Argumente für die Geltung der Gleichstellungslehre – Nr. 1 (eigene zweitstaatliche Entscheidung) und Nr. 2 (eigenes zweitstaatliches Erkenntnisverfahren) – ist nachfolgend zu überprüfen. a) Argument Nr. 1: Grundlage der zweitstaatlichen Vollstreckung?
638
Es ist schon nicht klar, ob tatsächlich das Exequatur Grundlage der Vollstreckung ist. Eine ausdrückliche Regelung hierzu trifft die EuGVVO nicht. Auch das EuGVÜ nahm – wie es im Jenard-Bericht ausdrücklich heißt – „keine Stellung zu den Theorien, ob in dem Vollstreckungsstaat das in dem Urteilsstaat ergangene Urteil oder ob die Entscheidung über die Erteilung der Vollstreckungsklausel den Vollstreckungstitel bildet“.16 Die Basis der 13 Mankowski, ZZP Int. 4 (1999), S. 276 (276 f.) für das EuGVÜ. Dass Grundlage der Vollstreckung das zweitstaatliche Exequatur ist: Geimer, in: FS Georgiades, 2006, S. 489; Geimer, Anerkennung, 1995, S. 164; Roth, IPRax 1989, S. 14 (15); Geimer, IZPR, 6. Aufl. 2009, Rn. 3155; BGH, 06.11.1985 – IV b ZR 73/84, NJW 1986, S. 1440; BGH, 05.04.1990 – IX ZB 68/89, NJW 1990, S. 3084. 14 So etwa Mankowski, ZZP Int. 4 (1999), S. 276 (276–278), wonach das EuGVÜ-Exequaturverfahren ein „kupiertes“ Erkenntnisverfahren sei, was insbesondere rechtfertige, dass dem Titel im Vollstreckungsland stärkere Wirkungen zukommen als im Urteilsland; ebenso Pfeiffer, in: Gilles (Hrsg.), Transnationales Prozeßrecht, 1995, S. 77 (105). 15 Drobnig, in: FS v. Caemmerer, 1978, S. 687 (701). 16 Jenard, Bericht z. EuGVÜ 1968, S. 49.
§ 8 Vergleich der Vollstreckbarerklärung mit der Anerkennung
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Anspruchsdurchsetzung im Zweitland ist daher auch für die EuGVVO nicht eindeutig. Jedenfalls in den nationalen Rechtsordnungen findet sich ebenso die Auffassung, Vollstreckungsgrundlage sei der ausländische Titel in Verbindung mit der zweitstaatlichen Vollstreckbarerklärung.17 Nachdem die EuGVVO also offen lässt, was Grundlage der Vollstreckung 639 im Zweitstaat ist, kommt Argument Nr. 1 ins Wanken. Selbst wenn man davon ausgehen will, es sei dem einzelstaatlichen Recht überlassen, die Grundlage der Vollstreckung festzulegen18, kann die diesbezügliche nationale Auffassung nicht zur Bestimmung der Wirkungen der Vollstreckbarerklärung aufgrund einer europäischen Verordnung herangezogen werden. Die EuGVVO begründet schließlich eine europarechtliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Durchsetzung ausländischer Entscheidungen. Welchen Inhalt diese im Einzelnen hat, kann nicht jeder Staat für sich bestimmen. Eine euroautonome Auslegung ist also geboten. Dieser kann zumindest nicht zu Grunde gelegt werden, die EuGVVO gehe davon aus, Beitreibungsgrundlage sei das Exequatur. Eine solche Aussage ist der Verordnung nicht zu entnehmen. b) Argument Nr. 2: Exequaturverfahren unter der EuGVVO als Erkenntnisverfahren? Fraglich ist auch die Überzeugungskraft von Argument Nr. 2. Nach die- 640 sem spreche für die Gleichstellung, dass das Exequatur in einem eigenen Erkenntnisverfahren erteilt werde. Das Gericht habe gewissermaßen in voller Kenntnis der zweitstaatlichen Exekutionsordnung und speziell für diese für Recht erkannt, dass die ausländische Gerichtsentscheidung durchgesetzt werden kann. Dem Exequatur als Hoheitsakt des Zweitstaates komme daher dieselbe Bedeutung zu, als wäre der zu vollstreckende Anspruch unmittelbar im Inland tituliert worden. Bei der Anerkennung werde demgegenüber lediglich eine im Ausland eingetretene Wirkung übernommen. Für den Fall, dass der Schuldner keinen Rechtsbehelf gem. Art. 43 641 EuGVVO einlegt, ist jedoch zweifelhaft, ob in der Exequaturerteilung eine vollwertige Entscheidung zum inländischen Recht zu sehen ist. Schließlich wird gem. Art. 41 I i. V. m. Art. 53 EuGVVO das Exequatur schon erteilt, 17
So etwa zum autonomen deutschen Recht Riezler, IZPR, 1949, S. 567, mit dem Argument, dass die ausländische Entscheidung Inhalt und Umfang des zu vollstreckenden Leistungsbefehls vorzugehen habe. Ebenso Rintelen, ZZP 9 (1886), S. 191 (195); Nelle, Anspruch, Titel u. Vollstr., 2000, S. 328. Herrschend zur EuGVVO ist allerdings die Auffassung, allein das Exequatur sei Grundlage der Vollstreckung, vgl. Geimer, in: Geimer/Schütze (Hrsg.), EuZVR, 3. Aufl. 2010, Art. 38 EuGVVO Rn. 6. 18 So Mankowski, ZZP Int. 4 (1999), S. 276 (277).
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Teil III: Die Wirkungen der Vollstreckbarkeit mitgliedstaatlicher Titel
wenn der Antragsteller Entscheidungsausfertigung sowie Bescheinigung nach Art. 54 EuGVVO vorlegt. Es wird zunächst also nur das Vorhandensein notwendiger Urkunden geprüft.19 Gaudemet-Tallon vertritt demgemäß die Ansicht, dass die Wirkung eines derartigen im ersten Verfahrensabschnitt erteilten Exequaturs nach der Wirkungserstreckungslehre beurteilt werden müsse.20 Eine allein aufgrund von Formalien gestattete Vollstreckung beinhalte nicht den Willen des Zweitstaates, der ausländischen Entscheidung irgendwelche Wirkungen beizulegen.21 Ein vollwertiges Erkenntnisverfahren hat hier gerade nicht stattgefunden. Wurde ein Rechtsbehelf gem. Art. 43 EuGVVO nicht eingelegt, hat die Argumentation, wonach die Durchführung eines Erkenntnisverfahrens den Gleichstellungsansatz rechtfertigt, somit wenig Überzeugungskraft. 642
Hat der Schuldner von der Rechtsbehelfsmöglichkeit nach Art. 43 EuGVVO Gebrauch gemacht und hat das Gericht daraufhin in einem kontradiktorischen Verfahren über die Vollstreckbarkeit entschieden, tendiert Gaudemet-Tallon zur Gleichstellungslehre, denn dann liege eine ausdrückliche Entscheidung über die Durchsetzbarkeit im Zweitstaat vor.22 Eine Unterscheidung danach, ob in casu ein Rechtsbehelfsverfahren stattgefunden hat (dann Gleichstellung) oder nicht (dann Wirkungserstreckung), erscheint jedoch nicht sinnvoll. Denn dies würde zu einer Ungleichbehandlung führen, die weder in der EuGVVO angelegt ist noch mit deren Sinn und Zweck zu vereinbaren wäre. Außerdem hätte es der Vollstreckungsschuldner dann in der Hand, durch Einlegung eines unbegründeten Rechtsbehelfs gegen die Vollstreckbarerklärung deren Wirkung zu beeinflussen.
643
Aber selbst wenn man das Exequaturverfahren als Erkenntnisverfahren einordnen wollte, ist fraglich, warum dies für die Geltung der Gleichstellung sprechen soll. Erkenntnisverfahren heißt hier nämlich nicht, dass die Begründetheit als solche erneut überprüft würde. Sowohl Anerkennung als auch die Vollstreckbarerklärung haben ihren Ausgangspunkt ausschließlich im Vorliegen der ausländischen Entscheidung; die Berücksichtigung materiellen Rechts ist als révision au fond verboten (Art. 36, 45 II EuGVVO). Die Situation der Vollstreckbarerklärung ist daher keinesfalls mit dem Fall vergleichbar, dass der Anspruch selbst ausgeurteilt worden wäre. Wäre dies im Zweitland erfolgt, wäre der dort erlassene Titel freilich ausschließlich nach dem dortigen Vollstreckungsrecht durchzusetzen. Demgegenüber ist das Exequaturverfahren aber genauso weit von der Rechtsermittlung ent19
Kropholler, EuZPR, 8. Aufl. 2005, Art. 41 EuGVVO Rn. 6. Gaudemet-Tallon, Règlement no 44/2001, 3. Aufl. 2002, Rn. 348 (S. 282), 374 (S. 303). 21 Gaudemet-Tallon, Règlement no 44/2001, 3. Aufl. 2002, Rn. 374 (S. 303). 22 Gaudemet-Tallon, Règlement no 44/2001, 3. Aufl. 2002, Rn. 374 (S. 303). 20
§ 8 Vergleich der Vollstreckbarerklärung mit der Anerkennung
327
fernt wie die Anerkennung. Daher hat die Entscheidung, dass ein ausländischer Titel vollstreckt werden darf, nicht mehr Autorität als die inzidente Feststellung, dass dieser anerkennungsfähig ist. Somit erscheint nur eine Interpretation der Exequaturentscheidung sinn- 644 voll: Mit dieser steht lediglich fest, dass der Titelinhaber im Zweitstaat ein Verfahren zur Anspruchsdurchsetzung betreiben darf, er also Zugang zum dortigen Zwangsapparat erhält. Dass hierbei die einzelnen Befugnisse weiter als im Ursprungsland gehen sollen, hat das Gericht jedoch nicht entschieden. Genau dies könnte aber eine Gleichstellung in Bezug auf die Vollstreckbarkeit mit sich bringen, da durchaus denkbar ist, dass im Zweitstaat stärkere Vollstreckungsbefugnisse vorgesehen sind als im Ursprungsstaat. 3. Zwischenergebnis Aus den verfahrenrechtlichen Unterschieden zwischen Anerkennung und 645 Vollstreckbarerklärung unter der EuGVVO kann somit nicht gefolgert werden, dass die Wirkungen beider Arten des Titelimports unterschiedlich zu bestimmen wären. Die Ausgangsüberlegung, die für die Anerkennung entwickelte Wirkungserstreckung auch auf die Vollstreckbarerklärung anzuwenden, ist damit noch nicht widerlegt. II. Qualitative Unterschiede zwischen den anerkennungsfähigen Wirkungen und der Vollstreckbarkeit als Grund für anderen Wirkungsbestimmungsansatz Zu untersuchen bleibt, ob die qualitativen Unterschiede zwischen den an- 646 erkennungsfähigen Wirkungen einerseits und der Vollstreckbarkeit andererseits erfordern, die Wirkungen von Anerkennung und Vollstreckbarerklärung abweichend zu bestimmen. 1. Die unterschiedlichen Adressaten der verschiedenen Wirkungen Die Vollstreckbarkeit ausländischer Entscheidungen unterscheidet sich 647 von deren anderen Wirkungen in ihrem Adressaten. Erstere richtet sich an die zweitstaatlichen Vollstreckungsorgane und erfordert deren Tätigwerden. Da es diesen in der Regel nicht möglich wäre, die Voraussetzungen für die Durchsetzung der ausländischen Entscheidung zu prüfen, ist ein vorheriges förmliches Exequaturverfahren unverzichtbar.23 Alle anderen Entschei23 Schütze, Anerkennung und Vollstreckung, 1960, S. 55 f. Zumindest in manchen Ländern wären die Vollstreckungsorgane zu den erforderlichen rechtlichen Beurtei-
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Teil III: Die Wirkungen der Vollstreckbarkeit mitgliedstaatlicher Titel
dungswirkungen sind hingegen nicht vollstreckungsfähig, verlangen damit kein Tätigwerden von Vollstreckungsstellen.24 Rechtskraft, Rechtskraftpräklusion, Interventions- und Streitverkündungswirkungen betreffen ohnehin nur die prozessuale Beziehung der Beteiligten und brauchen daher nur im nachfolgenden Verfahren, in dem sie sich auswirken sollen, vom Gericht berücksichtigt werden. Dieses verfügt über ausreichend juristische Sachkompetenz, um die Anerkennungsvoraussetzungen selbst inzidenter zu prüfen. Ebenso verhält es sich mit Feststellungs- und Gestaltungswirkung, die ohne Zwangsmittel auskommen.25 Die anerkennungsfähigen Entscheidungswirkungen sind also dadurch gekennzeichnet, dass sie sich zwanglos realisieren; insoweit ist die „Vollstreckung“ gewissermaßen bereits in der ausländischen Entscheidung enthalten. 648
Das Nebeneinander beider Varianten des Titelimports ist also der Aufgabenaufteilung zwischen Organen der Rechtserkenntnis und solchen der Rechtsdurchsetzung geschuldet. Es lässt sich hieraus jedoch nicht ableiten, dass eine grundlegend abweichende Bestimmung der jeweiligen Wirkungen erforderlich wäre. Ganz im Gegenteil könnte das Exequaturgericht im vorgeschalteten Vollstreckbarerklärungsverfahren – wie auch bei der Anerkennung – genau ermitteln, welche Befugnisse die Vollstreckbarkeit entsprechend ausländischem Recht gewährt und dies in der Vollstreckungsklausel angeben. Die eingangs angestellte Erwägung, dass auch im Bereich der Vollstreckbarerklärung die Wirkungserstreckung Platz greifen könnte, ist somit noch nicht hinfällig geworden. 2. Die unterschiedlichen Sachfragen der verschiedenen Wirkungen
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Von den anerkennungsfähigen Wirkungen unterscheidet sich die Vollstreckbarkeit auch dadurch, dass sie auf einer anderen „Wirkstufe“ steht und andere Sachfragen betrifft als jene. Alle Entscheidungseffekte, die Gegenstand der Anerkennung sind, bezwecken die Ausgestaltung oder Effektuierung materieller Rechtsverhältnisse. Schließlich wirken sie sich ausschließlich in einem späteren zweitstaatlichen Erkenntnisverfahren aus, sobald dort die materielle Rechtslage ermittelt wird. So führt etwa die Rechtskraft dazu, dass eine ausländische Erkenntnis über Inhalt und Umlungen nicht in der Lage. Das wäre etwa beim Gerichtsvollzieher deutscher Prägung der Fall. Demgegenüber verfügt allerdings der huissier de justice in Frankreich oder auch der High Court Enforcement Officer in England über eine hohe juristische Qualifikation. s. hierzu später unter Rn. 707–709 (Frankreich) u. 703–706 (England). 24 s. bereits eingangs Rn. 1–4. 25 Kropholler, EuZPR, 8. Aufl. 2005, Art. 33 EuGVVO Rn. 2. Die Anerkennungsfähigkeit kann ggf. nach Art. 33 II EuGVVO festgestellt werden.
§ 8 Vergleich der Vollstreckbarerklärung mit der Anerkennung
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fang eines bestimmten Rechtsverhältnisses auch im Zweitstaat nicht in Frage gestellt werden kann. Im Ergebnis genauso wirkt die Feststellungswirkung. Die prozessualen Drittwirkungen wiederum stellen sicher, dass die ausländische Entscheidung auch dann berücksichtigt wird, wenn die Rechtsverhältnisse zwischen anderen Personen als den Parteien des Ursprungsverfahrens beurteilt werden. Und die Gestaltungswirkung führt dazu, dass im Zweitland von der umgeformten Rechtslage auszugehen ist. All diesen Wirkungen ist gemein, dass sie in späteren Erkenntnisverfah- 650 ren greifen, wenn es um die Klärung materieller Rechtslagen geht. Es verwundert daher nicht, dass für deren Ausgestaltung – neben prozessualen Zumutbarkeitsgesichtspunkten – materiellrechtliche Erwägungen eine entscheidende Rolle spielen: Die Reichweite der Rechtskraft in objektiver Hinsicht hängt auch davon ab, wie groß das Interesse an Rechtswahrheit in nachfolgenden Erkenntnisverfahren ist, was wiederum von der Natur des judizierten Rechtsverhältnisses beeinflusst wird. Auch der subjektive Umfang der Rechtskraft und der Inhalt der Gestaltungswirkung hängen entscheidend vom materiellen Recht ab. Demgegenüber geht es beim Inhalt der Vollstreckbarkeit um die nach- 651 gelagerte Frage, wie ein einmal ermittelter Anspruch zwangsweise durchgesetzt werden kann. Die Vollstreckung ist die finale Stufe des Rechts und zugleich der erste Moment, in dem der Inhalt der Rechtsordnung unmittelbar in die Außenwelt tritt.26 Zu diesem Zeitpunkt stehen die Ansprüche auf Ebene des materiellen Rechts fest. Deren Durchsetzbarkeit entscheidet jetzt nur noch, inwieweit sie mit staatlicher Gewalt erzwungen werden können, setzt also gewissermaßen eine Etappe später ein. In dieser geht es in erster Linie um die Abwägung zwischen dem Realisierungsinteresse des Gläubigers und den persönlichen Freiheiten des Schuldners. Insofern unterscheiden sich die anerkennungsfähigen Entscheidungswirkungen und die Vollstreckbarkeit in den zu Grunde liegenden Sachfragen und Wertungsgesichtspunkten, was eine differenzierte Behandlung rechtfertigt.27 Denn nur die Frage, inwieweit ein Staat bereit ist, seine hoheitliche Macht einem Privatrechtssubjekt zur Verfügung zu stellen, um dessen Anspruch zwangsweise gegen den Verpflichteten durchzusetzen, betrifft unmittelbar die Ausübung hoheitlicher Macht. Es handelt sich insoweit um Aspekte, die das Rechtsverhältnis zwischen 652 Vollstreckungsschuldner und Vollstreckungsstaat betreffen, bei denen mithin der öffentlich-rechtliche Charakter besonders deutlich zu Tage tritt. Freilich sind – nach deutscher Vorstellung – alle Regelungen des Zivilverfahrens26 27
Kerameus, Recueil des Cours 1997, S. 183 (216). So auch Treibmann, Vollstreckung in Europa, 1994, S. 144.
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rechts öffentlich-rechtlicher Natur. Sie wird aber bei den vollstreckungsrechtlichen Bestimmungen besonders deutlich. Weil in deren Ausgestaltung grundlegende einzelstaatliche Auffassungen über das Verhältnis von Staat und Privatem zum Ausdruck kommen, könnte es die Souveränität des Zweitstaates in besonderem Maße beeinträchtigen, wenn diesem eine ausländische Rechtsordnung vorgeben würde, inwieweit er staatlichen Zwang zur privaten Rechtsdurchsetzung zur Verfügung zu stellen hat. Damit ist ein Argument für die Gleichstellung gefunden. Es trifft aber nur auf das Verfahren der Vollstreckung zu, nicht auch auf den Inhalt des Leistungsbefehls des ausländischen Titels. 653
Dieses Argument greift auch im Bereich der EuGVVO, denn auch hier bleibt dem Vollstreckungsstaat die Entscheidung überlassen, inwieweit er staatlichen Zwang in den Dienst privater Rechtsdurchsetzung stellen will. Schließlich gilt auch hier der Grundsatz, dass die Durchführung der Vollstreckung der lex fori executionis unterliegt.28 Dies lässt sich insbesondere an Art. 22 Nr. 5 EuGVVO ablesen, der im Vollstreckungsstaat einen ausschließlichen Gerichtsstand für Zwangsvollstreckungssachen vorsieht. Dieser ist dem Umstand geschuldet, dass sich das Verfahren der Zwangsvollstreckung nach dem örtlichen Recht richtet.29
654
Man kann daher festhalten, dass es dem Zweitstaat in besonderem Maße überlassen bleiben muss, die im Inland durchzuführende Vollstreckung zu regeln und damit auch den Inhalt der Vollstreckbarkeit vorzugeben. Eine derartige Rücksicht auf die Rechtsordnung des Zweitstaates ist bei den anerkennungsfähigen Wirkungen nicht erforderlich. Hier reicht eine Wirkungsbegrenzung anhand des zweitstaatlichen ordre public aus.30 3. Gesteigertes Bedürfnis nach Rechtssicherheit in der Vollstreckung
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Für die Geltung der Gleichstellung im Rahmen der Vollstreckbarerklärung wird schließlich auch mit dem Postulat der Rechtssicherheit argumentiert.31 Würde die Vollstreckbarkeit eines Titels in das Ausland erstreckt, so ließe deren nachträglicher Wegfall im Ursprungsstaat automatisch auch die Vollstreckbarkeit im Zweitland entfallen, weil dann nichts mehr erstreckt werden könnte. Ein solcher automatischer Entfall der Vollstreckbarkeit im 28
Vgl. Fn. 3 (S. 317). EuGH, 26.03.1992 – Rs. C-261/90, Reichert u. a. ./. Dresdner Bank AG (Reichert II), Slg. I-1992, 2149, Rn. 26. In diesem Sinne dürfte auch der Jenard, Bericht z. EuGVÜ 1968, S. 36 zu Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ zu verstehen sein, vgl. hierzu später Rn. 891. 30 Vgl. Rn. 119–152. 31 Geimer, Anerkennung, 1995, S. 163 f. 29
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Zweitland würde jedoch die Rechtssicherheit beeinträchtigen, weswegen die Vollstreckbarerklärung nur Wirkungsverleihung sein könne.32 Allerdings erfordert der Gedanke der Rechtssicherheit nicht, dass auch 656 der Inhalt der verliehenen Vollstreckbarkeit nach der Gleichstellungslehre bestimmt wird. Es soll nicht in Abrede gestellt werden, dass sie nicht ohne weiteres im Zweitland entfallen sollte. Deswegen muss sie aber nicht inhaltlich deckungsgleich sein mit der von inländischen Entscheidungen. Außerdem kann der Schuldner bei Wegfall der Vollstreckbarkeit im Ursprungsland auch die Vollstreckbarerklärung im Zweitland beseitigen lassen.33 Hieran kann man erkennen, dass auch die Vollstreckbarkeit im Zweitland ihren eigentlichen Geltungsgrund in einer Wirkungserstreckung hat. Der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit erfordert also nicht die Geltung der Gleichstellung hinsichtlich des Inhaltes der Vollstreckbarkeit im Zweitland. 4. Hohe Verflechtung des Inhaltes der Vollstreckbarkeit mit der nach zweitstaatlichem Recht ablaufenden Vollstreckung Die Vollstreckbarkeit unterscheidet sich von den sonstigen Entschei- 657 dungswirkungen in ihrer stärkeren Wechselwirkung mit verfahrensrechtlichen Grundbedingungen des Zweitstaates. Nur sie muss im Wege eines Beitreibungsverfahrens verwirklicht werden. Dieses ist aus Gründen völkerrechtlicher Souveränität von den örtlichen Organen zu bewerkstelligen. Sinnvollerweise können diese ausschließlich nach ihrem eigenen Recht tätig werden, da dieses auf die Strukturen vor Ort zugeschnitten ist. Es drohten unüberwindbare Spannungen, wenn inländische Funktionäre nach ausländischen Vorschriften vorgehen müssten. Aus diesem Grunde ist bei der Ausgestaltung der instrumentellen Seite der Vollstreckung kein Platz für ausländisches Recht. Die Vollstreckbarkeit betrifft aber in erster Linie Aspekte des Ablaufs der Beitreibung, die wegen deren Einbettung in die lokalen Strukturen nur vom örtlichen Recht vorgegeben werden können. Dies läuft auf die Geltung der Gleichstellung hinaus. Ob eine Durchsetzung möglich ist, richtet sich demgegenüber gem. Art. 38 I EuGVVO nach dem Recht des Ursprungslandes, was an die Wirkungserstreckung erinnert.34 32 Geimer, Anerkennung, 1995, S. 163 f.; Geimer, in: FS Georgiades, 2006, S. 489 (493). 33 In Deutschland geschieht dies im Wege der Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO, § 14 AVAG. Vgl. Geimer, in: FS Georgiades, 2006, S. 489 (493); Nelle, Anspruch, Titel u. Vollstr., 2000, S. 505. In den anderen Ländern müssen die funktional entsprechenden Rechtsbehelfe greifen, s. hierzu unter Teil III § 10 B. I. (Rn. 857–869). 34 In diesem Sinne auch Kerameus, Recueil des Cours 1997, S. 183 (200), der den Umstand, dass Art und Umfang der Vollstreckbarkeit nach dem Recht des Ur-
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Eine genauere Betrachtung zeigt, dass dies bei den anerkennungsfähigen Wirkungen im Prinzip nicht anders ist. Auch diese müssen in das Erkenntnisverfahren des Zweitstaates integriert werden, was sich nur nach der dortigen lex fori richten kann.35 Ob die Rechtskraft einer ausländischen Entscheidung im Inland ein ne bis in idem auslöst oder eine Bindungswirkung auf Ebene des materiellen Rechts, kann nur das inländische Recht vorgeben. Insofern hat die Wirkungserstreckungslehre auch im Bereich der Anerkennung ihre Grenzen: Sie überlässt dem Recht des Zweitstaates die verfahrenstechnische Umsetzung einer Wirkung. Insoweit gilt genau genommen also auch hier eine Gleichstellung. In der praktischen Handhabung macht sich diese freilich kaum bemerkbar, weil sich die anerkennungsfähigen Wirkungen ohne ein Vollzugsverfahren zweitstaatlicher Stellen entfalten. Rechtskraft, Präklusion, Feststellungs- und Gestaltungswirkung betreffen nur die zweitstaatliche Rechtserkenntnis. Verfahrenstechnische Regelungen für deren Behandlung im Zweitland sind kaum notwendig.
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Somit ist ein zweites Argument für die Gleichstellung im Bereich der Vollstreckbarerklärung aufgedeckt: Da das Beitreibungsverfahren nur nach den örtlichen Vorschriften ablaufen kann und die Vollstreckbarkeit in erster Linie verfahrensrechtliche Aspekte betrifft, richtet sich ihr Inhalt größtenteils nach dem Recht am Vollstreckungsort. Dies gilt allerdings nur hinsichtlich der Gesichtspunkte des Ablaufes des Vollstreckungsverfahrens, wie etwa Zuständigkeitsverteilung zwischen den Vollstreckungsorganen, einzelne Verfahrensschritte bei Pfändung und Verwertung von Sachwerten, etc. III. Ergebnis des Vergleichs von Anerkennung und Vollstreckbarerklärung: Übereinstimmende Unterscheidung zwischen „Ob“ und „Wie“ einer Wirkung im Zweitland
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Der Vergleich von Anerkennung und Vollstreckbarerklärung unter der EuGVVO zeigt, dass beide Mechanismen übereinstimmend dazu dienen, Entscheidungswirkungen auf das Gebiet anderer Mitgliedstaaten zu erstrecken. Dies und die Ähnlichkeit der erfassten Wirkungen legen es nahe, deren Inhalt im Zweitland nach denselben Prinzipien zu beurteilen. Gegen eine solche Gleichbehandlung spricht jedenfalls nicht – wie sich im Vorausgegangenen gezeigt hatte – der Umstand, dass die Vollstreckbarkeit durch das besondere Exequaturverfahren verliehen wird, während die übrigen teilslandes beurteilt werden müssen, als eine Ausnahme zum lex fori-Grundsatz der Vollstreckung sieht. 35 s. bereits oben Rn. 237 zur Wirkungsweise der Rechtskraft u. allg. oben Rn. 157 f.
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Wirkungen lediglich inzidenter anerkannt werden. Grundsätzlich lässt sich damit eine Parallele zwischen Anerkennung und Vollstreckbarerklärung feststellen und auch zur Bestimmung der Wirkungen der letzteren die Wirkungserstreckungslehre heranziehen. Jedoch haben die vorangegangenen Ausführungen auch ergeben, dass es 661 zum Schutz der Rechtsordnung des Zweitstaates und wegen der Verflechtungen mit den dortigen Strukturen unausweichlich ist, die meisten Aspekte der Vollstreckung nach dem örtlichen Recht zu beurteilen, insofern mithin einer Gleichstellung zu folgen. Damit ist die Geltung der Wirkungserstreckung aber nur hinsichtlich solcher Gesichtspunkte widerlegt, die allein den Ablauf bzw. die Durchführung der Vollstreckung betreffen. Für Fragen, die sich nicht allein auf die instrumentelle Seite der Anspruchsdurchsetzung beziehen, sondern eher den Inhalt des Titels betreffen, kann es allerdings bei der Wirkungserstreckungslehre bleiben. Schließlich hat die Untersuchung auch gezeigt, dass schon bei der Aner- 662 kennung, die ja eigentlich Domäne der Wirkungserstreckungslehre ist, die Gleichstellungslehre nicht völlig verdrängt ist: Vielmehr gilt auch hier, dass die instrumentelle Seite einer erstreckten Wirkung im Zweitland den örtlichen Regeln unterliegt. Somit bestimmen sich die Wirkungen der Anerkennung und der Voll- 663 streckbarerklärung nach einem einheitlichen Schema: Jeweils spielen Wirkungserstreckungs- und Gleichstellungslehre in der Form zusammen, dass sich Aspekte des „Ob“ einer Wirkung nach dem Recht des Ursprungslandes richten, während das „Wie“ einer Wirkung vom Zweitstaatrecht vorgegeben wird. Zur Antwort auf die Frage nach den Effekten von Vollstreckbarerklärung bzw. bloßer Anerkennung sind demnach die einzelnen Aspekte zuzuordnen – je nach dem richten sie sich nach der Wirkungs- (wenn Aspekt des „Ob“) oder der Gleichstellungslehre (wenn Aspekt des „Wie“). Da die anerkennungsfähigen Wirkungen ein Tätigwerden zweitstaatlicher 664 Vollzugsstellen nicht erfordern, ergeben sich bei ihnen kaum Fragen des „Wie“, so dass im Ergebnis fast ausschließlich eine Wirkungserstreckung gilt. Demgegenüber determiniert die Vollstreckbarkeit die Durchführung des Vollstreckungsverfahrens, weswegen sich Vollstreckung und Vollstreckbarkeit auch kaum voneinander trennen lassen.36 Damit betrifft der Inhalt der Vollstreckbarkeit in erster Linie Fragen des „Wie“, so dass insofern fast alle Gesichtspunkte nach einer Gleichstellung zu beurteilen sind. Dieser Unterschied in der „Beschaffenheit“ der einzelnen Wirkungen dürfte der Grund dafür sein, dass die h. M. bislang davon ausgeht, die Vollstreckbar36 s. zum Verhältnis zwischen Vollstreckbarkeit und Vollstreckung bereits oben Rn. 622.
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erklärung bewirke nichts als eine Gleichstellung, während sie gleichzeitig für die Anerkennung annimmt, sie sei eine Wirkungserstreckung. Dieser divergierende Ansatz wird an dieser Stelle zurückgewiesen. Es wird dafür plädiert, zukünftig einem einheitlichen Schema in dem zuvor beschriebenen Sinne zu folgen.
B. Der Inhalt der Vollstreckbarkeit im jeweiligen Zweitstaat – eine Prämissenbildung 665
Die zuvor gefundene Unterscheidung zwischen „Ob“ und „Wie“ der Vollstreckung als Maßstab zur Bestimmung des Inhalts der Vollstreckbarkeit im Zweitland ist nun noch recht grob und unspezifisch. Es ist daher Aufgabe der nachfolgenden §§ 9–11, den Inhalt der ausländischen Titeln verliehenen Vollstreckbarkeit und damit die Wirkungen der Vollstreckbarerklärung in ihren einzelnen Details zu klären. Vorab wollen wir aber noch einige Grundprinzipien betrachten, die allgemein zur Bestimmung der Wirkungen der Vollstreckbarerklärung gelten und damit die Grundlage für die nachfolgenden Untersuchungen liefern. Drei Prämissen lassen sich insoweit aufstellen: I. Prämisse 1: Keine Veränderung des Leistungsbefehls des Urteils durch Vollstreckbarerklärung
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Auch wenn gewisse Aspekte der Anspruchsdurchsetzung im Zweitland nur entsprechend einer Gleichstellung beantwortet werden können, soll der Leistungsbefehl durch die Vollstreckbarerklärung nicht verändert werden: Diese will dem Gläubiger weder mehr bescheren, als dieser im Ausgangsland hätte. Noch soll durch sie der Titelinhalt reduziert werden.
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Dass eine Rechtserzeugung nicht bezweckt ist, dürfte im Ergebnis unstreitig sein. Dies folgt aus dem Zweck der Art. 38 ff. EuGVVO, die lediglich darauf gerichtet sind, dem Vollstreckungsgläubiger den erlangten Prozesserfolg auch im Ausland zu erhalten und dort nutzbar zu machen. Im Einklang hiermit ist eine Vollstreckbarerklärung nur möglich, wenn die Entscheidung auch im Ursprungsland durchsetzbar ist, vgl. Art. 38 I EuGVVO. Hiermit wäre es nicht vereinbar, wenn der Leistungsbefehl nachträglich erweitert würde. Dies würde auch das prozessuale Vertrauen der Beteiligten verletzen. Es entspricht daher einem gefestigten Grundsatz, dass Art und Umfang des Leistungsbefehls vom Recht des Ursprungslandes vorgegeben werden müssen.37 Die Maßgabe, dass Gläubigerbefugnisse nicht erweitert 37 Mansel, IPRax 1995, S. 362 (365); Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. I/Mankowski, 2011, Art. 38 EuGVVO Rn. 13; OLG Hamburg, 05.08.1993 – 6 W 92/89, IPRax 1995, S. 391. Ebenso OLG Hamm, 27.06.1996 – 1 W 102/95, IPRax 1998, S. 202
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werden dürfen, muss allerdings präzisiert werden. Da das Exequatur zu einer verfahrenstechnischen Gleichstellung führt, sind Intensivierungen der Vollstreckungsbefugnisse nicht auszuschließen (dazu sogleich Prämisse 2). Eine Erweiterung von Gläubigerrechten dergestalt, dass Unvollstreckbares plötzlich vollstreckbar wird, ist jedoch mit Art. 38 I EuGVVO nicht vereinbar38 und durch Prämisse 1 ausgeschlossen. Die Zwecke der EuGVVO verlangen umgekehrt ebenso, dass der Titel- 668 inhalt im Zweitland grundsätzlich nicht verkürzt wird. Die Vollstreckbarerklärung eröffnet dem Gläubiger Zugriff auf den Vollstreckungsapparat im Zweitstaat und zwar hinsichtlich des gesamten Anspruchsinhaltes, der auch im Ursprungsland durchgesetzt werden könnte. Als weiterer Aspekt von Prämisse 1 lässt sich damit der Grundsatz aufstellen, dass der Leistungsbefehl im Zweitland nicht verkürzt werden soll. Auch dieses Postulat kann dadurch Einschränkungen erfahren, dass die Beitreibung im Zweitland nur im Wege der örtlichen Vollstreckungsordnung erfolgen kann und diese ggf. weniger schneidig ausgestaltet ist (dazu Prämisse 3). An dieser Stelle ist als Prämisse 1 festzuhalten, dass durch die Voll- 669 streckbarerklärung der Leistungsbefehl im Zweitland grundsätzlich nicht verändert, d.h. weder erweitert noch verkürzt werden soll. II. Prämisse 2: Intensivere Wirkungen allein aufgrund Abweichungen funktionell entsprechender Vollstreckungsregelungen sind zu akzeptieren Der zuvor aufgestellte Grundsatz, wonach der Leistungsbefehl durch die 670 Vollstreckbarerklärung nicht verändert werden darf, erfährt dadurch gewisse Einschränkungen, dass der Anspruch im Zweitland nur nach der dortigen Vollstreckungsordnung durchgesetzt werden kann, also im Wege der vor Ort zur Verfügung stehenden Mittel und entsprechend der hier geltenden Regeln. Insofern wird der aus dem Ausland stammende Titel in Bezug auf das Vollstreckungsverfahren einem vor Ort ergangenen gleichgestellt. Dies kann dazu führen, dass der Leistungstitel im Zweitstaat mit effektiveren (203): Für und gegen wen der Titel vollstreckt werden kann, richtet sich nach dem Recht des Urteilslandes. Ebenso OLG Düsseldorf, 27.11.1996 – 3 W 124/96, IPRax 1998, S. 478: Weil ein Garantieurteil aus Frankreich dort wie ein Zahlungstitel des Garantieberechtigten gegen den Garantieverpflichteten vollstreckt wird, ist es auch in Deutschland einer Geldleistungsvollstreckung zugänglich. 38 Gaudemet-Tallon, Règlement no 44/2001, 3. Aufl. 2002, Rn. 372 (S. 300) unter Berufung auf EuGH, 04.02.1988 – Rs. 145/86, Hoffmann ./. Krieg, IPRax 1989, S. 159; Matscher, ZZP 95 (1982), S. 170 (171 Fn. 3). Ähnlich Geimer, Anerkennung, 1995, S. 164: Zur Ermittlung des Umfangs der im deutschen Vollstreckungsurteil angeordneten Vollstreckbarkeit ist auch der ausländische Titel heranzuziehen.
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Mitteln vollzogen wird als im Erststaat und ihm insofern dort stärkere Wirkungen zukommen.39 Fraglich ist aber, inwieweit derartige Wirkungsintensivierungen mit der Maßgeblichkeit der lex fori gerechtfertigt werden können und noch mit Prämisse 1 zu vereinbaren sind. Dies soll nachfolgend untersucht werden. Dazu sind zunächst die Gründe für die Geltung der lex fori executionis zu analysieren [1.], um ausgehend hiervon Prämisse 2 zu entwickeln [2.]. 1. Gründe für die Herrschaft der lex fori executionis über die Vollstreckung ausländischer Titel 671
Dass die Vollstreckung ausländischer Titel nach der lex fori executionis erfolgt, ist als Grundsatz allgemein anerkannt.40 Im Anwendungsbereich der EuGVVO lässt sich insbesondere Art. 22 Nr. 5 und Art. 40 I ein Bekenntnis zur zweitstaatlichen Beitreibungsordnung entnehmen.41 Insbesondere aus vier Gründen unterliegt die Anspruchsdurchsetzung dem örtlichen Vollstreckungsrecht: Erstens handelt es sich bei der Vollstreckung um ein Zivilverfahren, für das die klassische Regel „lex fori regit processum“ gilt. Zweitens betrifft zumindest die Vermögensvollstreckung die am Ort belegenen Sachen, deren rechtlicher Status auch sonst der lex rei sitae unterliegt. Und drittens verlangen Praktikabilitätsgesichtspunkte die Geltung des zweitstaatlichen Vollstreckungsrechts. Dieses ist schließlich auf die lokalen Strukturen, insbesondere die Zuständigkeitsaufteilung zwischen den mit der Behandlung ausländischer Titel befassten Organen zugeschnitten.
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Den vierten und entscheidenden Gesichtspunkt für die Geltung der lex fori executionis liefert allerdings die gebotene Rücksichtnahme auf die rechtlichen Grundüberzeugungen im Vollstreckungsland. Grundsätzlich wird es jeder Staat als Beeinträchtigung seiner territorialen Integrität empfinden, wenn ihm ein ausländisches Land vorschriebe, wie er im eigenen Staatsgebiet Hoheitsmacht ausüben soll. Ganz besonders gilt dies im Bereich der 39 So etwa Mankowski, ZZP Int. 4 (1999), S. 276 (276–279); Schlosser, EuZPR, 3. Aufl. 2009, Art. 33 EuGVVO Rn. 2; Pfeiffer, in: Gilles (Hrsg.), Transnationales Prozeßrecht, 1995, S. 77 (105). 40 Vgl. Kerameus, Recueil des Cours 1997, S. 183 (379 f.). Unter lex fori executionis wird hier das Recht des Staates verstanden, dessen Vollstreckungsstellen tätig werden. Davon zu unterscheiden ist die lex loci executionis, also das Recht des Ortes, wo der Vollstreckungszugriff erfolgt. Wegen der Territorialität der Vollstreckung sind lex fori executionis und lex loci executionis in aller Regel identisch. 41 Bitter, EU-Vollstreckung, 2009, S. 135; Bruns, ZZP 118 (2005), S. 3 (16). Dass in der EuGVVO die Vollstreckung nach der lex fori des Vollstreckungsstaates abläuft, vgl. bereits Fn. 6 (S. 318). Folgerichtig trifft die EuGVVO – abgesehen von den Art. 46, 47 und 49 – selbst keine Regelungen über die Durchführung der Zwangsvollstreckung.
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Vollstreckung: Es kann die Rechtsordnung des Vollstreckungsstaates empfindlich stören und damit dessen Souveränität verletzen, wenn Art und Weise der Zwangsanwendung durch auswärtige Regelungen vorgegeben würden. Denn Vollstreckung ist Ausübung psychischen oder physischen Zwangs und hat daher in besonderem Maße hoheitlichen Charakter. Darüber hinaus ist die Frage, inwieweit staatliche Hoheitsmacht in den Dienst des Einzelnen gestellt wird, von grundsätzlichen Überzeugungen über den Stellenwert von Freiheitsrechten sowie der Rolle des Staates geprägt.42 Hierbei haben nationale Kultur und Tradition eine besondere Bedeutung.43 Gerade die Abwägung zwischen Gläubiger- und Schuldnerinteressen gehört damit zu den grundlegenden Wertentscheidungen einer Rechtsordnung.44 Würde sie von ausländischem Recht vorgenommen, drohten daher besonders massive Angriffe auf den exklusiven Herrschafts- und Gestaltungsanspruch des Zweitstaates. Diese werden durch die Geltung der lex fori executionis verhindert.45 Hinzu kommt, dass der Vollstreckungsstaat gegenüber dem Vollstre- 673 ckungsschuldner zur Einhaltung gewisser rechtlicher Anforderungen verpflichtet ist. Wird ein zivilrechtlicher Anspruch mit staatlicher Gewalt durchgesetzt, spielt sich dies ausschließlich in der öffentlich-rechtlichen Beziehung zwischen Zweitstaat und Vollstreckungsschuldner ab. Obwohl es um die Realisierung einer zwischen Privatrechtssubjekten bestehenden Forderung geht, betrifft das Vollstreckungsrecht ausschließlich die Zwangsausübung des Staates gegenüber dem Schuldner. Würde deren Art und Weise durch ausländisches Recht vorgegeben, bestünde die Gefahr, dass das Handeln der staatlichen Vollstreckungsstellen im Widerspruch zur zweitstaatlichen verfassungsrechtlichen Ordnung steht. Denn der Vollstreckungsstaat ist gegenüber dem Vollstreckungsschuldner an die Grundrechte und sonstigen Gewährleistungen seiner eigenen Verfassungsordnung gebunden. Eine Zwangsanwendung nach Maßgabe ausländischen Vollstreckungsrechts brächte daher nicht nur die Gefahr mit sich, dass der Vollstreckungsschuldner sie erfolgreich aufgrund ihrer Verfassungswidrigkeit im Zweitstaat anfechten kann. Es wäre auch denkbar, dass den Vollstreckungsstaat wegen der Vornahme verfassungswidriger Maßnahmen eine Staatshaftung trifft. Dieser hat daher ein legitimes Interesse daran, nur nach seinen eigenen Vorschriften zu vollstrecken, da diese eher im Zweitland verfassungskonform sind. Eine Staatshaftung kann den Staat im Übrigen auch gegenüber dem Vollstreckungsberechtigten treffen, wenn die Vollstreckungsregelungen 42
Treibmann, Vollstreckung in Europa, 1994, S. 147. Yessiou-Faltsi, in: Gottwald (Hrsg.), Justizielle Zusammenarbeit, 2004, S. 213 (217); Kerameus, Recueil des Cours 1997, S. 183, Nr. 50–54. 44 Treibmann, Vollstreckung in Europa, 1994, S. 144. 45 Bruns, ZZP 118 (2005), S. 3 (16). 43
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Teil III: Die Wirkungen der Vollstreckbarkeit mitgliedstaatlicher Titel
den zweitstaatlichen Anforderungen des Justizgewährungsanspruches nicht genügen. 674
Im Ergebnis zeigt sich somit, dass vor allem zum Schutz der zweitstaatlichen Rechtsordnung die Vollstreckung nur nach den dortigen Regeln ablaufen kann. Welche Fragen jedoch nicht zum Verfahren gehören und daher möglicherweise doch von ausländischen Vorschriften geregelt werden können, ist damit noch nicht beantwortet. 2. Grenzen der Wirkungsintensivierungen aufgrund Maßgeblichkeit der lex fori executionis
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Wie eingangs erläutert, kann die Maßgeblichkeit der lex fori executionis Wirkungsintensivierungen mit sich bringen. Fraglich ist aber, wann derartige Verstärkungen nicht mehr gerechtfertigt und insbesondere mit Prämisse 1 unvereinbar sind. Da die zweitstaatliche Rechtsordnung – wie zuvor dargestellt – unausweichlich ist für die Vollstreckungstätigkeit im Zweitstaat, ist es ebenso unausweichlich, dass für ein und denselben Leistungsbefehl im Zweitland andere Vollstreckungsregelungen greifen als im Erstland. Das zweitstaatliche Vollstreckungsrecht erreicht dasselbe Ergebnis mit anderen Mitteln, regelt dieselbe Frage auf andere Weise. Dass der auswärtige Leistungsbefehl nur mittels der lokal verfügbaren Mittel durchgesetzt werden kann, gilt auch dann, wenn diese schneidiger oder stärker sind als ihre Funktionsäquivalente im Ursprungsland. Dass es hierbei zu einer Wirkungsintensivierung kommt, entspricht der üblichen Aufgabenteilung zwischen dem Recht des Ursprungslandes, das das „Ob“ der Vollstreckung vorzugeben hat, und dem Recht des Vollstreckungslandes, dem das „Wie“ überlassen ist.
676
Eine Verstärkung der Gläubigerbefugnisse ist allerdings nur hinnehmbar, soweit sie ausschließlich darauf zurückzuführen ist, dass die lex fori executionis für denselben Leistungsbefehl andere – aber funktional entsprechende – Regelungen vorsieht. Soweit demgegenüber die Erweiterung der Gläubigerbefugnisse nicht mehr allein auf unterschiedlich ausgestaltetes Verfahrensrecht zurückzuführen ist und sich die Befugnisse in Ursprungsund Zweitstaat in qualitativer Hinsicht voneinander unterscheiden, ist der Bereich des „Ob“ der Vollstreckung berührt, der vom Recht des Ursprungslandes vorgegeben werden muss und damit im Zweitland nicht erweitert werden kann.
677
Nach Prämisse 2 ermöglicht demnach die Gleichstellung in Bezug auf das Verfahren der Anspruchsdurchsetzung Zugriff auf alle Befugnisse des zweitstaatlichen Vollstreckungsrechts, die auch im Ursprungsrecht als Funktionsäquivalent angelegt sind.
§ 8 Vergleich der Vollstreckbarerklärung mit der Anerkennung
339
III. Prämisse 3: Keine Ungleichbehandlung von Titeln aus anderen Mitgliedstaaten und Inlandstiteln im Vollstreckungsverfahren Inwieweit sich als Prämisse 3 das Postulat einer Gleichbehandlung aus- 678 ländischer Titel mit inländischen aufstellen lässt, bedarf einer Erörterung. Der europarechtliche „effet utile“-Grundsatz verlangt jedenfalls, dass ausländischen Titeln im Zweitland eine ebenso effektive Vollstreckung zu Teil wird wie Inlandsentscheidungen, verbietet insofern also eine Diskriminierung [1.]. Eine andere Frage ist, inwieweit europarechtliche Vorgaben darüber hinausgehend eine Besserstellung ausländischer Titel gegenüber inländischen verlangen, um dem Titelinhaber im Zweitland Vollstreckungsbedingungen zu gewähren, die denen des Ursprungslandes gleichwertig sind [2.]. 1. Verbot der Schlechterstellung ausländischer Titel gegenüber inländischen wegen des gemeinschaftsrechtlichen „effet utile“-Grundsatzes Ein nach der EuGVVO erteiltes Exequatur soll dem Titelinhaber Zugang 679 zum zweitstaatlichen Vollstreckungsapparat eröffnen. Um diesem Zweck gerecht zu werden, ist der Titel von den örtlichen Beitreibestellen bestmöglich durchzusetzen.46 Dieses Erfordernis ergibt sich aus dem Grundsatz des „effet utile“. Hier- 680 bei handelt es sich um eine vom EuGH entwickelte Auslegungsmethode, nach der europarechtliche Normen so anzuwenden sind, dass das Gemeinschaftsrecht seine größtmögliche praktische Wirksamkeit entfaltet.47 Was sich aus diesem Auslegungsgrundsatz für die Behandlung ausländischer Titel durch das zweitstaatliche Vollstreckungsrecht ergibt, hat der EuGH zwar noch nicht entschieden. Gleichwohl hat der Gerichtshof allgemeine Anforderungen aufgestellt, die zu beachten sind, soweit Mitgliedstaaten nach ihrem nationalen Recht Gemeinschaftsregelungen vollziehen.48 Zwei Postulate wurden für diese Konstellation aus dem „effet utile“-Grundsatz abgeleitet: Zum einen dürfen die nationalen Bestimmungen nicht darauf hinauslaufen, dass die Verwirklichung der Gemeinschaftsregelung praktisch unmöglich wird (Effizienzgebot), zum anderen muss das nationale Recht im 46
Schlosser, IPRax 2006, S. 300 (301). Vgl. etwa EuGH, 26.02.1991 – Rs. C-292/89, Antonissen, Slg. 1991, 745, Rn. 12 bei der Auslegung des Primärrechts; EuGH, 27.09.1988 – Rs. C-189/87, Kalfelis ./. Schröder, Slg. 1988, 5565, Rn. 16 bei der Auslegung des EuGVÜ. s. ausführlich Streinz, in: FS Everling, Bd. II, 1995, S. 1491. 48 EuGH, 21.09.1983 – Rs. 205–215/82, Deutsche Milchkontor u. a. ./. Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1983, 2633. 47
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Vergleich zu den Verfahren, in denen über gleichartige, rein nationale Streitigkeiten entschieden wird, ohne Diskriminierung angewendet werden (Diskriminierungsverbot).49 681
Diese Anforderungen hat der Gerichtshof für die Rückforderung gemeinschaftswidriger Beihilfen aufgestellt. Diese vollzieht sich zwar nach den Bestimmungen des einzelstaatlichen Verwaltungsverfahrensrechts. Die darin enthaltenen Voraussetzungen für die Rücknahme eines eine Geldleistung gewährenden Verwaltungsaktes und die Rückforderung ausgezahlter Mittel sind aber – so der EuGH – bei Vollzug von Gemeinschaftsrecht nur insoweit anwendbar, wie sie mit dessen Anforderungen vereinbart werden können.50 Zu einem vergleichbaren Aufeinandertreffen europarechtlicher Bestimmungen mit einzelstaatlichem Recht kommt es beim Vollzug von Titeln, die nach der EuGVVO exequiert wurden. Denn die Pflicht der Mitgliedstaaten zur Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel ist europarechtlich vorgegeben, wie auch die Gründe für eine Verweigerung des Exequaturs abschließend geregelt sind. Da allein durch Erteilung des Exequaturs dem Zweck der EuGVVO – Erleichterung grenzüberschreitender Vollstreckung – noch nicht genüge getan wird, ergibt sich aus der Verordnung zugleich eine Pflicht des Zweitstaats zur Vollstreckung. Deren Umsetzung ist dem nationalen Recht überlassen, nach dem sich das Vollstreckungsverfahren richtet. Diese Konstellation entspricht der zuvor dargestellten beihilferechtlichen Problematik, in der ebenfalls eine europarechtliche Vorgabe in den Bahnen der örtlichen Vorschriften umgesetzt werden muss. Aus diesem Grunde können Effizienzgebot und Diskriminierungsverbot, die der EuGH aus dem europarechtlichen „effet utile“-Grundsatz entwickelt hat, auch zur Lösung der vorliegenden Fragestellung herangezogen werden.
682
Aus dem Effizienzgebot ergibt sich die Pflicht des Zweitstaates, dafür zu sorgen, dass das Exequatur überhaupt einen Sinn hat und der Gläubiger vor Ort von einer effektiven Vollstreckung Gebrauch machen kann. Das Diskriminierungsverbot, welches auch primärrechtlich in Art. 18 AEUV (ehem. Art. 12 EGV) verankert ist, verbietet eine Benachteiligung ausländischer Entscheidungen gegenüber inländischen. Konkret wäre es etwa unzulässig, wenn der Vollstreckungsstaat Vorbehalte gegenüber der Rechtspflege im Ursprungsland hat und daher Titel allein deswegen weniger effektiv durchsetzt. Exequierten Entscheidungen muss also der inländische Zwangsapparat in vollem Umfang zur Verfügung stehen. Grenzen ergeben sich insofern 49 EuGH, 21.09.1983 – Rs. 205–215/82, Deutsche Milchkontor u. a. ./. Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1983, 2633, Leitsatz Nr. 3 u. Rn. 22 f.; vgl. Streinz, in: FS Everling, Bd. II, 1995, S. 1491 (1500 f.). 50 Vgl. im einzelnen EuGH, 21.09.1983 – Rs. 205–215/82, Deutsche Milchkontor u. a. ./. Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1983, 2633, Rn. 30–33.
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aber aus Prämisse 1, wonach der Titelinhalt nicht erweitert werden darf, sowie aus Prämisse 2, wonach von zweitstaatlichen Vollstreckungsbefugnissen nur dann Gebrauch gemacht werden kann, wenn sie als Funktionsäquivalente auch im Ursprungsland vorhanden sind. 2. Gebot der Besserstellung ausländischer Titel gegenüber inländischen aufgrund eines europarechtlichen Behinderungsverbotes? Über diese aus dem „effet utile“-Prinzip begründete Gleichbehandlung 683 hinausgehend lässt sich möglicherweise auch das Erfordernis aufstellen, dass dem Gläubiger im Zweitland Vollstreckungsbefugnisse gewährt werden müssen, die den im Ursprungsland vorhandenen gleichwertig sind. Dann gölte ein Behinderungsverbot, kraft dessen dem Titelinhaber nicht dadurch Befugnisse verloren gehen dürfen, dass die zweitstaatliche Vollstreckungsordnung nur schwächere Vollstreckungsmittel bereithält. Manche Autoren gehen davon aus, dass der Gläubiger grundsätzlich 684 gleichwertige Befugnisse wie im Ursprungsstaat erlangen soll.51 Insofern käme es zu einer Besserstellung ausländischer Titel gegenüber inländischen, wenn das zweitstaatliche Vollstreckungsrecht weniger effektiv ist. Ob ein solches Behinderungsverbot europarechtlich greift, ist nachfolgend zu untersuchen. Dies könnte sich einerseits aus den Grundfreiheiten des Binnenmarktes ableiten lassen [a)], andererseits aus dem europarechtlichen Herkunftslandprinzip [b)]. a) Geltung eines Behinderungsverbotes zu Gunsten ausländischer Titel aufgrund der europäischen Grundfreiheiten? Zu untersuchen ist, ob sich aus den Grundfreiheiten ein Behinderungsver- 685 bot ergibt, nach dem Vollstreckungsgläubigern alle Titelbefugnisse gemeinschaftsweit erhalten bleiben müssen. Denkbar ist dies angesichts der Dassonville-Rspr. des EuGH, wonach die Warenverkehrsfreiheit (Art. 34 f. AEUV, ehem. Art. 28 f EGV) nicht nur Diskriminierungen ausländischer Produkte verbietet, sondern auch unterschiedslosen Regelungen entgegensteht, die „geeignet [sind], den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern“.52 Auch Dienstleistungs- (Art. 56 AEUV, ehem. 49 EGV) und Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV, 43 EGV) sowie Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV, 39 51 Fritzsche, ZZP Int. 7 (2002), S. 250 (259). In diese Richtung auch Mansel, IPRax 1995, S. 362 (363 f.); Gärtner, Auslandsvollstreckung, 1991, S. 256. 52 EuGH, 11.07.1974 – Rs. 8/74, Dassonville, Slg. 1974, 837, Rn. 1.
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Teil III: Die Wirkungen der Vollstreckbarkeit mitgliedstaatlicher Titel
EGV) werden heute als allgemeine Beschränkungsverbote in diesem Sinne verstanden.53 Die Grundfreiheiten dienen der Schaffung eines Wirtschaftsraumes ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen und Dienstleistungen gewährleistet ist (Binnenmarkt).54 Da auch die EuGVVO erklärtermaßen zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarktes beitragen soll55, erscheint es angemessen, bei deren Auslegung auch die primärrechtlichen Anforderungen der Grundfreiheiten zu berücksichtigen. 686
Unter Anwendung des Dassonville-Standards könnte insbesondere die Warenverkehrsfreiheit dadurch berührt sein, dass das Vollstreckungsrecht des Zweitstaates weniger effektive Zugriffsmöglichkeiten bereithält, als es das Recht im Ursprungsland getan hätte. Es wäre nämlich denkbar, dass einzelne Marktteilnehmer den Handel mit Partnern aus einem bestimmten Land scheuen, weil das dortige Vollstreckungssystem ineffektiv ist. Typischerweise muss die Beitreibung im Herkunftsland des Schuldners erfolgen, da dort in der Regel dessen Vermögen konzentriert ist. Deshalb könnten sich Unternehmen von Vertragsabschlüssen mit Personen aus Ländern mit ineffektivem Vollstreckungssystem abhalten lassen – auch wenn in anderen Staaten Gerichtsstände zur Titulierung eröffnet wären. Dies könnte grundsätzlich ausreichen, um den Schutzbereich der Warenverkehrsfreiheit zu eröffnen, da es nach der Dassonville-Formel auf den Grad der Handelsbeeinträchtigung nicht ankommt.
687
Allerdings hat der EuGH in der Entscheidung Keck u. Mithouard den insoweit breiten Schutzbereich eingeschränkt: Ausgenommen sind Regelungen reiner Verkaufsmodalitäten, die für alle im Inland tätigen Wirtschaftsteilnehmer unterschiedslos gelten und die den Absatz von Erzeugnissen aus dem Inland und von solchen aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in gleicher Weise berühren.56 Nur produktbezogene Regelungen, die typischerweise den ausländischen Erzeugnissen den Marktzugang erschweren (insbesondere Vorgaben, die eine Änderung des Produkts oder dessen Verpackung verlangen), bedürfen demnach einer europarechtlichen Rechtfertigung.57 Auch die Vorschriften des zweitstaatlichen Vollstreckungsrechts dürften letztlich als „Verkaufsmodalitäten“ in diesem Sinne einzuordnen sein, denn auch sie sind nicht produktbezogen und betreffen in- und ausländische Waren gleichermaßen. 53
Streinz, Europarecht, 8. Aufl. 2008, Rn. 797. Vgl. Art. 26 II AEUV. Zum Binnenmarkt gehört außerdem der freie Verkehr von Kapital. 55 Vgl. ErwG. 1 der EuGVVO. 56 EuGH, 24.11.1993 – Rs. C-267/91 u. C-268/91, Keck u. Mithouard, Slg. I-1993, 6097, Rn. 16. 57 Streinz, Europarecht, 8. Aufl. 2008, Rn. 864. 54
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Daher ist schon gar nicht der Schutzbereich der Warenverkehrsfreiheit er- 688 öffnet. Die primärrechtlich verankerten Grundfreiheiten können also nicht dadurch verletzt werden, dass ein Titelgläubiger im Zweitland von weniger oder weniger starken Vollstreckungsbefugnissen Gebrauch machen kann als im Ursprungsland. b) Geltung eines Behinderungsverbotes zu Gunsten ausländischer Titel aufgrund des „Herkunftslandprinzips“? Möglicherweise erfordert das sog. „Herkunftslandprinzip“, dass auslän- 689 dische Titel im Zweitland mittels derselben Mechanismen durchgesetzt werden, die auch im Ursprungsland gegriffen hätten. Das Herkunftslandprinzip besagt, dass Waren bzw. Dienstleistungen ausschließlich den rechtlichen Anforderungen ihres Ursprungslandes genügen müssen, um gemeinschaftsweit vertrieben werden zu können. Dieser Rechtsgrundsatz unterscheidet sich von den zuvor behandelten Grundfreiheiten insofern, als er nicht nur die Anwendung zweitstaatlicher Regeln versperrt, soweit diese die Gewährleistungen des Binnenmarktes ungerechtfertigt beeinträchtigen, sondern dass er stets für die Geltung der Vorschriften des Herkunftsstaates sorgt, unabhängig davon, ob andernfalls der Binnenmarkt in concreto beschränkt würde. Soweit es sich beim Herkunftslandprinzip um einen allgemeingültigen Grundsatz des Europarechts handelt, der möglicherweise nicht nur für den grenzüberschreitenden Austausch von Waren und Dienstleistungen gilt, sondern auch im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit, könnte er auch bei der Vollstreckung ausländischer exequierter Entscheidungen greifen und verlangen, dass diese im Zweitland nach den Regelungen des Ursprungslandes behandelt werden. Allerdings ist schon fraglich, ob es überhaupt ein allgemeines Herkunftslandprinzip in diesem Sinne gibt, das auch zur Auslegung der EuGVVO herangezogen werden könnte. Geboren wurde der Begriff des Herkunftslandprinzips im Zusammenhang 690 mit der sog. Dienstleistungsrichtlinie. Im Jahr 2004 hatte die Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie vorgelegt, die die Erbringung von grenzüberschreitenden Dienstleistungen in der EU erleichtern sollte.58 Der grundlegende Gedanke dieses Entwurfs war in seinem Art. 16 Nr. 1 unter der Überschrift „Herkunftslandprinzip“ enthalten: Nach diesem hätten Dienstleistungen in der gesamten EU angeboten werden können, wenn sie die im Herkunftsland des Dienstleistungserbringers geltenden Anforderungen erfüllen.59 Dies hätte gem. S. 2 der vorgeschlagenen Vorschrift für alle „nationalen Bestimmungen betreffend die Aufnahme und die Ausübung der 58 KOM(2010) 2 endg. v. 25.02.2004, verfügbar unter http://eur-lex.europa.eu/ de/editorial/registre.htm.
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Dienstleistung“ sowie für deren privatrechtliche Rahmenbedingungen gelten sollen.60 Nach diesem Regelungskonzept wäre etwa ein Berliner Starfriseur, der nach Österreich gereist ist, um dort anlässlich der Salzburger Festspiele prominenten Kundinnen die Haare zu schneiden, deutschen Vorschriften unterlegen bezüglich Aufnahme und Ausübung des Friseurberufs, der Qualität der Dienstleistung, diesbezüglicher Werbemöglichkeiten und seiner Haftung im Schadensfalle.61 Darüber hinaus sah Art. 16 Nr. 2 des Richtlinien-Entwurfs vor, dass ausschließlich die Behörden des Herkunftsmitgliedstaates die Einhaltung der maßgeblichen Vorschriften überwachen sollten. Die Tätigkeit des erwähnten Friseurs in Österreich wäre also von deutschen Behörden zu kontrollieren gewesen. 691
Dieser Regelungsvorschlag stieß jedoch insbesondere in Staaten mit höheren rechtlichen und sozialen Standards auf massiven Widerstand. Man befürchtete eine Umgehung der örtlichen Bestimmungen zum Zwecke des Lohn- und Sozialdumpings.62 Die Gegenwehr war erfolgreich: Im Text der 2006 endgültig angenommenen Richtlinie63 („Dienstleistungs-RL“) findet sich das Herkunftslandprinzip weder als Bezeichnung noch als Regelungskonzept. Deren Art. 16 I S. 1 sieht jetzt lediglich vor, dass die Mitgliedstaaten das Recht des Dienstleisters auf Erbringung von Dienstleistungen in anderen Mitgliedstaaten „achten“. Gem. Art. 16 I S. 2 Dienstleistungs-RL gewährleistet der „Mitgliedstaat, in dem die Dienstleistung erbracht wird, [. . .] die freie Aufnahme und freie Ausübung von Dienstleistungstätigkeiten innerhalb seines Hoheitsgebietes“. Die Anforderungen, von denen Mitgliedstaaten die Dienstleistungserbringung abhängig machen dürfen, sind in Art. 16 I S. 3 Dienstleistungs-RL so allgemein aufgezählt, dass letztlich alle zweitstaatlichen Regeln fortgelten können, die mit der Dienstleistungsfreiheit vereinbar sind.
692
Nachdem also das Herkunftslandprinzip letztlich doch keinen Einzug in die Dienstleistungs-RL gehalten hat, stellt sich die Frage, ob es ein solches 59 Art. 16 Nr. 1 S. 1 des Entwurfes: „Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass Dienstleistungserbringer lediglich den Bestimmungen ihres Herkunftsmitgliedstaates unterfallen . . .“ 60 Art. 16 Nr. 1 S. 2 des Entwurfes: „. . . die nationalen Bestimmungen betreffend die Aufnahme und die Ausübung der Dienstleistung, die insbesondere das Verhalten der Dienstleistungserbringer, die Qualität oder den Inhalt der Dienstleistung, die Werbung, die Verträge und die Haftung der Dienstleistungserbringer regeln.“ 61 Dieses Bsp. stammt von Schroeder, in: Griller (Hrsg.), Europäische Wirtschaftsverfassung, 2007, S. 115 (118). 62 Schroeder, in: Griller (Hrsg.), Europäische Wirtschaftsverfassung, 2007, S. 115 (117) m. w. N.; Pache, in: Schulze/Zulegg (Hrsg.), EurR, 2006, § 10 Rn. 164. 63 Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ABl. EU 2006 Nr. L-376, S. 36).
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als übergeordnetes ungeschriebenes Rechtsprinzip des Binnenmarktes gibt, das möglicherweise auch im vorliegenden Zusammenhang heranzuziehen wäre. Teilweise wird in der Lit. davon ausgegangen, das Herkunftslandprinzip sei ein Strukturmerkmal der Dienstleistungsfreiheit, gelte damit bereits auf Grund des Primärrechts.64 Andere gehen sogar von einer allgemeineren Geltung aus.65 In den Vertragstexten ist es jedenfalls nicht ausdrücklich verankert. Aber in der Rspr. des EuGH, der sich ja schon des Öfteren als Rechtsfortbilder betätigt hat, könnten sich Hinweise darauf finden, dass das Herkunftslandprinzip als ungeschriebener Rechtsgrundsatz zum acquis communautaire gehört. In diesem Sinne könnte eine Passage der Entscheidung Cassis de Dijon verstanden werden, in der der EuGH ausführte, dass „in einem Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellte und in den Verkehr gebrachte [Waren] in anderen Mitgliedstaaten eingeführt werden [dürfen]“.66 Allerdings erklärte der Gerichtshof in derselben Entscheidung, dass es dem Bestimmungsland – soweit mit der Warenverkehrsfreiheit vereinbar – überlassen sei, die Vorschriften über die Herstellung und Vermarktung von Produkten in seinem Hoheitsgebiet zu erlassen.67 Daher liefert die Cassis de Dijon-Entscheidung keinen Beleg für die Geltung des Herkunftslandprinzips.68 Genauso wenig ist hierfür die andernorts zu findende Aussage des EuGH geeignet, nach der es „für den freien Dienstleistungsverkehr nur auf den Ursprung der jeweiligen Dienstleistung [ankommt]“.69 Denn auch in dieser Entscheidung bleibt der Gerichtshof dabei, dass jeder Mitgliedstaat selbst entscheiden kann, auf welchem Niveau er den Schutz der öffentlichen Gesundheit sicherstellen will, soweit er sich im Rahmen des primärrechtlich Zulässigen hält.70 Auch hier wird also nicht pauschal auf das Recht des Herkunftslandes verwiesen, sondern es bleibt grundsätzlich bei der Geltung der zweitstaatlichen Regelungen. 64 Kugelmann, EuZW 2005, S. 327 (328 f.); Wiesner/Wiedmann, ZIP 2005, S. 1210 (1212): Die Dienstleistungs-RL sei lediglich eine Kodifizierung des ohnehin gültigen Herkunftslandprinzips. 65 So etwa Basedow, EuZW 2004, S. 423. 66 EuGH, 20.02.1979 – Rs. 120/78, Cassis de Dijon, Slg. 1979, 649, Rn. 14. Diese Aussage wertet Glöckner, in: Schulze/Zulegg (Hrsg.), EurR, 2006, § 17 Rn. 25 als Beleg für die Geltung des Herkunftslandprinzips. 67 EuGH, 20.02.1979 – Rs. 120/78, Cassis de Dijon, Slg. 1979, 649, Rn. 8. 68 Schroeder, in: Griller (Hrsg.), Europäische Wirtschaftsverfassung, 2007, S. 115 (126). 69 EuGH, 13.07.2004 – Rs. C-429/02, Bacardi France, Slg. I-2004, 6613, Rn. 36. Kugelmann, EuZW 2005, S. 327 (328 f.) wertete dies als Beleg für die Geltung des Herkunftslandprinzips. 70 EuGH, 13.07.2004 – Rs. C-429/02, Bacardi France, Slg. I-2004, 6613, Rn. 33.
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Freilich ist der EuGH dem Grundgedanken verhaftet, dass ausländische Regelungsvorgaben als gleichwertig anzuerkennen sind. Dieser führt allerdings nicht zur Geltung des Herkunftslandprinzips, sondern spielt ausschließlich bei der Rechtfertigung von Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit eine Rolle: Beschränkend wirkende Maßnahmen können nicht nur mit den ausdrücklich im AEUV genannten Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit71 gerechtfertigt werden, sondern auch durch andere zwingende Gründe des Allgemeininteresses72. Unter Berufung auf letztere kann allerdings – wie der EuGH entschieden hat – das Bestimmungsland vom Dienstleister dann nicht die Einhaltung seiner rechtlichen Anforderungen verlangen, wenn diese mit den gesetzlichen Erfordernissen vergleichbar sind, denen der Dienstleister bereits im Ursprungsland unterliegt.73 Insofern werden also die rechtlichen Vorgaben des Ursprungslandes anerkannt. Hierbei handelt es sich aber nicht um ein Herkunftslandprinzip, kraft dessen Marktteilnehmer im Zweitland nach dem Recht ihres Herkunftslandes behandelt würden. Es lässt sich damit aus der Rechtsprechung des EuGH auch nicht auf die Geltung eines ungeschriebenen Herkunftslandprinzips schließen.74
694
Zusammenfassend zeigt sich damit, dass weder im Bereich der Dienstleistungsfreiheit noch allgemein für das europäische Recht das Herkunftslandprinzip als gesicherter Rechtsgrundsatz gelten kann.75 Es gibt damit auch keine ausreichende Grundlage dafür, ein derartiges Prinzip zur Auslegung der EuGVVO heranzuziehen. Letztere geht vielmehr in ihrer Grundkonzeption davon aus, dass der Zweitstaat für sich entscheidet, ob und inwieweit er ausländische Gerichtsentscheidungen durchsetzen will. Man kann zwar das Postulat aufstellen, dass der Vollstreckungsstaat exequierte Titel auf effektive Art und Weise durchzusetzen hat und sie nicht gegenüber 71
Art. 62 i. V. m. Art. 52 AEUV. Erstmals EuGH, 03.12.1974 – Rs. 33/74, van Binsbergen, Slg. 1974, 1299, Rn. 10/12, seitdem st. Rspr., vgl. Streinz, Europarecht, 8. Aufl. 2008, Rn. 830; Pache, in: Schulze/Zulegg (Hrsg.), EurR, 2006, § 10 Rn. 118. Solche ungeschriebenen zwingenden Gründe des Allgemeininteresses können aber nur Maßnahmen rechtfertigen, die unterschiedslos gelten und geeignet sind, ihren Zweck zu erreichen. 73 EuGH, 18.01.1979 – Rs. 110/78 u. 111/78, van Weseamael, Slg. 1979, 35, Rn. 24: Dem Dienstleister war bereits in seinem Herkunftsland eine Genehmigung zur Dienstausübung erteilt worden. Von ihm durfte im Land der Diensterbringung zusätzlich keine örtliche Genehmigung verlangt werden, wenn deren Voraussetzungen mit denen gleichwertig sind, die bereits im Ursprungsland geprüft worden waren. 74 Ebenso nach ausführlicher Auswertung der Rspr. Schroeder, in: Griller (Hrsg.), Europäische Wirtschaftsverfassung, 2007, S. 115 (126–135); Albath/Giesler, EuZW 2006, S. 38 (39 f.). 75 Vgl. Schroeder, in: Griller (Hrsg.), Europäische Wirtschaftsverfassung, 2007, S. 115 (135): „Mythos des Gemeinschaftsrechts“. 72
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inländischen benachteiligen darf.76 Für die weitergehende Annahme, der Zweitstaat müsse ausländische Entscheidungen genauso effektiv durchsetzen, wie es der Staat des Ursprungs getan hätte, finden sich jedoch keine Anhaltspunkte. Eine solche Pflicht lässt sich nicht aus dem Primärrecht konstruieren und ist auch in der EuGVVO nicht normiert. Letztere geht vielmehr von der Maßgeblichkeit der lex fori executionis aus. 3. Ergebnis Zusammenfassend erfordert Prämisse 3 also eine vollständige Gleichbe- 695 handlung ausländischer Titel: Weder dürfen diese gegenüber inländischen schlechter gestellt werden noch kommt ihnen eine Bevorzugung zugute. Somit können einem ausländischen Titel durch das Exequatur im Vollstreckungsland nicht mehr verfahrensrechtliche Befugnisse zugestanden werden, als einem originär dort erlassenen Titel zukämen.77 Auch im Anwendungsbereich der EuGVVO kann im Zweitland nur von den dort vorgesehenen Vollstreckungsmechanismen Gebrauch gemacht werden.78 Die vom örtlichen Vollstreckungsrecht normieren Befugnisse bilden gewissermaßen das Höchstmaß der Vollstreckbarkeit eines ausländischen Titels.
76
s. Rn. 679–682. Gaudemet-Tallon, Règlement no 44/2001, 3. Aufl. 2002, Rn. 374 (S. 302). Matscher, ZZP 95 (1982), S. 170 (171 Fn. 3). 78 Geimer, Anerkennung, 1995, S. 165. 77
§ 9 Die Vollstreckung ausländischer Titel, die in ihrem Ursprungsland noch nicht Rechtskraft erlangt haben 696
Zu untersuchen ist, wie ausländische Titel im Zweitland zu vollstrecken sind, solange sie im Ursprungsland noch keine Rechtskraft erlangt haben. Sind Titel in ihrem Ausgangsland nicht mehr aufhebbar, können sie im Zweitland vollumfänglich durchgesetzt werden, wobei sich allerdings die Frage ergeben kann, welche Zwangsmittel statthaft und welche Vollstreckungshindernisse zu beachten sind (hierzu später § 11). Solange der Titel allerdings im Ursprungsland mangels Rechtskraft nur eingeschränkt durchsetzbar ist, stellt sich die Frage, welche Beschränkungen der Durchsetzbarkeit bzw. besondere Voraussetzungen der Vollstreckbarkeit im Zweitland zu beachten sind.
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Dazu sollen nach einem einführenden Überblick über die einzelstaatlichen Vollstreckungssysteme [A.] die autonomen nationalen Lösungen bezüglich der Vollstreckbarkeit vor Rechtskrafteintritt dargestellt werden [B.]. Ausgehend hiervon stellt sich die Frage der grenzüberschreitenden Koordinierung von Vollstreckungsbefugnissen und -voraussetzungen bis Rechtskrafteintritt im Ursprungsland. Dafür sind zunächst die EuGVVO-eigenen Regelungen in den Blick zu nehmen [C.], um anschließend die nicht ausdrücklich geregelten Probleme zu behandeln [D.].
A. Überblick der Grundstrukturen einzelner mitgliedstaatlicher Vollstreckungssysteme 698
Jede der hier verglichenen Rechtsordnungen trennt prinzipiell zwischen Rechtserkenntnis und -durchsetzung. Daher kennt auch jedes Land eine Art „Zwischenverfahren“, in dem vor Vollstreckungsbeginn ein formalisiertes Bindeglied zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren (in Deutschland: Vollstreckungsklausel) geschaffen wird.1 Die materielle Prüfungsdichte dieses Verfahrens und die Einbindung richterlicher Stellen vor Vollstreckungsbeginn sind allerdings unterschiedlich. Abweichungen bestehen 1 Vgl. Kerameus, in: FS Geimer, 2002, S. 417 (424), der darin sogar ein universelles Prinzip aller Rechtsordnungen sieht.
§ 9 Die Vollstreckung nicht rechtskräftiger ausländischer Titel
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auch in der Zuständigkeitsaufteilung zwischen richterlichen und nichtrichterlichen Vollstreckungsorganen. I. Grundstrukturen der Vollstreckung in Deutschland Grundlage der Beitreibung sind in Deutschland rechtskräftige oder vor- 699 läufig vollstreckbare Urteile (§ 704 ZPO) sowie die in § 794 ZPO gleichgestellten anderen Titel. Allgemeine Vollstreckungsvoraussetzung ist grundsätzlich die Erteilung einer Vollstreckungsklausel, § 724 f. ZPO2, und die Zustellung des Titels an den Schuldner, § 750 I ZPO.3 Die Vollstreckungsklausel ist grundsätzlich rein formeller Natur: In der Regel wird sie vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Prozessgerichts (§ 724 II ZPO) erteilt, der lediglich prüft, ob das Urteil äußerlich wirksam und noch in Kraft ist, einen vollstreckbaren Inhalt hat und vollstreckungsreif, d.h. rechtskräftig oder vorläufig vollstreckbar ist.4 Nur im Sonderfall sog. „titelergänzender“ (§ 726 ZPO) oder „titelumschreibender“ (§§ 727–729 ZPO) Klauseln werden weitere Aspekte geprüft. Hinsichtlich der Verteilung der Zuständigkeiten zur Vornahme von Voll- 700 streckungsmaßnahmen folgt das deutsche System einem gemischten Ansatz.5 Welches Organ tätig wird, hängt vom jeweiligen Zwangsmittel ab: Der Gerichtsvollzieher – hierbei handelt es sich um einen Beamten der Justiz6 – verwertet insbesondere bewegliche Sachen, betreibt die Herausgabevollstreckung und das Verfahren auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach § 899 ZPO (vgl. § 753 I ZPO, der von dem Grundsatz der Zuständigkeit des Gerichtsvollziehers ausgeht). Da der Gerichtsvollzieher keine hohe juristische Qualifikation hat, herrscht im deutschen Recht der Grundsatz der Formalisierung, wonach den Vollstreckungsorganen nur die Prüfung von regelmäßig leicht feststellbaren Umständen aufgegeben ist.7 2 Ausnahmen gibt es etwa bei Vollstreckungsbescheiden (§ 796 I ZPO) sowie bei Arrest und einstweiliger Verfügung (§§ 929 I, 936 ZPO), wenn jeweils für und gegen die in ihnen genannten Personen vollstreckt wird. 3 Hiervon gibt es etwa Ausnahmen für Arrest und einstweilige Verfügung, §§ 929 III S. 1, 936 ZPO, sowie für die Vorpfändung gem. § 845 ZPO. 4 Vgl. MünchKomm/Wolfsteiner, 3. Aufl. 2007, § 724 ZPO Rn. 30–42. Umstritten ist, inwieweit im Klauselerteilungsverfahren auch materielle Gesichtspunkte zu prüfen sind, die die Zwangsvollstreckung ungerechtfertigt werden lassen, vgl. ebd. Rn. 43–45. 5 So Hess, in: Andenas/Hess/Oberhammer (Hrsg.), Enforcement Agency, 2005, S. 35. 6 Lackmann, ZwVollstrR, 8. Aufl. 2007, Rn. 11. 7 Lackmann, ZwVollstrR, 8. Aufl. 2007, Rn. 5.
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Teil III: Die Wirkungen der Vollstreckbarkeit mitgliedstaatlicher Titel
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Das Vollstreckungsgericht – gem. § 764 II ZPO das AG am Ort der Zwangsvollstreckung – ist insbesondere zuständig für die Pfändung von Forderungen (§ 828 I ZPO), ordnet zur Verwertung von Immobilien Zwangsversteigerung und -verwaltung an (§ 15 ZVG, § 147 ZVG)8 und erlässt im Rahmen des Offenbarungsverfahrens den Haftbefehl gegen den Schuldner (§ 901 ZPO). Ferner muss es zu einigen Vollstreckungshandlungen des Gerichtsvollziehers seine vorherige Zustimmung geben (vgl. etwa § 758a ZPO für die Wohnungsdurchsuchung).9 Außerdem kann auch das Prozessgericht des ersten Rechtszuges als Vollstreckungsorgan tätig werden, so etwa für Ansprüche auf Handlungen und Unterlassungen (§§ 888 I, 890 I ZPO und § 887 I ZPO für die Ermächtigung zur Ersatzvornahme).10 Ansprüche auf Abgabe von Willenserklärungen werden jeweils durch das Gericht, das die Entscheidung erlassen hat, selbst vollstreckt, vgl. § 894 ZPO.
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Die Vollstreckungstätigkeit durch nichtrichterliche Stellen wird nicht gerichtlich überwacht. Stattdessen können die Parteien des Vollstreckungsverfahrens eine gerichtliche Überprüfung anstrengen, um Art und Weise der Vollstreckung zu beanstanden (insbes. Vollstreckungserinnerung gem. § 766 ZPO). II. Grundstrukturen der Vollstreckung in England
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In England wird die Durchführung des Vollstreckungsverfahrens grundsätzlich von demselben Gericht koordiniert und kontrolliert, das auch das ursprüngliche Urteil erlassen hat.11 Die Trennung zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren ist insofern schwächer als im deutschen Recht.12 Das Vollstreckungssystem ist zweigeteilt: Zu unterscheiden sind Anspruchsdurchsetzung durch den High Court für Judikate dieses Gerichts, des Court of Appeal und des Supreme Court of the United Kingdom13 sowie durch die County Courts für Richtersprüche der unteren Zivilgerichte (Magistrates’ Courts, welche für zivilrechtliche Streitigkeiten nur selten zuständig sind, und County Courts). Auch County Court-Entscheidungen werden vom 8 Im Bereich der Immobiliarvollstreckung wird eine Zwangshypothek durch das Grundbuchamt als Vollstreckungsorgan eingetragen, vgl. § 867 I ZPO. 9 Meistens wird das Vollstreckungsgericht durch den Rechtspfleger tätig, vgl. § 20 Nr. 16, 17 RPflG. 10 Das Prozessgericht des ersten Rechtszuges ist also auch für die Vollstreckung von Urteilen zuständig, die von höheren Gerichten stammen. 11 Baur/Stürner/Bruns, ZwVollstrR, 13. Aufl. 2006, Rn. 59.35. 12 Nelle, Anspruch, Titel u. Vollstr., 2000, S. 97. 13 Ehemals House of Lords. Durch pt. 3 Constitutional Reform Act 2005 wurde es in den neuen Supreme Court umgewandelt, um das Prinzip der Gewaltenteilung besser umzusetzen. Das neue Gericht hat seine Arbeit am 01.10.2009 aufgenommen.
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High Court vollstreckt, wenn ihr Streitgegenstand £5000 übersteigt. Liegt der Anspruchswert zwischen £600 und £5000, kann der Gläubiger das Vollstreckungsgericht wählen, während Titel mit einem Wert unter £600 zwangsläufig durch den County Court vollstreckt werden.14 Allgemeine Voraussetzung der High Court-Vollstreckung ist die Eintra- 704 gung (entry) der durchzusetzenden Entscheidung und deren Stempelung (sealing), was in etwa der deutschen Vollstreckungsklausel entspricht.15 Beim Verfahren vor dem County Court entfällt das Erfordernis der Stempelung.16 Ausländische Entscheidungen im Anwendungsbereich der EuGVVO müssen gem. Art. 38 II EuGVVO, r. 74.3 (1)(d), (2) CPR beim High Court registriert werden.17 Auch das englische System kann hinsichtlich seiner Aufteilung der Voll- 705 streckungszuständigkeiten als gemischt charakterisiert werden.18 Bei der Vollstreckung durch den High Court agieren in den meisten Fällen die High Court Enforcement Officers (HCEO) – autorisierte private Dienstleister, die über eine hohe juristische Qualifikation verfügen und in der Regel solicitors sind.19 Im Rahmen der County Court-Vollstreckung werden in erster Linie die County Court Bailiffs tätig. Hierbei handelt es sich um Angestellte des Her Majesty’s Courts Service (HMCS), einer zentralen Behörde zur Verwaltung des Gerichtswesens für England und Wales. HCEOs und Bailiffs führen etwa die Vollstreckung in bewegliche Sachen durch.20 Andererseits können auch High Court bzw. County Court selbst Vollstreckungsorgan sein, so etwa für den Zugriff auf Forderungen21 und auf unbewegliches Vermögen22. Die geringere Trennung zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfah- 706 ren zeigt sich im englischen Recht darin, dass HCEOs erst tätig werden, nachdem ihnen der Titel zusammen mit einer von der Geschäftsstelle des 14 Vgl. zur Aufteilung der Vollstreckungszuständigkeit im Einzelnen art. 8 (1) High Court and County Courts Jurisdiction Order 1991. Handelt es sich um einen dem Consumer Credit Act 1974 unterliegenden Anspruch, kann die Vollstreckung nur durch einen der County Courts erfolgen. 15 Bunge, ZV England, 2. Aufl. 2005, S. 205. 16 Bittmann, Klauselerteilungsverfahren, 2008, S. 148; Rick, Vollstreckungsschuldnerschutz, 2002, S. 30 f. 17 Vgl. Buchhold, NJW 2007, S. 2734 (2736). 18 Hess, in: Andenas/Hess/Oberhammer (Hrsg.), Enforcement Agency, 2005, S. 35. 19 Die High Court Enforcement Officers wurden 2004 eingeführt, vgl. sch. 7 Courts Act 2003. Sie ersetzen die bisherigen Under Sheriffs und Sheriff Officers. Sie werden nach den Vorschriften der High Court Enforcement Officers Regulations 2004 durch den Lord Chancellor autorisiert. 20 s. Rn. 946. 21 s. Rn. 955. 22 s. Rn. 964.
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Teil III: Die Wirkungen der Vollstreckbarkeit mitgliedstaatlicher Titel
Gerichts ausgestellten Vollstreckungsgenehmigung (writ of execution) zugeleitet wurde, sch. 7 para. 3 Courts Act 2003. Auch die County Court Bailiffs handeln nur aufgrund einer Vollstreckungsgenehmigung der Geschäftsstelle, die hier warrant of execution heißt. In bestimmten Fällen – beispielsweise wenn seit Erlass der Entscheidung sechs Jahre vergangen sind – können warrant und writ of execution nur nach vorheriger gerichtlicher Entscheidung (leave of execution) erteilt werden.23 III. Grundstrukturen der Vollstreckung in Frankreich 707
In Frankreich ist Vollstreckungsgrundlage die mit einer Klausel (formule exécutoire) versehene vollstreckbare Ausfertigung (grosse exécutoire, vgl. Art. 502 CPC) eines vollstreckbaren Titels (titre exécutoire). Die möglichen Titel zählt Art. 3 L. 1991 auf.24 Die Klausel wird auf Antrag durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle (greffier) erteilt, Art. 1440 f. CPC. Hierbei handelt es sich um eine reine Formsache, die lediglich erfordert, dass die Entscheidung vollstreckbar ist.25 Auch in Frankreich muss dem Schuldner vor Beginn der Beitreibung der Titel zugestellt werden (notification), Art. 503 CPC. Zusätzlich muss ihm vor Vollstreckungszugriff eine endgültige förmliche Leistungsaufforderung (commandement) zugehen.26 Um den Überraschungseffekt zu wahren, kann der Gläubiger zunächst Sicherungsmaßnahmen ergreifen, die kein commandement voraussetzen.27 Die Vollstreckung hat innerhalb von zwei Jahren nach Zustellung des commandement zu erfolgen, Art. 85 Décr. 1992. Ist diese Frist überschritten, muss die Beitreibung erneut gerichtlich genehmigt werden.28 Ausländische Entscheidungen im Anwendungsbereich der EuGVVO werden vom Leiter der Geschäftsstelle beim Tribunal de grande instance exequiert.29
708
Zentraler Akteur der Vollstreckung in Frankreich ist der Gerichtsvollzieher (huissier de justice), weswegen auch schon von einem gerichtsvollzieherorientierten System gesprochen wurde.30 Der huissier ist ein unabhängi23 Vgl. r. 2 RSC ord. 46 = sch. 1 CPR (für High Court-Vollstreckung) bzw. r. 5 CCR ord. 26 = sch. 2 CPR (für County Court-Vollstreckung). 24 Unter anderem sind dies Urteile mit force exécutoire (nº 1), für vollstreckbar erklärte ausländische Titel (nº 2) und notarielle Urkunden (nº 4). 25 Bunge, ZV Frankreich, 2009, S. 102, 105. 26 Bunge, ZV Frankreich, 2009, S. 102. 27 s. zu den mesures conservatoires Rn. 736–738. 28 Kerameus, Recueil des Cours 1997, S. 183 (259). 29 Vgl. Art. 509–2 al.1 CPC. 30 Hess, in: Andenas/Hess/Oberhammer (Hrsg.), Enforcement Agency, 2005, S. 34.
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ges Organ der Rechtspflege, das außerhalb der Justiz steht; er ist freiberuflich tätig und wird vom Justizminister ernannt.31 Er koordiniert das gesamte Vollstreckungsverfahren und verfügt über eine hohe juristische Qualifikation.32 Demzufolge kennt das französische Vollstreckungsrecht auch nicht den Grundsatz der Formalisierung. Der huissier führt nicht nur die Vollstreckung in bewegliches Vermögen durch, sondern auch die Forderungspfändung.33 Darüber hinaus ist der Präsident des örtlich zuständigen Tribunal de grande instance als juge de l’exécution für die Durchführung der Immobiliarvollstreckung zuständig34, während Arbeitslöhne durch den vorsitzenden Richter des Tribunal d’instance gepfändet werden.35 Eine umfassende und ausschließliche Zuständigkeit für Entscheidungen 709 im Bereich der Zwangsvollstreckung einschließlich vollstreckungsinterner Rechtsbehelfe liegt beim juge de l’exécution.36 Bei komplexen Streitigkeiten kann er das Verfahren an eine Spruchkammer abgeben.37 Hat der huissier Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Maßnahme oder ergeben sich bei der Vollstreckung rechtliche Schwierigkeiten, kann er von sich aus den Vollstreckungsrichter anrufen.38 Im Übrigen können alle Beteiligten im Wege der contestation einzelne Vollstreckungsmaßnahmen vor dem juge de l’exécution anfechten.39 IV. Zusammenfassung In Deutschland, England und Frankreich werden zivilrechtliche Ansprü- 710 che hauptsächlich von nicht-richterlichen Stellen durchgesetzt. Diese Entbindung richterlicher Stellen von Vollstreckungshandlungen geht aber in Frankreich besonders weit, weil hier der huissier für fast alle Vollstreckungsarten zuständig ist.40 In Frankreich und Deutschland gilt das Klausel31 Kerameus, Enforcement Proceedings, Int. Encycl. Comp. Law, Vol. XVI, Ch. 10, 2002, Rn. 15; Ferrand, ZZP Int. 1 (1996), S. 37 (49). 32 Andenas/Nazzini, in: Andenas/Hess/Oberhammer (Hrsg.), Enforcement Agency, 2005, S. 71; Kennett, Enforcement in Europe, 2000, S. 77. 33 s. hierzu Rn. 957. Dass der Präsident des Tribunal de grande instance juge de l’exécution ist, ergibt sich aus Art. L213-5 al.1 COrgJud. 34 Vgl. Art. L213-6 COrgJud. 35 Niboyet/Lacassagne, in: Andenas/Hess/Oberhammer (Hrsg.), Enforcement Agency, 2005, S. 159. 36 Nelle, Anspruch, Titel u. Vollstr., 2000, S. 26. 37 Vgl. Art. L213-7 COrgJud. 38 Vgl. Art. 18 al.2, 19 al.2 L. 1991. 39 Niboyet/Lacassagne, in: Andenas/Hess/Oberhammer (Hrsg.), Enforcement Agency, 2005, S. 167; Kerameus, Enforcement Proceedings, Int. Encycl. Comp. Law, Vol. XVI, Ch. 10, 2002, Rn. 77. 40 Kennett, Enforcement in Europe, 2000, S. 85.
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Teil III: Die Wirkungen der Vollstreckbarkeit mitgliedstaatlicher Titel
prinzip. In England setzt die Vollstreckung sog. writ bzw. warrant of execution voraus, die aber auch nur formellen Charakter haben, da zu deren Erteilung weder Anspruch noch Einwendungen geprüft werden.41 Anders als das deutsche kennen das englische und das französische Vollstreckungsrecht mehrere Fälle, in denen ein Gericht erneut überprüfen muss, ob ein Titel zur Vollstreckung zugelassen wird.
B. Die unterschiedlichen Grade der Vollstreckbarkeit bis Eintritt der Rechtskraft in einzelnen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen 711
Erst wenn eine Gerichtsentscheidung Rechtskraft erlangt hat, steht ihre Unabänderbarkeit fest, so dass es im Grundsatz auch dann erst angebracht ist, sie zwangsweise durchzusetzen. Gleichwohl hat der Gläubiger schon ein legitimes Interesse an Durchsetzung, denn ihm droht einerseits, dass der Verpflichtete zwischenzeitlich verarmt oder sein Vermögen ins Ausland verbringt, andererseits, dass dieser nur des Vollstreckungsaufschubs halber Rechtsmittel einlegt. Für diese Zwischenzeit sehen die nationalen Rechtsordnungen unterschiedliche Lösungen vor, die das Interesse an baldigem Zugriff auf der einen Seite und den Schutz vor im Ergebnis ungerechtfertigter Vollstreckung auf der anderen Seite in einen Ausgleich bringen. I. Die vorläufige Vollstreckbarkeit im deutschen Recht
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In Deutschland hat der Gläubiger schon vor Rechtskraft eine sehr starke Stellung, weil Entscheidungen grundsätzlich von Amts wegen für vorläufig vollstreckbar erklärt werden42 und vorläufige gem. § 704 I ZPO mit endgültiger Vollstreckbarkeit gleichwertig ist43. Sie erlaubt insbesondere bereits vollumfängliche Beitreibung bis zur Auskehr des Erlöses. Dies hält den Schuldner davon ab, aussichtslose Rechtsbehelfe zur Erlangung eines Vollstreckungsaufschubs zu missbrauchen.44 Den Interessen des Schuldners 41 Vgl. auch Nelle, Anspruch, Titel u. Vollstr., 2000, S. 218: „De facto gilt [. . .] das Klauselprinzip“. 42 Hess/Mack, in: Andenas/Hess/Oberhammer (Hrsg.), Enforcement Agency, 2005, S. 185; Kerameus, Enforcement Proceedings, Int. Encycl. Comp. Law, Vol. XVI, Ch. 10, 2002, Rn. 27. In den von §§ 710, 711 S. 3, 712 ZPO genannten Fällen kann die vorläufige Vollstreckbarkeit durch Parteianträge beinflusst werden, vgl. auch § 714 ZPO. Außerdem wird in Berufung und Revision nur auf Antrag über die vorläufige Vollstreckbarkeit entschieden, vgl. §§ 537, 558 ZPO. 43 Die Vollstreckungstitel des § 794 ZPO sind unter den dort genannten Voraussetzungen ohne weiteres vollstreckbar. Daher kommt eine Anordnung vorläufiger Vollstreckbarkeit hier nicht in Betracht.
§ 9 Die Vollstreckung nicht rechtskräftiger ausländischer Titel
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wird durch die Vollstreckungsgläubigerhaftung [1.], die ggf. erforderliche Sicherheitsleistung [2. u. 3.] und die Möglichkeit einer einstweiligen Einstellung der Vollstreckung [4.] Rechnung getragen. Dem Gläubiger kommt es zusätzlich entgegen, dass auch schon vor Erlass eines Hauptsachetitels eine Anspruchssicherung möglich ist [5.]. 1. Vollstreckungsgläubigerhaftung bei vorläufig vollstreckbaren Titeln Die verschuldensunabhängige Vollstreckungsgläubigerhaftung nach 713 § 717 II, III ZPO führt dazu, dass die Beitreibung vor Rechtskraft im alleinigen Risiko des Gläubigers erfolgt. Bei Aufhebung des Titels hat der Schuldner sämtliche Schäden aus der Vollstreckung zu ersetzen. Hierbei ist der ursprüngliche Zustand wieder herzustellen: Neben Sachschäden durch gewaltsamen Vollstreckungszugriff45 oder Kreditkosten, die zur Aufbringung der Urteilssumme erforderlich waren46, ist auch der Gewinn zu ersetzen, der dem Vollstreckungsschuldner deshalb entgangen ist, weil eine gewinnbringende Sache versteigert wurde47 oder ein Betrieb zwischenzeitlich nicht fortgeführt werden konnte48. Handelte es sich um ein Berufungsurteil, das in der Revisionsinstanz abgeändert oder aufgehoben wurde, beschränkt § 717 III S. 2 ZPO die Haftung auf Herausgabe der verbleibenden Bereicherung. Dies verändert die Risikoverteilung zu Gunsten des Gläubigers wegen dessen berechtigten erhöhten Vertrauens in die Richtigkeit der zweitinstanzlichen Entscheidung.49 2. Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung Nach der Grundregel des § 709 ZPO werden Urteile nur gegen eine Si- 714 cherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt.50 Die Art der Sicherheit richtet sich nach § 108 ZPO, wobei in der Praxis die Bankbürgschaft üblich 44
Rosenberg/Gaul/Schilken, ZwVollstrR, 11. Aufl. 1997, § 14 I 1 (S. 196). Baur/Stürner/Bruns, ZwVollstrR, 13. Aufl. 2006, Rn. 15.36: etwa beim Aufbruch von Türen für die Vollstreckung. 46 Rosenberg/Gaul/Schilken, ZwVollstrR, 11. Aufl. 1997, § 15 III 4 (S. 235). 47 Musielak/Lackmann, 8. Aufl. 2011, § 717 ZPO Rn. 12. 48 BGH, 25.10.1977 – VI ZR 166/75, BGHZ 69, 373 (375 f.). Vom Schutzzweck des § 717 II ZPO ist aber nicht mehr der Gewinn gedeckt, der dem Vollstreckungsschuldner allein deswegen entgangen ist, weil die gegen ihn gerichtete Vollstreckung öffentlich bekannt wurde und daher seine Kreditwürdigkeit gelitten hat, vgl. BGH, 05.10.1982 – VI ZR 31/81, BGHZ 85, 110 (114). 49 MünchKomm/Krüger, 3. Aufl. 2007, § 717 ZPO Rn. 28. 50 Gem § 751 II ZPO muss der Gläubiger dann zur Vollstreckung die Sicherheitsleistung nachweisen, solange der Titel noch nicht rechtskräftig ist. 45
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Teil III: Die Wirkungen der Vollstreckbarkeit mitgliedstaatlicher Titel
ist, vgl. § 108 I S. 2 ZPO. Diese Sicherheit gewährleistet die Erfüllung der Vollstreckungsgläubigerhaftung und kommt damit dem Interesse des Schuldners entgegen, dessen Vermögen ja auch bei vorläufiger Vollstreckung dem vollen Zugriff ausgesetzt ist. Das bedeutet allerdings auch, dass ein Gläubiger, der zur Leistung der Sicherheit finanziell nicht in der Lage ist, von der vorläufigen Vollstreckbarkeit keinen Gebrauch machen könnte. 715
Daher kann der Gläubiger gem. § 710 ZPO auf Antrag51 vom Erfordernis der Sicherheitsleistung befreit werden, wenn ihm deren Erbringung schwer oder gar nicht möglich ist und ihn die Vorenthaltung der Anspruchsdurchsetzung unbillig benachteiligt. Unmöglich ist die Sicherheitsleistung für den Gläubiger, wenn er die dazu erforderlichen Geldmittel nicht auftreiben bzw. einen tauglichen Bürgen nicht stellen kann.52 Mit erheblichen Schwierigkeiten ist sie verbunden, wenn der Gläubiger einen Kredit aufnehmen müsste, der seine Bonität in Frage stellen oder seine wirtschaftliche Bewegungsfreiheit lähmen könnte.53 Die weitere Voraussetzung von § 710 ZPO, die Unbilligkeit einer Vollstreckungsvorenthaltung, ist etwa erfüllt, wenn der Gläubiger auf die Leistung angewiesen ist zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes oder für seine Erwerbstätigkeit, etwa wenn ein Handwerker zur Fortführung seines Betriebes dringend Geldmittel benötigt.54
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Anstatt sich vom Erfordernis der Sicherheitsleistung befreien zu lassen, kann der Gläubiger gem. § 720a ZPO auch eine Vollstreckung nur zur Anspruchssicherung betreiben, für die ohnehin keine Sicherheit gestellt werden muss. Bei einer derartigen Sicherungsvollstreckung fiele auch eine mögliche spätere Haftung aus § 717 ZPO geringer aus. Die Sicherungsvollstreckung kann gem. § 750 III ZPO allerdings erst nach Ablauf von zwei Wochen beginnen.
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Unabhängig davon, ob die vorläufige Vollstreckung im konkreten Fall von der Stellung einer Gläubigersicherheit abhängig ist oder nicht, kann sich der Schuldner gegen sie wehren: Fügte ihm eine vorläufige Vollstreckung einen nicht zu ersetzenden Nachteil zu, ist ihm gem. § 712 I S. 1 ZPO auf Antrag zu gestatten, durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung die Vollstreckung abzuwenden. Nicht zu ersetzen ist etwa der Verlust eines einmaligen Kunst- oder Sammlerobjektes oder die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz.55 Kann der Schuldner keine Sicherheit stellen, erlaubt § 712 I S. 2 ZPO auch die vollständige Aufhebung der vorläufigen Voll51
Gem. § 714 ZPO muss der Antrag allerdings vor Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt werden. 52 MünchKomm/Krüger, 3. Aufl. 2007, § 710 ZPO Rn. 4. 53 MünchKomm/Krüger, 3. Aufl. 2007, § 710 ZPO Rn. 4. 54 Rick, Vollstreckungsschuldnerschutz, 2002, S. 61. 55 Rick, Vollstreckungsschuldnerschutz, 2002, S. 62.
§ 9 Die Vollstreckung nicht rechtskräftiger ausländischer Titel
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streckbarkeit oder ihre Reduzierung auf Sicherungsmaßnahmen i. S. v. § 720a ZPO. Überwiegt – trotz der Schutzbedürftigkeit des Schuldners – dennoch das Interesse des Gläubigers an vorläufiger Vollstreckung, wird sie gem. § 712 II ZPO zugelassen. 3. Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung § 708 ZPO führt abschließend Fälle auf, in denen der Gläubiger aus- 718 nahmsweise auch ohne Sicherheitsleistung schon vor Rechtskraft vollstrecken kann. Die Besonderheiten des jeweils zu Grunde liegenden Verfahrens oder der Ansprüche rechtfertigen es hier, das Interesse an möglichst rascher Befriedigung in den Vordergrund zu stellen.56 So ist es etwa bei Streitigkeiten über Ansprüche auf Überlassung, Nutzung oder Räumung von Wohnraum die erhöhte Bedürftigkeit des Gläubigers, die eine erleichterte vorläufige Vollstreckung erfordert (§ 708 Nr. 7 ZPO), bei Anerkenntnisurteilen hingegen die geringere Wahrscheinlichkeit eines beklagtenseitigen Rechtsmittels (§ 708 Nr. 1 ZPO). In den Fällen von § 708 Nr. 4–11 ZPO stellt § 711 ZPO wiederum den 719 Vollstreckungsschuldner besser, indem ihm gestattet wird, eine Vollstreckung ohne Sicherheitsleistung abzuwenden, indem er seinerseits Sicherheit leistet. Diese schuldnerseitige Sicherheit schützt den Gläubiger vor der Gefahr der zwischenzeitlichen Vermögenslosigkeit des Schuldners. Sie ist demzufolge in der vollen vom Gericht angeordneten Höhe zu leisten, um eine Vollstreckung ohne Gläubigersicherheit abzuwenden (vgl. §§ 709 S. 2 i. V. m. 711 S. 2). Aber selbst wenn der Schuldner bei Titeln i. S. v. § 708 Nr. 4–11 ZPO von seiner Abwendungsbefugnis keinen Gebrauch macht, sind die Vollstreckungsmöglichkeiten des Gläubigers nach §§ 720, 839 ZPO reduziert: Gepfändetes Geld ist zu hinterlegen, bei einer Forderungspfändung hat der Drittschuldner zu hinterlegen. Stellt der Schuldner die erforderliche Sicherheit, ist der Beginn der 720 Zwangsvollstreckung unzulässig (§ 775 Nr. 3 ZPO). Damit aber durch die Abwendung die vorläufige Vollstreckbarkeit für den Gläubiger nicht wertlos wird – die Möglichkeit von § 720a ZPO besteht für diesen Fall nicht – kann dieser seinerseits Sicherheit leisten und dadurch die Fortsetzung der Vollstreckung erreichen (§ 711 S. 1 ZPO). Diese Sicherheit bewahrt den Schuldner davor, dass sein etwaiger Anspruch aus Vollstreckungsgläubigerhaftung nicht realisierbar ist.57 Demzufolge muss sie bei einer Teilvollstreckung auch nur anteilig nach der Höhe des jeweils zu vollstreckenden Be56 57
MünchKomm/Krüger, 3. Aufl. 2007, § 708 ZPO Rn. 2, 7. Rosenberg/Gaul/Schilken, ZwVollstrR, 11. Aufl. 1997, § 14 III 2a) (S. 208).
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Teil III: Die Wirkungen der Vollstreckbarkeit mitgliedstaatlicher Titel
trages geleistet werden (§§ 709 S. 2, 752 ZPO). Ausnahmsweise kann gem. § 711 S. 3 ZPO, der § 710 ZPO für entsprechend anwendbar erklärt, das Urteil – trotz Sicherheitsleistung des Schuldners – auch ohne Abwendungsbefugnis für vorläufig vollstreckbar erklärt werden. Entsprechend § 710 ZPO muss der Gläubiger dafür darlegen, dass er die Sicherheit nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten leisten kann und ihm die Aussetzung der Vollstreckung einen schwerwiegenden Nachteil bringen würde. Mit diesem Notanker ist sichergestellt, dass die dem Schuldner eingeräumte Abwendungsbefugnis gerade kein Instrument darstellt, mit dem er die Vollstreckung im Ergebnis vollständig blockieren könnte.58 721
Besonderer Schutz wird dem Schuldner gem. § 712 ZPO auch im Rahmen der vorläufigen Vollstreckbarerklärung ohne Sicherheitsleistung unter den bereits beschriebenen Voraussetzungen gewährt. 4. Einstellung der Zwangsvollstreckung (§§ 707, 719 ZPO) und Nachleistungsfristen
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Bei rechtskräftigen Titeln droht nach der gesetzlichen Grundkonzeption eine Aufhebung oder Änderung nicht mehr. In einigen Fällen ist aber eine Durchbrechung der Rechtskraft bzw. Veränderung ihres Inhaltes möglich, nämlich bei Widereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233 ZPO), Wiederaufnahmeverfahren (§ 578 ZPO), Erhebung einer Gehöhrsrüge (§ 321a ZPO) und bei Fortsetzung des Rechtsstreits nach Verkündung eines Vorbehaltsurteils (§§ 302, 600 ZPO). In diesen Fällen schützt § 707 ZPO den Schuldner unter anderem dadurch, dass die Zwangsvollstreckung einstweilig eingestellt oder von der Stellung einer Sicherheit abhängig gemacht werden kann. Ohne Sicherheitsleistung ist dies allerdings nur möglich, wenn der Schuldner glaubhaft macht, dass er zur Sicherheitsleistung nicht in der Lage ist und die Zwangsvollstreckung einen nicht zu ersetzenden Nachteil verursachen würde, § 707 I S. 2 ZPO. Auch § 707 ZPO ist von dem Anliegen geprägt, dass der Schuldner nicht durch Rechtsbehelfe einen Vollstreckungsaufschub erlangt und erlaubt im Grundsatz die Fortsetzung der Zwangsvollstreckung.59
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Ihre Hauptbedeutung hat die Vorschrift allerdings durch die Verweisung des § 719 ZPO: In Fällen, in denen der Titel noch keine Rechtskraft erlangt hatte, kann unter den Voraussetzungen von § 707 ZPO die Einstellung der (vorläufigen) Vollstreckung angeordnet werden, wenn die Rechtsmittel Einspruch, Berufung oder Revision eingelegt werden. Im Falle der Berufung 58 59
Rick, Vollstreckungsschuldnerschutz, 2002, S. 63 f. Rick, Vollstreckungsschuldnerschutz, 2002, S. 65.
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kommt dies nur in Betracht, wenn sie Aussicht auf Erfolg hat und eine Interessenabwägung hierfür spricht.60 Dabei haben – wegen der grundsätzlichen Konzeption der §§ 709 bis 714 ZPO – die Interessen des Gläubigers im Zweifel Vorrang.61 Gem. § 719 II ZPO kann in der Revisionsinstanz nur noch in eng begrenzten Ausnahmefällen die Zwangsvollstreckung eingestellt werden. Nachleistungsfristen kennt das deutsche Recht – abgesehen von zwei 724 Ausnahmen – nicht: Gem. § 750 III ZPO kann eine Sicherungsvollstreckung erst zwei Wochen nach der Zustellung betrieben werden. Und nach § 798 ZPO können Kostenfestsetzungsbeschlüsse bestimmter Art, für vollstreckbar erklärte Anwaltsvergleiche und vollstreckbar erklärte Notariatsurkunden erst vollstreckt werden, wenn seit der Zustellung zwei Wochen verstrichen sind. Am Rande sei noch darauf hingewiesen, dass § 813a ZPO dem Gerichtsvollzieher erlaubt, die Verwertung aufzuschieben, wenn sich der Schuldner zur Ratenzahlung verpflichtet. Gem. § 813b ZPO kann außerdem das Vollstreckungsgericht die Vollstreckung zeitweise aussetzen, wenn dies nach der Persönlichkeit des Schuldners, seinen wirtschaftlichen Verhältnissen und nach der Art der Schuld angemessen ist. Diese Aussetzungsbefugnisse beziehen sich aber jeweils nur auf die Verwertung, bestehen also nur, wenn es zuvor bereits zu einer Pfändung gekommen ist. 5. Sicherungsmöglichkeiten vor Vorliegen eines Hauptsachetitels Bevor ein Hauptsachetitel vorliegt, hat der Gläubiger im deutschen Recht 725 nur über den einstweiligen Rechtsschutz Zugriffsbefugnisse. Wichtigster Fall ist der Arrest zur Sicherung einer Geldforderung, dessen Erlass gem. § 917 I ZPO die Besorgnis voraussetzt, dass die Vollstreckung des Urteils vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Er ermöglicht allerdings noch keine Befriedigung des Gläubigers, sondern lediglich eine auf Sicherung beschränkte Vollziehung.62 Auch die Vollziehung einer Sicherungsverfügung i. S. v. § 935 ZPO, durch die andere als Geldansprüche gesichert werden, 60 MünchKomm/Krüger, 3. Aufl. 2007, § 719 ZPO Rn. 5; Rosenberg/Gaul/Schilken, ZwVollstrR, 11. Aufl. 1997, § 14 VII Rn. 221. 61 Rick, Vollstreckungsschuldnerschutz, 2002, S. 66; MünchKomm/Krüger, 3. Aufl. 2007, § 719 ZPO Rn. 5. Außerdem wird den Interessen des Schuldners in der Regel durch die Sicherheitsleistung des Gläubigers Rechnung getragen. Andernfalls kann der Schuldner möglicherweise auch von der Abwendungsbefugnis i. S. v. § 711 ZPO Gebrauch machen oder einen Schutzantrag nach § 712 ZPO stellen. 62 Lackmann, ZwVollstrR, 8. Aufl. 2007, Rn. 678. Die Vollziehungsbefugnisse sind im Einzelnen in § 930–933 ZPO geregelt. Inbesondere aus § 930 III ZPO ergibt sich, dass eine Verwertung des Schuldnervermögens nur ausnahmsweise möglich ist.
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sowie der auf einstweilige Regelung streitiger Rechtsverhältnisse gerichteten Regelungsverfügung i. S. v. § 940 ZPO, geht grundsätzlich nicht über eine Sicherung hinaus.63 Dies ist nur bei der Leistungsverfügung anders, die der Befriedigung des Gläubigers dienen soll und daher zu allen Vollstreckungsmaßnahmen berechtigt.64 Diese Form des einstweiligen Rechtsschutzes ist aber subsidiär und kann nur ausnahmsweise unter sehr strengen Anforderungen erlassen werden.65 726
Außerhalb des einstweiligen Rechtsschutzes kann zur Rangwahrung für die spätere Vollstreckung in Forderungen und sonstige Vermögensrechte eine Vorpfändung gem. § 845 ZPO durchgeführt werden, die ebenfalls die Wirkung eines Arrests hat (§ 845 II ZPO). Sie setzt zwar voraus, dass bereits ein vollstreckbarer Titel vorliegt, ist aber bereits vor Titelzustellung, Klauselerteilung und Erlass des Pfändungsbeschlusses möglich. Der Gerichtsvollzieher stellt hierfür Dritt- und Vollstreckungsschuldner eine Benachrichtigung über eine bevorstehende Pfändung zu. Die so bewirkte Vorpfändung schützt den Gläubiger vor den Nachteilen aus dem Zuspätkommen des gerichtlichen Pfändungsbeschlusses. II. Das principle of finality of judgment im englischen Recht
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Im englischen Recht ist jede Entscheidung ab ihrem Erlass voll vollstreckbar [1.]. Zum Schutz des Schuldners kann aber ein stay of execution angeordnet werden [2.]. 1. Das principle of finality of judgment und die Vollstreckungsgläubigerhaftung
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In den Rechtsordnungen des angloamerikanischen Rechtskreises hat jede instanzbeendende Entscheidung eines Gerichts ab dem Tag ihres Erlasses die Wirkung einer res judicata.66 Dementsprechend ist in England jede Gerichtsentscheidung, auch erstinstanzliche, ohne Rücksicht auf offen stehende 63
Lackmann, ZwVollstrR, 8. Aufl. 2007, Rn. 715. Lackmann, ZwVollstrR, 8. Aufl. 2007, Rn. 719; die Beschränkungen von §§ 930–932 ZPO gelten also nicht. 65 Lackmann, ZwVollstrR, 8. Aufl. 2007, Rn. 697. 66 Zum englischen Recht Zuckerman, Civil Procedure, 2. Aufl. 2006, Rn. 22.11 u. ausdrücklich r. 40.7 CPR: „A judgment or order takes effect from the day when it is given or made, or such later date as the court may specify“. Allg. zum angloamerikanischen Rechtskreis Kerameus, Enforcement Proceedings, Int. Encycl. Comp. Law, Vol. XVI, Ch. 10, 2002, Rn. 33; ders., in: FS Gaul, 1997, S. 277 (282). 64
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Rechtsmittel sofort uneingeschränkt vollstreckbar.67 Auch nach Einlegung eines Rechtsmittels wird die Vollstreckung grundsätzlich fortgesetzt.68 Das Institut der vorläufigen Vollstreckbarkeit gibt es daher im englischen Zivilprozess nicht.69 Der Schuldner hat allerdings automatisch eine Leistungsfrist von 14 Tagen, die mit Urteilserlass zu laufen beginnt, vgl. r. 40.11 CPR. Es kann auch eine abweichende Frist angeordnet werden. Diese Leistungsfrist ist ein kraft Gesetzes gewährter Zahlungsaufschub, der dem Schuldner Vollstreckungsschutz gewährt.70 Damit der Schuldner bis zu deren Ablauf sein Vermögen nicht dem Vollstreckungszugriff entziehen kann, kann der Gläubiger unmittelbar nach Erlass des Urteils eine freezing injunction beantragen, die ohne Anhörung des Gegners nach gerichtlichem Ermessen verhängt wird, vgl. r. 25.1 (f), (2) CPR. Wird die vollstreckte Entscheidung nachträglich wieder aufgehoben, hat 729 der Vollstreckungsgläubiger grundsätzlich nur nach Bereicherungsgrundsätzen den Vollstreckungsertrag herauszugeben.71 Eine Haftung für weitergehende Schäden aus tort kommt nur dann in Betracht, wenn der Gläubiger böswillig gegen einen Nichtschuldner ein Urteil erschleicht (abuse of civil proceedings) und aus ihm die Zwangsvollstreckung betreibt (malicious execution).72 Eine verschuldensunabhängige Gläubigerhaftung auf Vollstreckungsschäden kann aber greifen, wenn die Entscheidung nicht nur unrichtig (erroreous) war, sondern an einem schwerwiegenden Fehler litt, so dass sie nichtig (void) oder anfechtbar (voidable) war.73 2. Die Möglichkeit eines stay of execution In mehreren Fällen und zu verschiedenen Verfahrenszeitpunkten gestattet 730 das englische Recht die (vorläufige) Einstellung bzw. Aussetzung der Zwangsvollstreckung.74 Insbesondere wenn gegen eine Entscheidung ein 67 Kerameus, Enforcement Proceedings, Int. Encycl. Comp. Law, Vol. XVI, Ch. 10, 2002, Rn. 33; Nelle, Anspruch, Titel u. Vollstr., 2000, S. 96. 68 r. 52.7 CPR regelt als Grundsatz: „an appeal shall not operate as a stay of any order or decision of the lower court“. 69 Bunge, ZV England, 2. Aufl. 2005, S. 207. 70 Rick, Vollstreckungsschuldnerschutz, 2002, S. 68. 71 Bunge, ZV England, 2. Aufl. 2005, S. 230. 72 Dugdale/Jones, Clerk & Lindsell on Torts, 19. Aufl. 2006, Rn. 16–45 – 16–49. 73 High Court Queen’s Bench Division, 1843 – Blanchenay v. Burt, Hodgson and Burton (1843) 4 Q.B. 707. 74 Vgl. etwa r. 11 RSC ord. 45 = sch. 1 CPR; r. 1 RSC ord. 47 = sch. 1 CPR; r. 8 CCR ord.25 = sch. 2 CPR; s. 71 und 86 County Courts Act 1984 sowie r. 52.7 CPR.
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Rechtsmittel eingelegt wurde, kann das Ausgangs- oder das Rechtsmittelgericht einen stay of execution anordnen, um den Schuldner vor den Nachteilen einer im Ergebnis nicht gerechtfertigten Vollstreckung zu schützen.75 Ob dies im Einzelfall angemessen ist, hat das Gericht nach freiem Ermessen zu entscheiden.76 Allein die Tatsache der Rechtsmitteleinlegung ist nicht ausreichend, vielmehr müssen besondere Umstände hinzutreten.77 Eine Einstellung kann demnach etwa gerechtfertigt sein, wenn der Schuldner Gefahr läuft, im Fall der Aufhebung des Urteils den Vollstreckungsertrag nicht mehr zurückzuerhalten.78 Außerdem können die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsmittels berücksichtigt werden.79 731
Auch schon im Erkenntnisverfahren selbst kann die Vollstreckbarkeit eingeschränkt werden, indem das Gericht festlegt, dass der Schuldner einer Geldforderung nur in Raten statt en bloc erfüllen muss.80 Von dieser Möglichkeit kann – mit oder ohne Antrag – Gebrauch gemacht werden, wenn der Schuldner zur vollständigen Begleichung der Schuld nicht in der Lage ist. Die Anordnung von Ratenzahlungen stellt eine Form des stay of execution dar, weil die Zwangsvollstreckung nur in Ansehung der Ratenleistungen durchgeführt werden kann.81
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Darüber hinaus kann die Vollstreckung prinzipiell zu jedem Zeitpunkt angehalten oder beschränkt werden. Für das Verfahren vor den County Courts regelt s. 71 County Courts Act 1984, dass bei Geldleistungstiteln nachträglich Ratenzahlung angeordnet oder die Vollstreckung ausgesetzt werden kann, wenn und solange der Schuldner nicht in der Lage ist, die Schuld zu begleichen, oder wenn die Schuld entfallen ist.82 Für das Verfahren vor dem High Court ermöglicht r. 1 ord. 47 RSC = sch. 1 CPR, die Vollstreckung eines auf Geldleistung lautenden Urteils mit oder ohne Vorbedingung (vorübergehend) einzustellen, wenn besondere Umstände vorliegen, die die 75 Zuckerman, Civil Procedure, 2. Aufl. 2006, Rn. 23.213. Die Rechtsgrundlage für die Anordnung eines stay of execution bei Einlegung eines Rechtsmittels findet sich in r. 52.7 CPR. 76 Zuckerman, Civil Procedure, 2. Aufl. 2006, Rn. 23.214. 77 Bunge, ZV England, 2. Aufl. 2005, S. 206; Rick, Vollstreckungsschuldnerschutz, 2002, S. 71 f. 78 Stürner, in: FS Nakamura, 1996, S. 599 (616) m. w. N. 79 Court of Appeal (Civil Division), 22.11.1992 – Linotype-Hell Finance v. Baker [1993] 1 W.L.R. 321: dann kommt es auch nicht darauf an, ob die Vollstreckungsschäden durch Geld kompensiert werden können. 80 Vgl. Rick, Vollstreckungsschuldnerschutz, 2002, S. 72, Rechtsgrundlage ist r. 40.11 (a) CPR. 81 Rick, Vollstreckungsschuldnerschutz, 2002, S. 73. 82 Vgl. außerdem s. 86 County Courts Act 1984. Die Verfahrensfragen – insbesondere für den Fall, dass der Schuldner selbst einen stay of execution beantragt – richten sich nach den r. 8 ord. 25 CCR = sch. 2 CPR.
§ 9 Die Vollstreckung nicht rechtskräftiger ausländischer Titel
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Vollstreckung unzweckmäßig erscheinen lassen, oder der Schuldner zur Begleichung der Schuld nicht in der Lage ist. Und schließlich erlaubt r. 11 ord. 45 RSC = sch. 1 CPR die Einstellung, wenn dies durch Gründe gerechtfertigt ist, die nach Erlass des Urteils eingetreten sind. Diese Vorschrift erfasst – im Gegensatz zu den sonstigen Einstellungsmöglichkeiten – nur nachträglich eingetretene Umstände.83 III. Exécution provisoire und Sicherungsvollstreckung im französischen Recht Die Vollstreckung französischer Entscheidungen erfordert gem. Art. 500 f. 733 CPC grundsätzlich, dass diese force de chose jugée haben, also unanfechtbar geworden sind. Davor können sie nur beigetrieben werden, wenn sie vorläufig vollstreckbar sind – exécution provisoire [1.]. Unabhängig davon kann das Gericht dem Schuldner gem. Art. 510 CPC nach freiem Ermessen eine Nachleistungsfrist (délais de grâce) gewähren, die vor Vollstreckungsbeginn verstrichen sein muss, vgl. Art. 501 CPC. Dies hindert den Titelinhaber aber nicht daran, bereits Maßnahmen der Sicherungsvollstreckung (mesures conservatoires) zu ergreifen, Art. 513 CPC. Solche sind sogar schon dann möglich, wenn noch kein vollstreckbarer Titel vorliegt [2.]. 1. Exécution provisoire und Vollstreckungsgläubigerhaftung Vorläufige Vollstreckbarkeit wird entweder gerichtlich angeordnet oder 734 besteht kraft Gesetzes automatisch, Art. 514 CPC. Eine richterliche Anordnung erfolgt auf Antrag oder von Amts wegen, wenn sie erforderlich, mit der Natur der Rechtssache vereinbar und nicht anderweitig gesetzlich verboten ist, Art. 515 CPC. Entscheidende Voraussetzung ist, dass eine vorläufige Vollstreckung aus Sicht des Schuldners notwendig ist.84 Gem. Art. 517–520, 522 f. CPC kann das Gericht die vorläufige Vollstreckbarkeit nach seinem Ermessen von einer Sicherheitsleistung des Gläubigers abhängig machen. Umgekehrt kann es dem Schuldner auch erlauben, die Vollstreckung einstweilen durch Sicherheitsleistung (Garantie) abzuwenden, Art. 521 CPC. Art. 516 CPC erlaubt zwar, dass schon in der ersten Instanz vorläufige Vollstreckbarkeit angeordnet wird. In der Regel wird sie allerdings erst in der Berufungsinstanz erteilt, Art. 525 f. CPC.85 83
Rick, Vollstreckungsschuldnerschutz, 2002, S. 76. Guinchard/Moussa, Exécution, 5. Aufl. 2007, Rn. 431.112. 85 Bunge, ZV Frankreich, 2009, S. 103; Kerameus, Enforcement Proceedings, Int. Encycl. Comp. Law, Vol. XVI, Ch. 10, 2002, Rn. 29. 84
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Anders als endgültige erlaubt vorläufige Vollstreckbarkeit noch nicht die Verwertung von Immobilien.86 Gem. Art. 524 CPC kann die vorläufige Vollstreckbarkeit auch wieder eingestellt werden, wenn ein Rechtsmittel eingelegt wurde. Der wichtigste Grund hierfür ist in Art. 524 al.1 nº 2 CPC geregelt, wonach eine Einstellung möglich ist, wenn durch die Vollstreckung unverhältnismäßige Nachteile drohen (conséquences manifestement excessives). Anders als im deutschen Recht spielen also die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsmittels keine Rolle. Für den Fall, dass der Titel nachträglich wieder aufgehoben wird, regelt Art. 31 al.2 L. 1991, dass die Zwangsvollstreckung auf Risiko des Gläubigers erfolgt und dieser die durch die Vollstreckung erlangten Vorteile nach Bereicherungsgrundsätzen zurückzugewähren hat. Für weitergehende Schäden ist außerdem eine verschuldensunabhängige Schadensersatzhaftung des Gläubigers in der Rechtsprechung anerkannt, die alle auf die Vollstreckung zurückführbaren Schäden umfasst.87 2. Die Sicherungsvollstreckung im französischen Recht
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Das französische Recht gestattet außerdem schon eine Sicherungsvollstreckung, ohne dass ein vollstreckbarer Titel vorliegt. Diese erlaubt noch keine auf Verwertung gerichteten mesures exécutoires, sondern lediglich mesures conservatoires, die nur die Anspruchserfüllung sichern, Art. 1 al.2 L. 1991. Gem. Art. 67 L. 1991 ist die Sicherungsvollstreckung aufgrund richterlicher Anordnung des juge de l’exécution zulässig, soweit die Forderung als dem Grunde nach bestehend erscheint und die Umstände ihre Durchsetzung gefährdet erscheinen lassen. In den in Art. 68 L. 1991 genannten Fällen ist eine richterliche Genehmigung sogar entbehrlich, insbesondere etwa dann, wenn der Gläubiger bereits im Besitz eines vollstreckbaren Titels ist, mit der Zwangsvollstreckung aber noch nicht begonnen wurde, oder wenn er bereits eine gerichtliche Entscheidung hat, die noch nicht vollstreckbar ist. Es können also bereits ab Verkündung der Entscheidung Sicherungsmaßnahmen durchgeführt werden, ohne Zustellungsfristen oder Rechtsmittelwirkungen abwarten zu müssen.88 Der Unterschied zum deutschen Arrest besteht darin, dass kein genereller Titel geschaffen wird, der zur Beschlagnahme von Vermögenswerten aller Art berechtigt. Der Gläubiger bedarf 86 Niboyet/Lacassagne, in: Andenas/Hess/Oberhammer (Hrsg.), Enforcement Agency, 2005, S. 164. 87 Cour de cassation, 1re civ., 06.06.1990, Bull. civ. I nº 140; Cour de cassation, ass.pl., 24.02.2006, DP 2006, jur., S. 1085; Guinchard, Droit et pratique, 5. Aufl. 2006, Rn. 431.163; diese weitergehende Schadensersatzhaftung hat in Art. 517 CPC gesetzlichen Niederschlag gefunden. 88 Bunge, ZV Frankreich, 2009, S. 107.
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keiner richterlichen Genehmigung, sondern kann unmittelbar den huissier de justice beauftragen. Allerdings muss er ihm gegenüber eine Gefahr der Vereitelung der Zwangsvollstreckung dartun.89 Mögliche Maßnahmen der Sicherungsvollstreckung sind einerseits die Si- 737 cherungsbeschlagnahme (saisie conservatoire, Art. 74 ff. L. 1991), die vor allem den Zugriff auf bewegliches Vermögen sichert. Zum anderen gibt es gerichtlich angeordnete vorläufige Sicherungsmaßnahmen (sûretés judiciaires, Art. 77 ff. L 1991), die dazu dienen, Immobilien, Handelsunternehmen, Gesellschaftsanteile und Wertpapiere als Zugriffsobjekt für den Gläubiger zu erhalten. Mit einer saisie revendication kann die Durchsetzung eines Herausgabeanspruchs sichergestellt werden, Art. 155 Décr. 1992. Sie beinhaltet ein Verfügungsverbot über die Sache und erlegt dem Schuldner die Verpflichtung auf, später pfändende Gläubiger auf die Sicherungsbeschlagnahme hinzuweisen (Art. 159 Décr. 1992). Durch Umwandlungsakt (acte de conversion) können Sicherungsmaß- 738 nahmen in endgültige übergeführt werden, die auch eine Befriedigung erlauben.90 IV. Die Exekution zur Sicherstellung im österreichischen Recht An dieser Stelle ist ein Blick in das österreichische Recht lehrreich, da 739 dieses für die Vollstreckungsbefugnisse vor Rechtskraft eine grundlegend andere Lösung gewählt hat als das deutsche. Grundsätzlich enthält ein Leistungsurteil gem. § 409 öZPO eine 14-tägige Leistungsfrist, die erst mit Rechtskraft zu laufen beginnt und die Vollstreckung sperrt. Lediglich ausnahmsweise berechtigen Geldleistungsurteile schon vor Eintritt der Rechtskraft und vor Ablauf der Leistungsfrist zur sog. Exekution zur Sicherstellung. Diese kann gem. § 370 EO bewilligt werden, wenn glaubhaft gemacht wird, dass andernfalls die Beitreibung „vereitelt oder erheblich erschwert werden würde“.91 § 371 EO zählt darüber hinaus einige Titel auf, die stets, also auch ohne eine Anspruchsgefährdung, zur Sicherstellungsexekution berechtigen.92 Ferner kann der Gläubiger bei Endurteilen erster oder zweiter Instanz, gegen die Berufung oder Revision eingelegt wurde, eine Sicherheit 89
Cour d’appel Paris (8e ch.), 07.05.1998, Rev. huissiers 1999, S. 210. Bunge, ZV Frankreich, 2009, S. 101. 91 Die Sicherstellungsexekution wird entweder schon vom Prozessgericht oder erst vom Exekutionsgericht bewilligt, § 375 I EO. 92 Dies sind unter anderem Anerkenntnisurteile, gegen die Berufung eingelegt wurde, Versäumnisurteile, gegen die Widerspruch eingelegt wurde und die in zweiter Instanz bestätigten Urteile, gegen die eine Revision eingelegt wurde (§ 371 Nr. 1 EO). 90
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Teil III: Die Wirkungen der Vollstreckbarkeit mitgliedstaatlicher Titel
stellen und dadurch die Sicherstellungsexekution möglich machen, § 371a S. 1 EO.93 Vor Nachweis des „gerichtlichen Erlages“ der zu leistenden Sicherheit darf mit dem Vollzug der Exekutionshandlungen nicht begonnen werden, vgl. § 371a S. 2 EO. 740
Die Exekution zur Sicherstellung ist ein auf halbem Weg angehaltenes Vollstreckungsverfahren, das noch nicht zu einer Befriedigung des Gläubigers führt.94 Der Gläubiger hat vorerst lediglich ein bedingtes Befriedigungsrecht.95 Das Verfahren beschränkt sich im Wesentlichen auf den Pfändungsabschnitt und führt nur ausnahmsweise zur Verwertung.96 § 374 I EO zählt die einstweilen möglichen Exekutionsmittel auf: Pfändung beweglichen Vermögens, Vormerkung eines Pfandrechts auf Liegenschaften, Zwangsverwaltung und Forderungspfändung. Ausnahmsweise kann die Forderung auch schon zur Einziehung überwiesen werden, wenn andernfalls ihre Einbringlichkeit gefährdet wäre, § 374 I a. E. EO. Ausschließlich die Einziehung und die Zwangsverwaltung sind bereits Teil der Verwertung, deren Erlös aber in gerichtlicher Verwahrung behalten wird, § 374 III EO.
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Die Sicherstellungsexekution wird entweder in eine Befriedigungsexekution übergeleitet oder aufgehoben.97 Wird der Titel rechtskräftig, verwandelt sich das bedingte exekutive Befriedigungsrecht des Gläubigers ipso iure in ein unbedingtes; nach Vorlage einer vollstreckbaren Ausfertigung des Titels leitet das Exekutionsgericht das Verwertungsverfahren ein.98 Die Aufhebung ist insbesondere möglich, wenn die gesicherte Forderung rechtskräftig aberkannt wurde, vgl. § 376 I Nr. 3 EO. Dann hat der Vollstreckungsgläubiger gem. § 376 II S. 1 EO verschuldensunabhängig den Schaden zu ersetzen, der dem Verpflichteten durch die Exekution entstanden ist. Anders als im deutschen Recht umfasst der verschuldensunabhängige Ersatzanspruch nicht den entgangenen Gewinn.99 Wurde ein Versäumnisurteil zur Sicherstellung exekutiert, tritt eine Schadensersatzpflicht nur ein, wenn dem Gläubiger die Nichtexistenz des Anspruchs grob fahrlässig unbekannt war, § 376 II S. 2 EO. Für eine weitergehende Ersatzpflicht nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen besteht kein Bedarf, weil die Sicherstellungsexekution noch nicht zu einer Verwertung führt.100 93 Der Gläubiger kann also durch die Sicherheitsleistung die an sich nach § 370 EO erforderliche Gefahrenbescheinigung ersetzen. Die Höhe der zu stellenden Sicherheit bestimmt das Gericht nach freiem Ermessen. Weitere Einzelfälle, in denen Sicherstellungsexekution möglich ist, regeln §§ 372 f. EO. 94 Rechberger/Oberhammer, Exekutionsrecht, 5. Aufl. 2009, Rn. 450. 95 Kaye, Execution in Europe, 1996, S. 20. 96 Rechberger/Oberhammer, Exekutionsrecht, 5. Aufl. 2009, Rn. 467. 97 Rechberger/Oberhammer, Exekutionsrecht, 5. Aufl. 2009, Rn. 468. 98 Rechberger/Oberhammer, Exekutionsrecht, 5. Aufl. 2009, Rn. 468. 99 Rechberger/Oberhammer, Exekutionsrecht, 5. Aufl. 2009, Rn. 471.
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V. Rechtsvergleichende Zusammenfassung Bis zum Eintritt ihrer Rechtskraft sind gerichtliche Entscheidungen nicht 742 einfach vollstreckbar oder nicht. Vielmehr bringt das Vollstreckungsrecht die Interessen, die Gläubiger und Schuldner in der Zwischenzeit haben, auf unterschiedliche Art und Weise zum Ausgleich: Dem Titelberechtigten ist nicht nur an baldiger Anspruchsrealisierung gelegen, sondern auch an einem Schutz vor Rechtsmitteln, die der Schuldner missbräuchlich einlegt um einen Vollstreckungsaufschub zu erlangen. Im Grundsatz wird ihm daher überall auch schon vor Rechtskraft eine Vollziehung gestattet. Den Zeitpunkt, ab dem dies möglich ist, wählen die Rechtsordnungen aber unterschiedlich, genauso wie die Reichweite der einstweiligen Befugnisse [1.]. Werden dem Titelberechtigten Vollstreckungsbefugnisse gewährt, bevor der Titel bestandskräftig ist, muss der Titelverpflichtete im Gegenzug vor den Nachteilen einer im Ergebnis nicht berechtigten Vollziehung geschützt werden. Entsprechende Schutzmechanismen sind in jeder Rechtsordnung vorgesehen, unterscheiden sich aber inhaltlich voneinander [2.] Unter rechtsvergleichender Betrachtung zeigt sich außerdem, dass zwischen der Reichweite der einstweiligen Gläubigerbefugnisse und der Ausgestaltung der Mechanismen zum Schuldnerschutz ein innerer Zusammenhang besteht [3.]. 1. Zeitpunkt der Erlangung von Vollstreckungsbefugnissen vor Rechtskraft und deren Umfang Ab wann mit der Beitreibung begonnen werden kann und welche Befug- 743 nisse der Gläubiger vor Rechtskraft hat, ist unterschiedlich geregelt. Was den Zeitpunkt anbelangt, folgen die drei betrachteten kontinentaleuropäischen Rechte einem grundlegend anderen Ansatz als das englische: Jenseits des Ärmelkanals erlangen die Judikate schon mit ihrem Erlass Rechtskraft und berechtigen sofort zur vollen Vollstreckung bis hin zur Erlösauskehr.101 Demgegenüber ist in Deutschland und Frankreich vor Eintritt der Rechtskraft nur dann eine Beitreibung möglich, wenn vorläufige Vollstreckbarkeit gestattet wurde. In Deutschland geschieht dies in aller Regel schon nach Abschluss des ersten Rechtszuges102, in Frankreich hingegen meist erst in der zweiten Instanz103. Im österreichischen Recht gewährt ein nicht rechtskräftiger Titel nur ausnahmsweise Vollstreckungsbefugnisse im Rahmen der Sicherstellungsexekution.104 100 101 102 103
Schreiber, Vollstreckungsgläubigerhaftung, 2008, S. 39. s. Rn. 728. s. Rn. 712. s. Rn. 734.
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Außerdem unterscheiden sich die Vollstreckungsbefugnisse, die der Gläubiger vor Rechtskraft erhält. Im deutschen Recht entspricht die vorläufige der endgültigen Vollstreckbarkeit, berechtigt insbesondere schon zur Erlösauskehr.105 Im Ergebnis entspricht dies der englischen Rechtslage, nach der es vorläufige Vollstreckung begrifflich nicht gibt, sondern grundsätzlich von vornherein endgültige Vollstreckbarkeit eintritt.106 In Frankreich erlaubt die exécution provisoire noch keine Versteigerung von Immobilien, entspricht ansonsten aber der endgültigen Vollstreckung.107 Und die Sicherstellungsexekution im österreichischen Recht beinhaltet nur Maßnahmen zur Anspruchssicherung.108
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Eine Besonderheit ist die Sicherungsvollstreckung im französischen Recht: Sie ebnet dem Inhaber eines noch nicht rechtskräftigen Titels den direkten Weg zu den Vollstreckungsorganen, die ohne eine vorherige richterliche Anordnung Maßnahmen der Anspruchssicherung ergreifen können.109 2. Mechanismen zum zwischenzeitlichen Schutz des Vollstreckungsschuldners
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Der einstweilen in Anspruch Genommene wird auf unterschiedliche Weise vor den Folgen einer letztlich nicht gerechtfertigten Vollstreckung bewahrt. Zu diesen Schutzmechanismen gehört in erster Linie die verschuldensunabhängige Vollstreckungsgläubigerhaftung, die in allen Rechtsordnungen vorgesehen ist und dazu führt, dass die Vollstreckung vor Rechtskraft auf Risiko des Gläubigers erfolgt.110 Ihre Erfüllung wird im deutschen und im französischen Recht bisweilen abgesichert durch eine vom Gläubiger zu stellende Sicherheit, deren Anordnung im Ermessen des Gerichts steht, das auch die vorläufige Vollstreckbarkeit angeordnet hat.111
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Außerdem ist es zum Schutz des Schuldners teilweise möglich, die vor Rechtskraft betriebene Vollstreckung wieder einzustellen. Diese Möglichkeit besteht in den verglichenen Rechtsordnungen insbesondere dann, wenn ein Rechtsbehelf gegen den Ausgangstitel eingelegt wurde.112 Eine zusätzliche 104
s. Rn. 739. Vgl. zu weiteren nationalen Regelungen Kennett, Enforcement in Europe, 2000, s. 70–74. 105 s. Rn. 712. 106 s. Rn. 728. 107 s. Rn. 735. 108 s. Rn. 740. 109 s. Rn. 736–738. 110 s. Rn. 713 (Deutschland), 729 (England), 735 (Frankreich). 111 s. Rn. 714 (Deutschland) u. 734 (Frankreich). 112 s. Rn. 723 (Deutschland), 730–732 (England), 735 (Frankreich).
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Absicherung vor den Folgen einer im Ergebnis nicht gerechtfertigten Vollstreckung erhält der Gläubiger dadurch, dass ihm die Möglichkeit eingeräumt wird, durch Sicherheitsleistung die Zwangsvollstreckung einstweilen abzuwehren. Dies erlauben das deutsche und das französische Recht.113 Vereinzelt wird der Schuldner auch dadurch geschützt, dass vor Vollstreckungsbeginn Nachleistungsfristen verstreichen müssen.114 Diese geben ihm Zeit, sich über die Erfolgsaussichten eines möglichen Rechtsmittels klar zu werden, setzen ihn also nicht in die Pflicht sofort „etwas zu unternehmen“, um eine bereits mögliche Vollziehung wieder anzuhalten. 3. Zusammenhang zwischen Gläubigerbefugnissen und Schuldnerschutzmechanismen Insgesamt zeigt sich damit, dass die graduellen Unterschiede der Vollstre- 748 ckungsreife eines Titels vor Rechtskraft anhand dreier Gesichtspunkte zu charakterisieren sind: Erstens unterscheiden sich Zeitpunkt und Umfang der einstweilen bestehenden Zugriffs- und Verwertungsbefugnisse. Zweitens ist deren Inanspruchnahme ggf. bedingt durch Fristen oder Stellung von Sicherheiten. Und drittens besteht ggf. die Möglichkeit, die Vollstreckung wieder einzustellen. Erst das Zusammenspiel dieser verschiedenen Stellschrauben sorgt für den ausgewogenen Ausgleich zwischen Gläubiger- und Schuldnerinteresse. Daher sind die Einzelregelungen in ihrem Verbund zu sehen: Insbesondere zwischen der Reichweite der vorläufigen Vollzugsbefugnisse und den flankierenden Mechanismen zum Schutz des Schuldners vor unberechtigter Zwangsvollstreckung besteht ein innerer Zusammenhang. Für die im Folgenden zu behandelnde Vollstreckung ausländischer Ent- 749 scheidungen vor Rechtskrafteintritt im Ursprungsland ergibt sich damit die besondere Schwierigkeit der grenzüberschreitenden Koordinierung der einzelnen Aspekte des Vollstreckungsverfahrens: Wenn das Recht des Ursprungslandes die Vollstreckung aus einem noch nicht rechtskräftigen Titel in besonders großem Rahmen zulässt, tut es dies womöglich nur, weil es besondere korrespondierende Schutzmechanismen zu Gunsten des Schuldners vorsieht. Es drohen daher prinzipiell Verwerfungen, wenn die Reichweite der Vollstreckungsbefugnisse und die ausgleichenden Schutzmechanismen unterschiedlichen Rechten entnommen werden.
113
s. Rn. 717, 719, 721 (Deutschland) u. 734 (Frankreich). In Deutschland setzt nur die Sicherungsvollstreckung das Verstreichen einer zweiwöchigen Frist voraus, vgl. Rn. 716. In England gilt regelmäßig eine 14-tägige Frist, Rn. 728. In Frankreich steht eine Nachleistungsfrist im gerichtlichen Ermessen, Rn. 733. 114
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Teil III: Die Wirkungen der Vollstreckbarkeit mitgliedstaatlicher Titel
VI. Die Fragestellung: Vollstreckung ausländischer Titel, die im Ursprungsland noch nicht rechtskräftig sind 750
Die Frage nach den Gläubigerbefugnissen und den anwendbaren Schuldnerschutzinstrumenten stellt sich, wenn nicht rechtskräftige Entscheidungen im Ausland vollstreckt werden sollen. Schließlich setzt das Exequatur gem. Art. 38 I EuGVVO lediglich voraus, dass die Entscheidung im Ursprungsstaat „vollstreckbar“ ist, muss dort also noch keine Rechtskraft erlangt haben.115 Rechtspolitisch ist die grenzüberschreitende Durchsetzung noch nicht rechtskräftiger Entscheidungen wünschenswert.116 Für deren Handhabung im Zweitland stellt sich aber die Frage, nach welchem Recht sich die Reichweite der Gläubigerbefugnisse richtet und wonach die Schutzinstrumente zu Gunsten des Schuldners zu beurteilen sind. Diese Problematik sei anhand zweier Beispielsfälle verdeutlicht: 1. Fall 5.1: Vollstreckungsbefugnisse im österreichisch-deutschen Verhältnis?
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Der fiktive Fall 5.1 greift den Unterschied zwischen der vorläufigen Vollstreckbarkeit im deutschen Recht und der österreichischen Exekution zur Sicherstellung auf: Ein in Österreich ergangenes Geldleistungsurteil wurde vor Eintritt seiner Rechtskraft durch das Ausgangsgericht zur Exekution zur Sicherstellung zugelassen (§§ 370 ff. EO). Der Schuldner legte in Österreich Berufung ein, was aber die Möglichkeit einer Sicherstellungsexekution nicht berührt. Ungeachtet des Rechtsmittels im Ursprungsland lässt der Gläubiger das Urteil sofort in Deutschland für vollstreckbar erklären. Nachdem die Rechtsbehelfsfrist von Art. 43 V EuGVVO verstrichen ist, will er den Titel in Deutschland so vollstrecken, wie es vor Ort nach den Regeln der vorläufigen Vollstreckbarkeit möglich wäre. Demgegenüber macht der Verpflichtete geltend, durch das Exequatur dürfe der Titel nicht erweitert werden, dem Gläubiger dürften daher auch in Deutschland nur Zugriffsbefugnisse entsprechend österreichischem Recht zukommen, schließlich sei der Titel in Österreich noch nicht rechtskräftig. Dem hält die Gegenseite entgegen, dass im deutschen Recht auch die noch nicht rechtskräftigen Titel bei vorläufiger Vollstreckung bis hin zur Erlösauskehr beigetrieben werden können. Dies sei dem Verpflichteten auch zumutbar, schließlich käme er ja in den Genuss der großzügigen Vollstreckungsgläubi115
Vgl. Schlosser, EuZPR, 3. Aufl. 2009, Art. 33 EuGVVO Rn. 4a. Matscher, ZZP 95 (1982), S. 170 (208): Der Sinn vorläufiger Vollstreckung – nämlich Beschleunigung der Rechtsverfolgung und Bremswirkung gegenüber mutwilligen, nur Verzögerungszwecken dienenden Rechtsmitteln – greift auch im Auslandsverkehr. 116
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gerhaftung nach § 717 ZPO, die ggf. durch Stellung einer Sicherheit abgesichert wäre. Ferner könne er von den im deutschen Recht bestehenden Möglichkeiten der Aussetzung der Vollstreckung Gebrauch machen. Entnähme man in diesem Fall die Reichweite der Zugriffsbefugnisse 752 deutschem Recht, folgte man insoweit einer Gleichstellung. Wendete man demgegenüber das Recht des Ursprungslandes an, handelte es sich um eine Wirkungserstreckung. In der Lit. wird dem zweiten Ansatz gefolgt: Die Exequierung eines noch nicht rechtskräftigen österreichischen Titels habe zur Folge, dass in Deutschland vorläufig nur Maßnahmen zur Anspruchssicherung möglich sind.117 Schließlich sei es nicht erforderlich, dass die Entscheidung im fremden Staat zur Verwertung kommt, obwohl sie von Haus aus nur zu Maßnahmen der Anspruchssicherung berechtigt.118 Zur praktischen Umsetzung wird vorgeschlagen, der Bescheinigung i. S. v. Art. 54 EuGVVO, Anh. V EuGVVO einen erklärenden Zusatz beizufügen, welche Art der Zwangsvollstreckung nach dem Recht des Ursprungslandes erlaubt ist.119 2. Fall 5.2: Erfordernis einer Sicherheitsleistung im deutsch-englischen Verhältnis? Ob vor Unabänderbarkeit der Entscheidung eine Vollstreckung nur gegen 753 Stellung einer Sicherheit möglich ist, wird in England und Deutschland unterschiedlich beantwortet, wie Fall 5.2 verdeutlichen soll: Einem deutschen Urteil, das gegen Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt wurde, wurde in England ein Exequatur erteilt. Obwohl der Schuldner in Deutschland Berufung eingelegt hat, das Urteil mithin noch nicht in Rechtskraft erwachsen ist, will der Gläubiger in England bereits die Vollstreckung betreiben, und zwar ohne eine Sicherheit stellen zu müssen. Eine solche sei schließlich im englischen Recht nicht erforderlich, weil Gerichtsentscheidungen hier sofort vollumfänglich vollstreckt werden können. Außerdem sei eine Vollstreckung ohne Sicherheitsleistung für den Schuldner nicht unangemessen, weil dieser im englischen Recht die Möglichkeit habe, einen stay of execution zu erwirken, wenn im Ursprungsland Rechtsmittel eingelegt werden. Der Schuldner hält die Entbindung vom Erfordernis einer Sicherheitsleistung demgegenüber für eine unzulässige Erweiterung des Titels. Er legt in England Rechtsbehelf nach Art. 43 V EuGVVO ein und beantragt gem. Art. 46 III EuGVVO die Anordnung einer Sicherheitsleistung. 117 Schlosser, in: FS Beys, Bd. II, 2003, S. 1471 (1477). Ebenso – allgemein – Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. I/Mankowski, 2011, Art. 38 EuGVVO Rn. 17. 118 Schlosser, in: FS Beys, Bd. II, 2003, S. 1471 (1477). 119 Vgl. Schlosser, in: FS Beys, Bd. II, 2003, S. 1471 (1477).
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Dies lehnt das englische Gericht ab und bestätigt das Exequatur. Dennoch meint der Schuldner, eine Vollstreckung dürfe nicht ohne Stellung einer Sicherheit erfolgen, weil insoweit die Vorgabe des deutschen Rechts auch in England gelten müsse. 754
Auch in diesem Fall könnte entweder der Gleichstellungs- oder der Wirkungserstreckungsgedanke tragfähig sein. Ohne dies ausdrücklich so zu nennen, wird in der Lit. der Wirkungserstreckungsgedanke vorgezogen: Wenn das Recht des Erlassstaates eine Zwangsvollstreckung nur gegen Sicherheitsleitung zulässt, müsse auch die Vollstreckbarerklärung diese Einschränkung enthalten bzw. dürfte von vornherein erst erteilt werden, wenn der Gläubiger die erforderliche Sicherheit erbracht hat.120 Diesem Ansatz folgt auch § 7 AVAG, wonach Bedingungen, die nach dem Recht des Ursprungslandes vor Beginn der Vollstreckung eintreten müssen (Sicherheitsleistung, Ablauf einer Frist, Eintritt einer anderen Tatsache) auch im Zweitland beachtlich sind.
C. Die rudimentären verordnungseigenen Regelungen zur Vollstreckung vor Rechtskraft: Art. 46 I, II, 47 EuGVVO 755
Zu dem hier behandelten Problemkreis der Vollstreckung vor Rechtskraft hält die EuGVVO nur rudimentäre Regelungen bereit. Die diesbezüglichen verordnungseigenen Bestimmungen sollen zunächst analysiert werden, um so die ungeregelten und daher erörterungsbedürftigen Konstellationen zu ermitteln. Zunächst ist auf Art. 47 III EuGVVO einzugehen, der anwendbar ist, solange die Exequaturentscheidung noch nicht rechtskräftig ist [I.]. Sodann ist Art. 46 I EuGVVO in den Blick zu nehmen, der es erlaubt, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Titel im Ursprungsland noch keine Rechtskraft erlangt hat [II.]. Zuletzt wird Art. 47 I, II EuGVVO betrachtet, der Vollstreckungsbefugnisse betrifft, solange der Ursprungstitel im Erstland weder rechtskräftig noch vollstreckbar ist [III.]. Aus der Analyse dieser verordnungseigenen Regelungen folgt, welche Konstellationen der Vollziehung von im Ursprungsland nicht rechtskräftigen Titeln nicht geregelt sind [IV.].
120 Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. I/Mankowski, 2011, Art. 38 EuGVVO Rn. 13; Schlosser, in: FS Beys, Bd. II, 2003, S. 1471 (1479 f.).
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I. Art. 47 III EuGVVO: Beschränkte Vollstreckbarkeit bis zum Eintritt der Rechtskraft der Vollstreckbarkeitsentscheidung Solange die Vollstreckbarkeitsentscheidung im Zweitstaat noch nicht in 756 Rechtskraft erwachsen ist, greift Art. 47 III EuGVVO, wonach die Vollstreckung im Zweitstaat über Maßnahmen zur Anspruchssicherung nicht hinausgehen darf. Dies gilt einerseits dann, solange die in Art. 43 V EuGVVO vorgesehene Rechtsbehelfsfrist gegen die Vollstreckbarerklärung noch nicht verstrichen ist, andererseits für den Fall, dass ein solcher Rechtsbehelf eingelegt, über ihn aber noch nicht entschieden wurde. Was den Umfang der gestatteten Sicherungsmaßnahmen anbelangt, darf dem deutschen Wortlaut von Art. 47 III EuGVVO nicht getraut werden. Nach diesem „darf die Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Schuldners nicht über Maßnahmen zur Sicherung hinausgehen“. Dies wäre so zu verstehen, dass nur die Vermögensvollstreckung auf Sicherungsmaßnahmen beschränkt ist, bei Ansprüchen, die einer Vermögensvollstreckung nicht zugänglich sind, demgegenüber keine Beschränkung greift. Ein Blick in die englische und die französische Sprachfassung zeigt aber, dass Art. 47 III EuGVVO etwas völlig anderes meint: Dort heißt es nämlich, dass einstweilen keine anderen Vollstreckungsakte ergriffen werden dürfen außer gegen das Vermögen gerichtete Sicherungsmaßnahmen.121 Demnach wäre die Vollstreckung von Nichtvermögensansprüchen vor Rechtskraft des Exequaturs im Zweitland gänzlich unmöglich. Dass die Bedeutung von Art. 47 III EuGVVO im englischen bzw. französischen Wortlaut richtig ist, ergibt sich aus dem Jenard-Bericht zum identischen Art. 39 I EuGVÜ. Dort heißt es, dass der Gläubiger zwischenzeitlich ausschließlich verhindern können solle, dass der Schuldner bis zur Rechtskraft des Exequaturs pfändbare Gegenstände der Zwangsvollstreckung entzieht.122 Die Vollstreckungsbeschränkung nach Art. 47 III EuGVVO soll anderer- 757 seits verhindern, dass aufgrund der im einseitigen Verfahren erteilten Vollstreckbarkeit vollendete Tatsachen geschaffen werden, obwohl der Schuldner nicht zu Wort gekommen war.123 Die verfügbaren Maßnahmen der Sicherungsvollstreckung und deren Voraussetzungen richten sich ausschließ121 Vgl. die englische Fassung: „. . . no measures of enforcement may be taken other than protective measures against the property of the party against whom enforcement is sought.“. Ebenso die französische Fassung: „. . . il ne peut être procédé qu’à des mesures conservatoires sur les biens de la partie contre laquelle l’exécution est demandée.“ 122 Jenard, Bericht z. EuGVÜ 1968 (52). 123 Schlosser, EuZPR, 3. Aufl. 2009, Art. 47 EuGVVO Rn. 1.
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lich nach dem nationalen Recht des Vollstreckungslandes.124 Allerdings dürfen die innerstaatlichen Verfahrensvorschriften nicht das Grundanliegen von Art. 47 III EuGVVO in Frage stellen.125 Insbesondere nationale Regelungen, die – über das Exequatur hinaus – eine zusätzliche gerichtliche Ermächtigung erfordern, sind ausgeschlossen.126 Damit gewährt Art. 47 III EuGVVO dem Gläubiger Zugriff auf Vollstreckungsmaßnahmen, die lediglich die spätere Befriedigung sichern, aber noch nicht in die Verwertungsphase gelangen. In Deutschland wären beispielsweise bereits Pfändungen oder Eintragungen von Hypotheken erlaubt, eine Befriedigung wäre dem Gläubiger aber noch nicht gestattet.127 Möglich wäre auch schon eine Sicherungsvollstreckung entsprechend §§ 720a I, II ZPO, ferner eine Vorpfändung nach § 845 ZPO oder ein Vorgehen nach den Regeln der Arrestvollziehung, §§ 930 II, III, 931, 932 ZPO, d.h. Arrestpfändung und Arresthypothek.128 Bei der Durchsetzung von Handlungs- und Unterlassungsansprüchen bereitet die Beschränkung auf Sicherungsmaßnahmen Schwierigkeiten. Hierfür wird vorgeschlagen, im Einzelfall zu prüfen, was vom Zweck des Art. 47 III EuGVVO noch gedeckt ist und was darüber hinausgeht.129 Allerdings dürfte sich dieses Problem gar nicht stellen, weil bei richtiger Auslegung Art. 47 III EuGVVO – wie soeben gezeigt – lediglich gegen das Vermögen gerichtete Sicherungsmaßnahmen erlaubt sind. 758
Die Umsetzung der beschränkten Vollstreckbarkeit nach Art. 47 III EuGVVO bereitet in Rechtsordnungen Schwierigkeiten, die eine Sicherungsvollstreckung nicht als Teil des Vollstreckungsverfahrens kennen, sondern stattdessen mit einstweiligem gerichtlichem Rechtsschutz arbeiten, wie etwa in England.130 In Frankreich bestehen insofern keine Schwierigkeiten, weil die saisie conservatoire unmittelbar vom Gerichtsvollzieher durchgeführt wird, und damit dem Grundgedanken der Sicherungsvollstreckung von Art. 47 III EuGVVO entspricht.
124 Kropholler, EuZPR, 8. Aufl. 2005, Art. 47 Rn. 12; EuGH, 03.10.1985 – Rs. 119/84, P. Capelloni und F. Aquilini ./. J.C.J. Pelkmans, Slg. 1985, 3147 zu Art. 39 EuGVÜ. 125 So EuGH, 03.10.1985 – Rs. 119/84, P. Capelloni und F. Aquilini ./. J.C.J. Pelkmans, Slg. 1985, 3147, Rn. 21 zu Art. 39 EuGVÜ. 126 EuGH, 03.10.1985 – Rs. 119/84, P. Capelloni und F. Aquilini ./. J.C.J. Pelkmans, Slg. 1985, 3147, Rn. 25 unter Berufung auf Art. 39 II EuGVÜ (heute Art. 47 II EuGVVO), wo ausdrücklich geregelt ist, dass die Erteilung des Exequaturs die „Befugnis“ für Sicherungsmaßnahmen gebe. 127 Geimer, in: Geimer/Schütze (Hrsg.), EuZVR, 3. Aufl. 2010, Art. 47 Rn. 12. 128 LG Zwickau, 19.10.2006 – 8 T 345/06, IHR 2007, S. 209. 129 Musger, in: Bajons/Mayr/Zeiler (Hrsg.), EuGVÜ und LugÜ, 1997, S. 247 (256). 130 Kennett, Enforcement in Europe, 2000, S. 96 f.
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II. Art. 46 I, 47 III und 46 III EuGVVO: Möglichkeiten der Beschränkung der Vollstreckbarkeit bis zum Eintritt der Rechtskraft im Erststaat Ist der Ursprungstitel im Ausgangsstaat noch nicht rechtskräftig, greift 759 Art. 46 I EuGVVO. Diese Vorschrift erlaubt allerdings nur, das Rechtsbehelfsverfahren gegen die Exequaturentscheidung im Zweitstaat auszusetzen – und zwar entweder dann, wenn gegen die Entscheidung im Erststaat ein ordentlicher Rechtsbehelf eingelegt, über ihn aber noch nicht entschieden wurde, oder dann, wenn die Einlegung eines solchen Rechtsbehelfs noch möglich ist. Letzterenfalls kann das zweitstaatliche Rechtsbehelfsgericht dem Vollstreckungsschuldner eine Frist zur Einlegung des Rechtsbehelfs setzen, vgl. Art. 46 I 2. Hs. EuGVVO. Folgt das mit dem Rechtsbehelf gegen die Vollstreckbarkeitsentscheidung 760 befasste Gericht dem Antrag und setzt gem. Art. 46 I EuGVVO das Verfahren aus, gilt die in Art. 47 III EuGVVO vorgesehene Beschränkung der Vollstreckung auf Sicherungsmaßnahmen weiter, da das Exequatur noch nicht rechtskräftig ist.131 Eine Vollziehung ist also nur in dem zuvor dargestellten Umfang möglich.132 Die Entscheidung über die Aussetzung des Vollstreckbarerklärungsverfahrens steht im Ermessen das zweitstaatlichen Gerichts133 und erfordert eine positive Prognose der Erfolgsaussichten der im Erststaat geführten Rechtsbehelfe.134 Eine Verfahrensaussetzung kommt daher nur bei erkennbar fehlerhafter Entscheidung des Erststaates in Betracht.135 Hierbei sind nach dem EuGH nur solche Gründe zu berücksichtigen, die der Schuldner im Erstprozess noch nicht geltend machen konnte.136 131 BGH, 16.05.1983 – VIII ZB 8/83, BGHZ 87, 259; Kropholler, EuZPR, 8. Aufl. 2005, Art. 46 EuGVVO Rn. 8; Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. I/Mankowski, 2011, Art. 46 EuGVVO Rn. 15; Geimer, in: Geimer/Schütze (Hrsg.), EuZVR, 3. Aufl. 2010, Art. 46 EuGVVO Rn. 30. Art. 47 III EuGVVO gilt nach seinem Wortlaut nur, solange ein Rechtsbehelf i. S. v. Art. 43 EuGVVO (also in Deutschland die sofortige Beschwerde) möglich ist, bzw. über einen solchen noch nicht entschieden wurde. Vor rechtskräftigem Abschluss des Vollstreckbarerklärungsverfahrens gilt die Vollstreckungsbeschränkung nur dann nicht mehr, wenn gegen die bestätigende Entscheidung des Beschwerdegerichts Rechtsbeschwerde eingelegt wurde. 132 s. Rn. 757 f. 133 OLG Düsseldorf, 20.01.2004 – I-3 W 3/04, 3 W 3/04, RIW 2004, S. 391; OLG Celle, 03.01.2007 – 8 W 86/06, NJW-RR 2007, S. 718. 134 Geimer, in: Geimer/Schütze (Hrsg.), EuZVR, 3. Aufl. 2010, Art. 46 EuGVVO Rn. 18. 135 OLG Düsseldorf, 20.01.2004 – I-3 W 3/04, 3 W 3/04, RIW 2004, S. 391, Rn. 20; Geimer, in: Geimer/Schütze (Hrsg.), EuZVR, 3. Aufl. 2010, Art. 46 EuGVVO Rn. 17. 136 EuGH, 04.10.1991 – Rs. C-183/90, van Dalfsen u. a. ./. van Loon u. Berendsen, Slg. I-1991, 4743.
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Andernfalls würde nach Auffassung des EuGH die grenzüberschreitende Urteilsvollstreckung zu stark behindert. Anstatt das Rechtsbehelfsverfahren auszusetzen, kann das Gericht auch – trotz fehlender Rechtskraft des Ursprungstitels im Erststaat – über die Vollstreckbarerklärung entscheiden und das Exequatur bestätigen oder aufheben. Ersterenfalls entfällt die Beschränkung gem. Art. 47 III EuGVVO auf Sicherungsmaßnahmen, da diese Vorschrift nur greift, „solange über den Rechtsbehelf nicht entschieden ist“.137 Zweiterenfalls ist die Vollstreckung insgesamt hinfällig geworden. 761
Für den Fall, dass das Gericht trotz fehlender Rechtskraft im Ursprungsland bereits über den Rechtsbehelf im Zweitland entscheidet und die Vollstreckbarerklärung bestätigt, hat es gem. Art. 46 III EuGVVO auch die Möglichkeit, (auf Antrag) in seiner bestätigenden Entscheidung die Fortsetzung der Zwangsvollstreckung von der Stellung einer Sicherheit durch den Gläubiger abhängig zu machen. Diese Beschränkung greift dann ab der zweitinstanzlichen Bestätigung des Exequaturs.138 Bei der Entscheidung über Art. 46 III EuGVVO hat das Gericht nicht nur die Erfolgsaussichten des erststaatlichen Rechtsbehelfs in Betracht zu ziehen, sondern auch die Folgen einer Nichtaussetzung für den Schuldner und allgemein wirtschaftliche Konsequenzen für beide Seiten zu betrachten.139 Die Möglichkeit von Art. 46 III EuGVVO kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Voraussetzungen für eine Aussetzung nach Art. 46 I EuGVVO nicht erfüllt sind.140
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Gemessen an den Vollstreckungserwartungen des Gläubigers ist der Weg über Art. 46 III EuGVVO die mildere Maßnahme gegenüber der Verfahrensaussetzung, während der gem. Art. 47 III EuGVVO nur Sicherungsmaßnahmen möglich sind.141 Soweit die Erfolgsaussichten im Ursprungsland nicht abzusehen sind, tendieren deutsche Gerichte dazu, die Zwangsvollstreckung nur gegen Stellung einer Sicherheit fortzusetzen, um zu verhindern, dass zum Nachteil des Vollstreckungsgegners vollendete Tatsachen geschaffen werden.142 Dies wird auch dem Umstand gerecht, dass in 137 Vgl. Musger, in: Bajons/Mayr/Zeiler (Hrsg.), EuGVÜ und LugÜ, 1997, S. 247 (257 f.), der aber bis zum Eintritt der Rechtskraft der Exequaturentscheidung Art. 47 III EuGVVO analog anwenden will. 138 Und nicht schon während des Rechtsbehelfsverfahrens, vgl. OLG Koblenz, 06.08.2007 – 2 U 600/07 (juris); Geimer, in: Geimer/Schütze (Hrsg.), EuZVR, 3. Aufl. 2010, Art. 46 Rn. 31. 139 Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. I/Mankowski, 2011, Art. 46 Rn. 17. 140 Geimer, in: Geimer/Schütze (Hrsg.), EuZVR, 3. Aufl. 2010, Art. 46 Rn. 35. 141 MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, Art. 46 EuGVVO Rn. 4. 142 OLG Stuttgart, 15.05.1997 – 5 W 4/97, NJW-RR 1998, S. 280; OLG Düsseldorf, 21.02.2001 – 3 W 429/00, RIW 2001, S. 620 (621); OLG Celle, 03.01.2007 – 8 W 86/06, NJW-RR 2007, S. 718 (719).
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grenzüberschreitenden Fällen Rückforderungen und Schadensersatz schwieriger zu realisieren sind als im rein nationalen Kontext.143 III. Art. 47 I, II EuGVVO: Vollstreckungsmaßnahmen, die weder Rechtskraft noch Vollstreckbarkeit des Ursprungstitels im Erststaat erfordern Noch vor Erteilung eines Exequaturs erlaubt Art. 47 I EuGVVO einst- 763 weilige Maßnahmen, wenn eine ausländische Entscheidung auf Grundlage der EuGVVO für vollstreckbar erklärt werden muss. Ob die Ergreifung derartiger Maßnahmen im Zweitstaat voraussetzt, dass die Entscheidung dort in concreto anzuerkennen wäre, ist umstritten. Dies legt der Wortlaut nahe.144 Dann hätte das Vollstreckungsorgan zu prüfen, ob die Verordnung anwendbar ist, eine Entscheidung i. S. v. Art. 32 EuGVVO vorliegt und die Anerkennungsversagungsgründe erfüllt sind. Dagegen spricht allerdings ein Erst-Recht-Schluss zur Prüfungskompetenz des Richters in der ersten Instanz des Vollstreckbarerklärungsverfahrens, die Anerkennungsversagungsgründe ebenfalls nicht mit einschließt.145 Obwohl Art. 47 I EuGVVO von dem „Antragsteller“ spricht, hat man die Vorschrift richtigerweise so auszulegen, dass der Gläubiger die erfassten Maßnahmen auch schon erwirken kann, bevor er die Vollstreckbarerklärung beantragt hat.146 Dies ist durch den Zweck der Norm geboten, die sicherstellen soll, dass dem Gläubiger ein Vollstreckungszugriff möglich ist, noch bevor der Schuldner sein Vermögen außer Landes schaffen kann. Diese Chance auf einen Überraschungszugriff würde vereitelt, wenn der Gläubiger zuvor einen Antrag auf Vollstreckbarerklärung stellen müsste, denn im ersten Verfahrensabschnitt wird das Exequatur innerhalb weniger Tage erteilt und dem Schuldner sodann zugestellt (Art. 42 II EuGVVO). Art. 47 I EuGVVO ist selbst dann anwendbar, wenn die Entscheidung im 764 Ursprungsland noch nicht vollstreckbar ist.147 Die Bestimmung gilt nämlich für alle Maßnahmen des zweitstaatlichen Rechts, die ohne vorherige Erlangung eines vollstreckbaren Hauptsachetitels vollzogen werden können.148 143
Schlosser, EuZPR, 3. Aufl. 2009, Art. 46 EuGVVO Rn. 3. Kropholler, EuZPR, 8. Aufl. 2005, Art. 47 EuGVVO Rn. 5; RauscherEuZPR/EuIPR, Bd. I/Mankowski, 2011, Art. 47 EuGVVO Rn. 7. 145 Hess/Hub, IPRax 2003, S. 93 (94, 99); Geimer, in: Geimer/Schütze (Hrsg.), EuZVR, 3. Aufl. 2010, Art. 47 EuGVVO Rn. 3. 146 Schlosser, RIW 2002, S. 809 (813); Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. I/Mankowski, 2011, Art. 47 EuGVVO Rn. 8. 147 Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. I/Mankowski, 2011, Art. 47 EuGVVO Rn. 6; Stadler, in: Gottwald (Hrsg.), Revision EuGVÜ, 2000, S. 37 (64); Geimer, in: Geimer/Schütze (Hrsg.), EuZVR, 3. Aufl. 2010, Art. 47 EuGVVO Rn. 1. 144
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Dies folgt einerseits aus der Formulierung „einstweilige Maßnahmen einschließlich solcher, die auf Sicherung gerichtet sind“, die ebenso in Art. 31 EuGVVO zu finden ist, der unzweifelhaft nur einstweilige Maßnahmen meint. Während Art. 31 EuGVVO bis zum Vorliegen einer Hauptsacheentscheidung gilt, gestattet Art. 47 I EuGVVO bis zum Vorliegen einer endgültigen Vollstreckbarerklärung Zugriff auf Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes im Zweitland.149 Andererseits zeigt dies auch die abweichende Formulierung in Abs. III des Art. 47 EuGVVO, durch die ausdrücklich die „Zwangsvollstreckung“ auf Maßnahmen zur Sicherung beschränkt ist. Damit erlaubt Art. 47 I EuGVVO nicht nur die Erwirkung eines Vollstreckungstitels im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, sondern gestattet auch einen direkten Zugriff auf Vollstreckungsmittel, die einen vollstreckbaren Titel nicht voraussetzen.150 765
Unter Anwendung dieser Grundsätze kann in Deutschland etwa ein Arrest erwirkt werden, wenn andernfalls zu besorgen ist, dass die Vollstreckung vereitelt oder wesentlich erschwert würde (§ 917 II ZPO). Das Vorhandensein eines Arrest- oder Verfügungsanspruchs kann durch Vorlage des ausländischen Titels selbst glaubhaft gemacht werden.151 Außerdem kommt eine Vorpfändung gem. § 845 ZPO in Betracht. Allerdings dürfte der unmittelbare Zugriff auf eine Sicherungsvollstreckung nach § 720a ZPO nicht möglich sein, da diese einen vollstreckbaren Titel voraussetzt, mithin nicht als „einstweilige Maßnahme“ eingeordnet werden kann.152 Aus dem gleichen Grunde kann genauso wenig von einer Vollziehung nach §§ 928, 930 148 Schlosser, IPRax 2007, S. 239 (240); Schlosser, RIW 2002, S. 809 (813). A. A. Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. I/Mankowski, 2011, Art. 47 EuGVVO Rn. 2–4, der auch Maßnahmen zulassen möchte, die im nationalen Recht an sich eine Hauptsachetitulierung voraussetzen. Nach Ansicht von Hess/Hub, IPRax 2003, S. 93 (97), erlaubt Art. 47 I EuGVVO im Zweitland nur insoweit Sicherungsmaßnahmen, wie sie auch nach dem Recht des Erstlandes möglich wären. 149 MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, Art. 47 EuGVVO Rn. 2. Nach Vorliegen einer endgültigen Vollstreckbarerklärung dürfte das Rechtsschutzbedürfnis für einstweilige Maßnahmen entfallen sein. 150 Geimer, in: Geimer/Schütze (Hrsg.), EuZVR, 3. Aufl. 2010, Art. 47 EuGVVO Rn. 2. 151 Schlosser, RIW 2002, S. 809 (813); Hess/Hub, IPRax 2003, S. 93 (95). 152 Schlosser, EuZPR, 3. Aufl. 2009, Art. 47 EuGVVO Rn. 2. A. A. Kropholler, EuZPR, 8. Aufl. 2005, Art. 47 EuGVVO Rn. 4; Mauch, Sicherungsvollstreckung, 2003, S. 188 f.; Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. I/Mankowski, 2011, Art. 47 EuGVVO Rn. 4: § 720a ZPO soll analog anwendbar sein, allerdings müssen nicht alle seine Voraussetzungen erfüllt sein. Nach Hess/Hub, IPRax 2003, S. 93 (95) kann eine Sicherungsvollstreckung gem. § 720a ZPO nur vorgenommen werden, wenn bereits im Erststaat eine vollstreckbare Ausfertigung des Titels erteilt und dem Schuldner zugestellt wurde, weil insoweit die Voraussetzungen nach dem deutschen Vollstreckungsrecht erfüllt sein müssen.
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ZPO unmittelbar Gebrauch gemacht werden.153 In Frankreich sind Maßnahmen der Sicherungsvollstreckung (mesure conservatoire) möglich, in England eine freezing injunction.154 All diese Maßnahmen sind ohne einen Hauptsachetitel möglich und daher von Art. 47 I EuGVVO erfasst. Das Bemerkenswerte bei den Sicherungsmaßnahmen i. S. v. Art. 47 I EuGVVO ist, dass sich deren Ob und Wie nach dem Recht des Zweitlandes richtet. Es kommt also nicht darauf an, ob und welche Sicherungsmaßnahmen im Urteilsland konkret möglich wären. Von diesen Maßnahmen kann der Gläubiger auch dann noch Gebrauch 766 machen, wenn die Vollstreckbarerklärung erfolgt ist. Davon geht jedenfalls Art. 47 II EuGVVO aus, der auf Art. 47 I EuGVVO Bezug nimmt. Ergänzend regelt die Vorschrift, dass die erstinstanzliche Vollstreckbarerklärung die „Befugnis“ für solche Maßnahmen gibt. Dies bedeutet, dass die Befugnis zur Sicherungsvollstreckung unmittelbar aus der EuGVVO selbst folgt und nicht aus dem nationalen Recht des Vollstreckungsstaates.155 Demnach kann der Vollstreckungsgläubiger unmittelbar aufgrund der Vollstreckbarerklärung Sicherungsmaßnahmen vornehmen lassen und muss nicht zusätzlich noch ein Sicherungsbedürfnis oder andere Anordnungsvoraussetzungen nach zweitstaatlichem Recht dartun.156 Welche Sicherungsmaßnahmen im Einzelnen ergriffen werden können, bestimmt allerdings das Recht des Vollstreckungsstaates. Soweit die Vollstreckbarerklärung im Zweitstaat unanfechtbar geworden ist, dürfte ein Rechtsschutzbedürfnis für einstweilige Maßnahmen in den meisten Fällen nicht mehr gegeben sein.157 Art. 47 II EuGVVO verdrängt sogar im zweitstaatlichen Recht mögli- 767 cherweise bestehende Zustellungserfordernisse. Da die Vorschrift eine Überraschung des Schuldners ermöglichen will, sind weder eine Zustellung des ausländischen Titels noch der Vollstreckbarerklärung an den Schuldner erforderlich.158 153 Schlosser, EuZPR, 3. Aufl. 2009, Art. 47 EuGVVO Rn. 2. A. A. RauscherEuZPR/EuIPR, Bd. I/Mankowski, 2011, Art. 47 EuGVVO Rn. 4 und Kropholler, EuZPR, 8. Aufl. 2005, Art. 47 EuGVVO Rn. 13 wonach §§ 928, 930 ZPO analog gelten sollen. 154 Mauch, Sicherungsvollstreckung, 2003, S. 139–141 (Frankreich) und S. 183– 185 (England). 155 Kropholler, EuZPR, 8. Aufl. 2005, Art. 47 EuGVVO Rn. 9; EuGH, 03.10. 1985 – Rs. 119/84, P. Capelloni und F. Aquilini ./. J.C.J. Pelkmans, Slg. 1985, 3147. 156 MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, Art. 47 EuGVVO Rn. 6. 157 Geimer, in: Geimer/Schütze (Hrsg.), EuZVR, 3. Aufl. 2010, Art. 47 EuGVVO Rn. 25. 158 MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, Art. 47 EuGVVO Rn. 7; LG Stuttgart, 28.03.1988 – 2 T 1001/87, RIW 1988, S. 563; LG Bonn, 04.03.2003 – 4 T 33/03, RIW 2003, S. 388.
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Teil III: Die Wirkungen der Vollstreckbarkeit mitgliedstaatlicher Titel
IV. Konstellationen, in denen die EuGVVO die Vollstreckungsbefugnisse bei fehlender Rechtskraft im Ursprungsstaat nicht regelt 768
In zusammenfassender Betrachtung hat sich gezeigt, dass die geschriebenen Regelungen der EuGVVO nur in bestimmten Konstellationen ermöglichen, bei der Vollstreckung im Zweitland dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Titel im Ursprungsland noch nicht rechtskräftig ist.
769
Eine Beschränkung der Reichweite der Vollstreckbarkeit regeln sie in erster Linie nur, solange die Vollstreckbarerklärung im Zweitstaat noch nicht in Rechtskraft erwachsen ist: Ist die Rechtsbehelfsfrist von Art. 43 V EuGVVO ungenutzt verstrichen, ist die in Art. 47 III EuGVVO vorgesehene Beschränkung auf Sicherungsmaßnahmen nicht mehr anwendbar. Genauso wenig greift sie in dem Fall, dass zwar ein Rechtsbehelf gegen die Vollstreckbarkeitsentscheidung eingelegt wurde, das Rechtsbehelfsgericht aber die gem. Art. 46 I EuGVVO beantragte Verfahrensaussetzung trotz fehlender Rechtskraft im Ursprungsland nicht gewährt und die Exequaturerteilung bestätigt hat. Zwar besteht in diesem Fall gem. Art. 46 III EuGVVO auch die Möglichkeit der Anordnung einer Sicherheitsleistung. Diese wie auch die Verfahrensaussetzung nach Art. 46 I EuGVVO sind reine Ermessensentscheidungen, gegen die noch nicht mal ein Rechtsbehelf offen steht.159 Denkbar ist auch, dass der Schuldner einen Antrag nach Art. 46 I, III EuGVVO gar nicht erst gestellt hatte.
770
In den Konstellationen, in denen das Exequatur entweder in Rechtskraft erwachsen ist (weil die Rechtsbehelfsfrist von Art. 43 V EuGVVO ungenutzt verstrichen) bzw. zweitinstanzlich bestätigt wurde (weil keine Aussetzung nach Art. 46 I EuGVVO gewährt) und auch kein Sicherheitserfordernis nach Art. 46 III EuGVVO angeordnet wurde, stellt sich somit die Frage, zu welcher Vollstreckung die Vollstreckbarerklärung im Zweitland berechtigt: Nach welchem Recht richten sich die Vollstreckungsbefugnisse des Gläubigers, nach welchem die besonderen vor Rechtskraft zu beachten Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen? In welchem Land kann nach autonomem Recht eine Aussetzung oder Beschränkung der Vollstreckung erreicht werden?
771
Diese Fragen haben durchaus praktische Bedeutung, da es leicht zu der Situation kommen kann, dass die Vollstreckbarerklärung zwar rechtskräftig bzw. zweitinstanzlich bestätigt ist, die Entscheidung im Ursprungsland hingegen noch nicht in Rechtskraft erwachsen ist. Wurde die erstinstanzliche Entscheidung im Ursprungsland durch Rechtsmittel angefochten, können Jahre vergehen, bis ein rechtskräftiger Titel vorliegt. 159 EuGH, 04.10.1991 – Rs. C-183/90, van Dalfsen u. a. ./. van Loon u. Berendsen, Slg. I-1991, 4743 (4773).
§ 9 Die Vollstreckung nicht rechtskräftiger ausländischer Titel
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D. Grenzüberschreitende Koordinierung gradueller Unterschiede der Vollstreckbarkeit bis zum Eintritt der Rechtskraft Für die zuvor bezeichneten Fälle, in denen die EuGVVO keine Regelun- 772 gen bereithält, die der fehlenden Rechtskraft im Ursprungsland Rechnung tragen, bleibt nunmehr zu klären, welche Vollstreckungsmodalitäten im Zweitland gelten, wenn der Titel im Ursprungsland noch nicht rechtskräftig ist. Im Einzelnen ist fraglich, welche Vollstreckbarkeitsbefugnisse im Zweitland bestehen [I.] und nach welchem Recht sich richtet, ob im Zweitland nur gegen Stellung einer Gläubigersicherheit vollstreckt werden kann [II.]. Ferner ist zu untersuchen, wo und wie die Vollstreckung nach nationalem Recht beschränkt bzw. ausgesetzt werden kann [III.] und wie Nachleistungsfristen grenzüberschreitend wirken [IV.]. Ausgehend hiervon sind die Fälle 5.1 und 5.2 einer Lösung zuzuführen [V.]. I. Reichweite der Vollstreckungsbefugnisse im Zweitland vor Rechtskraft des Titels im Ursprungsland Solange der Titel im Ursprungsland noch nicht rechtskräftig ist, stellt sich 773 die Frage, welche Reichweite die einstweilen bestehende Vollstreckbarkeit im Zweitland hat. Die rechtsvergleichenden Untersuchungen hatten ergeben, dass sich die einzelnen Rechtsordnungen diesbezüglich durchaus unterscheiden.160 Zur Frage der Befugnisreichweite im Zweitland sind im Folgenden die in § 8 entwickelten Prämissen der Wirkungen der Vollstreckbarerklärung zu befragen [1. bis 3.]. Der Lösungsansatz, der sich hieraus ergibt, muss ferner mit den geschriebenen Regeln der EuGVVO vereinbar sein [4.] 1. Folgerungen aus Prämisse 1 (Keine Veränderung des Leistungsbefehls) Die Vollstreckbarerklärung darf nach Prämisse 1 den Leistungsbefehl we- 774 der erweitern noch verkürzen. Dieses Postulat verweist für alle Aspekte, die den Titelinhalt betreffen, auf das Recht des Ursprungslandes. Während nur dieses vorgeben kann, ob der Gläubiger überhaupt vor Rechtskraft vollstrecken darf (Art. 38 I EuGVVO), ist dies für die Reichweite der vorläufig möglichen Vollziehung nicht eindeutig. Ob bereits Verwertung oder vorerst nur Anspruchssicherung möglich ist, könnte Teil des Titelinhaltes sein, weil dieser Gesichtspunkt in engem Zusammenhang damit steht, ob überhaupt Vollstreckung möglich ist. 160
s. Rn. 744 f.
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Teil III: Die Wirkungen der Vollstreckbarkeit mitgliedstaatlicher Titel
775
Allerdings ist die Frage nach der Reichweite der Gläubigerbefugnisse nichts anderes als die nach den einzelnen Vollstreckungsmethoden, von denen er Gebrauch machen darf. Denn die jeweilige Titelreife kann nur durch entsprechende Vollzugsarten umgesetzt werden. Kennt der Ursprungsstaat Vollstreckungsstufen, die mit den im Zweitland vorgesehenen nicht vergleichbar sind, stößt eine originalgetreue Umsetzung der ausländischen Titelreife auf Schwierigkeiten. Die im österreichischen Recht bekannte Exekution zur Sicherstellung ließe sich zwar in Deutschland noch durch eine Sicherungsvollstreckung analog § 720a ZPO nachempfinden.161 Problematisch wäre dies aber in England oder Frankreich, wo sich vergleichbare Instrumente einer „angehaltenen Vollziehung“ nicht finden. Nachdem sich die Durchführung der einzelnen Vollstreckungsmechanismen als Teil der Vollstreckung im Grundsatz nur nach der lex fori executionis richten kann162 und mit diesen die Gläubigerbefugnisse in ihrer Reichweite umgesetzt werden müssen, wären Verzerrungen unausweichlich, wenn letztere in ihren einzelnen Nuancierungen vom Recht des Ursprungslandes vorgegeben würden. Deshalb sollte die Frage, wie weit die Anspruchsdurchsetzung gehen darf, vom Recht des Zweitstaates entschieden, mithin nicht als Teil des Leistungsbefehls, sondern als Aspekt des „Wie“ der Beitreibung eingeordnet werden.
776
Hinzu kommt, dass der ausländische Titel i. d. R. nicht erkennen lässt, ob er im Urteilsland bereits zur Befriedigung oder nur zur Sicherung berechtigt. Die mit österreichischem Zivilprozessrecht nicht vertrauten Vollstreckungsorgane des Zweitstaates wüssten nicht, was „Exekution zur Sicherstellung“ genau bedeutet. Die aufwendige Befassung mit ausländischem Vollstreckungsrecht könnte dadurch vermieden werden, dass von vornherein auf die Vorschriften des Vollstreckungslandes zurückgegriffen wird.163
777
Außerdem geht es bei der Art und Weise der Vollstreckung vor Rechtskraft in erster Linie darum, das einstweilige Vollzugsinteresse des Gläubigers mit dem gebotenen Schutz des Schuldners vor im Ergebnis unberechtigter Vollziehung in Einklang zu bringen. Gerade über die Ausgestaltung des Schuldnerschutzes muss der Vollstreckungsstaat selbst entscheiden können, da er gegenüber dem Vollstreckungsschuldner zu einem verfassungskonformen Verhalten verpflichtet ist. Ausschließlich nach der Verfassungsordnung des Zweitstaates beurteilt sich, ob ein Vollstreckungszugriff die 161
Hess/Hub, IPRax 2003, S. 93 (97). s. weiter unten Rn. 1047–1087 (inbes. Ergebnis Rn. 1083). 163 A. A. Schlosser, in: FS Beys, Bd. II, 2003, S. 1471 (1477), der das Problem dadurch lösen will, dass der Bescheinigung nach Art. 54 Anh. V EuGVVO eine Ablichtung der Vollstreckungsvorschriften des ausländischen Vollstreckungsrechts beigegeben wird. 162
§ 9 Die Vollstreckung nicht rechtskräftiger ausländischer Titel
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Grundrechte des Schuldners verletzt, weil er – gemessen am Vollzugsinteresse des Gläubigers – unverhältnismäßig und damit nicht gerechtfertigt ist.164 Außerdem ist die Frage des Schuldnerschutzes von grundlegenden Gerechtigkeitsvorstellungen geprägt, spielt sich damit in einem sensiblen Bereich ab, in dem sich ein Staat nur ungern von ausländischem Recht „reinreden“ lassen wird.165 Hat ein Mitgliedstaat beispielsweise für sich festgelegt, dass vor Rechtskrafteintritt dem Verpflichteten die Verwertung seines Vermögens noch nicht zuzumuten ist, wird er dies erst recht nicht wollen, wenn es sich um ausländische Entscheidungen handelt, deren Richtigkeitsgewähr er nicht kennt. Möglich ist auch, dass das Vollstreckungsland für sich die Festlegung getroffen hat, ausschließlich rechtskräftige Titel zu vollstrecken. Auch in diesem Fall wird man vom Zweitland nicht verlangen können, einen ausländischen nicht rechtskräftigen Titel entsprechend der Vorstellungen des Ursprungslandes durchzusetzen. Daher sollte jeder Staat selbst festlegen können, auf welche Art und 778 Weise er einen noch nicht rechtskräftigen Titel durchsetzen will. Nur die Frage, ob vor Rechtskrafteintritt überhaupt Vollstreckung möglich ist, hat der Ursprungsstaat vorzugeben. Dies hängt schließlich auch vom Grad der Bestandsfestigkeit der Entscheidung ab, was nur das dortige Rechtsmittelrecht beantworten kann. Wie aber dem Umstand Rechnung zu tragen ist, dass noch keine Rechtskraft eingetreten ist, ist eine Frage, die das Recht entscheiden muss, dem das Vollstreckungsverfahren unterliegt. Zum Leistungsbefehl gehört daher nur die Frage, ob überhaupt vor Rechtskraft Vollstreckung möglich ist. Welche Befugnisse der Berechtigte hierbei im Einzelnen hat, ist nicht Titelinhalt. Prämisse 1 verbietet somit nicht, dass der Gläubiger im Zweitland vor Rechtskraft mehr Befugnisse erhält, als ihm im Ursprungsland zugekommen wären. Daher ist insofern auch ein Rückgriff auf das Recht des Ursprungslandes nicht geboten. 2. Folgerungen aus Prämisse 2 (Intensivierungen allein aufgrund Abweichungen funktional entsprechender Vollstreckungsregelungen akzeptabel) Nach Prämisse 2 ist zu beachten, dass eine Wirkungsintensivierung im 779 Zweitstaat nur insoweit akzeptabel ist, wie sie auf eine abweichende Ausgestaltung von sich funktional entsprechenden Verfahrensregeln zurückzuführen ist. Diese Maßgabe könnte überschritten sein, wenn im Zweitland schon Gläubigerbefriedigung möglich, im Ursprungsland hingegen nur eine Exekution zur Sicherstellung erlaubt wäre. Das wäre dann der Fall, wenn 164 165
s. allg. Rn. 672. s. ausführlicher unter Rn. 1061 m. w. N.
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Teil III: Die Wirkungen der Vollstreckbarkeit mitgliedstaatlicher Titel
diese Befugnisverstärkung nicht auf eine abweichende Ausgestaltung des Vollstreckungsverfahrens in funktional entsprechenden Punkten zurückzuführen ist. 780
Die vorläufigen Befugnisse des Gläubigers stehen in einem inneren Zusammenhang mit den Einrichtungen des Schuldnerschutzes.166 So reicht vorläufige Vollstreckbarkeit im deutschen Recht deswegen so weit, weil zu Gunsten des Verpflichteten eine strenge Haftung für Vollstreckungsschäden greift, deren Erfüllung in der Regel durch Sicherheitsleistung garantiert ist. Ein angemessener Interessenausgleich wird also über verschiedene Stellschrauben hergestellt. Vereinfacht gesprochen kann ein „Mehr“ an einem Punkt durch ein „Weniger“ an einem anderen ausgeglichen werden. Diese verschiedenen Gesichtspunkte sind funktional als Einheit zu begreifen, weswegen ein Mehr an Zugriffsbefugnissen nicht automatisch eine mit Prämisse 2 unvereinbare Intensivierung des Titelinhaltes bedeutet.
781
Dass der Gläubiger etwa in Deutschland bereits die Verwertung des beschlagnahmten Vermögens betreiben darf, bringt ihm im Ergebnis nicht mehr als eine Sicherstellungsexekution in Österreich, da er in Deutschland grundsätzlich eine Sicherheit zu stellen hat. Der Gläubiger kann sich also auch in Deutschland vor Rechtskrafteintritt den Erlös faktisch noch nicht zugute kommen lassen. Daher ist es durchaus akzeptabel, wenn im Zweitland bereits Verwertung des Schuldnervermögens möglich ist, während dies im Ursprungsland noch nicht gestattet wäre. Prämisse 2 verbietet es also nicht, dass im Zweitland weitergehende Zugriffsbefugnisse bestehen als im Ursprungsland. 3. Folgerungen aus Prämisse 3 (Keine Ungleichbehandlung aus- und inländischer Titel)
782
Auch Prämisse 3, wonach aus- und inländische Titel im Vollstreckungsverfahren gleich zu behandeln sind, spricht dafür, die vor Rechtskraft bestehenden Gläubigerbefugnisse dem Recht des Vollstreckungslandes zu entnehmen. Schließlich wäre es eine in der Sache nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung, wenn ein ausländischer noch nicht rechtskräftiger Titel etwa in Deutschland nur zur Sicherstellung vollstreckt werden könnte, ein deutscher Titel hingegen schon vollständig, obwohl beiden Titeln dieselbe Endgültigkeit bzw. Bestandsfestigkeit zukommt.
166
s. Rn. 748 f.
§ 9 Die Vollstreckung nicht rechtskräftiger ausländischer Titel
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4. Die durch Auswertung der Prämissen gefundene Lösung und deren Anwendbarkeit neben den geschriebenen Regelungen der EuGVVO Die Auswertung der Wirkungsprämissen der Vollstreckbarerklärung hat 783 Folgendes ergeben: Insbesondere aus zwei Gründen richtet sich – solange im Ursprungsland noch keine Rechtskraft eingetreten ist – die Reichweite der Vollstreckungsbefugnisse nach dem Recht des Vollstreckungslandes: Einerseits ermöglicht dies einen reibungsfreien Ablauf des Vollstreckungsverfahrens, andererseits bleiben damit Funktionszusammenhänge erhalten. Demnach gibt das Recht des Ursprungslandes lediglich vor, ob vor 784 Rechtskraft überhaupt eine Vollstreckung erfolgen darf. Soweit dies der Fall ist, kann dort die Bescheinigung nach Art. 54, Anh. V EuGVVO ausgestellt werden, die dann allerdings auch die Information enthalten sollte, dass die Entscheidung noch nicht rechtskräftig ist. Die Vollstreckungsbehörden des Zweitstaates sind dann in der Lage, bei Vollstreckungshandlungen der fehlenden Rechtskraft Rechnung zu tragen. Erlangt der Titel im Ursprungsland zwischenzeitlich Rechtskraft, muss auch die vorübergehende Vollzugsfähigkeit im Zweitland nachträglich zu einer endgültigen erweitert werden. Dafür ist eine Art Nachverfahren nach örtlichen Vorschriften durchzuführen.167 Welche Auswirkungen der Eintritt der Rechtskraft auf die Vollstreckungsbefugnisse hat, richtet sich dann nach dem Recht des Vollstreckungsstaates. Ob diese Lösung – entwickelt aus den Prämissen zu den Wirkungen der 785 Vollstreckbarerklärung – auch mit den Art. 47 III und 46 I, III EuGVVO zu vereinbaren ist, ist allerdings fraglich. An deren Existenz lässt sich erkennen, dass der EuGVVO das Phänomen einer Vollstreckung vor Rechtskraft mit den besonderen Problemen bei einer nachträglichen Aufhebung des Titels durchaus bekannt ist. Aus der Tatsache, dass sie nur für einige Konstellationen entsprechend Vorsorge trifft und die Vollstreckung auf Sicherungsmaßnahmen beschränkt (Art. 47 III EuGVVO) bzw. gestattet, die Vollstreckung von der Leistung einer Sicherheit abhängig zu machen (Art. 46 III EuGVVO), könnte man den Umkehrschluss ziehen, dass in anderen Fällen einer Vollstreckung von noch nicht rechtskräftigen Titeln Bestimmungen des nationalen Rechts, die die Vollstreckungsbefugnisse einstweilen beschränken, durch die europäischen Regelungen verdrängt sind. Dieser Umkehrschluss ist aber nicht überzeugend. Zum einen sind die 786 EuGVVO-Regelungen – wie sich gezeigt hatte – nur äußerst bruchstückhaft. Dem Umstand fehlender Rechtskraft wird nur bei Einlegung von Rechtsbehelfen gegen die Exequaturentscheidung – und auch hier nur teil167 Vgl. Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. I/Mankowski, 2011, Art. 38 EuGVVO Rn. 17a.
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Teil III: Die Wirkungen der Vollstreckbarkeit mitgliedstaatlicher Titel
weise – Rechnung getragen.168 Man kann daher nicht annehmen, die Verordnung habe tatsächlich die Problematik umfassend und abschließend regeln wollen. Zum anderen entspräche es auch nicht dem in der EuGVVO verankerten Grundprinzip der Anwendbarkeit der zweitstaatlichen Vollstreckungsordnung, dass einzelne Bestimmungen aus dieser ohne ausdrückliche Anordnung in der EuGVVO ausgeschaltet würden. Für die Annahme, die Verordnung verbiete es, dass die zweitstaatlichen Vollstreckungsorgane der fehlenden Rechtskraft im Ursprungsland außerhalb der von Art. 47 III, 46 I, III erfassten Fälle durch entsprechend eingeschränkte Vollstreckung Rechnung tragen können, fehlt es damit an einer ausreichenden Grundlage. Es würde auch den Schuldnerschutz zu stark verkürzen, wenn lediglich während der Rechtsbehelfsfrist gegen die Vollstreckbarerklärung bzw. bis zur Entscheidung für den Rechtsbehelf der fehlenden Rechtskraft im Erstland durch beschränkte Vollstreckung im Zweitland Rechnung getragen werden könnte. 787
Damit ist die aus den Prämissen entwickelte zuvor wiedergegebene Lösung mit den Regelungen der EuGVVO grundsätzlich vereinbar. Auf die nationalen Vorschriften des Zweitlandes kann allerdings nur in Konstellationen zurückgegriffen werden, die nicht schon in den Art. 46 I, III, 47 III EuGVVO eine eigene Regelung erfahren haben. Aus diesem Grunde verdrängt die in Art. 47 III EuGVVO angeordnete Beschränkung der Vollstreckungsbefugnisse auf Sicherungsmittel (ggf. bis zur zweitinstanzlichen Bestätigung des Exequaturs, vgl. Art. 46 I EuGVVO) nationale Vorgaben, die den Umfang der Vollstreckungsbefugnisse abweichend regeln. II. Das Erfordernis einer Sicherheitsleistung bei Vollstreckung vor Eintritt der Rechtskraft im Ursprungsland
788
Es ist zu untersuchen, welches Recht vorgibt, ob der Gläubiger nur gegen Stellung einer Sicherheit im Zweitland vollstrecken kann, solange der Titel im Ursprungsland noch nicht rechtskräftig ist. Dazu sind wiederum die Prämissen 1 bis 3 zu befragen [1. bis 3.] und ist sodann die gefundene Lösung auf ihre Vereinbarkeit mit den Regelungen der EuGVVO zu betrachten [4.]. 1. Folgerungen aus Prämisse 1 (Keine Veränderung des Leistungsbefehls)
789
Gestattet das Ursprungsland die Beitreibung vor Rechtskraft nur gegen Stellung einer Sicherheit, könnte diese Einschränkung der Vollstreckbarkeit Teil des Leistungsbefehls sein und damit nach Prämisse 1 auch im Zweit168
s. Rn. 768–771.
§ 9 Die Vollstreckung nicht rechtskräftiger ausländischer Titel
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land greifen. Dafür ließe sich anführen, dass das Erfordernis einer Sicherheitsleistung wie eine aufschiebende Bedingung der Vollstreckbarkeit wirkt.169 Allerdings ist das Erfordernis einer Sicherheitsleistung einem konkreten 790 Vollstreckungshindernis ähnlich, weil die Beitreibung zwar grundsätzlich möglich, aber im Einzelfall ausgeschlossen ist.170 Konkrete Vollstreckungshindernisse unterliegen dem Recht des Vollstreckungslandes und wirken nicht grenzüberschreitend.171 Außerdem ist die Sicherheitsleistung eine Einrichtung des Schuldnerschutzes, muss daher grundsätzlich dem Zweitstaat vorbehalten bleiben.172 Ferner erleichtert es den reibungsfreien Ablauf des Vollstreckungsverfahrens, wenn das örtliche Recht vorgibt, ob der Gläubiger eine Sicherheit zu stellen hat. Schließlich müssen die zweitstaatlichen Stellen nicht nur wissen, wann Sicherheit zu leisten ist, sondern auch, wie sie auszusehen hat und wann sie ggf. wieder freizugeben ist. Diese Fragen ließen sich nicht allein anhand des ausländischen Titels beantworten. Am einfachsten wären es daher, wenn die Vollstreckungsbehörden insofern nach ihrem eigenen Recht verfahren könnten. Außerdem dient die Sicherheit der Erfüllung der Vollstreckungsgläubiger- 791 haftung, muss also nur dann und nur insoweit gestellt werden, wie eine solche überhaupt in Betracht kommt. Dies wiederum beurteilt sich grundsätzlich nach dem Recht des Landes, in dem die Vollstreckung durchgeführt wird.173 Es ist daher nur sachgerecht, wenn auch dieses Recht Erforderlichkeit und Ausmaß der Sicherheit vorgibt. Hinzu kommt, dass die Stellung der Sicherheit nur in dem Land Sinn macht, wo der letztlich zu Unrecht in Anspruch Genommene seinen Schaden gerichtlich geltend machen wird.174 Dies ist das Land, in dem die Vollstreckung durchgeführt wurde.175 Daher 169
Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. I/Mankowski, 2011, Art. 38 EuGVVO Rn. 13. A. A. Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. I/Mankowski, 2011, Art. 38 EuGVVO Rn. 13, der davon ausgeht, das Erfordernis der Sicherheitsleistung sei nicht lediglich ein Vollstreckungshindernis, sondern nehme dem Titel seine abstrakte Vollstreckbarkeit, solange die Sicherheit nicht gestellt ist. 171 s. unten Rn. 1025–1027, 1032. 172 Matscher, ZZP 95 (1982), S. 170 (208 f.). 173 Schreiber, Vollstreckungsgläubigerhaftung, 2008, S. 92–120. Etwas anders gilt ggf. dann, wenn der Schuldner vor Beginn der Zwangsvollstreckung von sich aus geleistet hat, um diese abzuwenden. 174 Wolff, in: Martiny/Waehler/Wolff (Hrsg.), Hdb. IZVR, Bd. III/2, 1984, Kap. IV Rn. 34: Dem inländischen Schuldner nützt eine Sicherheit, die bei einem ausländischen Gericht hinterlegt ist, nichts. 175 Vgl. Schreiber, Vollstreckungsgläubigerhaftung, 2008, S. 61. Etwas anderes gilt, wenn der Schuldner zur Abwendung der Zwangsvollstreckung freiwillig gezahlt hat, vgl. a. a. O., S. 62–65. 170
388
Teil III: Die Wirkungen der Vollstreckbarkeit mitgliedstaatlicher Titel
sollte die Sicherheit am Ort der Vollstreckung und nach den dortigen Regeln gestellt werden. 792
Das Erfordernis einer Sicherheit ist somit nicht als Aspekt des Leistungsbefehls, sondern als Modalität des Vollstreckungsverfahrens einzuordnen. Prämisse 1 schließt es demnach nicht aus, dass beispielsweise im Erstland nur gegen Stellung einer Sicherheit vollstreckt werden kann, im Zweitland hingegen auch ohne. 2. Folgerungen aus Prämisse 2 (Intensivierungen allein aufgrund Abweichungen funktional entsprechender Vollstreckungsregelungen akzeptabel)
793
Prämisse 2 könnte es aber ausschließen, dass im Zweitland ohne Stellung einer Sicherheit vollstreckt wird, obwohl eine solche im Ursprungsland unverzichtbar wäre.
794
Allerdings ist erneut auf das Zusammenspiel von Gläubigerbefugnissen und Schuldnerschutz zu verweisen. Da die Durchsetzbarkeit noch nicht rechtskräftiger Urteile von den Schutzmaßnahmen für den Schuldner abhängt, die für den Fall greifen, dass die Entscheidung wieder aufgehoben wird, kann es zur Anwendung zweier nicht aufeinander abgestimmter Rechtsordnungen kommen, wenn sich die Reichweite der Vollstreckungsbefugnisse nach der einen Vollstreckungsordnung richtet, die zum Schutz des Schuldners bestehenden Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen hingegen nach einer anderen.176 Internationalprivatrechtlich gesprochen könnte ein Normenmangel oder eine Normenhäufung entstehen. Sinnvoller erscheint es daher, den Umfang der Gläubigerbefugnisse und die Schutzmechanismen für den Schuldner einer einheitlichen Rechtsordnung zu unterstellen. Da viele Schutzmittel einen hohen Bezug zum Verfahrensablauf haben und daher nur dem Recht des Vollstreckungslandes unterliegen können, ist es insgesamt am einfachsten, diese und die Befugnisse des Gläubigers nach dem Recht des Vollstreckungslandes zu beurteilen.
795
Hohen Bezug zum Verfahrensablauf hat etwa die Befugnis des Schuldners, durch Sicherheitsleistung die Zwangsvollstreckung abzuwenden: Kennt das Recht des Vollstreckungslandes eine solche Befugnis nicht, könnte es für den Schuldner schwer werden, die Vollstreckungsorgane von einer Fortsetzung der Vollstreckung abzuhalten – selbst dann, wenn im Ursprungsland eine solche Abwendungsbefugnis bestanden hätte. Gleiches gilt für die Vollstreckungsgläubigerhaftung, die grundsätzlich dem Recht des 176 Coester-Waltjen, JURA 2005, S. 394 (395) zur EuVTVO, wo sich dieses Problem gleichermaßen ergibt.
§ 9 Die Vollstreckung nicht rechtskräftiger ausländischer Titel
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Vollstreckungsstaates unterliegt.177 Dass zwischen den vorläufigen Vollstreckungsbefugnissen und der Ausgestaltung der Vollstreckungsgläubigerhaftung ein innerer Zusammenhang besteht, lässt sich an den österreichischen Regelungen beobachten: Hier ist entgangener Gewinn deswegen nicht ersetzbar, weil die Sicherstellungsexekution nur ganz selten dazu führt, dass der Schuldner seine Vermögenswerte nicht mehr nutzen kann. Es wäre geradezu absurd, wollte man etwa eine vorläufige Vollstreckung nach deutschem Muster zulassen und die Haftung des Gläubigers gleichzeitig nach österreichischem Recht beurteilen. Der Vollstreckungsgrad wirkt sich also an verschiedenen Stellen des Ver- 796 fahrens aus, insbesondere an solchen, die sinnvollerweise der lex fori executionis überlassen werden sollten. Daher gilt für das Erfordernis einer Sicherheitsleistung, dass es als Aspekt des Verfahrens im Zweitland anders ausfallen kann als im Ursprungsland. 3. Folgerungen aus Prämisse 3 (Keine Ungleichbehandlung aus- und inländischer Titel) Auch die nach Prämisse 3 gebotene Gleichbehandlung aus- und inländi- 797 scher Titel spricht dafür, bei der Durchsetzung ausländischer Entscheidungen dieselben Anforderungen bezüglich des Erfordernisses einer Sicherheitsleistung gelten zu lassen wie bei inländischen Titeln. Freilich wäre es aus Sicht des Gläubigers reizvoll, im Zweitland vom Erfordernis einer Sicherheitsleistung verschont zu bleiben. Dies würde auch die grenzüberschreitende Vollstreckung erleichtern. Allerdings bezweckt die Vollstreckbarerklärung im Zweitland nach ihrer Grundkonzeption nur, den ausländischen Titel in den Genuss des zweitländischen Zwangsapparates kommen zu lassen und nicht auch eine Besserstellung gegenüber originär im Zweitland ergangenen Titeln.
177 Schreiber, Vollstreckungsgläubigerhaftung, 2008, S. 92–120: Im Vollstreckungsstaat liegen sowohl Handlungs- als auch Erfolgsort i. S. des Internationalen Deliktsrechts. Für den Fall, dass der Schuldner zur Abwendung der Zwangsvollstreckung freiwillig geleistet habe, befinde sich nur der Handlungsort im Vollstreckungsstaat, der Erfolgsort hingegen dort, wo der Schuldner seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe. In der Untersuchung Schreibers kommt allerdings der Zusammenhang zwischen Vollstreckungsgläubigerhaftung und Reichweite der vorläufigen Vollstreckungsbefugnisse zu kurz.
390
Teil III: Die Wirkungen der Vollstreckbarkeit mitgliedstaatlicher Titel
4. Die durch Auswertung der Prämissen gefundene Lösung und deren Anwendbarkeit neben den geschriebenen Regelungen der EuGVVO 798
Somit gilt nach Auswertung der Prämissen, dass nach dem Recht des Vollstreckungslandes zu beurteilen ist, ob der Gläubiger zur Vollstreckung im Zweitland eine Sicherheit zu Gunsten des Gläubigers stellen muss. Fraglich ist allerdings, inwieweit diese Lösung neben den ausdrücklichen Regelungen der EuGVVO anwendbar ist. Diese sieht in Art. 46 III EuGVVO vor, dass das mit dem Rechtsbehelf gegen die Vollstreckbarerklärung befasste Gericht das Erfordernis einer Sicherheitsleistung anordnen kann.
799
Dies schließt aber nicht aus, dass auch das nationale Recht herangezogen werden kann, um die Notwendigkeit einer Sicherheitsleistung zu beurteilen. Dass auch Art. 46 III EuGVVO die Anordnung eines Sicherheitserfordernisses erlaubt, steht dem nicht entgegen, schließlich handelt es sich hierbei um eine zusätzliche europarechtliche Möglichkeit, die insbesondere dann von Bedeutung ist, wenn das nationale Recht nicht ohnehin schon eine Sicherheitsleistung verlangt. Nationale Regelungen sind allenfalls versperrt, soweit das Gericht im Zweitland von der Möglichkeit des Art. 46 III EuGVVO Gebrauch gemacht und das Erfordernis einer Sicherheitsleistung angeordnet hat. Für solche Titel kann das einzelstaatliche Recht des Zweitlandes selbstverständlich keine abweichenden Regelungen treffen. III. Nachträgliche Einstellungen oder Beschränkungen der Vollstreckung ausländischer Titel aus Gründen fehlender Rechtskraft im Ursprungsland
800
Schließlich ist zu klären, ob und in welchem Land der Schuldner nach einzelstaatlichem Recht eine Einstellung (mit oder ohne Sicherheitsleistung) oder Beschränkung der Zwangsvollstreckung auf Sicherungsmittel oder durch Anordnung eines Sicherheitserfordernisses erreichen kann, wenn der Titel in Ursprungsstaat noch nicht rechtskräftig ist. Wie die rechtsvergleichenden Untersuchungen ergeben haben, ist es insbesondere aus Anlass einer Rechtsmitteleinlegung möglich, die Zwangsvollstreckung einstellen zu lassen.178 Fraglich ist, inwieweit solche im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Möglichkeiten auch bei der Vollstreckung ausländischer Titel greifen.
801
Zwei Wege sind grundsätzlich denkbar: Einerseits kann der Gläubiger im Ursprungsland die Einstellung der Zwangsvollstreckung erwirken und gestützt hierauf sich auch im Zweitland einer Beitreibung entziehen.179 Wird 178
s. Rn. 722 f. (Deutschland); 730 (England); 735 (Frankreich).
§ 9 Die Vollstreckung nicht rechtskräftiger ausländischer Titel
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dem Titel im Ursprungsstaat die Vollstreckbarkeit genommen, kann im Zweitland die Vollstreckbarerklärung aufgehoben werden – entweder über Art. 43 EuGVVO oder – wenn die Rechtsbehelfsfirst von Art. 43 V EuGVVO bereits verstrichen ist – im Wege eines im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Rechtsbehelfs.180 Wurde die Vollstreckbarkeit im Erststaat nur gestoppt, so dass bisherige Zwangsmaßnahmen bestehen bleiben, ist auch im Zweitstaat die Vollziehung nur für die Zukunft einzustellen.181 Alternativ kommt in Betracht, dass der Schuldner direkt im Zweitstaat von den dort vorgesehenen Stopp- und Beschränkungs-Möglichkeiten Gebrauch macht. Für die Frage, welchen Weg der Schuldner beschreiten soll, um die Vollstreckung ausländischer Titel aussetzen bzw. beschränken zu lassen, sind zunächst die Prämissen 1 bis 3 auszuwerten [1.]. Sodann ist zu untersuchen, welche Lösung mit den Art. 46 f. EuGVVO zu vereinbaren ist [2.]. 1. Lösungshinweise aus den Prämissen 1 bis 3 Da nach Prämisse 1 der Inhalt des Leistungsbefehls im Zweitland nicht 802 verändert werden soll, sind Fragen, die den Bestand der Vollstreckbarkeit betreffen, nach dem Recht des Ursprungslandes zu beurteilen. Dieser Verweis bedeutet zunächst, dass von den Gerichten des Ursprungslandes auch mit – mittelbarer – Auswirkung für das Zweitland eine Aussetzung der Vollstreckung angeordnet werden kann. Der Weg ins Ursprungsland ist auch sinnvoll, weil das Gericht, welches mit dem Rechtsbehelf gegen den Titel befasst ist, den besten Eindruck von dessen Erfolgsaussichten hat und sachnäher über die Fortsetzung der Zwangsvollstreckung entscheiden kann. Etwas anderes gilt aber für nachträgliche Beschränkungen der Vollstreckbar179 Vgl. auch Wolff, in: Martiny/Waehler/Wolff (Hrsg.), Hdb. IZVR, Bd. III/2, 1984, Kap. IV Rn. 36, der für Deutschland vorschlägt, die Vollstreckung analog § 148 ZPO auszusetzen, wenn die Vollstreckbarkeit im Ursprungsland nur vorübergehend aufgehoben ist. 180 In Deutschland ist hierfür das besondere Verfahren nach § 27 AVAG vorgesehen. In Frankreich wäre die contestation einschlägig, in England die action to set aside the judgment. s. zu diesen Verfahren Rn. 863–868. 181 OLG Dresden, 24.04.2007 – 3 W 0594/06, 3 W 594/06, IHR 2007, S. 211: Die Vollstreckbarkeit einer italienischen Entscheidung wurde in Italien gem. Art. 283 c.p.c. allein für künftige Maßnahmen ausgesetzt. Hierdurch werden nach italienischem Recht bereits erfolgte Vollstreckungshandlungen nicht gegenstandslos. Demgemäß ließ das OLG Dresden die Vollstreckungsmaßnahmen, die in Deutschland ergriffen worden waren, bevor das italienische Gericht die Vollstreckung suspendiert hatte, fortbestehen. Die italienische Entscheidung sei gem. Art. 33 EuGVVO anerkennungsfähig. Insbesondere greife der Anerkennungsversagungsgrund von Art. 35 I EuGVVO nicht, da die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte des Vollstreckungsstaates nach Art. 22 Nr. 5 EuGVVO falle.
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keit (beispielsweise auf Sicherungsmaßnahmen) oder die nachträgliche Anordnung eines Sicherheitsleistungserfordernisses. Diese Einschränkungen berühren nicht den Bestand der Vollstreckbarkeit, sind daher – wie zuvor geklärt182 – auch sonst nicht dem Recht des Ursprungslandes zugewiesen. Sie können daher zwar im Ursprungsland angeordnet werden, sind im Zweitland allerdings nicht beachtlich. Prämisse 1 verbietet es aber nicht, dass im Zweitland direkt die Vollstreckbarkeit aufgehoben oder beschränkt wird. Denn dass die Vollstreckbarerklärung im Zweitland unantastbar sein müsste, schreibt die EuGVVO nicht vor. 803 Die Prämisse 2, wonach Wirkungsintensivierungen akzeptabel sind, solange sie auf eine unterschiedliche Ausgestaltung von funktional entsprechenden vollstreckungsrechtlichen Regelungen in Ursprungs- und Vollstreckungsstaat zurückzuführen sind, ist für die vorliegende Problematik wenig aufschlussreich. Aus ihr lässt sich lediglich folgern, dass es grundsätzlich unproblematisch ist, wenn die Vollstreckung im Zweitstaat nach anderen Voraussetzungen ausgesetzt oder beschränkt werden kann als im Ursprungsland. Insofern wäre es akzeptabel, wenn der Schuldner im Zweitland nach den vor Ort geltenden Möglichkeiten – und damit anderen Regelungen als im Ursprungsland – eine Aussetzung oder Beschränkung der Beitreibung erlangt. Für den Weg in das Zweitland spricht auch, dass die Möglichkeiten späterer Beschränkungen oder Aussetzungen der Vollstreckung mit der konkreten Reichweite der Gläubigerbefugnisse im Zusammenhang stehen und diese wiederum – wie soeben gesehen – vom Recht des Zweitstaates vorgegeben werden. Es erscheint daher nur angemessen, wenn der Schuldner im Zweitstaat auch von den dortigen Möglichkeiten Gebrauch machen kann. 804 Das entscheidende Argument hierfür liefert aber Prämisse 3. Eine Gleichbehandlung ausländischer Titel mit inländischen verlangt, dass sie im Zweitland nicht vor den örtlichen Aussetzungs- und Beschränkungsmöglichkeiten verschont bleiben. Es wäre nicht gerechtfertigt, wenn ein Schuldner dem zweitstaatlichen Zwangsapparat ausgesetzt ist, gleichwohl aber nicht in den Genuss der Schutzmechanismen vor Ort kommen sollte. 805 Eine Auswertung der Prämissen zeigt damit, dass zumindest im Zweitland die örtlichen Aussetzungs- und Beschränkungsmöglichkeiten offenstehen müssen. Aber auch die Aussetzungsmöglichkeiten im Erstland sind nicht versperrt. Es spricht nichts dagegen, beide Wege kumulativ zur Verfügung zu stellen. Der Schuldner kann also entweder im Ursprungsland oder im Zweitland die Vollstreckung aussetzen lassen. Etwas anderes gilt jedoch, wenn im Ursprungsland nachträglich angeordnet wird, dass die Vollstreckung nur gegen Stellung einer Sicherheit fortgesetzt werden kann, 182
s. Rn. 783 f. (Ergebnis).
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sie auf Sicherungsmaßnahmen beschränkt wird oder dort dem Schuldner gestattet wird, durch Leistung einer Sicherheit die Vollstreckung abzuwenden. Derartige Beschränkungen der Vollzugsfähigkeit sind im Zweitland unbeachtlich. 2. Anwendbarkeit neben den ausdrücklichen Regelungen der EuGVVO Zu untersuchen ist, inwieweit die im nationalen Recht vorgesehenen 806 Möglichkeiten zur Aussetzung oder Beschränkung der Vollstreckung durch die verordnungseigenen Optionen hierfür verdrängt sind. Der Weg, im Erstland eine Aussetzung der Vollstreckung zu erlangen und gestützt darauf auch im Zweitland die Beitreibung zu stoppen oder zu beenden, kollidiert nicht mit den Vorschriften der EuGVVO, da diese diesbezüglich keine abweichenden Regelungen treffen, sondern gerade davon ausgehen, dass ausschließlich das Ursprungsland den Bestand der Vollstreckbarkeit vorgibt. Fraglich ist aber, inwieweit im Zweitstaat die dortigen internrechtlichen 807 Aussetzungs- und Beschränkungsmöglichkeiten neben den Art. 46 I, III, 47 III EuGVVO anwendbar sind. Es hatte sich bereits gezeigt, dass die verordnungseigenen Regelungen bezüglich der Vollstreckung vor Rechtskraft des Titels nicht als abschließend gelten können, und somit ein Rückgriff auf einzelstaatliches Recht grundsätzlich nicht versperrt ist.183 Etwas anderes gilt aber für die von der EuGVVO selbst geregelten Fallkonstellationen. Insoweit ist insbesondere Art. 46 III EuGVVO zu berücksichtigen, der im Rechtsbehelfsverfahren lediglich gestattet, dem Fehlen der Rechtskraft im Ursprungsland dadurch Rechnung zu tragen, dass die Vollstreckung von der Leistung einer Sicherheit abhängig gemacht wird. Diese Regelung würde durch eine Vollstreckungsaussetzung oder -beschränkung nach dem autonomen Recht des Vollstreckungslandes umgangen und muss daher als abschließend gelten.184 Dies trifft allerdings nur für das Rechtsbehelfsverfahren gegen die Voll- 808 streckbarerklärung zu. Beschränkungs- und Aussetzungsmöglichkeiten, die im Rahmen anderer Rechtsbehelfe in Betracht kommen, regelt die EuGVVO nicht, so dass diesbezügliche nationale Regelungen weiterhin anwendbar sind. Zu denken ist etwa an internrechtliche Rechtsbehelfe, mit denen ein bereits rechtskräftiges Exequatur wieder aufgehoben werden kann. Für derartige Verfahren trifft die EuGVVO keine Regelungen, so dass auch die einzelrechtlichen Möglichkeiten einer Aussetzung oder Beschränkung der Vollstreckbarkeit nicht verdrängt sind. 183 184
s. Rn. 786. OLG Koblenz, 06.08.2007 – 2 U 600/07 (juris).
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Außerdem müssen die im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Möglichkeiten für eine Aussetzung oder Beschränkung zumindest in den Fällen anwendbar bleiben, in denen die EuGVVO der fehlenden Rechtskraft im Ursprungsland in keiner Weise Rechnung trägt. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rechtsbehelfsfrist von Art. 43 V EuGVVO ungenutzt verstrichen ist, oder wenn eine beantragte Aussetzung nach Art. 46 I EuGVVO oder Beschränkung nach Art. 46 III EuGVVO nicht gewährt wurde. Dann muss es dem Schuldner möglich sein, von den im Vollstreckungsland vorgesehenen Möglichkeiten zur Beschränkung oder Aussetzung der Vollstreckung Gebrauch zu machen. Schließlich verlangt die europarechtliche Vollstreckungspflicht keine Besserstellung des ausländischen Titels im Inland. Damit allerdings der Rückgriff auf die im nationalen Recht vorgesehenen Aussetzungs- und Beschränkungsmöglichkeiten nicht in missbräuchlicher Weise zu einer Umgehung europarechtlicher Regelungen herangezogen werden können, muss eine zeitliche Präklusionsregel greifen: Soweit es dem Schuldner möglich gewesen wäre, durch Einlegung eines Rechtsbehelfs nach Art. 43 EuGVVO und Beantragung einer Verfahrensaussetzung (Art. 46 I EuGVVO) bzw. Vollstreckungsbeschränkung (Art. 46 III EuGVVO) zu erreichen, dass in der zweitstaatlichen Vollstreckung dem Umstand fehlender Rechtskraft im Ursprungsland Rechnung getragen wird, kann von den im nationalen Recht vorgesehenen Möglichkeiten hierzu nicht mehr Gebrauch gemacht werden.
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Konkret bedeutet dies: Lag der Grund, aus dem das Recht des Vollstreckungslandes eine Aussetzung oder Beschränkung der Vollstreckung zulässt, bei Ablauf der Rechtsbehelfsfrist von Art. 43 V EuGVVO bereits vor, ist die Aussetzungs- oder Beschränkungsmöglichkeit nach einzelstaatlichen Recht nicht mehr anwendbar. Gestattet demgegenüber etwa das Recht des Zweitlandes eine Aussetzung der Vollstreckung aus Anlass der Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen den Titel und wurde ein solcher Rechtsbehelf im Ursprungsland erst zu einem Zeitpunkt eingelegt, als im Zweitland die Frist von Art. 43 V EuGVVO bereits verstrichen war, sind die dortigen internrechtlichen Stopp- und Beschränkungsmechanismen aus Anlass des Rechtsbehelfs weiter anwendbar. IV. Grenzüberschreitende Beachtlichkeit von Nachleistungsfristen für noch nicht rechtskräftige Titel
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Dass Leistungsurteile eine Nachleistungsfrist gewähren, ist in England die Regel, steht in Österreich und Frankreich im richterlichen Ermessen und ist in Deutschland nur ein Ausnahmefall.185 Gilt für den Titel im Ur185
Vgl. zu Deutschland Rn. 724, zu England Rn. 728 und zu Frankreich Rn. 733.
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sprungsland eine Nachleistungsfrist, sollte vor deren Ablauf auch im Zweitland das Exequatur noch nicht erteilt werden, denn es fehlt an der nach Art. 38 I EuGVVO erforderlichen Vollstreckbarkeit im Ursprungsland.186 Teilweise werden Nachleistungsfristen auch als Aspekt des Vollstre- 812 ckungsverfahrens aufgefasst und der lex fori executionis zugeordnet.187 Sie betreffen aber nicht die Durchführung der Zwangsvollstreckung, sondern besagen nur, dass eine Durchsetzung noch nicht erfolgen kann. Dann ist die Entscheidung im Ursprungsstaat nicht einmal abstrakt vollstreckbar. Nach der durch die EuGVVO garantierten Freizügigkeit der Judikate sollten sie auch im Ausland nicht vollstreckt werden, solange dies im Ursprungsland ausgeschlossen ist.188 Leistungsfristen sind daher Teil des Leistungsbefehls und nach dem 813 Recht des Urteilslandes zu beurteilen.189 Es bietet sich an, in die Bescheinigung nach Art. 54 EuGVVO, Anh. V als individuellen Zusatz einzufügen, ab wann die Entscheidung vollstreckbar ist. Der Gläubiger kann dann schon vor Ablauf der Leistungsfrist den Antrag auf Vollstreckbarerklärung stellen und das Gericht des Vollstreckungsstaates darum bitten, am ersten Tag nach Ablauf der Leistungsfrist das Exequatur zu erteilen.190 V. Falllösungen Ausgehend von den gefundenen Ergebnissen können nun die beiden zu- 814 vor geschilderten Beispielsfälle einer Lösung zugeführt werden: 1. Lösung von Fall 5.1 Für Fall 5.1191 gilt, dass das österreichische noch nicht rechtskräftige Ur- 815 teil in Deutschland nach den Regeln der vorläufigen Vollstreckbarkeit durchgesetzt werden kann. Dies kollidiert auch nicht mit den Vorgaben der 186
Im Ergebnis ebenso Schlosser, in: FS Beys, Bd. II, 2003, S. 1471 (1473). So etwa Cour d’appel Paris, 09.03.1995 – Bidermann Zylberberg v. RHI Holdings Inc [1996] I.L.Pr. 189 (191) für Vollstreckung eines New Yorker Urteils in Frankreich; ebenso Muir Watt, J.-Cl. Dr. intern., fasc. 124 (Stand: III 2000), S. 3 (Rn. 138); Kerameus, Recueil des Cours 1997, S. 183 (388). 188 Schlosser, in: FS Beys, Bd. II, 2003, S. 1471 (1473) mit Blick auf die Nachleistungsfristen. 189 Im Ergebnis ebenso Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. I/Mankowski, 2011, Art. 38 EuGVVO Rn. 13; Schlosser, in: FS Beys, Bd. II, 2003, S. 1471 (1473, 1477 f.); Wolff, in: Martiny/Waehler/Wolff (Hrsg.), Hdb. IZVR, Bd. III/2, 1984, Kap. IV Rn. 37. 190 Vgl. im Einzelnen Schlosser, in: FS Beys, Bd. II, 2003, S. 1471 (1473 f.). 191 s. Rn. 751 f. 187
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EuGVVO, denn in dem Beispielsfall gilt die Beschränkung von Art. 47 III EuGVVO nicht mehr, so dass mitgliedstaatliche Vorgaben hinsichtlich der Reichweite der Vollstreckungsbefugnisse wieder anwendbar sind.192 Dem Titelschuldner kommt dafür auch die Vollstreckungsgläubigerhaftung nach deutschem Recht zugute. Die Zulassung der Sicherstellungsexekution in Österreich ist also in Deutschland nach den Regeln einer vorläufigen Vollstreckbarkeit umzusetzen. Wurde der Titel in Österreich allerdings noch nicht zur Sicherstellungsexekution zugelassen, kann er wegen Art. 38 I EuGVVO schon gar nicht in Deutschland exequiert werden. Sobald in Österreich Rechtskraft eingetreten ist, ist die Vollstreckbarerklärung entsprechend zu erweitern, damit unbeschränkte Vollziehung erfolgen kann. 816
Dies steht im Einklang mit § 9 I AVAG, wonach die Vollstreckungsklausel für exequierte Auslandstitel den Zusatz enthält: „Die Zwangsvollstreckung darf über Maßregeln zur Sicherung nicht hinausgehen, bis der Gläubiger eine gerichtliche Anordnung oder ein Zeugnis vorlegt, dass die Zwangsvollstreckung unbeschränkt stattfinden darf“. Für Geldforderungen sieht die Vorschrift außerdem die Möglichkeit vor, durch Sicherheitsleistung die Zwangsvollstreckung abzuwenden. Ganz offenbar ging der deutsche Gesetzgeber nicht davon aus, dass das Recht des Ursprungslandes die Reichweite der Gläubigerbefugnisse und die Geltung besonderer Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen vorgeben soll. 2. Lösung von Fall 5.2
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Nach den zuvor gefundenen Ergebnissen gilt für Fall 5.2193, dass das deutsche Urteil in England auch ohne Leistung einer Sicherheit vollstreckt werden kann. Zwar hätte der Schuldner im Ursprungsland Vollstreckungshandlungen nur gegen Stellung einer Sicherheit des Gläubigers zu dulden. Dennoch ist ihm im Zweitland auch ohne Sicherheitsleistung eine Beitreibung zumutbar. Schließlich steht ihm vor Ort die Möglichkeit offen, einen stay of execution zu erwirken. Würde andersherum ein ausländischer Titel in Deutschland exequiert, hätte das hiesige Exequaturgericht zu entscheiden, ob es die Vollstreckung nur gegen Stellung einer Sicherheit seitens des Gläubigers zulässt oder nicht. Dafür hat es die entsprechenden Regelungen der ZPO heranzuziehen.
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Von einer anderen Lösung geht indes § 7 I S. 1 AVAG aus. Diese Vorschrift sieht unter anderem vor, dass nach dem Recht des Ursprungslandes zu beurteilen ist, ob in Deutschland die Vollstreckung nur gegen Stellung einer Sicherheit zugelassen werden kann. Diese Regelung geht also davon 192 193
s. Rn. 787. s. Rn. 753 f.
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aus, dass das Erfordernis einer Sicherheitsstellung grenzüberschreitend wirkt. Dies passt aber mit § 9 I AVAG nicht zusammen, der vorsieht, dass ausländische Titel vor Rechtskraft in Deutschland lediglich zu Sicherungsmaßnahmen berechtigen. Warum sollte man nach dem Recht des Ursprungslandes beurteilen, ob eine Sicherheit erforderlich ist, wenn gleichzeitig die Reichweite der Vollstreckungsbefugnisse dem Recht des Zweitlandes entnommen werden soll? Die Erforderlichkeit einer Sicherheit hängt doch gerade davon ab, wie weit einstweilen die Vollstreckungsbefugnisse reichen. § 7 I S. 1 AVAG ist jedenfalls mit der zuvor erarbeiteten Lösung nicht 819 vereinbar, weil im Anwendungsbereich der EuGVVO das Erfordernis einer Sicherheitsleistung richtigerweise nach dem Recht des Vollstreckungsstaates zu beurteilen ist. Da aus Prinzipien der EuGVVO und des übergeordneten Europarechts entwickelt, kann diese Lösung durchaus als gemeinschaftsrechtlich geboten gelten. Insofern ist § 7 I S. 1 AVAG nicht europarechtskonform.
E. Zusammenfassung: Art und Weise der Vollstreckung im Zweitland bis zum Rechtskrafteintritt im Ursprungsland In zusammenfassender Betrachtung ergeben sich Reichweite der Vollstre- 820 ckungsbefugnisse und Schuldnerschutzinstrumente aus einem Zusammenspiel einzelrechtlicher Regelungen und Vorschriften der EuGVVO. Je nach Stufe der Integration des ausländischen Titels in die Rechtsordnung des Zweitstaates ist zu unterscheiden: Wurde im Zweitstaat noch gar kein Exequatur erteilt, kann der Gläubiger 821 gem. Art. 47 I EuGVVO bereits einstweilige Maßnahmen zur Sicherung des Vollstreckungserfolges ergreifen.194 Die Voraussetzungen und Wirkungen derartiger Maßnahmen richten sich nach dem Recht des Zweitlandes. Art. 47 I EuGVVO verweist also nur auf das Arsenal der Vollstreckungsund Sicherungsmittel des nationalen Rechts im Vollstreckungsland. Nachdem im ersten Verfahrensschritt das Exequatur erteilt wurde, kann 822 der Gläubiger gem. Art. 47 III EuGVVO zunächst lediglich Sicherungsmaßnahmen in das Vermögen des Schuldners erwirken. Der Unterschied zu den Sicherungsmaßnahmen, die Art. 47 I EuGVVO im Blick hat, ist gering: Nach Art. 47 III EuGVVO besteht nunmehr auch Zugriff auf solche Maßnahmen, die im zweitstaatlichen Recht einen vollstreckbaren Hauptsachetitel voraussetzen, allerdings dürfen sie über eine Anspruchssicherung nicht 194
s. Rn. 763–766.
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hinausgehen. Der Gläubiger darf zwar bereits pfänden bzw. Hypotheken eintragen lassen, aber sich noch nicht befriedigen.195 Für alle anderen Maßnahmen, die strukturell dem einstweiligen Rechtsschutz zuzuordnen sind, verdrängt Art. 47 II EuGVVO ab Erteilung des Exequaturs die einzelrechtlichen Anordnungsvoraussetzungen: Die Vollstreckbarerklärung gewährt eine eigene europarechtliche Befugnis zur Ergreifung solcher Maßnahmen.196 Die Bestimmungen der zweitstaatlichen Vollstreckungsordnung hinsichtlich der Reichweite der Vollstreckungsbefugnisse sind einstweilen nicht anwendbar, weil insoweit Art. 47 III EuGVVO eine vorrangige europarechtliche Regelung trifft.197 Etwas anderes gilt für zweitstaatliche Regelungen betreffs des Erfordernisses einer Sicherheitsleistung. Da die EuGVVO diesbezüglich zunächst keine Regelung vorsieht, kann die zweitstaatliche Vorgabe hierzu zunächst angewendet werden.198 Demgegenüber sind zweitstaatliche Möglichkeiten zur Aussetzung oder Beschränkung der Zwangsvollstreckung bis zur Rechtskraft des Exequaturs versperrt, weil der Schuldner insoweit auf das EuGVVO-eigene Instrumentarium in Art. 46 I, III verwiesen ist.199 Der Schuldner kann aber im Ursprungsland die Aufhebung der Vollstreckbarkeit erreichen und dies über den Rechtsbehelf nach Art. 43 EuGVVO geltend machen.200 823
Versäumt der Schuldner die Rechtsbehelfsfrist von Art. 43 V EuGVVO, entfällt auch die EuGVVO-eigene Beschränkung der Zwangsvollstreckung auf gegen das Schuldnervermögen gerichtete Sicherungsmittel (Art. 47 III EuGVVO). Nunmehr greifen aber – soweit der Titel im Ursprungsland noch nicht rechtskräftig wurde – die im Recht des Vollstreckungsstaates vorgesehenen Beschränkungen der Vollstreckungsbefugnisse und korrespondierende Schutzinstrumente zu Gunsten des Schuldners (Erfordernis einer Sicherheitsstellung). Auch kann der Schuldner vor zweitstaatlichen Gerichten nach den dortigen Regeln die Aussetzung oder Beschränkung der Vollstreckung erwirken, soweit ihm nicht der Weg über Art. 46 I, III EuGVVO (nach Einlegung eines Rechtsbehelfs i. S. v. Art. 43 EuGVVO) möglich gewesen wäre.201
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Hat der Schuldner hingegen den Rechtsbehelf nach Art. 43 EuGVVO eingelegt, ist er in erster Linie darauf verwiesen, einen Antrag nach Art. 46 I EuGVVO zu stellen, um sich die Beschränkung auf vermögens195 196 197 198 199 200 201
Geimer, in: Geimer/Schütze (Hrsg.), EuZVR, 3. Aufl. 2010, Art. 47 Rn. 12. s. Rn. 766. s. Rn. 787. s. Rn. 787. s. Rn. 807. s. Rn. 806. s. Rn. 809 f.
§ 9 Die Vollstreckung nicht rechtskräftiger ausländischer Titel
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bezogene Sicherungsmittel (Art. 47 III EuGVVO) zu erhalten, oder nach Art. 46 III EuGVVO zu beantragen, dass der Gläubiger nur gegen Stellung einer Sicherheit vollstrecken kann. Scheitern diese Anträge und wird trotz fehlender Rechtskraft im Ursprungsland eine nach der EuGVVO unbeschränkte Vollstreckbarkeit im Zweitland gewährt, sind weiterhin die Beschränkungen der Vollstreckbarkeit anwendbar, die das zweitstaatliche Recht aus Rücksicht auf fehlende Rechtskraft im Ursprungsland vorsieht. Man kann der EuGVVO schließlich keine Pflicht zur privilegierten Behandlung ausländischer Titel entnehmen. Die Verordnung verlangt lediglich, dass ausländische Titel wie inländische vollstreckt werden. Soweit sich aus der EuGVVO keine Beschränkung der Vollstreckbarkeit im Zweitland entnehmen lässt, bedeutet dies, dass die Vollstreckung vollumfänglich nach inländischen Regeln erfolgt. Beschränkungen oder Aussetzungen der Vollstreckbarkeit können aber auch jetzt noch nur nach dem Recht des Zweitstaates vor den örtlichen Gerichten erwirkt werden, soweit sie sich auf Umstände stützen, die nicht auch schon über Art. 46 I, III EuGVVO hätten geltend gemacht werden können.
§ 10 Die Bestandsfestigkeit der Vollstreckbarkeit ausländischer Titel gegenüber Einwendungen gegen den titulierten Anspruch 825
Bei der Vollstreckung ausländischer Titel kann sich die Frage ergeben, ob und inwieweit der Vollstreckungsschuldner im Zweitland materielle Einwendungen gegen den titulierten Anspruch geltend machen kann, um sich einer Beitreibung zu entziehen. Zu den denkbaren Einwendungen gehören etwa Erfüllung durch Leistung oder Aufrechnung, zwischenzeitliche Verjährung, nachträgliches Erlöschen wegen auflösender Bedingung, Unmöglichkeit oder Anfechtung des zu Grunde liegenden Rechtsgeschäfts sowie Vereinbarung eines Vergleichs und schließlich Erlass oder Stundung.1 Ob derartige Einwendungen direkt im Zweitstaat mit dem Ziel geltend gemacht werden können, eine Vollstreckung zu verhindern, ist nachfolgend zu untersuchen.
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Diese Frage hat zwei Facetten: Zum einen kommt es darauf an, welche Einwendungen überhaupt im Zweitland beachtlich sind, d.h. hier von einem Gericht berücksichtigt werden können, ohne dass gegen das Verbot der révision au fond verstoßen wird. Neben diesem Problem des Kreises der beachtlichen Einwendungen stellt sich vorrangig allerdings die Frage, ob im Zweitland überhaupt Rechtsbehelfe nach der dortigen Prozessordnung statthaft sind, die zur Aufhebung oder Einschränkung der Vollstreckbarkeit eines ausländischen Titels aus materiellen Gründen führen können. Inwieweit diese mit der EuGVVO zu vereinbaren sind, die ja das Verfahren und die Voraussetzungen für eine Vollstreckbarerklärung im Zweitland europarechtlich einheitlich regelt, ist daher ebenso im Folgenden zu untersuchen.
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Bei Beantwortung dieser Fragen ist – wie bereits in § 9 – einerseits danach zu unterscheiden, ob der Titel im Ursprungsland bereits rechtskräftig ist oder nicht, andererseits hinsichtlich der Rechtskraft des Exequaturs im Zweitland zu differenzieren. Entsprechend der Stadien der Integration der ausländischen Entscheidung in die Rechtsordnung des Vollstreckungsstaates wird zunächst untersucht, ob bis zum Vorliegen eines rechtskräftigen Exequaturs im Zweitland materielle Einwendungen geltend gemacht werden können [A.]. Sodann stellt sich diese Frage für den sich anschließenden 1 Vgl. im Einzelnen zu den möglichen Einwendungen Rosenberg/Gaul/Schilken, ZwVollstrR, 11. Aufl. 1997, § 40 V 1 (S. 619–624).
§ 10 Bestandsfestigkeit der Vollstreckbarkeit ausländischer Titel
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Zeitraum ab Rechtskraft der Vollstreckbarerklärung [B.].2 Jeweils wird hierbei weiter danach differenziert, ob der Ursprungstitel bereits rechtskräftig ist (Variante 1 und 3) oder noch nicht (Variante 2 und 4). Auf den ersten Blick entsteht der Eindruck, dass sich der Untersuchungs- 828 gegenstand von § 10 mit dem bereits in § 9 Thematisierten überschneidet. Insbesondere Variante 4 weist insofern Ähnlichkeiten auf, weil auch hier der Titel im Ursprungsland noch nicht rechtskräftig ist und es u. a. darum gehen wird, inwieweit die Vollstreckung durch internrechtliche Rechtsbehelfe des Zweitstaates gestoppt werden kann. § 9 war allerdings nur der Anwendbarkeit von Aussetzungs- und Beschränkungsmöglichkeiten gewidmet, die allein der fehlenden Rechtskraft des Titels Rechnung tragen. Anknüpfungspunkt des § 10 ist demgegenüber, inwieweit im Zweitland Einwände gegen den titulierten Anspruch geltend gemacht werden können. Insofern ist der Ausgangspunkt für den Angriff gegen die Vollstreckung im Zweitland ein anderer als bei § 9.
A. Berücksichtigung materieller Einwendungen im Zweitland bis zur Rechtskraft des Exequaturs Bereits im Vollstreckbarerklärungsverfahren könnte geltend gemacht wer- 829 den, dass der titulierte Anspruch nicht (mehr) besteht, um die Erteilung eines Exequaturs zu verhindern. Ob dies möglich ist, soll zunächst für den Fall untersucht werden, dass der Ursprungstitel im Ausgangsland bereits rechtskräftig ist [I.], sodann für die Variante, dass dort noch keine Rechtskraft eingetreten ist [II.]. 2
Gegenstand der folgenden Ausführungen ist nicht die Frage, wie der Schuldner die Zwangsvollstreckung im Zweitstaat verhindern kann, wenn der Titel im Ursprungsland rechtskräftig aufgehoben wurde. Dann handelt es sich nicht um eine materielle Einwendung, sondern um eine, die die prozessualen Vollstreckbarerklärungsvoraussetzungen von Art. 38 I EuGVVO betrifft. Vor rechtskräftigem Abschluss des Exequaturverfahrens kann diese durch den Rechtsbehelf nach Art. 43 bzw. Art. 44 EuGVVO im Vollstreckungsland geltend gemacht werden. Dem Wortlaut von Art. 45 I EuGVVO darf insoweit nicht getraut werden. Selbstverständlich kann die Vollstreckbarerklärung auch deshalb angegriffen werden, weil die sonstigen in der EuGVVO geregelten (insbesondere formellen) Voraussetzungen – wie etwa Vollstreckbarkeit der Entscheidung im Ursprungsland – nicht erfüllt sind. Vgl. MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, Art. 43 EuGVVO Rn. 7; Kropholler, EuZPR, 8. Aufl. 2005, Art. 43 EuGVVO Rn. 24, Art. 45 EuGVVO Rn. 5. Für den Fall, dass der Titel im Ursprungsland erst wegfällt, nachdem das Exequatur rechtskräftig geworden ist, enthält die EuGVVO keine Regelung. Die Aufhebung des Exequaturs unterliegt dann dem nationalen Recht des Zweitlandes. In Deutschland ist hierfür das besondere Verfahren nach § 27 AVAG vorgesehen. In Frankreich ist eine contestation statthaft, in England eine action so set aside the judgment. s. hierzu später Rn. 857–869.
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Teil III: Die Wirkungen der Vollstreckbarkeit mitgliedstaatlicher Titel
I. Variante 1: Ursprungstitel bereits rechtskräftig, Exequatur hingegen nicht 830
Ist die Entscheidung im Ursprungsland bereits in Rechtskraft erwachsen, fragt sich, ob im Exequaturverfahren materielle Einwendungen geltend gemacht werden können. In Deutschland erlauben §§ 1 I Nr. 2 lit.a, 55 I, 12 AVAG, dass der Verpflichtete nachträglich entstandene Einwendungen mit einer Schuldnerbeschwerde gegen die Vollstreckbarerklärung geltend macht. Die Beschwerde wird also mit der Vollstreckungsgegenklage kombiniert.3 Nimmt der Schuldner diese Gelegenheit nicht wahr, so ist er mit Einwendungen, die während des Exequaturverfahrens bereits vorlagen, in einer späteren Vollstreckungsgegenklage sogar präkludiert (§ 14 I AVAG). Während einige Autoren davon ausgehen, dass die Regelung des § 12 I AVAG mit der EuGVVO vereinbar sei4, andere vom Gegenteil überzeugt sind5, hat sich in jüngster Zeit ein Mittelweg durchgesetzt, nach dem ausschließlich sog. „liquide“, d.h. unstreitige oder rechtskräftig festgestellte Einwendungen im Exequaturverfahren berücksichtigt werden können.6 In England herrscht 3
Geimer, IPRax 2003, S. 337 (338). Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 1051; Kropholler, EuZPR, 8. Aufl. 2005, Art. 45 EuGVVO Rn. 6; Looschelders/Gesing, JR 2008, S. 112; Roth, JZ 2007, S. 898; ders., RabelsZ 68 (2004), S. 379 (384); Wagner, IPRax 2002, S. 75 (83). Im Ergebnis gleich BGH, 18.09.2001 – IX ZB 51/00, ZIP 2002, S. 365, wonach im Vollstreckbarerklärungsverfahren nach dem EuGVÜ der Einwand einer nachträglichen ausländischen Restschuldbefreiung beachtet wurde. Auch zum EuGVÜ, wo sich das Problem ähnlich stellte, ging die Rspr. davon aus, dass § 12 AVAG anwendbar ist. s. zur inhaltsgleichen Vorgängervorschrift des § 14 I AVAG a. F.: OLG Koblenz, 28.11.1975 – 2 W 625/75, NJW 1976, S. 488; OLG Saarbrücken, 03.08.1987 – 5 W 102/87, IPRax 1989, S. 37. Auch nach BGH, 15.10.1992 – IX ZR 231/91, NJW 1993, S. 1270 (1271) können im Vollstreckbarerklärungsverfahren materiellrechtliche Einwendungen berücksichtigt werden (zum Deutsch-österreichischen Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrag 1959). Auch im autonomen deutschen Anerkennungsrecht erlaubt die deutsche Rechtsprechung die Berücksichtigung nachträglicher materieller Einwendungen. Vgl. BGH, 05.05.1982 – IVb ZR 697/80, BGHZ 84, 17; BGH, 26.11.1986 – IV b ZR 90/85, NJW 1987, S. 1146 (1147). 5 Münzberg, in: FS Geimer, 2002, S. 745 (748–753); Hub, NJW 2001, S. 3145 (3147); MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, Art. 43 EuGVVO Rn. 7, 45; Heiderhoff, IPRax 2004, S. 99 (101); Gottwald, FamRZ 2002, S. 1422 (1423); Hess, IPRax 2004, S. 493; Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. I/Mankowski, 2011, Art. 45 EuGVVO Rn. 6; Mankowski, ZZP Int. 4 (1999), S. 276 (286 f.); Bittmann, Klauselerteilungsverfahren, 2008, S. 199. Ebenso OLG Oldenburg, 29.03.2006 – 9 W 6/06, NJW-RR 2007, S. 418; OLG Koblenz, 05.04.2004 – 11 UF 43/04, IPRspr 2004, Nr. 171 (bei der Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Prozessvergleichs verstoße § 12 AVAG gegen Art. 57 I EuGVVO). 6 Erstmals Nelle, Anspruch, Titel u. Vollstr., 2000, S. 434 ff.; Münzberg, in: FS Geimer, 2002, S. 745 (751 f.); Geimer, in: Geimer/Schütze (Hrsg.), EuZVR, 4
§ 10 Bestandsfestigkeit der Vollstreckbarkeit ausländischer Titel
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keine Einigkeit, ob materielle Einwendungen im Rechtsbehelfsverfahren gegen die Vollstreckbarerklärung nach der EuGVVO berücksichtigt werden dürfen.7 In der autonomen französischen Rechtspraxis ist dies jedenfalls für unstreitige Einwendungen anerkannt.8 Es soll daher im Folgenden untersucht werden, ob und inwieweit im 831 Vollstreckbarerklärungsverfahren nach der EuGVVO materiellrechtliche Einwendungen geltend gemacht werden können. Dies kann nur im Rechtsbehelfsverfahren nach Art. 43 f. EuGVVO erfolgen, weil im ersten Verfahrensabschnitt ausschließlich eine formelle Prüfung vorgesehen ist, die mit der Beachtung materiellrechtlicher Aspekte von vornherein unverträglich ist. Zweifel an der Statthaftigkeit materieller Einwendungen im Rechtsbehelfsverfahren ergeben sich in erster Linie aus Art. 45 I S. 1 EuGVVO [1.]. Die Frage ist außerdem unter den Gesichtspunkten der Prozessökonomie [2.] und des Schuldnerschutzes [3.] zu beleuchten. 1. Vereinbarkeit mit Art. 45 I S. 1 EuGVVO Der Wortlaut von Art. 45 I S. 1 EuGVVO spricht dagegen, dass mit dem 832 Rechtsbehelf nach Art. 43 EuGVVO materielle Einwendungen geltend gemacht werden können.9 Denn nach dieser Vorschrift kann das Exequatur 3. Aufl. 2010, Art. 45 EuGVVO Rn. 12; Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, 2008, S. 178; Geimer, in: FS Georgiades, 2006, S. 489 (505); ders., IPRax 2003, S. 337 (339); Gottwald, FamRZ 2007, S. 993 (994); ebenso OLG Dresden, 14.07.2006 – 21 U 984/06, FamRZ 2007, S. 65; OLG Düsseldorf, 01.03.2005 – I-3 W 335/04, 3 W 335/04, InVo 2005, S. 515; OLG Düsseldorf, 03.02.2006 – I-3 W 23/06, 3 W 23/06, Rpfleger 2006, S. 262; OLG Köln, 17.11.2004 – 16 W 31/04, IPRspr. 2004, Nr. 169; OLG Köln, 04.06.2004 – 16 W 7/04, IHR 2005, S. 216; LG Köln, 18.01.2008 – 3 O 7/07 (juris). Auch der BGH folgt für die EuGVVO dieser Linie, vgl. BGH, 14.03.2007 – XII ZB 174/04, NJW 2007, S. 3433 (3435), wo aber ausdrücklich offen gelassen wird, ob § 12 AVAG möglicherweise auch für nichtliquide Einwendungen anwendbar ist; ebenso – allerdings für das EuGVÜ und nur als obiter dictum – zuletzt BGH, 25.02.2009 – XII ZB 224/06, NJW-RR 2009, S. 1000. 7 Dagegen Layton/Mercer, European Civil Practice-Vol. 1, 2. Aufl. 2004, Rn. 27.056. Dafür allerdings O’Malley/Layton, European Civil Practice, 1989, Rn. 10.37 (für den Erfüllungseinwand unter dem EuGVÜ). Dies wird aus s. 2(2) sch.1 Civil Jurisdiction and Judgments Order 2001 No. 3929 hergeleitet: „A Judgment registered under the Regulation shall, for the purpose of its enforcement, be of the same force and effect . . ., as if the judgment had been originally given by the registering court“, vgl. Hess/Pfeiffer/Schlosser, Heidelberger Bericht, 2007, Rn. 574. 8 Dann entfalle das Rechtsschutzbedürfnis für eine Exequaturerteilung, vgl. Cour de cassation, 1re civ., 19.11.1996 – Soc. Pêcherie du Port c/ Soc. Bureau Veritas, RCDIP 86 (1997), S. 94 zum Anerkennungsvertrag zwischen Frankreich und Gabun.
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„nur“ aus den in Art. 34 und 35 EuGVVO aufgeführten Gründen „versagt oder aufgehoben“ werden, wobei materielle Einwendungen hier nicht genannt werden. 833
Allerdings wäre auch eine engere Auslegung denkbar. Da die EuGVVO ohnehin die Auswirkungen einer Veränderung der materiellen Rechtslage nicht regelt, könnte Art. 45 I S. 1 EuGVVO nur als Klarstellung verstanden werden, dass die Mitgliedstaaten keine zusätzlichen verfahrensrechtlichen Anforderungen an eine Vollstreckbarerklärung aufstellen können, ihnen hierdurch jedoch die Prüfung materieller Gesichtspunkte unbenommen bliebe.10 Diese Sichtweise wäre aber nicht von dem Bestreben der EuGVVO gedeckt, die Anerkennungsversagungsgründe auf ein Minimalmaß zu reduzieren. Die Aufzählung der Gründe für eine Nichtanerkennung brächte keinen Vorteil, wenn sie nicht abschließend wäre und nicht auch materielle Aspekte ausschlösse.
834
Dass Art. 45 I S. 1 EuGVVO einer Berücksichtigung materieller Einwendungen nicht entgegenstehe, wurde auch damit zu begründen versucht, dass diese Vorschrift lediglich das in Abs. II enthaltene Verbot der révision au fond ergänze, somit nur die präkludierten Einwendungen abschneide, alle anderen hingegen nicht.11 Träfe dies zu, hätte Art. 45 I S. 1 EuGVVO einen Regelungsgehalt, der genau so auch im Verbot der révision au fond enthalten wäre, und man müsste sich fragen, welchen Zweck die Vorschrift überhaupt hat. Damit ihr ein eigener Anwendungsbereich verbleibt, ist sie daher so auszulegen, dass sie sich auch auf Einwendungen bezieht, die nicht durch die Rechtskraft präkludiert sind.
835
Allerdings geht aus dem Jenard-Bericht zum EuGVÜ hervor, dass im Rahmen des Rechtsbehelfs gegen das Exequatur geprüft werden darf, ob die Schuld im Nachhinein erloschen ist.12 Diese Aussage ist für die EuGVVO deswegen noch interessant, weil auch schon nach Art. 34 II EuGVÜ ausdrücklich nur die Prüfung der im EuGVÜ genannten Anerkennungsversagungsgründe erlaubt war. Diese Regelung des Übereinkommens galt zwar für die erste Phase bis zur Erteilung des Exequaturs und nicht für das Rechtsbehelfsverfahren. Da aber in der EuGVVO die Anerkennungsversagungsgründe nunmehr erst nach Einlegung eines Rechtsbehelfs geprüft 9 Hub, NJW 2001, S. 3145 (3147); Münzberg, in: FS Geimer, 2002, S. 745 (749); MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, Art. 43 EuGVVO Rn. 7; Frische, Verfahrenswirkungen, 2006, S. 180 f. 10 Wagner, IPRax 2002, S. 75 (83); Roth, RabelsZ 68 (2004), S. 379 (384); Kropholler, EuZPR, 8. Aufl. 2005, Art. 43 EuGVVO Rn. 24 f.; so auch die Begründung von BGH, 14.03.2007 – XII ZB 174/04, NJW 2007, S. 3433 (3435). 11 Looschelders/Gesing, JR 2008, S. 112 (113); Roth, JZ 2007, S. 898 (899). 12 Jenard, Bericht z. EuGVÜ 1968, S. 51.
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werden, ist es nur folgerichtig, dass jetzt Art. 45 I S. 1 EuGVVO im Rechtsbehelfsverfahren greift. Wortlautabweichungen der Vorschriften sind also nur dem veränderten Vollstreckbarerklärungsverfahren geschuldet, nicht aber einer anderen Wertung. Außerdem heißt es auch im Schlosser-Bericht, dass „unter anderem“ der 836 Erfüllungseinwand im Exequaturverfahren geltend gemacht werden dürfe.13 Angesichts dieser Aussage ergeben sich gewisse Zweifel an der Annahme, Art. 45 I S. 1 EuGVVO schließe im Exequaturverfahren materiellrechtliche Einwendungen gänzlich aus. Zwar heißt es an derselben Stelle des Schlosser-Berichts auch, dass die ausländische Entscheidung im Zweitland nicht überprüft werden dürfe.14 Hiermit ist allerdings nichts anderes gemeint, als dass das Verbot der révision au fond (Art. 45 II EuGVVO) gewahrt werden muss. Solange aber bei der Überprüfung des titulierten Anspruchs im Zweitland nur solche Einwendungen berücksichtigt werden, die nicht durch die Rechtskraft des ausländischen Titels in zeitlicher und objektiver Hinsicht präkludiert sind, liegt keine unzulässige révision au fond vor.15 Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass Art. 45 I S. 1 EuGVVO nicht 837 eindeutig einer Berücksichtigung materieller Einwendungen im Exequaturverfahren entgegensteht. 2. Aspekt der Prozessökonomie Für die Antwort auf die Frage, ob materielle Einwendungen im Exequa- 838 turverfahren einen Platz haben, könnte möglicherweise der Gesichtspunkt der Prozessökonomie aufschlussreich sein. Dieses allgemeine Gebot, das Zivilverfahren möglichst einfach, günstig und schnell zu gestalten, ist bei der Auslegung prozessualer Vorschriften stets zu berücksichtigen. Die Prozesswirtschaftlichkeit des EuGVVO-Vollstreckbarerklärungsver- 839 fahrens soll in erster Linie durch eine Reduzierung der Verfahrensdauer gesteigert werden. Der erste Verfahrensabschnitt ist deutlich vom Bestreben gekennzeichnet, dem Gläubiger möglichst rasch einen Vollstreckungstitel im Ausland zu verschaffen. Ausweislich der ErwG. 17 und 18 sollte das Exequaturverfahren gegenüber dem EuGVÜ noch einmal beschleunigt werden: „Die Vollstreckbarerklärung muss [. . .] fast automatisch nach einer einfachen formalen Prüfung [. . .] erfolgen“, heißt es im ErwG. 17. Und nach 13
Schlosser, Bericht z. 1. EuGVÜ-BeitrittsÜ 1978, Rn. 220 (S. 134). Schlosser, Bericht z. 1. EuGVÜ-BeitrittsÜ 1978, Rn. 220 (S. 134). 15 Geimer, in: Geimer/Schütze (Hrsg.), EuZVR, 3. Aufl. 2010, Art. 45 EuGVVO Rn. 11; ders., in: FS Georgiades, 2006, S. 489 (503 f.); ders., LM Deutschösterreichischer Anerkennungsvertrag Zivilsachen, Nr. 2 (H. 3/1993), Bl. 4R; Kropholler, EuZPR, 8. Aufl. 2005, Art. 45 EuGVVO Rn. 24. 14
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ErwG. 18 muss dem Schuldner lediglich dann ein Rechtsbehelf offenstehen, „wenn er der Ansicht ist, dass einer der Gründe für die Versagung der Vollstreckung vorliegt“. Es ist also der Verfahrensbeschleunigung geschuldet, dass der Gläubiger für die Vollstreckbarerklärung im Zweitland zunächst nur die in Art. 53 EuGVVO vorgesehenen Förmlichkeiten erfüllen muss (Art. 41 EuGVVO). 840
Charakteristisch für das Verfahren unter der EuGVVO ist damit, dass möglichst schnell ein vollstreckbarer Titel im Zweitland geschaffen wird. Dem Schuldner wird damit die Gelegenheit zu missbräuchlicher Verzögerung durch Geltendmachung von unbegründeten Einwendungen gegen das Exequatur zunächst genommen. Diesem Vereinfachungs- und Beschleunigungszweck liefe es zuwider, würde man im sich anschließenden Rechtsbehelfsverfahren materielle Einwendungen zulassen, denn diese machen in der Regel die Ermittlung und Würdigung umfangreichen Tatsachenmaterials erforderlich.16 Ein Exequatur, das zunächst schnell und nur aufgrund formeller Prüfung erlangt wurde, böte gegenüber einem herkömmlichen kontradiktorischen Vollstreckungsurteil keinen entscheidenden Vorteil, wenn es anschließend in einem umso umfangreichen Rechtsbehelfsverfahren wieder angefochten werden könnte. Hinzu kommt, dass in Art. 45 I S. 2 EuGVVO ausdrücklich das Gebot „unverzüglicher“ Entscheidung für den Rechtsbehelf festgelegt ist, was noch einmal betont, dass der Gläubiger nach der Grundkonzeption der EuGVVO möglichst rasch zum Zuge kommen soll mit einer vollständigen, über Art. 47 III EuGVVO hinausgehenden Vollstreckung.17
841
Der Gläubiger hat durchaus auch ein starkes Interesse, schnell in den Genuss der vollen Vollstreckungsbefugnisse zu kommen. Nicht nur geht es ihm um die Erlangung von Liquidität, sondern auch ist er der Gefahr eines zwischenzeitlichen Wertverfalls der Vollstreckungsobjekte ausgesetzt.18 Wenn man also den Akzent auf den Gesichtspunkt der Verfahrensschnelligkeit legt, sollte aus Überlegungen der Prozesswirtschaftlichkeit das Rechts16 Vgl. Münzberg, in: FS Geimer, 2002, S. 745 (750); Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, 2008, S. 177. Ebenso zum EuGVÜ Mankowski, ZZP Int. 4 (1999), S. 276 (279) mit Verweis auf EuGH, 29.04.1999 – Rs. C-267/97, Coursier ./. Fortis Bank SA u. Bellami, Slg. I-1999, 2543, Rn. 25–29, wo aus Art. 34, 36 37 I EuGVÜ gefolgert wird, das EuGVÜ diene einer möglichst zügigen und einfachen Vollstreckbarerklärung. Diese Charakterisierung trifft umso mehr auf das Exequaturverfahren nach der EuGVVO zu: Dieses wurde zusätzlich dadurch beschleunigt, dass im ersten Verfahrensabschnitt die Anerkennungshindernisse noch nicht zu prüfen sind, vgl. Art. 41 I EuGVVO. Zum EuGVÜ ebenso Nelle, Anspruch, Titel u. Vollstr., 2000, S. 444, anders soll dies aber bei unstreitigen oder bereits rechtskräftig festgestellten Einwendungen sein, vgl. a. a. O., S. 451. 17 Münzberg, in: FS Geimer, 2002, S. 745 (751). 18 Nelle, Anspruch, Titel u. Vollstr., 2000, S. 445.
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behelfsverfahren nach Art. 43 f. EuGVVO nicht mit materiellrechtlichen Einwendungen überfrachtet werden. Es soll nicht unberücksichtigt bleiben, dass sich mit Überlegungen der 842 Verfahrensökonomie auch genau das gegenteilige Ergebnis begründen ließe. Erfolgte die Prüfung materieller Einwendungen gleich im Exequaturverfahren, ließe sich schließlich die Durchführung zweier Prozesse ersparen.19 Es mutet doch geradezu sinnlos an, eine ausländische Entscheidung für vollstreckbar zu erklären, wenn ihr die Vollstreckbarkeit sogleich wieder im Wege der Vollstreckungsgegenklage genommen werden kann.20 Auch der deutsche Gesetzgeber wollte der Prozessökonomie dienen, indem durch § 12 AVAG alle Einwendungen im Beschwerdeverfahren konzentriert und damit nachträgliche Vollstreckungsgegenklagen vermieden werden (§ 14 I AVAG).21 Mit prozessökonomischen Erwägungen ließe sich also auch rechtfertigen, materielle Vollstreckungsgegeneinwände gleich im Vollstreckbarerklärungsverfahren selbst zu berücksichtigen. Im Ergebnis zeigt sich, dass prozessökonomische Überlegungen sowohl 843 für als auch gegen die Beachtlichkeit von materiellen Einwendungen im Exequaturverfahren sprechen können. In einer solchen Situation muss letztlich die Lösung den Vorzug verdienen, die am ehesten mit der Systematik des Gesetzes im Einklang steht. Wie dargestellt, legt die EuGVVO den Schwerpunkt auf die Schnelligkeit. Eine Verlagerung der Prozesslast zum Nachteil des Schuldners im ersten Verfahrensabschnitt ist ganz bewusst so vorgesehen und soll die Gefahr dilatorischer Taktiken reduzieren. Gerade wegen der eingeschränkten Vollstreckungsbefugnisse während des Rechtsbehelfsverfahrens (Art. 47 III EuGVVO) sind durchaus Anreize zu einer Prozessverzögerung denkbar. Zusätzlich wird die Gefahr sinnloser Verschleppung in Deutschland durch die Präklusion von § 14 I AVAG erhöht. Diese kann den Schuldner nämlich zu einem besonders sorgfältigen Prozessieren nebst Ausnutzung aller geeigneten Beweismittel verleiten. Damit schließt eine der Gesetzessystematik verpflichtete Betrachtung der Prozessökonomie aus, das Exequaturverfahren mit materiellrechtlichen Einwendungen zu überfrachten.22
19 Vgl. etwa Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 1051 Fn. 1; Kropholler, EuZPR, 8. Aufl. 2005, Art. 45 EuGVVO Rn. 6; Roth, RabelsZ 68 (2004), S. 379 (384). 20 Roth, JZ 2007, S. 898 (900). 21 BT-Drucks. 11/351, S. 22 f. (zu § 13 AVAG a. F.). 22 Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, 2008, S. 142; Micklitz/Rott, EuZW 2002, S. 15 (22).
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3. Gesichtspunkt des Schuldnerschutzes 844
Zur Gewährung eines ausreichenden Schutzes für den Schuldner könnte es aber erforderlich sein, dass dieser im Vollstreckbarerklärungsverfahren materiellrechtliche Einwendungen vorbringen kann. Dies hängt davon ab, welche anderweitigen Möglichkeiten er zu deren Geltendmachung hätte.
845
Hierfür steht dem Schuldner in erster Linie der Weg in den Erlassstaat offen. Dort kann er den bereits rechtskräftigen Titel wegen nachträglich entstandener materieller Einwendungen wieder aufheben lassen. Stammte der Titel etwa aus Deutschland, wäre dort also eine Vollstreckungsgegenklage zu erheben mit dem Ziel, die Vollstreckbarkeit wieder zu beseitigen. Es ist anzunehmen, dass grundsätzlich jede Rechtsordnung einen funktional entsprechenden Rechtsbehelf vorsieht, mit dem ein rechtskräftiger Titel wieder aufgehoben bzw. dessen Vollstreckung verhindert werden kann, weil er zwischenzeitlich nicht mehr der wahren Rechtslage entspricht.23 Dass für den Schuldner eine Prozessführung im Ursprungsland möglicherweise aufwendiger ist als die Geltendmachung des Einwandes im Vollstreckungsland selbst, macht ihm den Weg in Ursprungsland noch nicht unzumutbar, schließlich ist der Verweis auf dieses Forum mittelbare Folge der Zuständigkeitsordnung der EuGVVO.24
846
Genauso wenig ergibt sich eine Unzumutbarkeit aus der höheren Verfahrensdauer durch zwei Prozesse (Titelaufhebung im Ursprungsland und anschließende Beseitigung des Exequaturs). Gem. Art. 46 I EuGVVO kann der Schuldner nämlich (in der hier behandelten Phase bis Rechtskraft des Exequaturs) die Aussetzung des Rechtsbehelfsverfahrens und damit die Beschränkung auf Sicherungsvollstreckung erreichen, vgl. Art. 47 III EuGVVO. Freilich gilt Art. 46 I EuGVVO nach seinem Wortlaut nur für „ordentliche“ Rechtsbehelfe im Ursprungsmitgliedstaat. Um Rechtsschutzlücken für den Schuldner zu vermeiden, ist die Vorschrift aber auch auf die Vollstreckungsgegenklage und funktional entsprechende Rechtsbehelfe für die Zeit nach Rechtskrafteintritt entsprechend anzuwenden.25
847
Somit ist der Schuldner letztlich in keiner Phase der Gefahr einer Vollstreckung trotz bestehender materieller Einwendungen ausgesetzt.26 Sind 23
In England und Frankreich ist dies jedenfalls möglich, vgl. Rn. 863–865 u. 866–868. 24 Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, 2008, S. 146. 25 Schlosser, EuZPR, 3. Aufl. 2009, Art. 46 EuGVVO Rn. 2; Hub, NJW 2001, S. 3145 (3147). Offen ist, ob dies mit der Auslegung des EuGH vereinbar ist, wonach alle Rechtsbehelfe erfasst sind, die innerhalb einer gesetzlichen Frist einzulegen sind, die mit Erlass der Entscheidung zu Laufen beginnt, vgl. EuGH, 22.11. 1977 – Rs. 43/77, Industrial Diamond Supplies ./. Riva, RIW 1978, S. 186. 26 Hub, NJW 2001, S. 3145 (3147).
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die Gerichte im Zweitstaat nicht bereit, das Verfahren auszusetzen, kann auch im Erlassstaat die Vollstreckbarkeit suspendiert werden (etwa stay of execution). Der Wegfall der Vollstreckbarkeit könnte jedenfalls im Zweitland über den Rechtsbehelf nach Art. 43 f. EuGVVO geltend gemacht werden und führt zwingend zur Aufhebung des Exequaturs.27 Selbst wenn der Schuldner den Weg ins Ursprungsland nicht gehen will, 848 um dort die Aufhebung des Titels zu erreichen, bleibt ihm die Möglichkeit, nachträglich durch Vollstreckungsgegenklage oder vergleichbaren Rechtsbehelf im Zweitland direkt die Vollstreckbarerklärung wieder aufheben zu lassen und damit auch die Vollstreckung zu verhindern. Ob gegen ein rechtskräftiges Exequatur im Vollstreckungsland materielle Einwendungen geltend gemacht werden können, um die Beitreibung zu verhindern, ist zwar umstritten und wird später noch ausführlich erörtert28. An dieser Stelle sei es aber gestattet, den nachfolgenden Darstellungen vorwegzunehmen, dass Vollstreckungsgegenklage und vergleichbare Rechtsbehelfe anderer Rechtsordnungen gegen das Exequatur gestattet werden sollten. Auch deshalb erfordert es der Schuldnerschutz nicht zwingend, dass bereits mit dem Rechtsbehelf nach Art. 43 f. EuGVVO materielle Einwendungen gegen den Titel geltend gemacht werden können.29 4. Ergebnis und Kreis der statthaften Einwendungen sowie Sonderfall sog. „liquider Einwendungen“ Im Ergebnis gilt damit, dass materiellrechtliche Einwendungen im Exe- 849 quaturverfahren grundsätzlich ausgeblendet bleiben sollten. Grund hierfür ist nicht zwingend Art. 45 I S. 1 EuGVVO, sondern vielmehr das auf Schnelligkeit und Reibungslosigkeit konzipierte Exequaturverfahren nach der EuGVVO, das darauf gerichtet ist, möglichst schnell einen Vollstreckungstitel im Zweitland zu produzieren. Mit dieser Grundidee wäre eine zeitaufwendige Prüfung der materiellen Rechtslage im Vollstreckbarerklärungsverfahren nicht vereinbar. Auch der Schutz des Schuldners erfordert dies nicht, wie die vorangegangenen Untersuchungen zeigten. Insofern ist § 12 I AVAG europarechtswidrig. Etwas anderes gilt für sog. „liquide“ Einwendungen. Hierbei handelt es 850 sich um Angriffe gegen den materiellen Anspruch, die (rechtlich oder tatsächlich) unstreitig sind oder bereits rechtskräftig festgestellt wurden. Da 27 So etwa geschehen in OLG Dresden, 24.04.2007 – 3 W 0594/06, 3 W 594/06, IHR 2007, S. 211. Vgl. zur ähnlich gelagerten Konstellation, dass der Ursprungstitel noch nicht rechtskräftig ist, Rn. 800–805. 28 s. dazu sogleich unter Rn. 876–1143. 29 Ebenso Bitter, EU-Vollstreckung, 2009, S. 56–60.
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sie ohne umfangreiche Beweisaufnahme und zeitaufwendige Rechtsanalyse berücksichtigt werden können, kann das Exequaturgericht bei ihnen sofort feststellen, ob sie geeignet sind, den Bestand des zu vollstreckenden Anspruchs zu erschüttern. Ihre Geltendmachung ist damit nicht geeignet, die von der EuGVVO erstrebte Effizienzsteigerung zu konterkarieren. Außerdem muss der Gläubiger nicht von einer missbräuchlichen Geltendmachung von Einwendungen verschont werden, wenn auf den ersten Blick klar ist, dass die Einwendung begründet ist und die Berufung auf sie daher keinen Missbrauch darstellt. Daher spricht nichts dagegen, liquide Einwendungen im Rechtsbehelfsverfahren nach Art. 43 f. EuGVVO zu prüfen.30 851
Wird im Vollstreckbarerklärungsverfahren etwa die Aufrechnung mit einer bereits rechtskräftig titulierten Gegenforderung geltend gemacht, hat das Vollstreckungsgericht keine umfangreiche Prüfung anzustellen um den Bestand der Vollstreckungsforderung zu klären. Das gleiche gilt, wenn der Einwand zwischen den Parteien unstreitig ist, also etwa der Gläubiger ausdrücklich zugestanden hat, dass die Forderung durch den Schuldner erfüllt wurde.31 Allerdings ist auch insofern eine Einschränkung zu beachten: Die Prüfung materieller Einwendungen im Zweitstaat ist nur insoweit EuGVVO-konform, wie dadurch nicht das Verbot der révision au fond (Art. 45 II EuGVVO) verletzt wird. Diese Maßgabe ist eingehalten, solange die Präklusionswirkung der ausländischen Entscheidung in zeitlicher und objektiver Hinsicht beachtet wird und im Zweitstaat nur solche Einwendungen geprüft werden, die nicht präkludiert sind.32 Es können also insbesondere alle Einwendungen, die nach Erlass der ausländischen Entscheidung entstanden sind, im Zweitland geltend gemacht werden. Alt-Einwendungen sind allerdings ebenfalls beachtlich, soweit deren Geltendmachung auch im Erstland nicht präkludiert wäre.
30
So auch die bereits in Fn. 6 (S. 402 f.) Genannten. So etwa BGH, 14.03.2007 – XII ZB 174/04, NJW 2007, S. 3433; OLG Düsseldorf, 01.03.2005 – I-3 W 335/04, 3 W 335/04, InVo 2005, S. 515. 32 Geimer, in: Geimer/Schütze (Hrsg.), EuZVR, 3. Aufl. 2010, Art. 45 EuGVVO Rn. 11; ders., in: FS Georgiades, 2006, S. 489 (503 f.); ders., LM Deutschösterreichischer Anerkennungsvertrag Zivilsachen, Nr. 2 (H. 3/1993), Bl. 4R; Kropholler, EuZPR, 8. Aufl. 2005, Art. 45 EuGVVO Rn. 24. Nach a. A. verhindert das Verbot der révision au fond im Exequaturverfahren die Berücksichtigung aller, d.h. auch nicht präkludierter, materieller Einwendungen. So etwa Mankowski, ZZP Int. 4 (1999), S. 276 (280) zum EuGVÜ: Alles laufe letztlich wieder auf dieselbe Frage hinaus: „Dürfte diese für vollstreckbar zu erklärende Entscheidung heute noch so ergehen?“ Das überzeugt jedoch in dieser Allgemeinheit nicht. Wenn man aus Respekt vor der Autorität ausländischer Hoheitsakte die eigene Kognitionsbefugnis zurücknimmt, muss man sich schon fragen, wie weit der ausländische Hoheitsakt selbst Autorität beansprucht. 31
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II. Variante 2: Weder Ursprungstitel noch Exequatur rechtskräftig Fraglich ist nunmehr, ob das oben gefundene Ergebnis auch dann gilt, 852 wenn der Titel im Ursprungsland noch nicht in Rechtskraft erwachsen ist. Für diesen Fall lässt sich jedenfalls aus Art. 45 I S. 1 EuGVVO genauso wenig zur Frage der Beachtlichkeit materieller Einwendungen gewinnen wie in der zuvor behandelten Variante 1.33 Gleichermaßen Gültigkeit hat aber das Argument der Prozessökonomie und spricht auch vorliegend dafür, dass das Exequatur von materiellen Einwendungen freigehalten werden sollte.34 Schließlich ist der Gesichtspunkt des Schuldnerschutzes in den Blick zu nehmen, mit dem für Variante 1 die Beachtlichkeit materieller Einwendungen im Exequaturverfahren nicht begründet werden konnte.35 Es hatte sich gezeigt, dass dem Vollstreckungsschuldner unter anderem deswegen der Weg ins Ursprungsland zumutbar ist, weil – bei großzügiger Auslegung von Art. 46 I EuGVVO – eine Aussetzung des Exequaturverfahrens möglich ist mit der Folge der Beschränkung auf eine Sicherungsvollstreckung nach Art. 47 III EuGVVO. Dieses Argument gilt umso mehr, wenn der Ursprungstitel noch nicht rechtskräftig ist. Schließlich ist in diesem Fall Art. 46 I EuGVVO unproblematisch anwendbar, sobald im Ursprungsland Rechtsmittel eingelegt wurden. Der Schuldner ist also über Art. 46, 47 III EuGVVO ausreichend geschützt. Im Ergebnis gilt damit, dass im Exequaturverfahren materielle Einwen- 853 dungen auch dann außen vor bleiben müssen, wenn der Ursprungstitel noch nicht rechtskräftig ist. Davon ist – wie oben – eine Ausnahme für liquide Einwendungen zu machen. Allerdings sind auch sie nur insoweit im Zweitland beachtlich, wie sie nicht mehr durch Rechtsmittel im Ursprungsland geltend gemacht werden könnten.36
B. Statthaftigkeit von Rechtsbehelfen im Zweitland zur Geltendmachung materieller Einwendungen nach Rechtskraft des Exequaturs Als Pendant zu der soeben behandelten Problematik ist nunmehr für den 854 Zeitabschnitt nach Rechtskraft des Exequaturs fraglich, ob im Zweitstaat materielle Einwendungen geltend gemacht werden können, um die Durchsetzung des Titels zu verhindern bzw. dessen Vollstreckbarkeit zu beseitigen. 33 34 35 36
s. zur Frage der Vereinbarkeit mit Art. 45 I S. 1 EuGVVO Rn. 832–837. s. Rn. 838–843. s. Rn. 844–848. Musielak/Lackmann, 8. Aufl. 2011, Art. 45 EuGVVO Rn. 2.
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Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, welche Rechtsbehelfe des nationalen Rechts im Vollstreckungsverfahren aus einem ausländischen Titel statthaft sind. Je nach Art des gerügten Fehlers lassen sich die vollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfe in drei Gruppen einteilen37: In die erste fallen solche, mit denen Verfahrensfehler bei der Durchführung der Beitreibung geltend gemacht werden können (formelle Einwendungen). In die zweite Gruppe gehört die Verteidigung, der titulierte Anspruch bestehe nicht (materielle Einwendungen). Und in der dritten lassen sich die Rechtsbehelfe zu Gunsten Dritter zusammenfassen, deren Rechte durch die Zwangsvollstreckung beeinträchtigt werden. Unproblematisch sind die Rechtsbehelfe der ersten und dritten Gruppe auch bei der Vollstreckung ausländischer Titel statthaft, denn sie lassen den Titel unberührt und fallen unter den Anwendungsbereich der lex fori executionis.
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Problematisch und Gegenstand der folgenden Darstellung ist ausschließlich die Zulässigkeit von Rechtsbehelfen der zweiten Gruppe, die die Vollstreckbarkeit des Titels betreffen. Nach einem rechtsvergleichenden Überblick zu den in die zweite Gruppe fallenden Rechtsbehelfen in den einzelnen Rechtsordnungen [I.] ist zu klären, wie diese überhaupt gegen ausländische exequierte Titel eingesetzt werden können [II.]. Sodann stellt sich die Frage ihrer Zulässigkeit im Rahmen der EuGVVO, wenn der Titel im Ursprungsland bereits rechtskräftig [III.] und wenn der Ursprungstitel noch nicht in Rechtskraft erwachsen ist [IV.]. I. Vollstreckungsgegenrechtsbehelfe in den einzelnen Rechtsordnungen
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Die einzelnen Rechtsordnungen unterscheiden sich teilweise grundlegend in der Frage, wie nach Beginn der Zwangsvollstreckung materielle Einwendungen gegen den titulierten Anspruch geltend gemacht werden können. 1. Deutschland: Zweigleisigkeit der Rechtsbehelfe zur Geltendmachung materieller Einwendungen
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Materielle Einwendungen werden in Deutschland entweder im Vollstreckungsverfahren selbst oder in einem eigenen Erkenntnisverfahren geltend gemacht. Im Vollstreckungsverfahren kann der Gläubiger die Einstellung der Zwangsvollstreckung bei zwischenzeitlicher Erfüllung oder Stundung erreichen, sofern diese gegenüber dem Vollstreckungsorgan durch bestimmte Urkunden nachweisbar sind (§ 775 Nr. 4, 5 ZPO). Dieses prüft 37
Vgl. Kerameus, Recueil des Cours 1997, S. 183 (290 f.).
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dann selbst, ob die Einwendungen vorliegen und kann die Vollstreckung einstweilen (vgl. § 776 S. 2 ZPO) einstellen.38 Dass diese Einwendungen im Vollstreckungsverfahren selbst behandelt werden, obwohl dies eigentlich vom Grundsatz „Handeln statt Verhandeln“ beherrscht ist, hat seinen Grund darin, dass sie besonders einfach strukturiert und liquide sind.39 Mit allen anderen Einwendungen materiell-rechtlicher Art ist der Schuld- 859 ner auf den Klageweg nach § 767 ZPO verwiesen. Die hierin geregelte Vollstreckungsgegenklage richtet sich allerdings nicht gegen den titulierten Anspruch selbst, sondern gegen die Vollstreckbarkeit des Titels: Hat die Klage Erfolg, lautet der Tenor der Entscheidung auf Unzulässigerklärung der Vollstreckung aus dem Titel.40 Insofern löst das Urteil eine Gestaltungswirkung aus, die mit formeller Rechtskraft eintritt.41 Um die Zwangsvollstreckung einzustellen oder zu beschränken, genügt nach § 775 Nr. 1 ZPO aber auch schon die Vorlage eines „vollstreckbaren“, d.h. nur vorläufig vollstreckbaren Urteils, aus dem sich ergibt, dass die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt wurde. Ein Urteil über die Vollstreckungsgegenklage entfaltet zu diesem Zeitpunkt also noch keine Gestaltungskraft, kann aber bereits – wenn für vorläufig vollstreckbar erklärt – auf die Vollstreckung einwirken. Ob einem auf die Vollstreckungsgegenklage ergangenen Urteil auch 860 Rechtskraft hinsichtlich des Bestands des im Ursprungsjudikat titulierten materiellen Anspruchs zukommt, wird im deutschen Recht unterschiedlich beurteilt. Hatte die Klage Erfolg und wurde die Vollstreckbarkeit des Titels beseitigt, geht ein Teil der Lit. davon aus, dass sich die Rechtskraft auch auf den Bestand der festgestellten Einwendung gegen die titulierte Forderung bezieht.42 Für die Rechtskraftwirkung spricht einerseits § 767 ZPO, 38 Teilweise wird davon ausgegangen, dass auch in den Fällen der Zwangsvollstreckung vertretbarer Handlungen (§ 887 ZPO), unvertretbarer Handlungen (§ 888 ZPO) und von Unterlassungspflichten (§ 890 ZPO) der Schuldner unmittelbar gegenüber der Vollstreckungsmaßnahme selbst zwischenzeitliche Erfüllung und ggf. auch nachträgliche Unmöglichkeit geltend machen darf, vgl. Schilken, in: FS Gaul, 1997, S. 667 m. w. N. Dafür wird angeführt, dass bei diesen Vollstreckungsarten das Prozessgericht des ersten Rechtszuges selbst für die Anordnung des jeweiligen Vollstreckungsmittels zuständig ist. Außerdem ist jeweils eine vorherige Anhörung des Schuldners gem. § 891 S. 2 ZPO vorgesehen mit fakultativer mündlicher Verhandlung nach § 891 S. 1 ZPO, so dass das Verfahren einem Erkenntnisverfahren ähnelt. Außerdem muss der Gläubiger in diesen Verfahren ohnehin die Nichterfüllung der titulierten Verpflichtung behaupten. 39 Nelle, Anspruch, Titel u. Vollstr., 2000, S. 11 f. 40 MünchKomm/Schmidt, 3. Aufl. 2007, § 767 ZPO Rn. 91. 41 MünchKomm/Schmidt, 3. Aufl. 2007, § 767 ZPO Rn. 93. 42 MünchKomm/Schmidt, 3. Aufl. 2007, § 767 ZPO Rn. 96; Halfmeier, IPRax 2007, S. 381 (382 f.) m. w. N.
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der von dem „durch das Urteil festgestellten Anspruch selbst“ spricht. Außerdem könne es ohne eine entsprechende Rechtskraftwirkung zu ineffizienten Ergebnissen kommen, wenn in anderem Zusammenhang erneut der Bestand des Anspruchs zwischen den Parteien entscheidend ist. Denn dann müsste erneut über ihn entschieden werden. 861
Nach dem BGH und der wohl überwiegenden Lit. löst die Entscheidung über die Vollstreckungsgegenklage allerdings keine Rechtskraft hinsichtlich des Bestands der Einwendung aus, beseitigt vielmehr lediglich die Vollstreckbarkeit.43 Dies wird damit begründet, dass weder der materiell-rechtliche Anspruch noch die gegen ihn vorgetragene Einwendung Streitgegenstand sind, sondern allein die Vollstreckbarkeit des Titels.44 Eine Ausnahme gilt nach der Rspr. des BGH nur für die Aufrechnung, für die § 322 II ZPO analog angewendet wird.45 Wird hingegen die Vollstreckungsgegenklage als unbegründet abgewiesen, geht auch der BGH davon aus, dass die Entscheidung über den Bestand des Anspruchs in Rechtskraft erwächst.46 Wird eine Rechtsgestaltung abgelehnt, so könne – so der BGH – nicht in einem neuen Prozess behauptet werden, die Rechtsgestaltung habe vorgenommen werden müssen.47
862
Die Vollstreckungsgegenklage lässt sich als fortgesetztes Erkenntnisverfahren über den Anspruch mit vertauschten Parteirollen begreifen.48 Folgerichtig ist sie dem Prozessgericht des ersten Rechtszuges zugewiesen, vgl. § 767 I ZPO. Diese Zuordnung wird bei ausländischen Titeln als Verweis an das inländische Exequaturgericht verstanden.49 Nach § 767 II ZPO können nur solche Einwendungen geltend gemacht werden, die nach dem für 43 BGH, 07.11.1974 – III ZR 115/72, NJW 1975, S. 539 (540); BGH, 20.09.1995 – XII ZR 220/94, NJW 1995, S. 3318 (3319); BGH, 14.05.1992 – VII ZR 204/90, BGHZ 118, 229 (236); BGH, 22.09.1994 – IX ZR 165/93, BGHZ 127, 146 (149); Musielak/Lackmann, 8. Aufl. 2011, § 767 ZPO Rn. 46; Rosenberg/Gaul/Schilken, ZwVollstrR, 11. Aufl. 1997, § 40 II 2 (S. 612), § 40 XI 3 (S. 645); Baur/Stürner/ Bruns, ZwVollstrR, 13. Aufl. 2006, Rn. 45.3. 44 BGH, 19.06.1984 – IX ZR 89/83, MDR 1985, S. 138; BGH, 23.05.1989 – IX ZR 57/88, NJW-RR 1990, S. 48 (49). 45 BGH, 25.10.1967 – V ZR 29/66, NJW 1968, S. 158. 46 BGH, 30.05.1960 – II ZR 207/58, NJW 1960, S. 1460; MünchKomm/Schmidt, 3. Aufl. 2007, § 767 ZPO Rn. 98; a. A. Musielak/Musielak, 8. Aufl. 2011, § 322 ZPO Rn. 65, der die eingangs zitierte BGH-Entscheidung nur in dem Sinne verstanden wissen will, dass eine gescheiterte Vollstreckungsgegenklage eine spätere klageweise Geltendmachung der Vollstreckungsgläubigerhaftung ausschließe. Nicht jedoch enthalte ein Urteil, durch das eine Vollstreckungsgegenklage als unbegründet abgewiesen wird, eine rechtskräftige Feststellung hinsichtlich des Bestandes des Anspruchs. 47 BGH, 30.05.1960 – II ZR 207/58, NJW 1960, S. 1460 (1461). 48 Bettermann, Rechtshängigkeit, 1949, S. 51–53. 49 BGH, 05.05.1982 – IVb ZR 697/80, BGHZ 84, 17 (22, 24); so schon RG, 05.02.1885 – Rep. IV. 322/85, RGZ 13, 347 (349).
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die rechtskräftige Feststellung des Anspruchs maßgebenden Zeitpunkt entstanden sind. Mit dieser Regelung wird die Reichweite der Rechtskraft im deutschen Recht aufgegriffen.50 2. England: Primäre Einordnung materieller Einwendungen in das Erkenntnisverfahren Erfüllt der Schuldner vor Vollziehung des Urteils, muss er unmittelbar 863 den mit der Vollstreckung betrauten County Court (CPR Part 70, PD 7.1) bzw. den High Court Enforcement Officer (CPR Part 70, PD 7.2) schriftlich in Kenntnis setzen, um die Vollstreckung anzuhalten. Von diesem Fall abgesehen kann der Schuldner eine Aufhebung des Titels 864 in der Vollstreckungsphase nur durch eine erneute Klage beim Erstgericht erreichen, sog. action to set aside the judgment.51 Diese Klage ist auf Aufhebung des Urteils und nicht nur auf Beseitigung der Vollstreckbarkeit gerichtet.52 Der Schuldner kann in ihr nur Einwände geltend machen, die er nicht bereits im Ausgangsverfahren hätte vorbringen können und müssen.53 Neben oder statt der klageweisen Aufhebung der Gerichtsentscheidung 865 kann der Schuldner auch eine Einstellung der Zwangsvollstreckung (stay of execution) wegen materieller Einwendungen erwirken. Einschlägige Rechtsgrundlage im Zuständigkeitsbereich des High Court ist r. 11 RSC ord. 45 = sch. 2 CPR, wonach ein stay of execution oder eine andere Anordnung (other relief) erlassen werden kann, wenn seit dem Erlass des Urteils neue Tatsachen eingetreten sind. In der Entscheidung, ob und welche Maßnahmen das Gericht anordnet, hat es ein weites Ermessen.54 Voraussetzung ist aber stets die Geltendmachung nachträglicher Umstände, die, wenn sie bereits zur Zeit des Erstprozesses vorgelegen hätten, einem Urteil in der vorhandenen Form entgegen gestanden wären.55 Das Gericht kann im Einzelfall sogar die dauerhafte Einstellung der Zwangsvollstreckung anordnen, was den Titel selbst aber nicht berührt.56 Für das Verfahren vor einem 50
s. zu dieser bereits Rn. 544–569. Halsbury’s Laws of England, Vol. 26 para. 556; Court of Appeal (Civil Division), 27.07.1955 – Thynne v. Thynne [1955] 3 All ER 129, 146. 52 Nelle, Anspruch, Titel u. Vollstr., 2000, S. 99. 53 Court of Appeal (Civil Division), 25.10.1968 – TC Trustees v. Darwen (JS) (Successors) [1969] 2 Q.B. 295. 54 Kerameus, Recueil des Cours 1997, S. 183 (288). 55 High Court Chancery Division, 28.11.1967 – London Permanent Benefit Building Society v. De Baer [1969] 1 Ch. 321 (334); Halsbury’s Laws of England, Vol. 17 (1), para 435; Rick, Vollstreckungsschuldnerschutz, 2002, S. 76. 56 Rick, Vollstreckungsschuldnerschutz, 2002, S. 195 f. 51
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County Court ist nicht ausdrücklich geregelt, dass die Zwangsvollstreckung wegen nachträglicher Umstände wieder eingestellt werden kann. Es dürfte sich aber aus r. 8 CCR ord. 25 = sch. 2 CPR eine entsprechende allgemeine Rechtsgrundlage hierfür ergeben.57 3. Frankreich: Vollstreckungsrechtliche Zuordnung materieller Einwendungen 866
Materielle Einwendungen werden in Frankreich vor dem juge de l’exécution geltend gemacht. Ein spezieller Rechtbehelf ist hierfür nicht vorgesehen, vielmehr ist die contestation als vollstreckungsrechtlicher Globalrechtsbehelf statthaft (Art. L213–6 al.1 COrgJud).58 Mit diesem werden konkrete Vollstreckungsmaßnahmen angefochten.59 Er kann jedoch auch mit Einwendungen gegen die Grundlage der Vollstreckung, also den Titel, begründet werden.60 Dies ordnet Art. L213–6 al.1 COrgJud ausdrücklich an, in dem es heißt, dass auch Einwendungen in Bezug auf die materiellen Rechtsverhältnisse vom juge de l’exécution geprüft werden können. Angesichts dieser Regelung hatte man allerdings die Befürchtung, die contestation könne zu einem zweiten Prozess über den Anspruch umfunktioniert werden. Es wurde daher 1992 der Art. 8 al.2 Décr. 1992 eingeführt. Dieser besagt ausdrücklich, dass der juge de l’exécution den Tenor der gerichtlichen Entscheidung, die das Fundament der Zwangsvollstreckung bildet, nicht suspendieren darf. Damit stehen die Vorgaben von Art. 8 al.2 Décr. 1992 und von Art. L213–6 al.1 COrgJud in einem Spannungsverhältnis.
867
Die Cour de cassation geht in jüngeren Entscheidungen von einer nur sehr eingeschränkten Kompetenz des Vollstreckungsrichters zur Beurteilung materieller Einwendungen aus.61 Insoweit wird vom principe de l’intangibi57 Rick, Vollstreckungsschuldnerschutz, 2002, S. 196; Bittmann, Klauselerteilungsverfahren, 2008, S. 191. 58 Niboyet/Lacassagne, in: Andenas/Hess/Oberhammer (Hrsg.), Enforcement Agency, 2005, S. 167. 59 Niboyet/Lacassagne, in: Andenas/Hess/Oberhammer (Hrsg.), Enforcement Agency, 2005, S. 167; Kerameus, Enforcement Proceedings, Int. Encycl. Comp. Law, Vol. XVI, Ch. 10, 2002, Rn. 77. 60 Traichel, Franz. ZwVollstrR., 1995, S. 67. 61 Cour de cassation, soc., 27.01.2000, Bull. civ. V nº 43: „le juge de l’exécution n’a pas compétence pour connaître de demandes tendant à remettre en cause un titre exécutoire dans son principe, ou la validité des droits et obligations qu’il constate“; ebenso Cour de cassation, 2e civ., 05.04.2001, Bull. civ. II nº 75. Großzügiger noch Cour de cassation, 2e civ., 25.03.1998, Bull. civ. II nº 107, wo die zeitliche Grenze in der Weise gezogen wurde, dass alle Einwendungen, die bereits zur Zeit des Ursprungsprozesses vorlagen, außerhalb der Kompetenz des Vollstreckungsrichters
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lité du titre exécutoire gesprochen.62 Im Einzelnen ist unklar, welche Einwendungen der juge de l’exécution selbst prüfen darf. Soweit sie nicht in seine Zuständigkeit fallen, muss er das Verfahren aussetzen und die materiellrechtliche Vorfrage von dem nach den allgemeinen Regeln zuständigen Gericht entscheiden lassen.63 Soweit die contestation aus materiellen Einwendungen begründet ist, ordnet der Vollstreckungsrichter nicht nur die Aufhebung der angegriffenen Vollstreckungsmaßnahme an, sondern entscheidet zugleich mit Rechtskraft über das Erlöschen der Schuld.64 Die Einwendungen, die durch die Rechtskraft der Ausgangsentscheidung präkludiert sind, können nicht mehr geltend gemacht werden.65 Zusammenfassend ist also die Geltendmachung materieller Einwendungen 868 dem Vollstreckungsverfahren zugeordnet, auch wenn der Vollstreckungsrichter nur eingeschränkt selbst über sie entscheiden kann. 4. Rechtsvergleichende Zusammenfassung Jede Rechtsordnung kennt Rechtsbehelfe, mit denen in der Vollstre- 869 ckungsphase wegen materieller Einwendungen die Vollstreckung verhindert werden kann – entweder durch Aufhebung des Titels bzw. seiner Vollstreckbarkeit oder durch Stopp bzw. Beschränkung des Beitreibungsverfahrens. Unterschiede bestehen aber in der Zuordnung der materiellen Einwendungen: Während sie in Frankreich im Vollstreckungsverfahren geltend gemacht werden, ordnet das englische Recht sie in erster Linie dem Erkenntnisgericht zu. In Deutschland findet sich eine Mischlösung mit Vorrang für das Erkenntnisgericht. Unterschiede bestehen ferner in den Wirkungen von Rechtsbehelfen zur 870 Geltendmachung materieller Einwendungen. Während die Vollstreckungsgegenklage in der Regel keine rechtskräftige Feststellung hinsichtlich des Bestands des materiell-rechtlichen Anspruchs oder der gegen diesen gerichteten Einwendungen herbeiführt, wird in der englischen action to set aside the judgment und in der französischen contestation auch mit Rechtskraft über den titulierten Anspruch entschieden. Für die folgenden Untersuchungen werden alle einzelstaatlichen Rechts- 871 behelfe zur Geltendmachung materieller Einwendungen in der Vollstreliegen. Vgl. ausführlich zu unterschiedlichen Rechtsprechungstendenzen Nelle, Anspruch, Titel u. Vollstr., 2000, S. 34–36. 62 Guinchard/Moussa, Exécution, 5. Aufl. 2007, Rn. 212.31. 63 Guinchard/Moussa, Exécution, 5. Aufl. 2007, Rn. 212.21; Nelle, Anspruch, Titel u. Vollstr., 2000, S. 35 f. 64 Werth, Ausgleich, 1997, S. 184; Nelle, Anspruch, Titel u. Vollstr., 2000, S. 31. 65 Traichel, Franz. ZwVollstrR., 1995, S. 67.
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ckungsphase einheitlich unter dem Oberbegriff der „Vollstreckungsgegenrechtsbehelfe“ zusammengefasst. Unter „Vollstreckungsgegeneinwendungen“ werden allgemein materielle Einwendungen gegen den titulierten Anspruch verstanden. II. Vorab: Antragsgegenstand von Vollstreckungsgegenrechtsbehelfen bei Vollziehung ausländischer exequierter Titel 872
Bevor man sich der Vereinbarkeit zweitstaatlicher Vollstreckungsgegenrechtsbehelfe mit den Regelungen der EuGVVO zuwenden kann, ist allgemein der Antragsgegenstand solcher im Zweitland gegen ausländische exequierte Titel eingelegten Rechtsbehelfe zu klären. Wird eine Vollstreckungsgegenklage, action to set aside the judgment oder eine contestation im Vollstreckungsland erhoben, um materielle Einwendungen gegen den im Ausland titulierten Anspruch geltend zu machen, könnten diese Klagen zwei Ziele haben. Sie könnten sich entweder nur gegen das zweitstaatliche Exequatur richten oder (auch) gegen das aus dem Ursprungsland stammende Urteil und dessen Vollstreckbarkeit beseitigen (Vollstreckungsgegenklage) bzw. gleich den Titel aufheben (action to set aside the judgment bzw. contestation).
873
Eine Betrachtung grundlegender Prinzipien ergibt, dass die zweite Möglichkeit von vornherein ausscheiden muss, weil im Zweitstaat nicht über Bestand oder Vollstreckbarkeit eines aus dem Ausland stammenden Titels entschieden werden kann. Würde der aus einem Land stammende Titel von den Gerichten eines anderen Landes aufgehoben (bzw. seine Vollstreckbarkeit beseitigt), stellte dies einen empfindlichen Eingriff in die Souveränität des Ursprungsstaates dar. Als actus contrarius zum Erlass der Ursprungsentscheidung kann auch deren Aufhebung nur vor Gerichten desselben Staates erfolgen. Schließlich hätte die Aufhebung einer Entscheidung oder die Beseitigung deren Vollstreckbarkeit zur Folge, dass der Titel EU-weit nicht mehr vollstreckt werden könnte, da eine Exequaturerteilung mangels Vollstreckbarkeit des Titels im Ursprungsland ausscheiden müsste (Art. 38 I EuGVVO). Es handelte sich dann gewissermaßen um ein umgekehrtes Doppelexequatur, was genauso unzulässig sein muss, wie das Doppelexequatur an sich: Exequatur- oder Anerkennungsentscheidungen aus einem Staat können nicht ihrerseits in einem anderen für vollstreckbar erklärt bzw. anerkannt werden, weil jeder Staat selbständig festlegt, welche ausländischen Urteile er anerkennt, und sich insofern nichts durch ausländische Staaten vorschreiben lässt.66 Im Prinzip genauso verhielte es sich, wenn ein ausländischer Titel im Zweitstaat aufgehoben werden könnte: Dann könnte der 66
Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 1029.
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Titel auch in allen anderen Mitgliedstaaten nicht mehr anerkannt bzw. für vollstreckbar erklärt werden, weil er nicht mehr existiert. Mithin hätte ein Staat allen anderen vorgeschrieben, dass sie den Titel nicht mehr vollstrecken können. Es zeigt sich damit, dass bei Vollstreckung ausländischer Titel im Zweit- 874 staat Vollstreckungsgegenrechtsbehelfe nur gegen die zweitstaatliche Exequaturentscheidung in Betracht kommen, nicht aber auch auf Aufhebung der Ursprungsentscheidung oder deren Vollstreckbarkeit gerichtet sein können. Dies schließt es allerdings nicht aus, dass die zweitstaatliche Entscheidung, durch die das Exequatur aufgehoben oder dessen Vollstreckbarkeit beseitigt wird, eine Rechtskraftwirkung hinsichtlich des Bestands des materiellen Anspruchs bzw. der gegen diesen gerichteten materiellen Einwendung auslöst und dass diese Rechtskraft ihrerseits in anderen EU-Mitgliedstaaten anerkannt werden kann. Dies wäre keine Beeinträchtigung fremder Souveränität, da jedem Staat weiterhin die Entscheidung überlassen bliebe, ob er die Rechtskraftwirkung der Entscheidung aus dem Vollstreckungsstaat hinsichtlich der Frage des materiellen Anspruchs anerkennen will. Damit ist der Ausgangspunkt der nachfolgenden Untersuchung geklärt: In 875 ihr wird es jeweils darum gehen, ob und inwieweit im Zweitland das dort nach der EuGVVO erteilte Exequatur im Wege nationaler Rechtsbehelfe aufgehoben werden kann, weil der im Ursprungsland titulierte Anspruch nicht mehr besteht. III. Variante 3: Ursprungstitel und Exequatur bereits rechtskräftig Fraglich ist, inwieweit gegen Entscheidungen, die nach der EuGVVO 876 rechtskräftig exequiert wurden, materielle Einwendungen im Zweitland geltend gemacht werden können. Dies soll hier zunächst für den Fall beantwortet werden, dass der Titel im Ursprungsland bereits rechtskräftig ist (Variante 3). In Deutschland ist die Vollstreckungsgegenklage ausdrücklich erlaubt 877 durch § 14 AVAG. Die h. M. geht davon aus, dass diese nationale Regelung mit der EuGVVO vereinbar ist.67 Dabei wird allerdings bisweilen die Ein67 Vgl. etwa Münzberg, in: FS Geimer, 2002, S. 745 (754 f.); Wagner, IPRax 2005, S. 401 (406); ders., IPRax 2002, S. 75 (83); Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. I/Mankowski, 2011, Art. 22 EuGVVO Rn. 55; MünchKomm/Gottwald, 3. Aufl. 2008, Art. 43 EuGVVO Rn. 7; Gottwald, FamRZ 2002, S. 1422 (1423); Schlosser, EuZPR, 3. Aufl. 2009, Art. 43 EuGVVO Rn. 14; Bittmann, Klauselerteilungsverfahren, 2008, S. 199; ebenso OLG Hamburg, 06.02.1998 – 12 U 16/96, RIW 1998, S. 889; ebenso als obiter dictum OLG Koblenz, 05.04.2004 – 11 UF 43/04, IPRspr
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schränkung gemacht, dass nur die Vollstreckbarkeit des deutschen Exequaturs beseitigt, nicht jedoch europaweit mit Rechtskraft über das Bestehen der Einwendungen entschieden werden könne.68 Nach a. A. darf gegen ausländische exequierte Titel die Vollstreckungsgegenklage nicht erhoben werden, um materiellrechtliche Einwendungen geltend zu machen; § 14 AVAG wäre demnach europarechtswidrig.69 Diejenigen, die zuvor die Anwendbarkeit von § 12 AVAG verneint haben, fordern ergänzend, dass die Präklusionsregel von § 14 I AVAG nicht angewendet wird, so dass sogar Einwendungen geltend gemacht werden könnten, die schon bei Vollstreckbarerklärung vorlagen.70 Demgegenüber wird allgemein nicht bezweifelt, dass die Erfüllungseinwände nach § 775 Nr. 4, 5 ZPO auch gegenüber ausländischen Titeln greifen. Warum sie anders zu behandeln sind als die Vollstreckungsgegenklage, muss man sich allerdings fragen. Auch in Frankreich herrscht keine Einigkeit in der Frage, ob eine auf materielle Einwendungen gestützte contestation gegen ausländische Titel zulässig ist.71 878
Im Folgenden ist allgemein, d.h. für alle Vollstreckungsgegenrechtsbehelfe in den autonomen Rechtsordnungen zu untersuchen, inwieweit sie gegen ausländische exequierte Titel erhoben werden können. Für die Behandlung dieser Problematik sind zunächst die Regelungsvorgaben der EuGVVO auszuwerten. Die Geltendmachung materieller Einwendungen im Zweitland könnte vor dem Hintergrund der Zuständigkeitsordnung der EuGVVO problematisch [1.], ferner durch die Regelung von Art. 45 I S. 1 EuGVVO ausgeschlossen sein [2.]. Außerdem sind die in § 8 allgemein entwickelten Prämissen72 der Wirkungen der Vollstreckbarerklärung zu befragen [3.].
2004, Nr. 171, Rn. 12 u. OLG Oldenburg, 29.03.2006 – 9 W 6/06, NJW-RR 2007, S. 418 (419). 68 Geimer, IPRax 2003, S. 337 (339). 69 In dieser Allgemeinheit Hub, NJW 2001, S. 3145 (3147); Geimer, IPRax 2003, S. 337 (339); Halfmeier, IPRax 2007, S. 381 (385 f.); Leutner, Vollstreckbare Urkunde, 1997, S. 246. Nelle, Anspruch, Titel u. Vollstr., 2000, S. 366–392 will die Vollstreckungsgegenklage nur dann zulassen, wenn in Deutschland ein allgemeiner Gerichtsstand gegeben ist (S. 391). Nach Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, 2008, S. 155 und 178 können im Wege der Vollstreckungsgegenklage ausschließlich nicht-liquide Einwendungen geltend gemacht werden. 70 Vgl. etwa Münzberg, in: FS Geimer, 2002, S. 745 (754–757). 71 Dafür Huet, Clunet 1986, S. 449 (451–453); dagegen Gaudemet-Tallon, Convention de Bruxelles, 1993, Rn. 101 f. 72 s. Rn. 665–695.
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1. Internationale Zuständigkeit im Vollstreckungsland zur Geltendmachung materieller Einwendungen Die Geltendmachung materieller Einwendungen im Vollstreckungsstaat 879 setzt voraus, dass dort eine entsprechende internationale Zuständigkeit eröffnet ist. Hierfür ist zunächst fraglich, ob die Zuständigkeitsregelungen in den Art. 2–24 EuGVVO für Vollstreckungsgegenrechtsbehelfe gelten [a)]. Sodann sind die einzelstaatlichen Vollstreckungsgegenrechtsbehelfe auf ihre Vereinbarkeit mit der Zuständigkeitsordnung zu untersuchen [b)] und es ist zu fragen, ob sich aus Art. 22 Nr. 5 EuGVVO möglicherweise eine internationale Zuständigkeit im Vollstreckungsstaat zur Geltendmachung materieller Einwendungen ergibt [c)]. a) Erfordernis internationaler Zuständigkeit nach Art. 2–24 EuGVVO für Vollstreckungsgegenrechtsbehelfe In erster Linie ist zu klären, ob im Vollstreckungsstaat nur dann ein 880 Rechtsbehelf zur Geltendmachung materieller Einwendungen erhoben werden kann, wenn dort eine internationale Zuständigkeit nach den Art. 2–24 EuGVVO besteht. Die in diesen Normen enthaltene Zuständigkeitsordnung ist in erster Linie auf Verfahren zur Rechtserkenntnis und Titulierung zugeschnitten, könnte aber auch den Rechtsbehelfen zur Geltendmachung materieller Einwendungen in der Vollstreckungsphase Grenzen setzen. Ordnete man diese hingegen als Teil des Vollstreckungsverfahrens ein, wäre deren Zulässigkeit im Vollstreckungsland schon dadurch begründet, dass das Vollstreckungsverfahren der dortigen lex fori unterliegt. Zumindest solchen Rechtsbehelfen müssen zuständigkeitsrechtliche Gren- 881 zen gesetzt sein, die nicht nur eine Vollstreckung verhindern, sondern zugleich den Anspruch mit EU-weit anerkennungsfähiger Rechtskraft aberkennen. Allein der Umstand, dass in einem Land die Zwangsvollstreckung durchgeführt wird, könnte nämlich kein ausreichender Bezugspunkt dafür sein, dass dort über den Bestand des Anspruchs entschieden wird. Denn in den Art. 2–24 EuGVVO ist unter Berücksichtigung der jeweiligen Zuständigkeitsinteressen – etwa Beweisnähe oder gezielte Privilegierung einzelner Parteien – festgelegt, in welchem Land sinnvollerweise und für alle Seiten zumutbar über Bestand und Inhalt eines Rechtsverhältnisses zu entscheiden ist. Diese ausgewogene Zuständigkeitsordnung geriete durcheinander, wenn der Vollstreckungsgläubiger stets im Vollstreckungsstaat gerichtspflichtig würde und hier seinen Anspruch verteidigen müsste. Hierfür bestünde keine sachliche Rechtfertigung, weil der Vollstreckungsstaat ausschließlich durch die Belegenheit der Zugriffsobjekte bestimmt wird und keinen sonstigen Bezug zur Rechtserkenntnis hat.
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Als erstes Ergebnis ist damit festzuhalten, dass der Zulässigkeit zweitstaatlicher Rechtsbehelfe zur Geltendmachung materieller Einwendungen zumindest dann durch die internationale Zuständigkeitsordnung Grenzen gesetzt sind, wenn diese Rechtsbehelfe zu einer rechtskräftigen Aberkennung des Anspruchs führen können. Es kommt also darauf an, welche Rechtswirkungen ein nationaler Vollstreckungsgegenrechtsbehelf nach dem jeweiligen einzelstaatlichen Recht hat. Alternativ käme zwar auch in Betracht, die internationale Zuständigkeitsordnung dadurch zu wahren, dass man alle Vollstreckungsgegenrechtsbehelfe zulässt, ihnen aber nur Auswirkungen für das zweitstaatliche Vollstreckungsverfahren beimisst. Dann müsste aber bei der Anerkennung einer solchen Entscheidung im Zweitstaat die Zuständigkeitsordnung berücksichtigt werden, was unter der EuGVVO aber gerade nicht mehr vorgesehen ist. Stimmiger erscheint es daher, zum Schutz der internationalen Zuständigkeitsordnung von vornherein die Kognitionsbefugnis der Gerichte des Vollstreckungsstaates entsprechend einzuschränken. b) Vereinbarkeit der Vollstreckungsgegenrechtsbehelfe mit der Zuständigkeitsordnung
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Unter Anwendung des zuvor gefundenen Kriteriums ist nunmehr zu untersuchen, welche Vollstreckungsgegenrechtsbehelfe verlangen, dass im Zweitland eine internationale Zuständigkeit nach Art. 2–25 EuGVVO eröffnet ist. Hierbei wird davon ausgegangen, dass solche Rechtsbehelfe prinzipiell nur gegen die inländische Exequaturentscheidung gerichtet sind.73
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Dennoch kann eine action to set aside the judgment nur dann in England erhoben werden, wenn dort auch eine internationale Zuständigkeit nach Art. 2–24 EuGVVO hinsichtlich des titulierten Anspruchs bzw. der hiergegen gerichteten Einwendung eröffnet ist. Dieser Rechtsbehelf führt nämlich auch zu einer Entscheidung über den Anspruch, deren Rechtskraft EU-weit anerkannt werden müsste.74 Etwas anderes muss aber für die Möglichkeit eines stay of execution gelten.75 Da dieser nur auf das Vollstreckungsverfahren bezogen ist, den Bestand des Anspruchs nicht betrifft, kann er in England erwirkt werden – unabhängig davon ob dort eine internationale Zuständigkeit für den titulierten Anspruch gegeben ist.
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Die französische contestation zur Geltendmachung materieller Einwendungen ist Teil des Vollstreckungsverfahrens, weil sie sich nur gegen einzelne Vollstreckungsmaßnahmen richtet. Im Erfolgsfalle beseitigt aber auch sie den titulierten Anspruch mit Rechtskraft76 und diese Aberkennung des 73 74 75
s. Rn. 873–875. s. Rn. 864. Vgl. zu diesem Rn. 865.
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Anspruchs müsste EU-weit anerkannt werden. Daher ist auch die contestation zur Geltendmachung materieller Einwendungen nur dann in Frankreich mit der EuGVVO vereinbar, wenn dort eine internationale Zuständigkeit nach deren Art. 2–24 zur Entscheidung über Anspruch bzw. Einwendung besteht. Die Einordnung der deutschen Vollstreckungsgegenklage ist weniger ein- 886 deutig, weil in Deutschland umstritten ist, ob ein ihr stattgebendes Urteil lediglich die Vollstreckbarkeit beseitigt oder auch mit Rechtskraft über den Anspruch entscheidet.77 Folgt man insoweit der Linie des BGH, erfordert eine erfolgreiche Vollstreckungsgegenklage keine internationale Zuständigkeit im Vollstreckungsland hinsichtlich des Anspruchs oder der Einwendung hiergegen, weil die Entscheidung keinerlei Rechtskraftwirkung hinsichtlich Bestand von Anspruch oder Einwendung entfaltet. Hätte die Klage hingegen keinen Erfolg, würde sie eine internationale Zuständigkeit im Zweitland voraussetzen, weil der Abweisung der Vollstreckungsgegenklage als unbegründet Rechtskraftwirkung zukommt.78 Es macht aber keinen Sinn, die internationale Zuständigkeit für eine Klage von deren Erfolg in der Sache abhängig zu machen, weil sich dies erst in der Begründetheitsprüfung herausstellt. Entscheidend muss daher vielmehr sein, dass die Vollstreckungsgegenklage grundsätzlich geeignet ist, eine rechtskräftige Entscheidung über den Anspruch herbeizuführen. Daher ist für deren Zulässigkeit im Zweitland erforderlich, dass dort hinsichtlich Anspruch oder Einwendung eine internationale Zuständigkeit eröffnet ist. Demgegenüber verlangt die Geltendmachung der Erfüllung nach § 775 Nr. 4, 5 ZPO im Zweitland keine internationale Zuständigkeit hinsichtlich des Anspruchs oder des Erfüllungseinwandes, weil diese nicht zu einer EU-weiten Aberkennung des Anspruchs führt, sondern lediglich die Vollstreckung beendet. c) Zuständigkeit nach Art. 22 Nr. 5 EuGVVO im Vollstreckungsstaat Für all diejenigen Vollstreckungsgegenrechtsbehelfe, die im Vollstre- 887 ckungsstaat eine internationale Zuständigkeit nach Art. 2–24 EuGVVO verlangen (contestation, action to set aside the judgment und Vollstreckungsgegenklage), stellt sich die Frage, ob sich eine solche aus Art. 22 Nr. 5 EuGVVO ergibt. Dieser Regel zufolge besteht für Verfahren, welche „die Zwangsvollstreckung [. . .] zum Gegenstand haben“, eine internationale Zuständigkeit in dem Land, in dem die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll oder durchgeführt worden ist. Die Vorschrift lässt allerdings 76 77 78
s. Rn. 867. s. Rn. 859. s. Rn. 861.
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offen, wann ein Rechtsbehelf zur Geltendmachung materieller Einwendungen in diesem Sinne „die Zwangsvollstreckung zum Gegenstand hat“. Dies kann jedenfalls nicht davon abhängen, ob dieser Rechtsbehelf im nationalen Recht des Vollstreckungslandes dem Vollstreckungsverfahren zugeordnet ist (wie etwa in Frankreich) oder nicht (wie etwa in England).79 Denn dann wäre eine EU-weit einheitliche Anwendung der EuGVVO nicht gewährleistet. Die Abgrenzung der von Art. 22 Nr. 5 EuGVVO erfassten Rechtsbehelfe muss vielmehr nach verordnungsautonomen Maßstäben erfolgen. 888
Für die deutsche Vollstreckungsgegenklage hat der EuGH in dem Vorabentscheidungsverfahren AS Autoteile Service GmbH ./. Pierre Malhé zwar entschieden, dass diese „an sich“ von Art. 22 Nr. 5 EuGVVO erfasst sei, dabei aber die Einschränkung gemacht, dass am Gerichtsstand von Art. 22 Nr. 5 EuGVVO nicht die Aufrechnung mit einer Forderung geltend gemacht werden kann, die in einem anderen Mitgliedstaat einzuklagen wäre.80 Teilweise wird aus dieser Entscheidung gefolgert, die deutsche Vollstreckungsgegenklage falle grundsätzlich in die Zuständigkeit von Art. 22 Nr. 5 EuGVVO.81
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Es ist allerdings sehr fraglich, ob sich der EuGH über die Funktionsweise der Vollstreckungsgegenklage im Klaren war und ob sich tatsächlich aus Art. 22 Nr. 5 EuGVVO eine allgemeine Zuständigkeit im Vollstreckungsstaat für Rechtsbehelfe zur Geltendmachung materieller Einwendungen ergibt. Zweifel kommen angesichts der Begründung auf. Der Gerichtshof erklärte nämlich, dass der Rechtsbehelf der Vollstreckungsgegenklage „wegen seines engen Zusammenhangs mit dem Vollstreckungsverfahren“ im Vollstreckungsland erhoben werden könne.82 Worin der enge Zusammenhang zwischen Vollstreckungsgegenklage und Vollstreckungsverfahren bestehen soll, bleibt offen. Die Klage hat nur insofern einen Bezug zur Zwangsvollstreckung, als sie auf diese einwirkt. Ansonsten geht es um die Ermittlung der materiellen Rechtslage. Auf die eigentliche Durchführung der Vollstreckung bezieht sie sich nicht, was schon daran erkennbar ist, dass sie auch dann erhoben werden kann, wenn noch gar keine Zwangsvollstreckung 79 So aber Nelle, Anspruch, Titel u. Vollstr., 2000, S. 377 f., der unter anderem diesen Aspekt zur Handhabung von Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ berücksichtigen will. s. zu diesem Ansatz Rn. 892 f. 80 EuGH, 04.07.1985 – Rs. 220/84, AS Autoteile Service GmbH ./. Pierre Malhé, Slg. 1985, 2267 ergangen zum inhaltsgleichen Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ. 81 OLG Hamburg, 06.02.1998 – 12 U 16/96, RIW 1998, S. 889; Kropholler, EuZPR, 8. Aufl. 2005, Art. 22 EuGVVO Rn. 61; Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. I/ Mankowski, 2011, Art. 22 EuGVVO Rn. 55. 82 EuGH, 04.07.1985 – Rs. 220/84, AS Autoteile Service GmbH ./. Pierre Malhé, Slg. 1985, 2267, Rn. 12.
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durchgeführt wird; es müssen noch nicht einmal Vollstreckungsanträge gestellt oder eine Vollstreckungsklausel erteilt worden sein.83 Auch für die entsprechenden Rechtsbehelfe anderer Rechtsordnungen zur 890 Geltendmachung materieller Einwendungen ist sehr fraglich, ob Art. 22 Nr. 5 EuGVVO eine ausreichende Zuständigkeitsgrundlage hergibt. Sein Zweck spricht dagegen. Art. 22 Nr. 5 EuGVVO rechtfertigt sich nämlich nach Auffassung des EuGH durch die „besondere Beziehung“ zu dem Ort, an dem die Zwangsvollstreckung durchgeführt wird.84 Worin diese Beziehung zwischen Rechtsbehelf und Vollstreckungsstaat besteht, wurde ansatzweise in der Entscheidung Reichert II deutlich, in der der Gerichtshof erklärte, „dass es allein Sache der Gerichte des Vertragsstaates ist, in dessen Hoheitsgebiet die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll, in diesem Gebiet die Vorschriften über die Tätigkeit der Vollstreckungsbehörden anzuwenden“.85 In dieser Formulierung wird die Unterscheidung zwischen Vollstreckungsverfahren und dem zu Grunde liegenden Anspruch, also dem Titel, deutlich.86 Laut Jenard-Bericht fallen in diesen Gerichtsstand nur solche Verfahren, 891 „die sich aus der Inanspruchnahme von Zwangsmitteln insbesondere bei der Herausgabe oder Pfändung von beweglichen oder unbeweglichen Sachen [. . .] ergeben“.87 Ansatzpunkt ist also die Territorialität der Zwangsvollstreckung.88 Übereinstimmend ist damit sowohl nach der Intention des Gesetzgebers als auch nach der Auslegung durch den EuGH Grund für die ausschließliche Zuständigkeit im Vollstreckungsland, dass das Vollstreckungsverfahren dem dortigen Recht unterliegt. Dass bei der Vollstreckung ausländischer Entscheidungen die Anwendbarkeit der lex fori executionis durch eine jurisdictio executionis im selben Land ergänzt wird, ist letztlich vor allem der öffentlichrechtlichen Natur des Vollstreckungsrechts geschuldet.89 Angesichts dessen kann kaum angenommen werden, dass Art. 22 Nr. 5 EuGVVO für die Gerichte des Vollstreckungsstaates eine internationale Zuständigkeit begründet zur Entscheidung über den Bestand des titulierten Anspruchs.90 Auch die Gläubigeranfechtungsklage fällt laut EuGH 83
Münzberg, in: FS Geimer, 2002, S. 745 (755). EuGH, 04.07.1985 – Rs. 220/84, AS Autoteile Service GmbH ./. Pierre Malhé, Slg. 1985, 2267, Rn. 16. 85 EuGH, 26.03.1992 – Rs. C-261/90, Reichert u. a. ./. Dresdner Bank AG (Reichert II), Slg. I-1992, 2149, Rn. 26. 86 Leutner, Vollstreckbare Urkunde, 1997, S. 246. 87 Jenard, Bericht z. EuGVÜ 1968, S. 36, zu Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ. 88 Nelle, Anspruch, Titel u. Vollstr., 2000, S. 374. 89 Kerameus, Recueil des Cours 1997, S. 183 (389). 90 Ebenso Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, 2008, S. 156 für die Vollstreckungsgegenklage. 84
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nicht in den Anwendungsbereich von Art. 22 Nr. 5 EuGVVO, weil es hierbei in erster Linie nicht um die Anwendung von Vollstreckungsrecht gehe.91 Hinzu kommt, dass der EuGH in der Entscheidung AS Autoteile Service GmbH ./. Pierre Malhé selbst die Einschränkung aufstellte, dass eine Gegenforderung nur im Vollstreckungsstaat geltend gemacht werden darf, wenn für sie dort eine internationale Zuständigkeit besteht.92 Mit anderen Worten soll der Gerichtsstand von Art. 22 Nr. 5 EuGVVO also gerade nicht bewirken, dass die allgemeine internationale Zuständigkeitsordnung über den Haufen geworfen wird. Im Ergebnis ist es daher überzeugender, Art. 22 Nr. 5 EuGVVO für all solche Klagen nicht als Zuständigkeitsgrund genügen zu lassen, die zu einer rechtskräftigen Aberkennung des titulierten Anspruchs führen. 892
Einen anderen Ansatz zur Bestimmung der Reichweite von Art. 22 Nr. 5 EuGVVO schlägt Nelle vor.93 Ob diese Vorschrift einen nationalen Vollstreckungsgegenrechtsbehelf erfasst, will er unter Berücksichtigung folgender fünf Gesichtspunkte bestimmen: 1. Welche Stelle ist für den Rechtsbehelf zuständig (Vollstreckungsgericht oder Prozessgericht)? 2. Wie vollstreckungsnah setzt der Rechtsbehelf ein (erfordert er den Beginn der Zwangsvollstreckung)? 3. Welche Wirkungsrichtung hat der Rechtsbehelf (wird nur die konkrete Vollstreckungsmaßnahme aufgehoben oder auch die Vollstreckbarkeit allgemein beseitigt)? 4. Welche Wirkung hat die Entscheidung auf den titulierten Anspruch? 5. Welche Einwendungen können mit dem Rechtsbehelf geltend gemacht werden?
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Dieses äußerst aufwendige Prüfungsprogramm ist im Ergebnis aber nicht überzeugend, weil es Gesichtspunkte berücksichtigt, die für die Festlegung, in welchem Land eine bestimmte Entscheidung getroffen werden soll, letztlich keine Bedeutung haben können. Dies gilt namentlich für die Kriterien Nr. 1 bis Nr. 3, die ausschließlich die konkrete Ausgestaltung der Vollstreckungsgegenrechtsbehelfe im autonomen nationalen Recht betrachten. Es ist nicht klar, warum die Reichweite der internationalen Zuständigkeit, die durch eine europäische Verordnung den Gerichten eines Landes verliehen wird, davon abhängig sein soll, wie der konkret anhängig gemachte Rechtsbehelf ausgestaltet ist. Für die Kognitionsbefugnis der Gerichte eines Staates macht es beispielsweise keinen Unterschied, ob nach internen Bestimmungen ein Vollstreckungs- oder ein Prozessgericht zur Entscheidung beru91 EuGH, 26.03.1992 – Rs. C-261/90, Reichert u. a. ./. Dresdner Bank AG (Reichert II), Slg. I-1992, 2149, Rn. 27 f. mit Bezug auf Jenard, Bericht z. EuGVÜ 1968, S. 34. 92 EuGH, 04.07.1985 – Rs. 220/84, AS Autoteile Service GmbH ./. Pierre Malhé, Slg. 1985, 2267, Rn. 17. 93 Nelle, Anspruch, Titel u. Vollstr., 2000, S. 377 f. zu Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ.
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fen ist. Genauso unerheblich ist, ob der Rechtsbehelf, über den entschieden werden soll, vollstreckungsnah ist oder nicht. Vielmehr gehen die EuGVVO-Regelungen zur internationalen Zuständigkeit primär vom Streitgegenstand aus: Zu fragen ist beispielsweise, ob es sich um einen deliktischen Anspruch oder um einen vertraglichen handelt. Wie ein Rechtsstreit verfahrenstechnisch ausgestaltet ist, ist hingegen unerheblich. Überzeugend an Nelles Ansatz ist allerdings das Kriterium Nr. 4, demge- 894 mäß danach zu fragen ist, welche Wirkungen der Rechtsbehelf hinsichtlich des titulierten Anspruchs hat. Wirkt sich die Entscheidung nach nationalem Recht auf dessen Bestand aus, hat sie eine über die Grenzen eines Landes hinausgehende Tragweite. Dann ist eine Gleichbehandlung mit den allgemeinen Zivil- und Handelssachen angebracht. Kann der Rechtsbehelf hingegen lediglich zu einer Entscheidung über das Ob der Zwangsvollstreckung im Zweitland führen, reicht Art. 22 Nr. 5 EuGVVO als Zuständigkeitsgrund aus. d) Ergebnis Es ist festzuhalten, dass aus zuständigkeitsrechtlicher Sicht Vollstre- 895 ckungsgegenrechtsbehelfe, durch die der Anspruch EU-weit aberkannt würde, nur dann im Vollstreckungsland möglich sind, wenn dort auch eine internationale Zuständigkeit nach den Art. 2–24 EuGVVO für den streitgegenständlichen Anspruch eröffnet ist. Es hat sich in diesem Zusammenhang auch gezeigt, dass Art. 22 Nr. 5 EuGVVO jedenfalls keine ausreichende internationale Zuständigkeit im Vollstreckungsstaat für Rechtsbehelfe begründen kann, die zur EU-weiten Aufhebung des Anspruchs führen. Unproblematisch ist es demgegenüber aus Sicht der internationalen Zuständigkeitsordnung, wenn gestützt auf materiellrechtliche Einwendungen lediglich für das Gebiet des Vollstreckungsstaates die Vollstreckung ausgesetzt bzw. beendet wird.94 Dies gilt etwa für die im deutschen Recht vorgesehene Einstellung oder Beschränkung der Zwangsvollstreckung nach § 775 I Nr. 4, 5 ZPO und den im englischen Recht möglichen stay of execution.95 Diese ersten Erkenntnisse zur Frage der Zulässigkeit von Vollstreckungs- 896 gegenrechtsbehelfen im Vollstreckungsstaat haben sich aber lediglich aus einer Betrachtung der internationalen Zuständigkeitsordnung ergeben. Nachfolgend sind auch andere Gesichtspunkte wie insbesondere der Schuldnerschutz zu betrachten. Hierbei kann sich ggf. freilich ergeben, dass die 94 Geimer, IPRax 2003, S. 337 (339); Schlosser, EuZPR, 3. Aufl. 2009, Art. 43 EuGVVO Rn. 14. 95 s. hierzu Rn. 858 (Deutschland) u. 865 (England).
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Einschränkungen aufgrund der internationalen Zuständigkeitsordnung letztlich doch aus anderweitigen Interessen oder zum Schutz höherwertiger Rechtsgüter übergangen werden können. 2. Vereinbarkeit mit Art. 45 I S. 1 EuGVVO 897
Unabhängig von der zuständigkeitsrechtlichen Frage könnte Art. 45 I S. 1 EuGVVO eine Geltendmachung materieller Einwände im Vollstreckungsland grundsätzlich sperren. Unmittelbar regelt diese Vorschrift zwar nur, dass ein mit dem Rechtsbehelf i. S. v. Art. 43 f. EuGVVO befasstes Gericht das Exequatur ausschließlich wegen der in Art. 34 f. EuGVVO genannten Gründe aufheben darf.96 Über den Wortlaut hinaus könnte aber allgemein die Kompetenz der Gerichte im Vollstreckungsstaat auf die in Art. 34 f. EuGVVO aufgezählten Gründe beschränkt sein – vor und nach Rechtskraft des Exequaturs.97
898
Eine weite Auslegung der Vorschrift ließe sich mit der andernfalls bestehenden Umgehungsgefahr rechtfertigen. Wie bereits dargestellt, ist das Exequaturverfahren im Interesse der Verfahrenseffizienz von materiellrechtlichen Einwendungen freigehalten.98 Diesen Ausschluss könnte der Schuldner dadurch aushöhlen, dass er eben erst im Nachhinein seine materiellen Einwendungen gegen den Titel geltend macht.99 Wenn dadurch eine umfangreiche Prüfung materiellrechtlicher Einwendungen angestrengt werden könnte, wäre die durch Verschlankung des Exequaturverfahrens erzielte Beschleunigung sogleich wieder zunichte gemacht.
899
Es ist dennoch fraglich, ob durch die Zurückdrängung materieller Einwendungen auch nach Rechtskraft des Exequaturs die Verfahrenseffizienz tatsächlich insgesamt gesteigert würde. Stets ist es dem Schuldner nämlich unbenommen, den rechtskräftigen Titel im Ursprungsland aufheben und aufgrund der Aufhebungsentscheidung die zweitstaatliche Vollstreckbarerklärung anzugreifen.100 Die Entscheidung, die den Titel bzw. seine Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat beseitigt, wäre im Zweitstaat nach den Regeln der EuGVVO anerkennungsfähig und löst im Verfahren gegen das 96 s. zur Bedeutung von Art. 45 I S. 1 EuGVVO im Exequaturverfahren Rn. 832–837. 97 So etwa Halfmeier, IPRax 2007, S. 381 (385 f.); Hub, NJW 2001, S. 3145 (3147). 98 s. oben unter Rn. 829–849. 99 So etwa Hub, NJW 2001, S. 3145 (3147). 100 In Deutschland ist hierfür das besondere Verfahren nach § 27 AVAG vorgesehen. In Frankreich wäre die contestation einschlägig, in England die action to set aside the judgment, s. zu diesen bereits Rn. 863–868.
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Exequatur eine entsprechende Bindungswirkung aus.101 Letztlich könnte sich der Schuldner also immer über den Umweg ins Ursprungsland der Vollstreckung entziehen, auch wenn dies aufwendiger ist als die unmittelbare Geltendmachung materieller Einwendungen im Zweitstaat. Ein Gewinn für die Prozessökonomie brächte dies nicht, da es – auch für den Titelberechtigten – zu einer Verdopplung von Prozessen käme. Man würde dem Titelverpflichteten zweifaches Prozessrisiko und zweifache Prozesslast aufbürden, ohne dass hierdurch irgendjemandem gedient wäre. Gegen eine Beachtlichkeit von Art. 45 I S. 1 EuGVVO im Vollstre- 900 ckungsverfahren spricht auch, dass der Regelungsbereich der EuGVVO mit Abschluss des Exequaturverfahrens endet.102 Der EuGH hat hierzu in anderem Zusammenhang erklärt, das EuGVÜ habe nur für die Zulassung der Zwangsvollstreckung ein eigenes Verfahren mit eigenständigem und geschlossenem Rechtsschutzsystem geschaffen und schließe daher nur solche nationalen Rechtsbehelfe aus, die sich „gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung“ richten.103 Man könnte daher das Zusammenspiel zwischen EuGVVO und dem Recht des Vollstreckungsstaates so verstehen, dass erstere nur den Weg hin zu einem rechtskräftigen Exequatur vorgibt, während die Abwehr nicht mehr gerechtfertigter Zwangsvollstreckung in den Zuständigkeitsbereich des zweitstaatlichen Vollstreckungsrechts fällt.104 Hierfür ließe sich möglicherweise auch die Hoffmann ./. Krieg-Entscheidung anführen, in der sich eine Grenzziehung zwischen nationalem Zwangsvollstreckungsrecht und EuGVVO andeutet, nach der dem exequierten Titel im Vollstreckungsstaat die Vollstreckbarkeit wieder genommen werden kann, soweit es sich um spätere – mithin nicht von der Präklusionswirkung erfasste – Ereignisse handelt.105 Da das Exequatur der Sache nach Ausübung von Hoheitsmacht durch den Vollstreckungsstaat ist, muss es auch diesem überlassen bleiben, den Fortbestand seiner Entscheidung zu überprüfen. Dennoch erscheinen Vollstreckungsgegenklage und vergleichbare Rechts- 901 behelfe anderer Rechtsordnungen problematisch, da sie dazu führen, dass sich der Zweitstaat seiner europarechtlich begründeten Vollstreckungspflicht entzieht. Ob man einfach eine „zeitliche“ Grenze in der Weise ziehen kann, dass nach Erteilung des Exequaturs die EuGVVO völlig aus dem Spiel ist, kann daher nicht als gesichert gelten. 101
Nelle, Anspruch, Titel u. Vollstr., 2000, S. 330–332. Münzberg, in: FS Geimer, 2002, S. 745 (756 f.). 103 EuGH, 02.07.1985 – Rs. 148/84, Deutsche Genossenschaftsbank ./. Brasserie du Pecheur, Slg. 1985, 1981, Rn. 17. 104 Linke, RIW 1988, S. 822 (825), unter Berufung auf EuGH, 04.02.1988 – Rs. 145/86, Hoffmann ./. Krieg, IPRax 1989, S. 159. 105 EuGH, 04.02.1988 – Rs. 145/86, Hoffmann ./. Krieg, IPRax 1989, S. 159, vgl. zu dieser Entscheidung bereits oben Rn. 128–132. 102
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Als Ergebnis ist zunächst festzuhalten, dass sich allein aus Art. 45 I S. 1 EuGVVO für die Geltendmachung materieller Einwendungen im Vollstreckungsland nichts gewinnen lässt, diese Frage vielmehr unter Betrachtung übergeordneter Prinzipien beantwortet werden muss. 3. Folgerungen aus den Prämissen der Wirkungen der Vollstreckbarerklärung
903
Zu der hier untersuchten Frage, ob im Zweitland materielle Einwendungen geltend gemacht werden können, um dem Titel die Vollstreckbarkeit zu nehmen bzw. dessen Vollziehung vorläufig oder dauerhaft auszusetzen, sind die in § 8 entwickelten Prämissen106 auszuwerten. Diese betreffen die Wirkungen der Vollstreckbarerklärung, sind daher auch vorliegend anwendbar, wo es um die Bestandsfestigkeit der durch Exequatur verliehenen Vollstreckbarkeit geht. a) Folgerungen aus Prämisse 1 (Keine Veränderung des Leistungsbefehls)
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Angepasst auf die vorliegende Problematik ließe sich das nach Prämisse 1 geltende Verbot der Erweiterung des Leistungsbefehls wie folgt formulieren: Die für den Zweitstaat verliehene Vollstreckbarkeit darf gegenüber materiellen Einwendungen keine höhere Bestandskraft haben als es die Vollstreckbarkeit des Ursprungstitels im Erstland hätte. Demnach müssten im Zweitland dieselben Rechtsbehelfsmöglichkeiten zur Geltendmachung materieller Einwendungen gelten wie im Ursprungsland.
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Diese Deutung von Prämisse 1 überzeugt im Ergebnis aber nicht. Schließlich hat die Frage der Geltendmachung materieller Einwendungen – wie eingangs angedeutet – zwei Facetten: Die eine betrifft den statthaften Rechtsbehelf im Zweitland, die andere dreht sich um den Kreis der beachtlichen Einwendungen. Erstere ist jedenfalls kein Aspekt des Leistungsbefehls, dreht sich vielmehr nur um die prozessuale Komponente der gerichtlichen Geltendmachung. Aber zweitere dürfte als Teil des Leistungsbefehls einzuordnen sein. Denn die Frage, welche Einwendungen überhaupt beachtlich sind, ist eine Frage der Geltungskraft des Titels. Für diese Frage verweist also Prämisse 1 auf das Recht des Ursprungslandes.
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Dies ist freilich keine Neuigkeit. Denn der Kreis der im Zweitstaat beachtlichen Einwendungen richtet sich nach der Reichweite der Präklusionswirkung des ausländischen Titels. Dass diese wiederum im Grundsatz dem 106
s. Rn. 665–695.
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Recht des Ursprungslandes unterliegt (Wirkungserstreckungslehre), wurde bereits geklärt.107 Für die andere Frage, welche Rechtsbehelfe im Zweitland statthaft sind, lässt sich aus Prämisse 1 allerdings nichts gewinnen.
b) Folgerungen aus Prämisse 2 (Intensivierungen aufgrund Abweichungen von funktional entsprechenden Vollstreckungsregelungen akzeptabel) Eine Einschränkung von Vollstreckungsgegenrechtsbehelfen im Zweit- 907 land ergibt sich auch nicht aus Prämisse 2. Diese besagt, dass Wirkungsintensivierungen im Zweitland dann hinnehmbar sind, wenn sie darauf zurückzuführen sind, dass im Ursprungs- und Zweitland zwar unterschiedliche aber funktional entsprechende Vollstreckungsregelungen gelten. Eine solche funktionale Entsprechung lässt sich zwischen den unterschiedlichen Vollstreckungsgegenrechtsbehelfen in den einzelnen Rechtsordnungen ausmachen. Dass materielle Einwendungen gegen den Titel in einem Land durch vollstreckungsinternen Rechtsbehelf geltend zu machen sind, in einem anderen hingegen weniger vollstreckungsnah ansetzen, macht also keinen Unterschied. Insofern können im Zweitland die örtlichen Verfahrensregelungen angewendet werden, unabhängig davon, was im Ursprungsland gegolten hätte. c) Folgerungen aus Prämisse 3 (Keine Ungleichbehandlung aus- und inländischer Titel) Für die Lösung der vorliegenden Fragestellung kommt aber Prämisse 3 908 Bedeutung zu. Deren Gebot einer Gleichbehandlung in- und ausländischer Titel könnte verletzt sein, wenn ausländische Entscheidungen nicht denselben Vollstreckungsgegenrechtsbehelfen ausgesetzt sind wie inländische. Wäre nur bei ersteren die Geltendmachung materieller Einwendungen versperrt, genössen sie im Zweitland einen wesentlich höheren Bestandsschutz als letztere. Schließlich bliebe dem Verpflichteten dann nur der Umweg ins Ursprungsland mit den Nachteilen doppelter Prozesskosten, doppelten Prozessrisikos und doppelter Prozessdauer. Eine solche Ungleichbehandlung ausländischer Titel auf Kosten des 909 Schuldners wäre an sich nach Prämisse 3 ausgeschlossen. Es ist aber fraglich, ob das Gleichbehandlungspostulat vorliegend überhaupt gilt. Die regulativen Vorgaben der EuGVVO könnten nämlich in der Weise zu verstehen sein, dass der Gläubiger in den Genuss einer Privilegierung gegenüber dem 107
Vgl. Rn. 603–607.
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Schuldner kommen soll, was die Rechtsbehelfe im zweitstaatlichen Vollstreckungsverfahren anbelangt. Im Vollstreckbarerklärungsverfahren nach der EuGVVO kommt dem Gläubiger jedenfalls bis zum Vorliegen eines rechtskräftigen Exequaturs eine solche gezielte Privilegierung zugute [aa)] Ausgehend davon ist zu fragen, ob wegen der Grundsätze der EuGVVO diese Privilegierung möglicherweise auch für den Zeitraum nach Rechtskraft des Exequaturs fortgilt und verlangt, dass Vollstreckungsgegenrechtsbehelfe des Schuldners ausgeschlossen sind [bb)]. aa) Die gezielte Gläubigerbegünstigung durch die EuGVVO bis zur Rechtskraft des Exequaturs und Gründe hierfür 910
Vor allem mit zwei Mitteln wird der Gläubiger auf dem Weg zum rechtskräftigen Exequatur begünstigt. Zum einen ist der Rechtsschutz des Schuldners zunächst aufgeschoben. Der Vollstreckungswillige muss im Zweitland lediglich eine Entscheidungsausfertigung und die Bescheinigung nach Art. 54 EuGVVO vorlegen (Art. 41, 53 EuGVVO). Schon allein aufgrund dieser Urkunden erhält er das Exequatur, ohne die Anerkennungsfähigkeit nachweisen zu müssen. Sofort kann er eine Sicherungsvollstreckung i. S. v. Art. 47 III EuGVVO betreiben. Außerdem ist ihm ein überraschender Vollstreckungszugriff im Zweitland möglich, da der Schuldner noch nicht gehört wurde108 und diesem noch nicht mal die ausländische Entscheidung zugestellt worden sein muss.109
911
Zum anderen ist die Stellung des Titelinhabers dadurch gestärkt, dass der Schuldner die Prozesslast trägt, wenn er die Rechtmäßigkeit der Exequaturerteilung überprüfen lassen will („Umkehrung des Streitverfahrens“110). Er muss dann von sich aus den Rechtsbehelf nach Art. 43 f. EuGVVO einlegen und die fehlende Anerkennungsfähigkeit nachweisen. Hinsichtlich der Verteidigungslast des Schuldners werden damit ausländische Titel inländischen gleichgestellt.111 Zusätzlich kann das Exequatur nur aus den in 108
Schlosser, RIW 2002, S. 809 (811) mit Verweis auf Jenard, Bericht z. EuGVÜ 1968, S. 50. 109 Dass das Exequatur nicht die Zustellung der ausländischen Entscheidung voraussetzt, folgt aus Art. 53 und Anh. V zu Art. 54 EuGVVO, wo dieses Erfordernis im Gegensatz zu Art. 47 EuGVÜ nicht mehr aufgeführt ist, vgl. Schlosser, RIW 2002, S. 809 (811). Auch verlangt Art. 42 EuGVVO nach seinem Wortlaut nicht die Zustellung der Vollstreckbarerklärung an den Schuldner vor Vollstreckungsbeginn. Diese Vorschrift sollte auch in dem Sinne ausgelegt werden, dass eine Zustellung erst erfolgt, nachdem der Gläubiger im nationalen Zwangsvollstreckungsverfahren Gelegenheit gehabt hatte, auf Vermögensgegenstände des Schuldners zuzugreifen, vgl. Schlosser, RIW 2002, S. 809 (812). 110 Begriff nach Roth, RabelsZ 68 (2004), S. 379 (380). 111 Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 1044.
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Art. 34 f. EuGVVO abschließend aufgeführten Gründen angefochten werden, vgl. Art. 45 I S. 1 EuGVVO. Auch materielle Einwendungen sind – wie zuvor geklärt wurde – zumindest vorerst ausgeschlossen.112 Diese Verfahrensgestaltung reduziert die Gefahr, dass der Vollstreckungs- 912 schuldner das Exequaturverfahren in eine weitere Instanz der Rechtserkenntnis umfunktioniert und zur Erlangung einer unberechtigten Verzögerung der Vollstreckung missbraucht. Außerdem belastet ein Prozessieren um die Zulassung zur Vollstreckung typischerweise den Gläubiger besonders stark, schließlich muss er sich – damit die Vollstreckung Erfolg verspricht – in ein Land begeben, in dem der Schuldner anwesend oder dessen Vermögen belegen ist. Dieser hat daher vor den Gerichten des Vollstreckungslandes in aller Regel einen Heimvorteil, welcher sich insbesondere in geringeren Kosten der Prozessführung bemerkbar macht (keine Korrespondenzanwälte im Ausland, keine kosten- und zeitaufwendigen Reisen zu den Gerichtsterminen, etc.). Demgegenüber ist dem Vollstreckungsgläubiger das Vollstreckungsland meist fremd, so dass für ihn langwierige Verfahren vor Vollstreckungsbeginn besonders aufwendig sind und er deren Durchführung in der Regel scheut. Aus diesem Grunde besteht sogar die Gefahr, dass sich der Gläubiger von der Durchsetzung seiner Ansprüche abhalten lässt, weil der Schuldner vor die Gerichte des Vollstreckungsstaates zieht. Daher ist es gerechtfertigt, die Rechtsschutzmöglichkeiten des Schuldners – auch zur Geltendmachung materieller Einwendungen – zunächst einzuschränken. Die damit einhergehende vorläufige Rechtsschutzbeschränkung des Schuldners nimmt die EuGVVO bewusst in Kauf, um dem Gläubiger den Zutritt in das Zweitland zu erleichtern. bb) Gründe für eine gezielte Gläubigerprivilegierung auch nach rechtskräftigem Exequatur durch Ausschluss von Vollstreckungsgegenrechtsbehelfen? Fraglich ist allerdings, ob die EuGVVO auch für die Zeit nach Rechts- 913 kraft des Exequaturs eine gezielte Privilegierung des Gläubigers hinsichtlich der Verteidigungslast im Zweitland vorsieht. Ausdrücklich geregelt ist eine solche zwar nicht. Sie könnte sich aber aus einer Parallele zu der zuvor erläuterten Ausgestaltung des Exequaturverfahrens ergeben. Es könnte sich insofern um ein allgemeines, auch über das Exequaturverfahren hinaus beachtliches Strukturmerkmal der EuGVVO handeln. Zur Begründung der Annahme, eine dergestaltige Gläubigerprivilegierung wäre auch nach Rechtskraft des Exequaturs bezweckt, müsste aber nachgewiesen werden, dass die Gründe, wegen derer der Gläubiger bis zur Rechtskraft des Exe112
Vgl. Rn. 829–850.
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Teil III: Die Wirkungen der Vollstreckbarkeit mitgliedstaatlicher Titel
quaturs begünstigt wird, auch dessen Besserstellung in der sich anschließenden Phase erfordern. 914
Freilich besteht auch bei Vollstreckungsgegenrechtsbehelfen eine Missbrauchsgefahr. Nach wie vor ist ein Prozessieren im Vollstreckungsland für den Gläubiger typischerweise belastender als für den Schuldner. Somit ließen sich dieselben Gründe, wegen derer bis zur Rechtskraft des Exequaturs der Rechtsschutz des Schuldners beschränkt ist, auch dafür anführen, die Geltendmachung materieller Einwendungen im zweitstaatlichen Vollstreckungsverfahren auszuschließen.
915
Allerdings ergäbe sich für eine derartige Beschränkung des zweitstaatlichen Rechtsschutzsystems nach Rechtskraft des Exequaturs keine ausreichende europarechtliche Grundlage mehr. Denn die EuGVVO selbst kennt das Problem ungerechtfertigter Rechtsbehelfe, trifft aber nur für den Zeitraum bis zur Rechtskraft des Exequaturs Vorsorge durch Zurückdrängung der schuldnerseitigen Rechtsschutzmöglichkeiten und Gewährung einer Sicherungsvollstreckung zu Gunsten des Gläubigers nach Art. 47 III EuGVVO. Für die anschließende Phase sind vergleichbare Regelungen nicht vorgesehen, was so zu verstehen ist, dass die Regelung dieser Fragen dem nationalen Recht überlassen bleibt. Wäre auch nach Rechtskraft des Exequaturs noch eine Gläubigerprivilegierung bezweckt, hätte dies ausdrücklich angeordnet werden können. Es ginge zu weit, aus der Rechtsschutzbeschränkung, die die Verordnung für das Exequaturverfahren vornimmt, auf eine solche auch in der Zwangsvollstreckung zu schließen. Denn die EuGVVO regelt ausschließlich die Vollstreckbererklärung, nicht jedoch das eigentliche Verfahren der Zwangsvollstreckung.113
916
Hinzu kommt, dass dem Missbrauchspotential, welches Vollstreckungsgegenrechtsbehelfen inhärent ist, typischerweise von der zweitstaatlichen Rechtsordnung selbst ausreichend Rechnung getragen wird – beispielsweise indem die Vollstreckbarkeit vorerst nicht oder nur teilweise suspendiert wird bzw. die Vollstreckung nur gegen Sicherheitsleistung des Schuldners ausgesetzt werden kann. Weil – wie in § 9 für den Fall fehlender Rechtskraft im Ursprungsland festgelegt – das Recht des Vollstreckungsstaates die Reichweite der Vollstreckungsbefugnisse und die korrespondierenden Schuldnerschutzinstrumente vorgibt, ist gewährleistet, dass die Vollstre113 EuGH, 23.04.2009 – Rs. C-167/08, Draka NK Cables Ltd. u. a. ./. Omnipol Ltd., Slg. I-2009, 3479, Rn. 29. So auch schon die gefestigte Rspr. zum EuGVÜ: EuGH, 02.07.1985 – Rs. 148/84, Deutsche Genossenschaftsbank ./. Brasserie du Pecheur, Slg. 1985, 1981, Rn. 18; EuGH, 03.10.1985 – Rs. 119/84, P. Capelloni und F. Aquilini ./. J.C.J. Pelkmans, Slg. 1985, 3147, Rn. 16; EuGH, 04.02.1988 – Rs. 145/86, Hoffmann ./. Krieg, IPRax 1989, S. 159, Rn. 27 f. Ebenso Mankowski, ZZP Int. 4 (1999), S. 276.
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435
ckung trotz der auswärtigen Herkunft des Titels abhängig von Art und Erfolgsaussichten des eingelegten Vollstreckungsgegenrechtsbehelfs erfolgt. Dieses Problems muss sich die EuGVVO also nicht annehmen, und schon gar nicht in der Weise, dass zweitstaatliche Vollstreckungsgegenrechtsbehelfe gänzlich versperrt wären. Auch der Umstand, dass der Titelgläubiger in der Regel nicht im Voll- 917 streckungsland ansässig ist, erfordert nicht, dass dieser vor Vollstreckungsgegenrechtsbehelfen im Zweitland geschützt werden müsste. Schließlich können die Wertungen der internationalen Zuständigkeitsordnung nach den Art. 2 ff. EuGVVO herangezogen werden, die auch in der Vollstreckungsphase noch angeben, in welchen Ländern ein Prozessieren zumutbar ist.114 Insbesondere Art. 22 Nr. 5 EuGVVO ist zu entnehmen, dass ein vollstreckungswilliger Gläubiger vor Streitigkeiten im Zweitland nicht gänzlich verschont bleibt. Im Ergebnis ist damit festzuhalten, dass sich ein Ausschluss materieller 918 Einwendungen im Zweitstaat jedenfalls nicht damit begründen lässt, dass die EuGVVO den Vollstreckungsgläubiger in der Vollstreckungsphase gezielt privilegieren wollte. Die Verordnung regelt weder das Vollstreckungsverfahren als solches noch die darin geltenden Rechtsbehelfe, überlässt diese Fragen vielmehr dem Recht des Zweitlandes. d) Zwischenergebnis Zur vorliegenden Problematik ist also insbesondere Prämisse 3 auf- 919 schlussreich. Sie erfordert im Grundsatz, dass alle Vollstreckungsgegenrechtsbehelfe der zweitstaatlichen Rechtsordnung auch gegenüber auswärtigen Titeln zur Verfügung stehen. 4. Zusammenfassung der gefundenen Einzelerkenntnisse und deren Zusammenführung in einem Lösungsmodell Aus der vorausgehenden Untersuchung zur Frage der Zulässigkeit von 920 Vollstreckungsgegenrechtsbehelfen im Vollstreckungsland haben sich zwei Lösungshinweise ergeben: Einerseits verlangt Prämisse 3, dass der Schuldner im Zweitstaat grundsätzlich von allen Rechtsbehelfen Gebrauch machen kann, die dort für die Vollstreckungsphase vorgesehen sind. Ihm ist daher auch zu gestatten, materielle Einwendungen gegen den Anspruch mit dem Ziel geltend zu machen, die Vollstreckung des Titels zu verhindern. Andererseits hatte sich gezeigt, dass die EuGVVO-eigenen Regelungen der inter114
So auch Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, 2008, S. 159 f.
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nationalen Zuständigkeit solchen Rechtsbehelfen Grenzen setzen, die zu einer rechtskräftigen Aberkennung des Anspruchs führen. Inwiefern diese Einschränkung aber auch vor dem Hintergrund der mit ihr einhergehenden Reduzierung des Schuldnerschutzes angemessen ist, ist nachfolgend zu untersuchen. Dazu ist zunächst die Stellung des Gläubigers in den Blick zu nehmen [a)], um sodann dessen Interessen mit dem gebotenen Schuldnerschutz abzuwägen [b)]. a) Gläubigerschutz durch Beschränkung der zweitstaatlichen Rechtsbehelfe 921
Wenn aus Rücksicht auf die internationale Zuständigkeitsordnung die Möglichkeiten, Titel im Vollstreckungsland anzugreifen, eingeschränkt werden, geschieht dies im Interesse des Gläubigers. Wie sich gezeigt hatte, erfordert eine EU-weite Aberkennung des Anspruchs im Vollstreckungsland an sich, dass dort nach den Art. 2–24 EuGVVO ein entsprechender Gerichtsstand eröffnet ist.115 Von Rechtsbehelfen, die lediglich vor Ort die Vollstreckung stoppen, kann stets im Vollstreckungsland Gebrauch gemacht werden. Eine rechtskräftige Aberkennung des Anspruchs im Zweitland erfordert demgegenüber eine dortige internationale Zuständigkeit.
922
Diese Einschränkung der Rechtsbehelfsmöglichkeiten schützt vor allem den Gläubiger, weil hierdurch dessen Gerichtspflichtigkeit im Vollstreckungsland limitiert wird. Es ist für ihn in der Regel wesentlich bequemer oder eher zumutbar, wenn er den Anspruch lediglich in demselben Forum verteidigen muss, in dem dieser zuvor tituliert wurde. Denn insoweit kann der internationalen Zuständigkeitsordnung entnommen werden, in welchem Land den Beteiligten die Durchführung eines Gerichtsverfahrens zumutbar und ausgehend vom Streitgegenstand angemessen ist.
923
Soweit sich die Einwendungen gegen den titulierten Anspruch auf selbständige Gegenrechte, wie etwa eine Aufrechnung stützen, müsste – in Anlehnung an die Entscheidung AS Autoteile Service GmbH ./. Pierre Malhé – hinsichtlich der Gegenforderung eine internationale Zuständigkeit im Vollstreckungsland gegeben sein, damit dort eine EU-weit gültige Aufhebung des Titels erfolgen kann. Fraglich ist aber für die unselbständigen Einwendungen, wie Erfüllung, Stundung, Verjährung, etc., wo die internationale Zuständigkeit für deren Geltendmachung liegt. Man könnte sie nach Art. 2 I EuGVVO einheitlich am Sitz des Titelgläubigers verorten, der bei Vollstreckungsgegenklage und funktional entsprechendem Rechtsbehelf anderer Rechtsordnungen in der Beklagtenrolle ist.116 Dies wäre aber letztlich 115
s. Rn. 879–896.
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genauso willkürlich wie eine Zuständigkeit im Vollstreckungsland. Vielmehr sollte daher von der ursprünglich eingeklagten Forderung ausgegangen werden und die internationale Zuständigkeit für deren Geltendmachung bestimmt werden, die sich auch auf die unselbständigen Einwendungen erstreckt. b) Angemessener Ausgleich mit dem erforderlichen Schuldnerschutz? Ein Ausschluss der Vollstreckungsgegenrechtsbehelfe im Zweitland muss 924 aber auch vor dem Hintergrund der hiermit einhergehenden Verkürzung des Schuldnerschutzes akzeptabel sein. In Deutschland ist die Rechtsweggarantie von Art. 19 IV S. 1 GG zu wahren, denn auch die Vollstreckung aus einem ausländischen Titel führt zu Grundrechtseingriffen durch die inländische öffentliche Gewalt117. Gegen Akte der inländischen Gewalt muss allgemein ein geeigneter, angemessener sowie zumutbarer Rechtsweg eröffnet sein.118 Die Klagemöglichkeiten müssen dem Bürger gestatten, möglichst rasch und unkompliziert zu seinem Recht zu kommen.119 Ob der Verweis des Schuldners auf Rechtsbehelfe im Ursprungsland den Anforderungen der Rechtsweggarantie entspricht, ist nicht nur wegen des damit verbundenen erhöhten Zeitaufwandes zweifelhaft. Den Schuldner trifft auch ein doppeltes Prozessrisiko und damit wächst für ihn die Gefahr, trotz fehlender materieller Verpflichtung eine Vollstreckung erdulden zu müssen. Zum anderen ergibt sich die Diskrepanz, einerseits vollständig der inländischen Staatsgewalt ausgesetzt zu sein, andererseits aber nicht den gesamten dagegen vorgesehenen Rechtsschutz nach innerstaatlichen Regeln gewährt zu bekommen.120 Zwar kann fehlender inländischer Rechtsschutz durch gleich effektive Rechtsbehelfe im Ausland ausgeglichen werden.121 Aber gerade in der Vollstreckungsphase ist die Gefahr irreversibler Schäden besonders groß, so dass der Umweg ins Ursprungsland kaum dem inländischen 116
So Halfmeier, IPRax 2007, S. 381 (385), wonach die Vollstreckungsgegenklage immer in dem Mitgliedstaat zu erheben ist, in dem der Vollstreckungsgläubiger ansässig ist. 117 BVerfG, 22.03.1983 – 2 BvR 475/78, BVerfGE 63, 343 (375) zum Verbot der révision au fond im Deutsch-österreichischen Rechtshilfevertrag 1970. 118 BVerfG, 20.04.1982 – 2 BvL 26/81, BVerfGE 60, 253 (268 f.); BVerfG, 02.12.1987 – 1 BvR 1291/85, BVerfGE 77, 275 (284). 119 Maurer, Staatsrecht I, 6. Aufl. 2010, § 8 Rn. 28. 120 BGH, 05.05.1982 – IVb ZR 697/80, BGHZ 84, 17 (24) zur Vollstreckung eines Urteils aus der DDR in Deutschland. 121 BVerfG, 22.03.1983 – 2 BvR 475/78, BVerfGE 63, 343 (377) zum Verbot der révision au fond im Deutsch-österreichischen Rechtshilfevertrag 1970: Art. 19 IV S. 1 GG kann dadurch gewahrt werden, dass im Ursprungsland ein rechtsstaatlich ausreichender Rechtsschutz möglich war.
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Rechtsschutz gleichwertig sein dürfte. Somit berührt der Ausschluss materieller Einwendungen im Zweitland die Rechtsweggarantie. In Betracht kommt zwar, diesen Eingriff in Art. 19 IV S. 1 GG zu rechtfertigen mit dem staatlichen Interesse an einer Aufrechterhaltung des internationalen Rechtshilfeverkehrs.122 Allerdings ist diesem nicht gedient, wenn die Chancen auf eine materiellrechtlich nicht gerechtfertigte Vollstreckung erhöht sind. 925
Gegenüber diesen Anliegen des Schuldnerschutzes wiegt das Interesse des Gläubigers, seinen Titel grundsätzlich nicht im Vollstreckungsland verteidigen zu müssen, geringer. Zwar besteht dann, wenn der Gläubiger dort nicht ansässig ist und ihn daher eine Prozessführung vor Ort besonders belastet, die Gefahr, dass Vollstreckungsgegenrechtsbehelfe vor Ort in missbräuchlicher Weise eingelegt werden. Das Missbrauchspotential wäre noch größer, wenn der Gläubiger im Vollstreckungsland nicht ansässig ist. Schließlich könnte er sich angesichts erhöhten Prozessaufwandes im Zweitland gänzlich von einer Anspruchsdurchsetzung abhalten lassen. Diese Steigerung der Missbrauchsgefahr durch die Herkunft des Titels aus dem Ausland kann es aber nicht rechtfertigen, die Rechtsschutzmöglichkeiten des Schuldners in derart empfindlicher Weise zu beschränken. Schließlich unternimmt es schon jede nationale Rechtsordnung für sich, einer missbräuchlichen Verwendung von Vollstreckungsgegenrechtsbehelfen vorzubeugen, etwa durch einstweiligen Erhalt der Vollstreckungsbefugnisse.123 Eine Beschränkung der Vollstreckungsgegenrechtsbehelfe könnte also nur der gesteigerten Missbrauchsgefahr aus der Internationalität der Vollstreckung Rechnung tragen – ein relativ geringer Zweck, zu dessen Erreichung es für den Schuldner zu einer erheblichen Einschränkung seiner Rechte käme.
926
Außerdem ist dem Gläubiger eine Gerichtspflichtigkeit im Vollstreckungsland nach Rechtskraft des Exequaturs deshalb zumutbar, weil – wie bereits dargelegt124 – seine Stellung in der ersten Verfahrensphase bis zur Rechtskraft des Exequaturs deutlich begünstigt ist. Die EuGVVO will dem Gläubiger schneller und leichter einen Titel verschaffen, indem die prozessualen Möglichkeiten des Schuldners zunächst stark eingeschränkt sind. Umso schutzbedürftiger ist der Verpflichtete in der anschließenden Vollstreckungsphase, weswegen ihm zumindest jetzt vollwertiger Rechtsschutz zukommen sollte. Schließlich kann die EuGVVO nicht dazu dienen, den Gläubiger leichter in den Genuss einer im Ergebnis nicht gerechtfertigten 122 BVerfG, 22.03.1983 – 2 BvR 475/78, BVerfGE 63, 343 (379 f.) zum Verbot der révision au fond im Deutsch-österreichischen Rechtshilfevertrag 1970. 123 s. Rn. 916. 124 Vgl. Rn. 910–912. Außerdem können materielle Einwendungen vorerst nicht geltend gemacht werden, vgl. Rn. 829–850.
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Vollstreckung kommen zu lassen. Mehr als der einfache Eintritt in den Zweitstaat kann nicht bezweckt sein. Insgesamt ist daher zum Schutz des Schuldners erforderlich, dass dieser sich im Zweitland gegen eine im Ergebnis ungerechtfertigte Vollstreckung wehren kann.125 Aus diesem Grunde müssen also die Anforderungen der internationalen 927 Zuständigkeitsordnung in der Vollstreckungsphase ignoriert werden. Sie zu beachten führte auch zu ungereimten Ergebnissen. Schließlich wären nach ihr zweitstaatliche Rechtsbehelfe mangels internationaler Zuständigkeit dann ausgeschlossen, wenn sie zu einer rechtskräftigen Aberkennung des Anspruchs führten, andere lediglich auf Aussetzung der Vollstreckung zielende Rechtsschutzformen blieben hingegen möglich. Nach diesem Ansatz wären Schuldner in manchen Ländern besser geschützt als in anderen, nur weil dort die Rechtsbehelfe anders ausgestaltet wären. 5. Ergebnis und Kreis der statthaften Einwendungen Es ist nicht nur mit den Regelungsvorgaben der EuGVVO und den ihr zu 928 Grunde liegenden Prinzipen vereinbar, dass der Schuldner im Vollstreckungsland materielle Einwendungen geltend machen kann, um sich einer Vollstreckung zu entziehen. Dies ist zur Gewährung eines ausreichenden Schuldnerschutzes sogar erforderlich. Die einschlägigen Rechtsbehelfe hierfür gibt das nationale Prozessrecht des Vollstreckungslandes vor. Welche Einwendungen gegen eine ausländische Entscheidung geltend ge- 929 macht werden können, wurde zuvor in der Weise geklärt, dass sich der objektive und zeitliche Umfang der Präklusionswirkung nach dem Recht des Ursprungslandes richtet (Wirkungserstreckung).126 Damit kein Widerspruch zur Anerkennung des ausländischen Titels entsteht, können im Zweitland von vornherein nur die Einwendungen geltend gemacht werden, die auch im Ursprungsland nicht präkludiert sind. Damit gilt: Nachträglich entstandene materiell-rechtliche Einwendungen 930 sind stets im Zweitland beachtlich. Solche Einwendungen, die bereits vor Erlass des ausländischen Urteils vorlagen, können nur insoweit im Zweitland vorgebracht werden, wie sie nicht durch die Rechtskraft des ausländischen Titels präkludiert sind. Insoweit ist der Umfang der Präklusionswirkung im Recht des Ursprungslandes maßgeblich.
125 So auch Roth, RabelsZ 68 (2004), S. 379 (384 f.); Nelle, Anspruch, Titel u. Vollstr., 2000, S. 353. 126 Vgl. Rn. 597–619.
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IV. Variante 4: Ursprungstitel noch nicht rechtskräftig, Exequatur hingegen schon 931
Abschließend ist die Konstellation zu betrachten, in der der Ursprungstitel noch nicht rechtskräftig ist, das Exequatur gleichwohl schon. Auch hier passt grundsätzlich das für Variante 3 gefundene Ergebnis, dass dem Schuldner im Zweitland Vollstreckungsgegenrechtsbehelfe zur Geltendmachung materiell-rechtlicher Einwendungen offenstehen. Denn dies wurde durch Betrachtung der Zuständigkeitsordnung der EuGVVO, deren Art. 45 I S. 1 EuGVVO und der Prämissen der Wirkungen der Vollstreckbarerklärung gewonnen. Diese Strukturmerkmale sind gleichermaßen anwendbar, wenn der Titel im Ursprungsland noch nicht in Rechtskraft erwachsen ist, so dass die vorausgegangenen Ausführungen auch vorliegend Gültigkeit haben und insofern nach oben verwiesen werden kann.127 Abweichend ist aber der Kreis der möglichen Einwendungen zu beurteilen: Die zuvor gefundene Abgrenzung entsprechend der Reichweite der Präklusionswirkung des ausländischen Urteils zwischen neu entstandenen und nachträglichen Einwendungen128 passt vorliegend nicht, da der ausländische Titel noch gar nicht rechtskräftig ist.
932
Noch nicht rechtskräftigen ausländischen Entscheidungen im Zweitland Rechnung zu tragen, ist vielmehr Aufgabe der Rechtshängigkeitsregel von Art. 27 EuGVVO. Sie sperrt Klagen im Zweitland bereits dann, wenn sie denselben „Kernpunkt“ betreffen wie ein im Ursprungsland anhängiges Verfahren.129 Diese Maßgabe ist auch für die Zulässigkeit von Vollstreckungsgegenrechtsbehelfen zu beachten: Würde etwa in Deutschland bei Vollstreckung eines ausländischen Urteils Vollstreckungsgegenklage erhoben, beträfe diese und das im Ursprungsland weiterhin rechtshängige Verfahren denselben „Kernpunkt“, nämlich Existenz und Umfang der vollstreckbaren Forderung. Der Klage müsste eigentlich die anderweitige Rechtshängigkeit entgegenstehen.130
933
Konstellationen widersprüchlicher Entscheidungen können immer dann eintreten, wenn der Vollstreckungsgegenrechtsbehelf eine rechtskräftige Entscheidung über den Bestand des titulierten Anspruchs herbeiführt. Zu einem Entscheidungswiderspruch kann es etwa kommen, wenn der Titel im Ursprungsland aufgrund eines Rechtsmittels aufgehoben oder abgeändert wird, und im Vollstreckungsland zuvor ein Vollstreckungsgegenrechtsbehelf scheiterte und damit dort rechtskräftig entschieden wurde, dass der Anspruch be127 128 129 130
s. Rn. 876–927. s. Rn. 929 f. s. bereits oben Rn. 262–268. Tsikrikas, ZZP Int. 11 (2006), S. 51 (356).
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steht, wie er ursprünglich tituliert wurde. Widersprüchliche Entscheidungen drohen außerdem dann, wenn ein Vollstreckungsgegenrechtsbehelf im Vollstreckungsland Erfolg hat und zu einer rechtskräftigen Aberkennung des Anspruchs führt, anschließend aber im Ursprungsland der Titel aufgrund Rechtsmittels rechtskräftig bestätigt wird. In solchen Fällen muss die Rechtshängigkeit verhindern, dass Rechts- 934 sicherheit und internationaler Entscheidungseinklang gefährdet werden, weil über Bestand und Umfang des Anspruchs in verschiedenen Ländern abweichend entschieden wird. Dennoch muss sich der Schuldner im Zweitland auch dann gegen eine Vollstreckung schützen können, solange der Titel im Ursprungsland noch nicht rechtskräftig ist. Die Erfordernisse des Schuldnerschutzes wurden bereits zuvor für den Fall dargestellt, dass der Titel im Ursprungsland rechtskräftig ist. Sie gelten gleichermaßen für die hier untersuchte Konstellation fehlender Rechtskraft im Ursprungsstaat, so dass an dieser Stelle nach oben verwiesen werden kann.131 Die Rechtshängigkeit des Rechtsbehelfs im Ursprungsland darf also die Geltendmachung materieller Einwendungen im Zweitstaat nicht gänzlich sperren, um die Rechtsschutzmöglichkeiten des Schuldners nicht inakzeptabel zu verkürzen. Um gleichzeitig die Rechtshängigkeitsregel nicht auszuhöhlen, müssen 935 die Rechtsschutzmöglichkeiten des Schuldners im Zweitland in gegenständlicher Hinsicht beschränkt werden: All diejenigen Einwendungen, die noch im Erststaat mittels dort zulässiger Rechtsmittel gegen die Entscheidung geltend gemacht werden können, dürfen nicht im Wege eines Vollstreckungsgegenrechtsbehelfs im Zweitland vorgebracht werden. Für welche Einwendungen der Schuldner ins Ursprungsland verwiesen ist, richtet sich nach dem dortigen Rechtsmittelrecht. Als Richtlinie dürfte gelten, dass alle Einwendungen, die vor Erlass der ausländischen Entscheidung entstanden sind, ihren Platz im Rechtsbehelfsverfahren des Ursprungslandes haben, während alle nachträglichen Einwendungen im Zweitland geltend gemacht werden können. Der maßgebliche Zeitpunkt (der der letzten Tatsachenverhandlung in der Ursprungsinstanz oder ein Zeitpunkt der Tatsachenverhandlung im Rechtsmittelverfahren) muss vom Recht des Ursprungslandes vorgegeben werden. Praktisch bedeutet dies, dass der Schuldner hinsichtlich nachträglicher 936 Einwendungen entscheiden kann, ob er sie im Ursprungsland durch Vollstreckungsgegenrechtsbehelf geltend machen will (um im Erfolgsfalle – gestützt auf die fehlende Vollstreckbarkeit des Titels – auch das Exequatur im Zweitland aufheben zu lassen132) oder ob er direkt im Zweitland Vollstre131 132
s. Rn. 924–927. Auf welche Weise dies verfahrenstechnisch geschieht: s. Rn. 801.
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ckungsgegenrechtsbehelf erheben will. Hinsichtlich alter Einwendungen besteht ein solches Wahlrecht hingegen nicht: Sie können nur im Ursprungsland im Wege der dort zulässigen Rechtsbehelfe geltend gemacht werden. Für den ebenfalls denkbaren Fall, dass der Schuldner im Ursprungsland den Titel durch Rechtsmittel anficht unter Geltendmachung alter Einwendungen und zur gleichen Zeit im Zweitland Vollstreckungsgegenklage erhebt gestützt auf nachträglich entstandene Einwendungen, sollte das zweit befasste Gericht das Verfahren allerdings wegen Vorgreiflichkeit des weiter anhängigen Verfahrens im Erstland aussetzen gem. Art. 28 I EuGVVO.
C. Zusammenfassung 937
Inwieweit materielle Einwendungen gegen den titulierten Anspruch im Zweitland geltend gemacht werden können, hängt davon ab, ob das Exequatur im Zweitstaat bereits in Rechtskraft erwachsen ist: Solange noch nicht rechtskräftig, kann das Exequatur im Zweitstaat grundsätzlich nicht unter Berufung auf materielle Einwendungen angefochten werden. Eine Ausnahme gilt für sog. liquide Einwendungen, die entweder unstreitig oder bereits rechtskräftig festgestellt worden sind: Gestützt auf sie kann auch im Zweitland die Exequaturentscheidung angefochten werden – allerdings nur soweit sie nicht von der Rechtskraft des Ursprungstitels präkludiert sind (Variante 1133) bzw. gegen den noch nicht rechtskräftigen Titel im Ursprungsland im Wege örtlicher Rechtsmittel vorgebracht werden könnten (Variante 2134).
938
Lässt sich allerdings das zweitstaatliche Exequatur nicht mehr durch Rechtsbehelf anfechten, können Einwendungen gegen den im Ursprungsland titulierten Anspruch direkt im Zweitland vorgebracht werden, um die Vollstreckung aus dem Titel zu stoppen. Soweit der Titel im Ursprungsland bereits in Rechtskraft erwachsen ist (Variante 3135), ist aber im Zweitland nur dasjenige Vorbringen beachtlich, das nicht durch die Rechtskraft des Ursprungstitels präkludiert ist. Ist demgegenüber der Titel im Ursprungsland noch nicht in Rechtskraft erwachsen (Variante 4136), kommt es darauf an, welche Einwendungen noch durch Rechtsmittel gegen den Titel im Ursprungsland geltend gemacht werden könnten. Soweit dies möglich ist, ist eine Geltendmachung im Zweitland ausgeschlossen.
133 134 135 136
s. s. s. s.
Rn. Rn. Rn. Rn.
830–851. 852–875. 876–930. 931–936.
§ 11 Methoden und Grenzen der Zwangsanwendung bei Vollstreckung ausländischer Entscheidungen Gegenstand dieses Paragraphen ist die eigentliche Zwangsanwendung bei 939 der Vollstreckung ausländischer Entscheidungen im Zweitland. Zu untersuchen ist hierbei in erster Linie, welche Vollstreckungsmethoden zur Durchsetzung exequierter Titel anwendbar sind. Da die Mechanismen der Anspruchsdurchsetzung im Grundsatz der lex fori executionis unterliegen, liegt das Hauptaugenmerk darauf, ob und inwieweit im Hinblick auf die Auswahl der zur Verfügung stehenden Vollstreckungsmittel das Recht des Ursprungslandes zu berücksichtigen ist. Außerdem wird es im Folgenden auch um die grenzüberschreitende Koordinierung der Vollstreckungshindernisse und -beschränkungen gehen. Wie auch bislang sollen diese Fragen in der Form behandelt werden, 940 dass zunächst die Vollstreckungsmechanismen und -hindernisse in den einzelstaatlichen Rechtsordnungen vergleichend dargestellt werden [A.]. Sodann sind die Modalitäten der Zwangsanwendung aus ausländischen Titeln zu klären: Hierbei sind einerseits die im Zweitland geltenden Vollstreckungshindernisse und -schranken fraglich [B.], andererseits die dort anwendbaren Vollstreckungsmechanismen [C.]. Außerdem ist zu thematisieren, welche Wirkungen ausländische Vollstreckungsakte im Zweitland haben [D.]. Ein gesonderter Punkt wird sich schließlich mit der besonderen Vollstreckungsmethode der Fiktion bei Ansprüchen gerichtet auf Abgabe von Willenserklärungen im grenzüberschreitenden Bereich befassen [E.].
A. Die in einzelnen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen vorgesehenen Mechanismen zur Anspruchsdurchsetzung In jeder der nachfolgend verglichenen Rechtsordnungen richtet sich die 941 Auswahl der Zwangsmittel nach dem jeweiligen Anspruchsinhalt. Soweit verschiedene Zwangsmittel anwendbar sind, steht dem Gläubiger ein Wahlrecht zu. Ein solches hat er auch hinsichtlich der Sachwerte des Schuldners, auf die im Bereich der Vermögensvollstreckung zugegriffen werden soll.1 Insoweit gilt also im deutschen, englischen und französischen Vollstreckungsverfahren das Prinzip der Gläubigerherrschaft.
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Teil III: Die Wirkungen der Vollstreckbarkeit mitgliedstaatlicher Titel
Für den folgenden Vergleich der Vollstreckungsmechanismen wird der im deutschen Recht bekannten Systematik gefolgt und primär nach Titelinhalt eingeteilt, dann nach Zugriffsobjekt. Zu unterscheiden ist demnach zwischen Geldleistungs- [I.] und Nichtgeldleistungsansprüchen. Zu letzteren gehören Ansprüche auf Handlungen oder Unterlassungen [II.], auf Herausgabe von Gegenständen [III.] und auf Abgabe von Willenserklärungen [IV.]. I. Die Methoden der Geldleistungsvollstreckung
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In jeder der verglichenen Rechtsordnungen können Geldleistungsansprüche in bewegliche Sachen [1.], Forderungen [2.] und Immobilien [3.] vollstreckt werden. Darüber hinaus werden in manchen Staaten Geldforderungen auch mittels gegen die Person des Schuldners gerichteter Beugemittel, wie insbes. der Schuldhaft, durchgesetzt [4.]. In Deutschland, Frankreich und England gilt der Grundsatz, dass der Gläubiger gleichzeitig oder nacheinander nach freier Wahl von mehreren Vollstreckungszugriffen Gebrauch machen darf.2 Demgegenüber legen manche Rechtsordnungen – so etwa die Schweiz, Spanien und Finnland – eine Reihenfolge der Zugriffsobjekte fest.3 1. Die Mobiliarvollstreckung
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Die Vollstreckung in bewegliches Vermögen vollzieht sich allgemein in zwei Schritten: Zunächst wird im Wege eines formellen Zugriffsaktes auf die Sache ein Verwertungsrecht begründet [a)], welches anschließend durch deren Verkauf realisiert wird [b)]. 1 Für das deutsche Recht: Lackmann, ZwVollstrR, 8. Aufl. 2007, Rn. 4. Für das englische Recht: Bailey/Gunn, Smith & Bailey, 3. Aufl. 1996, S. 797 f.; r. 70.2(2) CPR. Für das französische Recht: Art. 22 al.1 L. 1991. 2 Dies ist innerhalb Europas die Regel, vgl. Kerameus, Enforcement Proceedings, Int. Encycl. Comp. Law, Vol. XVI, Ch. 10, 2002, Rn. 87. In Deutschland werden aber durch § 777 ZPO gewisse Grenzen gesetzt. In Frankreich regelt Art. 2209 CC, dass ein Hypothekengläubiger nur dann in das nicht belastete unbewegliche Vermögen des Schuldners vollstrecken darf, wenn er aus dem belasteten Vermögen nicht befriedigt werden konnte. Auch in der englischen Literatur werden Grenzen gesehen, vgl. O’Hare/Hill, Civil Litigation, 8. Aufl. 1997, S. 546: Der Gläubiger könne nicht mit „all guns blazing“ vorgehen. 3 Vgl. Kerameus, Enforcement Proceedings, Int. Encycl. Comp. Law, Vol. XVI, Ch. 10, 2002, Rn. 87. So etwa Art. 95 SchKG: Zunächst ist in das bewegliche Vermögen inklusive der Forderungen zu vollstrecken (S. 1). Nur wenn der Gläubiger nicht befriedigt wurde, kann auf das unbewegliche Vermögen zugegriffen werden (S. 2). In letzter Linie werden Vermögensstücke gepfändet, auf welche ein Arrest gelegt ist oder welche vom Schuldner als dritten Personen zugehörig bezeichnet oder von dritten Personen beansprucht werden (S. 3).
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a) Der Zugriff auf die Sache des Schuldners In allen hier verglichenen Rechtsordnungen werden an beweglichen Ver- 945 mögensgegenständen durch äußerlich klar erkennbare Akte Verwertungsrechte für den Gläubiger begründet. In Deutschland geschieht dies mit der Pfändung, die der Gerichtsvollzieher durch Wegnahme des Vollstreckungsgutes oder Anbringen eines Pfandsiegels bewirkt (§ 808 I, II S. 2 ZPO). Der Pfändung entspricht in England die seizure, die dort von High Court 946 Enforcement Officer bzw. Bailiff durchgeführt wird.4 Sie muss allerdings zuvor durch gerichtliche Vollstreckungsverfügung (writ of fieri facias5 vom High Court bzw. warrant of execution6 vom County Court) angeordnet werden. Diese dient der Prüfung formeller Aspekte und wird von der Geschäftsstelle des Gerichts (court office) erlassen, sobald der Gläubiger einen entsprechenden Antrag gestellt und die erforderliche Gebühr gezahlt hat.7 Bei der seizure wird dem Schuldner das Vollstreckungsgut in der Regel abgenommen.8 Zusätzlich erhält er eine formelle Mitteilung (notice on levy).9 Die Vollstreckungsobjekte können aber auch beim Schuldner verbleiben, wenn er sich dazu verpflichtet, weder über sie zu verfügen noch sie an einen anderen Ort zu verbringen (agreement for walking possession).10 In Frankreich wird die Sachpfändung (saisie-vente) vom huissier durch- 947 geführt.11 Zuvor muss er allerdings dem Schuldner eine letzte Zahlungsaufforderung zustellen (signification de commandement de payer), Art. 50 al.1 L. 1991. Frühestens acht Tage danach kann die saisie beginnen, vgl. 4
Vgl. r. 9 sch. 7 Courts Act 2003 (für High Court-Vollstreckung) bzw. r. 12 CCR ord. 26 = sch. 2 CPR (für County Court-Vollstreckung). s. allg. zu High Court Enforcement Officer und Bailiff Rn. 705 f. 5 Jetzt in sch. 7 r. 6–11 Courts Act 2003 geregelt, wo vom writ of execution against goods die Rede ist. Dennoch ist weiterhin die Bezeichnung writ of fieri facias gebräuchlich. 6 Geregelt in r. 1 ff. CCR ord. 26 = sch. 2 CPR. 7 Kaye, Execution in Europe, 1996, S. 61. Nur in bestimmten Fällen ist eine Entscheidung des Gerichts erforderlich. Etwa dann, wenn die Titulierung schon länger als sechs Jahre zurückliegt oder wenn die Vollstreckung – beispielsweise im Todesfall – gegen eine andere als die im Titel genannte Person erfolgen soll, vgl. r. 2 RSC ord. 46 = sch. 1 CPR (für High Court-Vollstreckung) bzw. r. 5 CCR ord. 26 = sch. 2 CPR (für County Court-Vollstreckung). 8 Vgl. s. 90 County Courts Act 1984 und r. 12 CCR ord. 26 = sch. 2 CPR (für County Court-Vollstreckung). 9 Vgl. r. 2 RSC ord. 45 = sch. 1 CPR (für High Court-Vollstreckung) und r. 7 CCR ord. 26 = sch. 2 CPR (für County Court-Vollstreckung). 10 Stürner, in: FS Nakamura, 1996, S. 599 (612 f.); Kaye, Execution in Europe, 1996, S. 61 f. 11 Geregelt in den Art. 50–55 L. 1991 und in den Art. 81–138 Décr. 1992. s. allg. zum huissier de justice Rn. 708.
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Art. 88 Décr. 1992. Diese Pfändung erfolgt durch Inventarisierung der Sachen und Erstellung eines Protokolls, mit dessen Übergabe oder Zustellung an den Schuldner sie bewirkt ist, vgl. Art. 94–96 Décr. 1992. Nach diesem Zugriff bleibt der Schuldner grundsätzlich Besitzer der Sachen. Eine Sequestrierung ist möglich, muss allerdings vom juge de l’exécution eigens angeordnet werden, Art. 97 Décr. 1992. Bargeld wird hingegen immer beim huissier hinterlegt, Art. 98 Décr. 1992. Auch die Vollstreckung in Gesellschaftsanteile und Wertpapiere (saisie des droits incorporels) erfolgt nach den Regeln der Sachpfändung, vgl. Art. 59 f. L. 1991. Für den Zugriff auf Kraftfahrzeuge gelten Sondervorschriften.12 948
In allen Rechtsordnungen gelten Bestimmungen des sozialen Pfändungsschutzes, wonach insbesondere Sachen, die zur Berufsausübung erforderlich sind, zur grundlegenden Haushaltsausstattung gehören oder die Grundbedürfnisse des Schuldners und seiner Familie sichern, der Vollstreckung nicht unterliegen.13 An Sonn- und Feiertagen sowie zur Nachtzeit bleibt der Schuldner vor Pfändungen verschont.14 b) Die Rechtsfolgen des Zugriffs auf die Sache und deren Verwertung
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In allen drei Ländern lässt die Beschlagnahme das Eigentum an der Sache unberührt. In Deutschland führt die Pfändung zur Verstrickung, durch die dem Schuldner ein Verfügungsverbot auferlegt und zu Gunsten des Gläubigers ein Pfändungspfandrecht (§ 804 I ZPO) begründet wird – allerdings nur, wenn die Sache im Eigentum des Vollstreckungsschuldners steht.15 Die Verwertung erfolgt durch Versteigerung, wobei die Sache nach 12 Die exécution sur les véhicules terrestres à moteur erfolgt entweder gem. Art. 57 L. 1991 durch Anzeige bei der Zulassungsstelle (saisie par déclaration) – hierdurch wird eine Veräußerung und Neuzulassung des Kfz ausgeschlossen – oder gem. Art. 58 L. 1991 durch Siegelung und Stilllegung (saisie par immobilisation). Auch für die Pfändung von landwirtschaftlichen Ernteerträgen (saisie des récoltes sur pied) gelten Sonderregeln, nämlich Art. 134–138 Décr. 1992. 13 In Deutschland: §§ 811, 811c und 812 ZPO. In England: r. 9(3) sch. 7 Courts Act 2003 (für High Court-Vollstreckung) und s. 89(1) County Courts Act 1984 (für County Court-Vollstreckung). In Frankreich: Art. 14 L. 1991; vgl. Niboyet/Lacassagne, in: Andenas/Hess/Oberhammer (Hrsg.), Enforcement Agency, 2005, S. 159, 162. 14 In Deutschland: § 758a ZPO. In England: PD 1.1 zu ord. 46 RSC = sch. 1 CPR (für High Court-Vollstreckung) und zu ord. 26 CCR = sch. 2 CPR (für County Court-Vollstreckung). In Frankreich: Art. 28 L. 1991. 15 So nach h. M., vgl. MünchKomm/Gruber, 3. Aufl. 2007, § 803 ZPO Rn. 54 (für Verfügungsverbot), § 804 ZPO Rn. 19 (für Pfändungspfandrecht). Diese Voraussetzung ergibt sich aus der herrschenden „gemischt-privatrechtlichen-öffentlichrechtlichen Theorie“, wonach die Entstehung des Pfändungspfandrechts auch an pri-
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Erteilung des Zuschlages an den Ersteher abgeliefert wird, vgl. § 817 II ZPO.16 Dies ist ein privatrechtsgestaltender Hoheitsakt des Gerichtsvollziehers, durch den der Ersteher originär Eigentum an der Sache erwirbt, selbst wenn es sich um eine schuldnerfremde Sache handelt.17 Da der Gläubiger in diesem Fall kein Pfändungspfandrecht erlangt hat, muss er den Nettoerlös an den ehemaligen Eigentümer nach Bereicherungsrecht herausgeben. Die Konkurrenz mehrerer Gläubiger wird nach dem Prioritätsprinzip gelöst, § 804 III ZPO.18 Gepfändete Objekte werden auch in England durch public auction ver- 950 wertet, es sei denn das Vollstreckungsgericht hat freihändigen Verkauf (private sale) angeordnet.19 Der Ersteigerer erwirbt die Sache zu Eigentum.20 War allerdings ein schuldnerfremder Gegenstand gepfändet worden, kann der ehemalige Rechtsinhaber sowohl den Erwerber als auch den Vollstreckungsgläubiger auf Ersatz in Anspruch nehmen.21 Mit den erlangten Geldmitteln wird der Gläubiger befriedigt; ein eventueller Übererlös gebührt dem Schuldner.22 Auch in Frankreich lässt die Pfändung das Eigentum unberührt und be- 951 gründet lediglich Unveräußerlichkeit.23 Der Schuldner hat gem. Art. 52 L. vatrechtliche Voraussetzungen geknüpft ist, vgl. BGH, 13.02.1957 – IV ZR 183/56, BGHZ 23, 293 (299); BGH, 05.07.1971 – II ZR 176/68, BGHZ 56, 339 (351). 16 Gepfändetes Geld wird gem. § 815 I ZPO – ohne Versteigerung – unmittelbar durch Ablieferung beim Gläubiger verwertet. 17 Lackmann, ZwVollstrR, 8. Aufl. 2007, Rn. 183; BGH, 11.11.1970 – VIII ZR 242/68, NJW 1971, S. 799 (800). Dies folgt aus der „gemischt-privatrechtlichenöffentlich-rechtlichen Theorie“, die den Verwertungsvorgang bei der Zwangsvollstreckung dem öffentlichen Recht zuordnet. Voraussetzung ist aber, dass die Sache wirksam verstrickt wurde und die wesentlichen Verfahrensvorschriften beachtet wurden, Lackmann, ZwVollstrR, 8. Aufl. 2007, Rn. 185 f. 18 Spätere Gläubiger können gem. § 826 ZPO eine Anschlusspfändung betreiben, die unter erleichterten Bedingungen möglich ist. 19 Vgl. r. 10 sch. 7 Courts Act 2003 (für High Court-Vollstreckung) sowie r. 12–15 CCR ord. 26 = sch. 2 CPR und s. 97(1) County Courts Act 1984 (für County CourtVollstreckung). 20 Vgl. r. 11(2)(a) sch. 7 Courts Act 2003 („the purchaser of the goods acquires a good title to them“) (für High Court-Vollstreckung), ebenso s. 98(1)(b) County Courts Act 1984 (für County Court-Vollstreckung). 21 Vgl. r. 11(3) sch. 7 Courts Act 2003 („Nothing in this paragraph affects the right of a lawful claimant to any remedy to which he is entitled against any person other than the enforcement officer . . .“) (für High Court-Vollstreckung), ebenso s. 98(2) County Courts Act 1984 (für County Court-Vollstreckung). 22 Stürner, in: FS Nakamura, 1996, S. 599 (612); Kaye, Execution in Europe, 1996, S. 61. 23 Vgl. Art. 91, 97 Décr. 1992. Gutgläubiger Erwerb ist aber möglich, Art. 2279 CC.
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1991 innerhalb von 30 Tagen die Möglichkeit, die Sachen durch freihändigen Verkauf selbst zu verwerten (vente amiable, Art. 107–109 Décr. 1992). Macht er hiervon keinen Gebrauch, erfolgt öffentliche Versteigerung (vente forcée) durch einen amtlich bestellten Versteigerer (commissaire-priseur).24 Die Konkurrenz mehrerer Gläubiger wird nicht nach zeitlicher Priorität gelöst, vielmehr gilt das Gleichrangprinzip von Art. 2093 CC.25 Jeder Inhaber eines vollstreckbaren Titels, der eine Zahlungsaufforderung zugestellt hat, kann sich bis zum Zeitpunkt der Versteigerung einer bereits erfolgten Pfändung durch opposition anschließen, sie dadurch auf sich erstrecken.26 Zwar obliegt es dann weiterhin allein dem Erstgläubiger, das Verfahren weiterzuführen, Art. 119 al.3 Décr. 1992. Die übrigen Gläubiger können ihn aber ablösen, wenn er nicht ordnungsgemäß verfährt, Art. 123 Décr. 1992. Durch den Anschluss weiterer Gläubiger wird das Verfahren der Einzelzwangsvollstreckung einem insolvenzrechtlichen ähnlich.27 2. Die Vollstreckung in Forderungen 952
Auch die Vollstreckung in Forderungen und Rechte des Vollstreckungsgläubigers hat prinzipiell zwei Phasen: Auf die Beschlagnahme [a)] folgt die Verwertung [b)]. a) Die Beschlagnahme der Forderung
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Forderungen können naturgemäß nicht durch körperlichen Zugriff in Beschlag genommen werden. Vielmehr vollzieht sich dies mit einem entsprechenden Ausspruch des jeweiligen Vollstreckungsorgans, der dem Verpflichteten zur Kenntnis gebracht wird. Eine weitere Besonderheit bei Forderungen als Beitreibungsobjekt ergibt sich daraus, dass mit dem Drittschuldner ein weiterer Beteiligter vom Zugriffsakt in Kenntnis gesetzt werden muss.
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In Deutschland wird auf Geldforderungen gem. § 829 ZPO durch Pfändungsbeschluss des Vollstreckungsgerichts zugegriffen (der Rechtspfleger 24
Im Einzelnen geregelt in Art. 53–55 L. 1991 und Art. 110–116 Décr. 1992. Ferrand, ZZP Int. 1 (1996), S. 37 (58). 26 Bunge, ZV Frankreich, 2009, S. 107; vgl. Art. 50 al.2 L. 1991, Art. 118 ff. Décr. 1992. 27 Baur/Stürner, ZwVollstrR, 12. Aufl. 1995, Rn. 59.11; Stürner, in: FS Nakamura, 1996, S. 599 (605). Sind mehrere Gläubiger vorhanden, wird gem. Art. 284 Décr. 1992 ein Entwurf über die Ausschüttung des Versteigerungserlöses erstellt, gegen den gem. Art. 287 Décr. 1992 Widerspruch erhoben werden kann. Falls dieser Widerspruch unterbleibt, wird der Verteilungsplan rechtskräftig. Wurde Widerspruch erhoben, schließt sich ein Schiedsverfahren an, das ggf. vom Vollstreckungsgericht abschließend entschieden werden kann, vgl. Art. 288–292 Décr. 1992. 25
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entscheidet, § 20 Nr. 17 RPflG).28 Der Überweisungsbeschluss, der in aller Regel zeitgleich ergeht, ist bereits Bestandteil der Verwertung.29 Die Pfändung erfolgt auf Antrag des Gläubigers und ohne vorherige Anhörung des Schuldners (§ 834 ZPO), was einer Vereitelung der Vollstreckung durch diesen vorbeugen soll.30 Sie beinhaltet einerseits gegenüber dem Drittschuldner das Verbot, an den Schuldner zu zahlen (arrestatorium), andererseits das Gebot an den Schuldner, sich jeder Verfügung über die Forderung, insbesondere ihrer Einziehung, zu enthalten (inhibitorium). Zunächst wird der Beschluss dem Drittschuldner zugestellt, womit die Pfändung vollzogen ist, § 829 II S. 1, III ZPO. Dann erfolgt Zustellung an den Vollstreckungsschuldner, § 829 II ZPO. Im englischen Recht werden Forderungen durch third party debt order 955 (ehemals: garnishee proceeding) gepfändet. Dazu regelt pt. 72 CPR einheitlich für County Court- und High Court-Vollstreckung ein zweistufiges Verfahren. Sowohl Titel- als auch Vollstreckungsgericht (r. 72.3(1)(b) CPR) können die Pfändung gegenüber Drittschuldnern (third party), die sich im englischen Hoheitsgebiet befinden (r. 72.1(1) CPR), durchführen. Auf Antrag des Gläubigers wird hierzu zunächst ohne Anhörung des Schuldners eine interim third party debt order erlassen, in der zugleich ein Termin zur Verhandlung einer final order angesetzt ist, r. 72.2(2) i. V. m. 72.4 CPR. Spätestens 21 Tage vor diesem Termin wird der vorläufige Pfändungsbefehl dem Drittschuldner zugestellt, r. 72.4(4) CPR, r. 72.5(1)(a) CPR. Ihm wird darin die Erfüllung insoweit verboten, wie seine Restschuld zur Durchsetzung des Titels nicht mehr ausreichen würde.31 Nicht mehr als sieben Tage danach wird der vorläufige Pfändungsbefehl auch dem Vollstreckungsgeg28 Nach den Regeln der Forderungsvollstreckung wird auch in Ansprüche auf Herausgabe oder Leistung von Sachen (vgl. aber Sonderregeln in §§ 846–849 ZPO) und gem. § 857 ZPO in andere vermögenswerte Rechte (Gesellschafts-, Miteigentumsanteile, Grundpfandrechte, immaterielle Schutzrechte) vollstreckt. 29 Rosenberg/Gaul/Schilken, ZwVollstrR, 11. Aufl. 1997, § 55 II (S. 857). 30 Rosenberg/Gaul/Schilken, ZwVollstrR, 11. Aufl. 1997, § 54 III 1 (S. 841). Das rechtliche Gehör des Schuldners wird dadurch gewahrt, dass er Einwendungen nachträglich durch Rechtsbehelf geltend machen kann, MünchKomm/Smid, 3. Aufl. 2007, § 834 ZPO Rn. 1. Wurde – wie von § 834 ZPO angeordnet – dem Schuldner kein rechtliches Gehör gewährt, ist die Erinnerung gem. § 766 ZPO einschlägig, weil dann die Entscheidung des Rechtspflegers als Vollstreckungsmaßnahme einzuordnen ist. Wurde der Schuldner jedoch angehört, was mit Zustimmung des Gläubigers möglich ist, ist die sofortige Beschwerde gem. § 11 I RPflG, § 793 I ZPO statthaft, vgl. OLG Köln, 16.08.1999 – 2 W 161 u. 162/99, NJW-RR 2001, S. 69. 31 Ist dem Titelgläubiger die Verzögerung der Erfüllung bis zum Erlass eines endgültigen Pfändungsbefehls unzumutbar, etwa weil er Mietzinsverpflichtungen oder Lebenshaltungskosten nicht bestreiten kann, ist gem. r. 72.7 CPR eine hardship payment order möglich, die teilweise bereits eine sofortige Verwertung der Forderung erlaubt.
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ner zugestellt. Dieser und der Drittschuldner können hiergegen Einwendungen erheben, vgl. r. 72.8 CPR.32 Aufgrund der mündlichen Verhandlung, in der auch mögliche Einwendungen behandelt werden, erlässt das Gericht entweder eine final third party debt order oder hebt die vorläufige Pfändung wieder auf, vgl. r. 72.8 (6) CPR. 956
Die Rechte des Begünstigten eines trusts (beneficiary) und Unternehmensanteile werden durch charging order nach dem Charging Orders Act 1979 in Beschlag genommen.33 Geht es um Unternehmensanteile, kann vor, mit oder nach der charging order eine stop order oder eine stop notice i. S. v. r. 73.11–73.22 CPR erlassen werden: Erstere verhindern die Übertragung der Anteile, zweitere begründen eine Mitteilungspflicht des Unternehmens gegenüber dem Gläubiger, sobald Anteile veräußert werden sollen. Die Verwertung der charging order erfolgt entweder durch Zwangsverkauf (r. 73.10 CPR) oder durch Zwangsverwaltung (receivership).34 Besondere Regeln gelten auch für die Lohnpfändung.35
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In Frankreich erfolgt die Forderungspfändung (saisie-attribution)36 durch eine dem Drittschuldner zuzustellende Verfügung des huissier (acte de saisie), Art. 56 Décr. 1992. Diese verbietet dem Dritten, die Schuld gegenüber dem Vollstreckungsschuldner zu begleichen, Art. 56 al.2 nº 4 Décr. 1992. Außerdem muss dieser gegenüber dem Gläubiger Angaben zu Höhe, Fälligkeit und Bedingtheit seiner Schuld machen (déclaration du tiers saisi, 32
Ist Drittschuldner eine Bank oder Bausparkasse, muss diese nach Zustellung der interim third party debt order über Bestand und Umfang ihrer Schuld Auskunft geben, vgl. r. 72.6 CPR. 33 Durch charging order kann aber auch auf bestimmte Wertpapiere (securities), gerichtlich hinterlegtes Geld (fund in court), Treuhandvermögen (trust) und Grundstücksrechte des Schuldners zugegriffen werden, vgl. s. 2 Charging Orders Act 1979; Andenas, in: Andenas/Hess/Oberhammer (Hrsg.), Enforcement Agency, 2005, S. 141; Bunge, ZV England, 2. Aufl. 2005, S. 224 f. Das Verfahren für den Erlass einer charging order richet sich nach r. 73.2–73.10 CPR, s. hierzu ausführlicher im Rahmen der englischen Immobiliarvollstreckung unter Rn. 964. 34 O’Hare/Hill, Civil Litigation, 8. Aufl. 1997, S. 602. Die receivership hat ihren Ursprung im equity-Recht, ist daher subsidiär gegenüber den regulären Vollstreckungsmitteln, Bailey/Gunn, Smith & Bailey, 3. Aufl. 1996, S. 800. Das Verfahren richtet sich nach pt. 69 CPR: Nachdem die receivership durch entsprechende order angeordnet wurde, wird ein Zwangsverwalter (receiver) bestellt. Gem. r. 69.2 CPR ist dies auch schon vor Urteilserlass, sogar vor Prozessbeginn, möglich, dient dann insbesondere der Sicherung einer späteren Vollstreckung. 35 Sie richtet sich nach dem Attachment of Earnings Act 1971, sowie CCR ord. 27 = sch. 2 CPR. Der attachment of earnings kann gem. s. 1 Attachment of Earnings Act 1971 ausschließlich vom County Court durchgeführt werden, auch wenn der Titel vom High Court stammt. Vgl. im Einzelnen Bunge, ZV England, 2. Aufl. 2005, S. 215–217. 36 Geregelt in den Art. 42–47 L. 1991 und Art. 55–79 Décr. 1992.
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Art. 59 Décr. 1992). Innerhalb von acht Tagen ist dem Vollstreckungsgegner die Pfändung mitzuteilen (dénonciation de la saisie au débiteur saisi, Art. 58 Décr. 1992). Wurde sie während eines Monats nicht durch contestation vor dem juge de l’exécution angefochten, wird sie bestandskräftig und der Vollstreckungsgläubiger kann zur Verwertung schreiten, Art. 45 al.2 L. 1991.37 Sonderregelungen gelten für die saisie des rémunérations zur Beitreibung in Lohn- und Gehaltsforderungen.38 b) Die Wirkungen der Beschlagnahme und die Verwertung der Forderung Die Verwertung der beschlagnahmten Forderung folgt in den vergliche- 958 nen Rechtsordnungen unterschiedlichen Mustern. In Deutschland bewirkt die Forderungspfändung eine Verstrickung, durch die einerseits der Schuldner in seiner Verfügungsmacht beschränkt wird, andererseits der Gläubiger ein Pfändungspfandrecht erlangt.39 Realisiert wird dies in aller Regel durch Überweisung an den Gläubiger, vgl. § 835 ZPO.40 Nach dessen Wahl wird entweder – so bei Forderungen quasi immer – zur Einziehung überwiesen oder an Zahlungs statt, vgl. § 835 I ZPO. Ersterenfalles erhält der Gläubiger gem. § 836 I ZPO eine Einziehungsermächtigung, die ihm auch erlaubt, die Drittforderung einzuklagen und beizutreiben. Letztere verbleibt zwar im Vermögen des Pfändungsschuldners, er kann sie aber nicht mehr für sich einziehen.41 Erfüllung gegenüber dem Vollstreckungsschuldner tritt ein, soweit der Gläubiger vom Drittschuldner befriedigt wird.42 Wird die Forderung an Zahlungs statt überwiesen („zum Nennwert“, vgl. § 835 I F.2 ZPO), geht sie gem. § 835 II ZPO auf den Gläubiger über, soweit sie besteht. Gegenüber dem Vollstreckungsschuldner hat dies Erfüllungswirkung, selbst wenn der überwiesene Anspruch – etwa wegen Zahlungsunfähigkeit des Drittschuldners – nicht realisiert werden kann. Der Gläubiger übernimmt also – anders als bei einer 37 Die Geschäftsstelle des Gerichts kann hierfür gegenüber dem Gläubiger bestätigen, dass keine Rechtsbehelfe eingelegt wurden, vgl. Art. 61 al.1 Décr. 1992. 38 Sie wird vom Tribunal d’instance nach Art. 48–49 L. 1991 i. V. m. Art. L.3252–1 bis L.3252–13 CTrav durchgeführt. 39 MünchKomm/Smid, 3. Aufl. 2007, § 829 ZPO Rn. 42. 40 Anstelle der Überweisung ist gem. § 844 ZPO auch eine andere Art der Verwertung möglich, wenn die Einziehung mit Schwierigkeiten verbunden ist. Die Verwertung kann dann etwa durch Versteigerung oder freihändigen Verkauf der Forderung erfolgen, vgl. Rosenberg/Gaul/Schilken, ZwVollstrR, 11. Aufl. 1997, § 55 III (S. 864). 41 BGH, 25.03.1991 – II ZR 13/90, BGHZ 114, 138 (141). 42 Lackmann, ZwVollstrR, 8. Aufl. 2007, Rn. 306.
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Überweisung zur Einziehung – das Risiko der Bonität der Forderung.43 Egal welche Form der Überweisung gewählt wurde, muss der Gläubiger den Drittschuldner durch eigene Leistungsklage in Anspruch nehmen, um gegen ihn einen vollstreckbaren Titel zu erlangen. 959
Dies ist im englischen Vollstreckungsrecht anders, da dessen final third party debt order direkt einen Vollstreckungstitel erschafft, der nach den allgemeinen Regeln der Geldleistungsvollstreckung unmittelbar gegen den Drittschuldner durchgesetzt werden kann44 Der Anspruch des Vollstreckungsschuldners geht aber nicht auf den Vollstreckungsgläubiger über. Außerdem tritt im Verhältnis zwischen Vollstreckungsgläubiger und -schuldner nur insoweit Erfüllung ein, wie letzterer vom Dritten Befriedigung erlangt hat, r. 72.9(2) CPR. Die third party debt order ist also hinsichtlich der Entwicklung der Forderungszuständigkeit der deutschen Überweisung zur Einziehung ähnlich, allerdings begründet sie kein Verfügungsverbot gegenüber dem Vollstreckungsschuldner.
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Demgegenüber lässt die Pfändung in Frankreich die Schuldnerforderung bis zur Höhe des durchzusetzenden Titels unmittelbar in das Vermögen des Vollstreckungsgläubigers übergehen (sog. attribution immédiate, Art. 43 L. 1991).45 Dies unterscheidet sich grundlegend von der deutschen Überweisung zur Einziehung. Dementsprechend kennt das französische Recht weder ein Pfändungspfandrecht an der Forderung noch bindet den Pfändungsschuldner ein Verfügungsverbot.46 Leistet der Drittschuldner nicht freiwillig, kann der juge de l’exécution einen Titel gegen den Drittschuldner ausstellen, aus dem dann direkt die Beitreibung möglich ist, Art. 64 Décr. 1992. Eine Drittschuldnerklage ist also genauso wenig erforderlich wie in England. Kann die Forderung gegen den Drittschuldner letztlich nicht realisiert werden, behält der Vollstreckungsgläubiger gem. Art. 63 al.1 Décr. 43 Rosenberg/Gaul/Schilken, ZwVollstrR, 11. Aufl. 1997, § 55 II 2 (S. 863). Er übernimmt jedoch nicht das Risiko ihres Nichtbestehens, weil die Überweisung an Erfüllungs statt nur insoweit Erfüllungswirkung hat, wie die Forderung besteht, vgl. § 835 II ZPO. 44 Vgl. r. 72.9(1) CPR. Eine final third party debt order kann dann nicht erlassen werden, wenn der Vollstreckungsschuldner den Drittschuldner seinerseits im Ausland auf Erfüllung verklagt hat und diesem daher eine doppelte Vollstreckung droht, vgl. House of Lords, 23.06.1988 – Deutsche Schachtbau- und Tiefbohrgesellschaft mbH v. Ras Al-Khaimah National Oil Co [1990] 1 A.C. 295; Court of Appeal (Civil Division), 07.08.2001 – Societe Eram Shipping Co Ltd v. Compagnie Internationale de Navigation [2001] EWCA Civ. 1317. 45 Ferrand, ZZP Int. 1 (1996), S. 37 (54). 46 Nach Art. 29 al.1 L. 1991 bewirkt die Pfändung zwar auch ein allgemeines Verfügungsverbot. Dieses trifft aber nur den Pfändungsgläubiger als neuen Forderungsinhaber, dem bis zum Ablauf der Rechtsbehelfsfrist eine Weiterübertragung unmöglich ist.
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1992 seinen Anspruch gegen den Vollstreckungsschuldner.47 Insofern wählt das französische Recht also einen Mittelweg zwischen der Überweisung an Zahlungs statt und der Überweisung zur Einziehung.48 Wie in Deutschland gilt bei der Forderungspfändung ein strenges Prioritätsprinzip, sogar gegenüber privilegierten Gläubigern; nur Gläubiger, die am gleichen Tag pfänden, haben Gleichrang.49 3. Die Immobiliarvollstreckung Unbewegliches Vermögen kann auf zwei Arten verwertet werden: Der 961 Gläubiger kann sich sowohl den Wert des Grundstücks als solchen zukommen lassen [a)] als auch die laufenden Erträge aus diesem [b)]. a) Die Vollstreckung in den Sachwert von Grundstücken Die Verwertung des im Grundstück selbst verkörperten Sachwertes voll- 962 zieht sich prinzipiell genauso wie die Vollstreckung in bewegliches Vermögen, nämlich durch Beschlagnahme und Verkauf. In Deutschland wird die Zwangsversteigerung durch Beschluss des Voll- 963 streckungsgerichts angeordnet, §§ 15, 20 I ZVG. Diese Anordnung enthält zugleich die Beschlagnahme des Grundstücks (§ 20 I ZVG) und begründet ein relatives Veräußerungsverbot zu Gunsten des Gläubigers, § 23 I S. 1 ZVG, §§ 135 f. BGB. Im Versteigerungsverfahren erhält der Meistbietende durch Beschluss den Zuschlag, vgl. §§ 81 I, 82 ZVG. Dieser ist zugleich staatlicher Hoheitsakt, durch den der Ersteher das Eigentum am Grundstück erwirbt.50 Der Erlös wird im anschließenden Verfahren nach §§ 105 ff. ZVG verteilt. Anstatt die Zwangsversteigerung zu betreiben, kann gem. § 866 I ZPO auch eine Zwangshypothek eingetragen werden. Sie verschafft dem Gläubiger keine Befriedigung, sondern lediglich eine dingliche Sicherheit. Es entsteht eine Sicherungshypothek, auf deren Grundlage – ohne Duldungsklage (§ 1147 BGB) – die Zwangsversteigerung betrieben werden kann, § 867 III ZPO. Eine Zwangshypothek ist dann sinnvoll, wenn dem 47
Dies gilt gem. Art. 63 al.2 Décr. 1992 dann nicht, wenn die Erfolglosigkeit der Einziehung auf eine Nachlässigkeit (négligence) des Pfändungsgläubigers zurückzuführen ist. 48 Traichel, Franz. ZwVollstrR., 1995, S. 128. 49 Stürner, in: FS Nakamura, 1996, S. 599 (603 f.): Dies ist eine Abkehr von der französischen Tradition, wonach mehrere Gläubiger grundsätzlich gleich behandelt werden und lediglich privilegierten Gläubigern Vorrang eingeräumt wird. Die Prioritätsregel dient der Rechtssicherheit und Praktikabilität. 50 Vgl. § 90 ZVG; BGH, 04.07.1990 – IV ZR 174/89, BB 1990, S. 2113.
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Schuldner Stundung, zugleich aber dem Gläubiger Sicherung verschafft werden soll.51 964
In England erfordert die Liegenschaftsvollstreckung (in land und interest in land) zunächst eine charging order nach r. 73.2–73.10 CPR und Charging Orders Act 1979, zur Begründung eines Verwertungsrechts. Die charging order ergeht in einem zweistufigen Verfahren: Auf Antrag des Titelgläubigers erlässt das zuständige Gericht52 gem. r. 73.4 CPR ohne Anhörung zunächst eine interim charging order und setzt einen Termin zur Verhandlung über den Erlass einer endgültigen charging order an. Zwischenzeitliche Veräußerungen des Grundstücks durch den Schuldner sind dem Gläubiger gegenüber unwirksam.53 Wie beim Verfahren der third party debt order kann der Schuldner nun Einwendungen vorbringen. Erscheint er im Termin nicht oder dringt mit seinen Einwendungen nicht durch, wird eine final charging order erlassen, r. 73.8 CPR. Dadurch erwirbt der Gläubiger ein Recht am Grundstück, das einem vertraglich eingeräumten dinglichen Pfandrecht (charge) entspricht, vgl. s. 3 (4) Charging Orders Act 1979. Die charging order ist also zunächst nur ein Sicherungsmittel54, das den Titelberechtigten aber auch zur Verwertung berechtigt.55 Dafür wird gerichtlich der Zwangsverkauf durch order for sale angeordnet, vgl. r. 73.10 CPR.
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Auch Frankreich kennt eine Immobiliarpfändung (saisie immobiliére). Diese erlaubt allerdings nicht den Zwangsverkauf, solange der Titel noch anfechtbar ist (also noch nicht force de chose jugée besitzt), vgl. Art. 2191 al.2 CC. Die Pfändung wird durch den juge de l’exécution am Belegenheitsort der Immobilie vorgenommen, Art. 2 f. Décr. 2006. Dazu ergeht zunächst eine Zahlungsaufforderung an den Schuldner (commandement de payer valant saisie, Art. 4 Décr. 2006), die genaue Angaben über die beabsichtigte Pfändung enthält, und zusammen mit dem Vollstreckungstitel zugestellt wird, Art. 13 ff. Décr. 2006. Nach acht Tagen erstellt der Gerichtsvollzieher eine Bestandsaufnahme des Grundstücks (procès-verbal de description des lieux, Art. 35 Décr. 2006). Nach zwei Monaten wird die Zahlungsaufforderung ins Hypothekenregister (bureau des hypothèques) eingetragen, wenn der Schuldner zwischenzeitlich nicht gezahlt hat, Art. 18 Décr. 2006. Mit dieser Veröffentlichung ist die Pfändung wirksam, Art. 25 51
MünchKomm/Eickmann, 3. Aufl. 2007, § 866 ZPO Rn. 3. Für Ansprüche bis £5000 wird die charging order stets vom County Court durchgeführt; jenseits dieser Wertgrenze ist der High Court zuständig. Vgl. s. 1(2) Charging Orders Act 1979. 53 Bunge, ZV England, 2. Aufl. 2005, S. 225; vgl. auch r. 73.6 CPR. 54 Bunge, ZV England, 2. Aufl. 2005, S. 225. 55 Bailey/Gunn, Smith & Bailey, 3. Aufl. 1996, S. 800. 52
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Décr. 2006.56 Die Immobilie wird unveräußerlich (indisponible), Nutzungsund Verwaltungsrechte des Schuldners sind fortan beschränkt, Art. 2198 CC. Daraufhin wird in einem Gerichtstermin (audience d’orientation) festgelegt, wie die Verwertung der Liegenschaft erfolgt, Art. 49 Décr. 2006: Entweder findet freihändiger Verkauf (vente amiable) oder die Zwangsversteigerung (adjudication) statt, Art. 2201 CC. b) Die Vollstreckung in Erträge aus dem Grundstück In Deutschland kann der betreibende Gläubiger durch Zwangsverwaltung 966 aus den laufenden Einnahmen des Grundstücks befriedigt werden. Diese wird bei gleichzeitiger Bestimmung eines Zwangsverwalters durch das Vollstreckungsgericht angeordnet, §§ 15, 146 I, 150 ZVG. Diese Anordnung bewirkt zugleich die Beschlagnahme der Immobilie, §§ 20 I, 146 I ZVG, was dem Schuldner die Verwaltung und Benutzung des Grundstücks entzieht, § 148 II ZVG. Die erzielten Nutzungen werden auf die beteiligten Gläubiger verteilt entsprechend des vom Vollstreckungsgericht aufgestellten Verteilungsplans, §§ 155 ff. ZVG. Die Zwangsverwaltung endet durch einen Aufhebungsbeschluss, § 161 ZVG. Auch die charging order im englischen Recht kann dadurch realisiert 967 werden, dass sich der Gläubiger aus den Erträgen aus dem belasteten Gegenstand befriedigt.57 Dazu wird receivership angeordnet und ein Zwangsverwalter (receiver) bestellt.58 Die Zwangsverwaltung als eigenständigen Verfahrenstyp der Liegen- 968 schaftsvollstreckung kennt das französische Vollstreckungsrecht nicht. Art. 28 f. Décr. 2006 regeln lediglich, dass die Früchte, die im Zeitraum zwischen der Zustellung des commandement de payer valant saisie und dem Zwangsverkauf aus dem Grundstück gezogen werden, zum verwertbaren Vermögen gehören. 4. Die Vollstreckung von Geldforderungen durch Beugemittel Außer durch Zugriff auf das Vermögen des Schuldners ist auch denkbar, 969 Geldansprüche durch Beugemittel gegen dessen Person beizutreiben.59 Hier56
Bunge, ZV Frankreich, 2009, S. 118. Bailey/Gunn, Smith & Bailey, 3. Aufl. 1996, S. 800. 58 Vgl. s. 37(4)(a) Supreme Court Act 1981 bzw. s. 107(3) County Courts Act 1984; Das Verfahren der Bestellung des receivers ist in pt. 69 CPR geregelt. 59 Beugemittel zur Beitreibung von Geldforderungen werden im internationalen Vergleich aber immer seltener, vgl. Kerameus, Enforcement Proceedings, Int. Encycl. Comp. Law, Vol. XVI, Ch. 10, 2002, Rn. 86. 57
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bei ist etwa an die persönliche Haft des Schuldners zu denken, die allerdings im weltweiten Vergleich heute kaum noch eine Rolle spielt und auch durch Art. 1 4. ZPEMRK verboten ist60. Innerhalb der EU ist sie insbesondere noch in der griechischen Zivilprozessordnung vorhanden: Nach deren Art. 1047 können Forderungen gegen Kaufleute sowie alle deliktischen Ansprüche mit der Schuldhaft vollstreckt werden.61 Dem steht das 4. ZPEMRK nicht entgegen, weil Griechenland es nicht ratifiziert hat. Das Land ist aber im Jahre 1997 dem UN-Zivilpakt 1966 beigetreten, dessen Art. 11 ebenfalls einer Inhaftierung des Schuldners feindlich gegenübersteht.62 Dieser Vorschrift trägt die griechische Rspr. dadurch Rechnung, dass die Schuldhaft gegenüber Kaufleuten nur noch restriktiv angewendet wird. Heute darf sie im Grundsatz nur angeordnet werden, wenn der Schuldner objektiv über ausreichend Geldmittel verfügt, um die Schuld zu erfüllen.63 Eine Ausnahme gilt aber für deliktische Ansprüche, die weiterhin uneingeschränkt im Wege der Schuldhaft vollstreckt werden können.64 970
Die Schuldhaft existiert auch im englischen Recht noch. Gem. s. 11 Administration of Justice Act 1970 ist imprisonment for debt aber ausschließ60
Kerameus, Enforcement Proceedings, Int. Encycl. Comp. Law, Vol. XVI, Ch. 10, 2002, Rn. 86. Art. 1 4. ZPEMRK lautet: „Niemandem darf die Freiheit allein deshalb entzogen werden, weil er nicht in der Lage ist, eine vertragliche Verpflichtung zu erfüllen“. 61 Vgl. Art. 1047 griech. ZPO: „I Zur Vollstreckung kann das Gericht gegenüber Kaufleuten auch eine Inhaftierung anordnen, soweit dies nicht durch Gesetz explizit ausgeschlossen ist. Die Inhaftierung kann auch für Schuldverhältnisse angeordnet werden, die sich aus unerlaubten Handlungen ergeben. Die Dauer der Haft darf ein Jahr nicht übersteigen. [. . .] II Eine Inhaftierung kann nicht angeordnet werden zur Durchsetzung von Gerichtskosten oder bei einem Anspruch von unter 30.000 e, es sei denn dieser ergibt sich aus einem Wertpapier (pistwtikü tûtlo).“ 62 Art. 11 UN-Zivilpakt 1966: „No one shall be imprisoned merely on the ground of inability to fulfil a contractual obligation“. 63 Vgl. die Entscheidungen des Areopag, des obersten griechischen Gerichts für Zivil- und Strafsachen: ¡reioò PÜgoò – Nr. 1011/2007, Datenbank Nomos Nr. 434835. Zuvor hatte ¡reioò PÜgoò – Nr. 971/2001, To SŸntagma 2002, Bd. 2 noch entschieden, dass die Anordnung von Schuldhaft gegen Kaufleute nur dann mit Art. 25 III griech.Verf. (Verbot des Rechtsmissbrauches), Art. 2 I griech. Verf. (Menschenwürdegarantie) und Art. 11 UN-Zivilpakt vereinbar ist, wenn der Vollstreckungsgegner zur Erfüllung in der Lage wäre und seiner Pflicht absichtlich nicht nachkommt. Auf eine solche Absicht kann aufgrund äußerer Verhaltensweise (bspw. Verschiebung des Vermögens ins Ausland) geschlossen werden, vgl. ¡reioò PÜgoò – Nr. 1597/2000, DikaiosŸnh 2001, S. 1304. Der griechische Staatsrat (Symvoulio tis Epikrateias), das oberste Verwaltungsgericht, hat darüberhinaus entschieden, dass es mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und der Menschenwürde nicht vereinbar ist, wenn der Bürger wegen Schulden gegenüber dem Staat inhaftiert wird, SumboŸlio thò Epikrateûaò – Nr. 1623/2002, To SŸntagma 2002, Bd. 2. 64 Kerameus, in: FS Lüke, 1997, S. 337 (198 f.); ders., Enforcement Proceedings, Int. Encycl. Comp. Law, Vol. XVI, Ch. 10, 2002, S. 60 Fn. 739.
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lich für die Durchsetzung von Unterhaltsforderungen (maintenance order) und von Steuer- bzw. Abgabepflichten gegenüber der britischen Krone möglich. Die Schuldhaft gibt es außerhalb der EU heute u. a. noch in Indien und Mali.65 Im deutschen Recht stehen zur Durchsetzung von Geldforderungen indi- 971 rekte Zwangsmittel nicht zur Verfügung. Allerdings kann der Schuldner auf Antrag des Gläubigers verpflichtet werden, ein Vermögensverzeichnis vorzulegen und dessen Richtigkeit an Eides statt zu versichern, vgl. §§ 807 I, 899–915h ZPO. Kommt er dieser Pflicht nicht nach, ist eine Inhaftierung bis zu sechs Monaten möglich, vgl. §§ 901, 913 ZPO. Dieses Offenbarungsverfahren dient dazu, dem Gläubiger Informationen über das Schuldnervermögen zu beschaffen, auf deren Grundlage weitere Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen werden können. Gleichwohl wirkt es wie ein Beugemittel zur Eintreibung der Schuld.66 Dennoch verstößt diese Inhaftierung nicht gegen Art. 1 4. ZPEMRK, weil es dem Inhaftierten möglich ist, sich entsprechend zu verhalten, es handelt sich also nicht um Schuldhaft im eigentlichen Sinne.67 Auch in England und Frankreich sind Verfahren zur Erlangung von Infor- 972 mationen über vorhandene Vermögensgegenstände des Schuldners vorgesehen. Das englische Offenbarungsverfahren nach pt. 71 CPR hat Ähnlichkeit mit dem deutschen, kann allerdings schon vor dem eigentlichen Vollstreckungszugriff durchgeführt werden. Dazu ordnet das Gericht dem Schuldner an, Informationen über Vermögensgegenstände oder andere für die Vollstreckung relevante Gesichtspunkte mitzuteilen und auf Fragen des Gerichts unter Eid zu antworten (order to attend court).68 Leistet dieser nicht Folge, kann Zwangshaft verhängt werden (committal order), r. 72.8 CPR. In Frankreich können Informationen für die Durchführung der Beitreibung nicht durch Beugemittel, sondern im Wege eines Ermittlungsverfahrens erlangt werden (sog. recherche des informations), Art. 39–41, 51 L. 1991. Dabei kann der huissier selbst von den Finanzbehörden Auskunft darüber einholen, bei welchen Kreditinstituten der Schuldner über Bankkonten ver65 Vgl. Kerameus, Enforcement Proceedings, Int. Encycl. Comp. Law, Vol. XVI, Ch. 10, 2002, S. 61 Fn. 748. 66 Vgl. Hess/Mack, in: Andenas/Hess/Oberhammer (Hrsg.), Enforcement Agency, 2005, S. 177. Gibt der Schuldner die eidesstattliche Versicherung ab oder ergeht eine Haftanordnung, so wird der Schuldner in das öffentlich zugängliche Schuldnerverzeichnis eingetragen, § 915 ZPO. 67 Rechberger/Oberhammer, Exekutionsrecht, 5. Aufl. 2009, Rn. 7 zur insoweit identischen Regelung des österreichischen Rechts. 68 Vgl. r. 72.2 CPR. Aus r. 72.2(1)(i) und (ii) CPR ergibt sich die Reichweite der Informationspflicht, aus r. 72.1(6) CPR der Umfang der Beteiligungspflicht. Ist Schuldnerin eine Gesellschaft oder juristische Person, wird eines ihrer natürlichen Mitglieder verpflichtet, vgl. r. 72.2(1)(b) CPR.
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fügt.69 Bleiben die Bemühungen ergebnislos, kann für weitere Recherchen der Staatsanwalt (procureur de la République) eingeschaltet werden.70 973
Das französische Recht kennt die Inhaftierung als Mittel zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche nicht mehr.71 Geldzahlungstitel können hier aber durch Zwangsgeld (astreinte) gegen den Schuldner beigetrieben werden.72 Der Sinn einer astreinte erschließt sich erst auf den zweiten Blick: Anders als das deutsche Zwangsgeld kann sie in der Form festgesetzt werden, dass sich die Zwangsgeldsumme mit jedem Tag der Nichtbefolgung erhöht. Hierdurch kann also auf den Schuldner besonders starker Erfüllungsdruck ausgeübt werden – natürlich nur, falls es bei ihm überhaupt etwas zu holen gibt. 5. Zusammenfassung
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Geldleistungsansprüche werden in erster Linie durch Realvollstreckung in das Schuldnervermögen durchgesetzt. Derartige Beitreibemechanismen können auch als direkt bezeichnet werden, weil sie unmittelbar den geschuldeten Zustand herstellen. Indirekte Zwangsmittel, die den Willen des Schuldners beugen sollen und daher auch unter dem Begriff der Personalvollstreckung zusammengefasst werden können, sind für Geldforderungen eher die Ausnahme. II. Die Methoden der Handlungs- und Unterlassungsvollstreckung
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Auch wenn es in einer kommerzialisierten Welt in erster Linie um Geldansprüche geht, hat die Handlungs- und Unterlassungsvollstreckung große praktische Bedeutung. Im sachlichen Anwendungsbereich der EuGVVO sei 69 Vgl. Art. 39 al.1 L. 1991. Gem. Art. 54 L. 1991 kann er dafür auch von dem Zentralregister über Eröffnungen, Veränderungen und Schließungen von Bankkonten bei französischen Einrichtungen (Fichier des comptes bancaires et assimilés – FICOBA) Informationen einholen. 70 Allerdings ist der Kreis der ermittelbaren Informationen eng umrissen, Vgl. Art. 39 L. 1991. Gem. Art. 40 L. 1991 sind nahezu alle öffentlichen Behörden sowie die zur Führung von Depotkonten berechtigten Geldinstitute gegenüber dem procureur de la République auskunftspflichtig. Für den Fall, dass der Gläubiger in Forderungen seines Schuldners gegenüber der öffentlichen Hand vollstrecken will, verpflichtet Art. 25 L. 1991 letztere zur Auskunft über die jeweils zuständige Behörde und zur Mitteilung weiterer, zur Durchführung der Maßnahme notwendiger Informationen. 71 Niboyet/Lacassagne, in: Andenas/Hess/Oberhammer (Hrsg.), Enforcement Agency, 2005, S. 158. 72 Perrot/Théry, Procédures d’exécution, 2000, Rn. 73; s. zur astreinte ausführlich unter Rn. 991–996.
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beispielsweise verwiesen auf Unterlassungsansprüche im Recht des unlauteren Wettbewerbs bzw. im Recht des geistigen Eigentums73, den Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers, Unterlassungsansprüche zum Schutz vor Diskriminierung am Arbeitsplatz und zum Schutz der Privatsphäre. Ferner ist an Ansprüche auf Rechnungslegung, Aufstellung einer Bilanz, Erteilung von Auskünften oder Ausstellung eines Arbeitszeugnisses zu denken. Für Handlungs- und Unterlassungsansprüche muss jede Rechtsordnung 976 allgemein beantworten, inwieweit sie Naturalexekution gestattet [1.]. Die Vollstreckungsmechanismen unterscheiden sich danach, ob die geschuldete Handlung vertretbar ist [2.] oder unvertretbar [3.]. Zur zweiten Gruppe gehören auch die Unterlassungsansprüche, da sie stets unvertretbar sind. 1. Die Grundfrage: Naturalexekution bei geschuldetem Verhalten? Die Erzwingung von Handlungen und Unterlassungen erfordert indirekte 977 Vollstreckungsmittel, mit denen physischer oder psychischer Zwang gegen den Schuldner ausgeübt wird, um dessen Willen zu beugen.74 Etwas anderes gilt nur, wenn die geschuldete Handlung vertretbar ist und mittels Ersatzvornahme realisiert werden kann. Da Beugemittel die Freiheitssphäre des Schuldners stärker berühren als die allgemeine Vermögensvollstreckung, stellt sich in besonderem Maße die Frage, ob und inwieweit solche Vollstreckungsmethoden im Gläubigerinteresse gerechtfertigt sind.75 Das deutsche Recht folgt insoweit dem „Grundsatz der möglichst direkten Vollstreckung“, nach dem indirekter Zwang nur bei Aussichtslosigkeit direkter Durchsetzung möglich ist.76 Im englischen Recht wird dem Umstand, dass die auf ein Verhalten ge- 978 richteten Ansprüche die Freiheitssphäre des Schuldners besonders empfindlich beeinträchtigen können, nicht erst im Vollstreckungsverfahren Rechnung getragen. Man hat hier vielmehr schon gegenüber der Anordnung von Naturalerfüllungspflichten Vorbehalte und gewährt solche bereits im Urteilsverfahren nur ausnahmsweise entsprechend der Billigkeits-Grundsätze des equity-Rechts.77 Der einzige Rechtsbehelf des common law ist die Verurteilung zu Schadensersatz (damages; auch bezeichnet als legal remedy), wobei 73 Beide liegen im sachlichen Anwendungsbereich der EuGVVO, vgl. Geimer, IPRax 2003, S. 512 (513). 74 Rosenberg/Gaul/Schilken, ZwVollstrR, 11. Aufl. 1997, § 71, S. 969. 75 Kerameus, in: FS von Mehren, 2002, S. 107 (108); ders., Enforcement Proceedings, Int. Encycl. Comp. Law, Vol. XVI, Ch. 10, 2002, Rn. 139; Gärtner, Auslandsvollstreckung, 1991, S. 6. 76 Müller, Herausgabe- und Handlungsvollstreckung, 1978, S. 45. 77 s. zum Verhältnis zwischen equity und common law bereits oben Rn. 342.
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hierunter nur Geldentschädigung verstanden wird.78 Da diese aber in vielen Fällen keine „full compensation“ bietet, haben sich equitable remedies herausgebildet, wie insbesondere die Anordnung von Naturalerfüllung (specific performance).79 Ihre Gewährung liegt im Ermessen des Gerichts.80 So stellt es etwa s. 52(1) Sale of Goods Act 1979 bei einer Klage aus einem Kaufvertrag ins richterliche Ermessen, ob die Herausgabe der geschuldeten Sache angeordnet wird.81 Specific performance kommt hier in Betracht, wenn die verkaufte Sache einen einzigartigen Wert hat oder für den Käufer von besonderer Bedeutung ist.82 Die allgemeine Testfrage für die Gewährung von Naturalerfüllung lautet: „Is it just in all the circumstances for the plaintiff to be confined to his remedy in damages?“83 Naturalerfüllungszwang gibt es in England auch im Vertrags- und Familienrecht sowie bei den torts. Hier kann durch prohibitory injunction eine Unterlassung und durch mandatory injunction eine Handlungspflicht angeordnet werden. Bei Ansprüchen auf Leistung persönlicher Dienste (personal service) wird in aller Regel keine specific performance gewährt.84 979
Zusammenfassend ist im englischen Recht die Naturalerfüllung als Ausnahme konzipiert. Im Vergleich dazu kann etwa in den §§ 249 ff. BGB nur 78
Henrich/Huber, Englisches Privatrecht, 3. Aufl. 2003, S. 41. Treitel, Remedies for Breach of Contract, 1988, S. 63; Treibmann, Vollstreckung in Europa, 1994, S. 55. 80 Beatson, Anson’s Law of Contract, 28. Aufl. 2002, S. 633; Treitel, Remedies for Breach of Contract, 1988, S. 63; Hanbury/Maudsley/Martin, Equity, 13. Aufl. 1989, S. 651 f. 81 „In any action for breach of contract to deliver specific or ascertained goods the court may, if it thinks fit, on the plaintiff’s application, by its judgment or decree direct that the contract shall be performed specifically, without giving the defendant the option of retaining the goods on payment of damages.“ 82 Beatson, Anson’s Law of Contract, 28. Aufl. 2002, S. 633 f.; Plant/Rose/Sime u. a., Civil Practice, 5. Aufl. 2004, Rn. 4.1. 83 Court of Appeal (Civil Division), 20.12.1972 – Evans Marshall & Co v. Bertola SA (No. 1) [1973] 1 W.L.R. 349, 379; Court of Appeal (Civil Division), 25.05.1982 – CN Marine Inc v. Stena Line A/B (No. 2) [1982] 2 Lloyd’s Rep. 336, 348. Vgl. auch Treitel, Remedies for Breach of Contract, 1988, S. 64; Hanbury/ Maudsley/Martin, Equity, 13. Aufl. 1989, S. 652. Bei Grundstückskaufverträgen kann in der Regel specific performance angeordnet werden, vgl. House of Lords, 08.07.1982 – Sudbrook Trading Estate Ltd v. Eggleton [1983] 1 A.C. 444, 478. Beim Kauf beweglicher Sachen kommt die Anordnung von specific performance bspw. dann in Betracht, wenn der Käufer ohne die geschuldeten Waren nicht in der Lage wäre, seinen Betrieb fortzuführen, vgl. High Court Chancery Division, 20.11.1973 – Sky Petroleum v. VIP Petroleum [1974] 1 W.L.R. 576. 84 Remien, Zwangsgeld, 1992, S. 103. Vgl. etwa High Court Queen’s Bench Division, 1852 – Lumley v. Wagner (1852) 1 De G.M.& G. 604: Die vertragliche Verpflichtung, in einem Theater zu singen, kann nicht durch Gewährung von specific performance durchgesetzt werden. 79
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dann auf Geldersatz ausgewichen werden, wenn die Leistung in natura mit unverhältnismäßigen Aufwendungen für den Schuldner verbunden wäre, § 251 II BGB. In Frankreich hatte der historische Gesetzgeber in Art. 1142 CC vorgese- 980 hen, dass sich nicht vertretbare Handlungs- und Unterlassungsansprüche in Schadensersatzforderungen verwandeln, sobald sie nicht befolgt werden.85 Damit wurde die Erkenntnis „nemo praecise cogi potest ad factum“ umgesetzt und direkt wirkende Vollzugsmittel zur Realisierung von Handlungspflichten ausgeschlossen.86 Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelte die Rechtsprechung mit der astreinte ein Geldbeugemittel, welches heute gesetzlich geregelt ist.87 Weil es sich hierbei um ein indirektes Zwangsmittel handelt, ist es mit Art. 1142 CC vereinbar. Diese Vorschrift verbietet nach heutigem Verständnis einerseits die Anwendung körperlicher Gewalt, schließt andererseits bei Unmöglichkeit eine Vollstreckung aus.88 Außerdem wird wegen ihr der Anspruch auf Herstellung des ehelichen Lebens (Rechtsgrundlage: Art. 212 CC) für nicht vollstreckbar gehalten.89 Da allerdings das französische Recht eine allgemeine Herstellungsklage nicht kennt, ist dieser Anspruch ohnehin schon nicht einklagbar.90 Zum Schutz der Freiheitssphäre des Schuldners kann Art. 1142 CC außerdem schon im Erkenntnisverfahren die Titulierung von Ansprüchen auf Handlungen im persönlichen Bereich ausschließen.91 In diesem Zusammenhang ist ein vergleichender Blick in das italienische 981 Recht lehrreich. Dies deshalb, weil dort sowohl im Erkenntnis- als auch im Vollstreckungsverfahren die Vorbehalte gegenüber der Erzwingung von Handlungs- und Unterlassungspflichten klassischerweise besonders stark 85 Art. 1142 CC: „Toute obligation de faire ou de ne pas faire se résout en dommages et intérêts, en cas d’inexécution de la part du débiteur.“ 86 Larroumet, Droit Civil III, 5. Aufl. 2003, Rn. 67. 87 Dazu sogleich Rn. 991–996. 88 Vgl. etwa Jeandidier, Rev.trim.dr.civ. 74 (1976), S. 700 (707, 713). 89 Cornu, droit de la famille, 9. Aufl. 2006, Rn. 27 (S. 55). 90 Ferid/Sonnenberger, Franz. Zivilrecht, Bd. III, 2. Aufl. 1987, Rn. 4 B 110. Eine Verletzung der ehelichen Pflichten aus Art. 212 CC berechtigt ggf. zu monetärer Entschädigung, vgl. Cour de cassation, 1re civ., 07.02.1966, Bull. civ. I nº 88. Ansonsten kommt den ehelichen Pflichten nur unter dem Gesichtspunkt Bedeutung zu, inwieweit ihre Verletzung eine Eheverfehlung i. S. v. Art. 242 CC und damit Grund für eine divorce oder eine séparation de corps darstellt, vgl. Cornu, droit de la famille, 9. Aufl. 2006, Rn. 27 (S. 55). 91 Carbonnier, Droit Civil IV, 2000, No. 372, S. 648 (etwa Verpflichtung, ein Bild zu malen); Tribunal de grande instance de Paris (3e ch.), 08.11.1973 – Beauvais c/ Valery, DS 1975, jur., S. 401 (Verpflichtung zu Strip-tease-Auftritt); Cour de cassation, 1re civ., 20.01.1953 – époux Ailloud c/ consorts Plissonnier, JCP 1975.II.7677; Jeandidier, Rev.trim.dr.civ. 74 (1976), S. 700 (707–711).
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ausgeprägt sind: Einerseits erlaubt das materielle Recht schnell den Übergang in eine Geldverpflichtung.92 Andererseits gab es bis vor kurzem kein Mittel zur Durchsetzung in natura93: Ansprüche auf Handlungen berechtigten ausschließlich zur Ersatzvornahme94, soweit sie vertretbar waren95. Bei Unterlassungspflichten konnte der Gläubiger lediglich Störungen seitens des Schuldners auf dessen Kosten beseitigen lassen.96 Zusätzlich kann der 92 Vgl. m. w. N. Stutz, Internationale Vollstreckung, 1992, S. 105–111. So etwa für deliktische Ersatzansprüche Art. 2058 c.c.: „IIl danneggiato può chiedere la reintegrazione in forma specifica, qualora sia in tutto o in parte possibile. IITuttavia il giudice può disporre che il risarcimento avvenga solo per equivalente, se la reintegrazione in forma specifica risulta eccessivamente onerosa per il debitore“. (Übersetzung nach Bauer/Eccher/König u. a., Codice Civile, 2. Aufl. 1992: „IDer Geschädigte kann die Wiederherstellung des früheren Zustandes verlangen, sofern dies zur Gänze oder zum Teil möglich ist. IIDas Gericht kann jedoch verfügen, dass der Schadensersatz nur durch Leistung des Gegenwertes zu erfolgen hat, wenn sich die Wiederherstellung des früheren Zustandes als für den Schuldner übermäßig belastend erweist.“). Ebenso bei Primäransprüchen, vgl. Art. 1218 c.c.: „Il debitore che non esegue esattamente la prestazione dovuta è tenuto al risarcimento del danno, se non prova che l’inadempimento o il ritardo è stato determinato da impossibilità della prestazione derivante da causa a lui non imputabile.“ (Übersetzung nach Bauer/Eccher/ König u. a., Codice Civile, 2. Aufl. 1992: „Der Schuldner, der die geschuldete Leistung nicht gehörig erbringt, ist zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er nicht beweist, dass die Nichterfüllung oder die Verspätung durch Unmöglichkeit der Leistung verursacht worden ist, die auf einen von ihm nicht zu vertretenden Grund zurückgeht.“). 93 Vgl. Baur/Stürner, ZwVollstrR, 12. Aufl. 1995, Rn. 59.66; Bruns, ZZP 118 (2005), S. 3 (11), der insoweit davon ausging, dass Italien in Europa „Schlusslicht“ war; Stutz, Internationale Vollstreckung, 1992, S. 118–120. 94 Vgl. Art. 2931 c.c.: „Se non è adempiuto un obbligo di fare, l’avente diritto può ottenere che esso sia eseguito a spese dell’obbligato nelle forme stabilite dal codice di procedura civile.“ (Übersetzung nach Bauer/Eccher/König u. a., Codice Civile, 2. Aufl. 1992: „Wenn die Verpflichtung zur Vornahme einer Handlung nicht erfüllt wird, kann der Berechtigte die Vornahme auf Kosten des Verpflichteten unter Beachtung der in der Zivilprozessordnung festgesetzten Form erlangen.“). Das Verfahren richtet sich nach Art. 612 ff. c.p.c. 95 Rescigno, Codice Civile, 7. Aufl. 2008, Art. 2931 c.c. Rn. 2. Es gibt aber Ausnahmen, so etwa für die Anordnung der „Wiedereinsetzung am Arbeitsplatz“, vgl. Wastl, Vollstreckung in Italien, 1991, S. 158. 96 Vgl. Art. 2933 c.c.: „ISe non è adempiuto un obbligo di non fare, l’avente diritto può ottenere che sia distrutto, a spese dell’obbligato, ciò che è stato fatto in violazione dell’obbligo. INon può essere ordinata la distruzione della cosa e l’avente diritto può conseguire solo il risarcimento dei danni, se la distruzione della cosa e di pregiudizio all’economia nazionale.“ (Übersetzung nach Bauer/Eccher/König u. a., Codice Civile, 2. Aufl. 1992: „IWenn die auf eine Unterlassung gerichtete Verpflichtung nicht erfüllt wird, kann der Berechtigte erwirken, dass auf Kosten des Verpflichteten all das vernichtet wird, was unter Verletzung der Verpflichtung gemacht worden ist. IIDie Vernichtung der Sache darf nicht angeordnet werden und
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Schaden geltend gemacht werden, der dadurch entsteht, dass der Schuldner die geschuldete Handlung nicht vornimmt bzw. seiner Unterlassungspflicht nicht nachkommt.97 Anspruchsgrundlage hierfür ist die deliktische Generalklausel in Art. 2043 c.c. für danno ingiusto. Zur Geltendmachung muss der Gläubiger ein neues Erkenntnisverfahren anstrengen, in dem der ursprüngliche Titel allerdings Bindungswirkung entfaltet hinsichtlich des Bestands der verletzten Handlungs- bzw. Unterlassungspflicht.98 Seit dem 4. Juli 2009 gilt in Italien der neue Art. 614-bis c.p.c., der zur 982 Vollstreckung unvertretbarer Handlungs- und Unterlassungspflichten ein Zwangsgeld nach dem Modell der französischen astreinte vorsieht.99 Dieses wird im Erkenntnisverfahren festgesetzt und fließt dem Gläubiger zu. Art. 614-bis c.p.c. ist allerdings erst in Gerichtsverfahren anwendbar, die ab dem 4. Juli 2009 initiiert wurden.100 Für Prozesse, die vor dem Stichtag begonnnen haben, hat die „alte“ italienische Situation ohne Beugemittel noch Gültigkeit, soll daher auch in den folgenden Untersuchungen berücksichtigt werden.
der Berechtigte kann nur den Ersatz der Schäden erlangen, wenn die Vernichtung der Sache die Volkswirtschaft beeinträchtigt.“) Das Verfahren richtet sich nach Art. 612 ff. c.p.c. 97 Rescigno, Codice Civile, 7. Aufl. 2008, Art. 2931 c.c. Rn. 2; Cian/Trabucchi/de Cristofaro, 7. Aufl. 2005, Art. 2931 c.c. Rn. I; Corte di Cassazione, 23.03.1979 – 79/1756, Giur. it. 1980, I, 524; Wastl, Vollstreckung in Italien, 1991, S. 158. 98 Cian/Trabucchi/de Cristofaro, 7. Aufl. 2005, Art. 2931 c.c. Rn. II. Es muss also lediglich schuldhafte Nichtbefolgung und Eintritt eines Schadens nachgewiesen werden. 99 Art. 614-bis c.p.c.: „ICon il provvedimento di condanna il giudice, salvo che ciò sia manifestamente iniquo, fissa, su richiesta di parte, la somma di denaro dovuta dall’obbligato per ogni violazione o inosservanza successiva, ovvero per ogni ritardo nell’esecuzione del provvedimento. Il provvedimento di condanna costituisce titolo esecutivo per il pagamento delle somme dovute per ogni violazione o inosservanza. Le disposizioni di cui al presente comma non si applicano alle controversie di lavoro subordinato pubblico e privato e ai rapporti di collaborazione coordinata e continuativa di cui all’articolo 409. IIIl giudice determina l’ammontare della somma di cui al primo comma tenuto conto del valore della controversia, della natura della prestazione, del danno quantificato o prevedibile e di ogni altra circostanza utile.“, eingeführt durch Art. 50 legge n. 69/2009 v. 18.06.2009. 100 Vgl. Art. 58.2 legge n. 69/2009. Dies steht im Einklang mit dem Grundsatz „tempus regit actum“, der in Italien uneingeschränkt auch im Prozessrecht gilt, vgl. Art. 11 disp.pre.c.c. („La legge non dispone che per l’avvenire, essa non ha effetto retroattivo“) und – andeutungsweise – Art. 5 c.p.c.
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2. Die Vollstreckung von Ansprüchen auf Vornahme vertretbarer Handlungen 983
Vertretbare Handlungen werden allgemein durch Ermächtigung zur Ersatzvornahme durchgesetzt. In Deutschland gestattet das Prozessgericht des ersten Rechtszuges – es handelt dann als Vollstreckungsorgan – dem Gläubiger auf Antrag, die geschuldete Handlung selbst durchzuführen oder durch einen anderen auf Kosten des Schuldners vornehmen zu lassen, § 887 I ZPO. Gleichzeitig kann der Schuldner zur Zahlung eines Kostenvorschusses verurteilt werden, § 887 II ZPO.101 Dass für Ansprüche auf vertretbare Handlungen keine Beugemittel greifen, ist dem Verhältnismäßigkeitsprinzip geschuldet, da die Ersatzvornahme dem Gläubigerinteresse Genüge tut.102
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Auch in England wird bei vertretbaren Handlungen nach dem Prinzip der Selbstvornahme verfahren. Allerdings wird für vertretbare Handlungen selten specific performance angeordnet, sondern in der Regel nur Schadensersatz.103 Ansonsten kann bei Ansprüchen auf vertretbare Handlungen der Gläubiger ermächtigt werden, diese selbst oder durch einen Dritten auf Kosten des Schuldners vorzunehmen.104 Alternativ kann auch nach den contempt of court-Regeln verfahren werden.105
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Demgegenüber sind in Frankreich das Recht zur Ersatzvornahme und der Anspruch auf Kostenersatz materiellrechtliche Erfüllungsalternativen, über die im Erkenntnisverfahren entschieden wird, vgl. Art. 1144 S. 1 CC. Art. 1144 S. 2 CC erlaubt zudem ausdrücklich, dass der Schuldner zur Vorauszahlung verurteilt werden kann. Ansprüche auf Vornahme einer vertretbaren Handlung können auch durch astreinte durchgesetzt werden.106 3. Die Vollstreckung von Ansprüchen auf Vornahme nicht vertretbarer Handlungen, Unterlassungen und Duldungen
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Sind unvertretbare Handlungen und Unterlassungen geschuldet, ist eine Naturaldurchsetzung nur in der Weise möglich, dass der Wille des Schuldners gebeugt wird. 101
Der Beschluss ist dann ein Geldvollstreckungstitel, vgl. § 794 I Nr. 3 ZPO. Lackmann, ZwVollstrR, 8. Aufl. 2007, Rn. 395. 103 Zhao, Nicht-Geldvollstreckung, 2008, S. 125 f. 104 R. 8 RSC ord. 45 = sch. 1 CPR; Baur/Stürner, ZwVollstrR, 12. Aufl. 1995, Rn. 59.52. 105 s. zum contempt of court ausführlich sogleich unter Rn. 997–1000. 106 Cour de cassation, 1re civ., 20.03.1989, Bull. civ. I nº 122; Cour de cassation, 2e civ., 28.05.1990 – Lequeux c/ Époux Aubert, DS 1990, jur., S. 444. 102
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a) Zwangsgeld und -haft sowie Ordnungsgeld und -haft in Deutschland In Deutschland werden unvertretbare Handlungen mit Zwangsgeld bis zu 987 25.000 e (§ 888 I S. 2 ZPO) oder Zwangshaft bis zu einer Dauer von sechs Monaten (§§ 888 I S. 3, 913 ZPO) erzwungen. Diese Zwangsmittel werden nach Titulierung auf Antrag des Gläubigers festgesetzt, und zwar gem. § 888 II ZPO ohne vorherige Androhung. Die Festsetzung einer Frist zur Vornahme der Handlung ist aber möglich.107 Zuständig ist das Prozessgericht des ersten Rechtszuges als Vollstreckungsorgan.108 Bei der Auswahl des Zwangsmittels gilt das Verhältnismäßigkeitsprinzip109, wobei auf Zwangshaft grundsätzlich nur zurückgegriffen wird, wenn ein Zwangsgeld nicht beitreibbar wäre, § 888 I S. 1 ZPO. Bestehen Anhaltspunkte dafür, dass der Schuldner sich einem Zwangsgeld nicht beugen wird, kommt Zwangshaft auch sofort in Betracht.110 Das Zwangsgeld wird auf Antrag des Gläubigers nach den Regeln der Geldvollstreckung beigetrieben (Vollstreckungstitel: § 794 I Nr. 3 ZPO).111 Der Vollstreckungserlös wird an die Staatskasse ausgekehrt, steht also nicht dem Gläubiger zu.112 Auch die Zwangshaft wird erst auf Gläubigerantrag nach den §§ 904 ff. ZPO vollstreckt. Der Schuldner kann durch Vornahme der geschuldeten Handlung die Durchsetzung von Zwangsgeld oder -haft abwenden.113 Gem. § 888 III ZPO kann die Verurteilung zur Leistung unvertretbarer – 988 sonst gilt ohnehin § 887 ZPO – Dienste nicht durchgesetzt werden; dem Dienstvertrag stehen Geschäftsbesorgung und Auftrag gleich114. Eine entsprechende Anwendung auf andere Anspruchsarten ist möglich, wenn eine zwangsweise Durchsetzung das allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzen würde (etwa Vornahme einer religiösen Handlung115). Anders ist bei der Vollstreckung des Auskunftsanspruchs des Kindes gegen seine Mutter auf 107
MünchKomm/Gruber, 3. Aufl. 2007, § 888 ZPO Rn. 24. Es entscheidet nach Anhörung des Schuldners und ggf. mündlicher Verhandlung, § 891 ZPO. 109 Lackmann, ZwVollstrR, 8. Aufl. 2007. Rn. 407. 110 Rosenberg/Gaul/Schilken, ZwVollstrR, 11. Aufl. 1997, § 72 II 2, S. 977; Stein/Jonas/Brehm, 22. Aufl. 2004, § 888 ZPO Rn. 23. 111 BGH, 02.03.1983 – IVb ARZ 49/82, NJW 1983, S. 1859 (1860); OLG Stuttgart, 27.06.1997 – 15 WF 262/97, FamRZ 1997, S. 1495. 112 Lackmann, ZwVollstrR, 8. Aufl. 2007, Rn. 407; MünchKomm/Gruber, 3. Aufl. 2007, § 888 ZPO Rn. 31. 113 OLG Frankfurt, 27.11.1980 – 20 W 761/80, Rpfleger 1981, S. 152: Nach formell rechtskräftiger Zwangsmittelfestsetzung muss der Erfüllungseinwand aber über die Vollstreckungsgegenklage geltend gemacht werden. 114 Thomas/Putzo/Seiler, 32. Aufl. 2011, § 888 ZPO Rn. 4; Stein/Jonas/Brehm, 22. Aufl. 2004, § 888 ZPO Rn. 40. 108
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Mitteilung des Namens seines leiblichen Vaters zu entscheiden.116 Dies dient der Verwirklichung des Persönlichkeitsrechts des Gläubigers, die maßgebliche Interessenabwägung mit den Schuldnerinteressen ist bereits im Erkenntnisverfahren erfolgt.117 Ferner nimmt § 120 III FamFG die Verpflichtung zur Eingehung der Ehe und zur Herstellung des ehelichen Lebens von der Vollstreckung aus.118 Gleiches gilt für Handlungen, deren Vornahme dem Schuldner nicht möglich ist, etwa weil besondere künstlerische oder wissenschaftliche Fähigkeiten erforderlich sind oder ein Dritter mitwirken muss.119 Kommt der Schuldner seiner Verpflichtung auch nach Festsetzung des Zwangsgeldes nicht nach, kann erneut ein Zwangsgeld von bis zu weiteren 25.000 e angedroht werden.120 989
Für Unterlassungs- und Duldungsvollstreckung stehen Ordnungsgeld (bis zu 250.000 e) und -haft (bis zu sechs Monaten, insgesamt maximal zwei Jahre) zur Verfügung, § 890 I S. 1 ZPO. Das jeweilige Ordnungsmittel muss zuvor vom Prozessgericht des ersten Rechtszuges angedroht werden, wobei dies entweder im Titel selbst oder durch gesonderten Beschluss geschehen kann, § 890 II ZPO. Hat der Schuldner seiner Verpflichtung zuwidergehandelt, kann der Gläubiger – im Rahmen der Androhung – die Festsetzung des Ordnungsmittels beantragen.121 Dem Antrag entspricht das Gericht, wenn es nach Anhörung des Schuldners (§ 891 S. 2 ZPO) der Ansicht ist, dieser habe schuldhaft122 gegen seine Duldungs- bzw. Unterlas115
OLG Köln, 19.03.1973 – 7 W 63/72, MDR 1973, S. 768: Art. 4 GG schließt die Durchsetzung einer Pflicht zur Mitwirkung an einer konfessionellen Ehescheidung aus (Scheidebriefübergabe vor Rabbinats-Richter). 116 OLG Hamm, 16.01.2001 – 14 W 129/99, NJW 2001, S. 1870; OLG Bremen, 21.07.1999 – 6 W 21/98, NJW 2000, S. 963; MünchKomm/Gruber, 3. Aufl. 2007, § 888 ZPO Rn. 22. 117 MünchKomm/Gruber, 3. Aufl. 2007, § 888 ZPO Rn. 22. 118 Wenn in der Hauptsache deutsches Recht Anwendung findet, hat der Vollstreckungsausschluss bezüglich der Pflicht zur Eingehung der Ehe wegen § 1297 I BGB freilich keine Bedeutung. Jedenfalls bei der Vollstreckung ausländischer Urteile, die zur Eingehung einer Ehe verpflichten, kann § 120 III FamFG aber Bedeutung erlangen. Gleichwohl dürften solche Urteile schon ordre public-widrig sein, vgl. MünchKomm/Gruber, 3. Aufl. 2007, § 888 ZPO Rn. 19. 119 Lackmann, ZwVollstrR, 8. Aufl. 2007, Rn. 404. 120 BGH, 14.04.2005 – IX ZB 76/04, NJW-RR 2005, S. 1211 (1212 f.). 121 Nach § 890 III ZPO kann er zudem beantragen, den Schuldner zur Bestellung einer Sicherheit für den durch weitere Zuwiderhandlungen entstehenden Schaden zu verurteilen. 122 Dass der Verstoß schuldhaft sein muss, folgt aus dem strafrechtlichen bzw. strafähnlichen Charakter der Ordnungsmittel i. S. v. § 890 ZPO, vgl. etwa BVerfG, 23.04.1991 – 1 BvR 1443/87, NJW 1991, S. 3139 und (zum „repressiven, strafähnlichen Sanktionscharakter“) BGH, 30.09.1993 – I ZR 54/91, NJW 1994, S. 45 (46); BVerfG, 14.07.1981 – 1 BvR 575/80, BVerfGE 58, 159 (162 f.).
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sungspflicht verstoßen. Das Ordnungsgeld wird nicht durch den Gläubiger, sondern von Amts wegen nach § 1 I Nr. 3 JBeitrO auf Veranlassung des Prozessgerichts durch den zuständigen Rechtspfleger (vgl. § 31 III RPflG) beigetrieben. Der Vollstreckungserlös fließt der Justizkasse zu. Die Ordnungshaft wird wie eine Kriminalstrafe auf Kosten des Staates vollstreckt.123 Da das Ordnungsmittel erst wegen einer bereits erfolgten Zuwiderhandlung festgesetzt wird, kommt eine Abwendungsbefugnis des Schuldners hier nicht mehr in Betracht, d.h. es folgt stets Vollstreckung.124 Zwangs- und Ordnungsmittel unterscheiden sich in ihrer Rechtsnatur. 990 Erstere sind in die Zukunft gerichtet, sollen den Schuldner zur Vornahme einer Handlung bringen. Dieser kann deshalb – bis zur letzten Minute – das Zwangsmittel abwenden durch Vornahme der geschuldeten Handlung. Zwangshaft und -geld sind somit reine Beugemittel und keine Kriminalstrafe.125 Demgegenüber knüpft die Festsetzung von Ordnungsmitteln an eine bereits erfolgte Zuwiderhandlung gegen ein Duldungs- oder Unterlassungsgebot an. Hieran macht die h. M. deren repressiven bzw. sogar StrafCharakter fest.126 Andererseits setzen Ordnungsmittel stets eine Androhung voraus, was eine Willensbeugung bezweckt. Die anschließende Festsetzung sei gleichsam automatisierte Folge der Zuwiderhandlung, weswegen die a. A. davon ausgeht, es handle sich insgesamt um ein Instrument zur Willensbeugung.127 b) Die französische astreinte als indirektes Vollstreckungsmittel Universelles und einziges Mittel zur Durchsetzung nicht vertretbarer 991 Handlungen und Unterlassungspflichten ist in Frankreich die astreinte.128 Hierbei handelt es sich um die Anordnung einer Geldzahlungspflicht für den Fall der Nichtbefolgung. Vom Zwangsgeld deutscher Prägung unterscheidet sich die astreinte dadurch, dass sie nicht dem Fiskus, sondern dem 123
Baur/Stürner/Bruns, ZwVollstrR, 13. Aufl. 2006, Rn. 40.29. A. A. etwa Rosenberg/Gaul/Schilken, ZwVollstrR, 11. Aufl. 1997, § 73 II 4: nach den §§ 904–913 ZPO auf Kosten des Gläubigers, weil zur Durchsetzung eines privaten Anspruchs. 124 Remien, Zwangsgeld, 1992, S. 17. 125 Rosenberg/Gaul/Schilken, ZwVollstrR, 11. Aufl. 1997, § 71 II 2, S. 978; Remien, Zwangsgeld, 1992, S. 18. 126 Rosenberg/Gaul/Schilken, ZwVollstrR, 11. Aufl. 1997, § 73 III, S. 993: „der repressive Charakter [steht] eindeutig im Vordergrund.“ Auch die Rspr. geht vom „strafähnlichen Sanktionscharakter“ aus, Nachw. in Fn. 122. 127 Pastor, Unterlassungsvollstreckung, 3. Aufl. 1982, S. 12 f.: „Willensbeugung für die Zukunft durch Verurteilung für Vergangenes“. Vgl. auch BGH, 23.10.2003 – I ZB 45702, NJW 2004, S. 506 (509) wonach die Beugefunktion im Vordergrund steht und der Strafcharakter hinzutritt. 128 Die entsprechenden Regelungen finden sich in den Art. 33–37 L. 1991.
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Gläubiger zugute kommt und daher einer gerichtlich angeordneten Privatstrafe ähnelt.129 Diese Gläubigerbegünstigung ist sogar unabhängig von einem etwaigen materiell-rechtlichen Schadensersatzanspruch, vgl. Art. 34 al.1 L. 1991. Dennoch definiert die Cour de cassation die astreinte als „ergänzende und eventuelle Zahlungsverpflichtung, die dazu dient, vom Schuldner die Erfüllung einer Verbindlichkeit zu erlangen“130, sieht sie also als Beugemittel. Demgegenüber entspricht das deutsche Zwangsgeld zu Gunsten der Staatskasse stärker der Trennung zwischen privatem Recht und staatlicher Rechtsdurchsetzung.131 992
Es ist zu unterscheiden zwischen der kraft Gesetzes greifenden astreinte légale und der gerichtlich angeordneten astreinte judiciaire, wobei in zivilrechtlichen Streitigkeiten nur letztere von Bedeutung ist.132 Jeder Richter kann – auch von Amts wegen – im Erkenntnisverfahren seine Entscheidung mit einer astreinte versehen, Art. 33 al.1 L. 1991. Alternativ kann später der juge de l’exécution jede Entscheidung mit einer astreinte ausstatten, Art. 33 al.2 L. 1991. Damit ist sie als umfassendes Zwangsmittel für alle Anspruchsarten konzipiert, ihren originären Anwendungsbereich hat sie allerdings bei den nicht vertretbaren Handlungen und Unterlassungen.133
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Das Verfahren verläuft in zwei Schritten: Zunächst wird der Grundbetrag der astreinte festgelegt, der für jede Zeiteinheit, in der der Anspruch unerfüllt bleibt, verwirkt wird und sich vervielfachen kann.134 Bei Unterlassungspflichten wird dieser Grundbetrag für jede Zuwiderhandlung fällig.135 Vollstreckbarkeit erlangt die astreinte aber erst durch die liquidation, die 129 Niboyet/Lacassagne, in: Andenas/Hess/Oberhammer (Hrsg.), Enforcement Agency, 2005, S. 161; Vincent/Prévault, Voies d’exécution, 19. Aufl. 1999, Rn. 38; Perrot/Théry, Procédures d’exécution, 2000, Rn. 71; Vgl. auch Bruns, ZZP 118 (2005), S. 3 (12), wonach die astreinte auch schadensersatzrechtliche Wurzeln habe. 130 „. . . une condamnation pécuniaire accessoire et éventuelle qui tend à obtenir du débiteur l’exécution d’une obligation“, vgl. Cour de cassation, 2e civ., 14.11.1979, Bull. civ. II nº 260; Cour de cassation, 3e civ., 20.04.1982, Bull. civ. III nº 96. 131 Bruns, ZZP 118 (2005), S. 3 (12). 132 Die astreinte légale ist nur durch Spezialgesetze für einige Sonderfälle vorgesehen, wie etwa bei der Verwaltungsvollstreckung, vgl. Kerameus, in: FS von Mehren, 2002, S. 107 (112). 133 Stürner, in: FS Nakamura, 1996, S. 599 (608). 134 Niboyet/Lacassagne, in: Andenas/Hess/Oberhammer (Hrsg.), Enforcement Agency, 2005, S. 161. So kann etwa für jeden Tag der Nichtbefolgung ein bestimmter Betrag in e festgelegt werden. Die Aufsummierung des Zwangsgeldes beginnt frühestens mit Zustellung der verhängten astreinte zu laufen, vgl. Cour de cassation, 3e civ., 09.11.1976, Bull.civ. III nº 402; Cour de cassation, 3e civ., 18.11.1980, Bull. civ. III nº 178. 135 Remien, Zwangsgeld, 1992, S. 48.
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bei gänzlicher oder teilweiser Nichterfüllung bzw. verspäteter Erfüllung durchgeführt wird.136 Zuständig ist hierfür grundsätzlich der juge de l’exécution, ggf. aber auch der Richter, der die astreinte verhängt hat, wenn dieser weiterhin mit der Streitsache befasst ist oder sich ausdrücklich die Durchführung der liquidation vorbehalten hat.137 Gem. Art. 34 al.2 S. 1 L. 1991 kann die astreinte entweder provisorisch 994 oder definitiv verhängt werden. Hat das Gericht die Form nicht bestimmt, ist sie provisorisch.138 Der Unterschied zwischen beiden Varianten zeigt sich bei der liquidation. Hierbei kann die Höhe einer astreinte définitve ausschließlich dann verändert werden, wenn die Nichterfüllung auf einen cause étrangère, also etwa höhere Gewalt oder ein anderes für den Schuldner unabwendbares Ereignis, zurückzuführen ist, Art. 36 al.2,3 L. 1991. Demgegenüber besteht bei der liquidation einer astreinte provisoire Spielraum hinsichtlich der Höhe der festgesetzten Geldsumme, Art. 36 al.1 L. 1991. Der Richter kann dabei das Verhalten des Schuldners berücksichtigen sowie die Gründe für die unterbliebene Erfüllung. Die Höhe richtet sich nach „der Schwere des Verschuldens des widerspenstigen Schuldners und seiner Mittel“.139 Eine provisorische astreinte kann also ganz oder teilweise wieder aufgehoben werden.140 Bei einer definitiven ist die liquidation demgegenüber meist nur eine Rechenaufgabe. Die definitive astreinte kann erst nach vorherigem Ausspruch einer provisorischen erlassen werden.141 Nach liquidation kann der Gläubiger die Beitreibung veranlassen. Davor 995 sind bereits Mittel der Sicherungsvollstreckung möglich, Art. 53 al.2 Décr. 1992. Hat der Schuldner die Nichtbefolgung des Urteils zu vertreten, kann der Gläubiger zusätzlich zum Zwangsgeld Schadensersatz verlangen, vgl. Art. 34 al.1 L. 1991. Gegenüber Zwangs- oder Ordnungsgeld deutscher Prägung ist die astreinte für den Gläubiger interessanter, weil sie ihm selbst zugute kommt. Obwohl in Deutschland der Gläubiger Zwangsgelder auf eigenes Kostenrisiko vollstrecken lassen muss, fließen sie dem Fiskus zu. Außerdem ist die astreinte besonders effektiv, wenn sich der zu zahlende Betrag nach Zeitperioden erhöht. 136 Erst mit der liquidation liegt ein vollstreckbarer Titel vor, vgl. Art. 37 L. 1991, Art. 53 al.1 Décr. 1992. 137 Art. 35 L. 1991. 138 Art. 34 al.2 S. 2 L. 1991. 139 Cour de cassation, 1re civ., 20.10.1959, Bull. civ. I nº 419: „L’astreinte provisoire . . . est normalement liquidée en fonction de la gravité de la faute du débiteur récalcitrant et de ses facultés . . .“ Übersetzung nach Remien, Zwangsgeld, 1992, S. 46. 140 Vincent/Prévault, Voies d’exécution, 19. Aufl. 1999, Rn. 37; Perrot/Théry, Procédures d’exécution, 2000, Rn. 90 f., 93. 141 Art. 34 al.3 L. 1991.
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In etwas abgewandelter Form existiert die astreinte auch im Recht der Benelux-Staaten. Gemeinsame Grundlage ist das Benelux-Übereinkommen zur Einführung eines einheitlichen Gesetzes über das Zwangsgeld vom 26.11.1973.142 Der Hauptunterschied gegenüber dem französischen Modell liegt darin, dass das Zwangsgeld von vornherein endgültig angeordnet wird (astreinte définitive), eine astreinte provisoire also nicht möglich ist; außerdem ist die astreinte nicht auf Geldleistungstitel anwendbar.143 Auch Griechenland hat die astreinte in Gestalt des Benelux-Modells übernommen.144 Eine Zwischenlösung gibt es seit 1983 im portugiesischen Recht mit der sanção pecuniária compulsória, die je zur Hälfte dem Gläubiger und dem Staat zufließt.145 In Spanien hat der Gläubiger bei nicht vertretbaren Handlungen neuerdings die Wahl zwischen Naturalvollstreckung und Schadensersatz, vgl. Art. 709 no. 1 LEC. Letzterer ist mit einem Strafgeld von bis zu 50 % des gerichtlich festgestellten Gegenstandswertes kombiniert, vgl. Art. 709 no. 2, 711 LEC. Die Naturalvollstreckung erfolgt durch monatliche Zwangsgelder, die vierteljährlich zu erneuern sind.146 Damit gehört die ursprüngliche spanische Regel, nach der Handlungs- und Unterlassungspflichten einer Naturalexekution nicht zugänglich sind, der Vergangenheit an. c) Die Regeln des englischen contempt of court
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Im Bereich der Handlungs- und Unterlassungsvollstreckung unterscheidet sich das englische Vollstreckungsrecht von der kontinentaleuropäischen Rechtstradition insofern, als dass sich nach dortiger Vorstellung derjenige, der gerichtlich angeordnete Handlungspflichten nicht befolgt, einer Ungebühr vor Gericht schuldig macht (guilty of contempt of court).147 Man ist hier also dem Gedanken der Bestrafung stärker verhaftet als etwa in Deutschland. Ein contempt of court kann durch Haft (imprisonment), Geldstrafe (contempt fine), Beschlagnahme von Vermögen (sequestration of property) oder Verfahrensausschluss (debarment) sanktioniert werden.148 Die 142 Convention Benelux portant loi uniforme relative à l’astreinte; für Luxemburg und die Niederlande in Kraft seit 01.10.1978, für Belgien seit 01.03.1980. 143 Bruns, ZZP 118 (2005), S. 3 (11); Kerameus, in: FS von Mehren, 2002, S. 107 (113). 144 Vgl. Art. 946, 947 griech. ZPO. 145 Art. 829-A Código Civil. Vgl. Bruns, ZZP 118 (2005), S. 3 (11). 146 Vgl. im Einzelnen Bruns, ZZP 118 (2005), S. 3 (12). 147 Vgl. Kerameus, in: FS von Mehren, 2002, S. 107 (115), der hierin den größten Unterschied zwischen dem Vollstreckungsrecht des common law und den kontinentaleuropäischen Vollstreckungssystemen sieht. 148 Die Institution des contempt of court hat Bedeutung nicht nur als Vollstreckungs-, sondern auch als Ordnungsmittel. Sie erfasst nicht nur den hier interessierenden Ungehorsam bzw. das Widersetzen gegenüber gerichtlichen Anordnungen
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englische Rspr. geht davon aus, dass es sich hierbei um Kriminalstrafen handelt.149 Andere sprechen den Sanktionen einen „quasi-criminal aspect“ zu.150 Jedenfalls ist auch eine Vollstreckung bezweckt.151 Ein weiterer Aspekt liegt in der Bestätigung der gerichtlichen Jurisdiktionsgewalt152 und der Erhaltung des gesellschaftlichen Respekts gegenüber den Gerichten153. Die contempt of court-Vollstreckung ist einerseits zur Erzwingung ge- 998 richtlich angeordneter Handlungs- und Unterlassungspflichten (injunction oder order/judgment to do or abstain from doing any act) anwendbar.154 Andererseits können auch Verpflichtungserklärungen der Parteien gegenüber dem Gericht (undertakings) durchgesetzt werden.155 Solche werden in der Regel ausdrücklich abgegeben156 oder sind schlüssig (implied) in einer anderen Erklärung gegenüber dem Gericht – insbesondere in einem Antrag – enthalten157. und Entscheidungen, sondern allgemein das Fehlverhalten von Verfahrensbeteiligten vor Gericht („contempt of court in the face of the court“), vgl. Gilles, in: GS Arens, 1993, S. 143 (145 f.). 149 Vgl. Lord Denning in Court of Appeal (Civil Division), 07.12.1970 – Comet Products (UK) Ltd. v. Hawkex Plastics Ltd. [1971] 2 Q.B. 67, 73: „Although this is a civil contempt, it partakes of the nature of a criminal charge. The defendant is liable to be punished for it“. 150 Cross J in High Court Chancery Division, 09.11.1965 – Yianni v. Yianni [1966] 1 W.L.R. 120, 124; ähnlich Andrews, Modern Civil Process, 2008, Rn. 8.35: „quasi-criminal wrong“. 151 Cross J in High Court Chancery Division, 23.07.1963 – Phonographic Performance v. Amusement Caterers (Peckham) [1964] Ch. 195, 199: „bears a two-fold character, implying as between the parties to the proceedings merely a right to exercise and a liability to submit to a form of civil execution, but as between the party in default and the state, a penal or disciplinary jurisdiction to be exercised by the court in the public interest“. 152 Bunge, ZV England, 2. Aufl. 2005, S. 221; Zhao, Nicht-Geldvollstreckung, 2008, S. 130 f. 153 Kerameus, in: FS von Mehren, 2002, S. 107 (116). 154 Vgl. r. 5 ord. 45 RSC = sch. 1 CPR (für High Court) und CCR ord. 29 = sch. 2 CPR (für County Court). 155 Vgl. ausdrücklich r. 1A CCRord. 29 = sch. 2 CPR (für County Court). 156 Dies ist üblich, wenn eine Partei den Erlass einer Maßnahme des einstweiligen Rechtsschutzes begehrt. Der Antragsteller verpflichtet sich durch sog. cross undertaking in damages zu Gunsten des Antragsgegners, im Falle des Misserfolgs in der Hauptsache Schadensersatz zu leisten, vgl. Schlosser, RIW 2001, S. 81. 157 Vgl. Schlosser, RIW 2001, S. 81 (86). Dies wurde etwa angenommen, wenn eine Partei zur Verfahrensdurchführung Zugriff auf geheime Informationen der anderen Seite beantragt hatte. Da sich aus r. 31.22 CPR die Vertraulichkeit der erlangten Informationen ergibt, beinhaltet der Antrag auf Dokumentenherausgabe zugleich ein undertaking für den Fall der Nichteinhaltung der Vertraulichkeitspflicht, High Court Chancery Division, 14.03.1996 – Miller v. Scorey [1996] 1 W.L.R. 1122.
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Teil III: Die Wirkungen der Vollstreckbarkeit mitgliedstaatlicher Titel
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Grundvoraussetzung für das Vorliegen eines contempt of court ist, dass eine Leistungsfrist erfolglos verstrichen ist, die entweder bereits im Titel selbst enthalten war oder nachträglich durch das Vollstreckungsgericht bestimmt wurde.158 Gleichgültig ist, ob die Erfüllung bewusst (refusal) oder fahrlässig (negligence) unterblieben ist.159 Der Gläubiger kann dann die entsprechende contempt-Maßnahme beantragen. Zuständig ist grundsätzlich dasjenige Gericht, das die zu vollstreckende Entscheidung erlassen hat.160 In der sich anschließenden Verhandlung versuchen die Richter zunächst, den anwesenden Schuldner zur Erfüllung zu ermuntern. Erst danach können Sanktionen erlassen werden, soweit die Voraussetzungen eines contempt of court vorliegen.161 Diese müssen beyond reasonable doubt (vergleichbar der mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit) erfüllt sein, vgl. para. 1.4 PD zu ord. 52 RSC = sch. 1 CPR. Es gilt damit derselbe Beweismaßstab wie im Strafprozess, woran der strafrechtliche Charakter des contempt of court sichtbar wird.
1000
Zur Ahndung des contempt kann Zwangshaft angeordnet werden durch committal order gegen den Schuldner.162 Sie steht nur als ultima ratio zur Verfügung und darf höchstens zwei Jahre dauern.163 Ebenfalls ist eine fine möglich, die wie Geldleistungstitel vollstreckt wird. Wie in Deutschland fließt der Vollstreckungserlös der Staatskasse zu.164 Außerdem ist eine sequestration of assets möglich, wodurch der Schuldner die Verfügungsmacht über sein gesamtes Vermögen verliert.165 Der Gläubiger kann diese assets 158 Vgl. r. 5(1)(a), 6(2) ord. 45 RSC = sch. 1 CPR (für High Court) sowie r. 1(1) CCR ord. 29 = sch. 2 CPR (für County Court). Voraussetzung ist ferner, dass dem Schuldner zuvor eine Kopie der zu vollstreckenden Entscheidung persönlich zugestellt wurde, vgl. r. 7(2) ord. 45 RSC = sch. 1 CPR u. r. 1(2) CCR ord. 29 = sch. 2 CPR. Der zugestellten Entscheidung muss eine sog. penal notice beigefügt gewesen sein, die als Androhung für den Schuldner wirkt, r. 7(4) ord. 45 RSC = sch. 1 CPR. 159 R. 5(1)(a) ord. 45 RSC = sch. 1 CPR und r. 1(1) CCR ord. 29 = sch. 2 CPR. 160 Vgl. para. 1.1–1.3 PD zu ord. 52 RSC = sch. 1 CPR. 161 Zhao, Nicht-Geldvollstreckung, 2008, S. 133. 162 Wird die Vollstreckung durch einen County Court durchgeführt, richtet sich das Verfahren nach CCR ord. 29 = sch. 2 CPR. Bei der Vollstreckung durch den High Court läuft das Verfahren nach RSC ord. 52 = sch. 1 CPR ab. Ist der Schuldner keine natürliche Person, kann ein Mitglied der Geschäftsführung inhaftiert werden. 163 Zuckerman, Civil Procedure, 2. Aufl. 2006, Rn. 10.185, 22.97, sowie s. 14(1) Contempt of Court Act 1981. 164 Stürner, in: FS Nakamura, 1996, S. 599 (617); Remien, Zwangsgeld, 1992, § 5 II 1c (S. 113). 165 Vgl. r. 3(1)(c), 4(2)(c), 5(1)(b)(i)(ii) RSC ord. 45 = sch. 1 CPR; r. 5 RSC ord. 46 = sch. 1 CPR. Das Gericht hat eine inherent power für derartige Anordnungen, vgl. High Court Queen’s Bench Division, 12.11.1982 – Webster v. Southwark LBC [1983] Q.B. 698.
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allerdings nicht verwerten.166 Auch wenn in den CPR nur diese Sanktionen ausdrücklich genannt sind, ist es dem Gericht unbenommen, andere Mittel anzuordnen.167 In Betracht kommt etwa taking of security oder Schadensersatz sowie Verfahrensausschluss (debarment).168 Bei der Anordnung dieser Maßnahmen hat das Gericht einen weiten Er- 1001 messensspielraum, der ihm die Berücksichtigung der Einzelfallumstände erlaubt. Relevant ist etwa, ob die Nichterfüllung als besondere Respektlosigkeit des Schuldners gegenüber dem Gericht zu werten ist169 bzw. ob dieser bereits durch andere Maßnahmen ausreichend bestraft ist.170 Ferner kann dem Umstand Rechnung getragen werden, ob die Pflicht vorsätzlich oder fahrlässig verletzt wurde.171 Wurden Sanktionen angeordnet, können diese auf Antrag des Schuldners vom Gericht auch vorzeitig wieder aufgehoben werden, wenn der Schuldner den contempt of court zwischenzeitlich bereinigt hat, etwa indem er seiner Handlungspflicht nachgekommen ist.172 III. Die Herausgabevollstreckung Ansprüche auf Herausgabe beweglicher und unbeweglicher Sachen kön- 1002 nen mit direkt wirkenden Mitteln der Realexekution effektiv durchgesetzt werden, sind daher auch nicht in jeder Rechtsordnung Mechanismen zur Willensbeugung zugänglich. In Deutschland nimmt der Gerichtsvollzieher dem Schuldner – gegebenenfalls unter Anwendung von Gewalt (§ 758 II, III ZPO) – die geschuldete Sache weg und übergibt sie dem Gläubiger, vgl. 166
Zhao, Nicht-Geldvollstreckung, 2008, S. 136. Bunge, ZV England, 2. Aufl. 2005, S. 222. 168 So etwa Court of Appeal (Civil Division), 21.07.2004 – Raja v. Van Hoogstraten [2004] EWCA Civ. 968, wo Rechtsmittel versperrt wurden. Nach EuGH, 02.04.2009 – Rs. C-394/07, Marco Gambazzi ./. DaimlerChrysler Canada Inc., CIBC Mellon Trust Comany, NJW 2009, S. 1938 können aber Entscheidungen, die ohne Beteiligung des ausgeschlossenen Schuldners zustande gekommen sind, gegen den ordre public des Anerkennungsstaates verstoßen, wenn die Ausschlussmaßnahme den Anspruch auf rechtliches Gehör offensichtlich und unverhältnismäßig beeinträchtigt. 169 High Court Chancery Division, 23.11.1990 – Bhimji v. Chatwani (No. 1) [1991] 1 W.L.R.: Hierbei spielt es etwa eine Rolle, ob sich der Verpflichtete trotz Nichtbefolgung kooperativ verhalten hat. 170 Court of Appeal (Civil Division), 28.07.1972 – In re Barrell Enterprises [1973] 1 W.L.R. 19. Vgl. auch r. 8 RSC ord. 52 = sch. 1 CPR. 171 Andrews, English Civil Procedure, 2003, Rn. 39.66. Bloß zufällige oder ungewollte Verstöße können die Anordnung von committal oder sequestration nicht rechtfertigen, vgl. Zhao, Nicht-Geldvollstreckung, 2008, S. 133. 172 High Court Family Division, 27.04.2000 – Harris v. Harris, 2001 WL 535715 zur vorzeitigen Aufhebung von Zwangshaft. 167
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§§ 883 I, 884 ZPO. Wird sie beim Schuldner nicht vorgefunden, hat dieser auf Antrag des Gläubigers eine eidesstattliche Versicherung abzugeben, dass er die Sachen nicht besitze und auch nicht wisse, wo sie sich befinden, vgl. § 883 II ZPO. Diese Möglichkeit besteht nicht, wenn vertretbare Sachen geschuldet sind (Gattungsschuld), § 884 ZPO. Bei Unauffindbarkeit bleibt dem Gläubiger hier nur die Möglichkeit, erneut auf Leistung des Interesses zu klagen (§ 893 ZPO). Ob ein solcher Anspruch besteht, richtet sich nach dem materiellen Recht. Wird Herausgabe, Überlassung oder Räumung einer unbeweglichen Sachen geschuldet, setzt der Gerichtsvollzieher den Schuldner aus dem Besitz und weist den Gläubiger in den Besitz ein, § 885 I ZPO. Im Zugriffsobjekt vorhandene bewegliche Sachen, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, werden gem. § 885 II ZPO dem Schuldner übergeben.173 1003
Ebenso wird in Frankreich der Herausgabeanspruch im Wege der Wegnahme durch den huissier vollzogen, sog. saisie-appréhension, Art. 56 al.1 L. 1991. Acht Tage zuvor muss dem Schuldner eine Herausgabeanweisung (commandement de délivrer) zugehen. Wenn sich die Sache im Gewahrsam eines Dritten befindet, kann die Wegnahme bei diesem vom juge de l’exécution gestattet werden, Art. 56 al.2 L. 1991. Auch zur Räumungsvollstreckung (mesure d’expulsion) wird dem Schuldner zunächst ein commandement zugestellt (Art. 61 L. 1991). Handelt es sich um Wohnraum des Schuldners, hat er grundsätzlich eine zweimonatige Frist zur freiwilligen Räumung, Art. 62 al.1 L. 1991.
1004
Da in England specific performance nur unter Vorbehalt gewährt wird, sind auch Herausgabetitel selten.174 Zumindest s. 3(2)(a) Torts (Interference with Goods) Act 1979 ermöglicht, bei Beeinträchtigung von Sachen deren Herausgabe anzuordnen. Dies erfolgt in der Regel dann, wenn die Sache einen besonderen Wert hat oder ihr Entzug nicht durch Geldzahlungen kompensiert werden kann.175 Zur Durchsetzung im Zuständigkeitsbereich des High Court erlässt die Geschäftsstelle einen sog. writ of delivery (r. 4 RSC ord. 45 = sch. 1 CPR). Verpflichtet der Titel zur Herausgabe der Sache (specific delivery), kann ein writ of specific delivery erlassen werden, r. 4(1) RSC ord. 45 = sch. 1 CPR. Alternativ kann der Gläubiger einen einfachen writ of delivery beantragen, der dem Schuldner nachträglich die Wahl einräumt, Wertersatz (assessed value) zu zahlen. Der Naturalerfüllungsanspruch 173 Die Vollstreckung erstreckt sich allerdings auch auf das Zubehör i. S. v. §§ 97 f. BGB, selbst wenn es im Titel nicht gesondert erwähnt ist (§ 180 Nr. 3 GVGA). 174 s. bereits oben Rn. 978. 175 High Court Chancery Division, 17.03.1980 – Howard E Perry & Co Ltd v. British Railways [1980] 1 W.L.R. 1375.
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wird also nachträglich in eine Wahlschuld umgewandelt. Lautete der Titel hingegen von vornherein auf eine Wahlschuld, kann ein writ of specific delivery nur aufgrund gerichtlichen Beschlusses erteilt werden.176 Aufgrund des writ of specific delivery bewirkt das Vollstreckungsorgan 1005 die Übergabe der Sache an den Gläubiger.177 Der allgemeine writ of delivery erlaubt dem Vollstreckungsorgan sowohl die geschuldete Sache wegzunehmen als auch andere Sachen des Schuldners in Höhe des Sachwertes der eigentlich geschuldeten Sache zu pfänden.178 Im zweiten Fall setzt sich die Vollstreckung wie bei einer Geldleistungsvollstreckung fort. Darüber hinaus kann auch Zwangshaft (order of committal) oder Sequestrierung (wirt of sequestration) nach den contempt of court-Regeln angeordnet werden, r. 4(1)(b) RSC ord. 45 = sch. 1 CPR. Dies setzt voraus, dass eine Herausgabefrist bestimmt wurde und erfolglos verstrichen ist. Im Zuständigkeitsbereich des High Court werden Räumungstitel 1006 (judgment for possession of land) aufgrund eines nach Genehmigung durch das Gericht (permission) erlassenen writ of possession vollstreckt, r. 3(1) RSC ord. 45 = sch. 1 CPR. Dazu ergreift der High Court Enforcement Officer vom betreffenden Grundstück Besitz und überlässt es dem Vollstreckungsgläubiger. Die vorherige gerichtliche permission ist entbehrlich bei Titeln aus einer mortgage action. Außerdem ist auch die Vollstreckung in unbewegliche Sachen durch order of committal oder writ of sequestration möglich, wenn eine bestimmte Herausgabefrist festgelegt wurde und der Schuldner nach Ablauf dieser Frist die Herausgabe verweigert hat. Bei der Vollstreckung von Herausgabe- und Räumungstiteln durch einen 1007 County Court sind warrant of delivery bzw. warrant of possession die erforderlichen Vollstreckungs-genehmigungen.179 Das Verfahren weist keine grundsätzlichen Unterschiede zur High Court-Vollstreckung auf. IV. Die Durchsetzung von Ansprüchen auf Abgabe einer Willenserklärung Ansprüche auf Abgabe von Willenserklärungen können mit drei Metho- 1008 den durchgesetzt werden: Entweder wird mit einer Fiktion gearbeitet, nach der die geschuldete Erklärung als abgegeben gilt. Oder sie wird von einer vom Gericht beauftragten Person für den Schuldner abgegeben. Schließlich 176 Vgl. r. 4(2)(b) RSC ord. 45 = sch. 1 CPR. Die Entscheidung liegt im gerichtlichen Ermessen, vgl. Bunge, ZV England, 2. Aufl. 2005, S. 214. 177 Treibmann, Vollstreckung in Europa, 1994, S. 59. 178 Plant/Rose/Sime u. a., Civil Practice, 5. Aufl. 2004, Rn. 76.28. 179 Vgl. r. 16 und 17 CCR ord. 26 = sch. 2 CPR.
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kommt auch die Erzwingung mittels Beugemittel in Betracht. Da Ansprüche auf Abgabe einer Willenserklärung keine gesetzestechnische Notwendigkeit sind – die Rechtsänderung kann auch unmittelbar an den Verpflichtungstatbestand anknüpfen –, hat deren Vollstreckung nicht überall große Bedeutung. 1009
Deutschland hat mit § 894 ZPO den Weg der Fiktion gewählt: Mit Eintritt der Rechtskraft gilt die geschuldete Willenserklärung als abgegeben. Dies ist nur bei Willenserklärungen und rechtsgeschäftsähnlichen Erklärungen (Mahnungen, Fristsetzungen, etc.) der Fall, nicht hingegen bei Erklärungen rein tatsächlicher Art, wie dem Widerruf von Behauptungen, der über § 888 ZPO zu erzwingen ist.180 Fingiert wird nur die Abgabe der Erklärung durch den Schuldner, nicht die sonstigen zur Vollendung des Rechtsgeschäfts erforderlichen Voraussetzungen (Zugang, Genehmigung, etc.).181
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Der Rechtslage in Deutschland entspricht die Regel in den Vollstreckungsrechten Österreichs (§ 367 EO) und Griechenlands (Art. 949 griech. ZPO).182 Auch im niederländischen Recht können Willenserklärungen durch Fiktion ersetzt werden, wenn der Richter dies im Urteil ausdrücklich anordnet, Art. 3:300 I S. 1 N.B.W. Alternativ benennt das Gericht einen Vertreter, der die geschuldete Erklärung im Namen des Schuldners abgibt, Art. 3:300 I S. 2 N.B.W. Auch die französische Rechtsprechung hat die Möglichkeit der Fiktion entwickelt: Die geschuldete Willenserklärung kann durch Urteil selbst ersetzt werden.183 Gleichwohl hat dies in Frankreich wenig Bedeutung, da sich nach dem im dortigen Recht gültigen Konsensualprinzip unmittelbar mit Wirksamkeit des Schuldvertrags die dingliche Rechtslage ändert. Italien kennt die Fiktion für die Durchsetzung von Kontrahierungszwang: Aus einem Vorvertrag, der zum Abschluss eines endgül180
Rosenberg/Gaul/Schilken, ZwVollstrR, 11. Aufl. 1997, § 72 I 1 (S. 980). Rosenberg/Gaul/Schilken, ZwVollstrR, 11. Aufl. 1997, § 72 II 2 (S. 983). 182 Vgl. Art. 949 griech. ZPO: „Ist jemand zur Abgabe einer Willenserklärung verurteilt worden, wird angenommen, dass diese zu dem Zeitpunkt abgegeben wurde, in dem die Gerichtsentscheidung nicht mehr mit Rechtsmitteln angegriffen werden kann. Wenn die Verurteilung zu einer Willenserklärung von einer Gegenleistung abhängig gemacht wurde, wird angenommen, dass sie zu dem Zeitpunkt abgegeben wurde, in dem die Gegenleistung erbracht wurde oder der Schuldner der Gegenleistung in Verzug gelangt ist.“ Auch Art. 342 des Entwurfs für eine schweizerische Bundes-Zivilprozessordnung sieht vor, dass die Willenserklärung durch die vollstreckbare Entscheidung ersetzt wird, vgl. Schlosser, in: FS Leipold, 2009, S. 435 (436). 183 Carbonnier, Droit Civil IV, 2000, No. 372, S. 650; Cour de cassation, 3e civ., 19.02.1970 – Kadouch c/ Pfeifle et autres, Gaz. Pal. 1970, 1, jur., S. 282; Stürner, in: FS Nakamura, 1996, S. 599 (609); Kerameus, Enforcement Proceedings, Int. Encycl. Comp. Law, Vol. XVI, Ch. 10, 2002, S. 94 Fn. 1288. 181
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tigen Vertrags verpflichtet, kann der Gläubiger klagen und ein Urteil erstreiten, welches den geschuldeten Vertrag begründet, Art. 2932 I c.c.184 In England können Entscheidungen „directing a person to execute any 1011 conveyance, contract or other document, or to indorse any negotiable instrument“ dadurch vollstreckt werden, dass ein Gerichtsbeauftragter oder der Richter selbst mit Wirkung für den Schuldner die geschuldete Handlung vornimmt, vgl. s. 39 Supreme Court Act 1981. Diese Ersatzvornahme kommt wegen des fehlenden Abstraktionsprinzips selten vor.185 Es kommt auch eine Vollstreckung im Wege des contempt of court-Verfahrens in Betracht.186 V. Rechtsvergleichende Zusammenfassung Die vorangegangenen Ausführungen zeigten, dass für ein und denselben 1012 Leistungsbefehl in den verschiedenen Rechtsordnungen durchaus unterschiedliche Vollstreckungsmodalitäten gelten können. Betreffend die auf unvertretbare Handlungen gerichteten Ansprüche bestehen schon dahingehend Unterschiede, ob sie überhaupt in natura durchgesetzt werden können [1.]. Ferner halten die nationalen Rechtsordnungen für ein und denselben Anspruchsinhalt durchaus unterschiedliche Vollstreckungsarten bereit [2.]. Unterschiede gibt es auch in der Ausgestaltung der einzelnen Vollstreckungsmittel [3.]. Im Hinblick auf die später zu behandelnde Frage nach Art und Weise der Vollstreckung ausländischer Titel sind die Gründe für die Abweichungen der Vollstreckungsmodalitäten in den einzelnen Ländern zu betrachten [4.].
184 Art. 2932 I c.c.: „Se colui che è obbligato a concludere un contratto non adempie l’obbligazione, l’altra parte, qualora sia possibile e non sia escluso dal titolo, può ottenere una sentenza che produca gli effetti del contratto non concluso.“ (Übersetzung nach Bauer/Eccher/König u. a., Codice Civile, 2. Aufl. 1992: „Wenn derjenige, der einen Vertrag abzuschließen verpflichtet ist, diese Verpflichtung nicht erfüllt, kann die andere Partei, sofern dies möglich und im Titel nicht ausgeschlossen ist, ein Urteil erlangen, das die Wirkungen des nicht abgeschlossenen Vertrages erzeugt.“); Grundmann/Zaccaria, Ital. Recht, 2007, S. 369. 185 Baur/Stürner, ZwVollstrR, 12. Aufl. 1995, Rn. 59.52; Stürner, in: FS Nakamura, 1996, S. 599 (617). 186 Grau, Vollstreckung von Willenserklärungen, 2001, S. 33. Allgemein gilt der Grundsatz, dass jeder Vollstreckungsgläubiger von allen zur Verfügung stehenden Vollstreckungsmitteln Gebrauch machen kann, r. 70.2(2)(a) CPR.
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Teil III: Die Wirkungen der Vollstreckbarkeit mitgliedstaatlicher Titel
1. Unterschiedliche Reichweite des Naturalerfüllungszwangs bei Ansprüchen auf Vornahme unvertretbarer Handlungen 1013
Die Bereitschaft, Ansprüche auf Vornahme unvertretbarer Handlungen in natura durchzusetzen, ist in den verglichenen Rechtsordnungen unterschiedlich groß. In manchen Ländern greifen bereits im Erkenntnisverfahren Vorbehalte und verhindern schon die Titulierung derartiger Ansprüche. So kann insbesondere im englischen Recht nur ausnahmsweise auf specific performance erkannt werden.187 Auch in Frankreich kann die Titulierung von Ansprüchen auf Vornahme von Handlungen daran scheitern, dass die Handlungen im persönlichen Bereich liegen.188
1014
Demgegenüber ist man im deutschen Recht großzügiger, was die Klagbarkeit derartiger Ansprüche betrifft. Dafür wird erst durch Vollstreckungshindernisse auf Ebene der Beitreibeordnung der Freiheitssphäre des Schuldners Rechnung getragen: § 888 III ZPO schließt die Vollstreckung von unvertretbaren Diensten, Geschäftsbesorgungen und Aufträgen aus, sperrt ferner eine das allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzende Anspruchsdurchsetzung, § 120 III FamFG erklärt Verpflichtungen zur Eingehung der Ehe und zur Herstellung des ehelichen Lebens für unvollstreckbar.189
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Am restriktivsten gegenüber einer Vollstreckung von auf Handlungen gerichteten Ansprüchen ist herkömmlicherweise das italienische Recht. Hier gab es noch bis vor kurzem überhaupt kein Zwangsmittel, mit dem er Schuldner zu einem Verhalten hätte angehalten werden können.190 Stattdessen war hier lediglich ein monetärer Ersatz für die Nichterfüllung möglich. 2. Unterschiedliche Vollstreckungsobjekte für die Durchsetzung desselben Anspruchsinhaltes
1016
Teilweise sehen die nationalen Vollstreckungsrechte zur Durchsetzung ein und desselben Leistungsbefehls unterschiedliche Mechanismen vor. In zusammenfassender Betrachtung lassen sich die Zwangsmittel in zwei Gruppen einteilen: Die direkten sind unmittelbar auf Herstellung des geschuldeten Zustands gerichtet und beabsichtigen keine Willensbeugung. Hierzu gehören alle ausschließlich gegen Vermögenswerte gerichteten Zwangsmittel, weswegen man auch von Realvollstreckung sprechen kann. Sie kommen daher vor allem bei Zahlungsforderungen vor. In die zweite Gruppe fallen demgegenüber die indirekten Zwangsmittel, die gegen die Person des 187 188 189 190
s. s. s. s.
Rn. Rn. Rn. Rn.
978. 980. 988. 981 f.
§ 11 Methoden der Zwangsanwendung bei ausländischen Entscheidungen
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Schuldners gerichtet sind und dessen Willen beugen sollen. Insofern kann man auch von Personalvollstreckung sprechen. Auf sie kommt es insbesondere an, wenn ein geschuldetes Verhalten erzwungen werden soll. Der Auswahlmodus zwischen indirekten und direkten Zwangsmitteln ist 1017 unterschiedlich: Während in Deutschland das Prinzip der Subsidiarität der Personal- gegenüber der Realvollstreckung gilt und letztere grundsätzlich nur für Ansprüche auf Vornahme von unvertretbaren Handlungen und Unterlassungen anwendbar ist191, greift man in England und Frankreich wesentlich leichter zur Anwendung von Zwang gegen die Person des Schuldners: Sowohl astreinte als auch die Sanktionen des contempt of court sind grundsätzlich für jede Art von Verbindlichkeit, mithin auch bei reinen Geldleistungsansprüchen einsetzbar.192 Allerdings werden in England Naturalerfüllungspflichten klassischerweise ohnehin nur unter Vorbehalt angeordnet. In England und Griechenland können sogar Geldzahlungspflichten in bestimmten Fällen noch durch Schuldhaft durchgesetzt werden.193 Im internationalen Vergleich lässt sich insgesamt ein Trend hin zur Personalvollstreckung durch Zwangsgelder beobachten.194 Die Schuldhaft ist demgegenüber im Verschwinden. In manchen Rechtsordnungen sind bestimmte Zwangsarten schlichtweg 1018 nicht bekannt: Während etwa in Deutschland und England eine Inhaftierung des Schuldners grundsätzlich möglich ist, ist dies in Frankreich zur Durchsetzung privatrechtlicher Ansprüche völlig ausgeschlossen.195 3. Unterschiedliche Ausgestaltung der Zwangsmittel Vor allem bei den indirekten Zwangsmitteln lassen sich zwischen den 1019 einzelnen Rechtsordnungen Unterschiede in der Ausgestaltung feststellen. Auffällig sind schon die abweichenden dogmatischen Einordnungen: Während in England die contempt of court-Vollstreckung Strafcharakter hat, tritt in Deutschland und Frankreich der strafrechtliche Aspekt eher in den Hintergrund.196 Unterschiede bestehen aber auch in der Intensität der Zwangs191
s. Rn. 977. s. zur astreinte Rn. 992 (universelles Zangsmittel), 973 (auch für Geldforderungen), 985 (auch für geschuldete vertretbare Handlungen); s. zu den Mitteln des contempt of court Rn. 998 (universelles Zwangsmittel), 984 (für vertretbare Handlungen), 1005 f. (für Herausgabevollstreckung). 193 s. Rn. 969 (Griechenland), 970 (England). 194 So Kerameus, Enforcement Proceedings, Int. Encycl. Comp. Law, Vol. XVI, Ch. 10, 2002, Rn. 139; Stürner, in: FS Nakamura, 1996, S. 599 (611). 195 s. Rn. 987, 989 (Deutschland), 997 (Engand), 991 (Frankreich). 196 s. Rn. 990 (Deutschland), 997 (England), 991 (Frankreich). 192
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mittel: Die astreinte französischer Prägung erweist sich als wesentlich schneidiger als das deutsche Zwangsgeld oder die englischen contempt of court fines. Die astreinte kann in der Form verhängt werden, dass der zu zahlende Betrag umso mehr ansteigt, je länger der Schuldner seiner Verpflichtung nicht nachkommt.197 Auch in der Frage, wem das beigetriebene Beugegeld zugute kommt, stehen sich in Europa zwei Grundmodelle gegenüber: Während die astreinte dem Gläubiger zufließt, erfolgt die Durchsetzung von deutschem Zwangs- bzw. Ordnungsgeld oder einer englischen contempt of court fine zum Vorteil des Fiskus.198 4. Sachliche Gründe für die Geltung abweichender Modalitäten der Zwangsausübung in den einzelnen Rechtsordnungen 1020
Dass in den einzelnen Ländern unterschiedliche Modalitäten für die Zwangsausübung gelten, ist in aller Regel auf abweichende Vorstellungen hinsichtlich Inhalt und Bedeutung der Grundrechte zurückzuführen. Der Freiheitssphäre des Schuldners wird unterschiedliches Gewicht beigemessen, der Ausgleich mit dem Gläubigerinteresse an effizienter Vollstreckung in differierender Weise erzielt. Das materielle Recht ist demgegenüber in den wenigsten Fällen der Grund für eine abweichende Ausgestaltung des Vollstreckungsverfahrens, zumal die Regelungen des letzteren nicht nach dem jeweiligen Anspruchsgrund unterscheiden, sondern universell gelten. Im internationalen Vergleich kommt es nur sehr selten vor, dass je nach Anspruchsart andere Vollstreckungsmechanismen anwendbar sind.199 Die Regelung im englischen Recht, wonach die Schuldhaft nur noch für ganz bestimmte Ansprüche möglich ist, dürfte insofern eines der wenigen Beispiele sein.200
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Auch Unterschiede in der Frage, wem beigetriebene Zwangsgelder zugute kommen, lassen sich nur auf grundsätzlich abweichende Auffassungen zur Rolle und Funktion der Zwangsvollstreckung zurückführen, und nicht auf eine im materiellen Recht wurzelnde Differenzierung: Soweit das Geld – wie in Frankreich – dem Gläubiger zufließt, überwiegt ein privatrechtliches Verständnis der Vollstreckung, soweit dagegen – wie in England und Deutschland – der Staat Begünstigter ist, wird eine eher öffentlichrechtliche Einordnung deutlich.201 Zwar erscheint die astreinte aus deutscher Sicht 197
s. Rn. 993–995. s. Rn. 987, 989 (Deutschland), 1000 (England), 991 (Frankreich). 199 Kerameus, Enforcement Proceedings, Int. Encycl. Comp. Law, Vol. XVI, Ch. 10, 2002, Rn. 6. 200 s. Rn. 970. 201 Kerameus, in: FS von Mehren, 2002, S. 107 (118). 198
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systemfremd, weil der Gläubiger in den Genuss zusätzlicher Vermögensvorteile kommt, sie daher scheinbar über die reine Anspruchsdurchsetzung hinausgeht.202 Materiellrechtliche Erwägungen spielen hierfür allerdings keine Rolle. Hinzu kommt, dass das Vollstreckungsverfahren in einem engen Zusammenhang mit der institutionellen Vollstreckungsorganisation steht.203 Daher sind Verfahrensabweichungen etwa auf Unterschiede in der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Vollstreckungsorganen zurückzuführen. Auch wirkt sich deren Qualifikation auf den Vollstreckungsprozess aus.204 Es zeigt sich damit, dass in der Phase der Vollstreckung recht stark gilt, 1022 was in der Theorie den Unterschied zwischen materiellem und Verfahrensrecht ausmacht: Das Vollstreckungsverfahren ist weitgehend frei von materiellrechtlichen Einschlüssen und daher grundsätzlich auch universell austauschbar. Dies steht im Einklang mit dem eigentlichen Zweck der Vollstreckung, die nur noch auf Durchsetzung dessen gerichtet ist, was sich im Erkenntnisverfahren aus der Anwendung des materiellen Rechts ergeben hat.
B. Die im Zweitland geltenden Vollstreckungshindernisse und -schranken bei Durchsetzung ausländischer Titel Da die Vollstreckungshindernisse in den nationalen Vollstreckungsordnun- 1023 gen unterschiedlich ausgestaltet sind, stellt sich die Frage ihrer grenzüberschreitenden Koordinierung. Zwar handelt es sich hierbei um Aspekte des Vollstreckungsverfahrens. Dennoch wäre möglich, im Zweitland die diesbezüglichen Regelungen des Ursprungslandes zu berücksichtigen. Dies ist etwa denkbar, wenn die Vollstreckungsordnung des Ursprungslandes den konkreten Titelinhalt nicht durchsetzen würde, weil hier ein Vollstreckungshindernis greift, die zweitländische Vollstreckungsordnung ein solches Hindernis hingegen nicht kennt. Beispielsweise wäre fraglich, ob eine deutsche Verurteilung zur Herstellung des ehelichen Lebens im Zweitland vollstreckt werden kann, obwohl in Deutschland eine zwangsweise Durchsetzung ausgeschlossen wäre, vgl. § 120 III FamFG. Darüber hinaus ist auch an allgemeine Vollstreckungshindernisse zu denken, wie etwa das der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, vgl. § 89 InsO. Zur vorliegenden Problematik sind 202
Bruns, ZZP 118 (2005), S. 3 (20). Hess, in: Andenas/Hess/Oberhammer (Hrsg.), Enforcement Agency, 2005, S. 31, 38–42. Insbesondere der deutsche Gerichtsvollzieher und der französische huissier de justice unterscheiden sich insofern grundlegend. 204 Vgl. Hess, in: Andenas/Hess/Oberhammer (Hrsg.), Enforcement Agency, 2005, S. 37 f. 203
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im Folgenden die in § 8 entwickelten Prämissen zu den Wirkungen der Vollstreckbarerklärung auszuwerten.205 I. Folgerungen aus Prämisse 1 (Keine Veränderung des Leistungsbefehls) 1024
Es könnte sich insbesondere um eine nach Prämisse 1 unzulässige Erweiterung des Leistungsbefehls handeln, wenn der Beitreibung desselben Anspruchs im Ursprungsland Hindernisse entgegenstünden, im Zweitland hingegen nicht.
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In der Auslegung des EuGH setzt Art. 38 I EuGVVO jedenfalls nicht voraus, dass der Titel im Ursprungsland konkret durchgesetzt werden könnte; ausreichend ist vielmehr schon Vollstreckbarkeit in „formeller Hinsicht“, damit im Zweitland ein Exequatur erteilt werden kann.206 Beschränkungen und Hindernisse nach dem Recht des Urteilsstaates sind demnach im Vollstreckungsstaat unbeachtlich; es komme vielmehr allein darauf an, ob am Ende des Erkenntnisverfahrens überhaupt ein Leistungsbefehl steht.207 Dies führt unter Umständen zu der Situation, dass die Entscheidung in ihrem Ursprungsland nicht durchgesetzt werden kann, weil dort etwa über das Schuldnervermögen ein Konkursverfahren eröffnet wurde, während sie im Zweitstaat einer Vollstreckung zugänglich ist.208 „Hinkende Durchsetzbarkeit“ kann also unter der EuGVVO durchaus auftreten.
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Diese großzügige Definition des Begriffs der Vollstreckbarkeit i. S. v. Art. 38 I EuGVVO rechtfertigt sich damit, dass es andernfalls zu einer Kumulation von Zwangsvollstreckungshindernissen aus dem erst- und aus dem zweitstaatlichen Recht käme, was allgemein die Vollstreckung im Ausland wesentlich schwerer machen könnte als im Inland.209 Außerdem würde das auf Schnelligkeit und Einfachheit konzipierte Exequaturverfahren überlastet, wenn darin gleichzeitig erststaatliche Vollstreckungshindernisse zu prüfen wären.210 Obendrein gebietet die Gleichbehandlung in- und ausländischer 205
s. zu diesen Prämissen Rn. 665–695. EuGH, 29.04.1999 – Rs. C-267/97, Coursier ./. Fortis Bank SA u. Bellami, Slg. I-1999, 2543, Rn. 29; ebenso Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. I/Mankowski, 2011, Art. 38 EuGVVO Rn. 11 u. Mankowski, ZZP Int. 4 (1999), S. 276 (282), der von „abstrakter Vollstreckbarkeit“ spricht; Treibmann, Vollstreckung in Europa, 1994, S. 146 f. 207 Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. I/Mankowski, 2011, Art. 38 EuGVVO Rn. 11. 208 So die Fallkonstellation in EuGH, 29.04.1999 – Rs. C-267/97, Coursier ./. Fortis Bank SA u. Bellami, Slg. I-1999, 2543. 209 Mankowski, ZZP Int. 4 (1999), S. 276 (281 f.). 210 EuGH, 29.04.1999 – Rs. C-267/97, Coursier ./. Fortis Bank SA u. Bellami, Slg. I-1999, 2543, Rn. 25–29. 206
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Titel (Prämisse 3) die Zuordnung der Vollstreckungshindernisse an die jeweilige lex fori executionis. Gegebenenfalls werden hierdurch auch Anreize für forum shopping beseitigt, denn bei mehreren internationalen Gerichtsständen könnte der Gläubiger gezielt dort klagen, wo die schwächsten Vollstreckungshindernisse vorgesehen sind. „Hinkende Durchsetzbarkeit“ ist letztlich unvermeidlich, solange das Vollstreckungsrecht in der EU nicht vereinheitlicht ist. Zu ihr kann es auch in der umgekehrten Konstellation kommen, dass im Zweitstaat Vollstreckungshindernisse greifen, im Ursprungsstaat hingegen nicht.211 Die ganze Konsequenz dieser Auslegung von Art. 38 I EuGVVO durch 1027 den EuGH wurde in dem bemerkenswerten Fall Apostolides ./. Orams deutlich, den der Gerichtshof im April 2009 entschieden hat.212 Das oberste EU-Gericht bestätigte darin die englische Vollstreckbarerklärung einer Entscheidung, die von einem Gericht im türkisch besetzen Nordteil Zyperns gegen einen englischen Schuldner ergangen war. Dieser hatte gegen die Vollstreckbarerklärung eingewandt, dass eine Beitreibung des Urteils auf nordzypriotischem Gebiet nicht möglich ist, weil dort die Republik Zypern tatsächlich keine Hoheitsmacht ausübt.213 Diesen Einwand wies der EuGH zurück: Für die Vollstreckbarkeit i. S. v. Art. 38 I EuGVVO komme es allein darauf an, dass die Bescheinigung i. S. v. Art. 54 EuGVVO vorliegt, auch wenn der Kläger mit der Vollstreckung im Nordteil der Insel auf Schwierigkeiten stößt.214 211 Im Ergebnis ebenso Mansel, IPRax 1995, S. 362 (364), der zwar davon ausgeht, dass sich ein Staat nicht durch Einführung beliebiger Vollstreckungshindernisse seiner Vollstreckungspflicht entziehen dürfe, gleichzeitig aber bei den typischen Vollstreckungshindernissen aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes davon ausgeht, der zweitstaatliche ordre public sei betroffen. A. A. Fritzsche, ZZP Int. 7 (2002), S. 250 (259), wonach zweitstaatliche Vollstreckungshindernisse in der EuGVVO nicht anwendbar seien. Dies ist aber nicht haltbar: Würde man nicht nur die Vollstreckungshindernisse des Ursprungs-, sondern auch die des Zweitstaates außer Acht lassen, wäre letztlich der Titel völlig befreit von Vollstreckungshindernissen. Dies scheint Fritzsche, ZZP Int. 7 (2002), S. 250 aber zu wollen, der einerseits die zweitstaatlichen Vollstreckungshindernisse von der EuGVVO für verdrängt hält (a. a. O., 259), andererseits auch die Vollstreckungshindernisse des Urteilslandes nicht berücksichtigt wissen will (a. a. O., 262). 212 EuGH, 28.04.2009 – Rs. C-420/07, Apostolides ./. Orams, Slg. I-2009, 3571. 213 Nach EU-Recht ist Nordzypern sog. besonderes EU-Gebiet, auf dem das EURecht zurzeit nicht durchgesetzt werden kann. Dies ergibt sich aus Art. 1 I des Protokolls Nr. 10 über Zypern zur Akte betreffend den Beitritt der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Rebublik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik zur Europäischen Union (abgedruckt in ABl. EU 2003 Nr. L-236, S. 955). 214 EuGH, 28.04.2009 – Rs. C-420/07, Apostolides ./. Orams, Slg. I-2009, 3571, Rn. 68, 70.
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Dementsprechend sind also die Vollstreckungshindernisse nicht Teil des Leistungsbefehls. Somit verlangt Prämisse 1 nicht, dass man sie im Vollstreckungsland dem Recht des Ursprungslandes entnimmt. II. Folgerungen aus Prämisse 2 (Intensivierungen allein aufgrund Abweichungen der Vollstreckungsregelungen akzeptabel)
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Prämisse 2 könnte aber einer rein territorialen Handhabung der Vollstreckungshindernisse entgegenstehen. Denn die Funktionsäquivalenz diesbezüglicher Vorgaben im Ursprungs- und im Vollstreckungsstaat erscheint fraglich, wenn im Erstland faktisch keinerlei Zwangsanwendung möglich wäre, im Zweitland dennoch die Vollstreckung zugelassen würde. Auf den ersten Blick handelt es sich hierbei um eine durch Prämisse 2 ausgeschlossene Konstellation, in der Unvollstreckbares plötzlich vollstreckbar wird.
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Eine derartige Verstärkung der Titelwirkungen ist nach Prämisse 2 aber dann akzeptabel, wenn sie allein auf eine unterschiedliche Ausgestaltung von funktional entsprechenden Regelungen der verschiedenen Rechtsordnungen zurückzuführen ist. Dies ist bei abweichenden Vollstreckungshindernissen der Fall, denn hierbei steckt jede Rechtsordnung für sich und auf seine Weise die Grenzen der Zwangsanwendung ab. Man kann auch nicht davon sprechen, dass gänzlich Unvollstreckbares plötzlich vollstreckbar würde. Vielmehr wurde der betreffende Anspruch ja im Ursprungsstaat tituliert, woraus man folgern kann, dass die dortige Rechtsordnung den Anspruch grundsätzlich für durchsetzbar hält. Lediglich gegenüber einer Erzwingung mittels Gewalt hat sie Vorbehalte. Wenn ein anderer Staat bereit ist, den Anspruch durch Gewalt durchzusetzen, ist dies dem Recht des Ursprungsstaates anscheinend gleichgültig. Andernfalls hätte er einen Vollstreckungstitel gar nicht erst in die Welt zu setzen brauchen. Nicht erst seit Geltung der EuGVVO muss sich jeder Staat darüber im Klaren sein, dass ein Anspruch, den er im Inland tituliert, im Ausland potentiell auch vollstreckt werden kann. Will der Ursprungsstaat gänzlich verhindern, dass der Anspruch zwangsweise durchgesetzt werden kann, hätte er schon seine Klagbarkeit ausschließen können.
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Auch Prämisse 2 schließt damit nicht aus, dass die maßgeblichen Vollstreckungshindernisse vom Recht des jeweiligen Vollstreckungslandes vorgegeben werden, und nicht nach dem des Ursprungslandes beurteilt werden.
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III. Folgerungen aus Prämisse 3 (Keine Ungleichbehandlung aus- und inländischer Titel) Nach Prämisse 3 sind die im Zweitstaat gültigen Vollstreckungshinder- 1032 nisse gleichermaßen für in- und ausländische Titel anwendbar. Die gegenteilige Auffassung, nach der Vollstreckungshindernisse des Zweitstaates bei der Durchsetzung ausländischer (nach der EuGVVO) exequierter Titel ausgeblendet bleiben müssen215, kann aus mehreren Gründen nicht überzeugen: Zum einen verlangt die EuGVVO vom Vollstreckungsstaat lediglich, die 1033 ausländischen Titel genauso effektiv durchzusetzen wie im Inland ergangene Entscheidungen.216 Ein europarechtliches Erfordernis einer privilegierten Behandlung ausländischer Titel im Zweitland konnte gerade nicht nachgewiesen werden.217 Somit gibt es auch keinen Grund, ausländische Titel im Zweitstaat vor den örtlichen Vollstreckungshindernissen zu verschonen. Zum anderen entstünden auch merkwürdige Ergebnisse, wenn die Vollstreckungshindernisse im Zweitstaat ausgeblendet blieben. Schließlich gelten – wie soeben gesehen – auch die Vollstreckungshindernisse des Ursprungsrechts im Zweitland nicht.218 Dann hätte die Vollstreckung im Ausland so günstige Bedingungen, wie sie weder im Erst- noch im Zweitland für rein nationale Titel herrschten. Es würde eine Situation eintreten, die vom Ergebnis her einer Normenhäufung im IPR ähnlich wäre. Ein vollständiger Entfall von Vollstreckungshindernissen und -beschrän- 1034 kungen könnte den, in aller Regel durch diese bezweckten, Schuldnerschutz beeinträchtigen. Ferner ist – wie sich bereits gezeigt hatte – eine „hinkende Durchsetzbarkeit“ in der Form, dass Vollziehung im Zweitland möglich ist, im Ursprungsland hingegen nicht, mit der EuGVVO vereinbar.219 IV. Ergebnis Im Ergebnis heißt dies, dass es mit Prämisse 1 und Prämisse 2 im Ein- 1035 klang steht, wenn im Zweitland die zwangsweise Durchsetzung des Titels möglich ist, obwohl dies im Ursprungsland in concreto nicht der Fall wäre. Dieses Ergebnis wird sogar durch Prämisse 3 gefordert. Im Hinblick auf 215 Fritzsche, ZZP Int. 7 (2002), S. 250 (259): „. . . jedenfalls der Anwendung vollstreckungshindernder nationaler Regelungen [steht] der Vorrang des Gemeinschaftsrechts entgegen . . .“ 216 s. Rn. 679–682. 217 s. Rn. 683–694. 218 s. Rn. 1025 f. 219 s. Rn. 1026 f.
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Prämisse 3 ist auch die umgekehrte Situation europarechtskonform, in der eine Beitreibung im Ursprungsland möglich wäre, im Zweitland hingegen Vollstreckungshindernisse greifen.
C. Die im Zweitland anwendbaren Vollstreckungsmechanismen zur Durchsetzung ausländischer Titel 1036
Da derselbe Titelinhalt in den Einzelrechten bisweilen im Wege unterschiedlicher Methoden durchgesetzt wird, kann sich die Frage ergeben, welche Mechanismen zur Vollstreckung ausländischer Entscheidungen im Vollstreckungsforum anwendbar sind. I. Die Fragestellung
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Für die im Zweitland anwendbaren Vollstreckungsmechanismen besteht allerdings nur begrenzt Spielraum. Schließlich handelt es sich hierbei in erster Linie um Aspekte des „Wie“ der Vollstreckung. Und nach der in § 8 entwickelten Prämisse 2 sind Wirkungsabweichungen hinzunehmen, wenn sie – bei identischem Leistungsinhalt – allein durch die Unterschiede der Vollstreckungsrechte bedingt sind. Es würde außerdem die Vollstreckungsorgane überfordern, fremde Vollstreckungsmethoden anzuwenden.220
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Dennoch könnten im Rahmen der örtlichen Beitreibungsordnung Vorgaben des Ursprungslandes berücksichtigt werden – etwa indem man die vor Ort zur Verfügung stehenden Zwangsmittel nur selektiv anwendet. Nach Prämisse 1 wäre dies dann geboten, wenn Gestaltung und Auswahl der Vollstreckungsmechanismen Aspekte des Leistungsinhalts, d.h. des „Ob“ der Vollstreckung sind. Wo dies der Fall sein könnte, soll nachfolgend durch Fallbeispiele verdeutlicht werden. 1. Fall 6.1: Griechische Schuldhaft für deutschen Geldleistungstitel?
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Die hier zu untersuchende Frage stellt sich etwa angesichts des Ausschlusses indirekter Zwangsmittel für Geldleistungsansprüche im deutschen Recht. Diesem stehen u. a. die französische und englische Lösung gegenüber, wonach auch Zahlungsforderungen durch Beugemittel realisiert werden können.221 Darf nun ein deutsches Geldleistungsurteil auch im Ausland 220 221
Wagner, IPRax 2002, S. 75 (77). s. Rn. 1017.
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nur durch direkt wirkende Methoden der Realexekution vollstreckt werden? Diese Frage wäre nach der Prämisse 1 zu bejahen, wenn die Auswahl zwischen indirektem oder direktem Zwang Teil des Titelinhaltes ist. Darüber hatte 1992 das Appelationsgericht Patras zu entscheiden 1040 (Fall 6.1).222 Hier ging es darum, ob zur Vollstreckung eines deutschen Zahlungstitels aus Delikt in Griechenland die persönliche Haft des Schuldners angeordnet werden darf. Den Einwand, dass Schuldhaft in Deutschland nicht vorgesehen ist, ließ das Gericht mit zwei Argumenten nicht gelten: Zum einen betonte es, dass die Vollstreckung der lex fori executionis unterliegt, die auch die anwendbaren Zwangsmittel vorgebe. Zum anderen stellte es darauf ab, dass der Verpflichtete auch dann einer Inhaftierung ausgesetzt gewesen wäre, wenn der Anspruch vor einem griechischen Gericht nach deutschem Deliktsrecht tituliert worden wäre. Das zweite Argument basiert auf der Annahme, dass die lex fori des Ti- 1041 telgerichts angibt, welche Art von Erfüllungszwang angeordnet werden kann. Zumindest denkbar wäre ebenso, dass sich dies in Fällen mit Auslandsberührung nach der lex causae richtet.223 Diese könnte dann gegebenenfalls die Gewährung von Naturalerfüllung sperren. Für diesen Ansatz spricht der Gedanke des internationalen Entscheidungseinklangs und die Überlegung, dass die Intensität der Bindungswirkung von Verträgen und anderen Verpflichtungen nicht über die lex causae hinaus erhöht werden soll. Remien hat außerdem darauf hingewiesen, dass durch eine Anknüpfung an die lex fori auch die Parteien ungleich behandelt würden224: Bei einem Vertrag zwischen einer englischen und einer französischen Seite könnte unabhängig vom Vertragsstatut der Engländer seinen Vertragspartner vor den französischen Gerichten leichter zur Naturalerfüllung zwingen, als dies dem Franzosen vor englischen Gerichten möglich wäre. Hieran zeigt sich, dass das Vollstreckungsrecht und die von ihm eingeräumten Befugnisse mögli222 Appellationsgericht Patras – Nr. 603/1992, Nomiko Vima, 41 (1993), S. 528 f., berichtet von Kerameus, Recueil des Cours 1997, S. 183 (199). 223 So etwa Lando, Contracts, Int. Encycl. Comp. Law, Vol. III, Ch. 24, 1976 Rn. 217; Wengler, RGRK-BGB, Bd. VI, 12. Aufl. 1981, § 14 b 9. (S. 374): „Abzulehnen ist es sodann auf jeden Fall, daß ein Staat für ein Rechtsverhältnis unter einer ausländischen lex causae Behelfe zur Verfügung stellt, die die lex causae ihrerseits nicht kennt: Sieht die lex causae bei Nichterfüllung bestimmter Verpflichtungen nicht vor, dass der Gläubiger staatlichen Zwang begehren kann, um nachträgliche Erfüllung in Natur zu erreichen, sondern gewährt sie ihm von vornherein nur Schadensersatzansprüche, so sollte es nicht in einem anderen Forumstaat zur Verurteilung auf Erbringung der geschuldeten Leistung in Natur und zu Maßnahmen zur Vollstreckung dieses Urteils kommen, . . .“; ebenso Remien, Zwangsgeld, 1992, S. 296 f.: „Mithin erscheint es als richtig, . . . die lex causae darüber entscheiden zu lassen, ob Naturalerfüllungszwang überhaupt möglich ist.“ 224 Remien, Zwangsgeld, 1992, S. 296 m. w. N.
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cherweise nicht völlig isoliert von dem in der Sache anwendbaren Recht zu betrachten sind. Das Argument des Appelationsgerichts Patras ist also nicht zwangsläufig durchschlagend. 1042
Die Problematik der griechischen Schuldhaft stellte sich 1996 erneut in zwei Verfahren vor Athener Gerichten. Hier wurde aber abweichend entschieden: Ein ausländisches Zahlungsurteil dürfe nur dann mit Schuldhaft durchgesetzt werden, wenn dieses Vollstreckungsmittel auch im Recht des Urteilsstaates zulässig ist.225 Schließlich hätte der erfolgreiche Titelgläubiger nicht damit rechnen können, im Zweitstaat in den Genuss einer zusätzlichen Vollstreckungsmethode zu kommen. 2. Fall 6.2: Französische astreinte für deutschen Unterlassungstitel?
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Eine grenzüberschreitende Koordinierung der Zwangsmittel könnte auch deshalb geboten sein, weil sie in den einzelnen Rechtsordnungen unterschiedlich ausgestaltet sind.226 Soweit diesbezügliche Abweichungen den Inhalt des Leistungsbefehls betreffen, wäre nach Prämisse 1 eine Rücksichtnahme auf das Recht des Ursprungslandes geboten. Dies könnte etwa bei Geldbeugemitteln der Fall sein. Da die französische astreinte dem Gläubiger zugute kommt, das deutsche Zwangsgeld hingegen dem Staat, kann man sich etwa fragen, ob ein deutscher Unterlassungstitel in Frankreich im Wege der astreinte vollzogen werden kann.
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Diese Frage lag 1980 dem Präsidenten des Tribunal de grande instance Paris vor (Fall 6.2).227 Er weigerte sich, zusammen mit dem Exequatur für ein deutsches Unterlassungsurteil eine astreinte anzuordnen. Dies begründete er zwar damit, dass hierfür eine kontradiktorische Verhandlung erfolgen müsse, während das Exequatur im einseitigen Verfahren erteilt wurde. In Teilen der französischen Lit. ist die Entscheidung allerdings gerade deswegen auf Zustimmung gestoßen, weil mit der Anordnung einer astreinte die Rechte des Gläubigers unzulässig erweitert würden, indem diesem ein zusätzlicher Vermögensvorteil eingeräumt würde.228 Demgegenüber hält die 225 Appellationsgericht Athen – Nr. 3020/1996, Dikaio Etairion kai Epicheirisseon 1996, S. 817–818 u. Gericht erster Instanz Athen – Nr. 5181/1996, unveröffentlicht (beide berichtet von Kerameus, Enforcement Proceedings, Int. Encycl. Comp. Law, Vol. XVI, Ch. 10, 2002 (386 f.)). 226 s. Rn. 1019. 227 Tribunal de grande instance de Paris (Prés.), 26.02.1980, RCDIP 69 (1980), S. 783. 228 Gaudemet-Tallon, RCDIP 69 (1980), S. 784 (785); in diesem Sinne wohl auch Gaudemet-Tallon, RCDIP 77 (1988), S. 605 (607), wo betont wird, der Exequaturrichter könne das Exequatur nur erteilen oder zurückweisen, allerdings nicht
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herrschende französische Lit. die Durchsetzung eines deutschen Unterlassungstitels in Frankreich durch astreinte für möglich.229 Es sei Sinn und Zweck des Exequaturs, einer ausländischen Entscheidung dieselben Wirkungen wie einem inländischen Titel beizugeben.230 3. Fall 6.3: Deutsches Zwangsgeld für italienischen Unterlassungstitel? Dass Ansprüche in einer Rechtsordnung mit Realerfüllungszwang aus- 1045 gestattet sind, in einer anderen hingegen nicht231, warf in der Rechtssache Italian Leather ./. WECO Polstermöbel die Frage auf, ob ein italienischer Unterlassungstitel in Deutschland durch Ordnungsgeld und Ordnungshaft vollstreckt werden kann (Fall 6.3). Da bisherige Unterlassungstitel in Italien einer Personalvollstreckung nicht zugänglich sind, hatte der BGH Zweifel, ob dies im Vollstreckungsstaat möglich ist, und legte unter anderem diese Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.232 Dieser konnte sie allerdings offenlassen, weil schon die Anerkennungsvoraussetzungen nicht gegeben waren.233 In der Lit. findet sich hierzu die Auffassung, dass alle Vollstreckungsmechanismen des Zweitstaates einschlägig seien, weil es sich um ein „Wie“ der Vollstreckung handle.234 Von manchen wird vertreten, der die Ausgangsentscheidung abändern; ebenso Mezger, in: GS Constantinesco, 1983, S. 503 (508). Gaudemet-Tallon, RCDIP 69 (1980), S. 784 (786 Fn. 8) begründet dies zusätzlich mit der Vorschrift in Art. 43 EuGVÜ (heute Art. 49 EuGVVO): Wenn das aus dem Ausland ins Inland verbrachte Zwangsgeld nach dieser Vorschrift sogar im Erststaat endgültig festgesetzt worden sein muss, um überhaupt Wirkungen im Ausland zu entfalten, dann könne es erst recht nicht möglich sein, dass im Zweitstaat eine völlig neue astreinte verhängt wird. Dieser Erst-recht-Schluss überzeugt nicht: Das Festsetzungegebot in Art. 49 EuGVVO gilt nicht im Interesse des Erststaates, sondern allein zum Schutz des Zweitstaates, dem die Handhabung fremder Zwangsgelder erleichtert werden soll, vgl. Gärtner, Auslandsvollstreckung, 1991, S. 204 f.; zustimmend Bitter, EU-Vollstreckung, 2009, S. 137 f. 229 Mauro, Gaz. Pal. 1980, S. 309; Niboyet, droit international privé, 1948, Rn. 1422 ff.; Batiffol/Lagarde, Droit international privé, Bd. II, 7. Aufl. 1983, Rn. 607. 230 Mauro, Gaz. Pal. 1980, S. 309. 231 s. Rn. 1013–1015. 232 BGH, 10.02.2000 – IX ZB 31/99, Vorlagebeschluss zu EuGH, 06.06.2002 – Rs. C-80/00, Italian Leather ./. WECO Polstermöbel, WM 2000, S. 635. 233 EuGH, 06.06.2002 – Rs. C-80/00, Italian Leather ./. WECO Polstermöbel, Slg. I-2002, 4995. Der EuGH kam schon bei der Beantwortung der ersten Vorlagefrage zu dem Ergebnis, dass die Vollstreckbarerklärung des italienischen Titels an Art. 34 Nr. 3 EuGVVO scheiterte (ein Antrag auf Unterlassungsverfügung war in Deutschland zuvor abgewiesen worden). Daher brauchte der Gerichtshof die zweite und dritte Vorlagefrage des BGH zur Handhabung der Zwangsvollstreckung nicht zu beantworten.
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italienische Titel könne in Deutschland nicht durch Personal- wohl aber durch Realvollstreckung durchgesetzt werden.235 Wieder andere gehen davon aus, dem italienischen Titel fehle schon die Vollstreckbarkeit, die Art. 38 I EuGVVO für die Erteilung des Exequaturs im Zweitstaat voraussetzt.236 4. Literaturmeinungen 1046
In der deutschen Lit. wird fast ausschließlich davon ausgegangen, dass nur das Recht des Vollstreckungsstaates vorzugeben habe, welche Vollstreckungsmaßnahmen statthaft sind, auf das Ursprungsrecht hierbei keine Rücksicht zu nehmen sei.237 Der Titel könne daher im Zweitland stärkere Wirkungen haben als im Erstland.238 Oftmals wird auch einfach nur auf die Geltung des lex fori-Prinzips in der Vollstreckungsphase verwiesen.239 Die uneingeschränkte Geltung einer derartigen Gleichstellung ergibt sich aber nicht zwangsläufig aus der Maßgeblichkeit der lex fori executionis. Vielmehr wäre zumindest auch eine selektive Bereitstellung der zweitstaatlichen Vollstreckungsmechanismen denkbar. Schließlich wird der genaue Inhalt des Leistungsbefehls nach Prämisse 1 vom Ursprungsland vorgegeben.
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So kategorisch Muir Watt, RCDIP 91 (2002), S. 720 (730). So etwa Hess, IPRax 2005, S. 23 (25 Fn. 25), der Ordnungshaft und -geld für nicht anwendbar, dafür aber eine Schadensersatzklage über § 893 ZPO für möglich hält. Diese soll analog § 14 II AVAG beim Exequaturgericht anhängig gemacht werden. 236 Bitter, EU-Vollstreckung, 2009, S. 155; Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. I/Mankowski, 2011, Art. 38 EuGVVO Rn. 13; Fritzsche, ZZP Int. 7 (2002), S. 250 (261 f.); Lindacher, in: FS Gaul, 1997, S. 399 (402). 237 Kallmann, Anerkennung, 1946, S. 362 f.; Mansel, IPRax 1995, S. 362 (363); Remien, Zwangsgeld, 1992, S. 328–330 für das Zwangsgeld. 238 So explizit Schlosser, EuZPR, 3. Aufl. 2009, Art. 33 EuGVVO Rn. 1 u. Art. 38 EuGVVO Rn. 16. 239 Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 1061; Stutz, Internationale Vollstreckung, 1992, S. 15 f.; Geimer, IZPR, 6. Aufl. 2009, Rn. 3237; Gottwald, IPRax 1991, S. 285; Gerling, Gleichstellung, 2006, S. 45; Bitter, EU-Vollstreckung, 2009, S. 154 f. mit der einzigen Ausnahme, dass ein Auslandstitel dann gar nicht im Zweitland vollstreckbar sein soll, wenn er – wie etwa bei italienischen Unterlassungstiteln – im Ursprungsland nicht im Wege von Beugemitteln durchgesetzt werden kann. 235
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II. Berücksichtigung des Rechts des Ursprungslandes für die Frage, welche Zwangsmittel im Zweitstaat zur Verfügung stehen Zu untersuchen ist, ob und wie im Vollstreckungsland die Vorgaben des 1047 Ursprungslandes zu den Vollstreckungsmechanismen zu berücksichtigen sind. Diesbezüglich sind die in § 8 entwickelten Prämissen für die Wirkungen der Vollstreckbarerklärung zu befragen.240 1. Folgerungen aus Prämisse 1 (Keine Veränderung des Leistungsbefehls) Prämisse 1 verlangt im Zweitland die Berücksichtigung erststaatlicher 1048 Vorgaben zu Vollstreckungsmechanismen, wenn diese zum Titelinhalt gehören. Dies könnte aus zwei Gründen der Fall sein: Zum Schutz des prozessualen Vertrauens der Beteiligten [a)] und zur Wahrung der Einheit von Leistungsbefehl und zugehöriger Art der Anspruchsdurchsetzung [b)]. a) Schützenswertes Vertrauen auf Geltung bestimmter Vollstreckungsmechanismen? Der prozessuale Vertrauensschutz der Beteiligten könnte es erfordern, die 1049 Vollstreckungsmechanismen zum Titelinhalt zu rechnen. Insofern ist zwischen der Sicht des Vollstreckungsgegners [aa)] und der des Titelberechtigten [bb)] zu unterscheiden. aa) Aus Sicht des Titelverpflichteten Insbesondere wenn der Zweitstaat intensivere Vollstreckungsmechanismen 1050 vorsieht als der Ursprungsstaat, könnte deren Anwendbarkeit zum Schutz des Titelverpflichteten ausgeschlossen sein, weil dies eine nachträgliche Erhöhung des Prozessrisikos bedeuten würde.241 Allerdings sind schon kaum Konstellationen vorstellbar, in denen die Vollstreckungsmodalitäten des Zweitlandes unvorhersehbar sind. Stehen sich im Erkenntnisverfahren Par240
s. zu den Prämissen Rn. 665–695. So auch die Argumentation von Appellationsgericht Athen – Nr. 3020/1996, Dikaio Etairion kai Epicheirisseon 1996, S. 817–818 und Gericht erster Instanz Athen – Nr. 5181/1996, unveröffentlicht (beide berichtet von Kerameus, Enforcement Proceedings, Int. Encycl. Comp. Law, Vol. XVI, Ch. 10, 2002 (386 f.)). Im Ergebnis will auch Hess, IPRax 2005, S. 23 (25 Fn. 25), dass das Urteil im Vollstreckungsstaat keine weiterreichenden Wirkungen entfaltet als im Ursprungsstaat. 241
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Teil III: Die Wirkungen der Vollstreckbarkeit mitgliedstaatlicher Titel
teien aus verschiedenen Ländern gegenüber, muss diesen von vornherein klar gewesen sein, dass in der Vollstreckungsphase ein anderes Vollstreckungsrecht als das des Entscheidungsstaates zur Anwendung kommen kann. 1051
Auch wenn die Entscheidung zwischen zwei Inländern ergangen ist und die obsiegende Partei auf Schuldnervermögen im Ausland zugreifen will, hat der Verpflichtete keinen legitimen Grund, sich vor dem dortigen Vollstreckungsrecht zu „drücken“. Die Belegenheit seines Vermögens macht ihn vor Ort vollstreckungspflichtig. Ein Schuldner ist damit möglicherweise stärker angreifbar, wenn er Vermögen in vielen Ländern hat, da der Gläubiger hierdurch eine größere Auswahl möglicher Vollstreckungsländer erhält.
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Es entspricht dem legitimen Interesse des Gläubigers, den Titel allein deswegen in einem Land für vollstreckbar erklären zu lassen, weil dort Schuldnervermögen belegen ist. Die Vollstreckung bezweckt gerade eine möglichst vollständige Befriedigung. Auch Art. 49 EuGVVO, der erlaubt, Zwangsgelder (mit endgültig festgesetzter Höhe) – obwohl eigentlich schon Vollstreckungsmaßnahme – ihrerseits in anderen Mitgliedstaaten zu vollstrecken242, kann nicht zu einer Überrumpelung mit Regelungen eines fremden Vollstreckungsrechts führen. Denn trotz ihres universellen Anwendungsbereichs243 erlaubt diese Vorschrift nicht den Import von Zwangsgeldern 242 Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 1080. Für die Vollstreckbarerklärung der Verhängung von Zwangsgeld ist auch erforderlich, dass der ausländische Grundtitel anerkennungsfähig ist, Schlosser, EuZPR, 3. Aufl. 2009, Art. 49 EuGVVO Rn. 4. 243 Nach überwiegender Auffassung gilt Art. 49 EuGVVO sowohl für die gläubigernützige astreinte als auch für Zwangsgelder, die dem Staat zufließen. s. Gottwald, IPRax 1991, S. 285 (291); Remien, Zwangsgeld, 1992, S. 320 f.; Lindacher, in: FS Gaul, 1997, S. 399 (407); Koch, in: Schlosser (Hrsg.), Int. ZwVollstr., 1992, S. 171 (200); Stürner, in: FS Henckel, 1995, S. 863 (872); Gärtner, Auslandsvollstreckung, 1991, S. 177, 180; Fritzsche, ZZP Int. 7 (2002), S. 250 (263); Stadler, IPRax 2003, S. 430 (431); Kropholler, EuZPR, 8. Aufl. 2005, Art. 49 EuGVVO Rn. 1. Diese weite Auslegung von Art. 49 EuGVVO wird einerseits damit begründet, dass sich beide Zwangsgelderscheinungsformen funktional entsprechen, denn die Festlegung der Empfangsperson ist beliebig und macht eine unterschiedliche Beurteilung nicht erforderlich, Remien, Zwangsgeld, 1992, S. 319, 195–197. Für eine weite Auslegung spricht ferner der Zweck der Vorschrift, die die Effizienz der grenzüberschreitenden Vollstreckung von Unterlassungs- und Handlungstiteln erhöhen soll, Lindacher, in: FS Gaul, 1997, S. 399 (407). Eine großzügige Auslegung wird auch damit gerechtfertigt, dass andernfalls die verschiedenen Zwangsgeldformen innerhalb Europas ungleich behandelt würden. s. Koch, in: Schlosser (Hrsg.), Int. ZwVollstr., 1992, S. 171 (200); Gärtner, Auslandsvollstreckung, 1991, S. 177–180, 188 (Bedarf einer „europäisch-autonomen“ Qualifikation gleichwertiger indirekter Vollstreckungsmittel). Ob die nationale Rechtsordnung der Beugezahlung strafrechtlichen Charakter beimisst, kann wegen der gebotenen verordnungsautonomen Begriffsbildung nicht maßgeblich sein. s. Giebel, IPRax 2009, S. 324 (326); a. A. Stutz, Internationale Vollstreckung, 1992, S. 21 f., die fines for civil contempt
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aus einem berührungsarmen Drittland. Das Zwangsgeld muss vielmehr von den Gerichten des Staates verhängt worden sein, in dem auch die zu vollstreckende Entscheidung ergangen ist.244 Der Gläubiger kann also nicht die Entscheidung in einem beliebigen Drittland exequieren, um dort eine Zwangsgeldanordnung zu erlangen, und diese wiederum in eine weitere Jurisdiktion transportieren. Andernfalls drohte eine Zwangsgelderhäufung. Damit bringt auch Art. 49 EuGVVO bei der gebotenen restriktiven Anwendung nicht die Gefahr, mit einem beziehungsarmen und daher unvorhersehbaren Vollstreckungsrecht konfrontiert zu werden.245 Eine solche Überrumpelung wäre allenfalls denkbar, wenn sich der 1053 Schuldner nur vorübergehend in einer Jurisdiktion aufhält und währenddessen dem Zugriff der dortigen Vollstreckungsorgane ausgeliefert ist. Ein geschickter Gläubiger könnte etwa Ausstellungsmaterialien des Schuldners pfänden lassen, die dieser nur zum Besuch einer Messe in die jeweilige Jurisdiktion verbracht hat. Auch wenn der Sachwert der gepfändeten Kataloge, Bildtafeln, Visitenkarten, etc. nicht zur Befriedigung ausreicht, vermag die Pfändung einen hohen Erfüllungsdruck auszuüben. Selbst in solchen Fällen ist aber ein schutzwürdiges Vertrauen in die Anwendbarkeit nur schwächerer Vollstreckungsmittel nicht anzuerkennen: Schließlich ist grundsätzlich kein legitimer Grund ersichtlich, warum sich der Schuldner in der Vollstreckungsphase einer Verpflichtung entziehen können sollte.246 of court des englischen Rechts nicht unter Art. 49 EuGVVO fassen will, weil es sich hierbei um eine Kriminalstrafe handle. A. A. hingegen Treibmann, Vollstreckung in Europa, 1994, S. 156–165: Art. 49 EuGVVO gilt nur für Zwangsgelder, die der astreinte vergleichbar sind, weil fiskusnützige Zwangszahlungen öffentlichrechtlich seien und daher nicht in den Anwendungsbereich der EuGVVO fielen. Dafür könnte auch die Aussage im Schlosser, Bericht z. 1. EuGVÜ-BeitrittsÜ 1978, Rn. 213 sprechen, wonach durch Art. 49 EuGVVO nur Schwierigkeiten vermieden werden sollen, die sich daraus ergeben könnten, dass die astreinte in Frankreich zunächst nur angedroht und erst später endgültig festgesetzt wird; Kaye, Jurisdiction and Enforcement, 1987, S. 1523; Geimer, in: Geimer/Schütze (Hrsg.), Urteilsanerkennung, Bd. I/1, 1983, § 19 X 3; Droz, Compétence judiciaire, 1972, S. 375. Für eine restriktive Auslegung auch Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 1081, der Art. 49 EuGVVO sogar ersatzlos streichen möchte. Ebenfalls für eine restriktive Auslegung Schlosser, EuZPR, 3. Aufl. 2009, Art. 49 EuGVVO Rn. 4, wonach die Vorschrift nur für die astreinte gelte. 244 Schlosser, in: FS Leipold, 2009, S. 435 (446); a. A. Treibmann, Vollstreckung in Europa, 1994, S. 148 f., die ggf. aber über den Einwand eines Rechtsmissbrauchs korrigieren will. 245 Diese Gefahr ist aber bei Urteilen gerichtet auf Abgabe einer Willenserklärung denkbar, soweit diese durch Abgabefiktion vollstreckt wurden, denn diese Fiktion ist grundsätzlich auch geeignet, sich auf das Gebiet anderer Staaten zu erstrecken. s. hierzu unten Rn. 1135–1141. 246 Treibmann, Vollstreckung in Europa, 1994, S. 148.
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Auch der Gedanke der Waffengleichheit zwischen den Parteien führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Unter Berufung auf diesen entschieden Athener Gerichte, dass zur Vollstreckung ausländischer Entscheidungen immer nur von denjenigen Vollstreckungsmethoden Gebrauch gemacht werden dürfe, die sowohl im Ursprungsland als auch im Vollstreckungsland bekannt sind.247 Mit diesem Kumulationsansatz ist zwar sichergestellt, dass jeder Partei die gleichen Vollstreckungsbefugnisse zustehen. Dennoch ist die Beschränkung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner als allgemeintaugliche Regel nicht brauchbar, da in verschiedenen Vollstreckungsrechten durchaus völlig unterschiedliche Vollstreckungsmechanismen vorgesehen sein können, so dass sich ein gemeinsamer Nenner nicht ausmachen ließe. bb) Aus Sicht des Titelberechtigten
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Sind die Vollstreckungsmechanismen im Zweitstaat schwächer als im Erststaat, würde es dem Interesse des Gläubigers am nächsten kommen, wenn ihm auch im Zweitland die erststaatlichen Zugriffsbefugnisse erhalten blieben.248 Immerhin lässt sich aus der Vorschrift von Art. 49 EuGVVO eine Art Meistbegünstigung des Gläubigers ableiten.249 Durch sie hat er nämlich die Wahl zwischen Zwangsgeld aus dem Urteilsstaat und einem solchen im Vollstreckungsstaat.250 Er kann sich damit einen Vollstreckungsmechanismus verschaffen, der im Zweitstaat an sich nicht vorgesehen wäre. Dies durchbricht die alleinige Anwendbarkeit der lex fori executionis.251 Der Gläubiger eines deutschen Unterlassungstitels könnte – zumindest nach h. M.252 – in Deutschland die Verhängung eines Ordnungsgeldes erlangen, dieses über Art. 49 EuGVVO in Italien für vollstreckbar erklären lassen und dort im Wege der Geldleistungsvollstreckung eintreiben, obwohl Italien für Unterlassungstitel keinen Realerfüllungszwang kennt.253 Genauso ist es ihm unbenommen, kumulativ im Ursprungs- und im Vollstreckungsland Zwangsmaßnahmen in Anspruch zu nehmen: Er kann etwa in Deutschland 247 Appellationsgericht Athen – Nr. 3020/1996, Dikaio Etairion kai Epicheirisseon 1996, S. 817–818 und Gericht erster Instanz Athen – Nr. 5181/1996, unveröffentlicht (beide berichtet von Kerameus, Enforcement Proceedings, Int. Encycl. Comp. Law, Vol. XVI, Ch. 10, 2002 (386 f.)). 248 Vgl. Fritzsche, ZZP Int. 7 (2002), S. 250 (259); Mansel, IPRax 1995, S. 362 (363 f.). 249 Stürner, in: FS Henckel, 1995, S. 863 (865). 250 OLG Köln, 02.12.2005 – 16 W 31/05, InVo 2006, S. 332; Bruns, ZZP 118 (2005), S. 3 (14); Kropholler, EuZPR, 8. Aufl. 2005, Art. 49 EuGVVO Rn. 2. 251 Ebenso Gärtner, Auslandsvollstreckung, 1991, S. 177 f. 252 Zu dem Streit über den Anwendungsbereich von Art. 49 EuGVVO s. bereits oben Fn. 243 (S. 492 f.). 253 Stürner, in: FS Henckel, 1995, S. 863 (872).
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die astreinte aus dem Ursprungsland sowie zusätzlich den Hauptsacheanspruch über § 888 ZPO vollstrecken.254 Aus der Ausnahmeregelung des Art. 49 EuGVVO kann aber nicht gefol- 1056 gert werden, die EuGVVO wolle allgemein dem Titelgläubiger alle Vollstreckungsbefugnisse erhalten, die er im Ursprungsland hätte. Genau der Umkehrschluss trifft zu: Grundsätzlich schuldet der Vollstreckungsstaat nicht mehr als eine Gleichstellung mit eigenen Vollstreckungstiteln.255 Außerdem gefährdete der Import fremder Vollstreckungsmethoden die Funktionsweise der Titeldurchsetzung.256 cc) Zwischenergebnis Dass der Verpflichtete im Zweitstaat schärferen Zwangsmitteln ausgesetzt 1057 ist, ist genauso unproblematisch, wie der umgekehrte Fall, dass dem Urteilsgläubiger im Vollstreckungsstaat weniger weit reichende Befugnisse zukommen. Somit erfordert es der prozessuale Vertrauensschutz nicht, Vorgaben an die Vollstreckungsmechanismen als Teil des Titelinhaltes einzuordnen. b) Wahrung der Einheit von Leistungsbefehl und Durchsetzungsmechanismen? Die Vorgabe, wie ein Titelinhalt durchzusetzen ist, könnte aber deshalb 1058 zum Leistungsbefehl gehören, weil sie mit diesem in einem inneren Zusammenhang steht. Dieser ließe sich bewahren, wenn in der Vollstreckungsphase auf das Vollzugsrecht des Ursprungslandes Rücksicht genommen würde. Vorgeschlagen wird auch, die anwendbaren Vollstreckungsmethoden nach der Rechtsordnung zu bestimmen, der auch der zu vollstreckende Anspruch materiellrechtlich unterliegt.257 Dafür werden der internationale Ent254
Schlosser, EuZPR, 3. Aufl. 2009, Art. 49 EuGVVO Rn. 4: Eine Übermaßbelastung des Schuldners wird dadurch vermieden, dass die Vollstreckung des Zwangsgeldes entfällt, sobald der Schuldner die Primärleistung erbracht hat. 255 Lindacher, in: FS Gaul, 1997, S. 399 (405 f.); Fritzsche, ZZP Int. 7 (2002), S. 250 (259), der allerdings aus der Beschränkung des Art. 49 EuGVVO auf Fälle, in denen die Höhe des Zwangsgeldes schon vom Ursprungsgericht festgelegt ist, einen Erst-recht-Schluss zieht: Wenn schon bei fehlender Festsetzung des Zwangsgeldes ein Tätigwerden der Vollstreckungsorgane nach ausländischem Vollstreckungsrecht nicht erwartet werden kann, dann erst recht nicht, wenn das gesamte Vollstreckungsverfahren nach ausländischem Recht erfolgen müsste. 256 Bitter, EU-Vollstreckung, 2009, S. 139 f. 257 So etwa Lindacher, in: FS Gaul, 1997, S. 399 (402); zuvor Grunsky, ZZP 89 (1976), S. 241 (259); a. A. Treibmann, Vollstreckung in Europa, 1994, S. 145 ff.
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scheidungseinklang258 sowie der Umstand geltend gemacht, dass Prozessund materielles Recht aufeinander abgestimmt sind259. Ob tatsächlich eine Notwendigkeit dafür besteht, die maßgeblichen Vollstreckungsmodalitäten nach ausländischem Recht zu bestimmen, ist aber fraglich [aa)]. Hiervon abgesehen, ist die rechtliche Grundlage für einen Import ausländischer Vollstreckungsmethoden fraglich [bb)]. aa) Notwendigkeit für die Berücksichtigung ausländischer Vollstreckungsmodalitäten? 1059
Sowohl der internationale Entscheidungseinklang als auch der Zusammenhang zwischen materiellem und Prozessrecht erfordern nur dann eine Berücksichtigung ausländischer Vollstreckungsmodalitäten, wenn diesen ein materiellrechtlicher Gehalt zukommt. Schließlich kann rein „technisches“ Verfahrensrecht ohne materiellen Einschluss bedenkenlos vom Forum gestellt werden.260 In der Tat wurde es schon auf eine unterschiedliche materiellrechtliche Konzeption der Rechtsverhältnisse zurückgeführt, dass der eine Gesetzgeber die Vollstreckung eines bestimmten Anspruchs zulässt, der andere hingegen in demselben Rechtsverhältnis Realerfüllungszwang nicht gestattet.261 Die vorangegangenen rechtsvergleichenden Untersuchungen haben allerdings gezeigt, dass die Durchsetzungsmodalitäten in den wenigsten Fällen materielle Wertungen umsetzen.262 Schließlich gelten diesbezügliche Vorgaben fast immer universell für alle Anspruchsarten, sind daher Ausdruck grundlegender Wertungen der Freiheitsrechte oder des Verhältnis258 Vgl. Remien, Zwangsgeld, 1992, S. 296: Dieser sei gefährdet, wenn etwa ein und derselbe Anspruch in einem Land in natura vollstreckt werden kann, in einem anderen hingegen nicht. Ob Naturalerfüllungszwang besteht, sei daher nach der lex causae zu beurteilen. 259 In dieser Allgemeinheit Kerameus, Recueil des Cours 1997, S. 183 (382). s. zum Zusammenhang zwischen den anerkennungsfähigen Urteilswirkungen und der lex causae bereits oben Rn. 97–117. 260 Vgl. hierzu bereits oben Rn. 101–109, insbes. 109. 261 So etwa Wengler, RGRK-BGB, Bd. VI, 12. Aufl. 1981, § 14 b 9. (S. 373 f.): Der Zusammenhang zwischen materiellrechtlicher Konzeption eines Rechts und den bereitgestellten subjektiven Rechtsbehelfen hieraus wird auf S. 373 erläutert. Dass Wengler auch die Entscheidung, welche Vollstreckungsbefugnisse eine Rechtsordnung zur Durchsetzung eines materiellen Rechts bereithält, auf die materielle Konzeption dieses Rechts in der jeweiligen Rechtsordnung zurück führt, ergibt sich aus der These auf S. 374, wonach für die Frage der Vollstreckungsbefugnisse auf die lex causae zurückzugreifen sei. Genauso kann es nach Grunsky, ZZP 89 (1976), S. 241 (259) zur „‚Absicherung‘ des materiellen Rechts“ angebracht sein, Voraussetzungen und Umfang der Vollstreckungsmöglichkeit nach der Rechtsordnung zu bestimmen, der das materielle Recht entstammt. 262 Vgl. Rn. 1020–1022.
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mäßigkeitsprinzips und nicht materieller Angemessenheit geschuldet.263 Dass etwa das italienische Recht für alle Handlungs- und Unterlassungspflichten eine Naturalvollstreckung verbietet, markiert eine absolute Grenze für die staatliche Gewalt gegenüber Privaten. Gleiches gilt für das französische Verbot der Zwangshaft oder den Vorrang direkter Zwangsmittel im deutschen Recht. Keine dieser Regelungen ist auf bestimmte Rechtsverhältnisse zugeschnitten, so dass man auch nicht davon ausgehen kann, ihnen käme ein materiellrechtlicher Gehalt zu. Freilich gibt es Vorgaben, die nur für bestimmte Anspruchsarten greifen 1060 und daher einen gewissen Bezug zu dem zu Grunde liegenden Anspruch haben. Zumindest in diesen Fällen wäre zu überlegen, ob – wie Grunsky es formulierte – zur „Absicherung“ des materiellen Rechts Voraussetzungen und Umfang der Vollstreckungsmöglichkeit nach der Rechtsordnung zu bestimmen sind, der das materielle Recht entstammt.264 Die englische Schuldhaft, die im zivilrechtlichen Bereich ausschließlich für Unterhaltsansprüche zur Verfügung steht, könnte so ein Fall sein, da hier dem besonderen Durchsetzungsinteresse des Unterhaltsbedürftigen durch spezielle Methoden der Vollstreckung Rechnung getragen wird.265 Auch die Vollstreckungshindernisse für bestimmte Ansprüche im persönlichen, künstlerischen oder sonst besonders geschützten Bereich266 haben freilich einen hohen Bezug zur Natur des jeweiligen Anspruchs. Auf den ersten Blick erscheint es wünschenswert, dass etwa ein deutscher Titel, der zur Eingehung einer Ehe verpflichtet, auch im Ausland nicht vollstreckt wird, obwohl es dort eine § 120 III FamFG entsprechende Regelung nicht gibt. bb) Rechtliche Grundlage für eine Berücksichtigung ausländischen Vollstreckungsrechts? Angesichts des Erfordernisses, dass das Tätigwerden der Vollstreckungs- 1061 organe inländischen Anforderungen entsprechen muss, ist die rechtliche Grundlage für die Berücksichtigung ausländischen Vollstreckungsrechts fraglich. Jeder Staat kann kraft seiner Souveränität regeln, im Wege welcher Mittel Ansprüche in seinem Territorium erzwungen werden können.267 Diese Befugnis ist auch unter der EuGVVO erhalten geblieben, weil das 263
s. Rn. 1020–1022. Grunsky, ZZP 89 (1976), S. 241 (259). 265 s. Rn. 970. 266 In Deutschland gem. § 888 III ZPO und § 120 III FamFG, vgl. hierzu Rn. 988; in England und Frankreich ist die Rechtslage im Ergebnis prinzipiell gleich, vgl. Rn. 978 (zu England) und Rn. 980 (zu Frankreich). 267 Gottwald, in: FS Habscheid, 1989, S. 119 (121). 264
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Vollstreckungsrecht gerade nicht vereinheitlicht ist, die Beitreibung vielmehr den örtlichen Bestimmungen unterliegt. Auch der ordre public-Vorbehalt in der EuGVVO erlaubt nur den Schutz wesentlicher inländischer Grundwerte. Auf eine Durchsetzung von Gewährleistungen des ausländischen Rechts ist die EuGVVO nicht angelegt. 1062
Der Import ausländischer Zwangsmittel stößt auch deshalb auf Bedenken, weil – wie bereits dargelegt wurde268 – ausländische vollstreckungsrechtliche Vorgaben die Rechtsordnung des Vollstreckungsstaates empfindlich stören könnten. Zum einen speist sich die Abwägung zwischen Gläubigerinteressen und dem erforderlichen Schuldnerschutz aus grundsätzlichen Überzeugungen hinsichtlich der Bedeutung von Freiheitsrechten sowie der Rolle des Staates.269 Hierbei kommen nationale Kultur und Tradition zum Ausdruck.270 Zum anderen wirkt sich die Ausübung von Vollstreckungszwang stark freiheitsbeschränkend aus, so dass es die inländischen Rechtsüberzeugungen besonders beeinträchtigen kann, wenn sich ihre Modalitäten nach Vorgaben aus dem Ausland richten. Diese Überlegungen treffen insbesondere auch auf die Auswahl und Ausgestaltung der Zwangsmechanismen zu: Es wäre beispielsweise mit der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung kaum vereinbar, wenn hier Zahlungsansprüche mittels Schuldhaft durchgesetzt würden. Genauso wenig könnten in Frankreich – wo Inhaftierungen des Schuldners gänzlich abgeschafft sind – Ordnungs- oder Zwangshaft eingesetzt werden.
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Im Ergebnis ist es also besonders wichtig, dass die Vollstreckungsmechanismen den inländischen Vorgaben entsprechen. Angesichts dessen besteht kein Raum dafür, ausländische Vorgaben hinsichtlich Auswahl und Ablauf von Zwangsmitteln im Zweitstaat zu berücksichtigen. c) Zwischenergebnis
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Es ist festzuhalten, dass weder zum Schutz des prozessualen Vertrauens der Beteiligten noch zur Wahrung des Zusammenhangs mit dem Leistungsbefehl die Vollstreckungsmechanismen Teil des Titelinhaltes sind. Daher folgt für den vorliegenden Zusammenhang aus Prämisse 1, dass grundsätzlich die Vollstreckung im Zweitstaat nach anderen Mechanismen erfolgen kann als im Ursprungsland.
268
s. Rn. 672 f. Treibmann, Vollstreckung in Europa, 1994, S. 144, 147. 270 Yessiou-Faltsi, in: Gottwald (Hrsg.), Justizielle Zusammenarbeit, 2004, S. 213 (217); Kerameus, Recueil des Cours 1997, S. 183, Nr. 50–54. 269
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2. Folgerungen aus Prämisse 2 (Intensivierungen allein aufgrund Abweichungen der Vollstreckungsregelungen akzeptabel) Nach Prämisse 2 sind Intensivierungen der Vollstreckbarkeit im Zweit- 1065 land dann hinzunehmen, wenn sie ihren Grund allein darin haben, dass funktional entsprechende Regelungen in den Vollstreckungsrechten von Ursprungs- und Vollstreckungsland voneinander abweichen. Derartige Disparitäten im „Wie“ der Vollstreckung bedeuten keine unzulässige Veränderung des Leistungsbefehls. Für die Vollstreckungsmechanismen bedeutet dies: Sind sie im Zweitland schneidiger, entsprechen aber funktional den im Ursprungsland gegebenen Befugnissen, kann von ihnen ohne Bedenken Gebrauch gemacht werden. Dann wird derselbe Titelinhalt eben auf andere Art und Weise umgesetzt. Sieht hingegen das Zweitland Methoden vor, für die es im Ursprungsland keine funktionalen Entsprechungen gibt, muss zur originalgetreuen Umsetzung des ausländischen Leistungsbefehls im Zweitland eine Beschränkung vorgenommen werden. Ausgehend von den rechtsvergleichenden Untersuchungen könnten ins- 1066 besondere in zwei Fällen die Abweichung der Vollstreckungsmethoden die Zielidentität berühren und zu einer Erweiterung des Leistungsinhaltes führen: Einerseits dann, wenn im Ursprungsland nur Real-, im Zweitland hingegen auch Personalvollstreckung möglich wäre [a)], ferner dann, wenn im Zweitland eine Durchsetzung in natura erlaubt würde, im Ursprungsland jedoch nicht [b)]. a) Personalvollstreckung anwendbar, wenn im Erstland nur Realvollstreckung möglich? Eine Erweiterung des Leistungsbefehls im Zweitstaat könnte dadurch ein- 1067 treten, dass dort auch gegen die Person des Schuldners vollstreckt werden kann, während im Ursprungsland nur ein Zugriff auf dessen Vermögen erlaubt wäre. Dieser Fall könnte etwa bei Geldleistungstiteln eintreten, die in Deutschland nur durch direkten Zugriff auf Vermögenswerte durchgesetzt werden, für die in England und Frankreich hingegen auch indirekte Beugemittel gegen die Person des Schuldners zur Verfügung stünden. Ein weiteres Beispiel sind Unterhaltsentscheidungen, die in einigen ame- 1068 rikanischen Staaten nicht durch Zugriff auf das Schuldnervermögen vollstreckt werden, sondern ausschließlich mittelbar durch ein vom Gläubiger anzustrengendes contempt of court-Verfahren. Wie derartige Titel in Deutschland durchzusetzen sind, hatten Gerichte bereits zwei Mal zu entscheiden. 1961 hatte das LG Berlin einem Urteil aus dem US-Bundesstaat
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New York die Vollstreckbarerklärung verweigert, weil die Gegenseitigkeit nicht verbürgt sei.271 Da nach New Yorker Vollstreckungsrecht aus Unterhaltstiteln nicht in das Vermögen des Schuldners vollstreckt werden kann, sondern nur eine strafrechtliche Ahndung wegen Nichtbefolgung möglich wäre, bestanden nach Auffassung des LG Berlin für deutsche Titel keine gleichwertigen Durchsetzungsbedingungen.272 Demgegenüber hat in einem anderen Fall das LG Hamburg das Exequatur erteilt, weil „die New Yorker Entscheidung eine präzise richterliche Anordnung darüber trifft, was zwischen den Parteien in Bezug auf den Unterhalt [. . .] Rechtens sein soll.“273 Das Gericht ließ sich offenbar von der Zielidentität leiten und fügte hinzu: „Die Entscheidung soll offensichtlich die Rechtsverhältnisse zwischen den Parteien verbindlich klären und von ihnen auch grundsätzlich befolgt werden.“274 1069
Einerseits ist die Verhängung von Zwangshaft und -geld zur Durchsetzung eines Geldleistungstitels mit dem deutschen Vollstreckungsrecht nicht zu vereinbaren; andererseits ginge es auch nicht an, die Vollstreckung aus dem Titel zu verweigern, da dieser zumindest im Ergebnis auch im Ursprungsland Zwangswirkung hätte.275 Daher ist man sich in der Lit. letztlich einig, dass auch New Yorker Unterhaltsentscheidungen in Deutschland nach den Regeln der Geldvollstreckung durchgesetzt werden können, obwohl im Ursprungsland ausschließlich indirekte Zwangsmittel zur Verfügung stünden.276 Es wurde vorgeschlagen, dieses Ergebnis im Wege einer 271
LG Berlin, 06.11.1961 – 32 O 5/57, IPRspr. 1960/61, Nr. 192. LG Berlin, 06.11.1961 – 32 O 5/57, IPRspr. 1960/61, Nr. 192, S. 601. In die gleiche Richtung geht auch das Gutachten Hamburg G 67/75, IPG 1976 Nr. 46, S. 512 (519 f.), wonach ein kalifornisches Unterhaltsurteil zumindest deswegen in Deutschland vollstreckt werden könne, weil im Recht Kaliforniens die contemptSanktionen nicht die einzige Bewehrung von Unterhaltstiteln sind, sondern dort auch Zugriff auf das Schuldnervermögen möglich ist. 273 LG Hamburg, 29.08.1968 – 13 O 156/66, IPRspr. 1968/69, Nr. 223, S. 565. 274 LG Hamburg, 29.08.1968 – 13 O 156/66, IPRspr. 1968/69, Nr. 223, S. 565. 275 Vgl. ausführlich Wolff, in: Martiny/Waehler/Wolff (Hrsg.), Hdb. IZVR, Bd. III/2, 1984, Kap. IV Rn. 31. Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 906, 1079 sieht bei den Titeln, die im Ursprungsland durch contempt of court-Verfahren vollstreckt werden, das Hauptproblem offenbar darin, dass eine Entscheidung im contempt-Verfahren (also etwa Anordnung von imprisonment oder fine) selbst nicht anerkennungsfähig und vollstreckbar ist, weil es sich hierbei um Strafsanktionen handelt, die nicht zivilrechtlicher Natur sind. Das ist zweifellos richtig, zumal es sich um Vollstreckungsakte handelt, die grundsätzlich nicht anzuerkennen sind. Dennoch trägt dies zum eigentlichen Problem nichts bei, denn hier geht es darum, mit welchen Vollstreckungsmitteln der ausländische Leistungsbefehl durchgesetzt werden kann. 276 Wolff, in: Martiny/Waehler/Wolff (Hrsg.), Hdb. IZVR, Bd. III/2, 1984, Kap. IV Rn. 31; Basedow, in: Schlosser (Hrsg.), Int. ZwVollstr., 1992, S. 131 (154); 272
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„Anpassung“ zu erreichen.277 Diese dogmatische Figur aus dem IPR sei auf das Internationale Zivilverfahrensrecht zu übertragen, weil hier zwar die Justizbehörden verschiedener Staaten aufeinander bezogen handeln, deren Rechtsordnungen aber nicht aufeinander abgestimmt sind.278 Sowohl in New York als auch in Deutschland sind Unterhaltstitel im Ergebnis vollstreckbar – allein aus den Unterschieden der Vollstreckungsrechte kann nicht folgen, dass im Zweitland keine Vollstreckung möglich ist. Hierbei handelt es sich aber in Wahrheit nicht um eine Anpassung.279 Es 1070 sind nämlich gar nicht mehrere Rechtsordnungen nebeneinander zur Anwendung berufen, wie dies bei der Anpassung der Fall ist. Ganz im Gegenteil spielen die Rechtsordnungen in der Form zusammen, dass das Ursprungsrecht das „Ob“ der Vollstreckung vorgibt und das Vollstreckungsverfahren vollständig nach dem Recht des Vollstreckungslandes durchgeführt wird. Das Recht des Ursprungslandes ist daher nur nach der Zielvorgabe der Vollstreckbarkeit zu befragen. Durch das Exequatur wird nicht nur die Vollstreckbarkeit über die Landesgrenzen hinweg erweitert, sondern auch der Titel so in die zweite Rechtsordnung eingepasst, dass er nach den dortigen Methoden durchgesetzt werden kann. Da die Vollstreckung zwingend nur nach den örtlich vorgesehenen Regeln ablaufen kann, eröffnet das Exequatur nur den Zugriff auf die Vollstreckungsmethoden vor Ort. Es ist damit unausweichlich, dass ein identischer Leistungsbefehl im Ausland auf andere Art und Weise durchgesetzt werden muss als im Ursprungsland. Eine gewisse Transposition aus den Vollstreckungsmethoden des Ursprungslandes in die Äquivalente des Zweitstaates ist also gerade ein Charakteristikum der Vollstreckbarerklärung. Dass der Titel im Ursprungsland durch direkte Vollstreckungsmittel 1071 durchgesetzt wird, im Zweitland hingegen durch indirekte, stellt keine Erweiterung des Leistungsbefehls dar, ist also mit Prämisse 2 zu vereinbaren.
Schlosser, RabelsZ 50 (1986), S. 415 (420); Remien, Zwangsgeld, 1992, S. 312 Fn. 131; Geimer, in: FS Georgiades, 2006, S. 489 (495); Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 1079. 277 So Wolff, in: Martiny/Waehler/Wolff (Hrsg.), Hdb. IZVR, Bd. III/2, 1984, Kap. IV Rn. 31; zust. Mansel, IPRax 1995, S. 362 (364); ebenso Basedow, in: Schlosser (Hrsg.), Int. ZwVollstr., 1992, S. 131 (153–155), der allerdings von einer sog. „kooperativen Anpassung“ spricht; so auch Geimer, in: FS Georgiades, 2006, S. 489 (495). 278 Basedow, in: Schlosser (Hrsg.), Int. ZwVollstr., 1992, S. 131 (155). 279 Schlosser, RabelsZ 50 (1986), S. 415 (420); Remien, Zwangsgeld, 1992, S. 312 Fn. 131.
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b) Durchsetzung in natura, wenn im Ursprungsland nur Schadensliquidierung möglich? 1072
Möglicherweise handelt es sich dann um eine unzulässige Erweiterung des Leistungsbefehls, wenn im Ursprungsland keine Vollziehung in natura möglich wäre, eine solche jedoch im Zweitland gestattet wird. Wichtigstes Beispiel hierfür sind die Titel über unvertretbare Handlungen und Unterlassungen, die in Deutschland mit Beugemitteln durchgesetzt werden können, nach italienischer – allerdings im Niedergang begriffener – Rechtslage nur zur Liquidierung des Schadens aus der Nichtbefolgung und zur Beseitigung von Störungen berechtigen.280 Da hier eine echte Erzwingung der geschuldeten Handlung nicht möglich ist, wird vertreten, dass solche italienischen Titel im Zweitland keiner Naturalexekution zugänglich sein können und daher nicht oder allenfalls beschränkt exequierfähig sind.281
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Dass im Ursprungsland lediglich monetäre Entschädigung oder Störungsbeseitigung möglich sind, könnte gegen das Vorliegen der nach Art. 38 I EuGVVO erforderlichen Vollstreckungsfähigkeit sprechen. Dies hängt nach Prämisse 2 davon ab, ob die Erzwingung einer Handlung mittels Beugemitteln funktional der im Ursprungsland vorgesehenen monetären Entschädigung oder Störungsbeseitigung entspricht. Zwar wäre ein Schaden aus unterbliebener Erfüllung in Italien im Wege eines erneuten Erkenntnisverfahrens geltendzumachen. In diesem kann aber der Bestand der Handlungsbzw. Unterlassungspflicht nicht mehr in Frage gestellt werden. Letztlich wird an den ursprünglichen Titel angeknüpft, so dass das neuerliche Verfahren lediglich eine Durchsetzungsform ist. Der Ursprungstitel hat also keine fehlende, sondern nur eine andersartige Vollzugsfähigkeit.
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Es lässt sich auch ein Erst-Recht-Schluss ziehen zur Handhabung der Vollstreckungshindernisse: Wenn eine (unbeschränkte) Vollstreckbarerklärung selbst dann in Betracht kommt, wenn der Titel im Ursprungsstaat konkret nicht durchgesetzt werden könnte282, muss das Exequatur erst recht möglich sein, wenn im Ursprungsland bei Nichtbefolgung immerhin Erstattung von Schäden oder Beseitigung von Störungen möglich ist.283 Wenn so280
Vgl. zum italienischen Recht Rn. 981 f. Vgl. die Lit.-Nachw. bei Fn. 235 u. 236 (S. 490). 282 Vgl. Rn. 1023–1035. 283 Der Erst-recht-Schluss trifft jedenfalls dann zu, wenn die konkreten Vollstreckungshindernisse im Ursprungsland dort auch die Liquidierung des Schadens durch Nichtbefolgung ausschließen. Ob dies der Fall ist, kann nicht allgemein beantwortet werden. Unter Zugrundelegung des EuGH-Verständnisses des Begriffs „Vollstreckbarkeit“ i. S. v. Art. 38 I EuGVVO würde die Erteilung des Exequaturs im Zweitland jedenfalls nicht daran scheitern, dass im Ursprungsland konkrete Vollstreckungshindernisse greifen und dort auch eine Schadensliquidierung unmöglich wäre. 281
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gar „hinkende Durchsetzbarkeit“ unproblematisch ist, kann auch „andersartige Durchsetzbarkeit“ kein Hinderungsgrund sein für eine Vollstreckung im Zweitland. Nach Prämisse 2 ist nur erforderlich, dass sich die Befugnisse im Erst- und Zweitland funktional entsprechen. Dass in Italien Zwangsgeld und -haft als solche nicht vorgesehen sind, dennoch ein Leistungsbefehl erlassen wird, zeigt, dass diese Rechtsordnung grundsätzlich eine entsprechende Pflicht durch Titulierung anerkennt. Eine Vollstreckbarerklärung zu verweigern, benachteiligte auch den Gläu- 1075 biger unangemessen und diskriminierte letztlich Titel aus Rechtsordnungen ohne Naturalexekutionszwang, was Prämisse 3 verbietet. Erhielte der Gläubiger im Zweitland keine – wie auch immer geartete – Durchsetzbarkeit, müsste er den Rechtsschutz letztlich länderweise suchen. Aber auch eine Beschränkung des Exequaturs auf bestimmte Zwangsarten kommt nicht in Betracht. Es gibt keinen legitimen Grund dafür, den im Zweitland vollstreckungspflichtigen Schuldner vor dem einheimischen Zwangsrecht teilweise zu schützen. Entweder man hält den ausländischen Leistungsbefehl für akzeptabel, weil die Anerkennungsvoraussetzungen erfüllt sind, oder eben nicht. Eine nur teilweise Bereitstellung des inländischen Vollstreckungsapparates wäre inkonsequent. Somit sind auch italienische Verhaltenstitel ohne Naturalerfüllungszwang im Zweitland durch Naturalexekution durchsetzbar.284 c) Zwischenergebnis Prämisse 2 schließt es im Ergebnis nicht aus, dass für die Durchsetzung 1076 von Entscheidungen im Zweitstaat effektivere Methoden als im Ursprungsstaat zur Verfügung stehen.285 Besteht im Ursprungsland kein Naturalexekutionszwang, schließt dies eine Beitreibung in natura im Zweitland nicht aus. Genauso wenig ist Personalvollstreckung allein deshalb versperrt, weil das Ausgangsland nur Realvollzug gestattet. 3. Folgerungen aus Prämisse 3 (Keine Ungleichbehandlung aus- und inländischer Titel) Aus Prämisse 3 folgt in erster Linie, dass für ausländische Titel gleich 1077 günstige Durchsetzungsbedingungen gelten müssen wie für inländische.286 Ausländischen Titeln muss also das gesamte Zwangsarsenal der örtlichen 284
So anscheinend auch Treibmann, Vollstreckung in Europa, 1994, S. 145–148. So auch Schlosser, EuZPR, 3. Aufl. 2009, Art. 33 EuGVVO Rn. 1 u. Art. 38 EuGVVO Rn. 16. 286 s. Rn. 679–682. 285
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Beitreibeordnung zur Verfügung stehen.287 Eine darüber hinausgehende Verpflichtung des Vollstreckungsstaates, auch Vollstreckungsmechanismen aus der Rechtsordnung des Ursprungslandes anzuwenden, lässt sich nicht begründen.288 Eher von theoretischem Interesse dürften die Fälle sein, in denen das zweitstaatliche Vollstreckungsrecht für bestimmte Titelinhalte überhaupt keine Vollstreckungsmittel bereithält. Aus Respekt vor der zweitstaatlichen Vollstreckungsordnung und in Parallele zur Handhabung der konkreten Vollstreckungshindernisse289 wird man in diesem Fall eine fehlende Durchsetzbarkeit hinnehmen müssen.290 1078 Fraglich ist aber, ob die europarechtliche Vollstreckungspflicht vom Zweitstaat verlangt, sein Vollstreckungsrecht modifiziert anzuwenden, um effektive Durchsetzungsbedingungen zu gewährleisten. Dies lässt sich beispielhaft an zweitstaatlichen Bestimmtheitsanforderungen verdeutlichen: Das OLG Karlsruhe ließ einer englischen world-wide freezing injunction, die sich auf das gesamte Vermögen des Adressaten bezog, nicht den Effekt eines dinglich wirkenden Verfügungsverbotes zukommen, weil der Titel hierfür zu unbestimmt gewesen sei. Stattdessen wurde auf § 890 ZPO ausgewichen und für jeden Fall der Zuwiderhandlung Ordnungsgeld und Ordnungshaft angedroht.291 Diese Entscheidung wurde in der deutschen Lit. kritisiert, weil nach ihr im Zweitland weniger effektive Vollstreckungsmittel greifen als im Ursprungsland.292 Der Zweitstaat dürfe sich nicht durch zusätzliche nationale Bestimmtheitsanforderungen seiner europarechtlichen Vollstreckungsverpflichtung entziehen.293 1079 In der Regel bereiten Formanforderungen im Zweitland keine Probleme, da der Titel in sie durch das Exequatur eingepasst wird, so dass er vor Ort 287 Bitter, EU-Vollstreckung, 2009, S. 138, 141; Schlosser, in: FS Leipold, 2009, S. 435 (438). 288 s. Rn. 683–694. 289 s. zu den Vollstreckungshindernissen Rn. 1023–1035. 290 A. A. für das das EuGVÜ Mansel, IPRax 1995, S. 362 (363 f.), wonach die „staatsvertragliche Vollstreckungspflicht“ die Bereitstellung eines zweitstaatlichen Vollstreckungsmittels erzwinge, mit der alleinigen „Notbremse“ durch den anerkennungsrechtlichen ordre public bei Verstoß gegen Grundprinzipien des zweitstaatlichen Vollstreckungsrechts (Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ). Dies ist aber nicht überzeugend, da das EuGVÜ gerade nicht das zweitstaatliche Zwangsvollstreckungsrecht vereinheitlicht. 291 OLG Karlsruhe, 19.12.1994 – 9 W 32/94, ZZPInt. 1 (1996), S. 91; zust. Zuckerman/Grunert, ZZP Int. 1 (1996), S. 96 (98 f.). 292 Schlosser, IPRax 2006, S. 300 (303): stattdessen sei § 136 BGB anwendbar, offenbar unabhängig davon, ob die jeweiligen Verfügungen deutschem Recht unterliegen, ebenso schon Schlosser, RIW 2001, S. 81 (90). 293 Schlosser, IPRax 2006, S. 300 (303); so auch schon zum EuGVÜ Mansel, IPRax 1995, S. 362 (364), wonach Vollstreckungshindernisse oder anderweitige Beschränkungen der Vollstreckbarkeit europarechtswidrig seien.
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die Voraussetzungen für eine Vollstreckung erfüllt.294 So kann etwa dem deutschen Bestimmtheitserfordernis dadurch Rechnung getragen werden, dass ein unklarer ausländischer Entscheidungstenor durch das Exequaturgericht konkretisiert bzw. ergänzt wird.295 Außerdem kann die europarechtliche Vollstreckungspflicht den Zweitstaat 1080 zu einer flexiblen Anwendung seines Vollstreckungsrechts zwingen, etwa wenn die Zuständigkeiten zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren unterschiedlich aufgeteilt sind: Während in Frankreich das Recht zur Ersatzvornahme mit Anspruch auf Kostenersatz eine materiellrechtliche Erfüllungsalternative ist, die bereits vom Erkenntnisgericht angeordnet wird (Art. 1144 CC), handelt es sich hierbei im deutschen Recht um eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung (§ 887 ZPO). Hat der Gläubiger eines 294
BGH, 10.02.2000 – IX ZB 31/99, Vorlagebeschluss zu EuGH, 06.06.2002 – Rs. C-80/00, Italian Leather ./. WECO Polstermöbel, WM 2000, S. 635 (638). So wird etwa in Deutschland die Vollstreckbarerklärung dadurch vollzogen, dass dem ausländischen Titel eine Vollstreckungsklausel erteilt wird, vgl. § 7 AVAG. Französische Gerichte sehen sich zu einer Titelanpassung im Vollstreckbarerklärungsverfahren eher nicht in der Lage, vgl. Tribunal de grande instance de Paris (Prés.), 26.02.1980, RCDIP 69 (1980), S. 783. 295 Vgl. Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. I/Mankowski, 2011, Art. 38 EuGVVO Rn. 22; Roth, IPRax 1989, S. 14 (17–18), der insoweit von einer „prozessualen Anpassung“ spricht. Eine Ergänzung der ausländischen Entscheidung ist dann noch zulässig, wenn ihr genauer Inhalt anhand von ausländischen Vorschriften oder anderen, im Inland gleichermaßen zugänglichen und sicher feststellbaren Umständen bestimmt werden kann, vgl. Geimer, in: FS Georgiades, 2006, S. 489 (508). Das ist etwa der Fall, wenn ein indexierter ausländischer Unterhaltstitel nach dem allgemein zugänglichen Kosumkostenindex aus dem Urteilsland zu konkretisieren ist, vgl. BGH, 06.11.1985 – IV b ZR 73/84, NJW 1986, S. 1440. Genauso kann ein Urteil, das die Zahlung „gesetzlicher Zinsen“ verlangt, anhand ausländischer Vorschriften um die genaue Zinshöhe ergänzt werden, vgl. BGH, 05.04.1990 – IX ZB 68/89, NJW 1990, S. 3084; ebenso BGH, 04.03.1993 – IX ZB 55/92, BGHZ 122, 16 (18–21). Zur Ermittlung des vollstreckungsfähigen Inhalts eines ausländischen Titels kann es ggf. erforderlich sein, die Entscheidungsformel unter Berücksichtigung der Urteilsgründe auszulegen, BGH, 28.06.1984 – IX ZB 31/84, IPRax 1985, S. 101. Andererseits OLG Stuttgart, 10.11.1986 – 5 W 39/86, 5 W 40/86, RIW 1988, S. 302; OLG Saarbrücken, 03.08.1987 – 5 W 102/87, IPRax 1989, S. 37 (40 f.): Die Grenze zur révision au fond ist überschritten, wenn auch unter Berücksichtigung der Entscheidungsgründe nicht mit eindeutiger Sicherheit die Forderungshöhe ermittelt werden kann und daher die Richtigkeit der Urteilsgründe überprüft werden müsste. Ebenso kann im Rahmen der Vollstreckbarerklärung eines Titels, der Unterhalt nur unter der Bedingung eines „ernsthaften und zielstrebigen Studiums“ gewährt, nicht der Bedingungseintritt geprüft werden, weil dann das Exequaturgericht eine eigene Sachentscheidung treffen müsste, OLG Karlsruhe, 08.01.2002 – 9 W 51/01, FamRZ 2002, S. 1420; zust. Seidl, Bestimmtheitsgrundsatz, 2010, S. 172, soweit zur Entscheidung über den titulierten Anspruch im Vollstreckungsland keine internationale Zuständigkeit besteht (anders in der EuGVVO, a. a. O., S. 211 f.); a. A. Geimer, in: FS Georgiades, 2006, S. 489 (508): „dogmatisch zu fixiert“.
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französischen Titels eine Ermächtigung zur Ersatzvornahme bereits im Erkenntnisverfahren erstritten und möchte er diese in Deutschland durchsetzen, sollte mit der Vollstreckbarerklärung in Deutschland zugleich eine Ermächtigung gem. § 887 I ZPO erteilt werden.296 Bestimmt das deutsche Recht das Prozessgericht des ersten Rechtszuges zum Vollstreckungsorgan (etwa §§ 887 f, 890 ZPO), kommt diese Rolle dem Exequaturgericht zu.297 Dieses müsste etwa mit dem Exequatur Ordnungsmittel androhen, soweit der ausländische Titel bereits eine Sanktionsandrohung enthält.298 1081
Die europarechtliche Vollstreckungspflicht verlangt also bisweilen eine flexible Handhabung des zweitstaatlichen Vollstreckungsrechts. Dies ist immer dann geboten, wenn andernfalls die Vollstreckbarerklärung völlig leerliefe und das nationale Recht lediglich in Verfahrensaspekten anders angewendet wird, so dass hierdurch Grundwertungen der zweitstaatlichen Rechtsordnung nicht verletzt werden können. Es handelt sich insofern um einen geeigneten Kompromiss zwischen der europarechtlichen Zielvorgabe und der zweitstaatlichen Domäne zur Regelung des Vollstreckungsverfahrens. Eine modifizierte Anwendung ist aber nicht erforderlich, wenn die Vollstreckungsmechanismen im konkreten Fall nur weniger effektiv sind als im Ursprungsland. Wie die Analyse der europarechtlichen Vorgaben gezeigt hat, gibt es gerade keine Verpflichtung des Zweitstaates, dem Titel Durchsetzungsbedingungen zu schaffen, die denen im Ursprungsstaat gleichwertig sind.299 Die Entscheidung des OLG Karlsruhe verstößt demnach nicht gegen Europarecht, da hier eine Vollstreckung nicht vollständig unmöglich war. Insofern ist auch auf Prämisse 2 zu verweisen, wonach Unterschiede im „Wie“ der Vollstreckung hinzunehmen sind.
296
Gärtner, Auslandsvollstreckung, 1991, S. 254. Problematischer ist die umgekehrte Konstellation, in der ein deutscher Titel, der noch keine Ermächtigung zur Ersatzvornahme enthält, in Frankreich exequiert wird: Da in Frankreich das Recht zur Ersatzvornahme ein materiellrechtlicher Anspruch ist und nicht Teil des Vollstreckungsrechts, kann hier der deutsche Titel nicht ohne weiteres umgesetzt werden. Damit die Vollstreckbarerklärung in dieser Konstellation ihren Sinn erfüllen kann, muss der französische Exequaturrichter den deutschen Urteilstenor mittels Anpassung mit den gleichen materiellrechtlichen Folgen versehen wie eine gleichlautende inländische Entscheidung. Vgl. Gärtner, Auslandsvollstreckung, 1991, S. 256. Zu der Frage der völkerrechtlichen Grenzen bei der Anordnung der Ersatzvornahme s. sogleich Rn. 1100. 297 OLG Köln, 02.12.2005 – 16 W 31/05, InVo 2006, S. 332. 298 Lindacher, in: FS Gaul, 1997, S. 399 (408); Treibmann, Vollstreckung in Europa, 1994, S. 118; Stutz, Internationale Vollstreckung, 1992, S. 179. 299 s. Rn. 683–694.
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III. Ergebnis und Lösungen der Beispielsfälle Im Ergebnis richten sich die Modalitäten der Zwangsanwendung aus aus- 1082 ländischen Titeln strikt nach dem Recht des Vollstreckungslandes, das insbesondere Auswahl und Ablauf der Zwangsmittel vorgibt.300 Dies kann ggf. zu „hinkender Durchsetzbarkeit“ führen. Durch den europarechtlichen Hintergrund ist eine modifizierte Anwendung des nationalen Vollstreckungsrechts aber nur in ganz engen Fällen erforderlich, nämlich soweit sie sich im rein formellen Bereich abspielt. Hiervon abgesehen gilt insbesondere für die Vollstreckungsmechanismen der lex fori-Grundsatz [1.]. Die einzige Ausnahme schafft Art. 49 EuGVVO [2.]. 1. Lösungen der Fälle 6.1, 6.2 und 6.3 Im Fall 6.1301 kann der deutsche Geldleistungstitel in Griechenland mit- 1083 tels Schuldhaft durchgesetzt werden, obwohl diese in seinem Ursprungsland unbekannt ist. Ebenso steht im Fall 6.2302 für einen deutschen Unterlassungstitel in Frankreich die astreinte zur Verfügung, auch wenn diese wesentlich schneidiger ist als ein deutsches Ordnungsgeld. Ein französischer zur Vornahme von Handlungen verpflichtender Titel kann in Deutschland durch Zwangshaft durchgesetzt werden, obwohl es ein vergleichbares Zwangsmittel in Frankreich nicht gibt. Und schließlich kann die Erfüllung eines deutschen Geldleistungstitels in England mittels contempt of court fines erzwungen werden, obgleich in Deutschland Geldleistungsansprüche nur einer Realvollstreckung zugänglich sind. Nach welchen Methoden ein Anspruch durchgesetzt wird, entscheidet ausschließlich das Recht des Vollstreckungslandes. Über Art. 38 I EuGVVO kann sich eine „Rückkopplung“ ergeben, wenn 1084 die Vollstreckungsbefugnisse im Ursprungsland so ausgestaltet sind, dass man Zweifel an der Vollstreckbarkeit bekommen kann. Dies ist aber nicht bei Unterlassungs- und Handlungstiteln aus Italien der Fall, die in ihrem Ursprungsland nicht in natura durchgesetzt werden können. Daher kann im Fall 6.3303 in Deutschland ein Ordnungsgeld festgesetzt und beigetrieben werden.
300 So auch Kerameus, Recueil des Cours 1997, S. 183 (386); Muir Watt, RCDIP 91 (2002), S. 720 (730). 301 s. Rn. 1039–1042. 302 s. Rn. 1043. 303 s. Rn. 1045.
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2. Sonderfall von Art. 49 EuGVVO für Zwangsgelder und das Problem des richtigen Empfängers der beigetriebenen Geldmittel 1085
Der lex fori-Grundsatz in Bezug auf die Vollstreckungsmethoden wird ausschließlich durch die Ausnahmeregelung von Art. 49 EuGVVO durchbrochen, der die unmittelbare Vollstreckung von Zwangsgeldfestsetzungen im Zweitland erlaubt. Dies kann dazu führen, dass ein Titel ausländischer Herkunft mit anderen Mechanismen vollstreckt wird als ein solcher inländischen Ursprungs. So wäre es einem deutschen Gericht möglich für seinen Handlungstitel ein Zwangsgeld festzusetzen, welches dann in Italien exequiert werden könnte – selbst wenn dort für Handlungstitel kein Realerfüllungszwang greifen würde.
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Bei Geldbeugemitteln, die gem. Art. 49 EuGVVO ins Zweitland transportiert werden, stellt sich die Frage, wem das beigetriebene Geld zugute kommen soll. Ist dies ein Aspekt des Titelinhaltes oder des Vollstreckungsverfahrens? Außerhalb von Art. 49 EuGVVO, also wenn das Geldbeugemittel erst im Vollstreckungsland angeordnet wird, gibt eindeutig das dortige Vollstreckungsrecht den Empfänger vor. Wird etwa zur Vollstreckung eines französischen Urteils in Deutschland ein Zwangsgeld angeordnet, kommt der Erlös dem deutschen Fiskus zugute. Umgekehrt kann der Gläubiger eines deutschen Titels in Frankreich die Verhängung einer astreinte erreichen, die ihm selbst zufließt. Im Fall von Art. 49 EuGVVO steht der Empfänger des Geldes nicht fest, weil die Zweistufigkeit von Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren, die jeweils in verschiedenen Ländern stattfinden, aufgegeben wird: Genau genommen findet das Vollstreckungsverfahren nun in zwei Staaten statt, zunächst dort, wo die Zwangsgeldentscheidung ergeht, sodann dort, wo sie vollstreckt werden soll.304
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Man könnte auf die Idee kommen, dass das Recht des Staates, in dem der zweite Teil der Vollstreckung abläuft, vorzugeben hat, wem das beigetriebene Geld zukommen soll.305 Dies ließe sich damit begründen, dass es sich bei dieser Frage um einen Aspekt des Vollstreckungsablaufs handelt, weil eben jedes Recht sein Beugemittel anders konzipiert. Überzeugender erscheint aber, den Geldempfänger nach dem Recht des Landes zu bestimmen, in dem das Zwangsmittel angeordnet wurde, denn die Frage, wem der Vollstreckungserlös zufällt, ist ein Aspekt des „Ob“ der Vollstreckung und daher dem Ursprungsland zugeordnet. Hierdurch entstehen auch keine Anpassungsschwierigkeiten: Wurde das Zwangsgeld bereits im Ursprungsland 304
Koch, in: Schlosser (Hrsg.), Int. ZwVollstr., 1992, S. 171 (199). So etwa Koch, in: Schlosser (Hrsg.), Int. ZwVollstr., 1992, S. 171 (199); Lindacher, in: FS Gaul, 1997, S. 399 (407 f.). 305
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festgesetzt, ist im Vollstreckungsland lediglich eine reguläre Geldvollstreckung durchzuführen. Dort befindet man sich – technisch gesehen – also nicht mehr im Bereich der Nichtgeldleistungsvollstreckung. Wie dieses Land diese ausgestaltet, ist folglich nicht von Interesse, weil der zweitstaatliche Zwangsapparat nur mit der Durchsetzung des Geldleistungsanspruchs „beauftragt“ wurde.
D. Die Wirkungen ausländischer Vollstreckungsakte (insbesondere ausländischer Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse) Da – wie die rechtsvergleichenden Untersuchungen gezeigt haben – die 1088 Beschlagnahme von Forderungen in den einzelnen Rechtsordnungen durchaus unterschiedliche Wirkungen hat306, stellt sich die Frage, welche Effekte ausländischen Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen im Zweitland zukommt [II.]. Um dies beantworten zu können, sind vorab die Voraussetzungen für deren Anerkennung im Zweitland zu klären [I.]. I. Voraussetzungen der Anerkennung ausländischer Vollstreckungsakte Fraglich ist, nach welchen Regeln ausländische Vollstreckungsakte aner- 1089 kannt werden. Hierfür sind die Anerkennungsvorschriften der EuGVVO jedenfalls nicht unmittelbar anwendbar, da diese ausschließlich im Erkenntnisverfahren zustandegekommene Sachentscheidungen im Auge haben. Auch Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse entscheiden keinen Streit zwischen den Parteien, sondern sind Vollstreckungsakte und damit keine „Entscheidungen“ i. S. v. Art. 32 EuGVVO.307 Zu untersuchen ist somit, nach welchen Regeln die Wirkungen ausländischer Vollstreckungstätigkeit im Zweitland anerkannt werden können. Dass Vollstreckungsakte überhaupt außerhalb des Vornahmestaates Ef- 1090 fekte entfalten können, ist nicht nur für den Bereich der Forderungspfändung im Grundsatz unbestritten308: So ist etwa im Bereich der Mobiliarund Immobiliarvollstreckung der Zuschlag zu Gunsten des Erstehers, durch 306
s. Rn. 952–960. Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 901, 1061; Geimer, in: Geimer/Schütze (Hrsg.), EuZVR, 3. Aufl. 2010, Art. 32 EuGVVO Rn. 49; Schütze, DIZPR, 2. Aufl. 2005, Rn. 451. A. A. Schlosser, EuZPR, 3. Aufl. 2009, Art. 32 EuGVVO Rn. 5: „können unterfallen“; für eine analoge Anwendung der Regeln über die Urteilsanerkennung im deutschen autonomen Anerkennungsrecht Geimer, IZPR, 6. Aufl. 2009, Rn. 3283. 307
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den dieser Eigentum an den in Beschlag genommenen Sachen erwirbt309, ein rechtsgestaltender Hoheitsakt, auf dessen Wirkungen es ggf. auch vor Gerichten eines anderen Staates ankommen kann. Gleiches gilt für Überweisungen bzw. Pfändungen von Forderungen, die in Bezug auf die Forderungszuständigkeit rechtsgestaltend wirken.310 Darüber hinaus kann ausländischer Vollstreckungstätigkeit im Zweitland auch Tatbestandswirkung zukommen: Wird dort beispielsweise der Vollstreckungserlös durch Bereicherungsklage zurückgefordert, kommt es darauf an, ob die ausländischen Akte der Beitreibung im Zweitland einen Rechtsgrund zum Behaltendürfen liefern. 1091
Die für ausländische Vollstreckungsakte gültigen Anerkennungsvoraussetzungen wollen manche Autoren den allgemeinen Regeln der Urteilsanerkennung entnehmen.311 Innerhalb der EU wären demnach Art. 34 f. EuGVVO, soweit passend (analog?) heranzuziehen. Andere wollen die Regelungen des IPR anwenden.312 Nach diesem Ansatz muss der Vollstreckungsakt aus dem Land stammen, das auch das Wirkungsstatut stellt: Insbesondere einem Vollstreckungszugriff auf bewegliche oder unbewegliche Sachen kämen demnach nur dann im Zweitland Wirkungen zu, wenn – entsprechend der lex rei sitae-Regel – die Vollstreckungsbehörden im Belegenheitsland gehandelt hatten. Welche Regelungen letztlich maßgeblich sind, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden, da dies für die Grenzen der Anerkennung ausländischer Vollstreckungsakte im Ergebnis unerheblich ist. Insoweit besteht nämlich Einigkeit, dass der zweitstaatliche ordre public gewahrt sein muss313, und dass der Vollstreckungsstaat durch seine Vollstreckungstätigkeit den eigenen Hoheitsbereich nicht überschritten haben darf314. Nachfolgend ist auf diese beiden Anerkennungsvoraussetzun308 Schütze, DIZPR, 2. Aufl. 2005, Rn. 451; Geimer, IZPR, 6. Aufl. 2009, Rn. 2793 f.; KG, 29.09.1987 – 17 U 492/87, NJW 1988, S. 341; BGH, 22.09.1988 – IX ZR 263/87, NJW 1989, S. 1352. 309 s. zur Mobiliarvollstreckung Rn. 949 (Deutschland), 950 (England), 951 (Frankreich); zur Immobiliarvollstreckung Rn. 963 (Deutschland), 964 (England), 965 (Frankreich). 310 s. Rn. 958–960. 311 Geimer, IZPR, 6. Aufl. 2009, Rn. 2794; Schütze, DIZPR, 2. Aufl. 2005, Rn. 451. 312 Wengler, RGRK-BGB, Bd. VI, 12. Aufl. 1981, § 14 e) 12 (S. 403–409); Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 1062. So – allerdings im Rahmen einer Vorfrage – auch BGH, 22.09.1988 – IX ZR 263/87, NJW 1989, S. 1352 und KG, 29.09.1987 – 17 U 492/87, NJW 1988, S. 341. 313 Geimer, IZPR, 6. Aufl. 2009, Rn. 2795; BGH, 22.09.1988 – IX ZR 263/87, NJW 1989, S. 1352. 314 Schlosser, EuZPR, 3. Aufl. 2009, Art. 32 EuGVVO Rn. 5: Bei Überschreitung der völkerrechtlichen Souveränität wäre die Anerkennung wegen des ordre public
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gen – ordre public-Vorbehalt [1.] und die Reichweite der erststaatlichen Vollstreckungsgewalt [2.] – einzugehen. 1. Der ordre public-Vorbehalt gegenüber der Anerkennung ausländischer Vollstreckungsakte Die Anerkennung von Wirkungen ausländischer Vollstreckungsakte darf 1092 den inländischen ordre public nicht verletzen. Dieser Vorbehalt greift zum einen dann ein, wenn die ausländische Vollstreckungsmethode bzw. das hierbei beachtete Verfahren mit wesentlichen Grundsätzen der zweitstaatlichen Rechtsordnung unvereinbar sind. Insbesondere gegen die Person des Schuldners gerichtete indirekte Vollstreckungsmittel sind geeignet, mit Grundvorstellungen des Anerkennungslandes zu kollidieren. Die Schuldhaft dürfte ein Beugemittel sein, das in den wenigsten Rechtsordnungen auf Akzeptanz stoßen wird. Auch die Inhaftierung des Schuldners zur Erzwingung von auf Handlungen gerichteten Ansprüchen könnte mancherorts nicht gebilligt werden. Möglicherweise misst der Zweitstaat einer Verpflichtungserklärung, zu deren Abgabe der Schuldner mit Zwangshaft bewegt wurde, aus Gründen des ordre public keine Wirkungen bei. Darüber hinaus kann sich auch das im Ausland beachtete Verfahren als ordre public-widrig erweisen: Ggf. will der Zweitstaat den Zuschlag, durch den der Ersteher Eigentum an einer zwangsversteigerten Immobilie erwirbt, deswegen nicht anerkennen, weil dem Schuldner im Vollstreckungsverfahren kein ausreichendes rechtliches Gehör gewährt wurde. Zum anderen kann eine Anerkennung ausländischer Vollstreckungsakte da- 1093 ran scheitern, dass die durch sie durchgesetzte Titulierung mit der öffentlichen Ordnung des Zweitstaates unvereinbar ist. In Parallele zum Verbot des Doppelexequaturs kann es einem Staat, der Vollstreckungsakte ergriffen hat, nicht gestattet werden, hierdurch die Anerkennungsregelungen eines anderen Staates zu umgehen. Daher muss es letzterem möglich sein, die Anerkennung von Wirkungen der Vollstreckungsakte zu verweigern, wenn die zugrunde liegende Entscheidung nicht mit dem inländischen ordre public vereinbar ist. 2. Reichweite der staatlichen Vollstreckungsgewalt des Ursprungslandes Die Anerkennung eines ausländischen Beitreibungsakts kann auch daran 1094 scheitern, dass der Staat, in dem dieser vorgenommen wurde, hierbei die völkerrechtlichen Grenzen seiner staatlichen Vollstreckungsgewalt überdes Anerkennungslandes ausgeschlossen. Ebenso Geimer, IZPR, 6. Aufl. 2009, Rn. 3283.
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schritten hat. Nach dem Territorialitätsprinzip kann ein Staat nur im eigenen Gebiet Zwang anwenden, die Ausübung hoheitlicher Macht auf fremdem Terrain ist völkerrechtswidrig.315 Demnach können Vollstreckungsorgane beispielsweise nur das im Inland belegene Vermögen in Beschlag nehmen und verwerten, während im Ausland befindliche Sachen ihrem Zugriff entzogen sind. Geldforderungen haben allerdings keine Belegenheit in diesem Sinne, so dass nach diesem Kriterium auch nicht beurteilt werden kann, welches Land für die Pfändung einer Forderung, die zu mehreren Jurisdiktionen Berührungen aufweist, zuständig ist. Wo die jurisdiction to enforce liegt, ist etwa für Forderungen fraglich, deren Gläubiger und Schuldner in verschiedenen Staaten ansässig sind [b)]. Zunächst ist dieselbe Problematik für Nicht-Geldleistungsurteile zu behandeln, für die die Vollstreckungszuständigkeit genauso wenig nach Vermögensbelegenheit bestimmt werden kann [a)]. a) Internationale Vollstreckungszuständigkeit bei Nicht-Geldleistungsurteilen 1095
Die Problematik der jurisdiction to enforce über Nicht-Geldleistungsansprüche stellt sich insbesondere angesichts der weiten jurisdiction to adjudicate zur Titulierung solcher Ansprüche. Insoweit besteht nämlich Einigkeit, dass ein international zuständiges Gericht Handlungen und Unterlassungen anordnen kann, gleichgültig in welchem Land sie geschuldet sind oder wo der Verpflichtete ansässig ist.316 Wird etwa zu einer Unterlassung im 315 Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 158; Remien, Zwangsgeld, 1992, S. 299. Darüber hinaus genießen fremde Staaten auch als Vollstreckungsgegner bei einer Beitreibung im Inland Immunität (Vollstreckung gegen Staatsbetriebe, Botschaftsgebäude, etc.). 316 Riezler, IZPR, 1949, S. 243; Stutz, Internationale Vollstreckung, 1992, S. 17; Lindacher, in: FS Gaul, 1997, S. 399 (399 f.); Gottwald, in: FS Habscheid, 1989, S. 119 (121); OLG Stuttgart, 26.09.1983 – 11 W 43/83, ZZP 97 (1984), S. 487; Bitter, EU-Vollstreckung, 2009, S. 165; Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 792; Coester-Waltjen, in: FS Schlosser, 2005, S. 147 (149, 152) für die Anordnung von Urkundenvorlage-, -einsichts- oder -herausgabeansprüchen; Treibmann, Vollstreckung in Europa, 1994, S. 85, 89 f. für den Erlass einer weltweiten freezing injunction nach englischem Recht; ebenso OLG Karlsruhe, 19.12.1994 – 9 W 32/94, ZZPInt. 1 (1996), S. 91 (Vollstreckbarerklärung einer weltweiten freezing injunction); O’Malley/Layton, European Civil Practice, 1989, Rn. 1.47; BGH, 02.10.1956 – I ZR 9/54, BGHZ 22, 1 (13); OLG Nürnberg, 16.09.1980 – 1 W 1404/80, OLGZ 1981, 115. Ebenso High Court Chancery Division, 20.02.1978 – Cook Industries Inc v. Galliher [1978] 3 W.L.R. 637: englische Gerichte können eine seach order (ehemals Anton Piller Order) erlassen, mit der einem US-Bürger gestattet wird, die Pariser Wohung des Schuldners auf unzulässige Gegenstände inspizieren zu lassen. Ob dies auch für die anti-suit injunction gilt, mit der einer Partei die Fortführung von Prozessen im Ausland verboten wird, ist umstritten: für die völkerrechtliche
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Ausland verurteilt, bedeutet dies allein noch keine Ausübung von Hoheitsrechten auf fremdem Staatsgebiet, die möglicherweise völkerrechtswidrig wäre. Die Befugnis zur Anordnung ergibt sich aus der internationalen Zuständigkeit bzw. der Gerichtspflichtigkeit des Anspruchsgegners. Seine prozessuale Rechtsstellung unterscheidet sich nicht von der eines einheimischen Beklagten; er muss daher genauso am Verfahren mitwirken und kann in gleicher Weise verurteilt werden, egal ob zur Zahlung einer Geldsumme oder zur Vornahme einer Handlung.317 Ein Eingriff in die Gebietshoheit anderer Staaten liegt erst vor, wenn auf fremdem Territorium hoheitliche Amtshandlungen vorgenommen werden, etwa durch Beweiserhebung oder grenzüberschreitende Zustellung. Souveränitätsverletzend kann es aber auch sein, wenn Ansprüche vollstreckt werden, die im Ausland geschuldet sind: aa) Die Reichweite der jurisdiction to enforce bei Titeln auf unvertretbare Handlungen Die jurisdiction to enforce ist etwa dann fraglich, wenn ein Staat die Vor- 1096 nahme unvertretbarer Handlungen erzwingt, die im Ausland geschuldet sind. In diesem Fall ist es nach allgemeiner Ansicht jedenfalls nicht völkerrechtswidrig, wenn eine im Inland ansässige Partei durch reinen Inlandszwang zur Vornahme oder Unterlassung von Handlungen angehalten wird.318 So könnten etwa in Deutschland gegen einen vor Ort ansässigen Schuldner Zwangsmittel angesetzt werden, um dessen Verpflichtung zur Durchführung baulicher Veränderungen in einem spanischen Ferienhaus durchzusetzen.319 Die Anwendung von Inlandszwang mit dem Ziel eine Handlung im Ausland zu ertrotzen wird sogar dann für rechtmäßig gehalten, wenn der Schuldner seinen Wohnsitz im Ausland hat.320 Unbedenklichkeit etwa Judicial Committee of the Privy Council, 14.05.1987 – Societe Nationale Industrielle Aerospatiale v. Lee Kui Jak [1987] A.C. 871; dagegen etwa Gottwald, in: FS Habscheid, 1989, S. 119 (122 f.). 317 Schlosser, in: FS Lorenz, 1991, S. 497. 318 Stutz, Internationale Vollstreckung, 1992, S. 18; Lindacher, in: FS Gaul, 1997, S. 399 (400); Remien, Zwangsgeld, 1992, S. 305 f.; Gottwald, in: FS Habscheid, 1989, S. 119 (121 f.), allerdings mit der Einschränkung, dass ein Staat einen Ausländer nicht dazu zwingen darf, in seinem Heimatstaat gegen dessen Zivil- oder Strafgesetze zu verstoßen. Aus Gründen der Menschenwürde und des Respekts vor der Souveränität des ausländischen Staates sei insoweit der extraterritoriale Geltungsanspruch des eigenen Rechts zu begrenzen. 319 OLG Stuttgart, 26.09.1983 – 11 W 43/83, ZZP 97 (1984), S. 487; ebenso OLG Hamm, 20.06.1985 – 4 U 15/85, NJW-RR 1986, S. 1047 (1048). 320 OLG Frankfurt, 14.12.2000 – 5 W 21/00, RIW 2001, S. 379; OLG Köln, 03.06.2002 – 11 W 16/02, IPRax 2003, S. 446; OLG Hamburg, 11.05.2005 – 5 W 44/05, IPRspr 2005, Nr. 177.
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Solange die Zwangsmittel nur im Land ihrer Verhängung beigetrieben werden, kommt es nicht zu einem Übergriff auf fremdes Territorium. Und in dem Staatsgebiet, in dem die Handlung vorzunehmen ist, wirkt sich die Vollstreckungstätigkeit allenfalls mittelbar aus. Dies kann allerdings in Zeiten eines gewandelten Souveränitätsverständnisses innerhalb der EU nicht mehr als souveränitätsverletzend erachtet werden.321 Außerdem würde eine ausschließliche Zwangsbefugnis der Gerichte am Ort des geschuldeten Verhaltens bei der Vollstreckung von nicht ortsgebundenen Unterlassungsansprüchen Schwierigkeiten bereiten.322 Auch Art. 49 EuGVVO ermöglicht die grenzüberschreitende Beitreibung von Zwangsgeldern, wenn sie sich auf Verhalten im Ausland beziehen.323
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Während also im Inland Verhängung und Durchsetzung von Zwangsmitteln selbst dann unproblematisch sind, wenn die zu erzwingende Handlung im Ausland geschuldet ist oder der Schuldner dort seinen Wohnsitz hat, könnte ein ganz anderer Umstand aus völkerrechtlicher Sicht Schwierigkeiten bereiten: In aller Regel müssen Androhungen bzw. Festsetzungen von Beugemitteln dem Schuldner zugestellt werden. Ist letzterer im Ausland ansässig, ist folglich eine grenzüberschreitende Zustellung erforderlich, damit die Vollstreckung aus Sicht des Beitreibungsstaates rechtmäßig ist. Da Zustellungen traditionell als Hoheitsakt aufgefasst werden, bedeutete es zumindest herkömmlicherweise einen Übergriff in fremde Hoheitsgewalt, wenn die Gerichte eines Staates eine Zustellung im Zweitland bewirken.324 Hinzu kommt, dass Androhung und Festsetzung von Zwangsmitteln bereits Akte der Vollstreckung sind325, so dass die Zustellung der diese enthaltenden Schriftstücke zumindest wegen ihres Inhaltes souveränitätsverletzend sein könnte.
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Seitdem aber gerichtliche Schriftstücke nach der EuZustVO innerhalb der EU zugestellt werden können, bereitet auch die Zustellung von Zwangsmittelandrohungen oder -anordnungen keine Schwierigkeit mehr.326 So kann 321
Stadler, IPRax 2003, S. 430 (432). Remien, Zwangsgeld, 1992, S. 300 f. 323 Stürner, in: FS Henckel, 1995, S. 863 (870). 324 Vgl. Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 663–668, der allerdings in der Zustellung ins Ausland keine Souveränitätsverletzung sieht; Treibmann, Vollstreckung in Europa, 1994, S. 97. 325 Treibmann, Vollstreckung in Europa, 1994, S. 98 f. A. A. OLG München, 15.02.1990 – 29 U 5500/89, NJW 1990, S. 3097 (3098): Die im Urteil selbst ausgesprochene Androhung von Ordnungsmitteln i. S. v. § 890 II ZPO ist noch kein Akt der Zwangsvollstreckung. Nur wenn das Ordnungsmittel durch gesonderten Beschluss angedroht wird, liege darin der Beginn der Zwangsvollstreckung. Diese Unterscheidung erscheint aber zu gekünstelt, vgl. Treibmann, Vollstreckung in Europa, 1994, S. 99 f. 326 Stadler, IPRax 2003, S. 430 (432). 322
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beispielsweise ein deutsches Gericht gegen einen Schuldner aus Frankreich ein Zwangsgeld festsetzen und diese Festsetzung in Frankreich zustellen. Die jurisdiction to enforce erfährt also auch durch das Zustellungserfordernis keine Einschränkungen. bb) Die Reichweite der jurisdiction to enforce bei Titeln auf vertretbare Handlungen Nicht eindeutig sind die Grenzen der Hoheitsgewalt, wenn in einem Fo- 1100 rum eine Ersatzvornahme angeordnet wird, die dem Gläubiger erlaubt, auf fremdem Hoheitsgebiet die geschuldete Handlung selbst vorzunehmen bzw. vornehmen zu lassen. Schuldet etwa ein Bauträger Nacherfüllung, weil er in Italien ein Gebäude nur mangelhaft erstellt hatte, könnte ein deutsches Gericht den Gläubiger zur Ersatzvornahme in Italien ermächtigen. Da der Gläubiger die geschuldete Handlung ohne Mitwirkung des Schuldners erbringen kann, wirkt die Ermächtigung hierzu nicht extraterritorial. Der Gläubiger könnte die Reparaturarbeiten selbst durchführen lassen, ohne dass eine Zwangsanwendung gegen den Schuldner erforderlich wäre. Dies wäre ein rein privater Vorgang und beruht nicht auf staatlicher Hoheitsmacht.327 Die h. M. sieht die jurisdiction to enforce allerdings dann überschritten, 1101 wenn die Ermächtigung zur Ersatzvornahme nur mit Zwang im Bereich der fremden Gerichtsgewalt durchgesetzt werden könnte oder diese dort Duldungspflichten des Schuldners begründen würde.328 Ist etwa eine Handlung auf dem Grundstück des Verpflichteten geschuldet, würde letzterer durch eine Ermächtigung zur Ersatzvornahme dazu verpflichtet, ein Betreten seines ausländischen Grundstücks durch den Gläubiger zu dulden. In einem vom OLG Stuttgart entschiedenen Fall hatte etwa der deutsche Eigentümer eines spanischen Ferienhauses in Deutschland eine rechtskräftige Verurteilung des ebenfalls deutschen Eigentümers des spanischen Nachbarhauses erlangt, kraft derer dieser an seinem Pool ein Schutzgitter anzubringen hatte. Nachdem der Schuldner dieser Pflicht nicht nachgekommen war, begehrte 327
Treibmann, Vollstreckung in Europa, 1994, S. 104; Bitter, EU-Vollstreckung, 2009, S. 168. 328 OLG Stuttgart, 26.09.1983 – 11 W 43/83, ZZP 97 (1984), S. 487, im Ergebnis zust. Münzberg, ZZP 97 (1984), S. 489. Ebenso Gärtner, Auslandsvollstreckung, 1991, S. 258 f.; Bitter, EU-Vollstreckung, 2009, S. 167 f.; Gottwald, in: FS Habscheid, 1989, S. 119 (121). A. A. Jahr, in: Lüke/Prütting (Hrsg.), Lexikon Zivilverfahrensrecht, 1995, S. 157 (162): Die Ermächtigung zur Ersatzvornahme begründe immer eine Duldungspflicht für den Schuldner, die nur vom Vollstreckungsstaat angeordnet werden könne; ähnlich weitgehend Stutz, Internationale Vollstreckung, 1992, S. 19 f.
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der Gläubiger vor einem deutschen Gericht Ermächtigung zur Ersatzvornahme (§ 887 I ZPO). Das Gericht lehnte eine Anordnung nach § 887 ZPO ab, weil diese auch die Pflicht des Schuldners begründet hätte, die Ersatzvornahme zu dulden (§ 892 ZPO).329 Nur der Belegenheitsstaat kann ein Betreten des Grundstücks gegen den Willen des Eigentümers erlauben.330 Gleiches gilt, wenn zur Durchsetzung der Ersatzvornahme Zwang gegen den Verpflichteten in fremdem Hoheitsgebiet erforderlich wäre (etwa über § 892 ZPO).331 In Deutschland kann dann auf Zwangsgelder nach § 888 ZPO ausgewichen werden.332 Die vertretbare Handlung wird also wegen der Auslandsberührung zu einer unvertretbaren.333 Allerdings dürfte die Gestattung einer Ersatzvornahme im Zweitland dann unproblematisch sein, wenn der Schuldner insoweit mitwirkungsbereit ist, d.h. im angesprochenen Fall damit einverstanden wäre, dass der Gläubiger auf seinem Gelände bauliche Veränderungen vornimmt. cc) Zwischenergebnis 1102
Ein Staat ist also nicht dazu berechtigt, Zwang im Ausland auszuüben. Dies schließt mittelbare Auswirkungen inländischer Vollstreckungstätigkeit auf ausländischem Staatsgebiet aber nicht aus. Ein Staat überschreitet seine jurisdiction to enforce erst dann, wenn die von ihm ergriffenen Vollstreckungsmaßnahmen im Zweitland Handlungs- oder Duldungspflichten aus329
OLG Stuttgart, 26.09.1983 – 11 W 43/83, ZZP 97 (1984), S. 487. Ebenso OLG Nürnberg, 05.04.1974 – 9 W 31/74, IPRspr. 1974, Nr. 188: Zur Durchsetzung eines Auskunftsanspruchs gegen eine italienische Schuldnerin kann ein deutsches Gericht die deutsche Gläubigerin nicht nach § 887 I ZPO dazu ermächtigen, einen Wirtschaftsprüfer damit zu beauftragen, aus den Büchern der Schuldnerin in Italien Auszüge anzufertigen. 330 OLG Stuttgart, 26.09.1983 – 11 W 43/83, ZZP 97 (1984), S. 487 (488). Im Ergebnis gleich aber mit anderer Begründung Münzberg, ZZP 97 (1984), S. 489 (490 f.): Der Ermächtigungsbeschluss als solcher greife noch nicht in ausländische Hoheitsrechte ein, weil dieser nur eine Duldungspflicht des Schuldners begründe und noch keine Zwangsanwendung darstelle. Dennoch scheide eine Ermächtigung zur Ersatzvornahme aus, weil ihre Durchsetzung letztlich am Widerstand des Schuldners scheitern werde. Eine Zwangsanwendung gegen den Schuldner im Ausland sei nur auf Grundlage eines weiteren, entweder dort errichteten oder für vollstreckbar erklärten Titels möglich. Daher solle das Gericht von Anfang an auf die allein erfolgsversprechende Zwangsgeldandrohung zurückgreifen. A. A. Treibmann, Vollstreckung in Europa, 1994, S. 105, wonach die Erlaubnis zum Betreten eines Grundstücks keine Verletzung ausländischer Souveränität sei. 331 Münzberg, ZZP 97 (1984), S. 489; Gottwald, IPRax 1991, S. 285 (291). 332 Stadler, IPRax 2003, S. 430 (431); Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 1077 f.; Stutz, Internationale Vollstreckung, 1992, S. 19; OLG Köln, 03.06.2002 – 11 W 16/02, IPRax 2003, S. 446. 333 Stadler, IPRax 2003, S. 430 (431).
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lösen. Auch Art. 49 EuGVVO erlaubt eine Beitreibung von Zwangsgeldfestsetzungen im Ausland nur nach dortigem Exequatur. Diese Vorschrift durchbricht also das Territorialitätsprinzip der Vollstreckung nicht.334 b) Internationale Zuständigkeit zur Vollstreckung in Geldforderungen Fraglich ist, inwiefern der Grundsatz der völkerrechtlichen Souveränität 1103 für die Vollstreckung in Geldforderungen Grenzen setzt, wenn Vollstreckungs- oder Drittschuldner im Ausland ansässig sind. Nach den §§ 828 II, 23 ZPO, die die örtliche Zuständigkeit regeln und zugleich die internationale indizieren, beansprucht Deutschland dann eine jurisdiction to enforce, wenn sich hier entweder der allgemeine Gerichtsstand des Vollstreckungs(§ 828 II F.1 ZPO) oder der Wohnsitz des Drittschuldners (§ 828 II F.2, 23 S. 2 F.1 ZPO) befindet.335 Diese autonome Zuständigkeitsregelung wird von Art. 3 II EuGVVO – der die Inanspruchnahme des Vermögensgerichtsstandes von § 23 ZPO versperrt – nicht ausgeschlossen, weil Art. 3 II EuGVVO nur die jurisdiction to adjudicate betrifft.336 Abweichende Ansätze zur Bestimmung der internationalen Zuständigkeit 1104 für Forderungspfändungen wurden in der Lit. entwickelt. Hiervon ist insbesondere derjenige hervorzuheben, nach dem die Vollstreckungszuständigkeit dort eröffnet sei, wo der Drittschuldner über vollstreckungstaugliches Vermögen verfügt.337 Hierfür wird geltend gemacht, das Territorialitätsprinzip verbiete nur Gewaltanwendung im fremden Hoheitsgebiet, während der Pfändungsbeschluss als unkörperliche Maßnahme keine Gewaltanwendung und daher selbst dann unbedenklich sei, wenn sie Personen trifft, die außer334 A. A. Bitter, EU-Vollstreckung, 2009, S. 158 f., die davon ausgeht, Art. 49 EuGVVO durchbreche das Territorialitätsprinzip. 335 Anders wird entschieden, wenn es um die Anerkennung einer ausländischen Rechts- bzw. Forderungspfändung geht. Dann bestehe die internationale Zuständigkeit ausschließlich am Wohnsitz des Vollstreckungsschuldners: BAG, 19.03.1996 – 9 AZR 656/94, IPRax 1997, S. 335; ebenso obiter OLG Oldenburg, 25.04.1995 – 1 U 161/94, IPRax 1997, S. 338. 336 OLG Saarbrücken, 11.07.2000 – 5 W 369/99, IPRax 2001, S. 456; Geimer, in: Geimer/Schütze (Hrsg.), Urteilsanerkennung, Bd. I/2, 1984, § 29 XII, S. 217; Fuchs/Hau/Thorn, Fälle IPR, 3. Aufl. 2007, S. 48 f.; a. A. Jestaedt, IPRax 2001, S. 438 (440). 337 Schack, IPRax 1997, S. 318 (321); ders., Rpfleger 1980, S. 175 (177 f.); ders., IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 1089. Einen weiteren Ansatz verfolgt Mössle, Forderungspfändung, 1991, S. 238, 242, wonach die internationale Zuständigkeit für Forderungspfändungen alternativ im Wohnsitzland des Drittschuldners oder dem des Vollstreckungsschuldners liegt. Jestaedt, IPRax 2001, S. 438 (439 f.) scheint eine internationale Pfändungszuständigkeit nur in dem Land eröffnet zu sehen, in dem sowohl Dritt- als auch Vollstreckungsschuldner ihren Wohnsitz haben.
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halb der Jurisdiktion ansässig sind.338 Extraterritorial wirke erst die Zustellung des Pfändungsbeschlusses.339 1105
Jedenfalls innerhalb der EU ist die grenzüberschreitende Zustellung von Pfändungsbeschlüssen nach der EuZustVO möglich.340 Deswegen kann man nicht mehr auf die Zustellung abstellen, sondern muss berücksichtigen, ob die Pfändung nach ihren Rechtsfolgen extraterritorial wirkt: In jeder der zuvor verglichenen Rechtsordnungen verbietet die Pfändung dem Drittschuldner Erfüllung an den Vollstreckungsgegner.341 Leistet dieser dennoch, muss er im deutschen Recht ein zweites Mal an den Pfändungsgläubiger zahlen, was letzterer im Wege der Drittschuldnerklage durchsetzen kann.342 Ähnlich verhält es sich in England und Frankreich, wo unmittelbar mit third party debt order bzw. acte de saisie nicht nur die Forderung auf den Gläubiger übergeht, so dass der Drittschuldner nur noch an diesen befreiend leisten kann, sondern auch ein Leistungstitel gegen den Dritten erlassen wird.343 Schon allein der Pfändungsbeschluss beeinflusst also in allen Rechtsordnungen die Rechtsstellung des Drittschuldners entscheidend, so dass durchaus ein hoheitlicher Charakter gegeben ist.344 Die Forderungspfändung geht also über die bloße Anordnung von Rechtspflichten, für die eine jurisdiction to adjudicate ausreichend ist, hinaus. Sie ist insofern mit der Handlungsvollstreckung vergleichbar, für die sich gezeigt hatte, dass durch sie keine Handlungs- oder Duldungspflichten im Zweitland begründet werden dürfen.345 Daher sollte sie auch nur im Wohnsitzstaat des Drittschuldners erlassen werden.
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Auch die Rechtsstellung des Vollstreckungsschuldners wird durch den Pfändungsbeschluss in einer Weise beeinflusst, die souveränitätsverletzend 338
Schack, IPRax 1997, S. 318 (319); Schack, Rpfleger 1980, S. 175 (176). Schack, Rpfleger 1980, S. 175 (176); Gottwald, IPRax 1991, S. 285 (289); Koch, in: Schlosser (Hrsg.), Int. ZwVollstr., 1992, S. 171 (201). 340 Vgl. Stürner, in: FS Henckel, 1995, S. 863 (866 f.) für das Haager Zustellungsübereinkommen 1965. Die EuZustVO erlaubt insbesondere nicht mehr, die Zustellung unter Berufung auf den ordre public zu verweigern. 341 In Deutschland arrestatorium gem. § 829 I S. 1 ZPO (s. Rn. 954); ebenso in England (s. Rn. 955) und in Frankreich (Rn. 957). 342 s. Rn. 958. Die Gefahr, zweimal leisten zu müssen, besteht nur dann, wenn die Forderungspfändung mit ihren Rechtswirkungen im Verfahren gegen den Drittschuldner anerkannt wird. Will der Gläubiger sichergehen, dass dies der Fall ist, sollte er den Titel in einem Land für vollstreckbar erklären lassen und die Pfändung betreiben, wo später auch ein Gerichtsstand zur gerichtlichen Geltendmachung der gepfändeten Forderung eröffnet ist, vgl. Kropholler, EuZPR, 8. Aufl. 2005, Art. 38 EuGVVO Rn. 5. 343 s. Rn. 959 f. 344 So auch Jestaedt, IPRax 2001, S. 438 (439 f.). 345 s. Rn. 1102. 339
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sein kann: Entweder trifft ihn ein Verfügungsverbot (so beim inhibitorium in Deutschland, § 829 I S. 2 ZPO346) bzw. wird ihm der Zugriff auf die Forderung dadurch entzogen, dass der Drittschuldner nicht mehr an ihn leisten darf (so in England347), oder er verliert sogar die Forderung unmittelbar (attribution immédiate in Frankreich348). Es ginge aber zu weit, wegen dieser Beeinträchtigung des Vollstreckungsschuldners zusätzlich zu verlangen, dass der Vollstreckungsschuldner seinen Wohnsitz im Pfändungsstaat hat. Denn dann würden die Möglichkeiten der internationalen Forderungspfändung allzu sehr beschränkt. Allein auf den Drittschuldner abzustellen, ist sachgerecht, weil dieser am bisherigen Verfahren unbeteiligt war, daher schutzwürdiger erscheint. Die deutsche Lösung, nach der alternativ der allgemeine Gerichtsstand 1107 des Vollstreckungsgegners oder der Wohnsitz des Drittschuldners ausreichend ist zur Begründung einer Pfändungszuständigkeit hinsichtlich Forderungen, erscheint demgegenüber zu belastend gegenüber dem Drittschuldner. De lege ferenda sollte nur im Wohnsitzstaat des Vollstreckungsschuldners in Forderungen vollstreckt werden. II. Wirkungen der Anerkennung ausländischer Vollstreckungsakte (insbesondere ausländischer Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse) Schließlich ist zu betrachten, welche Wirkungen die Anerkennung auslän- 1108 discher Vollstreckungsakte im Zweitland entfaltet. Für die Antwort auf diese Frage ist nach der Art der jeweiligen Wirkung zu unterscheiden. Wie bereits erläutert, kann Vollstreckungsakten im Zweitland entweder Tatbestands- oder Gestaltungswirkung zukommen.349 Ersterenfalls fällt die Antwort einfach aus: Entfaltet ein Vollstreckungsakt im Zweitland Tatbestandswirkung, ergibt sich deren Inhalt aus dem anwendbaren materiellen Recht: Nach diesem richtet sich beispielsweise, inwieweit der ausländische Vollstreckungsakt einen Rechtsgrund zum Behaltendürfen des Vollstreckungserlöses schafft. Soll demgegenüber die einem Vollstreckungsakt zukommende Gestal- 1109 tungswirkung auch im Zweitland gelten, ist deren Inhalt nach den in § 3 entwickelten Schritten zu bestimmen. Diese betreffen zwar die Wirkungen der Anerkennung ausländischer Titel nach Art. 33 ff. EuGVVO, die für 346
s. Rn. 958. s. Rn. 959: Zu Lasten des Vollstreckungsgläubigers greift hier kein Verfügungsverbot. 348 s. Rn. 960. 349 s. Rn. 1090. 347
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ausländische Vollstreckungsakte gerade nicht (unmittelbar) gelten. Aber zumindest teilweise sind die maßgeblichen Wertungsgesichtspunkte bei der Anerkennung ausländischer Titelwirkungen und ausländischer Vollstreckungsakte dieselben, schließlich handelt es sich jeweils um ausländische Justiztätigkeit. Übertragbar ist jedenfalls die in Schritt 1 anzuwendende Wirkungserstreckungslehre. Die Argumente für deren Geltung350 passen auch vorliegend. Insbesondere sollen auch die Wirkungen der Vollstreckungsakte im Zweitland weder erweitert noch reduziert werden, was auch bei der Anerkennung ausländischer Titel entscheidend für die Wirkungserstreckungslehre sprach. Es erscheint daher sachgerecht, diesen Grundansatz auch vorliegend heranzuziehen. 1110
Demgegenüber gibt es für die Anwendung der in Schritt 2 möglichen lex causae-Prüfung351 im Bereich der Vollstreckungsakte keinen Anlass, da im Vollstreckungsverfahren weder ausländisches Recht angewendet wird noch dem Vollstreckungsrecht ein materiellrechtlicher Gehalt zukommt352. Die in Schritt 3 mögliche Wirkungsbegrenzung am Maßstab des zweitstaatlichen ordre public passt wiederum auch vorliegend: Da sich auch gegenüber der Anerkennung ausländischer Vollstreckungsakte aus dem zweitstaatlichen ordre public ein Vorbehalt ergibt, können die in § 3 erarbeiteten Grundsätze für eine Wirkungsbegrenzung anhand dieses Maßstabs353 auch vorliegend herangezogen werden.
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Für die Gestaltungswirkung ausländischer Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse im Zweitland gilt damit: Ob etwa ein Pfändungsakt die Schuldnerforderung unmittelbar auf den Gläubiger übergehen lässt354 oder dem Schuldner nur ein Verfügungsverbot auferlegt355 bzw. dessen Stellung völlig unberührt lässt356, hat stets das Recht desjenigen Staates vorzugeben, in dem die Forderung in Beschlag genommen wurde (Schritt 1). Bei der in Schritt 3 zu prüfenden Wirkungsbegrenzung stellt sich insbesondere die Frage, ob die subjektive Reichweite der Gestaltungswirkung zum Schutz des Drittschuldners zu limitieren ist. Dies ist wiederum nach Maßstäben aus der Rechtsordnung des Anerkennungslandes zu beurteilen, genauer: nach den dort geltenden Gewährleistungen des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Insofern können die Ergebnisse des Rechtsvergleichs herangezogen werden: 350
s. Rn. 68–96. s. Rn. 97–118. 352 s. die Erkenntnisse des Rechtsvergleichs Rn. 1020–1022. 353 s. zu diesen allg. Rn. 119–152. 354 Wie in Frankreich (s. Rn. 960) und bei der Überweisung an Zahlungs statt in Deutschland (s. Rn. 958). 355 Wie in Deutschland durch die Pfändung, s. Rn. 954. 356 Wie die englische third party debt order, s. Rn. 959. 351
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In jeder der in den Blick genommenen Rechtsordnungen wird die Pfändung erst dann wirksam, wenn eine entsprechende Benachrichtigung des Drittschuldners erfolgt ist.357 Man kann daraus folgern, dass in keinem dieser drei Staaten eine Beschlagnahmewirkung auch gegenüber dem Drittschuldner anerkannt werden könnte, wenn dieser nicht benachrichtig wurde.
E. Sonderfall: Verurteilungen zur Abgabe von Willenserklärungen und die Behandlung von § 894 ZPO bei der grenzüberschreitenden Vollstreckung Bei der Vollstreckung ausländischer Verurteilungen zur Abgabe einer 1112 Willenserklärung ist die Handhabung der Erklärungsfiktion nicht eindeutig. Entstammt die Entscheidung einem Land, dessen Recht eine solche kennt und wurde die geschuldete Willenserklärung dort schon fingiert358 (Variante A), ist fraglich, ob und unter welchen Voraussetzungen die Fiktion auch für das Zweitland gilt [I.]. Kennt umgekehrt nur das Vollstreckungsland die Abgabefiktion (Variante B), ist offen, wann die ausländische Entscheidung in den Genuss dieses Durchsetzungsmechanismus kommt [II.]. Bei der nachfolgenden Behandlung dieser Fragen wird der Einfachheit halber unterstellt, dass die Abgabefiktion jeweils der Regelung des § 894 ZPO entspricht. Die Ausführungen haben aber grundsätzlich gleichermaßen Gültigkeit für Fiktionswirkungen anderer Rechtsordnungen, die dem deutschen Regelungsmodell entsprechen. I. Variante A: Entscheidung entstammt einer Rechtsordnung mit Abgabefiktion Dass eine im Ursprungsland eingetretene Abgabefiktion grundsätzlich 1113 auch im Zweitland anerkennungsfähig ist, ist weitgehend unbestritten.359 Unklar ist aber, ob die Entscheidung, die aus dem Land mit Abgabefiktion stammt, exequiert werden muss, damit auch im Zweitland vom Vorliegen der geschuldeten Willenserklärung ausgegangen werden kann. Manche halten dies für entbehrlich und lassen die Anerkennungsfähigkeit des Titels genügen (diese kann ggf. über Art. 33 II EuGVVO festgestellt werden).360 357
s. Rn. 954 f., 957. Wenn die Entscheidung im Ursprungsland bereits Rechtskraft erlangt hatte. Davon soll im Folgenden ausgegangen werden. 359 A. A. – soweit ersichtlich – nur Kallmann, Anerkennung, 1946, S. 370. 360 Schlosser, Gestaltungsklagen, 1966, S. 297 f.; ders., in: FS Leipold, 2009, S. 435 (436 f.); ders., EuZPR, 3. Aufl. 2009, Art. 33 EuGVVO Rn. 3; Geimer, in: 358
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Demgegenüber gilt eine fingierte Willenserklärung nach h. M. erst mit Vollstreckbarerklärung auch im Zweitland.361 Dies wird damit begründet, dass die Abgabefiktion ein Akt der Vollstreckung sei, daher begriffsnotwendig ein Exequatur voraussetze.362 Außerdem diene es der Rechtssicherheit, wenn die Willenserklärung erst mit förmlichem Exequatur als abgegeben gilt.363 Vorgeschlagen wird auch eine zeitliche Rückwirkung dergestalt, dass mit Exequatur im Zweitland die Erklärung dort als in dem Zeitpunkt abgegeben gilt, in dem sie auch im Ursprungsland fingiert wurde.364 1114
Für die Entbehrlichkeit der Vollstreckbarerklärung wird demgegenüber geltend gemacht, die Abgabefiktion sei bereits im Urteil enthalten.365 Sie sei daher nicht als Akt der Vollstreckung einzuordnen, sondern als prozessuale Entscheidungswirkung, die schon allein bei deren Anerkennungsfähigkeit erstreckt werden kann.366 Fordert man für die Geltung der Fiktion im Zweitstaat zusätzlich ein Exequatur, entstünde außerdem – so die Verfechter FS Georgiades, 2006, S. 489 (496); Wieser, in: FG Söllner, 1990, S. 629 (636 f.); ders., Begriff der ZwVollstr., 1995, S. 95; Treibmann, Vollstreckung in Europa, 1994, S. 179; Wieczorek/Schütze/Wieczorek, 2. Aufl. 1981, § 894 ZPO Anm. AIIa7; Geimer, IZPR, 6. Aufl. 2009, Rn. 3121. Hierfür wird oft der Beschluss RG, 18.05.1916 – Rep. IV. 2/16, RGZ 88, 244 als Argument angeführt. Darin hat das RG entschieden, dass die durch ein Schweizer Gericht ausgesprochene Scheidung zweier Deutscher ausreichende Grundlage zur Eintragung eines Randvermerks in ein deutsches Heiratsregister sei. Die inländische Behörde müsse allein die allgemeinen Anerkennungsvoraussetzungen prüfen; eine Vollstreckbarerklärung im Inland sei hingegen nicht erforderlich. Dies begründete das RG allgemein damit, dass § 722 ZPO nur anwendbar sei, „wenn aus dem Urteil eine Zwangsvollstreckung im engeren Sinn vorgenommen werden soll“, was eine Registereintragung aber nicht sei; vgl. a. a. O. (249). Zust. Wolff, in: Martiny/Waehler/Wolff (Hrsg.), Hdb. IZVR, Bd. III/2, 1984, Kap. IV Rn. 21. Diese Aussage wird als Argument für die Verzichtbarkeit des Exequaturs gewertet; so etwa Schlosser, in: FS Leipold, 2009, S. 435 (437 Fn. 1). Fraglich ist allerdings, ob die vom RG entschiedene Frage vergleichbar ist mit der bereits im Ursprungsland eingetretenen Abgabefiktion; zweifelnd anscheinend Wieser, in: FG Söllner, 1990, S. 629 (632 Fn. 14). Dafür spricht, dass die Abgabefiktion – wie die Vollstreckung im weiteren Sinne – keine Zwangsausübung auf den Schuldner erfordert. 361 Stürner, in: FS Henckel, 1995, S. 863 (873); Stein/Jonas/Brehm, 22. Aufl. 2004, § 894 ZPO Rn. 17; MünchKomm/Schilken, 2. Aufl. 2001, § 894 ZPO Rn. 9; Rosenberg/Gaul/Schilken, ZwVollstrR, 10. Aufl. 1987, § 72 I 2 (S. 758). 362 Stein/Jonas/Brehm, 22. Aufl. 2004, § 894 ZPO Rn. 17. Dieses Argument ist allerdings nur stichhaltig, wenn auch im Anerkennungsland eine § 894 ZPO entsprechende Regelung existiert. 363 Stürner, in: FS Henckel, 1995, S. 863 (873). 364 Stürner, in: FS Henckel, 1995, S. 863 (873 f.). 365 Schlosser, in: FS Leipold, 2009, S. 435 (436 f.) mit dem zusätzlichen Hinweis darauf, dass im neuen Art. 342 des Entwurfs der Schweizer Bundes-Zivilprozeßordnung die Abgabefiktion als Gestaltungs- und nicht als Vollstreckungswirkung begriffen werde.
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der Entbehrlichkeit eines Exequaturs weiter – das ungereimte Ergebnis, dass die Willenserklärung in einem Staat zu einem bestimmten Zeitpunkt als abgegeben gelte, in einem anderen hingegen erst zu einem anderen Datum oder – falls kein Exequatur erteilt wurde – überhaupt nicht.367 Einen dritten Ansatz verfolgt Wengler: Die fingierte Willenserklärung 1115 gelte dann im Zweitland, wenn sie aus der Sicht dessen Kollisionsrechts dem Sachrecht des Urteilsstaates unterliegt.368 Die Abgabefiktion sei ein ausländischer Vollstreckungsakt, der rein internationalprivatrechtlich anzuerkennen sei. Es sind demnach zwei Fragen zu unterscheiden: Zunächst ist die Rechts- 1116 natur der Abgabefiktion zu klären [1.]. Ausgehend hiervon kann beantwortet werden, unter welchen Voraussetzungen und aufgrund welcher Verfahrensakte sie auch im Zweitland beachtlich ist [2.]. 1. Die rechtliche Einordnung einer gem. § 894 ZPO im Urteilsland eingetretenen Abgabefiktion Ob eine nach § 894 ZPO eingetretene Abgabefiktion als prozessuale Ent- 1117 scheidungswirkung oder als Vollstreckungsakt einzuordnen ist, hängt von der Rechtsnatur der ihr zugrunde liegenden Verurteilung auf Abgabe einer Willenserklärung ab. Ursprünglich ging man davon aus, es handle sich um ein nicht vollstreckungsfähiges Gestaltungsurteil.369 Dies wurde damit begründet, dass die Fiktion kraft Gesetzes eintritt, äußerlich erkennbare Vollstreckungshandlungen nicht vorliegen.370 Herrschend ist heute allerdings die Einordnung als Leistungstitel.371 Nur 1118 weil die Entscheidung zusammen mit der Abgabefiktion im Ergebnis die 366
Vgl. Kallmann, Anerkennung, 1946, S. 368, der allerdings zu einem anderen Ergebnis kommt, weil er die Abgabefiktion als Vollstreckungsakt einordnet. 367 Schlosser, in: FS Leipold, 2009, S. 435 (434); Geimer, IZPR, 6. Aufl. 2009, Rn. 3121. 368 Wengler, RGRK-BGB, Bd. VI, 12. Aufl. 1981, § 14 e) 12. (S. 407). Wenn hingegen das Urteil aus einem Land stammt, das aus Sicht des Drittlandes nicht das Wirkungsstatut für die Willenserklärung stellt, ist eine „der Vollstreckbarkeitserklärung für Leistungsurteile vergleichbare Entscheidung eines Gerichts des Wirkungsstatuts erforderlich“, ebd. Einen internationalprivatrechtlichen Ansatz vertritt auch Gärtner, Auslandsvollstreckung, 1991, S. 13 f. 369 Hopfenmüller, § 894 ZPO, 1938, S. 13 ff.; Bötticher, Wandlung als Gestaltungsakt, 1938, S. 33 f. Im Ergebnis ebenso Larenz, NJW 1951, S. 497 (499): „Gestaltungsurteil in der Form eines Leistungsurteils“. 370 Larenz, NJW 1951, S. 497 (499); Hopfenmüller, § 894 ZPO, 1938, S. 12 f. 371 Wieser, in: FG Söllner, 1990, S. 629 (626); Schlosser, Gestaltungsklagen, 1966, S. 34; Nietsch, § 894 ZPO, 1965, S. 51–61; Furtner, JZ 1964, S. 19; Wurzer,
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Rechtslage verändert, komme ihm noch keine Gestaltungskraft zu.372 Außerdem wird geltend gemacht, dass es der gesetzlichen Anordnung in § 894 ZPO nicht bedurft hätte, wenn schon im Entscheidungstenor die Rechtsgestaltung enthalten wäre.373 Dies überzeugt: Nicht die Abgabe der Willenserklärung ist Entscheidungsinhalt, sondern der Anspruch hierauf.374 Gegen den Charakter eines Gestaltungstitels spricht auch, dass man bei diesem in aller Regel nicht die Vorstellung eines Anspruchs auf Mitwirkung zur Rechtsänderung hat.375 Wird der Schuldner zur Abgabe einer Willenserklärung verurteilt, kann er hingegen – zumindest bis Eintritt der formellen Rechtskraft – selbst die Rechtslage verändern durch Erfüllung, was bei einer gerichtlich ausgesprochenen Rechtsgestaltung nicht möglich wäre.376 Daher ist die Verurteilung zur Abgabe einer Willenserklärung letztlich ein vollstreckungsfähiger Leistungstitel. 1119
Schon hieraus folgt, dass die Abgabefiktion ein Akt der Zwangsvollstreckung ist.377 Es handelt sich um nichts anderes als eine gesetzliche Ersatzvornahme.378 Trotz Klassifizierung als Leistungstitel wurde die vollstreckungsrechtliche Natur der Abgabefiktion allerdings deshalb angezweifelt, weil sie keinen unmittelbaren Zwang gegen den Schuldner ausübe.379 Tatsächlich bezweckt sie keine Willensbeugung. Allerdings setzt Zwangsvollstreckung dies begrifflich nicht voraus. So kommt auch die Durchsetzung AcP 118 (1929), S. 248 (252 f.); Messerli, Willenserklärungsurteil, 1983, S. 22–32; Wieser, Begriff der ZwVollstr., 1995, S. 88 f. 372 Stein/Jonas/Brehm, 22. Aufl. 2004, § 894 ZPO Rn. 3. 373 Stein/Jonas/Brehm, 22. Aufl. 2004, § 894 ZPO Rn. 3. 374 Wurzer, AcP 118 (1929), S. 248 (253). 375 Schlosser, Gestaltungsklagen, 1966, S. 34. 376 Wieser, in: FG Söllner, 1990, S. 629 (630). 377 Stein/Jonas/Brehm, 22. Aufl. 2004, § 894 ZPO Rn. 3; MünchKomm/Schilken, 2. Aufl. 2001, § 894 ZPO Rn. 1; Zawar, JZ 1975, S. 168. Im Ergebnis ebenso: Bettermann, Vollstreckung, 1948, S. 28; Dilcher, ZZP 67 (1954), S. 210 (211); BayObLG, 07.04.1953 – BReg. 2 Z 242/52, MDR 1953, S. 561 (562); Pantaleon gen. Stemberg, Willenserklärungsfiktion, 1977, S. 6 f. (die Vollstreckung erfolge im Wege einer Tatbestandswirkung des Urteils); Kallmann, Anerkennung, 1946, S. 370; Messerli, Willenserklärungsurteil, 1983, S. 22; Schlosser, Gestaltungsklagen, 1966, S. 266 nimmt eine Zwangsvollstreckung im bloß weiteren Sinn an. 378 MünchKomm/Schilken, 2. Aufl. 2001, § 894 ZPO Rn. 1. Das wird besonders deutlich angesichts eines Vergleichs mit dem englischen Vollstreckungsrecht, wo die geschuldete Willenserklärung von einem staatlichen Vollstreckungsorgan im Namen des Urteilsschuldners abgegeben wird, s. oben Rn. 1011. 379 Kipp, in: FG Jhering, 1892, S. 41 (54 f.). Im Ergebnis wird eine vollstreckungsrechtliche Einordnung auch abgelehnt von Hubernagel, ZZP 63 (1943), S. 87 (104): „Es handelt sich um eine Rechtskraftwirkung, welche die Gestaltung nach sich zieht“. Ebenso Furtner, JZ 1964, S. 19, mit der Begründung, dass das Urteil keinen vollstreckungsfähigen Inhalt habe.
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von Zahlungs- oder Herausgabeansprüchen in der Regel ohne Willensbeugung aus. Auch hierbei handelt es sich um Zwangsvollstreckung, wenn man den Zwang richtigerweise definiert als Durchsetzung ohne Rücksicht auf den Willen des Schuldners und nicht verlangt, dass sie gegen den Schuldnerwillen erfolgt.380 Auch die Abgabefiktion erzielt die Willenserklärung ohne Rücksicht auf den Willen des Verpflichteten.381 Es handelt sich daher um einen Vollstreckungsmechanismus, dessen Funktionsäquivalent in anderen Rechtsordnungen Beugemittel sind.382 Auch durchbricht die Einordnung der Abgabefiktion als Vollstreckungsakt 1120 nicht die übliche Zweiteilung zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren, wie teilweise geltend gemacht wird.383 Schließlich tritt die Abgabefiktion erst mit Rechtskraft des Urteils ein, so dass der Vollstreckungsakt zumindest zeitlich vom Erkenntnisverfahren getrennt ist.384 Das Prozessgericht wird eben gleichzeitig als Vollstreckungsorgan tätig, auch wenn es sich dessen in der Regel nicht bewusst sein wird. Sein Vollstreckungsakt bewirkt die Ersetzung des Faktums einer Willenserklärung. Die Rechtsfolgen, die an dieses geknüpft sind, gibt nicht das Urteil vor, sondern das materielle Recht, nach dem die Rechtsverhältnisse beurteilt werden, auf die sich das Vorliegen der Willenserklärung auswirken kann bzw. soll. Darin besteht auch der Unterschied zur Gestaltungswirkung, die unmittelbar den neuen Inhalt der umgeformten Rechtslage vorgibt. Im Gegensatz hierzu kann man die Fiktion als Tatbestandswirkung des Urteils einordnen. Allerdings erfüllt nicht das Urteil allein den Tatbestand einer materiellen Norm, sondern erst im Zusammenspiel mit der gesetzlich angeordneten Fiktion. Da also das Willenserklärungsurteil durch die Abgabefiktion nicht zu ei- 1121 nem Gestaltungsurteil wird, sondern vielmehr ein Leistungsurteil bleibt, handelt es sich bei der Fiktion um ein spezielles Vollstreckungsmittel. 2. „Erstreckung“ einer im Ursprungsland fingierten Willenserklärung auf das Inland Ausgehend von der rechtlichen Einordnung der Erklärungsfiktion als 1122 Vollstreckungsakt kann nunmehr beantwortet werden, nach welchen Regeln die Fiktionswirkung auf das Gebiet des Zweitstaates territorial erweitert werden kann. Ob eine im Ausland fingierte Willenserklärung auch im 380
Wieser, Begriff der ZwVollstr., 1995, S. 8; ähnlich Messerli, Willenserklärungsurteil, 1983, S. 25 f. 381 Wieser, Begriff der ZwVollstr., 1995, S. 89. 382 Zawar, JZ 1975, S. 168 (169). 383 Wieser, Begriff der ZwVollstr., 1995, S. 89. 384 Messerli, Willenserklärungsurteil, 1983, S. 24.
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Zweitland gilt, ist beispielsweise dann fraglich, wenn eine Partei in einem Land mit automatischer Abgabefiktion zur Abgabe eines Verkaufsangebots verurteilt und sie nun vor Gerichten eines anderen Landes auf Kaufpreiszahlung in Anspruch genommen wird: Unter welchen Voraussetzungen kann im Zweitforum vom Bestand des Angebotes ausgegangen werden? Eine Vollstreckbarerklärung ist hierfür jedenfalls nicht erforderlich. Dies folgt bereits daraus, dass die Erklärungsfiktion Vollstreckungsakt ist. Schließlich wäre das Exequatur eines Vollstreckungsaktes überflüssig, weil es nichts mehr „zu vollstrecken“ gibt.385 Dafür spricht vorliegend auch, dass die strukturell ähnliche Gestaltungswirkung ohne Exequatur erstreckt wird.386 Es kommt damit auf die Frage an, nach welchen Regeln die Wirkungen ausländischer Vollstreckungsakte ins Zweitland übertragen werden. 1123
Wie bereits thematisiert, werden ausländische Vollstreckungsakte entweder nach den Regeln des IPR anerkannt oder entsprechend der Vorschriften für die Anerkennung ausländischer Gerichtsentscheidungen.387 Für eine analoge Geltung der Art. 33 ff. EuGVVO spricht vorliegend die strukturelle Vergleichbarkeit: Übereinstimmend führen ein Willenserklärungsurteil in Verbindung mit der Erklärungsfiktion auf der einen und ein Gestaltungsurteil auf der anderen Seite im Ergebnis zu einer unmittelbaren Änderung der Rechtslage.388 Insofern handelt es sich jeweils um einen Fall der Vollstreckung im weiteren Sinne, welche dadurch gekennzeichnet ist, dass der Titelinhalt ohne Zwangsausübung realisiert werden kann.389 Nachdem die Gestaltungswirkung nach den Art. 33 ff. EuGVVO anerkannt wird390, liegt es nahe, diese Vorschriften auch auf die „Anerkennung“ der Fiktionswirkung entsprechend anzuwenden.391
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Da das Ausgangsgericht – in seiner Funktion als Vollstreckungsorgan – in einem streitigen Verfahren entschieden hatte, passen außerdem die Art. 33 ff. EuGVVO, die auf solche Entscheidungen zugeschnitten sind. Insbesondere sehen sie auch den ordre public und als Teil dessen die Über385
Vgl. Schlosser, in: FS Leipold, 2009, S. 435 (437). Wieser, Begriff der ZwVollstr., 1995, S. 95. 387 s. hierzu oben Rn. 1089 f. 388 Wieser, in: FG Söllner, 1990, S. 629 (636); ähnlich Hubernagel, ZZP 63 (1943), S. 87 (194). 389 Schlosser, Gestaltungsklagen, 1966, S. 35, 297 f.; ders., EuZPR, 3. Aufl. 2009, Art. 38 EuGVVO Rn. 3. Zur Vollstreckbarkeit im weiten Sinne Wolff, in: Martiny/Waehler/Wolff (Hrsg.), Hdb. IZVR, Bd. III/2, 1984, Kap. IV Rn. 21, der sie als die Fähigkeit des Titels definiert, Grundlage für eine zwanglose Tätigkeit staatlicher Stellen (etwa Eintragung in öffentliche Bücher) für einseitige Handlungen des Gläubigers (etwa Anfechtungsbefugnis nach § 2 AnfG) zu sein. 390 s. bereits oben Rn. 509–514. 391 So auch Wieser, in: FG Söllner, 1990, S. 629 (636 f.). 386
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schreitung der völkerrechtlichen Souveränität als Versagungsgründe vor, enthalten also die Grenzen, die allgemein bei der Anerkennung ausländischer Vollstreckungsakte zu beachten sind392. Es wäre auch nicht sinnvoll, fingierte Willenserklärungen leichter oder strenger anzuerkennen als die Entscheidung als solche. Schließlich würden entweder die Voraussetzungen der Entscheidungsanerkennung umgangen, wenn man die Abgabefiktion laxeren Bedingungen unterstellte. Oder die Vorteile für den Gläubiger durch das erleichterte Anerkennungsverfahren nach der EuGVVO nützten im Ergebnis nichts, weil das Urteil ausschließlich ohne Fiktionswirkung übertragen werden kann, da für letztere strengere Anforderungen bestehen. 3. Ergebnis Damit gelten die Art. 33 ff. EuGVVO für die Fiktion – entweder direkt, 1125 wenn man der Ansicht ist, es handle sich um eine prozessuale Entscheidungswirkung, oder analog, wenn man von einem Vollstreckungsakt ausgeht. Letzteres erscheint aus den genannten Gründen überzeugender.393 Dies gilt unabhängig davon, ob auch das Zweitland die Abgabefiktion als Vollstreckungsmechanismus kennt. Auf die Frage, in welchem Zeitpunkt die Erklärung im Zweitstaat als ab- 1126 gegeben gilt, ist damit zu antworten: Sobald das ausländische Urteil die Anerkennungsvoraussetzungen erfüllt, also mit Rechtskrafteintritt im Ursprungsland. Man muss sich also auch nicht des Kunstgriffes der Rückwirkung der Fiktion bedienen. Im Rahmen der ordre public-Prüfung ist auch zu berücksichtigen, ob der Ursprungsstaat durch die Bereitstellung der Abgabefiktion seine völkerrechtlichen Souveränitätsgrenzen überschritten hat.394 Dies ist aber nicht der Fall, wenn die Erklärungsfiktion aus dem Staat kommt, in dem auch die Titulierung ergangen ist. Denn nach ihren Folgen ähnelt die Fiktion einer Rechtsgestaltung, die ein Staat ja schon dann vornehmen kann, wenn er jurisdiction to adjudicate hat.
392 s. zu den allg. Voraussetzungen für die Anerkennung ausländischer Vollstreckungsakte bereits Rn. 1091. 393 So im Ergebnis auch Geimer, IZPR, 6. Aufl. 2009, Rn. 3121; ders., in: FS Georgiades, 2006, S. 489 (496). 394 s. hierzu Rn. 1094–1107.
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II. Variante B: Titel gelangt aus einer Rechtsordnung ohne Abgabefiktion in eine Jurisdiktion mit einem solchen Vollstreckungsmittel 1127
Wurde der Schuldner in einem Land, das die automatische Abgabefiktion nicht als Vollstreckungsmittel vorsieht, auf Abgabe einer Willenserklärung verurteilt und kommt der Titel im Zweitland erstmals in Berührung mit einer automatischen Abgabefiktion, stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen diese dort eintritt. Ist etwa in einem zweitstaatlichen Verfahren fraglich, ob die geschuldete Willenserklärung abgegeben wurde, kommt es darauf an, ob die Fiktion schon mit Anerkennungsfähigkeit des ausländischen Titels eingetreten ist oder ob dieser zuvor für vollstreckbar erklärt werden muss [1.] Darüber hinaus ist offen, in welchen Ländern der Titelinhaber sich der Fiktion bedienen kann [2.]. Schließlich stellt sich die Frage, ob eine im Zweitland eingetretene Fiktion ihrerseits in weiteren Ländern anerkannt werden könnte [3.]. 1. Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung durch Abgabefiktion im Zweitland
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Fraglich sind die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen dafür, dass der Titel im Zweitland die Abgabefiktion auslöst. Die h. M. fordert eine Vollstreckbarerklärung, mit deren Rechtskraft die Fiktion eintrete.395 Nach anderer – offenbar nur von Wieser vertretenen – Ansicht soll wiederum ausreichend sein, dass die ausländische Entscheidung im Inland anerkennungsfähig ist.396 Hierfür wird eine Parallele zur Gestaltungswirkung ins Feld geführt, die schon allein durch Anerkennung aufs Zweitland erstreckt wird.397
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Es wurde allerdings bereits geklärt, dass die Verurteilung zur Abgabe einer Willenserklärung kein Gestaltungs-, sondern ein Leistungstitel ist.398 Solange die Willenserklärung weder abgegeben noch im Ursprungsland fingiert wurde, ist auch im Zweitstaat die Durchführung einer Vollstreckung unerlässlich. Dass sie dort durch das Mittel der Fiktion erfolgt, bedeutet nicht, dass es sich hierbei nicht um eine Vollstreckung handelt. Der Einsatz 395
Schlosser, Gestaltungsklagen, 1966, S. 297 f., wonach ein Vollstreckungsurteil dann entbehrlich sein soll, wenn im Ursprungsstaat eine Abgabefiktion vorgesehen ist, ansonsten – so lässt sich im Umkehrschluss folgern – nicht. Ebenso Schlosser, in: FS Leipold, 2009, S. 435 (S. 438: „Variante 2“); Geimer, IZPR, 6. Aufl. 2009, Rn. 3122; Treibmann, Vollstreckung in Europa, 1994, S. 179; Geimer, in: FS Georgiades, 2006, S. 489 (496 f.). 396 Wieser, in: FG Söllner, 1990, S. 629 (637). 397 Wieser, in: FG Söllner, 1990, S. 629 (637). 398 s. oben unter Rn. 1117 f.
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von Vollstreckungsmitteln im Zweitstaat setzt stets die dortige Vollstreckbarerklärung voraus. Außerdem erhöht das Erfordernis eines Exequaturs die Rechtssicherheit. Würde allein durch Anerkennung eine Abgabefiktion herbeigeführt, gälte die Willenserklärung mit Rechtskraft des Judikats im Ursprungsland zeitgleich in allen Ländern als abgegeben, in denen die Entscheidung anerkennungsfähig und eine Abgabefiktion bekannt ist. Die Willenserklärung gälte dann in allen EU-Ländern mit automatischer Abgabefiktion unmittelbar als abgegeben, im Ursprungsland hingegen nicht. Für die Parteien wäre dann nicht leicht festzustellen, ob sich das Urteil vielleicht schon in einer Rechtsordnung vollstreckt hat. Dies wäre mit den Erfordernissen von Rechtssicherheit und -klarheit nicht zu vereinbaren. Im Ergebnis muss ein Richterspruch aus einem Forum ohne automatische 1130 Abgabefiktion in einem solchen mit automatischer Abgabefiktion für vollstreckbar erklärt werden, damit die Willenserklärung dort fingiert werden kann. Die Fiktionswirkung tritt mit Rechtskraft der Vollstreckbarerklärung ein. 2. Internationale Vollstreckungszuständigkeit bei Ansprüchen gerichtet auf Willenserklärungen Eine andere Frage ist, in welchen Ländern der Berechtigte seinen Titel 1131 exequieren lassen kann, um dort den Anspruch auf Abgabe einer Willenserklärung durchzusetzen. Kennt das Zweitland hierfür nur Beugemittel, macht ein Exequatur hier nur dann Sinn, wenn dort der Schuldner ansässig oder sein Vermögen belegen ist. Gilt aber im Zweitland eine Abgabefiktion, kommt es auf Vermögensbelegenheit oder Schuldnerwohnsitz nicht an. Die geschuldete (!) Willenserklärung ist nirgends belegen, so dass der 1132 Gläubiger theoretisch in einem noch so fernen Forum die Vollstreckbarerklärung und damit die Fiktion erlangen könnte. Titel aus anderen Mitgliedstaaten dürfen schließlich nicht dadurch diskriminiert werden, dass ihnen im Vollstreckungsland der dort vorgesehene Apparat an Vollstreckungsmethoden nur eingeschränkt zur Verfügung steht (Prämisse 3).399 Daher ist fraglich, wann ein Staat für die Vollstreckung ausländischer auf Abgabe von Willenserklärungen lautender Titel international zuständig ist. Es ist jedenfalls nicht sinnvoll, auf den Ort abzustellen, an dem die Ab- 1133 gabe geschuldet ist, da es für Willenserklärungen keinen Leistungsort gibt und dieses Kriterium auch sonst im Vollstreckungsrecht bedeutungslos ist. Man könnte aber die Vollstreckungszuständigkeit an den Wohnsitz des Schuldners knüpfen, da schließlich dessen Verhalten bei einer Vollstreckung 399
Schlosser, in: FS Leipold, 2009, S. 435 (438). s. zu Prämisse 3 Rn. 679–682.
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Teil III: Die Wirkungen der Vollstreckbarkeit mitgliedstaatlicher Titel
mittels Fiktion ersetzt wird. Dies würde jedoch die Vollstreckungsmöglichkeiten für den Gläubiger stark einschränken. Die Erleichterung der grenzüberschreitenden Vollstreckung durch die EuGVVO dient nicht nur dazu, Vollstreckungsexklaven innerhalb der EU abzubauen, in die der Schuldner mit seinem Vermögen vor der Vollstreckung fliehen kann. Sie will vielmehr auch dem Titelinhaber die Vorteile besonders effektiver Vollstreckungsrechte nutzbar machen. Daher ist die Effizienz eines Vollstreckungsrechts ein legitimes Motiv für die Vollstreckbarerklärung in einem bestimmten Land.400 EuGVVO und die Gewährleistungen des Binnenmarktes verlangen daher, dass die Gläubiger Zugang zu allen Vollstreckungsrechten mit Abgabefiktion erhalten. 1134
Somit liegt für Willenserklärungsentscheidungen in jedem Land die Vollstreckungszuständigkeit, so dass sich ein Gläubiger gezielt die Fiktionswirkung in einer ausländischen Jurisdiktion zu Nutze machen kann. Dies gilt auch, wenn durch Zwangsmittel vollstreckt wird: Der Gläubiger kann in jedem Land Zwangsmittel erwirken, um die Verpflichtung auf Abgabe einer Willenserklärung zu erzwingen. Solange die Zwangsmittel nur im Land ihres Erlasses durchgesetzt werden, droht keine völkerrechtswidrige Ausübung von Hoheitsrechten auf fremdem Staatsgebiet.401 3. Internationale Reichweite der Fiktion und Gefahr durch „enforcement shopping“
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Hieran schließt sich die Frage an, ob eine Abgabefiktion, die erst im Zweitland eingetreten ist, in weitere Länder übertragen werden kann. Es geht mithin um ihre territoriale Reichweite. Entstammt die Entscheidung einem Land, das die Abgabefiktion vorsieht, kann die dort eingetretene Fiktion – wie zuvor (Variante A) dargelegt – in anderen Ländern anerkannt werden und zwar analog Art. 33 ff. EuGVVO. Die Willenserklärung ist insoweit also mit weltweiter Wirkung fingiert, vorausgesetzt die Entscheidung ist jeweils in dem Land anerkennungsfähig, in dem sie geltend gemacht wird. Dadurch kann zwar die Situation eintreten, dass sie im Staatsgebiet eines Landes als abgegeben behandelt wird, in dem eines anderen hingegen nicht. Dies ist aber bei anderen anerkennungsfähigen (etwa Gestaltungs-, Feststellungs-)Wirkungen gleichermaßen möglich und daher auch vorliegend unbedenklich.
1136
Eine andere Frage stellt sich aber, wenn der Titel in einer Rechtsordnung ohne Abgabefiktion erlassen und daraufhin in einem Land mit Fiktions400 401
Schlosser, EuZPR, 3. Aufl. 2009, Art. 38 EuGVVO Rn. 1. s. Rn. 1096–1099.
§ 11 Methoden der Zwangsanwendung bei ausländischen Entscheidungen
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wirkung exequiert wurde. Kann in diesem Fall auch die im Vollstreckungsland eingetretene Ersetzungswirkung analog Art. 33 ff. EuGVVO in ein Drittland weiter übertragen werden? Einige Gründe sprechen gegen diese Möglichkeit: a) Gefahr durch „enforcement shopping“ Zunächst besteht Missbrauchsgefahr, wenn der Titelgläubiger das Urteil 1137 in einem berührungsarmen Forum für vollstreckbar erklären lässt. Zwar gibt es für enforcement shopping legitime Gründe.402 Würde allerdings die hierdurch erzielte Fiktionswirkung ihrerseits analog Art. 33 ff. EuGVVO gemeinschaftsweit anerkannt, käme der Gläubiger in den Genuss einer wesentlich effektiveren Vollstreckungsmethode, als ihm in allen mit dem Streit berührten Jurisdiktionen offen gestanden hätte. An der Legitimität dieses Vorgehens kann man in reinen Inlandsfällen zweifeln. Denn der Gläubiger könnte eine fremde Vollstreckungsmethode importieren, die das inländische Vollstreckungsrecht überholt. Die Herrschaft der lex fori executionis für die Vollstreckungsmodalitäten würde durchbrochen. Dabei ist gerade diesbezüglich den Mitgliedstaaten auch unter der EuGVVO ein Gestaltungsfreiraum verblieben. Ferner lässt sich nicht einmal begründen, dass der Titelgläubiger im Zweitland gleich effektive Vollstreckungsbedingungen haben müsste wie im Ursprungsland.403 Wie sind Konstellationen zu beurteilen, die von vornherein Berührungs- 1138 punkte zu mehreren Jurisdiktionen aufweisen? Zumindest dann könnte ein enforcement shopping in der beschriebenen Weise angesichts des europäischen Binnenmarktes legitim sein. Dieser soll es den Maktteilnehmern auch ermöglichen, in den Genuss von Vorteilen der verschiedenen nationalen Rechtsordnungen innerhalb der Gemeinschaft zu kommen. Wie die Suche nach dem effizientesten Rechtsbehelf in Europa verdient auch die Suche nach dem effektivsten Vollstreckungsmittel als legitimes Motiv grundsätzlich Unterstützung.404 Dennoch ist ein Taktieren in der geschilderten Weise problematisch, weil sich der Verpflichtete grundsätzlich nur dann mit den Vollstreckungsmodalitäten eines Landes abfinden muss, wenn er dort vollstreckungspflichtig ist. Die kumulative Anwendung von Zwangsmitteln aus verschiedenen Rechtsordnungen kann letztlich das Funktionieren der an 402
Schlosser, EuZPR, 3. Aufl. 2009, Art. 38 EuGVVO Rn. 1. s. Rn. 683–694. 404 So Schlosser, in: FS Leipold, 2009, S. 435 (439), der es für legitim hält, wenn die dem Urteil durch Vollstreckbarerklärung in einem Drittland verliehene Ersetzungsfunktion weltweit anerkannt werden kann. Für die Legitimität des enforcement shoppings allgemein Schlosser, EuZPR, 3. Aufl. 2009, Art. 38 EuGVVO Rn. 1; Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. I/Mankowski, 2011, Art. 38 EuGVVO Rn. 5. 403
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Teil III: Die Wirkungen der Vollstreckbarkeit mitgliedstaatlicher Titel
sich rein territorial organisierten Zwangsvollstreckung behindern. Mangels Koordinierung kann es zu einer Zwangsmittel-Häufung kommen. 1139
Mit dieser Überlegung hatte sich bereits für Art. 49 EuGVVO die Einschränkung ergeben, dass eine Anordnung von Zwangsmitteln in einer Drittrechtsordnung nicht mit dem Ziel möglich ist, diese sodann als Geldvollstreckungstitel in eine weitere Jurisdiktion zu übertragen. Da auch die dortigen Vollstreckungsmechanismen weiterhin anwendbar sind, könnte dies zu einer Häufung von Zwangsgeldern kommen.405 Das gleiche Problem könnte sich ergeben, wenn eine geschuldete Willenserklärung in einem Drittland fingiert und dann weitertransportiert wird. Schon aus diesem Grunde kann dem Gläubiger nicht gestattet werden, den Titel zunächst in einer Jurisdiktion mit automatischer Abgabefiktion exequieren zu lassen, um daraufhin die fingierte Willenserklärung ihrerseits im Wege des Anerkennungsrechts in weitere Länder zu übertragen. b) Unzulässiges Doppelexequatur
1140
Die Möglichkeit, eine in einem Zweitland erstmals eingetretene Abgabefiktion in einem Drittland anerkennen zu lassen, ist auch deswegen problematisch, weil damit das Verbot des Doppelexequaturs umgangen werden könnte. Eine ausländische Vollstreckbarerklärung kann nicht für vollstreckbar erklärt werden und eine ausländische Entscheidung über die Anerkennungsfähigkeit ist nicht ihrerseits anerkennungsfähig.406 Dies verhindert, dass ein Mitgliedstaat das Urteil eines Drittlandes anerkennt und damit für alle anderen Mitgliedstaaten eine Anerkennungspflicht begründet. Eine ähnliche Situation entstünde in der vorliegend in Frage stehenden Konstellation: Dadurch, dass ein Staat die Abgabefiktion als Vollstreckungsmechanismus bereithält, könnte er alle übrigen Staaten dazu zwingen, diese Abgabefiktion, die er dem ausländischen dort exequierten Urteil verliehen hat, anzuerkennen. Dies würde letztlich auch in das Vollstreckungsverfahren eingreifen, dessen Regelung den Einzelstaaten überlassen ist. c) Ergebnis
1141
Überzeugend erscheint es daher, in den Fällen, in denen die Ersetzungswirkung erstmals durch Vollstreckbarerklärung im Zweitland erlangt wurde, diese nicht durch Anerkennung in Drittstaaten weiter zu transportieren. Vielmehr ist das enforcement shopping insoweit zu begrenzen, dass man 405 406
Vgl. bereits oben Rn. 1052. Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 1029, 902.
§ 11 Methoden der Zwangsanwendung bei ausländischen Entscheidungen
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eine Fiktion in einem Drittland immer nur dadurch erzielen kann, dass das Urteil dort für vollstreckbar erklärt wird. Damit kann zwar die untypische Situation befördert werden, dass die Willenserklärung in einem Land als abgegeben gilt, in einem anderen hingegen nicht. Dies ist aber letztlich ein Umstand, der auch sonst hinsichtlich anderer Entscheidungswirkungen hinzunehmen ist, wenn eine Entscheidung nicht in allen Ländern anerkennungsfähig ist.
Teil IV
Die Wirkungen unmittelbarer Titelgeltung nach EuVTVO, EuGFVO, EuMVVO, EuUnthVO und EuEheVO 1142
Im Teil IV dieser Arbeit geht es darum, welche Wirkungen die unmittelbar grenzüberschreitend durchsetzbaren Vollstreckungstitel (nachfolgend: Gemeinschaftsweite Titel) im Zweitland auslösen. Solche Titel, die im gesamten Gemeinschaftsgebiet ohne vorheriges Exequatur beigetrieben werden können, wurden bereits durch die EuGFVO, EuMVVO, EuVTVO sowie mit den Art. 40–45 EuEheVO und den Art. 17–22 EuUnthVO eingeführt.1 In Zukunft soll es sie im Europäischen Internationalen Zivilverfahrensrecht auf breiter Ebene geben.2 Wie derartige Gemeinschaftsweite Titel vollstreckt werden, ist zunächst zu untersuchen [§ 12]. Daraufhin ist fraglich, nach welchen Regeln sie anerkannt werden und welche Wirkungen dies im Zweitland hat [§ 13].
1143
Diese Fragen sollen – soweit möglich – für alle Typen gemeinschaftsweit gültiger Titel gemeinsam und einheitlich gelöst werden. Eine „horizontale Abstimmung“ verschiedener prozessualer Gemeinschaftsrechtsakte durch einheitliche Auslegung und Anwendung erscheint geboten zur Schaffung eines kohärenten Europäischen Justizraums.3 Da die heute existierenden Gemeinschaftsweiten Titel am „Vorabend“ einer allgemeinen unmittelbaren grenzüberschreitenden Titelgeltung innerhalb der EU stehen, schaffen die zu suchenden Antworten zugleich einen Ausblick auf die zukünftige Entwicklung.
1 s. zu diesen Titeln bereits bereits oben: zur EuGFVO Rn. 45 f.; zur EuMVVO Rn. 43 f.; zur EuVTVO Rn. 39–42; zu Art. 40–45 EuEheVO Rn. 37 f. und zu Art. 17–22 EuUnthVO Rn. 47–51. 2 Vgl. zu den Reformvorhaben oben Rn. 34 f., 52–54. 3 Hess, in: FS Geimer, 2002, S. 339 (355); vgl. auch Hess, IPRax 2006, S. 348 (355 f.), der eine koordinierte Auslegung inhaltlich vergleichbarer Bestimmungen verschiedener Rechtsakte in der EuGH-Rechtsprechung nachweist und befürwortet.
§ 12 Die Wirkungen unmittelbarer Vollstreckbarkeit Was die unmittelbare grenzüberschreitende Vollstreckbarkeit betrifft, ist 1144 zunächst ein allgemeines Wirkungsmodell zu entwickeln. Dazu werden die Strukturmerkmale der unmittelbaren Titelgeltung mit denen der Vollstreckbarerklärung unter der EuGVVO verglichen um daraus auf Prämissen für die Wirkungen der unmittelbaren Vollstreckbarkeit zu schließen [A.]. Ausgehend hiervon sind sodann Einzelgesichtspunkte der Beitreibung Gemeinschaftsweiter Titel im Zweitstaat in den Blick zu nehmen und einer Lösung zuzuführen. Hierbei geht es um dieselben Probleme, die bereits in Teil III für die Wirkungen der nach der EuGVVO verliehenen Vollstreckbarkeit behandelt wurden: Zunächst ist zu untersuchen, welche Vollstreckungsmodalitäten im Zweitland gelten, solange der Titel im Ursprungsland noch nicht rechtskräftig geworden ist [B.]. Dann ist zu fragen, ob der Vollstreckungsschuldner direkt im Zweitland materielle Einwendungen gegen den gemeinschaftsweit titulierten Anspruch geltend machen kann um sich einer Vollstreckung zu entziehen [C.]. Abschließend sind die Methoden und Grenzen der Zwangsanwendung bei der Beitreibung Gemeinschaftsweiter Titel zu klären [D.].
A. Die Strukturmerkmale der unmittelbaren Vollstreckbarkeit im Vergleich zu jenen der Vollstreckbarerklärung und Folgerungen hieraus Von welchen Strukturmerkmalen die unmittelbare Vollstreckbarkeit be- 1145 herrscht wird, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur anhand der Regelungen von EuVTVO, EuGFVO, EuMVVO sowie Art. 17–22 EuUnthVO und Art. 40–45 EuEheVO betrachten.1 Anhand dieser Regelungen lassen sich vor allem drei gemeinsame Charakteristika ausmachen, auf die nachfolgend einzugehen ist: Automatische territoriale Erweiterung der Vollstreckbarkeit ohne zweitstaatlichen Verleihungsakt [I.], Gleichstellung in 1 Inwieweit der Kommissions-Vorschag vom 14.12.2010 für eine Neufassung der EuGVVO (KOM(2010) 748 endg., s. hierzu Rn. 53 f.) letztlich in Kraft treten wird, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt (September 2011) noch nicht endgültig abschätzen. Der EuGVVO-E 2010 wird daher im Folgenden nur am Rande berücksichtigt.
536
Teil IV: Die Wirkungen unmittelbarer Titelgeltung
Bezug auf die Vollstreckung [II.] und Konzentration des gerichtlichen Rechtsschutzes auf den Ursprungsmitgliedstaat [III.]. Ausgehend von diesen Wesenszügen ist fraglich, wie weit die in § 8 entwickelten Wirkungsprämissen2 auch für das System der unmittelbaren Vollstreckbarkeit gelten [IV.]. I. Strukturmerkmal 1: Die automatische gemeinschaftsweite Erweiterung der Vollstreckbarkeit ohne zweitstaatliche Verleihungsakte 1146
Zentraler Wesenszug der gemeinschaftsweiten Titelgeltung ist die Erweiterung der Vollstreckbarkeit auf ausländisches Staatsgebiet, ohne dass dort jeweils ein Zwischenverfahren durchzuführen ist.3 Einen zweitstaatlichen Hoheitsakt, mit dem die Vollstreckbarkeit originär für das jeweilige Land verliehen wird, gibt es nicht mehr. Anders als in der EuGVVO ist somit nicht mehr ein Exequatur Grundlage der Beitreibung im Zweitland. Was ist aber dann die Basis der Vollstreckbarkeit, die einem Gemeinschaftsweiten Titel außerhalb seines Erlassstaates zukommt? Handelt es sich um einen nationalen Titel des Ursprungslandes oder um einen eigenständigen europarechtlichen? Von der Antwort auf diese Frage hängt ab, welchen Inhalt die Vollstreckbarkeit im Zweitland hat. Daher ist sie im Folgenden für die unterschiedlichen Typen Gemeinschaftsweiter Titel zu beantworten durch eine Analyse der Regelungen von Art. 40–45 EuEheVO [1.], EuVTVO [2.], Art. 17–22 EuUnthVO [3.] sowie EuGFVO [4.] und EuMVVO [5.]. 1. Umgangs- und Kindesrückgabeentscheidungen i. S. v. Art. 40–45 EuEheVO
1147
Die Art. 40–45 EuEheVO etablieren für Umgangsentscheidungen (Art. 40 I lit.a i. V. m. 41) und bestimmte Kindesrückgabeentscheidungen (Art. 40 I lit.b i. V. m. 42) ein System unmittelbarer Vollstreckbarkeit.4 Diesen Titeln – nach nationalem Verfahrensrecht zustande gekommen – erteilt das Gericht des Ursprungsmitgliedstaates eine Bescheinigung, nachdem es sich davon überzeugt hat, dass im Ausgangsverfahren die in Art. 41 II bzw. 42 II EuEheVO genannten Anforderungen gewahrt waren. Hierbei handelt es sich um eine Selbstkontrolle durch den Richter, der die zu vollstreckende Entscheidung erlassen hat. Diese Kontrolle erfolgt – im Rahmen der insoweit ausfüllungsbedürftigen verordnungseigenen Kriterien – nach den Stan2
s. hierzu Rn. 665–695. Vgl. Art. 5 EuVTVO, Art. 19 EuMVVO, Art. 20 I EuGFVO, Art. 17 II EuUnthVO u. Art. 41 I, 42 I EuEheVO. Ebenso Art. 38 II EuGVVO-E 2010. 4 s. zum genauen Anwendungsbereich in sachlicher Hinsicht Rn. 37. 3
§ 12 Die Wirkungen unmittelbarer Vollstreckbarkeit
537
dards des Ursprungsmitgliedstaates.5 Gegen die Ausstellung der Bescheinigung kann im Erlassstaat gem. 43 II EuEheVO kein Rechtsbehelf eingelegt werden. Genauso wenig ist im Vollstreckungsmitgliedstaat die Anerkennung des Titels – soweit sie Grundlage der grenzüberschreitenden Vollstreckbarkeit ist – anfechtbar, vgl. Art. 41 I bzw. 42 I EuEheVO.6 Der vollstreckungswillige Titelberechtigte hat gem. Art. 45 EuEheVO im Zweitland lediglich die Bescheinigung zusammen mit einer Entscheidungsausfertigung vorzulegen.7 Wie Art. 41 I S. 1 bzw. 42 I S. 1 EuEheVO zu entnehmen ist, kann die 1148 Bescheinigung nur solchen Titeln erteilt werden, die im Ursprungsland vollstreckbar sind. Wann dies der Fall ist, richtet sich nach den autonomen Bestimmungen des dortigen Landes. Deren Maßgeblichkeit ergibt sich nicht nur daraus, dass der Titel nach ihnen zustande gekommen ist, sondern folgt auch aus einem Umkehrschuss zu den Art. 41 I S. 2 bzw. 42 I S. 2 EuEheVO. Diese regeln die Vollstreckbarkeit nur für einen Sonderfall verordnungsautonom („Auch wenn das nationale Recht nicht vorsieht, dass eine Entscheidung . . . vollstreckbar ist . . .“). Ansonsten ist also Grundlage der gemeinschaftsweiten Vollstreckbarkeit die nach nationalem Recht im Ursprungsland eingetretene Vollzugsfähigkeit, die dann nach europäischen Bestimmungen (durch Bescheinigung) für das gesamte Gemeinschaftsgebiet ausgebaut wird. Entsprechend diesem Mechanismus kann man die so geschaffene EU-weite Vollstreckbarkeit als gemeinschaftsweit europäisierte nationale Befugnis bezeichnen. Etwas anderes gilt für die bereits erwähnten Art. 41 I S. 2 bzw. 42 I S. 2 1149 EuEheVO. Diese gestatten die Erteilung einer Bescheinigung auch dann, wenn der Titel nach dem nationalen Verfahrensrecht des Ursprungslandes noch nicht vollstreckbar wäre. Hier ist also nicht das nationale Prozessrecht Ausgangspunkt der gemeinschaftsweiten Vollstreckbarkeit, sondern eine verordnungseigene Regelung. Man kann insoweit von einer europäischen gemeinschaftsweiten Befugnis sprechen. Die Art. 41 I S. 2 bzw. 42 I S. 2 EuEheVO gelten auch in Inlandsfällen, ermöglichen also auch ihm Ursprungsstaat eine vorläufige Vollstreckung durch Ausstellung einer Bescheinigung.8 Dies wird durch die Regelung von Art. 41 III EuEheVO bestätigt, wonach fehlender Auslandsbezug nur dazu 5
Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. IV/Rauscher, 2010, Art. 40 EuEheVO Rn. 7. Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. IV/Rauscher, 2010, Art. 40 EuEheVO Rn. 3. 7 Gem. Art. 45 II EuEheVO sind außerdem Teile der Bescheinigung zu übersetzen. In Deutschland ist eine Vollstreckungsklausel nicht mehr erforderlich, wie sich auch aus § 16 I IntFamRVG ergibt. 8 Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. IV/Rauscher, 2010, Art. 41 EuEheVO Rn. 12 f., Art. 42 EuEheVO Rn. 10. 6
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Teil IV: Die Wirkungen unmittelbarer Titelgeltung
führt, dass die Bescheinigung nicht von Amts wegen ausgestellt wird. Auch wenn bei Inlandsfällen der Binnenmarktbezug fehlt und damit die gemeinschaftsrechtliche Regelungskompetenz fraglich ist, kommt eine einschränkende Anwendung in der Weise, dass eine Bescheinigung nur bei Vorliegen eines Auslandsbezugs möglich wäre, kaum in Betracht. Denn es wäre unklar, nach welchen Kriterien dieser festzustellen wäre.9 Dass es sich bei den Art. 41 I S. 2 bzw. 42 I S. 2 EuEheVO nicht um Fälle der zuvor beobachteten gemeinschaftsweit europäisierten nationalen Befugnisse handelt, ändert aber nichts an dem allgemeinen Strukturmerkmal Gemeinschaftsweiter Titel: In jedem Fall handelt es sich um Befugnisse, die durch ein Tätigwerden staatlicher Stellen im Ursprungsland – entweder nach dortigem internen Recht oder nach den EU-Verordnungen selbst – begründet werden und gemeinschaftsweit gelten. 1150
Zum Inhalt der gemeinschaftsweiten Vollstreckbarkeit bestimmt Art. 44 EuEheVO, dass die „Bescheinigung nur im Rahmen der Vollstreckbarkeit wirksam [ist]“. Dies soll klarstellen, dass der Titel im Zweitstaat weder eine weitergehende Vollstreckungswirkung noch eine höhere Bestandskraft haben soll als in seinem Erlassstaat.10 Dies bedeutet folglich, dass sich im gesamten Gemeinschaftsgebiet der Inhalt der Vollstreckbarkeit nach dem Recht des Ursprungslandes richtet. Das ist jedenfalls für das Phänomen der gemeinschaftsweit europäisierten nationalen Befugnisse stimmig, da es sich hierbei eigentlich um nationale Titel handelt, deren Vollstreckbarkeit lediglich gemeinschaftsweit ausgebaut wurde, ohne dass hierdurch ihr Inhalt verändert werden soll. Demgegenüber richtet sich der Umfang der europäischen gemeinschaftsweiten Befugnisse nach der EuEheVO, da sie sich unmittelbar aus dieser ergeben. 2. Als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigte Entscheidungen (EuVTVO)
1151
Beim Europäischen Vollstreckungstitel ist – anders als seine Bezeichnung vermuten lässt – das Zustandekommen nicht europäisch, richtet sich vielmehr nach dem nationalen Verfahrensrecht des Ursprungslandes. Die hiernach zustande gekommene gerichtliche Entscheidung wird erst durch die von einer Stelle des Ursprungslandes auszustellende Bestätigung nach Anhang I der EuVTVO zu einem Gemeinschaftsweiten Titel. Im Zweitland muss der Gläubiger lediglich die Entscheidung zusammen mit der Bestätigung vorlegen, damit Vollstreckungsmaßnahmen vorgenommen werden 9
Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. IV/Rauscher, 2010, Art. 41 EuEheVO Rn. 13. Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. IV/Rauscher, 2010, Art. 44 EheGVO Rn. 1; Geimer, in: Geimer/Schütze (Hrsg.), EuZVR, 3. Aufl. 2010, Art. 44 EheGVO Rn. 1. 10
§ 12 Die Wirkungen unmittelbarer Vollstreckbarkeit
539
können, vgl. Art. 20 II EuVTVO.11 Voraussetzung für die Bestätigung ist gem. Art. 6 I lit.a EuVTVO u. a., dass die Entscheidung im Ursprungsland vollstreckbar ist, was nach dem dortigen autonomen Recht zu beurteilen ist.12 Es handelt sich also um eine Vollstreckbarkeit nach nationalem Recht, die erst durch die Bestätigung „europäisiert“ wird13 und dadurch transnational wirkt14. Man kann insofern von einer Erstreckung der Vollstreckbarkeit über die Grenze hinweg sprechen.15 Es liegt ein Fall gemeinschaftsweit europäisierter nationaler Befugnisse vor. Die Bestätigung wird allerdings nur erteilt, wenn das vorangegangene 1152 Verfahren gewissen Minimalanforderungen genügt. So muss insbesondere das rechtliche Gehör des Schuldners durch ausreichende Zustellung gewahrt worden sein, vgl. Art. 6 I lit.c EuVTVO. Die Regelungsstruktur der EuVTVO ist insofern dieselbe wie in den Art. 40–45 EuEheVO: Die bislang im zweitstaatlichen Exequaturverfahren durchzuführende Kontrolle des ausländischen Titels wird in ein Bescheinigungsverfahren im Erststaat verlagert.16 Demgegenüber taucht der Anerkennungsversagungsgrund der Unvereinbarkeit (Art. 34 Nr. 3, 4 EuGVVO) nun im zweitstaatlichen Vollstreckungsverfahren wieder auf (Art. 21 I EuVTVO). Gegen die Bestätigung einer Entscheidung als Europäischer Vollstreckungstitel ist im Ursprungsland kein Rechtsbehelf möglich, vgl. Art. 10 IV EuVTVO. Genauso wenig kann die Erteilung der Bestätigung im Vollstreckungsmitgliedstaat nachgeprüft werden, vgl. Art. 21 II EuVTVO. Wie Art. 44 EuEheVO für die Bescheinigung regelt Art. 11 EuVTVO für 1153 die Bestätigung, dass diese „nur im Rahmen der Vollstreckbarkeit“ der Entscheidung Wirkung entfaltet. Dies stellt klar, dass dem Titel im Zweitstaat weder eine weitergehende Vollstreckbarkeit noch eine höhere Bestandskraft zukommen soll als in seinem Erlassstaat.17 Deshalb gilt etwa eine Aussetzung oder Beschränkung der Vollstreckbarkeit im Ursprungsland auto11 Ggf. ist auch eine Transskription oder Übersetzung der Bestätigung erforderlich, Art. 20 II lit.c EuVTVO. In Deutschland muss keine Vollstreckungsklausel mehr erteilt werden, vgl. § 1082 ZPO. In England muss die ausländische Entscheidung nicht mehr registriert werden, vgl. r. 74.31(1) CPR. Dafür ist hier aber über Art. 20 EuVTVO hinaus erforderlich, dass dem ausländischen Titel ein certificate of the sterling equivalent beigefügt wird, wenn er auf eine ausländische Währung lautet, vgl. r. 74.31(2) CPR. 12 Schlosser, EuZPR, 3. Aufl. 2009, Art. 6 EuVTVO Rn. 2. 13 Coester-Waltjen, in: FS Beys, Bd. II, 2003, S. 183 (185); Rauscher, Europäischer Vollstreckungstitel, 2004, Rn. 2. 14 Bittmann, Klauselerteilungsverfahren, 2008; Hess/Bittmann, IPRax 2008, S. 305 (305). 15 Jennissen, InVo 2006, S. 218. 16 Oberhammer, JBl. 2006, S. 477 (485 f.). 17 Röthel/Sparmann, WM 2006, S. 2285 (2290).
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Teil IV: Die Wirkungen unmittelbarer Titelgeltung
matisch auch in den anderen Mitgliedstaaten.18 Folglich gibt also das Recht des Ursprungslandes für das gesamte EU-Gebiet den Inhalt der Vollstreckbarkeit von Europäischen Vollstreckungstiteln vor. Dies ist insofern systemgerecht, als der Europäische Vollstreckungstitel im Zweitland gemeinschaftsweit europäisierte nationale Befugnisse gewährt. 3. Unterhaltsentscheidungen i. S. v. Art. 17–22 EuUnthVO 1154
Urteile, die in den Anwendungsbereich der EuUnthVO fallen, können gem. Art. 16 II, 17 II EuUnthVO ohne Exequatur gemeinschaftsweit vollstreckt werden, soweit sie in einem Mitgliedstaat ergangen sind, in dem das HUntStProt 2007 gilt. Letzteres ist (mit Ausnahme für Dänemark und das Vereinigte Königreich) in gesamten Gemeinschaftsgebiet der Fall.19 Weitere Voraussetzung ist, dass die Entscheidung in ihrem Ursprungsstaat vollstreckbar ist, vgl. Art. 17 II EuUnthVO. Allerdings wird im Ursprungsland weder eine Bestätigung, wie sie die EuVTVO kennt, noch eine Bescheinigung i. S. v. Art. 40–45 EuEheVO ausgestellt. Vorgesehen ist lediglich ein im Ursprungsland zu erstellender „Auszug“ nach Anhang I der EuUnthVO, der den Inhalt des Richterspruchs wiedergibt, dessen Ausstellung aber nicht voraussetzt, dass im Ursprungsverfahren gewisse Mindestanforderungen beachtet worden sind. Eine solche Prüfungspflicht ist weder in der EuUnthVO normiert noch lässt sich aus den im Formblatt des Auszugs vorgesehenen Angaben auf eine solche schließen. Den Auszug muss der Titelgläubiger zusammen mit einer Entscheidungsausfertigung im Zweitland vorlegen, Art. 20 I EuUnthVO.20 Im Kopf des Formblattes ist vermerkt, dass der Auszug nur dann zu erstellen ist, wenn die Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat vollstreckbar ist. Das Ursprungsgericht hat sich also zumindest über den Eintritt der Vollstreckbarkeit zu vergewissern. Dies richtet sich – wie das Zustandekommen des Titels – nach Vorschriften des Erlassstaates.
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Somit hat also auch die nach Art. 17 II EuUnthVO gemeinschaftsweit gültige Vollstreckbarkeit ihren Ausgangspunkt in einer nach nationalem Recht des Ursprungslandes bestehenden Durchsetzbarkeit. Es kann daher ebenfalls von einer gemeinschaftsweit europäisierten nationalen Befugnis gesprochen werden. Etwas anderes gilt aber nach Art. 39 EuUnthVO, der (wie Art. 41 I S. 2 bzw. 42 I S. 2 EuEheVO) dem Ursprungsgericht erlaubt, eine Entscheidung auch dann schon vor ihrer Rechtskraft für vollstreckbar 18
Gebauer, FPR 2006, S. 252 (254). s. hierzu und zu den weiteren Anwendungsvoraussetzungen Rn. 47. 20 Zusätzlich sind ggf. für die Vollstreckung erforderliche Informationen beizugeben (Art. 20 I lit.c EuUnthVO) sowie ggf. ein Transskript oder eine Übersetzung des Auszuges (Art. 20 I lit.d EuUnthVO). 19
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zu erklären, wenn dies nach innerstaatlichem Recht nicht möglich wäre. Soweit von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, entsteht eine europäische gemeinschaftsweite Befugnis. Diese gilt nicht nur für grenzüberschreitende Sachverhalte, sondern auch in reinen Inlandsfällen.21 Eine Beschränkung auf Auslandsfälle – aus Gründen fehlender Gemeinschaftskompetenz möglicherweise geboten – wäre praktisch nicht möglich, da die Kriterien für die Annahme einer Auslandsbeziehung offen sind. Es kann insbesondere nie ausgeschlossen werden, dass der Unterhaltsschuldner innerhalb der Vollstreckungsverjährung irgendwann in einem anderen Mitgliedstaat Vermögen haben wird, so dass insofern stets von einer potentiellen Auslandsberührung auszugehen wäre.22 Für Titel i. S. v. Art. 17–22 EuUnthVO ergibt sich damit das gleiche Bild 1156 wie für solche im Anwendungsbereich der Art. 40–45 EuEheVO: Ob eine Entscheidung überhaupt im Zweitland durchsetzbar ist, hängt davon ab, ob sie im Ursprungsland Vollstreckbarkeit erlangt hat. Dies wiederum ist Ergebnis der Tätigkeit dortiger Stellen – die hierbei entweder ihr nationales Recht anwenden (dann handelt es sich um eine nationale Befugnis) oder verordnungseigene Regelungen heranziehen (dann europäische Befugnis). Die im Ursprungsland geschaffenen Vollstreckungsbefugnisse werden entweder nach Gemeinschaftsrecht gemeinschaftsweit europäisiert bzw. gelten von vornherein gemeinschaftsweit. Ein dem Art. 11 EuVTVO bzw. Art. 44 EuEheVO entsprechender Verweis auf das Recht des Ursprungslandes für den Inhalt gemeinschaftsweiter Vollstreckbarkeit findet sich in der EuUnthVO jedoch nicht. Wegen der strukturellen Ähnlichkeit muss diese Regel aber vorliegend gleichermaßen gelten, soweit es sich um eine gemeinschaftsweit europäisierte nationale Befugnis handelt. Für die durch Art. 39 EuUnthVO gewährten europäischen gemeinschaftsweiten Befugnisse gilt sie allerdings nicht. Deren Inhalt richtet sich vielmehr nach verordnungseigenen Vorgaben. 4. Nach der EuGFVO zustande gekommene Europäische Bagatellurteile Mit der EuGFVO wurde ein originär europarechtliches Verfahren zur 1157 Schaffung von Vollstreckungstiteln eingeführt.23 Die Verordnung regelt einige wesentliche Aspekte des Ablaufs des Europäischen Bagatellverfahrens bis zum Vorliegen eines erstinstanzlichen Urteils. Für alle ungeregelten Ver21 Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. IV/Andrae/Schimrick, 2010, Art. 39 EuUnthVO Rn. 3. 22 Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. IV/Andrae/Schimrick, 2010, Art. 39 EuUnthVO Rn. 4. 23 Frattini, ZEuP 2006, S. 225 (230).
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fahrensfragen bleibt es gem. Art. 19 EuGFVO bei der Geltung der lex fori des Ursprungsgerichts. Dieser ist insbesondere auch überlassen, ob und inwieweit gegen ein Bagatellurteil Rechtsmittel offenstehen, vgl. Art. 17 EuGFVO. Unabhängig von der Statthaftigkeit solcher Rechtsmittel und deren Ausgestaltung regelt aber Art. 15 I EuGFVO, dass in jedem Fall ein erstinstanzliches Urteil ohne Sicherheitsleistung vollstreckbar ist. Die Vollstreckbarkeit der Bagatellentscheidungen hat ihre Grundlage also nicht im nationalen Recht des Ursprungslandes, folgt vielmehr aus europäischen Bestimmungen. 1158
Dennoch wird dem Bagatellurteil gem. Art. 20 II EuGFVO im Ursprungsland eine Bestätigung erteilt, die – zusammen mit einer Entscheidungsausfertigung – im Zweitland vorgelegt werden muss, damit dort Vollstreckungsmaßnahmen vorgenommen werden können, vgl. Art. 21 II EuGFVO.24 Aus diesem Bestätigungserfordernis folgern Hess/Bittmann, es handle sich beim Europäischen Bagatellurteil um einen nationalen Titel, dessen Vollstreckbarkeit erst durch die Bestätigung gemeinschaftsweit erweitert würde.25 In der Tat erinnert die Bestätigung an den Europäischen Vollstreckungstitel, der ja im Ausgangspunkt unzweifelhaft ein nationaler Titel ist. Übereinstimmend könnte man daher annehmen, auch Europäische Bagatellurteile seien ein Fall gemeinschaftsweit europäisierter nationaler Befugnisse. Schließlich erscheint fraglich, warum ein Europäisches Bagatellurteil nicht – wie ein Unterhaltstitel i. S. der EuUnthVO – ohne Bestätigung auskommt und etwa allein mit einem „Auszug“ im Zweitland vollstreckbar ist.
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Allerdings erfordert die Bestätigung nach Art. 20 II EuGFVO nicht, dass das Verfahren gewissen Mindeststandards genügt hat. Sie entspricht also weder einer Bestätigung nach der EuVTVO noch einer Bescheinigung i. S. v. Art. 40–45 EuEheVO, deren Erteilung von bestimmten Voraussetzungen abhängig sind. Vielmehr ist die Bestätigung nach Art. 20 II EuGFVO in ihrer Funktion und Bedeutung dem für Unterhaltsentscheidungen vorgesehenen Auszug vergleichbar: Es handelt sich lediglich um eine europaweit vereinheitlichte formalisierte Wiedergabe des Entscheidungsinhaltes zur Vereinfachung der grenzüberschreitenden Vollstreckung. Diese wird voraussetzungslos jedem Europäischen Bagatellurteil erteilt. Hieran ist ersicht24
Ggf. ist eine Übersetzung der Bestätigung beizufügen, vgl. Art. 21 II lit.b EuGFVO. In Deutschland ist insbesondere keine Vollstreckungsklausel mehr erforderlich, vgl. § 1107 ZPO. In England kann sich der Gläubiger direkt an das zuständige Vollstreckungsgericht wenden, vgl. r. 78.20(1) CPR. Über die EuGFVO hinaus ist hier aber erforderlich, dass dem ausländischen Titel ein certificate of the sterling equivalent beigefügt wird, wenn er auf ausländische Währung lautet, r. 78.20(2) CPR. 25 Hess/Bittmann, IPRax 2008, S. 305 (313).
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lich, dass die EuGFVO-Titel von vornherein eine gemeinschaftsweite Durchsetzbarkeit haben und diese nicht erst durch die Bestätigung erlangen. Dass sie nur zusammen mit der Bestätigung im Zweitland vollstreckbar sind, ist ein Erfordernis rein formeller Natur. Hieraus lässt sich aber nicht folgern, Europäische Bagatellurteile seien 1160 nationale Titel. Vielmehr regelt gerade das europäische Recht wesentliche Aspekte ihres Zustandekommens, insbesondere den Eintritt ihrer Vollstreckbarkeit. Europäische Bagatellurteile gewähren daher eine europäische gemeinschaftsweite Befugnis. Anders als bei den zuvor behandelten Titeln ist das nationale Recht des Ursprungslandes überhaupt nicht mehr maßgeblich für den Eintritt der Vollstreckbarkeit im Ursprungsland, weswegen auch von einem „Europäischen Titel“ gesprochen werden kann. Die erwähnte Auffassung von Hess/Bittmann, es handle sich beim Europäischen Bagatellurteil um einen nationalen Titel, kann daher nicht überzeugen. 5. Nach der EuMVVO zustande gekommene Europäische Zahlungsbefehle Auch das durch die EuMVVO eingeführte Europäische Mahnverfahren 1161 ist wie das Bagatellverfahren ein originär europäisches Erkenntnisverfahren.26 Wurde unter den Voraussetzungen von Art. 8 EuMVVO ein Europäischer Zahlungsbefehl auf Formblatt E (Anh. V) erlassen und hat der Schuldner nicht fristgerecht Einspruch erhoben, wird der Zahlungsbefehl mit europaweiter Wirkung für vollstreckbar erklärt, vgl. Art. 18 I EuMVVO. Dazu bedient sich das Mahngericht des Formblattes G (Anh. VII), das unmittelbar Grundlage für die Zwangsvollstreckung im Zweitstaat ist, vgl. Art. 21 II EuMVVO.27 Art. 18 I EuMVVO regelt also europarechtlich die Voraussetzungen der Vollstreckbarkeit. Ein Europäischer Zahlungsbefehl räumt daher europäische gemeinschaftsweite Befugnisse ein. Deren Inhalt richtet sich somit – wie in den anderen Fällen europäischer gemeinschaftsweiter Befugnisse – nach dem europäischen Recht, aus dem sie sich ergeben. Dass es sich nicht um einen nationalen Titel des Ursprungslandes handelt, sondern um einen gemeinschaftsrechtlichen, wird auch daran ersichtlich, dass der Vollstreckungsgläubiger im Zweitland nicht 26
Frattini, ZEuP 2006, S. 225 (230). Hess/Bittmann, IPRax 2008, S. 305 (309). Zusätzlich ist ggf. eine Übersetzung beizufügen, Art. 21 II lit.b EuMVVO. In Deutschland ist eine Vollstreckungsklausel nicht mehr erforderlich, vgl. § 1093 ZPO. In England kann sich der Gläubiger direkt an das zuständige Vollstreckungsgericht wenden, vgl. r. 78.9(1) CPR. Über die EuMVVO hinaus ist hier aber erforderlich, dass dem ausländischen Titel ein certificate of the sterling equivalent beigefügt wird, wenn er auf eine ausländische Währung lautet, vgl. r. 78.9(2) CPR. 27
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einmal mehr eine besondere Bescheinigung oder Bestätigung des Zahlungsbefehls vorlegen muss, sondern lediglich eine Ausfertigung von diesem, vgl. Art. 21 II EuMVVO. 1162
Wie hiermit die Regelung von Art. 18 II EuMVVO zusammenpasst, ist allerdings fraglich. Etwas umständich besagt diese, dass sich „die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung für die Vollstreckbarkeit nach den Rechtsvorschriften des Ursprungsmitgliedstaats [richten]“. Dies soll offenbar bedeuten, dass die Voraussetzungen der Vollstreckbarkeit gerade nicht vom europäischen Recht vorgegeben werden, sondern von den nationalen Vorschriften des Ursprungslandes. Dies passt mit der zuvor getätigten Aussage, die Vollstreckbarkeit Europäischer Zahlungsbefehle sei eine Befugnis auf Grundlage europäischen Rechts, nur in einer Form zusammen: Im Grundsatz richtet sich nach der EuMVVO, wann Vollstreckbarkeit eintritt. Für alle von der Verordnung nicht geregelten Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen ist auf das Recht des Ursprungslandes zurückzugreifen. Art. 18 II EuMVVO ist also eine Konkretisierung des Art. 26 EuMVVO. Dieser gestattet in sämtlichen durch die EuMVVO nicht ausdrücklich geregelten verfahrensrechtlichen Fragen den Rückgriff auf nationale Rechtsvorschriften – lässt allerdings offen, in welches Land verwiesen wird. Art. 18 II EuMVVO trifft demgegenüber die eindeutige Aussage in dem Sinne, dass das Recht des Ursprungslandes heranzuziehen ist für die in der Verordnung nicht geregelten Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen. Art. 18 II EuMVVO ist somit lex specialis zu Art. 26 EuMVVO. 6. Die automatische gemeinschaftsweite Erweiterung der Vollstreckbarkeit in zusammenfassender Betrachtung
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Das Strukturmerkmal 1 der unmittelbaren Titelgeltung – „automatische gemeinschaftsweite Erweiterung der Vollstreckbarkeit“ – hat nach der gegenwärtigen Rechtslage zwei Aspekte: Erstreckung der im Ursprungsland vorhandenen Vollstreckbarkeit [a)] sowie Unterscheidung zwischen nationalen und gemeinschaftsrechtlichen Befugnissen [b)]. a) EU-weite Vollstreckbarkeit als automatische Erstreckung von im Ursprungsland vorhandener Durchsetzbarkeit
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Das Grundprinzip gemeinschaftsweiter Vollstreckbarkeit besteht darin, dass diese im Ursprungsland durch ein Verfahren vor den dortigen Stellen begründet wird und automatisch für das gesamte EU-Gebiet gilt. Es handelt sich demnach um eine Erstreckung, weil stets nur dasjenige gemeinschaftsweit greift, was auch im Ursprungsland vorhanden ist. Dies gilt nicht nur
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für Europäisierte nationale Titel (EuVTVO, Art. 17–22 EuUnthVO, Art. 40–45 EuEheVO) oder echte Europäische Titel (EuGFVO, EuMVVO). Es trifft vielmehr auch zu, soweit die Verordnungen ausnahmsweise für Europäisierte Titel die Möglichkeit schaffen, sie für vollstreckbar zu erklären, wo dies nach dem Recht des Ursprungslandes nicht möglich wäre (Art. 41 I S. 2, 42 I S. 2 EuEheVO, Art. 39 EuUnthVO). Auch dies ist eine Erstreckung des im Ursprungsland Vorhandenen. Denn die nach den Art. 41 I S. 2 sowie 42 I S. 2 EuEheVO und Art. 39 EuUnthVO verliehene Vollstreckbarkeit gilt auch für das Ursprungsland selbst: Einerseits erfassen diese Regeln reine Inlandsfälle.28 Andererseits lässt sich deren Wortlaut kein Hinweis entnehmen, dass die derartige Vollstreckbarkeit nicht auch für das Ursprungsland gelten sollte. Als Grundprinzip lässt sich somit ausmachen, dass EU-weite Vollstreckbarkeit im Ausland immer nur insoweit besteht, wie sie im Ursprungsland des Titels vorliegt – egal ob sie hier aus nationalem oder europäischem Recht resultiert. Dieser Mechanismus läge im Übrigen auch den Art. 38–46 EuGVVO-E 2010 zu Grunde, die ebenfalls gemeinschaftsweit europäisierte nationale Befugnisse regeln würden.29 Damit besteht zwischen automatischer gemeinschaftsweiter Vollstreckbar- 1165 keit und Entscheidungsanerkennung eine noch stärkere Wesensgleichheit als zwischen Anerkennung und Vollstreckbarerklärung. Schon unter der EuGVVO wirkte es widersprüchlich, wenn im Zweitland die Wirkungen der Anerkennung und der Vollstreckbarerklärung nach unterschiedlichen Grundansätzen bestimmt würden.30 Umso eher sollten die gemeinschaftsweite Vollstreckbarkeit nach den neuen Verordnungen und die Anerkennung nach der EuGVVO gleich behandelt werden: Jeweils gilt dasjenige transnational, was im Ursprungsland vorhanden ist. Durch den Wegfall des Exequaturs ist der – ohnehin nicht überzeugende31 – Verleihungsgedanke erst recht nicht mehr tragfähig. Vielmehr passt der Wirkungserstreckungsansatz für die Bestimmung des Inhaltes der gemeinschaftsweiten Vollstreckbarkeit noch mehr als bei der Vollstreckbarerklärung32. 28 s. Rn. 1149 (zu Art. 41 I S. 2, 42 I S. 2 EuEheVO), Rn. 1155 (zu Art. 39 EuUnthVO). 29 Gem. Art. 38 I EuGVVO-E 2010 sind die erfassten Entscheidungen ohne vorheriges Exequatur vollstreckbar, wenn sie im Ursprungsland nach dortigem Recht vollstreckbar sind, vgl. Art. 42 I lit.b EuGVVO-E 2010. 30 Vgl. Rn. 628 f. 31 s. Rn. 620; krit. hierzu Rn. 627–664. 32 s. zu den Gründen, wegen derer schon im Bereich der Vollstreckbarerklärung nach der EuGVVO der Wirkungserstreckungsgedanke herangezogen werden kann Rn. 631–664.
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b) Unterscheidung zwischen gemeinschaftsweit europäisierten nationalen Befugnissen und europäischen gemeinschaftsweiten Befugnissen 1166
Allerdings führt die Wirkungserstreckungslehre zur Bestimmung des Inhaltes der EU-weiten Vollstreckbarkeit nicht immer zum Recht des Ursprungslandes. Denn die dortigen Stellen gehen bei der Schaffung EU-weiter Vollstreckbarkeit nicht nur nach ihren autonomen Vorschriften vor. Vielmehr sind zwei Varianten zu unterscheiden:
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In der ersten Variante kommt der Titel nach nationalem Recht zustande und erlangt auch nach diesem seine Vollstreckbarkeit, die dann aufgrund europarechtlicher Bestimmungen gemeinschaftsweit ausgebaut wird. Dann handelt es sich um gemeinschaftsweit europäisierte nationale Befugnisse. Diese Erscheinung ist beim Europäischen Vollstreckungstitel i. S. der EuVTVO und – grundsätzlich – im Anwendungsbereich der Art. 40–45 EuEheVO und der Art. 17–22 EuUnthVO anzutreffen. Auch die Titel i. S. v. Art. 38 I EuGVVO-E 2010 wären hierzu zu rechnen. Für den Inhalt der in dieser Form zustande gekommenen gemeinschaftsweiten Vollstreckbarkeit ist das Recht des Ursprungslandes maßgeblich, da das Gemeinschaftsrecht nicht bezweckt, die im Ursprungsland bestehende Vollstreckbarkeit unter inhaltlicher Veränderung zu europäisieren. Dies lässt sich auch den Regelungen des Art. 44 EuEheVO und Art. 11 EuVTVO entnehmen.33 Insoweit führt die Wirkungserstreckungslehre bezüglich des Inhaltes der Vollstreckbarkeit in das Recht des Ursprungslandes.
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In der zweiten Variante erschaffen die Stellen des Ursprungslandes die gemeinschaftsweite Vollstreckbarkeit unmittelbar nach gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften. Es handelt sich insofern um europäische gemeinschaftsweite Befugnisse, die ihre Basis nicht im nationalen Recht des Ursprungslandes haben, sondern direkt im Gemeinschaftsrecht. Hauptsächlich bei den echten Europäischen Titeln – also Europäischer Zahlungsbefehl und Europäisches Bagatellurteil – begegnet dieses Phänomen. Es findet sich aber auch bei den Europäisierten Titeln, nämlich in Art. 39 EuUnthVO sowie Art. 41 I S. 2 und 42 I S. 2 EuEheVO. Der Inhalt der so begründeten Vollstreckbarkeit kann sich grundsätzlich nur unmittelbar nach Gemeinschaftsrecht richten. Die Wirkungserstreckungslehre verweist insoweit also nicht auf das nationale Recht des Ursprungslandes, sondern auf Gemeinschaftsrecht. Gleichwohl handelt es sich auch hier um eine Wirkungserstreckung. Soweit aber das Gemeinschaftsrecht hinsichtlich einzelner inhaltlicher Aspekte der Vollstreckbarkeit keine Vorgaben enthält, ist auf die Vorschrif33 Eine derartige ausdrückliche Regelung fehlt im EuGVVO-E 2010. Die Geltung dieses Grundsatzes lässt sich aber dem Art. 66 EuGVVO-E 2010 entnehmen.
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ten des Ursprungslandes zurückzugreifen. Dies ist insofern legitim, als die dortigen Stellen den Titel erschaffen haben und ihnen nichts anders übrig blieb, als subsidiär ihr eigenes Verfahrensrecht heranzuziehen. Dem Recht, welches das Zustandekommen eines Titels regelt, auch dessen Inhalt zu entnehmen, erscheint stimmiger, als insoweit auf irgendein anderes Recht zurückzugreifen. Eine legislative Bestätigung für den subsidiären Rückgriff auf das nationale Recht des Ursprungslandes im Bereich der europäischen gemeinschaftsweiten Befugnisse findet sich in Art. 18 II EuMVVO, der genau von diesem Grundschema auszugehen scheint.34 Soweit die Verordnungen keine gemeinschaftsweite Regelung vorsehen, führt also die Wirkungserstreckungslehre zum Recht des Ursprungslandes. II. Strukturmerkmal 2: Maßgeblichkeit der lex fori executionis und Gleichstellung in Bezug auf die Vollstreckung Dass die EU-weite Vollstreckbarkeit ohne zweitstaatlichen Verleihungsakt 1169 auf das Zweitland erweitert wird, ändert nichts an dem Grundsatz, dass das Verfahren der Anspruchsdurchsetzung der lex fori executionis unterliegt. Dies stellen sämtliche Verordnungen zur unmittelbaren Titelgeltung noch einmal ausdrücklich klar.35 Es ist also nur der Weg zur Erlangung gemeinschaftsweiter Vollstreckbarkeit ganz oder teilweise harmonisiert, nicht jedoch das Verfahren der Vollstreckung im Zweitland.36 Eigenständige Regelungen für die Zwangsvollstreckung treffen die neuen Verordnungen lediglich bezüglich einzelner Möglichkeiten des Schuldners, sich gegen sie zur Wehr zu setzen.37 Nachdem sich in der EuGVVO die Geltung der Gleichstellungslehre zur 1170 Bestimmung des Inhaltes der Vollstreckbarkeit nicht mit dem Vorliegen eines zweitstaatlichen Exequaturs rechtfertigt38, sondern ausschließlich dadurch, dass die Beitreibung im Zweitland grundsätzlich nur nach der lex 34
s. Rn. 1162. Art. 20 I S. 1 EuVTVO, Art. 21 I S. 1 EuMVVO, Art. 21 I S. 1 EuGFVO, Art. 41 I S. 1 EuUnthVO u. Art. 47 I EuEheVO. Ebenso Art. 41 I EuGVVO-E 2010. 36 Yessiou-Faltsi, in: Gottwald (Hrsg.), Justizielle Zusammenarbeit, 2004, S. 213 (227) zur EuVTVO; Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. II/Pabst, 2010, Art. 29 EuVTVO Rn. 1. 37 Etwa bei Titelkollision (vgl. Art. 21 II S. 2 EuUnthVO, Art. 21 EuVTVO, Art. 22 I EuMVVO, Art. 22 EuGFVO) und bei Einlegung von Rechtsbehelfen im Ursprungsland (vgl. Art. 23 EuVTVO, Art. 23 EuMVVO, Art. 23 EuGFVO, Art. 21 III EuUnthVO) sowie bei zwischenzeitlicher Erfüllung, Art. 22 II EuMVVO). s. hierzu später mehr. 38 s. Rn. 631–645. 35
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fori executionis durchgeführt werden kann39, haben die dort gefundenen Gründe für die Geltung der Gleichstellung auch im Bereich der gemeinschaftsweiten Vollstreckbarkeit Gültigkeit. Daher kann an dieser Stelle auf die zuvor angestellten Überlegungen verwiesen werden, die ergeben haben, dass aus Rücksicht auf die Rechtsordnung des Vollstreckungsstaates und wegen der Verflechtungen mit den örtlichen Strukturen die meisten Aspekte der Vollstreckung nur nach dem örtlichen Recht beurteilt werden können und daher grundsätzlich alle Fragen des „Wie“ der Vollstreckung nach dem Recht des Vollstreckungsstaates zu beantworten sind.40 1171
Gegenüber der EuGVVO ergeben sich vorliegend aber zwei kleinere Abweichungen: Zum einen gilt der Verweis auf die lex fori executionis nicht, soweit die Verordnungen eigene Regelungen des Vollstreckungsverfahrens enthalten. Diese sind vorrangig anwendbar.41 Zum anderen ist die Geltung des zweitstaatlichen Rechts in Bezug auf die formellen Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen eingeschränkt: Da die Gemeinschaftsweiten Titel ohne Exequatur auskommen müssen, können sie nicht formell implementiert werden durch Erteilung von Vollstreckungsklauseln, Vollstreckungsbewilligungen etc. Der unmittelbar vollstreckbare Titel wird zu einem späteren Zeitpunkt nostrifiziert als ein Auslandstitel durch das Exequatur, nämlich erst unmittelbar vor Vollstreckungszugriff. Die Gemeinschaftsweiten Titel erfüllen somit die formellen Anforderungen des zweitstaatlichen Vollstreckungsrechts nicht, so dass dieses ggf. modifiziert angewendet werden muss, damit eine Durchsetzung im Zweitland möglich ist. III. Strukturmerkmal 3: Konzentration des gerichtlichen Rechtsschutzes im Ursprungsstaat
1172
Gemeinschaftsweite Titel genießen im Vergleich zu den nach der EuGVVO exequierten Entscheidungen eine gesteigerte Immunität gegenüber einer gerichtlichen Kontrolle im Zweitstaat. Der Rechtsschutz ist insoweit auf das Ursprungsland konzentriert.42 Die stärkere Restriktion zweitstaatlicher Entscheidungsbefugnisse über den Bestand des Titels bzw. seine 39
s. Rn. 646–659. s. Rn. 660–664. 41 Oberhammer, JBl. 2006, S. 477 zur EuVTVO; Gerling, Gleichstellung, 2006, S. 78 zur EuVTVO. Ausdrücklich auch Art. 41 II EuGVVO-E 2010. 42 Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, 2008, S. 203 („Konzentrationsprinzip“). Noch deutlicher Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. II/Pabst, 2010, Art. 23 EuVTVO Rn. 1, der von einem „Grundprinzip“ spricht, nach dem sich der Schuldner nur im Ursprungsmitgliedstaat gegen den Titel wehren kann. Ebenso RauscherEuZPR/EuIPR, Bd. II/Varga, 2010, Art. 21 EuGFVO Rn. 2, Art. 18 EuGFVO Rn. 3. 40
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Vollstreckbarkeit folgt noch nicht aus dem Verbot der révision au fond, das jetzt noch einmal in den Regelwerken zur unmittelbaren Vollstreckbarkeit wiederholt wird43 und gem. Art. 41 I EuGVVO schon bislang galt. Sie deutet sich vielmehr in den Vorschriften der Verordnungen an: Nach diesen kann sich der Schuldner nur dann im Zweitland ganz oder teilweise einer Vollstreckung entziehen, wenn er zugleich im Ursprungsstaat den Titel angreift: In EuVTVO, EuGFVO und EuMVVO ist es dann den Stellen des Zweitstaates möglich, die Vollstreckung auszusetzen, auf Sicherung zu beschränken oder von einer Sicherheit abhängig zu machen,44 die EuUnthVO gestattet vollständige oder teilweise Aussetzung45. Als systemfremd erweist sich insoweit Art. 46 EuGVVO-E 2010, wonach direkt und ausschließlich im Zweitstaat ein Rechtsbehelf eingelegt werden könnte, um eine Verweigerung der Vollstreckung zu erreichen. Hieran wird sichtbar, dass mit den Art. 38–46 EuGVVO-E 2010 gar keine Gemeinschaftsweiten Titel im eigentlichen Sinne eingeführt würden. Ob im Bereich der „echten“ Gemeinschaftsweiten Titel die verordnungs- 1173 eigenen Möglichkeiten des Schuldners, sich im Zweitland einer Vollstreckung ganz oder teilweise zu entziehen, abschließend sein sollen und alle oder manche Rechtsbehelfe des nationalen zweitstaatlichen Rechts verdrängen, ergibt sich aus den Verordnungen nicht ausdrücklich. Vor allem aus zwei Gründen ist aber gegenüber Gemeinschaftsweiten Titeln der zweitstaatliche Rechtsschutz zurückgedrängt: Einerseits fehlt ein überprüfbares zweitstaatliches Exequatur [1.], andererseits schließt die Euro-Ubiquität der Vollstreckbarkeit aus, dass in jedem Land abweichend über sie entschieden wird [2.]. Durch diese Zurückdrängung zweitstaatlichen Rechtsschutzes sind allerdings die Rechtsbehelfe in Bezug auf das Vollstreckungsverfahren im Zweitstaat nicht versperrt [3.]. 43 Art. 21 II EuVTVO, Art. 22 III EuMVVO, Art. 22 II EuGFVO, Art. 26 EuEheVO (der wohl auch für die Titel i. S. v. Art. 40–45 EuEheVO gilt) u. Art. 42 EuUnthVO. 44 Art. 23 EuVTVO erlaubt eine Aussetzung oder Beschränkung der Zwangsvollstreckung, wenn gegen die Entscheidung oder ihre Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel im Ursprungsland ein Rechtsbehelf eingelegt wurde. Art. 23 EuGFVO gestattet die Aussetzung oder Beschränkung der Vollstreckung, wenn gegen das Urteil im Ursprungsland ein Rechtsbehelf eingelegt oder möglich ist (vgl. Art. 17 EuGFVO) oder wenn dort eine Überprüfung der Mindest-Verfahrensstandards beantragt wurde (vgl. Art. 18 EuGFVO). Art. 23 EuMVVO ermöglicht eine Aussetzung oder Beschränkung der Zwangsvollstreckung, wenn nach Art. 20 EuMVVO eine ausnahmsweise Überprüfung eines Europäischen Zahlungsbefehls im Ursprungsland beantragt wurde. 45 Gem. Art. 21 III S. 1 EuUnthVO kann die Vollstreckung ganz oder teilweise ausgesetzt werden, wenn im Ursprungsmitgliedstaat eine Nachprüfung der Entscheidung nach Art. 19 EuUnthVO beantragt wurde.
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1. Zurückdrängung gerichtlicher Überprüfungsbefugnisse des Vollstreckungsstaates in Folge des Fehlens eines inländischen Exequaturs 1174
Der zweitstaatliche Rechtsschutz ist zunächst deshalb zurückgedrängt, weil vor Ort kein Exequatur mehr erteilt wird. Es gibt damit keinen inländischen Akt, der durch die zweitstaatlichen Gerichte kontrolliert werden könnte. Dementsprechend sehen die Verordnungen zur unmittelbaren Titelgeltung ein den Art. 43 ff. EuGVVO entsprechendes Rechtsbehelfsverfahren gegen die Vollstreckbarerklärung nicht mehr vor. Vielmehr regeln die Art. 41 I S. 1, 42 I S. 1 EuEheVO, Art. 5 EuVTVO, Art. 18 EuMVVO und Art. 20 II EuGFVO, dass die jeweils erfassten Titel im Zweitland vollstreckbar sind, und ergänzen ausdrücklich: „ohne daß die Anerkennung angefochten werden kann“. Für den Europäischen Vollstreckungstitel stellt außerdem Art. 21 II EuVTVO klar, dass auch die Bestätigung nicht überprüfbar ist.
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Dies ist insofern sachgerecht, als Gemeinschaftsweite Titel aus Sicht des Zweitlandes ausländische Hoheitsakte sind. Dass inländische Gerichte ausländische Hoheitsakte überprüfen und ggf. aufheben oder verändern, wäre aus Respekt vor der Souveränität des Erstlandes kaum denkbar. Nicht nur würde sich hierdurch ein Staat zum Richter über einen anderen machen, vielmehr handelte es sich auch um die Umkehrung eines unzulässigen Doppelexequaturs. Denn durch die Aufhebung eines Gemeinschaftsweiten Titels bzw. seiner Vollstreckbarkeit in einem Staat würde zugleich allen anderen Mitgliedstaaten vorgeschrieben, dass sie den Titel nicht vollstrecken können.46 2. Zurückdrängung des Rechtsschutzes im Vollstreckungsstaat durch den Grundsatz der Euro-Ubiquität
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Die Befugnisse der zweitstaatlichen Gerichte zur Überprüfung und ggf. Aufhebung Gemeinschaftsweiter Titel sind auch deswegen zurückgedrängt, weil das Prinzip der automatischen territorialen Erweiterung der Vollstreckbarkeit bedeutet, dass im Ursprungsland der Titel für das gesamte EU-Gebiet geschaffen wird. Es ist nur folgerichtig, dass er auch nur dort wieder mit gemeinschaftsweiter Wirkung beseitigt werden kann. Denn die Abschaffung von Zwischenverfahren vor Vollstreckung in anderen Ländern brächte keinen Gewinn, wenn in jedem Land aufs Neue über die Vollzugsfähigkeit gestritten werden könnte. Anders als unter der EuGVVO gilt auch eine Aufhebung oder Beschränkung der Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat automatisch für das gesamte EU-Gebiet.47 46
s. bereits Rn. 873.
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Anders wäre dies nur nach dem EuGVVO-E 2010: Er sieht keine EuroUbiquität der Vollstreckbarkeit vor. Vielmehr ermöglichte sein Art. 46, dass in jedem Land erneut um die Durchsetzbarkeit des Titels gestritten wird. Für die existierenden Gemeinschaftsweiten Titel gilt demgegenüber, dass 1177 deren Bestand und Vollstreckbarkeit in erster Linie durch die Gerichte des Ursprungslandes überprüft werden. Dies lässt sich an den verordnungseigenen Möglichkeiten48 zur Beschränkung oder Aussetzung der Vollziehung im Zweitland im Falle gleichzeitiger Anfechtung des Titels im Ursprungsland erkennen. Die Koppelung derartiger Rechtsbehelfe im Erstland mit Möglichkeiten zur Aussetzung bzw. Beschränkung der Vollziehung im Zweitland schützt den Schuldner vor der Gefahr, zwischen zwei Staatsgewalten „zerrieben“ zu werden: Einerseits ist er der Vollstreckungsmacht des Zweitstaates ausgesetzt, muss aber andererseits die Vollstreckungsgrundlage im Erststaat angreifen. Die in den Verordnungen vorgesehenen parallelen Inlandsrechtsbehelfe für den Fall, dass der Schuldner im Ausland vor Gericht zieht, bräuchte es nicht, wenn der Schuldner die im Zweitland vorgesehenen nationalen vollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfe vollumfänglich in Anspruch nehmen könnte. Dass die Verordnungen trotzdem spezielle Möglichkeiten zur gleichzeitigen Verfahrensaussetzung bzw. -beschränkung im Inland einführen, ist als Hinweis zumindest auf eine Stärkung der Rechtsbehelfe im Ursprungsland zu werten, wenn nicht sogar auf eine Einschränkung zweitstaatlicher Überprüfungsbefugnisse hinsichtlich Gemeinschaftsweiter Titel. Ohne die gleichzeitige Anstrengung einer Überprüfung im Erststaat ist 1178 eine Abwehr der Zwangsvollstreckung im Zweitstaat grundsätzlich nur möglich, wenn der Titel dort mit einem vor Ort ergangenen oder anerkennungsfähigen Titel unvereinbar ist.49 Auch hierbei ist das Konzentrationsprinzip allerdings insoweit gewahrt, als der Einwand der Titel-Kollision nur dann beachtlich ist, wenn die Unvereinbarkeit im Verfahren der Entstehung des Titels im Ursprungsstaat nicht geltend gemacht worden ist und auch nicht geltend gemacht werden konnte.50 Diese Einschränkung ist der Sache 47
Art. 6 II EuVTVO ermöglicht insofern eine Negativ-Bestätigung. Vgl. zu diesen bereits Fn. 44 u. 45 (S. 549). 49 Dann kann die Vollstreckung verweigert (Art. 22 I EuMVVO, Art. 21 II S. 2 EuUnthVO; Art. 21 I EuVTVO) oder abgelehnt (Art. 22 I EuGFVO) werden, bzw. darf nicht erfolgen (Art. 47 II S. 2 EuEheVO). Ebenso nach Art. 46 EuGVVO-E 2010. Eine Vollstreckungsverweigerung ohne gleichzeitige Überprüfung im Ursprungsstaat kann auch durch den Einwand zwischenzeitlicher Erfüllung erreicht werden, vgl. Art. 22 II EuMVVO. Diese Möglichkeit stellt aber nicht die Geltung der Konzentrationsmaxime in Frage, weil Nichtvollstreckung bei Erfüllung nicht bedeutet, dass der Gläubiger nichts erhalten soll, sondern vielmehr nur sicherstellt, dass er nicht doppelt befriedigt wird. 48
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nach eine Präklusionsregelung. Sie zwingt den Schuldner dazu, sich im Ursprungsmitgliedstaat auf den Erlass einer unvereinbaren Entscheidung oder sogar auf die Rechtshängigkeit, die zum Erlass einer unvereinbaren Entscheidung führen könnte, zu berufen.51 Etwas anders gilt bei Art. 21 II S. 2 EuUnthVO, wonach eine Verweigerung der Vollstreckung im Zweitland anscheinend auch dann wegen Unvereinbarkeit möglich ist, wenn die Entscheidungskollision im Erkenntnisverfahren hätte vorgebracht werden können. Insofern handelt es sich möglicherweise um eine Einschränkung des allgemeinen Merkmals, die alleine allerdings nicht geeignet ist, seine Geltung insgesamt in Frage zu stellen.52 3. Grenzen des Konzentrationsprinzips 1179
Trotz des Konzentrationsprinzips gilt jedenfalls weiterhin, dass nationale Rechtsbehelfe zur Geltendmachung von Mängeln bei der Durchführung des Vollstreckungsverfahrens im Vollstreckungsstaat erhoben werden können und sich nach dem dortigen Recht beurteilen.53 Dass das Rechtsbehelfssystem dieses Staates insoweit berufen ist, folgt letztlich aus der Maßgeblichkeit der lex fori executionis für die Vollstreckung – ein Strukturprinzip, das auch im Bereich der Gemeinschaftsweiten Titel fortgilt54. Da in Bezug auf die Vollstreckung eine Gleichstellung erfolgt, ist es nur sachgerecht, auch hinsichtlich der prozessualen Seite hiernach zu verfahren.
1180
Es ist auch aus Gründen der völkerrechtlichen Souveränität nicht bedenklich, wenn die Vollstreckungsparteien im Zweitstaat gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen können, um zu rügen, dass die inländischen Vollstreckungsbehörden gegen die örtlichen Vollstreckungsregelungen verstoßen haben. Dies lässt schließlich den im Ausland zustande gekommenen Titel unberührt und betrifft lediglich konkrete Vollstreckungsmaßnahmen. 50
Art. 21 I lit.c EuVTVO, Art. 22 I lit.c EuMVVO u. Art. 22 I lit.c EuGFVO. Tsikrikas, ZZP Int. 11 (2006), S. 51 (55). 52 Auch im EuGVVO-E 2010 fehlt eine sachliche Beschränkung des Einwandes der Titelkollision gem. Art. 43. Nach dem Wortlaut der Vorschrift kann wegen Titelkollision auch dann die Verweigerung der Vollstreckung im Zweitland erreicht werden, wenn die Kollision im Ursprungsverfahren hätte geltend gemacht werden können. Dies steht damit im Einklang, dass nach dem EuGVVO-E 2010 der Rechtsschutz offenbar nicht auf das Ursprungsland konzentriert sein soll. 53 Preuß, ZZP 122 (2009), S. 3 (29) für die EuMVVO; Gerling, Gleichstellung, 2006, S. 143 ff. für die EuVTVO; Bittmann, Klauselerteilungsverfahren, 2008, S. 194 f. für die EuVTVO; BT-Drucks. 15/5222, S. 15 (zu § 1086 ZPO); Heringer, Europäischer Vollstreckungstitel, 2007, S. 144; Jayme/Kohler, IPRax 2005, S. 481 (486). 54 s. Rn. 1169. 51
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553
4. Zusammenfassung Die Gerichte des Zweitstaates haben über Gemeinschaftsweite Titel nur 1181 eine eingeschränkte Kognitionsbefugnis. Dies gilt aber nur hinsichtlich des Bestandes des Titels bzw. seiner Vollstreckbarkeit, nicht auch bezüglich der Vollstreckung als solcher. Ob es dem Schuldner verwehrt ist, im zweitstaatlichen Vollstreckungsverfahren materielle Einwendungen vorzubringen, ist damit noch nicht entschieden, hängt vielmehr von der genauen Reichweite der Konzentration des Rechtsschutzes ab, was später zu vertiefen sein wird.55 An dieser Stelle kommt es vorerst nur auf die Erkenntnis an, dass die Zurückdrängung zweitstaatlichen Rechtsschutzes als allgemeines drittes Strukturmerkmal der gemeinschaftsweiten Titelgeltung ausgemacht werden kann, welches es in der EuGVVO in dieser Form nicht gibt. Auch nach dem EuGVVO-E 2010 würde dieses Merkmal im Übrigen nicht gelten. IV. Zusammenfassung und anwendbare Wirkungsprämissen Die vorangegangenen Untersuchungen haben gezeigt, dass der Inhalt der 1182 unmittelbar auf das Zweitland erweiterten Vollstreckbarkeit nur teilweise nach anderen Prinzipien zu bestimmen ist, als der Inhalt der durch Exequatur für das Zweitland verliehenen Vollstreckbarkeit: Zunächst gilt auch vorliegend die Wirkungserstreckungslehre. Ihre Gel- 1183 tung folgt aus dem Strukturmerkmal 1 der gemeinschaftsweiten Titelgeltung, nach dem die Vollstreckbarkeit automatisch und unmittelbar aus dem Ursprungsland auf das Ausland erweitert wird.56 Es fehlt ein zweitstaatlicher Akt, durch den dem Titel vor Ort bestimmte Wirkungen entsprechend lokalem Recht beigegeben werden könnten. Anders als unter der EuGVVO führt die Wirkungserstreckungslehre aller- 1184 dings nicht immer in das Recht des Ursprungslandes. Dies ist grundsätzlich nur bei den gemeinschaftsweit europäisierten nationalen Befugnissen der Fall.57 Soweit sich die Durchsetzbarkeit unmittelbar aus europäischen Verordnungen ergibt, handelt es sich um europäische gemeinschaftsweite Befugnisse. Deren Inhalt ist im Grundsatz nicht nach dem Recht des Ursprungslandes zu beurteilen, sondern nach den europäischen Verordnungen selbst, so dass die Wirkungserstreckungslehre insoweit nicht ins autonome Recht verweist, sondern auf europäische Verordnungen. Soweit diese allerdings keine Regelungen enthalten, ist subsidiär ein Rückgriff auf das Recht des Ursprungslandes angemessen.58 55 56 57
s. hierzu Teil IV § 12 C. (Rn. 1228 ff.). s. Rn. 1165. s. Rn. 1167.
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Wie in der EuGVVO gilt für das Vollstreckungsverfahren im Zweitland eine Gleichstellung. Das folgt aus dem Strukturmerkmal 2, nach dem das Beitreibungsverfahren den vor Ort geltenden Verfahrensregeln unterliegt. Demgemäß beurteilen sich diejenigen Aspekte der Vollstreckbarkeit, die den Verfahrenablauf betreffen, im Grundsatz nach der Gleichstellungslehre. Anders als unter der EuGVVO enthalten aber die Verordnungen zur unmittelbaren Titelgeltung teilweise eigene Regelungen des Vollstreckungsverfahrens, die vorrangig anwendbar sind, was zu einer Einschränkung der Gleichstellung führt.59 Diese wird in ihrer Reichweite auch durch Strukturmerkmal 3 reduziert: Da der Rechtsschutz in Bezug auf den Bestand eines Gemeinschaftsweiten Titels bzw. seiner Vollstreckbarkeit im Zweitland limitiert ist60, werden derartige Titel insoweit anders behandelt als inländische.
1186
Damit ergibt sich bei unmittelbarer Vollstreckbarkeit ausländischer Titel ein ähnliches Bild wie bei der Vollstreckbarerklärung auswärtiger Entscheidungen. Zur Rekapitulation: Im Anwendungsbereich der EuGVVO gilt die Faustformel, dass sich das „Ob“ der Beitreibung nach dem Recht des Ursprungslandes richtet, während das „Wie“ von der Rechtsordnung des Vollstreckungslandes vorgegeben wird.61 Diese Grundregel erfährt für die Gemeinschaftsweiten Titel nur dadurch Einschränkungen, dass die neuen EUVerordnungen eigene vorrangige Regelungen betreffend die Vollstreckung und die Vollstreckbarkeit Gemeinschaftsweiter Titel enthalten. Insgesamt gilt daher für die vorliegend behandelten Titel: „Ob“ und „Wie“ der Beitreibung richten sich in erster Linie nach den europäischen Verordnungen. Soweit diese keine Regelungen enthalten, beurteilt sich das „Wie“ im Grundsatz nach dem Recht des Zweitlandes, das „Ob“ hingegen nach dem des Ursprungslandes. Für die in den Verordnungen nicht geregelten Aspekte bleibt es also bei der Geltung der allgemeinen aus der EuGVVO bekannten Faustformel. Insoweit schließt sich die Frage an, ob für deren Konkretisierung die in § 8 entwickelten Prämissen fortgelten. Dies ist nachfolgend zu untersuchen. 1. Geltung von Prämisse 1 (Keine Erweiterung des Leistungsbefehls)
1187
Jedenfalls Prämisse 1, wonach der ausländische Leistungsbefehl nicht erweitert werden darf, gilt auch vorliegend. Dies ergibt sich schon daraus, dass die gemeinschaftsweite Vollstreckbarkeit unmittelbar aus dem Ur58 59 60 61
s. Rn. 1168. s. Rn. 1170 f. s. Rn. 1181. Vgl. zu den Wirkungen der Vollstreckbarerklärung bereits Rn. 660–664.
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sprungsland EU-weit erweitert wird (Strukturmerkmal 1). Da ein zweitstaatlicher Akt zur Verleihung der Vollstreckbarkeit fehlt, ist das – im Rahmen der EuGVVO anzutreffende – Argument für die Geltung einer Gleichstellung entfallen.62 Auch zur Vollstreckbarerklärung unter der EuGVVO hatte sich schon gezeigt, dass das Exequatur den Titelinhalt nicht erweitern darf. Es bewirkt eine Gleichstellung lediglich in Bezug auf die Vollstreckung. Gleiches gilt auch für Gemeinschaftsweite Titel, so dass Prämisse 1 auch auf diese anwendbar ist. Schließlich handelt es sich bei der im gesamten Gemeinschaftsgebiet greifenden Vollstreckbarkeit um Befugnisse, die auch im Ursprungsland vorliegen.63 2. Geltung von Prämisse 2 (Intensivierungen allein aufgrund Abweichungen der Vollstreckungsregelungen akzeptabel) Auch Prämisse 2, nach der die verfahrensrechtliche Gleichstellung nur 1188 dazu führen darf, dass der Gläubiger Zugriffsbefugnisse erhält, die er auch im Ursprungsland in funktional entsprechender Weise hätte, ist für die unmittelbare Titelgeltung tragfähig. Sie leitet sich letztlich aus Prämisse 1 ab und gilt schon deswegen auch vorliegend. Art. 66 EuGVVO-E 2010 sieht sogar eine ausdrückliche Festschreibung von Prämisse 2 vor. 3. Geltung von Prämisse 3 (Keine Ungleichbehandlung aus- und inländischer Titel) Dass aus- und inländische Titel in der Vollstreckungsphase gleich zu be- 1189 handeln sind, legen die Verordnungen zur Einführung der gemeinschaftsweiten Vollstreckbarkeit als allgemeines Postulat ausdrücklich fest.64 An der grundsätzlichen Geltung von Prämisse 3 bestehen damit keine Zweifel. Es gilt damit jedenfalls der Grundsatz, dass die aus dem Ausland stammenden Titel nicht gegenüber solchen diskriminiert werden dürfen, die originär im Zweitland zustande gekommen sind. Fraglich ist aber, ob möglicherweise durch die Schaffung einer unmittel- 1190 baren Vollstreckbarkeit insoweit ein Herkunftslandprinzip eingeführt wurde, 62 Rauscher, Europäischer Vollstreckungstitel, 2004, Rn. 67, 172; Geimer, in: FS Georgiades, 2006, S. 489 (494); wohl auch Gerling, Gleichstellung, 2006, S. 126. 63 Auch im EuGVVO-E 2010 scheint dies zu gelten, vgl. Art. 66 EuGVVO-E 2010. 64 Art. 20 I S. 2 EuVTVO, Art. 21 I S. 2 EuMVVO, Art. 21 I S. 2 EuGFVO, Art. 47 II S. 1 EuEheVO u. Art. 41 I S. 2 EuUnthVO. Ebenso in Art. 41 I S. 2 EuGVVO-E 2010.
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dass die Titel im Zweitland dieselben Zugriffsmöglichkeiten gestatten müssen wie im Ursprungsland. Im Rahmen der EuGVVO hatte sich bereits gezeigt, dass es ein allgemeines Herkunftslandprinzip im europäischen Recht nicht gibt.65 Dort wurde auch untersucht, ob aus den Grundfreiheiten ein Beschränkungsverbot dergestalt folgt, dass durch nationale Bestimmungen des Vollstreckungslandes dem Gläubiger Zugriffsbefugnisse nicht abhanden kommen dürfen, die er im Ursprungsland gehabt hatte. Dies – so hatte sich ergeben – ist primärrechtlich aber nicht geboten.66 Diese aus dem Primärrecht gewonnen Erkenntnisse sind auch zur Auslegung der sekundärrechtlichen Regelungen für Gemeinschaftsweite Titel heranzuziehen, solange erstere nicht ausdrücklich abweichende Vorgaben enthalten. 1191
Ein allgemeines Gebot der Besserstellung ausländischer gemeinschaftsweit vollstreckbarer Titel im Zweitland gegenüber örtlichen Titeln ist jedenfalls nicht normiert. Insofern ist die bereits erwähnte ausdrückliche Gleichbehandlungsvorgabe eindeutig67, der sich auch entnehmen lässt, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber gerade keine Privilegierung angeordnet hat. Somit hat Prämisse 3 vorliegend gleichermaßen Gültigkeit und verbietet nicht nur eine Schlechterstellung Gemeinschaftsweiter Titel gegenüber originär inländischen, sondern auch deren Privilegierung.
1192
Gleichwohl erfährt das Gebot der Gleichbehandlung vorliegend gewisse Einschränkungen. Es stößt zum einen dann an Grenzen, wenn die Verordnungen selbst eigene Regelungen für die Vollstreckung der von ihnen eingeführten Titel vorsehen. Diese gehen den nationalen Regelungen vor. Zum anderen ist die Gleichbehandlung dadurch begrenzt, dass die Titel nicht mehr in das zweitstaatliche Vollstreckungsverfahren implementiert werden. Das Vollstreckungsrecht muss daher ggf. modifiziert angewendet werden. Dies wirkt sich insbesondere auf die Modalitäten der Zwangsanwendung aus.68 Und schließlich muss das Gleichbehandlungsprinzip mit dem Konzentrationsprinzip in Einklang gebracht werden. Hierauf kommt es insbesondere für die Frage an, ob materielle Einwendungen gegenüber Gemeinschaftsweiten Titeln im Zweitland geltend gemacht werden können.69
65
s. Rn. 689–694. s. Rn. 685–688. 67 Art. 20 I S. 2 EuVTVO, Art. 21 I S. 2 EuMVVO, Art. 21 I S. 2 EuGFVO, Art. 47 II S. 1 EuEheVO u. Art. 41 I S. 2 EuUnthVO. Ebenso Art. 41 I S. 2 EuGVVO-E 2010. 68 Vgl. Teil IV § 12 D. (Rn. 1278 ff.). 69 Vgl. Teil IV § 12 C. (Rn. 1228 ff.). 66
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4. Ergebnis Alle drei Prämissen der Wirkungen der Vollstreckbarerklärung gelten 1193 grundsätzlich also auch für die Bestimmung des Inhaltes der Vollstreckbarkeit Gemeinschaftsweiter Titel; Prämisse 3 unterliegt gewissen Einschränkungen. Dies gilt sowohl für europäische gemeinschaftsweite Befugnisse als auch für gemeinschaftsweit europäisierte nationale Befugnisse. Bevor aber die Prämissen berücksichtigt werden können, ist stets danach zu fragen, ob vorrangig verordnungseigene Regelungen greifen.
B. Die Vollstreckung Gemeinschaftsweiter Titel im Zweitland vor deren Rechtskrafteintritt im Ursprungsland Da – wie noch zu zeigen sein wird – Gemeinschaftsweite Titel bereits 1194 dann im Zweitland vollstreckt werden können, wenn sie im Ursprungsland noch nicht bestandskräftig geworden sind, stellt sich wie in § 9 die Frage, welche Befugnisse sie im Zweitland vor Rechtskrafteintritt gewähren und welche Schutzmechanismen zu Gunsten des Schuldners in dieser Phase anwendbar sind. Diese Fragen sind jeweils getrennt für die einzelnen Gemeinschaftsweiten Titel zu beantworten. Der Reihe nach werden behandelt: Entscheidungen i. S. v. Art. 40–45 EuEheVO [I.], der Europäische Vollstreckungstitel [II.], die Unterhaltstitel im Anwendungsbereich von Art. 17–22 EuUnthVO [III.], die Europäischen Bagatellurteile [IV.] und die Europäischen Zahlungsbefehle [V.]. Vorab wollen wir uns jedoch die Ergebnisse aus § 9 wieder in Erinnerung 1195 rufen: Nach Prämisse 1 sind weder die Reichweite der einstweiligen Vollstreckungsbefugnisse noch das Erfordernis einer Gläubigersicherheit Teil des Leistungsbefehls, diesbezügliche Vorgaben des Ursprungsrechts daher im Zweitland unbeachtlich.70 Auch Prämisse 2 verlangt keine grenzüberschreitende Koordinierung.71 Und Prämisse 3 spricht dafür, dass sich die Reichweite der Vollstreckungsbefugnisse vor Rechtskraft und die einstweilen bestehenden Schuldnerschutzinstrumente nach dem Recht des Vollstreckungsstaates richten.72 Außerdem sind die im internen Recht des Vollstreckungslandes vorgesehenen Möglichkeiten für eine nachträgliche Aussetzung oder Beschränkung der Vollstreckung grundsätzlich auch auf 70 s. Rn. 774–778 (Reichweite Vollstreckungsbefugnisse), 789–792 (Erfordernis Gläubigersicherheit). 71 s. Rn. 779–781 (Reichweite Vollstreckungsbefugnisse), 793–796 (Erfordernis Gläubigersicherheit). 72 s. Rn. 782, 797.
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ausländische Titel anwendbar.73 Vorbehaltlich der vorrangig maßgeblichen Regelungen in der EuGVVO richtet sich die Frage, wie in der Vollstreckungsphase dem Umstand fehlender Rechtskraft im Ursprungsland Rechnung zu tragen ist, im Ergebnis nach dem Recht des Zweitlandes. Inwieweit dies auch für Gemeinschaftsweite Titel Gültigkeit hat, ist nachfolgend zu untersuchen. I. Die Vollstreckung von Entscheidungen i. S. v. Art. 40–45 EuEheVO vor Rechtskrafteintritt im Ursprungsland 1196
Entscheidungen i. S. v. Art. 40–45 EuEheVO können bereits vor Eintritt ihrer Rechtskraft grenzüberschreitend vollstreckbar sein, da die Ausstellung einer Bescheinigung gem. Art. 41 I S. 1, 42 I S. 1 EuEheVO lediglich Vollstreckbarkeit im Ursprungsland erfordert. Außerdem erlauben die Art. 41 I S. 2, 42 I S. 2 EuEheVO sogar dann die Erteilung vorläufiger Vollstreckbarkeit, wenn dies im Recht des Ursprungslandes eigentlich nicht möglich wäre. Dennoch finden sich in der EuEheVO keinerlei Regelungen zum zweitstaatlichen Vollstreckungsverfahren, die dem Umstand Rechnung tragen, dass im Ursprungsland noch keine Rechtskraft eingetreten ist. Daher ist zu untersuchen, welche Vollstreckungsbefugnisse der Titel einstweilen im Zweitland gewährt und ob eine Gläubigersicherheit zu stellen ist [1.]. Außerdem ist fraglich, in welchem Land und nach welchem Recht die Vollstreckung aus Rücksicht auf die fehlende Rechtskraft des Titels im Ursprungsland ausgesetzt oder beschränkt werden kann [2.]. 1. Umfang einstweilen bestehender Vollstreckungsbefugnisse und Erfordernis einer Gläubigersicherheit
1197
Zu untersuchen ist in erster Linie, wie weit die Vollstreckungsbefugnisse im Zweitland einstweilen reichen und ob der Gläubiger nur gegen Leistung einer Sicherheit die Vollstreckung betreiben kann. Zu diesen Fragen lässt sich aus Art. 44 EuEheVO nichts gewinnen. Nach dieser Bestimmung ist die Bescheinigung „nur im Rahmen der Vollstreckbarkeit des Urteils“ wirksam. Dies stellt zwar klar, dass der Titel im Zweitstaat weder eine weitergehende Vollstreckungswirkung noch eine höhere Bestandskraft haben soll als im Erlassstaat.74 Die Vorschrift betrifft also den Leistungsbefehl, zu dem allerdings – wie bereits zuvor geklärt – nicht die Vorgaben für die Durchsetzung vorläufig vollstreckbarer Entscheidungen gehören.75 Daher 73
s. Rn. 800–810. Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. IV/Rauscher, 2010, Art. 44 EheGVO Rn. 1; Geimer, in: Geimer/Schütze (Hrsg.), EuZVR, 3. Aufl. 2010, Art. 44 EheGVO Rn. 1. 74
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kann Art. 44 EuEheVO für die vorliegende Problematik nicht als Verweis auf das Recht des Ursprungslandes verstanden werden. Ob damit auf die in § 9 entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden 1198 kann, ist allerdings in Fällen zweifelhaft, für die die EuEheVO in ihren Art. 41 I S. 2 und 42 I S. 2 eine eigenständige Möglichkeit geschaffen hat, Entscheidungen vor Rechtskraft für vollstreckbar zu erklären. Da die EuEheVO hiermit eine eigene europäische gemeinschaftsweite Befugnis statuiert, muss deren Inhalt im Grundsatz von der Verordnung selbst vorgegeben werden.76 Man muss sich daher fragen, ob sich der Verordnung Anhaltspunkte dafür entnehmen lassen, welchen Inhalt die vorläufige Vollsteckbarkeit haben soll. Aufschlussreich ist insofern, dass die Formulare für Bescheinigungen i. S. v. Art. 41 II (Anhang III) und Art. 42 II EuEheVO (Anhang IV) keine Angaben darüber enthalten, ob der Titel im Ursprungsland bereits rechtskräftig ist oder nicht. Die Anhänge sind Teil der Verordnungen, können daher gleichermaßen für ihre Auslegung herangezogen werden. Dass sie keine Informationen über die Rechtskraft des Titels enthalten, wird man daher in der Weise verstehen können, dass der Titel nach dem Willen des europäischen Gesetzgebers im Zweitland – trotz fehlender Rechtskraft – so vollstreckt werden soll, als ob er rechtskräftig wäre. Dies würde zwar nicht mit den Prämissen 1 bis 3 übereinstimmen. Dies 1199 muss es aber auch nicht, da die verordnungseigenen Regelungen selbstverständlich unabhängig von diesen sind. Die aus einer Betrachtung der Formulare in Anh. III und Anh. IV gewonnene Lösung entspräche zumindest dem besonderen Inhalt von Entscheidungen aus dem Anwendungsbereich der Art. 40–45 EuEheVO: Es sind Rückführungen entführter Kinder erfasst, ebenso Entscheidungen über vorübergehende Umgangsregelungen.77 Bei diesen beiden Titeltypen kann nur eine schnelle Durchsetzung verhindern, dass zwischen Kind und Elternteil Entfremdung eintritt. Offenbar war dies auch die Überlegung, mit der der Gemeinschaftsgesetzgeber nur für diese besonderen Titel eine unmittelbare grenzüberschreitende Vollstreckbarkeit eingeführt hat. Außerdem handelt es sich um Nichtgeldleistungsansprüche, bei denen eine nur teilweise Durchsetzung aus Rücksicht auf die fehlende Bestandskraft ihrer Titulierung kaum möglich ist. Teilweise Vollstreckung bedeutet schließlich in der Regel ein auf halbem Wege angehaltenes Beitreibungsverfahren. Was im Bereich der Geldleistungstitel ohne weiteres möglich ist, ist bei den in Rede stehenden Anspruchstypen kaum denkbar. Somit haben die 75 76 77
s. Rn. 774–778 bzw. 789–792. s. Rn. 1168. s. Rn. 37.
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Vollstreckungsorgane des Zweitstaates also die Entscheidungen uneingeschränkt durchzusetzen. 1200
Was für die nach Art. 41 I S. 2, 42 I S. 2 EuEheVO bestehende europäische gemeinschaftsweite Befugnis hergeleitet wurde, muss nicht für die vorläufige Vollstreckbarkeit gelten, die kraft nationalen Rechts des Ursprungslandes besteht. Denn insofern handelt es sich lediglich um gemeinschaftsweit europäisierte nationale Befugnisse, deren „Ob“ und „Wie“ vorbehaltlich verordnungseigener Regelungen im Grundsatz nach den Prämissen 1 bis 3 zu beurteilen ist.78 Allerdings sind auch insoweit die Formulare für die Bescheinigungen nach Art. 41 II und 42 II EuEheVO aufschlussreich: Diese sehen nicht vor, dass den zweitstaatlichen Vollstreckungsstellen die im Ursprungsland bestehende Titelreife zur Kenntnis gebracht wird. Die Verordnung verlangt also eine volle Durchsetzung unabhängig von der Bestandskraft im Ursprungsland. Eine verordnungseigene Regelung liegt also vor, so dass für den Rückgriff auf die Prämissen kein Raum ist. 2. Möglichkeiten, aus Gründen fehlender Rechtskraft im Ursprungsland die Vollstreckbarkeit auszusetzen oder zu beschränken
1201
Fraglich ist außerdem, in welchem Land und nach welchem Recht der Titelschuldner eine Aussetzung oder Beschränkung der Vollstreckbarkeit erreichen kann, wenn ein Titel i. S. v. Art. 40–45 EuEheVO noch nicht rechtskräftig ist und im Ursprungsland gegen ihn ein Rechtsbehelf eingelegt wurde. Nachdem die EuEheVO diesbezüglich keinerlei Regeln bereithält, käme in Betracht, dass der Schuldner beispielsweise im Zweitland einen stay of execution erwirkt oder eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach §§ 707, 719 ZPO oder nach Art. 524 CPC, weil im Ursprungsland ein Rechtsbehelf gegen den Titel anhängig ist. Auch insoweit ist vorrangig das aus den Formblättern und den besonderen Inhalten der Titel i. S. v. Art. 40–45 EuEheVO gewonnene Ergebnis, dass im Zweitland die Vollstreckung nicht entsprechend der Titelreife erfolgen soll, heranzuziehen. Aussetzungs- und Beschränkungsmöglichkeiten aus Rücksicht auf fehlende Rechtskraft im Ursprungsland sind damit im Zweitland nicht anwendbar, weil die Bescheinigungen keine Vollstreckung entsprechend der Titelreife im Ursprungsland gestatten. Dies gilt sowohl für den Regelfall der gemeinschaftsweit europäisierten nationalen Befugnisse als auch für den Sonderfall der europäischen gemeinschaftsweiten Befugnisse nach Art. 41 I S. 2, 42 I S. 2 EuEheVO. 78
s. Rn. 1184–1186.
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Anders könnte dies aber für entsprechende Möglichkeiten im Ursprungs- 1202 land aussehen. Hier könnte der Schuldner etwa eine Aussetzung der Vollstreckbarkeit erreichen mit der Wirkung, dass auch im Zweitland keine Beitreibung mehr möglich ist. Dies wäre jedenfalls mit dem Grundkonzept der gemeinschaftsweit europäisierten nationalen Befugnisse vereinbar, weil sich deren Bestand nach nationalem Recht richtet, weswegen das nationale Recht auch entscheiden können müsste, wann die Vollstreckbarkeit wieder suspendiert wird. Auch stünde dies im Einklang mit den Prämissen 1 bis 3, wie sich in § 9 gezeigt hatte. Es lassen sich den Verordnungen jedenfalls keine abweichenden Regelungen entnehmen, so dass diesbezüglich das in § 9 gewonnene Ergebnis herangezogen werden kann und eine Aussetzung der Vollstreckbarkeit im Ursprungsland auch mit Wirkung für das Gebiet des Zweitlandes möglich ist. Demgegenüber können die nach Art. 41 I S. 2, 42 I S. 2 EuEheVO be- 1203 stehenden europäischen gemeinschaftsweiten Befugnisse nur insoweit im Ursprungsland nach nationalem Recht angetastet werden, wie dies mit der EuEheVO vereinbar ist. Die Art. 41 I S. 2, 42 I S. 2 EuEheVO schaffen nur eine zusätzliche Möglichkeit für die Ursprungsgerichte, vorläufige Vollstreckbarkeit zu begründen, sehen aber nicht vor, dass hiervon zwingend Gebrauch gemacht werden müsste. Somit können diese Vorschriften auch nicht in dem Sinne verstanden werden, dass die durch sie mögliche vorläufige Vollstreckbarkeit unantastbar sein müsste. Ihnen kann daher nicht entnommen werden, dass der Schuldner im Ursprungsland nicht nach einzelstaatlichem Recht eine Aussetzung der nach Art. 41 I S. 2, 42 I S. 2 EuEheVO bestehenden Vollstreckbarkeit auch mit Wirkung für das Zweitland erwirken dürfte. II. Die Vollstreckung Europäischer Vollstreckungstitel vor Rechtskraft der Entscheidung im Ursprungsland Noch nicht rechtskräftige Entscheidungen können als Europäischer Voll- 1204 streckungstitel bestätigt werden, wenn sie im Ursprungsland wenigstens (einstweilen) vollstreckbar sind.79 Dies kommt etwa bei noch nicht rechtskräftigen Versäumnisurteilen in Betracht. Fraglich sind daher die Modalitäten einer Vollstreckung vor Rechtskraft im Ursprungsland, wobei hier zunächst die Möglichkeiten einer Aussetzung oder Beschränkung der Vollstreckung in den Blick genommen werden sollen [1.], dann die Reichweite der einstweilen bestehenden Befugnisse und das Erfordernis einer Gläubigersicherheit zu klären sind [2.]. 79 Coester-Waltjen, JURA 2005, S. 394; Leible/Lehmann, NotBZ 2004, S. 453 (457); Rellermeyer, Rpfleger 2005, S. 389 (393 f.).
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1. Möglichkeiten, aus Gründen fehlender Rechtskraft im Ursprungsland die Vollstreckbarkeit auszusetzen oder zu beschränken 1205
Für die Vollstreckung eines noch nicht rechtskräftigen Europäischen Vollstreckungstitels sieht Art. 23 EuVTVO eine eigene Möglichkeit zur Einschränkung oder Aussetzung der Vollstreckung vor: Hat der Schuldner im Erstland gegen die als Vollstreckungstitel bestätigte Entscheidung einen Rechtsbehelf eingelegt, kann er im Zweitland beantragen, dass die Vollstreckung für die Dauer des Rechtsbehelfsverfahrens auf Sicherungsmaßnahmen beschränkt, nur gegen Stellung einer Sicherheit fort- oder „unter außergewöhnlichen Umständen“ sogar ausgesetzt wird. Bei der Entscheidung über diesen Antrag haben die zuständigen Stellen des Zweitlandes ein Ermessen, wobei maßgebliche Gesichtspunkte die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfsverfahrens und das Risiko irreparabeler Schäden sind.80 Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass die Vollstreckung ohne Leistung einer Sicherheit fortgesetzt wird, obwohl im Ursprungsstaat ein Rechtsbehelf anhängig ist. Dies kann eine erhebliche Gefahr für den Schuldner darstellen.81
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Neben dieser verordnungseigenen Regelung sind die internrechtlichen Möglichkeiten des Zweitlandes, wegen fehlender Rechtskraft im Ursprungsland die Vollstreckung auszusetzen oder zu beschränken, versperrt.82 Dies ergibt sich daraus, dass andernfalls die verordnungseigenen Anforderungen an eine Vollstreckungsaussetzung und -beschränkung umgangen werden könnten. Dies gestattete die EuVTVO nicht, weil sich der Zweitstaat seiner europarechtlichen Vollstreckungspflicht aus in der Verordnung nicht vorgesehenen Gründen entzöge. Insoweit erfährt also die nach Prämisse 3 gebotene Gleichstellung mit inländischen Titeln eine Einschränkung.
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Allerdings kann im Einklang mit dem Prinzip der automatischen Vollstreckbarkeitserweiterung (Strukturmerkmal 1) auch im Ursprungsland die Vollstreckbarkeit Europäischer Vollstreckungstitel EU-weit aufgehoben oder beschränkt werden. Denn für diesen Fall sieht Art. 6 II EuVTVO eine entsprechende Negativ-Bestätigung vor.83 Insofern unterscheidet sich die Rechtslage von derjenigen unter der EuGVVO, nach der – wie sich aus den Prämissen 1 bis 3 ergeben hat – nur die vollständige Einstellung der 80 Röthel/Sparmann, WM 2006, S. 2285 (2291); Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. II/ Pabst, 2010, Art. 23 EuVTVO Rn. 6. 81 Leible/Lehmann, NotBZ 2004, S. 453 (458). 82 Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. II/Pabst, 2010, Art. 23 EuVTVO Rn. 6, Art. 6 EuVTVO Rn. 11. 83 Rauscher, Europäischer Vollstreckungstitel, 2004, Rn. 172; Rellermeyer, Rpfleger 2005, S. 389 (396).
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Zwangsvollstreckung transnational wirkt, deren bloße Beschränkung jedoch nicht.84 2. Umfang einstweilen bestehender Vollstreckungsbefugnisse und Erfordernis einer Gläubigersicherheit Die EuVTVO regelt allerdings nicht ausdrücklich, welche Zugriffsbefug- 1208 nisse der Vollstreckungstitel im Zweitland gewährt, solange die ihm zugrunde liegende Entscheidung im Ursprungsland noch nicht rechtskräftig ist und die Vollstreckung auch nicht nach Art. 23 EuVTVO im Zweitland beschränkt oder ausgesetzt wurde. Ungeregelt ist auch, ob der Gläubiger nicht ohnehin schon im Zweitland Sicherheit zu leisten hat. Man kann jedenfalls aus der Existenz von Art. 23 EuVTVO nicht den Umkehrschluss ziehen, dass die Vollstreckungsbefugnisse zwangsläufig unbeschränkt sein müssten, solange kein Antrag nach dieser Vorschrift gestellt wurde. Denn die Möglichkeit nachträglicher Beschränkung schließt nicht aus, dass von vornherein bereits eine solche aufgrund zweitstaatlichen Rechts greift. Jedenfalls ist es mit der Verordnung vereinbar, dass im Zweitland die Stellung einer Sicherheit verlangt wird. Art. 20 II EuVTVO verbietet nur, dass dem ausländischen Vollstreckungsgläubiger wegen seiner Eigenschaft als Ausländer eine Sicherheitsleistung auferlegt wird. Dies steht einem unterschiedslos geltenden Erfordernis einer Sicherheitsleistung nicht entgegen.85 Möglicherweise kann zur Bestimmung der Reichweite der Vollstre- 1209 ckungsbefugnisse Art. 11 EuVTVO herangezogen werden. Nach dieser Vorschrift wirkt die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel „nur im Rahmen der Vollstreckbarkeit der Entscheidung“. Vor dem Hintergrund, dass die Bestätigung eine Europäisierung der nach nationalem Recht bestehenden Vollstreckungsbefugnisse bewirkt, meint Art. 11 EuVTVO mit der „Vollstreckbarkeit der Entscheidung“ die nach nationalem Recht des Ursprungsstaates bestehende Durchsetzbarkeit. Diese soll also durch die Bestätigung nicht erweitert werden.86 Dieses Postulat könnte man auch auf die Vollstreckungsbefugnisse vor Rechtskraft beziehen und den Schluss ziehen, dass die zweitstaatlichen Vollstreckungsorgane nur die Maßnahmen ergreifen dürfen, die auch im Ursprungsland vor Rechtskraft möglich wären.87 Immerhin können die Vollstreckungsbehörden im Zweitstaat der Bestätigung (Anhang I der EuVTVO) entnehmen, ob der Titel bereits rechtskräftig ist oder nicht (Ziff. 7 des Formblattes). 84 85 86 87
Vgl. Rn. 805 (Ergebnis). Marston, LS Gaz 2006, S. 28 (29). Röthel/Sparmann, WM 2006, S. 2285 (2290). So Röthel/Sparmann, WM 2006, S. 2285 (2290).
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Teil IV: Die Wirkungen unmittelbarer Titelgeltung
1210
Das Formblatt enthält allerdings keinerlei Angaben darüber, zu welchen Vollstreckungsbefugnissen der Titel im Ursprungsland berechtigt. Individuelle Zusätze diesbezüglich sind zwar möglich, aber nicht zwingend vorgeschrieben. Soweit die Bestätigung keinerlei Angaben zur Reichweite der einstweilen bestehenden Vollstreckungsbefugnisse enthält, müsste das Vollstreckungsorgan daher ausländisches Vollstreckungsrecht ermitteln und befragen, um eine Vollstreckung entsprechend dem im Ursprungsland vorgesehenen Umfang durchführen zu können. Dadurch büßte aber das Vollstreckungsverfahren an Effizienz ein, was kaum mit dem Ziel der EuVTVO – die grenzüberschreitende Vollstreckung zu vereinfachen – zusammenpasste. Daher ist schon fraglich, ob der Gemeinschaftsgesetzgeber mit Art. 11 EuVTVO tatsächlich eine transnationale Beachtlichkeit der Befugnisreichweite vor Rechtskraft eingeführt hat. Außerdem kann eine Parallele zum wortgleichen Art. 44 EuEheVO gezogen werden, für den sich zuvor gezeigt hatte, dass der Umfang der Vollstreckungsbefugnisse nicht Teil der mit dieser Vorschrift gemeinten „Vollstreckbarkeit“ der Ursprungsentscheidung ist.88
1211
Da also insgesamt die Verordnung nicht regelt, wie Titel im Zweitland zu vollstrecken sind, solange sie im Ursprungsland noch nicht in Rechtskraft erwachsen sind, ist diese Frage nach den Prämissen 1 bis 3 zu lösen, d.h. es gilt das bereits in § 9 gefundene Ergebnis: Die Reichweite der einstweilen bestehenden Vollstreckungsbefugnisse richtet sich nach dem Recht des Zweitlandes, genauso wie das Erfordernis einer Gläubigersicherheit. Die zweitstaatlichen Vollstreckungsstellen müssen nur wissen, ob der Titel überhaupt vollstreckbar ist, was sie am Vorhandensein einer Bestätigung nach der EuVTVO erkennen können. Und sie müssen wissen, ob er im Ursprungsland bereits rechtskräftig ist, was sie der Bestätigung in Ziff. 7 des Formblattes entnehmen. Ausgehend hiervon können sie dann auf ihr inländisches Recht und dessen graduelle Abstufungen der Vollstreckbarkeit zugreifen. Dies kann etwa dazu führen, dass ein nach der EuVTVO bestätigtes deutsches Versäumnisurteil, gegen das der Schuldner form- und fristgerecht Einspruch eingelegt hat, im Ausland ohne jegliche Sicherheitsleistung vollstreckt wird, obwohl das deutsche Gericht gem. §§ 719, 707 ZPO zwischenzeitlich das Erfordernis einer Sicherheitsleistung angeordnet hat.89 Ebenso kann beispielsweise ein österreichisches Versäumnisurteil (§ 396 I öZPO), gegen das fristgerecht Widerspruch eingelegt wurde (§ 397a öZPO) und für das Exekutionshandlungen zur Sicherung der Forderung bewilligt wurden (§ 371 Nr. 1 EO), in Deutschland aufgrund der Bestätigung nach 88 89
s. Rn. 1196. Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. II/Pabst, 2010, Art. 23 EuVTVO Rn. 7 (Fn. 12).
§ 12 Die Wirkungen unmittelbarer Vollstreckbarkeit
565
der EuVTVO entsprechend den Regeln der vorläufigen Vollstreckung durchgesetzt werden.90 Es kann insbesondere eine vollumfängliche Beitreibung bis hin zur Verwertung erfolgen, wobei gleichzeitig die korrespondierenden Schutzmechanismen deutschen Rechts (Vollstreckungsgläubigerhaftung) greifen. Für die Vollstreckung in Deutschland ergibt sich allerdings das Problem, 1212 dass das Erfordernis einer Sicherheitsleistung üblicherweise durch das Erkenntnisgericht angeordnet wird, was beim Europäischen Vollstreckungstitel ausscheidet, da er erst in der Vollstreckungsphase ins Zweitland eintritt. Aber man kann insoweit den §§ 708–709 ZPO entnehmen, dass in Deutschland vorläufige Vollstreckung grundsätzlich nur gegen Sicherheitsleistung möglich ist, so dass dies auch für die Vollstreckung ausländischer bestätigter, aber noch nicht rechtskräftiger Titel gelten sollte.91 Die Vollstreckungsorgane sollten daher – auch wenn das Erfordernis einer Sicherheitsleistung nicht angeordnet wurde – die noch nicht rechtskräftigen Europäischen Vollstreckungstitel nur bei Stellung einer Sicherheit vollstrecken. Insofern wäre allerdings eine klarstellende Regelung in den §§ 1105–1109 ZPO wünschenswert. III. Unterhaltstitel i. S. v. Art. 17–22 EuUnthVO Gem. Art. 17 II EuUnthVO erfordert der Eintritt gemeinschaftsweiter 1213 Vollstreckbarkeit lediglich, dass der Titel im Ursprungsland „vollstreckbar“ ist, verlangt das Vorliegen von Rechtskraft also nicht.92 Damit stellt sich die Frage nach den Modalitäten der Vollstreckung gemeinschaftsweit gültiger Unterhaltstitel vor deren Rechtskraft im Ursprungsland. Diese Frage gewinnt zusätzlich praktische Bedeutung durch die Regelung von Art. 39 EuUnthVO, nach der das Ursprungsgericht seine Entscheidung sogar dann vor Rechtskrafteintritt für vorläufig vollstreckbar erklären kann, wenn das innerstaatliche Recht dies nicht vorsieht. Zu untersuchen sind zunächst die Möglichkeiten, eine Vollstreckung wieder einzustellen oder auszusetzen [1.], sodann die Reichweite der vorläufigen Vollstreckungsbefugnisse und deren Bedingtheit durch eine vom Gläubiger zu stellende Sicherheit [2.].
90
A. A. Röthel/Sparmann, WM 2006, S. 2285 (2290). Die Regelungen von § 708 Nr. 1 bzw. Nr. 2 und § 794 I Nr. 1 bzw. Nr. 4 ZPO können auch nicht ohne weiteres auf Titel ausländischer Herkunft angewendet werden. 92 Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. IV/Andrae/Schimrick, 2010, Art. 16 EuUnthVO Rn. 4. 91
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Teil IV: Die Wirkungen unmittelbarer Titelgeltung
1. Möglichkeiten, aus Gründen fehlender Rechtskraft im Ursprungsland die Vollstreckbarkeit auszusetzen oder zu beschränken 1214
Gem. Art. 21 III S. 1 EuUnthVO kann die Vollstreckung im Zweitland insgesamt oder teilweise ausgesetzt werden, wenn der Schuldner im Ursprungsland einen Rechtsbehelf i. S. v. Art. 19 EuUnthVO eingelegt hat, um eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend zu machen. Der Sache nach handelt es sich hierbei um einen außerordentlichen Rechtsbehelf, der auch nach Rechtskraft der Entscheidung im Ursprungsland greift (Art. 19 II EuUnthVO). Für den vorliegend untersuchten Fall, dass die Entscheidung im Ursprungsland noch nicht in Rechtskraft erwachsen ist, ist Art. 21 III S. 2 EuUnthVO aufschlussreicher: Demnach kann im Vollstreckungsstaat die Beitreibung auch dann eingestellt werden, wenn sie im Ursprungsland ausgesetzt wurde. In letzterem kann von allen nach örtlichem Recht vorgesehenen Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht werden, solange sie nicht mit Art. 19 EuUnthVO unvereinbar sind.93 Demnach hat der Schuldner jedenfalls die bereits unter der EuGVVO bestehende Möglichkeit, im Ursprungsland im Zuge der Einlegung eines Rechtsmittels eine Aussetzung der Vollstreckbarkeit zu erreichen und gestützt hierauf auch im Zweitland die Vollstreckung aussetzen zu lassen.94 Insoweit steht die Rechtslage im Einklang mit den Prämissen 1 bis 3. Wird im Ursprungsland die Vollstreckbarkeit lediglich beschränkt, kann allerdings gestützt hierauf nicht auch im Zweitland die Vollstreckbarkeit beschränkt werden. Dies ist weder durch Art. 21 III S. 2 EuUnthVO gestattet noch wäre es mit den Prämissen 1 bis 3 zu vereinbaren, wie sich in § 9 gezeigt hatte.95
1215
Auch für die Frage, ob im Zweitland Beschränkungs- oder Aussetzungsmöglichkeiten nach dortigem Recht anwendbar sind, trifft die EuUnthVO in Art. 21 I EuUnthVO eine Regelung: Demnach sind sämtliche zweitstaatlichen Gründe für eine Aussetzung oder Beschränkung der Beitreibung anwendbar, soweit mit Abs. II, III derselben Vorschrift vereinbar. Diese Formulierung spricht für eine eher großzügige Haltung gegenüber der Anwendbarkeit zweitstaatlicher Aussetzungs- und Beschränkungsmöglichkeiten und steht damit im Gegensatz zu ErwG. 30 der EuUnthVO, der in seinem ersten Satz als Ziel formuliert, dass die Gründe, die einer Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat entgegenstehen, möglichst begrenzt sein sollen. Von diesem Anliegen war auch der ursprüngliche Kommissions-Entwurf der EuUnthVO vom 15.12.200596 geprägt: Dessen Art. 33 zählte abschließend die 93 94 95
Vgl. ErwG. 29 EuUnthVO. Vgl. Rn. 801–805. s. Rn. 805 (Ergebnis).
§ 12 Die Wirkungen unmittelbarer Vollstreckbarkeit
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Fälle auf, in denen die Vollstreckung im Zweitland ganz oder teilweise ausgesetzt werden konnte und enthielt keinerlei Verweis auf das zweitstaatliche Vollstreckungsrecht. Hierzu erklärte die Kommission, dass die Möglichkeiten der Vollstreckungsbehörden des Zweitstaates, sich der Vollstreckung zu entziehen, möglichst beschränkt bleiben sollen.97 Dieses Bestreben wurde in der Verordnung letztlich aber nicht umgesetzt: 1216 Art. 21 I EuUnthVO geht genau vom gegenteiligen Regel-Ausnahme-Verhältnis aus als Art. 33 Entw.-EuUnthVO. Daher kann auch dem ersten Satz von ErwG. 30 der EuUnthVO kaum Bedeutung für die Auslegung von Art. 21 I EuUnthVO beigemessen werden. Die Einschränkung in Art. 21 I EuUnthVO, dass zweitstaatliche Aussetzungs- und Beschränkungsmöglichkeiten nicht mit den Regelungen in Art. 21 II, III EuUnthVO unvereinbar sein dürfen, ist daher eng. Sie ist in dem Sinne zu verstehen, dass nur in den Fallgestaltungen, die die Verordnung selbst regelt, ein Rückgriff auf das einzelstaatliche Recht versperrt ist, ansonsten aber nicht.98 Die im Recht des Zweitstaates vorgesehenen Vollstreckungshindernisse dürfen ferner nicht zu einer inhaltlichen Überprüfung der Entscheidung verwendet werden.99 Soweit der Bestand des Titels im Ursprungsland durch Rechtsbehelf nach Art. 19 EuUnthVO angegriffen wird, ist demnach Art. 21 III S. 1 EuUnthVO abschließend. Für andere Konstellationen sind hingegen die zweitstaatlichen Beschränkungs- und Aussetzungsmöglichkeiten weiter anwendbar. Dies gilt unabhängig davon, ob sich die vorläufige Vollstreckbarkeit aus dem Recht des Ursprungslandes ergibt, oder nach Art. 39 EuUnthVO aus der Verordnung selbst. Denn die Regelungen von Art. 21 EuUnthVO machen diesbezüglich keine Unterscheidungen. Allerdings spricht Art. 21 I EuUnthVO nur von einer „Verweigerung“ 1217 oder „Aussetzung“ der Vollstreckung nach zweitstaatlichem Recht, nicht auch von einer Beschränkung. Dass dennoch auch zweitstaatliche Beschränkungsmöglichkeiten anwendbar sein müssen, ergibt sich einerseits aus einem Erst-Recht-Schluss: Wenn schon der Zweitstaat die Möglichkeit behält, nach internem Recht die Vollstreckung vollständig auszusetzen, muss ihm erst recht eine bloße Beschränkung gestattet sein. Zum anderen fasst Art. 21 EuUnthVO auch Vollstreckungsbeschränkungen unter den Begriff der „Verweigerung“: Dies lässt sich dem Abs. II S. 1 der Vorschrift entneh96 Wiedergegeben in KOM(2005) 649 endg. v. 15.12.2005, verfügbar unter http:// eur-lex.europa.eu/de/editorial/registre.htm. 97 Vgl. KOM(2006) 206 endg. v. 12.05.2006 (S. 8, zu Art. 33 Entw.-EuUnthVO). verfügbar unter http://eur-lex.europa.eu/de/editorial/registre.htm. 98 Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. IV/Andrae/Schimrick, 2010, Art. 21 EuUnthVO Rn. 2. 99 Gruber, IPRax 2010, S. 128 (137).
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Teil IV: Die Wirkungen unmittelbarer Titelgeltung
men, wonach die „Aussetzung“ der Vollstreckung „insgesamt“ oder „teilweise“ erfolgen kann. „Aussetzung“ unterscheidet sich von „Verweigerung“ nur dadurch dass sie erst nach Vollstreckungsbeginn erfolgt. 1218
Damit entspricht die Rechtslage in der EuUnthVO dem aus den Prämissen 1 bis 3 entwickelten Modell für die EuGVVO: Sowohl im Erst- als auch im Zweitstaat stehen dem Schuldner grundsätzlich Aussetzungs- und Beschränkungsmöglichkeiten offen. Beschränkungen der Vollstreckbarkeit im Erstland wirken aber nicht auch für das Zweitland. 2. Umfang der einstweilen bestehenden Vollstreckungsbefugnisse und Erfordernis einer Gläubigersicherheit
1219
Solange die Vollstreckung im Zweitland weder ausgesetzt noch beschränkt wurde, ist fraglich, welche Reichweite die Vollstreckungsbefugnisse im Zweitland haben, solange der Titel im Ursprungsland noch nicht in Rechtskraft erwachsen ist. Bemerkenswerterweise sieht das in Anhang I der EuUnthVO enthaltene Formblatt für den Auszug zur Vorlage beim zweitstaatlichen Vollstreckungsorgan keine Angaben dazu vor, ob der Titel rechtskräftig ist oder nicht. Das handelnde Beitreibeorgan kann aus dem Umstand des Vorliegens eines Entscheidungsauszuges lediglich schließen, dass die Entscheidung vollstreckbar ist. Ob sie auch rechtskräftig ist, erfährt es demgegenüber nicht. Man kann hieraus folgern, dass nach der Konzeption der EuUnthVO auch eine vor Rechtskrafteintritt bestehende Vollstreckbarkeit bereits zur vollständigen Durchsetzung des Titels berechtigen soll. Dies würde auch der besonderen Natur von Unterhaltsforderungen gerecht werden, bei denen der Anspruchsinhaber schutzbedürftig und damit möglichst schnell eine effektive, d.h. weitgehende Vollstreckung geboten ist. Die EuUnthVO will gerade solchen Unterhaltsberechtigten zur Anspruchsdurchsetzung verhelfen, die über keinerlei oder geringe finanzielle Mittel verfügen.100 Demzufolge kann – abweichend von dem durch die Prämissen 1 bis 3 vorgegebenen Modell – im Zweitstaat auch nicht aus Rücksicht auf fehlende Rechtskraft im Ursprungsland das Erfordernis einer Sicherheitsleistung gelten, weil die zweitstaatlichen Stellen gerade keine Kenntnis von der fehlenden Rechtskraft haben. Genauso gewährt ein noch nicht rechtskräftiger Unterhaltstitel vollumfängliche Vollstreckungsbefugnisse.
1220
Fraglich ist schließlich die Bedeutung von Art. 18 EuUnthVO. Diese Vorschrift regelt, dass eine vollstreckbare Entscheidung von Rechts wegen die Befugnis umfasst, alle auf eine Sicherung gerichteten Maßnahmen zu veranlassen, die im Vollstreckungsmitgliedstaat vorgesehen sind. Diese Vor100
Gruber, IPRax 2010, S. 128 (138).
§ 12 Die Wirkungen unmittelbarer Vollstreckbarkeit
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schrift könnte entweder die Möglichkeiten des einstweiligen Rechtsschutzes im Zweitland betreffen, somit denselben Anwendungsbereich haben wie Art. 47 I, II EuGVVO101. Oder sie erfasst die Möglichkeiten einer auf Sicherungsmaßnahmen beschränkten, d.h. angehaltenen Vollstreckung, wie Art. 47 III EuGVVO sie im Auge hat102. Für die erste Möglichkeit, d.h. Anwendung auf Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes im Zweitstaat, könnte der Umstand sprechen, dass die gemeinschaftsweite Vollstreckbarkeit nach Art. 17 II EuUnthVO ohnehin und von vornherein Zugriff auf sämtliche zweitländischen Vollstreckungsmöglichkeiten gestattet, es daher scheinbar überflüssig wäre, wenn Art. 18 EuUnthVO zusätzlich noch die der Sicherung dienenden Vollstreckungsmaßnahmen für anwendbar erklärt. Diese wären einerseits schon von Art. 17 II EuUnthVO erfasst, andererseits machen sie dann keinen großen Sinn, wenn schon vollständig vollstreckt werden kann. Dennoch kann sich Art. 18 EuUnthVO nicht auf den einstweiligen 1221 Rechtsschutz im Zweitland beziehen. Denn der Wortlaut der Vorschrift spricht eindeutig gerade nicht von einstweiligen Maßnahmen, wie dies demgegenüber in Art. 14 EuUnthVO der Fall ist. Dieser gilt in der deutschen Sprachfassung für „einstweilige Maßnahmen einschließlich solcher, die auf Sicherung gerichtet sind“, während Art. 18 EuUnthVO lediglich „auf Sicherung gerichtete Maßnahmen“ betrifft. Auch in der englischen und in der französischen Formulierung lässt sich der unterschiedliche Anwendungsbereich beider Vorschriften eindeutig erkennen: Art. 14 EuUnthVO nennt „provisional mesures“ bzw. „mesures provisoires“, während in Art. 18 EuUnthVO von „protective measures“ bzw. „mesures conservatoires“ die Rede ist. Außerdem wäre Art. 18 EuUnthVO nicht sinnlos, wenn er die zweitstaatlichen auf Sicherung gerichteten Vollstreckungsmaßnahmen betrifft. Praktische Bedeutung erlangt die Regelung nämlich dann, wenn nach Art. 21 EuUnthVO oder nach einzelstaatlichem Recht die Vollstreckung vorläufig ausgesetzt oder beschränkt wurde. Dann kann der Gläubiger Sicherungsmaßnahmen nach Art. 18 EuUnthVO ergreifen – bis die Vollstreckung wieder fortgesetzt oder endgültig eingestellt wird.103 Abgesehen davon lässt sich Art. 18 EuUnthVO eine Klarstellung entnehmen, dass der Gläubiger anstelle der endgültigen Vollstreckung zunächst nur sichernde Maßnahmen beantragen kann. Im Ergebnis erfasst damit Art. 18 EuUnthVO dieselben Maßnahmen wie Art. 47 III EuGVVO. Nach seinem Wortlaut gewährt Art. 18 EuUnthVO die „Befugnis“, Maß- 1222 nahmen der Sicherungsvollstreckung „zu veranlassen“. Diese Formulierung 101
s. zu Art. 47 I, II EuGVVO Rn. 763–767. s. zu Art. 47 III EuGVVO Rn. 756–758. 103 Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. IV/Andrae/Schimrick, 2010, Art. 18 EuUnthVO Rn. 3. 102
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Teil IV: Die Wirkungen unmittelbarer Titelgeltung
entspricht der von Art. 47 II EuGVVO, wonach die erstinstanzliche Exequaturerteilung ebenfalls eine „Befugnis“ gibt – allerdings für einstweilige Maßnahmen –, was bedeutet, dass die einzelstaatlichen Anordnungsvoraussetzungen nicht erfüllt sein müssen.104 Wegen dieser Formulierungsidentität, die sich auch in der englischen und französischen Sprachfassung ausmachen lässt105, gelten bei Art. 18 EuUnthVO dieselben Grundsätze wie bei Art. 47 II EuGVVO: Die Voraussetzungen für den Erlass solcher Maßnahmen ergeben sich unmittelbar aus dem europäischen Recht und sind erfüllt, soweit ein Gemeinschaftsweiter Titel vorliegt.106 Dies bedeutet insbesondere, dass – wie bei Art. 47 II EuGVVO107 – Zustellungserfordernisse nach zweitstaatlichem Recht nicht anwendbar sind, weil andernfalls der Überraschungseffekt der Sicherungsmaßnahmen vereitelt würde.108 Die Sicherstellungsvollstreckung endet entweder dann, wenn sich aus den nationalen Vorschriften des Zweitstaates ihr Ende ergibt, oder wenn aufgrund eines Rechtsbehelfs nach Art. 21 II, III EuUnthVO oder eines im zweitstaatlichen Recht vorgesehenen und nach Art. 21 I EuUnthVO anwendbaren Rechtsbehelfs die Vollstreckung endgültig eingestellt wurde. Diese zeitliche Beschränkung folgt zwar nicht aus Art. 18 EuUnthVO selbst, muss aber gelten, weil sonst eine unüberbrückbare Diskrepanz entstünde, wenn die Vollstreckung im Zweitland endgültig ausgesetzt würde, was ja Art. 21 EuUnthVO ausdrücklich gestattet, aber die Sicherungsvollstreckung fortdauerte. IV. Europäische Bagatellurteile 1223
Für die im Europäischen Bagatellverfahren ergangenen Urteile regelt Art. 15 I EuGFVO, dass diese ungeachtet eines im Recht des Ursprungslandes möglicherweise erlaubten Rechtsmittels (Art. 17 EuGFVO) vollstreckbar sind. Ob und wann ein solcher gemeinschaftsweit vollstreckbarer Titel 104
s. Rn. 766 f. Franzöische Formulierungen: Art. 18 EuUnthVO: „Une décision exécutoire emporte de plein droit l’autorisation de procéder aux mesures conservatoires prévues par le loi de l’État membre d’exécution.“ Art. 47 II EuGVVO: „La dèclaration constatant la force exécutoire emporte l’autorisation de procéder à des mesures conservatoires.“ Englische Formulierungen: Art. 18 EuUnthVO: „An enforceable decision shall carry with it by operation of law the power to proceed to any protective measures which exist under the law of the Member State of enforcement.“ Art. 47 II EuGVVO: „The declaration of enforceability shall carry with it the power to proceed to any protective measures.“ 106 Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. IV/Andrae/Schimrick, 2010, Art. 18 EuUnthVO Rn. 7. 107 s. Rn. 767. 108 Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. IV/Andrae/Schimrick, 2010, Art. 18 EuUnthVO Rn. 7. 105
§ 12 Die Wirkungen unmittelbarer Vollstreckbarkeit
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Rechtskraft erlangt, hängt damit vom internen Recht des Ursprungslandes ab. Solange dort Rechtsbehelfe statthaft sind, stellt sich die Frage nach den Möglichkeiten einer Aussetzung oder Beschränkung der Vollstreckbarkeit [1.]. Ferner ist zu untersuchen, welche Reichweite die Vollstreckungsbefugnisse einstweilen haben und ob das Erfordernis einer Gläubigersicherheit besteht [2.]. 1. Möglichkeiten, aus Gründen fehlender Rechtskraft im Ursprungsland die Vollstreckbarkeit auszusetzen oder zu beschränken Solange der Titel im Ursprungsland noch nicht rechtskräftig ist, gestattet 1224 Art. 23 EuGFVO Aussetzungen oder Beschränkungen der Vollstreckbarkeit im Zweitland. Diese Vorschrift gilt allgemein dann, wenn ein Bagatellurteil im Ursprungsland „angefochten“ wurde oder „eine solche Anfechtung noch möglich [ist]“. Sie greift mithin auch dann, wenn Rechtsbehelfe, die im einzelstaatlichen Recht des Ursprungslandes vorgesehen sind, eingelegt wurden bzw. noch eingelegt werden können. Außerdem ist der Verweis in Art. 15 II EuGFVO auf Art. 23 EuGFVO für den Fall einer Vollstreckung im Ursprungsland so zu verstehen, dass auch im Ursprungsland ausschließlich über Art. 23 EuGFVO der Vollstreckungsschuldner geschützt werden kann.109 Folglich dürften sowohl im Erst- als auch im Zweitland die nationalen Möglichkeiten zur Aussetzung oder Beschränkung der Vollstreckung gänzlich verdrängt sein.110 Andernfalls würden die verordnungseigenen Voraussetzungen hierfür umgangen. Die aus den Prämissen 1 bis 3 entwickelte Lösung zu den Aussetzungs- und Beschränkungsmöglichkeiten ist mithin vorliegend nicht anwendbar. 2. Erfordernis einer Gläubigersicherheit und Umfang der einstweilen bestehenden Vollstreckungsbefugnisse Ob der Gläubiger vor Vollstreckungsbeginn eine Sicherheit zu stellen 1225 hat, wird durch Art. 15 I S. 2 EuGFVO eindeutig im negativen Sinne beantwortet. Fraglich ist aber, welche Vollstreckungsbefugnisse ein Bagatellurteil im Zweitland gewährt, solange es im Ursprungsland noch nicht 109 Schoibl, in: FS Leipold, 2009, S. 335 (347): Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. II/ Varga, 2010, Art. 23 EuGFVO Rn. 4. 110 Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. II/Varga, 2010, Art. 15 EuGFVO Rn. 7, Art. 23 EuGFVO Rn. 7. Mit Einschränkung für diejenigen autonomen Schuldnerschutzmechanismen, die in Art. 23 EuGFVO keine Entsprechung finden, wie etwa die Vollstreckungsgläubigerhaftung. Diese sollen weiter anwendbar sein, a. a. O., Art. 23 EuGFVO Rn. 8.
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Teil IV: Die Wirkungen unmittelbarer Titelgeltung
rechtskräftig ist. Bemerkenswert ist auch hier, dass die Bestätigung nach Formblatt D (Anhang IV EuGFVO) keine Angaben dazu enthält, ob der Titel rechtskräftig ist oder nicht. Daher sind die Vollstreckungsorgane im Zweitstaat zu einer Vollstreckung entsprechend der Titelreife nicht in der Lage. Man wird dies so verstehen können, dass die Verordnung selbst keine abgestufte Vollstreckung im Zweitland vorsieht, sondern verlangt, dass die Titel – unabhängig von ihrer Rechtskraft im Ursprungsland – stets so vollstreckt werden, als ob sie rechtskräftig wären. Hierfür spricht auch der Wortlaut in Art. 15 I S. 1 EuGFVO, in dem es ganz allgemein heißt, dass das Urteil „ungeachtet eines möglichen Rechtsmittels vollstreckbar“ ist. Dies bedeutet nicht nur, dass das Urteil überhaupt vor Rechtskraft vollstreckbar ist, sondern kann zugleich so verstanden werden, dass bereits vollumfängliche Vollstreckung wie nach Rechtskrafteintritt möglich ist. Dies würde auch durch den Zweck der EuGFVO, die Effektivität der Durchsetzung geringfügiger Forderungen weiter zu erhöhen, getragen.111 Insofern enthält also die EuGFVO eigenständige Vorgaben bezüglich der Vollstreckung vor Rechtskraft, so dass es auf die Prämissen 1 bis 3 nicht ankommt.112
V. Europäische Zahlungsbefehle nach der EuMVVO 1226
Gegen einen nach Art. 18 I EuMVVO für vollstreckbar erklärten Europäischen Zahlungsbefehl kann im Ursprungsland lediglich der in Art. 20 EuMVVO vorgesehene Rechtsbehelf eingelegt werden. Für diesen sieht die Verordnung allerdings keine absoluten Rechtsbehelfsfristen vor113, so dass theoretisch auch nach Jahren noch geltend gemacht werden kann, der Zahlungsbefehl sei offensichtlich zu Unrecht erlassen worden (Art. 20 II EuMVVO). Aus diesem Grund ist der Rechtsbehelf i. S. v. Art. 20 EuMVVO als außerordentlicher einzuordnen.114 Seine Statthaftigkeit kann daher nicht verhindern, dass der Zahlungsbefehl in Rechtskraft erwächst115. Denn andernfalls würde ein Europäischer Zahlungsbefehl nie rechtskräftig.116 Im Ergebnis treten damit Rechtskraft und Vollstreckbarkeit eines 111
Vgl. Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. II/Varga, 2010, Art. 15 EuGFVO Rn. 1. Sachlich ist es insoweit richtig, dass § 1105 I ZPO eine vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung anordnet. 113 Lediglich die Anträge i. S. v. Art. 20 I lit.a EuMVVO muss der Schuldner „unverzüglich“ stellen, was aber auch nicht zur Geltung einer absoluten Frist führt. 114 So auch allerdings ohne Begründung Fabian, Mahnverfahrensverordnung, 2010, S. 218; Crifò, Cross-Border Enforcement, 2009, S. 140 („extraordinary remedy“). 115 Kormann, Europäisches Mahnverfahren, 2007, S. 161 f. 112
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Europäischen Zahlungsbefehls gleichzeitig ein.117 Daher stellt sich vorliegend die Frage einer grenzüberschreitenden Koordinierung der Vollstreckungsgrade vor Rechtskraft nicht; die Vollstreckung ist vielmehr stets vollumfänglich durchzuführen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Schuldner im Ursprungsland den 1227 außerordentlichen Rechtsbehelf nach Art. 20 EuMVVO eingelegt hat. Für diesen Fall trifft die Verordnung eine eigene Regelung der Vollstreckungsbefugnisse im Zweitstaat: Dort kann gem. Art. 23 EuMVVO der Vollstreckungsschuldner eine Beschränkung oder Aussetzung der Vollstreckung beantragen. Damit sind sämtliche diesbezüglichen internrechtlichen Bestimmungen versperrt, denn Art. 23 EuMVVO kann als umfassende Regelung aufgefasst werden. Ihr lässt sich entnehmen, dass die Vollstreckungsbefugnisse im Zweitland nicht automatisch entfallen oder reduziert werden sollen, wenn im Ursprungsland eine ausnahmsweise Überprüfung beantragt wurde. Auch ob das Erfordernis einer Sicherheitsleistung gilt, ist durch Art. 23 EuMVVO in der Weise geregelt, dass dies im Zweitland erst angeordnet werden muss, wenn im Ursprungsland eine Überprüfung nach Art. 20 EuMVVO beantragt wurde.
C. Beachtlichkeit materieller Einwendungen gegen Gemeinschaftsweite Titel im Vollstreckungsstaat In Parallele zu § 10 ist vorliegend fraglich, ob und inwieweit der aus 1228 einem Gemeinschaftsweiten Titel Verpflichtete direkt vor Gerichten oder anderen Stellen des Vollstreckungsstaat materielle Einwendungen gegen den titulierten Anspruch vorbringen kann, um sich einer Vollstreckung zu entziehen. Zur Rekapitulation: Für die nach der EuGVVO exequierten Titel hatte sich in § 10 ergeben, dass im Exequaturverfahren grundsätzlich nicht geltend gemacht werden kann, der titulierte Anspruch bestehe in Wirklichkeit nicht (mehr), demgegenüber ist dieser Einwand in der Phase ab Rechtskraft des Exequaturs im Zweitland grundsätzlich statthaft.118 Da die Gemeinschaftsweiten Titel ohne Exequaturverfahren im Zweitland auskommen, stellt sich vorliegend nur die Frage, ob im zweitstaatlichen Vollstreckungsverfahren materielle Einwendungen gegen den titulierten Anspruch geltend gemacht werden können, um die Vollstreckung zu verhindern. 116 A. A. Hess/Bittmann, IPRax 2008, S. 305 (309), wonach ein Europäischer Zahlungsbefehl erst dann in Rechtskraft erwachse, wenn die Rechtsbehelfsfristen von Art. 20 EuMVVO abgelaufen seien. Da Art. 20 EuMVVO aber keine Höchstfristen vorsieht, kann dieser Ansatz nicht überzeugen. 117 Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. II/Gruber, 2010, Art. 18 EuMVVO Rn. 9. 118 s. Rn. 825–938, insbes. Ergebnis Rn. 937 f.
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Der deutsche Gesetzgeber hat insoweit für den Anwendungsbereich von EuVTVO119, EuGFVO120 und EuMVVO121 eine eindeutige Antwort gefunden und die Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO für zulässig erklärt. Ob dieser Weg europarechtskonform ist, ist allerdings umstritten. Von der wohl h. M. wird dies für die EuVTVO bejaht.122 Nach a. A. ist die Vollstreckungsgegenklage gegenüber Europäischen Vollstreckungstiteln hingegen versperrt.123 Ähnlich gestaltet sich das Meinungslager für den Anwendungsbereich von EuMVVO und EuGFVO.124 119 Dass in Deutschland gegen eine im Ausland als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigte Entscheidung die Vollstreckungsgegenklage statthaft ist, setzt § 1086 I ZPO voraus, der die örtliche Zuständigkeit für eine solche Klage regelt. 120 Gegen einen ausländischen Titel, der durch ein Europäisches Bagatellverfahren zustande gekommen ist, eröffnet §§ 1109 II i. V. m. 1086 ZPO die Möglichkeit der Vollstreckungsgegenklage. 121 Aus §§ 1096 II i. V. m. 1086 I ZPO ergibt sich, dass in Deutschland gegen einen im Ausland für vollstreckbar erklärten europäischen Zahlungsbefehl die Vollstreckungsgegenklage statthaft ist. Dies folgt außerdem aus §§ 794 I Nr. 6 i. V. m. 795 ZPO, der auch auf § 767 ZPO verweist, vgl. Preuß, ZZP 122 (2009), S. 3 (18). Eine Beschränkung der möglichen Einwendungen sieht das Gesetz hierbei nicht vor. 122 Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. II/Pabst, 2010, Art. 20 EuVTVO Rn. 36; Zöller/Geimer, 27. Aufl. 2009, § 1086 ZPO Rn. 1 f.; Bitter, EU-Vollstreckung, 2009, S. 89; Heringer, Europäischer Vollstreckungstitel, 2007, S. 144; Gerling, Gleichstellung, 2006, S. 132 ff.; Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 1058; Baur/Stürner/Bruns, ZwVollstrR, 13. Aufl. 2006, Rn. 55.82; Wagner, IPRax 2005, S. 401 (405, 407); Wagner, NJW 2005, S. 1157 (1160); Coester-Waltjen, JURA 2005, S. 394 (397); Hüßtege, in: FS Jayme, Bd. I, 2004, S. 371 (383 f.); Rellermeyer, Rpfleger 2005, S. 389 (403); Tsikrikas, ZZP Int. 11 (2006), S. 51 (55); Nagel/Gottwald, IZPR, 6. Aufl. 2007, § 12 Rn. 28; Coester-Waltjen, in: FS Yessiou-Faltsi, 2007, S. 39 (52 f.); Jennissen, InVo 2006, S. 263 (270); Pfeiffer, BauR 2005, S. 1541 (1550); ebenso Yessiou-Faltsi, in: Gottwald (Hrsg.), Justizielle Zusammenarbeit, 2004, S. 213 (243); Yessiou-Faltsi, RHDI 61 (2008), S. 735 (750); Röthel/Sparmann, WM 2006, S. 2285 (2292). 123 Bittmann, Klauselerteilungsverfahren, 2008, S. 208; Gottwald, FamRZ 2002, S. 1422 (1423); Hess, IPRax 2004, S. 493; Halfmeier, IPRax 2007, S. 381 (387); Leible/Lehmann, NotBZ 2004, S. 453 (461); Hess/Bittmann, IPRax 2008, S. 305 (310); Frische, Verfahrenswirkungen, 2006, S. 213 ff. 124 Die Vollstreckungsgegenklage gegen einen aus dem Ausland stammenden Europäischen Mahnbescheid ist zulässig: Gsell, EuZW 2011, S. 87 (89 f.); Röthel/ Sparmann, WM 2007, S. 1101 (1105); Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. II/Gruber, 2010, Art. 22 EuMVVO Rn. 43; wohl auch Schlosser, EuZPR, 3. Aufl. 2009, Art. 22 EuMVVO Rn. 4. Für die Zulässigkeit einer Vollstreckungsgegenklage gegen ein aus dem Ausland kommendes Europäisches Bagatellurteil Gsell, EuZW 2011, S. 87 (89 f.) u. offenbar: Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. II/Varga, 2010, Art. 21 EuGFVO Rn. 2. Für die Zulässigkeit der Vollstreckungsgegenklage im Anwendungsbereich von EuGFVO, EuVTVO, EuMVVO: Heger, DStR 2009, S. 435 (437). Demgegenüber wird sie abgelehnt von Freitag, IPRax 2007, S. 509 (513); Halfmeier, IPRax 2007, S. 381 (388); Hess/Bittmann, IPRax 2008, S. 305 (310 f.); Fabian, Mahnverfahrensverordnung, 2010, S. 229; ebenso Preuß, ZZP 122 (2009),
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Diese Frage soll hier – einheitlich für alle Gemeinschaftsweiten Titel – 1230 unter vier Gesichtspunkten behandelt werden: Zunächst sind die geschriebenen Regelungen der europäischen Verordnungen zur unmittelbaren Titelgeltung auf mögliche Lösungshinweise zu analysieren [I.]. Zu betrachten sind dann übergeordnete Strukturmerkmale der unmittelbaren Titelgeltung, nämlich Strukturmerkmal 3 – Rechtsschutzkonzentration im Erstland [II.] und Strukturmerkmal 1 – automatische Vollstreckbarkeitserweiterung auf das Zweitland [III.]. Schließlich ist zu untersuchen, ob der Schuldnerschutz verlangt, dass materielle Einwendungen im Zweitland statthaft sind [IV.]. I. Die textliche Ausgangslage in EuVTVO, EuGFVO, EuMVVO, EuUnthVO und EuEheVO zur Frage der Geltendmachung materieller Einwendungen Keine der europäischen Verordnungen zur unmittelbaren Titelgeltung re- 1231 gelt ausdrücklich allgemein, wo und wie gegen Gemeinschaftsweite Titel materielle Einwendungen geltend zu machen sind. Dies gilt uneingeschränkt für die Art. 40–45 EuEheVO, denen nicht mal andeutungsweise ein Lösungshinweis zu entnehmen ist. Demgegenüber könnten die in Art. 23 EuVTVO und Art. 23 EuGFVO normierten Möglichkeiten zur Aussetzung bzw. Beschränkung der Vollstreckung im Zweitland als stillschweigender Verweis der materiellen Einwendungen in das Ursprungsland gewertet werden [1.]. Genau im gegenteiligen Sinne könnte Art. 22 II EuMVVO dahingehend verstanden werden, dass sämtliche materiellen Einwendungen direkt im Zweitland geltend gemacht werden können [2.]. So könnte auch Art. 21 I EuUnthVO gedeutet werden [3.]. 1. Lösungshinweise aus Art. 23 EuVTVO und Art. 23 EuGFVO? Zumindest andeutungsweise könnte der EuVTVO und der EuGFVO ein 1232 Verweis materieller Einwendungen ins Ursprungsland zu entnehmen sein. Deren jeweiliger Art. 23, der eine Aussetzung bzw. Beschränkung der Vollstreckung im Zweitland bei Anfechtung des Titels im Ursprungsland erlaubt, findet auch Anwendung, wenn die Anfechtung im Ursprungsland damit begründet wird, die Entscheidung sei materiell nicht richtig: So erfasst Art. 23 EuVTVO allgemein die Rechtsbehelfe des Schuldners im Ursprungsland gegen eine als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigte Entscheidung (1. Spiegelstrich), wobei diese – wie Art. 19 II EuVTVO ausS. 3 (30–35), die aber stattdessen einen „besonderen Rechtsbehelf“ im Vollstreckungsstaat fordert, mit dem geltend gemacht werden kann, dass das Vollstreckungsziel bereits auf anderem Wege erreicht wurde.
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drücklich klarstellt – die Mitgliedstaaten selbst regeln. Soweit also im Ursprungsland materielle Einwendungen geltend gemacht werden können und der Schuldner hiervon Gebrauch macht, greift folglich Art. 23 EuVTVO und ermöglicht im Zweitland die Aussetzung oder Beschränkung der Vollstreckung. Gleiches gilt für Art. 23 EuGFVO, der u. a. dann einschlägig ist, wenn ein Europäisches Bagatellurteil im Ursprungsland angefochten wurde. Nachdem der Ursprungsmitgliedstaat autonom für sich die Rechtsmittel gegen solche Bagatellurteile regeln kann (vgl. Art. 17 EuGFVO), besteht die Aussetzungs- oder Beschränkungsmöglichkeit nach Art. 23 EuGFVO auch in dem Fall, dass im Ursprungsland – soweit dort möglich – materielle Einwendungen gegen den Titel vorgebracht werden. 1233
Art. 23 EuVTVO/EuGFVO gelten also beispielsweise bei der Vollstreckung von aus Deutschland stammenden Europäischen Vollstreckungstiteln oder Bagatellurteilen in England, wenn der Schuldner in Deutschland eine Berufung gegen die Ausgangsentscheidung eingelegt hat und mit ihr eine materielle Unrichtigkeit geltend macht, oder wenn er dort eine Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO erhoben hat.
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Aus dem Umstand, dass EuGFVO und EuVTVO mit ihrem jeweiligen Art. 23 auch der Konstellation Rechnung tragen, dass im Ursprungsland materielle Einwendungen gegen den Anspruch vorgebracht werden, ließe sich folgern, dass die Verordnungen stillschweigend von einer exklusiven Zuständigkeit im Erststaat für die Prüfung materieller Einwendungen ausgehen.125 Dieser Schluss ist aber nicht zwingend: Zum einen hängt es ja vom Recht des Ursprungslandes ab, ob und inwieweit materielle Einwendungen gegen den Titel im Wege von Rechtsmitteln oder Rechtsbehelfen nach Rechtskraft des Titels vorgebracht werden können. Aus der Tatsache, dass die Verordnungen möglicherweise bestehenden Rechtsbehelfen im Ursprungsland durch die Einführung einer Aussetzungs- bzw. Beschränkungsmöglichkeit im Zweitland Rechnung getragen haben, kann man daher kaum folgern, die Verordnungen hätten gleichzeitig materielle Einwendungen ins Ursprungsland „verbannen“ wollen. Zum anderen ist der Ausschluss von Vollstreckungsgegenrechtsbehelfen im Zweitland ein relativ bedeutsamer Einschnitt in die dortige Rechtsordnung, so dass man diesbezüglich auch ein gewisses Maß an Ausdrücklichkeit und Eindeutigkeit hätte erwarten können. Da ein eindeutiger Ausschluss zweitstaatlicher Vollstreckungsgegenrechtsbehelfe aber fehlt, besteht für die Annahme, die Verordnungen hätten materielle Einwendungen ins Ursprungsland verwiesen, keine ausreichende Grundlage. 125 Bittmann, Klauselerteilungsverfahren, 2008, S. 203 zur EuVTVO. Ebenso für die EuMVVO unter Berufung auf deren Art. 23 Hess/Bittmann, IPRax 2008, S. 305 (310 f.).
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2. Hinweise aus Art. 23, 22 II und 26 EuMVVO? Genauso wenig sind diesbezüglich die Regelungsvorgaben der EuMVVO 1235 aufschlussreich: Deren Art. 23 erlaubt zwar eine Aussetzung oder Beschränkung der Vollstreckung, wenn im Ursprungsland eine „Überprüfung in Ausnahmefällen“ nach Art. 20 EuMVVO beantragt wurde. Im Wege von Art. 20 EuMVVO können aber nur ganz eng umrissene Einwände vorgebracht werden: Der Schuldner kann einerseits geltend machen, ihm sei wegen ungenügender Zustellung oder aus Gründen höherer Gewalt nicht ausreichend rechtliches Gehör gewährt worden, Art. 20 I EuMVVO. Andererseits ist auch eine Rechtmäßigkeitskontrolle möglich, allerdings nur mit der Begründung, der Europäische Zahlungsbefehl sei „offensichtlich zu Unrecht erlassen worden“, vgl. Art. 20 II EuMVVO. Aus dem Adjektiv „offensichtlich“ ergibt sich, dass die Überprüfung nur bei schweren Evidenzfällen, insbesondere bei Prozessbetrug, möglich sein soll.126 Dies bestätigt der ErwG. 25 EuMVVO, wonach der Rechtsbehelf etwa für den Fall offen steht, dass der Zahlungsbefehl auf falschen Angaben im Antragsformular beruht. Da also Art. 20 EuMVVO nur besonders schwerwiegende Unregelmäßigkeiten erfasst, kann man aus ihm im Zusammenspiel mit Art. 23 EuMVVO nicht auf einen allgemeinen Verweis materieller Einwendungen ins Ursprungsland schließen. Hierfür spricht auch ErwG. 27 EuMVVO, der den Rechtsbehelf nach Art. 23 EuMVVO als „Mindestvorschrift“ bezeichnet. Dies könnte so zu verstehen sein, dass es dem Vollstreckungsstaat freisteht, einen über Art. 23 EuMVVO hinausgehenden Vollstreckungsschutz zu gewähren.127 Auffällig ist Art. 22 II EuMVVO, wonach die Vollstreckung aus einem 1236 Europäischen Zahlungsbefehl auf Antrag verweigert wird, soweit der Verpflichtete den geschuldeten Betrag an den Berechtigten entrichtet hat. Diese Regelung ist schon deswegen bemerkenswert, weil sie in den europäischen Verordnungen der einzige ausdrücklich geregelte Fall ist, in dem eine materielle Einwendung gegen einen Gemeinschaftsweiten Titel im Zweitland geltend gemacht werden kann. Ferner enthält Art. 22 II EuMVVO auffälligerweise keine Beschränkung auf besonders leicht nachzuweisende oder unstrittige Erfüllungseinwände, erlaubt damit im Zweitland auch die Geltendmachung einer zwischen den Parteien streitigen Erfüllung. Da die Berücksichtigung einer solchen in der Regel eine aufwendige Beweisaufnahme und rechtliche Analyse erfordert, kann sie nach den nationalen Vollstreckungsrechten typischerweise nicht direkt im Vollstreckungsverfahren geltend gemacht werden. Beispielsweise prüft in Deutschland nur in den Son126 127
Freitag/Leible, BB 2008, S. 2750 (2754). Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. II/Gruber, 2010, Art. 22 EuMVVO Rn. 43.
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derfällen von § 775 Nr. 4, 5 ZPO das Vollstreckungsorgan selbst den Erfüllungseinwand, während bei strittiger Erfüllung der Schuldner eine Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO erheben muss.128 Dieses Verfahren zur Geltendmachung der Erfüllung ist jedenfalls durch Art. 22 II EuMVVO im Zweitland gestattet. 1237
Nachdem Art. 22 II EuMVVO also auch für streitige Verfahren gilt, steht die aufgrund dieser Bestimmung mögliche Verweigerung der Vollstreckung im Zweitland jedenfalls in einem gewissen Spannungsverhältnis zu der in Art. 18 EuMVVO vorgesehenen automatischen grenzüberschreitenden Erweiterung der im Ursprungsland bestehenden Vollstreckbarkeit. Denn die hiermit bezweckte Effizienzsteigerung tritt letztlich nicht ein, wenn der Schuldner doch wieder allzu leicht ein Verfahren im Zweitland anstrengen kann. Er müsste schließlich lediglich eine Erfüllung behaupten, um einen Vollstreckungsgegenrechtsbehelf im Zweitland einleiten zu können. An Art. 22 II EuMVVO fällt im Übrigen auf, dass er weder zeitlich noch sachlich eine Präklusionsgrenze zieht. Demnach könnte der Schuldner genau genommen auch eine Erfüllung vorbringen, die von der Rechtskraft des Zahlungsbefehls präkludiert wäre. Der Titel hätte dann im Zweitland sogar eine geringere Bestandskraft als im Ursprungsland.
1238
Man muss sich daher fragen, was sich aus Art. 22 II EuMVVO zur Frage der Geltendmachung materieller Einwendungen folgern lässt. Zwei Interpretationen wären denkbar: Entweder ein Umkehrschuss in dem Sinne, dass alle anderen als der Erfüllungseinwand im Zweitstaat versperrt sind. Oder ein Erst-Recht-Schluss: Wenn schon der Schuldner durch die bloße Behauptung, den Anspruch erfüllt zu haben, ein langwieriges Streitverfahren im Zweitland mit möglicherweise unbegründeter Vollstreckungsverzögerung anzetteln kann, muss ihm dies erst recht möglich sein, wenn die materiellrechtliche Einwendung schon aufgrund einer summarischen gerichtlichen Vorprüfung von vornherein als besonders substantiiert erscheint. Die Schutzbedürftigkeit des Schuldners ist bei anderen materiell-rechtlichen Einwendungen jedenfalls nicht geringer als bei dem der Erfüllung.
1239
Gegen den Umkehrschluss in der beschriebenen Form spricht aber Art. 26 EuMVVO. Um aus der ausdrücklichen Zulassung des Erfüllungsein128 Ausnahmen gelten im Bereich der Handlungvollstreckung, wo die Zwangsmittel vom Prozessgericht des ersten Rechtszuges verhängt werden. Da damit die Vollstreckung durch eine juristisch kompetente Stelle vorgenommen wird, kann der Schuldner auch direkt im Vollstreckungsverfahren eine strittige Erfüllung geltend machen und ist insoweit nicht auf die Vollstreckungsgegenklage verwiesen, vgl. KG, 06.12.2007 – 2 W 185/07, FamRZ 2008, S. 1094 für § 888 ZPO, BGH, 05.11.2004 – IXa ZB 32/04, FamRZ 2005, S. 199 L für § 887 ZPO. Auf diese Ausnahmen kommt es vorliegend aber nicht an, da die EuMVVO nur für Geldleistungsansprüche gilt, Art. 4 EuMVVO.
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wandes in Art. 22 II EuMVVO darauf zu schließen, die Verordnung versperre hiermit zugleich alle anderen materiell-rechtlichen Einwendungen im Zweitland, fehlt es an dem erkennbaren Anspruch des Gesetzgebers, die Problematik der Einwendungen abschließend regeln zu wollen.129 Das Fehlen eines derartigen Exklusivitätsanspruchs ergibt sich aus der Vorschrift des Art. 26 dieser Verordnung, der allgemein vorsieht, dass sich „sämtliche verfahrensrechtlichen Fragen, die in dieser Verordnung nicht ausdrücklich geregelt sind, [. . .] nach den nationalen Rechtsvorschriften [richten].“ Dass diese Vorgabe auch zur Handhabung vollstreckungsrechtlicher Aspekte im Zweitland gilt, zeigt ihr Vergleich mit Art. 19 EuGFVO, der ebenfalls zur Ausfüllung externer Lücken in einer europäischen Verordnung zur gemeinschaftsweiten Vollstreckbarkeit auf mitgliedstaatliches Recht verweist. Dieser Verweis gilt aber nach der Bestimmung nur für das „Verfahren für geringfügige Forderungen“ und bezieht sich auf das „Verfahrensrecht des Mitgliedstaates, in dem das Verfahren durchgeführt wird“. Demgegenüber gilt Art. 26 EuMVVO für „sämtliche verfahrensrechtliche Fragen“ und verweist nicht nur auf das „Verfahrensrecht“ eines Mitgliedstaates, sondern allgemein auf nationales Recht. Es besteht damit Grund zur Annahme, dass der subsidiäre Verweis in Art. 26 EuMVVO auch für das zweitstaatliche Vollstreckungsverfahren aus Europäischen Mahnbescheiden gilt und eine Lückenfüllung nach nationalem Recht erlaubt. Damit fehlt es an der Ausschließlichkeit der EuMVVO zur Regelung vollstreckungsrechtlicher Fragen, so dass für den genannten Umkehrschluss kein Platz ist. Art. 26 EuMVVO lässt zwar offen, auf welches Recht im Einzelfall ver- 1240 wiesen wird. Allerdings spricht zumindest nichts dagegen, die Rechtsbehelfe, die in der Vollstreckungsphase im Zweitland anwendbar sind, gem. Art. 26 EuMVVO unter Rückgriff auf das Recht des Vollstreckungsforums zu bestimmen: Die Maßgeblichkeit der lex fori executionis ist ein festgefügter Grundsatz der Vollstreckung ausländischer Urteile, der auch in Art. 21 I EuMVVO für die Beitreibung Europäischer Zahlungsbefehle noch einmal ausdrücklich festgeschrieben ist (Strukturmerkmal 2). Dass Art. 22 II EuMVVO wiederholt, dass die Erfüllung im Zweitland geltend gemacht werden kann, könnte insofern eher als reine Mindestvorgabe des europäischen Rechts verstanden werden. Die Analyse der textlichen Vorgaben der EuMVVO zeigt insgesamt, dass 1241 ein Ausschluss zweitstaatlicher Vollstreckungsgegenrechtsbehelfe nicht ausdrücklich festgeschrieben ist. Ein Erst-Recht-Schluss zu Art. 22 II EuMVVO spricht eher dafür, dass auch gegen vollstreckbare Europäische Zahlungsbefehle im Zweitland Vollstreckungsgegenrechtsbehelfe statthaft sind. 129
Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. II/Gruber, 2010, Art. 22 EuMVVO Rn. 43.
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3. Hinweise aus Art. 21 I EuUnthVO 1242
Eine besonders großzügige Haltung gegenüber Rechtsbehelfen zur Geltendmachung materieller Einwendungen im Zweitstaat wird in Art. 21 I EuUnthVO deutlich. Dieser erklärt ausdrücklich die im Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates vorgesehenen Gründe für eine Verweigerung oder Aussetzung der Vollstreckung für anwendbar, solange sie nicht mit den Regelungsvorgaben der EuUnthVO unvereinbar sind. Gemessen an dieser Einschränkung ist nach dem ausdrücklichen Gesetzgeberwillen jedenfalls der Einwand zwischenzeitlicher Erfüllung im Zweitland statthaft.130 Dies gilt unabhängig davon, ob die Erfüllung streitig ist oder nicht, so dass – wie bei Art. 22 II EuMVVO – auch langwierige Verfahren mit Beweisaufnahme und rechtlicher Analyse im Zweitstaat mit der EuUnthVO vereinbar zu sein scheinen. Damit sind Vollstreckungsgegenrechtsbehelfe jedenfalls insoweit zulässig, wie mit ihnen der Einwand der Erfüllung geltend gemacht wird. Aus Art. 21 I EuUnthVO wird bisweilen sogar gefolgert, dass Vollstreckungsgegenrechtsbehelfe allgemein, d.h. unabhängig vom geltend gemachten materiellen Einwand, statthaft sind.131
1243
Diesen Schluss von Art. 21 I EuUnthVO auf eine allgemeine Großzügigkeit gegenüber zweitstaatlichen Rechtsbehelfen nährt jedenfalls auch eine Betrachtung des Entstehungsprozesses der Vorschrift. Anders als die in Kraft getretene Fassung war der Kommissions-Entwurf von 2005132 noch deutlich restriktiver gegenüber zweitstaatlichen Rechtsbehelfen: Hier war zwar auch der Erfüllungseinwand enthalten (Art. 33 lit.c Entw.-EuUnthVO), gleichzeitig stellte der Wortlaut („nur“) allerdings klar, dass andere nationale Regelungen zur Aussetzung oder Verweigerung der Vollstreckung versperrt wären.133 In der liberaleren Fassung des 2009 in Kraft getretenen Art. 21 I EuUnthVO deutet sich damit an, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber eine großzügigere Haltung gegenüber Rechtsbehelfen des Vollstreckungslandes zur Geltendmachung materieller Einwendungen eingenommen hat. Dies stünde auch im Einklang mit den Spezifika der Unterhaltstitel: Da diese typischerweise auf wiederkehrende Leistungen lauten und Änderungen 130
Vgl. ErwG. 30 der EuUnthVO. Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. IV/Andrae/Schimrick, 2010, Art. 21 EuUnthVO Rn. 8: „Art. 21 Abs. 1 [lässt] im Hinblick auf die Statthaftigkeit der Vollstreckungsabwehrklage keine Zweifel zu.“ 132 Vgl. KOM(2005) 649 endg., Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit und das anwendbare Recht in Unterhaltssachen, die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen und die Zusammenarbeit im Bereich der Unterhaltspflichten, v. 15.12.2005, verfügbar unter http://eur-lex.europa. eu/de/editorial/registre.htm. 133 Gebauer, FPR 2006, S. 252 (255) zum Kommissions-Entwurf der EuUnthVO von 2005. 131
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der Verhältnisse im Ursprungsland häufig vorkommen, ist es nur angemessen, eine Anpassung des Titels dadurch zu erleichtern, dass der Schuldner sie direkt im Zweitland erreichen kann. 4. Zusammenfassung der Textanalyse und Lösungsansätze in der Lit. Alles in allem ergibt sich also aus den Regelungsvorgaben der hier ana- 1244 lysierten europäischen Verordnungen kein geschlossenes Bild für die Frage, ob im Vollstreckungsstaat materielle Einwendungen geltend gemacht werden können, um eine Vollstreckung zu verhindern. Sicher ist lediglich, dass im Anwendungsbereich der EuMVVO und der EuUnthVO der Erfüllungseinwand im Zweitstaat geltend gemacht werden kann. Was die anderen Einwendungen anbelangt, lässt sich diesen beiden Verordnungen kein eindeutiger Anhaltspunkt entnehmen. Genauso unsicher ist die Lage bei den anderen Verordnungen zur gemeinschaftsweiten Vollstreckbarkeit, für die nicht einmal klar ist, ob der Schuldner im Beitreibungsmitgliedstaat geltend machen kann, der Anspruch sei bereits erfüllt. Entsprechend unterschiedlich sind auch die Lit.-Auffassungen zu dieser 1245 Frage: Teilweise werden alle Einwendungen im Zweitland für zulässig gehalten, die nicht durch das Verbot der révision au fond bzw. die anzuerkennende Präklusionswirkung versperrt sind.134 Ebenso wird vertreten, dass zumindest die Einwendungen, die durch leicht zu prüfende Nachweise belegt werden können, etwa durch öffentliche Urkunde (bspw. rechtskräftig festgestellt) oder Gläubigerurkunde (weil zwischen den Parteien unstreitig), statthaft seien.135 Zumindest die § 775 Nr. 4, 5 ZPO sollen in Deutschland anwendbar sein.136 Ob tatsächlich allgemein zwischen liquiden und nicht 134 So etwa Musielak/Voit, 8. Aufl. 2011, Vorbem. z. §§ 1087 ff. ZPO Rn. 33: Demnach soll etwa der Aufrechnungseinwand statthaft sein, die Berufung auf ein ausgeübtes Anfechtungs- oder Widerrufsrecht hingegen nicht, weil damit – unabhängig von der zeitlichen Zuordnung der Gestaltungsrechte im deutschen Präklusionsrecht – eine inhaltliche Änderung der Ausgangsentscheidung möglich werde. Allerdings wurde bereits oben Rn. 603 dargelegt, dass das Verbot der révision au fond nur verlangt, die Präklusionswirkung entsprechend der Wirkungserstreckungslehre anzuerkennen. Eine weitergehende Beschränkung der materiellen Einwendungen lässt sich nicht mit dem Verbot der révision au fond begründen, weil kein Grund ersichtlich ist, warum den Entscheidungen im Zweitstaat höherer Bestandsschutz zukommen soll, als im Erststaat. 135 Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, 2008, S. 210 (zur EuVTVO), der im Übrigen aber davon ausgeht, dass eine Vollstreckungsgegenklage im Zweitland ausscheiden müsse. 136 Vgl. zur EuVTVO Wagner, IPRax 2005, S. 401 (405); Hess, IPRax 2004, S. 493 (494); Bittmann, Klauselerteilungsverfahren, 2008, S. 180; Zöller/Geimer, 27. Aufl. 2009, § 1082 ZPO Rn. 3; Halfmeier, IPRax 2007, S. 381 (388). All diese
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liquiden Einwendungen zu unterscheiden ist, ist allerdings angesichts von Art. 22 II EuMVVO und Art. 21 I EuUnthVO fraglich, die insofern keine Einschränkung enthalten. 1246
Nachdem also die textlichen Vorgaben der Verordnungen keine eindeutigen Hinweise liefern, sind im Folgenden die übergeordneten Strukturprinzipien und Wertungsgesichtspunkte der gemeinschaftsweiten Titelgeltung in den Blick zu nehmen. II. Folgerungen aus dem Konzentrationsprinzip (Strukturmerkmal 3)
1247
Fraglich ist, ob eine Prüfung materieller Einwendungen im Zweitstaat mit dem Konzentrationsprinzip (Strukturmerkmal 3) vereinbar wäre. Nach diesem haben – wie gesehen137 – in erster Linie die Gerichte des Ursprungsstaates die Kognitionsbefugnis hinsichtlich des Bestandes Gemeinschaftsweiter Titel. Da aber neben dem Konzentrationsprinzip weiterhin die Gerichte des Vollstreckungsstaates eine Zuständigkeit für vollstreckungsrechtliche Rechtsbehelfe behalten138, könnte sich hieraus positiv eine zweitstaatliche Zuständigkeit zur Prüfung materieller Einwendungen ergeben [1.]. Soweit dies nicht der Fall ist, wäre denkbar, dass das Konzentrationsprinzip eine Titelüberprüfung im Zweitstaat ausschließt [2.]. 1. Die zweitstaatliche Zuständigkeit für vollstreckungsrechtliche Rechtsbehelfe als Zuständigkeitsgrund für Vollstreckungsgegenrechtsbehelfe vor Ort
1248
Der Grundsatz, dass Fehler des Vollstreckungsverfahrens im Zweitstaat selbst geltend zu machen sind, könnte auch für die Vollstreckungsgegenklage bzw. funktional entsprechende Klageformen anderer Rechtsordnungen eine Zuständigkeit vor Ort begründen.139 Dass im Vollstreckungsland vollstreckungsrechtliche Rechtsbehelfe erhoben werden können, um formelle Verfahrensfehler zu rügen, folgt aus der Maßgeblichkeit der örtlichen Vollstreckungsordnung und der hierdurch bewirkten Gleichstellung in Bezug auf die Vollstreckung, die auch im Bereich der Gemeinschaftsweiten Titel gilt.140 Autoren gehen andererseits aber davon aus, die Vollstreckungsgegenklage sei unzulässig. 137 Vgl. Rn. 1172–1178. 138 s. Rn. 1179 f. 139 So etwa Tsikrikas, ZZP Int. 11 (2006), S. 51 (56 f.); Heger, DStR 2009, S. 435 (437); BT-Drucks. 15/5222, S. 15 (zu § 1086 ZPO).
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Für die Gleichbehandlung von Vollstreckungsgegenrechtsbehelfen (in 1249 Deutschland: Klage nach § 767 ZPO) mit originär vollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfen (beispielsweise gem. § 766 ZPO) spricht, dass beide erst nach Rechtskraft der Entscheidung – also üblicherweise in der Vollstreckungsphase – statthaft sind und deswegen dem Vollstreckungsverfahren zuzuordnen sein könnten.141 Allerdings ist an dieser Stelle das bereits zu Art. 22 Nr. 5 EuGVVO gefundene Ergebnis zur internationalen Zuständigkeit für Vollstreckungsgegenrechtsbehelfe zu berücksichtigen. Letztere – so hatte sich gezeigt – sind der Sache nach nicht als vollstreckungsrechtlich einzuordnen, so dass Art. 22 Nr. 5 EuGVVO für sie keine ausreichende Zuständigkeitsgrundlage schafft, soweit sie geeignet sind, eine rechtskräftige Entscheidung über den Bestand des titulierten Anspruchs herbeizuführen.142 Die Vollstreckungsgegenklage im deutschen Recht führt zwar nur in manchen Fällen zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Anspruch.143 Allein wegen dieser Möglichkeit ergibt sich aus Art. 22 Nr. 5 EuGVVO keine ausreichende Zuständigkeitsgrundlage für die § 767 ZPO-Klage. Dies muss umso mehr im Rahmen der unmittelbaren gemeinschaftsweiten Vollstreckbarkeit gelten. Schließlich gibt es hier nicht mal ein zweitstaatliches Exequatur, durch das eine gewisse Berührung zum Vollstreckungsstaat geschaffen würde. Der Gerichtsstand am forum executionis kann damit allenfalls für solche Rechtsbehelfe eröffnet sein, die lediglich zu einem Stopp der Vollstreckung vor Ort führen.144 Bisweilen wird aus Art. 22 Nr. 5 EuGVVO und der hierzu ergangenen 1250 Entscheidung des EuGH in der Rechtssache AS Autoteile Service GmbH ./. Pierre Malhé145 auch das gegenteilige Ergebnis begründet: Da der europäische Gesetzgeber seit diesem Urteil gewusst habe, dass der Gerichtshof Vollstreckungsgegenrechtsbehelfe im Zweitstaat für zulässig halte, könne man aus dem Fehlen einer Regelung, die diese ausdrücklich versperrt, auf deren Zulässigkeit schließen.146 Die Überzeugungskraft dieses Arguments 140 s. zur Gleichstellung Rn. 1169–1171 und zur Anwendbarkeit der vollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfe im Zweitland Rn. 1179 f. 141 Heger, DStR 2009, S. 435 (437) mit dem zusätzlichen Hinweis, dass es für das Gericht des Zweitstaates einfacher sei, festzustellen, ob etwa die geschuldete Summe gezahlt wurde und damit jede weitere Vollstreckungsmaßnahme ausscheiden muss. 142 Vgl. bereits oben unter Rn. 887–891. 143 s. Rn. 861. 144 Ebenso zur EuVTVO Bittmann, Klauselerteilungsverfahren, 2008, S. 202. 145 EuGH, 04.07.1985 – Rs. 220/84, AS Autoteile Service GmbH ./. Pierre Malhé, Slg. 1985, 2267 ergangen zu Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ. Vgl. zu dieser Entscheidung bereits ausführlich oben unter Rn. 888. 146 Jayme/Kohler, IPRax 2005, S. 481 (486 f.); ähnlich Wagner, IPRax 2005, S. 401 (408), wonach der Ausschluss der Vollstreckungsgegenklage durch die EuVTVO im Widerspruch zu Art. 22 Nr. 5 EuGVVO stünde.
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ist aber gering, weil schon der Bedeutungsgehalt der EuGH-Entscheidung im Einzelnen sehr zweifelhaft ist.147 Zwar hat der Gerichtshof apodiktisch festgestellt, dass eine Vollstreckungsgegenklage möglich sei. Damit soll aber nicht die allgemeine Zuständigkeitsordnung der Art. 2–24 EuGVVO über den Haufen geworfen werden, denn zumindest die Aufrechnung kann nach Auffassung des Gerichtshofs nur dann im Zweitland geltend gemacht werden, wenn dort für die Gegenforderung eine internationale Zuständigkeit nach Art. 2 ff. EuGVVO eröffnet ist.148 Der EuGH geht also gerade nicht von einer allgemeinen Zuständigkeit im Vollstreckungsland für materielle Einwendungen aus. Damit kann schwerlich angenommen werden, der Gemeinschaftsgesetzgeber habe hieran festhalten wollen, indem er keine abweichende Regelung getroffen hat. Außerdem wurde mit den Gemeinschaftsweiten Titeln ein grundlegend neues Konzept der Vollstreckung im Ausland eingeführt, so dass im Vorfeld völlig offen war und ist, inwieweit hierfür die EuGH-Rspr. zur EuGVVO weiter gilt.149 1251
Im Ergebnis ergibt sich allein aus der zweitstaatlichen Zuständigkeit für vollstreckungsrechtliche Rechtsbehelfe keine Kognitionsbefugnis über materielle Einwendungen. 2. Das Konzentrationsprinzip als Argument gegen die Zuständigkeit für Vollstreckungsgegenrechtsbehelfe im Zweitland
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Fraglich ist, was sich zu der hier untersuchten Frage aus dem Konzentrationsprinzip folgern lässt. Dass die Kompetenz zur Überprüfung EU-weit vollstreckbarer Titel auf deren jeweiliges Ursprungsland konzentriert ist, könnte so verstanden werden, dass alle (auch nicht präkludierte) materiellrechtlichen Einwendungen ausschließlich im Ursprungsland geltend zu machen sind.150 Dann wäre die gemeinschaftsweite Vollstreckbarkeit im Zweitland unantastbar.151 147
Vgl. hierzu bereits oben unter Rn. 888–891. EuGH, 04.07.1985 – Rs. 220/84, AS Autoteile Service GmbH ./. Pierre Malhé, Slg. 1985, 2267, Rn. 17. 149 Vgl. Bittmann, Klauselerteilungsverfahren, 2008, S. 201 zur EuVTVO: Wegen der grundlegenden Abkehr vom bisherigen System grenzüberschreitender Vollstreckung ist offen, inwieweit die EuGH-Entscheidungen auch zur Auslegung von Regelungen der automatischen gemeinschaftsweiten Vollstreckbarkeit herangezogen werden können. 150 So Hess/Bittmann, IPRax 2008, S. 305 (311) (zur EuVTVO und zur EuMVVO); Gottwald, FamRZ 2002, S. 1422 (1423) (zur EuVTVO); Kennett, Enforcement in Europe, 2000, S. 234 (zur EuVTVO); Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, 2008, S. 204 f. (zur EuVTVO); Halfmeier, IPRax 2007, S. 381 (387 f.) zur EuVTVO („Jegliche sachhaltige Entscheidung soll den Gerichten des Ursprungsmitgliedstaates vorbehalten sein, während im Vollstreckungsmitgliedstaat 148
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Hierfür spricht, dass die Schaffung Gemeinschaftsweiter Titel nach dem 1253 Prinzip der automatischen territorialen Erweiterung der Vollstreckbarkeit (Strukturmerkmal 1) in den Kompetenzbereich der Gerichte des Ursprungsstaates fällt und diesen daher auch die Aufhebung des Titels oder die Beseitigung seiner Vollstreckbarkeit vorbehalten sein könnte.152 Ein striktes Verständnis der Konzentrationsmaxime ließe sich weiter dadurch untermauern, dass die Verordnungen selbst detailliert regeln, wann die Vollstreckung im Zweitland gestoppt oder beschränkt werden kann, und dies überhaupt nur in sehr wenigen Fällen vorsehen. Man könnte hieraus folgern, dass die Gemeinschaftsweiten Titel im Übrigen immun sind gegen zweitstaatliche Rechtsbehelfe. Durch eine Ausschließlichkeit der Vorgaben des europäischen Rechts zur Beschränkung oder Aussetzung der Vollstreckung würde verhindert, dass diese durch großzügigere nationale Gesetze umgangen werden.153 Die Verdrängung nationaler Rechtsbehelfe führte auch zu einer Verfahrensbeschleunigung. Gerade durch die ersatzlose Streichung des Exequaturverfahrens sollen Verzögerungstaktiken des Schuldners unterbunden werden. Mit diesem Anliegen stünde es im Einklang, wenn auch nachträgliche nicht weniger verzögernd wirkende Rechtsbehelfe ausgeschlossen blieben.154 Demgegenüber käme aber auch ein weniger striktes Verständnis der Kon- 1254 zentrationsmaxime in Betracht: Die in den Verordnungen vorgesehenen Mechanismen zur Aussetzung oder Beschränkung der Vollstreckung aus Gründen einer Titelüberprüfung im Ursprungsland könnten lediglich einen Mindeststandard schaffen, im Übrigen aber nationale Rechtsbehelfe zur Überprüfung des Titels im Zweitland unberührt lassen.155 Solche Rechtsbehelfe könnten dann zumindest insoweit zugelassen werden, als sie mit den sonstigen Prinzipien und Zwecken unmittelbarer Titelgeltung vereinbar sind. allenfalls ein Aufschub der Vollstreckung gemäß Art. 23 EuVTVO möglich ist, um Entscheidungen im Ursprungsstaat abzuwarten“). 151 So für die EuVTVO Halfmeier, IPRax 2007, S. 381 (387 f.). Ebenso Preuß, ZZP 122 (2009), S. 3 (31 f.), die davon ausgeht, die Entscheidungsfreiheit der Gerichte des Erststaates würde beschränkt, wenn die Gerichte des Zweitstaates über die Vollstreckbarkeit entscheiden. 152 Halfmeier, IPRax 2007, S. 381 (387) (zur Vollstreckungsgegenklage in der EuVTVO). 153 So etwa Leible/Lehmann, NotBZ 2004, S. 453 (458, 461): Die Aussetzungsmöglichkeit nach Art. 21 I EuVTVO habe Ausnahmecharakter und sei abschließend. Ebenso Pfeiffer, BauR 2005, S. 1541 (1549); Hess/Bittmann, IPRax 2008, S. 305 (311); Tagaras, in: Nuyts/Watté (Hrsg.), International Civl Litigation, 2005, S. 563 (586). Für die Ausschließlichkeit könnte in der EuMVVO auch sprechen, dass darin der Einwand nachträglicher Erfüllung ausdrücklich geregelt ist (Art. 22 II) und daher offenbar das Problem als solches vom Verordnungsgeber gesehen wurde, vgl. Freitag, IPRax 2007, S. 509 (513). 154 Halfmeier, IPRax 2007, S. 381 (387 f.); Hess/Bittmann, IPRax 2008, S. 305 (311).
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Auffällig ist, dass die Verordnungen nirgends ein ausdrückliches Verbot von Rechtsbehelfen im Vollstreckungsland zur Geltendmachung materieller Einwendungen stipulieren. Ein derartiger Ausschluss wäre ein drastischer Einschnitt in das nationale Rechtsbehelfssystem, so dass schon im Interesse der Rechtssicherheit eine ausdrückliche Anordnung wünschenswert gewesen wäre. Da eine solche fehlt, spricht viel dafür, dass die Verordnungen gerade nicht nationale Vollstreckungsgegenrechtsbehelfe ausschließen. Hinzu kommt, dass die Regelwerke in anderen Fällen sehr klar sagen, wenn einzelstaatliche Rechtsbehelfe versperrt sind. So verbietet etwa Art. 21 II EuVTVO ausdrücklich die Anfechtung der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel im Vollstreckungsmitgliedstaat und Art. 43 I EuEheVO stellt klar, dass die Bescheinigung der Vollstreckbarkeit nur im Ursprungsmitgliedstaat überprüft werden kann.156
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Außerdem bedeutet EU-weite Vollstreckbarkeit in der Konzeption der vorhandenen Verordnungen nicht, dass die Vollstreckung im Zweitstaat überhaupt nicht mehr angehalten oder beschränkt werden kann. Die verordnungseigenen Mechanismen zur Abwehr der Beitreibung157 zeigen, dass ein Gemeinschaftsweiter Titel im Zweitstaat gerade nicht völlig immun ist gegen Unterbrechungen seiner Vollziehung. Schließlich ist auf Prämisse 3 hinzuweisen, wonach unmittelbar vollstreckbare Titel im Ausland unter den gleichen Bedingungen vollstreckt werden sollen wie solche, die im Vollstreckungsmitgliedstaat ergangen sind.158 Es mutet widersprüchlich an, wenn einerseits der Gläubiger von den Vollstreckungsbefugnissen im Zweitland vollständig Gebrauch machen kann, andererseits dem Schuldner der dazugehörige Rechtsschutz nur selektiv bereitgestellt wird.
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So etwa BT-Drucks. 15/5222, S. 15 (zu § 1086 ZPO); Heringer, Europäischer Vollstreckungstitel, 2007, S. 144; tendenziell auch Jayme/Kohler, IPRax 2005, S. 481 (486). 156 Für den Anwendungsbereich der EuMVVO kann in diesem Zusammenhang auch auf Art. 26 EuMVVO verwiesen werden, im Anwendungsbereich der EuGFVO auf deren Art. 19. Diese Vorschriften sehen gerade vor, dass für sämtliche in den Verordnungen nicht geregelten Fragen auf das nationale Recht zurückzugreifen ist. Dies spricht insgesamt gegen die Ausschließlichkeit der Verordnungsvorschriften. 157 Etwa bei Titelkollision (Art. 21 II S. 2 EuUnthVO, Art. 21 EuVTVO, Art. 22 I EuMVVO, Art. 22 EuGFVO) und bei Einlegung von Rechtsbehelfen im Ursprungsland (Art. 23 EuVTVO, Art. 23 EuMVVO, Art. 23 EuGFVO, Art. 21 III EuUnthVO) sowie bei zwischenzeitlicher Erfüllung (Art. 22 II EuMVVO, Art. 21 I i. V. m. ErwG. 30 EuUnthVO). 158 Art. 20 I S. 2 EuVTVO, Art. 21 I S. 2 EuMVVO, Art. 21 I S. 2 EuGFVO, Art. 47 II S. 1 EuEheVO u. Art. 41 I S. 2 EuUnthVO. s. zur Prämisse 3 im Bereich der Gemeinschaftsweiten Titel Rn. 1189–1192.
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3. Zwischenergebnis Das Konzentrationsprinzip schließt es jedenfalls nicht zwingend aus, dass 1257 im Zweitland materielle Einwendungen gegen den Titel geltend gemacht werden können. Andererseits reicht die zweitstaatliche Zuständigkeit für vollstreckungsrechtliche Rechtsbehelfe nicht aus zur Begründung der Statthaftigkeit von Vollstreckungsgegenrechtsbehelfen vor Ort. III. Vereinbarkeit zweitstaatlicher Vollstreckungsgegenrechtsbehelfe mit der automatischen territorialen Vollstreckbarkeitserweiterung (Strukturmerkmal 1) Zweitstaatliche Rechtsbehelfe zur Geltendmachung materieller Einwen- 1258 dungen könnten mit dem Prinzip der ohne Zwischenverfahren bewirkten territorialen Erweiterung der Vollstreckbarkeit (Strukturmerkmal 1) unverträglich sein. Indem der Titel hindernisfrei in den Zweitstaat eintritt, wird dem Gläubiger die Last genommen, ihn dort gegen ein Vorbringen des Schuldners verteidigen zu müssen, wie dies noch in der EuGVVO der Fall ist, wenn der Verpflichtete Anerkennungsversagungsgründe geltend macht. Diesem Anliegen könnte es zuwider laufen, wenn im Zweitstaat durch Geltendmachung materieller Einwendungen letztlich doch eine Titelüberprüfung herbeigeführt werden kann.159 Manche sehen hierdurch das Gebot effektiver transnationaler Vollstreckung und das europäische Herkunftslandprinzip verletzt.160 Allerdings sind die hier in Rede stehenden Rechtsbehelfe zur Geltendma- 1259 chung materieller Einwendungen zeitlich der Vollstreckungsphase zuzuordnen, wirken also gerade nicht wie ein vorgeschaltetes Zwischenverfahren.161 Außerdem muss der Schuldner von sich aus tätig werden, so dass gerade keine routinemäßige Titelkontrolle eingeführt würde. Erstreckung der Vollstreckbarkeit bedeutet zunächst nicht mehr als barrierefreier Eintritt in den Zweitstaat. Eine dauerhafte Unantastbarkeit des Titels lässt sich allein aus der Abschaffung des Exequaturverfahrens noch nicht herleiten. Von einem „uneingeschränkten Herkunftslandprinzip“ kann also nicht gesprochen werden.162 Hinzu kommt, dass es ein übergeordnetes europäisches 159 Preuß, ZZP 122 (2009), S. 3 (30): „verkapptes Exequaturverfahren“. Ebenso Hess, IPRax 2004, S. 493 (494); Leible/Lehmann, NotBZ 2004, S. 453 (461). 160 Hess/Bittmann, IPRax 2008, S. 305 (311); Hess, IPRax 2004, S. 493 (494). 161 Wagner, IPRax 2005, S. 401 (407). 162 Wagner, IPRax 2005, S. 401 (407) (zur EuVTVO). Im Ergebnis ähnlich Heger, DStR 2009, S. 435 (437), wonach das Herkunftslandprinzip schon gar nicht den Bereich der grenzüberschreitenden Vollstreckung erfasst.
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Herkunftslandprinzip, welches eine Privilegierung ausländischer Gemeinschaftsweiter Titel im Zweitland verlangen könnte, gerade nicht gibt.163 1260
Die Unzulässigkeit von Vollstreckungsgegenrechtsbehelfen gegen Gemeinschaftsweite Titel wurde auch damit begründet, dass die Gefahr der versteckten Prüfung des an sich überwundenen ordre public bestünde.164 Dies überzeugt aber nicht, da mit der Zulassung von Vollstreckungsgegenrechtsbehelfen noch nichts über den Kreis der im Zweitland beachtlichen Einwendungen gesagt wurde. Richtigerweise können – wie sich bereits im Rahmen der EuGVVO gezeigt hatte – nur die Einwendungen geltend gemacht werden, die nicht durch die Rechtskraft des Titels präkludiert sind bzw. noch im Ursprungsland durch Rechtsmittel vorgebracht werden könnten.165 Weder Zustandekommen noch Inhalt des Titels wären folglich überprüfbar, so dass auch eine versteckte ordre public-Kontrolle nicht droht.
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Die Zulässigkeit von Vollstreckungsgegenrechtsbehelfen wurde auch deshalb angezweifelt, weil diese zu „hinkenden Vollstreckungstiteln“ führe, was mit EU-weiter Vollstreckbarkeitserstreckung nicht zu vereinbaren sei.166 Den Verordnungen kann allerdings nicht entnommen werden, dass eine „hinkende Vollstreckbarkeit“ verboten sei. Zwar ist eine Euro-Ubiquität als Grundgedanke angelegt.167 Diese gilt aber nicht uneingeschränkt: Einerseits können die Gerichte des Zweitlandes die Vollstreckung für ihr Staatsgebiet stoppen bzw. beschränken.168 Da es sich hierbei um Ermessensentscheidungen handelt, ist bei gleichzeitiger Vollstreckung in verschiedenen Staaten durchaus denkbar, dass sie in einem Land angehalten wird, in einem anderen hingegen nicht. Andererseits kann die Vollstreckung auch wegen Kollision des Titels mit einer anerkennungsfähigen Entscheidung ausgeschlossen sein.169 Da aber die in einem Mitgliedstaat anerkannten Titel nicht zwangsläufig auch in allen anderen Mitgliedstaaten anerkennungsfähig sind, kann durchaus der Fall eintreten, dass in manchen Ländern eine Titelkollision vorliegt, in anderen hingegen nicht. „Hinkende Durch163 s. Rn. 689–694 (allg. krit. zum Herkunftslandprinzip); Rn. 1189–1190 (zur Prämisse 3 und dem Herkunftslandprinzip im Bereich Gemeinschaftsweiter Titel). 164 Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, 2008, S. 207 (zur EuVTVO). 165 s. Rn. 928–930 (Variante 3: Titel im Ursprungsland bereits rechtskräftig); 934–936 (Variante 4: Rechtskraft im Ursprungsland noch nicht eingetreten). 166 So etwa Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, 2008, S. 205 (zur EuVTVO); Preuß, ZZP 122 (2009), S. 3 (33 f.) (zur EuMVVO); Frische, Verfahrenswirkungen, 2006, S. 215 f. 167 Vgl. Rn. 1176–1178. 168 Vgl. Art. 23 EuVTVO, Art. 23 EuGFVO, Art. 23 EuMVVO u. Art. 21 III S. 1 EuUnthVO. 169 Art. 22 I EuGFVO, Art. 22 I EuMVVO, Art. 21 II S. 2 EuUnthVO u. Art. 21 I EuVTVO. Art. 22 II EuMVVO erlaubt auch die Aussetzung der Vollstreckung bei zwischenzeitlicher Erfüllung.
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setzbarkeit“ ist also durchaus vereinbar mit dem Prinzip der Vollstreckungsubiquität, wie sie durch die gegenwärtigen Verordnungen eingeführt wurde.170 Somit stehen weder das Grundprinzip der automatischen Vollstreckbar- 1262 keitserweiterung (Strukturmerkmal 1) noch die aus diesem ableitbare grundsätzliche Euro-Ubiquität gemeinschaftsweiter Vollstreckbarkeit einer Geltendmachung materieller Einwendungen im Zweitstaat entgegen. IV. Erforderlichkeit von Vollstreckungsgegenrechtsbehelfen im Zweitstaat aus Gründen des Schuldnerschutzes Die vorangegangenen Ausführungen haben ergeben, dass weder die ge- 1263 schriebenen Regelungen noch die allgemeinen Prinzipien der gemeinschaftsweiten Titelgeltung die Geltendmachung materieller Einwendungen im Zweitstaat verbieten. Damit ist aber noch kein positives Argument für die Statthaftigkeit derartiger Rechtsbehelfe im Zweitland gefunden. Ein solches könnte sich aus dem Recht des Schuldners auf ein faires Verfahren i. S. v. Art. 6 I EMRK ergeben, welches auch effektiven Rechtsschutz garantiert.171 Da bei zwangsweiser Anspruchsdurchsetzung schwerwiegend in Freiheitsrechte eingriffen wird, muss der Betroffene die Möglichkeit haben, eine im Ergebnis nicht gerechtfertigte Vollstreckung auf effektive Weise zu stoppen. Diesem Postulat könnte allerdings mit den verordnungseigenen Möglichkeiten zur Aussetzung bzw. Beschränkung ausreichend Rechnung getragen sein, so dass ein Rückgriff auf nationales Recht nicht erforderlich ist [1.]. Außerdem ist der durch den Entfall des Exequaturs gesteigerte Schutzbedarf des Schuldners zu berücksichtigen [2.]. 1. Ausreichender Schutz des Schuldners durch verordnungseigene Rechtsbehelfe und durch die Möglichkeit, den Titel im Ursprungsland anzugreifen? Möglicherweise müssen dem Verpflichteten deshalb nicht die im zweit- 1264 staatlichen Recht vorgesehenen Wege zur Geltendmachung materieller Einwendungen offenstehen, weil er sich schon dadurch ausreichend vor einer unberechtigten Vollstreckung schützen kann, dass er im Ursprungsland den Titel oder dessen Vollstreckbarkeit angreift und von den verordnungseigenen Möglichkeiten einer Aussetzung oder Beschränkung der Vollstreckung im Zweitland Gebrauch machen kann. 170 171
Wagner, IPRax 2005, S. 401 (407). s. bereits Rn. 146.
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Zumindest Art. 23 EuVTVO und Art. 23 EuGFVO gelten auch für den Fall, dass materielle Einwendungen im Ursprungsstaat geltend gemacht werden.172 Dort kann der Schuldner eine als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigte Entscheidung bzw. ein Europäisches Bagatellurteil gestützt auf materielle Einwendungen angreifen und allein deswegen schon eine Aussetzung oder Beschränkung im Zweitland erreichen. Dem Schuldner kommt hierbei zugute, dass Art. 23 EuVTVO/EuGFVO nicht erst bei Erfolg des Rechtsbehelfs im Erstland anwendbar sind, sondern bereits bei dessen Einlegung. Nachteilig für den Schuldner ist allerdings, dass Art. 23 EuVTVO/ EuGFVO nur eine Ermessensentscheidung der zweitstaatlichen Stelle vorsehen, nicht aber eine automatische Aussetzung oder Beschränkung der Vollstreckung. Der Titelverpflichtete läuft daher Gefahr, mit seinem Antrag nach Art. 23 EuVTVO/EuGFVO zu scheitern und die Beitreibung dulden zu müssen, bis der Titel im Ursprungsland endlich aufgehoben wurde. Über Art. 23 EuVTVO/EuGFVO ist der Schuldner also vergleichsweise schlecht geschützt. Es ist durchaus denkbar, dass man sich im Ursprungsland über viele Jahre und Instanzen hinweg streitet, bis der Titel aufgehoben bzw. seine Vollstreckbarkeit beseitigt wird. Man kann sich beispielsweise vorstellen, dass der Schuldner eines in Deutschland ergangenen Bagatellurteils nach Rechtskraft eine Klage nach § 767 ZPO erhebt, weil er zwischenzeitlich die Aufrechnung gestützt auf eine neue Gegenforderung erklärt hatte. Dringt er mit diesem Einwand in Deutschland durch, kann das Gericht die Entscheidung über die Vollstreckungsgegenklage einstweilen für vorläufig vollstreckbar erklären, so dass die Vollstreckbarkeit des Bagatellurteils gemeinschaftsweit suspendiert ist.173 Das Gericht muss dies aber nicht tun, so dass im Falle einer Berufung des Gläubigers gegen die Entscheidung des deutschen Gerichts viel Zeit vergehen kann, bis das Europäische Bagatellurteil gemeinschaftsweit seine Vollstreckbarkeit verloren hat. In dieser Zeit muss der Schuldner, falls der Antrag nach Art. 23 EuGFVO scheiterte, die Vollstreckung dulden, obwohl sie in der Sache letztlich nicht gerechtfertigt ist.
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Noch schlechter ist der Schutz durch Art. 23 EuMVVO gegenüber Europäischen Zahlungsbefehlen. Nach diesem kann sich der Schuldner nur dann ganz oder teilweise der Vollstreckung entziehen, wenn er im Ursprungsland eine „Überprüfung in Ausnahmefällen“ gem. Art. 20 EuMVVO beantragt, mit der aber nicht „reguläre“ nachträgliche Einwendungen geltend gemacht 172
s. Rn. 1232 f. Wie dann der Schuldner schnell und effektiv im gesamten Gemeinschaftsgebiet die Vollstreckung anhalten kann, regelt die EuGFVO allerdings nicht. Eine Negativbestätigung entsprechend Art. 6 II EuVTVO wäre hier sinnvoll. 173
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werden können.174 Zwar kann hier zumindest der Erfüllungseinwand direkt im Zweitland vorgebracht werden, vgl. Art. 22 II EuMVVO. Dies betrifft aber nur einen Fall materieller Einwendungen. Für alle anderen – etwa Vereinbarung eines Vergleichs, Erlass oder Stundung – bleibt dem Schuldner nichts anderes übrig, als sie im Ursprungsland bis zur Rechtskraft durchzufechten und bis dahin die Vollstreckung im Zweitland zu dulden. Wie die EuGFVO lässt auch die EuMVVO offen, wie eine Aufhebung des Zahlungsbefehls bzw. seiner Vollstreckbarkeit im Vollstreckungsland geltend gemacht werden kann: Muss hier der Schuldner womöglich erneut vor Gericht gehen, um eine Aussetzung bzw. Beschränkung der Vollstreckung zu erreichen? Diesbezüglich etwas klarer ist die EuUnthVO, deren Art. 21 III S. 2 we- 1267 nigstens ausdrücklich vorsieht, dass die zuständige Stelle des Vollstreckungsmitgliedstaates – auf Antrag – die Vollstreckung auszusetzen hat, wenn auch im Ursprungsstaat die Vollstreckbarkeit ausgesetzt wurde. Damit wird der Schuldner allerdings nur dann effektiv geschützt, wenn er im Ursprungsland eine Aufhebung des Titels oder seiner Vollstreckbarkeit erlangen konnte. Für die Zwischenzeit bis dahin ist die Stellung des Schuldners jedoch genauso ungünstig wie bei EuGFVO, EuVTVO und EuMVVO. Lediglich den Erfüllungseinwand gestattet Art. 21 I i. V. m. ErwG. 30 EuUnthVO ausdrücklich, im Zweitland geltend zu machen. Die Art. 40–45 EuEheVO treffen demgegenüber überhaupt keine Regelung für die Geltendmachung nachträglicher Einwendungen. Insofern offenbaren sich Schutzlücken: Was den Erfüllungseinwand anbe- 1268 langt, erlaubt nur die EuUnthVO und die EuMVVO ausdrücklich eine unmittelbare Geltendmachung im Zweitland. Im Übrigen helfen die bei Einlegung von Rechtsbehelfen im Ursprungsland vorgesehenen korrespondierenden Möglichkeiten einer Vollstreckungsaussetzung oder -beschränkung nur dann weiter, wenn die Stelle im Zweitland von ihrem Ermessen in entsprechender Weise Gebrauch macht. Tut sie das nicht, muss der Schuldner zunächst die Vollstreckung tolerieren und hat dann möglicherweise enorme Probleme, den Vollstreckungserlös vom Gläubiger zurückzuerhalten, falls der Titel im Ursprungsland tatsächlich aufgehoben wird.175 Außerdem kann ein Verweis des Schuldners auf den Rechtsschutz im Ur- 1269 sprungsland ins Leere führen. Denkbar ist, dass die dortige Rechtsordnung keine geeigneten Rechtsbehelfe zur Geltendmachung nachträglicher materieller Einwendungen vorsieht. Der Schuldner ist also darauf angewiesen, dass der nationale Gesetzgeber entsprechende Regelungen getroffen hat.176 174 175
s. Rn. 1235. Coester-Waltjen, JURA 2005, S. 394 (397) zur EuVTVO.
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Eine Verpflichtung hierzu ist in den Verordnungen jedenfalls nicht festgelegt.177 Hinzu kommt, dass die Rechtsbehelfe zur Korrektur oder Anpassung von Entscheidungen in manchen Ländern dem Vollstreckungsverfahren zugeordnet sind wie etwa in Frankreich.178 Es versteht sich daher nicht von selbst, dass der Schuldner eines dort zustande gekommenen Gemeinschaftsweiten Titels überhaupt vor Ort einen Rechtsbehelf zur Geltendmachung materieller Einwendungen einlegen könnte, wenn dort keine Vollstreckung durchgeführt wird. Auch kann es im Ursprungsland an der internationalen Zuständigkeit für die Geltendmachung materieller Einwendungen fehlen.179 Daher kann der Verweis auf das Ursprungsland zu empfindlichen Rechtsschutzlücken führen.180 Zur deren Vermeidung ist es geboten, die nationalen Rechtsbehelfe zur Geltendmachung von Vollstreckungsgegeneinwendungen im Vollstreckungsland offenzuhalten.181 Außerdem sind Intensität der Vollstreckungsmaßnahmen und der gleichzeitig gewährte Schutz zu Gunsten des Schuldners aufeinander abgestimmt. Darf sich der Gläubiger der im Vollstreckungsland vorgesehenen Vollzugsmittel bedienen, ist es daher nur angemessen, gleichzeitig dem Schuldner die vor Ort vorgesehenen und auf die Vollstreckungsbefugnisse zugeschnittenen Schutzvorrichtungen gegen eine unberechtigte Vollstreckung zu gewähren. 2. Gesteigertes Schutzbedürfnis durch Entfall des Exequaturs 1270
Die Streichung der an bestimmte Voraussetzungen geknüpften Vollstreckbarerklärung bedeutet eine Einschränkung des Schuldnerschutzes, die als Ausgleich erfordert, dass wenigstens nachträgliche zweitstaatliche Rechtsbehelfe zur Geltendmachung materieller Einwendungen anwendbar sind. Nach der Grundkonzeption der neuen Verordnungen wird die mit dem Entfall von Exequaturverfahren und Anerkennungsversagungsgründen einhergehende Verschlechterung der Stellung des Verpflichteten durch anderweitige Vorkehrungen ausgeglichen (dazu sogleich). Was die materiellen Ein176 Nur am Rande sei bemerkt, dass der deutsche Gesetzgeber erlaubt, gegen einen in Deutschland erlassenen Europäischen Zahlungsbefehl die Vollstreckungsgegenklage zu erheben. Dies ergibt sich aus §§ 794 I Nr. 6 i. V. m. 795 ZPO und § 1095 II ZPO; vgl. Preuß, ZZP 122 (2009), S. 3 (18). Diese Regelung ist mit der Verordnung vereinbar, weil nur Einwendungen geltend gemacht werden können, die nach Abschluss des Mahnverfahrens – also außerhalb des zeitlichen Anwendungsbereichs der EuMVVO – entstanden sind. So Preuß, ZZP 122 (2009), S. 3 (21); a. A. Freitag, IPRax 2007, S. 509 (514). 177 Heringer, Europäischer Vollstreckungstitel, 2007, S. 144. 178 Vgl. zur contestation oben Rn. 866–868. 179 Gsell, EuZW 2011, S. 87 (88 f.). 180 Coester-Waltjen, in: FS Beys, Bd. II, 2003, S. 183 (193 f.) zur EuVTVO. 181 Heger, DStR 2009, S. 435 (437).
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wendungen anbelangt, ist allerdings eine anderweitige Kompensation für fehlende Möglichkeiten zu deren Geltendmachung im Zweitland nicht denkbar und auch nicht vorgesehen. Würde man unmittelbar vollstreckbare Titel bei ihrer Vollziehung im Zweitland stärker vor materiellen Einwendungen schützen als solche, die nach der EuGVVO exequiert wurden, gäbe es hierfür keinen anderweitigen Ausgleich zum Schutz des Schuldners. Ganz im Gegenteil spricht die unmittelbare Vollstreckbarkeit für eine Verbesserung des Schuldnerschutzes in der Vollstreckungsphase, weil sie bis zu deren Beginn den Gläubiger privilegiert. Dieser muss schließlich keinen Aufwand treiben, um in den Genuss zweitstaatlicher Durchsetzbarkeit zu gelangen. Es ist daher ein Gebot gerechter Verteilung der Prozesslast, dem Schuldner zumindest in der Vollstreckungsphase wieder vollumfänglich Zugang zu Gericht zu gewähren. Dass der Wegfall des Exequaturs nicht einseitig zu Lasten des Schuldners 1271 gehen, sondern grundsätzlich anderweitig ausgeglichen werden soll, lässt sich anhand des Schutzes des rechtlichen Gehörs verdeutlichen. Besonders in grenzüberschreitenden Fällen läuft der in Anspruch Genommene Gefahr, von dem anhängigen Verfahren keine Kenntnis zu haben, wenn dieses nicht in seinem Wohnsitzstaat durchgeführt wurde und die Zustellung ins Ausland nicht oder nicht rechtzeitig erfolgt ist. Den daher erforderlichen Schutz des rechtlichen Gehörs gewährt herkömmlicherweise der Anerkennungsversagungsgrund des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO. Dessen Entfall in der gemeinschaftsweiten Titelgeltung kompensieren die neuen Verordnungen durch Absicherung der Verteidigungs- und Mitwirkungsrechte des Schuldners im Verfahren der Titelerschaffung, durch verordnungseigene Anforderungen an die Mitteilung über den geltend gemachten Anspruch und durch Einführung von Rechtsschutzmöglichkeiten. Diese drei Ausgleichsmechanismen sind in EuVTVO182, EuMVVO183, EuGFVO184 sowie EuUnthVO185 vorgesehen. 182 Hat der Schuldner die Forderung nicht ausdrücklich anerkannt, wird vor Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel geprüft, ob die Mindeststandards an die Zustellung nach Art. 12–15 EuVTVO und an die Belehrung nach Art. 16 f. EuGVVO gewahrt waren, vgl. Art. 6 I lit.c EuVTVO. Außerdem gewährleistet Art. 19 EuVTVO, dass der Verpflichtete im Ursprungsstaat die Möglichkeit gehabt hätte, bei unverschuldeter Säumnis Wiedereinsetzung zu beantragen. 183 Da auch hinter dem Europäischen Zahlungsbefehl eine unbestrittene Forderung steht, sind eine Belehrung über seine Tragweite (Art. 12 II, III EuMVVO) und Mindestvorgaben an seine Zustellung (Art. 12 V, 13–15 EuMVVO) vorgeschrieben. Bei unverschuldeter Fristversäumnis (Art. 20 I EuMVVO) und offensichtlich zu Unrecht erlassenem Zahlungsbefehl (Art. 20 II EuMVVO) ist eine Überprüfung möglich. Das Einspruchsrecht des Art. 16 EuMVVO ist außerdem sehr schuldnerfreundlich ausgestaltet, vgl. Freitag, IPRax 2007, S. 509: Es ist an keine inhaltlichen und nur an geringe formale Voraussetzungen geknüpft und besteht während einer langen Frist von 30 Tagen, zu deren Wahrung die Absendung des Einspruchs genügt.
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Teil IV: Die Wirkungen unmittelbarer Titelgeltung
Sie lassen den Entfall des Anerkennungsversagungsgrundes von Art. 34 Nr. 2 EuGVVO gerecht erscheinen. Hinsichtlich nachträglich entstandener materieller Einwendungen rechtfertigen sie aber nicht, dass der schuldnerseitige Rechtsschutz im Vergleich zur Rechtslage unter der EuGVVO verkürzt wird. 1272
Außerdem tragen die Verordnungen der Gefahr widersprüchlicher Titel im Zweitstaat dadurch Rechnung, dass sie dem Schuldner die Möglichkeit einräumen, eine Aussetzung der Vollstreckung zu erwirken.186 Die präventiven Mittel Rechtskraft und Rechtshängigkeit funktionieren gerade bei Prozessen in verschiedenen Ländern nicht zuverlässig. Deswegen ist Titelkollision in der EuGVVO ein Anerkennungshindernis (Art. 34 Nr. 3, 4 EuGVVO). Dessen Entfall wird also in den neuen Verordnungen ebenfalls ausgeglichen, was einmal mehr belegt, dass die Streichung des Exequaturs grundsätzlich mit anderweitigen Schutzmechanismen einhergehen soll. 184 Im europäischen Bagatellverfahren wird die Einhaltung der Verfahrensstandards dadurch gewährleistet, dass die EuGFVO selbst ein eigenes Verfahren zur Erlangung des Titels regelt, an dem der Schuldner teilnimmt. Gem. Art. 7 III EuGFVO kann auch bei Säumnis eine Entscheidung ergehen, die ebenfalls grenzüberschreitend vollstreckbar ist. Hierbei handelt es sich nicht um ein Versäumnisurteil, weil die EuGFVO keine Geständnisfiktion bei Säumnis kennt. Vgl. Hess/Bittmann, IPRax 2008, S. 305 (312); Jahn, NJW 2007, S. 2890 (2894). Möglich ist aber eine Entscheidung nach Lage der Akten, vgl. § 1103 ZPO. Auch in diesem Fall sind die Schuldnerrechte jedoch dadurch gewahrt, dass eine Zustellung nach Art. 13 I EuGFVO (mit Empfangsbestätigung) bzw. Art. 13 I EuGFVO i. V. m. Art. 13 ff. EuVTVO (für andere Zustellungsformen) erfolgt. Eine Belehrung über die Möglichkeit einer Verurteilung bei Säumnis ist auf dem Antwortformblatt für den Schuldner in Anhang III der EuGFVO (Formblatt C) enthalten, das dem Schuldner gem. Art. 5 II EuGFVO zusammen mit Beweisunterlagen in Kopie zuzustellen ist, vgl. Bittmann, Klauselerteilungsverfahren, 2008, S. 219. Gem. Art. 18 EuGFVO kann der Beklagte eine „Überprüfung“ des Urteils, d.h. Wiedereinsetzung verlangen, falls er von der Klageerhebung nicht oder nicht rechtzeitig informiert wurde, vgl. Freitag/Leible, BB 2009, S. 2 (5). 185 Für die EuUnthVO schützt Art. 19 EuUnthVO die Verteidigungsrechte des Schuldners, wenn gegen ihn bei Säumnis entschieden wurde: Abs. II stellt eine entsprechende Kenntnisnahme der Entscheidung sicher, während Abs. I das Recht auf Nachprüfung einräumt. Zwar fehlt eine Regelung der Mindeststandards für die Belehrung des Schuldners, so wie dies in Art. 16 f. EuVTVO für unbestrittene Forderungen vorgesehen ist, vgl. Bittmann, Klauselerteilungsverfahren, 2008, S. 225. Zusätzlich schützt aber Art. 11 I EuUnthVO bereits im Erkenntnisverfahren das rechtliche Gehör des in Anspruch Genommenen: Hat dieser seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Verfahrensmitgliedstaat und ist vor Gericht nicht erschienen, wird das Verfahren ausgesetzt und überprüft, ob es dem Beklagten möglich war, das verfahrenseinleitende Schriftstück so rechtzeitig zu empfangen, dass er sich hätte verteidigen können. 186 Art. 21 EuVTVO, Art. 22 I EuMVVO, Art. 22 I EuGFVO, Art. 21 II S. 2 EuUnthVO u. Art. 47 II S. 2 EuEheVO.
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Auch die Aufgabe der ordre public-Kontrolle (Art. 34 Nr. 1 EuGVVO) wird durch die bereits erwähnten eigenen Schutzinstrumentarien der Verordnungen187 sowie ein gesteigertes Vertrauen in die ordnungsgemäße Rechtspflege der anderen Mitgliedstaaten188 gerechtfertigt. Zusammenfassend zeigt sich, dass die mit dem Entfall des in der 1273 EuGVVO noch vorgesehenen Exequaturverfahrens einhergehende Reduktion des Schuldnerschutzes jeweils durch anderweitige Schutzmittel bzw. Gewährleistungen ausgeglichen wurde. Demgegenüber wäre eine gegenüber der Rechtslage unter der EuGVVO stärkere Zurückdrängung von Vollstreckungsgegenrechtsbehelfen im Zweitstaat nicht durch entsprechende andere Mechanismen kompensiert. Aus diesem Grunde ist der zur EuGVVO angestellte Vergleich der Interessenlage der Parteien weiterhin tragfähig. Dieser hatte ergeben, dass nur bis Eintritt der Rechtskraft des Exequaturs die Privilegierung des Gläubigers durch Immunität gegenüber materiellen Einwendungen angemessen ist, danach aber nicht mehr mit einem gerechten Ausgleich der gegenläufigen Interessen in Einklang gebracht werden kann.189 Diese Wertung greift auch im Bereich der unmittelbaren Titelgeltung. Da bei ihr der Gläubiger bis Vollstreckungsbeginn im Zweitland sogar noch stärker privilegiert wird, erscheint es zum Ausgleich umso mehr erforderlich, dem Schuldner wenigstens im Vollstreckungsverfahren eine effiziente Möglichkeit an die Hand zu geben, sich einer Vollstreckung zu entziehen, die der wahren Rechtslage nicht mehr entspricht.190 Der Ausschluss von Vollstreckungsgegeneinwendungen im Zweitstaat 1274 würde im Ergebnis dazu führen, dass der Gläubiger leichter einen Titel vollstrecken kann, dessen Inhalt nicht mit dem materiellen Recht übereinstimmt. Dies wäre weder vom Zweck der unmittelbaren Titelgeltung geboten noch mit dem Mindestschutz des Schuldners zu vereinbaren. 187
Hüßtege, in: FS Jayme, Bd. I, 2004, S. 371 (385) zur EuVTVO. ErwG. 18 EuVTVO; Wagner, IPRax 2005, S. 189 (190). Zwar kann man heute davon ausgehen, dass die Rechtsordnungen aller EU-Mitgliedstaaten grundsätzlich rechtsstaatlich strukturiert sind und die jeweiligen Verfahren rechtsstaatlichen Anforderungen genügen. Dies kommt einerseits darin zum Ausdruck, dass sie alle die EMRK ratifiziert haben. Andererseits ist die EU-Grundrechtscharta durch den Vertrag von Lissabon verbindlich geworden (s. Rn. 145). Fragwürdig erscheint der Entfall des ordre public-Einwandes dennoch angesichts der nach wie vor großen Unterschiede im Verfahrens-, Kollisions- und materiellen Zivilrecht zwischen den Mitgliedstaaten, vgl. Rechberger, in: FS Leipold, 2009, S. 301 (306 f. Fn. 27). Kritisch auch Stadler, IPRax 2004, S. 2 (7–9); Stadler, RIW 2004, S. 801 (803 f.); Rauscher, Europäischer Vollstreckungstitel, 2004, Rn. 15–42; Mankowski, RIW 2004, S. 587 (588). Ob die Zeit reif war für eine Streichung des ordre public-Vorbehaltes, soll hier nicht weiter thematisiert werden. 189 Vgl. Rn. 913–927, insbes. 926. 190 Kerameus, in: FS Schlosser, 2005, S. 355 (362 f.) zur EuVTVO. 188
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Teil IV: Die Wirkungen unmittelbarer Titelgeltung
V. Ergebnis und Kreis der statthaften Vollstreckungsgegeneinwendungen 1275
Vor allem aus Gründen des Schuldnerschutzes und zur Wahrung einer angemessenen Verteilung der Prozesslast können gegenüber Gemeinschaftsweiten Titeln im Vollstreckungsland materielle Einwendungen geltend gemacht werden.
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Den Rechtsschutzmöglichkeiten im Zweitland sind allerdings durch das Verbot der révision au fond, welches ebenso im Bereich der unmittelbaren Titelgeltung greift,191 Grenzen gesetzt. Seine Beachtung verlangt – wie bei der EuGVVO192 –, dass nur diejenigen materiellen Einwendungen im Zweitland vorgebracht werden können, die durch die Rechtskraft nicht in zeitlicher und sachlicher Hinsicht präkludiert sind.193 Für die Europäisierten Titel, die nach nationalem Verfahrensrecht zustande kommen, richtet sich die Reichweite der Präklusion nach dem nationalen Prozessrecht des Ursprungslandes.194 Für die Europäischen Titel, bei denen das Erkenntnisverfahren selbst europarechtlich geregelt ist, müssen insofern eigene Maßstäbe gelten, die später im Rahmen der Anerkennung noch zu behandeln sein werden.195 Eine andere Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist die nach den Regeln für die Anerkennung der Rechtskraft Gemeinschaftsweiter Titel: Greift sie automatisch durch die gemeinschaftsweite Titulierung oder sind die Anerkennungsvoraussetzungen von EuGVVO oder anderen Regelwerken zu beachten? Auch dies wird Gegenstand späterer Untersuchungen sein.196
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Soweit Gemeinschaftsweite Titel im Ursprungsland noch nicht rechtskräftig sind, hängt der Kreis der im Zweitland statthaften Einwendungen von 191
Art. 21 II EuVTVO, Art. 22 III EuMVVO, Art. 22 II EuGFVO, Art. 26 EuEheVO (der wohl auch für die Titel i. S. v. Art. 40–45 EuEheVO gilt) u. Art. 42 EuUnthVO. 192 Vgl. Rn. 929. 193 Ebenso Zöller/Geimer, 27. Aufl. 2009, § 1086 ZPO Rn. 3; Yessiou-Faltsi, RHDI 61 (2008), S. 735 (749 f.); Heringer, Europäischer Vollstreckungstitel, 2007, S. 144 f.; Schack, IZVR, 5. Aufl. 2010, Rn. 1058; Coester-Waltjen, JURA 2005, S. 394 (397); Jennissen, InVo 2006, S. 263 (270); Röthel/Sparmann, WM 2006, S. 2285 (2292); Rellermeyer, Rpfleger 2005, S. 389 (403); Luckey, ZGS 2005, S. 420 (423); Yessiou-Faltsi, in: Gottwald (Hrsg.), Justizielle Zusammenarbeit, 2004, S. 213 (243). Ähnlich Jayme/Kohler, IPRax 2005, S. 481 (486), die allerdings davon ausgehen, dass die Vollstreckungsgegenklage schon gar nicht den Titel beseitige, sondern ihm nur die Vollstreckbarkeit nehme. Freilich trifft diese dogmatische Feinheit nur auf die Vollstreckungsgegenklage zu und vermag zu einer europaweit einheitlichen Lösung des Problems daher nichts beizutragen. 194 Vgl. hierzu unten Rn. 1349 f. 195 s. hierzu unten Rn. 1361–1361. 196 Vgl. hierzu unter Rn. 1300–1346.
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den Rechtsbehelfsmöglichkeiten im Ursprungsland ab. Soweit Einwendungen dort noch geltend gemacht werden können, muss ihnen im Zweitland die gerichtliche Überprüfung versagt werden. Der Schuldner ist insoweit auf das Rechtsbehelfssystem des Ursprungslandes verwiesen, wird aber durch Aussetzungs- und Beschränkungsmöglichkeiten sowie ggf. begrenzte Vollstreckungsbefugnisse und Gläubigersicherheiten geschützt, wie zuvor in § 12 B behandelt wurde.197 Inwieweit materielle Einwendungen ins Ursprungsland verwiesen sind, richtet sich für die von EuGFVO, EuVTVO bzw. Art. 17–22 EuUnthVO und Art. 40–45 EuEheVO erfassten Titel nach dem autonomen Recht des Ursprungsmitgliedstaates, da dies die möglichen Rechtsmittel vorgibt. Bei der EuMVVO stellt sich das Problem nicht, da Europäische Zahlungsbefehle stets erst dann gemeinschaftsweit vollstreckbar sind, wenn sie in Rechtskraft erwachsen sind.198
D. Methoden und Grenzen der Zwangsanwendung bei der Vollstreckung aus Gemeinschaftsweiten Titeln In Parallele zu § 11 ist an dieser Stelle zu untersuchen, welche Modalitä- 1278 ten für die Zwangsanwendung aus Gemeinschaftsweiten Titeln gelten. Es geht hierbei einerseits um die Frage, welche Vollstreckungsvoraussetzungen und -hindernisse im Zweitland greifen, andererseits um die dort anwendbaren Vollstreckungsmethoden. Diese beiden Aspekte unterliegen bei der Vollstreckung von nach der EuGVVO exequierten Titeln – wie sich gezeigt hatte – ausschließlich der lex fori executionis.199 Inwieweit sich diese Ergebnisse auch auf die gemeinschaftsweite Titelgeltung übertragen lassen, ist fraglich. Es kommt insbesondere darauf an, wie sich in der Vollstreckungsphase der Umstand auswirkt, dass es sich um einen unmittelbar vollstreckbaren Titel handelt, der nicht mit einem zweitstaatlichen Exequatur versehen ist (Strukturmerkmal 1). Hinsichtlich Auswahl und Ablauf der Vollstreckungsmethoden ist auch 1279 das zur EuGVVO gefundene Ergebnis vorliegend gültig, weil Prämisse 1 und Prämisse 2 uneingeschränkt anwendbar sind200: Auswahl und Ausgestaltung der Vollstreckungsmethoden werden ausschließlich vom Recht des Vollstreckungslandes vorgegeben, denn hierbei handelt es sich um originär vollstreckungsrechtliche Aspekte, hinsichtlich derer nach der Gleichstellung zu verfahren ist. Für weitere Einzelheiten sei auf § 11 verwiesen.201 197
s. Rn. 1194–1227. s. Rn. 1226 f. 199 s. Rn. 1023–1035 (Vollstreckungshindernisse), 1036–1087 (Vollstreckungsmethoden). 200 s. Rn. 1187 (Prämisse 1) u. 1188 (Prämisse 2). 198
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Fraglich ist aber, welche Grenzen und Voraussetzungen bei der Durchsetzung Gemeinschaftsweiter Titel im Zweitstaat gelten. Zu untersuchen ist einerseits, ob internrechtliche Zwischenverfahren vor Vollstreckungsbeginn weiter anwendbar sind [I.]. Fraglich ist andererseits die Handhabung von im zweitstaatlichen Recht vorgesehenen Vollstreckungsvoraussetzungen [II.] und Vollstreckungshindernissen [III.]. I. Fortgeltung von Zwischenverfahren vor Vollstreckungszugriff
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Bei der Vollziehung Gemeinschaftsweiter Titel stellt sich die Frage, ob und inwieweit Zwischenverfahren nach dem zweitstaatlichen Vollstreckungsrecht anwendbar bleiben. Alle zuvor verglichenen Rechtsordnungen erfordern vor Anspruchsdurchsetzung die Erteilung einer Vollstreckungsklausel oder einer vergleichbaren -genehmigung.202 Allerdings schließt die automatische Vollstreckbarkeitserweiterung (Strukturmerkmal 1) obligatorische zweitstaatliche Zwischenverfahren aus, wie auch die Kommission zu ihrem EuVTVO-Entwurf erklärte: „Einer der Hauptvorzüge [. . .] gegenüber dem Exequaturverfahren [. . .] besteht darin, dass [. . .] im Vollstreckungsmitgliedstaat kein anderes Gericht oder keine andere Behörde eingeschaltet zu werden braucht.“203 Jedes zusätzliche Verfahren ermöglichte dem Schuldner Rechtsbehelfe einzulegen und die Vollstreckung zu verzögern.204 Wegen der europarechtlichen Pflicht zur Vollstreckung könnte der Zweitstaat ohnehin die Genehmigung hierzu nicht verweigern. Gemeinschaftsweite Titel müssen daher in Deutschland ohne Vollstreckungsklausel auskommen205, in Frankreich ohne formule exécutoire und in England ohne Siegelung oder Eintragung206.
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Fraglich ist allerdings die Handhabung von spezifischen Vollstreckungsgenehmigungen, die ausschließlich Voraussetzung einzelner Zwangsmittel sind. So muss etwa in England der Zugriff auf bewegliche Sachen gerichtlich genehmigt werden (writ of fieri facias bzw. warrant of execution).207 Trotz automatischer Erweiterung der Vollstreckbarkeit bleibt es aber bei der 201
Vgl. Rn. 1036 ff. und insbes. die Ergebnisse in Rn. 1082–1087. Vgl. hierzu oben Rn. 698–710. 203 Vgl. KOM(2002) 159 endg., Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen, v. 18.04.2002 (S. 7), verfügbar unter http://eur-lex.europa.eu/de/editorial/registre.htm. 204 Bittmann, Klauselerteilungsverfahren, 2008, S. 157 zur EuVTVO. 205 So bereits klargestellt in § 1082 ZPO (für EuVTVO), § 1107 ZPO (für EuGFVO), § 1093 ZPO (für EuMVVO). Für Titel i. S. v. Art. 40–45 EuEheVO ergibt sich dies aus § 16 I IntFamRVG. 206 Vgl. r. 74.31(1) CPR (für EuVTVO), r. 78.9(1) CPR (für EuMVVO) u. r. 78.20(1) CPR (für EuGFVO). 202
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Maßgeblichkeit der lex fori executionis. Deren Reichweite wird im Kommissionsentwurf zur EuMVVO deutlich: „Die formalrechtlichen Voraussetzungen für die Vollstreckbarkeit und die Bedingungen für eine Aussetzung oder Beschränkung [. . .] richten sich [. . .] nach innerstaatlichem Recht.“208 Auch stellen Art. 20 I S. 2 EuVTVO, Art. 21 I S. 2 EuMVVO, Art. 21 I S. 2 EuGFVO, Art. 47 II S. 1 EuEheVO und 41 I S. 2 EuUnthVO ausdrücklich klar, dass Gemeinschaftsweite Titel im Zweitland „unter den gleichen Bedingungen“ vollstreckt werden, wie vor Ort ergangene Entscheidungen. Es gilt daher Prämisse 3 auch im Bereich der gemeinschaftsweiten Vollstreckbarkeit.209 Aus diesem Grunde gehören Vollstreckungsgenehmigungen, die nur für einzelne Zwangsmittel erforderlich sind, zum Bereich des Vollstreckungsverfahrens, der weiterhin der lex fori executionis unterliegt.210 Dem Gläubiger bleibt dieser Zwischenschritt genauso wenig erspart, wie ein zweitstaatliches gerichtliches Verfahren, in dem sich die eigentliche Vollstreckung abspielt. So werden weiterhin Versteigerungs-, Pfändungs- oder Überweisungsbeschlüsse nur im Antragsverfahren vom Vollstreckungsgericht erlassen. Im Ergebnis gilt, dass Zwischenverfahren vor Vollstreckungszugriff nur 1283 dann mit der unmittelbaren Titelgeltung unvereinbar sind, wenn ohne sie nicht einmal abstrakt eine Beitreibung möglich wäre. Soweit es sich hingegen nur um die Genehmigung einzelner Zwangsmittel handelt, gelten sie weiterhin. II. Handhabung besonderer Vollstreckungsvoraussetzungen Der Entfall einer zweistaatlichen Klausel kann Schwierigkeiten mit sich 1284 bringen, wenn diese nicht nur eine formale Funktion erfüllt, sondern zu ihrer Erteilung auch Vollstreckungsvoraussetzungen geprüft würden. Es ist etwa an Titel zu denken, die nur bei Eintritt einer vom Gläubiger zu beweisenden Tatsache durchsetzbar sind. Dies kann zwar nicht bei Gemeinschaftsweiten Titeln nach der EuVTVO und EuMVVO vorkommen211, 207 Vgl. Rn. 946. Nach den englischen Anpassungsregelungen gilt dies auch im Anwendungsbereich unmittelbarer Titelgeltung, vgl. r. 74.31(1) CPR (für EuVTVO), r. 78.9(1) CPR (für EuMVVO) u. r. 78.20(1) CPR (für EuGFVO); sowie Marston, LS Gaz 2006, S. 28 (30). 208 Vgl. KOM(2004) 173 final/3, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens, v. 25.05.2004 (S. 15). 209 s. Rn. 1189–1192. 210 Yessiou-Faltsi, RHDI 61 (2008), S. 735 (747). 211 Denn diese Verordnungen gestatten eine gemeinschaftsweite Titulierung nur bei Fälligkeit, vgl. Art. 4 Nr. 2 EuVTVO, Art. 4 EuMVVO.
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wohl aber bei solchen im Anwendungsbereich der Art. 17–22 EuUnthVO und der EuGFVO. Für bedingte Titel normiert § 726 I ZPO in Deutschland das Erfordernis einer titelergänzenden Klausel. Im Vollstreckungsverfahren selbst kann nur geprüft werden, ob die Leistung fällig ist (§ 751 I ZPO), Sicherheits- oder Gegenleistung erbracht bzw. angeboten wurde (§§ 751 II, 756 ZPO). Wird nun die Vollstreckungsklausel durch einen Auszug bzw. eine Bestätigung aus dem Ausland ersetzt, droht eine Durchsetzung, bei der judizierte Bedingungen des Anspruchs ungeprüft bleiben. Selbst wenn im Formblatt eine entsprechende Bedingung vermerkt wäre, würde ein deutscher Gerichtsvollzieher hiernach nicht fragen, weil er sie zu prüfen nicht gewohnt ist. Auch wären Vollstreckungsorgane in Ländern ohne Zug-umZug-Verurteilung mit der Durchsetzung derartiger Titel überfordert.212 Das gleiche Problem kann sich ergeben, wenn der Titel nur gegen Sicherheitsleistung vollstreckbar ist, im Vollstreckungsland aber die Stellung der Sicherheit nicht von den Vollstreckungsstellen geprüft wird. 1285
Zur sachgerechten Handhabung der Vollstreckungsvoraussetzungen sind zwei Wege gangbar: Einerseits könnte im Vollstreckungsland eine Art Klauselerteilung beibehalten werden.213 Andererseits könnten Bedingungen an eine Vollstreckung gleich im Ursprungsland mitgeprüft werden.214 Gegen letzteres spricht, dass damit zusätzliche Voraussetzungen für eine Bestätigung aufgestellt werden, die so in den europarechtlichen Regelungen nicht vorgesehen sind.215 Dennoch erscheint es sachgerechter, insbesondere die für bestimmte Anspruchsarten bzw. Fallgestaltungen spezifischen Vollstreckungsvoraussetzungen in das Ursprungsland zu verlagern. Nicht nur reduziert dies das Risiko, dass Vollstreckungsvoraussetzungen ungeprüft bleiben. Vielmehr entspricht es auch am ehesten dem Grundgedanken gemeinschaftsweiter Vollstreckbarkeit, dass der Titel im Ursprungsland geschaffen und im Zweitland ohne weitere Prüfungen nur noch durchgesetzt werden soll. Wie sich soeben gezeigt hatte, sind sämtliche formellen Zwischenverfahren im Zweitstaat vor Vollstreckungsbeginn verdrängt. Es bleibt daher nichts anderes übrig, als die Voraussetzungen, die von den Vollstreckungs212 Vgl. Wagner, IPRax 2002, S. 75 (76 Fn. 17): Nicht alle Mitgliedstaaten kennen eine Zug-um-Zug-Verurteilung. 213 So zur lex lata Bittmann, Klauselerteilungsverfahren, 2008, S. 163, der aber dafür plädiert, de lege ferenda solle die Möglichkeit geschaffen werden, dass die zweitstaatlichen Vollstreckungsorgane selbst auch die Voraussetzungen prüfen können, die sonst der klauselerteilenden Stelle vorbehalten sind. 214 Für den Bereich der EuVTVO vorgeschlagen von Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. II/Pabst, 2010, Art. 6 EuVTVO Rn. 15; Rellermeyer, Rpfleger 2005, S. 389 (399); Heringer, Europäischer Vollstreckungstitel, 2007, S. 123 f. Demnach kann die Bestätigung nach Art. 6 EuVTVO unter denselben Voraussetzungen wie die Vollstreckungsklausel erteilt werden. 215 Bittmann, Klauselerteilungsverfahren, 2008, S. 113.
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stellen des Zweitlandes nicht berücksichtigt werden können, im Ursprungsland zu prüfen. Für den hier favorisierten Ansatz, die konkreten Vollstreckungsvorausset- 1286 zungen im Ursprungsland zu prüfen, spricht auch Art. 18 II EuMVVO. Nach dieser Vorschrift „richten sich die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung für die Vollstreckbarkeit nach den Rechtsvorschriften des Ursprungsmitgliedstaates“. Nachdem der erste Absatz von Art. 18 EuMVVO die Voraussetzungen regelt, unter denen das Gericht des Ursprungsmitgliedstaates einen Europäischen Zahlungsbefehl für vollstreckbar erklären kann, dürfte sich der wiedergegebene zweite Absatz ebenfalls darauf beziehen, was das Ursprungsgericht vor Erteilung der Vollstreckbarkeit zu prüfen hat. Hierfür spricht auch die etwas umständliche Formulierung von Art. 18 II EuMVVO, die nur Sinn macht, wenn mit „Vollstreckbarkeit“ die gemeinschaftsweite Vollstreckbarkeit gemeint ist. Dann könnte „Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung“ im Sinne der Vorschrift die sonstigen Bedingungen einer zwangsweisen Beitreibung meinen, die gem. Art. 18 II EuMVVO dann dem Recht des Ursprungslandes unterliegen. Gleichzeitig lässt sich dieser Vorgabe entnehmen, dass das Ursprungsgericht die Voraussetzungen für die Vollstreckbarkeit selbst zu prüfen hat, denn Art. 18 EuMVVO befasst sich insgesamt nur mit der Vollstreckbarerklärung durch das Ursprungsgericht. Im Ergebnis scheint es insgesamt besser in das System der gemein- 1287 schaftsweiten Vollstreckbarkeit zu passen, bereits de lege lata Bedingungen der Vollstreckung schon im Ursprungsland zu prüfen und erst dann den Titel an die Vollstreckungsstellen des Zweitlandes zu übergeben. Forderungen, die Zug-um-Zug zu erfüllen sind, sollten nur dann europaweit tituliert werden, wenn bereits im Ursprungsland nachgewiesen wurde, dass der Gläubiger die Gegenleistung erbracht hat.216 Hierfür spricht auch der Umstand, dass nach den Vorgaben der Verordnungen die Vollstreckungsstellen des Zweitlandes keinerlei Informationen über eine eventuelle Bedingtheit des Anspruchs erhalten: Gem. Art. 21 II EuMVVO ist im Vollstreckungsstaat lediglich der Europäische Zahlungsbefehl, ausgestellt auf Formblatt E nach Anhang V der Verordnung, zusammen mit der Vollstreckbarerklärung entsprechend Formblatt G nach Anhang VII vorzulegen.217 In diese Formblätter können keinerlei Angaben zu Bedingungen des Anspruchs oder Einzelfallumstände eingetragen werden. Das Gleiche ergibt sich bei der Vollstre216
So auch Franzmann, MittBayNot 2005, S. 470 (472) für die EuVTVO. Art. 21 II lit.a EuMVVO spricht zwar nur von einer „Ausfertigung“ des „für vollstreckbar erklärten Europäischen Zahlungsbefehls“. Die Vollstreckbarerklärung i. S. v. Formblatt G gilt aber nur zusammen mit dem auf Formblatt E ausgestellten Zahlungsbefehl. Dies lässt sich aus einem Hinweis am Ende des Formblattes G entnehmen, wonach der Zahlungsbefehl der Vollstreckbarerklärung beizufügen ist. 217
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ckung eines Bagatellurteils, für die im Zweitland gem. Art. 21 II EuGFVO eine Entscheidungsausfertigung und eine Bestätigung auf dem Formblatt D nach Anhang IV der Verordnung vorzulegen sind. Auch in diesem Formblatt sind keine Angaben über eventuelle Bedingungen der Vollstreckbarkeit vorgesehen. Zwar erhält die Stelle des Zweitstaates eine Ausfertigung des Bagatellurteils. Eine Übersetzung ist gleichwohl nicht vorgeschrieben, so dass im Vollstreckungsland in der Regel der Titelinhalt nur der Bestätigung entnommen werden kann. 1288
Genauso stellt sich die Lage in der EuVTVO dar: Nach Art. 20 II sind im Zweitland die Bestätigung auf dem Formblatt in Anhang I und eine Entscheidungsausfertigung vorzulegen, allerdings muss nur die Bestätigung in die Sprache am Vollstreckungsort übersetzt werden. In dieser sind aber keine Angaben über Bedingungen des Anspruchs vorgesehen. Auch für die Beitreibung von Entscheidungen i. S. v. Art. 40–45 EuEheVO müssen lediglich die Bescheinigungen nach Anhang III (für Titel i. S. v. Art. 40 I lit.a) bzw. Anhang IV (für Titel i. S. v. Art. 40 I lit.b) übersetzt werden, vgl. Art. 45 II EuEheVO. Auch diese Formblätter sehen allerdings keine Angaben über Bedingungen des Anspruchs vor. Etwas anderes gilt nur für die EuUnthVO, in deren Formblatt für den Entscheidungsauszug in Ptk. 5.2.1.8, 5.2.2.8 bzw. 5.2.3.8 besondere Voraussetzungen einer Anspruchsdurchsetzung eingetragen werden können.218
1289
Von der EuUnthVO abgesehen gehen die Verordnungsvorgaben also nicht davon aus, dass Bedingungen einer Vollstreckung von einer Stelle des Zweitlandes geprüft werden. Schließlich wird über die vorzulegenden Schriftstücke eine entsprechende Information nicht ins Zweitland übermittelt. Die Vollstreckungsstellen sind also gar nicht zu einer Berücksichtigung in der Lage. Aus diesem Grund kann auch die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung für und gegen eine andere als die im Titel selbst bezeichnete Person sinnvollerweise nur im Ursprungsland erfolgen. De lege ferenda wäre diesbezüglich aber eine Klarstellung wünschenswert.
1290
Sonstige rein formelle Aspekte der Beitreibung, die nicht Bestand und Inhalt des Titels betreffen, sind originär dem Vollstreckungsverfahren zuzuordnen und unterliegen dem Recht des Vollstreckungslandes.219 Bei einer Vollstreckung in Deutschland ist etwa § 750 ZPO anzuwenden, wobei sich aber das Erfordernis namentlicher Bezeichnung von Gläubiger und Schuldner nicht auf die ausländische Ursprungsentscheidung bezieht, sondern auf 218 Das Formblatt ist in Anhang I der EuUnthVO abgedruckt. Auch hier sind im Zweitland grundsätzlich lediglich eine Entscheidungsausfertigung und der Entscheidungsauszug vorzulegen, wobei nur letzterer ggf. übersetzt werden muss, vgl. Art. 20 I, II EuUnthVO. 219 Vgl. Röthel/Sparmann, WM 2006, S. 2285 (2287).
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die Bestätigung bzw. das Formblatt.220 Außerdem gilt auch das Zustellungserfordernis von § 750 I ZPO.221 Wegen des Entfalls des zweitstaatlichen Exequaturs ist eine Anpassung des Titels an zweitstaatliche Bestimmtheitsanforderungen zwar nicht mehr möglich. Dies stößt aber nicht auf Schwierigkeiten, weil durch EuVTVO, EuMVVO, EuGFVO, EuEheVO und EuUnthVO Formulare eingeführt wurden mit detaillierten Angaben über den Inhalt des ausländischen Titels.222 III. Das für die Vollstreckungsschranken maßgebliche Recht Bei der Vollstreckung Gemeinschaftsweiter Titel im Zweitland ist frag- 1291 lich, welchem Recht die allgemeinen und konkreten Vollstreckungshindernisse zu entnehmen sind. Hiermit sind beispielsweise die Vollstreckungsschranken hinsichtlich bestimmter Anspruchsinhalte gemeint, die allerdings momentan im Rahmen der unmittelbaren Titelgeltung noch eher selten sind, weil diese im Wesentlichen nur Geldleistungsansprüche erfasst, während Vollstreckungsschranken insbesondere im Bereich der Nichtgeldleistungsurteile eine Rolle spielen.223 Die hier zu untersuchende Frage stellt sich daher vor allem für die allgemeinen Vollstreckungshindernisse, wie etwa das der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Im Rahmen der EuGVVO gilt, dass lediglich die abstrakte Vollstreckbar- 1292 keit vom Recht des Ursprungsstaates vorgegeben wird, während sich die konkrete Durchsetzbarkeit, d.h. insbesondere die Vollstreckungshindernisse und -beschränkungen, nach dem Recht des Vollstreckungsstaates richten.224 Diese Aufteilung ist einerseits dem Respekt vor der zweitstaatlichen Rechtsordnung geschuldet, ergab sich andererseits aus der andernfalls drohenden Häufung von Vollstreckungsbeschränkungen. Eine „hinkende Durch220 Zöller/Geimer, 27. Aufl. 2009, § 1082 ZPO Rn. 3 (für EuVTVO), § 1093 ZPO Rn. 3 (für EuMVVO), § 1107 ZPO Rn. 2 (für EuGFVO). 221 Rellermeyer, Rpfleger 2005, S. 389 (402). Für die EuVTVO besagt dies auch § 1080 I S. 2 ZPO. Allerdings erfordert § 750 I ZPO in aller Regel nur die Zustellung der Entscheidung, nicht auch der Klausel. Daher soll das Zustellungserfordernis von § 1080 I S. 2 ZPO bezüglich der Bestätigung auch dann gewahrt sein, wenn diese gleichzeitig mit dem Beginn der Vollstreckung zugestellt wird, vgl. Strasser, Rpfleger 2007, S. 249 (251). 222 Hess/Bittmann, IPRax 2008, S. 305 (309). Anders Seidl, Bestimmtheitsgrundsatz, 2010, S. 234–258: Titel im Anwendungsbereich von Art. 40–45 EuEheVO, Art. 17–22 EuUnthVO, der EuMVVO und – mit Einschränkungen – der EuVTVO seien im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz unproblematisch; anders sei dies für Titel im Anwendungsbereich der EuGFVO. 223 Zu denken ist etwa an § 888 III ZPO und § 120 III FamFG im deutschen Recht. 224 Vgl. Rn. 1025–1027, 1032.
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Teil IV: Die Wirkungen unmittelbarer Titelgeltung
setzbarkeit“ des Titels ist daher im Bereich der EuGVVO hinzunehmen. Fraglich ist, ob dies auch im Rahmen der unmittelbaren Titelgeltung fortgilt. 1293
Bevor diesbezüglich die Prämissen 1 bis 3 ausgewertet werden, sind die ausdrücklichen Bestimmungen der Verordnungen daraufhin zu befragen, ob sich ihnen ein Hinweis auf die Behandlung der Vollstreckungshindernisse und -schranken entnehmen lässt. Insoweit könnte allenfalls Art. 21 I EuUnthVO herangezogen werden, nach dem allgemein die im Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates vorgesehenen Gründe für die Verweigerung oder Aussetzung der Vollstreckung auch gegenüber den unmittelbar vollstreckbaren Unterhaltstiteln i. S. v. Art. 17–22 EuUnthVO anwendbar sind, soweit nicht mit den verordnungseigenen Regelungen zur Aussetzung oder Verweigerung der Vollstreckbarkeit unvereinbar. Wegen seiner weiten Formulierung und seiner Entstehungsgeschichte, ist Art. 21 I EuUnthVO als großzügiger Verweis auf die im zweitstaatlichen Vollstreckungsrecht vorgesehenen Aussetzungs- und Beschränkungsmöglichkeiten zu werten.225
1294
Fraglich ist aber, ob hieraus auch auf eine grundsätzliche Anwendbarkeit der Vollstreckungshindernisse und -schranken im zweitstaatlichen Vollstreckungsrecht geschlossen werden kann. Hierfür ließe sich eine gewisse Vergleichbarkeit anführen zwischen den von Art. 21 I EuUnthVO erfassten Fällen nachträglicher Aussetzung und den von Anfang an bestehenden Vollstreckungsschranken. Aus Sicht des Gläubigers macht es keinen großen Unterschied, ob die Vollstreckung ex lege nicht erfolgen kann oder erst aufgrund Schuldnerantrags verweigert wird. Interessant ist auch die Aussage in ErwG. 30 EuUnthVO, nach der jedenfalls die zweitstaatlichen Pfändungsschutzbestimmungen anwendbar bleiben. Diesen sind die Vollstreckungshindernisse und -schranken zumindest ähnlich. Insgesamt lassen sich also Andeutungen dafür finden, dass gegenüber den Titeln i. S. v. Art. 17–22 EuUnthVO die zweitstaatlichen Vollstreckungshindernisse und -schranken anwendbar sind. Keinerlei Lösungshinweise hierzu ergeben sich aber aus den anderen Verordnungen zur gemeinschaftsweiten Titelgeltung.
1295
Da sich also aus den geschriebenen Regelungen nicht eindeutig entnehmen lässt, ob die im Recht des Vollstreckungsmitgliedslandes vorgesehenen Schranken der Vollstreckung auch gegenüber Gemeinschaftsweiten Titeln gelten, kann das in § 11 aus den Prämissen 1 bis 3 entwickelte Ergebnis vorliegend herangezogen werden: Nicht nur die durch Prämisse 3 gebotene und in den Verordnungen ausdrücklich festgeschriebene226 Gleichbehandlung Gemeinschaftsweiter mit inländischen Titeln spricht dafür, dass sich 225
s. Rn. 1215, 1242 f. Art. 20 I S. 2 EuVTVO, 21 I S. 2 EuMVVO, 21 I S. 2 EuGFVO, 47 II S. 1 EuEheVO u. 41 I S. 2 EuUnthVO. 226
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die konkreten Vollstreckungshindernisse ausschließlich nach dem Recht des Vollstreckungsstaates beurteilen.227 Auch erfordert der Sinn und Zweck der unmittelbaren Vollstreckbarkeit nicht, dass die zweitstaatlichen Vollstreckungshindernisse verdrängt werden, denn diese soll gerade nicht zu einer Privilegierung gegenüber inländischen Titeln führen.228 Ferner wäre es nur schwer durchführbar, wenn die zweitstaatlichen Stellen ausländische Vollstreckungsbeschränkungen zu beachten hätten. Und schließlich erfordern die Gründe, die allgemein für die Geltung der lex fori executionis sprechen, insbesondere auch die Geltung der im Zweitstaat vorgesehenen Grenzen für die inländische Vollstreckungsgewalt. Wie sich bereits gezeigt hatte, ist der Vollstreckungsmitgliedstaat gegenüber dem Vollstreckungsschuldner zu einem verfassungskonformen Verhalten verpflichtet.229 Daher muss es ihm auch überlassen bleiben, die Reichweite seiner staatlichen Zwangsgewalt abzustecken. Somit gilt auch im Bereich der unmittelbaren Titelgeltung, dass der Voll- 1296 streckungsmitgliedstaat die Vollstreckungshindernisse und -schranken nach seinem eigenen Recht beachtet. Wenn der Vollstreckung im Ursprungsmitgliedstaat konkrete Hindernisse entgegenstehen, hindert dies umgekehrt die Vollstreckung im Zweitland folglich nicht. Umgekehrt gelten aber die Vollstreckungsschranken des Zweitlandes auch gegenüber den Gemeinschaftsweiten Titeln. Problematisch ist die Handhabung von Höchstleistungsfristen, nach deren 1297 Ablauf eine Vollstreckung nur nach erneuter gerichtlicher Genehmigung möglich ist. So ist in England nach sechs Jahren ein leave of execution erforderlich, in Frankreich bereits nach zwei Jahren eine gerichtliche Vollstreckungsgenehmigung.230 Fraglich ist, ob diese Regelungen im Zweitland auch gelten, wenn ein Gemeinschaftsweiter Titel zu vollstrecken ist. Die Höchstleistungsfristen scheinen mit der gemeinschaftsweiten Titelgeltung deshalb unvereinbar, weil eine nur auf Zeit bestehende, gemeinschaftsweite Vollstreckbarkeit in den EU-Verordnungen, selbst hätte geregelt sein müssen.231 Nachträgliche Genehmigungsverfahren wirken wie weitere Zwischenverfahren, die im Zweitland gerade ausgeschlossen bleiben sollen. Sie können daher nicht als verordnungskonform gelten. Genauso wenig ist denkbar, dass die Vollstreckbarkeit deswegen im Zweitland nach Ablauf 227 So zur EuVTVO: Coester-Waltjen, in: FS Beys, Bd. II, 2003, S. 183 (195); Rellermeyer, Rpfleger 2005, S. 389 (394); Heringer, Europäischer Vollstreckungstitel, 2007, S. 115. 228 s. Rn. 1190 f. 229 s. Rn. 673. 230 s. Rn. 705 (England), Rn. 707 (Frankreich). 231 Bittmann, Klauselerteilungsverfahren, 2008, S. 163 zur EuVTVO.
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Teil IV: Die Wirkungen unmittelbarer Titelgeltung
einer gewissen Zeit entfällt, weil im Ursprungsland eine Höchstfristenregelung gilt. 1298
Etwas anderes dürfte für Nachleistungsfristen gelten. Solche können in Frankreich ermessensabhängig angeordnet werden, betragen in England in der Regel 14 Tage.232 Da es sich hierbei um Vollstreckungsvoraussetzungen handelt, die wie eine Bedingung des Titels wirken, unterliegen sie – wie die übrigen Vollstreckungsvoraussetzungen233 – dem Recht des Ursprungslandes. Dort sind einzelstaatliche Voraussetzungen für die Entstehung der Vollstreckbarkeit aber nur insoweit anwendbar, wie sie mit den Regelungen der Verordnungen kompatibel sind. Dass erststaatliche Nachleistungsfristen in diesem Sinne kompatibel sind, ist unzweifelhaft, soweit es sich um gemeinschaftsweit europäisierte nationale Befugnisse handelt. Ein französischer Richter könnte also in einer Entscheidung, die als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden soll, eine Nachleistungsfrist festlegen. Allerdings könnte die Bestätigung erst ab Ablauf der Nachleistungsfrist erteilt werden. Handelt es sich demgegenüber um einen Fall europäischer gemeinschaftsweiter Befugnisse, sind Höchstleistungsfristen nur zulässig, wenn die Verordnungen keine gegenteiligen Vorgaben enthalten. Für Europäische Bagatellurteile dürfte eine Nachleistungsfrist durch Art. 15 I EuGFVO versperrt sein, weil dieser unmissverständlich regelt, dass Urteile ungeachtet eines möglichen Rechtsmittels vollstreckbar sind. Ein französischer Richter könnte daher keine Nachleistungsfrist in einen solchen Titel hineinschreiben.
232 233
s. Rn. 728 (England), Rn. 733 (Frankreich). s. Rn. 1284–1290.
§ 13 Die Wirkungen der Anerkennung Gemeinschaftsweiter Titel An dieser Stelle richtet sich der Blick auf die nicht vollstreckungsfähigen 1299 Wirkungen Gemeinschaftsweiter Titel. Unter welchen Voraussetzungen diese im Zweitland anerkannt werden, ist zunächst zu klären [A.]. Ausgehend hiervon ist zu erörtern, welches Recht den Inhalt der im Zweitland anerkannten Wirkungen vorgibt [B.]. Zum Schluss ist zu beleuchten, wie Gemeinschaftsweite Titel, die auf Abgabe einer Willenserklärung gerichtet sind, durch die Fiktion nach § 894 ZPO vollstreckt werden [C.].
A. Vorab: Anerkennungsvoraussetzungen für Gemeinschaftsweite Titel Fraglich ist, nach welchen Regeln im Bereich der unmittelbaren Titelgel- 1300 tung andere Wirkungen als die Vollstreckbarkeit ins Zweitland importiert werden. In Betracht käme, dass sich die gemeinschaftsweite Titelgeltung auch auf die anerkennungsfähigen Wirkungen bezieht, so dass letztere ebenfalls vorbehaltlos und automatisch im gesamten EU-Gebiet greifen.1 In Anlehnung an die unmittelbare Vollstreckbarkeit wäre dann von „unmittelbarer Anerkennungsfähigkeit“ zu sprechen. Diese begegnete keinen Versagungsgründen, da die Verordnungen ausschließlich Vollstreckungshindernisse für den Zweitstaat vorsehen, Anerkennungshindernisse jedoch nicht.2 Alternativ wäre denkbar, dass die Gemeinschaftsweiten Titel nach den Regeln der EuGVVO bzw. EuEheVO anerkennungsfähig sein müssen, um im Zweitland andere Wirkungen als die Vollstreckbarkeit entfalten zu können.3 1 So etwa Rauscher, Europäischer Vollstreckungstitel, 2004, Rn. 66; Gerling, Gleichstellung, 2006, S. 126–128 zur EuVTVO; Mankowski, in: FS Kropholler, 2008, S. 829 (836 f.) zur EuVTVO; Geimer, in: FS Georgiades, 2006, S. 489 (492 Fn. 8), wonach die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel auch eine Verpflichtung zur Anerkennung der sonstigen Urteilswirkungen in allen Mitgliedstaaten begründe; Yessiou-Faltsi, RHDI 61 (2008), S. 735 (750) zur EuVTVO; ebenso Rechberger, in: FS Leipold, 2009, S. 301 (304), wonach durch die EuVTVO außerdem die Wirkungserstreckung festgeschrieben sei; ebenso Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. IV/Andrae, 2010, Art. 17 EuUnthVO Rn. 1, 3. 2 Vollstreckungshindernisse können sich etwa aus Titelkollision (Art. 21 EuVTVO, Art. 22 I EuMVVO, Art. 22 I EuGFVO, Art. 21 II S. 2 EuUnthVO) und zwischenzeitlicher Erfüllung (Art. 22 II EuMVVO, Art. 21 I i. V. m. ErwG. 30 EuUnthVO) ergeben.
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1301
Teil IV: Die Wirkungen unmittelbarer Titelgeltung
Zur Entscheidung dieser Frage ist zunächst der Wortlaut der Vorschriften zur unmittelbaren Titelgeltung zu betrachten [I.], sodann deren ratio legis [II.]. Schließlich ist zu überlegen, ob der Sinn EU-weiter Titelgeltung verlangt, dass mit ihr bestimmte anerkennungsfähige Wirkungen mitgehen und daher zumindest teilweise eine automatische gemeinschaftsweite Anerkennungsfähigkeit greifen muss [III.]. I. Wortlauthinweise aus den Vorschriften von EuVTVO, EuGFVO, EuMVVO, EuUnthVO und EuEheVO zur Frage der Anerkennungsvoraussetzungen
1302
Sowohl Wortlaut [1.] und Gesetzgebungsmaterialien [2.] als auch Sinn und Zweck [3.] der neuen Titelverordnungen sind danach zu befragen, ob mit diesen eine unmittelbare Anerkennungsfähigkeit eingeführt wurde. 1. Die textliche Ausgangslage
1303
Zunächst sind die geschriebenen Regelungen zur unmittelbaren Titelgeltung nach Anhaltspunkten für die Anerkennungsvoraussetzungen auszuwerten. In erster Linie sind die EuVTVO, EuGFVO, EuMVVO und die Art. 40–45 EuEheVO zu betrachten [a)], sodann ist die EuUnthVO in den Blick zu nehmen [b)]. a) Vorgaben in der EuVTVO, EuGFVO, EuMVVO und in Art. 40–45 EuEheVO
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Übereinstimmend regeln die Art. 5 EuVTVO, 19 EuMVVO und 20 I EuGFVO für Europäische Vollstreckungstitel, Zahlungsbefehle und Bagatellurteile, dass diese in anderen Mitgliedstaaten „anerkannt und vollstreckt“ werden, ohne dass im Zweitstaat ein förmliches Verfahren durchlaufen werden muss und „ohne dass die Anerkennung angefochten werden kann“. Dieser Formulierung bediente sich der Gemeinschaftsgesetzgeber schon bei 3 So – allerdings zum Kommissions-Vorschlag für die EuVTVO – zuerst CoesterWaltjen, in: FS Beys, Bd. II, 2003, S. 183 (196–198); ebenso zur EuGFVO, EuVTVO, EuMVVO Freitag, in: FS Kropholler, 2008, S. 759 (765–768); zur EuVTVO Tsikrikas, ZZP Int. 11 (2006), S. 51 (64); zur EuVTVO ebenso Schlosser, EuZPR, 3. Aufl. 2009, Art. 11 EuVTVO Rn. 1; zur EuVTVO offenbar Pfeiffer, BauR 2005, S. 1541 (1549); zur EuVTVO Oberhammer, JBl. 2006, S. 477 (501 f.), der aber nicht alle Anerkennungsversagungsgründe der Art. 34 f. EuGVVO anwenden will. Ebenso im Grundsatz Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. II/Pabst, 2010, Art. 5 EuVTVO Rn. 4–9, insbes. 8: Nur im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens und sonstiger Verfahren, die in einem materiellen Zusammenhang mit dem Vollstreckungsverfahren stehen, richte sich die Anerkennung nach der EuVTVO.
§ 13 Die Wirkungen der Anerkennung Gemeinschaftsweiter Titel
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Art. 41 I und 42 I EuEheVO für die unmittelbar vollstreckbaren Entscheidungen i. S. v. Art. 40–45 EuEheVO. An diesen Vorschriften ist auffällig, dass sie jeweils ausdrücklich die Anerkennung neben der Vollstreckbarkeit nennen. Sie könnten daher so zu verstehen sein, dass Gemeinschaftsweite Titel im gesamten EU-Gebiet nicht nur automatisch und vorbehaltlos vollstreckbar sein sollen, sondern ihnen in derselben Weise auch eine gemeinschaftsweite Anerkennung zuteil werden soll. Gegen eine solche Interpretation spricht allerdings, dass die genannten 1305 Vorschriften zugleich klarstellen, dass die Anerkennung nicht angefochten werden kann. Die Anfechtung der Anerkennung auszuschließen, macht nur Sinn, wenn weiterhin überhaupt Anerkennungsvoraussetzungen gelten. Möglicherweise wollen die Art. 5 EuVTVO, 19 EuMVVO, 20 I EuGFVO sowie 41 I und 42 I EuEheVO daher lediglich klarstellen, dass sich der Schuldner der Vollstreckbarkeit nicht dadurch entziehen kann, dass er Anerkennungsversagungsgründe geltend macht. Für alle anderen Titelwirkungen träfen die Normen nach dieser Lesart hingegen keine Vorgaben zu den Anerkennungsvoraussetzungen. Gegen die Geltung einer allgemeinen Anerkennungsfähigkeit spricht auch 1306 Art. 11 EuVTVO. Nach diesem entfaltet die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel „Wirkungen nur im Rahmen der Vollstreckbarkeit der Entscheidung“ (Herv. d. Verf.). Dieselbe Formulierung findet sich im einige Jahre älteren Art. 44 EuEheVO für die Titel i. S. v. Art. 41, 42 EuEheVO. Die Aussage dieser beiden Vorschriften kann auch zur Auslegung der anderen – von denselben Prinzipien beherrschten – Verordnungen zur unmittelbaren Titelgeltung herangezogen werden.4 Sie spricht dagegen, dass mit der EU-weiten Titelgeltung eine allgemeine EU-weite Anerkennungsfähigkeit eingeführt wurde.5 Aus systematischer Sicht ist auffällig, dass die Anerkennung außerhalb 1307 von Art. 5 EuVTVO, 19 EuMVVO, 20 I EuGFVO und Art. 41 I, 42 I EuEheVO jeweils nicht in den Verordnungen erwähnt wird. Dieser Umstand erweckt zusätzliche Zweifel, ob der Gemeinschaftsgesetzgeber tatsächlich für Europäische Vollstreckungstitel, Zahlungsbefehle und Bagatellurteile sowie Titel i. S. v. Art. 40–45 EuEheVO eine automatische gemeinschaftsweite Anerkennungsfähigkeit einführen wollte. Schließlich wäre zu erwar4 Ebenso Freitag, in: FS Kropholler, 2008, S. 759 (766), der Art. 11 EuVTVO auch zur Auslegung von EuGFVO und EuMVVO heranzieht. Zu den gemeinsamen Strukturmerkmalen der neuen Titelverordnungen s. Rn. 1145–1181. 5 Schlosser, EuZPR, 3. Aufl. 2009, Art. 11 EuVTVO Rn. 1. A. A. Rauscher, Europäischer Vollstreckungstitel, 2004, Rn. 67, wonach durch Art. 11 EuVTVO nur klargestellt werde, dass sowohl für die Vollstreckbarkeit als auch für die Anerkennung die Wirkungserstreckungslehre gelte.
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Teil IV: Die Wirkungen unmittelbarer Titelgeltung
ten gewesen, dass gewisse weitere Fragen, die sich in Folge der Einführung einer automatischen Anerkennungsfähigkeit ergeben, einer Regelung zugeführt werden. So hätte etwa festgelegt werden müssen, wie die Geltendmachung einer anerkennungsfähigen Wirkung im Zweitland in formeller Hinsicht abläuft. Stattdessen ist nur für die Vollstreckung im Zweitland geregelt, welche Urkunden der Gläubiger dort vorzulegen hat.6 Dass weder insofern noch in anderer Hinsicht die Anerkennung durch die Verordnungen ausdrücklich geregelt wurde, bedeutet zwar noch nicht zwingend, dass nicht auch eine automatische Anerkennungsfähigkeit eingeführt wurde. Es ergeben sich hieran aber zumindest gewisse Zweifel. b) Vorgaben in der EuUnthVO 1308
Die Regelungen der EuUnthVO legen demgegenüber eindeutig fest, dass Unterhaltsentscheidungen, die Mitgliedstaaten entstammen, welche durch das HUntStProt 2007 gebunden sind, unmittelbar und automatisch gemeinschaftsweit anerkennungsfähig sind. In diesem Sinne ist Art. 17 I EuUnthVO zu verstehen, der – anders als die Art. 5 EuVTVO, 19 EuMVVO, 20 I EuGFVO und Art. 41 I, 42 I EuEheVO – die Anerkennung nicht in einem Atemzug mit der Vollstreckbarkeit nennt, sondern festlegt, dass eine Entscheidung „anerkannt [wird], ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf und ohne dass die Anerkennung angefochten werden kann“. Die unmittelbare Vollstreckbarkeit wird demgegenüber gesondert in Art. 17 II EuUnthVO adressiert. Dies wäre im Übrigen auch nach dem EuGVVO-E 2010 der Fall. Dessen Art. 38 I würde die Anerkennung regeln, Art. 38 II die Vollstreckbarkeit betreffen. Anders als die EuUnthVO sähe der EuGVVO-E 2010 allerdings in Art. 46 einen Rechtsbehelf vor, mit dem die Verweigerung der Anerkennung beantragt werden könnte, wenn ihr wesentliche Grundsätze des Zweitlandes entgegenstehen.
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Für die Einführung einer allgemeinen automatischen Anerkennungsfähigkeit durch Art. 17 I EuUnthVO spricht auch, dass – anders als die übrigen Titelverordnungen – die Unterhaltsverordnung für alle von ihr erfassten Entscheidungen auch die Anerkennung regelt: Art. 23–25 EuUnthVO geben für Entscheidungen, die nicht aus einem durch das HUntStProt 2007 gebundenen Mitgliedstaat stammen, Voraussetzungen und verfahrensrechtliche Aspekte der Anerkennung vor. Da die EuUnthVO zumindest hinsichtlich der Vollstreckbarkeit gleichermaßen für Entscheidungen aus Mitgliedstaaten gilt, die durch das HUntStProt 2007 gebunden sind, kann davon ausgegan6 Art. 20 II EuVTVO, Art. 21 II EuMVVO, Art. 21 II EuGFVO u. Art. 45 EuEheVO.
§ 13 Die Wirkungen der Anerkennung Gemeinschaftsweiter Titel
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gen werden, dass sie auch für diese die Anerkennung regelt. Es wäre schließlich kaum verständlich, warum die Verordnung für alle Unterhaltsentscheidungen die Frage deren Vollstreckbarkeit im Zweitland regelt, die Anerkennung hingegen nur für Entscheidungen aus bestimmten EU-Mitgliedstaaten. Daher ist für sämtliche Unterhaltsentscheidungen aus EU-Mitgliedstaaten ein Rückgriff auf die EuGVVO versperrt. Nach ihrem Art. 68 I ersetzt die EuUnthVO die EuGVVO, soweit sich deren sachlicher Anwendungsbereich deckt. Diese Formulierung ist so zu verstehen, dass die EuGVVO im zeitlichen und sachlichen Anwendungsbereich der EuUnthVO nicht anwendbar ist.7 Da die EuUnthVO auch für Unterhaltsentscheidungen aus Mitgliedstaaten, die nicht durch das HUntStProt 2007 gebunden sind, die Anerkennung regelt (Art. 17 I EuUnthVO), ist auch die EuGVVO auf sie nicht anwendbar. Auch an Art. 22 EuUnthVO lässt sich erkennen, dass für Entscheidungen 1310 aus durch das HUntStProt 2007 gebundenen Mitgliedstaaten eine allgemeine und automatische Anerkennungsfähigkeit gilt. Nach dieser Vorschrift, die aufgrund ihrer systematischen Stellung ausschließlich derartige Entscheidungen betrifft, bewirkt die „Anerkennung und Vollstreckung einer Unterhaltsentscheidung [. . .] in keiner Weise die Anerkennung von Familien-, Verwandtschafts-, oder eherechtlichen Verhältnissen oder Schwägerschaft, die der Unterhaltspflicht zugrunde liegen . . .“ Damit wird klargestellt, dass sich die Anerkennung nicht auf das der Unterhaltsentscheidung zugrunde liegende Familienverhältnis bezieht.8 Aus dieser Regelung kann zugleich der Umkehrschluss gezogen werden, dass Titelwirkungen, soweit sie den Bestand des eigentlichen Unterhaltsanspruchs betreffen, durchaus automatisch gemeinschaftsweit anerkannt werden. Dass die automatisch gemeinschaftsweit vollstreckbaren Unterhaltsent- 1311 scheidungen im Anwendungsbereich der Art. 17–22 EuUnthVO auch automatisch anerkennungsfähig sind, wird schließlich durch die Bestimmung des Art. 40 EuUnthVO bestätigt. Dieser regelt nämlich auch für die Entscheidungen i. S. v. Art. 17 I EuUnthVO, welche Urkunden der Titelgläubiger im Zweitland vorzulegen hat, um dort eine automatisch anerkennungsfähige Titelwirkung geltend zu machen. Genau eine solche Regelung vermisst man in EuVTVO, EuMVVO, EuGFVO und Art. 40–45 EuEheVO.9 Demgegenüber würde auch der EuGVVO-E 2010 in seinem Art. 39 regeln, wie eine Partei im Ausland die automatisch anerkannten Titelwirkungen geltend machen kann. Sie hätte zunächst nur eine Entscheidungsausfer7
Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. IV/Andrae, 2010, Art. 68 EuUnthVO Rn. 2. Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. IV/Andrae/Schimrick, 2010, Art. 22 EuUnthVO Rn. 2. 9 s. hierzu Rn. 1307. 8
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Teil IV: Die Wirkungen unmittelbarer Titelgeltung
tigung vorzulegen (Art. 39 I EuGVVO-E 2010) und auf Aufforderung des Gerichts ggf. auch eine Bescheinigung vom Ursprungsgericht mit Übersetzung (Art. 39 II EuGVVO-E 2010). c) Zusammenfassung: Eindeutige Rechtslage nur in der EuUnthVO 1312
Zusammenfassend ergeben sich aus den geschriebenen Regelungen von EuVTVO, EuMVVO, EuGFVO und der Art. 40–45 EuEheVO keine eindeutigen Hinweise darauf, ob diese für die von ihr erfassten Gemeinschaftsweiten Titel auch eine unmittelbare Anerkennung vorsehen. Etwas anderes gilt nur für die EuUnthVO, deren Art. 17 I unzweifelhaft auch eine automatische gemeinschaftsweite Anerkennungsfähigkeit für Unterhaltsentscheidungen eingeführt hat, die aus durch das HUntStProt 2007 gebundenen Mitgliedstaaten stammen. Eindeutig würde auch durch die EuGVVO-E 2010 eine allgemeine unmittelbare Anerkennung eingeführt. Allerdings könnte ein ordre public-Verstoßes nachträglich geltend gemacht werden. 2. Hinweise aus den Materialien des Gesetzgebungsprozesses
1313
Für die EuVTVO, EuMVVO, EuGFVO und Art. 40–45 EuEheVO ist zu untersuchen, ob sich aus den Materialien zu deren Schaffung Erkenntnisse dazu gewinnen lassen, ob auch mit ihnen eine allgemeine unmittelbare Anerkennungsfähigkeit eingeführt werden sollte. Bei seinem Sondergipfel in Tampere hatte der Europäische Rat 1999 noch allgemein von der Zielsetzung einer „verbesserte[n] gegenseitige[n] Anerkennung von gerichtlichen Entscheidungen“ gesprochen und hierzu erklärt, dass der „Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung [. . .] zum Eckstein der justiziellen Zusammenarbeit sowohl in Zivil- als auch in Strafsachen innerhalb der Union werden sollte“.10 Hierin deutet sich die Einführung eines möglichst weitreichenden Anerkennungsprinzips an. Demgegenüber sprechen allerdings die Materialien zu den Titelverordnungen einheitlich nur davon, dass in erster Linie die zügige Vollstreckung im Zweitland ermöglicht werden soll.11 Von der Anerkennung anderer Wirkungen ist hier keine Rede. Man kann hieraus schließen, dass es bei der gemeinschaftsweiten Titelgeltung in erster Linie um die Vollstreckbarkeit geht.12 10 Vgl. die „Schlussfolgerungen des Vorsitzes“ v. 16.10.1999 (Dok.SI (1999)800 – SN 200/99), Nr. 33, verfügbar unter http://www.europarl.europa.eu/summits/ tam_de.htm. 11 Vgl. zur EuVTVO KOM(2002) 159 endg., v. 18.04.2002 (S. 3 f.); zur EuMVVO KOM (2004) 173 final/3 v. 25.05.2004 (S. 5); ebenso zur EuGFVO KOM(2005) 87 endg., v. 15.03.2005 (S. 4). 12 Yessiou-Faltsi, RHDI 61 (2008), S. 735 (736) zur EuVTVO.
§ 13 Die Wirkungen der Anerkennung Gemeinschaftsweiter Titel
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Darüber hinaus lässt sich den Materialien auch nicht entnehmen, wie die 1314 zuvor erwähnten Vorschriften der Art. 5 EuVTVO, 19 EuMVVO, 20 I EuGFVO und Art. 41 I, 42 I EuEheVO – die auch von Anerkennung sprechen – zu verstehen sind. Es lässt sich lediglich nachverfolgen, dass der Zusatz in Art. 5 EuVTVO, wonach die Anerkennung nicht angefochten werden kann, im ersten Kommissionsvorschlag der EuVTVO noch nicht enthalten war.13 Erst nachdem das Europäische Parlament eine Klarstellung verlangt hatte, dass der Titel die gleichen Wirkungen habe wie ein inländischer14, übernahm die Kommission die Formulierung von Art. 41 f. EuEheVO. Hierdurch sollte zum Ausdruck gebracht werden, welche Wirkungen der Bestätigung zukommen.15 Allerdings ist der Wortlaut der Bestimmung insoweit nicht gerade erhellend, so dass man für die vorliegende Problematik auch nicht auf eine bestimmte Auslegung schließen kann. Auch in der EuEheVO war diese Formulierung erst im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens entstanden.16 Warum man sie damals eingefügt hat, lässt sich anhand der Materialien aber nicht mehr nachvollziehen. Das gleiche gilt für die Anordnung in Art. 11 EuVTVO, wonach die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel Wirkungen nur im Rahmen der Vollstreckbarkeit entfaltet. Sie wurde in Art. 44 EuEheVO übernommen.17 Die Materialien sind jedenfalls insofern aufschlussreich, als die Anerken- 1315 nung anderer Titelwirkungen in den Gesetzgebungsverfahren keine eigenständige Beachtung gefunden hat: Weder wurde diskutiert, ob es eine allgemeine Anerkennungsfähigkeit geben, noch welche Wirkungen sie haben soll. Insofern sprechen die Materialien eher dagegen, dass Gemeinschaftsweiten Titeln auch eine unmittelbare vorbehaltlose Anerkennungsfähigkeit zukommt.
13 Art. 4 Entw-EuVTVO lautete ursprünglich nur: „Eine über eine unbestrittene Forderung ergangene Entscheidung, die im Ursprungsmitgliedstaat als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt worden ist, wird in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt und vollstreckt, ohne dass es hierzu im Vollstreckungsmitgliedstaat eines besonderen Verfahrens bedarf“, vgl. KOM(2002) 159 endg. 14 Vgl. Europäisches Parlament: Plenarsitzungsdokument A5-0108/2003 (PE 327.250) v. 26.03.2003, S. 8. 15 Vgl. KOM(2003) 341 endg., S. 3 f. 16 Vgl. Textvorschlag vom Rat der Europäischen Union – 8281/03, v. 30.04.2003. 17 Vgl. Art. 7A Entw-EuVTVO, Rat der Europäischen Union – 13334/03, v. 17.10.2003.
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Teil IV: Die Wirkungen unmittelbarer Titelgeltung
II. Teleologische Auslegungshinweise 1316
Möglicherweise lässt sich aus dem Sinn und Zweck der neuen Gemeinschaftsweiten Vollstreckungstitel darauf schließen, dass für diese auch eine gemeinschaftsweite automatische und vorbehaltlose Anerkennungsfähigkeit eingeführt wurde. Hierbei ist zunächst der Zweck der Beseitigung des Exequaturverfahrens zu betrachten [1.]. Sodann ist zu untersuchen, ob wegen der herkömmlichen Regel, dass Vollstreckbarkeit im Ausland die dortige Anerkennung voraussetzt, ein Rückschluss gezogen werden kann von der automatischen gemeinschaftsweiten Vollstreckbarkeit auf die Geltung einer unmittelbaren Anerkennungsfähigkeit [2.]. 1. Der Zweck der Beseitigung des Exequaturverfahrens
1317
Fraglich ist, was sich aus dem Zweck der neuen Gemeinschaftsweiten Titel zur vorliegenden Frage ergibt. In erster Linie soll die Abschaffung des Exequaturverfahrens den Gläubiger vor Zeit- und Kostennachteilen schützen, wie sich den Erwägungsgründen entnehmen lässt.18 Zusätzlich formulieren die Art. 1 EuVTVO, Art. 1 I lit.b EuMVVO und Art. 1 II EuGFVO allgemein, dass „Zwischenverfahren vor der Anerkennung und Vollstreckung“ abgeschafft werden sollen. Der Gemeinschaftsgesetzgeber ging anscheinend davon aus, dass die Anerkennung ein Zwischenverfahren voraussetzt. Tatsächlich erfolgt sie aber nach Art. 33 I EuGVVO schon immer ipso iure. Soweit die unmittelbare Titelgeltung nur dazu dient, Zwischenverfahren zu beseitigen, passt ihr Sinn und Zweck daher nicht für die Anerkennung, sondern spricht ausschließlich für die Einführung einer allgemeinen Vollstreckbarkeit.19
1318
Eine unmittelbare Anerkennungsfähigkeit könnte allerdings für den Gläubiger deshalb vorteilhaft sein, weil damit die Anerkennungsversagungsgründe beseitigt würden. Einen echten Zeit- oder Kostenvorteil brächte dies allerdings nicht immer. Schließlich greifen die anerkennungsfähigen Wirkungen stets nur in späteren zweitstaatlichen Erkenntnisverfahren, so dass ohnehin in jedem Fall eine Entscheidung durch ein Gericht des Zweitstaates erforderlich ist. Hierfür hat dieses insbesondere den genauen Inhalt der anerkennungsfähigen Wirkungen – ggf. unter Anwendung ausländischen Rechts – zu ermitteln. Es lässt sich damit ein Einfallstor für Verzögerungstaktiken des Schuldners nicht vermeiden. Schließlich kann er etwa den Inhalt von Titelwirkungen und deren Voraussetzungen nach ausländischem 18 So ausdrücklich in ErwG. 8 f. EuVTVO u. ErwG. 23 EuEheVO; andeutungsweise auch in ErwG. 9, 27 EuMVVO u. ErwG. 8, 30 EuGFVO. 19 Freitag, in: FS Kropholler, 2008, S. 759 (766 f.).
§ 13 Die Wirkungen der Anerkennung Gemeinschaftsweiter Titel
615
Recht bestreiten. Durch den Entfall von Anerkennungsversagungsgründen wäre dem Gläubiger also nur insofern gedient, als sich der Schuldner nicht unter Berufung etwa auf den ordre public (Art. 34 Nr. 1 EuGVVO) oder auf eine Gehörsverletzung (Art. 34 Nr. 2 EuGVVO) einer Titelwirkung entziehen kann. Der primäre Sinn und Zweck unmittelbarer Titelgeltung – Entfall von 1319 Zwischenverfahren zur Vermeidung von Zeit- und Kostenaufwand – spricht also nicht auch für eine automatische Anerkennungsfähigkeit.20 Mit dem Wortlaut der eingangs wiedergegebenen Regelungen, die auch von Anerkennung sprechen, wäre dies auf die Weise vereinbar, dass sie sich nur insoweit auf die Anerkennung beziehen, wie diese bislang Voraussetzung für die Vollstreckbarerklärung war. 2. Gleichlauf von Vollstreckbarkeit und Anerkennungsfähigkeit? Möglicherweise ließe sich von der gemeinschaftsweiten Vollstreckbarkeit 1320 auf die Geltung einer EU-weiten Anerkennungsfähigkeit schließen und damit auch für die EuVTVO, EuGFVO, EuMVVO und Art. 40–45 EuEheVO die Geltung einer allgemeinen vorbehaltlosen gemeinschaftsweiten Anerkennungsfähigkeit begründen. Es mutet widersprüchlich an, wenn eine Rechtsordnung einen ausländischen Titel zwar zur Vollstreckung zulässt, ihm aber gleichzeitig die Anerkennung versagt.21 Dann wäre zwar eine zwangsweise Durchsetzung möglich, nicht aber ausgeschlossen, dass in weiteren Erkenntnisverfahren ein mit der Erstentscheidung unvereinbares Ergebnis erzielt wird. Daher setzt Vollstreckbarerklärung klassischerweise Anerkennungsfähigkeit voraus. Dies gilt selbst für Vollstreckungstitel ohne anerkennungsfähige Wirkungen.22 Eine nicht anerkennungsfähige Entscheidung ist aus Sicht des Zweitstaates ein rechtliches Nullum, kann daher auch keinerlei rechtliche Wirkungen entfalten und erst recht nicht Grundlage einer Zwangsvollstreckung sein. Kommt Titeln EU-weite Vollstreckbarkeit zu, erscheint es daher auf den ersten Blick nur konsequent, dass sie im gleichen Gebiet auch anerkennungsfähig sind. Dieser Rückschluss ist aber nicht zwingend, zumal auch unter der 1321 EuGVVO eine ausländische Entscheidung im Inland Vollstreckbarkeit erlangen kann, ohne dort anerkennungsfähig zu sein: Nach Erteilung des Exequaturs wird die Anerkennungsfähigkeit nur überprüft, wenn der Schuldner einen Rechtsbehelf nach Art. 43 f. EuGVVO einlegt. Macht er von dieser 20
Mankowski, in: FS Kropholler, 2008, S. 829 (836) für die EuVTVO. Vgl. Freitag, in: FS Kropholler, 2008, S. 759 (762 f.); Mankowski, in: FS Kropholler, 2008, S. 829 (837). 22 Vgl. Geimer, in: FS Georgiades, 2006, S. 489 (502). 21
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Teil IV: Die Wirkungen unmittelbarer Titelgeltung
Möglichkeit keinen Gebrauch, kann durchaus der Zustand eintreten, dass das Judikat im Zweitstaat durchsetzbar ist, gleichwohl in einem dortigen Erkenntnisverfahren nicht anerkannt werden könnte. Denn hierbei wären stets alle Anerkennungsversagungsgründe zu prüfen. Dass ein Richterspruch im Zweitland vollstreckbar ist, ließ also im Europäischen Zivilverfahrensrecht schon bislang nicht den Schluss zu, dieser müsse dort auch anerkennungsfähig sein. Für ihn fehlt daher auch in den neuen Verordnungen eine ausreichende Grundlage. 1322
Gegen einen derartigen Rückschluss von der Vollstreckbarkeit auf die Anerkennungsfähigkeit spricht auch, dass die Titelverordnungen keine Anerkennungsversagungsgründe vorsehen, sehr wohl aber Fälle kennen, in denen die Vollstreckung verweigert werden kann, wie etwa die Titelkollision23. Es könnte daher der Fall eintreten, dass ein ausländischer Titel im Zweitland zwar nicht vollstreckbar ist, ihm dort gleichwohl anerkennungsfähige Wirkungen zukommen. Ein derartiger Zustand stößt zwar grundsätzlich auf keinerlei Bedenken, da die Anerkennung schon immer nur notwendige, nicht aber hinreichende Voraussetzung für das Exequatur ist.24 Verwunderlich ist aber, dass die Verordnungen gerade bei Titelkollision keine Vorsorge treffen durch Ausschluss der Anerkennung. Schließlich sind „widersprechende Rechtskräfte“ für Rechtsfrieden und -sicherheit mindestens genauso schädlich wie ein Vollstreckungskarussell. Da nur letzteres verhindert wird, eine durch Anerkennung begründete Kollision jedoch nicht, muss man den Schluss ziehen, dass die Anerkennung offenbar gar nicht geregelt werden sollte.
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Als Ausweg käme in Betracht, die verordnungseigenen Vollstreckungshindernisse doppelfunktional zugleich als Anerkennungsversagungsgründe anzuwenden.25 Dann wäre auch der herkömmliche Gleichlauf von Anerkennung und Vollstreckbarkeit gewahrt. Gegen diese Lösung spricht aber in erster Linie die Ausgestaltung der Vollstreckungshindernisse, die nicht auf die Anerkennung zugeschnitten ist. Eine Verweigerung oder Aussetzung der Beitreibung ist nämlich nur auf Antrag des Schuldners möglich.26 Naturgemäß kann dieser Antrag erst dann gestellt werden, wenn Vollstreckung droht bzw. bereits begonnen hat. Damit hinge es vom Gläubiger ab, ob die Anerkennung verweigert werden kann oder nicht. Mit dem Sinn und Zweck beispielsweise der Rechtskraft wäre es aber kaum zu vereinbaren, wenn 23 Art. 21 EuVTVO, Art. 22 I EuMVVO, Art. 22 I EuGFVO, Art. 47 II S. 2 EuEheVO u. Art. 21 II S. 2 EuUnthVO. 24 A. A. Oberhammer, JBl. 2006, S. 477 (502): „es wäre ja absurd, wenn die Vollstreckung unzulässig, die Rechtskraft aber anzuerkennen wäre“. 25 So erwogen, im Ergebnis aber abgelehnt von Freitag, in: FS Kropholler, 2008, S. 759 (768–771). 26 Art. 21 EuVTVO, Art. 22 I EuMVVO u. Art. 22 I EuGFVO.
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letztlich der Gläubiger für den Zweitstaat entscheiden könnte, ob sie greift oder nicht. Schon deshalb muss die Anwendung der verordnungseigenen Vollstreckungshindernisse auch als Anerkennungsversagungsgründe ausscheiden.27 Eine doppelfunktionale Anwendung der Vollstreckungshindernisse wider- 1324 spräche außerdem dem Anliegen der Rechtsklarheit, weil sich die Vollstreckungshindernisse inhaltlich von den Anerkennungsversagungsgründen der Art. 34 f. EuGVVO unterscheiden. So werden etwa Rechtskraftkonflikte abweichend gelöst: Während Art. 34 Nr. 3 EuGVVO auch spätere inländische Entscheidungen gegenüber früheren ausländischen privilegiert28, lassen Art. 21 EuVTVO, 22 I EuMVVO und 22 I EuGFVO nur den Einwand früherer Rechtskraft im Zweitland gelten.29 Außerdem fehlt in den neuen Titelverordnungen der in Art. 34 Nr. 1 EuGVVO enthaltene ordre publicVorbehalt. Vor allem wegen dieser beiden Unterschiede wäre die Anerkennungsfähigkeit eines Titels nach anderen Regeln zu beurteilen – je nachdem, ob man nach Art. 34 f. EuGVVO verfährt oder nach den doppelfunktional herangezogenen Vollstreckungshindernissen in den neuen Titelverordnungen. Dies brächte praktische Schwierigkeiten mit sich. Schließlich hätte das 1325 Gericht, vor dem etwa die Rechtkraft einer ausländischen Entscheidung geltend gemacht wird, den Anwendungsbereich der verschiedenen Verordnungen abzugrenzen, was teilweise kaum möglich ist. So ließen sich Titel i. S. v. EuGFVO und EuMVVO sowie die einer Bestätigung nach der EuVTVO zu Grunde liegende Entscheidung auch unter den Begriff der „Entscheidung“ i. S. v. Art. 32 EuGVVO subsumieren. Dem Gläubiger stünde es in solchen Fällen theoretisch frei, zwischen den unterschiedlichen Anerkennungsregimes zu wählen. Damit könnte er beeinflussen, ob der Titel im Ausland Wirkungen hätte oder nicht, was in der Sache nicht gerechtfertigt wäre. Aus diesem Grunde ist die doppelfunktionale Anwendung der Vollstre- 1326 ckungsversagungsgründe nicht möglich. Damit kann in den neuen Verord27 Ebenso Freitag, in: FS Kropholler, 2008, S. 759 (769), der es aber grundsätzlich für möglich hält, die Vollstreckungshindernisse in der Weise anzuwenden, dass die Anerkennung des betreffenden Titels von vornherein ausscheidet, wenn die Voraussetzungen von Art. 21 EuVTVO, Art. 22 I EuMVVO oder Art. 22 I EuGFVO vorliegen. 28 Im inländischen Verfahren muss also die die Litispendenzregel des Art. 27 EuGVVO verletzt bzw. die Rechtskraft der früheren ausländischen Entscheidung missachtet oder nicht anerkannt worden sein. 29 Unter Art. 21 EuVTVO, Art. 22 I EuMVVO u. Art. 22 I EuGFVO ist dieser Einwand – anders als in der EuGVVO – ohnehin nur beachtlich, wenn ihn der Schuldner im Ausgangsverfahren nicht geltend machen konnte.
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Teil IV: Die Wirkungen unmittelbarer Titelgeltung
nungen zur unmittelbaren Titelgeltung auch kein Gleichlauf von Vollstreckbarkeit und Anerkennungsfähigkeit hergestellt werden und erst recht nicht von der EU-weiten Durchsetzbarkeit auf eine EU-weite Anerkennungsfähigkeit geschlossen werden. Unter den neuen Verordnungen sind vielmehr Vollstreckbarkeit und Anerkennungsfähigkeit voneinander abstrakt. Dies ist allerdings – wie eingangs mit Blick auf die EuGVVO gesehen – kein neues Phänomen des europäischen internationalen Verfahrensrechts. III. Erfordernis weiterer Wirkungen zur Absicherung der EU-weiten Titelgeltung 1327
Nachdem also – außerhalb von Art. 17–22 EuUnthVO – Anerkennung und Vollstreckbarkeit der Gemeinschaftsweiten Titel grundsätzlich abstrakt sind, ist nach Sonderfällen zu fragen, in denen die EU-weite Titelgeltung ohne eine gekoppelte Anerkennung bestimmter Wirkungen ihren Sinn nicht erfüllen könnte. Hierfür sind verschiedene Konstellationen zu betrachten [1. bis 4.]. 1. Konstellation 1: Rückforderungsklage im Ausland nach Vollstreckungsbeginn
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Zunächst ist der Fall der klageweisen Rückforderung des Vollstreckungserfolges in den Blick zu nehmen. Ist die Rechtskraft eines Leistungstitels im Vollstreckungs- oder in einem Drittland nicht nach der EuGVVO anerkennungsfähig, könnte der Schuldner auf die Idee kommen, dort den Vollstreckungsertrag aus Kondiktion oder Delikt vom Vollstreckungsgläubiger zurückzuverlangen. Ein mit diesem Antrag befasstes Gericht käme mangels Anerkennungsfähigkeit des Titels zu dem Ergebnis, dass dem Gläubiger eine Berechtigung zur zwangsweisen Durchsetzung fehlte und hätte Rückgewähr des Erlangten bzw. Ersatz des Schadens anzuordnen. Denkbar wäre auch, dass der Schuldner schon während der Beitreibung direkt zu einem Vollstreckungsgegenrechtsbehelf greift, um die fehlende Berechtigung nach dem Gedanken des „dolo agit qui petit quod statim redditurus est“ geltend zu machen.
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Die Gefahr einer Rückforderungsklage ließe sich dadurch bannen, dass mit der gemeinschaftsweiten Vollstreckbarkeit des Titels zwingend die Anerkennung seiner Rechtskraft einherginge. Ob für einen solchen Schutz des Vollstreckungserfolges Bedarf besteht, wird jedoch unterschiedlich beurteilt. Manche halten die Rückforderung für verordnungskonform30, andere hin30 So etwa Coester-Waltjen, in: FS Beys, Bd. II, 2003, S. 183 (197 f.) zum Vorschlag für die EuVTVO; zust. Tsikrikas, ZZP Int. 11 (2006), S. 51 (64) zur
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gegen nicht31. Akzeptabel erscheint sie insoweit, wie die Verordnungen zur unmittelbaren Titelgeltung die Anerkennung nicht ausdrücklich regeln. Hieraus ließe sich folgern, dass lediglich der hindernisfreie Eintritt ins Vollstreckungsland gewährt werden soll, nicht aber auch die Dauerhaftigkeit des Vollstreckungserfolges. Dies wäre aus Sicht des Gläubigers nicht völlig nutzlos, denn zumindest läge für eine Rückforderungsklage die Prozesslast beim Schuldner. Dessen Rechtsschutz wäre also nicht nur bis zur erstinstanzlichen Exequaturerteilung aufgeschoben, sondern über das EuGVVO-Modell hinaus sogar bis zum Abschluss der Vollstreckung. Dies könnte die Gefahr eines missbräuchlichen Prozessierens des Verpflichteten eindämmen. Gegen eine derartige „Dulde und liquidiere“-Lösung spricht aber der 1330 Zweck der unmittelbaren Titelgeltung. Ermöglicht diese letztlich keine dauerhafte Beitreibung, brächte sie keinen echten Vorteil gegenüber dem herkömmlichen System der Vollstreckbarerklärung nach der EuGVVO. Es belastete den Titelgläubiger sogar noch stärker, wenn er erst in der Rückforderungsklage unterliegt. Auf ihn kämen dann höhere Verfahrenskosten zu als bei einem Exequaturverfahren sowie gesteigerte Ersatzpflichten für Vollstreckungsschäden. Ein gut beratener Gläubiger zöge angesichts dessen den weniger riskanten Weg über die EuGVVO vor. Damit könnte das neue Konzept EU-weiter Titelgeltung die erwünschte Verbesserung grenzüberschreitender Anspruchsdurchsetzung nicht erreichen. Zwar ist auch bei Immunität des Titels gegenüber Rückforderungsklagen 1331 im Zweitland dort eine dauerhafte Vollstreckung nicht garantiert. Schließlich können weiterhin Rechtsbehelfe im Ursprungsland zur Aufhebung des Titels führen mit der Konsequenz drohender Vollstreckungsgläubigerhaftung. Hiermit lässt sich aber nicht begründen, die auf fehlender Anerkennungsfähigkeit basierenden Rückforderungsklagen wären mit der unmittelbaren Titelgeltung vereinbar. Denn deren Ausschluss reduziert zumindest die Gründe, wegen derer der Gläubiger möglicherweise den Vollstreckungserfolg zurückzugewähren hat: Dass der Titel im Ursprungsland wieder aufgehoben wird, ist ein Risiko, welches bei der Vollstreckung stets – auch in rein nationalen Fällen – besteht. Dieses Risiko ist jedoch deutlich größer, wenn der Schuldner auch noch fehlende Anerkennungsfähigkeit geltend machen kann. Denn dann würde über das Hintertürchen der Rückforderung insbesondere der gestrichene Anerkennungsversagungsgrund des zweitstaatEuVTVO; ebenso Oberhammer, JBl. 2006, S. 477 (502), der allerdings darauf hinweist, diese Möglichkeit setze voraus, dass man einen Staat finde, in welchem der Titel gegen den ordre public verstoße und in dem ein Gerichtsstand für einen bereicherungsrechtlichen Anspruch eröffnet sei. 31 Freitag, in: FS Kropholler, 2008, S. 759 (767 f.); Rauscher, Europäischer Vollstreckungstitel, 2004, Rn. 65.
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Teil IV: Die Wirkungen unmittelbarer Titelgeltung
lichen ordre public32 wieder eingeführt, dem ein besonderes Missbrauchspotential innewohnt. 1332
Im Ergebnis kann dem Verpflichteten also nicht gestattet werden, den Vollstreckungserlös wegen fehlender Anerkennungsfähigkeit zurückzufordern. Der Titel muss daher eine gemeinschaftsweite Bindungswirkung entfalten, die derartige Klagen sperrt. Diese schließt auch Vollstreckungsgegenrechtsbehelfe aus, die während der Beitreibung im Zweitland erhoben werden könnten, um die fehlende Berechtigung des Titelinhabers geltend zu machen. Diese Bindungswirkung muss allerdings wieder entfallen, wenn der Titel im Ursprungsland wieder aufgehoben wurde. Denn dann gibt es keinen Grund, auch im Zweitland eine Rückforderung zu versperren. 2. Konstellation 2: Erneute Klage im Ausland nach Vollstreckung
1333
Auf eine EU-weite Bindungswirkung kommt es möglicherweise auch dann an, wenn im Zweitland der Anspruch erneut eingeklagt wird, obwohl er bereits vollstreckt wurde. So könnte etwa der Gläubiger sein Europäisches Bagatellurteil im Zweitland erfolgreich vollstreckt haben und anschließend dort (in böswilliger Absicht) dieselbe Forderung gegen denselben Schuldner erneut einklagen. Verweigerte man letzterem nun die Berufung auf die Rechtskraft des ausländischen Bagatellurteils, weil dieses nach den Regeln der EuGVVO nicht anerkennungsfähig ist, drohte eine doppelte Titulierung: Zwar kann der erneut in Anspruch Genommene die erfolgte Erfüllung vortragen. Hierzu muss er sich aber auf das Verfahren einlassen und die Erfüllung beweisen mit dem Risiko, dass das Gericht sie nicht gelten lässt. Dies ist insbesondere dann denkbar, wenn die Forderung nicht in dem Staat erneut geltend gemacht wird, in dem sie vollstreckt wurde. Denn dann müsste das zweitbefasste Gericht ggf. ausländische Vollstreckungsakte anerkennen bzw. ausländische Urkunden akzeptieren. Besser geschützt wäre der Schuldner daher, wenn nach erfolgter Anspruchsrealisierung gemeinschaftsweit Rechtsfrieden durch Rechtskraft einträte. Auch im „traditionellen“ System der Vollstreckbarerklärung kommt zumindest im Vollstreckungsstaat die Anspruchsdurchsetzung nicht ohne gleichzeitige Rechtskraftbindung, denn eine Vollstreckbarerklärung ist grundsätzlich nur dann im Zweitland möglich ist, wenn der Titel dort auch anerkennungsfähig ist.
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Hieran wird sichtbar, dass nicht nur bei der in Konstellation 1 behandelten Rückforderungsklage, sondern auch bei der drohenden Wiederholung desselben Rechtsstreits die EU-weite Vollstreckbarkeit von einer ebenso weiten Bindungswirkung begleitet sein muss. Dies gilt jedenfalls, soweit im 32
Art. 34 Nr. 1 EuGVVO bzw. Art. 22 lit.a u. 23 lit.a EuEheVO.
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Zweitland bereits die Vollstreckung begonnen bzw. schon vollendet wurde. Die flankierende Bindungswirkung dient dann nicht dem Inhaber des Titels, sondern dem Verpflichteten. Sie sichert nicht den Vollstreckungserfolg ab, sondern sorgt für eine Anpassung der prozessualen Rechtslage, die dadurch unverzichtbar geworden ist, dass die Vollstreckung bereits begonnen hat oder sogar schon abgeschlossen wurde. 3. Konstellation 3: Automatische Bindungswirkung vor Vollstreckungsbeginn? Wie die Konstellationen 1 und 2 gezeigt haben, muss nach Beginn der 1335 Beitreibung Gemeinschaftsweiter Titel automatisch eine EU-weite Bindungswirkung hinsichtlich des Bestands des titulierten Anspruchs greifen. Zu untersuchen ist nun, ob dies auch für den Zeitabschnitt vor Vollstreckung gilt. Konstellation 3 beschreibt hierzu die Fallgestaltung, dass der Gläubiger 1336 im Zweitland erneut eine Forderung einklagt, über die bereits in einem anderen Land ein Gemeinschaftsweiter Titel ergangen ist. In diesem Fall wird der Anspruchsinhaber den Klageweg allerdings nur dann im Zweitland erneut einschlagen, wenn er zuvor abgewiesen worden war. Denn andernfalls wäre er ja schon in Besitz eines unmittelbar im Zweitland vollstreckbaren Titels. Auch die Klageabweisung kann zu einem Gemeinschaftsweiten Titel führen: Zum einen ist dies denkbar, wenn die Klage nur teilweise Erfolg hatte und im Übrigen abgewiesen worden war. Dies kann durch Europäisches Bagatellurteil ausgesprochen worden sein oder durch Versäumnisteilurteil, das als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt wurde. In solch einem Fall könnte der Gläubiger im Zweitland nochmals versuchen, den gesamten Betrag tituliert zu erhalten. Hiergegen kann der Schuldner die Rechtskraft des ausländischen Titels geltend machen, soweit dieser nach der EuGVVO anerkennungsfähig ist.33 Zum anderen kann im Europäischen Bagatellverfahren auch die vollständige Klageabweisung zumindest im Kostenpunkt gemeinschaftsweit vollstreckbar sein: Wie ErwG 33 EuGFVO klarstellt, können zu Gunsten des siegreichen Beklagten Kostenfestsetzungsbeschlüsse gemeinschaftsweite Vollstreckbarkeit erlangen. Auch hier kann der Schuldner einer erneuten Klage im Zweitland die Einrede der entgegenstehenden Rechtskraft entgegenhalten, wenn die Ursprungsentscheidung nach der EuGVVO anerkennungsfähig ist. Sind in Konstellation 3 die Anerkennungsvoraussetzungen von Art. 34 f. 1337 EuGVVO jedoch nicht erfüllt, wäre dem Verpflichteten daran gelegen, dass 33 Auch eine Klageabweisung im Europäischen Bagatellverfahren löst Rechtskraftbindung aus, s. Rn. 1361.
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Teil IV: Die Wirkungen unmittelbarer Titelgeltung
mit dem Erlass des Gemeinschaftsweiten Titels zugleich dessen Rechtskraft EU-weit gilt. Auch die verordnungseigenen Regeln für die Titelkollision schützen den Schuldner hier nicht zwangsläufig. Sie schließen zwar eine Vollstreckung aus, wenn Bagatellurteil oder Europäischer Vollstreckungstitel mit einer früheren Entscheidung aus dem Gemeinschaftsgebiet unvereinbar sind.34 Unvereinbarkeit liegt aber nicht zwangsläufig dann vor, wenn zuvor nur ein Teil der später beizutreibenden Forderung tituliert wurde. Dennoch muss der Schuldner nicht vor den Nachteilen fehlender Anerkennungsfähigkeit nach der EuGVVO geschützt werden. Denn die EU-weite Titelgeltung will nicht dem Gläubiger ein erneutes Prozessieren gemeinschaftsweit verbieten, sondern nur seine Vollstreckungsmöglichkeiten verbessern. Sie erfüllt daher in Konstellation 3 auch ohne gleichzeitige gemeinschaftsweite Anerkennungsfähigkeit ihren Sinn. 1338
Dasselbe gilt im umgekehrten Fall, dass der Schuldner vor Vollstreckungsbeginn in einem Mitgliedstaat, in dem die Rechtskraft nach den Regeln der EuGVVO nicht anerkennungsfähig ist, den Anspruch in seiner Umkehrung erneut anhängig macht. Hier könnte dem Gläubiger beispielsweise daran gelegen sein, die erststaatliche Entscheidung als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigen zu lassen und dadurch im Zweitstaat eine Rechtskraftbindung herbeizuführen. Allerdings ist er schon durch die verordnungseigenen Regelungen für den Fall der Titelkollision ausreichend geschützt, denn nach diesen schließt eine spätere Entscheidung – egal wo ergangen – in keinem Mitgliedstaat die Vollstreckung aus.35
1339
Somit ist vor Vollstreckungsbeginn kein Bedarf für eine automatische gemeinschaftsweite Rechtskraftbindung erkennbar. 4. Konstellation 4: Bindungswirkung bei Präjudizialität?
1340
Fraglich ist schließlich, ob bei Vorliegen eines Gemeinschaftsweiten Titels eine transnationale Bindungswirkung erforderlich ist, wenn der Bestand der titulierten Forderung für die Entscheidung eines nachfolgenden Prozesses im Zweitland präjudiziell ist. Dies soll anhand des folgenden Beispiels verdeutlicht werden, in dem V aus Frankreich an den in England ansässigen K ein Kfz verkauft hatte. Im Erstverfahren verklagte V den K in England erfolgreich auf vollständige Kaufpreiszahlung. Daraufhin nahm K den V vor französischen Gerichten auf Mangelfolgeschaden in Anspruch. Letzterer erklärte die Aufrechnung mit dem in England titulierten Kaufpreisanspruch. Hatte V das englische Zahlungsurteil als Europäischen Vollstreckungstitel 34
Vgl. Art. 22 EuGFVO u. Art. 21 EuVTVO. Inhaltsgleich Art. 22 EuMVVO. Vgl. Art. 22 EuMVVO, Art. 22 EuGFVO u. Art. 21 EuVTVO. Anders Art. 47 II S. 2 EuEheVO, wo jede spätere Entscheidung die Vollstreckung sperrt. 35
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bestätigen lassen, stellt sich die Frage, ob allein hierdurch eine Präjudizbindung im Zweitland greift – auch wenn der Titel dort nicht nach der EuGVVO anerkennungsfähig wäre. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die gemeinschaftsweite Titelgeltung 1341 ausdrücklich nur die grenzüberschreitende Vollstreckung verbessern will, nicht auch die erleichterte Übertragung anderer Titelwirkungen. Bedarf für eine automatische gemeinschaftsweite Präjudizbindung besteht daher nur, wenn die gemeinschaftsweite Vollstreckbarkeit nur in Verbindung mit dieser zu sinnvollen Ergebnissen führen könnte. Es widerspräche allerdings nicht zwangsläufig dem Zweck der gemeinschaftsweiten Vollstreckbarkeit, wenn ein Anspruch im Gemeinschaftsgebiet zwar vollstreckbar ist, hier dennoch dessen Bestand als Vorfrage hinterfragt werden kann. Denn dies muss nicht unbedingt auf eine – entsprechend Konstellation 1 verbotene – Rückforderung des Vollstreckungserfolges oder die – in Konstellation 2 ausgeschlossene – erneute Inanspruchnahme trotz erfolgter Beitreibung hinauslaufen. Der Zweck der Titelverordnung verlangt daher keine allgemeine gemeinschaftsweite Präjudizbindung. 5. Ergebnis: Begleitende Bindungswirkung nur ab Vollstreckungsbeginn erforderlich Es hat sich gezeigt, dass die gemeinschaftsweite Vollstreckbarkeit ab 1342 dem Zeitpunkt des Beginns der Vollstreckung im Zweitland von einer zusätzlichen EU-weiten Bindungswirkung flankiert werden muss. Diese sichert dem Vollstreckungsgläubiger einerseits den Vollstreckungserfolg vor Rückforderungsklagen (Konstellation 1). Andererseits bewahrt sie den Schuldner vor einer doppelten Inanspruchnahme (Konstellation 2). Eine begleitende gemeinschaftsweite Präjudizbindung ist allerdings genauso wenig erforderlich (Konstellation 4) wie eine Bindungswirkung vor Vollstreckungsbeginn (Konstellation 3). Diese Bindung, die mit der unmittelbaren Vollstreckbarkeit ab Vollstre- 1343 ckungsbeginn „mitgeht“, unterliegt nicht den allgemeinen Anerkennungsregeln, sondern ist letztlich eine Art Annex zur EU-weiten Vollstreckbarkeit. Sie kommt nicht nur denjenigen Titeln gemeinschaftsweit zu, die nach EuGVVO oder EuEheVO nicht anerkennungsfähig sind, sondern auch jenen, die bereits vor Rechtskrafteintritt gemeinschaftsweite Vollstreckbarkeit erlangen.36 Insbesondere anhand der letzteren wird deutlich, dass es sich 36 In mehreren Fällen können nicht rechtskräftige Titel gemeinschaftsweit vollstreckbar sein: So können Entscheidungen auch vor Rechtskraft als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden, vgl. Art. 6 I lit.a EuVTVO (s. Rn. 1204). Auch Europäische Bagatellurteile können gem. Art. 15 I EuGFVO vor Rechtskraft voll-
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Teil IV: Die Wirkungen unmittelbarer Titelgeltung
bei diesem „Mitlaufen“ der Bindungswirkung der Sache nach nicht um eine Anerkennung handelt. Werden solche Titel im Ursprungsland wieder aufgehoben und verlieren damit zugleich EU-weit ihre Vollstreckbarkeit, entfällt auch ihre flankierende Bindung. 1344
Nach ihrem Inhalt hat die begleitende Bindung auch einen Präklusionsgehalt, der in Konstellation 1 neues Vorbringen versperren kann, mit dem der Vollstreckungserfolg rückgängig gemacht werden soll, das aber zum Gegenstand des Ausgangsverfahrens gehört. Gleichermaßen ist in Konstellation 2 die erneute Geltendmachung desselben Anspruchs aufgrund präkludierter Tatsachen ausgeschlossen.
1345
Der genaue Inhalt dieser Bindungswirkung entspricht damit einer Facette der objektiven Rechtskraft- bzw. Präklusionswirkung. Nämlich geht es um die Begrenzung des rechtskräftig entschiedenen Streitgegenstandes in zeitlicher und objektiver Hinsicht. Der Inhalt der Rechtskraft- bzw. Präklusionswirkung kann aber nicht einfach unter Rückgriff auf einzelstaatliche Regeln (Wirkungserstreckungslehre) bestimmt werden. Denn die Reichweite von Rechtskraft und rechtskraftbedingter Präklusion hängt entscheidend von der Verfahrensordnung ab, nach der prozessiert wurde: Nach dieser richtet sich die Bemessung des Streitgegenstandes, die Möglichkeit im Verfahren weitere Tatsachen vorzubringen oder durch Rechtsmittel geltend zu machen. Da aber die Gemeinschaftsweiten Titel nicht immer und nicht nur nach einzelstaatlichem Recht zustande kommen, sondern für sie teilweise auch im Erkenntnisverfahren europarechtliche Regeln gelten, ist der Rückgriff auf einzelstaatliche Rechtskraft- und Präklusionsregeln nur insoweit stimmig, wie es sich um Europäisierte Titel handelt. Soweit es um Europäische Titel geht, die in einem originär europäischen Erkenntnisverfahren zustande kommen, müssen ggf. abweichende Standards gelten. Welchen Inhalt die anerkennungsfähigen Wirkungen Gemeinschaftsweiter Titel haben, ist nachfolgend zu klären. Damit ist zugleich die automatisch mitgehende Bindungswirkung in ihrer Reichweite umrissen. IV. Zusammenfassung: Die Anerkennungsmodalitäten für Gemeinschaftsweite Titel
1346
Lediglich den Titeln im Anwendungsbereich der Art. 17–22 EuUnthVO (und von Art. 38 I, 39 EuGVVO-E 2010) kommt eine automatische vorbehaltlose gemeinschaftsweite Anerkennungsfähigkeit zu. Die anderen Gemeinschaftsweiten Titel (also nach EuVTVO, EuGFVO, EuMVVO und streckbar sein (s. Rn. 1223). Gleiches gilt für die Titel i. S. v. Art. 40–45 EuEheVO (vgl. Art. 41 I S. 2, 42 I S. 2 EuEheVO, s. Rn. 1196). Anders aber Europäische Zahlungsbefehle, s. Rn. 1226.
§ 13 Die Wirkungen der Anerkennung Gemeinschaftsweiter Titel
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Art. 40–45 EuEheVO) müssen grundsätzlich nach den allgemeinen Regeln der EuGVVO bzw. EuEheVO anerkannt werden, damit sie im Zweitland andere Wirkungen als die Vollstreckbarkeit auslösen. Welche Wirkungen die so vollzogene Anerkennung der Gemeinschaftsweiten Titel im Zweitland hat, ist nachfolgend zu untersuchen. Eine einzige Ausnahme gilt bei den Titeln i. S. v. EuVTVO, EuGFVO, 1347 EuMVVO und Art. 40–45 EuEheVO nur für die flankierende Bindungswirkung, die einerseits dem Vollstreckungserfolg im Zweitland einen Bestandsschutz gewährleistet, andererseits gewisse Wertungswidersprüche verhindert. Sie geht automatisch mit der EU-weiten Vollstreckbarkeit „mit“, sobald mit der Vollstreckung begonnen wurde. Ihr Inhalt richtet sich nach der Rechtskraft- und Präklusionswirkung der Gemeinschaftsweiten Titel, auf die sogleich einzugehen ist.
B. Die Wirkungen der Anerkennung Gemeinschaftsweiter Titel Schließlich ist zu untersuchen, welche Wirkungen die Anerkennung EU- 1348 weit gültiger Titel hat. Wie soeben geklärt, vollzieht sie sich nach den Regeln von EuGVVO bzw. EuEheVO oder nach Art. 17 I EuUnthVO. Hinsichtlich des Inhaltes der so anerkannten Wirkungen ist zu unterscheiden zwischen den Europäisierten [I.] und den echten Europäischen Titeln [II.]. I. Die Wirkungen der Anerkennung Europäisierter Titel Welche Wirkungen die Anerkennung eines Titels hat, der nach internem 1349 Verfahrensrecht eines Mitgliedstaates zustande gekommen ist, bestimmt sich nach denselben Regeln, die allgemein für die Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO gelten. Die unmittelbare gemeinschaftsweite Vollstreckbarkeit macht eine unterschiedliche Wirkungsbestimmung nicht erforderlich. Schließlich handelt es sich nach wie vor um Titel, die nach nationalem Verfahrensrecht des Ursprungslandes zustande kommen und Wirkungen erlangen. Dies gilt sowohl für Entscheidungen, die als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt wurden, als auch für solche im Anwendungsbereich von Art. 17–22 EuUnthVO und Art. 40–45 EuEheVO. Dasselbe würde auf Titel i. S. v. Art. 39 EuGVVO-E 2010 zutreffen. In erster Linie ist also die Wirkungserstreckungslehre maßgeblich.37 Im 1350 Übrigen kann hier auf die Ergebnisse von Teil II verwiesen werden.38 Die 37 Für die EuVTVO Yessiou-Faltsi, RHDI 61 (2008), S. 735 (750); Freitag, in: FS Kropholler, 2008, S. 759 (771); ebenso Rauscher, Europäischer Vollstreckungs-
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Teil IV: Die Wirkungen unmittelbarer Titelgeltung
Entscheidungswirkungen werden demnach vom Recht des Ursprungslandes – bei materiellrechtlichem Bezug ggf. von der lex causae – vorgegeben. Und soweit auch für die Anerkennung Gemeinschaftsweiter Titel der ordre public-Einwand gilt (also für alle außer den von Art. 17 I EuUnthVO erfassten), ist eine Wirkungsbegrenzung aus zweitstaatlicher Sicht möglich. II. Die Wirkungen der Anerkennung echter Europäischer Titel 1351
Auch Europäische Zahlungsbefehle und Bagatellurteile erwachsen in Rechtskraft.39 Dies ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlaut der Verordnungen, gilt aber aus Gründen der Rechtssicherheit und der Prozessökonomie, die eine endgültige Streitbeilegung erfordern.40 Ein Europäischer Zahlungsbefehl wird mit Ablauf der Frist von Art. 16 II EuMVVO unter Hinzurechnung eines angemessenen Zeitraums für die Übermittlung (Art. 18 I S. 1 EuMVVO) rechtskräftig41, bei einem Europäischen Bagatellurteil richtet sich der Zeitpunkt nach dem nationalen Recht des Ursprungslandes, vgl. Art. 17 I EuGFVO. Fraglich ist jedoch, welchen Inhalt die anerkannte Rechtskraft hat. Zwar werden auch die Europäischen Titel nach der EuGVVO anerkannt. Dennoch ist für sie – anders als für die Europäisierten Titel – der Verweis auf die lex fori des Ausgangsgerichts entsprechend der Wirkungserstreckungslehre nicht zwangsläufig passend.
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Da sie nach genuin europäischen Regelungen zustande gekommen sind, ist denkbar, auch den Inhalt ihrer Wirkungen nach Maßstäben des europäischen Rechts zu bestimmen. Freilich verweist Art. 19 EuGFVO für die in der Verordnung nicht geregelten Aspekte des Bagatellverfahrens auf die lex fori des Ausgangsgerichts und Art. 26 EuMVVO eröffnet für sämtliche verfahrensrechtlichen Fragen allgemein den Rückgriff auf nationales Prozessrecht. Allein hieraus und aus dem Umstand, dass die Verordnungen – abgesehen von der Vollstreckbarkeit – Titelwirkungen nicht regeln, kann aber noch nicht gefolgert werden, dass insofern das nationale Recht des Urtitel, 2004, Rn. 67, 172, der Art. 11 EuVTVO als Festschreibung der Wirkungserstreckungslehre für den Bereich der Anerkennung sieht. 38 Vgl. insbesondere Rn. 153–156. 39 Für den Europäischen Zahlungsbefehl: Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. II/Gruber, 2010, Art. 18 EuMVVO Rn. 9; Schlosser, EuZPR, 3. Aufl. 2009, Art. 18 EuMVVO Rn. 3; Hess/Bittmann, IPRax 2008, S. 305 (309); Sujecki, Mahnverfahren, 2007, Rn. 401. 40 Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. II/Gruber, 2010, Art. 18 EuMVVO Rn. 9; Hess/ Bittmann, IPRax 2008, S. 305 (309) für den Europäischen Zahlungsbefehl. 41 A. A. Hess/Bittmann, IPRax 2008, S. 305 (309): Rechtskraft trete erst mit Ablauf der Rechtsbehelfsfristen von Art. 20 EuMVVO ein. Richtigerweise kann aber Art. 20 EuMVVO nicht maßgeblich sein, da dieser einen außerordentlichen Rechtsbehelf normiert, außerdem keine Höchstfrist enthält, s. Rn. 1226.
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sprungslandes berufen sein soll. Einerseits spricht schon viel dafür, dass Art. 26 EuMVVO und 19 EuGFVO allein für die Durchführung des Erkenntnis- oder Vollstreckungsverfahrens gelten und nicht auch den Inhalt der Titelwirkungen betreffen, weil die Verordnungen selbst nur Ablauf der Titelerschaffung und teilweise der -durchsetzung regeln. Andererseits war im Grünbuch der Kommission zur EuMVVO noch die Frage gestellt worden, ob Mahnbescheide in Rechtskraft erwachsen sollen.42 Dass letztlich hierzu keine Regelungen getroffen wurden, könnte daher so zu werten sein, dass diese Frage nicht europarechtlich vorgegeben sein sollte.43 Daher ist zu untersuchen, ob und inwieweit die Wirkungen anerkannter 1353 Europäischer Titel vom Recht des Ursprungslandes vorgegeben werden oder verordnungseigenen Maßstäben unterliegen. Dafür sind – wie in Teil II zu den Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO – drei Facetten der anerkennungsfähigen Wirkungen zu unterscheiden: Zu klären ist der objektive Umfang der Rechtskraft [1.], die subjektive Reichweite der Bindungswirkungen [2.] und der Inhalt der rechtskraftbedingten Tatsachenpräklusion [3.]. 1. Die objektive Reichweite der Rechtskraft Europäischer Titel Fraglich ist schon, ob sich der objektive Umfang der Rechtskraft Euro- 1354 päischer Zahlungsbefehle und Europäischer Bagatellurteile nach verordnungseigenen Maßstäben richtet, oder ob er unter Rückgriff auf das Recht des Ursprungslandes zu bestimmen ist. Für die Anwendung eines verordnungseigenen Rechtskraftmodells könnte 1355 sprechen, dass hierdurch europaweit einheitliche Maßstäbe gelten, die bei der Bewältigung von Titelkollisionen nach Art. 22 EuMVVO bzw. EuGFVO eine herkunftsunabhängige Gleichwertigkeit der Titel gewährleisten könnten. Würde nach ein und denselben Regeln beurteilt, ob verschiedene Titel „denselben Streitgegenstand“ (vgl. Art. 22 I lit.a EuMVVO bzw. EuGFVO) betreffen, wäre die Geltung des Prioritätsgrundsatzes garantiert. Andernfalls wäre etwa denkbar, dass sich ein früherer Titel allein deswegen nicht durchsetzt, weil die lex fori seines Ursprungsstaates den Streitgegenstand enger bemisst als das Recht, welches für die später ergangene Entscheidung maßgeblich ist. Die rechtsvergleichenden Untersuchungen in Teil II haben u. a. ergeben, dass sich innerhalb der EU streitgegenstands- und anspruchsgrundlagenorientierte Rechtskraftkonzepte gegenüberstehen.44 In der EuGVVO 42 Vgl. KOM(2002) 746 endg., v. 20.12.2002, Frage 27, S. 45, verfügbar unter http://eur-lex.europa.eu. 43 Schlosser, EuZPR, 3. Aufl. 2009, Art. 18 EuMVVO Rn. 3. 44 Vgl. Rn. 171–231, insbes. 228 f.
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stellt sich das Problem dieser nationalen Rechtskraftunterschiede nicht, weil der EuGH hier die „Unvereinbarkeit“ i. S. v. Art. 34 Nr. 3 EuGVVO weit auslegt. Sie ist schon bei Entscheidungen gegeben, die „Rechtsfolgen haben, die sich gegenseitig ausschließen“.45 Da eine weite Unvereinbarkeitsdefinition aber eine ebenso weite und wegen der damit verbundenen Gefahr der Rechtsverweigerung problematische Rechtshängigkeitsregel verlangt46, wäre es sinnvoller, von vornherein die Unvereinbarkeit bei Art. 22 EuGFVO und EuMVVO nach verordnungseigenen Maßstäben zu beurteilen und dafür verordnungseigene Rechtskraftregeln anzuwenden. 1356
Außerdem ist eine europaweit einheitliche Bestimmung des objektiven Rechtskraftumfangs deswegen vorzugswürdig, weil die Anknüpfung an die lex fori des Ausgangsgerichts nicht immer sinnvoll ist.47 Dies gilt für den Fall, dass das einzelstaatliche Verfahrensrecht ein der EuMVVO bzw. EuGFVO entsprechendes Verfahren nicht kennt und daher dort keine Regelungen vorhanden sind, die für Europäische Titel passen würden. Für Europäische Bagatellurteile könnte man zwar auf nationales Recht zurückgreifen, weil in jeder Rechtsordnung streitige Entscheidungen bekannt sind. Anders ist dies aber für den Europäischen Zahlungsbefehl, da ein vergleichbares einseitiges Antragsverfahren nicht überall vorgesehen ist. Wäre etwa der Rechtskraftumfang eines in England erlassenen Europäischen Zahlungsbefehls zu ermitteln, liefe ein Verweis auf das englische Prozessrecht ins Leere, weil dieses ein vergleichbares Verfahren nicht kennt.48
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Es ist damit als Ergebnis festzuhalten, dass die objektive Reichweite der Rechtskraft Europäischer Titel vorzugswürdigerweise nach gemeinschaftsweit einheitlichen Maßstäben zu beurteilen ist.49 Den Verordnungen selbst lassen sich allerdings keine Hinweise entnehmen, wie ein eigener europäischer Streitgegenstandsbegriff aussehen könnte. Dies hat letztlich der Gemeinschaftsgesetzgeber festzulegen oder muss der EuGH in Auslegung der Verordnungsbestimmungen klären. Berücksichtigt man allerdings Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit, dürften vorliegend dieselben Überlegungen 45 EuGH, 04.02.1988 – Rs. 145/86, Hoffmann ./. Krieg, IPRax 1989, S. 159, Rn. 22; ebenso zuvor EuGH, 08.12.1987 – Rs. 144/86, Gubish ./. Palumbo, Slg. 1987, 4861 und später EuGH, 06.06.2002 – Rs. C-80/00, Italian Leather ./. WECO Polstermöbel, Slg. I-2002, 4995. s. hierzu Rn. 271. 46 s. Rn. 273–275. 47 Freitag, in: FS Kropholler, 2008, S. 759 (773). 48 Crifò, CJQ 24 (2005), S. 200 (303). 49 Für den Europäischen Zahlungsbefehl: Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. II/Gruber, 2010, Art. 18 EuMVVO Rn. 10; Sujecki, Mahnverfahren, 2007, Rn. 402, der diesbezüglich eine klarstellende Regelung in der EuMVVO vermisst. A. A. Freitag, in: FS Kropholler, 2008, S. 759 (774), weil es in der praktischen Rechtsanwendung unübersichtlich werde, wenn Titelwirkungen mal dem nationalen Recht zu entnehmen wären, mal durch europäische Regelungen vorgegeben würden.
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tragfähig sein, die in dieser Arbeit bereits im Rahmen der EuGVVO angestellt wurden für die Suche nach einem geeigneten europäischen Rechtskraftgegenstand. Dort hatte sich ergeben, dass eine Vorfragenbindung nicht erforderlich ist und eine sachverhaltsorientierte Betrachtung des Streitgegenstandes vorzugswürdig wäre.50 Es wird vorgeschlagen, diese Grundsätze auch für die Bestimmung der Rechtskraftreichweite Europäischer Zahlungsbefehle und Europäischer Bagatellurteile heranzuziehen. Hatte der Schuldner im Ursprungsverfahren Einspruch gegen einen Euro- 1358 päischen Zahlungsbefehl erhoben, wurde das Verfahren gem. Art. 17 EuMVVO in einen regulären kontradiktorischen Prozess nach dem Recht des Ursprungsstaates überführt. Dieser mündet nicht in den Erlass eines Europäischen Titels, sondern einer nationalen Entscheidung, deren Wirkungen daher dem örtlichen Recht des Ursprungsmitgliedstaates unterliegen. 2. Die subjektive Reichweite der Rechtskraft und anderer Bindungswirkungen Demgegenüber unterliegt die subjektive Reichweite der Rechtskraft und 1359 anderer Drittbindungswirkungen stets einzelstaatlichen Regeln. Ob und in welchem Umfang Dritte, die nicht als Parteien am Verfahren beteiligt waren, an ein Judikat gebunden sind, hängt von verschiedenen Faktoren ab: Entscheidend ist zum einen, wie das Erkenntnisverfahren und die prozessualen Möglichkeiten Dritter zur Beeinflussung des Verfahrensausgangs ausgestaltet waren. Maßgeblich ist zum anderen, inwieweit im Prozess auch die Interessen Außenstehender berücksichtigt werden konnten. Bisweilen kann sich auch das vom Ursprungsgericht angewendete materielle Recht auswirken.51 In der EuGFVO bzw. der EuMVVO sind Drittbeteiligungsrechte wie 1360 etwa third party notice oder Streitverkündung nicht geregelt. Diese unterliegen vielmehr dem nationalen Recht (Art. 26 EuMVVO und 19 EuGFVO). Genauso wenig richtet sich nach den Verordnungen, inwieweit das Prozessieren der Verfahrensbeteiligten auch eine Würdigung der Interessen von Unbeteiligten ermöglicht oder aus materiellen Gründen eine Drittbindung hinzunehmen ist. Daher kommt auch eine europaweit einheitliche Festlegung der subjektiven Reichweite von Bindungswirkung nicht in Betracht.52 Vielmehr gelten insoweit interne Bestimmungen des Ursprungslandes oder ein anderes nach den in § 5 ermittelten Grundsätzen zu be50
Vgl. Rn. 290–293. s. im Einzelnen Rn. 417–432. 52 Freitag, in: FS Kropholler, 2008, S. 759 (774). Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. II/Gruber, 2010, Art. 18 EuMVVO Rn. 10. 51
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stimmendes nationales Recht. Diesbezüglich kann an dieser Stelle auf die Ausführungen in § 5 verwiesen werden.53 Eine Wirkungsbegrenzung aus Gründen des zweitstaatlichen ordre public ist ebenfalls möglich, weil die Europäischen Titel nach den Regeln der EuGVVO anerkannt werden. 3. Der Inhalt der Präklusionswirkung 1361
Vor allem in zwei Fällen kommt es auf die Präklusionswirkung Europäischer Titel an. Einerseits kann im Zweitland ein Vollstreckungsgegenrechtsbehelf zur Geltendmachung materieller Einwendungen erhoben werden.54 Dann ist zu entscheiden, welches Vorbringen präkludiert ist. Die Präklusionswirkung erlangt andererseits dann Bedeutung, wenn der Kläger im Ursprungsland gescheitert war und im Zweitland erneut klagt. Eine Klageabweisung im Europäischen Bagatellverfahren dürfte rechtskraftfähig sein, denn im Bagatellverfahren findet eine Prüfung des Anspruchs statt, auch wenn Besonderheiten für den Verfahrensablauf gelten, wie etwa die grundsätzliche Schriftlichkeit (Art. 5 I EuGFVO) oder die starre und schnelle Fristenregelung (insbes. Art. 7 I, II EuGFVO). Etwas anderes gilt demgegenüber für die Zurückweisung des Antrags auf Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls. Art. 11 III EuMVVO stellt für diese klar, dass sie keine Rechtskraftwirkung auslöst.55 Dies rechtfertigt sich damit, dass das Gericht für die Entscheidung über den Antrag nur eine sehr eingeschränkte Begründetheitsprüfung durchführt.56 Sie beschränkt sich auf eine Negativ53
s. Rn. 436–500. Vgl. Rn. 1228–1276. 55 Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. II/Gruber, 2010, Art. 18 EuMVVO Rn. 11: Der Antragsteller ist in diesem Fall also nicht gehindert, erneut einen Zahlungsbefehl zu beantragen oder eine Klage zu erheben. 56 Gem. Art. 7 II lit.e EuMVVO muss der Antragsteller lediglich angeben, welche Beweismittel er zur Begründung seiner Forderung heranziehen wird, braucht zunächst also lediglich Tatsachen zu behaupten. Zwar hat das Gericht gem. Art. 8 EuMVVO auch zu prüfen, ob die Forderung „begründet erscheint“. Allerdings kann der Antrag gem. Art. 11 I lit.b EuMVVO schon dann zurückgewiesen werden, wenn die Forderung „offensichtlich“ unbegründet ist, was für die Durchführung einer Schlüssigkeitsprüfung spricht. Andererseits ist gem. Art. 12 IV lit.a EuMVVO darauf hinzuweisen, dass der Zahlungsbefehl nicht durch das Gericht nachgeprüft worden ist, was ein Argument gegen eine Schlüssigkeitsprüfung liefert. Gegen diese sprechen auch ErwG. 16 EuMVVO, wo ausdrücklich erlaubt ist, dass der Antrag nicht von einem Richter geprüft wird, sowie Art. 8 S. 2 EuMVVO, der auch eine Prüfung mittels automatisierten, also elektronischen Verfahrens gestattet. Grund für die unklare Regelung in der Verordnung ist letztlich, dass man sich im Gesetzgebungsverfahren nicht auf eine einheitliche Linie zur Frage der Prüfungskompetenz des Gerichts einigen konnte, vgl. hierzu Sujecki, Mahnverfahren, 2007, Rn. 377. Maßgeblich gegen eine Schlüssigkeitsprüfung spricht jedenfalls, dass damit dem 54
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Kontrolle dahingehend, ob schon die Angaben des Antragstellers auf den ersten Blick zeigen, dass die Forderung nicht begründet sein kann.57 Der objektive Inhalt der Präklusionswirkung Europäischer Titel ist nach 1362 verordnungsautonomen Maßstäben zu beurteilen. Dies gilt aus denselben Gründen, wegen derer die objektive Reichweite der Rechtskraft autonom zu bestimmen ist, so dass insoweit nach oben verwiesen werden kann.58 Insbesondere die Prioritätsregel von Art. 22 EuGFVO bzw. Art. 22 EuMVVO würde bei Geltung unterschiedlicher Präklusionsgrundsätze nicht funktionieren. Insoweit ist etwa auf die nationalen Rechtskraftunterschiede bei verdeckter und offener Teilklage zu verweisen.59 Wie allerdings der Inhalt der Präklusionswirkung zu umreißen ist, ist wiederum eine Frage, die letztlich durch den Gesetzgeber ausgefüllt werden muss. Allerdings dürfte auch insoweit eine sachverhaltsorientierte Betrachtung des Streitgegenstandsbegriffs vorzugswürdig sein.60 Ein weiterer Aspekt der Präklusionswirkung ist die Bedeutung des subjektiven Elements: Sind Tatsachen auch dann präkludiert, wenn der Kläger oder Beklagte sie nicht kannte? Angesichts der Beschleunigungsfunktion, die EuGFVO61 und EuMVVO62 verfolgen, erscheint eine rein objektive Begrenzung der Präklusionswirkung vorzugswürdig. Hierdurch kann verhindert Mahnverfahren jeglicher Rationalisierungs- und Entlastungseffekt genommen werden könnte, vgl. Sujecki, Mahnverfahren, 2007, Rn. 378. 57 Schlosser, EuZPR, 3. Aufl. 2009, Art. 8 EuMVVO Rn. 2; Rauscher-EuZPR/ EuIPR, Bd. II/Gruber, 2010, Art. 8 EuMVVO Rn. 4, Art. 11 EuMVVO Rn. 6–13 (insbes. 13); restriktiv ebenfalls Freitag/Leible, BB 2008, S. 2750 (2752); Sujecki, EuZW 2006, S. 330 (332) (nur offensichtlich unbegründete Forderungen können zurückgewiesen werden); ders., ZEuP 2006, S. 124 (139 f.); ders., Mahnverfahren, 2007, Rn. 378. Nach a. A. hat eine Schlüssigkeitsprüfung zu erfolgen, vgl. etwa Hess/Bittmann, IPRax 2008, S. 305 (307) mit Hinweis auf ErwG. 16 EuMVVO, wonach „schlüssig zu prüfen [ist], ob die Forderung begründet ist“; ebenso Bittmann, Klauselerteilungsverfahren, 2008, S. 213 f. Nach wieder a. A. soll das Gericht lediglich dann den Zahlungsbefehl erlassen, wenn eine Prima-Facie-Plausibilität des Anspruchs besteht, vgl. Rauscher/Rauscher, 2. Aufl. 2006, Einf. EuGMVVO Rn. 22 (mit dem Arg., dass mit dem Antrag gem. Art. 7 II lit.e EuMVVO die Beweismittel zum Nachweis der Forderung bezeichnet werden müssen). 58 Vgl. Rn. 1354 f. 59 Vgl. für Deutschland Rn. 565–567, für England Rn. 575 und für Frankreich Rn. 587. 60 s. bereits zu den Vorzügen einer sachverhaltsorientierten Streitgegenstandsbetrachtung Rn. 293. 61 In der EuGFVO ergibt sich dies schon aus der starren Fristenregelung in Art. 5 III EuGFVO, derzufolge der Beklagte innerhalb von 30 Tagen auf die Klage zu antworten hat. 62 In der EuMVVO folgt dies u. a. daraus, dass der Antragsgegner innerhalb von 30 Tagen Einspruch einlegen muss (Art. 16 II EuMVVO) und ein Fristversäumnis nur bei höherer Gewalt zur Überprüfung berechtigt (Art. 20 I lit.b EuMVVO).
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werden, dass durch Geltendmachung alter Tatsachen in missbräuchlicher Absicht eine erneute Anspruchsprüfung erwirkt werden kann. 1363
Dass sich auch die zeitliche Grenze der Präklusion teilweise nach verordnungseigenen Maßstäben richtet, folgt daraus, dass die europäischen Verordnungen teilweise selbst regeln, bis wann im Erkenntnisverfahren Einwendungen vorgebracht werden können. Dementsprechend fällt die zeitliche Präklusionsgrenze bei EuGFVO [a)] und unter der EuMVVO [b)] unterschiedlich aus. a) Zeitliche Präklusionsgrenze bei Europäischen Zahlungsbefehlen
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Bei einem Europäischen Zahlungsbefehl wird der maßgebliche Präklusionszeitpunkt grundsätzlich durch die Frist für den Einspruch vorgegeben, weil der Schuldner mit diesem alle bis dahin vorliegenden Einwendungen hätte geltend machen können. Spätere Tatsachen kann er nicht mehr vorbringen, wie sich der Regelung von Art. 20 I, II EuMVVO entnehmen lässt. Nach dieser ist eine spätere Überprüfung des Zahlungsbefehls nur möglich, wenn geltend gemacht wird, dass dieser „aufgrund von außergewöhnlichen Umständen offensichtlich zu Unrecht erlassen worden ist“. Dass dies nicht bei einfachen materiellrechtlichen Einwendungen der Fall ist, ergibt sich aus dem auf Schnelligkeit und Effektivität angelegten Zweck des Mahnverfahrens. Der maßgebliche Präklusionszeitpunkt liegt daher grundsätzlich 30 Tage nach Zustellung des Zahlungsbefehls, vgl. Art. 16 I EuMVVO.63
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Hiervon gilt nur dann eine Ausnahme, wenn der Schuldner den Zahlungsbefehl erfüllt hat, ohne zugleich Einspruch einzulegen. Aufgrund der Belehrung nach Art. 12 III EuMVVO durfte der in Anspruch Genommene darauf vertrauen, dass er entweder bezahlen oder einen Einspruch einlegen kann. In diesem Vertrauen ist er schutzwürdig, wenn er zahlt, ohne von der Einspruchsmöglichkeit Gebrauch zu machen. Daher kann die Geltendmachung zwischenzeitlicher Erfüllung auch dann nicht präkludiert sein, wenn sie vor Ablauf der 30-Tages-Frist eingetreten ist.64 Dieses Ergebnis wird durch Art. 22 II EuMVVO bestätigt, dessen Wortlaut auch dann die Verweigerung der Vollstreckung gestattet, wenn der Schuldner eine Erfüllung geltend macht, die er bereits im Verfahren der Titelerschaffung hätte vortragen können.65
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Vgl. für Deutschland § 1095 II ZPO. Kormann, Europäisches Mahnverfahren, 2007, S. 169; Freitag/Leible, BB 2008, S. 2750 (2754). 65 Vgl. Röthel/Sparmann, WM 2007, S. 1101 (1105). 64
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b) Zeitliche Präklusionsgrenze bei Europäischen Bagatellurteilen Bei Entscheidungen nach dem Europäischen Bagatellverfahren richtet 1366 sich der Präklusionszeitpunkt danach, bis wann gem. der EuGFVO materielle Einwendungen vorgebracht werden konnten. Wurde das Verfahren nur schriftlich durchgeführt (Art. 5 EuGFVO), kommt es darauf an, wann die Parteien die letzte Stellungnahme abgegeben haben. Andernfalls (Art. 8 EuGFVO) ist der Schluss der mündlichen Verhandlung maßgeblich. Ob durch die Rechtsmittelmöglichkeit (Art. 17 EuGFVO) der Zeitpunkt nach hinten verlegt wird, hängt davon ab, ob im nationalen Recht durch Rechtsmittel neue Tatsachen vorgetragen werden können oder ob ein sog. Novenverbot gilt.
C. Gemeinschaftsweite auf Abgabe einer Willenserklärung lautende Titel und deren Durchsetzung im Wege der Fiktion nach § 894 ZPO In Parallele zu § 11 E ist abschließend zu thematisieren, wie das beson- 1367 dere Vollstreckungsmittel der Willenserklärungsfiktion nach § 894 ZPO im System der automatischen gemeinschaftsweiten Vollstreckbarkeit zu behandeln ist. Wegen der besonderen Charakteristika dieses Vollstreckungsmittels ist seine gesonderte Betrachtung angebracht: Zum einen tritt die Erklärungsfiktion ein, ohne dass Vollstreckungsstellen nach Abschluss des Erkenntnisverfahrens tätig werden. Daher ist fraglich, ob die Fiktion wie eine Titelwirkung anzuerkennen ist oder wie ein Vollstreckungsakt. Zum anderen ist die Fiktion nicht lokal auf ein bestimmtes Staatsgebiet bezogen, so dass fraglich ist, in welchen Ländern eine einmal eingetretene Ersetzungswirkung greift. Für den Anwendungsbereich der EuGVVO hatte sich in § 11 ergeben, 1368 dass eine im Ursprungsland des Titels eingetretene Fiktionswirkung bereits dann auch für das Zweitland gilt, wenn der Titel dort (analog Art. 33 ff. EuGVVO) anerkennungsfähig ist.66 Kommt umgekehrt der Titel erstmals im Zweitland mit einer dort geltenden Fiktionsregelung wie § 894 ZPO in Berührung, muss hier ein Exequatur erteilt werden, um den Eintritt der Fiktionswirkung zu erzielen; diese gilt dann aber nur für das dortige Land und kann nicht im Wege der Anerkennung in andere Staaten weiter übertragen werden.67 Diese beiden Fragen stellen sich auch im Bereich der unmittelbaren Vollstreckbarkeit: Einerseits ist fraglich, ob und wann die Fiktions66 67
s. Rn. 1113–1126. s. Rn. 1128–1141.
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wirkung, die im Ursprungsland des Titels vorgesehen ist (Konstellation A), im Zweitland greift [II.]. Andererseits kommt es darauf an, wann ein Titel aus einem Erstland ohne Fiktionsregelung (Konstellation B) im Zweitland eine dort vorgesehene Fiktion auslöst und für welche Länder sie gilt [III.]. Diese Fragen stellen sich im vorliegenden Teil IV allerdings nur, soweit Verpflichtungen zur Abgabe einer Willenserklärung in Gemeinschaftsweiten Titeln zugesprochen werden können [I.]. I. Vorab: Verpflichtungen zur Abgabe einer Willenserklärung gemeinschaftsweit titulierbar? 1369
Ob es im gegenwärtigen Stadium der gemeinschaftsweiten Titelgeltung möglich ist, einen Anspruch auf Abgabe einer Willenserklärung als Gemeinschaftsweiten Titel zu titulieren, ist fraglich. Eine Verurteilung zur Abgabe einer Willenserklärung kann jedenfalls nicht als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden, weil dies gem. Art. 4 Nr. 2 EuVTVO nur für Geldforderungen möglich ist. Auch das Europäische Mahnverfahren ist auf derartige Ansprüche beschränkt (Art. 4 EuMVVO). Demgegenüber gelten die Art. 17–22 EuUnthVO nicht nur für bestimmte Anspruchsarten, sondern vielmehr allgemein für Unterhaltspflichten, vgl. Art. 1 I EuUnthVO. Soweit im nationalen Unterhaltsrecht beispielsweise Verpflichtungen zur Abtretung von Ansprüchen oder auf Übertragung von Eigentum vorgesehen sind, könnten auch Ansprüche auf Abgabe einer Willenserklärung erfasst sein. Jedenfalls Entscheidungen, die das Eigentum an Gegenständen übertragen, hat der EuGH als Unterhaltsentscheidungen eingeordnet, soweit die Eigentumsübertragung der Sicherung des Unterhalts dient.68
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Fraglich ist, ob Ansprüche auf Abgabe von Willenserklärungen im Wege des Europäischen Bagatellverfahrens tituliert werden können. Dessen sachlicher Anwendungsbereich ist nach Art. 1 I EuGFVO auf „Forderungen“ beschränkt, wobei die Formulierung offenlässt, ob nur auf Geld gerichtete Ansprüche gemeint sind, oder auch solche auf Abgabe einer Willenserklärung erfasst sein können. Art. 1 I EuGFVO ist in seinem Wortlaut jedenfalls erkennbar weiter als die erwähnten Art. 4 Nr. 2 EuVTVO und Art. 4 EuMVVO, welche ausdrücklich den Anwendungsbereich der jeweiligen europäischen Verordnung auf Geldleistungsansprüche beschränken. Auch Art. 2 II lit.g EuGFVO spricht dafür, dass die EuGFVO auch für NichtGeldleistungsansprüche gilt. Nach dieser Vorschrift ist das Europäische Bagatellverfahren nicht auf Miete oder Pacht unbeweglicher Sachen anwend68 EuGH, 17.02.1997 – Rs. C-220/95, van den Boogaard ./. Laumen, Slg. I-1997, 1147 zum EuGVÜ. Dies gilt auch für die EuUnthVO, vgl. Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. IV/Andrae, 2010, Art. 1 EuUnthVO Rn. 27.
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bar, nimmt von dieser Bereichsausnahme aber „Klagen wegen Geldforderungen“ aus. Unmittelbar bedeutet dies, dass Geldforderungen auch dann in einem Europäischen Bagatellurteil tituliert werden können, obwohl sie sich aus Miet- oder Pachtverhältnissen über unbewegliche Sachen ergeben. Mittelbar ergibt sich hieraus aber auch, dass Ansprüche aus Miet- oder Pachtverhältnissen, die nicht auf Geldzahlung lauten, an sich in den Anwendungsbereich der EuGFVO fallen. Andernfalls hätte es der Regelung des Art. 2 II lit.g EuGFVO nicht bedurft, da diese ja nur Nichtgeldleistungsansprüche betrifft. Dafür, dass die EuGFVO nicht nur für Geldleistungstitel, sondern für alle 1371 Leistungstitel gilt, spricht auch das „Klageformblatt A“, mit dem gem. Art. 4 I EuGFVO ein Europäisches Bagatellverfahren eingeleitet wird und das in Anhang I der Verordnung abgedruckt ist. In dessen Ziff. 7 sind über den Inhalt der Forderung Angaben zu machen, wobei der Antragsteller entweder Ziff. 7.1 ankreuzen kann, wenn es sich um eine Geldforderung handelt, oder Ziff. 7.2., wenn er eine „andere Forderung“ einklagt. Es ist daher davon auszugehen, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber das Europäische Bagatellverfahren auch für Nichtgeldleistungsforderungen angewendet wissen wollte und dieses mithin auch Ansprüche erfasst, die auf Abgabe einer Willenserklärung gerichtet sind.69 II. Konstellation A: Gemeinschaftsweiter Titel entstammt einem Land mit Fiktionsregelung Tritt ein Gemeinschaftsweiter Titel, der auf Abgabe einer Willenserklä- 1372 rung lautet, aus einer Rechtsordnung, die eine Fiktion kennt, in ein Land ohne eine solche ein, sind die Voraussetzungen fraglich, unter denen auch im Zweitland die Willenserklärung als abgegeben gilt. Zur Verdeutlichung soll folgender Beispielsfall gebildet werden: M be- 1373 treibt seit vielen Jahren in Deutschland unter der Firmenbezeichnung „Reifen-Müller“ ein Unternehmen mit Filialen im ganzen Bundesgebiet. Als er für dieses einen Internetauftritt einrichten will, muss er feststellen, dass die Internet-Domain „www.reifen-mueller.de“ bereits von dem in Griechenland ansässigen Domain-Händler X bei der für Deutschland zuständigen DENIC eG registriert wurde.70 Da die DENIC eG ohne Zustimmung des DomainInhabers X nicht die Domain auf den M umregistrieren kann, verlangt 69 Für einen weiten Anwendungsbereich auch Freitag/Leible, BB 2009, S. 2 (3), der sogar davon ausgeht, auch Gestaltungs- und Feststellungstitel fielen in den Anwendungsbereich der EuGFVO. 70 Die DENIC (Deutsches Network Information Center) eG ist die zentrale Registrierungsstelle für sog. Domains mit der Endung „.de“.
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M von X Erteilung der Zustimmung. Dieser erklärt sich hierzu nur gegen Zahlung von 30.000 e bereit, hat ansonsten aber kein eigenes Interesse an der Verwendung der Domain. Daraufhin leitet M gegen X in Griechenland ein Bagatellverfahren ein und verlangt Zustimmung zur Freigabe der Domain. Es ist durchaus denkbar, dass die Bagatellgrenze von 2000 e (Art. 2 I EuGFVO) beim Streit um die Domain nicht überschritten ist. Unter Anwendung deutschen Sachrechts71 kommt das griechische Gericht zu dem Ergebnis, dass sich der geltend gemachte Anspruch aus der Verletzung des Namensrechts des M nach § 12 BGB ergibt72 und verurteilt den X antragsgemäß auf Zustimmung zur Übertragung der Domain. Nachdem sich die DENIC eG immer noch weigert, die Domain zu übertragen, erhebt M nun gegen diese Klage auf Umschreibung der Domain (Anspruchsgrundlage: wettbewerbsrechtlicher Vornahmeanspruch aus §§ 33 I, 19 I GWB) und beruft sich auf die nach griechischem Recht73 eingetretene Fiktion der von X geschuldeten Willenserklärung. Es stellt sich nun die Frage, wann die in Griechenland eingetretene Fiktion auch in Deutschland gilt. 1374
Unter der EuGVVO erstreckt sich in dieser Fallkonstellation die Fiktionswirkung auf das Zweitland, wenn die Entscheidung dort analog Art. 33 ff. EuGVVO anerkennungsfähig ist. Zu diesem Ergebnis kamen wir aufgrund der Einordnung der Erklärungsfiktion als Vollstreckungsakt, auf dessen Anerkennung im Zweitland die Art. 33 ff. EuGVVO zwar nicht unmittelbar anwendbar, hierfür aber passend sind.74 Diese Überlegungen haben gleichermaßen Gültigkeit, wenn der Anspruch auf Abgabe einer Willenserklärung in einem Gemeinschaftsweiten Titel judiziert wurde. Auch dann handelt es sich bei der im Ursprungsland eingetretenen Fiktion um einen Vollstreckungsakt, dessen Wirkungen nach den einschlägigen Anerkennungsregeln ins Zweitland importiert werden können. Hierfür bieten sich ebenfalls die Art. 33 ff. EuGVVO in analoger Anwendung an, weil diese unabhängig davon passend sind, ob die Vollstreckung im Ursprungsland aufgrund eines Titels eingetreten ist, der gemeinschaftsweit vollstreckbar 71
Dessen Anwendbarkeit dürfte sich aus dem Erfolgsortprinzip im internationalen Deliktsrecht ergeben, wobei hierfür die Rom II-VO nicht anwendbar ist, vgl. Art. 1 II lit.g Rom II-VO. 72 In der deutschen Rspr. ist anerkannt, dass Domains, die zumindest in wesentlichen Bestandteilen aus dem Firmennamen bestehen, vom Namensrecht gem. § 12 BGB geschützt sind, und dass ein Anspruch auf Freigabe der Domain besteht, wenn der Inhaber keinen eigenen Bezug zum Namen hat und die reservierte Domain tatsächlich auch nicht nutzt. Vgl. LG Wiesbaden, 09.08.2000 – 3 O 129/00, MMR 2001, S. 59; OLG Köln, 18.12.1998 – 13 W 48–98, NJW-RR 1999, S. 622. Der Anspruch auf Übertragung der Domain kann im Wege von § 894 ZPO vollstreckt werden, vgl. LG München I, 04.04.2000 – 21 O 4375/00, MMR 2001, S. 61. 73 s. zum griechischen Recht Rn. 1010. 74 s. Rn. 1094–1107.
§ 13 Die Wirkungen der Anerkennung Gemeinschaftsweiter Titel
637
ist, oder aufgrund eines solchen, der durch Exequatur auch im Zweitland vollstreckt werden könnte. Somit gilt in der vorliegend untersuchten Fallkonstellation die Erklärungsfiktion dann für das Zweitland, wenn der Titel dort analog der Art. 33 ff. EuGVVO anerkennungsfähig ist. Dieses Ergebnis steht auch im Einklang mit dem Sinn und Zweck der 1375 gemeinschaftsweiten Vollstreckbarkeit: Diese will nur den Zugang zu den Vollstreckungsmitteln im Zweitland vereinfachen, führt jedoch nicht auch eine allgemeine und vorbehaltlose Anerkennungspflicht hinsichtlich der Wirkungen ausländischer Vollstreckungsakte ein. Es hätte einer ausdrücklichen Regelung bedurft, wenn beispielsweise die Wirkungen eines im Ursprungsland vorgenommenen Pfändungsaktes – oder eben einer dort eingetretenen Willenserklärungsfiktion – auch im Zweitland automatisch gelten sollen. Eine derartige „echte“ grenzüberschreitende Vollstreckung, bei der die Vollstreckungsstellen eines Mitgliedstaates auch für das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates Ansprüche beitreiben, gestattet das Europäische Zivilverfahrensrecht gegenwärtig nicht. Dies lässt sich auch am Entstehungsprozess der EuUnthVO betrachten. Der Kommissions-Entwurf für die EuUnthVO von 200675 hatte nämlich vorgesehen, dass das Erstgericht im Ursprungsland Forderungen des Unterhaltsschuldners pfänden kann und dass die Pfändungswirkungen automatisch für das gesamte Gemeinschaftsgebiet gelten (Art. 34 Entw.-EuUnthVO). Dasselbe hätte für vorübergehende Sperrungen von Konten des Unterhaltsverpflichteten gelten sollen (Art. 35 Entw.-EuUnthVO). Derartige verordnungseigene Vollstreckungsmöglichkeiten konnten sich aber letztlich nicht durchsetzen, weil die Vollstreckungsrechte der Mitgliedstaaten insoweit zu unterschiedlich sind.76 Stattdessen gestattet die Verordnung jetzt mit Art. 18 EuUnthVO dem Unterhaltsberechtigten nach dem Recht des Vollstreckungsstaates Sicherungsmaßnahmen zu veranlassen.77 Somit gilt für den geschilderten Beispielsfall, dass die in Griechenland 1376 eingetretene Fiktion der von X geschuldeten Willenserklärung nur dann auch im Zweitland beachtlich ist, wenn der Titel hier analog Art. 33 ff. EuGVVO anerkennungsfähig ist. Hat der Titel im Ursprungsland noch keine Rechtskraft erlangt, so dass dort auch noch keine Fiktion eingetreten ist, kann eine solche auch im Zweitland nicht anerkannt werden.
75 Vgl. KOM(2006) 206 endg. v. 12.05.2006, verfügbar unter http://eur-lex.europa. eu/de/editorial/registre.htm. 76 Rauscher-EuZPR/EuIPR, Bd. IV/Andrae/Schimrick, 2010, Art. 18 EuUnthVO Rn. 2. 77 s. zu Art. 18 EuUnthVO bereits Rn. 1220–1222.
638
Teil IV: Die Wirkungen unmittelbarer Titelgeltung
III. Konstellation B: Gemeinschaftsweiter Titel gelangt in ein Land mit Fiktionswirkung 1377
Entstammt der Titel einer Rechtsordnung ohne eine Regel wie § 894 ZPO, stellt sich die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen er im Zweitland eine dort vorgesehene Fiktionswirkung entfaltet. Man kann sich – in Abwandlung des zuvor dargestellten Domain-Falles – vorstellen, dass der Domain-Händler X in Italien ansässig ist und M ihn dort erfolgreich durch Bagatellverfahren nach der EuGFVO auf Übertragung der Domain in Anspruch genommen hatte. Da in Italien eine Fiktionsregelung wie § 894 ZPO nicht vorgesehen ist, stellt sich vor dem mit der Klage gegen die DENIC eG befassten deutschen Gericht die Frage, ob möglicherweise in Deutschland gem. § 894 ZPO die nach dem unmittelbar vollstreckbaren italienischen Bagatellurteil geschuldete Willenserklärung fingiert wurde.
1378
Im Rahmen der EuGVVO gilt für diese Konstellation, dass die Entscheidung im Zweitland für vollstreckbar erklärt werden muss, um in den Genuss einer dort vorgesehenen Fiktion zu kommen.78 Eine Weiterübertragung der Abgabefiktion in Drittländer wurde allerdings ausgeschlossen.79 Diese Prinzipien lassen sich ohne weiteres auf die gemeinschaftsweit gültigen Titel übertragen: Dass auch auf sie eine Regelung i. S. v. § 894 ZPO anwendbar ist, folgt schon aus dem Verbot der Schlechterstellung ausländischer Vollstreckungstitel gegenüber inländischen.80 Weil die Gemeinschaftsweiten Titel ohne Exequatur im Zweitland durchgesetzt werden können, wird mit Eintritt der Vollstreckbarkeit des Titels im Ursprungsland die Willenserklärung in all denjenigen Mitgliedstaaten fingiert, deren Vollstreckungsrechte eine Fiktion kennen, sobald deren Voraussetzungen erfüllt sind.
1379
In Deutschland setzt der Eintritt der Fiktion nach § 894 ZPO eigentlich voraus, dass der Titel in Rechtskraft erwachsen ist. Es stellt sich aber die Frage, ob diese Voraussetzung auch dann greift, wenn es sich um einen Gemeinschaftsweiten Titel handelt. Dies ist unter Betrachtung der Verordnungen zur gemeinschaftsweiten Titelgeltung zu beantworten, wobei vorliegend lediglich die EuGFVO und die EuUnthVO auszuwerten sind, die ja momentan die einzigen Titelverordnungen sind, die auch Ansprüche auf Abgabe einer Willenserklärung erfassen. Wie sich für die Vollstreckung vor Rechtskraft des Titels im Ursprungsland bereits gezeigt hatte, verlangen EuGFVO und EuUnthVO, dass die Titel – unabhängig von deren Rechtskraft im Ursprungsland – stets so vollstreckt werden, als ob sie rechtskräftig wären.81 78 79 80 81
s. Rn. 1128–1130. s. Rn. 1135–1141. Vgl. Prämisse 3, s. Rn. 1189–1192. s. Rn. 1225 (zur EuGFVO), 1219 (zur EuUnthVO).
§ 13 Die Wirkungen der Anerkennung Gemeinschaftsweiter Titel
639
Für diese beiden Titel bedeutet dies, dass eine im Zweitland vorgesehene Willenserklärungsfiktion stets eintritt, selbst wenn sie im Ursprungsland noch nicht in Rechtskraft erwachsen sein sollten. Das Rechtskrafterfordernis von § 894 ZPO ist also aus Gründen des Gemeinschaftsrechts nicht anwendbar. Eine Weiterübertragung der Fiktion in andere Länder durch Anerkennung 1380 analog Art. 33 ff. EuGVVO muss aus denselben Gründen ausscheiden wie unter der EuGVVO, nämlich zur Vermeidung eines nicht akzeptablen enforcement shoppings und zur Verhinderung eines unzulässigen Doppelexequaturs.82 Für die Titel im Anwendungsbereich von Art. 17 I EuUnthVO ergibt sich aus deren automatischer gemeinschaftsweiter Anerkennungsfähigkeit ein weiteres Argument gegen die Möglichkeit der Weiterübertragung von im Zweitstaat eingetretenen Fiktionen: Wegen dieser unmittelbaren gemeinschaftsweiten Anerkennungsfähigkeit entstünde das merkwürdige Ergebnis, dass sich die Fiktionswirkung aus einem Land zwangsläufig in alle anderen weiter ausbreitet, so dass letztlich für jeden Titel im Anwendungsbereich des Art. 17 I EuUnthVO, der zur Abgabe einer Willenserklärung verpflichtet, automatisch europaweit eine Fiktionswirkung eintreten würde. Stattdessen gilt – wenn der Titel aus einer Rechtsordnung ohne Erklä- 1381 rungsfiktion stammt – die geschuldete Willenserklärung im Staatsgebiet derjenigen Mitgliedstaaten, die eine solche Fiktion ebenfalls nicht vorsehen, als nicht abgegeben. Hier bleibt dem Gläubiger nichts anderes übrig, als durch Beugemittel nach örtlichem Recht den Schuldner zur Abgabe der Willenserklärung zu zwingen. Im Beispielsfall gilt also die von X geschuldete Willenserklärung in 1382 Deutschland als abgegeben, sobald der Titel gemeinschaftsweit Vollstreckbarkeit erlangt hat. Dafür muss die italienische Ausgangsentscheidung – entgegen § 894 ZPO – nicht rechtskräftig sein.
82
s. Rn. 1137–1140.
Teil V
Schluss § 14 Zusammenfassung der Ergebnisse 1383
An dieser Stelle sind die Einzelergebnisse der vorangegangenen Untersuchungen zusammenzufassen. Einerseits ging es hierbei um die Wirkungen der Anerkennung mitgliedstaatlicher Titel nach der EuGVVO [A.], andererseits um die der nach der EuGVVO verliehenen Vollstreckbarkeit [B.]. Ferner wurde untersucht, welche Effekte die Gemeinschaftsweiten Titel im Zweitland auslösen [C.].
A. Die Wirkungen der Anerkennung nach der EuGVVO (Teil II) in zusammenfassender Betrachtung 1384
Die Frage nach den Wirkungen der Anerkennung ist die Suche nach dem im Zweitland auf die Entscheidungswirkungen anwendbaren Recht. Um das prozessuale Vertrauen der Parteien zu schützen und um sicherzustellen, dass ihnen – gemessen an der Tragweite der Entscheidungswirkungen – ausreichende Rechtsschutzmöglichkeiten offenstanden, sind die anerkannten Entscheidungswirkungen – im Sinne einer Wirkungserstreckung – grundsätzlich dem Recht des Ursprungsstaates zu entnehmen (Schritt 1).1 Die Gleichstellungslehre, nach der das Recht des Zweitstaates heranzuziehen wäre, ist demgegenüber abzulehnen.2 Abweichend von Schritt 1 gibt ausnahmsweise das in der Hauptsache des Ausgangsverfahrens angewendete Sachrecht die Titelwirkungen vor, wenn sie einen materiellrechtlichen Gehalt haben (Schritt 2).3 Sie dürfen dann aber nicht den Rahmen dessen übersteigen, was die lex fori des Ursprungslandes vorsieht, weil sich die Beteiligten bei Durchführung des Verfahrens auf das dortige Prozessrecht eingestellt haben.4 Sieht das nach den Schritten 1 und 2 bestimmte Statut Wirkungen vor, die das Maß der im Recht des Anerkennungslandes für gleichartige 1 2 3 4
s. s. s. s.
Rn. Rn. Rn. Rn.
68–80. 81–96. 97–118. 113–116.
§ 14 Zusammenfassung der Ergebnisse
641
Entscheidungen geltenden Wirkungen übersteigen, ist in Schritt 3 ggf. eine Wirkungsbegrenzung möglich. Eine solche Limitierung ist aber nur angemessen, soweit die weitergehenden Titeleffekte mit dem zweitstaatlichen ordre public unvereinbar wären, etwa weil das rechtliche Gehör der Parteien angesichts der Titelwirkungen zu kurz käme.5 Diese Regeln zur Bestimmung des auf die Wirkungen ausländischer Titel 1385 anwendbaren Rechts gelten aber nur insoweit, wie die Titeleffekte überhaupt als prozessuale Entscheidungswirkungen i. S. der EuGVVO qualifiziert werden können.6 Handelt es sich demgegenüber lediglich um materielle Nebenwirkungen, ist der Anwendungsbereich des europäischen Anerkennungsrechts nicht eröffnet. Die Schritte 1 bis 3 gelten genauso wenig für die instrumentelle Seite einer anerkannten Entscheidungswirkung im Zweitland, also für ihre Umsetzung im zweitstaatlichen Verfahren. Diesbezügliche Regelungen des Statuts der Entscheidungswirkungen sind vom Verweisungsbefehl nicht erfasst, vielmehr ist insoweit stets das Recht des Anerkennungslandes maßgeblich.7 I. Die objektive Reichweite der Rechtskraft ausländischer Entscheidungen (§ 4) In den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen wird die Rechtskraftwirkung 1386 nach unterschiedlichen Modellen erklärt: Das prozessrechtliche Verständnis in Deutschland steht dem herkömmlicherweise materiellrechtlichen in Frankreich gegenüber.8 Die englische Rechtskraftdogmatik vereint materiellrechtliche und prozessuale Elemente.9 Wie auch immer die Rechtskraft erklärt wird – sie ist stets als eine nach der EuGVVO anerkennungsfähige Entscheidungswirkung zu qualifizieren.10 Darüber hinaus umreißen die nationalen Rechtsordnungen nach unter- 1387 schiedlichen Richtlinien den Streitgegenstand, über den rechtskräftig entschieden wurde: In Deutschland wird der Klagegrund mit dem Lebenssachverhalt gleichgesetzt11, in Frankreich besteht er herkömmlicherweise aus Anspruchsgrundlagen und Rechtsargumenten12. Auch in England gilt im Ergebnis ein sachverhaltsorientierter Streitgegenstandsbegriff. Dieser wird 5
s. Rn. 119–152. s. Rn. 57–64. 7 s. Rn. 157 f. 8 s. Rn. 162 einerseits, 168 andererseits. 9 s. Rn. 166. 10 s. Rn. 236. 11 s. Rn. 184–186. 12 s. Rn. 222–226. 6
642
Teil V: Schluss
allerdings nicht durch ein tatsachenorientiertes Verständnis des cause of action erreicht. Letzterer bezieht sich nämlich nur auf einen anerkannten rechtlichen Grund für das Klageziel.13 Vielmehr erfasst die Präklusionswirkung parallele causes of action, die dasselbe Ziel begründen können, und bewirkt damit eine sachverhaltsorientierte Begrenzung des Streitgegenstandes.14 1388
Kontraste bestehen auch in der Frage, welche Entscheidungsbestandteile von der Rechtskraft erfasst sind. Während das deutsche Recht die Verbindlichkeit streng auf den im Tenor enthaltenen Rechtsfolgenausspruch beschränkt und nur ausnahmsweise auf Vorfragen erstreckt15, kennen das englische und das französische Recht eine umfangreiche Vorfragenbindung. In Frankreich ist diesbezüglich aber eine generelle Abgrenzung nicht möglich: Wann hier im Einzelnen verbindliche motifs décisifs, motifs décisoires oder dispositif implicite vorliegen, lässt sich allgemeingültig kaum sagen.16 Demgegenüber herrscht in England ein sehr ausdifferenziertes System an Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit eine Entscheidung einen issue estoppel auslöst.17 Im Unterschied zum französischen Recht können in England sogar tatsächliche Feststellungen an der res judicata-Wirkung teilnehmen.18
1389
Die unterschiedliche gegenständliche Reichweite der einzelstaatlichen Rechtskraftmodelle bereitet in der Anerkennungsphase kaum Schwierigkeiten: Fast immer gilt gem. Schritt 1 das Recht des Ursprungslandes.19 Ein lex causae-Rückgriff nach Schritt 2 ist ausschließlich dann angebracht, wenn die Abänderbarkeit ausländischer Titel im Zweitland zu bestimmen ist, wie anhand des Falls 1.1 nachgewiesen werden konnte.20 Eine Wirkungsbegrenzung nach Schritt 3 ist in aller Regel nicht erforderlich.21 Aus Sicht des deutschen ordre public ist insbesondere die Vorfragenbindung englischer und französischer Prägung unproblematisch, weil diese jeweils nur in engen Grenzen besteht und strenge Voraussetzungen hat, durch die gewährleistet ist, dass das rechtliche Gehör der Parteien nicht verletzt ist. Dies konnte anhand des Falls 1.2 verdeutlicht werden.22 Genauso können 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22
s. s. s. s. s. s. s. s. s. s.
Rn. Rn. Rn. Rn. Rn. Rn. Rn. Rn. Rn. Rn.
190 f. 192 f. 173–181. 209–217. 194–204. 194, 199. 235–237. 238–252. 253–260. 254–257.
§ 14 Zusammenfassung der Ergebnisse
643
Bindungswirkungen hinsichtlich tatsächlicher Feststellungen in Deutschland hingenommen werden.23 Ferner wurde anhand des Falls 1.3 gezeigt, dass die Wirkungen der Anerkennung nicht zu begrenzen sind, wenn im Ursprungsstaat ein breiterer Streitgegenstandsbegriff gilt als im Zweitland.24 Vor dem Hintergrund, dass die einzelnen Mitgliedstaaten die objektive 1390 Rechtskraft unterschiedlich bemessen und dass im Rahmen der Rechtshängigkeitsregel des Art. 27 EuGVVO ein autonomer Streitgegenstandsbegriff gilt, schließt sich die Frage an, ob für anerkannte mitgliedstaatliche Entscheidungen ein europaweit einheitlicher, autonomer Rechtskraftgegenstand gelten sollte. Allerdings ist schon bei Anwendung der Wirkungserstreckungslehre sichergestellt, dass die Rechtskraft auch in grenzüberschreitenden Fällen ihren Zweck erfüllen kann.25 Daher bedarf es keiner gemeinschaftsweit einheitlichen Rechtskraftlehre. Falls man aber nach sinnvollen europaweit einheitlichen Rechtskraftregeln fragt, erscheint eine sachverhaltsorientierte Betrachtung vorzugswürdig, eine Vorfragenbindung hingegen eher problematisch.26 II. Die subjektive Wirkungsreichweite ausländischer Entscheidungen (§ 5) Der Kreis der Personen, denen gegenüber Entscheidungen Bindungen 1391 auslösen, ist in den verglichenen Rechtsordnungen unterschiedlich groß. Auch wenn überall die Rechtskraft im Grundsatz auf die Parteien des Ausgangsverfahrens beschränkt ist27, werden die Bindungswirkungen nach unterschiedlichem Schema subjektiv erweitert. Hierfür bedient man sich entweder prozessualer Drittwirkungen oder rein materiellrechtlicher Nebenfolgen. In Frankreich und England stehen Rechtskrafterstreckungen im Vorder- 1392 grund, während in Deutschland Drittbindungen in aller Regel als rein materiellrechtliches Phänomen erklärt werden.28 Das deutsche Recht kennt eine echte Rechtskrafterstreckung bei Prozessstandschaft und im Falle der Rechtsnachfolge, während die verschiedenen Drittbindungsfälle kraft materiellrechtlicher Abhängigkeit überwiegend materiellrechtlich erklärt werden.29 Im England wird die Rechtskraftwirkung nach der privity-Lehre in 23 24 25 26 27 28 29
s. s. s. s. s. s. s.
Rn. Rn. Rn. Rn. Rn. Rn. Rn.
256. 258–260. 261–289. 290–293. 295, 297 f. (Deutschland), 336–340 (England), 360–371 (Frankreich). 345 u. 372 einerseits, 316 f. andererseits. 299–328.
644
Teil V: Schluss
subjektiver Hinsicht erweitert – zu unterscheiden sind privies in blood, in title und in interest.30 Dogmatisches Erklärungsmuster für Rechtskrafterweiterungen im französischen Recht ist demgegenüber die Annahme einer fiktiven Repräsentation Dritter bei der Verfahrensdurchführung.31 1393
Rein prozessual gestalten hingegen alle Länder diejenigen Bindungen aus, die die Parteien des Ausgangsverfahrens durch entsprechende Prozesshandlungen gegenüber Dritten herbeiführen können. Dem Modell der Streitverkündung im deutschem Recht32 und der third party notice in England33 steht die Gewährleistungs- bzw. Garantieklage gegenüber, die das französische Recht kennt34, aber auch in England in Form des third party proceeding vorgesehen ist35. In einigen Fällen sind Entscheidungswirkungen erga omnes bzw. gegenüber einen unbestimmt großen Personenkreis vorgesehen. Zu nennen sind hierbei insbesondere die englischen judgments in rem.36
1394
Eine bemerkenswert weite Rechtskraftwirkung kennt das US-amerikanische Zivilprozessrecht für den besonderen Verfahrenstypus der class action. Hier sind im Grundsatz alle Mitglieder der vertretenen class an das Urteil gebunden, selbst wenn sie weder am Verfahren mitgewirkt noch von ihm Kenntnis hatten.37 In manchen Fällen haben die unbeteiligten Dritten aber die Möglichkeit eines nachträglichen opt-out, um sich der Wirkung des Urteils zu entziehen.38
1395
In vergleichender Betrachtung lassen sich vier Ursachen unterscheiden, wegen derer Gerichtsentscheidungen auch gegenüber unbeteiligten Dritten Wirkungen entfalten39: In Fallgruppe 1 wurden die Konstellationen zusammengefasst, in denen ein Urteil deshalb auch einem Dritten gegenüber wirkt, weil dieser dieselbe Interessenlage hat wie einer der Prozessbeteiligten. Fallgruppe 2 erfasst alle Drittbindungsfälle, die durch die prozessualen Beteiligungsrechte des Außenstehenden gerechtfertigt sind. Demgegenüber treten in Fallgruppe 3 die subjektiven Wirkungserweiterungen deshalb ein, weil aufgrund materiellen Rechts die Stellung des Dritten vom Gegenstand oder von einem der Beteiligten des Vorprozesses abhängt. Und in Fall30
s. Rn. 345–354. s. Rn. 372–380. 32 s. Rn. 332–335. 33 s. Rn. 355. 34 s. Rn. 387–390. 35 s. Rn. 340. 36 s. Rn. 356–359. s. für Deutschland Rn. 329–331 und für Frankreich Rn. 386, wo auch eine opposabilité absolue unterschieden wird. 37 s. Rn. 391–409. 38 s. Rn. 410–412. 39 s. Rn. 415–432. 31
§ 14 Zusammenfassung der Ergebnisse
645
gruppe 4 sind schließlich die Situationen zusammengefasst, in denen Dritte unter Verkürzung des rechtlichen Gehörs zum Schutz übergeordneter Rechtsgüter an das Urteil gebunden sind. Zur Anerkennung von Drittbindungen ist zunächst zu klären, in welchen 1396 der vielgestaltigen Fallkonstellationen, in denen sie nach einzelstaatlichem Recht eintreten können, eine nach der EuGVVO anzuerkennende Entscheidungswirkung vorliegt. Die erforderliche Qualifikation hängt jedenfalls nicht davon ab, ob eine Drittwirkung im Recht des Ursprungslandes materiell- oder prozessrechtlich erklärt wird.40 Wie sich gezeigt hat, ist eine Drittbindung vielmehr dann anerkennungsfähig, wenn sie ihre primäre Geltungswurzel in der richterlichen Entscheidung des Ursprungslandes hat.41 Denn dann ist ihr Import noch dadurch gerechtfertigt, dass der Zweitstaat bereit ist, die ausländische Entscheidung gelten zu lassen. Unter Anwendung dieses Qualifikationskriteriums zeigte sich, dass sämtliche Drittbindungen grundsätzlich anerkennungsfähig sind.42 Eine Ausnahme gilt nur für einige in Fallgruppe 3 eingeordnete Fälle: Tritt eine Drittwirkung aufgrund materiellrechtlicher Abhängigkeit ein, handelt es sich in der Regel um eine Nebenwirkung, die nicht von der EuGVVO erfasst ist. Meist unterliegen anerkannte Drittbindungen nach Schritt 1 dem Recht 1397 des Ursprungslandes, wie anhand des Falls 2.1 und des Falls 2.2 verdeutlicht wurde.43 Teilweise haben Drittbindungen aber einen materiellrechtlichen Gehalt, der es rechtfertigt, sie entsprechend Schritt 2 der im Ursprungsverfahren angewendeten lex causae zu unterstellen. Dies ist nicht nur in den in Fallgruppe 3 zusammengefassten Fällen denkbar, wie anhand des Falls 2.3 und des Falls 2.4 verdeutlicht wurde.44 Vielmehr kommt dies auch in Betracht, wenn im Ursprungsverfahren ein Prozessstandschafter aufgetreten war. Soweit sich dessen Prozessführungsmacht nicht aus der lex fori des Ursprungsgerichts ergeben hatte, sondern aus einem aus dortiger Sicht fremden Statut, sollte nach diesem auch im Anerkennungsland beurteilt werden, wie sich die fremde Prozessführung auf den Rechtsträger auswirkt.45 Eine nach Schritt 3 durchzuführende Wirkungsbegrenzung aus Rücksicht 1398 auf das Recht des Anerkennungslandes ist bei Anerkennung von Drittbindungen insbesondere zum Schutz des rechtlichen Gehörs der Drittgebundenen angezeigt.46 Hierbei ist nach der Rechtsordnung des Anerkennungslan40 41 42 43 44 45 46
s. s. s. s. s. s. s.
Rn. Rn. Rn. Rn. Rn. Rn. Rn.
437. 438–446. 447–453. 456–462. 463–467. 468–474. 476–481.
646
Teil V: Schluss
des jeweils zu fragen, ob dem Dritten angesichts der ihn treffenden Bindung ein Anspruch auf rechtliches Gehör im Ursprungsverfahren zugekommen wäre (Frage 1). Falls dies bejaht wird, sind die Teilnahmerechte in den Blick zu nehmen, die dem Dritten im Erststaat gewährt wurden, und zu fragen, ob diese – gemessen an den Gewährleistungen des Gehörsanspruchs im Recht des Zweitlandes – ausreichend waren (Frage 2). Wird dies verneint, stellt sich schließlich Frage 3: Wurde die ungenügende Gehörswahrung zu Gunsten des Dritten durch anderweitige Vorkehrungen ausgeglichen oder war sie zumindest zum Schutz anderer höherrangiger Rechtsgüter gerechtfertigt? 1399
Unter Anwendung dieses Prüfungsschemas ergibt sich, dass die Drittbindungsfälle der Fallgruppen 1 bis 4 im Grundsatz in England, Deutschland und Frankreich anerkannt werden können.47 Dies folgt daraus, dass diese vier Ursachen für den Eintritt von Drittbindungen in jeder der betrachteten Rechtsordnungen bekannt sind, so dass aus Sicht jedes Landes jeder Drittbindungsgrund grundsätzlich akzeptabel ist. Vorbehaltlich einer Einzelfallprüfung wird man daher annehmen können, dass ihre Anerkennung in keinem der drei Länder auf grundlegende Bedenken stößt. Abschließend wurde untersucht, ob die Rechtskraftwirkung US-amerikanischer class action-Entscheidungen in Deutschland anerkannt werden könnte.48 Dies ist anhand des § 328 I Nr. 4 ZPO zu beurteilen. Zum Schutz des rechtlichen Gehörs ist eine Anerkennung in Deutschland grundsätzlich dann möglich, wenn gegenüber der class eine notice ergangen ist, wobei eine öffentliche Bekanntmachung im Grundsatz ausreichend, die Einhaltung einer bestimmten Form mithin nicht erforderlich ist. III. Die Gestaltungswirkung ausländischer Entscheidungen (§ 6)
1400
Nicht nur das deutsche Recht kennt das Phänomen, dass die materielle Rechtslage durch Richterspruch umgeformt wird. Auch das englische und das französische Recht sehen eine derartige Wirkung vor, auch wenn sie für diese keine eigenständige Kategorie entwickelt haben.49 Für die Zwecke dieser Arbeit wird nichtsdestotrotz einheitlich von der Gestaltungswirkung gesprochen. Auch sie wird nach den Regelungen der EuGVVO anerkannt50, so dass sich die Frage nach ihrer Wirkung im Zweitland stellt.
1401
Welche Wirkung die Anerkennung von Gestaltungsurteilen hat, ist einfach zu beantworten, soweit der neue Inhalt der Rechtslage in ihrem Tenor 47 48 49 50
s. s. s. s.
Rn. Rn. Rn. Rn.
482–488. 489–500. 502–507. 509–514.
§ 14 Zusammenfassung der Ergebnisse
647
ausdrücklich angeordnet ist.51 Dann muss das Gericht des Anerkennungslandes nicht entscheiden, welchem Recht die Gestaltungswirkung im Zweitland unterliegt, um ihren Inhalt zu ermitteln. Etwas anderes gilt aber dann, wenn der ausländische Gestaltungstitel Systembegriffe enthält, dessen Auswirkungen auf die Rechtslage erst anhand einer dazugehörigen Rechtsordnung geklärt werden kann. Wurde etwa durch ein ausländisches Urteil lediglich die Auflösung eines Vertrages angeordnet, ohne die hierdurch ausgelösten Rechtsfolgen im Einzelnen auszusprechen, muss in der Anerkennungsphase ein Gestaltungsstatut herangezogen werden, um die Auswirkungen der Vertragsauflösung bestimmen zu können (vgl. Fall 3.1).52 Ein weiteres Beispiel ist die gerichtliche Auflösung einer zivilrechtlichen Personengesellschaft: Wie hierdurch die Verwaltungsbefugnisse der Gesellschafter oder die Zuordnung des Gesellschaftsvermögens umgestaltet werden, kann in der Regel erst unter Hinzuziehung der Regelungen eines materiellen Rechts bestimmt werden (vgl. Fall 3.2).53 Der Inhalt der Gestaltungswirkung ausländischer Entscheidungen unter- 1402 liegt prinzipiell dem Recht, nach dem auch die Rechtsgestaltung im Ursprungsland vorgenommen wurde. Wurde im Ursprungsland nach dem dortigen Recht vorgegangen, gilt daher gem. Schritt 1 die Wirkungserstreckungslehre. Hatte das Gericht demgegenüber die Rechtsgestaltung nach einem aus seiner Sicht fremden Statut durchgeführt, ist nach Schritt 2 auf diese lex causae zurückzugreifen.54 Eine Wirkungsbegrenzung entsprechend Schritt 3 ist allerdings in aller Regel nicht erforderlich.55 IV. Die Präklusion durch Rechtskraft ausländischer Entscheidungen (§ 7) Eine rechtskraftbedingte Tatsachenpräklusion ist in jeder der verglichenen 1403 Rechtsordnungen vorgesehen. In Deutschland und Frankreich greift sie unabhängig davon, ob die Parteien im Vorprozess subjektiv in der Lage gewesen wären, die präkludierten Tatsachen vorzutragen. Es handelt sich mithin nicht um eine Missbrauchsregel.56 Demgegenüber ist die englische Henderson v. Henderson-Regel in erster Linie eine Ausformung des Verbots missbräuchlichen Verhaltens und versperrt folglich tatsächliches Vorbringen nur insoweit, wie Parteien es hätten geltend machen können.57 Ihrer Qualifika51 52 53 54 55 56
s. s. s. s. s. s.
Rn. Rn. Rn. Rn. Rn. Rn.
515. 519–521. 522–525. 516–518. 526–540. 545 (Deutschland), 580 (Frankreich).
648
Teil V: Schluss
tion als anerkennungsfähige Urteilswirkung steht dies allerdings nicht entgegen. Auch rechtskraftfremde Präklusionswirkungen sind grundsätzlich anerkennungsfähig.58 Dies ergibt sich aus dem Verbot der révision au fond, welches verlangt, dass der Entscheidung im Zweitstaat derselbe Schutz vor nachträglicher Überprüfung zugute kommt wie im Ursprungsland. 1404
Die nationalen Rechtskraft-Konzepte unterscheiden sich auch in der objektiven Reichweite der Präklusion. In Deutschland und Frankreich bezieht sie sich jeweils nur auf den konkret geltend gemachten Klagegrund bzw. die cause. Da in Deutschland ein breiter Begriff des Klagegrundes gilt – dieser wird durch den „ausgeurteilten“ Lebenssachverhalt gebildet –, hat auch die Präklusionswirkung eine große Reichweite.59 Demgegenüber ist in der klassischen französischen Rechtskraftlehre jede Anspruchsgrundlage bzw. jedes rechtliche Argument gegen ein Anspruchsziel ein eigener cause, so dass hier die Tatsachenpräklusion entsprechend eng ausfällt.60 Soweit der cause hier neuerdings nach dem geltend gemachten Sachverhalt begrenzt wird, ist das tatsächliche Vorbringen entsprechend breiter durch die Rechtskraft versperrt.61 In England hat die Präklusionswirkung eine weitergehende Bedeutung, weil sie sich hier nicht nur auf einzelne causes of action bezieht, sondern auf alle parallelen Klagegründe, die das im Vorprozesses geltend gemachte Klageziel begründen können.62
1405
Die anerkannte Präklusionswirkung unterliegt nach Schritt 1 ausschließlich dem Recht des Ursprungslandes, wie anhand des Falls 4.1 und des Falls 4.2 verdeutlicht wurde.63 Eine Begrenzung nach oben hin gem. Schritt 3 ist nicht erforderlich, wie sich in Fall 4.4 und in Fall 4.5 gezeigt hatte.64 Genauso wenig gibt es Bedarf für den nach Schritt 2 möglichen lex causae-Rückgriff.65 Das im Ursprungsverfahren angewendete materielle Recht ist aber für die genaue Bestimmung der Präklusionsreichweite zu berücksichtigen, wenn in ihm ein anspruchsgrundlagenorientierter Streitgegenstandsbegriff gilt, wie beispielsweise in Fall 4.3.66
57 58 59 60 61 62 63 64 65 66
s. s. s. s. s. s. s. s. s. s.
Rn. Rn. Rn. Rn. Rn. Rn. Rn. Rn. Rn. Rn.
571. 599–602. 546–553. 578–584. 585. 572–576. 603–607. 612–619. 608. 609–611.
§ 14 Zusammenfassung der Ergebnisse
649
B. Die Wirkungen der Vollstreckbarerklärung nach der EuGVVO (Teil III) in zusammenfassender Betrachtung Der Gedanke der Wirkungserstreckung ist grundsätzlich auch tragfähig, 1406 um den Inhalt der durch Exequatur nach der EuGVVO verliehenen Vollstreckbarkeit zu bestimmen. Dies ergibt sich daraus, dass die Vollstreckbarerklärung keine Rechtserzeugung bezweckt und insofern der Anerkennung wesensmäßig entspricht.67 Dass der Inhalt der Vollstreckbarkeit im Zweitland dennoch teilweise auch nach der Gleichstellungslehre vorgegeben wird, ist der Unausweichlichkeit des zweitstaatlichen Vollstreckungsrechts für die instrumentelle Seite der Anspruchsdurchsetzung geschuldet sowie dem Respekt auf die zweitstaatliche Rechtsordnung.68 Ausgehend von diesen beiden gegenläufigen Prinzipien lassen sich drei 1407 Prämissen für die Wirkungen der Vollstreckbarerklärung ausmachen. Prämisse 1 besagt, dass der Leistungsbefehl als solcher im Zweitland nicht erweitert werden soll.69 Da dennoch die Beitreibung nur in den Bahnen des zweitstaatlichen Vollstreckungsrechts ablaufen kann, ist eine verfahrensrechtliche Gleichstellung in Bezug auf die Vollstreckung unausweichlich. Dies kann aber nicht zu einer beliebigen Erweiterung der Gläubigerbefugnisse führen. Nach Prämisse 2 sind vielmehr weitergehende Vollstreckungsmöglichkeiten im zweitstaatlichen Vollstreckungsverfahren nur insoweit hinzunehmen, wie sie im Vollstreckungsrecht des Ursprungslandes funktionale Entsprechungen haben.70 Gewährt hingegen das zweitstaatliche Vollstreckungsrecht Befugnisse, die als Funktionsäquivalent im Ursprungsland nicht vorgesehen sind, handelt es sich um eine vom Zweck des Exequaturs nicht mehr gedeckte Erweiterung des Leistungsbefehls. Und schließlich verlangt Prämisse 3 die Gleichbehandlung in- und ausländischer Titel im Zweitland.71 Der europarechtliche „effet utile“-Grundsatz erfordert einerseits, dass ausländische Titel genauso effektiv im Zweitland vollstreckt werden wie inländische Titel. Andererseits lässt sich aber eine Privilegierung ausländischer Titel gegenüber inländischen nicht mit europarechtlichen Prinzipien begründen.
67 68 69 70 71
s. s. s. s. s.
Rn. Rn. Rn. Rn. Rn.
628–645. 646–659, insbes. 651–654 u. 657. 666–669. 670–677. 678–695.
650
Teil V: Schluss
I. Die Modalitäten der Vollstreckung aus Auslandstiteln bis Rechtskrafteintritt im Ursprungsland (§ 9) 1408
Der Zeitpunkt, zu dem gerichtliche Entscheidungen vollstreckt werden können, fällt in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen unterschiedlich aus. Während Titel in England sofort mit Erlass rechtskräftig und vollständig vollstreckbar werden72, tritt im deutschen und im französischen Recht erst mit Unanfechtbarkeit endgültige Vollstreckbarkeit ein. Dafür gibt es hier aber das Institut der vorläufigen Vollstreckbarkeit bzw. der exécution provisoire.73 In Österreich ist vor Rechtskraft in manchen Fällen eine Sicherstellungsexekution möglich.74
1409
Für die inhaltliche Reichweite der Vollstreckbarkeit vor Rechtskraft sind unterschiedliche Abstufungen denkbar. So entspricht in Deutschland die vorläufige der endgültigen Vollstreckbarkeit, während in Frankreich die exécution provisoire noch keinen Zugriff auf Immobilien ermöglicht, insofern hinter der endgültigen Vollstreckbarkeit zurückbleibt. Und die Sicherstellungsexekution im österreichischen Recht erlaubt nur Maßnahmen zur Vollstreckungssicherung. In engem Zusammenhang mit der Reichweite der (vorläufigen) Zugriffsbefugnisse des Gläubigers stehen die Mechanismen zum Schutz des Schuldners für den Fall, dass sich die Zwangsvollstreckung letztlich als unberechtigt herausstellen sollte. Neben Vollstreckungsgläubigerhaftung und Sicherheitsleistung durch den Gläubiger hat der Schuldner bisweilen auch die Möglichkeit, eine Einstellung der Vollstreckung zu erreichen. Letzteres ist insbesondere in England das Schutzmittel, wenn der Schuldner gegen die Entscheidung Rechtsmittel einlegt.75
1410
Angesichts derartiger Unterschiede des Inhaltes der bis zur Rechtskraft bestehenden Vollstreckungsbefugnisse stellt sich die Frage, wie die im Ursprungsland noch nicht rechtskräftigen Titel im Zweitland vollstreckt werden. Die EuGVVO selbst trifft hierzu nur teilweise eigene Regelungen: Solange die zweitstaatliche Vollstreckbarkeitsentscheidung nicht rechtskräftig ist, darf die Vollstreckung gem. Art. 47 III EuGVVO über Maßnahmen zur Anspruchssicherung nicht hinausgehen.76 Ferner erlaubt Art. 46 I EuGVVO auf Antrag eine Aussetzung des zweitstaatlichen Rechtsbehelfsverfahrens, wenn der Ursprungstitel noch nicht rechtskräftig ist, mit der Folge der Fortgeltung der von Art. 47 III EuGVVO angeordneten Beschränkung.77 Alter72 73 74 75 76 77
s. s. s. s. s. s.
Rn. Rn. Rn. Rn. Rn. Rn.
728 f. 712, 733. 739–741. 730–732. 756–758. 759 f.
§ 14 Zusammenfassung der Ergebnisse
651
nativ hat das zweitstaatliche Gericht gem. Art. 46 III EuGVVO die Möglichkeit, die Fortsetzung der Vollstreckung nur gegen Stellung einer Sicherheit zu gestatten, wenn dies beantragt wurde.78 Soweit diese Regelungen nicht einschlägig sind – wenn also ein Antrag 1411 nach Art. 46 I oder III EuGVVO gescheitert oder das Exequatur in Rechtskraft erwachsen ist – stellt sich die Frage, welche Vollstreckungsmodalitäten im Zweitland gelten, solange der Titel im Ursprungsland noch nicht rechtskräftig ist. Eine Auswertung der Prämissen 1 bis 3 hat insoweit ergeben, dass die Reichweite der Vollstreckungsbefugnisse vom Recht des Zweitstaates vorgegeben wird.79 Der lex fori executionis sind auch die ausgleichenden Schutzmechanismen zu Gunsten des Schuldners zu entnehmen, wie etwa das Erfordernis der Stellung einer Gläubigersicherheit80 oder die Möglichkeiten, die Vollstreckung nachträglich auszusetzen oder zu beschränken81. Dies folgt u. a. aus der Einheitlichkeit von Vollstreckungsmaßnahmen und Schutzmitteln zu Gunsten des Vollstreckungsschuldners, die es zu bewahren gilt. Ob vor Rechtskraft überhaupt eine Vollstreckung erfolgen darf, richtet sich aber gem. Art. 38 I EuGVVO nach dem Recht des Ursprungslandes. Konkret bedeutet dies, dass etwa ein österreichisches noch nicht rechts- 1412 kräftiges Urteil, welches zur Sicherstellungsexekution zugelassen wurde, in Deutschland nach den Regeln der vorläufigen Vollstreckbarkeit durchzusetzen ist (Fall. 5.1).82 Umgekehrt kann ein noch nicht rechtskräftiges deutsches Urteil, welches nur gegen Stellung einer Sicherheit für vorläufig vollstreckbar erklärt wurde, in England auch ohne Sicherheitsleistung durchgesetzt werden (Fall 5.2).83 Dafür greifen im jeweiligen Vollstreckungsland auch die örtlichen Schutzmittel zu Gunsten des Schuldners. II. Bestandsfestigkeit der Vollstreckbarkeit gegenüber materiellen Einwendungen (§ 10) Ob der Schuldner direkt im Vollstreckungsstaat materielle Einwendungen 1413 gegen den im Ausland titulierten Anspruch geltend machen kann, um sich einer Vollstreckung zu entziehen, ist eine Frage mit zwei Facetten.84 In erster Linie geht es darum, ob im Zweitland überhaupt Rechtsbehelfe zur Geltendmachung materieller Einwendungen anwendbar sind. Darüber hinaus ist 78 79 80 81 82 83 84
s. s. s. s. s. s. s.
Rn. Rn. Rn. Rn. Rn. Rn. Rn.
761 f. 773–787. 788–799. 800–810. 815 f. 817 f. 826.
652
Teil V: Schluss
zu entscheiden, welche Einwendungen mit diesen geltend gemacht werden können. Bei Beantwortung dieser Fragen ist zwischen insgesamt vier Konstellationen zu unterscheiden: 1414
Solange das Exequatur im Zweitland noch nicht rechtskräftig ist, der Titel im Ursprungsland hingegen schon (Variante 1), kann die Erteilung des Exequaturs nicht nach Art. 43 ff. EuGVVO wegen materieller Einwendungen angefochten werden.85 Dies ergibt sich u. a. daraus, dass das Exequaturverfahren möglichst schnell und verzögerungslos zu einem Titel im Vollstreckungsland führen soll, der auch über Art. 47 III EuGVVO hinausgehende Zugriffsbefugnisse gewährt. Müssten im Rechtsbehelfsverfahren gegen das Exequatur materielle Einwendungen geprüft werden, würde das Exequaturverfahren überlastet. Etwas anderes gilt nur für sog. liquide Einwendungen, die unstreitig oder bereits rechtskräftig festgestellt sind. Sie können im Zweitland insoweit berücksichtigt werden, wie sie nicht durch die Rechtskraft des ausländischen Titels präkludiert sind.86
1415
Dasselbe, also grundsätzlich keine Geltendmachung materieller Einwendungen im Zweitland, gilt für den Fall, dass weder das zweitstaatliche Exequatur noch der Titel im Ursprungsland rechtskräftig sind (Variante 2).87 Auch hier ist für die liquiden Einwendungen eine Ausnahme zu machen. Diese sind allerdings trotz ihrer Liquidität im Zweitland versperrt, soweit sie im Ursprungsland durch Rechtsmittel gegen den Ausgangstitel vorgebracht werden könnten.88
1416
Sind demgegenüber sowohl Exequatur im Zweitstaat als auch Ursprungstitel im Ausgangsstaat in Rechtskraft erwachsen (Variante 3), kommt es nicht mehr darauf an, ob das Exequatur nach Art. 43 ff. EuGVVO wegen materieller Einwendungen angefochten werden kann. Vielmehr stellt sich dann die Frage, ob im Zweitland Vollstreckungsgegenrechtsbehelfe nach örtlichem Recht erhoben werden können, um die Vollstreckung wegen materieller Einwendungen zu stoppen.89 Dies ist zu bejahen: Der Schuldner muss sich auf effektive Weise gegen eine im Ergebnis nicht gerechtfertigte Vollstreckung zur Wehr setzen können. Allerdings können im Zweitland nur die Einwendungen vorgebracht werden, die nicht durch die Rechtskraft des Auslandstitels im Ursprungsland präkludiert sind. Denn andernfalls entstünde ein Widerspruch zur insoweit anzuerkennenden Rechtskraft des ausländischen Titels.90 85 86 87 88 89 90
s. s. s. s. s. s.
Rn. Rn. Rn. Rn. Rn. Rn.
830–851. 850 f. 852 f. 853. 876–928. 929 f.
§ 14 Zusammenfassung der Ergebnisse
653
Das Gleiche gilt aus demselben Grund, wenn das Exequatur im Zweit- 1417 land in Rechtskraft erwachsen ist, der Titel im Ursprungsland hingegen noch nicht (Variante 4)91: Auch hier muss dem Schuldner gestattet sein, eine ungerechtfertigte Vollstreckung direkt im Zweitland aufzuhalten. Der Kreis der im Zweitland beachtlichen Einwendungen ist aber auch hier beschränkt: Diejenigen gegen den Anspruch gerichteten Angriffe, die noch im Ursprungsland im Wege von Rechtsmitteln gegen die Entscheidung geltend gemacht werden können, sind im Zweitland wegen der Rechtshängigkeit im Ursprungsland versperrt. Alle anderen können hingegen im Zweitland vorgebracht werden.92 III. Methoden und Grenzen der Zwangsanwendung bei der Vollstreckung ausländischer Entscheidungen (§ 11) Zuletzt stellt sich die Frage nach den Modalitäten der Zwangsanwendung 1418 bei Vollstreckung ausländischer exequierter Titel im Zweitland. Was die Mechanismen der Anspruchsdurchsetzung anbelangt, unterscheiden sich die Rechtsordnungen in zweierlei Hinsicht: Einerseits sind die einzelnen Vollstreckungsmethoden different ausgestaltet, was insbesondere bei den indirekt wirkenden Zwangsmitteln deutlich wurde: Die englische contempt of court-Vollstreckung, die französische astreinte und die deutschen Beugemittel weichen in Effektivität und Schneidigkeit grundlegend voneinander ab.93 Andererseits bestehen Unterschiede in der Auswahl der zur Verfügung stehenden Vollstreckungsobjekte. Während in Deutschland indirekte Vollstreckungsmittel streng subsidiär sind, gilt etwa im englischen und im französischen Recht die grundsätzliche Gleichwertigkeit direkt und indirekt wirkender Zwangsmittel.94 Die einzelnen Rechtsordnungen ziehen außerdem die Grenzen der 1419 Zwangsanwendung unterschiedlich. Insbesondere im Bereich der Handlungs- und Herausgabevollstreckung sehen die meisten Länder konkrete Vollstreckungshindernisse vor, soweit der Anspruchsinhalt die persönliche Freiheitssphäre des Schuldners betrifft.95 In England trägt man demgegenüber den Freiheitsrechten schon auf Ebene des Erkenntnisverfahrens Rechnung, in dem nur ausnahmsweise auf specific performance erkannt werden kann.96 Als besonders freiheitsschützend erweist sich klassischerweise das 91 92 93 94 95 96
s. s. s. s. s. s.
Rn. Rn. Rn. Rn. Rn. Rn.
931. 932–936. 975–1001. 969–973, 977. 988 (Deutschland), 980 (Frankreich). 978 f.
654
Teil V: Schluss
italienische Recht, weil hier gegen die Person des Schuldners wirkende Zwangsmittel bis vor kurzem überhaupt nicht vorgesehen waren.97 1420
Bei der Vollstreckung ausländischer Titel kann sich die Ausgestaltung der im Zweitstaat anwendbaren Vollstreckungsmechanismen naturgemäß ausschließlich nach der dortigen Vollstreckungsordnung richten.98 Dies ergibt sich vor allem aus den Verwebungen des Verfahrens mit den strukturellen Grundbedingungen des örtlichen Vollstreckungssystems. Demnach kann ein deutscher Geldleistungstitel nach Vollstreckbarerklärung in Griechenland dort auch im Wege der Schuldhaft durchgesetzt werden, obwohl dieses Zwangsmittel in Deutschland nicht vorgesehen wäre (Fall 6.1), für einen deutschen Unterlassungstitel ist in Frankreich die astreinte anwendbar, obwohl diese schneidiger ist als ein deutsches Zwangsgeld (Fall 6.2).99 Außerdem kann ein Handlungs- oder Unterlassungstitel aus Italien in Deutschland durch Geldbeugemittel durchgesetzt werden, obwohl in seinem Ursprungsland keinerlei Zwangsmittel vorgesehen wären (Fall 6.3).100 All diese Fälle zeigen für die zweitstaatliche Vollstreckung: Weder ist dort aus Rücksicht auf das Vollstreckungsrecht des Ursprungsstaates eine bloß selektive Bereitstellung der Zwangsformen erforderlich, noch können gar zusätzliche Mittel aus dem Ursprungsstaat importiert werden. Das Recht des Ursprungsstaates gibt lediglich vor, ob überhaupt eine zwangsweise Durchsetzung möglich sein soll.
1421
Auch die allgemeinen und konkreten Vollstreckungshindernisse unterliegen dem Recht des Vollstreckungslandes.101 Dies dient vor allem dem Schutz der Rechtsordnung des Zweitlandes, dem es überlassen bleiben muss, die Grenzen der Zwangsanwendung im Inland abzustecken. Dies bedeutet zum einen, dass die Vollstreckung im Zweitland an Hindernissen scheitern kann, obwohl sie im Ursprungsland durchführbar wäre. Zum anderen ist umgekehrt eine Vollstreckung im Zweitland selbst dann möglich, wenn im Ursprungsstaat Vollstreckungshindernisse greifen würden. Eine „hinkende Durchsetzbarkeit“ ist daher durchaus mit der EuGVVO vereinbar.102
1422
Angesichts der abweichenden Wirkungen von Vollstreckungsakten in den einzelstaatlichen Rechtsordnungen stellt sich im grenzüberschreitenden Bereich auch das Problem, welche Effekte die Anerkennung ausländischer Vollstreckungsakte im Zweitland hat. Insbesondere die Pfändungs- und 97
s. Rn. 981 f. s. Rn. 1036–1087. 99 s. Rn. 1083. 100 s. Rn. 1084. 101 s. Rn. 1023–1035. 102 s. Rn. 1025. 98
§ 14 Zusammenfassung der Ergebnisse
655
Überweisungsbeschlüsse wirken sich in den einzelnen Rechtsordnungen unterschiedlich auf die materielle Rechtslage aus.103 Vorab waren allerdings die Anerkennungsvoraussetzungen für derartige Akte zu klären. Insoweit hatte sich ergeben, dass ausländische Vollstreckungsakte einerseits mit dem zweitstaatlichen ordre public vereinbar sein müssen, andererseits der Ursprungsstaat bei ihrem Erlass seine Vollstreckungsgewalt nicht überschritten haben darf.104 Was die Wirkungen der hiernach anerkannten Vollstreckungsakte anbelangt, können die Schritte 1 bis 3 herangezogen werden, die im Rahmen von § 3 für die Entscheidungsanerkennung entwickelt wurden.105 Daher richten sich nach Schritt 1 die Wirkungen ausländischer Vollstreckungsakte im Zweitland grundsätzlich nach dem Recht des Ursprungsstaates (Wirkungserstreckungslehre). Abschließend stellt sich die Frage, wie Ansprüche auf Abgabe einer Wil- 1423 lenserklärung durch Fiktionswirkung nach § 894 ZPO im grenzüberschreitenden Bereich vollstreckt werden. Die Handhabung dieses Vollstreckungsmittels ist deshalb nicht eindeutig, weil es ohne ein Tätigwerden hoheitlicher Vollstreckungsstellen auskommt, so dass nicht erkennbar ist, in welchem Land eine Fiktionswirkung eintritt. Andererseits ist offen, für welche Länder eine einmal fingierte Willenserklärung gilt. Insoweit sind zwei Fallkonstellationen zu unterscheiden: Entstammt der 1424 Titel einem Land, das eine dem § 894 ZPO entsprechende Regelung vorsieht (Variante A), trägt er die Fiktionswirkung in sich, bringt also genau genommen seinen Vollzug gleich mit. Dann gilt die Willenserklärung in allen anderen Staaten als abgegeben, in denen der Titel anerkennungsfähig ist, was analog Art. 33 ff. EuGVVO zu beurteilen ist.106 Kommt das befasste Gericht, vor dem der Bestand der fingierten Willenserklärung geltend gemacht wird, zu dem Ergebnis, dass die Anerkennungsvoraussetzungen erfüllt sind, hat es seiner Beurteilung die fingierte Willenserklärung zu Grunde zu legen. Etwas anderes gilt, wenn der Titel in einem Land ohne Regelung im Sinne von § 894 ZPO zustande gekommen ist und in ein solches mit Fiktionswirkung gelangt (Variante B)107: Dann muss der Titel im Zweitland für vollstreckbar erklärt werden, damit ihm die Fiktion als Vollstreckungsmittel zuteil wird. Eine Weiterübertragung der erstmals im Zweitstaat eingetretenen Fiktion in ein Drittland ist allerdings ausgeschlossen.108 Dies würde die Herrschaft des Drittlandes über die inländische Vollstreckung verletzen. 103 104 105 106 107 108
s. s. s. s. s. s.
Rn. Rn. Rn. Rn. Rn. Rn.
953–960. 1088–1107. 1108–1111. 1113–1126. 1127–1134. 1135–1141.
656
Teil V: Schluss
C. Die Wirkungen unmittelbarer Titelgeltung (Teil IV) in zusammenfassender Betrachtung 1425
Auch bei den Gemeinschaftsweiten Titeln stellt sich die Frage nach dem Inhalt ihrer EU-weiten Vollstreckbarkeit [I.] und nach den Wirkungen ihrer Anerkennung [II.]. I. Die Wirkungen unmittelbarer Vollstreckbarkeit (§ 12)
1426
Die gemeinschaftsweite Vollstreckbarkeit nach den Regelungen der Art. 40–45 EuEheVO, EuVTVO, EuGFVO, EuMVVO und der Art. 17–22 EuUnthVO ist durch drei gemeinsame Strukturmerkmale gekennzeichnet: In erster Linie handelt es sich um eine automatische gemeinschaftsweite Erweiterung der im Ursprungsland vorhandenen Vollstreckbarkeit ohne zweitstaatliche Verleihungsakte (Strukturmerkmal 1).109 Darüber hinaus unterliegt die Vollstreckung der lex fori executionis, was in Bezug auf das Vollstreckungsverfahren zu einer Gleichstellung der Gemeinschaftsweiten Titel mit inländischen Titeln führt (Strukturmerkmal 2).110 Und schließlich ist der gerichtliche Rechtsschutz gegenüber Gemeinschaftsweiten Titeln auf das Ursprungsland konzentriert (Strukturmerkmal 3).111
1427
Trotz dieser vom System der Vollstreckbarerklärung nach der EuGVVO abweichenden Strukturmerkmale werden die Gemeinschaftsweiten Titel hinsichtlich der Wirkungen ihrer Vollstreckbarkeit im Zweitland grundsätzlich von denselben Prämissen beherrscht wie die nach der EuGVVO exequierten Titel.112 Insoweit ist allerdings zu unterscheiden zwischen sog. gemeinschaftsweit europäisierten nationalen Befugnissen und europäischen gemeinschaftsweiten Befugnissen.113 Erstere ergeben sich dem Grunde nach aus nationalem Recht des Ursprungslandes. Im Zweitland richtet sich deren Inhalt daher auch nach dem Recht des Ursprungslandes. Zweitere basieren demgegenüber direkt auf europäischem Recht, so dass ihr Inhalt im gesamten Gemeinschaftsgebiet auch europarechtlichen Bestimmungen unterliegt. Aspekte des Ablaufs der Vollstreckung unterliegen demgegenüber im Grundsatz dem Recht des Vollstreckungsstaates. Soweit die europäischen Verordnungen allerdings selbst Regelungen zur Vollstreckung im Zweitland enthalten, gelten diese vorrangig. 109 110 111 112 113
s. s. s. s. s.
Rn. Rn. Rn. Rn. Rn.
1146–1168. 1169–1171. 1172–1181. 1182–1193. 1167 f.
§ 14 Zusammenfassung der Ergebnisse
657
Demgemäß richten sich die Modalitäten der Vollstreckung derartiger Titel 1428 vor ihrer Rechtskraft im Ursprungsland nur insoweit nach den aus den Prämissen 1 bis 3 entwickelten Grundsätzen, wie nicht die europäischen Verordnungen selbst Regelungsvorgaben hierzu enthalten.114 Zu der Frage, ob materielle Einwendungen gegen einen gemeinschaftsweit titulierten Anspruch direkt im Zweitstaat geltend gemacht werden können, um die Vollstreckung zu verhindern, finden sich in den Verordnungen allerdings keine allgemeinen Regelungen. Daher ist diese Frage anhand der allgemeinen Strukturmerkmale und der Prämissen 1 bis 3 zu beantworten. Deren Auswertung hatte ergeben, dass aus Gründen des Schuldnerschutzes und zur Wahrung einer angemessenen Verteilung der Prozesslast zwischen den Beteiligten materielle Einwendungen direkt im Zweitland vorgebracht werden können.115 In Anlehnung an § 11 stellt sich schließlich die Frage nach den Modali- 1429 täten und Grenzen der Zwangsanwendung aus Gemeinschaftsweiten Titeln. Es hatte sich gezeigt, dass wie bei der EuGVVO Auswahl und Ablauf der Vollstreckungsmethoden dem Recht des Vollstreckungslandes unterliegen.116 Besonderheiten ergeben sich für Gemeinschaftsweite Titel aber dadurch, dass zweitstaatliche Zwischenverfahren vor Vollstreckungsbeginn nicht mehr möglich sind (Strukturmerkmal 1). Dies bringt es mit sich, dass auch die Erteilung von Vollstreckungsklauseln oder vergleichbaren Beitreibungsgenehmigung im Zweitland ausgeschlossen ist.117 Daher können Vollstreckungsvoraussetzungen, die normalerweise bei Klauselerteilung bzw. vergleichbaren Zwischenverfahren geprüft werden, nicht mehr im Zweitland berücksichtigt werden. Stattdessen ist die Prüfung aller Vollstreckungsvoraussetzungen vollständig in das Ursprungsland verlagert.118 Die allgemeinen Vollstreckungshindernisse und -schranken unterliegen allerdings nach wie vor dem Recht des Vollstreckungslandes.119 II. Die Wirkungen der Anerkennung Gemeinschaftsweiter Titel (§ 13) Auch die EU-weit vollstreckbaren Titel müssen nach den Regeln der 1430 EuGVVO oder EuEheVO im Zweitland anerkannt werden, wenn sie dort andere Wirkungen als die Vollstreckbarkeit auslösen sollen. Die Titelverordnungen haben also mit der gemeinschaftsweiten Vollstreckbarkeit nicht auch eine gemeinschaftsweite Anerkennungsfähigkeit eingeführt.120 Etwas 114 115 116 117 118 119
s. s. s. s. s. s.
im Einzelnen Rn. 1194–1227. Rn. 1228–1277. Rn. 1279. Rn. 1281–1283. Rn. 1284–1290. Rn. 1291–1298.
658
Teil V: Schluss
anderes gilt nur für die Titel i. S. v. Art. 17–22 EuUnthVO, die automatisch und vorbehaltlos im gesamten EU-Gebiet anerkannt werden.121 Damit aber die zwingend vorgegebene unmittelbare Titelgeltung ihren Sinn erfüllt, müssen auch die anderen Gemeinschaftsweiten Titel ab Vollstreckungsbeginn automatisch eine flankierende Bindungswirkung im gesamten Gemeinschaftsgebiet auslösen, die verhindert, dass der Bestand des gemeinschaftsweit titulierten Anspruchs in Frage gestellt werden kann, nachdem er durchgesetzt wurde.122 Hierbei handelt es sich um ein Annex zur gemeinschaftsweiten Vollstreckbarkeit. 1431 Zur Übertragung aller anderen nicht vollstreckbaren Effekte gelten die allgemeinen Anerkennungsregeln. Die Wirkungen die Anerkennung Gemeinschaftsweiter Titel hängen davon ab, ob es sich um Europäische Titel handelt, die aufgrund europäischer Verordnungen zustande gekommen sind (EuGFVO, EuMVVO). Ist dies der Fall, richtet sich der objektive Umfang von Rechtskraft und Präklusion nach verordnungseigenen Maßstäben, weil diesen auch das Erkenntnisverfahren unterlag.123 Die subjektive Reichweite der Bindungen bleibt hingegen dem nationalen Recht des Ursprungsstaates überlassen, da insoweit die Verordnungen keine Regelungen des Erkenntnisverfahrens vorsehen.124 Handelt es sich demgegenüber um Europäisierte Titel, die nach nationalem Recht zustande gekommen sind, aber eine europaweite Vollstreckbarkeit erlangt haben, gelten dieselben Prinzipien wie im Rahmen der EuGVVO.125 1432 Zuletzt ergibt sich die Frage, wie Gemeinschaftsweite Titel im Wege der Abgabefiktion vollstreckt werden. Dieses Problem stellt sich dadurch, dass das Europäische Bagatellverfahren nach der EuGFVO auch auf Ansprüche anwendbar ist, die auf Abgabe einer Willenserklärung gerichtet sind.126 Wurde das Bagatellverfahren in einer Rechtsordnung durchgeführt, in der das Vollstreckungsmittel der Abgabefiktion vorgesehen ist (Konstellation A), gilt die fingierte Willenserklärung auch im Zweitland, sobald der Titel dort analog der Art. 33 ff. EuGVVO anerkennungsfähig ist.127 Gelangt umgekehrt ein Gemeinschaftsweiter Titel erst im Zweitland in Berührung mit einer Abgabefiktion (Konstellation B), gilt diese Fiktion automatisch auch für das dortige Staatsgebiet.128 120 121 122 123 124 125 126 127 128
s. s. s. s. s. s. s. s. s.
Rn. Rn. Rn. Rn. Rn. Rn. Rn. Rn. Rn.
1300–1307, 1313–1326. 1308–1311. 1327–1347. 1354–1358, 1361–1366. 1359. 1349 f. 1369–1371. 1372–1376. 1377–1382.
§ 15 Schlussbetrachtung: Einheitliches Modell grenzüberschreitender Titelgeltung innerhalb der Europäischen Union An dieser Stelle ist auf den eingangs geäußerten Verdacht zurückzukom- 1433 men, dass Anerkennung und Vollstreckbarerklärung nach ihrem Wesen dasselbe sind.1 Diese Vermutung hat sich bestätigt: Die Wirkungen von Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ausländischer Entscheidungen sind im Grundansatz nach einem einheitlichen Muster zu bestimmen. Dieses gilt auch für die Wirkungen der Gemeinschaftsweiten Titel: Alle Fragen des „Ob“ einer Wirkung richten sich nach dem Recht des Erststaates [A.], die Aspekte ihres „Wie“ unterliegen dem Zweitstaatrecht [B.]. Es handelt sich also letztlich um ein Zusammenspiel von Gleichstellungs- und von Wirkungserstreckungslehre, bei dem die einzelnen Gesichtspunkte jeweils zugeordnet werden müssen [C.].
A. Wirkungserstreckung hinsichtlich „Ob“ Soweit die Frage des Inhalts einer Entscheidungswirkung zu beurteilen 1434 ist, wird bei Anerkennung und bei Vollstreckbarerklärung nach der Wirkungserstreckung verfahren. So gibt das Recht des Ursprungsmitgliedslandes nicht nur vor, ob und inwieweit ein Titel überhaupt vollstreckbar ist (Art. 38 I EuGVVO bzw. Strukturmerkmal 1). Es regelt auch, ob der Titel Rechtskraft erlangt und welchen Inhalt sie hat. Gleiches gilt für die subjektive Reichweite der Bindungswirkungen. Dass aus materiellrechtlichen Erwägungen heraus in Einzelfällen nicht das Recht des Urteilslandes heranzuziehen ist, sondern das, welches auf den titulierten Anspruch angewendet wurde, ist phänomenologisch lediglich eine Variante der Wirkungserstreckung, wenn man diese als Gegenstück der Gleichstellung begreift. Sowohl im Bereich der Anerkennung und der Vollstreckbarerklärung als 1435 auch der gemeinschaftsweiten Titelgeltung hat die Wirkungserstreckungslehre ihren Grund letztlich im Wesen des Titelimports. Da dieser lediglich die Geltung des Titels territorial erweitern und nicht seinen Inhalt abfälschen soll, kann er nur im Recht des Ursprungslandes seinen Ausgangspunkt haben. 1
Vgl. oben Rn. 19–23.
660
Teil V: Schluss
B. Gleichstellung hinsichtlich „Wie“ 1436
Soweit es darum geht, wie sich ein vom ausländischen Titel ausgehender Effekt auf die Rechtsordnung des Zweitstaates auswirkt, ist stets das dortige Recht maßgeblich. Ob die Rechtskraft einer ausländischen Entscheidung im Zweitland ein prozessuales ne bis in idem auslöst oder nur zu einer auf der Ebene der Begründetheit zu berücksichtigenden materiellrechtlichen Veränderung führt, gibt ausschließlich das Recht des Zweitstaates vor. Dieses regelt auch die Mechanismen, mit denen ein ausländischer Titel vor Ort vollstreckt wird. Genauso hat es darüber zu bestimmen, in welchem Rahmen und unter welchen Einschränkungen Titel durchsetzbar sind, solange im Ursprungsland Rechtskraft noch nicht eingetreten ist. Die Festlegung, ob der Titel bereits durchgesetzt werden kann, bleibt allerdings dem Ursprungsrecht überlassen. Die Frage, ob und wie gegen den ausländischen Titel materielle Einwendungen geltend gemacht werden können, gibt das Recht des Vollstreckungsstaates vor. Welche Einwendungen hingegen statthaft sind, ist wiederum ein Aspekt des „Ob“, der gemäß der Präklusionswirkung nach der Wirkungserstreckungslehre zu behandeln ist.
1437
Sowohl im Bereich der Anerkennung als auch in dem der Vollstreckbarerklärung begründet sich die Maßgeblichkeit des Rechts des Zweitlandes letztlich mit der Unausweichlichkeit der lex fori für die originär verfahrensrechtlichen Fragen, was insofern nichts anderes bedeutet als eine Gleichstellung.
C. Zuordnung der Einzelaspekte und Sonderregel bei Gemeinschaftsweiten Titeln 1438
Ob ein Aspekt zum „Ob“ gehört oder zum „Wie“, muss jeweils im Einzelnen entschieden werden. Hierbei unterscheiden sich Anerkennung und Vollstreckbarerklärung in quantitativer – nicht aber in qualitativer – Hinsicht: Bei ersterer stellen sich hauptsächlich Fragen des „Ob“, weil bezüglich der anerkennungsfähigen Wirkungen kaum instrumentelle Aspekte zu ihrer Umsetzung im Zweitland zu beantworten sind. Demgegenüber betrifft die Vollstreckung in erster Linie verfahrensrechtliche Gesichtspunkte der Behandlung des Titels im Zweitland. Vollstreckbarkeit ist eine Anweisung zur Durchführung eines Vollstreckungsverfahrens. Diese beinhaltet einerseits das Vollstreckungsziel, gibt andererseits Auskunft über Verfahrensaspekte. Es handelt sich also um einen Fahrplan für die Anspruchsdurchsetzung. Dadurch ist der verfahrensrechtliche Bezug zum Zweitland wesentlich größer als bei den Wirkungen, die lediglich anerkannt werden. Dieser quantitative Unterschied ist der Grund, warum im Rahmen der Anerkennung
§ 15 Schlussbetrachtung
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fast alle Aspekte nach der Wirkungserstreckungslehre behandelt werden, während die Wirkungen der Vollstreckbarerklärung fast ausschließlich entsprechend der Gleichstellungslehre bestimmt werden. Auch die Wirkungen Gemeinschaftsweiter Titel richten sich gleichzeitig 1439 nach Gleichstellung und Wirkungserstreckung. Was ihre Anerkennung anbelangt, besteht zwar insofern ein Unterschied zu EuGVVO, als in manchen Konstellationen die Rechtskraft in das Zweitland mitgehen muss. Dies steht aber im Einklang mit dem Grundgedanken, dass Aspekte des „Ob“ dem Ursprungsrecht zugeordnet sind. Auch bei der unmittelbaren Vollstreckbarkeit besteht keine grundlegende Abweichung: Ob die Beitreibung erfolgen kann und welches Ziel sie hat, wird vom Recht des Ursprungslandes vorgegeben. Für den instrumentellen Fahrplan des Vollstreckungsverfahrens ist in erster Linie das Recht des Zweitstaates maßgeblich. Seine Herrschaft ist insoweit aber stärker eingeschränkt als bei der Durchsetzung von exequierten Titeln. Da die unmittelbar durchsetzbaren Titel erst in einem späteren Verfahrensstadium nostrifiziert werden, richten sich die formellen Voraussetzungen der Beitreibung nur noch eingeschränkt nach dem Recht des Zweitstaates. Ferner ergibt sich für die Vollstreckung Gemeinschaftsweiter Titel dadurch eine Besonderheit, dass die Verordnungen teilweise selbst Regelungen der Beitreibung enthalten, die vorrangig anwendbar sind.
Verzeichnis der zitierten Rechtstexte A. Gemeinschaftsrecht Römischer Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 25.03.1957 (BGBl. II 1957, S. 766) i. d. F. des Vertrages von Nizza vom 26.02.2001 (BGBl. II 2001, S. 1667); zitiert als: EGV Vertrag über die Europäische Union vom 07.02.1992 (ABl. EU 1992 Nr. C-191, S. 1), geändert durch den Vertrag von Amsterdam vom 02.10.1997 (ABl. EU 1997 Nr. C-340), den Vertrag von Nizza vom 26.02.2001 (ABl. EU 2001 Nr. C-80) und den Vertrag von Lissabon vom 17.12.2007 (ABl. EU 2007 Nr. C-306); zitiert als: EUV Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29.05.2000 über Insolvenzverfahren (ABl. EG 2000 Nr. L-160, S. 1); zitiert als: EuInsVO Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 18.12.2000 i. d. F. vom 14.12.2007 (ABl. EU 2007 Nr. C-303, S. 1); zitiert als: EU-Grundrechtecharta Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivilund Handelssachen (ABl. EG 2001 Nr. L-12, S. 1); zitiert als: EuGVVO Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27.11.2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. EU 2003 Nr. L-338, S. 1); zitiert als: EuEheVO Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Rates vom 21.04.2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen (ABl. EU 2004 Nr. L-143, S. 15); zitiert als: EuVTVO Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens (ABl. EU 2006 Nr. L-399, S. 1); zitiert als: EuMVVO Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ABl. EU 2006 Nr. L-376, S. 36); zitiert: Dienstleistungs-RL Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.07.2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen (ABl. EU 2007 Nr. L-199, S. 1); zitiert als: EuGFVO
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Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.07.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (ABl. EU 2007 Nr. L-199, S. 40); zitiert als: Rom II-VO Verordnung (EG) Nr. 1391/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.11.2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen in den Mitgliedsstaaten („Zustellung von Schriftstücken“) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates (ABl. EU 2007 Nr. L-324, S. 79); zitiert als: EuZustVO Vertrag von Lissabon vom 17.12.2007 zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (ABl. EU 2007 Nr. C-306); zitiert als: EUV n. F. Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union i.d.Bek. vom 09.05.2008 (ABl. EU 2008 Nr. C-115, S. 47); zitiert als: AEUV Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.06.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (ABl. EU 2008 Nr. L-177, S. 6); zitiert als: Rom I-VO Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18.12.2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (ABl. EU 2009 Nr. L-7, S. 1); zitiert als: EuUnthVO
B. Konventionen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04.11.1950 (BGBl. II 1952, S. 686, 953), neugefasst durch Bek. vom 17.05.2002 (BGBl. II 2002, S. 1055); zitiert als: EMRK Luxemburger Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Regelung der Saarfrage vom 27.10.1956 (BGBl. II 1956, S. 1587); zitiert als: Saarvertrag Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Schiedssprüchen und öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen vom 30.06.1958 (BGBl. II 1959, S. 766); zitiert als: Deutsch-Belgisches Abkommen über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckbarerklärung von gerichtlichen Entscheidungen vom 30.06.1958 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Vergleichen und öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen vom 06.06.1959 (BGBl. II 1960, S. 1245); zitiert als: Deutsch-österreichischer Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrag 1959 Deutsch-niederländischer Vertrag über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen und anderer Schuldtitel in Zivil- und Handels-
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sachen vom 30.08.1962 (BGBl. II 1965, S. 27); zitiert als: Deutsch-Niederländischer Vertrag über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen vom 30.08.1962 Protokoll Nr. 4 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, durch das gewisse Rechte und Freiheiten gewährleistet werden, die nicht bereits in der Konvention oder im ersten Zusatzprotokoll enthalten sind vom 16.09.1963 (BGBl. II 1968, S. 422); zitiert als: 4. ZPEMRK Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen vom 15.11.1965 (BGBl. II 1977, S. 1453); zitiert als: HZÜ International Covenant on Civil and Political Rights. Resolution 2200A (XXI) vom 16.12.1966 (BGBl. II 1973, S. 1534); zitiert als: UN-Zivilpakt 1966 Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Rechts- und Amtshilfe in Zoll-, Verbrauchsteuer- und Monopolangelegenheiten v. 11.09.1970 (BGBl. II 1972, S. 14), geändert am 12.12.1997 (BGBl. II 1980, S. 1244); zitiert als: Deutsch-österreichischer Rechtshilfevertrag 1970 Convention Benelux portant loi uniforme relative à l’astreinte (avec annexe). Conclue à La Haye le 26 novembre 1973; zitiert als: Benelux-Übereinkommen zur Einführung eines einheitlichen Gesetzes über das Zwangsgeld vom 26.11.1973 Wiener UN-Übereinkommen über Verträge über den internationalen Warenkauf vom 11.04.1980 (BGBl. II 1998, S. 588); zitiert als: CISG Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführungen vom 25.10.1980 (BGBl. II 1990, S. 207); zitiert als: HKEntfÜ Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16.09.1988 (BGBl. II 1994, S. 2660), geändert durch Übereinkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft, Dänemark, Island, Norwegen und der Schweiz in Lugano vom 30.10.2007 (ABl. EU 2007 Nr. L-339, S. 3); zitiert als: LugÜ Brüsseler EWG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.09.1968 (BGBl. II 1972, S. 774) i. d. F. des 4. Beitrittsübereinkommens vom 29.11.1996 (BGBl. II 1998, S. 1412); zitiert als: EuGVÜ Protokoll vom 27.09.1968 zum EuGVÜ i. d. F. des 4. Beitrittsübereinkommens vom 29.11.1996 (BGBl. III 1998, S. 209); zitiert als: 1. EuGVÜ-Protokoll Vertrag über die Rechts- und Amtshilfe in Zoll-, Verbrauchsteuer- und Monopolangelegenheiten zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich vom 11.09.1970 (BGBl. II 1970, S. 1001); zitiert als: Deutsch-österreichischer Rechtshilfevertrag 1970 Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 19.10.2005 (ABl. EU 2005
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Nr. L-299, S. 62–70; zitiert als: Abkommen zwischen der EG und Dänemark vom 19.10.2005 Haager Protokoll vom 23.11.2007 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht (noch nicht in Kraft); zitiert als: HUntStProt 2007
C. Innerstaatliches Recht Deutschland Handelsgesetzbuch vom 10.05.1897 (RGBl. 1897, S. 219), zuletzt geändert durch G. vom 31.07.2009 (BGBl. I 2009, S. 2512); zitiert als: HGB Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, neugefasst durch Bek. v. 20.05.1898 (RGBl. 1898, S. 846), zuletzt geändert durch G. vom 31.07.2009 (BGBl. I 2009, S. 2509); zitiert als: GmbHG Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung vom 20.05.1898 (RGBl. I 1898, S. 369, 713), zuletzt geändert durch G. vom 29.07.2009 (BGBl. I 2009, S. 2258); zitiert als: ZVG Justizbeitreibeordnung vom 11.03.1937 (BGBl. II 1937 Nr. 365–1), zuletzt geändert durch G. vom 29.07.2009 (BGBl. I 2009, S. 2258); zitiert als: JbeitrO Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23.05.1949 (BGBl. 1949, S. 1), zuletzt geändert durch G. vom 29.07.2009 (BGBl. I 2009, S. 2248); zitiert als: GG Gesetz zur Vereinheitlichung und Änderung familienrechtlicher Vorschriften (Familienrechtsänderungsgesetz) vom 11.08.1961 (BGBl. I 1961, S. 1221), zuletzt geändert durch G. vom 17.12.2008 (BGBl. I 2008, S. 2586); zitiert als: FamRÄndG Aktiengesetz vom 06.09.1965 (BGBl. I 1965, S. 1089), zuletzt geändert durch Art. 1 G. vom 31.07.2009 (BGBl. I 2009, S. 2509); zitiert als: AktG Tarifvertragsgesetz, neugefasst durch Bek. v. 25.08.1969 (BGBl. I 1969, S. 1323), zuletzt geändert durch Art. 223 VO vom 31.10.2006 (BGBl. I 2006, S. 2407); zitiert als: TVG Rechtspflegergesetz vom 05.11.1969 (BGBl. I 1969, S. 2065), zuletzt geändert durch G. vom 30.07.2009 (BGBl. I 2009, S. 2474); zitiert als: RPflG Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher vom 17.07.1992; zitiert als: GVGA Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch neugefasst durch Bek. vom 21.09.1994 (BGBl. I 1994, S. 2494), zuletzt geändert durch G. vom 24.09.2009 (BGBl. I 2009, S. 3145); zitiert als: EGBGB Insolvenzordnung vom 05.10.1994 (BGBl. I 1994, S. 2866), zuletzt geändert durch G. vom 29.07.2009 (BGBl. I 2009, S. 2355); zitiert als: InsO Gesetz über die Anfechtung von Rechtshandlungen eines Schuldners außerhalb des Insolvenzverfahrens vom 05.10.1994 (BGBl. I 1994, S. 2911), zuletzt geändert durch G. vom 23.10.2008 (BGBl. I 2008, S. 2026); zitiert als: AnfG
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Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, i. d. F. der Bekanntmachung vom 26.08.1998 (BGBl. I 1998, S. 2546), zuletzt geändert durch G. vom 25.05.2009 (BGBl. I, S. 1102); zitiert als: GWB Gesetz zur Aus- und Durchführung bestimmter Rechtsinstrumente auf dem Gebiet des Internationalen Familienrechts (Internationales Familienrechtsverfahrensgesetz) vom 26.01.2005 (BGBl. I 2005, S. 162), zuletzt geändert durch G. vom 30.07.2009 (BGBl. 2009 I, S. 2474); zitiert als: IntFamRVG Gesetz zur Ausführung zwischenstaatlicher Verträge und zur Durchführung von Verordnungen und Abkommen der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Anerkennung und Vollstreckung in Zivil- und Handelssachen (Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz – AVAG), neugefasst durch Bek. vom 03.12.2009 (BGBl. I 2009, S. 3830); zitiert als: AVAG Bürgerliches Gesetzbuch, neugefasst durch Bek. vom 02.01.2002 (BGBl. I 2002, S. 42, 2909; BGBl. I 2003, S. 738), zuletzt geändert durch G. vom 28.09.2009 (BGBl. I 2009, S. 3161); zitiert als: BGB Verwaltungsverfahrensgesetz, neugefasst durch Bek. vom 23.01.2003 (BGBl. I, S. 102), zuletzt geändert durch G. vom 14.08.2009 (BGBl. I, S. 2827); zitiert als: VwVfG Zivilprozessordnung, neugefasst durch Bek. vom 15.12.2005 (BGBl. I 2005, S. 3202), zuletzt geändert durch Art. 3 G. vom 24.09.2009 (BGBl. I 2009, S. 3145); zitiert als: ZPO Gesetz über den Versicherungsvertrag vom 23.11.2007 (BGBl. I 2007, S. 2631), zuletzt geändert durch G. vom 17.07.2009 (BGBl. I 2009, S. 1990); zitiert als: VVG Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17.12.2008 (BGBl. I 2008, S. 2586), zuletzt geändert durch G. vom 31.07.2009 (BGBl. I 2009, S. 2512); zitiert als: FamFG
D. Innerstaatliches Recht England Administration of Justice Act 1920 c. 81 vom 23.12.1920; zitiert als: Administration of Justice Act 1920 Foreign Judgments (Reciprocal Enforcement) Act 1933 c. 13 vom 13.04.1933; zitiert als: Foreign Judgments (Reciprocal Enforcement) Act 1933 Administration of Justice Act c. 31 vom 29.05.1970; zitiert als: Administrations of Justice Act 1970 Matrimonial Causes Act c. 18 vom 23.05.1973; zitiert als: Matrimonial Causes Act 1973 Consumer Credit Act 1974 c. 39 vom 31.07.1974; zitiert als: Consumer Credit Act 1974
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Torts (Interference with Goods) Act 1979 c. 32 vom 22.07.1977; zitiert als: Torts (Interference with Goods) Act 1979 Civil Liability (Contribution) Act 1978 c. 47 vom 31.07.1978; zitiert als: Civil Liability (Contribution) Act 1978 Charging Orders Act c. 53 vom 06.12.1979; zitiert als: Charging Orders Act 1979 Sale of Goods Act c. 54 vom 06.12.1979; zitiert als: Sale of Goods Act 1979 Supreme Court Act 1981 c. 54 vom 28.07.1981; zitiert als: Supreme Court Act 1981 Civil Jurisdiction and Judgements Act 1982 c. 27 vom 13.07.1982; zitiert als: Civil Jurisdiction and Judgments Act 1982 Insolvency Act 1986 c. 45 vom 25.07.1986; zitiert als: Insolvency Act 1986 High Court and County Courts Jurisdiction Order (No. 724 (L.5)) vom 19.01.1991; zitiert als: High Court and County Courts Jurisdiction Order 1991 Civil Jurisdiction and Judgments Act 1991 c. 12 vom 09.05.1991; zitiert als: Civil Jurisdiction and Judgments Act 1991 The Civil Jurisdiction and Judgments Order 2001 (No. 3929) vom 11.12.2001; zitiert als: Civil Jurisdiction and Judgments Order 2001 The Civil Procedure Rules 1998 (Sl 1998/3132) vom 10.12.1998, i. d. F. vom 28.07.2009; zitiert als: CPR County Court Rules (in sch. 2 CPR enthalten); zitiert als: CCR Rules of the Supreme Court (in sch. 1 CPR enthalten); zitiert als: RSC Courts Act c. 39 vom 20.11.2003; zitiert als: Courts Act 2003 Constitutional Reform Act c. 4 vom 24.03.2005; zitiert als: Constitutional Reform Act 2005 Companies Act c. 46 vom 08.11.2006; zitiert als: Companies Act 2006
E. Innerstaatliches Recht Frankreich Code Civil vom 21.03.1804, i. d. F. vom 01.01.2010; zitiert als: CC Code de commerce vom 15.09.1807, i. d. F. vom 13.02.2010; zitiert als: CComm Code du travail vom 02.01.1973 i. d. F. vom 27.01.2010; zitiert als: CTrav Code de Procédure Civile vom 05.12.1975 (ehemals Nouveau Code de Procédure Civile), i. d. F. vom 01.01.2010; zitiert als: CPC Code de l’organisation judiciaire vom 16.03.1978, i. d. F. vom 23.01.2010; zitiert als: COrgJud
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Loi nº 91–650 du 9 juillet 1991, portant réforme des procédures civiles d’exécution, i. d. F. vom 01.08.2009; zitiert als: L. 1991 Décret nº 92–755 du 31 juillet 1992, institutant de nouvelles règles relatives aux procédures civiles d’exécution pour l’application de la loi nº 91–650 du 9 juillet 1991 portant réforme des procédures civiles d’exécution, i. d. F. vom 01.01.2010; zitiert als: Décr. 1992 Décret nº 2006–936 du 27 juillet 2006, relatif aux procédures de saisie immobilière et de distribution du prix d’un immeuble, i. d. F. vom 01.03.2009; zitiert als: Décr. 2006
F. Innerstaatliches Recht andere Länder Griechenland SŸntagma thò EllÜdaò („Verfassung der Griechischen Republik“) vom 09.06. 1975, i. d. F. vom 27.05.2008; zitiert als: griech. Verf. Proedrikü DiÜtagma Up’ Ariq. 503/85 („Dekret des Präsidenten 503/85“ von 1985 zur Regelung des Zivilprozessrechts), Stand: Februar 2010; zitiert als: griech. ZPO
Italien Codice Civile vom 16.03.1942, Stand: Februar 2008; zitiert als: c.c. Disposizioni preliminari al Codice Civile vom 16.03.1942; zitiert als: disp.pre.c.c. Codice di Procedura Civile vom 28.10.1940, i. d. F. vom 04.07.2009; zitiert als: c.p.c. Legge n. 69/2009 – Disposizioni per lo sviluppo economico, la semplificazione, la competitività nonché in materia di processo civile vom 18.06.2009; zitiert als: legge n. 69/2009
Niederlande Nieuw Burgerlijk Wetboek vom 01.01.1992; zitiert als: N.B.W
Österreich Gesetz vom 01.08.1895 über das gerichtliche Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (Zivilprozessordnung) (RGBl. 113/1895); zitiert als: öZPO Gesetz vom 27.05.1896 über das Exekutions- und Sicherungsverfahren (Exekutionsordnung) (RGBl. 1896/79); zitiert als: EO
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Portugal Código Civil Português vom 25.11.1966; zitiert als: Código Civil
Schweiz Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs vom 11.04.1889, Stand: 01.01.2008; zitiert als: SchKG
Spanien Ley de Enjuiciamiento Civil vom 07.01.2000; zitiert als: LEC
USA Federal Rules of Civil Procedure von 1938, i. d. F. vom 01.12.2007; zitiert als: Fed.R.Civ.P. Title 28 of the United States Code (Judiciary and Judicial Procedure), Stand: 23.12.2008; zitiert als: 28 U.S.C.
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Rechtsprechungsverzeichnis
BGH, 12.03.1980 – VIII ZR 115/79, BGHZ 76, 222. BGH, 03.07.1980 – IV a ZR 38/80, NJW 1980, S. 2461. BGH, 17.09.1980 – IVb ARZ 543/80, BGHZ 78, 108. BGH, 25.09.1980 – VII ZR 301/79, NJW 1981, S. 47. BGH, 23.01.1981 – V ZR 146/79, NJW 1981, S. 1097. BGH, 13.03.1981 – V ZR 115/80, NJW 1981, S. 1517. BGH, 20.05.1981 – VIII ZR 270/80, NJW 1981, S. 2642. BGH, 22.05.1981 – V ZR 111/80, NJW 1981, S. 2306. BGH, 16.09.1981 – VIII ZR 265/80, BGHZ 81, 298. BGH, 02.12.1981 – IVb ZR 638/80, BGHZ 82, 246. BGH, 05.05.1982 – IVb ZR 697/80, BGHZ 84, 17. BGH, 05.10.1982 – VI ZR 31/81, BGHZ 85, 110. BGH, 06.10.1982 – IVb ZR 729/80, NJW 1983, S. 514. BGH, 02.03.1983 – IVb ARZ 49/82, NJW 1983, S. 1859. BGH, 11.03.1983 – V ZR 287/81, NJW 1984, S. 126. BGH, 13.04.1983 – VIII ZB 38/82, NJW 1983, S. 2773. BGH, 16.05.1983 – VIII ZB 8/83, BGHZ 87, 259. BGH, 01.06.1983 – IV b ZR 386/81, NJW 1983, S. 1976. BGH, 19.06.1984 – IX ZR 89/83, MDR 1985, S. 138. BGH, 27.06.1984 – IV b ZR 2/83, IPRax 1985, S. 224. BGH, 28.06.1984 – IX ZB 31/84, IPRax 1985, S. 101. BGH, 27.09.1984 – IX ZR 102/83, WM 1984, S. 1545. BGH, 27.09.1984 – IX ZR 53/83, NJW 1985, S. 189. BGH, 26.10.1984 – V ZR 67/83, NJW 1985, S. 385. BGH, 30.01.1985 – IV b ZR 67/83, NJW 1985, S. 1340. BGH, 25.02.1985 – VIII ZR 116/84, BGHZ 94, 29. BGH, 28.06.1985 – V ZR 43/84, NJW 1985, S. 2825. BGH, 19.09.1985 – VII ZR 15/85, NJW 1986, S. 1046. BGH, 06.11.1985 – IV b ZR 73/84, NJW 1986, S. 1440. BGH, 21.03.1986 – V ZR 10/85, NJW 1986, S. 2194. BGH, 28.05.1986 – IV a ZR 197/84, NJW 1986, S. 2645. BGH, 15.10.1986 – IV b ZR 78/85, BGHZ 98, 353. BGH, 26.11.1986 – IV b ZR 90/85, NJW 1987, S. 1146. BGH, 11.12.1986 – IX ZR 165/85, NJW-RR 1987, S. 683.
Rechtsprechungsverzeichnis BGH, 12.02.1987 – III ZR 178/85, WM 1987, S. 616. BGH, 03.06.1987 – VIII ZR 158/86, NJW-RR 1988, S. 199. BGH, 10.03.1988 – VII ZR 8/87, BGHZ 103, 362. BGH, 25.04.1988 – II ZR 252/86, NJW 1988, S. 3092. BGH, 22.09.1988 – IX ZR 263/87, NJW 1989, S. 1352. BGH, 22.11.1988 – VI ZR 341/87, NJW 1989, S. 393. BGH, 26.01.1989 – III ZR 192/87, BGHZ 106, 313. BGH, 28.02.1989 – IX ZR 130/88, BGHZ 107, 92. BGH, 08.05.1989 – II ZR 237/88, NJW-RR 1989, S. 1055. BGH, 23.05.1989 – IX ZR 57/88, NJW-RR 1990, S. 48. BGH, 15.11.1989 – IVb ZR 95/88, NJW-RR 1990, S. 194. BGH, 13.12.1989 – IV b ZR 19/89, NJW 1990, S. 1795. BGH, 07.03.1990 – VIII ZR 25/89, NJW-RR 1990, S. 701. BGH, 05.04.1990 – IX ZB 68/89, NJW 1990, S. 3084. BGH, 04.07.1990 – IV ZR 174/89, BB 1990, S. 2113. BGH, 12.12.1990 – VIII ZR 355/89, NJW-RR 1991, S. 971. BGH, 28.02.1991 – I ARZ 711/90, NJW 1991, S. 2838. BGH, 25.03.1991 – II ZR 13/90, BGHZ 114, 138. BGH, 14.11.1991 – I ZR 136/89, BGHZ 116, 95. BGH, 19.12.1991 – IX ZR 96/91, BGHZ 117, 1. BGH, 21.02.1992 – V ZR 273/90, NJW 1992, S. 1897. BGH, 07.05.1992 – V ZR 192/91, NJW-RR 1992, S. 1149. BGH, 14.05.1992 – VII ZR 204/90, BGHZ 118, 229. BGH, 04.06.1992 – IX ZR 149/91, VersR 1992, S. 1281. BGH, 15.10.1992 – IX ZR 231/91, NJW 1993, S. 1270. BGH, 04.03.1993 – IX ZB 55/92, BGHZ 122, 16. BGH, 09.03.1993 – XI ZR 179/92, NJW 1993, S. 1594. BGH, 27.05.1993 – III ZR 59/92, NJW 1993, S. 2173. BGH, 15.06.1993 – XI ZR 133/92, WM 1993, S. 1585. BGH, 16.06.1993 – I ZB 14/91, BGHZ 123, 30. BGH, 24.06.1993 – III ZR 43/92, NJW 1993, S. 3204. BGH, 07.07.1993 – VIII ZR 103/92, NJW 1993, S. 2684. BGH, 30.09.1993 – I ZR 54/91, NJW 1994, S. 45. BGH, 15.06.1994 – XII ZR 128/93, NJW 1994, S. 3165.
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Rechtsprechungsverzeichnis
BGH, 22.09.1994 – IX ZR 165/93, BGHZ 127, 146. BGH, 11.11.1994 – V ZR 46/93, NJW 1995, S. 967. BGH, 17.03.1995 – V ZR 178/93, NJW 1995, S. 1757. BGH, 14.07.1995 – V ZR 171/94, NJW 1995, S. 2993. BGH, 20.09.1995 – XII ZR 220/94, NJW 1995, S. 3318. BGH, 16.10.1995 – II ZR 298/94, BGHZ 131, 82. BGH, 11.12.1995 – II ZR 220/94, NJW 1996, S. 658. BGH, 12.12.1995 – VII ZR 209/94, BGHZ 131, 76. BGH, 12.01.1996 – V ZR 246/94, NJW 1996, S. 1060. BGH, 08.02.1996 – IX ZR 215/94, NJW-RR 1996, S. 826. BGH, 16.04.1996 – XI ZR 302/95, NJW-RR 1996, S. 828. BGH, 11.07.1996 – III ZR 133/95, NJW 1996, S. 3151. BGH, 09.04.1997 – IV ZR 113/96, NJW 1997, S. 1990. BGH, 15.07.1997 – VI ZR 142/95, NJW 1997, S. 3019. BGH, 28.05.1998 – I ZR 275–95, NJW 1999, S. 287. BGH, 09.07.1998 – IX ZR 272–96, NJW 1998, S. 2972. BGH, 29.04.1999 – IX ZR 263–97, NJW 1999, S. 3198. BGH, 10.02.2000 – IX ZB 31/99, Vorlagebeschluss zu EuGH, 06.06.2002 – Rs. C-80/00, Italian Leather ./. WECO Polstermöbel, WM 2000, S. 635. BGH, 02.03.2000 – IX ZR 285/99, NJW 2000, S. 2022. BGH, 20.03.2000 – II ZR 250/99, NJW 2000, S. 1958. BGH, 26.09.2000 – VI ZR 279/99, NJW 2001, S. 157. BGH, 28.09.2000 – VII ZR 57/00, NJW-RR 2001, S. 310. BGH, 24.10.2000 – XI ZR 300/99, NJW 2001, S. 524. BGH, 05.04.2001 – VII ZR 135/00, BGHZ 147, 220. BGH, 18.09.2001 – IX ZB 51/00, ZIP 2002, S. 365. BGH, 30.10.2001 – VI ZR 127/00, NJW-RR 2002, S. 516. BGH, 13.12.2001 – VII ZR 148/01, NJW 2002, S. 900. BGH, 02.05.2002 – I ZR 45/01, NJW-RR 2002, S. 1617. BGH, 22.07.2002 – II ZR 286/01, NJW 2002, S. 3465. BGH, 30.10.2002 – XII ZR 345/00, NJW 2003, S. 585. BGH, 17.12.2002 – XI ZR 90/02, NJW 2003, S. 1044. BGH, 03.04.2003 – I ZR 1/01, NJW 2003, S. 2317. BGH, 10.04.2003 – VII ZR 314/01, NJW 2003, S. 2605.
Rechtsprechungsverzeichnis BGH, 26.06.2003 – I ZR 269/00, NJW 2003, S. 3058. BGH, 24.09.2003 – XII ZR 70/02, NJW 2004, S. 294. BGH, 23.10.2003 – I ZB 45702, NJW 2004, S. 506. BGH, 19.11.2003 – VIII ZR 60/03, NJW 2004, S. 1252. BGH, 17.12.2003 – IV ZR 28/03, FamRZ 2004, S. 863. BGH, 03.03.2004 – IV ZB 43/93, NJW 2004, S. 1805. BGH, 05.11.2004 – IXa ZB 32/04, FamRZ 2005, S. 199 L. BGH, 14.04.2005 – IX ZB 76/04, NJW-RR 2005, S. 1211. BGH, 07.07.2005 – VII ZR 351/03, NJW 2005, S. 2926. BGH, 26.07.2005 – X ZR 109/03, NJW 2006, S. 63. BGH, 14.02.2006 – VI ZR 322/04, NJW-RR 2004, S. 712. BGH, 29.06.2006 – I ZR 235/03, GRUR 2006, S. 960. BGH, 12.07.2006 – XII ZR 178/03, NZM 2006, S. 699. BGH, 11.10.2006 – KZR 45/05, NJW 2007, S. 83. BGH, 13.03.2007 – VI ZR 129/06, NJW 2007, S. 1753. BGH, 14.03.2007 – XII ZB 174/04, NJW 2007, S. 3433. BGH, 13.06.2008 – V ZR 114/07, NJW 2008, S. 2852. BGH, 25.02.2009 – XII ZB 224/06, NJW-RR 2009, S. 1000. BGH, 12.08.2009 – XII ZB 12/05, NJW-RR 2010, S. 1. BGH, 30.09.2010 – Xa ARZ 191/10, NJW 2011, S. 460.
Bundesarbeitsgericht BAG, 12.01.1977 – 5 AZR 593/75, NJW 1977, S. 1895. BAG, 19.03.1996 – 9 AZR 656/94, IPRax 1997, S. 335. BAG, 27.09.2001 – 2 AZR 389/00, NJW 2002, S. 1287.
Reichsgericht RG, 05.02.1885 – Rep. IV. 322/85, RGZ 13, 347. RG, 20.02.1900 – Rep. VIa 395/99, RGZ 46, 334. RG, 21.03.1912 – JW 1912, S. 642. RG, 18.05.1916 – Rep. IV. 2/16, RGZ 88, 244. RG, 07.06.1918 – VII 45/18, RGZ 93, 127. RG, 13.04.1921 – 497/20 V, JW 1921, S. 1245. RG, 17.05.1929 – II 440/28, IPRspr. 1929, Nr. 151.
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Rechtsprechungsverzeichnis
Bayerisches Oberstes Landesgericht BayObLG, 07.04.1953 – BReg. 2 Z 242/52, MDR 1953, S. 561. BayObLG, 07.06.1967 – BReg. 2 Z 81/65, BayObLGZ 1967, 218. BayObLG, 20.07.1981 – BReg. 1 Z 6/81, BayObLGZ 1981, 246.
Oberlandesgerichte KG, 29.09.1987 – 17 U 492/87, NJW 1988, S. 341. KG, 24.11.2005 – 12 U 188/04, NJW 2006, S. 1677. KG, 06.12.2007 – 2 W 185/07, FamRZ 2008, S. 1094. OLG Brandenburg, 27.06.2007 – 7 U 188/06 (juris). OLG Bremen, 21.07.1999 – 6 W 21/98, NJW 2000, S. 963. OLG Celle, 03.01.2007 – 8 W 86/06, NJW-RR 2007, S. 718. OLG Dresden, 14.07.2006 – 21 U 984/06, FamRZ 2007, S. 65. OLG Dresden, 24.04.2007 – 3 W 0594/06, 3 W 594/06, IHR 2007, S. 211. OLG Düsseldorf, 03.11.1981 – 6 UF 79/81, IPRax 1982, S. 152. OLG Düsseldorf, 23.04.1992 – 8 U 228/89, NJW 1993, S. 802. OLG Düsseldorf, 27.11.1996 – 3 W 124/96, IPRax 1998, S. 478. OLG Düsseldorf, 21.02.2001 – 3 W 429/00, RIW 2001, S. 620. OLG Düsseldorf, 06.07.2001 – 24 U 211/00, MDR 2001, S. 1257. OLG Düsseldorf, 20.01.2004 – I-3 W 3/04, 3 W 3/04, RIW 2004, S. 391. OLG Düsseldorf, 01.03.2005 – I-3 W 335/04, 3 W 335/04, InVo 2005, S. 515. OLG Düsseldorf, 03.02.2006 – I-3 W 23/06, 3 W 23/06, Rpfleger 2006, S. 262. OLG Frankfurt, 21.08.1978 – 20 W 402/78, RIW/AWD 1980, S. 63. OLG Frankfurt, 27.11.1980 – 20 W 761/80, Rpfleger 1981, S. 152. OLG Frankfurt, 11.12.1984 – 5 U 5/84, RIW 1985, S. 411. OLG Frankfurt, 12.11.1985 – 5 W 25/85, NJW 1986, S. 1443. OLG Frankfurt, 21.03.1991 – 20 VA 2/91, OLGZ 1992, S. 89. OLG Frankfurt, 14.12.2000 – 5 W 21/00, RIW 2001, S. 379. OLG Hamburg, 12.07.1983 – 2 VA 1/83, IPRspr. 1983, Nr. 184. OLG Hamburg, 18.06.1993 – 6 W 21/93, RIW 1994, S. 424. OLG Hamburg, 05.08.1993 – 6 W 92/89, IPRax 1995, S. 391. OLG Hamburg, 06.02.1998 – 12 U 16/96, RIW 1998, S. 889. OLG Hamburg, 11.05.2005 – 5 W 44/05, IPRspr 2005, Nr. 177.
Rechtsprechungsverzeichnis OLG Hamm, 20.06.1985 – 4 U 15/85, NJW-RR 1986, S. 1047. OLG Hamm, 11.02.1991 – 8 WF 30/91, FamRZ 1993, S. 213. OLG Hamm, 28.12.1993 – 20 W 19/93, NJW-RR 1995, S. 189. OLG Hamm, 20.11.1995 – 18 U 39/95, NJW-RR 1996, S. 1506. OLG Hamm, 27.06.1996 – 1 W 102/95, IPRax 1998, S. 202. OLG Hamm, 27.01.1999 – 3 U 58–98, NJW-RR 1999, S. 1589. OLG Hamm, 16.01.2001 – 14 W 129/99, NJW 2001, S. 1870. OLG Karlsruhe, 10.10.1973 – 5 U 198/72, NJW 1974, S. 1059. OLG Karlsruhe, 22.06.1989 – 16 WF 41/89, FamRZ 1989, S. 1210. OLG Karlsruhe, 19.12.1994 – 9 W 32/94, ZZPInt. 1 (1996), S. 91. OLG Karlsruhe, 08.01.2002 – 9 W 51/01, FamRZ 2002, S. 1420. OLG Koblenz, 28.11.1975 – 2 W 625/75, NJW 1976, S. 488. OLG Koblenz, 05.04.2004 – 11 UF 43/04, IPRspr 2004, Nr. 171. OLG Koblenz, 06.08.2007 – 2 U 600/07 (juris). OLG Köln, 19.03.1973 – 7 W 63/72, MDR 1973, S. 768. OLG Köln, 15.12.1986 – 26 UF 188/86, IPRax 1988, S. 30. OLG Köln, 22.06.1988 – 27 UF 14/88, IPRax 1989, S. 53. OLG Köln, 12.01.1998 – 16 U 58/97 (juris). OLG Köln, 18.12.1998 – 13 W 48–98, NJW-RR 1999, S. 622. OLG Köln, 16.08.1999 – 2 W 161 u. 162/99, NJW-RR 2001, S. 69. OLG Köln, 03.06.2002 – 11 W 16/02, IPRax 2003, S. 446. OLG Köln, 04.06.2004 – 16 W 7/04, IHR 2005, S. 216. OLG Köln, 17.11.2004 – 16 W 31/04, IPRspr. 2004, Nr. 169. OLG Köln, 02.12.2005 – 16 W 31/05, InVo 2006, S. 332. OLG Köln, 30.11.2007 – 20 U 172/06 (juris). OLG München, 08.03.1922, OLGRspr. 43 (1922), 142. OLG München, 15.02.1990 – 29 U 5500/89, NJW 1990, S. 3097. OLG Nürnberg, 05.04.1974 – 9 W 31/74, IPRspr. 1974, Nr. 188. OLG Nürnberg, 16.09.1980 – 1 W 1404/80, OLGZ 1981, 115. OLG Nürnberg, 03.07.1995 – 10 WF 1477/95, FamRZ 1996, S. 353. OLG Oldenburg, 25.04.1995 – 1 U 161/94, IPRax 1997, S. 338. OLG Oldenburg, 29.03.2006 – 9 W 6/06, NJW-RR 2007, S. 418. OLG Saarbrücken, 09.12.1957 – 4 U 120/57, NJW 1958, S. 1046. OLG Saarbrücken, 03.08.1987 – 5 W 102/87, IPRax 1989, S. 37.
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OLG Saarbrücken, 11.07.2000 – 5 W 369/99, IPRax 2001, S. 456. OLG Saarbrücken, 12.07.2000 – 1 U 1082/99, MDR 2000, S. 1317. OLG Stuttgart, 11.07.1922, OLGRspr. 43 (1922), 143. OLG Stuttgart, 26.09.1983 – 11 W 43/83, ZZP 97 (1984), S. 487. OLG Stuttgart, 10.11.1986 – 5 W 39/86, 5 W 40/86, RIW 1988, S. 302. OLG Stuttgart, 15.05.1997 – 5 W 4/97, NJW-RR 1998, S. 280. OLG Stuttgart, 27.06.1997 – 15 WF 262/97, FamRZ 1997, S. 1495.
Landgerichte LG Berlin, 06.11.1961 – 32 O 5/57, IPRspr. 1960/61, Nr. 192. LG Bonn, 04.03.2003 – 4 T 33/03, RIW 2003, S. 388. LG Essen, 16.03.1967 – 1 T 27/67, DAVorm. 1968, S. 173. LG Freiburg, 19.12.1996 – 5 O 282/96, MDR 1997, S. 396. LG Hamburg, 29.08.1968 – 13 O 156/66, IPRspr. 1968/69, Nr. 223. LG Hamburg, 11.07.1991 – 302 0 49/91, IPRax 1992, S. 251. LG Köln, 18.01.2008 – 3 O 7/07 (juris). LG München I, 04.04.2000 – 21 O 4375/00, MMR 2001, S. 61. LG Stuttgart, 28.03.1988 – 2 T 1001/87, RIW 1988, S. 563. LG Stuttgart, 24.11.1999 – 24 O 192/99, IPRax 2001, S. 240. LG Wiesbaden, 09.08.2000 – 3 O 129/00, MMR 2001, S. 59. LG Zwickau, 19.10.2006 – 8 T 345/06, IHR 2007, S. 209.
Sonstige AG Hamburg, 24.01.1985 – 289 F 134/182, IPRspr. 1985, Nr. 71. AG Hamburg, 24.04.1992 – 43 b C 1967/91, NJW-RR 1992, S. 1487. VG Stuttgart, 18.08.1981 – VRS 7 K 395/81, StAZ 1982, S. 218.
C. England House of Lords House of Lords, April 1776 – Duchess of Kingston’s Case [1775–1802], All ER Rep. 623. House of Lords, 04.04.1869 – Castrique v. Imrie (1869–70), L.R. 4 H.L. 414. House of Lords, 06.03.1877 – Lockyer v. Ferryman (1877), 2 A.C. 519.
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House of Lords, 27.02.1880 – Dundas v. Waddell (1879–80), L.R. 5 App. Cas. 249. House of Lords, 15.12.1903 – Wakefield Corp v. Cooke [1904], A.C. 31. House of Lords, 27.05.1927 – Salvesen or von Lorang v. Administrator of Austrian Property [1927], A.C. 641. House of Lords, 24.07.1929 – Clark and others v. Urquhart [1930], A.C. 28. House of Lords, 13.12.1938 – New Brunswick Railway Co. v. British & Frensh Trust Corporation, Ltd. [1938], All ER 747. House of Lords, 18.05.1966 – Carl Zeiss Stiftung v. Rayner & Keeler Ltd. and others [1967], 1 A.C. 853. House of Lords, 05.03.1975 – Black-Clawson International Ltd. v. Papierwerke Waldhof-Aschaffenburg [1975], 2 Lloyd’s Rep. 11. House of Lords, 19.11.1981 – Hunter v. Chief Constable of the West Midlands Police and others [1982], A.C. 529. House of Lords, 07.04.1982 – Vervaeke (formerly Messina) v. Smith and Others [1983], 1 A.C. 145. House of Lords, 08.07.1982 – Sudbrook Trading Estate Ltd v. Eggleton [1983], 1 A.C. 444. House of Lords, 21.03.1985 – The Sennar No. 2 [1985], 1 W.L.R. 490. House of Lords, 23.06.1988 – Deutsche Schachtbau- und Tiefbohrgesellschaft mbH v. Ras Al-Khaimah National Oil Co [1990], 1 A.C. 295. House of Lords, 25.04.1991 – Arnold and Others v. National Westminster Bank PLC [1991], 2 A.C. 93. House of Lords, 08.02.1993 – Republic of India and Another v. India Steamship Co. Ltd. [1993], A.C. 410. House of Lords, 16.10.1997 – Republic of India and Others v. India Steamship Co Ltd. [1997], 4 All ER 380. House of Lords, 14.12.2000 – Johnson v. Gore Wood & Co [2002], 2 A.C. 1.
Judicial Committee of the Privy Council Judicial Committee of the Privy Council, 10.12.1851 – Bold Buccleugh, VII Moore P.C. 267. Judicial Committee of the Privy Council, 01.08.1913 – Kennedy v. Kennedy [1914], A.C. 215. Judicial Committee of the Privy Council, 19.03.1929 – Kinch v. Walcott and others [1929], A.C. 482. Judicial Committee of the Privy Council, 20.08.1940 – United Australia, Ltd. v. Barclays Bank, Ltd. [1941], A.C. 1.
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Judicial Committee of the Privy Council, 06.11.1957 – Nan Ofori Atta II. v. Nana Abu Bonsra II. [1958], A.C. 95. Judicial Committee of the Privy Council, 10.12.1963 – Kok Hoong v. Leong Cheong Kweng Mines Ltd. [1964], A.C. 993. Judicial Committee of the Privy Council, 27.01.1975 – Yat Tung Investment Co. Ltd. v. Dao Heng Bank Ltd. and others [1975], A.C. 581. Judicial Committee of the Privy Council, 19.05.1976 – Director of public prosecutors v. Humphrys [1977], A.C. 1. Judicial Committee of the Privy Council, 14.05.1987 – Societe Nationale Industrielle Aerospatiale v. Lee Kui Jak [1987], A.C. 871. Judicial Committee of the Privy Council, 19.06.2001 – Jennifer Gairy v. Attorney General of Grenada [2002], 1 A.C. 167.
Court of Appeal Court of Appeal (Civil Division), 03.07.1871 – Touche v. Metropolitan Railway Warehousing (1870–71), L.R. 6 Ch.App. 671. Court of Appeal (Civil Division), 05.08.1873 – Parker v. Lewis (1874), L.R. 8 Ch.App. 1035. Court of Appeal (Civil Division), 12.05.1881 – Ex parte Young, Re Kitchin (1881), 17 Ch.D. 668. Court of Appeal (Civil Division), 12.07.1884 – Brunsden v. Humphrey [1884], 14 Q.B.D. 141. Court of Appeal (Civil Division), 21.01.1885 – In re May (1885), 28 Ch.D. 516. Court of Appeal (Civil Division), 04.11.1894 – Rs South American and Mexican Co Ex p. Bank of England [1895], 1 Ch. 37. Court of Appeal (Civil Division), 30.07.1896 – Ballantyne v. MacKinnon [1896], 2 Q.B. 455. Court of Appeal (Civil Division), 13.02.1907 – The Burns [1907], P. 137. Court of Appeal (Civil Division), 27.01.1939 – Marginson v. Blackburn Borough Council [1939], All ER 273. Court of Appeal (Civil Division), 19.06.1940 – Hills v. Co-Operative Wholesale Society, Ltd. [1940], 2 K.B. 435. Court of Appeal (Civil Division), 30.07.1947 – Burman v. Woods [1948], 1 K.B. 111. Court of Appeal (Civil Division), 30.05.1949 – Lazarus-Barlow v. Regent Estates Co [1949], 2 K.B. 465. Court of Appeal (Civil Division), 27.07.1955 – Thynne v. Thynne [1955], 3 All ER 129.
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Court of Appeal (Civil Division), 07.06.1961 – Morrison Rose & Partners v. Hillman [1961], 2 Q.B. 266. Court of Appeal (Civil Division), 19.12.1963 – Thoday v. Thoday [1964], 1 All ER 341. Court of Appeal (Civil Division), 25.01.1964 – Re Langton [1964], 1 All ER 749. Court of Appeal (Civil Division), 20.04.1964 – Penn-Texas Corporation v. Murat Anstalt and others (No. 2) [1964], 2 Q.B. 647. Court of Appeal (Civil Division), 15.06.1964 – Letang v. Cooper [1965], 1 Q.B. 232. Court of Appeal (Civil Division), 23.02.1965 – Fidelitas Shipping Co., Ltd. v. V/O Exportchleb [1965], 2 All ER 4. Court of Appeal (Civil Division), 25.10.1968 – TC Trustees v. Darwen (JS) (Successors) [1969], 2 Q.B. 295. Court of Appeal (Civil Division), 07.12.1970 – Comet Products (UK) Ltd. v. Hawkex Plastics Ltd. [1971], 2 Q.B. 67. Court of Appeal (Civil Division), 17.05.1971 – Mercer Alloys Corporation and another v. Rolls Royce Ltd. [1972], 1 All ER 211. Court of Appeal (Civil Division), 28.07.1972 – In re Barrell Enterprises [1973], 1 W.L.R. 19. Court of Appeal (Civil Division), 20.12.1972 – Evans Marshall & Co v. Bertola SA (No. 1) [1973], 1 W.L.R. 349. Court of Appeal (Civil Division), 06.05.1977 – Turner v. London Transport Executive [1977], I.C.R. 952. Court of Appeal (Civil Division), 17.01.1980 – McIlkenny v. Chief Constable of West Midlands Police Force and another [1980], 2 All ER 227. Court of Appeal (Civil Division), 24.10.1980 – Tebbutt v. Haynes and another [1981], 2 All ER 238. Court of Appeal (Civil Division), 25.05.1982 – CN Marine Inc v. Stena Line A/B (No. 2) [1982], 2 Lloyd’s Rep. 336. Court of Appeal (Civil Division), 11.04.1990 – House of Spring Gardens Ltd. v. Waite and others [1991], 1 Q.B. 241. Court of Appeal (Civil Division), 24.05.1991 – Hines v. Birkbeck College and another (No. 2) [1992], Ch. 33. Court of Appeal (Civil Division), 22.11.1992 – Linotype-Hell Finance v. Baker [1993], 1 W.L.R. 321. Court of Appeal (Civil Division), 12.03.1993 – Talbot v. Berkshire County Council [1994], Q.B. 290.
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Court of Appeal (Civil Division), 18.02.1994 – Berkeley Administration Inc. and Others v. McClelland and Others [1995], I.L.Pr. 201. Court of Appeal (Civil Division), 05.02.1996 – Smith v. Linskills (a firm) and another [1996], 1 W.L.R. 763. Court of Appeal (Civil Division), 15.02.1996 – Desert Sun Loan Corporation v. Hill [1996], I.L.Pr. 406. Court of Appeal (Civil Division), 02.04.1996 – Boss Group Ltd. v. Boss France S.A. [1997], 1 W.L.R. 351. Court of Appeal (Civil Division), 18.07.2001 – Friend v. Civil Aviation Authority [2001], 4 All ER 385. Court of Appeal (Civil Division), 07.08.2001 – Societe Eram Shipping Co Ltd v. Compagnie Internationale de Navigation [2001], EWCA Civ 1317. Court of Appeal (Civil Division), 04.02.2002 – Taylor and another v. Lawrence and another [2003], Q.B. 528. Court of Appeal (Civil Division), 07.05.2004 – Wiltshire v. Powell and others [2004], EWCA Civ. 534. Court of Appeal (Civil Division), 21.07.2004 – Raja v. Van Hoogstraten [2004], EWCA Civ 968. Court of Appeal (Civil Division), 22.03.2005 – Markem Corp. v. Zipher Ltd. [2005], EWCA Civ 267. Court of Appeal (Civil Division), 12.01.2007 – Special Effects Ltd. v. L’Oreal S.A. and another [2007], EWCA Civ 1. Court of Appeal (Civil Division), 28.11.2007 – Aldi Stores Ltd. v. WSP Group plc and others [2007], EWCA Civ 1260. Court of Appeal (Civil Division), 21.01.2008 – Kolden Holding Ltd. v. Rodette Commerce Ltd. and anoter [2008], EWCA Civ 10. Court of Appeal (Civil Division), 29.07.2008 – Redcar & Cleveland Borough Council v. Brainbridge & Ors [2008], EWCA Civ 885.
High Court of Justice High Court – Chancery Division, 02.07.1842 – Barrs v. Jackson, 1 Y. & C. C. C. 585. High Court – Chancery Division, 20.07.1843 – Henderson v. Henderson (1843), 3 Hare 100. High Court – Chancery Division, 15.11.1876 – Yeatman v. Yeatman (1877–78), L.R. 7 Ch.D. 210. High Court – Chancery Division, 06.03.1896 – Shoe Machinery Co v. Cutlan [1896], 1 Ch. 667.
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High Court – Chancery Division, 23.07.1963 – Phonographic Performance v. Amusement Caterers (Peckham) [1964], Ch. 195. High Court – Chancery Division, 09.11.1965 – Yianni v. Yianni [1966], 1 W.L.R. 120. High Court – Chancery Division, 14.02.1967 – Standard Securities v. Hubbard, Telesurance [1967], Ch. 1056. High Court – Chancery Division, 28.11.1967 – London Permanent Benefit Building Society v. De Baer [1969], 1 Ch. 321. High Court – Chancery Division, 06.12.1967 – Pople v. Evans [1969], 2 Ch. 255. High Court – Chancery Division, 05.02.1969 – Carl Zeiss Stiftung v. Rayner & Keeler Ltd. and others (No. 3) [1970], 1 Ch. 506. High Court – Chancery Division, 20.06.1973 – Myers v. Sherick (N&J) [1974], 1 W.L.R. 31. High Court – Chancery Division, 20.11.1973 – Sky Petroleum v VIP Petroleum [1974], 1 W.L.R. 576. High Court – Chancery Division, 17.01.1977 – Gleeson v. J. Wippell & Co. Ltd. [1977], 1 W.L.R. 510. High Court – Chancery Division, 20.02.1978 – Cook Industries Inc v. Galliher [1978], 3 W.L.R. 637. High Court – Chancery Division, 17.03.1980 – Howard E Perry & Co Ltd v. British Railways [1980], 1 W.L.R. 1375. High Court – Chancery Division, 23.11.1990 – Bhimji v. Chatwani (No. 1) [1991], 1 W.L.R. High Court – Chancery Division, 14.03.1991 – McGucken v. McGucken and another [1991], NI 33. High Court – Chancery Division, 14.03.1996 – Miller v. Scorey [1996], 1 W.L.R. 1122. High Court – Chancery Division, 11.03.2009 – Dean & Dean v. Angel Airlines SA and another [2009], EWHC 447 (Ch). High Court – Family Division, 27.04.2000 – Harris v. Harris, 2001 WL 535715. High Court – Family Division, 04.02.2002 – S v. S [2002], 3 W.L.R. 1372. High Court – King’s Bench Division, 1789 – Duffield v. Scott (1789), 3 Term Rep. 374. High Court – King’s Bench Division, 23.04.1923 – Ord v. Ord [1923], 2. K.B. 432. High Court – King’s Bench Division, 15.02.1939 – Townsend v. Bishop [1939], 1 K.B. 805. High Court – Queen’s Bench Division, 1843 – Blanchenay v. Burt, Hodgson and Burton (1843), 4 Q.B. 707.
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High Court – Queen’s Bench Division, 1852 – Lumley v. Wagner (1852), 1 De G.M.& G. 604. High Court – Queen’s Bench Division, 1862 – Scott v. Pilkington (1862), 2 B. & S. 11. High Court – Queen’s Bench Division, 09.03.1967 – Mills v. Cooper [1967], 2 Q.B. 459. High Court – Queen’s Bench Division, 12.11.1982 – Webster v. Southwark LBC [1983], Q.B. 698. High Court – Queen’s Bench Division, 05.05.1989 – Black v. Yates [1992], Q.B. 526. High Court – Queen’s Bench Division, 09.11.1989 – North West Water Ltd v. Binnie ua Partners [1990], 3 All ER 547. High Court – Queen’s Bench Division (Commercial Court), 06.10.1982 – Tracomin SA v. Sudan Oil Seeds Co Ltd [1983], 1 All ER 404. High Court – Queen’s Bench Division (Divisional Court), 20.02.1973 – Armstrong v. Whitfield [1974], Q.B. 16.
Sonstige Court of Common Pleas, 1831 – Dalgleishs v. Hodgson (1831), 7 Bing. 495. Court of Common Pleas, 06.06.1843 – Pritchard v. George Hitchcock (1843), 6 Man. & G. 151. Court of Common Pleas, 16.11.1864 – Hobbs v. Henning (1864), 17 C.B. N.S. 791. Court of Exchequer, 26.01.1841 – Mary Ann Jones v. John Williams (1841), 7 M & W 493. Court of Exchequer, 17.06.1841 – Bain, Public Officer v. Cooper (1841), 8 M & W 751. Court of Exchequer, 11.11.1863 – Phillips v. Ward and Others (1863), 2 H & C 717. Court of King’s Bench, 11.02.1803 – Outram v. Morewood Clerk and Ellen, his Wife, 102 E.R. 630. Court of Queen’s Bench, 1839 – Palmer v. Temple (1839), 9 A & E. Courts of Probate and Divorce, 30.05.1871 – Wytcherley v. Andrews (1869–72), L.R. 2 P. & D. 327. Crown Court, 1852 – Regina v. Robert Baugh Blakemore (1852), 2 Den.C.C. 410.
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D. Frankreich Cour de cassation Cour de cassation, 1re civ., 20.01.1953 – époux Ailloud c/ consorts Plissonnier, JCP 1975.II.7677. Cour de cassation, 1re civ., 20.10.1959, Bull. civ. I nº 419. Cour de cassation, 1re civ., 04.07.1960, Bull. civ. I nº 361. Cour de cassation, 1re civ., 05.11.1962, Bull. civ. I nº 460. Cour de cassation, 1re civ., 20.07.1964, Bull. civ. I nº 399. Cour de cassation, 1re civ., 07.02.1966, Bull. civ. I nº 88. Cour de cassation, 1re civ., 21.02.1968, Bull. civ. I nº 77. Cour de cassation, 1re civ., 19.12.1972 – Guarte c/ dame Guarte, RCDIP 64 (1975), S. 83. Cour de cassation, 1re civ., 12.03.1974, Bull. civ. I nº 83. Cour de cassation, 1re civ., 19.03.1974 – nº 72–11259, Bull. civ. I nº 90. Cour de cassation, 1re civ., 07.01.1975, Bull. civ. I nº 6. Cour de cassation, 1re civ., 07.01.1976, Bull. civ. I nº 7. Cour de cassation, 1re civ., 08.11.1976, Bull. civ. I nº 331. Cour de cassation, 1re civ., 23.11.1977, Bull. civ. I nº 441. Cour de cassation, 1re civ., 31.01.1978, Bull civ. I nº 37. Cour de cassation, 1re civ., 29.03.1978 – Royon c/ Soc. Les grands travaux de l’Est, RCDIP 69 (1980), S. 114. Cour de cassation, 1re civ., 23.07.1979, Bull. civ. I nº 223. Cour de cassation, 1re civ., 17.05.1982, Bull. civ. I nº 176. Cour de cassation, 1re civ., 14.06.1984, Bull. civ. I nº 197. Cour de cassation, 1re civ., 05.11.1985, Bull. civ. I nº 283. Cour de cassation, 1re civ., 25.11.1986, Bull. civ. I nº 275. Cour de cassation, 1re civ., 20.03.1989, Bull. civ. I nº 122. Cour de cassation, 1re civ., 06.06.1990, Bull. civ. I nº 140. Cour de cassation, 1re civ., 29.10.1990, Bull. civ. I nº 225. Cour de cassation, 1re civ., 02.12.1992, Bull. civ. I nº 294. Cour de cassation, 1re civ., 08.07.1994, Bull. civ. I nº 240. Cour de cassation, 1re civ., 08.07.1994 – nº 91–17250 (légifrance). Cour de cassation, 1re civ., 28.03.1995, Bull. civ. I nº 139. Cour de cassation, 1re civ., 07.06.1995, Bull. civ. I nº 237.
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Cour de cassation, 1re civ., 19.11.1996 – Soc. Pêcherie du Port c/ Soc. Bureau Veritas, RCDIP 86 (1997), S. 94. Cour de cassation, 1re civ., 01.07.1997, Bull. civ. I nº 219. Cour de cassation, 1re civ., 18.01.2000, Bull. civ. I nº 11. Cour de cassation, 1re civ., 22.10.2002, Bull. civ. I nº 234. Cour de cassation, 1re civ., 08.03.2005, Bull. civ. I nº 113. Cour de cassation, 1re civ., 21.09.2005, Bull. civ. I nº 340. Cour de cassation, 1re civ., 28.05.2008, Bull. civ. I nº 153. Cour de cassation, 2e civ., 30.10.1963, Bull. civ. II nº 686. Cour de cassation, 2e civ., 03.02.1965, Bull. civ. II nº 109. Cour de cassation, 2e civ., 13.10.1965, Bull. civ. II nº 730. Cour de cassation, 2e civ., 20.10.1965, Bull. civ. II nº 765. Cour de cassation, 2e civ., 16.06.1966, Bull. civ. II nº 700. Cour de cassation, 2e civ., 06.07.1967, Bull. civ. II nº 247. Cour de cassation, 2e civ., 24.06.1970, Bull. civ. II nº 221. Cour de cassation, 2e civ., 17.10.1973, Bull. civ. II nº 259. Cour de cassation, 2e civ., 16.01.1974, Bull. civ. II nº 23. Cour de cassation, 2e civ., 14.11.1979, Bull. civ. II nº 260. Cour de cassation, 2e civ., 16.11.1983, Bull. civ. II nº 180. Cour de cassation, 2e civ., 03.10.1984, Bull. civ. II nº 140. Cour de cassation, 2e civ., 13.02.1985, Bull. civ. II nº 37. Cour de cassation, 2e civ., 28.10.1987, Bull. civ. II nº 211. Cour de cassation, 2e civ., 24.02.1988 – nº 87–10156 (légifrance). Cour de cassation, 2e civ., 01.03.1989, Bull. civ. II nº 54. Cour de cassation, 2e civ., 30.10.1989, JCP G 1989.IV.420. Cour de cassation, 2e civ., 28.05.1990 – Lequeux c/ Époux Aubert, DS 1990, jur., S. 444. Cour de cassation, 2e civ., 05.04.1991, Bull. civ. II nº 109. Cour de cassation, 2e civ., 10.03.1993, Bull. civ. II nº 89. Cour de cassation, 2e civ., 17.05.1993, Bull. civ. II nº 173. Cour de cassation, 2e civ., 16.07.1993, Bull. civ. II nº 253. Cour de cassation, 2e civ., 05.01.1994, Bull. civ. II nº 15. Cour de cassation, 2e civ., 10.04.1995, Bull. civ. II nº 121. Cour de cassation, 2e civ., 22.05.1995, Bull. civ. II nº 150. Cour de cassation, 2e civ., 25.03.1998, Bull. civ. II nº 107.
Rechtsprechungsverzeichnis Cour de cassation, 2e civ., 03.06.1998, Bull. civ. II nº 171. Cour de cassation, 2e civ., 05.04.2001, Bull. civ. II nº 75. Cour de cassation, 2e civ., 07.03.2002, Bull. civ. II nº 34. Cour de cassation, 2e civ., 19.12.2002, Bull. civ. II nº 292. Cour de cassation, 2e civ., 10.07.2003, Bull. civ. II nº 238. Cour de cassation, 2e civ., 18.09.2003 – nº 01–17198 (légifrance). Cour de cassation, 2e civ., 22.01.2004, Bull. civ. II nº 15. Cour de cassation, 2e civ., 04.03.2004, Bull. civ. II nº 84. Cour de cassation, 2e civ., 23.06.2005 – nº 03–16379 (légifrance). Cour de cassation, 2e civ., 15.09.2005, Bull. civ. II nº 218. Cour de cassation, 3e civ., 30.04.1969, Bull. civ. III nº 344. Cour de cassation, 3e civ., 30.05.1969, Bull. civ. III nº 436. Cour de cassation, 3e civ., 19.02.1970 – Kadouch c/ Pfeifle et autres, Gaz. Pal. 1970, 1, jur., S. 282. Cour de cassation, 3e civ., 27.02.1970, Bull. civ. III nº 160. Cour de cassation, 3e civ., 11.10.1972, Bull. civ. III nº 513. Cour de cassation, 3e civ., 18.12.1972, Bull. civ. III nº 681. Cour de cassation, 3e civ., 28.10.1974, Bull. civ. III nº 382. Cour de cassation, 3e civ., 21.11.1974 – nº 73–12397 (légifrance). Cour de cassation, 3e civ., 21.01.1975, Bull. civ. III nº 20. Cour de cassation, 3e civ., 09.11.1976, Bull.civ. III nº 402. Cour de cassation, 3e civ., 20.03.1978, Bull. civ. III nº 126. Cour de cassation, 3e civ., 18.11.1980, Bull. civ. III nº 178. Cour de cassation, 3e civ., 23.06.1981, Bull. civ. III nº 132. Cour de cassation, 3e civ., 09.12.1981, Bull. civ. III nº 210. Cour de cassation, 3e civ., 20.04.1982, Bull. civ. III nº 96. Cour de cassation, 3e civ., 27.04.1982, Bull. civ. III nº 106. Cour de cassation, 3e civ., 21.11.1984, Bull. civ. III nº 196. Cour de cassation, 3e civ., 11.03.1987, DS 1987, IR, S. 71. Cour de cassation, 3e civ., 12.07.1988, Bull. civ. III nº 128. Cour de cassation, 3e civ., 28.10.1992, Bull. civ. III nº 282. Cour de cassation, 3e civ., 11.06.1997 – nº 95–20298 (légifrance). Cour de cassation, 3e civ., 30.01.2001 – nº 99–14537 (légifrance). Cour de cassation, 3e civ., 06.11.2001 – nº 00–13780 (légifrance).
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Cour de cassation, 3e civ., 29.01.2003, JCP 2003.II.10116. Cour de cassation, 3e civ., 13.02.2008, Bull. civ. III nº 28. Cour de cassation, 3e civ., 25.11.2009 – nº 08–14823 (légifrance). Cour de cassation, ass.pl., 03.06.1994, Bull. ass. plen. nº 4. Cour de cassation, ass.pl., 24.02.2006, DP 2006, jur., S. 1085. Cour de cassation, ass.pl., 07.07.2006, Bull. ass. plen. nº 8. Cour de cassation, comm., 16.02.1948, S. 1948, 1, S. 82. Cour de cassation, comm., 06.06.1961, Bull. civ. III nº 258. Cour de cassation, comm., 05.01.1962, Bull. civ. III nº 8. Cour de cassation, comm., 17.06.1963, Bull. civ. IV nº 304. Cour de cassation, comm., 05.11.1963, Bull. civ. III nº 459. Cour de cassation, comm., 25.05.1965, Bull. civ. III nº 332. Cour de cassation, comm., 16.06.1971, Bull. civ. IV nº 173. Cour de cassation, comm., 14.03.1972, Bull. civ. IV nº 88. Cour de cassation, comm., 09.12.1981, Bull. civ. IV nº 433. Cour de cassation, comm., 09.07.1985, Bull. civ. IV nº 206. Cour de cassation, comm., 28.04.1987 – nº 85–12727 (légifrance). Cour de cassation, comm., 15.07.1987, Bull. civ. IV nº 182. Cour de cassation, comm., 22.03.1994 – nº 92–12984 (légifrance). Cour de cassation, comm., 07.01.1997 – nº 94–19057 (légifrance). Cour de cassation, comm., 08.07.1997, Bull. civ. IV nº 219. Cour de cassation, comm., 01.06.1999, Bull. civ. IV nº 115. Cour de cassation, comm., 15.11.2005 – nº 03–13606 (légifrance). Cour de cassation, req., 21.05.1855 – Jacquot c/ veuve Jacquot, DP 1865, 1, S. 258. Cour de cassation, req., 11.11.1908, Clunet 1909, S. 753. Cour de cassation, req., 23.11.1927, DP 1928, 1, 121. Cour de cassation, req., 09.06.1928, DP 1928, 1, 153. Cour de cassation, réun., 19.05.1965, Bull. réun. nº 1. Cour de cassation, soc., 13.12.1951 – Bernard c/ Lallemant, DP 1952, jur., S. 435. Cour de cassation, soc., 24.05.1967, Bull. civ. IV nº 418. Cour de cassation, soc., 19.12.1973, Bull. civ. V nº 680. Cour de cassation, soc., 07.10.1981, Bull. civ. V nº 764. Cour de cassation, soc., 28.01.1982, Bull. civ. V nº 53.
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Cour de cassation, soc., 21.07.1986, Bull. civ. V nº 317. Cour de cassation, soc., 11.06.1987, Bull. civ. V nº 386. Cour de cassation, soc., 11.05.1994 – nº 91–41101 (légifrance). Cour de cassation, soc., 08.12.1999 – nº 97–43104, 97–45291 (légifrance). Cour de cassation, soc., 27.01.2000, Bull. civ. V nº 43. Cour de cassation, civ., 26.07.1848, DP 1852, 5, S. 97. Cour de cassation, civ., 14.07.1875 – Bally c/de Lepinerays, S. 1876, 1, S. 9. Cour de cassation, civ., 21.07.1890, DP 1891 I 15. Cour de cassation, civ., 28.10.1947, JCP 1947.II.3951.
Sonstige Conseil d’État, 02.05.1962 – Caucheteux et Desmonts, RD publ. 1963, S. 278. Cour d’appel Aix-en-Provence, 24.11.2006 – nº 04–19490 (légifrance). Cour d’appel d’Angers, 15.10.1958 – époux G. c/ Crédit Industriel de l’Ouest, JCP 1959.II.11315. Cour d’appel de Lyon, 16.10.2003 – nº 2002/02219 (légifrance). Cour d’appel d’Orléans, 17.12.2008 – nº 07/03374 (légifrance). Cour d’appel Paris, 09.03.1995 – Bidermann Zylberberg v. RHI Holdings Inc [1996], I.L.Pr. 189. Cour d’appel Paris (8e ch.), 07.05.1998, Rev. huissiers 1999, S. 210. Tribunal de Commerce d’Angers, 04.12.1957 – Cons. G. c/ Crédit de l’Ouest, DP 1958, jur., S. 378. Tribunal de grande instance de la Seine (5e Ch.), 11.12.1959, RCDIP 49 (1960), S. 123. Tribunal de grande instance de Paris (3e ch.), 08.11.1973 – Beauvais c/ Valery, DS 1975, jur., S. 401. Tribunal de grande instance de Paris (Prés.), 26.02.1980, RCDIP 69 (1980), S. 783.
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E. Sonstige Australien High Court of Australia, 27.05.1939 – Blair and others v. Curran and others (1939), 62 CLR 464.
Griechenland Appellationsgericht Athen – Nr. 3020/1996, Dikaio Etairion kai Epicheirisseon 1996, S. 817–818. Appellationsgericht Patras – Nr. 603/1992, Nomiko Vima, 41 (1993), S. 528 f. Gericht erster Instanz Athen – Nr. 5181/1996, unveröffentlicht. ¡reioò PÜgoò [„Areopag“ = das oberste Gericht in Zivil- und Strafsachen] – Nr. 1011/2007, Datenbank Nomos Nr. 434835. ¡reioò PÜgoò [„Areopag“] – Nr. 1597/2000, DikaiosŸnh 2001, S. 1304. ¡reioò PÜgoò [„Areopag“] – Nr. 971/2001, To SŸntagma 2002, Bd. 2 (online verfügbar unter: http://tosyntagma.ant-sakkoulas.gr/nomolo gia/item.php?id=579). SumboŸlio thò Epikrateûaò [„Symvoulio tis Epikrateias“ = griechischer Staatsrat, oberstes Verwaltungsgericht] – Nr. 1623/2002, To SŸntagma 2002, Bd. 2 (online verfügbar unter: http://tosyntagma. antsakkoulas.gr/nomologia/item.php?id=579).
Italien Corte di Cassazione, 23.03.1979 – 79/1756, Giur. it. 1980, I, 524.
Österreich OGH, 15.03.2005 – 1 Ob 1/05m, ZfRV 2005, S. 116.
USA US Supreme Court, 12.11.1940 – Hansberry v. Lee, 311 U.S. 32. US Supreme Court, 28.05.1974 – Eisen v. Carlisle & Jacquelin et al., 417 U.S. 156. US Supreme Court, 12.05.1980 – General Telephone Co. of the Northwest v. Equal Employment Opportunity Commission, 446 U.S. 318. US Supreme Court, 25.06.1984 – Cooper v. Federal Reserve Bank of Richmond, 467 U.S. 867.
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US Supreme Court, 26.06.1985 – Phillips Petroleum Co. v. Shutts et al., 472 U.S. 797. US Court of Appeals – 2nd Circuit, 07.03.1968 – Demarco v. Edens, 390 F.2d 836. US Court of Appeals – 2nd Circuit, 28.04.1975 – Bersch v. Drexel Firestone, Inc., 519 F.2d 974. US Court of Appeals – 2nd Circuit, 21.04.1987 – In re „Agent Orange“ Product Liability Litigation, 818 F.2d 145. US Court of Appeals – 2nd Circuit, 29.06.1990 – County of Suffolk v. Long Island Lighting Co., 907 F.2d 1295. US Court of Appeals – 2nd Circuit, 04.12.1992 – In re Joint Eastern and Southern District Asbestos Litigation, 982 F.2d 721. US Court of Appeals – 5th Circuit, 03.11.1970 – De Bremaecker v. Short, 433 F.2d 733. US Court of Appeals – 8th Circuit, 03.05.1972 – Ihrke v. Northern States Power Co., 459 F.2d 566. US Court of Appeals – 8th Circuit – 25.10.1994, Coleman v. Watt, 40 F.3d 255. US Court of Appeals – 9th Circuit, 18.05.1990 – Six (6) Mexican Workers v. Arizona Citrus Growers, 904 F.2d 1301. US Court of Appeals – D. Columbia Circuit, 17.02.1976 – Larionoff v. United States, 533 F.2d 1167. US District Court – D. Columbia, 03.11.1992 – Lewis v. National Football League, 146 F.R.D. 5. US District Court – D. Delaware, 10.06.2003 – In re DaimlerChrysler AG Securities Litigation, 216 F.R.D. 281. US District Court – D. Minnesota (4th Division), 30.04.1993 – White et al. v. National Football League, 822 F. Supp. 1389. US District Court – D. Nevada, 08.02.1991 – Riley v. Nevada Supreme Court, 763 F. Supp. 446. US District Court – M.D. Alaska (Nothern Division), 03.01.1985 – Jordan v. Swindall, 105 F.R.D. 45. US District Court – N.D. Illinois (Eastern Division), 10.11.1986 – Riordan v. Barney, 113 F.R.D. 60. US District Court – S.D. Mississippi (Jackson Division) – 18.05.1964, Chaffee v. Johnson, 229 F. Supp. 445. US District Court – S.D. New York, 24.05.2007 – In re Vivendi Universal, 242 F.R.D. 76. US District Court – W.D. Michigan, 30.11.1993 – Roman et al. v. Korson et al., 152 F.R.D. 101. California Supreme Court, 15.11.1967 – Daar v. Yellow Cab Co., 67 Cal. 2d 695. California Supreme Court, 10.05.1971 – Vasquez v. Superior Court of San Joaquin County, 4 Cal. 3d 800.
Sachwortverzeichnis* (Die Ziffern beziehen sich auf die Randnummern) Abänderung ausländischer Unterhaltsentscheidungen 238–252 – Abänderbarkeit 248–252 – Qualifikation der Abänderbarkeit 242–247 Abgabe von Willenserklärung, Vollstreckung hierauf gerichteter Ansprüche – D 701, 1009 – durch Fiktion s. Willenserklärungsfiktion – E 1011 – F 1010 Abtretung (D) 305, 562 abuse of process-Verbot (E) 166, 571 acquis communautaire 692 action attirée (F) 365 action en rescision (F) 221 action in rem (E) 358 f. action oblique (F) 366 f. action paulienne (F) 366 action to set aside the judgment (E) 864, 884, 887 additional claim (E) s. third party proceeding admiralty proceeding (E) 358 AEUV – Art. 18 682 – Art. 34 f. 685 – Art. 45 685 – Art. 49 685 – Art. 56 685
– Art. 81 31, 34 AktG – §§ 248 f. 330 – § 252 330 akzessorische Haftung (D) 312–317 american rule of costs (USA) 397 Anerkennung ausländischer Titel – anerkennungsfähige Wirkungen s. Qualifikation der Entscheidungswirkungen – Vergleich mit Vollstreckbarerklärung 19–23, 86–88, 627–664 – Wesen der ~ 73 – Zweck der ~ 72 Anerkennung ausländischer Vollstreckungsakte s. Vollstreckungsakte, ausländische Anerkennung Anerkennung Gemeinschaftsweiter Titel – Voraussetzungen 1300–1347 – Wirkungen 1348–1366 Anerkennungsfeindlichkeit 146 Anerkennungsfreundlichkeit 26 Anerkennungshindernis(e) s. Anerkennungsvoraussetzungen Anerkennungspflicht – europarechtliche ~ 137 – völkerrechtliche ~ 146 Anerkennungsprinzip, übergeordnetes 21 Anerkennungsversagungsgrund s. Anerkennungsvoraussetzungen
* Verwendete Länderkürzel: A (Österreich), D (Deutschland), E (England), F (Frankreich), G (Griechenland), I (Italien), USA (USA).
Sachwortverzeichnis Anerkennungsvoraussetzungen 13, 29–31, 40 – als „Filter“ für ausländische Entscheidungswirkungen 144 – nach dem EuGVÜ 31 – nach der EuGVVO 6, 20, 31 – nach der ZPO 29, 489–500 Anerkennungszuständigkeit 29 f., 40 Anfechtung wegen arglistiger Täuschung 177 Antagonismus zwischen Anerkennung und Vollstreckbarerklärung 21 Apostolides ./. Orams (EuGH) 1027 Arnold and Others v. National Westminster Bank (E) 190 f., 194, 570 (Fn.) AS Autoteile Service ./. Malhé (EuGH) 888 f., 891, 923, 1250 astreinte (F) 973, 980, 991–996, 1043 f. autorité de la chose jugée (F) 168, 388 AVAG – § 1 830 – § 4 I 631 – § 7 754, 818 f. – § 9 816, 818 – § 12 605, 830, 842, 849, 877 – § 14 600, 607, 830, 842 f., 877 – § 27 899 (Fn.) – § 55 830 Bagatellurteil, Europäisches s. EuGFVO Bailiff (E) s. County Court Bailiff Beibringungsgrundsatz 295 Beispielsfälle – Fall 1.1 238–252 – Fall 1.2 254–257 – Fall 1.3 258–260 – Fall 1.4 277–280 – Fall 2.1 457 f. – Fall 2.2 459–462 – Fall 2.3 464 f. – Fall 2.4 466 f.
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– Fall 3.1 519–521 – Fall 3.2 522–525 – Fall 4.1 604 f. – Fall 4.2 606 f. – Fall 4.3 608–611 – Fall 4.4 613–616 – Fall 4.5 617 f. – Fall 5.1 751 f., 815 f. – Fall 5.2 753 f., 817–819 – Fall 6.1 1039–1042, 1083 – Fall 6.2 1043 f., 1083 – Fall 6.3 1045 f., 1082 Berkeley Administration v. McClelland (E) 282–284, 291 Beugemittel – zur Vollstreckung von Geldforderungen 869 – D 971 – E 970 f. – F 973 – zur Vollstreckung von Handlungsund Unterlassungsansprüchen s. Handlungs- und Unterlassungsvollstreckung BGB – § 12 1373 – § 135 f. 963 – § 197 59 – §§ 249 ff. 979 – § 273 569 – § 278 279 – § 320 569 – § 322 II 569 – § 328 323 – § 335 323 – § 343 515 – §§ 346 ff. 528 – § 407 f. 305, 427, 545 (Fn.) – §§ 414 ff. 322 – § 417 320 – § 422–426 319 – §§ 428 ff. 323 – § 432 306, 470
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Sachwortverzeichnis
– § 546 324 – § 604 324 – § 744 306, 470 – § 767 f. 311 f., 375 – § 775 I Nr. 4 453 (Fn.) – § 831 258 – § 894 178 – §§ 929 ff. 521 – §§ 932 ff. 520 – § 985 178, 183 – § 1011 306, 470 – § 1077 306 – § 1113 311 – § 1115 312 – § 1137 311 f. – § 1147 178, 963 – §§ 1210 f. 311 f. – § 1281 306 – § 1365 ff. 307 – § 1428 307 – § 1429 304 – § 1544 307 – § 1629 304, 418, 470, 498 (Fn.) – §§ 1984 f. 303 – § 2039 306, 470 – §§ 2197 ff. 303 – § 2213 303 Binnenmarkt, europäischer 35, 685, 589, 692, 1133, 1138 Bruchteilsgemeinschaft – D 306 – E 364 Brunsden v. Humphrey (E) 193 Bürgschaft – D 311 f. – Deutsch-französischer Bürgschaftsfall zur Anerkennung s. Beispielsfälle Fall 2.3 – E 352 – F 374 f. Carl Zeiss Stiftung v. Rayner & Keeler (E) 81 f. case law (E) 206
Cassis de Dijon (EuGH) 692 cause (F) 168, 579 caution simple (F) 374 caution solidaire (F) 374 CC (F) – Art. 91 385 – Art. 100 385 – Art. 270 al.2 239 – Art. 296 ff. 518 – Art. 324 385 – Art. 362 385 – Art. 389 370 – Art. 395 370 – Art. 1142 980 – Art. 1144 985, 1080 – Art. 1166 f. 366 – Art. 1197 364 – Art. 1200 364 – Art. 1222 364, 373 – Art. 1351 168, 224, 360, 381, 383 – Art. 1382 224, 279 – Art. 1384 al.1 224, 259 – Art. 1384 al.5 279, 609 – Art. 1583 519 – Art. 1625 390 – Art. 1640 390 – Art. 1654 519 – Art. 1984 368 – Art. 2011 ff. 374 – Art. 2015 375 – Art. 2021 374 – Art. 2036 374 – Art. 2093 376, 951 – Art. 2095–2113 378 – Art. 2100–2105 378 – Art. 2114–2145 378 – Art. 2118 378 – Art. 2191 965 – Art. 2198 965 – Art. 2201 965 CCR = sch. 2 CPR (E) r. 8 ord. 25 865
Sachwortverzeichnis Charging Orders Act 1979 (E) 956, 964 chose demandée (F) 168, 219–221 CISG – Art. 47 606 – Art. 50 606 Civil Liability (Contribution) Act 1978 (E) – s. 1 347 – s. 3 347 claim in rem (E) s. action in rem class action (USA) 391–412 – allgemein 392–398 – certification 402 – common question class action 409 – commonality 404 – Entscheidungswirkungen von class action-Urteilen 391 f., 410 f. – Anerkennung in D 489–500 – Qualifikation 419 – limited fund-Fälle 407 – mandatory class action 407 f., 412 – notice 400, 410 f. – numerosity 403 – opt-out-Recht 410–412 – representativeness 405 – typicality 405 clean break 249 co-intéressés (F) 373–375 – Anerkennung 419 Comitas gentium 26 commandement (F) 707, 947, 965, 968, 1003 common law 191, 341 f. company limited by shares (Ltd.) (E) 522 contempt of court (E) 997–1001 contestation (F) 378 f., 709, 866–868, 870, 872, 877, 885, 887, 957 County Court Bailiff 705 f., 946 County Courts Act 1984 (E) s. 71 732 Courts Act 2003 (E) sch. 7 para. 3 706
733
CPC (F) – Art. 30 363, 381 – Art. 31 364 f. – Art. 331–338 387–390 – Art. 411 368 – Art. 455 al.2 208 – Art. 472 606 – Art. 480 168, 208, 212, 216 f. – Art. 500 168, 733 – Art. 501 733 – Art. 503 707 – Art. 510 733 – Art. 513 733 – Art. 514–522 734 – Art. 524 1201 – Art. 525 734 f. – Art. 539 168 – Art. 582–592 384 – Art. 1440 f. 707 CPR (E) – pt. 70 863 – pt. 71 972 – pt. 72 955, 959 – r. 72.8 972 – r. 1.1 (2)(e) 167 – r. 3.4 (2) 166 – r. 19.6 344 – r. 19.8A 355 – r. 19.11 344 – r. 20.5 (1) 340 – r. 20.6 (1) 340 – r. 25.1 728 – r. 40.11 728 – r. 73.2–73.10 964 – r. 73.11–73.22 956 – r. 74 (3) 704 créanciers chirographaires (F) 376 f. créanciers hypothécaires (F) 378 créanciers privilégés (F) 378 culpa in contrahendo 258 f., 279, 609 f.
734
Sachwortverzeichnis
Dänemark 27, 47, 51 Dassonville (EuGH) 685 f. De Wolf ./. Cox (EuGH) 237 Décr. 1992 (F) – Art. 8 al.2 866 – Art. 53 al.2 995 – Art. 56 957 – Art. 58 957 – Art. 59 957 – Art. 63 f. 960 – Art. 85 707 – Art. 88 947 – Art. 94–98 947 – Art. 107–109 951 – Art. 119 al.3 951 – Art. 123 951 – Art. 128 378 – Art. 155 737 – Art. 159 737 – Art. 284–292 951 (Fn.) Décr. 2006 (F) 965 deemed parties (E) 341, 345 demande en fixation (F) 221 demande en nullité (F) 221, 224 Demokratieprinzip 28, 33 Dienstleistungs-RL 690–692 – Art. 16 I 691 Dienstleistungsfreiheit 32, 685, 692–694 Diskriminierungsverbot, europarechtliches 682 dispositif (F) 208 – ~ exprès 209–213 – ~ implicite ou virtuel 209, 214–216 Dispositionsmaxime (D) 615 doctrine of mutuality (E) 336, 347, 352 doctrine of privity (E) 336, 356 Doppelexequatur 873, 1093, 1140, 1175, 1379 Drittbindungen 14, 74, 297, 336, 533, 413 f., 415–435
Drittwiderklage – D 335 – E s. third party proceeding – isolierte 335 Drittwiderspruchsklage 379 effet utile-Grundsatz 678–682 EGBGB – Art. 18 IV 240 – Art. 43 I 520 EGV – Art. 12 682 – Art. 28 f. 685 – Art. 39 685 – Art. 43 685 – Art. 49 685 – Art. 61 31 – Art. 65 31, 34 Einstellung der Zwangsvollstreckung – bei Vollstreckung ausländischer exequierter Titel 800–810 – bei Vollstreckung Gemeinschaftsweiter Titel – Titel i. S. d. EuGFVO 1224 – Titel i. S. d. EuMVVO 1227 – Titel i. S. d. EuVTVO 1205–1207 – Titel i. S. v. Art. 17–22 EuUnthVO 1214–1218 – Titel i. S. v. Art. 40–45 EuEheVO 1201–1203 – D 722–724 – E s. stay of execution – F 735 Einwendungen gegen den titulierten Anspruch im Zweitland – im Rechtsbehelfsverfahren nach Art. 43 ff. EuGVVO – Kreis der beachtlichen Einwendungen 849–851 – Beispielsfall zum deutsch-französischen Verhältnis s. Beispielsfälle Fall 4.1 – Statthaftigkeit von Einwendungen 829–853
Sachwortverzeichnis – im Wege von Vollstreckungsgegenrechtsbehelfen im Zweitland – D s. Vollstreckungsgegenklage – E s. action to set aside the judgment – F s. contestation – Kreis der beachtlichen Einwendungen 929 f., 933–936 – Beispielsfall zum deutsch-französischen Verhältnis s. Beispielsfälle Fall 4.2 – rechtsvergleichend 869–871 – Statthaftigkeit derartiger Rechtebehelfe im Zweitland – bei Vollstreckung ausländischer exequierter Titel 876–930, 931 f. – bei Vollstreckung Gemeinschaftsweiter Titel 1228–1277 Einwendungsdurchgriff beim Leasing (D) 326 Employers Liability Act 1880 (E) 191 EMRK 145 – Art. 6 146, 152 entry (E) 704 Entscheidungseinklang, internationaler 26, 72, 101, 247, 531 f., 611, 934, 1041, 1058 f. – als Leitprinzip des IPR 101 EO (A) – § 367 1011 – § 370 739 – §§ 370 ff. 739–741, 751 – § 371 739, 1211 – § 371a 739 – § 374 740 – § 376 741 equity, law of (E) 342 Ersatzvornahme (Vollstreckung vertretbarer Handlungen) 983–985 estoppel (E) 165 – cause of action estoppels 189–193, 196 – fact estoppels 199
735
– issue estoppel 189, 194–204, 255, 338, 616 – res judicata estoppel 165 EU-Außengrenze 12 EU-Grundrechtecharta 145 – Art. 47 53, 146 EuEheVO 31, 1147–1150, 1196–1203 – Anhang III 1198, 1288 – Anhang IV 1198, 1288 – Art. 2 37 – Art. 11 37 – Art. 40 37, 1147 – Art. 41 bzw. 42 37 f., 1147–1149, 1155, 1164, 1168, 1174, 1196, 1198, 1200 f., 1203, 1304, 1307 f., 1314 – Art. 43 I 1255 – Art. 43 II 1147 – Art. 44 1150, 1153, 1156, 1167, 1197, 1210, 1306, 1314 – Art. 45 1147, 1267 – Art. 45 II 1288 – Art. 47 146 – Art. 47 II 1282 – Umgangs- und Kindesrückgabeentscheidungen i. S. v. Art. 40–45 EuEheVO 37 f., 46, 1142, 1145, 1147–1150, 1152, 1154, 1156, 1159, 1167, 1194, 1196–1203, 1277, 1288, 1304, 1306 f., 1313, 1320, 1346 f., 1349 EuGFVO 45 f., 1257–1260, 1223–1225 – Anhang I 1371 – Anhang IV 1225, 1287 – Art. 1 1317 – Art. 1 I 1370 – Art. 2 45 – Art. 2 I 1373 – Art. 2 II 1370 – Art. 4 1370 – Art. 4 I 1371 – Art. 5 1366 – Art. 5 I 1361
736 – – – –
Sachwortverzeichnis
Art. 7 1361 Art. 8 1366 Art. 11 III 1361 Art. 15 1157 – Art. 15 I 1223, 1225, 1298 – Art. 15 II 1224 – Art. 17 1157, 1223, 1232, 1366 – Art. 17 I 1351 – Art. 19 1157, 1239, 1352, 1360 – Art. 20 45 – Art. 20 I 1304, 1307 f., 1314 – Art. 20 II 1158 f., 1174 – Art. 21 I 1282 – Art. 21 II 1158, 1287 – Art. 22 1355, 1362 – Art. 22 I 1324, 1355 – Art. 23 1224, 1231–1234, 1265 EuGVÜ 30 f. – Art. 26 124, 128, 131 – Art. 27 100, 129 f. – Art. 27 Nr. 4 513 – Art. 31 130 – Art. 34 31 – Art. 34 II 835 – Art. 39 756 EuGVVO 31 – Anhang V 752, 784, 813 – Art. 2 258, 917, 923 – Art. 2–24 880 f., 884 f., 921, 1251 – Art. 3 II 1103 – Art. 5 259, 457, 519 – Art. 6 75 – Art. 11 75 – Art. 22 Nr. 2 522 – Art. 22 Nr. 5 653, 671, 887–894, 917, 1249 f. – Art. 27 261–264, 270, 932 – Art. 28 936 – Art. 31 764 – Art. 32 763, 1089, 1325
– Art. 33 ff. 6, 20, 57, 124, 448, 465, 508 f., 598, 607, 1109, 1123–1125, 1135–1137, 1374, 1376, 1379 – Art. 33 II 1113 – Art. 34 20, 21, 31, 40, 129, 144 f., 511, 513, 832, 911, 1091, 1324, 1337 – Art. 34 Nr. 1 1272, 1318, 1324 – Art. 34 Nr. 2 483, 511, 1271, 1318 – Art. 34 Nr. 3 269–275, 291, 531, 1152, 1272, 1324, 1355 – Art. 34 Nr. 4 1152, 1272 – Art. 35 20, 21, 31, 832, 911, 1091, 1324, 1337 – Art. 36 597, 643 – Art. 38 7, 20, 130 – Art. 38 I 627, 634, 657, 667 f., 750, 774, 811, 815, 873, 1025–1027, 1045, 1073, 1084 – Art. 38 II 704 – Art. 40 I 671 – Art. 41 839, 910 – Art. 41 I 641, 1172 – Art. 42 II 763 – Art. 43 f. 31, 631, 641 f., 801, 809, 822 f., 831, 841, 847 f.. 911, 1174 – Art. 43 V 751, 753, 756, 769 f., 801, 809 f., 823, 1321 – Art. 45 I S. 1 832–837, 852, 897–902, 911, 931 – Art. 45 II 597, 834, 836, 851 – Art. 46 I 759–761, 769, 785 f., 807, 809, 823 f., 846, 852 – Art. 46 III 753, 761 f., 769, 785 f., 798 f., 807, 809, 823 f. – Art. 47 757 – Art. 47 I 763–766, 821 f., 1220 – Art. 47 II 766 f., 822, 1220, 1222 – Art. 47 III 756–758, 760, 762, 764, 769, 785 f., 807, 815, 822 f., 840, 843, 846, 852, 910, 915, 1220 f.
Sachwortverzeichnis – Art. 49 1052, 1055 f., 1085–1087, 1097, 1102, 1139 – Art. 53 641, 839, 910 – Art. 54 641, 752, 784, 813, 910, 1027 – Art. 65 II S. 1 485 – Art. 65 II S. 2 74 f. – Grünbuch von 2009 52 – Revison der ~ 52–54 – Entwurf der Kommission vom 14.12.2010 s. EuGVVO-E 2010 EuGVVO-E 2010 53 – Art. 38 53, 1164, 1167, 1172, 1308 – Art. 39 1311, 1349 – Art. 42 54 – Art. 45 f. 53, 1172, 1176, 1308 – Art. 66 54 EuInsVO Art. 17 72 EuMVVO 43 f., 1161 f., 1226 f. – Anhang V 752, 784, 813, 1161, 1287 – Anhang VII 1161, 1287 – Art. 1 1317 – Art. 3 43 – Art. 4 1369 f. – Art. 8 1161 – Art. 11 III 1361 – Art. 12–14 44 – Art. 12 III 1365 – Art. 16 44 – Art. 16 I 1364 – Art. 16 II 1351 – Art. 17 1358 – Art. 18 43 f., 1174, 1237, 1286 – Art. 18 I 1161, 1226 – Art. 18 II 1162, 1168, 1286 – Art. 19 43, 1304, 1307 f., 1314 – Art. 20 44, 1226 f., 1235, 1266 – Art. 20 I 1235, 1364 – Art. 20 II 1226, 1235, 1364 – Art. 21 I 1240, 1282 – Art. 21 II 1161, 1287 – Art. 22 1355
737
– Art. 22 I 1324, 1355 – Art. 22 II 1231, 1236–1242, 1245, 1266, 1365 – Art. 23 1227, 1235, 1266 – Art. 26 1162, 1239 f., 1352, 1360 – Einspruch gegen Europäischen Zahlungsbefehl 44 – Europäischer Zahlungsbefehl 43 – Rechtsbehelf gegen Europäischen Zahlungsbefehl gem. Art. 20 44 Eurocontrol (EuGH) 276 Europäischer Justizraum 32 Europäischer Titel 46 Europäischer Vollstreckungstitel s. EuVTVO Europäischer Zahlungsbefehl s. EuMVVO Europäisches Bagatellurteil s. EuGFVO Europäisches Bagatellverfahren s. EuGFVO europäisches Erkenntnisverfahren 46 Europäisches Internationales Zivilverfahrensrecht 8, 9, 23 – Systemwechsel im ~ 10, 27, 37 Europäisches Mahnverfahren s. EuMVVO EuUnthVO 47–51, 1154–1156, 1213–1222 – Anhang I 1154, 1219 – Art. 1 I 1369 – Art. 11 49 – Art. 14 1221 – Art. 16 II 1154 – Art. 17–22 47–51, 1142, 1145, 1154–1156, 1164, 1213–1222, 1293 f., 1346, 1349 – Art. 17 47 – Art. 17 I 1308 f., 1311, 1348, 1350, 1379 – Art. 17 II 1154 f., 1220, 1308 – Art. 18 1220–1222, 1375 – Art. 19 49, 1214, 1216 – Art. 19 II 1214 – Art. 20 I 1154
738
Sachwortverzeichnis
– Art. 21 1216 – Art. 21 I 1215–1217, 1222, 1242 f., 1293 f. – Art. 21 II 49, 1216, 1222 – Art. 21 II S. 2 1178, 1216 – Art. 21 III 50, 1222 – Art. 21 III S. 1 1214, 1216 – Art. 21 III S. 2 1214 – Art. 22 1310 – Art. 23–25 51, 1309 – Art. 39 1155 f., 1164, 1168, 1213, 1216 – Art. 40 1311 – Art. 41 I S. 2 1282 – Art. 68 I 1309 – Art. 76 47 EUV – Art. 2 34 – Art. 6 145 EuVTVO 39–42, 1151–1153, 1204–1212 – Anhang I 1151, 1209, 1288 – Art. 1 42 – Art. 3 42 – Art. 4 1370 – Art. 5 39, 1176, 1304, 1307 f., 1314 – Art. 6 39, 1151 f. – Art. 6 II 1207 – Art. 10 IV 1152 – Art. 11 1153, 1156, 1167, 1209 f., 1306, 1314 f. – Art. 12–19 39 f. – Art. 20 I S. 2 1282 – Art. 20 II 1151, 1208, 1288 – Art. 21 40, 1152, 1324 – Art. 21 II 1152, 1174, 1255 – Art. 23 1205, 1208, 1231–1234, 1265 – unbestrittene Forderung 39 exécution provisoire (F) 734 Exekution zur Sicherstellung (A) 739–741, 751, 781, 795, 815
Exequatur nach der EuGVVO – formelle Implementierung 631 – im Vergleich zur Anerkennung 19–23, 86–88, 627–664 – Wirkungen des ~ s. Wirkungen der Vollstreckbarerklärung Exequaturverfahren – nach dem EuGVÜ 30 – nach der EuGVVO 20 – dessen Streitgegenstand 633–635 – nach der ZPO 29 – seine Abschaffung in der EU 32–54 exorbitanter Gerichtsstand 30 FamFG – § 26 331 – § 120 III 988, 1014, 1023, 1060 – §§ 162, 176, 194 f., 205, 213, 279, 320, 536 (Fn.) – § 184 331 – § 193 536 – § 238 I S. 2 239 f. Fed.R.Civ.P. (USA) – r. 23 392–412, 419 – r. 23 (a) 403–405 – r. 23 (b) 406–412, 495 Feststellungsinteresse 179 Feststellungsurteil 3 Feststellungswirkung 3, 6, 14 finality of judgment (E) 727–729 force de la chose jugée (F) 168 f. freezing injunction (E) 728, 765, 1078 Freiheitsbeschränkung 4 Freizügigkeit von Entscheidungen 8 Forderungspfändung und -verwertung s. Vollstreckung in Forderungen gage commun (F) 376 Gemeinschaftsweite Titel 8, 17, 36–51 – s. auch unmittelbare Titelgeltung Gerichtsstandsvereinbarung 197 Gerichtsvollzieher – D 700
Sachwortverzeichnis – E s. High Court Enforcement Officer, s. County Court Bailiff – F s. huissier de justice Gesamtgläubigerschaft – D 323 – F 364 Gesamtschuld – D 319 – Deutsch-französischer Gesamtschuldfall zur Anerkennung s. Beispielsfälle Fall 2.4 – E 347 – F 364, 373 Gestaltungsurteil 3, 4 Gestaltungswirkung 3, 4, 6, 14, 502–504 – Anerkennung – kollisionsrechtliche ~ 510–513 – Qualifikation der Gestaltungswirkung 509–514 – Wirkungen der ~ 515–540 – D 502, 515 – E 506 f. – gerichtliche Auflösung einer Ltd. nach englischem Recht 522 f. – F 505, 518 – gerichtliche Vertragsaufhebung nach französischem Recht 519 Gewährleistungsklage 74 – Anerkennung 485 GG – Art. 6 331 – Art. 19 IV 924 – Art. 103 I 297 f., 308, 489, 497 Gleichstellungslehre 65, 81–100 – für die Wirkungen der Anerkennung – D 81 – E 68, 81 – F 81 – Praktikabilitätsargument 89–91 – für die Wirkungen der Vollstreckbarerklärung 620, 627, 631, 636,
739
640–644, 652, 655 f., 658 f., 660–664, 666 f. – für die Wirkungen gemeinschaftsweiter Titelgeltung 1185 f. GmbHG §§ 60 f. 525 greffier (F) 707 grosse exécutoire (F) 707 Group Litigation Order (E) 344 Grundbuchberichtigung 178 Grundfreiheiten, europäische 32 Grundrechte – europäische ~ 145 – Grundrechtsschutz im Primärrecht 145 f. Gubish ./. Palumbo (EuGH) 264–268 Haager Programm 35 Handelsverkehr, internationale 26 Handlungs- und Unterlassungsvollstreckung – allgemein 977–982 – I 981 f. – unvertretbare Handlungen – D 987–990 – E 997–1001 – F 991–996 – vertretbare Handlungen – D 983 – E 984 – F 985 Heidelberger Bericht 52 Henderson v. Henderson (E) s. Präklusionswirkung, rechtskraftbedingte im nationalen Recht – E Her Majesty’s Court Service (E) 705 Herausgabevollstreckung – D 1002 – E 1004 f. – F 1003 Herkunftslandprinzip, europäisches 32, 689–694 HGB – § 25 321
740
Sachwortverzeichnis
– §§ 125–127 314 – §§ 128 f. 311, 314 f. – § 161 II 311, 314 – § 760 304 High Court Enforcement Officer (E) 705, 863, 865, 946, 1006 „hinkende Durchsetzbarkeit“ 1034, 1074, 1082, 1261, 1292 HKEntfÜ Art. 13 37 Hoffmann ./. Krieg (EuGH) 128–133, 900 hoheitliche Befugnisse 24 Hoheitsakt 30 Hoheitsträger 28 huissier de justice (F) 707 f., 736, 947, 957, 972, 1003 HUntStProt 2007 47 f., 1154, 1308–1310, 1312 – Art. 6 48 – Art. 14 48 Immobiliarvollstreckung – D 701, 963, 966 – E 964, 967 – F 965, 968 imprisonment for debt (E) 970 InsO – § 23 I 495 (Fn.) – § 30 495 (Fn.) – § 80 303 – § 89 1023 – § 183 330 Insolvency Act 1986 (E) 523 (Fn.) Interessen bei Anerkennung und Vollstreckbarerklärung 24–26 Internationales Zwangsvollstreckungsrecht 623 Interventionsklage 74 – Hauptintervention (D) 413 – intervention forcée (F) 366, 387–390 – appel en garantie 388–390
– Qualifikation ihrer Wirkungen 423 – déclaration de jugement commun 387 – Qualifikation ihrer Wirkungen 423 – Nebenintervention (D) 422 Interventionswirkung 14, 74 f. – D 332–335 JBeitrO 989 Jenard-Bericht 124, 756, 835, 891 – zu den Wirkungen des Exequaturs 638 – zur Wirkungsbegrenzung bei der Anerkennung 124–127 – zur Wirkungserstreckungslehre bei der Anerkennung 68 judgment in personam (E) 356 judgment in rem (E) 356–359, 506 juge de l’exécution (F) 708 f., 736, 866 f., 947, 957, 960, 965, 992 f., 1003 jurisdiction to enforce 1094–1107 Justizgewährungsanspruch 146 Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen 34 Keck u. Mithouard (EuGH) 687 Kerameus-Bericht 126 Kernpunkttheorie des EuGH 262–275 Klauselprinzip 698–710 Konsensualprinzip 519, 1010 Kontradiktorisches Gegeneil (D) 182 Konzentrationsprinzip 1172–1181, 1247–1257 Krombach ./. Bamberski (EuGH) 144 f. Kumulationstheorie 120, 134 f., 139, 148, 528 L. 1991 (F) – Art. 1 al.2 736 – Art. 3 707
Sachwortverzeichnis – Art. 31 al.1 991 – Art. 31 al.2 735 – Art. 33–36 992–995 – Art. 39–41 972 – Art. 43 960 – Art. 45 al.2 957 – Art. 50 al.1 947 – Art. 51 972 – Art. 52 951 – Art. 56 1003 – Art. 59 f. 947 – Art. 61 f. 1003 – Art. 67 736 – Art. 74 ff. 737 – Art. 77 ff. 737 leave of execution (E) 706 Leistungspflicht 3 lésion (F) 221 lex causae – materieller Gehalt des Verfahrensrechts 105–109 – ~-Rückgriff zur Bestimmung der Wirkungen der Anerkennung – allgemein 97–118 – bei den Entscheidungsdrittwirkungen 463–474 – bei der Gestaltungswirkung 517–518 – bei der objektiven Rechtskraft 238–252 – bei der Präklusionswirkung 608–611 – Sachrechtsbezogenheit des Verfahrensrechts 103 f. lex fori – ~ executionis 621–623, 653, 671–677, 694, 775, 797, 812, 855, 891, 939, 1026, 1040, 1046, 1055, 1137, 1169–1171, 1179, 1240, 1249, 1278, 1282, 1295 – Grenzen des ~ Grundsatzes im Erkenntnisverfahen 101–110 – Grundsatz der Maßgeblichkeit der ~ 94 f., 111–116, 141 f.
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– Organisationsbezogenheit der Prozessnormen 105 lex rei sitae 457 f., 524, 671, 1091 Lissabon-Vertrag 145 litigation friend (E) 339 Litispendenz s. Rechtshängigkeit maritime lien (E) 359 Matrimonial Causes Act 1973 (E) s. 21–26 506 merger in judgment (E) 165 f., 192, 507, 616 mesures conservatoires (F) 736 f. Mitgläubigerschaft (D) 306 Mobiliarvollstreckung – D 945, 949 – E 946, 950 – F 947, 951 motifs (F) 211 – ~ décisifs 211, 579 – ~ décisoires 212 moyens (F) 223 f., 582 Nachlassverbindlichkeit 103 Nachlassverwalter 303 Nachleistungsfrist – bei Vollstreckung ausländischer exequierter Titel 811–813 – bei Vollstreckung Gemeinschaftsweiter Titel 1298 – D 716 – E 728 – F 733 ne bis in idem (D) 162 ne ultra petita 182, 223 Nebenwirkung, materielle 14, 57–59 – Abgrenzung von prozessualen Entscheidungswirkungen 58–64 Niederlassungsfreiheit 32, 685 non cumul (F) s. Präklusionswirkung, rechtskraftbedingte im nationalen Recht F notice of claim (E) 355 notice of judgment (E) 355
742
Sachwortverzeichnis
obiter dictum 177 objet (F) 219–221 Offenbarungsverfahren (D) 701, 791 on the merits-Entscheidung (E) 196 f. opposabilité absolue eines Urteils (F) 383–386 Ord v. Ord (E) 202 Ordnungsgeld, Ordnungshaft 989 f. ordre public 1061, 1091, 1010, 1124, 1126, 1260, 1272, 1318, 1324, 1331, 1350, 1360, 1384 – als Maßstab zur Begrenzung ausländischer Titelwirkungen 122, 143 f. – Anerkennungsversagungsgrund des ~ 34, 40, 48 – materiellrechtlicher ~ 48 – verfahrensrechtlicher ~ 48, 143 – ~-Vorbehalt gegenüber der Anerkennung ausländischer Vollstreckungsakte 1092 f. – Zusammenhang mit Grund- und Menschenrechten 145 öZPO (A) – § 396 1211 – § 397 1211 – § 409 739 Part 20 claim (E) s. third party proceeding Parteien kraft Amtes (D) 304 Parteiidentität in Vor- und Folgeprozess – E 337–344 – F 362–371 Präjudizbindung auf Ebene der Begründetheit D 62, 183 Präklusionswirkung, rechtskraftbedingte 3, 6, 14, 135, 541 f. – Anerkennung – Qualifikation 599–602 – Wirkungen 603–619 – im nationalen Recht – D 544–569 – ausgeurteilter Lebenssachverhalt 546–553
– Präklusion zu Lasten des Beklagten im Erstprozess 568 f. – Präklusion zu Lasten des Klägers im Erstprozess 561–567 – Primär- und Sekundärtatsachen 550 – Verkehrsanschauung 548 – „wesensmäßig“ anderer Sachverhalt 549 – E 192, 570–577 – bzgl. cause of action 572–575 – bzgl. issue 576 – F 578–587 – non comul 578 – Präklusion gegen Beklagten 583–585 – Präklusion gegen Kläger 580–582 – rechtsvergleichend 588–596 – Teilklage – D 565–567 – E 575 – F 587 – zeitliche Begrenzung – D 554–560 – E 577 – F 586 prestation compensatoire (F) 239, 250 privity of blood, title or interest (E) 345–355 – Qualifikation 420, 423 protected party (E) 339 Prozessgrundrechte 41 Prozessökonomie 25, 111 Prozessrisiko 79 Prozessstandschaft – D 300–307 – E 342 f. – F 363–366 – nach ausländischem Sachrecht 469–473 Prozessvergleich 14
Sachwortverzeichnis Prozessvertreter – D 298 – E 339 – F 368–371 punitive damages (USA)
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Qualifikation – Abgrenzung materielles Recht und Prozessrecht 106–109 – der Entscheidungswirkungen 57–64 – der Entscheidungsdrittbindungen 437–454 – der Gestaltungswirkung s. Gestaltungswirkung – Anerkennung Qualifikation – der Präklusionswirkung 599–602 – der Rechtskraft 236 – funktionelle Betrachtung 64 – lege fori 62 – nach dem Recht des Ursprungsstaates 63 – nach der EuGVVO 64 – Qualifikationsstatut 61–64 – materiellrechtsfreundliche ~ 97 – Sachnormqualifikation bei Entscheidungswirkungen 157 f. – instrumentelle Seite der anerkannten Wirkungen 158 – instrumentelle Seite der Rechtskraftwirkung 237 qualité (F) 365 – identité de ~ 381 f. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts 34 rechtliches Gehör – Verletzung bei Gleichstellungslehre 78 – Wahrung des als Anerkennungsversagungsgrund unter EuGVVO 40 Rechtsfriede 26 Rechtshängigkeit 286–288 Rechtskraftwirkung 3, 6, 14
743
– Erstreckung auf Dritte 135 – Anerkennung s. Wirkungen der Anerkennung Drittbindungen – bei Prozessstandschaft – Anerkennung 474 – D 300–307 – E 343 – F 366 f. – bei Rechtsnachfolge – Beispielfall zur Anerkennung s. Beispielsfälle Fall 2.1 – D 308 f. – E 346 – F 380 – durch Annahme fiktiver représentation (F) 372–380 – erga omnes und auf unbestimmte Personengruppe – D 329–331 – E 356–359 – F 386 – kraft materiellrechtlicher Abhängigkeit – D 310–328 – rechtsvergleichend 425–428 – nach der privity-Lehre (E) 345–355 – rechtsvergleichend 413–427 – unter Verkürzung des rechtlichen Gehörs aus übergeordneten Interessen 429–432 – wegen der Beteiligungsrechte des Dritten 421–424 – wegen Interessengleichheit zwischen Prozessbeteiligtem umd Drittem 417–420 – europäischer Rechtskraftgegenstand 261–293 – formelle ~ (D) 161 – gerechter Ausgleich zwischen Rechtssicherheit und Wahrheit 151 – Grenzen der Rechtskraft (E) 205 f. – in „Sinn-“ oder „Ausgleichszusammenhängen“ (D) 181
744
Sachwortverzeichnis
– Klagegrund – cause of action (E) 190–193 – D 184–186 – F 218–226 – materielle ~ (D) 161 f. – objektiver Umfang – Anerkennung 232–260 – D 172–188 – E 189–206 – F 207–227 – rechtsvergleichend 228–231 – Prüfung von Amts wegen oder auf Einrede? – D 163 – E 167 – F 170 – Rechtskraftlehren – D 161–163 – E 164–167 – F 168–170 – Relativität der ~ – D 297 f., 329 – E s. doctrine of privity – subjektiver Umfang 295–435 – Anerkennung 436–500 – D 296–331 – E 336–359 – F 360–390 – über tatsächliche Feststellungen – Anerkennung in D 256 f. – D 256 – E 199 – über Vorfragen – Anerkennung in D 149, 255–257 – D 176–181 – E 194–204 – F 210–216 – Zweck der ~ 161, 164 – zweigliedriger Streitgegenstandsbegriff (D) 182 Rechtssicherheit 26 Rechtsvergleichung 11
représentation ad agendum (F) 369–371 représentation ad litem (F) 368 representative parties (E) 344 Repulic of India v. India Steamship (E) 191 résolution d’un contrat (F) 505 révision au fond 462, 597, 603, 643, 826, 834–837, 851, 1172, 1245, 1276 Revision der EuGVVO s. EuGVVO Revision der ~ révision d’un contrat (F) 505 Rom I-VO Art. 4 519 RPflG – § 20 Nr. 17 954 – § 31 III 989 RSC = sch. 1 CPR (E) – ord. 52 999 – r. 1 ord. 47 732 – r. 3 ord. 45 1006 – r. 4 ord. 45 1004 f. – r. 11 ord. 45 732, 865 saisie appréhension (F) 1003 saisie attribution (F) 957, 960 saisie-vent (F) 947 salvage action (E) 359 Savigny 101 Schlosser-Bericht 125 Schlussbetrachtung 17, 1433–1439 Schuldbeitritt – D 320 Schuldhaft 969 f., 1039–1042 – G 969 Schuldübernahme – D 322 – F 374 sealing (E) 704 separation de corps (F) 518 Souveränität, völkerrechtliche 24, 28, 85 specific delivery (E) 1005 specific performance (E) 978, 1004
Sachwortverzeichnis Staatshaftung aus Vollstreckungstätigkeit 673 stay of execution (E) 730–732, 753, 817, 847, 865, 884, 895, 1201 Stockholmer Programm 35 Strafschadensersatz s. punitive damages streitbefangener Gegenstand – Relevanztheorie 457 – Veräußerung des ~ (D) 305 Streitgegenstandsbegriff – D 175, 182 Streitgenossenschaft (D) 306 Streitverkündung 135 – D 74, 104, 332–335 – Streitverkündungswirkungswirkung 14 – D 334 f. – Qualifikation 422 subjektive Reichweite der Entscheidungswirkungen s. Rechtskraftwirkung subjektiver Umfang, s. Rechtskraftwirkung Erstreckung auf Dritte Supreme Court of the United Kingdom 703 Tampere, Sondergipfel von 34 f. Tarifvertrag (D) 327 Tatbestandswirkung eines Urteils s. Nebenwirkung, materielle Tatry ./. Maciej Rataj (EuGH) 263, 266 f. Teilklage s. Präklusionswirkung, rechtskraftbedingte im nationalen Recht, s. Präklusionswirkung, rechtskraftbedingte Teilklage Testamentsvollstrecker 303 third party debt order (E) 955 f., 959 third party notice (E) 355 – Beipielsfall zur Anerkennung ihrer Wirkungen s. Beispielsfälle Fall 2.2 – Qualifikation ihrer Wirkung 423 third party proceeding (E) 340, 413 – Qualifikation ihrer Wirkung 423 tierce opposition (F) 384
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Titelgeltung, grenzüberschreitende 9, 23 – einheitliches Modell der ~ 660–664 Titelgeltung, unmittelbare s. unmittelbare Titelgeltung Titelinhalt – nicht vollstreckungsfähiger ~ 3, 4, 5, 6 – Gemeinschaftsweiter Titel 17 – Vergleich vollstreckungsfähiger und nicht vollstreckungsfähiger ~ 646–659 – vollstreckungsfähiger ~ 2, 5 – Wirkungen vollstreckungsfähiger und nicht vollstreckungsfähiger Titelinhalte im Zweitland nach einheitlichem Modell 660–664 titre exécutoire (F) 707 Transaktionskosten 25 transit in rem judicatam (E) 165 trust (E) 343 TVG § 9 327, 434 Überraschungseffekt beim Vollstreckungszugriff 707, 763, 767, 1222 unbestrittene Forderung s. „EuVTVO“ unmittelbare Titelgeltung – europäische gemeinschaftsweite Befugnisse 1149 f., 1155–1157, 1160 f., 1168, 1184, 1193, 1198, 1200 f., 1203, 1298 – gemeinschaftsweit europäisierte nationale Befugnisse 1148–1151, 1153, 1155 f., 1158, 1167, 1184, 1193, 1200–1202, 1298 – Strukturmerkmale 1146–1181 – Strukturmerkmal 1 1146–1168 – Strukturmerkmal 2 1169–1171 – Strukturmerkmal 3 1172–1181 – Wirkungen der unmittelbaren Vollstreckbarkeit – bei Vollstreckung vor Rechtskraft s. Vollstreckung vor Rechtskraft aus Gemeinschaftsweiten Titeln
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Sachwortverzeichnis
– materielle Einwendungen gegen Gemeinschaftsweite Titel im Zweitland 1228–1277 – Methoden und Grenzen der Zwangsanwendung 1278–1298 – Wirkungsprämissen 1182–1193 – Zusammenhang mit Anerkennung 1320–1345 Unterhaltsverordnung s. EuUnthVO Unterlassungsvollstreckung s. Handlungs- und Unterlassungsvollstreckung Vereinigtes Königreich 47, 51 Verfahrensökonomie s. Prozessökonomie Verrichtungsgehilfe 279 Versäumnisurteil 42, 203, 557, 600, 606, 741, 1204, 1211 Vertrag von Amsterdam 34 Vertrag von Lissabon s. Lissabon-Vertrag Vertrag zu Gunsten Dritter (D) 323 Vertrauensschutz, prozessualer 79 f. Vindikationslage 178 Vollstreckbare Urkunde 14 Vollstreckbarerklärungsverfahren s. Exequaturverfahren Vollstreckbarkeit – Abgrenzung zur Vollstreckung 621 f. – gemeinschaftsweite s. Vollstreckbarkeit, unmittelbare – unmittelbare 17, 18, 23 Vollstreckung in Forderungen – Anerkennung ausländischer Forderungspfändungen 1108–1111 – D 954, 958 – E 955 f., 959 – F 957, 960 Vollstreckung vor Rechtskraft 16 – aus ausländischen exequierten Titeln 750–824 – aus Gemeinschaftsweiten Titeln 1194–1227
– im einzelstaatlichen Recht – A 739–741 – D 712–726 – E 727–732 – F 733–737 – rechtsvergleichend 742–749 Vollstreckungsakte, ausländische – Anerkennung 1089–1107 – Wirkungen ihrer Anerkennung 1108–1111 Vollstreckungserinnerung 702 Vollstreckungsgegenklage 830, 842, 859–862, 870, 872 Vollstreckungsgericht 892, 950, 1282 – D 701, 724, 851, 954, 963, 966 – E 703, 955, 999 – F s. juge de l’exécution Vollstreckungsgläubigerhaftung – D 713 – E 729 – F 735 Vollstreckungshindernisse 790, 939, 1014 – bei Vollstreckung ausländischer exequierter Titel 1023–1035 – bei Vollstreckung Gemeinschaftsweiter Titel 1291–1298 Vollstreckungsklausel – D 698 f. (s. auch Klauselprinzip) – E s. entry, s. sealing, s. writ of execution – F s. formule exécutoire Vollstreckungsmethoden – bei ausländischen exequierten Titeln 1036–1087 – bei Gemeinschaftsweiten Titeln 1279 – in nationalen Vollstreckungsrechten s. Mobiliarvollstreckung, s. Immobiliarvolsltreckung, s. Herausgabevollstreckung, s. Handlungs- und Unterlassugngsvollstreckung, s. Abgabe von Willenserklärungen – rechtsvergleichend 1012–1022
Sachwortverzeichnis Vollstreckungssysteme in den Einzelstaaten – D 699–702 – E 703–706 – F 707–709 Vollstreckungsvoraussetzungen, besondere – bei Vollstreckung ausländischer exequierter Titel 1023–1035 – bei Vollstreckung Gemeinschaftsweiter Titel 1284–1290 Vollstreckungszuständigkeit, internationale s. jurisdiction to enforce vorläufige Vollstreckung (D) 712–724 VVG – § 124 325, 434 – § 126 304 Warenverkehrsfreiheit 32, 685–688 warrant of execution (E) 706, 710, 946, 1007, 1282 Widerklage – D 173, 178 – Dritt~ s. Drittwiderklage – E 340 Willenserklärungsfiktion – Fiktion der geschuldeten Willenserklärung bei ausländischen exequierten Titeln 1112–1141 – Fiktion der geschuldeten Willenserklärung bei Gemeinschaftsweiten Titeln 1367–1382 winding-up order (E) 523 Wirkungen der Anerkennung – der Gestaltungswirkung s. Gestaltungswirkung Anerkennung Wirkungen – der Präklusionswirkung s. Präklusionswirkung, rechtskraftbedingte Anerkennung Wirkung – der Rechtskraft in objektiver Hinsicht s. Rechtskraftwirkung objektiver Umfang Anerkennung – Drei-Schritt-Modell 153–156
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– Gemeinschaftsweiter Titel s. Anerkennung Gemeinschaftsweiter Titel Wirkungen – Gleichstellungslehre s. dort – Kollisionsregel der Entscheidungswirkungen 56–158 – nach der EuGVVO 55–619 – nach der lex causae 97–118 – Qualifikation der Entscheidungswirkungen s. Qualifikation – von Drittbindungen 456–500 – Wirkungsbegrenzung s. dort – Wirkungserstreckungslehre s. dort Wirkungen der Vollstreckbarerklärung 620–1141 – Bestimmung nach Gleichstellungslehre s. Gleichstellungslehre für die Wirkungen der Vollstreckbarerklärung – Bestimmung nach Wirkungserstreckungslehre s. Wirkungserstreckungslehre für die Wirkungen der Vollstreckbarerklärung – Prämissen hierfür 665–695 – Prämisse 1 666–669 – Prämisse 2 670–677 – Prämisse 3 678–695 – Unterscheidung zwischen „Ob“ und „Wie“ 660–664 Wirkungsbegrenzung nach dem Recht des Anerkennungslandes 119–152 – allgemein – Grenze des zweitstaatlichen ordre public s. ordre public, s. Wirkungsbegrenzung – Gründe hierfür 134–147 – Kumulationstheorie s. dort – „Titelwirkungen ihrer Art nach im Zweitland bekannt“ 121, 137 – hinsichtlich der Gestaltungswirkung 526–540 – hinsichtlich der Präklusionswirkung 612–619 – hinsichtlich Entscheidungsdrittwirkungen in subjektiver Hinsicht 475–500
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Sachwortverzeichnis
– hinsichtlich objektivem Rechtskraftumfang ausländischer Entscheidungen 253–260 Wirkungserstreckungslehre 20, 65, 68–80 – D 68, 70 – E 68 – F 68 – für Bestimmung des objektiven Rechtskraftumfangs ausländischer anerkannter Entscheidungen 235–237 – für den Inhalt anerkannter Gestaltungswirkung 515 f. – für den Inhalt anerkannter Präklusionswirkung 603–607 – für die subjektive Reichweite anerkannte Entscheidungswirkungen 456–462 – für die Wirkungen der Vollstreckbarerklärung 627, 630, 641, 648, 656–658, 660–664, 673 – für die Wirkungen gemeinschaftsweiter Titelgeltung 1183 f. Wirkungsverleihung 20 Wirtschaftsverkehr, internationaler 25 writ of execution (E) 706 writ or fieri facias (E) 946, 950 Zahlungsmoral 32 ZPO – §§ 12 ff. 335 – § 23 1103 – § 32 491 – § 33 335 – §§ 59 f. 335 – § 62 306 – § 68 74, 256, 332, 334 f. – §§ 72 ff. 104, 333, 485 – § 74 74 – § 108 313, 714 – § 185 495 – § 233 722 – § 256 II 179, 181, 256
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
§§ 263, 267 335 § 265 305, 308, 427, 470, 433 § 296 600, 615 § 302 722 § 321a 722 § 322 I 173, 175 § 322 II 179–181, 256, 861 § 325 297, 305, 308 f., 379 § 327 303 § 328 29 § 530 600 § 531 554 § 559 554 § 578 722 § 580 Nr. 7 550 § 600 722 § 704 699, 712 § 705 161 § 707 722–724, 1201 § 708 718 f., 1212 § 709 714, 1212 § 710 715, 720 § 711 379, 720 § 712 717, 720 § 717 713, 716, 751 § 719 722–724, 1201 § 720a 717, 720, 757, 765, 775 § 722 29 §§ 724 f. 699 – § 724 II 699 § 726 699 §§ 727–729 699 § 750 716, 1290 – § 750 III 724 § 751 1284 § 753 700 § 756 1284 § 758 1002 § 758a 701 § 764 II 701 § 766 702, 1249
Sachwortverzeichnis – § 767 243, 602, 859–862, 1229, 1233, 1236, 1249, 1265, 1284 – § 767 II 554, 600, 862 – § 775 602, 858 f., 877, 886, 895, 1236, 1245 – § 776 858 – § 778 103 – § 794 987 – § 798 724 – § 804 949 – § 807 I 971 – § 808 945 – § 813a 724 – § 813b 724 – § 815 949 (Fn.) – § 817 II 949 – § 828 701, 1103 – § 829 954 – § 834 954 – § 835 958 – § 836 958 – § 845 726, 757, 765 – § 856 330 – § 866 963 – § 867 III 963 – §§ 883–885 1002 – § 887 701, 983, 988, 1080, 1101
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– § 888 701, 987 f., 1009, 1014, 1055, 1101 – § 890 701, 989, 1078 – § 891 989 – § 892 1101 – § 894 701, 1009, 1112–1141, 1367–1382 – § 899 700 – §§ 899–915h 971 – § 901 701, 971 – §§ 904 ff. 987 – § 913 971, 987 – § 917 I 725 – § 917 II 765 – § 928 765 – § 930 757, 765 – § 935 725 – § 940 725 – §§ 1105–1109 1212 Zusammenspiel von Anerkennung und Vollstreckbarerklärung 18–23 ZVG § 152 303 Zwangsanwendung Modalitäten und Grenzen der ~ 16 Zwangsgeld, Zwangshaft 987 f., 1045 f. Zwangsverwalter 303 Zwischenfeststellungsklage 178 f.